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German Pages 316 Year 1985
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 484
Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Asylrechts Internationaler Menschenrechtsschutz Referate der 23. Tagung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“ 22. – 26. Februar 1983 in Berlin
Herausgegeben von
Hans-Joachim Konrad
Duncker & Humblot · Berlin
Grundrechteschutz und Verwaltungeverfahren Internationaler Menechenrechtsschutz
Schriften
zum öffentlichen Band 484
Recht
Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung dee Aeylrechts
Internationaler Menschenrechtsschutz Referate der 23. Tagung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung „öffentliches Recht" 22. -26. Februar 1983 i n Berlin
Herausgegeben von
Hans-Joachim Konrad
D U N C K E R
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H U M B L O T
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B E R L I N
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren unter bes. Berücks. d. Asylrechts. Internationaler Menschenrechtsschutz. Referate d. 23. Tagung d. Wiss. Mitarb. d. Fachrichtung Öffentl. Recht, 22.-26. Februar 1983 i n Berlin. Hrsg. v o n Hans-Joachim Konrad. — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1985. (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 484) I S B N 3-428-05725-2 NE: Konrad, Hans-Joachim [Hrsg.]; Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung öffentliches Recht e r Ausschußbericht zur Flüchtlingskonvention stammt v o m 19.11.1953, jener zum FrPolG v o m 11. 3.1954; die Konvention wurde am 26.11.1953 u n d das FrPolG am 17. 3.1954 v o m Nationalrat beschlossen. Die Konvention ist am 30.1.1955, das F r P o l G am 28. 6.1954 i n K r a f t getreten.
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eigenschaft nicht oder verspätet beantragt haben, oder welche gemäß § 7 Abs. 2 AsylG als Flüchtlinge ohne Aufenthaltsrecht anerkannt wurden (sie verschiedentlich als „De-facto-Flüchtlinge" bezeichnet), und die nach den allgemeinen fremdenpolizeilichen Aufenthaltsvorschriften keine Berechtigung zum Aufenthalt haben, ist eine äußerst unbefriedigende. Gegen sie ist vielfach ein Aufenthaltsverbot erlassen, dessen Vollstreckung bloß gemäß § 6 Abs. 2 FrPolG aus Gründen des A r t . 31 Abs. 2 oder A r t . 33 F K aufgeschoben wurde. I h r Aufenthalt erscheint bloß geduldet; sie sind ständig von der Gefahr der Ausweisung und Abschiebung bedroht. I h r Aufenthalt ist zwar offensichtlich nicht rechtsw i d r i g und kann daher auch nicht als unerlaubt angesehen werden 1 0 4 . Der Verwaltungsakt des Aufenthaltsverbots w i r d ja, wenn seiner V o l l streckung rechtliche Gründe entgegenstehen, und er daher i n angemessener Frist nicht vollzogen werden kann, selbst fragwürdig, denn „es gehört zum wesentlichen Inhalt eines Vewaltungsaktes, daß er vollziehbar ist" 1 0 5 . Diese Flüchtlinge werden jedoch vielfach so behandelt, als wäre ihr Aufenthalt nicht erlaubt, und sie genießen nicht jene Rechte, welche nach den Vorschriften der Konvention an die Voraussetzung des erlaubten Aufenthaltes geknüpft sind, insbesondere den Schutz vor Ausweisung des A r t . 32. Bei den Beratungen zur Konvention war an die Schaffung einer solchen Kategorie von Flüchtlingen ohne Aufenthaltsrecht nicht gedacht worden, i m Gegenteil, die Konvention stellt vielmehr auf die Erfassung von allen Flüchtlingen ab 106 . Dies w i r d ζ. B. an den A r t . 31 und 33 deutlich. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Klausel der „Staatssicherheit und der öffentlichen Ordnung" des Art. 32 dazu geführt habe, die Ausweisung von Flüchtlingen i m Verhältnis zu anderen Ausländern generell einzuschränken 107 . Auch die österreichische Bundesregierung und der Nationalrat sind anläßlich der Unterzeichnung bzw. Genehmigung der Konvention von der Voraussetzung ausgegangen, daß A r t . 32 F K eine Ausweisung von sämtlichen Flüchtlingen und auch jener, die i m Bundesgebiet bloß „geduldet" werden, nur aus Gründen der Staatssicherheit und der öffentlichen Ordnung zuläßt. Die Bundesregierung verstand dabei unter den „Gründen der Staatssicherheit und der 104 Grahl-Madsen (Anm. 9), S. 437; anders die Erl. Bern, der R V zum A s y l G (Anm. 102), S. 8. 105 Gorecki et al. versus Oberkreisdirektor des Landkreises Altena, Landesverwaltungsgericht Arnsberg, mitgeteilt von Grahl-Madsen (Anm. 9), S. 434; dies ist ein Problem der rechtlichen Unmöglichkeit eines Rechtsverhältnisses: „Impossibilium n u l l a obligatio est." (Cels, D. 50, 17, 185). I m österreichischen Verwaltungsverfahrensrecht besteht kein Rechtsanspruch auf Aufhebung eines solchen unvollziehbaren Verwaltungsaktes (§ 68 Abs. 7 AVG). 106 Grahl-Madsen (Anm. 9), S. 442. 107 E / A C 32/SR40; Lieber (Anm. 3), S. 172; Grahl-Madsen, Expulsion of Refugees, i n : Vertreibung, Zuflucht, Heimat, Wien 1962, S. 99 ff., 103.
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öffentlichen Ordnung" . . . „ i n der Regel staatspolizeiliche Belange" 108 . Bei der Unterzeichnung der Konvention war sie zunächst der Auffassung, daß die Gründe des Art. 32, aus denen allein die Ausweisung eines Flüchtlings erfolgen darf, zu eng gefaßt seien, da sie eine Ausweisung aus anderen Gründen (ζ. B. gemäß § 5 Abs. 1 lit. d, e, i der damals i n Geltung stehenden Ausländerpolizeiverordnung) oder eine A b schaffung (gemäß §§ 320 b, 343, 470 usw. des damals geltenden Strafgesetzes) unmöglich machen würden. Vom österreichischen Vertreter Fritzer wurde daher ein Vorbehalt zu A r t . 32 abgegeben, i n welchem sich Österreich das Recht vorbehielt, Flüchtlinge auch aus „Gründen der Strafrechtspflege oder sonstiger öffentlicher Belange" auszuweisen. Dieser Teil des Vorbehalts wurde jedoch i m Genehmigimgsverfahren vom Nationalrat auf Anregung des Ausschusses für Verfassung und für Verwaltungsreform und des von diesem eingesetzten Unterausschusses fallengelassen, da er „sich mit dem Grundgedanken der Konvention, Flüchtlingen oder Heimatvertriebenen i m Zufluchtslande ein Asyl zu gewähren, nicht ganz vereinbaren" ließe. Der Ausschuß führte weiter aus: „Der Unterausschuß war sich zwar bewußt, daß er bei dieser Streichung, teilweise auch Modifizierung der Vorbehalte, den Flüchtlingen auf manchen Rechtsgebieten ein »besseres Recht' gewähre, als es den übrigen Ausländern, i n formeller Hinsicht i n manchen Fällen sogar den eigenen Staatsbürgern, zukommt. A l l e i n er ging von dem Grundsatz aus, daß die exzeptionelle Stellung eines Flüchtlings solche Ausnahmen rechtfertige 109 ." Bei den Beratungen war von einer Kategorie von Flüchtlingen ohne Aufenthaltsrecht, denen diese Rechte nicht zustehen sollten, keine Rede. Die Konvention wurde schließlich auch m i t Rücknahme des Vorbehalts ratifiziert und kundgemacht 110 . Aus dieser Entstehungsgeschichte geht die eindeutige Absicht des Gesetzgebers und des Staates Österreich hervor, Flüchtlingen durch A r t . 32 ein unterschiedsloses Aufenthaltsrechts i m Bundesgebiet einzuräumen, welches nur aus Gründen der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung eingeschränkt werden darf. A u f diesen Umstand wurde bei Erlassung des FrPolG (Beratung i m selben Jahr!) nicht Rücksicht genommen. Das FrPolG ist jedoch zu einem früheren Zeitpunkt als die Konvention i n K r a f t getreten; diese ist i m Verhältnis zu jenem also sowohl lex posterior als auch lex specialis, und ihre Bestimmungen gehen daher vor 1 1 1 . 108
R V zur Flüchtlingskonvention, Sten. Prot. NR Big. 136, V I I . GP, S. 44. Sten. Prot. N R Big. 158, V I I . GP, S. 1; Beschlußfassung i m Plenum des Nationalrats Sten. Prot. NR, V I I . GP, S. 628. 110 B G B l . 55/1955, S.441; die Rücknahme des Vorbehalts hat der V w G H offensichtlich i n VwSlg. 4193 (A) übersehen. 111 Ermacora (Anm. 54), S. 603 f. 100
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Z u der bestehenden unbefriedigenden Situation der Schaffung einer Klasse von Flüchtlingen ohne Aufenthaltsrecht hat zudem der Gesetzgeber i m Jahre 1968 durch die Erlassimg des Asylgesetzes und insbesondere dessen § 7 Abs. 2 beigetragen, ohne daß sich die Abgeordneten bewußt gewesen wären (dies wurde zumindest nicht geäußert), daß dies zur Möglichkeit einer Verschlechterung der Situation von manchen Flüchtlingen geführt hat. Die Vorschriften des AsylG haben zur K l ä rung der Frage, unter welchen Umständen sich ein Flüchtling „erlaubterweise" i m Bundesgebiet aufhält, keine umfassende Klärung gebracht. Einem privilegierten Teil der Flüchtlinge gewährt es unbeschränkten Aufenthalt, die Aufenthaltsberechtigung aller anderen richtet sich „ausschließlich nach den Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes" (§§ 5 Abs. 3, 7 Abs. 2 AsylG). Es ist nun zu fragen, ob dieser generelle Verweis auf das FrPolG der Konvention angemessen ist. Aus der Flüchtlingskonvention selbst geht nicht hervor, wann sich ein Flüchtling „erlaubterweise" i m Bundesgebiet aufhält. Dies festzulegen, scheint i n das freie Ermessen der Vertragsstaaten gelegt zu sein. Man muß sich freilich bewußt sein, welche Konsequenzen dies hätte. Wäre es allein i n das Ermessen der Vertragsstaaten gestellt, über die Erlaubtheit des Aufenthalts von Flüchtlingen zu befinden, so könnten sie den Grad ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung, Flüchtlingen den Schutz des A r t . 32 und aller anderen Rechte, welche den „erlaubten Aufenthalt" zur Voraussetzung haben, selbst festlegen und hätten auf diese Weise die Möglichkeit, einen großen Teil der Konvention für sich außer K r a f t zu setzen. Dies würde jedoch diese Bestimmungen der Konvention und auch deren A r t . 42, der die Möglichkeit des Abgebens von Vorbehalten vorsieht, insgesamt als sinnlos erscheinen lassen und kann daher nicht Absicht der Vertragsstaaten gewesen sein 112 . Auch würde es dem Zweck der Konvention, dem Schutz der Flüchtlinge und der Gewährung eines effektiven Asylrechts, offensichtlich zuwiderlaufen. Dieser Zweck der Konvention ist unbestritten und geht eindeutig ζ. B. aus der Präambel hervor 1 1 8 . Es kann daher angezweifelt werden, ob die Vorschriften von AsylG, FremdenpolizeiG und PaßG allein zur Bestimmung der Erlaubtheit des Aufenthaltes von Flüchtlingen i m Sinne der Konvention ausreichen. Bei der Interpretation der EMRK ist ein ähnliches Problem aufgetreten. A r t . 6 Abs. 1 E M R K legt einen Verfahrensstandard fest, nach welchem allein über „zivilrechtliche Ansprüche" entschieden werden 112
Grahl-Madsen (Anm. 9), S. 367. Gemäß A r t . 31 W V R K , der weitgehend Völkergewohnheitsrecht k o d i f i ziert hat (Anm. 28), ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu u n d Glauben, nach der gewöhnlichen Bedeutung seiner Bestimmungen i m Zusammenhang u n d i m Lichte seines Zieles u n d Zwecks auszulegen. 113
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darf. Der Europäische Gerichtshof hat hiezu ausgesprochen, daß zur Ermittlung des Begriffs „zivilrechtliche Ansprüche" nicht entscheidend sei, ob die einzelnen nationalen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten der E M R K eine Materie einem Zivilgericht zur Entscheidung zuweist. Bei dem Begriff „zivilrechtliche Ansprüche" handle es sich vielmehr um ein „autonomes Konzept" der Konvention, das nach dem materiellrechtlichen Inhalt und Effekt des einzelnen Rechts zu beurteilen sei 114 . So hat auch der V f G H ausgesprochen, daß der Begriff „zivilrechtliche Ansprüche" nicht danach beurteilt werden kann, ob die österreichische Rechtsordnung deren Behandlung den Gerichten zuweist 116 . „Die Partner der Konvention hätten (sonst) jederzeit die Möglichkeit, diese Garantie (die Verfahrensgarantie des A r t . 6 Abs. 1 EMRK) i n beliebigem Umfang — auch zur Gänze — einfach dadurch unwirksam zu machen, daß die Gerichte ausgeschaltet werden. Der V f G H hält es für ausgeschlossen, i n A r t . 6/1/1 lediglich die Gewährung einer solchen Scheingarantie zu erblicken 116 ." Die Flüchtlingskonvention hat zwar nicht wie die E M R K den Rang eines Verfassungsgesetzes. Da i h r jedoch weder (wie oben dargestellt) durch die Vorschriften des FrPolG noch durch jene des AsylG derogiert wurde, treffen die Ausführungen des V f G H zu A r t . 6 Abs. 1 E M R K mutatis mutandis auch auf den Begriff des „erlaubten Aufenthalts" der Flüchtlingskonvention zu. Wie Art. 6 Abs. 1 EMRK, so können auch hier nicht alle jene Rechte der Flüchtlinge, deren Anwendbarkeit an die Voraussetzung der Erlaubtheit ihres Aufenthaltes geknüpft ist, als „Scheingarantien" verstanden werden. Wie bei dem Begriff der „zivilrechtlichen Ansprüche", so muß wohl auch beim Begriff des „erlaubten Aufenthaltes" i m Sinne der Flüchtlingskonvention nach einem autonomen Konzept gesucht werden, dessen Inhalt sich nicht aus der einzelnen Rechtsordnimg eines Vertragsstaates der Konvention allein ergeben kann, sondern aus der Konvention selbst, aus deren Ziel und Zweck und dem Gesamtstandard der Rechtsordnungen der Vertragsstaaten (vielleicht zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Konvention). Die Bestimmungen des FrPolG und des PaßG reichen jedenfalls zur Bestimmung des Begriffe „erlaubter Aufenthalt" nicht aus. I n dieser Situation hat Grahl-Madsen, gestützt auf eine umfassende Analyse der Konvention und einzelner nationaler Rechtsordnungen, vorgeschlagen, daß ein Flüchtling, der sich mehr als drei Jahre i m Staatsgebiet eines Vertragsstaates der Konvention aufgehalten hat, auch dann, wenn sein Aufenthalt zunächst nicht ausdrücklich erlaubt, sondern 114 Z . B . F a l l Ringeisen 16.7.1971, Pubi. Ser. A , Vol. 13, S.39; F a l l König, 28. 6.1978, Pubi. Ser. A , Vol. 27, S. 30. 115 VfSlg. 5100, 5102/65. 116 VfSlg. 5102/65, S. 630 f., Klammerausdrücke v o m Autor.
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bloß geduldet war, ein „erlaubtes" Aufenthaltsrecht erworben haben muß und gemäß A r t . 32 nur aus Gründen der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden darf 1 1 7 . Dem ist zuzustimmen. Bei einem Aufenthalt von drei Jahren ist der Aufenthaltsstaat bereits zu einem Ersatzheimatstaat geworden, und eine faktische Verbindung (factual link) besonderer A r t zustandegekommen, welche Konsequenzen i n der Rechtsordnung haben muß. Nach einem A u f enthalt von drei Jahren sind gemäß A r t . 7 Abs. 2 F K Bestimmungen über die gesetzliche Reziprozität nicht mehr anzuwenden. Der Flüchtling hat damit eine weitere rechtliche Verbindung zu seinem Heimatstaat verloren. Nach einer so langen Zeitspanne hat sich herausgestellt, daß die Auswanderungschancen des Flüchtlings außerordentlich gering sind (Art. 31 Abs. 2, 32 Abs. 3 FK); nach dieser Zeit ist auch nach sämtlichen zwischenstaatlichen Abkommen (etwa dem European Agreement on Transfer of Responsibility for Refugees vom 16. Oktober 1980 [ETS Nr. 107]) kein anderer Staat mehr zur Übernahme des Flüchtlings verpflichtet. Das Recht des Flüchtlings auf Zuflucht und Schutz hat schließlich gegen die Interessen jenes Staates, der den Aufenthalt mehrere Jahre schon tatsächlich geduldet hat, den Ausschlag zu geben. Eine förmliche Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsverbotes (mit V o l l streckungsaufschub) oder eines Zustands der Quasi-Illegalität ist überdies nach einer so langen Zeit nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz „venire contra factum proprium non valet" obsolet geworden. Nur ein solches Ergebnis entspricht dem Zweck der i m österreichischen Recht unmittelbar anwendbaren Konvention. Flüchtlinge ohne A u f enthaltsrecht, die sich schon länger als drei Jahre i m Bundesgebiet aufgehalten haben, sollten daher das Recht haben, nach A r t . 31—33 F K die Feststellung zu beantragen, daß sie gemäß § 7 Abs. 1 AsylG zum unbeschränkten Aufenthalt i m Bundesgebiet berechtigt sind 1 1 8 .
I I I . Die sonstigen Redite der Flüchtlinge in Österreich i m Überblick
Die Konvention etabliert i m österreichischen Recht einen eigenen Rechtsstatus, welcher dem Status der Staatsbürgerschaft vergleichbar ist. Die Rechtsordnung knüpft — nicht nur, was das Aufenthaltsrecht betrifft — i n vielen Belangen an diesen Status an. Die Gesamtheit dieser Normen kann man als das Asylrecht bezeichnen. Wichtigste Rechtsquelle ist auch hier die Konvention, aber auch Vorschriften aus anderen 117
Grahl-Madsen (Anm. 9), S. 437 ff. Diese Konsequenz stellt sich auch als ein Problem de lege ferenda dar. Jedenfalls w i r d deutlich, w i e u n k l a r die derzeitige Rechtslage ist. Fest steht bloß, daß A r t . 32 F K die Entziehung eines Aufenthaltsrechts während dessen Dauer aus anderen Gründen als der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung verbietet. 118
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Rechtsbereichen. Fast alle diese Vorschriften knüpfen hiebei an den Flüchtlingsbegriff der Konvention an, sind also von einer förmlichen Anerkennung i m Sinne des Asylgesetzes unabhängig. Bei den materiellen Rechten legt die Konvention unterschiedliche Standards zur Behandlung von Flüchtlingen fest. Manche Rechte der Konvention stehen allen Flüchtlingen zu, unabhängig davon, wie lange sie sich i m Bundesgebiet aufhalten oder ob dieser Aufenthalt rechtmäßig ist (Art. 3, 12, 29, 31, 33). Einige Rechte der Konvention sind nur solchen Flüchtlingen eingeräumt, die ihren „gewöhnlichen Aufenthalt" i n Österreich haben (Art. 14, 16). Darunter w i r d wohl zu verstehen sein, daß sie den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen i m Bundesgebiet haben haben müssen 119 . Viele durch die Konvention den Flüchtlingen gewährte Rechte stehen ihnen aber nur dann zu, wenn sie sich „erlaubterweise" i m Bundesgebiet aufhalten (Art. 15, 17, 19, 24, 26, 28, 32). Dieser Begriff ist schon oben erörtert worden, m i t dem Ergebnis, daß auch solche Flüchtlinge, die sich zunächst unerlaubt i m Bundesgebiet aufgehalten haben, nach einer länger jährigen Duldung nicht mehr so angesehen werden können, als wäre ihr Aufenthalt unerlaubt. Zur Behandlung i n den verschiedenen Rechtsmaterien legt die Konvention i m wesentlichen zwei verschiedene Standards fest. Flüchtlinge sind entweder so zu behandeln wie österreichische Staatsbürger oder aber wie „gewöhnlicherweise Ausländer unter den gleichen Umständen". Letzteres bedeutet, „daß alle Bedingungen (einschließlich der Dauer und der Bedingungen des vorübergehenden und gewöhnlichen Aufenthalts) erfüllt werden müssen, wie sie . . . zu erfüllen wären, wenn es sich nicht u m einen Flüchtling handelte. Ausgenommen hievon sind nur jene Bedingungen, die ihrer Natur nach von einem Flüchtling nicht erfüllt werden können" (Art. 6 FK). A r t . 3 F K legt zunächst ein Gebot der Gleichbehandlung aller Flüchtlinge (bezüglich der Rechte der Konvention) fest. Art. 12 F K bestimmt das Personalstatut von Flüchtlingen. Soweit Rechtsvorschriften auf das Recht des Herkunftslandes des Flüchtlings (des Verfolgerstaates) verweisen, ist nicht dieses, sondern das Recht des Wohnsitzlandes bzw. Aufenthaltslandes maßgeblich. So auch § 9 IPRG: „Eine Verweisung auf das Recht des Heimatstaates ist unbeachtlich." Allen Flüchtlingen, die kein gültiges Reisedokument besitzen, steht gemäß A r t . 27 F K das Recht auf Ausstellung eines Identitätspapieres zu (§ 10 AsylG). Ein Recht auf Ausstellung eines Reisedokuments für Reisen ins Ausland (Flücht119 Der Wohnsitzbegriff des § 66 Abs. 2 JN, auf den eine Verweisung hier angemessen erscheint, hängt weder von der Erlaubtheit noch von der Freiw i l l i g k e i t des Aufenthaltes ab.
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lingspaß) steht nach A r t . 28 nur solchen Flüchtlingen zu, die sich „erlaubterweise" i m Bundesgebiet aufhalten (§ 9 PaßG) 120 . Die staatsbürgergleiche Behandlung steht allen Flüchtlingen bezüglich der Religionsfreiheit (Art. 4), des Pflichtschulwesens (Art. 22 Abs. 1, jedoch österreichischer Vorbehalt bezüglich der Gründung und Führung privater Pflichtschulen) und der Verpflichtung, Steuern und Abgaben zu leisten (Art. 29), zu. Flüchtlinge, die ihren „gewöhnlichen Aufenthalt" i n Österreich haben, sind wie österreichische Staatsbürger bezüglich des Schutzes von geistigem und gewerblichem Eigentum (Art. 14) und bezüglich der Zulassung zur Gerichtsbarkeit und der Gewährung von Verfahrenshilfe (Art. 16) zu behandeln. Staatsbürgergleich sind Flüchtlinge, die sich „erlaubterweise" i n Österreich aufhalten, i n folgenden Materien zu behandeln: i n Bereichen der Arbeitsgesetzgebung (Individualarbeitsrecht) und der Sozialversicherung (Art. 24), bezüglich der Voraussetzungen, einer unselbständigen Beschäftigung nachzugehen, wenn ihr Ehegatte oder K i n d österreichischer Staatsbürger ist (Art. 17 Nr. 2 lit. b und c). Da Österreich einen Vorbehalt zu A r t . 17 Nr. 2 lit. a der Konvention abgegeben hat, sind nicht alle Flüchtlinge, die sich bereits volle drei Jahre i m Bundesgebiet aufgehalten haben, österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Es sind dies aber alle Flüchtlinge, die zum dauernden Aufenthalt i m Bundesgebiet berechtigt sind. Sie sind vom Erfordernis einer vom Arbeitsamt erteilten Beschäftigungsbewilligung ausgenommen (§ 1 Abs. 2 lit. a AusländerbeschäftigungsG, BGBl. 218/1975). Auch zu A r t . 23 FK, welcher allen Flüchtlingen, die sich „erlaubterweise" i m Bundesgebiet aufhalten, die staatsbürgergleiche Behandlung i n der öffentlichen Unterstützung und Hilfeleistung zusichert, hat Österreich einen Vorbehalt insoweit abgegeben, als hievon nur „Zuwendungen aus der öffentlichen Fürsorge (ArmenVersorgung)" zu verstehen sind. Darunter fallen jedenfalls die Sozialhilfeleistungen nach den einzelnen Sozialhilfegesetzen der Länder. Die „vorteilhafteste Behandlung", wie sie „unter den gleichen Umständen den Angehörigen eines fremden Landes gewährt w i r d " , steht Flüchtlingen, die sich „erlaubterweise" i n Österreich aufhalten, bezüg120 Da Österreich das Europäische A b k o m m e n über die Aufhebung der Sichtvermerke f ü r Flüchtlinge (20.4.1959, ETS Nr. 31) nicht ratifiziert hat, benötigen Flüchtlinge m i t einem Konventionspaß grundsätzlich ein V i s u m des Einreisestaates. Die Wiedereinreise nach Österreich ist i m Anhang zur Konvention geregelt [hiezu V w G H i n VwSlg. 4345 (A)]. Österreich hat auch das Europäische A b k o m m e n über den Ubergang der Verantwortlichkeit für Flüchtlinge (16.10.1980, ETS Nr. 107) nicht ratifiziert, über dessen Gegenstand jedoch einige bilaterale A b k o m m e n m i t den Benelux-Staaten u n d F r a n k reich abgeschlossen [abgedruckt i n : Herrmann/Hackauf/Sellner (Anm. 64), S. 130 ff.].
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lieh der unpolitischen und nicht auf Gewinn berechneten Vereine und Gewerkschaften zu (Art. 15). „Wie gewöhnlicherweise Ausländer unter den gleichen Umständen" sind Flüchtlinge, die sich „erlaubterweise" i n Österreich aufhalten, i n folgenden Bereichen zu behandeln: bezüglich der Vertragsfreiheit über bewegliches und unbewegliches Eigentum, ζ. B. Mietverträge, und zum Eigentumserwerb (Art. 13); bezüglich einer selbständigen Tätigkeit i n Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Handel (Niederlassung und Gründung von Betrieben, A r t . 18); bezüglich der Ausübung von freien Berufen (Art. 19); bezüglich der Unterkunft (Art. 21); bezüglich aller anderen Schulen und Hochschulen als der Pflichtschulen, einschließlich der Gebührenerlassung und Stipendiengewährung (Art. 22 Abs. 2) und schließlich bezüglich der Bewegungsfreiheit i n Österreich und der Freiheit, sich hier seinen Wohnsitz zu wählen (Art. 26). A r t . 34 schreibt vor, daß die Vertragsstaaten der Konvention alles t u n sollen, u m die Einbürgerung von Flüchtlingen zu erleichtern und das Einbürgerungsverfahren zu beschleunigen. Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft ist für Flüchtlinge i m Vergleich zu anderen Ausländern insoferne erleichtert, als von Konventionsflüchtlingen keine Handlungen erfordert werden, u m aus ihrem bisherigen Staatsverband auszuscheiden 121 , und als bei deren Verleihung bei der Ausübimg des behördlichen Ermessens „besonders auf den Umstand Bedacht zu nehmen" ist, daß es sich um einen Flüchtling handelt. Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft ist daher durch § 10 Abs. 3 StBG für einen Flüchtling schon nach einem vierjährigen A u f enthalt i n Österreich gegenüber anderen Ausländern erleichtert, die Gewährung dieser Erleichterung aber ins Ermessen der Behörde gestellt. G. Das Asylverfahren Ziel des Verfahrens nach dem Asylgesetz (im folgenden bezeichnet als Asylverfahren) ist die Feststellung, ob ein Fremder Flüchtling i m Sinne des Art. 1 Abschn. A der Flüchtlingskonvention ist, und daß bei i h m kein Ausschließungsgrund nach A r t . 1 Abschn. C oder F vorliegt, und auf dieser Grundlage die Entscheidimg über seinen Aufenthalt. Es w i r d also nicht über die Gewährung des Asyls schlechthin, sondern über die Anerkennung als Flüchtling und die Regelung des Aufenthaltes entschieden. Die förmliche Anerkennung nach dem AsylG macht i n der Regel einen Konventionsflüchtling zum Flüchtling i m Sinne des 121 § 10 Abs. 2 l i t . a StaatsbürgerschafttsG (StBG), BGBl. 250/1965 i . d . F . 170/1983.
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AsylG. Hiebei ist zu beachten, daß der Flüchtlingsbegriff des AsylG, was den Personenkreis betrifft, ein etwas weiterer ist als jener der Konvention, insoferne, als das AsylG die Ausschließungsgründe der Abschnitte D und E des A r t . 1 F K nicht kennt. M i t dieser Einschränkung sind die beiden Flüchtlingsbegriffe inhaltlich identisch. Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft i m Sinne des AsylG ist für diese konstitutiv. Für die Flüchtlingseigenschaft nach der Konvention hat eine Feststellung nach dem AsylG nur deklarative Wirkung. I n beiden Fällen jedoch ist der Bescheid über die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft für Gerichte 122 und für Verwaltungsbehörden 123 bindend. Z i v i l gerichte und Verwaltungsbehörden sind daran solange gebunden, als nicht gemäß § 3 AsylG festgestellt wird, daß der Fremde seine Flüchtlingseigenschaft i m Sinne der Konvention verloren hat. Nur durch eine solche Feststellung, die von Amts wegen zu ergehen hat, kann die Flüchtlingseigenschaft verloren gehen. Wurde i m Verfahren nach dem AsylG festgestellt, daß einem Fremden die Flüchtlingseigenschaft nicht zukommt, so sind Zivilgerichte und Verwaltungsbehörden auch daran gebunden. I n diesem F a l l obliegt es dem Fremden, bei nachträglichem Auftreten neuer (Verfolgungs-)Tatbestände die Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft neuerlich zu beantragen. Ist über die Flüchtlingseigenschaft eines Fremden noch nicht entschieden worden, und stellt sich vor einer Verwaltungsbehörde die Vorfrage, ob einem Fremden die Konventionsflüchtlingseigenschaft zukomme, so hat sie diese Frage gemäß § 38 A V G „nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zu legen." Wenn diese Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Asylverfahrens bildet, oder ein solches Verfahren anhängig gemacht wird, kann sie das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen (§ 38 Satz 2 AVG). Ob die Behörde die Vorfrage selbst beurteilt oder aber bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen das Verfahren aussetzt, ist i n i h r Ermessen gestellt 124 . Auch i m zivilgerichtlichen Verfahren liegt es i m Ermessen des Gerichts, ob die Entscheidung über die Konventionsflüchtlingseigenschaft i m Asylverfahren abgewartet w i r d oder nicht (§ 190 ZPO). Ist kein Asylverfahren anhängig, so sind Gerichte ebenso wie Verwaltungsbehörden verpflichtet, selbständig über die Konventionsflüchtlings122 §§ 190 ff. u n d 292 ZPO, hiezu: Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 3. Aufl. Wien 1984, S. 154f.; für das Strafgericht ist § 5 Abs. 1 StPO analog anzuwenden; es besteht also keine Bindung des Strafrichters. 123 §§ 38, 69 Abs. 1 lit. c A V G , hiezu: Walter/Mayer (Anm. 122), S. 154. 124 V w G H 9. 4.1981, ZI. 2374/80.
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eigenschaft zu entscheiden 125 . Sie haben keine Möglichkeit, ein Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft einzuleiten, dies steht allein dem Fremden zu (§ 5 Abs. 1 AsylG). Die Beurteilung von Vorfragen ist sowohl i m gerichtlichen als auch i m Verwaltungsverfahren bloß ein Teil der Entscheidungsbegründung und der Rechtskraft nicht fähig. Die Frage muß daher i n jedem Verfahren neu gestellt werden. Es liegt daher i m Interesse des Flüchtlings selbst, rechtsförmlich als Flüchtling anerkannt zu sein; nur auf diese Weise kommt er i n den Genuß der Bindungswirkung dieser Entscheidung. Dies war neben der Regelung aufenthaltsrechtlicher Fragen der Hauptzweck der Erlassung des AsylG. Der Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (Asylantrag) ist vom Asylwerber (und nur von diesem) bei der Sicherheitsbehörde erster Instanz (Bundespolizeibehörde oder Bezirksverwaltungsbehörde) binnen vierzehn Tagen nach Einreise i n das Bundesgebiet oder ab Kenntniserlangung von der Gefahr einer Verfolgung (réfugié sur place, Nachfluchtgründe) zu stellen (§ 2 Abs. 2, § 5 Abs. 1 AsylG). Das AsylG geht von der Voraussetzung aus, daß sich der Fremde bereits i m Inland befindet (§ 12 Abs. 1 AsylG). Es schließt jedoch eine Antragstellung auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft vom Ausland (nicht aber dem Verfolgerstaat) nicht ausdrücklich aus. Es ist daher fraglich, ob nicht auch aus dem Ausland ein Asylantrag gestellt werden kann. Dieser müßte gemäß § 3 lit. c A V G bei der sachlich i n Betracht kommenden obersten Behörde, also beim Bundesminister für Inneres, eingebracht werden. Die Sicherheitsbehörde erster Instanz hat jeden schriftlich, telegraphisch oder mündlich gestellten Antrag entgegenzunehmen (§ 2 Abs. 2 AsylG, § 13 AVG). Sie stellt zunächst fest, ob es sich um einen Asylantrag handelt 1 2 6 und hat jedem Asylwerber, der gemäß § 5 AsylG zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt ist, darüber eine Bescheinigung auszustellen. Diesen Asylwerbern w i r d nach der Verwaltungspraxis der Reisepaß abgenommen. Alle anderen Asylwerber erhalten ebenfalls eine Bescheinigimg über ihre Antragstellung, sind jedoch dazu verpflichtet, ihren Aufenthalt fremdenpolizeilich zu regeln (Ansuchen u m Sichtvermerk). Die Sicherheitsbehörde erster Instanz kann den Asylwerber für die Dauer von höchstens zwei Monaten zum Aufenthalt i n die Überprüfungsstation des Flüchtlingslagers Traiskirchen (etwa 30 k m südlich von Wien gelegen) verpflichten. Dort erhält der Flüchtling Verpflegung und Unterkunft. Es besteht kein Rechtsanspruch auf den 125 So auch ζ. B. O L G Wien 23. 6.1977, 7 R 82/77, EFSlg. 29.869; zum Strafverfahren siehe A n m . 122. 126 Hiebei ist nach dem Erlaß des B M f ü r Inneres v o m 15. 3.1968, ZI. 84.24224/68, abgedruckt i n : Herrmann/Hackauf/Sellner (Anm. 64), S. 110, ein „großzügiger Maßstab anzulegen".
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Aufenthalt i m Lager; ins Lager werden nur solche Flüchtlinge eingewiesen, deren Unterkunft und Lebensunterhalt nicht gesichert erscheint. Der Aufenthalt i m Lager kann auch wesentlich länger als zwei Monate dauern; was über diesen Zeitraum hinausgeht, ist jedoch als freiwilliger Aufenthalt des Flüchtlings i m Lager anzusehen 127 . Da das Flüchtlingslager Traiskirchen nur eine begrenzte Kapazität hat, und die Zahl der Asylwerber i n den letzten Jahren sehr stark angestiegen ist, wurden weitere Lager errichtet, zum Teil ehemalige Kasernen oder auch vom Bund angemietete Privatunterkünfte. Die eigentliche Überprüfungsstation befindet sich aber i n Traiskirchen. Über die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft entscheidet i n erster Instanz die i n jedem Bundesland eingerichtete oberste Bundessicherheitsbehörde, die Sicherheitsdirektion. A n ihrer Spitze steht ein dem Bundesminister für Inneres weisungsgebundener Beamter, der Sicherheitsdirektor. Für das Verfahren sind die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes A V G 1 2 8 anzuwenden, soweit i m Asylgesetz nichts anderes bestimmt ist. Der Asylwerber ist i n der Regel zu vernehmen. Er hat Anspruch auf die Zuziehung einer seiner Sprache mächtigen Person als Dolmetsch (§11 Abs. 2 AsylG, § 39a AVG) 1 2 9 . Der Asylwerber kann sich i m Verfahren, soweit nicht sein persönliches Erscheinen ausdrücklich verfügt wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen (§10 AVG). Er hat auch das Recht, sich eines Rechtsbeistandes zu bedienen und i n dessen Begleitung vor der Behörde zu erscheinen (§ 10 Abs. 5 AVG) 1 3 0 . Die Behörde ist jedoch nicht verpflichtet, eine Vertrauensperson des Asylwerbers zuzulassen. Der Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder ein von diesem namhaft gemachter Vertreter hat das Recht, jederzeit m i t dem Asylwerber persönlich oder schriftlich i n Verbindung zu treten (§ 9 Abs. 2 AsylG). Diese Personen können daher auch als Beistand des Asylwerbers an sämtlichen Verfahrensakten teilnehmen. Dem Büro des Hochkommissärs ist ferner von der Einleitung jedes Verfahrens nach § 2 AsylG (Asylantrag), § 3 AsylG (Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft) und § 4 AsylG (Feststellung zur Vorbereitung 127 Einige längst anerkannte Flüchtlinge halten sich schon mehr als zehn Jahre i m Lager auf. 128 Wiederverlautbart: B G B l . 172/1959 i . d . F . 199/1982. 129 Dies muß k e i n gerichtlich beeideter Dolmetsch sein; er k a n n jedoch gemäß §§ 39 a, 53 Abs. 1 u n d 7 A V G wegen Befangenheit abgelehnt werden. 130 § 10 Abs. 5 A V G : Ob dieser Rechtsbeistand ein Rechtsanwalt oder Notar sein muß, ist unklar, w i r d aber zu verneinen sein, da i m Verwaltungsverfahren kein Anwaltszwang (auch kein relativer) herrscht. Winkelschreiber sind jedoch w o h l auch als Rechtsbeistand, u n d nicht bloß als Vertreter, ausgeschlossen (§ 10 Abs. 3 A V G ) ; Mannlicher/Quell, Das Verwaltungsverfahren, 8. A u f l . Wien 1975, S. 183.
Asylrecht u n d Asylverfahren i n Österreich
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der Rückschiebung i n den Verfolgerstaat) gemäß § 9 Abs. 1 unverzüglich vom Sicherheitsdirektor Mitteilung zu machen. Dem Hochkommissär oder dessen Vertreter kommt eine Parteistellung i m Verfahren nicht zu, er ist jedoch vor Erlassimg des Feststellungsbescheides anzuhören. Nach der Verwaltungspraxis erhält das Büro des Hochkommissärs die Vernehmungsprotokolle sämtlicher Asylwerber und hat nach einer informellen Frist von meist zwei Monaten Gelegenheit, zu jedem einzelnen Fall Stellung zu nehmen. Nach Erlassung des Bescheides erster Instanz durch den Sicherheitsdirektor steht dem Asylwerber, wenn sein Antrag abgewiesen wurde, binnen zwei Wochen die Berufung an das Bundesministerium für Inneres offen. Nicht selten w i r d schon die Entscheidung erster Instanz aufgrund einer Weisung des Ministeriums ergangen sein. I m Berufungsverfahren besteht jedoch kein Neuerungsverbot, es können neue Umstände aller A r t vorgebracht werden. Auch hier entscheidet eine Verwaltungsbehörde — der Bundesminister —, dessen Entscheidung endgültig ist, und gegen welche kein ordentliches Rechtsm i t t e l mehr möglich ist. Die Entscheidung w i r d sofort rechtskräftig. Ist die Entscheidung abschlägig, so verliert der Asylwerber seine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 5 AsylG. Sein weiterer A u f enthalt bestimmt sich nunmehr nach den fremdenpolizeilichen Vorschriften. Als außerordentliches Rechtsmittel hat der Asylwerber die Möglichkeit, binnen sechs Wochen nach Erlassung des Bescheides durch den Innenminister eine Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts einzubringen. Behauptet er die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts, so ist hiefür der Verfassungsgerichtshof, bei der Behauptung der Verletzung einer einfachen Gesetzesvorschrift der Verwaltungsgerichtshof, zuständig. Da es i n Österreich kein Grundrecht auf A s y l gibt, kommt i n der Regel nur letzteres i n Betracht. Die Beschwerde hat jedoch auf die Aufenthaltsberechtigung des Asylwerbers keinen Einfluß. Die Gerichtshöfe können den Berufungsbescheid nicht abändern, sondern nur entweder die Beschwerde abweisen oder den Bescheid aufheben (§ 87 Abs. 1 VfGG, § 42 VwGG). Bei einer Aufhebung ist die Behörde verpflichtet, unverzüglich den der Rechtsanschauung des Gerichtshofs entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 87 Abs. 2 VfGG, § 63 Abs. 1 VwGG). Wurde der Asylwerber gemäß § 7 Abs. 1 AsylG als Flüchtling anerkannt, so hat er gemäß § 9 Abs. 1 PaßG einen Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Konventionsreisedokuments 131 . Die Bereitschaft der österreichischen Behörden, einem Fremden die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist nicht unbeeinflußt von der 131 I n manchen Fällen verzögert die Verwaltungspraxis dessen Ausstellung, u m eine überstürzte Ausreise von Flüchtlingen zu verhindern, bevor sie eine sichere Auswanderungsmöglichkeit erlangt haben.
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Stefan
osenmayr
Chance, welche ein Asylwerber hat, u m i n der Folge von einem Einwanderungsland übernommen zu werden 1 3 2 . Die Verfahrensgarantien des i n Österreich i n Verfassungsrang stehenden Art. 6 E M R K sind auf das Asylverfahren nicht anzuwenden. Die Anerkennung als Flüchtling w i r d wohl nicht als bürgerliches Recht i m Sinne dieser Bestimmung anzusehen sein 133 . Spezielle Rechtsvorschriften zur Behandlung von Gruppen von Flüchtlingen (Kontingentflüchtlingen) gibt es i n Österreich nicht. Die Bundesregierung hat schon mehrfach Vereinbarungen mit dem UNHCR betreffend die Übernahme von Flüchtlingen abgeschlossen. Diesen wurde regelmäßig gemäß § 7 Abs. 1 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt 1 3 4 . H. Asylrecht und Auslieferungsrecht Weder die Flüchtlingskonvention noch das Asylgesetz erwähnen ausdrücklich den Fall der Auslieferung von Asylwerbern oder Flüchtlingen. Das Asylrecht w i r d bei Auslieferungen, d. h. bei der Übergabe eines Fremden i n die Verfügungsgewalt eines anderen Staates zwecks Strafverfolgung bzw. Strafvollstreckung vielfach relevant. Die Auslieferung ist jedoch i n den genannten Bestimmungen nicht ausdrücklich angesprochen. Dies mag angesichts der Tatsache erstaunlich sein, daß eine der historischen Wurzeln des Asylrechts der Grundsatz der Nichtauslieferung politischer Straftäter ist. So bedeutet die Anerkennung des Asylrechts als Recht der Staaten i m Völkerrecht „ j a nichts anderes 132 I n diesem Sinne der Sicherheitsdirektor für das L a n d Niederösterreich, Parlamentarische Enquête (Anm. 61), S. 8. Die Reden von Abgeordneten und Politikern auf dieser Enquête machen deutlich, daß die Anerkennungspraxis i n Österreich von dem Gedanken Österreichs als „Transitland" oder „Erstasylland" geprägt ist. Dies ist n u r teilweise gerechtfertigt, da die meisten Einwanderungsländer (USA, Kanada, Australien) i n Österreich eigene „eligib i l i t y tests" durchführen. 133 Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat i m F a l l Agee ausgesprochen, daß die Entscheidung über die Auslieferung einer Person i n die öffentliche Sphäre des ausliefernden Staates falle u n d keine Feststellung von bürgerlichen Rechten oder Pflichten i m Sinne des A r t . 6 E M R K darstelle: Eine solche Entscheidung „mag zwar Konsequenzen i m Bezug auf die zivilen Rechte haben, . . . aber der Staat ist nicht verpflichtet, ein hearing gemäß A r t . 6 Abs. 1 zu gewähren". E i n Asylverfahren w i r d w o h l gleichermaßen zu beurteilen sein. Dies entspricht auch der sonstigen Interpretation des Begriffs „bürgerliches Recht" durch die europäischen Instanzen (Fälle König, Ringeisen, A n m . 114) u n d durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfSlg. 6134/70, 7099/73, 7284/74, 7492/75, 7538/75). 134 Ende 1981 betrug die Z a h l dieser Flüchtlinge i n Österreich: 1.735 V i e t namesen (die vor allem i n einem von der Caritas Österreich organisierten Adoptionssystem von 152 Pfarreien betreut wurden), 102 K u r d e n aus dem Iran, 516 Chilenen u n d 228 Argentinier [Innenminister Lane auf der Parlamentarischen Enquête (Anm. 61), S. 4].
Asylrecht u n d Asylverfahren i n Österreich
153
als die Verneinung einer allgemeinen Auslieferungspflicht" 135 . Der Grundsatz der Nichtauslieferung politischer Straftäter wurde i m 19. Jahrhundert als die erste Einschränkung der allgemeinen Auslieferungspflicht verstanden 136 und hat sich i m modernen Völkerrecht zu einem Verbot der Auslieferung wegen politischer Delikte entwickelt. Während es beim Asylrecht u m den Schutz vor Verfolgung und ein daraus abgeleitetes Recht auf Aufenthalt i m Bundesgebiet geht, ist i m Auslieferungsrecht die Frage zu entscheiden, ob ein Fremder 1 3 7 zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung wegen einer bestimmten Straftat (Grundsatz der Spezialität) an einen anderen Staat auf dessen E r suchen h i n übergeben werden soll. I n beiden Fällen ist das Aufenthaltsrecht des Fremden betroffen. Das Interesse an der Abschiebung (als Verneinung des Asylrechts) liegt gewöhnlicherweise beim abschiebenden Staat, an der Auslieferung bei dem u m die Auslieferung ersuchenden Staat. Das österreichische Auslieferungsrecht enthält mehrere Bestimmungen, welche die Auslieferung wegen asylrechtlich relevanter Tatbestände verbieten. Sie schützen alle Fremden, deren Auslieferung begehrt wurde, und nicht bloß Flüchtlinge. Die Nichtauslieferung wegen eines politischen Delikts ist der erste Schutz, den ein Fremder wegen möglicher politischer Verfolgung durch den ersuchenden Staat genießt. Hiebei w i r d an die Handlung angeknüpft, welche dem Täter zur Last gelegt wird. Dieser Grundsatz ist i n Art. 3 Europ. Auslieferungsabk. 138 verankert. Dem liegt das Prinzip zugrunde, daß die Auslieferung nur zur Verfolgung von Kriminalität, was i m allgemeinen Interesse sämtlicher Staaten liegt, nicht jedoch von politischer Tätigkeit, die von den einzelnen Staaten verschieden beurteilt werden kann, verlangt werden darf 1 3 9 . 135
Kimminich (Anm. 1), S. 50. Schmalz, Europäisches Völkerrecht, 1817; Lammasch, Recht der Auslieferung, S. 88, zitiert nach Grahl-Madsen (Anm. 9), S. 18 f. 137 österreichische Staatsbürger haben gemäß § 12 Auslieferungs- u n d RechtshilfeG (ARHG), BGBl. 529/1979, ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, nicht ausgeliefert zu werden; hiezu: Linke, Das grundrechtliche Verbot der Auslieferung österreichischer Staatsbürger, EuGRZ 1982, S. 321 ff. 138 V o m 13.12.1957, ETS Nr. 24, BGBl. 320/1969. 139 Dieser Grundsatz ist jedoch durch Einschränkungen des Begriffs des politischen Delikts vermindert, zunächst i n der sogenannten „belgischen Attentatsklausel", welche besagt, daß die Tötung oder versuchte Tötung eines Staatsoberhauptes oder eines seiner Familienangehörigen nicht als politisches D e l i k t angesehen werden darf (Art. 3 Abs. 3 Europ. Auslieferungsabk.). Eine weitere Einschränkung des Begriffs des politischen Delikts hat das Europäische Ubereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus v o m 27.1.1977 (BGBl. 446/1978) gebracht, i n welchem sich die Vertragsstaaten verpflichtet haben, A k t e der Luftpiraterie sowie gegen die Sicherheit der Z i v i l l u f t f a h r t , schwere Angriffe auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit 136
154
Stefan Rosenmayr
Das österreichische Auslieferungsrecht unterscheidet zwischen absol u t · und relativ-politischem Delikt. Als absolut-politisches Delikt w i r d insbesondere jede gegen den Staat selbst gerichtete strafbare Handlung, wie insbesondere Hochverrat und die anderen i n § 14 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 StPO angeführten Straftaten anzusehen sein 140 . Das relativpolitische Delikt verwirklicht das Tatbild der gemeinen Straftat, welcher aber politische Beweggründe und Ziele zugrundeliegen. Beim absolut-politischen Delikt ist jede Auslieferung verboten (§ 14 Nr. 1 ARHG), beim relativ-politischen Delikt darf nur dann ausgeliefert weden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der kriminelle Charakter der Tat den politischen überwiegt (§ 14 Nr. 2 ARHG). Eine weitere asylrechtlich relevante Einschränkung der Auslieferung liegt i n der sogenannten prejudice-clause (Asylvorbehalt), welche besagt, daß dann nicht ausgeliefert werden darf, wenn ernstliche Gründe für die Annahme sprechen, daß das Auslieferungsbegehren zwar wegen einer kriminellen Straftat gestellt worden ist, jedoch m i t dem Zweck, eine Person wegen ihrer Rasse, wegen ihrer Religion, ihrer Staatsangehörigkeit oder wegen ihrer politischen Anschauungen zu verfolgen oder zu bestrafen, oder daß die Lage dieser Person aus einem dieser Gründe erschwert werden könnte (Art. 3 Abs. 2 Europ. Auslieferungsabk., Art. 5 Europ. Abk. zur Bekämpfung des Terrorismus). Diese Bestimmung führt zu den objektiven Auslieferungshindernissen, die auf die Verhältnisse i m ersuchenden Staat selbst Bedacht nehmen. Gemäß § 19 Nr. 1 und 2 A R H G ist eine Auslieferung unzulässig, wenn zu befürchten ist, daß das Strafverfahren gegen den Auszuliefernden i m ersuchenden Staat den Grundsätzen des A r t . 6 EMRK, und das Strafverfahren, die Strafe oder Maßnahme dem A r t . 3 E M R K nicht entsprochen habe oder entsprechen werde. Wie die Europäische Kommission für Menschenrechte i n ihrer ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, würde eine Auslieferung i n einem solchen Fall eine Verletzung des Art. 3 E M R K darstellen 141 . A u f diese Rechtsprechung wurde bei Erlassung des A R H G ausdrücklich hingewiesen 142 . von völkerrechtlich geschützten Personen, Entführungen, Geiselnahmen, schwere Freiheitsentziehungen u n d Delikte, welche m i t Sprengmitteln, Raketen oder automatischen Schußwaffen begangen worden sind, nicht als p o l i tische Straftaten anzusehen. Hiezu: Linke, Das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus v o m 27. Jänner 1977, ÖJZ 1977, S. 232 ff. Dieses A b k o m m e n w u r d e verschiedentlich als asylfeindlich bezeichnet: ζ. B. Gérard Soulier, Contre le Terrorisme, Quelle Europe se dessine?, L e Monde Diplomatique, Nov. 1976, S. 34; Amnesty International, Politisches A s y l i n der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Baden-Baden 1977, S. 35. 140 Erl. Bern, zur R V des A R H G , Sten. Prot. N R Big. 4, X V . GP; hiezu auch Linke, Leitende Grundsätze der Reform des Auslieferungs- u n d Rechtshilferechts, ÖJZ 1980, S. 365 ff.
Asylrecht und Asylverfahren i n Österreich
155
Als die asylrechtlich relevanteste Bestimmung des österreichischen Auslieferungsrechts ist das Verbot der Auslieferung nach § 19 Nr. 3 A R H G anzusehen, welches den Grundsatz des non-refoulement des Art. 33 F K i n erweiterter Form ins Auslieferungsrecht integriert und den Tatbestand des sogenannten Auslieferungsasyls umschreibt: Gemäß § 19 Nr. 3 A R H G darf dann nicht ausgeliefert werden, „wenn die auszuliefernde Person i m ersuchenden Staat wegen ihrer Abstammung, Rasse, Religion, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsgruppe, ihrer Staatsangehörigkeit oder wegen ihrer politischen A n schauungen einer Verfolgung ausgesetzt wäre oder aus einem dieser Gründe andere schwerwiegende Nachteile zu befürchten hätte." Das Verbot des non-refoulement von A r t . 33 F K hatte schon vor Erlassung des A R H G auch für das Auslieferungsrecht Geltung (Verbot der Ausweisung oder Zurückweisung i n „irgendeiner Form") 1 4 8 , wurde jedoch durch die Hinzunahme des Tatbestandes der „Bedrohung m i t anderen schwerwiegenden Nachteilen" und durch den Wegfall der Ausnahmebestimmungen des A r t . 33 Abs. 2 F K i n § 19 Nr. 3 A R H G erweitert. Auch hier ist anzumerken, daß es nicht bloß Flüchtlinge, sondern alle Fremden schützt. § 13 A R H G statuiert eine Priorität des über die Auslieferung entscheidenden Gerichts und Ministers gegenüber den fremdenpolizeilichen Behörden, indem er bestimmt, daß es für die Dauer eines Auslieferungsverfahrens gegen einen Ausländer und bei Vorliegen hinreichender Gründe für die Einleitung eines solchen unzulässig ist, i h n aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen außer Landes zu bringen. Über die Zulässigkeit der Auslieferung haben gemäß §§ 26—33 A R H G die Gerichte zu entscheiden. Über die Auslieferung selbst entscheidet der Bundesminister für Justiz. Er hat sie abzulehnen, wenn sie vom Gericht für unzulässig erklärt wurde (§ 34 ARHG) und hat u. a. „auf völkerrechtliche Verpflichtungen, insbesondere auf dem Gebiet des Asylrechts, und auf den Schutz der Menschenwürde Bedacht" zu nehmen. Damit sind einerseits die Auslieferungsverträge, andererseits und insbesondere die Flüchtlingskonvention, vor allem deren A r t . 33, und der Schutz der Menschenwürde i n Art. 3 E M R K angesprochen. Gegen 141
Jacobs (Anm. 32), S. 33; Kälin (Anm. 11), S. 167 ff. Sten. Prot. N R Big. 4, X V . GP, S. 27. 145 Weis, T e r r i t o r i a l Asylum, A. W.R.-Bulletin 1967, S. 79 ff., 82; Kälin (Anm. 11), S. 256; O G H 29.5.1958, EvBl. 295/58, ÖJZ 1958, S. 495 ff.: Hier hat der Ο G H ausgesprochen, daß die Ablehnung des Auslieferungsersuchens aus Gründen geboten ist, „die zwar m i t der A r t der Straftat selbst nicht zusammenhängen, aber doch i m Hinblick auf die sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen des A r t . 33 Abs. 1 der Konvention . . . zu beachten sind."; anders Grahl-Madsen (Anm. 9), S. 79. 142
156
Stefan Rosenmayr
die Entscheidung des Ministers ist nach A r t . 144 Abs. 1 und 130 Abs. 1 lit. a die Beschwerde an den V f G H bzw. V w G H möglich 1 4 3 3 .
I. Zusammenfassung und Schluß Österreich hat die Flüchtlingskonvention i m Jahre 1954 ratifiziert. Ihre Bestimmungen werden als unmittelbar anwendbares Recht angesehen, sind jedoch m i t anderen gesetzlichen Vorschriften, insbesondere dem FrPolG, nur mangelhaft koordiniert. I m Jahre 1968 wurde ein Asylgesetz erlassen, i n welchem die wesentlichsten Fragen der Behandlung von Flüchtlingen, die rechtsförmliche Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Berechtigung zum Aufenthalt i m Bundesgebiet geregelt wurden. Da das Asylgesetz jedoch auf diese Fragen beschränkt ist, sind sonst nach wie vor die Vorschriften der Flüchtlingskonvention für die Rechtsstellung der Flüchtlinge i n Österreich die weithin maßgeblichste Rechtsquelle. Sie werden insoweit durch einzelne Vorschriften aus anderen Rechtsbereichen ergänzt und ausgeführt. Auch diese Vorschriften knüpfen fast ausschließlich an den Flüchtlingsbegriff der Konvention an. Die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Asylgesetz hat für die Flüchtlingseigenschaft nach der Konvention nur deklarativen Charakter. Die Entscheidung bindet zwar Gerichte und Verwaltungsbehörden, stellt jedoch vom Recht zum Aufenthalt abgesehen, keine Voraussetzung für die Gewährung des Asylrechts, als Summe der Rechtsvorteile, welche i n der Rechtsordnimg an den Flüchtlingsbegriff der Konvention anknüpfen, dar. Auch aus diesem Grunde wurde das österreichische Asylgesetz von namhaften Experten auf dem Gebiet als mangelhaft kritisiert und ein „wirkliches Asylgesetz" gefordert 144 . Von dieser Rechtslage auf eine generell verfehlte oder restriktive Asylpraxis zu schließen, wäre jedoch nicht angemessen. Bedingt durch seine geographische Lage und bestärkt durch seine Politik der „aktiven Neutralität" hat Österreich vergleichsweise eine international durchaus anerkennenswerte Asylpraxis aufzuweisen. Dies hat sich vor allem bei den osteuropäischen Krisen der Jahre 1956, 1968 und 1981/82 gei43a Anders Linke (Grundriß des Auslieferungsrechts, Wien 1983), der die Entscheidung des Ministers als unanfechtbaren Regierungsakt qualifiziert (S. 73). Die Regelung ist i m Hinblick auf das gewaltentrennende Prinzip (Art. 94 B - V G ) verfassungsrechtlich nicht unbedenklich — jedoch historisch rechtfertigbar. 144
Ermacora spricht von einem Asylrecht, „das es i n Österreich n u r so halb oder vielleicht sogar halbherzig", gibt [Parlamentarische Enquête (Anm. 61), S. 55] ; Veiter fordert ein „echtes" österreichisches Asylgesetz, „denn das bisherige ist es j a gar nicht" (ebd., S. 55), sondern ein „Durchführungsgesetz zur Genfer Konvention u n d k e i n Asylgesetz" (ebd., S. 29).
Asylrecht u n d Asylverfahren i n Österreich
157
zeigt. Die Rolle Österreichs ist hiebei freilich die eines Erstzufluchtslandes oder Transitlandes, welches Flüchtlingen, die zumeist nach Übersee auswandern wollen, einen zeitweiligen Aufenthalt zur Weiterwanderimg gewährt 1 4 5 . Die Hauptleistung ist dabei nicht nur i n der Gewährung eines Rechtsstatus zu sehen, sondern i n der praktischen Hilfe, welche i n Form der Privatwirtschaftsverwaltung nichtrechtsförmlich erfolgt (Unterbringung von Flüchtlingen, finanzielle Unterstützung) 146 . Die Sozialhilfeleistungen der Länder für Flüchtlinge sind allerdings i n letzter Zeit gewissen Einschränkungen unterworfen. A n der österreichischen Praxis der Behandlung von Flüchtlingen zeigt sich, wie sehr das Asylrecht i m Spannungsfeld zwischen humanitärem Anspruch einerseits und fremdenpolizeilichen Anliegen anderseits liegt. Die Rechtswirklichkeit ist dabei von einem formellen, aber auch informellen Weisungszusammenhang bestimmt und überlagert, welcher i n der österreichischen Polizeiverwaltung besonders stark ausgeprägt zu sein scheint. Zum Teil sehr weite Ermessensspielräume der Behörden werden von einem streng hierarchisch aufgebauten Verwaltungsapparat vollzogen. Die politische Sensibilität der Materie und der gesetzlich traditionell unterbestimmte Vollzugsbereich der Polizeiverwaltung 1 4 7 machen eine Durchrechtlichung des Asylrechts i n Österreich von vorneherein schwierig. Dennoch muß angesichts der sowohl rechtstechnisch als auch inhaltlich unbefriedigenden Lage eine umfassende Reform des Asylrechts gefordert werden. Dies erscheint i m Hinblick auf den humanitären internationalen Anspruch Österreichs notwendig. Gerade i n Zeiten einer international vorherrschenden restriktiven Flüchtlingspolitik sollten Rechtspositionen, die den Flüchtlingen bisher i m Rahmen des behördlichen Ermessens und durch die Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe eingeräumt worden waren, i n eindeutigerer Form garantiert werden.
146 Dieser Umstand prägt die österreichische Flüchtlingspolitik u n d w i r d von Innenminister Lane u n d von Rednern aller i m Nationalrat vertretenen Parteien (z. B. Abg. Braun, Höchtl, Lichal u n d Ofner) hervorgehoben; Parlamentarische Enquête (Anm. 61). 146 Ende 1981 w u r d e n v o m Bundesministerium f ü r Inneres 27.492 A s y l werber betreut, u n d etwa 5.000 i n Lagern u n d 22.534 i n Gasthöfen u n d Heimen untergebracht (Höhepunkt der „Polenkrise"). A n die Gasthöfe wurde pro Person täglich S 150,— (Sommer) bzw. S 165,— (Winter) bezahlt. Die so untergebrachten Flüchtlinge erhielten monatlich S 240,— (S 110,— Familienanschlußmitglieder). [Angaben von Innenminister Lane auf der Parlamentarischen Enquête (Anm. 61), S. 62 f.] ; f ü r weitere Zahlen siehe den Tabellenanhang. 147 Adamovich/Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, W i e n / N e w Y o r k 1980, S. 120.
1969
1970
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982 1
Afghanistan — — — — — — — — —3 18 48 31 68 161 Albanien 25 18 6 14 11 8 21 20 64 66 28 12 12 29 27 Ägypten — 1 — 2 2 — — 3 4 5 3 5 5 11 — Äthiopien _ _ _ _ _ _ 1 —4 2 2 4 23 13 — 3 Bulgarien 138 166 135 106 122 102 82 109 105 87 107 109 108 8 Chile — — — — 48 66 48 88 57 57 36 43 13 26 China _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ 1 12 __ _ _ Deutsche Demokr. Rep. — 2 — 2 9 7 1 1 5 3 1 5 1 8 — Ghana — — — — — — — — —1 4 5 1 — — Indien _ _ _ _ _ _ _ 3 χ 8 5 20 3 7 — Irak _ _ _ _ _ 3 1 103 21 46 45 62 33 51 37 Iran _ _ _ _ _ 1 — — —1 10 34 28 137 190 Jugoslawien 1.279 151 87 70 105 156 230 108 81 66 49 45 40 74 Kambodscha _ _ _ _ _ _ _ 83 9 9 13 2 2 — 1 Laos _ _ _ _ _ _ _ _ 9 2 10 8 2 — 1 Libanon _ _ _ _ _ _ _ 1 1 29 95 18 6 — 8 Pakistan _ _ _ _ _ _ _ _ _ 4 15 13 3 — — Polen 206 207 223 145 161 202 182 291 538 773 1.095 2.181 29.091 1.870 Rumänien 575 156 184 183 213 349 203 203 551 958 976 1.023 1.316 73 Sowjetunion 14 6 — 17 6 5 6 16 7 15 5 24 39 19 15 Syrien — 1 — 2 — —1 3 5 12 73 39 9 6 4 Tschechoslowakei 6.530 1.192 356 291 123 173 156 194 394 515 1.834 3.241 2.196 1.975 1 Türkei — — — —3 1 1 5 14 49 100 120 35 54 39 Ungarn 1.005 1.161 1.064 968 729 584 471 467 534 525 580 1.043 1.225 922 Vietnam _ _ _ _ _ _ 78 53 14 12 291 932 257 60 1 Sonstige, bzw. ungeklärt 27 15 17 14 32 44 6 53 37 41 106 65 23 Staatenlose 32 9 3 24 12 10 15 10 113 123 123 127 65 102 78 Insgesamt 9.831 3.085 2.075 1.838 1.576 1.712 1.502 1.818 2.566 3.412 5.627 9.259 34.557 6.314 5.868
Staatsangehörigkeit
1. Antrage auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Zahl der Asylwerber) nach Herkunftsländern
Κ. Tabellenanhang148
158 Stefan Rosenmayr
Asylrecht u n d Asylverfahren i n Österreich
159
2. A n e r k a n n t e F l ü c h t l i n g e nach H e r k u n f t s l ä n d e r n
1977 Afghanistan
—
Albanien
30
Ägypten
4
1978
1979
1980
2
8
27
35
21
1
—
1981
1982
1983
9
21
162
—
3 1
1
—
—
3
1 —
Äthiopien
5
—
—
—
Bulgarien
81
101
57
69
48
72
16
Chile
79
52
36
24
17
18
20
China
—
—
—
Ghana
—
—
Indien
1
—
2
4 1
3
1 20
25
4
15
—
—
1 1
1
— —
—
—
22
19
24
12
31
87
15
5
Irak
18
44
Iran
—
—
Jugoslawien
37
42
21
9
7
Kambodscha
42
9
13
21
22
5
5
22
11
2
13
2
1
1
1
Laos
1
—
—
1
8 —
Libanon
—
19
Pakistan
—
- -
Polen
348
594
284
391
335
13.756
901
Rumänien
272
—
— —
— —
247
973
606
702
321
357
Sowjetunion
5
15
5
2
13
19
3
Syrien
5
8
16
7
2
2
2 782
372
489
1.325
2.209
11
24
16
1
1.110 2
2.261
Türkei
Tschechoslowakei
1
10
Ungarn
511
479
340
686
542
640
249
Vietnam
39
13
244
869
314
107
110
2
3
—
—
—
—
—
Sonstige, bzw. ungeklärt
51
16
28
20
2
7
8
Staatenlose
63
159
68
30
18
28
18
1.957
3.085
3.155
5.127
2.801
17.361
2.678
Zaire
Insgesamt
148 Quellen: österreichisches Jahrbuch, hrsg. v. Bundespressedienst B ü r o des U N H C R , W i e n ; Felix M. Bertram, Wien.
Wien;
160
Stefan Rosenmayr 3. Abgeschlossene A s y l v e r f a h r e n u n d A n e r k e n n u n g d e r Flüchtlingseigenschaft 1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
Abgeschlossene Verfahren
2.353
3.401
4.348
7.159
6.087
20.543
4.144
davon: Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft Nichtanerkennung
1.957 396
3.085 316
3.155 1.193
5.127 2.032
2.801 3.286
17.361 3.182
2.678 1.466
83
91
73
72
46
85
65
Anerkennungsquote in Prozent
4. A u s w a n d e r u n g d e r v o m B u n d b e t r e u t e n europäischen A s y l w e r b e r (wichtigste E i n w a n d e r u n g s l ä n d e r )
Insgesamt davon Auswanderung nach : Australien Kanada USA Rest in andere Länder
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1.047
1.779
2.332
5.424
9.072
21.028
82 285 533
173 326 1.052
499 386 1.190
2.272 1.130 1.528
2.241 2.389 3.372
4.388 4.796 7.265
5. A u s g a b e n f ü r d i e F l ü c h t l i n g s b e t r e u u n g i n Österreich ( i n öS.)
Ausgaben des Bundes Zuschuß des UNHCR
1977
1978
1979
1980
1981
1982
74,836.607,—
87,358.906,—
116,841.029,—
172,891.938,—
514,575.718,—
1.434,411.837 —
847.855,—
1,089.253,—
1,638.712,—
1,583.700,—
2,992.580,—
2,519.250,—
6. A n e r k e n n u n g s q u o t e nach H e r k u n f t s l ä n d e r n (1976—1983) (in Prozent) Afghanistan
Chile
100 41 17 17 64 89 38 45 13
Irak Iran Jugoslawien Kambodscha Laos Libanon Pakistan Polen Rumänien
. . 53 . , 49 ... 29 ..... 100 100 . . 22 ... 9 .. 45 ,.. 58
Sowjetunion Syrien Tschechoslowakei Türkei Ungarn Vietnam Sonstige Staatenlose
46 28 77 13 62 100 33 50
Bei den angegebenen Werten ist durch Schätzung berücksichtigt, daß nicht über alle Asylanträge im Antragsjahr entschieden wurde.
Asylgewährung als Grundrechtsschutz Das Asylverfahren in der Schweiz* Von Walter Kälin
Inhaltsübersicht A. Grundsätze
162
I. Asylgewährung als Menschenrechtsschutz
162
I I . Asylgewährung als staatspolitische M a x i m e I I I . Die Notwendigkeit A s y l Verfahrens
grundrechtskonformer
163 Ausgestaltung
des
B. Die i m Asylverfahren zu beachtenden Grundrechte I. Anspruch auf rechtliches Gehör I I . Rückschiebungsverbot
166 167 167 168
I I I . Interdependenz von rechtlichem Gehör u n d Rückschiebungsverbot
169
I V . Grundrechtliche Anforderungen an die sachgerechte Zuordnung von Entscheidkompetenzen
170
C. Die Bedeutung der Grundrechte f ü r die einzelnen Verfahrensabschnitte
171
I. Die Bedeutung von Rückschiebungsverbot u n d rechtlichem Gehör bei Asylgesuchen an der Grenze 1. Die gesetzliche Regelung 2. Rückschiebungsverbot 3. Rechtliches Gehör
171 171 172 173
I I . Das Verfahren i m K a n t o n 1. Rechtliches Gehör 2. Rechtsverweigerung 3. Rückschiebungsverbot 4. Sachgerechte Zuordnung der Entscheidbefugnisse
174 174 174 175 175
I I I . Das Verfahren vor dem Bundesamt 1. Rechtliches Gehör 2. Rückschiebungsverbot 3. Rechtsgleichheit
176 176 177 178
I V . Schlußfolgerungen
178
* Unveränderte, m i t Anmerkungen versehene Fassung des i n B e r l i n gehaltenen Vortrage. 11 Grundrechtsschutz
162
Walter K ä l i n
A. Grundsätze Das schweizerische Recht kennt keinerlei grundrechtlichen Anspruch des politisch verfolgten Ausländers auf Asylgewährung; die Ablehnung eines Asylgesuches durch die zuständige Verwaltungsbehörde des Bundes untersteht zudem nicht gerichtlicher Kontrolle, sondern bloß einem verwaltungsinternen Beschwerdeverfahren. Deshalb mag die Behandlung des schweizerischen Asyl Verfahrens unter dem Aspekt „Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren" möglicherweise befremdlich erscheinen. Wie nachfolgend zu zeigen ist, vermögen Grundrechte das schweizerische Asylverfahren trotz Fehlens eines Grundrechts auf Asyl i n vielfältiger Weise zu prägen. I . Asylgewährung als Menschenrechtsschutz
Das geltende Völkerrecht anerkennt Menschen, die aus begründeter Furcht vor staatlicher Verfolgung — d. h. namentlich aus Angst vor Eingriffen i n Leben, Leib oder (physische) Freiheit — i h r Heimatland verlassen mußten, dann als Flüchtlinge, wenn die Verfolgungsmaßnahmen ihren Grund i n der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder i n der politischen Überzeugung dieser Personen haben 1 . Flüchtlinge sind m i t h i n Opfer ganz spezifischer Menschenrechtsverletzungen: Rassisch, religiös oder politisch motivierte Verstöße gegen das Recht auf Leben 2 und das Folterverbot 3 sowie auf den gleichen Gründen beruhende Beschränkungen der physischen Bewegungsfreiheit und der Meinungsäußerungs- oder Religionsfreiheit 4 stehen i m Vordergrund. M i t dem A k t der Asylgewährung entzieht der Zufluchtstaat den Flüchtling auf faktisch und rechtlich wirksame Weise 1 Vgl. namentlich A r t . 1 A Abs. 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge v o m 28. J u n i 1951 (FK). Aus der reichen L i t e r a t u r zum v ö l kerrechtlichen Flüchtlingsbegriff seien hier genannt: Grahl-Madsen, The Status of Refugees i n International L a w , Bd. I , Leiden 1966, S. 142 ff.; Lieber, Die neuere E n t w i c k l u n g des Asylrechts i m Völkerrecht u n d Staatsrecht, Z ü rich 1973, S. 85 ff.; Hailbronner, Asylrecht u n d Völkerrecht, i n : Beitz/Wollenschläger (Hrsg.), Handbuch des Asylrechts, Baden-Baden 1980, S. 113 ff.; vgl. auch Schaeffer, Asylberechtigung — Politische Verfolgung nach A r t . 16 GG, K ö l n 1980, S. 25 ff. 2 Das geltende Völkerrecht (Art. 2 E M R K , A r t . 6 des internationalen Paktes über die bürgerlichen u n d politischen Rechte v o m 19.12.1966 etc.) v e r bietet zwar die Beschränkung des Rechts auf Leben, n i m m t davon aber die Todesstrafe f ü r gesetzlich vorgesehene Straftaten aus. Das Flüchtlingsrecht derogiert diese Ausnahme, wenn die Verhängung der Todesstrafe auf einem der i n A r t . 1 A Abs. 2 F K genannten M o t i v beruht. 3 Z u r Folter als A s y l g r u n d zutreffend Marx/ Strate, Kommentar zum A s y l verfahrensgesetz, F r a n k f u r t a. M. 1982, S. 50 f. 4 Vgl. hierzu insbesondere Schaeffer (Anm. 1), S. 96 ff.; Grahl-Madsen (Anm. 1), S. 209 ff.; Lieber (Anm. 1), S. 96 ff.
Das Asylverfahren i n der Schweiz
163
dem menschenrechtswidrigen Zugriff des Verfolgerstaates: Dieser würde die völkerrechtlich geschützte Souveränität des asylgewährenden Landes verletzen, falls er beispielsweise versuchte, den Flüchtling, welcher A u f nahme gefunden hat, zu ermorden oder auf sein eigenes Territorium zu entführen 5 . Das Recht auf dauernden Aufenthalt i m Zufluchtstaat und das Verbot der Rückschiebung verfolgter Personen i n den Verfolgerstaat als Teilgehalte des Asylrechts 8 stellen überdies sicher, daß kein anerkannter Flüchtling den Zufluchtstaat verlassen muß und i n Anschluß daran i n die Hände seiner Verfolger fällt. Schließlich schafft die Asylgewährung die rechtlichen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben i m Asylland, weil m i t i h r regelmäßig die Einräumung einer besonderen — und i m Vergleich zur Behandlung anderer Ausländer zumindest teilweise privilegierten — Rechtsstellung verbunden ist 7 . Das Institut des Asyls erweist sich m i t h i n als wichtiges Instrument des Menschenrechtsschutzes. Das Völkerrecht räumt zwar dem Flüchtling keinerlei subjektiven Anspruch auf Asylgewährung ein, es ermöglicht aber den Staaten, Ausländer mit dem M i t t e l der Asylgewährung vor Menschenrechtsverletzungen durch den Verfolgerstaat zu schützen 8 : Nicht Druck auf den die Menschenrechte verletzenden Staat soll garantieren, daß der Flüchtling i n den Genuß der Menschenrechte kommt, sondern die Sorge dafür, daß er dauernd dem menschenrechtswidrigen Zugriff des Verfolgerstaates entzogen bleibt. I I . Asylgewährung als staatspolitische Maxime
Das Institut des Asyls könnte seine Aufgabe als Instrument zum Schutz gegen spezifische Menschenrechtsverletzungen dann optimal erfüllen, wenn dem Flüchtling wenigstens auf der innerstaatlichen Ebene ein grundrechtlich gesicherter subjektiver Anspruch auf Asylgewährung zukommen würde, den er gegenüber dem Zufluchtstaat i n einem justizförmigen Verfahren durchsetzen könnte. Die schweizerische δ Z u den Pflichten des Verfolgerstaates zur Achtung der Souveränität des Asyllandes siehe Grahl-Madsen, The Status of Refugees i n International L a w , Bd. I I , Leiden 1972, S. 187 ff. 6 Die Teilgehalte des Asylrechts sind: a) das Recht auf Einreise i n den Asylstaat, b) das Recht auf gesicherten Aufenthalt i m Asylstaat, c) Schutz vor Rückschiebung i n den Verfolgerstaat, d) eine privilegierte Rechtsstellung, welche die Voraussetzungen f ü r ein menschenwürdiges Leben schafft. Vgl. hierzu Kälin, Das Prinzip des Non-Refoulement, B e r n / F r a n k f u r t a. M. 1982, S. 8 ff. 7 Die Rechtsstellung des aufgenommenen Flüchtlings ist völkerrechtlich vor allem i n A r t . 12 ff. F K geregelt. F ü r die Schweiz vgl. A r t . 24 ff. des Asylgesetzes v o m 5. Oktober 1979 (AS 1980, S. 1718 ff.; Systematische Rechtssammlung 142.31. Abgedruckt i n A.W.R.-Bulletin 1980, S. 126 ff.). 8 Vgl. hierzu Kälin (Anm. 6), S. 13 f.
11*
164
Walter K ä l i n
Bundesverfassung kennt kein Grundrecht auf Asyl, und auch der Entw u r f für eine totalrevidierte Bundesverfassung garantiert Asyl bloß i m Rahmen des Gesetzes®. Eine umfassende gesetzliche Regelung des Asylverfahrens steht erst seit dem 1. Januar 1981 i n K r a f t 1 0 ; vorher normierten bloß je eine Gesetzes- und Verordnungsbestimmung diesen Bereich 11 . Trotz weitgehend fehlender gesetzlicher Regelung war der Entscheid über die Aufnahme von Flüchtlingen aber nie dem völlig freien Ermessen der Behörden überlassen; diese hatten immer zu berücksichtigen, daß i n der Schweiz die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen als staatspolitische Maxime gilt, d. h. daß die schweizerische Asylpolitik auf einer „außerrechtlichen, politisch bedingten Bindimg an die Tradition" beruht, die als tief i m Volksbewußtsein verankerter Ausfluß des schweizerischen Freiheitsgefühls gedeutet wird 1 2 . I n der Tat läßt sich für das Gebiet der heutigen Schweiz nachweisen, daß zumindest seit der Reformation die Aufnahme von Flüchtlingen als wichtiges Anliegen des Gemeinwesens verstanden wurde: Die Schutzgewährung an hugenottische und andere Glaubensflüchtlinge i m 16. und 17. Jahrhundert, die Aufnahme antimonarchistischer Revolutionäre aus ganz Europa i m 19. Jahrhundert und die Einräumung von zumindest temporärem Asyl an knapp 300 000 Personen während des 2. Weltkriegs sind Marksteine dieser Geschichte13. Die Jahre nach 1939 stellen allerdings m i t der Rückweisung und Abschiebung von nahezu 10 000 schutzsuchenden Menschen vor allem jüdischer Herkunft eine schwarze Periode der schweizerischen Asylgeschichte dar 1 4 . Diese tragischen Ereignisse führten Mitte der 9 A r t . 69ter Abs. 2 l i t . d der schweizerischen Bundesverfassung v o m 29. M a i 1874 äußert sich zwar zum Asyl, gewährt aber bloß dem B u n d die Befugnis, die Kantone zur Aufnahme von Flüchtlingen zu verpflichten. A r t . 16 Abs. 1 des Entwurfes f ü r eine totalrevidierte Bundesverfassung aus dem Jahre 1977 lautet: „Flüchtlingen w i r d nach Gesetz A s y l gewährt." 10 Asylgesetz v o m 5. Oktober 1979 (Anm. 7). Z u m Asylgesetz: Lieber, Z u m aktuellen schweizerischen A s y l - u n d Auslieferungsrecht, Z A R 1983, S. 19 ff.; ders., Das neue schweizerische Asylrecht, Schweizerisches Zentralblatt f ü r Staats- u n d Gemeindeverwaltung 1981, S. 49 ff.; ders., Z u m neuen schweizerischen Asylgesetz, A.W.R.-Bulletin 1980, S. 197 ff.; Dutoit, Le nouveau droit suisse sur l'asile, i n : Université de Lausanne, Faculté de droit, Les étrangers en Suisse, Lausanne 1982, S. 55 f f.; von Pollern, Das moderne Asylrecht, Berl i n 1980, S. 60 ff.; Fur gier, Das neue Asylgesetz, Ausdruck einer Staatsmaxime, i n : A e b i / M ü l l e r (Hrsg.), Flüchtlingsströme: Völkerwanderung unserer Zeit, Bern 1981, S. 9 ff. 11 Z u r Rechtslage vor I n k r a f t t r e t e n des Asylgesetzes: Lieber (Anm. 1), S. 262 ff. 12 Schürch, Das schweizerische Asylrecht, Zeitschrift des Bernischen J u r i stenvereins 1968, S. 241 (247). 13 Z u r schweizerischen Asylgeschichte: Fur gier (Anm. 10), S. 12 ff.; Schürch (Anm. 12). S. 245 ff. 14 Z u r Schweiz. A s y l p o l i t i k während des 2. Weltkrieges insbesondere: Ludwig, Die Flüchtlingspolitik der Schweiz i n den Jahren 1933—1955, Bericht an den Bundesrat zuhanden der eidgenössischen Räte, Bern 1957; Häsler, Das Boot ist voll, 5. Aufl., Zürich 1981.
Das Asylverfahren i n der Schweiz
165
50er Jahre zu einem grundsätzlichen Überdenken der Flüchtlingspolitik; die Diskussion gipfelte i n einer Erklärung des schweizerischen Bundesrates vom 1. Februar 1957, w o r i n die großzügige Gewährung von Asyl ausdrücklich als auch i n Zukunft zu beachtende staatspolitische Maxime anerkannt wurde 1 5 . Diese Auffassung ist vom Bundesrat erst i m vergangenen Jahr wieder bekräftigt worden 16 . Der Begriff der staatspolitischen Maxime 1 7 ist i m schweizerischen Staatsrecht weithin ungeklärt. Immerhin läßt sich sagen, daß staatspolitische Maximen wichtige Grundprinzipien der Politik darstellen, die über längere historische Zeiträume hinweg — und weitgehend unabhängig von der i n einem bestimmten Zeitpunkt geltenden Verfassung — Leitlinien für staatspolitische Grundentscheidungen bilden und überdies durch ihre Appellwirkung an den Verfassung- und Gesetzgeber eine gewisse normative K r a f t entfalten. Daß die Gewährung von Asyl i n der Schweiz letztlich als Entscheid m i t stark politischem Einschlag verstanden wird, ist w o h l weitgehend der Auffassung von Asyl als staatspolitischer Maxime zuzuschreiben. I n diesem Verständnis liegt nicht nur der tiefere Grund für die so spät an die Hand genommene Ausarbeitimg eines Asylgesetzes, sondern auch die Begründung für die Tatsache, daß auch i m Rahmen der heutigen Regeln nach wie vor der erstinstanzlich abgewiesene Asylbewerber m i t seiner Beschwerde nicht an ein Gericht, sondern nur an verwaltungsinterne Rechtsmittelinstanzen gelangen kann 1 8 . M i t dem Erlaß des Asylgesetzes ist allerdings die Rechtsstellung des Asylsuchenden wesentlich verbessert worden: Obwohl i h m nach wie vor keinerlei subjektives Recht auf Asylgewährung zukommt, hat der Gesuchsteller nun wenigstens „Anspruch auf die verfahrensrechtlich vorgesehene Prüfung des Gesuches und dessen gesetzeskonforme Erledigung" 1 9 . Damit hat der Grundsatz der Asylgewährung an politisch ver15
Abgedruckt bei Ludwig (Anm. 14), S. 404 ff. I n seiner schriftlichen Beantwortung einer M o t i o n von Nationalrat Fritz Meier v o m 15. J u n i 1982 führte der Bundesrat am 13. Dezember 1982 aus: „Der Bundesrat hat wiederholt erklärt, das schweizerische Asylrecht sei nicht bloß Tradition, sondern staatspolitische Maxime. Das Asylgesetz . . . ist denn auch von diesem Grundgedanken geprägt." 17 Als staatspolitische M a x i m e g i l t i n der Schweiz neben dem Asylprinzip namentlich der Grundsatz der politischen Neutralität; vgl. zur „Neutralität als Ausdruck des schweizerischen Staatsgedankens" Binswanger, Schweizerische Staatsidee u n d Außenpolitik, i n : R i k l i n / H a u g / B i n s w a n g e r (Hrsg.), Handbuch der schweizerischen Außenpolitik, B e r n / S t u t t g a r t 1975, S. 134 ff. 18 A r t . 47 Abs. 2 Asylgesetz; A r t . 100 l i t . b Nr. 2 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege. Daß beim Asylentscheid politische F r a gen i m Vordergrund stehen, betont etwa Fleiner-Ger ster, Grundzüge des a l l gemeinen u n d schweizerischen Verwaltungsrechts, 2. Aufl., Zürich 1980, S. 247. 19 Botschaft des Bundesrates zum Asylgesetz v o m 31. August 1977; Bundesblatt 1977, Bd. I I I , S, 115. 18
166
Walter K ä l i n
folgte Personen nun auch auf der Gesetzesstufe einen seinem Rang 20 als Staatsmaxime angemessenen Ausdruck gefunden 21 .
I I I . Die Notwendigkeit grundrechtskonformer Ausgestaltung des Asylverfahrens
Inhalt und Umfang des eben erwähnten Anspruchs auf gesetzeskonforme Entscheidung über Asylgesuche i m dafür vorgesehenen Verfahren ergeben sich i n erster Linie aus dem Gesetz, dann aber auch aus den Grundrechten der Bundesverfassung und — in beschränkterem Ausmaß — aus den Garantien der EMRK. Grundrechte können i m Verwaltungsverfahren auf drei verschiedenen Ebenen wirken: Als programmatische Gestaltungsprinzipien auferlegen sie dem Gesetzgeber, i m Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit das Verfahren so zu normieren, daß der Gehalt der verschiedenen berührten Grundrechte optimal verwirklicht wird 2 2 . Bei der Auslegung und A n wendung einfachen Verwaltungs(verfahrens)rechts können u. U. grundrechtliche Gehalte auch dort, wo ein Grundrecht i m konkreten Fall nicht direkt anwendbar erscheint, das Interpretationsergebnis mitbestimmen 23 . Schließlich kommen i m Verwaltungs verfahr en natürlich auch jene Teilgehalte der Grundrechte zum Tragen, welche direkte Ansprüche des einzelnen gegen staatliche Organe begründen 24 . Diese dreifache Einwirkung der Grundrechte läßt sich auch für das Asylverfahren nachweisen. Die Grundrechte müssen hier aus zwei Gründen eine i m Vergleich zu andern Verwaltungsbereichen besonders 20 Riklin, Grundlegung der schweizerischen Außenpolitik, B e r n / S t u t t g a r t 1975, S. 66, zählt unter politologischen Aspekten die A s y l p o l i t i k zu jenen Zielen der schweizerischen Außenpolitik, denen hohe Priorität zukommt. Z u r Diskrepanz zwischen Bekenntnis zur Asylgewährung als traditionsgeprägte Wertvorstellung u n d tatsächlichem Verhalten i m A l l t a g schreibt die Ethnologin Cornelia Vogelsanger: „Die freiheitliche u n d humanitäre Tradition u n d die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen gehört zu unserem k u l t u r e l l e n Erbe, auf das w i r stolz sind, das w i r bei vielen festlichen Gelegenheiten strapazieren u n d gerne gerade gegenüber Fremden betonen, die nicht i n der Lage sind, uns zu widersprechen. Dabei verwechseln . . . w i r oft die Idealn o r m m i t der Alltagswirklichkeit." [Vogelsanger, Emigration u n d K u l t u r — Flüchtlingsprobleme aus ethnologischer Sicht, i n : A e b i / M ü l l e r (Anm. 10), S. 24]. 21
Vgl. A n m . 16. Z u den Teilgehalten von Grundrechten vgl. Jörg P. Müller (unter M i t arbeit von Kälin u n d S.Müller), Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, Bern 1982, S. 46 ff. (zur programmatischen Schicht S. 48 f.). 23 Müller (Anm. 22), S. 49 ff. spricht hier von der flankierenden F u n k t i o n der Grundrechte. 24 Hierzu Müller (Anm. 22), S. 47 f. 22
Das Asylverfahren i n der Schweiz
167
wichtige Rolle spielen: Einerseits stehen i m Asylverfahren regelmäßig besonders hohe verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter wie namentlich Leben, körperliche Integrität und physische Bewegungsfreiheit auf dem Spiel. Anderseits erscheint eine verstärkte Grundrechtsgeltung als notwendige Konsequenz der Anerkennung des Grundsatzes großzügiger Aufnahme von Flüchtlingen als staatspolitische Maxime.
B. D i e i m Asylverfahren zu beachtenden Grundrechte
Das Asylverfahren w i r d von Konkretisierungen zweier Grundrechte geprägt: Der verfassungsmäßige Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß A r t . 4 B V und das Verbot der Rückschiebung von Flüchtlingen i n den Verfolgerstaat (Prinzip des non-refoulement) durchdringen alle Verfahrensstadien. Subsidiär spielen das Verbot der Rechtsverweigerung und das Rechtsgleichheitsgebot als weitere Teilgehalte von Art. 4 B V ebenfalls eine wichtige Rolle. I . Anspruch auf rechtliches Gehör
Das schweizerische Bundesgericht leitet i n konstanter Praxis aus dem Rechtsgleichheitsgebot von A r t . 4 B V 2 5 einen grundrechtlichen Anspruch des einzelnen auf rechtliches Gehör ab. Danach gibt A r t . 4 B V dem einzelnen „nicht n u r i m Z i v i l - u n d Straf-, sondern auch i m Verwaltungsverfahren grundsätzlich Anspruch darauf, daß er vor dem Erlaß einer i n seine Rechtsstellung eingreifenden Verfügung angehört werde" 2 6 .
Dieser Anspruch ist einerseits ein M i t t e l der Sachaufklärung 27 und dient damit der richtigen Rechtsfindung 28 ; anderseits besteht er „aber auch u m der Würde des Menschen willen", denn „der Staat soll m i t den Betroffenen nicht i n der Weise verfahren, wie man über Dinge verfügt" 2 9 . Wie das Bundesgericht gerade auch i m Hinblick auf das Ver25 A r t . 4 Abs. 1 Satz 1 B V lautet: „ A l l e Schweizer sind vor dem Gesetze gleich." Aus der reichen L i t e r a t u r zur Ausweitung des Gleichheitsgrundsatzes zu einer umfassenden Rechtsstaatsgarantie siehe vor allem Saladin, Das Verfassungsprinzip der Fairness, i n : Erhaltung u n d Entfaltung des Rechts i n der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts (Festgabe der schweizerischen Rechtsfakultäten zur Hundertjahrfeier des Bundesgerichts), Basel 1975, S. 41 ff. 26 BGE 106 Ί a 162 E. b m i t Hinweisen. Weniger weitgehend f ü r das V e r waltungsverfahren: BGE 105 I a 195 E. b. 27 BGE 106 I a 5 E. bb. 28 Hangartner, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I I : G r u n d rechte, Zürich 1982, S. 213.
168
Walter K ä l i n
waltungsverfahren anerkennt, bestimmt sich der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach der Intensität des drohenden Eingriffs, denn „das Bedürfnis, angehört zu werden, ist dort besonders intensiv, u n d daher unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten schutzwürdig, w o die Gefährt besteht, daß jemand durch einen staatlichen Hoheitsakt beschwert werden könnte" 3 0 .
Der Anspruch auf rechtliches Gehör räumt dem Betroffenen vor allem das Recht ein, über Verfahren und Verfahrensrechte informiert zu werden, sich persönlich oder durch einen Vertreter zu äußern und sich durch einen Beistand beraten zu lassen, Beweis zu führen und Akteneinsicht zu bekommen sowie über die Gründe eines negativen Entscheides und die dagegen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel informiert zu werden 31 . Diese Rechte sind i n der Regel auf Gesetzesstufe detailliert verankert; die verfassungsrechtlichen Minimalansprüche kommen aber dann subsidiär zum Tragen, wenn sich der Rechtsschutz, wie er vom Gesetz eingeräumt wird, als ungenügend erweist 32 .
I I . Rückschiebungsverbot
Das Verbot der Rückschiebimg von Flüchtlingen i n den Verfolgerstaat ist kein spezifisches Grundrecht der Bundesverfassung, sondern wurde i m schweizerischen Landesrecht explizit auf Gesetzesstufe geregelt 3 3 . Art. 3 E M R K verbietet aber gemäß konstanter Praxis der europäischen Kommission für Menschenrechte die Rückschiebung von Flüchtlingen i n den Verfolgerstaat, falls die drohende politische Verfolgung schwer ist: Solche Maßnahmen stellen eine spezielle A r t unmenschlicher Behandlung dar, die der rückschiebende Staat dadurch begeht, daß er durch seine Anordnung einen Flüchtling schweren Menschenrechtsverletzungen aussetzt 34 . A r t . 3 E M R K hat i n der Schweiz Verfassungsrang 35 und berechtigt wie Grundrechte der Verfassung den einzelnen direkt 3 6 . Seine Verletzung ist i n den gleichen Verfahren gel29 Hangartner (Anm. 28), S. 213. Das Bundesgericht anerkennt den Anspruch auf rechtliches Gehör ausdrücklich als ein „persönlichkeitsbezogenes M i t w i r kungsrecht des Verfahrensbeteiligten beim Erlaß von Verfügungen, die seine Rechtsstellung betreffen" (BGE 106 I a 5 E. bb). 30 BGE 105 I a 197 E. cc. 31 Hangartner (Anm. 28), S. 211 f. 32 BGE 106 I a 5 E. aa m i t Hinweisen. 33 A r t . 45 Asylgesetz; dazu ausführlich Kälin (Anm. 6), S. 269 ff. 34 Dazu ausführlich Kälin (Anm. 6), S. 158—201 m i t zahlreichen Hinweisen auf die Praxis der Straßburger Organe. 35 Müller (Anm. 22), S. 177; vgl. auch BGE 101 I a 96 E . 2 c , 102 I a 381, 104 I a 91 E. 4.
169
Das Asylverfahren i n der Schweiz
tend zu machen wie die Verletzimg von verfassungsmäßigen Grundrechten 37 . Neben dieser Bestimmung der Menschenrechtskonvention untersagt namentlich A r t . 33 der Flüchtlingskonvention vom 28. J u l i 1951, jemanden auf irgendeine Weise zur Rückkehr i n einen Staat zu zwingen, i n welchem er wegen seiner Rasse, Religion oder politischen Anschauung Eingriffe i n sein Leben, seine körperliche Integrität oder seine physische Freiheit zu erwarten hat 3 8 . Diese völkerrechtliche Bestimmung gilt ebenfalls automatisch als direkt anwendbares Recht, welches — als Kehrseite des an die staatlichen Behörden gerichteten Verbotes — den betroffenen Ausländer direkt berechtigt und auf welches er sich i n allen Verfahren berufen kann 3 9 . Schließlich ist das Verbot der Rückschiebung von Flüchtlingen i n den Verfolgerstaat auch Teilgehalt des als ungeschriebenes Grundrecht anerkannten Anspruchs auf Schutz der persönlichen Freiheit 4 0 . I I I . Interdependenz von rechtlichem Gehör und Rückschiebungsverbot
Zwischen dem Anspruch auf rechtliches Gehör und dem Recht auf Schutz vor Rückschiebung i n den Verfolgerstaat besteht ein Verhältnis der Interdependenz: U m irrtümliche Rückschiebungen echter Flüchtlinge wirksam zu verhindern, bedarf es optimaler Verfahrensgarantien, die dem Asylbewerber ermöglichen, die Begründung seines Antrages i n einer Weise vorzutragen, welche der Ernsthaftigkeit der i m Fall eines Fehlentscheides drohenden Eingriffe i n hochwertige Rechtsgüter entspricht und die zuständigen Behörden i n die Lage versetzt, einen sachgerechten Entscheid zu treffen. Die Interdependenz von Verfahrensrechten u n d Rückschiebungsverbot w u r d e i n der amerikanischen Rechtsprechung k l a r erkannt. I m F a l l H a i t i a n Refugee Center v. S m i t h 4 1 führte der Court of Appeals for the Eleventh Circuit aus, die U S A seien an das Rückschiebungsverbot von A r t . 33 Flüchtlingskonvention völkerrechtlich gebunden. D a m i t diese Verpflichtung nicht ihrer Substanz entleert werde, müsse dem Ausländer wenigstens erlaubt w e r den, ein Asylgesuch zu stellen u n d seine Behauptung, er w ü r d e i m F a l l einer Deportation i n den Herkunftsstaat politischer Verfolgung ausgesetzt, zu begründen. Da ein verfassungsmäßig geschütztes Recht auf A s y l i n den U S A nicht existiere, sei dieses Recht auf Antragstellung zwar relativ schwach, aber trotzdem nicht wertlos, w e i l es seinem Träger wenigstens erlaube, sein A n liegen einem Beamten vorzutragen, welcher i h m zuhöre. Die Regierung v e r 36
Vgl. BGE 103 I a 306 E. 7 a; K ä l i n (Anm. 6), S.262f.; Müller S. 173 f. 37 BGE 101 I a 67 u n d 102 I a 196. 38 Dazu ausführlich Kälin (Anm. 6), S. 86—145. 39 Kälin (Anm. 6), S. 262 f. 40 Kälin (Anm. 6), S. 264 ff. 41 U r t e i l v o m 24. M a i 1982; I L M 1982, S. 603 ff.
(Anm. 22),
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letze das Gebot der Fairness, welches den K e r n der „Due Process Clause" darstelle, w e n n sie dem Ausländer zwar das Hecht einräume, einen Asylantrag zu stellen, das Verfahren aber so gestalte, daß dessen Ausübung unmöglich werde 4 2 . Aus diesen Gründen schützte das Gericht eine Beschwerde, die sich gegen das Asylverfahren f ü r Personen aus H a i t i wandte u n d erblickte eine Verletzung des verfassungsmäßigen Anspruchs auf Due Process namentlich darin, daß die Einvernahmen der Asylsuchenden n u r eine halbe Stunde pro F a l l dauerten u n d so angesetzt waren, daß den A n w ä l t e n eine wirksame V e r tretung verunmöglicht w u r d e 4 3 . I V . Grundrechtliche Anforderungen an die sachgerechte Zuordnung von Entscheidkompetenzen I n e n g e m Z u s a m m e n h a n g m i t d e m A n s p r u c h a u f rechtliches G e h ö r s t e h t die g r u n d r e c h t l i c h e F o r d e r u n g , daß e i n O r g a n ü b e r d i e V o r b r i n g e n des A s y l s u c h e n d e n entscheidet, welches o p t i m a l e G e w ä h r f ü r e i n e n sachgerechten u n d k o m p e t e n t e n E n t s c h e i d b i e t e t . W i e Tribe 44 f ü r das a m e r i k a n i s c h e Verfassungsrecht u n t e r d e m B e g r i f f „structural due process " h e r a u s g e a r b e i t e t h a t 4 5 , g e n ü g t es f ü r die V e r w i r k l i c h u n g d e r G r u n d r e c h t e n i c h t , daß Gesetze g r u n d r e c h t s k o n f o r m ausgestaltet s i n d ( s u b s t a n t i v e due process) u n d d e m e i n z e l n e n b e i i h n t r e f f e n d e n G r u n d rechtsbeschränkungen gewisse V e r f a h r e n s r e c h t e z u k o m m e n ( p r o c e d u r a l due process). V i e l m e h r ist g e f o r d e r t , „daß das f ü r eine Grundrechtseinschränkung zuständige Organ durch seine Zusammensetzung . . . u n d die i h m eigene Verfahrensart (bei der z. B. die Möglichkeit der direkten A n h ö r u n g Betroffener ein wesentliches Element ist) größtmögliche Gewähr für jene Individualisierung u n d Beachtung aller relevanten Gesichtspunkte bietet, die der gerade i n Frage stehende Sachbereich und Eingriff verlangt" 4 ®. F ü r das A s y l v e r f a h r e n b e d e u t e t dieses P o s t u l a t des „ s t r u c t u r a l process", daß insbesondere Entscheide, welche d i e R ü c k s c h i e b u n g A s y l s u c h e n d e n i n seinen H e r k u n f t s s t a a t z u r Folge h a b e n k ö n n e n , e i n e r B e h ö r d e g e f ä l l t w e r d e n , welche g e n ü g e n d Sachkenntnisse ü b e r 42
due des von die
I L M 1982, S. 613 ff. I L M 1982, S. 615. 44 Tribe , American Constitutional L a w , Mineola (N.Y.) 1978, S. 1137 ff.; ders. y Structural Due Process, H a r v a r d C i v i l Rights — C i v i l Liberties L a w Review 10 (1975), S. 269 ff.; ders., Perspectives on Bakke: Equal Protection, Procedural Fairness, or Structural Justice?, H a r v a r d L a w Review 92 (1979), S. 864 ff. 45 Vgl. dazu Jörg P. Müller, Grundrechtliche Anforderungen an Entscheidstrukturen, i n : G. M ü l l e r / R h i n o w / S c h m i d / W i l d h a b e r (Hrsg.), Staatsorganisation u n d Staatsfunktionen i m Wandel, FS K u r t Eichenberger zum 60. Geburtstag, Basel/Frankfurt a. M. 1982, S. 171 ff. Müller (S. 174 ff.) wendet das Modell des „structural due process" auch auf das schweizerische Verfassungsrecht an. 46 Müller (Anm. 45), S. 173. 48
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Menschenrechtssituation i n den Herkunftsländern der Antragsteller besitzt und über die notwendige Erfahrung i m Umgang mit Asylsuchenden verfügt, die immer häufiger aus Kulturkreisen m i t uns fremden Verhaltensnormen und Wertvorstellungen stammen 47 , und dementsprechend große Kommunikationsschwierigkeiten haben. Hier gew i n n t die Erkenntnis von Tribe ihre ganz besondere Bedeutung, daß die abstrakte Gesetzesregel nicht i n jedem Fall dem einzelnen optimale Gewähr für Schutz vor unkontrollierter Staatsmacht bietet, und deshalb i n erster Linie der Dialog zwischen dem Betroffenen und dem dafür sachlich, örtlich und funktionell am besten geeigneten staatlichen Organ Kennzeichen und Bedingung eines menschenwürdigen Gemeinwesens ist 4 8 . C. Die Bedeutung der Grundrechte für die einzelnen Verfahrensabschnitte I . Die Bedeutung von Rückschiebungsverbot und rechtlichem Gehör bei Asylgesuchen an der Grenze
1. Die gesetzliche Regelung Die meisten Asylsuchenden reisen (ζ. B. als Touristen) m i t gültigen Papieren i n die Schweiz ein oder überschreiten die Grenzen illegal und stellen ihr Asylgesuch erst, wenn sie sich auf schweizerischem Territor i u m befinden. Vor allem Ausländer, deren Papiere für eine rechtmäßige Einreise nicht ausreichen oder die aus einem andern Grund an der Grenze abgewiesen werden 49 , müssen gezwungenermaßen bereits gegenüber dem Grenzbeamten ihre Absicht bekunden, die Schweiz u m Gewährung politischen Asyls zu ersuchen. Diese sog. „Asylgesuche an der Grenze" 50 , welche i n Wirklichkeit nicht die Frage der Asylgewährung, sondern bloß jene der Einreise i n die Schweiz zwecks Stellung eines Asylgesuches betreffen, unterliegen folgender Regelung: Der Grenzposten kann die Einreise bewilligen, wenn der Gesuchsteller 47 Während noch anfangs der siebziger Jahre über 90 % der Asylsuchenden aus osteuropäischen Ländern stammten, sind es heute n u r noch etwa 25 % ; schriftliche A n t w o r t des Bundesrates v o m 13.12.1982 auf ein Postulat Cavad i n i v o m 20. September 1982, S. 3. 48 Vgl. M ü l l e r (Anm. 45), S. 171. 49 Gemäß A r t . 17 Abs. 1 der VollziehungsVerordnung zum Bundesgesetz über Aufenthalt u n d Niederlassung der Ausländer v o m 1. März 1949 (Systematische Rechtssammlung 142.201) sind „Ausländer, die aus persönlichen Gründen offensichtlich keine Aussicht haben, eine B e w i l l i g u n g zu erhalten", an der Grenze zurückzuweisen. 50 So die Uberschrift zu A r t . 13 Asylgesetz; vgl. dazu Kälin (Anm. 6), S. 288 ff.
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„glaubhaft macht, daß für i h n i n dem an die Schweiz grenzenden Staat eine unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit" aus Gründen seiner Rasse, Religion oder politischen Meinung besteht 51 ; bei Asylsuchenden, die m i t dem Flugzeug ankommen, gilt als „an die Schweiz grenzender Staat" auch jenes Land, aus dem Abflug nach der Schweiz erfolgt ist 52 . Hält der Grenzbeamte diese Voraussetzungen für nicht gegeben, darf er den Ausländer nicht einfach abweisen, sondern muß den Entscheid über die Einreise der für die Behandlung aller Asylgesuche erstinstanzlich zuständigen zentralen Bundesbehörde — dem Bundesamt für Polizeiwesen — unterbreiten: Diese Behörde muß die Einreise bewilligen, wenn nach ihrer Beurteilung (allenfalls i m Anschluß an zusätzliche Abklärungen) der Gesuchsteller i m an die Schweiz grenzenden Staat wegen seiner Rasse, Religion oder politischen Anschauung gefährdet erscheint oder die Möglichkeit besteht, daß er dort zur Ausreise i n den Verfolgerstaat gezwungen wird. Sie kann die Einreisebewilligung erteilen, wenn der Gesuchsteller enge Beziehungen zu Personen hat, die i n der Schweiz leben oder glaubhaft machen kann, daß er Flüchtl i n g ist und auf direktem Weg vom Verfolgerstaat an die Schweizer Grenze gelangte 58 . 2.
Rückschiebungsverbot
Leitgedanke bei der Behandlung von sog. Asylgesuchen an der Grenze ist also das Prinzip des non-refoulement: I n die Schweiz einreisen und anschließend ein Asylgesuch stellen können also Personen, die einerseits aufgrund einer ersten summarischen Prüfung Flüchtlinge sein könnten 5 4 und anderseits i m Falle der Abweisung an der Grenze zwangsläufig i n den mutmaßlichen Verfolgerstaat zurückkehren müßten. I n den übrigen Fällen werden sie zur Einreichung ihres Gesuches an die nächste Auslandsvertretung der Schweiz verwiesen 55 . Da insbesondere für Asylsuchende, welche m i t dem Flugzeug ankommen und keine M i t t e l oder Papiere besitzen, die ihnen den Weiterflug i n ein anderes Land erlauben, die Abweisung an der Grenze i m Falle eines Fehlentscheides äußerst schwerwiegende Folgen haben kann 5 6 , 51
A r t . 13 Abs. 1 l i t . b Asylgesetz. A r t . 5 Abs. 6 A s y l Verordnung v o m 12. November 1980 (Systematische Rechtssammlung 142.311). 53 A r t . 5 Abs. 1 u n d 2 Asylverordnung. 54 Da gemäß A r t . 12 Asylgesetz f ü r den materiellen Asylentscheid die Glaubhaftmachung der Verfolgung genügt, können die Anforderungen beim Entscheid über die Einreise nicht allzu hoch sein. 55 A r t . 5 Abs. 5 Asylverordnung. 58 I n solchen Fällen sind die Fluggesellschaften verpflichtet, den Passagier, der nicht i n die Schweiz einreisen konnte, auf ihre Kosten wieder an den Ausgangsflughafen zurückzufliegen. Die Pflicht zum Rücktransport ergibt 52
Das Asylverfahren i n der Schweiz
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erweisen sich verfahrensrechtliche Garantien als besonders bedeutungsvoll, welche nicht nur sicherstellen, daß der Asylsuchende sich in genügendem Umfang äußern kann, sondern auch Gewähr für einen sachgerechten Entscheid durch ein dafür kompetentes Organ bieten 57 . Dem zweitgenannten Postulat ist der Gesetzgeber m i t der Regel nachgekommen, daß der Grenzbeamte einen Ausländer, der vorbringt, er sei i m Herkunftsstaat politisch verfolgt und ersuche deshalb die Schweiz u m Gewährung von Asyl, auf keinen Fall selber abweisen darf, sondern nur entweder die Einreise erlauben kann oder aber den Fall dem Bundesamt für Polizeiwesen zum Entscheid zu unterbreiten hat. A l l e i n dieser zentralen Bundesbehörde stehen jene Spezialisten mit der nötigen Erfahrung und den erforderlichen Kenntnissen über die Verfolgungssituation i n den verschiedenen Herkunftsländern von Flüchtlingen zur Verfügung, ohne welche ein sachgerechter Entscheid i n einem derart summarischen Verfahren, wie es an der Grenze stattfindet, nicht möglich ist. Die vom schweizerischen Gesetzgeber getroffene Lösimg entspricht auch Empfehlungen des Exekutiv-Komitees für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der UNO 5 8 und des Ministerkomitees des Europarates 59 , m i t dem Entscheid über die Aufnahme oder Abweisung von Asylsuchenden an der Grenze eine der Grenzbehörde übergeordnete (zentrale) Instanz zu betrauen. 3. Rechtliches Gehör Weit weniger vermag das geltende Recht bezüglich der Verfahrensgarantien für den asylsuchenden Ausländer an der Grenze zu befriedigen. Ein Vorschlag, den Anspruch auf einen Dolmetscher und das Recht auf Anhörung durch einen Vertreter des Bundesamtes gesetzlich zu verankern, wurde i m Parlament abgelehnt 60 und das Gesetz enthält heute keine expliziten Regeln bezüglich der Verfahrensrechte von Asylsuchenden an der Grenze. Direkt aus Art. 4 BV, dessen Minimalanforderungen hier zum Tragen kommen, ergibt sich aber, daß der Grenzbeamte so zu befragen hat, daß er dem Bundesamt alle notwendigen Grundlagen für einen sachgerechten Entscheid zukommen lassen kann; dies erfordert mitunter zweifelsohne den Beizug eines Dolmetschers 61 . sich aus Anhang 9 des Abkommens über die Internationale Z i v i l l u f t f a h r t von Chicago v o m 7. Dezember 1944. 67 Vgl. die vorstehenden Ausführungen zum „structural due process" (Β. IV.). 58 Empfehlung v o m 19. Oktober 1977, U N Doc. A / A C . 96/549 bzw. 32/12/ Add. 1, S. 15. Deutsche Übersetzung i n Beitz/Wollenschläger, Handbuch des Asylrechts, Baden-Baden 1980, S. 179. 59 Empfehlung 12 (81) 16 v o m 5. November 1981, Nr. 3. 60 Amtliches B u l l e t i n Nationalrat 1978, S. 1859; Amtliches B u l l e t i n Ständerat 1979, S. 64.
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I m Lichte des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör vermag es demgegenüber nicht zu befriedigen, daß i n der Praxis Rechtsanwälten oder Vertretern von Flüchtlingshilfsorganisationen der Zugang zum Asylsuchenden, der sich beispielsweise i n der Transithalle eines Flughafens befindet, und die Anwesenheit bei der Befragung und Sachverhaltsabklärung meist nicht gestattet wird. I I . Das Verfahren im Kanton
1. Rechtliches Gehör Unabhängig von der A r t des Grenzübertrittes haben alle Asylsuchenden ihr Gesuch bei einer dafür zuständigen kantonalen Behörde — meist die kantonale Fremdenpolizei — einzureichen: Das Gesuch kann zwar schriftlich gestellt werden, doch muß der Gesuchsteller auf jeden Fall parallel dazu bei der kantonalen Behörde persönlich vorsprechen und i h r seine Ausweispapiere übergeben. Die kantonale Behörde hat den Gesuchsteller aufgrund eines vom Bundesamt für Polizeiwesen erstellten Fragekatalogs über Lebenslauf, Fluchtweg und Fluchtgründe zu befragen; nötigenfalls muß sie zu dieser Befragung einen Dolmetscher beiziehen. A l l e Akten gehen anschließend an das Bundesamt, welches über das Gesuch materiell entscheidet 62 . Rechtliches Gehör ist somit auf kantonaler Ebene weitgehend gewährleistet 68 . 2. Rechtsverweigerung Das obligatorische Vorverfahren i m Kanton dient einzig der Sachverhaltsabklärung und dem Beschaffen der Entscheidungsgrundlagen, nicht aber dem Entscheid über „offensichtlich unbegründete" Asylgesuche. Die kantonalen Behörden haben keinerlei Entscheidungsbefugnis, sondern sind verpflichtet, ausnahmslos jedes Asylgesuch unabhängig von seiner Begründung entgegenzunehmen und an das Bundesamt weiterzuleiten 64 . Weigert sich die kantonale Behörde, ein Asylgesuch ent61 Aus A r t . 5 Abs. 2 Asylverordnung ergibt sich die Pflicht der Behörden, die f ü r einen sachgerechten Entscheid notwendigen Abklärungen zu treffen („Das Bundesamt bewilligt, nötigenfalls nach zusätzlichen Abklärungen, . . . " ) . Diese E r m i t t l u n g e n sind i n der Regel n u r möglich, w e n n die Verständigung m i t dem Asylsuchenden sichergestellt ist. 62 A r t . 14—16 Asylgesetz. 63 Der Asylsuchende kann i m kantonalen Verfahren natürlich einen Rechtsanwalt beiziehen. Ob der Vertreter des Asylsuchenden an dessen persönlicher Befragung durch die kantonale Behörde teilnehmen kann, ist i m Gesetz allerdings nicht geregelt. Die Praxis der Kantone ist i n diesem P u n k t uneinheitlich. 64 So ausdrücklich der Berichterstatter der vorberatenden Kommission des Ständerates, Amtliches B u l l e t i n des Ständerates 1979, S. 64. Gleich Lieber,
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gegenzunehmen, macht sie sich einer Rechtsverweigerung schuldig und verletzt damit die verfassungsmäßige Garantie von A r t . 4 BV 6 5 . Damit ist der gesetzliche Anspruch jedes Asylsuchenden auf die verfahrensrechtlich vorgesehene Prüfung seines Antrags auf Asylgewährimg auch grundrechtlich abgesichert. 3.
Rückschiebungsverbot
Die sorgfältige Beachtung der Pflicht zur Entgegennahme aller eingereichten Asylgesuche ist überdies ein wichtiges M i t t e l zur Durchsetzung des Verbots der Rückschiebung von Flüchtlingen i n den Verfolgerstaat: Gemäß schweizerischem Recht kann nämlich der Ausländer, der keine Bewilligung für den Aufenthalt i n der Schweiz besitzt, jederzeit und ohne besonderes Verfahren zur Ausreise verhalten und nötigenfalls ausgeschafft werden; diese formlose Wegweisung darf nicht nur auf Ausländer Anwendung finden, welche sich hier illegal aufhalten, sondern auch auf Personen, die rechtmäßig eingereist sind und sich ζ. B. als Touristen während einer gewissen Frist ohne besondere behördliche Bewilligung in der Schweiz aufhalten dürfen 6®. Asylsuchende sind also i n der Regel vor formloser Wegweisung erst ab Einreichung des Asylgesuches wirksam geschützt: Von diesem Moment an steht ihnen das Recht zu, sich — unter Vorbehalt einer förmlichen Wegweisung durch die Bundesbehörden 67 — bis zur rechtskräftigen Abweisung des Asylgesuches i n der Schweiz aufzuhalten. 4. Sachgerechte
Zuordnung
der
Entscheidbefugnisse
Der Beschluß des Gesetzgebers, den kantonalen Behörden keinerlei Entscheidbefugnis einzuräumen und insbesondere nicht ein kantonales Verfahren für die Abweisung „offensichtlich unbegründeter" Asylgesuche vorzusehen, erweist sich auch hinsichtlich der grundrechtlichen Anforderungen an Entscheid verfahren als sachgerechte Lösung: Einerseits würde die Verlagerung von Entscheidkompetenzen auf die kantonale Ebene zwangsläufig zu Rechtsungleichheiten bei der A b weisung von Asylsuchenden führen, welche angesichts der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nicht tragbar wäre. Anderseits stehen den Das neue schweizerische Asylrecht (Anm. 10), S. 56; ders., Z u m aktuellen schweizerischen A s y l - u n d Auslieferungsrecht (Anm. 10), S. 21; K ä l i n (Anm. 6), S. 298. 65 Formelle Rechtsverweigerung — u n d damit eine Verletzung von A r t . 4 B V — begeht eine Behörde, welche auf eine Sache nicht eintritt, zu deren Behandlung sie zuständig u n d verpflichtet ist: Vgl. z.B. BGE 106 I a 66 E. 2, 104 I a 162 E. 2; Hangartner (Anm. 28), S. 209 f. ββ Vgl. dazu Kälin (Anm. 6), S. 295 ff. 67 A r t . 19 Asylgesetz; vgl. dazu unten I I I . 2.
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Kantonen weder die Fachleute noch die Informationen zur Verfügung, welche notwendig sind, u m Fehlentscheide — und damit Rückschiebungen von Flüchtlingen i n den Verfolgerstaat — vermeiden zu können. Schließlich darf füglich bezweifelt werden, ob offensichtlich unbegründete Asylgesuche i n einem summarischen Verfahren überhaupt i n größerem Ausmaß als solche erkannt werden können. Der schweizerische Bundesrat hat zu diesem Problemkomplex kürzlich zutreffend ausgeführt, es habe sich bei der Behandlung von Asylgesuchen durch das Bundesamt für Polizeiwesen erwiesen, „daß offensichtlich rechtsmißbräuchliche Begehren sehr selten gestellt w e r den. Ihre Begründung stellt öfters ein Konglomerat allgemeiner Lebensu n d wirtschaftlicher Schwierigkeiten dar. Dabei steht selten eindeutig fest, ob die staatlichen Machtträger i n einer dem Asylgesetz typischen Weise verfolgungsmäßig handeln oder i n legitimer Weise bloß zur Aufrechterhaltung eines geordneten gesellschaftlichen Lebens. Die entsprechenden Abklärungen der komplexen Sachverhalte erfordern ein außergewöhnlich gründliches Verarbeiten der unterschiedlichsten Informationen. Dabei geht es nicht u m Interpretationsschwierigkeiten bei der Auslegung des Gesetzes . . . , sondern u m das Beschaffen u n d Gewichten der Informationen durch einen m i t den politischen, soziologischen, religiösen u n d ethnischen Hintergründen vertrauten Sachbearbeiter. Einfache Lösungen gibt es i n der Praxis kaum. Als untaugliches M i t t e l . . . erscheint aus dieser Sicht die Verlagerung von Entscheidkompetenzen auf kantonale Behörden u n d Grenzorgane" 6 8 .
I I I . Das Verfahren vor dem Bundesamt 1. Rechtliches
Gehör
Der verfassungsmäßige Anspruch auf rechtliches Gehör ist i m Verfahren vor dem Bundesamt für Polizeiwesen, welches den materiellen Asylentscheid trifft, umfassend verwirklicht: Kernstück der gesetzlichen Regelung ist die Bestimmung, daß das Bundesamt kein Asylgesuch ablehnen darf, ohne den Gesuchsteller vorgängig persönlich zu befragen; falls der Asylsuchende zustimmt, w i r d er i m Beisein des Vertreters einer anerkannten (privaten) Flüchtlingshilfsorganisation befragt 69 . I n der Praxis findet diese Befragimg i n all jenen Fällen statt, i n denen allein auf die Akten gestützt die Asylgewährung nicht möglich wäre; das Bundesamt muß nämlich den Sachverhalt von Amtes wegen abklären, soweit er sich nicht aus den Akten der kantonalen Behörden ergibt 7 0 . Das Bundesamt zieht zur Befragung nötigenfalls einen Dolmetscher bei; 68 Schriftliche A n t w o r t des Bundesrates v o m 13.12.1982 auf eine Interpellation Soldini v o m 21. J u n i 1982, S. 4 f. 69 A r t . 16 Abs. 2 Asylgesetz. Siehe n u n aber die Ausnahmen von der Befragungspflicht gemäß A r t . 16 Abs. 5 u n d 6 Asylgesetz (Änderung v o m 16. Dezember 1983, Bundesblatt 1983 I V 561). 70 A r t . 16 Abs. 1 Asylgesetz.
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der Gesuchsteller kann sich überdies von einem Übersetzer eigener Wahl sowie von einem Rechtsanwalt oder einem Beistand 71 begleiten lassen 72 . Die Befragung w i r d durch den zuständigen Sachbearbeiter durchgeführt und kann sehr detailliert sein; i m Durchschnitt rechnen die Behörden mit einer Befragungsdauer von rund drei Stunden 73 . Dieser verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Anspruchs auf rechtliches Gehör m i t der vorgesehenen persönlichen Konfrontation zwischen Asylbewerber und zuständigem Sachbearbeiter des Bundesamtes kommt insofern große Bedeutung zu, als der Gesuchsteller seine Flüchtlingseigenschaft nicht beweisen muß; vielmehr genügt es, daß er glaubhaft macht, ein Flüchtling zu sein 74 . Dieses Glaubhaftmachen hängt von verschiedenen Faktoren wie Widerspruchslosigkeit der gemachten Angaben oder Übereinstimmung der Vorbringen m i t allgemeinen Informationen über die Verhältnisse i m Verfolgerstaat ab; ein ganz wesentliches Element stellt diesbezüglich aber ohne Zweifel die direkte Konfrontation zwischen den am Entscheidverfahren beteiligten Personen dar: Nur auf diese Weise kann jenes Maß an Individualisierung des Verfahrens gewonnen werden, welches eine einzelfallbezogene und genügend differenzierte Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Gesuchstellers erst erlaubt. Insbesondere die gesetzlich vorgesehene Anwesenheit eines Vertreters der privaten Flüchtlingshilfswerke und das Recht des Asylbewerbers, sich von einem Beistand oder Dolmetscher eigener Wahl begleiten zu lassen, sind geeignete Vorkehren, um bei der Befragung ein K l i m a herzustellen, welches die notwendige Kommunikation erleichtert. 2.
Rückschiebungsverbot
Da die Abweisung des Asylgesuches letztlich die Rückschiebung des Asylbewerbers i n den Herkunftsstaat nach sich ziehen kann 7 5 , kommt hier der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eine wichtige Funktion für die Durchsetzimg des Verbots der Rückschiebung von Flüchtlingen in den Verfolgerstaat zu. 71 Das Recht auf Vertretung u n d Verbeiständung ergibt sich aus A r t . 11 Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren v o m 20. Dezember 1968. Das Bundesamt f ü r Polizeiwesen macht die Asylsuchenden i n der schriftlichen Vorladung zur Einvernahme ausdrücklich auf dieses Recht aufmerksam. 72 A r t . 16 Abs. 3 Asylgesetz. 73 Schweizerische Asylpraxis überfordert?, Neue Zürcher Zeitimg, 11.2.1983, S. 33. 74 A r t . 12 Asylgesetz. 75 Ausländer, deren Asylgesuch rechtskräftig abgewiesen wurde, unterstehen den f ü r Ausländer allgemein geltenden fremdenpolizeilichen Vorschriften u n d können deshalb aus der Schweiz weggewiesen u n d aus- bzw. heimgeschafft werden.
12 Grundrechtsschutz
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Das Rückschiebungs-Verbot spielt i m Verfahren vor dem Bundesamt für Polizeiwesen überdies eine wichtige Rolle i m Zusammenhang m i t der Frage, unter welchen Voraussetzungen Asylbewerber bereits vor der rechtskräftigen Ablehnimg des Gesuches aus der Schweiz weggewiesen werden können. A n sich hat der Asylsuchende wie bereits erwähnt das Recht, sich bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens i n der Schweiz aufzuhalten. Ausnahmsweise kann i h n aber das Bundesamt bereits vorher wegweisen, wenn i h m die Weiterreise i n einen Drittstaat möglich und zumutbar ist, i n welchem er sich vor der Einreise i n die Schweiz einige Zeit aufgehalten hat 7 6 . Diese förmliche Wegweisung während des Asylverfahrens darf also nur erfolgen, wenn der Gesuchsteller sich i n einen andern als den Verfolgerstaat begeben kann und wenn i h m dies zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit entfällt auf jeden Fall, wenn zu befürchten ist, der Asylsuchende werde i m Drittstaat ebenfalls Verfolgung ausgesetzt sein oder von dort i n seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden. Da das Gesetz die Wegweisung während des Asylverfahrens nur i n einen Drittstaat erlaubt, darf der Gesuchsteller vor Abschluß des Verfahrens auch dann nicht i n den Herkunftsstaat zurückgeschoben werden, wenn seine Beschwerde offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat 7 7 . 4. Rechtsgleichheit Eine i n der schweizerischen Dogmatik wenig erkannte Rolle spielt beim Asylentscheid das i n A r t . 4 B V verankerte Gebot der Rechtsgleichheit: Es gebietet m. E. die Anwendung einheitlicher Entscheidkriterien auf alle Asylbewerber ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer mutmaßlichen Integrationsfähigkeit und der politischen Ausrichtung des angeblichen Verfolgerstaates 78 . Unabhängig von diesen Elementen ist m i t gleichartigem Maßstab bei jedem Gesuch allein zu prüfen, ob der Asylsuchende glaubhaft machen kann, daß ihm i m Herkunftsstaat asylrechtlich relevante Menschenrechtsverletzungen 79 drohen.
I V . Schlußfolgerungen
I n grundrechtlicher Hinsicht vermag die gesetzliche Ausgestaltung des schweizerischen Asylverfahrens weitgehend zu befriedigen 80 . Sie hat sich 78
A r t . 19 Abs. 1 zweiter Satz u n d Abs. 2 Asylgesetz. Vgl. zum Ganzen Kälin (Anm. 6), S. 300 ff. 78 Hier berühren sich die staatspolitischen M a x i m e n der Asylgewährung u n d der politischen Neutralität; vgl. vorne A I I . 79 Vgl. dazu vorne A I . 80 Vgl. aber die K r i t i k vorne C I. 3. betreffend das Verfahren an der Grenze. 77
Das Asylverfahren i n der Schweiz
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auch i n p r a k t i s c h e r H i n s i c h t b e w ä h r t , w e n n m a n i n B e t r a c h t zieht, daß die A n e r k e n n u n g s q u o t e zwischen 70 u n d 80 °/o b e t r ä g t 8 1 , o b w o h l die Z a h l d e r j ä h r l i c h e i n g e r e i c h t e n Asylgesuche auch i n d e r Schweiz i n d e n v e r gangenen J a h r e n ganz b e t r ä c h t l i c h gestiegen i s t 8 2 .
81 A n t w o r t des Bundesrates auf eine Interpellation Soldini (Anm. 68), S. 4: „Die Ablehnungsquote betrug i n den siebziger Jahren 10 bis 20 % u n d stieg angesichts der zunehmend unbegründet gestellten Gesuche i n den letzten Jahren an." Von den 853 Asylsuchenden, die 1976 ein Gesuch gestellt hatten, erhielten 701 (d.h. 82.2 %) Asyl. 1979 betrug die Z a h l der Gesuchsteller 1889; 1470 von ihnen (77.8 %) w u r d e n anerkannt. 1982 reichten 7135 Personen ein Asylgesuch ein. Die meisten dieser Gesuche sind noch hängig. 1982 w u r d e n aber 2656 Entscheide gefällt; davon waren 1907, d. h. 71.8 % positiv u n d 749, d. h. 28.2 % negativ. 82 Die Zahlen der Gesuchsteller lauten: 1976: 853 Personen; 1977: 1085 Personen; 1978: 1389 Personen; 1979: 1889 Personen; 1980: 3020 Personen; 1981: 4226 Personen; 1982: 7135 Personen. Diese Zahlen u n d die Z a h l der Anerkennungen gewinnen an Aussagekraft, w e n n man sie i n Beziehung zur Gesamtbevölkerung der Schweiz von 6,36 M i o (Bundesrepublik Deutschland: 61,71 Mio) setzt u n d den A n t e i l der Ausländer an der schweizerischen Wohnbevölkerung von r u n d 14 % (Bundesrepublik Deutschland: 7,6 %) i n Betracht zieht (Angaben aus Fischer Welt Almanach '83, F r a n k f u r t a. M . 1982, Spalte 269 und 458).
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I I . Internationaler Menschenrechtsschutz
Begrenzungen des Unterscheidungsverbotes nach Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention 4' Von Michael Sachs
Thesen 1. Die Begrenzung des Unterscheidungsverbotes auf die Gewährleistung des Genusses der Rechte und Freiheiten der Konvention schließt nach ständiger Praxis der Konventionsorgane eine selbständige Bedeutung des V e r botes nicht aus; diese soll sich namentlich bei der Ausgestaltung u n d bei der Einschränkung der Konventionsrechte zeigen. 2. Entgegen der überwiegenden Praxis der Konventionsorgane u n d der h e r r schenden Meinung richtet sich A r t . 14 E M R K n u r gegen Unterscheidungen anhand der aufgezählten Kriterien sowie anderer Merkmale, die i n v e r gleichbarer Weise Anlaß zur Versagung des gleichen Menschenrechtsschutzes gegeben haben oder geben. 3. Eine immanente Begrenzung des Unterscheidungsverbotes auf Fälle von Willkür ist entgegen der Praxis der Konventionsorgane u n d der herrschenden Meinung nicht anzuerkennen. Der M i ß b i l l i g u n g der von A r t . 14 E M R K erfaßten Merkmale durch die Konvention ist durch ein striktes Verwendungsverbot Rechnung zu tragen. 4. Die nach A r t . 15 uneingeschränkt zulässige Derogation des A r t . 14 w i r k t auch im Bereich derogationsfeindlicher Rechte; der nicht selbst derogierte A r t . 14 ist auch im Bereich derogierter Rechte zu beachten. 5. A r t . 14 gilt auch im Bereich von Vorbehalten nach A r t . 64 m i t Bezug auf andere Konventionsrechte. E i n Vorbehalt bezüglich des Art. 14 selbst erfordert jedenfalls heute die ausdrückliche Einbeziehung dieser Bestimmung. 6. Unterscheidungen anhand politischer Anschauungen sind weder durch Art. 17 noch durch die Schranken der Art. 9 bis 11 gedeckt. Nach diesen Regeln zulässige Maßnahmen sind an Art. 14 zu messen. 7. Unterscheidungen anhand des Geschlechtes sind nicht deshalb zulässig, w e i l sie zur Entstehungszeit der Konvention als zulässig angesehen w u r den. Auch Art. 12 läßt keine Unterscheidungen nach dem Geschlecht zu. 8. Unterscheidungen zwischen Inländern u n d Ausländern
sind zulässig
— nach Maßgabe des Art. 16 i m Bereich politischer Betätigung, lich des Wahlrechts nach Art. 3 des Zusatzprotokolls;
einschließ-
• Unverändertes Manuskript des leicht gekürzt gehaltenen Vortrags auf das M i n i m u m begrenzten Anmerkungen.
mit
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Michael Sachs
— nach Art. 3 Abs. 1 u n d Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 i n bezug auf Einzelausweisungen u n d die Einreisefreiheit; — nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 des Zusatzprotokolls (bei entsprechender Auslegung) f ü r die Enteignungsentschädigung; — i m Bereich von Dienstleistungen militärischen Charakters i m Sinne von Art. 4 Abs. 3 lit. b). 9. Eine Geringfügigkeitsgrenze kennen.
für Ungleichbehandlungen ist nicht anzuer-
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Thesen haben Ihnen schon gezeigt, daß ich das gestellte Thema i n einem umfassenden Sinne verstehe. Ich gehe i n meinem Referat von einem gedachten, i n jeder Hinsicht umfassenden Unterscheidungsverbot aus. Von daher sehe ich alle für A r t . 14 i n Frage kommenden engeren Inhalte als Begrenzungen an, auch wenn sie sich — nach einer von den Freiheitsrechten her vertrauten Betrachtungsweise — eher als Inhaltsbestimmungen des Rechts denn als seine Schranken darstellen. Ich w i l l damit diese dogmatischen Grundbegriffe nicht für die Unterscheidungsverbote ablehnen; vielmehr dient mein Ansatz nur dazu, die von Art. 14 verbotenen Ungleichbehandlungen ganz umfassend von den zulässigen Fällen abzugrenzen. Ausgeklammert habe ich die Frage, ob dem Unterscheidungsverbot des A r t . 14 auch der Inhalt eines Unterscheidungsgebots beigemessen werden kann. Ein solches Verständnis, dessen Begründung einer besonderen Untersuchung bedürfte, würde den A r t . 14 nicht begrenzen, sondern u m einen Anwendungsbereich erweitern. Damit möchte ich mich der Begründung meiner Thesen i m einzelnen zuwenden. Zu These 1: Der Anwendungsbereich des Unterscheidungsverbots nach A r t . 14 ist auf die Gewährleistung des Genusses der Rechte und Freiheiten der Konvention beschränkt. Erfaßt werden darüber hinaus die Rechtsgewährleistungen des Zusatzprotokolls sowie des Protokolls Nr. 4, die den Konventionsrechten gleichgestellt sind. Diese Bestimmung des Anwendungsbereichs hat zu der Auffassung geführt, A r t . 14 könne nur i m Falle einer ohnehin gegebenen Rechtsverletzung als weiteres Recht beeinträchtigt sein 1 ; dies hätte der Vor1 Vgl. Marc André Eissen , L/ „autonomie" de l'article 14 de la convention européenne des droits de l'homme dans la jurisprudence de la commission, i n : Mélanges offerts à Polys Modinos, Paris 1968, S. 122 ff.
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schrift die selbständige Bedeutung genommen und sie als überflüssig und wirkungslos erscheinen lassen. U m das zu vermeiden, haben sowohl die Kommission als auch der Gerichtshof einer anderen Auslegung den Vorzug gegeben, die den Art. 14 immer dann eingreifen läßt, wenn der Bereich eines konventionsgeschützten Rechts überhaupt berührt wird, auch ohne daß dieses Recht als solches verletzt ist 2 . Die Bedeutimg dieser Auffassung i m einzelnen ist bis heute nicht abschließend geklärt 3 . Die wichtigsten Anwendungsfälle sollen sich auf die Handhabung von Einschränkungen vorgesehener Rechte sowie auf Regelungen i m Rahmen ausgestaltungsbedürftiger Menschenrechtsbereiche beziehen. Die hierzu angeführten Beispiele lassen das Gemeinte anschaulicher werden: Eine nach Art. 14 verbotene Unterscheidung soll es sein, wenn störendes nächtliches Glockengeläut i m Rahmen der Schranken der Religionsfreiheit, aber nur bei einer bestimmten Konfession unterbunden w i r d ; eine diskriminierende Ausgestaltung des Rechtsschutzes soll es darstellen, wenn ein von der Konvention nicht vorgeschriebener Instanzenzug eingerichtet wird, aber für einen nach A r t . 14 gegen Unterscheidungen geschützten Personenkreis verschlossen bleibt. Trotz der von Anfang an i n Kommission und Gerichtshof erhobenen Einwände, die zumal der Richter Fitzmaurice 4 stets aufrechterhalten hat, hat sich dieses Verständnis des A r t . 14 heute durchgesetzt und soll auch hier zugrundegelegt werden. Der ausschließliche Bezug des Unterscheidungsverbotes auf die sonstigen geschützten Rechte w i r k t sich auch auf die Bestimmimg der Adressaten des Verbotes aus. N u r die durch die Konventionsrechte i m übrigen verpflichteten Stellen werden von dem Unterscheidungsverbot erfaßt. Dessen Geltung gegenüber Privatpersonen insbesondere hängt damit von der D r i t t w i r k i m g der anderen Konventionsrechte ab, ist also eine Funktion dieser übergreifenden Problematik. Diese kann ich u m so leichter aussparen, als das anschließende Referat gerade diesem Fragenkreis gewidmet ist. 2 Gerichtshof: Pubi. Ser. A , Vol. 6 [Case „Relating to Certain Aspects of the Laws on the Use of Languages i n Education i n Belgium", (Merits), 1968], S. 33; Kommission: Bericht zum F a l l Grandrath, YBEConvHR 10, S. 630 (678). 3 Siehe zuletzt Franz Matscher, Betrachtungen über das Diskriminierungsverbot (Art. 14 E M R K ) nach der neueren Praxis der Straßburger Instanzen, i n : A u f dem Weg zur Menschenwürde u n d Gerechtigkeit, FS f ü r Hans R. Klecatsky, dargeboten von L u d w i g Adamovich/Peter Pernthaler, 2. Teilband, Wien 1980, S. 627 ff. 4 Siehe die Sondervoten Pubi. Ser. A , Vol. 19, National Union of Belgian Police Case, 1975, S. 30 (37 ff.); ferner i m F a l l Marckx, Pubi. Ser. A , Vol. 31, 1979, S. 5 (49 ff.).
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Zu These 2: Inhaltliche Begrenzungen des Unterscheidungsverbotes werden i n der Praxis der Konventionsorgane meist ausgeschlossen. Der Gerichtshof formuliert dies dahin, daß A r t . 14 vor jeder Diskriminierung i m Genuß der Rechte schütze 5 ; dies wurde auch von der Kommission übernommen·. Weniger apodiktisch heißt es auch, die Merkmale des Art. 14 seien nur beispielhaft und nicht erschöpfend aufgezählt 7 . Dem entspricht die ganz überwiegende Auffassung i m Schrifttum 8 . Schon nach dem Wortlaut des Art. 14 kann in der Tat eine Begrenzung verbotener Unterscheidungsmerkmale auf die i m Katalog genannten ausgeschlossen werden; die grenzenlose Erweiterung des Katalogs ist damit freilich noch nicht begründet. M i r scheint i m Gegenteil eine enge Begrenzung der Erweiterungen geboten. Ansätze dazu finden sich i m Urteil des Gerichtshofs i m Fall Kjeldsen, Busk Madsen und Petersen, das nur Unterscheidungen für verboten erklärte, die auf einem persönlichen Merkmal, durch das Personen oder Personengruppen voneinander zu unterscheiden seien, beruhen 9 . Die Kommissionstätigkeit enthält sogar vielfache Hinweise auf eine engere Eingrenzung der durch A r t . 14 ausgeschlossenen Unterscheidungen 10 . Die Begrenzung auf persönliche Merkmale bedeutet eine erste Einschränkung der Erweiterungsmöglichkeiten des Katalogs, die den beispielhaften Charakter der aufgezählten Merkmale, der dieser Aufzählung überhaupt einen Sinn verleiht, ernst nimmt. Sie entspricht dem Ziel des Diskriminierungsverbotes, jedem Menschen ohne Unterschied den Genuß der Menschenrechte zu sichern, wie es zumal i n Art. 2 Nr. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem Vorbild des Art. 14, unmißverständlich formuliert ist. 6 Pubi. Ser. A , Vol. 19 (Anm. 4), S. 19; Vol. 30, The Sunday Times Case, 1979, S. 43. 6 YBEÇonvHR 19, S. 276 (286); ähnlich Dec. Rep. 9, S. 50 (52 f.). 7 Pubi. Ser. A , Vol. 22, Case of Engel and others, 1977, S. 30; Bericht i m F a l l Engel, Pubi. Ser. B, Vol. 20, S. 74. 8 Vgl. etwa Karl Josef Partsch, Die Rechte u n d Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention, B e r l i n 1966, S. 91; Heinz Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, B e r l i n / F r a n k f u r t a. M. 1968, A r t . 14 A n m . 1; Karel Vasak, L a Convention Européenne des Droits de l'Homme, Paris 1964, S. 74; W.A. McKean, The Meaning of Discrimination i n International and M u n i c i p a l L a w , B Y I L 1970, S. 177 (185) zu u n d i n A n m . 3; Wilhelm Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung i m Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. 1 : Der Begriff der Diskriminierung, F r a n k f u r t a. M. 1972, S. 144 A n m . 316. 9 Pubi. Ser. A , Vol. 23, 1976, S. 29. 10 Coll. Dec. 31, S. 120 (122); YBEÇonvHR 16, S. 124 (152); auch Coll. Dec. 34, S. 48 (60); Dec. Rep. 1, S. 60 (61); 9, S. 13, 16 (21); E.H.R.R. 4 (1982), S. 106 (122).
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Weitergehenden Einschränkungen anhand der beispielgebenden K r a f t der Katalogmerkmale steht auf den ersten Blick das Merkmal des „sonstigen Status" (englisch: „other status", französisch: „toute autre situation") entgegen. Der Gerichtshof mißt i h m die Bedeutung von persönliches Merkmal schlechthin zu 11 , während es i m Schrifttum durchweg als Generalklausel aufgefaßt wird 1 2 . Dieses Verständnis verträgt sich aber nicht m i t der Offenheit des Katalogs. Denn jede denkbare Erweiterung müßte stets schon von der Generalklausel erfaßt sein. Die Entstehungsgeschichte der Konvention selbst hilft nicht weiter. Doch findet sich dieselbe Formulierung schon i n dem gleichfalls offenen Katalog des A r t . 2 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der bis auf die Zufügung eines Merkmals unverändert i n A r t . 14 übernommen wurde. Es erscheint daher berechtigt, die Vorarbeiten zu dieser Erklärung zu berücksichtigen. Aus diesen ergibt sich, daß der Begriff „sonstiger Status" i n Parallele zu den Begriffen „property status" und „ b i r t h " zu sehen ist 18 . Er meint daher die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schichtung, einer „Klasse", ähnlich dem durch Besitz oder Geburt vermittelten „Stand". M i t diesem begrenzten Sinngehalt fügt sich der Begriff sinnvoll i n die nicht abschließende A u f zählung persönlicher Merkmale ein. Andererseits kann nun nach weiteren, engeren Gemeinsamkeiten aller Katalogmerkmale gesucht werden. A n Versuchen hierzu fehlt es nicht: Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe 14 ist kaum unterscheidungskräftiger. Die fehlende Möglichkeit der Beeinflussung 15 t r i f f t nicht auf alle Merkmale zu, denken Sie nur an 11
(Anm. 9). Siehe etwa Heinz Guradze, Der Stand der Menschenrechte i m V ö l k e r recht, Göttingen 1956, S. 222; Francis G. Jacobs, The European Convention on H u m a n Rights, O x f o r d 1975, S. 193; Phedon Vegleris, L e principe d'égalité dans la Déclaration Universelle et la Convention Européenne des Droits de l'Homme, i n : Miscellanea W. J. Ganshof van der Meersch, Bd. 1, Bruxelles 1972, S. 565 (567); w o h l ebenso Partsch (Anm. 8), S. 92 zu u n d i n A n m . 302. 18 Siehe dazu Egbert Willem Vier dag, The Concept of Discrimination i n International L a w , (Diss. Amsterdam) Den Haag 1973, S. 96 f., 102 ff.; Albert Verdoodt, Naissance et signification de la Déclaration Universelle des Droits de l'Homme, L o u v a i n 1964, S. 88 ff.; Marc Bossuyt, L ' I n t e r d i c t i o n de la Discrimination dans le Droit International des Droits de l'Homme, (Diss. Genf) Bruxelles 1976, S. 46; Felix Ermacora, Diskriminierungsschutz u n d D i s k r i m i nierungsverbot i n der A r b e i t der Vereinten Nationen, W i e n / S t u t t g a r t 1971, S. 44 ff. 14 Vgl. Max Serensen, The Quest for Equality, International Conciliation Nr. 507, März 1956, S. 290 (293); kritisch Vierdag (Anm. 13), S. 52. 15 Ermacora (Anm. 13), S. 9; siehe auch Racial Discrimination, Study by Hernan Santa Cruz, Special Rapporteur of the Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Revised and Updated Version, U N New Y o r k 1976, S. 24. 12
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Religion oder politische oder sonstige Anschauungen, geht andererseits zu weit: Eigenschaften wie Minderjährigkeit, Geisteskrankheit oder die persönlichen Fähigkeiten überhaupt sollen nicht für unbeachtlich erklärt werden. Schließlich lassen sich die Merkmale auch nicht dahin kennzeichnen, daß sie unter keinem rationalen Gesichtspunkt als Unterscheidungskriterien sachlich gerechtfertigt werden können 16 . Danach wäre jede einzelne Unterscheidung nach den erfaßten Merkmalen sachlich nicht zu begründen, willkürlich, und würde auch einem allgemeinen W i l l k ü r verbot unterfallen: Die Kommissionsorgane haben aber wiederholt Unterscheidungen nach den Merkmalen des A r t . 14 als i m Einzelfall nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt gebilligt; das ganze anschließend zu erörternde Verständnis des Art. 14 als Willkürverbot beruht gerade auf dieser Möglichkeit. Ich meine, daß die für die Aufnahme i n den Katalog maßgebliche Gemeinsamkeit der genannten Merkmale darin liegt, daß sie i n der Vergangenheit i n besonderem Maße Anlaß gegeben haben, den gleichen Menschenrechtsanspruch zu versagen, bestimmte Kategorien von Menschen zu deklassieren, und daß sie dies — i n unterschiedlichem Maße — noch heute tun. Die Merkmale bringen die Diskriminierungserfahrungen von Jahrhunderten ebenso wie die der jüngsten Vergangenheit (vor 1950) auf einen Punkt. Die Offenheit des Katalogs ermöglicht die Einbeziehung übersehener, noch nicht erkannter oder neu entstandener Fälle vergleichbarer A r t . Beispiele für solche Erweiterungen sind einmal die Eigenschaft des Ausländers, deren Erfassung durch A r t . 14 die Konvention ausweislich des A r t . 16 voraussetzt, zum anderen die nicht-eheliche Geburt, die der Gerichtshof freilich unter das entstehungsgeschichtlich anders zu deutende Merkmal der Geburt subsumiert 17 : Beide Merkmale können auf eine lange Geschichte der Diskriminierung, die ich hier nicht auszubreiten habe, zurückblicken. Die Bedeutung dieser Begrenzung der verbotenen Merkmale zeigt sich i m Zusammenhang m i t der anschließend zu begründenden These 3: Erst diese Begrenzung erlaubt es, das Unterscheidungsverbot des A r t . 14 16 Jost Delbrück, A r t . : Diskriminierung, i n : Handbuch Vereinte Nationen, München 1977, S. 76; ähnlich ders., Die Konvention der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder F o r m der D i s k r i m i n i e r u n g der F r a u von 1979 i m K o n t e x t der Bemühungen u m einen völkerrechtlichen Schutz der Menschenrechte, i n : Staatsrecht — Völkerrecht — Europarecht, FS f ü r Hans-Jürgen Schlochauer zum 75. Geburtstag am 25. März 1981, hrsg. von Ingo von Münch, B e r l i n / N e w Y o r k 1981, S. 247 (264) i m Anschluß an Ermacora (Anm. 13), S. 233. 17 Pubi. Ser. A , Vol. 31, Marckx Case, 1979, S. 5 (16).
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strikt durchzuführen und seiner Verwässerung zu einem bloßen W i l l kürverbot eine Absage zu erteilen 18 . Z u These 3: Anknüpfend an Auslegungsansätze der Kommission, zumal i m Bericht zum Fall Grandrath, formulierte der Gerichtshof sein Verständnis des A r t . 14 i n der Grundsatzentschiedung zum Belgischen Sprachenfall wie folgt: „Trotz des sehr allgemeinen Wortlauts seiner französischen Fassung (,sans distinction aucune') untersagt A r t . 14 nicht jede unterschiedliche Behandl u n g i n der Ausübung der anerkannten Rechte u n d Freiheiten. Die Fassung muß i m Lichte des engeren Textes der englischen Fassung (»without discrimination 4 ) gelesen werden. Darüber hinaus würde m a n zu absurden Ergebnissen gelangen, wollte man A r t . 14 so w e i t auslegen, w i e dies die französische Fassung anzudeuten scheint. M a n hätte dann als der Konvent i o n widersprechend jede der zahlreichen Gesetzes- oder Verordnungsbestimmungen zu beurteilen, die nicht für alle Personen eine vollständige Gleichbehandlung i n der Ausübung der anerkannten Rechte u n d Freiheiten sicherstellen. Die zuständigen innerstaatlichen Behörden sehen sich aber häufig vor Situationen oder Probleme gestellt, deren Verschiedenartigkeit unterschiedliche rechtliche Lösungen verlangt; bestimmte rechtliche U n gleichheiten zielen i m übrigen n u r darauf ab, tatsächliche Ungleichheiten zu beheben. Der obengenannten weiten Auslegung k a n n m i t h i n nicht gefolgt werden. Entscheidend ist also, die K r i t e r i e n festzustellen, nach denen sich bestimmen läßt, ob eine gegebene unterschiedliche Behandlung, natürlich i n Bezug auf die Ausübung eines der anerkannten Rechte u n d Freiheiten, dem A r t . 14 zuwiderläuft oder nicht. Hierzu hält der Gerichtshof fest — u n d er folgt insoweit den Grundsätzen, die sich aus der Rechtsprechung einer großen Anzahl demokratischer Staaten ableiten lassen —, daß der G r u n d satz der Gleichbehandlung verletzt ist, w e n n die Unterscheidung keinen objektiven u n d angemessenen Rechtfertigungsgrund hat. Das Bestehen eines solchen Rechtfertigungsgrundes ist zu beurteilen i m Verhältnis zu Ziel u n d Wirkungen der zu prüfenden Maßnahmen, wobei Bedacht zu nehmen ist auf die Grundsätze, die allgemein i n den demokratischen Gesellschaften Vorrang haben. Eine unterschiedliche Behandlung i n der Ausübung eines von der Konvention garantierten Rechtes muß nicht n u r einem rechtmäßigen Ziel dienen: A r t . 14 ist auch dann verletzt, w e n n eindeutig feststeht, daß zwischen den eingesetzten M i t t e l n u n d dem angestrebten Z i e l k e i n angemessenes Verhältnis besteht 1 9 ."
A n diesen Grundsätzen, deren nähere Ausgestaltung der Gerichtshof später durch die Einführung des Kriteriums der Vergleichbarkeit we18 Den gesamten i n den Thesen 2 u n d 3 angesprochenen Problembereich habe ich unter dem T i t e l : A r t . 14 E M R K : Allgemeines W i l l k ü r v e r b o t oder striktes Unterscheidungsverbot?, ÖZöRV 34 (1984), S. 333 ff., eingehend behandelt. 19 (Anm. 2), S. 34 f., wiedergegeben i n der deutschen Ubersetzung i n : E n t scheidungen des Europäischen Gerichtshofs f ü r Menschenrechte, hrsg. von Heribert Golsong/Herbert Petzold/Hans Peter Furrer, Bd. 2, K ö l n / B e r l i n / Bonn/München 1972, S. 1 (30 f.).
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sentlich verbesserte, hat der Gerichtshof seither ständig festgehalten; auch die Kommission legt sie ihrer Tätigkeit meist zugrunde und das Schrifttum stimmt i m Grundsatz gleichfalls fast allgemein zu. Eine nähere Untersuchung der zitierten Begründung des Gerichtshofs zeigt, daß diese weitreichende Übereinstimmung auf recht schwachen Füßen steht: Schon der Ansatz des Gerichtshofs, das englische „discrimination" sei enger zu verstehen als das französische „distinction" ist nicht zweifelsfrei. Der Sprachgebrauch internationaler Abkommen aus dem Menschenrechtsbereich ist durchaus uneinheitlich. Nach Kewenig w i r d „ i n der Völkerrechtspraxis . . . deshalb auch heute überwiegend der Wortwahl keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zugemessen" 20 . Zwei neuere Monographien von Vierdag 21 und Bossuyt 22 gelangen allerdings zum gegenteiligen Ergebnis. Die engere Bedeutung, die der Gerichtshof dem Begriff „discrimination" beimißt, ergibt sich nach dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe daraus, daß eine Diskriminierung eine Unterscheidung ohne sachliche Rechtfertigung ist. Tatsächlich kann nicht geleugnet werden, daß der aus dem Amerikanischen ins Völkerrecht übergegangene Begriff ein solches Element mitbeinhaltet. Entscheidend ist aber der Bezug dieses Elements: Während der Gerichtshof die fehlende Rechtfertigung der Unterscheidung wie selbstverständlich bei dem jeweiligen Einzelfall sucht, ist es ebenso möglich, die fehlende Rechtfertigung auf die Unterscheidungsmerkmale des A r t . 14 überhaupt zu beziehen. Schon Jaenicke hat 1940 dieser Bezugsmöglichkeit den Vorzug gegeben 28 , und ebenso macht es heute Ermacora, der zugleich das Vorgehen des Gerichtshofs heftig kritisiert 2 4 : Nicht ein bloßes Willkürverbot, sondern ein striktes Unterscheidungsverbot ist die Folge dieser nach dem Gesagten jedenfalls auch möglichen Auslegung. Der Gerichtshof erhebt ferner den Vorwurf absurder Ergebnisse — doch gegen wen richtet sich dieser Vorwurf? Doch nur gegen eine vom Gerichtshof selbst i n wenig glaubhafter Weise aufgebaute Attrappe einer Auslegung des A r t . 14 i m Sinne vollständiger Gleichbehandlung für alle Prsonen, die die Berücksichtigung unterschiedlicher Umstände 20
(Anm. 8), S. 141; auch Partsch (Anm. 8), S. 93 Anm. 303. (Anm. 13), S. 60 ff. 22 (Anm. 13), S. 7 ff., 97 ff. 23 Günther Jaenicke, Der Begriff der Diskriminierung i m modernen V ö l kerrecht, B e r l i n 1940, S. 60 f. 24 (Anm. 13), S. 233 f. 21
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nicht erlaubt. Ernsthafte Alternativen zu seinem Willkürverständnis zieht der Gerichtshof nicht i n Erwägung. Dies w i r d besonders dadurch deutlich, daß sich der Gerichtshof bei seiner Berufung auf die Grundsätze der Rechtsprechung vieler demokratischer Staaten gerade auf Grundsätze beruft, die zum allgemeinen Gleichheitssatz entwickelt wurden. Besondere Gleichheitssätze, Unterscheidungsverbote, wie den Art. 3 Abs. 3 GG, ließ der Gerichtshof dagegen unberücksichtigt. Dabei hatte die Kommission die Parallelität dieser Bestimmung zu A r t . 14 der Konvention schon ausdrücklich hervorgehoben 25 . Für diese Vorschriften hätte die innerstaatliche Gerichtspraxis jedenfalls ein anderes B i l d abgegeben. I m Rahmen des Art. 3 Abs. 3 GG etwa genügt es keinesfalls, wenn eine Unterscheidimg eine sachliche und vernünftige Rechtfertigung hat 2 6 . Auch i n der Schweiz stellt man strengere Anforderungen bei besonderen Gleichheitssätzen 27 . I n den Vereinigten Staaten von Amerika ist es sogar umgekehrt so, daß aus allgemeinen Gleichheitsprinzipien einzelne strikte Unterscheidungsverbote herausgearbeitet wurden 2 8 . Nach alledem kann die Begründung des Gerichtshofs für die Auslegung als Willkürverbot nicht überzeugen. Dagegen ermöglicht die i n These 2 entwickelte Begrenzung der verbotenen Merkmale eine Auslegung i m Sinne eines strikten Unterscheidungsverbotes 29 . Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut des A r t . 14 am besten. Sie deckt sich zudem mit der i m Schrifttum für völkerrechtliche Diskriminierungsverbote i m allgemeinen bestehenden Auffassung, daß begrenzte Verbote dieser A r t strikt zu verstehen seien 80 . Anstelle 25 Entscheidung v o m 17. 3.1958 über Gesuch Nr. 302/57, zit. nach Hans Wiebringhaus, Die Rom-Konvention f ü r Menschenrechte i n der Praxis der Straßburger Menschenrechtskommission, Saarbrücken 1959, A r t . 14 A n m . I I I ; Coli. Dec. 24, S. 47 (49). 26 Vgl. n u r BVerfGE 3, 225 (239 ff.); 5, 9 (12); 6, 389 (423); 10, 59 (74); 15, 337 (343); 21, 329 (343); 31, 1 (4 f.); 37, 217 (249 f.); 39, 169 (185); 43, 213 (225); 48, 327 (337); 52, 369 (374 ff.); 57, 335 (342 f.) m i t A n m . Michael Sachs, JZ 1981, S. 624 f. zum M e r k m a l Geschlecht; i m übrigen etwa BVerfGE 3, 225 (240); 7, 155 (170f.); bedenklich 59, 128 (160); ferner 9, 124 (128); 23, 98 (107); 44, 124 (143). 27 Vgl. zur Geschlechtsdiskriminierung SchwBG, EuGRZ 1982, S. 348 (349) sowie etwa Christine Lenzen, Die Stellung der F r a u i m Schweizerischen Recht, i n : L u t z Frauendorfer (Hrsg.), Die Stellung der F r a u i m sozialen Rechtsstaat, Referate auf der 22. Tagung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung „öffentliches Recht" i n Tübingen v o m 22. bis 26. Februar 1982, Tübingen 1982, S. 116 (117); zur gegenteiligen Rechtsprechung i n Österreich die K r i t i k von Maria Berger, Die Gleichberechtigung von M a n n u n d Frau i m österreichischen Recht, ebd., S. 87 (106 ff.). 28 Siehe n u r Laurence H. Tribe, American Constitutional L a w , Mineola (N.Y.) 1978, S. 1000 ff., 1052 ff. 29 So namentlich schon Kewenig (Anm. 8), S. 63 f.
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halbherziger Rücksichtnahme auf die aufgezählten Merkmale durch Vermutungen oder Argumentationslastumkehr 3 1 trägt diese Auffassung dem normativen Charakter des Merkmalkatalogs i m vollen Umfang Rechnung. Gegenüber dem Vorwurf absurder Ergebnisse einer solchen Deutung wäre eine eingehende Darlegung der Bedeutung und der Begrenzungen eines strikten Unterscheidungsverbots überhaupt notwendig, die hier nicht möglich ist. Kewenig verweist insoweit m i t Recht auf die innerstaatliche Gerichtspraxis zu derartigen Verboten 32 . Ergänzend w i l l ich nur einige der vermeintlich absurden Ergebnisse nennen: Ist es wirklich absurd, eine Postüberwachung gegenüber Ausländern bestimmter Nationalität schlechthin auch dann auszuschließen, wenn sie auf Gründe der Spionageabwehr gestützt wird 3 3 ? Ist es wirklich absurd, wenn Sorgerechtsentscheidungen ausgeschlossen werden, die bei kleinen Kindern stets zugunsten der geschiedenen Mütter ausfallen 34 ? Das Beispiel des vom Schulunterricht ausgeschlossenen Sprachunkundigen 35 geht fehl; sein Ausschluß erfolgt nicht wegen seiner Sprache, sondern wegen seiner Unfähigkeit, an der Kommunikation i m Unterricht teilzuhaben — diese kann auch auf anderen Gründen als der Sprache beruhen. Die Möglichkeit einer umgekehrten Diskriminierung, die der Gerichtshof anscheinend für unerläßlich hält, ist selbst viel zu problematisch 36 , 80 Eckehard Loerke, Hoheitliche Gewalt u n d Diskriminierungsverbot nach dem Montan vertrage, H a m b u r g 1964, S. 26 f.; Kewenig (Anm. 8), S. 143 f.; Bossuyt (Anm. 13), S. 59 ff.; Dietrich Schindler, Gleichberechtigung von I n d i viduen als Problem des Völkerrechts, Zürich 1957, S. 127 ff., 129; Günther Jaenicke, A r t . : Diskriminierung, i n : Wörterbuch des Völkerrechts, begründet von K a r l Strupp, 2. A u f l . hrsg. von Hans-Jürgen Schlochauer, 1. Bd. B e r l i n 1960, S. 387 (388), ebd., A r t . : Gleichbehandlung, S. 690 (693). 81 Vier dag (Anm. 13), S. 127 (130 ff.); Bossuyt (Anm. 13), S.64; Christian Tomuschat, Equality and Non-Discrimination under the International Covenant on C i v i l and Political Rights, i n : FS Schlochauer (Anm. 16), S. 691 (714); Brita Sundberg-Weitman, Discrimination on Grounds of Nationality, Amsterd a m / N e w Y o r k / O x f o r d 1977, S. 85. 32 (Anm. 8), S. 146 ff. 33 Beispiel von Karl Doehring, Non-Discrimination and Equal Treatment under the European H u m a n Rights Convention and the West German Constitution w i t h Particular Reference to Discrimination against Aliens, A J C L 18 (1970), S. 305 (315); dazu Kewenig (Anm. 8), S. 146 A n m . 321. 34 Frede Castberg, The European Convention on H u m a n Rights, Ley den/ Dobbs Ferry (N.Y.) 1974, S. 161. 35 Ebd.
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als daß ihr etwaiger Ausschluß ein argumentum ad absurdum stützen könnte. Bestätigung findet die hier vorgetragene These durch eine Entscheidung des UN-Ausschusses für Menschenrechte, die — i m Fall der maurizischen Frauen — für A r t . 2 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte jedes Willkürerfordernis für die Annahme einer Geschlechtsdiskriminierimg abgelehnt hat 3 7 . Vor allem aber bietet das Verständnis des A r t . 14 als eines strikten Unterscheidungsverbotes allein eine Grundlage für die Entscheidung des Gerichtshofs i m Fall Marckx. Zwar beruft sich der Gerichtshof ausdrücklich auf die i m Belgischen Sprachenfall aufgestellten Grundsätze 38 , doch vermögen diese die getroffene Entscheidung nicht zu tragen. I m Belgischen Sprachenfall und der sich daran anschließenden Rechtsprechung verlangt der Gerichtshof nämlich folgendes: Eine Unterscheidung muß nicht nur ein legitimes Ziel haben; es darf auch nicht eindeutig eine angemessene Beziehung der Verhältnismäßigkeit zwischen den eingesetzten M i t t e l n und dem erstrebten Ziel fehlen. Die zu prüfende belgische Regelung versagte einem nicht-ehelich geborenen K i n d das Entstehen einer verwandtschaftlichen Beziehung zu seiner Mutter allein aufgrund der Tatsache der Geburt. Als Ziel des Gesetzes gab die Regierung die Sicherung der vollen Entwicklung der herkömmlichen Familie an. Der Gerichtshof billigte dieses Ziel, erklärte es sogar für lobenswert 39 . Eine Prüfung, ob die zur Erreichung des Ziels eingesetzten M i t t e l eindeutig nicht der Verhältnismäßigkeit entsprachen, unterblieb dann aber. I h r Ergebnis wäre angesichts der von zwei Richtern 4 0 i n Sondervoten betonten Geringfügigkeit der entstehenden Nachteile auch durchaus zweifelhaft gewesen. Statt dessen erklärt der Gerichtshof es schlichtweg für unzulässig, das angestrebte Ziel durch Benachteiligungen der nicht-ehelichen Familie zu verfolgen. Denn diese habe i n gleicher Weise Anspruch auf den Schutz durch A r t . 8 der Konvention wie die traditionelle Familie 4 1 . Ebenso weist er das weitere Ziel, die Ruhe der Familie der nicht-ehelichen Mutter zu schützen, als 86 Vgl. aus der erst beginnenden deutschen Diskussion Hans-Joachim Mengel, Maßnahmen „Positiver D i s k r i m i n i e r u n g " u n d Grundgesetz, J Z 1982, S. 530 ff. m. w . N. 87 EuGRZ 1981, S. 391 (393); zustimmend Manfred Nowak, E r f ü l l t Österreich seine Verpflichtungen nach dem U N - P a k t über bürgerliche u n d p o l i tische Rechte?, EuGRZ 1981, S. 513 (516). 88 (Anm. 17), S. 16. 89 Ebd., S. 18 f. 40 Thor Vilhjalmsson, ebd., S. 36 (37 f.); Matscher, ebd., S. 57 (58 f.). 41 Ebd., S. 19.
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schlechthin ungeeignet zurück, u m den Ausschluß des nicht-ehelichen Kindes von dieser Familie zu rechtfertigen 42 . Der Gerichtshof läßt damit die Benachteiligung der nicht-ehelichen Familie an sich für den Verstoß gegen A r t . 14 genügen. Nicht die Unverhältnismäßigkeit der Sonderbehandlung solcher Familien, sondern die Tatsache ihrer abweichenden Behandlung überhaupt ist für die Entscheidung maßgebend. Der Gerichtshof behandelt damit den A r t . 14 hinsichtlich des Merkmals der nicht-ehelichen Geburt als ein striktes Unterscheidungsverbot, versäumt es aber, dieses grundlegend veränderte Verständnis der Vorschrift zu begründen, ja auch nur offen auszusprechen. Das hier i n den Thesen 2 und 3 entwickelte Modell des A r t . 14 als eines strikten Unterscheidungsverbotes für einen i n engen Grenzen erweiterungsfähigen Katalog von Maßnahmen vermag dieses neue Verständnis des A r t . 14 zu rechtfertigen. Seine praktische Bewährung i m Fall Marckx sollte Anlaß genug sein, die Auslegung als Willkürverbot nach dem Urteil des Belgischen Sprachenfalles auch ausdrücklich aufzugeben. Zu These 4: A r t . 15 der Konvention gibt den Staaten die Möglichkeit, Maßnahmen zu treffen, die i m Widerspruch zu den grundsätzlich geltenden Konventionsverpflichtungen stehen. Eine dieser Verpflichtungen stellt vom Wortlaut her auch der A r t . 14 dar. Gleichwohl w i r d die Anwendbarkeit des A r t . 15 auf das Diskriminierungsverbot gelegentlich i n Frage gestellt 48 . Keinen Anlaß für eine solche Ausnahme bietet die besondere Struktur des auf die Anwendung anderer Gewährleistungen bezogenen Unterscheidungsverbots. Namentlich kann die fehlende Selbständigkeit des Verbots keine Zweifel an seiner Erfassung durch A r t . 15 der Konvention begründen; geht man von der zu These 1 dargestellten Autonomie des Unterscheidungsverbots aus, kann i h m ein besonderer Verpflichtungsgehalt nicht abgesprochen werden. 42
Ebd., S. 22. Natan Lerner, Diskussionsbeitrag, i n : Irene Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz, Heidelberg 1982, S. 211 (212); pauschal auch Torsten Stein, Die Außerkraftsetzung von Garantien mensdienrechtlidier Verträge, ebd., S. 135 (138 f., 144); anders etwa Nicolas Antonopoulos, L a jurisprudence des organes de la Convention Européenne des Droits de l'Homme, Leyde 1967, S. 241; Rosalyn Higgins, Derogations under H u m a n Rights Treaties, B Y I L 1976—1977, S. 281 (293); L . C. Green, Derogations of H u m a n Rights i n Emergency Situations, C a n Y I L 16 (1978), S. 92 (98); offengelassen i m Bericht der Kommission zum F a l l I r l a n d gegen Vereinigtes Königreich, Pubi. Ser. B, Vol. 23 I, S. 241. 48
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Auch die Sonderbehandlung, die das Unterscheidungsverbot des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte i m Rahmen der Derogationsvorschrift dieses Paktes, des A r t . 4, erfährt 4 4 , ist nicht maßgeblich: Dort ist das Verbot nicht i n den Katalog der derogationsfeindlichen Rechte aufgenommen; vielmehr w i r d seine Nichtachtung i m Rahmen der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Derogation für einen Teil der Merkmale ausgeschlossen. Diese Besonderheit erklärt sich aber zwanglos aus regelungstechnischen Erfordernissen. I m Rahmen des Katalogs des A r t . 4 Abs. 2 des Paktes ließ sich eine so differenzierte Regelung wie die für das Unterscheidungsverbot getroffene nicht ohne weiteres berücksichtigen. Die Diskriminierimgsvorschrift w i r d nämlich nicht ganz der Derogation entzogen, sondern nur wegen der aufgezählten Merkmale der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion oder der sozialen Herkunft, und auch das nur, soweit die Diskriminierung sich allein auf diese Merkmale gründet. Rückschlüsse auf einen Sondercharakter des Unterscheidungsverbots überhaupt sind daher nicht möglich. I m Gegenteil, A r t . 4 des Paktes bestätigt hinsichtlich der nicht genannten Diskriminierungsmerkmale geradezu die insoweit auch gegenüber dem Unterscheidungsverbot bestehende Möglichkeit der Derogation. Eine Derogation des A r t . 14 der Konvention unterliegt denselben Anforderungen wie die anderer A r t i k e l : Es muß ein Notstand vorliegen. Z u dessen Bekämpfung muß gerade die Nichtbeachtung des Unterscheidungsverbots unerläßlich sein. Ferner darf kein Widerspruch zu sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen entstehen. Hier kann sich ein Ausschluß der Derogation für A r t . 14 mittelbar aus anderen Diskriminierungsverboten ergeben, etwa aus dem bereits erwähnten des Internationalen Paktes 45 oder auch aus den einschlägigen A r t i k e l n der UN-Charta selbst 46 . I m einzelnen kann dies hier nicht untersucht werden. N u r hingewiesen sei auch darauf, daß kaum Fälle denkbar sind, i n denen die Bewältigung eines Notstandes gerade durch diskriminierende Maßnahmen erfolgen muß. Über die Konsequenzen einer Verletzung der Informationspflicht gemäß A r t . 15 Abs. 3 der Konvention ist von den Konventionsorganen noch nicht abschließend entschieden worden 47 . M i r scheint aber, daß eine Verletzung dieser formellen Konventionsverpflichtimg nicht auch die materielle Konventionswidrigkeit sonst nach A r t . 15 zulässiger Maß44
Die Wesentlichkeit des Unterschiedes bezweifelt Stein (Anm. 43), S. 138 f. P. van Dijk/G. J. H. van Hoof, De europese conventie i n theorie en p r a k t i j k , Utrecht 1979, S. 354 f. 46 Lerner (Anm. 43). 47 Vgl. Stein (Anm. 43), S. 139. 45
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nahmen zur Folge haben kann, da der Charakter des Verstoßes ein ganz anderer ist. Danach kann dahinstehen, ob es nach A r t . 15 Abs. 3 einer ausdrücklichen Bezeichnung des derogierten Artikels der Konvention, also hier des A r t . 14, bedarf, wie dies etwa A r t . 4 Abs. 3 Satz 1 des Internationalen Paktes verlangt. Die Kommission hat die ständige Praxis der Staaten, insoweit keine Erklärungen abzugeben 48 , bereits i m griechischen Fall gebilligt 4 9 ; ob die diskriminierende Bedeutung der Maßnahmen wenigstens erkennbar sein muß, ließ sie i m Fall Irland gegen Vereinigtes Königreich offen 50 . Der akzessorische Charakter des Unterscheidungsverbots w i r f t zwei weitere Fragen auf. Die Bemerkung des Gerichtshofs i m Belgischen Sprachenfall, A r t . 14 sei gleichsam integrierender Bestandteil jedes einzelnen Konventionsartikels 51 , gibt Anlaß zu der Überlegung, ob Art. 14 auch i n seinem Bezug auf die i n A r t . 15 Abs. 2 genannten derogationsfeindlichen Rechte außer Kraft gesetzt werden kann. Macht man m i t der Zurechnung des Unterscheidungsverbotes zu den einzelnen A r t i k e l n ernst, müßte dies abgelehnt werden. Doch ist fraglich, ob die nur vergleichende Bemerkung des Gerichts („es ist, als o b . . . " ) Schlüsse solcher A r t rechtfertigen kann. Verletzungen des A r t . 14, die neben selbständig festzustellende Verletzungen der A r t . 2, 3, 4 Abs. 1 und A r t . 7 treten, müssen nicht als zusätzliche Konventionsverstöße erfaßt werden, u m den gesteigerten Schutz der i n den genannten A r t i k e l n enthaltenen Rechte sicherzustellen. Die insoweit untergeordnete Bedeutung des A r t . 14 w i r d durch die Praxis der Konventionsorgane bestätigt, nach der Feststellung anderer Konventionsverstöße die Frage der Diskriminierung nicht weiter zu erörtern 52 . Anders kann es jedoch i m „autonomen" Anwendungsbereich des A r t . 14 aussehen. Insoweit beschränke ich mich wegen der Unklarheiten dieser Rechtsfigur auf einige Anmerkungen zu beispielhaften Fällen, die ich diesem Anwendungsbereich glaube zurechnen zu können. Eine nach A r t . 2 Abs. 1 Satz 2 erlaubte Vollstreckung eines Todesurteils würde den „autonomen" A r t . 14 i n seiner Verbindimg mit A r t . 2 berühren, wenn sie auf Neger, Juden, Kommunisten, Adlige oder Männer beschränkt bliebe 53 . Ob A r t . 15 Abs. 2 den Sinn hat, diese 48
Vgl. die Zusammenstellung i n YBEÇonvHR 22, S. 26 ff. m i t A n m . 2. YBEÇonvHR 12, The Greek Case, S. 42. 50 (Anm. 43), S. 118; dafür Higgins (Anm. 43), S. 293 A n m . 6. 61 (Anm. 2), S. 34. 52 Pubi. Ser. A , Vol. 26, T y r e r Case, S. 20, unter Bezug auf den übereinstimmenden Kommissionsbericht; ferner die Urteile des Gerichtshofs i m F a l l Airey, Pubi. Ser. A , Vol. 32, S. 16, u n d i m F a l l Dudgeon, Pubi. Ser. A , Vol. 45, S. 26, dazu insbesondere das kritische Sondervotum von Matscher, ebd., S. 33 (36 f.). 49
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Unterscheidungen auch i m Notstandsfall auszuschließen, erscheint m i r sehr fraglich. A r t . 15 Abs. 2 zielt auf die imbedingte Gewährleistung des durch Art. 2 geschützten Lebensrechtes ab; die genannten Diskriminierungen betreffen aber nur Beeinträchtigungen dieses Lebensrechtes, die als solche selbst unter normalen Umständen hingenommen werden. Dasselbe gilt, u m ein vielleicht etwas weitgehendes Beispiel der Ausgestaltung eines Konventionsrechtes zu wählen, wenn den Trägern eines verbotenen Merkmals ein dem A r t . 2 Abs. 1 an sich genügender Lebensschutz gewährt würde, etwa durch eine Strafdrohung des lebenslangen Freiheitsentzuges für den Mörder eines Ausländers, eines Katholiken, einer Frau, anderen Personen, also Inländern, Protestanten, Männern, aber ein weiterreichender Schutz eingeräumt wäre, etwa durch die A n drohung der Todesstrafe für Mord i n solchen Fällen. I n derartigen Fällen der Unterscheidimg i m Bereich der Schranken oder der Ausgestaltung eines Rechtes scheint m i r eine Einbeziehung des A r t . 14 i n das Derogationsverbot für die i n A r t . 15 Abs. 2 genannten Rechte über die Zielsetzung dieser Vorschrift hinauszugreifen. Matscher nennt i n diesem Zusammenhang den Fall, daß eine an sich konventionskonforme Maßnahme i m Bereich des Art. 3 als erniedrigend empfunden wird, wenn sie nur auf Träger eines nach A r t . 14 verbotenen Merkmals angewandt wird 5 4 . Solche Fälle, i n denen die Verwirklichung des A r t . 14 den Tatbestand einer Verletzung eines i n A r t . 15 Abs. 2 genannten Rechtes (mit-)begründet, müssen auch i m Notstandsfall ausgeschlossen bleiben. I m Gegensatz zu Matscher möchte ich hier allerdings Art. 3 unabhängig von Art. 14 als verletzt ansehen; zu diesem Ergebnis gelangte auch die Kommission i m Fall Ostafrikanische Asiaten m i t der Ansicht, ganz unabhängig von jeder Erwägung des A r t . 14 könne Rassendiskriminierung unter bestimmten Umständen selbst eine erniedrigende Behandlung i m Sinne des A r t . 3 der Konvention ausmachen 55 . A u f dem Zusammenhang des A r t . 14 m i t den anderen Konventionsrechten beruht auch das Problem, ob es zu einer Verletzung des selbst nicht außer K r a f t gesetzten A r t . 14 i m Bereich eines nach A r t . 15 derogierten anderen Menschenrechtes kommen kann. I m Falle Irland gegen Vereinigtes Königreich hat die Kommission die Frage unentschieden gelassen 56 ; der Gerichtshof wendete i n seinem 53
Beispiel von Serensen (für die Kommission), Pubi. Ser. B, Vol. 3 [Case „Relating . . ( A n m . 2), Bd. I, 1967], S. 514 (520). 64 (Anm. 3), S. 636 zu A n m . 47. 65 Zulassungsentscheidung, YBEÇonvHR 13, S. 928 (994); auch der Bericht, jetzt i n E.H.R.R. 3 (1981), S. 76 (77). 56 (Anm. 43), S. 118, 225, 241,
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U r t e i l den A r t . 14 ohne weiteres an 57 . Matscher führt zur Begründung dieses Vorgehens aus, „auch Hegelungen . . . über die Einschränkungen konventionsgeschützter Rechte (beträfen) ,Art und Ausmaß der Ausübung* solcher Rechte" 58 . Die Gleichsetzung von Maßnahmen aufgrund einer Derogation mit solchen i n Ausnutzung der Schranken der einzelnen Konventionsbestimmungen hätte freilich gerade erst der Begründimg bedurft. I m Ergebnis scheint m i r die Auffassung deshalb zutreffand, weil nur das Erfordernis einer selbständigen Derogation der „autonomen" Bedeutung des A r t . 14 gerecht w i r d und sicherstellt, daß das Unterscheidungsverbot nicht mißachtet wird, ohne daß auch insoweit die Voraussetzungen des A r t . 15 eingehalten sind 59 . Zu These 5: A r t . 64 der Konvention sieht für die Staaten die Möglichkeit vor, durch Vorbehalte die Geltung bestimmter Konventions Vorschriften für zu dieser Zeit geltende gesetzliche Regelungen auszuschließen. Eine Begrenzung des Unterscheidungsverbots kann sich dabei auf zweifache Weise ergeben: Zum einen kann ein Vorbehalt gerade i n bezug auf den A r t . 14 angebracht werden. Ein derartiger Vorbehalt ist weder bei der Unterzeichnung der Konvention noch anläßlich späterer Beitritte oder i m Zusammenhang m i t den Zusatzprotokollen erfolgt® 0. Natan Lerner hat auf dem 5. Internationalen Kolloquium über die Europäische Menschenrechtskonvention i n Frankfurt i m vergangenen Jahr A r t . 14 als ein Beispiel einer Vorschrift erwähnt, die nicht Gegenstand eines Vorbehalts sein könne 61 . Seine Begründung ist indes nicht tragfähig: Wenn eine Diskriminierung i n einigen Fällen eine flagrante Verletzung der UN-Charta bedeuten sollte, kann daraus jedenfalls kein gänzlicher Ausschluß der Vorbehaltsmöglichkeit für A r t . 14 überhaupt abgeleitet werden. Schließt man Vorbehalte aus, die m i t Gegenstand und Zweck der Konvention unvereinbar sind (vgl. A r t . 19 lit. c der Wiener Konvention über das Recht der Verträge) 62 , sind sicher Fälle von Diskriminierung 87 Pubi. Ser. A , Vol. 25, S. 85 ff.; auch Sondervotum Matscher, ebd., S. 139 (140 f.). 68 (Anm. 3), S. 636; a u d i der s., Schlußbemerkung, i n : Maier (Hrsg.) (Anm. 43), S. 148 (149). δβ I m Ergebnis übereinstimmend van Dijk/van Hoof (Anm. 45), S. 355 zu Nr. 6; auch Higgins (Anm. 43), S. 293 A n m . 6. 60 Z u m Stand der Vorbehalte (am 31.12.1979) siehe YBEConvHR 22, S. 50. w (Anm. 43), S. 211 f. 62 F ü r diese K r i t e r i e n etwa Pierre-Henri Imbert, Die Frage der Vorbehalte u n d die Menschenrechtskonventionen, i n : Maier (Hrsg.) (Anm. 43), S. 95
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denkbar, deren Fortbestand nicht durch einen Vorbehalt sichergestellt werden kann. Z u weitgehend erscheint es aber, jeglichen Vorbehalt i m Bereich des Art. 14 an dem genannten K r i t e r i u m scheitern zu lassen 68 : Dem widerspricht schon die Existenz von Durchbrechungen i n der Konvention selbst, namentlich hinsichtlich der Behandlung von Ausländern — i m komme auf diese Fälle später zurück. Punktuelle Durchbrechungen des Unterscheidungsverbotes müssen auch i m übrigen keinen stärkeren Widerspruch zu Gegenstand und Zweck der Konvention begründen als solche bei einzelnen Freiheitsrechten. Bestätigt w i r d dies durch den Umstand, daß auch spezielle Nichtdiskriminierungsabkommen die Möglichkeit von Vorbehalten einräumen, die nicht i m Widerspruch zu Sinn und Zweck des jeweiligen Abkommens stehen (so A r t . 28 Abs. 2 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau von 1979 und sogar A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung von 1966). Besteht ein Vorbehalt hinsichtlich eines oder mehrerer anderer Konventionsrechte, stellt sich die Frage, ob das von dem Vorbehalt erfaßte Gesetz an A r t . 14 i n Verbindung m i t den zitierten Rechten zu messen ist. Die Kommission hat hierzu ohne nähere Begründung angenommen, eine Prüfung nach A r t . 14 liege ebenso außerhalb ihrer Entscheidungsbefugnis wie die Untersuchimg, ob ein Verstoß gegen das vorbehaltsbetroffene Recht überhaupt gegeben sei 64 . Matscher begründet seine übereinstimmende Auffassung damit, es könne hier nicht „von einer Regelung betreffend ,Art und Ausmaß der Ausübung 1 eines von der E M R K oder von einem ZP garantierten Rechts" gesprochen werden. Er setzt den F a l l des A r t . 64 i n Parallele zur Nichtratifikation eines Zusatzprotokolls oder zur Nichterstreckung der Konventionsgeltung auf abhängige Gebiete nach A r t . 63 der Konvention und meint, i n all diesen Fällen stehe A r t . 14 „ i m Zusammenhang m i t Grundrechten, die für einen Staat nicht verbindlich sind" 6 5 . (102 f.) ; der Frage nach den Grenzen des A r t . 64 k a n n hier nicht nachgegangen werden, vgl. etwa zum Ausschluß des A r t . 64 bei den derogationsfeindlichen Rechten des A r t . 15 Abs. 2 die Auseinandersetzung zwischen Imbert, ebd.; übereinstimmend Stein, Schlußwort, ebd., S. 173, u n d Antonio Maria Pereira u n d (vorsichtiger) Claudio Zanghi, Diskussionsbeiträge, ebd., S. 150 f. u n d 165 f. 63 So aber van Dijk/van Hoof (Anm. 45), S. 396 (pauschal f ü r A r t . 1 u n d A r t . 13—18). M YBEÇonvHR 9, S. 214 (238); siehe auch Coll. Dec. 15, S. 33 (37 ff.); Y B E ÇonvHR 6, S. 268 (278). 85 (Anm. 3), S. 636 f.; auch ders. (Anm. 58), S. 149.
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Während die Entscheidungen der Kommission vor dem Hintergrund der älteren Praxis der fehlenden Autonomie des A r t . 14 zwangsläufig erscheinen, gibt die Argumentation Matschers, die auf der Grundlage des Urteils i m Belgischen Sprachenfall beruht, Anlaß zu Einwänden: Es ist keineswegs offensichtlich, daß das von einem Vorbehalt erfaßte Gesetz nicht eine Regelung betreffend A r t und Ausmaß der Ausübung konventionsgeschützter Menschenrechte beinhaltet. I m Gegenteil macht doch gerade dieser Inhalt den Anlaß für den Vorbehalt aus. Irreführend ist es vollends, von einem für den Staat nicht verbindlichen Grundrecht zu sprechen. I m Unterschied zu den Rechten eines nicht unterzeichneten Zusatzprotokolls sind nämlich vorbehaltsbetroffene Konventionsrechte durchaus für den betreffenden Staat verbindlich: Der Vorbehalt durchbricht die Verbindlichkeit nur punktuell, nämlich für das von dem Vorbehalt erfaßte Gesetz68. Auch die vermeintliche Ähnlichkeit m i t A r t . 63 verfängt nicht, da dieser die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Konvention insgesamt auf bislang nicht einbezogene Gebiete betrifft. Weit eher ist Art. 64 i n Parallele zu A r t . 15 der Konvention zu sehen. Die verschiedenen Bezugspunkte (Absicherung eines status quo oder Notstandsbewältigung) und die unterschiedlichen Voraussetzungen (nur bestehende Gesetze, Bezug auf bestimmte Vorschriften, keine Vorbehalte allgemeiner A r t oder Notstand, Erforderlichkeit, Ausnahme einzelner Rechte) berühren nicht die Gemeinsamkeit der Grundstruktur der Vorschriften: Beide enthalten Möglichkeiten, den grundsätzlich bestehenden Geltungsanspruch der betroffenen Konventionsrechte begrenzt zu durchbrechen 67 . Soll die Durchbrechung durch einen Vorbehalt auch den A r t . 14 betreffen, besteht die Möglichkeit, den Vorbehalt entsprechend auszudehnen. Bedenken gegen diese Lösung bestehen u m so weniger, als die nicht unbedenkliche großzügige Handhabung des A r t . 64 der Konvention und der danach angebrachten Vorbehalte durch die Kommission 68 deren Erββ Siehe auch die ausweitenden Entscheidungen der Kommission, etwa Coli. Dec. 37, S. 10; YBEConvHR 10, S. 412 (418) u n d dazu Jacobs (Anm. 12), S. 213; Partsch (Anm. 8), S. 71 m. w. N.; die Kommission hat jedoch eine Überprüfung ihrer Rechtsprechung i n Aussicht gestellt. Z u weitgehend Higgins (Anm. 43), S. 317 m i t zweifelhaften Nachweisen, m i t der Annahme, selbst nach einem Vorbehalt bestünde die Verbindlichkeit der Konvention i n der Gestalt einer AnpassungsVerpflichtung fort, vgl. demgegenüber Partsch (Anm. 8), S. 71 f.; Claus Weiß, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten, F r a n k f u r t am M a i n / B e r l i n 1954, S. 30. 87 Vgl. den Hinweis auf A r t . 15 bei Hubert Schorn, Die Europäische K o n vention zum Schutze der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten, F r a n k f u r t am M a i n 1965, A r t . 64 A n m . 1.
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Streckung auf etwa i n dem Gesetz enthaltene verbotene Unterscheidungen als untrennbar m i t dem Zweck des Vorbehalts verbunden 69 oder den klaren Absichten des den Vorbehalt machenden Staates entsprechend 70 ermöglicht. Für ältere Vorbehalte erscheint dies insoweit nicht ungerechtfertigt, als eine Autonomie des A r t . 14, die erst seine Einbeziehung i n den Vorbehalt erforderlich macht, nicht von vornherein anerkannt war und die Nichterwähnung des als unselbständig erachteten Unterscheidungsverbotes i n diesen Vorbehalten dadurch zu erklären ist. Jedenfalls aber seit der Festigung der autonomen Rolle des A r t . 14 nach dem Urteil i m Belgischen Sprachenfall ist i n engerer Anlehnung an den Wortlaut des Art. 64 die ausdrückliche Erwähnung auch des Art. 14 i n einem Vorbehalt zu verlangen 71 . Zu These 6: A r t . 17 schließt es aus, daß aus einer Konventionsbestimmung das Recht abgeleitet wird, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung oder zu weitgehende Einschränkungen der Konventionsrechte abzielt. A r t . 14 als Unterscheidungsverbot bietet keine Grundlage für bestimmte Tätigkeits- oder Handlungsberechtigungen 72 . Allenfalls hinsichtlich der Merkmale der Religion sowie der zumal politischen A n schauungen könnte eine Auswirkung der Mißbrauchsgrenze des A r t . 17 in Betracht gezogen werden. Der Umstand, daß eine Person eine bestimmte religiöse, politische oder sonstige Ansicht hat, erfüllt den Tatbestand des Art. 17 jedoch nicht: Erst die individuelle Erfüllung des Mißbrauchstatbestandes, also Handlungen des einzelnen gegen die Konvention, sind dazu geeignet 73 . 68 Siehe Anm. 66; zur K r i t i k neben den dort genannten Guradze (Anm. 8), A r t . 64 A n m . 3; Vasak (Anm. 8), S. 69. • 9 I n diesem Sinne YBEÇonvHR 2, S. 400 (405 f.); YBEÇonvHR 5, S. 82 (86) m. w . Ν. bezogen auch auf A r t . 14; auch YBEÇonvHR 14, S. 178 (186); übereinstimmend Vasak (Anm. 8), S. 69. 70 YBEÇonvHR 6, S. 268 (276); Coll. Dec. 37, S. 10; YBEÇonvHR 14, S. 178 (186) m. w. N. 71 Dies t r i f f t m i t der jetzt von der Kommission generell bekundeten Bereitschaft zu einer Uberprüfung ihrer Praxis (vgl. Anm. 66 a. E.) zusammen. 72 F ü r eine Beschränkung des A r t . 17 auf diesen Bereich ausdrücklich Jacobs (Anm. 12), S. 211. 73 Vgl. Doehring (Anm. 33), S. 315; Vasak (Anm. 8), S. 71 ff.; deshalb kritisch gegenüber der Entscheidung der Kommission i m K P D - F a l l , European Commission of H u m a n Rights, Documents and Decisions, 1955—1956—1957, 1959, S. 222 ff., Clovis C. Morrisson jr., The Developing European L a w of H u m a n Rights, Leyden 1967, S. 143 f. Anders offenbar Guradze (Anm. 8), A r t . 17 A n m . 4, dessen Katalog u n v e r w i r k b a r e r Grundrechte den A r t . 14 nicht erfaßt.
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A r t . 17 greift ganz unabhängig von allen politischen oder sonstigen Überzeugungen ein 74 , wenn man nicht die Absicht, die Konventionsrechte abzuschaffen oder zu verkürzen, selbst als eine solche Anschauung qualifiziert und den A r t . 17 nur bei Bestehen dieser Absicht eingreifen läßt. Selbst dann kommt es aber für die Anwendung des A r t . 17 entscheidend auf die genannte Betätigung, nicht aber auf die zugrundeliegende Anschauung an. Danach stehen A r t . 14 und A r t . 17 miteinander i n Einklang, ohne daß A r t . 17 als Beschränkimg des Unterscheidungsverbots gesehen werden müßte. Die Rechtsfolge des A r t . 17 ist, wie es bereits der Wortlaut nahelegt, nicht der Verlust der Konventionsrechte überhaupt, sondern nur der Ausschluß der Berufung auf die Rechte, durch deren Gebrauch die Beseitigung der Konventionsrechte angestrebt wird. I m F a l l Lawless hat der Gerichtshof deshalb Verkürzungen der A r t . 5 und 6 aufgrund des Art. 17 ausgeschlossen, da diese Verfahrensrechte nicht zur Bekämpfung der Konvention eingesetzt wurden 7 5 . A u f dieser Grundlage kann auch das Verbot der Ungleichbehandlung unter den Voraussetzungen des A r t . 17 nicht außer acht gelassen werden. Damit ist es ausgeschlossen, daß nach A r t . 17 sonst zulässige Maßnahmen an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft werden, die sich als verbotene Unterscheidungsmerkmale i m Sinne des A r t . 14 darstellen. Namentlich dürfen Sanktionen nicht auf den Rechtsmißbrauch der A n gehörigen einer politischen Richtung angewandt werden, während man die ebenfalls zur Beseitigung der Konvention tätige Gegenrichtung unbehelligt läßt. Ein Grund, den A r t . 14 auf solche Vorgänge, die aus dem Ende der Weimarer Republik i n schlimmer Erinnerung sind, nicht anzuwenden, ist nicht ersichtlich. A r t . 17 ist eine Schranke der Konventionsrechte wie die den Einzelrechten beigefügten auch, mit denen er sich weithin deckt 76 . Das Verbot von Diskriminierungen i n der Ausnutzung solcher Schranken ist ein typischer Anwendungsfall des autonomen A r t . 14. Für die Schrankenbestimmungen der A r t . 9 Abs. 2, A r t . 10 Abs. 2 und A r t . 11 Abs. 2 gilt i m Ergebnis Entsprechendes. Ein Verständnis dieser Vorschriften als Beschränkungen des A r t . 14 scheidet aus. Wenn gelegentlich angenommen wird, daß die vorgesehenen Einschränkungen „u. U. gerade auf der politischen Anschauung und ihrer Betätigung . . . beruhen" 77 , geht bereits das Erfordernis der Betätigung über den Tat74 Günter Dürig, i n : Theodor M a u n z / G ü n t e r D ü r i g / R o m a n Herzog/Rupert Scholz, Grundgesetz, Stand September 1981, München, A r t . 18 Rdnr. 29 zu cc; Guradze (Anm. 8), A r t . 14 A n m . 10. 75 YBEConvHR 4, S.438 (452); zustimmend Castberg (Anm. 34), S. 171 f. 76 F ü r Entbehrlichkeit des A r t . 17 daher Morrisson (Anm. 73), S. 144. 77 So Guradze (Anm. 8), A r t . 14 A n m . 10.
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bestand des Art. 14 hinaus. I m übrigen bieten die Schrankenregelungen einer solchen Auslegung keine Grundlage, da sie Begrenzungen nur zugunsten bestimmter Schutzgüter vorsehen; sind diese gefährdet, sollen Einschränkungen zulässig sein. Ob bei den i n ihren Freiheiten dadurch beschränkten Personen Merkmale des Art. 14 verwirklicht sind, ist dabei unerheblich. Insbesondere können Personen aller religiösen, politischen oder sonstigen Auffassungen gleichermaßen beschränkt werden. Die Bedeutung des A r t . 14 besteht auch hier darin sicherzustellen, daß ein Staat von den Beschränkungsmöglichkeiten der A r t . 9 bis 11 keinen diskriminierenden Gebrauch macht. Ich darf insoweit auf das zu A r t . 17 Ausgeführte verweisen. Zu These 7: Von den auch auf nationaler Ebene noch vielfältigen Problemen m i t dem Verbot, Unterscheidungen nach dem Geschlecht vorzunehmen, seien zwei kurz angesprochen. Einmal geht es u m die Fortwirkung der Vorstellungen der Entstehungszeit. Gerade i n bezug auf die Rechtsstellung der Geschlechter ist hier eine gewisse Weiterentwicklung unübersehbar, der jedoch noch wesentliche Reste hergebrachter Sonderregelungen gegenüberstehen. Als Beispiel sei nur der i n der Bundesrepublik Deutschland sogar verfassungskräftig abgesicherte Ausschluß der Frauen von der Wehrpflicht, Art. 12 a Abs. 1 GG, und vom Dienst mit der Waffe, A r t . 12 a Abs. 4 Satz 2 GG, genannt. Für die Konvention nennt Castberg diesen Bereich als den ersten, für den eine Gleichstellung von Mann und Frau unmöglich bezweckt worden sein könne 78 . Dies t r i f f t gewiß zu, und zwar schon deshalb, w e i l der Militärdienst nach A r t . 4 Abs. 3 lit. b der Konvention aus dem Zwangsarbeitsgebot ausgeklammert war und die autonome Bedeutung des A r t . 14, die m i r gerade bei A r t . 4 Abs. 3 bedenklich erscheint 79 , von niemandem vorausgesehen wurde. Andernfalls hätten die Unterzeichnerstaaten Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Italien und Vereinigtes Königreich sowie Österreich ebenso wie gegenüber dem Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von 195380 den Ausschluß des Frauendienstes zum Gegenstand von Vorbehalten machen können. Wenn dies bei der Konvention unterblieb, mag das auf die fehlende Selbständigkeit des Unterscheidungsverbots aus damaliger Sicht zurückzuführen sein. Damit spricht einiges für die Annahme, daß bei der Abfassung der Konvention gar keine Absichten 78
(Anm. 34), S. 161. Dafür aber Serensen (Anm. 14), S. 520. 80 Die gerade den Militärdienst betreffenden Vorbehalte dieser Staaten sind abgedruckt i n : Verträge der Bundesrepublik Deutschland, Ergänzungsband I I I , A 522. 79
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zur Frage der Gleichstellung der Frau i m Bereich des Militärdienstes vorlagen. Gewiß war aber die gemeinsame Überzeugung der Unterzeichnerstaaten i m von Castberg bezeichneten Sinne latent vorhanden. Ob diese damalige Überzeugimg das heutige Verständnis der Konvention prägen kann, erscheint m i r fraglich. Nach dem Vorgang zumal des Urteils i m Fall Marckx 8 1 darf angenommen werden, daß ein Bewußtseinswandel nicht unbeachtlich für die Auslegung der Konvention und speziell ihres Unterscheidungsverbotes ist und daß er auch zur Konventionswidrigkeit alter, ursprünglich als unbedenklich eingeschätzter Hegelungen führen kann 8 2 . Die Frage, wieweit der Bewußtseinswandel zur Gleichberechtigung der Geschlechter gediehen ist, w i l l ich hier ebensowenig erörtern wie das Für und Wider der Durchführung des Gleichberechtigungsgrundsatzes gerade auf diesem Gebiet. Es soll der Hinweis auf die Entwicklung der völkerrechtlichen Vertragspraxis genügen, die auch vom Gerichtshof zum Nichtehelichenrecht berücksichtigt wurde 8 8 . Das damalige Vertragsmaterial war gewiß weniger aussagekräftig als die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung gegen Frauen von 197984. Ohne Gegenstimmen beschlossen ist sie inzwischen von vielen Staaten — nicht: der Bundesrepublik Deutschland — ratifiziert. Sie legt ein striktes Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts fest und erstreckt es unter 81 (Anm. 17), S. 19; ferner Pubi. Ser. A , Vol. 26, T y r e r Case, S. 15 f., sowie bereits den Bericht der Kommission i m Belgischen Sprachenfall, Pubi. Ser. Β (Anm. 53), S. 274 ff. 82 Z u r Problematik der dynamischen Auslegung der E M R K vgl. aus der L i t e r a t u r etwa Max Serensen, Les droits inscrits en 1950 dans la Convention Européenne des Droits de l'Homme ont-ils la même signification en 1975?, Jus Gentium Bd. X , Rom 1979, S. 59 (80 ff .) ; Erik Jayme, Europäische M e n schenrechtskonvention u n d deutsches Nichtehelichenrecht, N J W 1979, S. 2425 (2426); Andrew Drzemczewski, The sui generis nature of the European Convention on H u m a n Rights, I C L Q 29 (1980), S. 54 ff.; Sir Humphrey Waldock, The Evolution of H u m a n Rights Concepts and the Application of the European Convention on H u m a n Rights, Mélanges offerts à Paul Reuter, Paris 1981, S. 535 ff. 83 (Anm. 17). 84 Siehe die Bedenken bei Jayme (Anm. 82), S. 2426; Jochen Abr. Frowein, Die Europäische Menschenrechtskonvention i n der neueren Praxis der Europäischen Kommission u n d des Europäischen Gerichtshofs f ü r Menschenrechte, EuGRZ 1980, S. 231 (234 f.); Hans A. Stöcker, Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur D i s k r i m i n i e r u n g „nichtehelicher" Kinder, Der A m t s v o r m u n d 1980, Sp. 249 (254 f.); Francois Rigaux, L a l o i condamnée, J T 1979, S. 513 (519f.); positiver Franz Matscher, Vertragsauslegung durch Vertragsrechtsvergleichung i n der J u d i k a t u r internationaler Gerichte, vornehmlich vor den Organen der E M R K , i n : Völkerrecht als Rechtsordnung.Internationale Gerichtsbarkeit.Menschenrechte, FS für Hermann Mosler, hrsg. von Rudolf B e r n h a r d t / W i l h e l m K a r l Geck/Günther Jaenicke/Helmut Steinberger, Berl i n / H e i d e l b e r g / N e w Y o r k 1983, S. 545 (555 f.).
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anderem auf den gesamten Staatsdienst. Delbrück hat bereits hervorgehoben, daß eine Ausnahme für den Bereich des Militärs nicht vorgesehen ist 85 . Die Beurteilung des Beispiels mag aber offenbleiben. Festzuhalten ist nur, daß das Verbot der Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht nicht durch die Vorstellungen der Nachkriegszeit i n seinem Anwendungsbereich begrenzt werden kann. Z u r Begründimg ungleicher Behandlung von Männern und Frauen w i r d auch die Sondervorschrift des A r t . 12 der Konvention bemüht. Dieser sieht vor, daß Männer und Frauen von heiratsfähigem Alter das Recht haben, nach Maßgabe der einschlägigen nationalen Regelungen zu heiraten und eine Familie zu gründen. Hiernach sollen unterschiedliche Regelungen bei den Voraussetzungen der Eheschließung, namentlich dem Heiratsalter, gerechtfertigt sein; dabei w i r d auf die Erwähnung von Männern und Frauen als den Rechtsträgern hingewiesen 86 . Überzeugend ist dies nur insoweit, als die Formulierung eine Beschränkung auf Verbindungen von Personen verschiedenen Geschlechts erlaubt; demgegenüber kann A r t . 14 nicht herangezogen werden, u m das Recht eines Mannes zu begründen, einen anderen Mann zu heiraten 87 . Dasselbe gilt für Verbindungen zweier Frauen. Weitergehende Unterschiede aus der Formulierung des A r t . 12 rechtfertigen zu wollen, erscheint gewagt. Der Verweis auf die nationalen Gesetze88 allein verfängt nicht; denn es fehlt jedes Anzeichen dafür, daß diese Gesetze von den Anforderungen des A r t . 14 ausgenommen sein sollen. I m Gegenteil w i r d gerade i n der Verbindung m i t A r t . 14 der Sinn der Rechtsgewährleistung des A r t . 12 überhaupt gesehen 89 ; ein Grund, i m Rahmen dieser Verbindung das Merkmal „Geschlecht" auszuklammern, ist nicht ersichtlich 90 . Der entsprechende A r t . 16 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen schließt i n Nr. 1 Satz 1 nur Beschränkungen des Rechts nach Rasse, Staatsbürgerschaft und Religion aus. Er widmet dafür der Rechtsgleichheit der Geschlechter aber den zweiten Satz der Vorschrift und sichert diese bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung 91 . Ausweislich der Entstehungsgeschichte wurde dieses A n 85
(Anm. 16, FS Schlochauer), S. 266. Partsch (Anm. 8), S. 91. 87 Beispiel ebd. 88 Schorn (Anm. 67), A r t . 12 A n m . 1. 89 Partsch (Anm. 8), S. 214. 90 I m Ergebnis ausdrücklich Jacobs (Anm. 12), S. 162. 91 Aus dem Wegfall dieser Regelung k a n n jedoch entgegen Vasak (Anm. 8), S. 50, nicht auf die Nichtgeltung des insoweit nicht eingeschränkten A r t . 14 E M R K geschlossen werden. 86
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liegen sehr früh als zentrale Frage des Eheschließungsrechts erkannt und i n allen späteren Vorschlägen zur Textgestaltung berücksichtigt 92 . I n diesem Zusammenhang ist auch die Formulierung „Männer und Frauen" zu sehen. Nach dem Ausgangsvorschlag i m Sinne eines Jedermann-Rechtes auf Heirat wurden die Worte „Männer und Frauen" nämlich zugleich m i t der Berücksichtigung des Gleichberechtigungsanliegens i n die Formulierungsvorschläge aufgenommen, und zwar als Bezugsobjekt der gleichen Rechte der Eheschließenden 98 . Danach ist diese Formulierung des A r t . 12 geradezu als Verstärkung des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter zu verstehen, und es besteht kein Anlaß, die Geschlechtergleichheit des A r t . 14 i n diesem Bereich auszuscheiden 94 . Ebensowenig kann die Erwähnung des Heiratsalters dahin verstanden werden, als solle sie der nationalen Gesetzgebung die Möglichkeit unterschiedlicher Ausgestaltung gewähren 95 . Auch hier ist die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufschlußreich. Der Delegierte Cassiti hielt die Einfügung des Heiratsalters nämlich nur deshalb für geboten, weil i n vielen Ländern darauf keinerlei Rücksicht genommen werde 96 . Die Einfügung konnte dem zwar nicht entgegenwirken, aber jedenfalls Mißbräuchen eindeutig den Rückhalt der Menschenrechtskonvention versagen. Der Sinn dieser Ergänzung w i r d dann v o l l verwirklicht i n dem Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen vom 10. Dezember 196297. Unter ausdrücklicher Berufung auf A r t . 16 der Menschenrechtserklärung i n Abs. 2 der Präambel und „unter erneuter Bekräftigung der Pflicht aller Staaten", entgegenstehende alte Bräuche durch völlige Beseitigung von Kinderehen und Verlobung nicht heiratsfähiger Mädchen zu bekämpfen, verpflichteten sich die Staaten i n A r t . 2 Satz 1 dazu, i m Wege der Gesetzgebung ein Heiratsmindestalter festzusetzen. Irgendeinen Hinweis, daß das Heiratsmindestalter für beide Geschlechter unterschiedlich sein könnte, enthält das Übereinkommen nicht. 92
Siehe Verdoodt (Anm. 13), S. 162 ff. Ebd. 94 K e i n Gegenargument ist aus der Abschwächung des Gleichheitsrechts i n A r t . 23 Abs. 4 I P B P R zu einer Sicherstellungsverpflichtung abzuleiten, w e i l das Gleichheitsgebot inhaltlich unverändert erhalten ist u n d die spezielle Gewährleistungsform n u r auf ausdrücklicher Anordnung beruht. 95 So Schorn (Anm. 67), A r t . 12 Anm. 2; auch Partsch (Anm. 89); m i t Recht zweifelnd bereits Guradze (Anm. 12), S. 222; auch ders., (Anm. 8), A r t . 12 A n m . 5, A r t . 14 A n m . 6; dagegen auch Jacobs (Anm. 90), der freilich unterschiedliche Altersgrenzen als nicht w i l l k ü r l i c h billigen w i l l . 96 Zit. nach Verdoodt (Anm. 13), S. 167. 97 BGBl. 1969 I I , S. 162. 93
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Für A r t . 12 der Konvention hat nach dem Gesagten dasselbe zu gelten: Er begründet auch für das Heiratsmindestalter keine Ausnahme vom Unterscheidungsverbot des A r t . 14. Zu These 8: Bezüglich des Merkmals der Ausländereigenschaft enthält die Konvention mehrere Sonderregelungen. Eine ausdrückliche Ausnahme von A r t . 14 sieht A r t . 16 vor. Sie ist auf die politische Tätigkeit der Ausländer beschränkt, bezieht sich daher zumindest i n erster Linie auf die Ausübung der Freiheiten der A r t . 10 und 11, die ja i n A r t . 16 auch selbst ausdrücklich genannt sind. Man w i r d aber auch Unterscheidungen bei dem Gebrauch anderer Konventionsrechte gegenüber Ausländern nicht an A r t . 14 messen können, solange es sich nur u m politische Tätigkeiten handelt®8; denn für diese ist Art. 14 umfassend ausgeschlossen. Welche Rechte von Einschränkungen politischer Tätigkeit betroffen sein können, hängt einerseits von der Bestimmimg des jeweiligen Schutzbereichs und dem Inhalt der vorgesehenen Einschränkungen ab, zum anderen vom Umfang des Begriffs der politischen Tätigkeit, für den eine restriktive Auslegung geboten erscheint. Von Bedeutung kann die Beschränkung des A r t . 14 durch A r t . 16 namentlich für die Gewährleistung freier und geheimer Wahlen sein. Nachdem die Kommission den A r t . 3 des Zusatzprotokolls abweichend von der älteren Rechtsprechung als subjektives Recht auffaßt 99 , besteht an der Anwendbarkeit des A r t . 14 auf diese Vorschrift kein Zweifel mehr 1 0 0 . Sie wurde auch für ein objektives Verständnis der Garantie freier Wahlen schon überwiegend angenommen 101 . Für die Frage, ob auch Ausländer an dem Recht aus A r t . 3 des Zusatzprotokolls teilhaben, mag sich eine A n t w o r t schon aus dem Begriff „ V o l k " , den die Bestimmung gebraucht, ergeben 102 ; auch mag A r t . 16 98 Anders Partsch (Anm. 8), S. 78 A n m . 259, dessen Abgrenzung zwischen A r t . 10, 11 einerseits u n d den Garantien des status privatus andererseits freilich nicht lückenlos erscheint; siehe n u r die Einbeziehung der Religionsfreiheit bei Schorn (Anm. 67), A r t . 16 A n m . 7. 99 YBEConvHR 18, S. 236 (244); Dec. Rep. 9, S. 121 (122). 100 V g L YBEConvHR 18, S. 236 (244 f.); Dec. Rep. 9, S. 121 (123); E.H.R.R. 4 (1982), S. 106 (122); van Dijk/van Hoof (Anm. 45), S. 316; auch Jacobs (Anm. 12), S. 179 f.; (hypothetisch) Guradze (Anm. 8), A r t . 3 ZP, A n m . 3; überholt Rudolf Schiedermair, Handbuch des Ausländerrechts der Bundesrepublik Deutschland, F r a n k f u r t am M a i n / B e r l i n 1968, M R K A r t . 13 A n m . 2. 101
Partsch (Anm. 8), S. 244 f.; Morrisson (Anm. 73), S. 149; Castberg (Anm. 34), S. 182; Schorn (Anm. 67), A r t . 3 Z P A n m . 4; erwägend Vasak (Anm. 8), S. 63 A n m . 105.
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unmittelbar Bedeutung für die Auslegung der Wahlrechtsgarantie i n dieser Hinsicht haben 103 . E i n Verstoß gegen A r t . 14 liegt i n einem Ausschluß der Ausländer vom Wahlrecht des A r t . 3 des Zusatzprotokolls jedenfalls nicht; denn die Teilnahme an Wahlen gehört i n einer Demokratie zu dem Kernbereich politischer Betätigung. A r t . 3. Abs. 1 und A r t . 3 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 enthalten besondere Schutzbestimmungen nur für Staatsangehörige i n bezug auf Einzelausweisungen und Einreisefreiheit, während der A r t . 4 die Ausländer nur gegen Kollektivausweisungen schützt. Eine Anwendung des A r t . 14 auf abweichende Regelungen für Staatsangehörige und Ausländer ist damit ausgeschlossen104. Indem A r t . 1 Abs. 1 Satz 2 des Zusatzprotokolls die Eigentumsentziehung an die durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen bindet, nimmt er auf das völkerrechtliche Verbot der entschädigungslosen Enteignung von Ausländern bezug. Die Kommission hat dieses Verbot i n seiner Beschränkung auf Ausländer als Inhalt des Konventionsrechts angesehen 105 . So verstanden, sieht A r t . 1 Abs. 1 Satz 2 des Zusatzprotokolls eine Ausnahme von A r t . 14 für die Unterscheidung von Ausländern und Staatsangehörigen vor. Die Rechtsprechung der Kommission zu Art. 1 des Zusatzprotokolls ist freilich nicht unumstritten. Namentlich Schwelb hat sich m i t i h r kritisch auseinandergesetzt und m i t Recht eine Abweichung von den Grundsätzen der Konvention festgestellt10®. Seine Deutung der Entstehungsgeschichte überzeugt jedoch nicht; hierzu hat Böckstiegel alles Erforderliche gesagt und festgestellt, daß der ausdrücklich erklärte Parteiwille nur auf eine Ausländerbegünstigung gerichtet gewesen sei 107 . Jacobs Vorwurf, hier werde eine unterschiedliche Behandlung i n die Konvention hineingelesen 108 , verfängt demgegenüber nicht. I h m ist vor 102 Die diesbezügliche Diskussion zum innerstaatlichen Verfassungsrecht ist bekannt; für den E M R K ablehnend van Dijk/van Hoof (Anm. 45), S. 316 f. los Wenngleich eine A n w e n d u n g des A r t . 16 unmittelbar auf A r t . 3 ZP w o h l m i t Recht verneint w i r d , siehe ebd., k a n n der einem Anspruch von Ausländern auf Wahlteilnahme entgegenstehende Sinngehalt des A r t . 16, vgl. G. Heraud, Les Droits garantis par la convention, i n : L a protection i n t e r nationale des droits de l'homme dans le cadre européen, Paris 1961, S. 107 (112), bei der Auslegung Berücksichtigung finden. 104 Ebenso van Dijk/van Hoof (Anm. 45), S. 303. 105 YBEÇonvHR 3, S. 394 (422 f.); YBEÇonvHR 8, S. 218 (226 f.). 106 Egon Schwelb, The Protection of the Right of Property of Nationals under the First Protocol to the European Convention on H u m a n Rights, A J C L 13 (1964), S. 518 ff. 107 Karl Heinz Böckstiegel, G i l t der Eigentumsschutz der Europäischen Menschenrechtskonvention auch f ü r Inländer?, N J W 1967, S. 905 ff. 108 (Anm. 66), S. 165 f.
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allem entgegenzuhalten, daß der Konvention Sonderbestimmungen für Ausländer entsprechend allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen auch sonst nicht fremd sind, wie Art. 16 und der Art. 3 des 4. Protokolls zeigen. Diese Vorschriften sprechen die Sonderstellung der Ausländer allerdings klarer aus. E i n Umkehrschluß gegen einen entsprechenden Inhalt des Art. 1 des Zusatzprotokolls, wie i h n van Dijk/van Hoof befürworten 1 0 9 , läßt sich daraus aber kaum ziehen, selbst wenn man den ähnlich unklaren A r t . 3 des Zusatzprotokolls nicht berücksichtigt. Das Gegenargument liefern van Dijk/van Hoof selbst, indem sie auf die Abhängigkeit der Ausländersonderstellung vom Inhalt des allgemeinen Völkerrechts hinweisen: Sollte dessen Entwicklung i n der Tat dahin gehen, daß auch die Enteignungsentschädigung der Inländer Gegenstand eines allgemeinen Völkerrechtsgrundsatzes wird 1 1 0 , müßte A r t . 1 des Zusatzprotokolls auf Ausländer und Inländer ohne Unterschied Anwendung finden. Eine unbedingte Sonderbehandlung der Ausländer, wie sie bei einer ausdrücklichen Regelung bestünde, sieht A r t . 1 des Zusatzprotokolls eben nicht vor. Eine abschließende Erörterimg der Probleme dieser Vorschrift ist hier aber nicht möglich. Folgt man den vorgetragenen Überlegungen, geht A r t . 1 des Zusatzprotokolls, soweit er allgemeine Grundsätze des Völkerrechts einschließt, dem A r t . 14 der Konvention als Sonderregelung vor. Einen Unterschied zwischen Ausländern und Inländern kennt das deutsche Recht auch i m bereits erwähnten Wehrpflichtrecht. Dort ist grundsätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit der Wehrpflichtigen vorausgesetzt. Ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 lit. b i n Verbindung m i t A r t . 14 i n seiner Bedeutung als striktem Unterscheidungsverbot ist nicht anzunehmen. Denn die allgemeine Erstreckung der Wehrpflicht auf Ausländer würde jedenfalls aus europäischer Sicht gegen einen Grundsatz des Völkerrechts verstoßen 111 . Ein solcher völkerrechtswidriger Inhalt kann der Konvention nicht unterstellt werden. Dies gilt zumal deshalb, weil er nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Er ergibt sich erst aus der Anwendung der Autonomiekonstruktion des A r t . 14. A u f die Bedenklichkeit dieser Konstruktion i m Bereich der Wehrpflicht, die doch dem Geltungsanspruch der Konvention i n A r t . 4 Abs. 3 lit. b entzogen werden sollte, habe ich bereits hingewiesen. Eine völkerrechtsfeindliche Auslegung läuft zudem dem System der Konvention genau zuwider. I m allgemeinen sei nur auf A r t . 15 Abs. 1 109
(Anm. 45), S. 303 f. So w o h l ebd., S. 304. 111 Karl Doehring, A r t . : Wehrpflicht von Ausländern, i n : Strupp/Schlochauer (Anm. 30), S. 812; Günther Jaenicke/Karl Doehring, Die Wehrpflicht von Ausländern, ZaöRV 16 (1955/56), S. 523 ff., insbes. S. 528 f. 110
14 G r u n d r e c h t s s c h u t z
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oder A r t . 60 verwiesen. Doch berücksichtigt die Konvention insbesondere auch für Ausländer geltende Völkerrechtsgrundsätze, wie bereits mehrfach dargelegt worden ist. Schließlich zeigt auch die Tätigkeit der Konventionsorgane ein hohes Maß der Berücksichtigung allgemeiner völkerrechtlicher Regeln bei der Auslegung der Konvention. Ist A r t . 4 Abs. 3 lit. b i n Verbindung m i t A r t . 14 i n diesem Sinne völkerrechtlichen Grundsätzen gemäß eingeschränkt auszulegen, bedarf es nicht der Prüfung, ob ein Gleichstellungsgebot für Ausländer bezüglich der Wehrpflicht aufgrund der Konvention gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht überhaupt Bestand haben könnte. Zu These 9: Matscher befürwortet als Begrenzung des Art. 14 seine Beschränkimg auf Ungleichbehandlungen „von einer gewissen »Schwere'" 112 . Eine Begründung dieser These hält er dabei offenbar für entbehrlich. Nun mag der Ausschluß geringfügig erscheinender Fälle aus der Sicht des Richters wünschenswert sein. Es verwundert deshalb nicht, daß auch i m innerstaatlichen Bereich der Bundesrepublik Deutschland bereits ein Gericht diesen Weg zur schnellen Erledigung als lästig empfundener Anfragen beschritten hat, und zwar gerade bezogen auf A r t . 3 Abs. 2 und 3 GG 11S . Der Versagung des Rechtsschutzes wegen der Geringfügigkeit des Anliegens stehen aber gewichtige Bedenken gegenüber 114 . Ohne die weitreichenden Folgerungen aus diesen Bedenken hier zu prüfen, muß es jedenfalls als unzulässig angesehen werden, daß ein Gericht ohne Anhaltspunkte i n den Rechtsgrundlagen seiner Tätigkeit Rechtsschutzbegehren als geringfügig unberücksichtigt läßt. I m Falle der Konventionsorgane insbesondere sollte die durch die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittelverfahren gemäß A r t . 26 der Konvention belegte Ernsthaftigkeit des Beschwerdeführers ausreichen, u m eine Disqualifikation seines Begehrens als zu geringfügig auszuschließen. Dem entspricht es, daß — soweit ersichtlich — der Ausschluß geringfügiger Fälle als mißbräuchlich i m Sinne des A r t . 27 Abs. 2 der Konvention nicht vorkommt. 112 (Anm. 3), S. 638 m. w . N.; siehe auch die Sondervoten Matschers i m F a l l Marckx (Anm. 40) u n d i m F a l l Dudgeon (Anm. 52). na v G Freiburg, VB1BW 1981, S. 328 (329) m i t A n m e r k u n g Michael Sachs. 114 Hierzu eingehend Otto Rudolf Kissel , M i n i m a non curat praetor, i n : Arbeitsleben u n d Rechtspflege, FS f ü r Gerhard Müller, hrsg. von Theo M a y e r - M a l y / R e i n h a r d Richardi/Herbert Schambeck/Wolf gang Zöllner, Berl i n 1981, S. 849 ff.
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Ohne eine Ermächtigung, geringfügig erscheinende Fälle zu vernachlässigen, wie sie etwa i n § 93 a Abs. 4 Satz 2 BVerfGG enthalten ist, muß eine nach A r t . 14 der Konvention verbotene Ungleichbehandlung unabhängig von ihrem Gewicht als Konventionsverstoß anerkannt und als solcher behandelt werden.
Ich bin damit am Ende meiner Überlegungen zu den Begrenzungen des Unterscheidungsverbots der Europäischen Menschenrechtskonvention. Ich habe ein Auslegungsmodell zugrundegelegt, dem die Erprobung i n der Praxis der Konventionsorgane fehlt. Deshalb gibt es sicher eine Fülle von Schwierigkeiten, die ich noch nicht berücksichtigen konnte. M i r schien es aber unerläßlich, den Versuch einer Neuinterpretation des A r t . 14 zu unternehmen, nachdem die ohnehin nur schwach begründete Auslegung i m Sinne des Willkürverbots vom Gerichtshof i m Fall Marckx der Sache nach aufgegeben worden ist. Ich darf Sie jetzt einladen, m i t Ihren Einwänden die Brauchbarkeit des Modells des strikten Unterscheidungsverbots auf die Probe zu stellen.
Die Pflicht des Staates zum Schutz vor Eingriffen Dritter nach der Europäischen Menschenrechtskonvention 41 Von Dietrich Murswiek Inhaltsübersicht A. Freiheitsbeeinträchtigung Schutzpflichten?
durch
Private:
„Drittwirkung"
oder
B. Die immanenten Schutzpflichten der E M R K , dargestellt anhand des Falles Young, James u n d Webster I. F a l l Young, James u n d Webster 1. Sachverhalt 2. Entscheidungsgründe
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I I . Die Zurechnung der Folgen staatlicher Rechtsetzung 1. A r t . 1 E M R K als allgemeine Gewährleistungspflicht? 2. Zurechnung k r a f t innerstaatlicher Rechtsetzung a) Die rechtliche Verpflichtung zur D u l d u n g von Eingriffen D r i t t e r als staatliche Freiheitseinschränkung b) Die Pflicht zum Verbot von Eingriffen D r i t t e r
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I I I . Ist der Staat auch zum Schutz v o r beeinträchtigenden Vertragsinhalten verpflichtet?
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C. Offene Probleme I. A u f welche Rechte u n d Freiheiten bezieht sich die Schutzpflicht?
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I I . Pflicht zum Schutz vor „Menschenrechtsgefährdungen"?
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I I I . Sekundäre Schutzpflichten 1. Rechtsschutz u n d Zwangsvollstreckung 2. Störungsbeseitigungs- u n d Schadensersatzansprüche 3. Sonstige Schadensabwendungspflichten a) Die Pflicht zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit b) Die Pflicht zum Einschreiten i m konkreten F a l l
236 237 237 237 238 238
D. Schlußbemerkung
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Zusammenfassende Thesen
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* Unveränderte Fassung des i n B e r l i n (mit Kürzungen) gehaltenen V o r trage. Das Manuskript lag dem Herausgeber seit März 1983 vor. A u f den später publizierten Vortrag von Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Z u den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates. B e r l i n / New Y o r k 1983, sei nachdrücklich hingewiesen. Diese A r b e i t beschäftigt sich zwar nicht speziell m i t der E M R K , aber m i t allgemeinen Problemen der Grundrechtsdogmatik, die auch i m hier erörterten Zusammenhang von großer Bedeutung sind.
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Dietrich M u r s w i e k
Α. Freiheitsbeeinträchtigung durch Private: „Drittwirkung" oder Schutzpflichten? Leben, Freiheit und Eigentum — u m diese klassische Menschenrechtstrias pars pro toto zu nennen — sind nicht nur vom Staatsapparat, insbesondere von der Exekutive bedroht. Auch aus der Gesellschaft heraus, also von Privaten, können die Schutzgüter der Menschenrechte beeinträchtigt werden. Daß i n den westlichen Verfassungsstaaten heute die größeren Gefahren für die Freiheit des einzelnen von der Gesellschaft ausgingen und daß nur der Staat die individuelle Freiheit gegen diese Bedrohungen garantieren könne, kann schon fast als Gemeinplatz der Staatslehre gelten 1 . Der Staat als Garant der Freiheit — das ist kein Widerspruch zu dem Mißtrauen, das die liberal-rechtsstaatliche Verfassungslehre der staatlichen Macht entgegenbringt, kein Widerspruch zur Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Es handelt sich vielmehr u m eine i m aufklärerischen Naturrechtsdenken und in der konstitutionellen Verfassungstradition von vornherein mitgedachte Komplementärfunktion: Zweck des Staates, so lesen w i r beispielsweise bei John Locke 2 , ist der Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum gegen Beeinträchtigungen seitens Dritter, anders ausgedrückt: die Gewährleistung von Sicherheit. Und damit der Staat die Macht, die die Bürger i h m zu diesem Zwecke einräumen, nicht mißbraucht, werden die bekannten rechtsstaatlichen Sicherungen und Mißbrauchsschranken eingebaut, die checks and balances und die Grundrechte. Daß der Dritter zu jedoch, ob Schutz zu staatlichen ergeben.
Rechtsstaat die Aufgabe hat, seine Bürger vor Eingriffen schützen, erscheint demnach unproblematisch. Fraglich ist der Staat auch rechtlich verpflichtet ist, den erforderlichen gewähren, ob der betroffene Bürger einen Anspruch auf Schutz hat und woraus sich solche Ansprüche und Pflichten
Die rechtlichen Probleme der Beeinträchtigimg grundrechtlicher Schutzgüter durch Private, also durch „Dritte", werden i n der Bundes1 Vgl. Robert K. Carr, Die Grundrechte i n den Vereinigten Staaten, i n : Bettermann/Neumann/Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte I 2, B e r l i n 1967, S. 895 f.; Ernst Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, München 1971, S. 45 f.; Berthold Moser, Die Europäische Menschenrechtskonvention u n d das bürgerliche Recht. Z u m Problem der D r i t t w i r k u n g von Grundrechten, Wien 1972, S. 73 m. w . N.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Freiheitssicherung gegenüber gesellschaftlicher Macht, i n : Posser/Wassermann (Hrsg.), Freiheit i n der sozialen Demokratie, Karlsruhe 1975, S. 69 ff. 2 The Second Treatise on Government, I X 131; vgl. z.B. auch Immanuel K a n t Uber den Gemeinspruch, Werke Bd. 9, ed. Weischedel, 1971, S. 144, 150. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung v o m 4. 7.1776 bezeichnet diesen Zweck als „self-evident".
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r e p u b l i k D e u t s c h l a n d seit l a n g e m u n t e r d e m S t i c h w o r t „ D r i t t w i r k u n g d e r G r u n d r e c h t e " d i s k u t i e r t 8 . E i n e ähnliche K o n t r o v e r s e g i b t es auch h i n s i c h t l i c h d e r Rechte u n d F r e i h e i t e n d e r E M R K . D a z u w e r d e n i m w e s e n t l i c h e n d r e i A n s i c h t e n v e r t r e t e n : D i e e i n e n b e h a u p t e n , daß die K o n v e n t i o n n u r gegen E i n g r i f f e des Staates schütze 4 . N a c h d e r Gegenp o s i t i o n w i r k e n d i e Rechte u n d F r e i h e i t e n d e r E M R K als absolute Rechte f ü r u n d gegen j e d e r m a n n 5 . U n d nach d e r d r i t t e n A n s i c h t v e r p f l i c h t e n diese Rechte z w a r u n m i t t e l b a r n u r d e n Staat, n i c h t auch P r i v a t e ; aber d e r S t a a t ist v e r p f l i c h t e t , d e n e i n z e l n e n v o r E i n g r i f f e n P r i v a t e r z u schützen®. U n m i t t e l b a r e D r i t t w i r k u n g i n d e m Sinne, daß sie n i c h t n u r die V e r tragsstaaten, s o n d e r n auch j e d e n D r i t t e n i m G e l t u n g s b e r e i c h d e r E M R K v e r p f l i c h t e n u n d d e m B e t r o f f e n e n s u b j e k t i v e A b w e h r a n s p r ü c h e auch gegen P r i v a t e geben, k ö n n t e n die Rechte d e r E M R K n u r i n d e n j e n i g e n M i t g l i e d s t a a t e n haben, i n d e n e n sie i n n e r s t a a t l i c h gelten, also ζ. B . i n Ö s t e r r e i c h oder i n d e r B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d , n i c h t aber i n E n g l a n d . I n d e n Staaten, die die K o n v e n t i o n n i c h t i n n e r s t a a t l i c h a n w e n d e n , aber auch auf d e r i n t e r n a t i o n a l e n Ebene s t e l l t sich die F r a g e nach d e r „ u n m i t t e l b a r e n D r i t t w i r k u n g " n u r m i t t e l b a r : D a e i n d e u t i g n u r die M i t 8 Vgl. z.B. Hans-Peter Ipsen, Gleichheit, i n : Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte I I , B e r l i n 1954, S. 143 f.; Hans Carl Nipperdey, Gleicher L o h n f ü r gleiche Arbeit, R d A 1950, S. 121 ff.; ders., Die Würde des Menschen, i n : Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte I I , S. 18—20; Günter Dürig, Grundrechte u n d Zivilrechtsprechung, i n : FS Hans Nawiasky, München 1956, S. 157 ff. m. w . N.; ders., i n : Maunz/Dürig, G r u n d gesetz. Kommentar, A r t . 1 Rdnr. 127 ff. m. w. N.; Walter Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, München 1960; Jürgen Schwabe, Die sogenannte D r i t t w i r k u n g der Grundrechte. Z u r E i n w i r k u n g der Grundrechte auf den P r i v a t rechtsverkehr, München 1971. 4 Vgl. ζ. B. Werner Morvey, Rechtsprechung nationaler Gerichte zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten v o m 4. November 1950, ZaöRV 21 (1963), S. 319 ff. m . w . N . ; Heinz Guradze, Der Stand der Menschenrechte i m Völkerrecht, Göttingen 1956, S. 178 f., 185; ders., Die Schutzrichtung der Grundrechtsnormen i n der Europäischen M e n schenrechtskonvention, i n : FS H. C. Nipperdey, Bd. I I , M ü n c h e n / B e r l i n 1965, S. 759 ff.; ders., Die Europäische Menschenrechtskonvention. Kommentar. B e r l i n / F r a n k f u r t a. M. 1968, S. 20 ff., insbes. 22 f. m. w . N.; Karl Josef Partsch, Die Rechte u n d Freiheiten der europäischen Menschenrechtskonvention, i n : Bettermann/Neumann/Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte I, B e r l i n 1966, S. 297 ff. 5 Vgl. ζ. B. Marc- André Eissen, L a convention et les devoirs de l'individu, i n : L a protection internationale des droits de l'homme dans le cadre européen, Paris 1961, S. 167 ff.; ders., L a Convention européenne des Droits de l'Homme et les obligations de l ' i n d i v i d u : une mise à jour, i n : René Cassin, A m i c o r u m discipulorum liber, Bd. 3, Paris 1971, S. 151 ff.; Berthold Moser (Anm. 1), S. 55, 73 ff. u n d passim m. w . N. β Erdsiek, N J W 1959, S. 1216 (ohne Begründung); Heribert Golsong, Das Rechtsschutzsystem der Europäischen Menschenrechtskonvention, Karlsruhe 1958, S. 18 (ohne Begründung); Francis G. Jacobs, The European Convention on H u m a n Rights, Oxford 1975, S. 11, 227 (mit Bezugnahme auf EKMR, Entsch. 4125/69, YBEConvHR 14, S. 198).
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g l i e d s t a a t e n v ö l k e r r e c h t l i c h v e r p f l i c h t e t sind, die Menschenrechte z u g e w ä h r l e i s t e n u n d n u r sie sich v o r d e n S t r a ß b u r g e r O r g a n e n z u v e r a n t w o r t e n haben, k o m m t es h i e r ausschließlich d a r a u f an, ob e i n S t a a t d i e K o n v e n t i o n v e r l e t z t h a t , also d a r a u f , ob d e r S t a a t auch f ü r E i n g r i f f e P r i v a t e r v e r a n t w o r t l i c h ist 7 . D i e A n t w o r t a u f diese F r a g e k a n n f r e i l i c h d a v o n abhängen, o b die i n d i v i d u e l l e n Rechte d e r E M R K als absolute — gegen j e d e r m a n n gerichtete — A b w e h r rech te g e l t e n sollen, oder ob sie sich n u r gegen d e n Staat r i c h t e n . I c h möchte die D e b a t t e u m die u n m i t t e l b a r e D r i t t w i r k u n g h i e r n i c h t f o r t f ü h r e n 8 , s o n d e r n die F r a g e stellen, i n w i e f e r n die M i t g l i e d s t a a t e n der 7 Deshalb empfiehlt es sich, statt von „unmittelbarer D r i t t w i r k u n g " hier von „absoluter W i r k u n g " zu sprechen. U n d deshalb k a n n nie die „ D r i t t w i r kung", sondern n u r die Staatenverantwortlichkeit Thema der Straßburger Instanzen sein. Daraus, daß die EKMR gegen D r i t t e gerichtete Beschwerden als unzulässig zurückweist — vgl. Entsch. Nr. 33/55, YBEÇonvHR 1, S. 154 f.; 256/57, ebd. S. 1881; 172/56, ebd. S.211 (215 f.); 852/60, YBEÇonvHR 4, S. 346, 352; 1599/62, YBEÇonvHR 6, S. 349, 357; 1322/62, Coll. Dec. 13, S. 55 (67); 1488/62, ebd. S. 93 (97) — läßt sich also auch nicht folgern, die EKMR lehne die absolute W i r k u n g der Rechte u n d Freiheiten ab. So aber Guradze, E M R K (Anm. 4), S. 21 f. 8 Schon deshalb nicht, w e i l bei absoluter W i r k u n g der durch die Konvent i o n garantierten Rechte unsere Frage nach der Verpflichtung des Staates zum Schutz vor Eingriffen D r i t t e r n u r auf der Ebene der Gesetzgebung erledigt wäre; i m Hinblick auf weitergehende Schutzpflichten wären w i r also der systematischen Bemühung u m die Begründung u n d Tragweite staatlicher Schutzpflichten ohnehin nicht enthoben. — F ü r u n d w i d e r die D r i t t w i r k u n g sind i n der L i t e r a t u r beachtliche Argumente zusammengetragen worden, vgl. insbes. Guradze, Die Schutzrichtung der Grundrechtsnormen (Anm. 4) ; Morvey (Anm. 4), S. 319 ff.; Moser (Anm. 1) sowie die oben i n Fn. 4, 5 zitierte Literatur. Keines ist jedoch zwingend. Insbesondere k a n n man aus dem U m stand, daß die Menschenrechte als vorstaatliche Naturrechtssätze denknotwendig nicht ausschließlich gegen den Staat gerichtet sein können, sondern „absolute W i r k u n g " haben, nicht folgern, daß dasselbe auch f ü r die Rechte u n d Freiheiten gelten müsse, durch die die Menschenrechte i n einer völkerrechtlichen Konvention anerkannt werden. Denn eine solche Positivierung hat eine besondere rechtstechnische Funktion. Wenn die Rechte u n d Freiheiten der Konvention n u r die Mitgliedstaaten verpflichten, ist dies m i t der „absoluten W i r k u n g " der vorstaatlichen Menschenrechte durchaus vereinbar, w e n n der Staat seinerseits verpflichtet ist, die Menschenrechte auch i m V e r hältnis der Bürger untereinander zur Geltung zu bringen. (Dazu unten Β . II.). Der Text der Konvention läßt eine eindeutige A n t w o r t weder zugunsten der Befürworter noch der Gegner der „absoluten W i r k u n g " der „Rechte und Freiheiten" zu. I n einer solchen Situation ist bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages derjenigen Interpretation der Vorzug zu geben, die dem W i l l e n der Vertragsstaaten beim Abschluß des Vertrags am nächsten kommt. Da i n der Verfassungstradition der westlichen Verfassungsstaaten n u r der Staat als Adressat der Grundrechte verstanden wurde, hätten die Vertragsstaaten es sicherlich i m Text der Konvention deutlich zum Ausdruck gebracht, w e n n sie m i t den „Rechten u n d Freiheiten" unmittelbar auch P r i vate verpflichten wollten. Somit ist davon auszugehen, daß die Rechte u n d Freiheiten der E M R K n u r den Staat verpflichten, soweit sich nicht die absolute W i r k u n g einzelner Rechte aufgrund besonderer Gesichtspunkte belegen läßt, so Morvey (Anm. 4), S. 319—321 u n d z. B. Guradze, Die Schutzrichtung der Grundrechtsnormen i n der Europäischen Menschenrechtskonvention (Anm. 4), S. 759 ff., insbes. S. 761, der die absolute W i r k u n g der Rechte und
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E M R K für Eingriffe Privater i n Menschenrechte verantwortlich sein können, wenn man davon ausgeht, daß die Rechte und Freiheiten der Konvention nicht drittgerichtet sind®. Nach den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit hat der Staat das Verhalten Dritter dann zu verantworten, wenn er rechtlich verpflichtet ist, es zu verhindern oder wenn er es sich als Folge eigenen Verhaltens zurechnen lassen muß 10 . Verletzt der Staat seine Pflicht, die i n der EMRK garantierten Rechtsgüter gegen Beeinträchtigungen Dritter zu schützen, dann — so ließe sich argumentieren — ist es der Staat selber, der das betreffende Recht oder Rechtsgut verletzt, nämlich durch Unterlassen. N u r fragt sich, ob und inwieweit der Staat rechtlich zum Schutz verpflichtet ist. Ausdrücklich enthält nur A r t . 2 Abs. 1 Satz 1 E M R K eine Schutzpflicht. Das Leben jedes Menschen ist gesetzlich zu schützen. Der Staat ist also verpflichtet, Eingriffe Dritter i n das Leben gesetzlich zu verbieten 11 . Ob eine entsprechende Schutzverpflichtung auch für die übrigen Schutzgüter der E M R K gilt, die auch von Privaten verletzt werden können, kann man der Formulierimg der entsprechenden A r t i k e l nicht entnehmen. Läßt sich also eine dem A r t . 2 Abs. 1 Satz 1 EMRK entsprechende Schutzpflicht auch für die anderen Schutzgüter der E M R K begründen? Und gibt es nach der EMRK außerdem Schutzpflichten, die über den Schutz durch Gesetz hinausgehen 12 ? Freiheiten generell verneint, f ü r A r t . 4 Abs. 1 u n d A r t . 9 E M R K jedoch eine Ausnahme macht. 9 Eine A n t w o r t auf diese Frage w i r d durch die Ungenauigkeiten der üblichen, auch i n den Text der E M R K eingegangenen, Terminologie erschwert, die nicht k l a r zwischen Rechten u n d rechtlich geschützten Gütern unterscheidet. Z u r K r i t i k an dieser Terminologie i n bezug auf das G r u n d gesetz der Bundesrepublik Deutschland vgl. Roman Schnur, DVB1. 1965, S. 489; Jürgen Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, Darmstadt 1977, S. 64 ff. m. w. N. Sind die „Rechte u n d Freiheiten" der E M R K Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe, dann können sie von D r i t t e n überhaupt nicht v e r letzt werden — vgl. Morvey (Anm. 4), S. 320 —, u n d dann erübrigt sich i n sofern die Frage nach der staatlichen Verantwortung. Die durch die M e n schenrechte geschützten Güter jedoch, also vor allem Leben u n d Freiheit, können auch von D r i t t e n verletzt werden, u n d w e n n der Staat dafür verantwortlich ist, verletzt er selbst die Konvention. 10 Vgl. ζ. B. I G H , Entsch. v. 15.12.1979, I.C.J. Reports 1979, 7 = EuGRZ 1980, S. 26; Urt. v. 24.5.1980, I.C.J. Reports 1980, 3 = EuGRZ 1980, S.394; Knut Ipsen, i n : Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 2. A u f l . München 1979, S. 364 ff.; außerdem den Kodifikationsvorschlag der International L a w Commission A r t . 11, i n : Y B I L C 1975 I I , S. 60 sowie den Kommentar dazu S. 70 ff. m. w. N. Z u m Meinungsstand i n der Lehre vgl. außerdem die Nachweise i n Y B I L C 1972 I I , S. 123 f. 11 Sich selbst braucht der Staat den Eingriff nicht erst zu verbieten, da er selbst schon unmittelbar an die Konvention gebunden ist. F ü r i h n k o m m t das Gesetz n u r als Ermächtigung zum Eingriff i n Betracht, vgl. A r t . 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 E M R K .
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Ich möchte diese Fragen anhand eines Urteils des EGMR erörtern, des Urteils i m Fall Young, James und Webster vom 13. 8.1981 1S , den man w o h l — bisher kaum bemerkt — als leading-case zum Thema Schutzpflichten i n der E M R K betrachten kann. Ich werde Ihnen die Entscheidung zunächst referieren und mich dann bemühen, anhand einer Analyse der Entscheidungsgründe die rechtlichen Grundlagen und den Umfang der Schutzpflichten nach der E M R K herauszuarbeiten.
B. Die immanenten Schutzpflichten der EMRK, dargestellt anhand des Falles Young, James und Webster I . Fall Young, James und Webster
1. Sachverhalt Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, waren bei der britischen Eisenbahn beschäftigt. Diese Schloß 1975 mit den drei Eisenbahngewerkschaften eine closed-shop-Ubereinkunft. Darin wurde die Mitgliedschaft i n einer dieser Gewerkschaften zur Bedingung für die Beschäftigung bei British Rail gemacht, und zwar unabhängig davon, ob das Beschäftigungsverhältnis vor oder nach Abschluß des closed-shop-Übereinkommens begründet wurde. Die Bestimmungen des closed-shop-agreement sollten i n jeden Arbeitsvertrag inkorporiert werden und einen Teil davon bilden. Wegen ihrer Weigerung, einer der Gewerkschaften beizutreten, wurden die Beschwerdeführer entlassen. Die Arbeitsverträge der Beschwerdeführer enthielten offenbar keine materiellen Kündigungsregelungen, sondern nur Bestimmungen über die Kündigungsfrist. Die Beschwerdeführer hatten aber anscheinend bei ihrer Einstellung eine schriftliche Erklärung erhalten, derzufolge auf sie solche Bestimmungen und Beschäftigungsbedingungen angewendet werden sollten, die von Zeit zu Zeit für die Arbeitnehmer ihrer Kategorie aufgrund von Ver12 Solche Schutzpflichten lassen sich nicht m i t der Erwägung bestreiten, daß die Rechte u n d Freiheiten der Konvention n u r an den Staat adressiert seien, u n d sie lassen sich andererseits nicht einfach m i t Hinweis auf die Präambel oder auf A r t . 1 E M R K begründen. 13 EGMR, U r t . v. 13. 8.1981, Pubi. Ser. A , Vol. 44, S. 5 = H R L J 2 (1981), S. 185 = E.H.R.R. 4 (1982), S. 38; deutsche Ubersetzung i n : EuGRZ 1981, S. 559 m i t A n m . Thomashausen = N J W 1982, S. 2717. Dazu R. Scholz, AöR 107 (1982), S. 126 ff.; Murswiek, JuS 1983, S. 58 f. — EKMR, Zulässigkeitsentscheidung Nr. 7806/77 v. 3.3.1978 — F a l l Webster, EuGRZ 1979, S. 116; Nr. 7601/76 v. 11. 7.1977 — F a l l Young and James, Dec. Rep. 9, S. 126. — EKMR, Bericht ν. 14.12.1979, Nr. 7601/71 u n d 7806/77 — Young, James u n d Webster, E.H.R.R. 3 (1981), S. 20 = EuGRZ 1980, S. 450. Dazu R. Scholz, AöR 106 (1981), S. 79 ff.
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handlungen zwischen ihrem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft oder anderen Organisation beschlossen würden. Nach dem zum Zeitpunkt der Kündigung geltenden Gesetzesrecht war der Arbeitnehmer gegen eine „unfaire Entlassung" geschützt. Das Gesetz bestimmte aber, daß i m Falle des Bestehens eines closed-shop-Übereinkommens die Entlassung eines Arbeitnehmers wegen seiner Weigerung, einer Gewerkschaft beizutreten, als „fair" anzusehen sei, sofern die Weigerung nicht auf religiöse Gründe gestützt werde. — Die Beschwerdeführer rügen insbesondere eine Verletzung ihrer Vereinigungsfreiheit aus A r t . 11 Abs. 1 EMRK. 2. Entscheidungsgründe Ich möchte mich hier nicht mit den diversen prozessualen und materiell-rechtlichen Fragen befassen, die der F a l l aufwirft, sondern w i l l mich auf den einen Punkt konzentrieren, der für unser Thema einschlägig ist, auf die Frage nämlich, inwiefern der britische Staat für die gerügte Verletzung der Vereinigungsfreiheit verantwortlich sein kann, wenn man m i t dem Gerichtshof und der Kommission davon ausgeht, daß es ein privater Arbeitgeber war, der diese Verletzung begangen hat. I m Gegensatz zu A r t . 9 Abs. 3 GG enthält A r t . 11 Abs. 1 E M R K j a keine Drittwirkungsklausel. Die Kommission argumentiert i n ihrem Bericht folgendermaßen: Historisch betrachtet sei die Entlassung durch den Arbeitgeber wegen gewerkschaftlicher Betätigung die gefährlichste Maßnahme gegen die i n A r t . 11 garantierte Freiheit gewesen. Da die Vertragsstaaten gemäß Art. 1 der Konvention verpflichtet seien, die Rechte und Freiheiten der Konvention einschließlich A r t . 11 zu sichern, stünde die Legalisierung einer solchen Entlassung nicht i n Einklang mit Gegenstand und Zweck dieser Freiheit, sofern nicht eine ausreichende Rechtfertigung gegeben werden könne 14 . Es sei bereits anerkannt, daß einige A r t i k e l der Konvention nicht nur das Individuum gegen staatliche Maßnahmen schützten, sondern den Staat auch verpflichteten, individuelle Rechte gegen Maßnahmen anderer zu sichern 15 . Die Kommission sei der Ansicht, daß es sich bei A r t . 11 u m eine solche Bestimmung handele, soweit es u m Entlassungen wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten oder als Sanktion für den Nichtbeitritt zu einer bestimmten Gewerkschaft gehe. I n den vorliegenden Fällen sei es das Rechtssystem gewesen, das die Beein14 Vgl. EKMR, Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde Nr. 4125/69, X gegen Irland, YBEConvHR 14, S. 198, 222. 15 H i e r f ü r stützt sich die EKMR auf das U r t . des EGMR v. 13. 7.1979 — F a l l Marckx, EuGRZ 1979, S. 454 (455) = N J W 1979, S.2449; dazu Murswiek, JuS 1980, S. 219 f. I n dieser Entscheidung ging es aber gar nicht u m private Eingriffe, sondern u m die gesetzliche Regelung familienrechtlicher Beziehungen.
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trächtigung des Rechts der Beschwerdeführer erst ermöglichte. Nachdem festgestellt sei, daß A r t . 11 gegen diese A r t von Zwangsanwendung Schutz biete, sei zu folgern, daß der Staat i m Sinne der Konvention verantwortlich sei, wenn sein Rechtssystem derartige Entlassungen rechtlich zulasse. A u f dieser Grundlage sei die Verantwortlichkeit des Vereinigten Königreichs gegeben. Die Verantwortlichkeit der Regierung für ihre Gesetzgebung i m Hinblick auf A r t . 11 folge aus dem Versäumnis, die Rechte der Beschwerdeführer aus A r t . 11 zu schützen. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, die Regierung habe eingeräumt, daß die Verantwortlichkeit des Staates aus seiner Gesetzgebung folge, wenn die Kündigung der Arbeitnehmer als eine direkte Konsequenz aus den einschlägigen staatlichen Gesetzen betrachtet werden könne 16 . Sodann schließt sich der Gerichtshof i m wesentlichen den Argumenten der Kommission an, ohne jedoch speziell auf A r t . 11 abzustellen. Nach Art. 1 EMRK, führt der Gerichtshof aus, habe jeder Vertragsstaat allen seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen die i n der Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zuzusichern. Wenn also die Verletzung eines dieser Rechte und Freiheiten aus der Nichtbeachtung der Verpflichtung des A r t . 1 i n der innerstaatlichen Gesetzgebung resultiere, dann sei der Staat für diese Verletzung verantwortlich. Es sei das damals geltende staatliche Gesetz gewesen, das die Behandlung, wegen derer die Beschwerdeführer sich beklagten, rechtmäßig gemacht habe. Für jede daraus folgende Konventionsverletzung sei der Staat verantwortlich. I I . Die Zurechnung der Folgen staatlicher Rechtsetzung
Sowohl die Kommission als auch der Gerichtshof begründen die Verantwortlichkeit des Vereinigten Königreichs also m i t dem Versäumnis des Vereinigten Königreichs, die Koalitionsfreiheit gegen Eingriffe Dritter i n der staatlichen Gesetzgebung zu schützen. Aber woraus ergibt sich diese Schutzpflicht? Die Kommission leitet die Schutzpflicht des Staates aus Art. 11 EMRK ab, indem sie diese Bestimmung historisch-teleologisch interpretiert. Wenn die Entlassung durch den Arbeitgeber wegen gewerkschaftlicher Betätigung historisch betrachtet die gefährlichste Bedrohung der 16 I n einem früheren Verfahrensstadium hatte die Regierung die Verantwortlichkeit m i t dem Argument geleugnet, sie habe lediglich einen gesetzlichen Rahmen geschaffen, den zu nutzen sie den Tarifpartnern überlassen habe, vgl. Bericht der EKMR, EuGRZ 1980, S. 450 (451). Dagegen hatte i m F a l l X gegen I r l a n d die irische Regierung eingeräumt, daß sie v e r a n t w o r t lich wäre, w e n n das irische Gesetz nicht gegen private Eingriffe i n Rechte u n d Freiheiten schütze, YBEÇonvHR 14, S. 198 (206).
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Koalitionsfreiheit ist, dann — so muß man die Argumentation wohl verstehen — muß es auch Zweck des Art. 11 sein, gegen Eingriffe des privaten Arbeitgebers zu schützen. Also sei der Staat verpflichtet, Arbeitnehmer dagegen zu schützen, von ihrem Arbeitgeber wegen ihrer gewerkschaftlichen Betätigung (oder Nichtbetätigung) entlassen zu werden 17 . Die Kommission geht also davon aus, daß die Konvention grundsätzlich nur gegen staatliche Eingriffe schütze, daß es aber einige A r t i k e l gebe, die den Staat außerdem verpflichten, den einzelnen gegen Maßnahmen Dritter zu schützen 18 . Nach Ansicht der Kommission hat also speziell das Recht aus A r t . 11 Abs. 1 EMRK, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten, absolute Schutzwirkimg. Wo die E M R K innerstaatlich angewendet wird, müßte hiernach A r t . 11 insoweit unmittelbare D r i t t w i r k u n g haben. Ohne die Annahme der absoluten Schutzwirkung des A r t . 11 hätte die E K M R die Schutzpflicht des Staates nicht unmittelbar aus dieser Bestimmung (i. V. m. A r t . 1 EMRK) ableiten können; wenn Art. 11 nur staatsgerichtet ist, kann er allenfalls den Gegenstand einer unabhängig von dieser Bestimmung zu begründenden Schutzpflicht angeben. Festzuhalten ist jedenfalls, daß die Begründung der absoluten Schutzwirkung des Art. 11 hinsichtlich der Koalitionsfreiheit auf dem besonderen Schutzzweck dieser Bestimmung beruht und somit nicht verallgemeinert werden kann 1 9 . Der Gerichtshof dagegen geht auf irgendwelche Besonderheiten des A r t . 11 E M R K überhaupt nicht ein, sondern sagt generell, der Staat sei für solche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, die daraus resultierten, daß er, der Staat, bei seiner Gesetzgebung die Pflicht aus A r t . 1 EMRK nicht beachtet habe, die Rechte und Freiheiten der Konvention zu gewährleisten. Aus dieser knappen Argumentation ergibt sich zunächst folgendes: 17
Bericht §§ 163 f., 168 f. Vgl. Bericht §§ 162, 168. 19 Vgl. schon EKMR, Entsch. Nr. 4125/69 — X gegen Irland, YBEConvHR 14, S. 198 (206, 220, 222). I n dieser Entscheidung stellte die Kommission schon fest, daß die Entlassungsdrohung eines privaten Arbeitgebers ein Eingriff i n die Koalitionsfreiheit sein könne u n d daß der Staat dafür verantwortlich sei, w e n n er den Arbeitnehmer gegen einen solchen Eingriff i n seiner Gesetzgebung nicht schütze. Unbegründet blieb i n dieser Entscheidung aber, woraus sich die Schutzpflicht ergebe, ob also A r t . 11 die Koalitionsfreiheit als absolutes Recht schütze, oder ob der Staat aus anderen Gründen v e r pflichtet sei, das i n A r t . 11 n u r als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe geschützte Rechtsgut „Koalitionsfreiheit" auch gegen private Eingriffe zu schützen. 18
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1. Die Vertragsstaaten sind nach A r t . 1 EMRK verpflichtet, die i n der Konvention geschützten Individualrechtsgüter auch gegen Verletzungen seitens Dritter i n ihrer innerstaatlichen Gesetzgebung zu schützen. 2. Verletzt ein Staat diese Pflicht, so ist er für die Folgen dieser Pflichtverletzung verantwortlich, also auch für Eingriffe Dritter, die auf diese Weise möglich werden. Z u prüfen ist jetzt erstens, ob diese Begründung der Schutzpflichten überzeugen kann, und zweitens, wie die vom EGMR postulierten Schutzpflichten ihrem materiellen Umfang nach präzisiert werden können. 1. Art. 1 EMRK als allgemeine Gewährleistungspflicht? Nach Art. 1 E M R K sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die Rechte und Freiheiten der Konvention allen ihrer Herrschaftsgewalt (Jurisdiktion) unterstehenden Personen zuzusichern. Nach der Auslegung des EGMR ist dies eine umfassende Gewährleistungspflicht: Die Rechte und Freiheiten der Konvention sind hiernach nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber Dritten zu gewährleisten 20 . Diese Interpretation legt i n A r t . 1 hinein, was sie aus i h m herausholen w i l l : Zwar werden die Vertragsstaaten durch A r t . 1 verpflichtet, die Rechte und Freiheiten der Konvention innerstaatlich zu gewährleisten — wie dies auch dem i n der Präambel erklärten Zweck der Konvention entspricht — und den ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen entsprechende subjektive Rechte zu geben, aber der materielle Umfang dieser Verpflichtung ergibt sich nicht aus A r t . 1, sondern eben aus den Rechten und Freiheiten der Konvention 2 1 . Würden diese den Staat ausschließlich zur Unterlassung eigener Eingriffe, nicht aber auch zum Schutz gegen Eingriffe Dritter verpflichten, dann könnte sich auch die Gewährleistungspflicht des Art. 1 nur auf die staatliche Unterlassungspflicht beziehen 22 . A r t . 1 fügt also materiell den Pflichten des Staates, die sich aus den Rechten und Freiheiten der Konvention ergeben, nichts hinzu. Diese Vorschrift entspricht dem Charakter der E M R K als eines völkerrechtlichen Vertrages, der — anders als die Staatsverfassungen, die eine solche Bestimmimg nicht enthalten — nicht unmittelbar als innerstaatliches Recht gilt 2 8 . Aus dieser Gewährleistungsverpflichtung läßt sich 20
So auch Hans Carl Nipperdey, Die Würde des Menschen (Anm. 3), S. 21 Fn. 44; Jacobs (Anm. 6), S. 226 f. 21 Vgl. EGMR, U r t . v. 18.1.1978, Pubi. Ser. A , Vol. 25, § 238 = EuGRZ 1979, S. 149 (159) m. w. N. — Nordirland. 22 Vgl. Guradze, i n : FS Nipperdey (Anm. 4), S. 762 f.
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aber n i c h t a b l e i t e n , i n w e l c h e m U m f a n g sie g e l t e n s o l l u n d i n w i e f e r n H a n d l u n g e n D r i t t e r d e m S t a a t zugerechnet w e r d e n k ö n n e n . A n d e r e r s e i t s l ä ß t sich n i c h t schon aus diesem G r u n d e i m U m k e h r schluß f o l g e r n , d e r E G M R sei b e i seiner A r g u m e n t a t i o n s t i l l s c h w e i g e n d v o n d e r a b s o l u t e n S c h u t z w i r k u n g d e r Rechte u n d F r e i h e i t e n ausgegangen. W e n n es n o c h eine andere M ö g l i c h k e i t d e r B e g r ü n d u n g d e r Schutzp f l i c h t e n g i b t — das w i r d j e t z t z u p r ü f e n sein — , d a n n i s t diese F r a g e i n der Entscheidung off engeblieben24. E i n e schlüssige B e g r ü n d u n g f ü r die These, d e r S t a a t müsse die Rechte u n d F r e i h e i t e n d e r K o n v e n t i o n i n seiner i n n e r s t a a t l i c h e n R e c h t s o r d n u n g auch gegen E i n g r i f f e D r i t t e r g e w ä h r l e i s t e n , k a n n i n d e r B e r u f u n g a u f d i e P f l i c h t aus A r t . 1 E M R K also n i c h t gesehen w e r d e n , s o n d e r n u m gekehrt: W e n n der Staat nach anderen Bestimmungen der K o n v e n t i o n d a z u v ö l k e r r e c h t l i c h v e r p f l i c h t e t ist, d a n n i s t er auch nach A r t . 1 v e r p f l i c h t e t , diese V e r p f l i c h t u n g i n i n n e r s t a a t l i c h e s Recht umzusetzen. 23
Innerstaatliche Rechtswirkungen hat die E M R K als völkerrechtlicher Vertrag n u r aufgrund eines Rechtsanwendungsbefehls bzw. eines Transformationsgesetzes des verpflichteten Staates, vgl. ζ. B. Karl Josef Partsch, Die A n w e n d u n g des Völkerrechts i m innerstaatlichen Recht, Karlsruhe 1964; Wehser, i n : Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 2. A u f l . München 1979, S. 53 ff. m. w . N.; Georg Ress, i n : Europäischer Menschenrechtsschutz, hrsg. v. I. Maier, Heidelberg 1982, S. 244. A b e r nicht einmal zur Erteilung dieses Rechtsanwendungsbefehls sind die Mitgliedstaaten der E M R K verpflichtet; sie können ihre Verpflichtung, die Rechte u n d Freiheiten der Konvention innerstaatlich zu gewährleisten, auch auf andere Weise erfüllen, vgl. Partsch (Anm. 4), S. 271 ff.; Max Sarensen, Obligations of a State P a r t y to a Treaty as regards its M u n i c i p a l L a w , i n : H u m a n Rights i n National and I n t e r national L a w , hrsg. v. A . H. Robertson, Manchester 1968, S. 11 ff., insbes. S. 21 m. w. N. ( = deutsch i n : Menschenrechte i m Staatsrecht u n d i m Völkerrecht, Karlsruhe 1967, S. 15 ff., insbes. 24); Karl Doehring, ebd. S. 31—34 ( = deutsch i n : Menschenrechte i m Staatsrecht u n d i m Völkerrecht, S. 53 ff.); J.E.S. Fawcett, The Application of the European Convention on H u m a n Rights, Oxford 1969, S . 3 f . ; a. A . z.B. Heribert Golsong, Die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten, JöR N.F. 10 (1961), S. 128 f. 24 Der EGMR löst also das D r i t t w i r k u n g s p r o b l e m über die Behauptung staatlicher Schutzpflichten, ohne dafür eine Begründung zu geben. A u f diese Weise h ä l t sich der Gerichtshof aus dem Streit über die D r i t t w i r k u n g der Menschenrechte heraus. Diesen Streit hätte er aber auch aus völkerrechtlichen Gründen gar nicht entscheiden können. Die Vertragsstaaten sind n ä m lich lediglich verpflichtet, die Rechte u n d Freiheiten der Konvention innerstaatlich zu gewährleisten. A u f welche Weise sie das tun, durch u n m i t t e l bare A n w e n d u n g der Konvention, über ausdrückliche gesetzliche Regelungen oder ζ. B. durch konventionskonforme Auslegung bestehender Gesetze, ist den Vertragsstaaten überlassen, vgl. A r t . 57 E M R K . Sofern die Konvent i o n die Verpflichtung enthält, die Schutzgüter der Menschenrechte auch gegen Eingriffe D r i t t e r zu schützen, muß es demnach auch den M i t g l i e d staaten überlassen bleiben, ob sie dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, daß sie ausdrücklich gesetzliche Regelungen treffen, daß sie die K o n ventionsnormen i. S. der i n der Bundesrepublik Deutschland zur D r i t t w i r kungsfrage herrschenden Meinung mittelbar über Generalklauseln ins Privatrecht e i n w i r k e n lassen, oder dadurch, daß ihre Gerichte den Menschenrechten der E M R K unmittelbare D r i t t w i r k u n g interpretativ zuerkennen.
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2. Zurechnung kraft innerstaatlicher
Rechtsetzung
Die Entscheidung des EGMR enthält aber noch ein weiteres Begründungselement, das zwar i n der Formulierung der Urteilsgründe von dem Schutzpflichtargument aus A r t . 1 abzuhängen scheint, bei systematischer Betrachtung aber selbständige Bedeutung hat: Wenn das innerstaatliche Recht eine Verletzimg von Schutzgütern der Konvention durch Dritte rechtmäßig macht, dann — so sagt der EGMR — ist der Staat für jede solche Konventions Verletzung verantwortlich. a) Die rechtliche Verpflichtung zur Duldung von Eingriffen Dritter als staatliche Freiheitseinschränkung Dieser Zurechnungsmodus ist einfach und einleuchtend. A u f den konkreten Fall bezogen, sah die Sache so aus: Nach dem Industrial Relations Act 1971 war die Entlassung eines Arbeitnehmers wegen seiner Weigerung, einer Gewerkschaft beizutreten, unzulässig. Dieses Gesetz wurde 1974 durch den Trade Union and Labour Relations Act aufgehoben, der für den Fall, daß der Arbeitgeber m i t einer oder mehreren Gewerkschaften einen closed shop vereinbarte, die Entlassung eines Arbeitnehmers wegen seiner Verweigerung des Gewerkschaftsbeitritts ausdrücklich als „fair" bezeichnete. Die Entlassung der Beschwerdeführer war also die Folge eines staatlichen Aktes, nämlich des Gesetzes, das die Entlassung wegen der Weigerung, einer Gewerkschaft beizutreten, erlaubte 25 . Ohne dieses Gesetz hätte die Kündigungsschutzklage vor dem industrial tribunal Erfolg gehabt. Somit — kann man argumentieren — ist die entsprechende Bestimmung des Trade Union and Labour Relations Act eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit, durch die der Vertragsstaat die Konvention verletzt, w e i l sie den Einschränkungsvoraussetzungen des A r t . 11 Abs. 2 E M R K nicht genügt. Nach dieser Argumentation liegt eine staatliche Verletzung des A r t . 11 als staatsgerichtetes Abwehrrecht vor, und es ist weder erforderlich, auf den Gedanken der D r i t t w i r k u n g zu rekurrieren noch auf eine Schutzpflicht aus A r t . 1, u m die Verantwortlichkeit des Staates zu begründen; erlaubt der Staat Eingriffe Dritter, liegt darin eine staatliche Einschränkung der betreffenden Freiheit 2 6 . Aber ist die gesetzliche Eingriffserlaubnis überhaupt ein staatlicher A k t , der irgendeine rechtliche Relevanz hat? Bedarf der Bürger eines 25
Vgl. Golsong (Anm. 6), S. 18. So m i t Bezug auf das Grundgesetz Jürgen Schwabe (Anm. 3); ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, Darmstadt 1977, S. 211 ff., 221 ff.; ders., Bundesverfassungsgericht u n d „ D r i t t w i r k u n g " der Grundrechte, AöR 100 (1975), S. 442 ff.; vgl. auch Dietrich Murswiek, Die staatliche Verantwortung f ü r die Risiken der Technik. Verfassungsrechtliche Grundlagen u n d i m m i s sionsschutzrechtliche Ausformung, § 5 (erscheint demnächst). 26
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freiheitlichen Rechtsstaats für seine Handlungen überhaupt einer gesetzlichen Erlaubnis? Ist nicht ohnehin erlaubt, was nicht verboten ist? I n der Tat: Konstitutive rechtliche Bedeutung hat die ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis eines Verhaltens nur dann, wenn ein solches Verhalten durch ein bestehendes Gesetz generell verboten ist und die Erlaubnis dieses Verbot ganz oder teilweise aufhebt. U m das am Beispiel unseres Falles zu demonstrieren: Der Trade Union and Labour Relations Act 1974 hob das Verbot der Entlassung wegen Verweigerung des Gewerkschaftsbeitritts auf, welches der Industrial Relations Act 1971 ausgesprochen hatte. Diese Aufhebung des Verbots, diese Erlaubnis, w a r eine Handlung des Staates. Gehen w i r dagegen zeitlich vor das Inkrafttreten des Industrial Relations Act zurück, ergibt sich folgende Situation: Die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von closed shops war gesetzlich überhaupt nicht geregelt. Es gab auch keinen gesetzlichen Kündigungsschutz. Kündigungsstreitigkeiten waren aufgrund des common law zu entscheiden. Ich w i l l mich nun nicht auf zivilrechtliches Glatteis begeben, schon gar nicht auf englisches, und verzichte auf den Versuch, die Umstände genau darzulegen, unter denen auch damals die Gerichte den Zwang zum Gewerkschaftsbeitritt als unzulässig ansahen. W i r wollen von der Annahme ausgehen (die auch der damaligen Rechtslage i m wesentlichen entsprechen dürfte), daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch zum Zwecke der Sanktionierung unterbliebenen Grewerkschaftsbeitritts entlassen durfte; eine Klage des Arbeitnehmers hiergegen hatte keine Aussicht auf Erfolg. I n diesem F a l l war die Entlassimg als Sanktion auf den unterbliebenen Gewerkschaftsbeitritt nicht durch ein Gesetz erlaubt worden; sie w a r lediglich nicht verboten. Rechtstheoretisch aber ist das Erlaubtsein eines Verhaltens nichts anderes als das Nichtverbotensein 27 . Deshalb, so könnte man nun gegen die Argumentation des EGMR einwenden, kann es nicht darauf ankommen, daß England die Entlassung wegen Verweigerung des Gewerkschaftsbeitritts durch den Trade Union and Labour Relations Act 1974 ausdrücklich erlaubt hat. Wäre das der Fall, dann wäre England i m konkreten F a l l n u r deshalb verantwortlich, w e i l es zuvor, nämlich 1971, derartige Entlassungen verboten hatte. Die E M R K verpflichtet die Vertragsstaaten aber nicht, den jeweils höchsten Schutzstandard, den sie einmal gesetzlich gewährt haben, für alle Zukunft aufrechtzuerhalten. Ob der Staat für eine Verletzung von Schutzgütern der E M R K durch Dritte verantwortlich ist, kann demnach nicht davon abhängen, ob er diese Verletzung ausdrücklich i n seiner Gesetzgebung erlaubt hat, sondern n u r davon, ob er es unterlassen hat, sie zu ver27 Vgl. Karl Engisch, E i n f ü h r u n g i n das juristische Denken, 3. Aufl. S t u t t gart 1956, S. 23 f.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik (Anm. 26), S. 43 ff. m . w . N.
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bieten, gleichgültig, ob das Nichtverbot auf der Aufhebung eines zuvor bestehenden gesetzlichen Eingriffsverbots beruht oder einfach auf Unterlassung des Verbots. Ist aber damit nicht die staatliche Verantwortlichkeit i n Frage gestellt? Das Nichtverbot des Eingriffs Privater ist ein Unterlassen. Aber für ein Unterlassen ist der Staat nur dann verantwortlich, wenn er zum Handeln verpflichtet ist. Damit wären w i r wieder beim Ausgangspunkt unserer Überlegungen angelangt, bei der Frage, ob der Staat zum Schutz gegen private Eingriffe verpflichtet ist und woraus sich diese Pflicht ergibt — wenn hinter dem Unterlassen des Gesetzgebers nicht doch ein Tun stünde, das die Zurechnung privaten Verhaltens ermöglicht. N u n unterscheidet sich der Staat von einem imaginären „Naturzustand" dadurch, daß er den K o n f l i k t unter Privaten nicht der Entscheidimg durch das Faustrecht überläßt, sondern selbst rechtliche Entscheidungskriterien zur Verfügung stellt und das Recht m i t Hilfe seines Zwangsapparats durchsetzt. Die rechtliche Regelung dessen, was Private t u n oder unterlassen dürfen oder müssen, insbesondere die Regelung dessen, wie Private sich i m Verhältnis zueinander zu verhalten haben oder nicht verhalten dürfen, die Regelung dessen, was der eine Bürger dem anderen antun darf und was nicht, diese Regelung ist i n der staatlichen Rechtsordnung umfassend getroffen worden. Für das Zurechnungsproblem entscheidend ist nun, daß die Rechtsordnung alles unverbotene Verhalten durch Störungsverbote absichert. Was nicht verboten ist, daran darf man nicht gehindert werden. Das unverbotene Verhalten w i r d also — durch rechtlich durchsetzbare Störungsverbote — rechtlich gewährleistet. Was der eine t u n darf, muß der andere dulden, und was dieser nicht zu dulden braucht, hat jener zu unterlassen. Alle Mitgliedstaaten der EMRK verpflichten ihre Bürger i m innerstaatlichen Recht zur Duldung nicht verbotenen Verhaltens anderer. M i t der Auferlegung dieser Duldungspflicht schränkt der Staat die Rechte und Freiheiten der Konvention ein, wenn das zu duldende Verhalten Dritter i n der Konvention geschützte Rechtsgüter verletzt 2 8 . Sofern diese Einschränkung nicht den i n der Konvention vorgesehenen Einschränkungsvoraussetzungen entspricht, verletzt der Staat damit die betreffenden Rechte und Freiheiten.
28 Vgl. i n bezug auf das Grundgesetz BGHZ 54, 384 (387 f.); Schwabe, Grundrechtsdogmatik (Anm. 26), S. 213 ff.; ders., DVB1. 1973, S. 103 ff., insbes. 109 f.
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b) Die Pflicht zum Verbot von Eingriffen Dritter Dieser Argumentation läßt sich noch die Frage entgegenhalten, ob sich der Staat nicht seiner so begründeten Verantwortlichkeit dadurch entziehen kann, daß er — statt den Eingriff Dritter zu verbieten — die Pflicht des Betroffenen, den Eingriff zu dulden, wieder aufhebt. Damit aber würde der Staat die Beziehungen zwischen seinen Bürgern wieder dem Faustrecht überantworten, ein Stück „Naturzustand" herbeiführen, sich selbst entstaatlichen. Ob die EMRK dies verbietet, erscheint zweifelhaft. Man könnte versucht sein, zur Beantwortung dieser Frage ein ziemlich unbeachtetes, i n seiner Bedeutung noch kaum ergründetes und umstrittenes Recht heranzuziehen, nämlich das Recht auf Sicherheit gemäß A r t . 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK. M i t der Sicherheit der Person wäre es nämlich vorbei, wenn der Staat das „Recht des Stärkeren" walten ließe. Es ist ja das klassische Thema der neuzeitlichen Staatslehre, von Hobbes bis Kant, daß der Staat den Zweck habe, die i m Naturzustand herrschende Unsicherheit zu überwinden und seinen Bürgern Sicherheit gegen die Gewaltsamkeit ihrer Mitbürger zu gewähren. Die Behauptung, A r t . 5 gäbe einen Anspruch auf Sicherheit i n diesem Sinne, möchte ich jedoch nicht wagen, obwohl damit das Problem der dogmatischen Grundlegung staatlicher Schutzpflichten i n der EMRK auf einen Schlag gelöst wäre. Vor der entgegenstehenden Literatur- und Rechtsprechungsansieht, die den engen Zusammenhang m i t dem Recht auf Freiheit betont und i n dem Recht auf Sicherheit — wenn überhaupt etwas — allenfalls eine Verstärkung des Rechts auf Freiheit, etwa i m Sinne von Rechtssicherheit i n bezug auf Freiheitsentziehimg sieht 29 , vor dieser ganz überwältigenden Ansicht habe ich einfach zu viel Respekt. 29 Vgl. EMRK, Beschw. Nr. 7729/76, Dec. Rep. 7, S. 164 (173, § 11) — Agee gegen Vereinigtes Königreich; Beschw. Nr. 5573/72, Dec. Rep. 7, S. 8; Nr. 6040/ 73 (unveröff.); J.E.S. Fawcett (Anm. 23), S. 58; Beschw. Nr. 7050/75 v. 12.10. 1978, S. 31 § 64 (unveröff.); Stefan Trechsel, Die Europäische Menschenrechtskonvention, i h r Schutz der persönlichen Freiheit u n d die Schweizerischen Strafprozeßrechte, Bern 1974, S. 177; ders., Die Garantie der persönlichen Freiheit (Art. 5 E M R K ) i n der Straßburger Rechtsprechung, EuGRZ 1980, S. 514 (518 f.) m. w . N.; Moser (Anm. 1), S. 140 f.; Partsch (Anm. 4), S.358; Guradze, E M R K (Anm. 4), A r t . 5 A n m . 3; Hubert Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten, F r a n k f u r t / M . 1965, A r t . 511, A n m . 5, versteht unter „Sicherheit" dagegen die k ö r perliche Unversehrtheit. F ü r Roman Herzog, Grundrechtsbeschränkung nach dem Grundgesetz u n d Europäische Menschenrechtskonvention, Diss. M ü n chen 1958, S. 17 f., ist „Sicherheit" die Freiheit von Furcht u n d Beunruhigung. (Zur K r i t i k der Begründung dieser These aus einer Wortanalyse von „secur i t y " bzw. „sûreté" vgl. Partsch (Anm. 4), S. 357 f. m i t Fn. 385, 392.) Nach P.van Dijk/C. J. H. van Hoof, De europese conventie i n theorie en p r a k t i j k , Utrecht 1979, S. 192, geht es u m die Sicherheit vor Angriffen anderer. N u r die beiden letztgenannten Ansichten könnten also für das Verständnis von „Sicherheit" i m hier erörterten Sinne zitiert werden. — Z u wenig beachtet wurde i n der
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I c h k a n n m i c h , d a i c h sonst i n d e r E M R K nichts Einschlägiges f i n d e , n u r a u f das A r g u m e n t zurückziehen, daß die E M R K v o n der z u m i n d e s t u n t e r n e u z e i t l i c h e n S t a a t e n des w e s t l i c h e n K u l t u r k r e i s e s als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h g e l t e n d e n V o r a u s s e t z u n g ausgeht, daß die H o h e n V e r t r a g schließenden T e i l e „ S t a a t e n " seien u n d z w a r i n d e m staatstheoretisch p r ä g n a n t e n S i n n , daß sie das M o n o p o l l e g i t i m e r G e w a l t s a m k e i t b e a n spruchen u n d G e w a l t a n w e n d u n g u n t e r i h r e n B ü r g e r n grundsätzlich v e r b i e t e n . G e g e n ü b e r der M ö g l i c h k e i t , e i n e r solchen r e c h t l i c h e n K o n v e n t i o n s v o r a u s s e t z u n g auch r e c h t l i c h v e r p f l i c h t e n d e K r a f t zuzusprechen, i s t f r e i l i c h größere Z u r ü c k h a l t u n g g e b o t e n als gegenüber d e r V e r b i n d l i c h k e i t i n n e r s t a a t l i c h e r Verfassungsvoraussetzungen. I m m e r h i n w ä r e z u e r w ä g e n , o b es sich b e i d e r P f l i c h t des Staates z u r G e w ä h r l e i s t u n g des i n n e r e n F r i e d e n s d u r c h das p r i n z i p i e l l e V e r b o t privater G e w a l t 3 0 nicht u m einen v o n allen „civilised nations" anerk a n n t e n a l l g e m e i n e n Rechtsgrundsatz i m S i n n e v o n A r t . 38 A b s . 1 l i t . c I G H - S t a t u t 3 1 h a n d e l t 3 2 . D i e klassischen M e n s c h e n r e c h t s d e k l a r a t i o n e n Auseinandersetzung u m die Interpretation des Rechts auf Sicherheit bislang, welche Bedeutung dieses Recht i n der Geschichte des Konstitutionalismus gehabt hat. Das zeugt zumindest v o m mangelnden Geschichtsbewußtsein der vorherrschenden Interpretation. Roman Herzog, Das Grundrecht auf Freiheit i n der E M R K , AöR 86 (1961), S. 201, weist darauf hin, daß die französische Verfassung v o m 24.6.1793 i n A r t . 8 definierte: „ L a sûreté consiste dans la protection, accordé par la société à chacun de ses membres pour la conservation de sa personne, de ses droits et de ses propriétés." Bereits die Déclaration des droits de l'homme et d u citoyen v o m 26. 8.1789 hatte i n A r t . 2 die sûreté neben der liberté, der propriété u n d der résistance à l'oppression zu den droits naturels et impréscritibles gerechnet. I n dieser Aufzählung hat die Sicherheit durchaus eigenständige Bedeutung. (Α. A . offenbar Duverger/ Siez, Die staatsbürgerlichen Rechte i n Frankreich u n d i n der U n i o n F r a n çaise, i n : Bettermann/Neumann/Nipperdey [Hrsg.], Die Grundrechte 12, Berl i n 1967, S. 570 ff.) Ä h n l i c h Section 1 der B i l l of Rights von V i r g i n i a v o m 12. 6.1776 oder die Präambel u n d A r t . 1 der B i l l of Rights von Massachusetts v o m 2.3.1780. Was m a n unter „Sicherheit" zu verstehen hat, k a n n man A r t . X dieser Verfassung entnehmen: „Each i n d i v i d u a l of the society has a r i g h t to be protected b y i t i n the enjoyment of his life, liberty, and property, according to standing laws." Wie Georg Jellinek , Die E r k l ä r u n g der Menschen- u n d Bürgerrechte, 4. Aufl. 1927 — zitiert nach dem Abdruck i n : Roman Schnur (Hrsg.), Z u r Geschichte der E r k l ä r u n g der Menschenrechte, Darmstadt 1964 — S. 56, zutreffend bemerkt, liegt es i n der Konsequenz des von John Locke repräsentierten liberalen Naturrechtsdenkens, daß das Recht auf Sicherheit als ein natürlicher Anspruch an den Staat verstanden w i r d , denn der Staat w i r d nach dieser Lehre zu dem Zweck gegründet, Leben, Freiheit u n d Eigentum zu schützen. Dieser Zusammenhang k o m m t besonders gut zum Ausdruck i n A r t . I I I der Verfassung von New-Hampshire v o m 31.10.1783: „ W h e n men enter into a state of society, they surrender up some of their natural rights to that society, i n order to insure the protection of others; and w i t h o u t such an equivalent, the surrender is void." Ä h n l i c h die amerikanische Unabhängigkeitserklärung v. 4. 7.1776 u n d Virginia, B i l l of Rights v. 12.6.1776, Section 3. 80 M i t eng begrenzten Ausnahmen w i e Notwehr u n d Nothilfe. 81 Hierzu vgl. Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 2. Aufl. München 1975, S. 65 ff. m. w. N.
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sehen jedenfalls i m Schutz der Menschenrechte gegen Eingriffe Dritter den Zweck des Staates. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Menschenrechte gegen staatliche Eingriffe erfolgt uno actu mit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur Gewährung von Schutz gegen Eingriffe Dritter 3 8 . Da die Europäische Menschenrechtskonvention nicht losgelöst von dieser Tradition interpretiert werden kann, erscheint die Annahme als naheliegend, daß die Vertragsstaaten bei der Vereinbarimg und Ratifizierung der Konvention von der Geltung dieser Schutzpflicht ausgegangen sind. Auch wenn somit zweifelhaft bleibt, ob die Konvention den Mitgliedstaaten den Ausweg einer Aufhebung des prinzipiellen Gewaltverbots versperrt, kann man sicher davon ausgehen, daß die Staaten diesen Ausweg nicht beschreiten werden — entweder, w e i l schon ihre Verfassung diesen Weg verbaut, auf jeden F a l l aber, w e i l sie damit i h r eigenes Fundament untergrüben. Wenn es aber dabei bleibt, daß die Staaten die ihrer Jurisdiktion unterworfenen Personen verpflichten, nicht verbotenes Verhalten D r i t ter zu dulden, dann sind sie auch verpflichtet, Eingriffe Dritter i n die Rechte und Freiheiten der Konvention zu verbieten 84 . Und dieser Schutzpflicht entspricht ein subjektiver Schutzanspruch. I m Ergebnis also hat der EGMR recht: A r t . 1 E M R K verpflichtet die Vertragsstaaten, die Rechte und Freiheiten der Konvention auch gegen Eingriffe Dritter i m innerstaatlichen Recht zu gewährleisten und ihren Bürgern entsprechende Abwehransprüche zu geben — eben deshalb, w e i l die Unterlassung des Verbots privater Eingriffe eine staatliche Verletzung des jeweiligen Menschenrechts begründen würde. 82 Vgl. Karl Doehring, Die Pflicht des Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes, K ö l n / B e r l i n 1959, S. 47 ff., 89. 83 Vgl. Virginia, B i l l of Rights v. 12.6.1776, Section 1; New-Hampshire, Verfassung ν. 31.10.1783, A r t . I I I ; Massachusetts, B i l l of Rights v. 2.3.1780, A r t . X . Vgl. auch die oben i n Fn. 29 zitierten Verfassungsbestimmungen über das Recht auf Sicherheit, das dort als Anspruch auf staatlichen Schutz gegen Eingriffe D r i t t e r zu verstehen ist. 34 I m Urt. des EGMR v. 18.1.1978, EuGRZ 1979, S. 149 (160, § 240) — N o r d irland, heißt es zwar, das Fehlen eines Rechtssatzes, der ausdrücklich diese oder jene Konventions Verletzung verbiete, reiche zum Nachweis einer V e r letzung nicht aus. Diese Feststellung bezog sich aber auf das Verbot staatlicher Eingriffe. Da der Staat unmittelbar an die Konvention gebunden ist, ist ein innerstaatliches Eingriffsverbot zur Gewährleistung der Rechte u n d Freiheiten insoweit nicht unbedingt erforderlich. Private Eingriffe können aber n u r aufgrund eines Verbots i m innerstaatlichen Recht verhütet w e r den, w e n n man nicht von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g ausgeht. Dieses Verbot muß aber nicht explizit i n einem Gesetz ausgesprochen werden. Es k a n n auch auf Gewohnheits- oder Richterrecht beruhen oder auf einer gesetzlichen Generalklausel („gute Sitten"), sofern dem nicht andere Rechtsnormen entgegenstehen.
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Dietrich M u r s w i e k I I I . Ist der Staat audi zum Schutz vor beeinträchtigenden Vertragsinhalten verpflichtet?
Nicht berücksichtigt wurde bisher, daß es i m Fall Young, James und Webster u m die Kündigung von Arbeitsverträgen ging. Kann überhaupt — muß man sich fragen — die Kündigung eines Vertrages ein „Eingriff" sein? Schließt nicht schon das Prinzip der Privatautonomie, das auf der Freiwilligkeit der Kontrahenten beruht, die Möglichkeit von Freiheitsbeeinträchtigungen durch einen Vertrag oder seine A b wicklung aus? Diese Frage ist differenziert zu beantworten. Sofern der Vertrag seinen Inhalt allein aus der freien Vereinbarung der Vertragspartner erhält, entspricht die Verpflichtung beider Vertragspartner auf diesen Inhalt ihrem freien Willen. Dann kann die Durchführung dieser Vereinbarung nicht als Eingriff i n Rechtsgüter des Betroffenen angesehen werden. Dies gilt auch dann, wenn ζ. B. der Schuldner seine Verpflichtung nicht freiwillig erfüllen w i l l und der Gläubiger m i t Hilfe des Staates die Zwangsvollstreckung betreibt. Den rechtlichen Grund hierfür hat der Schuldner m i t dem Abschluß des Vertrages selbst gesetzt, so daß er sich gegen die Konsequenzen nicht auf Grundrechte berufen kann 5 5 . Allgemein läßt sich sagen, daß das Freiheitsprinzip auch das Recht beinhaltet, sich vertraglich dazu zu verpflichten, die Ausübung seiner Freiheit i n bestimmter Weise einzuschränken. Jede vertragliche Verpflichtung ist ja eine Freiheitseinschränkimg. Unvereinbar mit dem Freiheitsprinzip wäre jedoch, auf die Wahrnehmung von Menschenrechten generell zu verzichten. So wie niemand sich selbst als Person veräußern kann 8 8 , darf auch niemand die nicht nur i n der westlichen Verfassungstradition, sondern auch von der EMRK, die sich i n der Präambel auf die UN-Menschenrechtsdeklaration bezieht, als „unveräußer35 Anders ζ. B. Schwabe, Die sogenannte D r i t t w i r k u n g (Anm. 3), S. 19 ff., 67 ff. — Es t r i f f t zwar zu, daß man erlaubte Vertragsinhalte dem Staat aufgrund seiner Rechtsetzung zurechnen kann. N u r schließt die dem Vertragsbegriff immanente F r e i w i l l i g k e i t aus, daß ein Eingriff vorliegt. Würde dagegen der Gesetzgeber solchen „Verträgen", die unter Zwang zustande k o m men, unanfechtbare Rechtswirksamkeit verleihen (ζ. B. durch Aufhebung des § 123 BGB), läge darin eine Einschränkung der potentiell betroffenen Grundrechte. 86 Aus A r t . 4 Abs. 1 E M R K ergibt sich sogar ausdrücklich die Verpflicht u n g des Staates, i n seiner Rechtsordnung einen Vertrag als nichtig anzusehen, durch den jemand sich selbst verkauft. — Z w a r liegt auch i n einem solchen F a l l wegen der F r e i w i l l i g k e i t kein „ E i n g r i f f " vor, aber f ü r die V e r äußerung eines Menschenrechts, die nach der E M R K nicht zulässig ist, ist der Staat, der sie nicht untersagt, verantwortlich, w e n n er durch das staatliche Vertragsrecht den Betroffenen verpflichtet, seine Pflichten aus dem Ver äußerungsvertrag zu erfüllen.
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lieh" angesehenen Menschenrechte, genauer: die Schutzgüter dieser Rechte, als solche veräußern 57 . Zur Pflicht der Vertragsstaaten, die Menschenrechte i m innerstaatlichen Recht zu gewährleisten, gehört daher auch, derartigen Verträgen die Rechtswirksamkeit zu versagen 88 . I m übrigen kann die Verantwortlichkeit des Staates i m Vertragsrecht dadurch begründet sein, daß der Staat die Vertragsfreiheit einschränkt, indem er für bestimmte Gattungen von Verträgen bestimmte Vertragsinhalte vorschreibt, so z.B. zwingende gesetzliche Kündigungsgründe bei Dauerschuldverhältnissen. Dispositive Regelungen des Vertragsrechts ändern dagegen nichts an der Freiwilligkeit der vertraglichen Abrede, so daß der Vertragsinhalt nicht auf der staatlichen Vorschrift beruht. Schließlich kann die Freiwilligkeit einer vertraglichen Vereinbarung auch aus tatsächlichen Gründen i n Frage gestellt sein. Das hat zum Beispiel die Diskussion um die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gezeigt, die praktisch jeder unterschreiben muß, der etwa einen Versicherungsvertrag abschließen oder ein Auto kaufen w i l l . A l l e i n die Tatsache allerdings, daß einer der Vertragspartner am längeren Hebel sitzt und dem anderen die Vertragsbedingungen sozusagen diktieren kann, macht den Vertragsschluß noch nicht zu einem einseitigen Eingriff des Stärkeren. Dem anderen bleibt ja die Möglichkeit, auf den Abschluß des Vertrages zu verzichten, sofern er nicht existentiell auf die gewünschte Leistung angewiesen ist. N u r i n Ausnahmefällen, wenn die soziale Macht des einen so groß, die soziale Angewiesenheit oder A b hängigkeit des anderen so stark ist, daß i h m faktisch nichts anderes übrig bleibt als einen Vertrag bestimmten Inhalts zu schließen, kann i m „ D i k t a t " eines bestimmten Vertragsinhalts, durch den grundrechtliche Schutzgüter betroffen werden, ein Eingriff gesehen werden, den der Staat zu untersagen verpflichtet ist. Entsprechendes gilt für die 87 Vgl. Moser (Anm. 1), S. 83, 114 f., allerdings m i t der zu weitgehenden Forderung, jede vertragliche Freiheitseinschränkung müsse „sachlich gerechtfertigt" sein u n d dürfe keine übermäßigen oder nicht erforderlichen Nachteile m i t sich bringen. Wo die Grenze genau zu ziehen ist, bis zu der h i n m a n sich vertraglich zur Einschränkung seiner Freiheit verpflichten kann, ist ebenso schwer, aber auch nicht schwerer zu bestimmen, w i e etwa die Frage, ob ein Vertrag gegen die „guten Sitten" verstößt. A u f einzelne Konkretisierungskriterien k a n n hier nicht eingegangen werden. Z u orientieren hat sich die Grenzziehung jedenfalls am Schutz der Menschenwürde, so daß es jeweils darauf ankommt, ob der „Menschenwürdekern" des j e w e i ligen Freiheitsbereichs oder sonstigen Schutzgutes berührt w i r d . Unzulässig ist daher grundsätzlich n u r die Entäußerung eines Menschenrechts, also die Aufgabe des Rechts, über das geschützte Gut selbst zu bestimmen, nicht aber die Gestattung eines „Eingriffs" i m konkreten Fall, selbst w e n n sie an die Substanz des geschützten Gutes geht. 88 Diese Verpflichtung folgt i n der Bundesrepublik Deutschland auch aus der Pflicht zum Schutz der Menschenwürde gemäß A r t . 1 Abs. 1 Satz 2 GG.
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Wahrnehmung an sich vertragsmäßiger Rechte — etwa eines K ü n d i gungsrechtes — zu vertragsfremden Zwecken durch eine entsprechende soziale Macht. Wo dagegen eine solche Machtkonstellation nicht gegeben ist, die dazu führt, daß gewaltlose Maßnahmen eine gleich starke W i r kung auf den sozial Abhängigen entfalten wie ein gewaltsamer Eingriff, dort läßt sich die Verantwortlichkeit des Staates für den Schutz der faktischen Voraussetzungen der Grundrechtsausübung nicht mehr aus der negatorischen Funktion der Grundrechte heraus begründen. Hier kommt nur eine sozialstaatliche Verpflichtung zur Gewährleistung der faktischen Realisierungsbedingungen grundrechtlicher Freiheit i n Betracht, über die i n der Bundesrepublik Deutschland gestritten wird. Für die EMRK muß eine solche sozialstaatliche Menschenrechtsauslegung jedenfalls abgelehnt werden, denn eine Sozialstaatsklausel, wie sie das Grundgesetz wenigstens als Anknüpfungspunkt für eine solche Interpretation bietet, fehlt hier. Auch der Wille der Vertragsstaaten bei Vereinbarung der Konvention, der i m Völkerrecht gewichtiger ist als der subjektive Wille des Gesetzgebers i m innerstaatlichen Recht, spricht gegen eine solche Interpretation. Die sozialen Grundrechte sind bewußt i n eine besondere Konvention, die Europäische Sozialcharta, aufgenommen worden 8®. Zurück zu unserem Fall! Wie hätte der EGMR sein Urteil begründen müssen, wenn er auf die Problematik des Vertragsrechts eingegangen wäre? Hätte der Trade Union and Labour Relations Act i n bestehende Arbeitsverträge der Beschwerdeführer eingegriffen und dem Arbeitgeber einen zuvor nicht bestehenden Kündigungsgrund gegeben, dann wäre die staatliche Verantwortlichkeit für die Kündigung unproblematisch. Ist das also der Fall? Das Gesetz nimmt j a lediglich Kündigungen wegen Verweigerung des Gewerkschaftsbeitritts vom sonst bestehenden gesetzlichen Kündigungsschutz aus. Vertragliche Abmachungen über Kündigungsvoraussetzungen bleiben unberührt. Beim Abschluß von Verträgen geht man jedoch von dem i m Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden gesetzlichen Vertragsrecht aus. Was das Gesetz bereits regelt, nimmt man nicht ausdrücklich i n den Vertrag auf. Wenn also eine Änderung dispositiven gesetzlichen Vertragsrechts bereits bestehende Verträge erfaßt, dann greift das Änderungsgesetz i n seiner vertragsergänzenden Funktion i n die Vertragsfreiheit ein. Sofern dieser Eingriff zu Beeinträchtigungen von i n der Konvention geschützten Gütern führt, ist der Staat dafür verantwortlich, wie der EGMR i m Fall Young, James und Webster i m Ergebnis zu Recht angenommen hat. 39 Vgl. Ministerkomitee des Europarates, E r k l ä r u n g über die Menschenrechte v. 27. 4.1978, EuGRZ 1978, S. 228.
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Schwieriger dürfte — das hat die Kommission richtig gesehen40 — die Konventionswidrigkeit von closed shops i m Verhältnis zu solchen Arbeitnehmern zu begründen sein, die i n einem Betrieb Beschäftigung suchen, i n dem bereits ein closed shop besteht, w e i l diese sich vertraglich verpflichten, einer Gewerkschaft beizutreten 41 .
C. Offene Probleme I m Fall Young, James und Webster hat der EGMR die dogmatische Grundfrage der staatlichen Pflicht zum Schutz vor Eingriffen Dritter geklärt: Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, in ihrem innerstaatlichen Recht Eingriffe Dritter i n die Rechte und Freiheiten der Konvention zu verbieten. M i t dieser Grundsatzentscheidung sind freilich noch längst nicht alle Probleme gelöst, die sich i m Zusammenhang m i t staatlichen Schutzpflichten stellen. Diese i n der Straßburger Rechtsprechung noch offenen Probleme können hier nur kurz angerissen werden. I . Auf welche Rechte und Freiheiten bezieht sich die Schutzpflicht?
Der EGMR hat durch den Duktus seiner Begründung bereits deutlich gemacht, daß die staatliche Pflicht zum Verbot privater Eingriffe nicht nur für A r t . 11 E M R K gelten kann. Die Begründimg dieser Verpflichtung gilt vielmehr für den Schutz aller i n der EMRK geschützten Güter, die ihrem Wesen nach durch Private überhaupt beeinträchtigt werden können, also für alle insoweit i n Betracht kommenden negatorischen Rechte und Freiheiten. Fraglich ist dagegen, ob der Staat auch verpflichtet ist, Diskriminierungen seitens Dritter zu untersagen. Dies muß schon wegen der insoweit eindeutigen Formulierung des Art. 14 EMRK verneint werden. Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsstaaten, die Rechte und 40
Bericht § 165, EuGRZ 1980, S. 450 (452). Auch f ü r den vorliegenden F a l l ist übrigens geltend gemacht worden, die Beschwerdeführer seien vertraglich zum Gewerkschaftsbeitritt verpflichtet gewesen, w e i l nach ihrem Arbeitsvertrag auf sie diejenigen Bestimmungen u n d Beschäftigungsbedingungen angewendet werden sollten, die jeweils zwischen B r i t i s h R a i l u n d den Gewerkschaften vereinbart wurden. A u f grund dieser Klausel sei das closed-shop-agreement Vertragsbestandteil geworden. (Vgl. O'Higgins, The H u m a n Rights Review 6 [1981], S. 22.) Wenn es eine solche Vertragsklausel gab u n d w e n n sie tatsächlich i n dem Sinne zu verstehen wäre, daß alles, was der Arbeitgeber m i t den Gewerkschaften vereinbart, unabhängig v o m Gegenstand, den Arbeitnehmer verpflichtet, dann hätte der Arbeitnehmer m i t der Anerkennung dieser Klausel über Grundfreiheiten, insbesondere über die aus A r t . 11 Abs. 1 E M R K verfügt. Eine solche Verfügung darf, w i e oben ausgeführt, der Gesetzgeber nicht zulassen; verletzt er diese Pflicht, muß er sich die Folgen zurechnen lassen. 41
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Freiheiten der Konvention allen Bürgern i n gleicher Weise zu gewährleisten, und zwar — nach den Erkenntnissen, die w i r über die Schutzpflicht gewonnen haben — auch insofern diskriminierungsfrei zu gewährleisten, als Eingriffe Dritter zu verbieten sind. Der Staat selber darf also nicht diskriminieren, auch nicht bei seiner Schutzgewährung. A r t . 14 verbietet die Diskriminierung bei der Rechtsgewährleistung seitens des Staates 42 , nicht aber jede Ungleichbehandlung als solche. Die Freiheitssphäre der Bürger w i r d von dieser Bestimmung nicht erfaßt. Was die Bürger m i t ihrer staatlich gewährleisteten Freiheit anfangen, darüber macht die Konvention keine Vorschriften, sofern die Freiheitsausübung nicht zu Eingriffen i n Menschenrechte anderer führt, die vom Staat zu unterbinden sind. I m Rahmen dieser und anderer vom Gesetzgeber zulässigerweise gesetzten Schranken aber ist es den Bürgern selbst überlassen, was sie aus ihrer Freiheit machen; eben darin besteht diese Freiheit ja. Bürgerliche Freiheit ist auch die Freiheit zu w i l l k ü r licher Ungleichbehandlung. Der Gesetzgeber kann diese Freiheit einschränken, soweit er damit nicht gegen andere Rechte und Freiheiten verstößt; er ist zu solchen Einschränkungen nach der E M R K jedoch nicht verpflichtet. Etwas anderes g i l t nur dort, wo die Diskriminierung zugleich ein Eingriff i n das Schutzgut eines negatorischen Menschenrechts wäre. Aber das ist kein Problem des Art. 14.
I I . Pflicht zum Schutz vor „Menschenrechtsgefährdungen"?
Bislang haben w i r uns nur mit der Frage befaßt, ob der Staat zum Schutz gegen Eingriffe Dritter verpflichtet ist. Eingriffe sind gezielte Verletzungen geschützter Güter. Da die EMRK die Anerkennung und Einhaltung der i n der Konvention erklärten Rechte der Präambel gemäß „wirksam" gewährleisten soll, reicht der Schutz gegen solche gezielten Verletzungen nicht aus. Vielmehr sind die Rechte und Freiheiten der Konvention auch gegen sonstige Beeinträchtigungen, also gegen unbeabsichtigte, nicht vorsätzliche Verletzungen zu schützen. Eingriffe — hatten w i r gesehen — muß der Staat verbieten. Dagegen ist es unmöglich, ungewollte Beeinträchtigungen zu verbieten. Ge- und Verbote richten sich an den verhaltenssteuernden menschlichen Willen. Die Herbeiführimg eines ungewollten Erfolgs kann daher nicht verboten werden. Aber man kann die Vermeidung dieses Erfolgs zur Pflicht machen, indem man dem Handelnden Sorgfaltspflichten auferlegt, die er zur Vermeidung dieses Erfolgs zu beachten hat. Derartige Sorgfalts42 U n d zwar n u r bei der Gewährleistung der Rechte der Konvention, vgl. EGMRE 2 , 1 (29 f.) = EuGRZ 1975, S. 298 — Belgischer Sprachenfall; Partsch (Anm. 4), S. 325 m. w . N.; Guradze, FS Nipperdey (Anm. 4), S. 767; ders., E M R K , A r t . 14 A n m . 3 m. w. N.
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pflichten können sehr unterschiedliche Intensität haben, etwa: „Verhalte dich so, daß der unerwünschte Erfolg unmöglich eintreten kann!", „Beachte die zur Vermeidung des Erfolgs i m Verkehr erforderliche Sorgfalt!", „Beachte die Regeln der Technik!", „Halte dich an den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Sicherheitstechnik!" oder „Verhalte dich so, daß du andere nicht i n Gefahr bringst!". Allgemein läßt sich hier sagen: Die Vertragsstaaten müssen auch ihren Bürgern dasjenige Maß an Sorgfalt i n ihrem Verhalten vorschreiben, das sie selbst zur Vermeidung von ungewollten Menschenrechtsverletzungen zu beachten haben. Welche Anforderungen aber stellt die E M R K an diese Sorgfaltspflichten? Der Gesichtspunkt der Effektivität der Menschenrechtsgewährleistung gibt hier nur einen sehr unbestimmten Anhaltspunkt. Dieser Gesichtspunkt zwingt zu der Annahme, daß nicht nur solche Verhaltensweisen konventionswidrig sind, die m i t Sicherheit zur Verletzimg eines Schutzgutes führen, sondern auch solche, die m i t großer Wahrscheinlichkeit die Verletzung eines Schutzgutes herbeiführen 48 . Aber wie groß muß diese Wahrscheinlichkeit sein, damit das staatliche Verhalten konventionswidrig ist, oder damit der Staat das Verhalten Privater untersagen muß? Ein Maximum an Schutz verlangt die Konvention gewiß nicht. Es gibt j a eine Dialektik von Sicherheit und Freiheit. Je mehr Schutz der Staat dem einen vor unbeabsichtigten Verletzungen eines anderen bietet, desto mehr muß er die Freiheit des anderen beschränken. Sicherheit ist nur auf Kosten von Freiheit zu haben. Totale Sicherheit würde totale Unfreiheit bedeuten. Folglich kommt es praktisch darauf an, Freiheit und Sicherheit i n ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, also ein Optimum sowohl von Freiheit als auch von Sicherheit zu erreichen. Wo freilich dieses Optimum liegt, daran können sich die Gemüter erhitzen, und das kann keine Verfassung und keine Menschenrechtskonvention für alle Fälle vorentscheiden. Die Antworten, die sich i n der Verfassungspraxis herausbilden durch politische Willensbildung, mögen sehr unterschiedlich ausfallen, wenn es ζ. B. u m die Risiken einer Sportveranstaltung oder u m die Risiken eines Atomkraftwerks geht. Weil das so ist, kann es nicht Aufgabe einer angeblichen Interpretation der Konvention sein, dieses Optimum zu bestimmen. Die Konvention gibt hierfür keine Kriterien. Sie überläßt es dem politischen Prozeß der Vertragsstaaten, dieses Optimum zu finden. Aus dem Grundsatz der Effektivität der Menschenrechtsgewährleistung kann man demnach nur die Forderung nach einem M i n i m u m an Sicherheit gegenüber 43 Vgl. f ü r entsprechende Überlegungen zu den Grundrechten i n der B u n desrepublik Deutschland z.B. BVerfGE 49, 89 (141 f.); 52, 214 (220); 53, 30 (57); 56, 54 (78).
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Menschenrechtsgefährdungen ableiten. Dieses M i n i m u m läßt sich nur verhältnismäßig unbestimmt formulieren: Der Staat hat bei seinem eigenen Verhalten große Gefahren für die i n der Konvention geschützten Güter zu vermeiden und den seiner Jurisdiktion unterworfenen Personen die Verursachung großer Gefahren zu untersagen, ihnen also dasjenige Maß an Sorgfalt i n ihrem Verhalten zu gebieten, das zur Vermeidung großer Gefahren erforderlich ist. Bei der Konkretisierung dieses Grundsatzes ist zu beachten, daß der Begriff der Gefahr zwei Elemente enthält: Die Wahrscheinlichkeit und den Umfang des potentiellen Schadens. Das Produkt aus Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensumfang bestimmt die Größe der Gefahr 44 . Je größer also das Ausmaß des potentiellen Schadens, desto geringer muß die Wahrscheinlichkeit sein, daß es tatsächlich zur Schädigung kommt 4 5 . Daß die Quantifizierung sowohl auf der Wahrscheinlichkeitsais auch auf der Schadensseite äußerst schwierige tatsächliche und rechtliche Probleme m i t sich bringen kann, sei hier nur angemerkt.
I I I . Sekundäre Schutzpflichten
Die Verpflichtung des Staates, Menschenrechtsverletzungen und schwerwiegende Menschenrechtsgefährdungen seitens Dritter zu verbieten, kann als „primäre Schutzpflicht" bezeichnet werden 46 . Dieses Verbot ist die notwendige Voraussetzung für einen effektiven Schutz der Menschenrechte gegen Beeinträchtigungen seitens Dritter. Es ist notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung für die Effektivität dieses Schutzes. U m die Menschenrechte wirksam zu schützen, ist es auch erforderlich, dieses Verbot tatsächlich durchzusetzen. Stünde es nur i m Gesetzblatt, würde es aber nicht beachtet, dann wäre es wertlos. Die Vertragsstaaten sind also grundsätzlich auch zur Durchsetzung des Eingriffsverbots verpflichtet. Diejenigen Pflichten, die der Durchsetzimg des Eingriffsverbots dienen, sollen als „sekundäre Schutzpflichten" bezeichnet werden. Da die E M R K über den Umfang sekundärer Schutzpflichten kaum Aussagen macht, müssen sie i m wesentlichen systematisch aus den zur primären Schutzpflicht entwickelten Gedanken abgeleitet werden. 44 Vgl. z.B. Peter Marburger, i n : B l ü m e l / W a g n e r (Hrsg.), Technische Risiken u n d Recht, Karlsruhe 1981, S.27; Bernd Bender, N J W 1979, S. 1425 f. 45 Vgl. zum deutschen Gefahrenabwehrrecht z.B. BVerwGE 45, 51 (61); V G Würzburg, N J W 1977, S. 1649 (1650) m. w . N. 46 Z u r Bedeutung der Unterscheidung von P r i m ä r - u n d Sekundärnormen f ü r die Grundrechtsdogmatik vgl. Schwabe, Die sogenannte D r i t t w i r k u n g (Anm. 3), S. 29, 36 f.
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1. Rechtsschutz und Zwangsvollstreckung Die wichtigste sekundäre Schutzpflicht ist allerdings i n der E M R K ausdrücklich geregelt: A r t . 6 Abs. 1 gibt einen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz i n zivilrechtlichen Streitigkeiten 4 7 . Gegen Eingriffe Dritter i n Rechtsgüter, die der Staat aufgrund seiner primären Schutzpflicht verboten hat, kann der Betroffene sich gerichtlich zur Wehr setzen. Dies setzt voraus, daß der Staat i h m insoweit subjektive A b wehrrechte gegen Eingriffe Dritter zur Verfügung stellt, als er selbst verpflichtet ist, Eingriffe zu verbieten 48 . Die subjektivrechtliche Gewährleistung der Rechte und Freiheiten der Konvention gegen Eingriffe Dritter gehört somit zur von Art. 1 EMRK geforderten effektiven Gewährleistung. Wirksamer Rechtsschutz besteht i m übrigen nur dann, wenn der gerichtlich festgestellte Anspruch auf Betreiben des Klägers vom Staat auch durchgesetzt wird. Die Garantie des gerichtlichen Rechtsschutzes i n Zivilsachen impliziert also auch die Garantie des Anspruchs auf Zwangsvollstreckung zivilgerichtlicher Entscheidungen. 2. Störung sbeseitigungs- und Schadensersatzansprüche Nicht mehr unmittelbar aus expliziten Konventionsbestimmungen heraus läßt sich die Forderung begründen, daß der durch die Verletzimg eines Schutzguts Betroffene einen Anspruch auf Beseitigung der eingetretenen Beeinträchtigung beziehungsweise auf Schadensersatz für die Verletzung des Schutzguts haben muß. Auch dies ergibt sich jedoch zwingend aus der Pflicht des Staates, die Menschenrechte effektiv zu gewährleisten. 3. Sonstige Schadensabwendungspflichten Aber sind m i t diesen M i t t e l n des individuellen gerichtlichen Rechtsschutzes die Rechte und Freiheiten schon hinreichend gewährleistet? Die gerichtliche Durchsetzung individueller Ansprüche allein bietet noch keinen hinreichenden Schutz für die zu schützenden Individual47 EGMR, Urt. v. 21.2.1975 — F a l l Golder, EuGRZ 1975, S. 91 (93 ff.); U r t . v. 9.10.1979 — F a l l Airey, EuGRZ 1979, S. 626 (627 ff.); vgl. Dürig, i n : Maunz/ Dürig, Grundgesetz, A r t . 1 Rdnr. 68; Guradze, E M R K (Anm. 4), A r t . 6 A n m . 14; Golsong (Anm. 6), S. 18. 48 Ob außerdem A r t . 13 E M R K den Anspruch enthält, gegen Verletzungen der Rechte u n d Freiheiten der Konvention durch Private eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen, ist umstritten, aber aus der Sicht der hier vertretenen Ansicht praktisch belanglos. F ü r die A n w e n dung des A r t . 13 E M R K auf Eingriffe D r i t t e r ζ. B. Moser (Anm. 1), S. 106 ff. m. w . N.; Francis G. Jacobs (Anm. 6), S. 12, 216; dagegen ζ. B. Morvey (Anm. 4), S. 319 f.; Guradze, Die Schutzrichtung der Grundrechtsnormen (Anm. 4), S. 764.
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rechtsgüter. Der gerichtliche Rechtsschutz käme oft zu spät, u m Angriffe abzuwehren. Und Schadensersatzansprüche, auch wenn sie realisiert werden können, kompensieren die Verletzung des Schutzgutes jedenfalls dann nicht vollständig, wenn es sich um Leben oder Gesundheit handelt. Sie können die Verhütung von Schäden nur i n gewissem Sinne ausgleichen, aber nicht ersetzen. Sie dispensieren den Staat nicht von seiner Pflicht zum effektiven Schutz. Was also muß der Staat tun, u m die Beeinträchtigung der zu schützenden Güter zu verhüten? Welche M i t t e l muß er einsetzen, um das Verbot privater Menschenrechtsbeeinträchtigungen effektiv durchzusetzen? I n Betracht kommen Sanktionen, deren Androhung dazu dient, von der Beeinträchtigung der Schutzgüter abzuschrecken, und i n Betracht kommen Vorkehrungen und Maßnahmen, die der Überwachung des Verhaltens Privater i m Hinblick auf seine Rechtmäßigkeit dienen, sowie das Einschreiten, gegebenenfalls m i t Zwangsmitteln, gegen verbotenes Verhalten oder eingetretene Störungen. a) Die Pflicht zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit Es liegt auf der Hand, daß kein Staat i n der Lage ist, bei noch so großer Anstrengung aller seiner Möglichkeiten, jede rechtswidrige Schutzgutbeeinträchtigung seitens Dritter zu verhindern. Hierzu kann der Staat nicht verpflichtet sein. Auch auf dieser Ebene kann i m übrigen das Streben nach einem Maximum an Schutz zur Vernichtimg des freiheitlichen Charakters eines Gemeinwesens führen. Auch hier kann es nur u m die Optimierung des Schutzes gehen, um die Herstellung eines Zustandes öffentlicher Sicherheit und Ordnung, i n dem die dem Schutz anderer dienenden Verhaltenspflichten von den Bürgern prinzipiell beachtet werden und i n dem die Regelverletzung die Ausnahme bleibt. Wo dieses Optimum liegt, ist von der Konvention nicht vorgegeben, und welche M i t t e l der einzelne Staat zum Schutz seiner Bürger einsetzen kann, hängt von den unterschiedlichsten tatsächlichen Gegebenheiten ab, nicht zuletzt von den Finanzmitteln, die hierfür zur Verfügung stehen. Eine Konventionsverletzung könnte man daher i n diesem Zusammenhang nur i n dem praktisch wohl nie vorkommenden F a l l bejahen, daß ein Staat zur Bekämpfung bestimmter Gefahren überhaupt keine oder vollkommen unzulängliche M i t t e l zur Verfügung stellt. b) Die Pflicht zum Einschreiten i m konkreten Fall Eine andere Frage ist, unter welchen Voraussetzungen die Vertragsstaaten verpflichtet sind, die zur Verhütung von Rechtsgutverletzungen zur Verfügung stehenden M i t t e l auch tatsächlich i n bestimmter Weise einzusetzen. Diese Frage w i r d i n der Bundesrepublik Deutschland ζ. B.
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diskutiert unter dem Gesichtspunkt eines Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten gegen Störer 4® oder unter dem Gesichtspunkt eines A n spruchs auf diplomatischen Schutz 50 . Ich kann hier auf Einzelheiten dieser Diskussion nicht eingehen, möchte aber die These aufstellen, daß ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen Störer oder auf Auslandsschutz sich unter Umständen aus der Pflicht des Staates zur effektiven Menschenrechtsgewährleistung ergeben kann. Eine solche Verpflichtung, i m konkreten Fall zur Abwehr einer Gefahr überhaupt tätig zu werden, ist dann gegeben, wenn es sich um eine große Gefahr handelt, wenn die zur Abwehr der Gefahr erforderlichen M i t t e l i m konkreten Fall zur Verfügung stehen (und nicht ζ. B. gerade anderweitig benötigt werden) und die Gefahr nur durch staatliches Einschreiten abgewehrt werden kann. Z u m Einsatz bestimmter M i t t e l kann der Staat nur dann verpflichtet sein, wenn nur ein ganz bestimmtes M i t t e l zur Abwehr der Gefahr geeignet ist. I m übrigen ist der Staat i n der Entscheidung über die A r t und Weise der Schutzgewährimg unter dem Schutzpflichtaspekt ungebunden. Die Verpflichtung zum Einschreiten oder zum Einsatz eines bestimmten Mittels entfällt, wenn dadurch andere Belange des Staates beeinträchtigt werden könnten. Maßnahmen gegen den Störer beeinträchtigen andere Belange des Staates nie, wenn der Störer der Herrschaftsgewalt des Staates unterliegt. Für den Auslandsschutz g i l t dieser Satz also nicht. D. Schlußbemerkung A l l e n sekundären Schutzpflichten ist gemein, daß sie sich auf die Verpflichtung zur effektiven Gewährleistung der Menschenrechte stützen. Die Begründung dieser Schutzpflichten darf nicht verwechselt werden mit einer sozialstaatlichen Pflicht zur Gewährleistung „realer Freiheit" durch Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen für tatsächliche Freiheitsausübung. Die Behauptung einer solchen Pflicht, die 49 Vgl. z.B. BVerwGE 11, 95 (97); Volkmar Götz, Allgemeines Polizei- u n d Ordnungsrecht, 6. A u f l . Göttingen 1980, S. 73 ff.; Fritz Ossenbühl, Der p o l i zeiliche Ermessens- u n d Beurteilungsspielraum, D Ö V 1976, S. 467 ff.; Rüdiger Breuer, Die Grundrechte als Anspruchsnormen, Festgabe BVerwG, München 1978, S. 104 f. m. w. N. 60 Vgl. z.B. BVerfGE 4, 299 (304); 41, 126 (182); 55, 349 (364ff.); Wilhelm Karl Geck, Der Anspruch des Staatsbürgers auf Schutz gegenüber dem A u s land nach deutschem Recht, ZaöRV 17 (1956/57), S. 476 ff.; Karl Doehring (Anm. 32); Georg Ress, Mangelhafte diplomatische Protektion u n d Staatshaftung, ZaöRV 32 (1972), S. 420 ff.; Eckart Klein, Diplomatischer Schutz u n d grundrechtliche Schutzpflicht, D Ö V 1977, S. 704 ff.; Karlheinz Oberthür, Der Anspruch des deutschen Staatsangehörigen auf diplomatischen u n d konsularischen Schutz gegenüber anderen Staaten, Diss. K ö l n 1965.
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i n der verfassungsrechtlichen Literatur auch auf die Pflicht zur effektiven Grundrechtsgewährleistung gestützt wird 5 1 , postuliert einen status positivus. Sie ist jedenfalls für die E M R K nicht haltbar. Die durch die sekundären Schutzpflichten zu gewährleistende Sicherheit gegen Menschenrechtsverletzungen seitens Dritter bleibt i m Rahmen des freiheitsrechtlichen status negativus 52 und ist i m Rahmen der liberal-rechtsstaatlichen Grundrechtsdogmatik vollziehbar 53 , auch wenn es i m einzelnen schwierige Konkretisierungsprobleme gibt. Aber mit solchen Problemen sieht sich die Grundrechtsdogmatik auch i m Hinblick auf staatliche Eingriffe konfrontiert. Was die nähere Konkretisierung des Umfangs der hier erörterten und auch der nicht näher behandelten weiteren sekundären Schutzpflichten angeht, kann auf die Diskussion zum nationalen Verfassungsrecht verwiesen werden 54 . Die Begründungs- und Konkretisierungsprobleme stellen sich dort i n analoger Weise. So werden sich die Argumente des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz durch strafrechtliche Sanktionen 5 5 oder zum Schutz durch Verfahren 5 6 auch für die EMRK fruchtbar machen lassen. Freilich w i r d man i m Rahmen einer internationalen Konvention die Rechtsfortbildung noch behutsamer betreiben müssen als i m Rahmen des Verfassungsrechts, so daß hinsichtlich der Postulierung konkreter Schutzmaßnahmen äußerste Zurückhaltung geboten ist. 61 M. E. zu Unrecht: Wenn die Grundrechte Abwehrrechte sind, k a n n ihre effektive Gewährleistung n u r effektive A b w e h r bedeuten. 52 Gewährung v o n Schutz ist A b w e h r v o n Eingriffen, nicht positive Gestaltung; vgl. Dürig, i n : Maunz/Dürig, Grundgesetz, A r t . 1 Rdnr. 2, 3. 63 Deshalb ist die hier vorgetragene Schutzpflichtkonzeption nicht den E i n wänden ausgesetzt, die unter den Aspekten mangelnder Rationalität oder der Umdeutung v o n Rechten i n Pflichtbindungen gegen die „ W e r t " - I n t e r pretation der Grundrechte oder gegen die „sozialstaatliche Grundrechtsinterpretation" vorgebracht worden sind, ζ. B. von Ernst Forsthoff, Rechtsstaat i m Wandel, 2. A u f l . München 1976, S. 134 ff., 206 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit. F r a n k f u r t / M . 1976, S. 233 ff., 238 ff. — Die Ansicht, die Pflicht des Staates zum Schutz gegen Eingriffe D r i t t e r sei m i t der klassischen Grundrechtskonzeption nicht vereinbar — so Morvey (Anm. 4), S. 321 —, ist nicht haltbar, w i e schon ein Blick i n die oben Fn. 29 zitierten Verfassungstexte zeigt. Vielmehr sind alle Verfassungsstaaten dieser Pflicht i n der Regel m i t einer solchen Selbstverständlichkeit nachgekommen, daß m a n ihre ausdrückliche Aufnahme i n die Texte neuerer Verfassungen offenbar nicht mehr f ü r erforderlich gehalten hat. So ist diese Verpflicht u n g erst wieder ins Bewußtsein getreten, als die Gesetzgeber mancher Staaten sich i h r neuerdings entzogen (Legalisierung der Abtreibung), oder als neue tatsächliche Entwicklungen neuartige Gefahren hervorriefen, gegen welche die geltenden Gesetze nicht ausreichenden Schutz boten (Risiken moderner technischer Produkte u n d Anlagen). 64 Z u den Schutzpflichten des Staates nach dem deutschen Grundgesetz demnächst ausführlich Dietrich Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik (Anm. 26), § 2 C I I , §§ 5, 6 m. w . N. " BVerfGE 39, 1 (41 ff.). δβ Ζ. Β . BVerfGE 53, 30 (59 ff.).
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Auch das nationale Verfassungsrecht kann aber aus der Auslegung der EMRK, wie die Kommission und der Gerichtshof sie praktizieren, wesentliche Anregungen empfangen. So hat das Urteil des EGMR i m Fall Young, James und Webster gezeigt, daß es zur Begründung von Schutzpflichten des Staates gegen Eingriffe Dritter gar nicht erforderlich ist, auf so vage und rational nicht zu konkretisierende Formeln wie „Wertentscheidungen", „Wertordnung" oder „objektivrechtlicher Gehalt, der Grundrechte" zurückzugreifen. Damit hat der EGMR einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Rationalität und Nachvollziehbarkeit verfassungsrechtlicher Dogmatik geleistet und damit auch die Präzisierung von Tragweite und Umfang staatlicher Schutzpflichten gefördert. Die häufig zu hörende Ansicht, daß die Schutzpflichten doch sehr unbestimmt seien und daß der Staat über die A r t und Weise der Schutzgewährung selbst entscheiden könne, läßt sich i n dieser Allgemeinheit nicht mehr halten. Aufgrund des hier i n Übereinstimmung mit dem EGMR entwickelten Ansatzes hat sich gezeigt, daß jedenfalls die primären Schutzpflichten ebenso bestimmt und vollziehbar sind wie die Grundrechte selbst. Auch die Ansprüche auf gerichtliche Durchsetzung individueller Abwehrrechte gegen Eingriffe Dritter und die damit zusammenhängenden Schutzpflichten lassen sich randscharf bestimmen. Größere Konkretisierungsprobleme und ein größerer politischer Entscheidungsspielraum des Staates treten erst dort auf, wo es u m die Verhütung von Grundrechtsverletzungen durch sonstige staatliche Maßnahmen geht. Zusammenfassende Thesen
1. Die Pflicht der Vertragsstaaten, die ihrer Herrschaftsgewalt unterworfenen Individuen vor Eingriffen Dritter zu schützen, läßt sich nicht m i t der Gewährleistungspflicht des A r t . 1 E M R K begründen. Der materielle Umfang dieser Pflicht ergibt sich erst aus den „Rechten und Freiheiten" der Konvention bzw. der Zusatzprotokolle. 2. Geht man davon aus, daß die „Rechte und Freiheiten" der Konvention sich grundsätzlich gegen staatliche Eingriffe richten, dann ist die Frage nach der staatlichen Schutzpflicht zunächst eine Zurechnungsfrage. Es kommt darauf an, inwiefern der Staat für Eingriffe Privater verantwortlich ist. 3. Die staatliche Verantwortung für Eingriffe Privater i n die von den Rechten und Freiheiten der EMRK geschützten Güter kann insbesondere aus der staatlichen Rechtsetzimg resultieren: Wenn das innerstaatliche Recht Eingriffe Privater erlaubt und den Betroffenen zur Duldung dieser Eingriffe verpflichtet, ist der Staat dafür 1
Grundrechtsschutz
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Dietrich M u r s w i e k
verantwortlich. I n der mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Ermächtigung zum Eingriff implizit den Betroffenen auferlegten Duldungspflicht liegt eine Einschränkung der betroffenen „Rechte und Freiheiten". Entspricht diese Einschränkung nicht den Einschränkungsvoraussetzungen der Konvention, liegt eine Konventionsverletzung seitens des Staates vor. 4. Der Staat ist also verpflichtet, Eingriffe Dritter i n die „Rechte und Freiheiten" der Konvention i m innerstaatlichen Recht zu verbieten, soweit sich die Ermächtigung zu solchen Eingriffen nicht ausnahmsweise aufgrund der Einschränkungsvoraussetzungen der Konvention rechtfertigen läßt. 5. Zum Schutz vor freiheitsbeschränkenden Vertragsinhalten ist der Staat grundsätzlich nicht verpflichtet. Jedoch muß er solchen Verträgen die Rechtswirksamkeit versagen, durch die jemand über ein Menschenrecht als solches verfügt. I m übrigen ist der Staat für vertragliche Verpflichtungen insofern verantwortlich, als er durch zwingendes Vertragsrecht die Vertragsfreiheit einschränkt oder in bestehende Verträge eingreift. 6. Das Diskriminierungsverbot des A r t . 14 E M R K verpflichtet den Staat nicht, vor Diskriminierungen unter Privaten zu schützen. 7. Der Staat hat nicht nur gezielte Eingriffe Dritter i n die Schutzgüter der Rechte und Freiheiten der EMRK, sondern auch die Verursachung großer Gefahren für diese Schutzgüter zu untersagen. 8. Die Pflicht, gezielte Eingriffe und erhebliche Gefährdungen seitens Dritter zu verbieten, soll als „primäre Schutzpflicht" bezeichnet werden. Daneben gibt es „sekundäre Schutzpflichten", die der Durchsetzimg des Eingriffsverbots dienen. Sie ergeben sich aus der Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Rechte und Freiheiten. 9. Positivrechtlich geregelt ist unter den Rechtsdurchsetzungspflichten der Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 6 Abs. 1 EMRK). Er impliziert den Anspruch auf Zwangsvollstreckung. 10. Weitere sekundäre Schutzpflichten betreffen Störungsbeseitigung, Schadensersatz, Gefahrenabwehr, insbesondere polizeiliches Einschreiten gegen Störer, oder diplomatischen Schutz. 11. Der Schutzpflicht des Staates entspricht ein subjektiver Schutzanspruch des Individuums. 12. Die hier erörterten Schutzpflichten und -ansprüche sind m i t der „klassischen" liberalen Menschenrechtskonzeption vereinbar. I h r Gegenstand ist die Abwehr von gezielten Eingriffen und Gefahren. Sie dürfen nicht m i t dem „sozialstaatlichen" Verständnis der Grundrechte als Leistungsansprüche verwechselt werden.
Regionaler Menschenrechtsschutz im interkontinentalen Vergleich Von Philip K u n i g Inhaltsübersicht A. Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz: Die Rahmenbedingungen . .
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B. Das Völkerrecht i n den Kontinenten
251
I. A f r i k a u n d das Völkerrecht
252
I I . A m e r i k a u n d das Völkerrecht
255
C. Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz i n den Kontinenten
256
I. A f r i k a u n d der Menschenrechtsschutz
256
I I . A m e r i k a u n d der Menschenrechtsschutz
257
D. Die regionalen Systeme i m Vergleich I. Individualrechte I I . Beschränkungen der Individualrechte
259 260 262
I I I . Kollektivrechte
263
I V . Individualpflichten
265
V. Kontrollorgane E. Schlußbemerkung
267 272
A . Völkerrechtlicher Menschenrechtssdiutz: D i e Rahmenbedingungen
Überlegungen zum völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz setzen eine Besinnimg auf die Rolle des einzelnen i m Gefüge völkerrechtlicher Normen voraus. Unterliegt es i m innerstaatlichen Recht keinem Zweifel, daß Träger eines Menscherirechts der einzelne, Adressat dagegen der Staat ist — von kollektiven Menschenrechten einmal abgesehen —, so ist dies bei völkerrechtlicher Betrachtungsweise nicht selbstverständlich. Jahrhundertelang kam der einzelne dem Völkerrecht nicht direkt i n den Blick, er war lediglich Objekt, galt als „mediatisiert", als „bloß" begünstigt, als Destinatar und was der Lehrbuchvokabeln mehr sind 1 . Die 1 Oppenheim/Lauterpacht, International L a w , Bd. 1, 8. A u f l . London 1955, S. 693; Rousseau, D r o i t International Public, Bd. 1, Paris 1970, S. 215; Berber,
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Völkerrechtssubjektivität, die Eigenschaft, grundsätzlich alle Rechte und Pflichten des Völkerrechts besitzen zu können, war stets juristischen Personen vorbehalten, zunächst nur den Staaten, später auch Internationalen Organisationen. Noch heute t u t sich mancher — insbesondere die östliche Völkerrechtswissenschaft — m i t solchen Kandidaten für die Völkerrechtssubjektivität, die juristische Personen sind — ζ. B. nationalen Befreiungsbewegungen — wesentlich leichter als m i t Individuen 2 . Die Diskussion u m das i n Ansehung nationaler Minderheiten geltende Recht, die sich nach dem Ersten Weltkrieg intensivierte, später dann das sog. humanitäre Völkerrecht als das dem Schutz von Einzelpersonen i m Kriegsfalle geltende Recht, die Frage der Rechtsstellung von Flüchtlingen führten dann bald nach dem Zweiten Weltkrieg zu der i m wissenschaftlichen Schrifttum geäußerten These, daß es wohl eine der bedeutendsten Entwicklungen i n der Geschichte des Völkerrechts sei, nunmehr die Individuen unter den Rechtssubjekten des Völkerrechts begrüßen zu können 3 . Diese „juristische Entdeckung" bleibt freilich noch heute — Jahrzehnte später — eine dogmatische Beobachtung, über die nicht einmal als solche ein akademischer Konsens zu erzielen wäre; für die Praxis war sie nicht sehr folgenreich. Für jede Aussage über völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz bleibt nämlich zu beachten, daß nach wie vor der einzelne nur höchst ausnahmsweise auch berechtigt ist, als Akteur sein Menschenrecht einzufordern. A u f internationaler Ebene führen ihn Rechtsmittel regelmäßig zu Gremien m i t geringen Kompetenzen; und weit ist oft der Weg von der Vereinbarung zum Inkrafttreten. Die Staatenbeschwerde nach A r t . 41 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte wurde erst 1979 — also dreizehn Jahre nach dessen Verabschiedung — rechtlich zulässig 4 . Andere, also nicht gerichtliche oder petitive Sanktionen, die das Völkerrecht kennt, wie die Repressalie, die Suspendierung eines Vertrages, oder auch nur Reaktionsmöglichkeiten wie der offizielle Protest stehen Individuen nicht zu Gebote. Selbst wer sie also als — partielle, d. h. hier: auf den Menschenrechtsschutz beschränkte 5 — VölkerrechtsLehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 2. A u f l . München 1975, S. 173; vgl. auch Mahajan, Public International L a w , 5. A u f l . Lucknow 1973, S. 293 ff. 2 Arbeitsgemeinschaft f ü r Völkerrecht beim I n s t i t u t f ü r Internationale Beziehungen an der Akademie für Staats- u n d Rechtswissenschaft der D D R (Hrsg.), Völkerrecht, Lehrbuch, T e i l 1, 2. A u f l . (Ost-)Berlin 1981, S. 157 einerseits, S. 165 andererseits. 3 Vgl. z. B. Partsch, Die Einzelperson i m Völkerrecht, Die Friedens-Warte 49 (1949), S. 249 ff. (256). 4 Text des Fakultativprotokolls: GAOR 2lst Session, Resolutions, Supplement No. 16 (A/6316), 2200 ( X X I ) , A n n e x ; deutsche Ubersetzung i n : Schweitzer/Rudolf, Friedensvölkerrecht, 2. A u f l . Baden-Baden 1979, S. 63 ff. 5 Z u m Begriff von Münch, Völkerrecht i n programmierter Form, 2. Aufl. B e r l i n / N e w Y o r k 1981, S. 11; zur partiellen Völkerrechtssubjektivität des
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Subjekte einordnen w i l l , muß sich immer bewußt bleiben, daß dies faktisch eine unvollkommene Rechtsstellung beschreibt — einen Status nämlich, dessen Geltendmachung von einem anderen Akteur des Völkerrechts abhängt. Da dies nur ein Akteur sein kann, der nicht der jeweilige Staat ist, der möglicherweise Menschenrechte verletzt hat, also ein Dritter, sei es ein anderer Staat oder auch eine internationale Organisation — denkbar auch auf Anregung einer aus völkerrechtlicher Sicht „privaten" Institution, wie der Kirchen oder etwa amnesty international —, kommt der Frage der Information über Menschenrechtsverletzungen für die Geltendmachung ausschlaggebende Bedeutung zu. Damit liegt der eigentliche Schwerpunkt des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes i n den zwischenstaatlichen Beziehungen, und zwar nicht nur bei der Normerzeugung, sondern auch bei der Normdurchsetzung. Diese gestaltet sich nur dann relativ improblematisch, wenn ein Staat Menschenrechtsverletzungen zu Lasten seiner eigenen Staatsangehörigen geltend macht. Traditionell sieht das Völkerrecht eine Verletzung von Rechten der Staatsangehörigen als Schaden des betreffenden Staates i m Sinne des völkerrechtlichen Deliktsrechts an®. Das Instrument zur Geltendmachung solcher Schäden, seien sie materieller oder auch immaterieller Natur, ist der sog. diplomatische Schutz 7 . Ist aber eine Menschenrechtsverletzung zu Lasten eines eigenen Staatsangehörigen begangen worden — so der Regelfall —, begegnet der sich u m Geltendmachung eines Normverstoßes bemühende Dritte dem klassischen Verbot der Einmischung i n innere Angelegenheiten — einer der „beliebtesten Ausreden der internationalen Politik" 8 . Dieses Prinzip ist i m zwischenstaatlichen Verhältnis i n Geltung kraft Völkergewohnheitsrechts, wie es einen ausformulierten Niederschlag gefunden hat insbesondere i m Anhang zur Deklaration der Generalversammlung Individuums heute Kimminich, Einführung i n das Völkerrecht, 2. Aufl. M ü n chen/New Y o r k / L o n d o n / P a r i s 1983, S. 215 ff.; siehe auch Starke, A n I n t r o duction to International L a w , 8. Aufl. London 1977, S. 73, sowie Miyazaki, Internationaler Schutz der Menschenrechte u n d Völkerrechtsunmittelbarkeit, i n : Bernhardt/Geck/Jaenicke/Steinberger (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung. Internationale Gerichtsbarkeit. Menschenrechte, FS Mosler, B e r l i n / Heidelberg/New Y o r k 1983, S. 581 ff. 6 StIGH, Series A , No. 2, S. 12 (30. August 1924; Mavrommatis Palestine Concessions). — Z u r Schadenszufügung i m Völkerrecht allgemein von Münch, Das völkerrechtliche D e l i k t i n der modernen E n t w i c k l u n g der Völkerrechtsgemeinschaft, F r a n k f u r t a. M. 1963, S. 140 f.; kritisch K.Ipsen, i n : Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl. München 1979, S. 353. 7 Dazu Geck, Diplomatischer Schutz, i n : Strupp/Schlochauer (Hrsg.), W ö r terbuch des Völkerrechts, Bd. 1, B e r l i n / N e w Y o r k 1960, S. 379 ff. 8 So zu Recht Schweitzer, Die Menschenrechtspolitik der Entwicklungsländer i n der UNO, i n : Ansprenger/Grohs/Janik u. a., Menschenrechte u n d M e n schenbild i n der D r i t t e n Welt, F r a n k f u r t a. M . 1982, S. 121 ff. (124). V o n der „ T y r a n n e i der Phrasen" sprach i n diesem Zusammenhang schon 1925 Brierly, Matters of Domestic Jurisdiction, B Y I L 6 (1925), S. 8 ff. (8).
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der Vereinten Nationen über die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten aus dem Jahre 1970®, gilt ferner — konkretisiert für einzelne Normbereiche — auch durch bilaterale und multilaterale vertragliche Vereinbarungen. Es ist schließlich Bestandteil der Satzungen zahlreicher internationaler Organisationen und gilt etwa auch i m Verhältnis der Vereinten Nationen, der OAU, der OAS zu ihren jeweiligen Mitgliedstaaten. Tatbestandsmerkmale und Normstruktur des Nichteinmischungsprinzips, genauer: der einzelnen Normsegmente des Nichteinmischungsprinzips, sind zu komplex, als daß sie hier näher besprochen werden sollten 10 . Für den Bereich des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes kann zudem jedenfalls i m Hinblick auf die heutige Rechtslage davon ausgegangen werden, daß das Nichteinmischungsprinzip jedenfalls bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen keine oder eine überspringbare Hürde darstellt. Keine Hürde ist es richtiger Ansicht nach für die i m Völkerrecht ja besonders wichtige, weil rechtsbestärkend wirkende Herstellung von Publizität bei Menschenrechtsverletzungen: Eine Analyse der jüngeren Staatenpraxis erweist aufs deutlichste den insoweit bestehenden Doppelstandard 11 . Gerade die Staaten, die jedwede Äußerung eines anderen Staates über von ihnen zu verantwortende Menschenrechtsverletzungen als Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip rügen, pflegen selbst entsprechende Vorwürfe ungeniert zu äußern. Das zeigt, daß es an einer konsistenten Rechtsüberzeugung, die Voraussetzimg ist für die Anerkennimg von Gewohnheitsrecht, i n Wahrheit fehlt. Ähnliches gilt für weite Bereiche der Ausübung wirtschaftlichen Druckes auf andere Staaten, u m sie zu einer Änderung ihrer Menschenrechtspolitik zu veranlassen 12 . Wenn beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika die Vergabe von Militärhilfe abhängig machen vom Grad der Menschenrechtsverwirklichung i n Brasilien, dann liegt auch hier i m Normalfall — d. h., wenn nicht Sondernormen vertraglicher A r t 9 GAOR 25th Session, Resolutions, Supplement No.28, 2625 ( X X V ) , S. 121 ff.; deutsche Ubersetzung i n : Schweitzer/Rudolf (Anm. 4), S. 482 ff. 10 Neueste Zusammenfassung des Meinungsstandes bei Oppermann, I n t e r vention, i n : Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International L a w , Instalment I I I , A m s t e r d a m / N e w Y o r k / O x f o r d 1982, S. 233 ff.; siehe ferner Mahajan (Anm. 1), S. 249 ff.; Kunig, Das völkerrechtliche Nichteinmischungsprinzip. Z u r Praxis der Organisation der afrikanischen Einheit (OAU) u n d des afrikanischen Staatenverkehrs, Baden-Baden 1981, insbes. S. 45 ff., 228 ff.; Noel , Le principe de non-intervention: Théorie et pratique dans les relations inter-américaines, Brüssel 1981, insbes. S. 73 ff. 11 Kunig (Anm. 10), S. 310 ff. 12 Vgl. dazu Dicke, Die Intervention m i t wirtschaftlichen M i t t e l n i m V ö l kerrecht, Baden-Baden 1978, S. 143 ff.; Bryde, Die Intervention m i t w i r t schaftlichen M i t t e l n , i n : von Münch (Hrsg.), Staatsrecht — Völkerrecht — Europarecht, FS Schlochauer, B e r l i n / N e w Y o r k 1981, S. 227 ff.; siehe auch die Beiträge i n Lillich (Hrsg.), Economic Coercion and the New International Economic Order, Charlottesville /Virginia 1976.
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oder allgemeine Vertrauensschutzgrundsätze eingreifen — kein Normverstoß vor. Diese Einschätzung hat sich heute bei allen Unterschieden i n der Begründung weitgehend durchgesetzt 18 . Auch wer nämlich einen tatbestandlichen Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip i n den erwähnten Fällen bejaht, also die Existenz einer entsprechenden Verbotsnorm behauptet, sieht sich immer noch dem Umstand gegenüber, daß zahlreiche völkerrechtliche Verträge und auch gewohnheitsrechtlich geltende Regeln i m Menschenrechtsbereich bestehen. Der Versuch, jemanden zur Einhaltung seiner rechtlichen Verpflichtungen anzuhalten, kann aber — bei Vorliegen verschiedener Voraussetzungen, die hier nicht weiter behandelt werden sollen 14 — zur Rechtfertigimg eines „an sich" normwidrigen Verhaltens führen. I m Ergebnis besteht also auch nach dieser Auffassung erheblicher Spielraum für völkerrechtsgemäßes Verhalten, das die menschenrechtlichen Normen sanktioniert. Dieser Spielraum ist erheblich größer als es die Klagen über angebliche Einmischungen, die fast täglich i n den Zeitungen zu lesen sind, suggerieren. Eine Resolution des Europarates hat dies jüngst bekräftigt 1 5 . N u r angemerkt sei an dieser Stelle, daß die rechtliche Bewertung von Staatenverhalten, das auf angebliche Menschenrechtsverletzungen reagiert, nicht notwendig m i t der politischen Bewertung solchen Verhaltens konform gehen muß. Z u selektiv, oft zu fadenscheinig und zu wenig substantiiert, oft auch zu offensichtlich vorgeschoben ist K r i t i k an fremden Menschenrechtsverletzungen, als daß dies angemessen wäre. Dies gilt gerade für die beiden sog. Supermächte, wenn man etwa an die sog. Cartersche Menschenrechtspolitik oder an die Berichterstattung i n den sowjetischen Medien über innerstaatliche Verhältnisse i n den Vereinigten Staaten von Aimerika oder der Bundesrepublik Deutschland 13
Siehe etwa Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 5. Aufl. K ö l n / B e r l i n / B o n n / München 1984, Rdnr. 121 e; Rumpf, Der internationale Schutz der Menschenrechte u n d das Interventionsverbot, Baden-Baden 1981, S. 51 f.; ferner Falk, H u m a n Rights and State Sovereignty, New Y o r k / L o n d o n 1981, S. 153 ff.; zur abweichenden Auffassung der Staaten des Warschauer Paktes siehe Bey erlin, Menschenrechte u n d Intervention. Analyse der west-östlichen Menschenrechtskontroverse von 1977/78, i n : Simma/Blenk-Knocke (Hrsg.), Zwischen Intervention u n d Zusammenarbeit. Interdisziplinäre Arbeitsergebnisse zu Grundfragen der KSZE, B e r l i n 1979, S. 157 ff., sowie neuestens Graefrath, Neuauflage des interventionistischen Projekts eines UN-Hochkommissars f ü r Menschenrechte, Neue Justiz 1983, S. 15 ff.; differenzierend Milenkovic, Unutrasnja nadleznost drzva i medunarodna zastita l j u d s k i h prava, Belgrad 1974 (mit englischer Zusammenfassung, S. 147 ff.). 14 Vgl. dazu Tomuschat, Die Bundesrepublik Deutschland u n d die M e n schenrechtspakte der Vereinten Nationen. Neue Perspektiven weltweiter V e r w i r k l i c h u n g der Menschenrechte, Vereinte Nationen 26 (1978), S. 1 ff. (8); Simma, Fragen der zwischenstaatlichen Durchsetzung vertraglich vereinbarter Menschenrechte, i n : von Münch (Hrsg.; A n m . 12), S. 635 ff. 15 Resolution 722 (1980) v o m 1. 2.1980.
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denkt. Dennoch w i r d die rechtspolitische Bewertung nicht falsch sein, daß ein Schrumpfen des Nichteinmischungsprinzips der innerstaatlichen Beachtung der Menschenrechte und ganz allgemein der Förderung des Menschenrechtsgedankens eher nützlich als unzuträglich ist. U m so effektiver w i r k t sich der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz insoweit aus, je konkreter dabei einzelne Normen, die i n Verträgen fixiert sind, i n Bezug genommen werden. Die Redeweise von „den" Menschenrechten, die an die elastischen Formeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 19481® denken läßt oder gar vage naturrechtliche Grundprinzipien i n Erinnerung ruft, dient der juristischen Stabilisierung menschenrechtlicher Normen weniger als eine Staatenpraxis, die sich auf konkrete Normen berufen kann. Erst der Streit u m die Auslegung einer Norm dokumentiert zweifelsfrei, daß die Beteiligten sich tatsächlich rechtlich gebunden fühlen, kann die für die Festigung einer Norm so wichtigen Präzedenzfälle liefern. A u f universeller Ebene kann insoweit — abgesehen von der Menschenrechtserklärung von 1948, der eine partielle Geltung als Gewohnheitsrecht zukommt 1 7 — i m wesentlichen nur auf die beiden Pakte der Vereinten Nationen von 1966, den Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verwiesen werden, ferner auf das gleichfalls 1966 verabschiedete Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung 1 8 . Spezielle Menschenrechtsverträge bestehen i m Bereich Flüchtlingsrecht, betreffen den Status von Frauen, Arbeitnehmern, Staatenlosen1®. Auffällig ist die geringe Beteiligung der Staaten der Dritten Welt an den beiden grundlegenden Pakten von 1966. N u r 16 bzw. 19 von 29 Staaten Lateinamerikas und der Karibik, nur 14 bzw. 15 von 50 afrikanischen Staaten haben beide Pakte ratifiziert 2 0 . Bereits dieses Defizit regt eine Untersuchung spezifisch regionaler Menschenrechtsschutzinstrumente i n diesen Kontinenten an. Zugleich legt es nahe, nach den 19 GAOR 3 r d Session, Resolutions, Part I , A/810, December 1948, S. 71 ff.; deutsche Ubersetzung i n : Schweitzer/Rudolf (Anm. 4), S. 27 ff. 17 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie u n d Praxis, Berl i n 1976, S. 600; siehe ferner Humphrey , The Universal Declaration of H u m a n Rights: Its History, Impact and Juridical Character, i n : Ramcharan (Hrsg.), H u m a n Rights: T h i r t y Years after the Universal Declaration, Den Haag/ Boston/London 1979, S. 21 ff. 18 GAOR 2lst Session, Resolutions, Supplement No. 16 (A/6316), 2200 ( X X I ) , Annex (beide Pakte) bzw. U N T S 660, S. 135 ff.; deutsche Ubersetzungen: BGBl. 1973 I I , S. 1534 ff., 1570 ff. bzw. 1969 I I , S. 962 ff. 19 Durchweg abgedruckt bei Joyce, H u m a n Rights: International Documents, Bd. 1, A l p h e n aan den R i j n / D o b b s Ferry 1978. 20 Vgl. Fundstellennachweis B, Beilage zum BGBl. I I , Stand: 31.12.1983, S. 335 ff.
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Besonderheiten solcher intrakontinentalen Systeme zu fragen, da die Zurückhaltung der Staaten der Dritten Welt i m universellen Menschenrechtsschutz vermuten läßt, daß sie ihre eigenen Vorstellungen dort nicht hinreichend verwirklicht sehen. Die Betrachtung ihrer „eigenen" Menschenrechtsschutzsysteme verspricht hier Erkenntnisse. Schließlich erscheint die hier gewählte Themenstellung auch deshalb nützlich, w e i l die Völkerrechtsdogmatik dem Phänomen des regionalen Völkerrechts i n zunehmendem Maße ihr Interesse zuwendet 21 . Wurde früher i n diesem Zusammenhang allenfalls die Frage nach den Besonderheiten der Gewährung diplomatischen Asyls i m lateinamerikanischen Raum aufgeworfen 22 , so rückt die Frage nach der Existenz spezifischer i n der Dritten Welt geltender Völkerrechtssätze zu den verschiedenen Sachfragen (es sei das Stichwort des „Jus Publicum Africanum" 2 5 genannt) i n den Blickpunkt. Ist der Bereich des Menschenrechtsschutzes von dieser Entwicklung erfaßt worden? Dies hätte zwangsläufig jedenfalls längerfristige Konsequenzen für die Entwicklung des universellen Völkerrechts. Daß nämlich eine gegenseitige Beeinflussimg der Rechtsentwicklung i n den einzelnen Kontinenten stattfindet, ist unausweichlich. Sollte sich unter dem Einfluß außereuropäischen Rechtes auch das universelle Völkerrecht wandeln, so könnte dies letztendlich wegen A r t . 25 GG, wonach allgemeine 24 völkergewohnheitsrechtliche Rechtssätze Bestandteil des Bundesrechts sind, auch i m innerstaatlichen Raum unmittelbar auswirken.
21 Vgl. schon Menzel, Völkerrecht, München 1962, S. 76 ff.; zum gegenwärtigen S t r u k t u r w a n d e l des Völkerrechts Benedek, Entwicklungsvölkerrecht — neuer Bereich oder neue Perspektive (Gestaltwandel) i m Völkerrecht?, i n : Reformen des Rechts, FS zur 250-Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, Graz 1979, S. 881 ff.; Ginther, Systemwandel und Theoriendynamik i m Völkerrecht, i n : Feuerstein / P a r r y (Hrsg.), M u l t u m non multa, FS Lipstein, Heidelberg/Karlsruhe 1980, S. 31 ff.; Kunig, Remarks on the Methodology of International Law, w i t h Particular Regard to State Practice i n the T h i r d World, L a w and State 25 (1982), S. 88 ff. — Speziell i m Menschenrechtsbereich hat sich i m Januar 1983 der Leiter des UN-Zentrums für Menschenrechte, Herndl, erneut f ü r einen ,regional approach* ausgesprochen, vgl. den Bericht i n : Nachrichten aus Internationalen Organisationen, Königswinter, 7. 2.1983, S. 1 f. 22 Vgl. dazu Könning, Diplomatie Asylum. Legal Norms and Political Reali t y i n L a t i n American Relations, Den Haag 1965. 23 Vgl. Ginther, Die völkerrechtliche Stellung nationaler Befreiungsbewegungen i m südlichen A f r i k a , ÖZÖRV 32 (1982), S. 131 (139, 141); Amankwah, International L a w , Dispute Settlement and Regional Organizations i n the African Setting, I J I L 21 (1981), S. 352 ff.; Kunig, Die Organisation der afrikanischen Einheit u n d der Prozeß des Nation B u i l d i n g : Die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen, A V R 20 (1982), S. 40 ff. 24 Z u m Begriff „allgemein" i n A r t . 25 GG Rojahn, i n : von Münch (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 2, 2. Aufl. München 1983, Rdnr. 6 zu A r t . 25 m. w . N.
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Unter einem mehr geistesgeschichtlichen Blickwinkel schließlich verdient es Aufmerksamkeit, die oft gehörte These näher zu untersuchen, wonach die sog. nordatlantische Menschenrechtsidee wegen historischer, vor allem aber kultureller und soziologischer Rahmenbedingungen anderen geographischen Räumen wesensfremd sei 25 . Denn wenn dies so ist, w i r d man einen Niederschlag dessen i n den kontinentalen Menschenrechtsschutzsystemen erwarten können. Die europäische Menschenrechtskonvention (im folgenden: EMRK) gilt nun zu Recht als dasjenige völkerrechtliche Schutzinstrument, das — i n der Perspektive des klassischen europäisch-nordamerikanischen Menschenrechtsgedankens — „am weitesten fortgeschritten" sei. I n dem vergleichsweise homogenen Raum auch i n ihren Wirtschaftssystemen verwandter Staaten bestanden die Voraussetzungen, diesen Gedanken relativ konkret, relativ differenziert und mit relativ scharf greifenden Sicherungsmechanismen i n verbindliches Völkerrecht umzumünzen. Die europäische Menschenrechtskonvention gibt daher ein besonders geeignetes Vergleichsraster ab, das die Konturen der beiden bisher existenten regionalen Schutzinstrumente deutlich hervortreten läßt. Nur diese beiden — nämlich die „American Convention on Human Rights" vom 22. November 19692® (im folgenden: AmMRK) und die „African Charter on Human and Peoples' Rights" 2 7 (im folgenden: AfrMRK) werden hier i n die Untersuchung einbezogen. Der islamischarabische Rechtskreis hat noch keine regionale Menschenrechtskonvention hervorgebracht; Bestrebungen dazu sind freilich i m Gange. Die hochinteressante Problematik eines sich am Leitbild des Koran und der Sunna orientierenden völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes muß hier schon aus Raumgründen, aber auch wegen der Orientierung dieses Beitrages am positiven Recht unerörtert bleiben 28 . Gleiches gilt für den 25
Dazu sogleich i m Text, unten S. 252 ff. J I R (GYIL) 15 (1971), S. 822 ff.; i n K r a f t getreten am 18. J u l i 1978; Übersicht über den derzeitigen Stand der Ratifikationen bei Buergenthal/ Νorris/ Shelton, Protecting H u m a n Rights i n the Americas. Selected Problems, K e h l / S t r a ß b u r g / A r l i n g t o n 1982, S. 337. 27 I L M 21 (1982), S. 58 ff.; gemäß i h r e m A r t . 63 Abs. 3 w i r d die Charta i n K r a f t treten, w e n n die Hälfte der Mitgliedstaaten der O A U sie ratifiziert haben w i r d ; i m März 1984 hatten 18 Staaten unterzeichnet, 12 ratifiziert; die O A U hat gegenwärtig mindestens 50 Mitglieder (der Status der Demokratischen Arabischen Republik Sahara ist insoweit umstritten, vgl. dazu das Memorandum des Generalsekretärs der OAU, Kodjo, v o m August 1982, abgedruckt i n Jeune Afrique Nr. 1147/1148 (29.12.1982/5.1.1983), S. 50 ff. 28 Vgl. dazu International Commission of Jurists (Hrsg.), H u m a n Rights i n Islam, Genf 1982; Dudley , H u m a n Rights Practices i n the A r a b States. The Modern Impact of Shari'a Values, Georgia Journal of International and Comparative L a w 12 (1982), S. 55 ff.; siehe auch Pirzada, Islam and I n t e r national L a w , i n : Asian-African Legal Consultative Committee (Hrsg.), Essays on International L a w , T w e n t y - F i f t h Anniversary, Commemorative Vo26
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— heterogenen — Kontinent Asien 29 . Was den Menschenrechtsschutz durch das Recht der Europäischen Gemeinschaften angeht, so bleibt auch er unberücksichtigt, auch wenn er „europäischen" Menschenrechtsschutz darstellt. Zu Recht hat Scheuner festgestellt, daß trotz der Berührungspunkte des EG-Rechts mit dem Recht der E M R K dort eine „ganz spezifische und nicht übertragbare Rechtsentwicklung" vorliegt 8 0 .
B. Das Völkerrecht in den Kontinenten Es erscheint sinnvoll, vor der Betrachtimg der einzelnen regionalen Systeme einen Blick auf die Rolle zu werfen, die das Völkerrecht generell i n den Regionen spielt, die hier i n die Untersuchung einbezogen werden. Diese ist durchaus unterschiedlich. Es sei dabei nur i n Erinnerung gerufen, daß Europa der Kontinent ist, der jedenfalls das noch heute gültige Völkerrecht wesentlich geprägt hat und i n dem es erstmals zur Blüte gelangte. Diese Beurteilung ist richtig ungeachtet aller historischer Untersuchungen, die etwa i n der Chou-Zeit des Chinesischen Kaiserreichs (ca. 1050 bis 256 v. Chr.) ein vertraglich festgeschriebenes Bündnissystem, i m indischen A l t e r t u m Gesandtschaftsrecht und i m afrikanischen Mittelalter kriegsrechtliche Bestimmungen zutage gefördert haben 81 . Europa ist der Kontinent, i n dem die Bedeutung des Völkerrechts als einer Ordnung, die außenpolitischen Handlungsspielraum begrenzt, zugleich aber auch ein Instrument zur außenpolitischen Gestaltung darstellt, am längsten unangefochten ist. Seit Jahrzehnten ist für die europäischen Staaten die rechtliche Ausgestaltung ihrer internationalen Beziehungen Routine. Forschung und Lehre des Völkerrechts sind dementsprechend auf Tradition lume, New D e l h i 1981, S. 29 ff., sowie schon Coulson, The State and the I n d i v i d u a l i n Islamic L a w , I C L Q 6 (1957), S. 49 ff. 29 Seit 1979 spielt eine wichtige Rolle das Standing Committee der Lawasia Conference, vgl. dazu Newsletter, International Commission of Jurists, Nr. 10 (September 1981); siehe ferner Kohler, Menschenrecht u n d Menschenbild. Historische Überlegungen u n d Beispiele aus Asien, i n : Ansprenger/Grohs/ Janik u. a. (Anm. 8), S. 81 ff. 30 Scheuner, Die Fortbildung der Grundrechte i n internationalen K o n v e n tionen durch die Rechtsprechung. Z u r Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs f ü r Menschenrechte, i n : von Münch (Hrsg.; A n m . 12), S. 899 (909). — Vgl. ferner die Beiträge von T. Stein u n d E. Klein i n : M o s l e r / B e r n h a r d t / H i l f (Hrsg.), Grundrechtsschutz i n Europa. Europäische Menschenrechts-Konvention u n d Europäische Gemeinschaften. Internationales K o l l o q u i u m 1976, Berl i n / H e i d e l b e r g / N e w Y o r k 1977, S. 146 ff. 31 Grundlagenarbeit hat i n diesem Bereich vor allem Preiser geleistet, siehe Frühe völkerrechtliche Ordnungen der außereuropäischen Welt. E i n Beitrag zur Geschichte des Völkerrechts, Wiesbaden 1976, u n d den von Lüderssen u n d Ziegler herausgegebenen Band Macht u n d N o r m i n der V ö l kerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1978, m i t Schriften Preisers.
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gegründet und nehmen einen wichtigen Platz i m akademischen Betrieb ein. Etwas näher einzugehen ist aber auf die Rolle, die das Völkerrecht für die afrikanische und die lateinamerikanische Staatengemeinschaft spielt. I . Afrika und das Völkerrecht
Dem Kontinent A f r i k a ist das moderne Völkerrecht begegnet als ein Unterdrückungsmechanismus. Die ungleichen Verträge, die Abgesandte europäischer Staaten (oder auch mächtiger privater Organisationen) m i t afrikanischen Häuptlingen abgeschlossen haben, sind hier besonders zu nennen 32 . Es folgte die völkerrechtlich verbrämte Aufteilung des Kontinents auf der Kongo-Konferenz von 1884/85, die i n Berlin stattfand, später die Erfahrung der afrikanischen Nationalisten, daß ihrem Streben nach Unabhängigkeit auch das Völkerrecht entgegengehalten wurde 3 3 . Nach der Unabhängigkeit begegneten die ersten afrikanischen Regierungen der These, ihre Staaten seien zwar nunmehr gleichberechtigte Subjekte des Völkerrechts, aber „hineingeboren" i n eine schon existente Rechtswelt 34 , d. h. insbesondere an Völkergewohnheitsrecht gebunden, das durch eine „allgemeine" Staatenpraxis zustandegekommen war, als sie noch nicht existierten. Das angeblich durch den Konsens der Staatengemeinschaft getragene Völkergewohnheitsrecht beruhte damit auf einem Konsens, an dessen Bildung mitzuwirken die afrikanischen Staaten niemals Gelegenheit hatten 35 . Insbesondere i m Bereich des Wirtschaftsvölkerrechts — erwähnt sei das Stichwort Enteignungsvölkerrecht, aber auch das internationale Seerecht — fanden sich die afrikanischen Staaten i n eine Völkerrechtsordnung „hineingeboren", die ihren Interessen wenig entsprach, j a die ihren Zustand der Abhängigkeit zu perpetuieren half 3 6 . Daß der südafrikanische Apartheid-Staat 32 Dazu Alexandrowicz, The European- African Confrontation. A Study i n Treaty Making, Leiden 1973. 33 Vgl. Umozurike, International L a w and Colonization i n Africa: A C r i tique, Zambia L a w Journal 3/4 (1971/72), S. 95 ff. 34 Vgl. dazu Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, Stuttgart 1958; Green, The Impact of New States on International L a w , Israel L a w Review 4 (1969), S. 27 ff. (30 f.); Greig, International L a w , 2. A u f l . London 1976, S. 29; vgl. aber auch Herb. Krüger, Das Prinzip der Effektivität, oder: Uber die besondere W i r k lichkeitsnähe des Völkerrechts, i n : Grundprobleme des internationalen Rechts, FS Spiropoulos, Bonn 1957, S. 265 ff. (270). 85 Z u den juristischen Konsequenzen dieses Umstandes Kunig (Anm. 10), S. 209 ff. ; siehe auch Akehurst, A Modern Introduction to International L a w , 4. Aufl. London/Boston/Sydney 1982, S. 19 ff. — Grundsätzlich Röling, I n t e r national L a w i n an Expanded World, Amsterdam 1960. 36 Vgl. dazu Anand, Attitudes of the Asian-African States toward Certain Problems of International L a w , I C L Q 15 (1966), S. 55 ff.
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vom Völkerrecht noch lange Zeit hinter dem Schutzschild des Prinzips der Nichteinmischung i n innere Angelegenheiten verborgen wurde, bestärkte das generelle Mißtrauen gegenüber einer angeblich zweckfreien normativen Ordnimg, die den afrikanischen Staaten allenthalben als Hindernis für ihre Bestrebungen entgegentrat. Als weiterer Aspekt ist zu erwähnen das schon angesprochene Grundproblem, ob die Vorstellung rechtlicher Konfliktlösung überhaupt taugt, i n afrikanischen Gesellschaften eine tragende Rolle zu spielen. Diese Frage ist insbesondere für den innerstaatlichen Rechtsraum i n der rechtssoziologischen und rechtsanthropologischen Literatur vielfach diskutiert worden, hat aber auch Konsequenzen für das Recht der internationalen Beziehungen 37 . Ob Antinomien wie Ordnung/Unordnung, Krieg/Frieden, Konflikt/Übereinstimmung, Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit i m afrikanischen Denken i n der Schärfe nachvollzogen werden wie i n der europäischen Tradition, ist bezweifelt worden 38 . Ähnliches gilt für die Scheidung spezifisch rechtlicher von religiösen oder moralischen Normen, die Idee zentraler justizieller Streitentscheidung gegenüber elastischer dezentraler Streitschlichtung, bei der weniger das Ziel formal korrekter Entscheidung als das Ziel einer Lösung, die den Beteiligten eine Basis für weiteres gedeihliches Zusammenleben liefert, i m Vordergrund steht. Schließlich stellt sich die Frage nach der Geeignetheit für das Völkerrecht so zentraler Begriffe wie „Staat" und „Nation" i m afrikanischen Kontext. Bekanntlich sind die „Elemente" der heutigen afrikanischen Staaten (i. S. unseres Drei-Elementen-Konzepts) nicht organisch zusammengewachsen. I n ohne Berücksichtigung ethnischer, ökonomischer und geographischer Vorgegebenheiten am grünen Tisch umrissenen Räumen wurde eine meist schmale Elite, die sich gegen andere durchgesetzt hatte, m i t den Insignien der Macht entlassen und hatte die Aufgabe des Nation Building erst noch zu lösen3®. Der Zustand des Informationswesens, der Schulbildung, das Verharren i n religiösen Abhängigkeiten sind sämtlich Ursachen für eine weitere Erschwerung der heutigen Rechtsentwicklung i n Afrika, denn Recht gedeiht nur, wenn es bekannt ist. Das Bestehen existentieller Probleme (Ernährungssituation, Flüchtlingsprobleme) lenken schließlich gleich87 Bedjaoui, Le règlement pacifique des différences africains, A F D I 18 (1972), S. 89 ff. (99); vgl. auch Parkinson, Pre-colonial International L a w , i n : Mensah-Brown (Hrsg.), A f r i c a n International Legal History, New Y o r k (UN) 1975, S. 11 ff. (12). 38 Umfassend dazu Bozeman, Conflict i n Africa. Concepts and Realities, Princeton 1976; siehe ferner Bryde, Afrikanische Rechtssysteme, JuS 1982, S. 8 ff. 39 Dazu aus sozialwissenschaftlicher Sicht Nuscheier/Ziemer, Politische Herrschaft i n Schwarzafrika, München 1980; aus völkerrechtlicher Sicht Kunig (Anm. 23).
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falls den Blick vom Recht ab: Rechtsdurchsetzung setzt auch die Chance der Reflexion über Recht voraus. Es sind damit einige Gesichtspunkte angeführt, die zur Erhellung der Schwierigkeiten beitragen können, wie sie sich der Völkerrechtsentwicklung i n A f r i k a stellten, nachdem als Konsequenz der Unabhängigkeit zunächst nur die schlichte Vergrößerung der Zahl der Völkerrechtssubjekte gesehen wurde. Eine schlichte Verpflanzung des Völkerrechts und des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes nach Afrika konnte nicht gelingen. Es ist deshalb nur konsequent, wenn politikwissenschaftliche Untersuchungen der Außenpolitiken einzelner afrikanischer Staaten i n den ersten ein, zwei Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit die Beachtung des Völkerrechts nicht unter den Faktoren anführen, die die Staaten als relevant i n ihrer außenpolitischen NutzenKosten-Analyse ansehen 40 . Nichts desto weniger hat die Entwicklung gerade der letzten Jahre gezeigt, daß viele der skizzierten Schwierigkeiten überwindbar sind. Die Beteiligung afrikanischer Staaten an der Fortbildung des Völkerrechts i m Rahmen der Vereinten Nationen ist immens. Die Berufung afrikanischer Regierungen auf Völkerrecht sowohl i n ihren intrakontinentalen Beziehungen wie gegenüber nichtafrikanischen Staaten n i m m t ständig zu. Die Bedeutung, die dem Völkerrecht auch i m akademischen Bereich neuerdings zugemessen wird, zeigt sich an dem Aufbau von Völkerrechtsinstituten i m d der Organisierung von Konferenzen. Dabei läßt sich deutlich beobachten, daß das Interesse am Völkerrecht und die Bereitschaft, es als handlungsanleitend zu akzeptieren, i n dem Maße steigt, i n dem die jüngste Völkerrechtsentwicklung den Interessen der afrikanischen Staaten entgegenkommt, man kann auch sagen: indem es ihnen gelingt, mit ihren rechtspolitischen Gestaltungsvorschlägen Gehör zu finden. Die Stichworte Seerecht, Medienordnung, Enteignungsvölkerrecht, humanitäres Völkerrecht, Rechtsstellung nationaler Befreiungsbewegungen mögen hier genügen. Es ist damit insgesamt heute ein völkerrechtspolitisches K l i m a erreicht, das dem Versuch, der afrikanischen Staatengemeinschaft i m Bereich des Menschenrechtsschutzes eine neue, eigene Ordnung zu geben, günstig ist, jedenfalls günstiger als je zuvor. Des geschilderten Hintergrundes und der Vorgeschichte der Völkerrechtsentwicklung i n A f r i k a muß man sich aber bewußt bleiben, u m den Text der Afrikanischen Menschenrechtscharta und ihr weiteres Schicksal adäquat bewerten zu können 41 . 40 Vgl. ζ. B. Aluko (Hrsg.), The Foreign Policies of A f r i c a n States, London 1977, m i t einzelnen Länderstudien.
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I I . Amerika und das Völkerrecht
I m amerikanischen Raum besteht eine grundsätzlich andere Ausgangsposition als i n Afrika. Unabhängig von der Frage, ob ein eigenes Amerikanisches Völkerrecht besteht — einer Frage, deren Behandlung i m wissenschaftlichen Schrifttum einige Tradition hat 4 2 , aber von hauptsächlich deflatorischem Interesse ist —, läßt sich feststellen, daß das Völkerrecht auch i n Lateinamerika seit nunmehr anderthalb Jahrhunderten ein wichtiger Faktor für die internationalen Beziehungen ist. Dies ist Konsequenz der Tatsache, daß der Kolonialismus i n Lateinamerika die gewachsenen Strukturen gründlicher zerstört hat als i n Afrika, aber auch des Umstandes, daß die lateinamerikanischen Staaten jedenfalls formalrechtlich bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Kolonialismus überwunden haben. Der Gedanke rechtlicher Ausgestaltung der internationalen Beziehungen wurde bei den jeweiligen Eliten (zusammen mit dem weltanschaulichen Erbe Spaniens und auch den Gedanken der französischen Revolution) frühzeitig aufgenommen — gefördert auch durch den längst ins Völkerrecht eingebundenen Nachbarn Vereinigte Staaten. Seit dem Kongreß von Panama i m Jahre 1826 und gefördert durch rund ein Dutzend interamerikanische Konferenzen verdichtete sich eine kontinentale Rechtsordnung, die schließlich i n Bogota 1948 i n die Organisation amerikanischer Staaten (OAS) mündete 43 . Stets ist feststellbar, daß die Bedeutung des Völkerrechts als Leitlinie der zwischenstaatlichen Beziehungen auf dem Doppelkontinent, insbesondere das Postulat der souveränen Gleichheit, das Nichteinmischungsprinzip, das Verbot des Angriffskrieges immer wieder proklamiert wurden. Beginnend m i t der Deklaration von Mexiko vom März 194544 kam auch der 41
Z u m Problemkreis „ A f r i k a u n d Völkerrecht" Yakemtchouk, L'Afrique en droit international, Paris 1971; Elias, Africa and the Development of International L a w , Leiden/Dobbs Ferry 1972, u n d ders., N e w Horizons i n International L a w , A l p h e n aan den R i j n / D o b b s Ferry 1979; Bleckmann, A f r i k a u n d das Völkerrecht, i n : Bleckmann/Madlener/Münkner/Scholler, Demokratie i n A f r i k a , Hannover 1982, S. 11 ff.; Ginther/Benedek (Hrsg.), New Perspectives and Conceptions of International L a w , W i e n / N e w Y o r k 1983; zu dem diesem Band zugrundeliegenden Projekt Ginther/Benedek, New Perspectives and Conceptions of International L a w and the Teaching of International L a w i n Africa, Jahrbuch f ü r Afrikanisches Recht 1 (1980), S. 143 ff., u n d Kunig, New Perspectives and Conceptions of International L a w and the Teaching of International L a w , JZ 1982, S. 518 f. 42 Vgl. Salum Flecha, Existiert ein Internationales Amerikanisches ö f f e n t liches Recht?, V R U 2 (1969), S. 199 ff.; Jacobini, International L a w i n L a t i n America, L a w y e r of the Americas 7 (1975), S. 605 ff. 48 Z u r E n t w i c k l u n g Salum Flecha (Anm. 42), S. 202 ff.; zur OAS Kutzner, Die Organisation der amerikanischen Staaten, H a m b u r g 1970; B. Wood, The Organization of American States, Yearbook of W o r l d Affairs 33 (1979), S. 148 ff. 44 Hierzu i m einzelnen Salum Flecha (Anm. 42), S. 207 f.
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Menschenrechtsgedanke hinzu, und zwar sogleich verstanden als allgemeines Gerechtigkeits- und Gleichheitspostulat und als Recht auf gerechte Verteilung geistiger und materieller Güter sowie auf Mehrung dieser Güter — ein deutlicher Akzent wurde also auf soziale Menschenrechte und den Entwicklungsaspekt gelegt, ohne daß aber grundsätzliche K r i t i k an den klassischen Abwehrrechten europäisch-nordamerikanischer Prägung erkennbar wäre 4 5 . A n der grundsätzlichen Akzeptanz des Völkerrechts und seiner Grundstrukturen i m amerikanischen einschließlich des lateinamerikanischen Raumes kann danach kein Zweifel bestehen. Ungeachtet zahlreicher, ζ. T. erfolgreicher rechtspolitischer Initiativen lateinamerikanischer Staaten zur Veränderung früheren Rechts — man denke an die Vorreiterrolle bei der Errichtung von Fischereivorbehaltszonen 48 — ist die Ausgangssituation i n dieser Region der europäischen ungleich näher als der afrikanischen. Das gilt, wie gesehen, allgemein ebenso wie speziell i n Bezug auf den Sektor Menschenrechtsschutz. Dabei sind die Probleme, die sich effektivem Menschenrechtsschutz jedenfalls in Lateinamerika stellen, i n ihrer Intensität den afrikanischen vergleichbar: Entwicklungsländer mit größtenteils repressiven Realverfassungen auch hier. C. Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz in den Kontinenten Es sind nunmehr die normativen Grundlagen, die i n den Vergleich einzugehen haben, vorzustellen. I . Afrika und der Menschenrechtsschutz
I n A f r i k a wurde die Menschenrechtsidee zunächst vom nationalistischen Widerstand gegen den Kolonialismus aufgegriffen 47 . Der Kolonialideologie wurden die Bekenntnisse zum Menschenrechtsideal entgegengehalten, die sich i n den Verfassungen und internationalen Vereinbarungen der Kolonialmächte finden lassen. Nach der Unabhängigkeit der meisten Staaten richtete sich die Spitze der afrikanischen Menschenrechtsbewegung zunächst gegen den als kolonialen Restbestand begriffenen Apartheid-Staat Südafrika, später gegen die i n der Kolonialzeit 45
Vgl. näher Buergenthal/Norris/Shelton (Anm. 26), S. 1 ff. Vgl. Rojahn, Die Ansprüche der lateinamerikanischen Staaten auf Fischereivorrechte jenseits der Zwölfmeilengrenze, H a m b u r g 1972. 47 Vgl. dazu Adegbite, A f r i c a n Attitudes to the International Protection of H u m a n Rights, i n : Eide/Schou (Hrsg.), International Protection of Human Rights, Stockholm 1968, S. 69 ff. 46
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geschaffene, heute aber i m wesentlichen fortdauernde Weltwirtschaftsordnung 48 . Menschenrechte wurden also zur Unterstützung von Forderungen an andere Staaten eingesetzt. Die klassische Menschenrechtsperspektive, Abwehr gegen Eingriffe des eigenen Staates, geriet erst allmählich i n den Blick, nicht zuletzt durch die Argumentation von Nichtafrikanern, die spektakulären Untaten von Herrschern wie A m i n i n Uganda, Bokassa i m (seinerzeitigen) Zentralafrikanischen Kaiserreich, Macias Nguema i n Äquatorialguinea weltweit Publizität verschafften, die auf Völkermord i n Burundi, i m Sudan und i n Äthiopien, auf w i l l kürliche Verhaftungen i n Zaire, Guinea und Marokko hinwiesen. Die Notwendigkeit, dem Vorwurf der Einäugigkeit (wobei das eine Auge auf Südafrika gerichtet war) entgegenzutreten, förderte so den A u f schwung der Menschenrechtsidee i n Afrika 4 9 . Nachdem die Satzung der OAU 5 0 , die 1963 gegründet wurde, noch kaum mehr als einen schwachen Anklang an Menschenrechtsschutz enthalten hatte, die Organisation auch konkreten Debatten u m den Stand der Verwirklichimg der Menschenrechte i n ihren Mitgliedstaaten immer wieder — und auch i n krassen Fällen — unter Hinweis auf ihr Satzungsprinzip der Nichteinmischung aus dem Wege gegangen ist 51 , kam die Trendwende erst i m Jahre 1979. E i n Entwurf der „African Charter of Human and Peoples' Rights" wurde i m Auftrage der O A U erarbeitet, der nach verschiedenen — und ζ. T. für die Frage, was das spezifisch Afrikanische der Konvention ausmache, sehr signifikanten — Änderungen 5 2 1981 verabschiedet wurde. I I . Amerika und der Menschenrechtsschutz
I m amerikanischen Raum ist die Geschichte des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes — wie bereits angedeutet — länger. Bereits der 48 Vgl. Okolie, H u m a n Rights i n Southern Africa i n the Context of Public International L a w , Glendale L a w Review 2 (1978), S. 219 ff.; über die v ö l k e r rechtlichen Rahmenbedingungen der Reform des Weltwirtschaftssystems Kimminich, Das Völkerrecht u n d die neue Weltwirtschaftsordnung, A V R 20 (1982), S. 2 ff. — Siehe ferner Benedek i n diesem Band, S. 275 ff. 49 Vgl. dazu Wiseberg, H u m a n Rights i n Africa: Towards the Definition of the Problem of a Double Standard, Issue 6 (1976), S. 3 ff.; Bello, The Pursuit of Rights and Justice i n International L a w by the Developing Nations, V R U 14 (1981), S. 171 ff. (189). 50 T e x t : U N T S 479, S. 71 ff.; zur Gründung u n d A k t i v i t ä t der O A U Cervenka, The Unfinished Quest for Unity. Africa and the OAU, London 1977. 51 Dazu i m einzelnen Kunig (Anm. 10), S. 180 ff. 52 Dazu i m einzelnen Kunig, The Protection of H u m a n Rights by I n t e r national L a w i n Africa, G Y I L 25 (1982), S. 138 ff.; siehe ferner Welch jr., The O. A. U. and H u m a n Rights: Towards a New Definition, The Journal of Modern African Studies 19 (1981), S. 401 ff.; vgl. auch Bello, H u m a n Rights: The Rule of L a w i n Africa, I C L Q 30 (1981), S. 628 ff.; allzu euphorisch Nobel, Refugee L a w i n the Sudan, Uppsala 1982, S. 19: „(an) excellent piece of legal craftsmanship."
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Panama-Vertrag von 192658 enthielt menschenrechtliche Elemente, indem er die Gleichheit aller Individuen ansprach und Kooperationspflichten zur Bekämpfung des Sklavenhandels enthielt. Vom Anfang des Jahrhunderts bis i n die dreißiger Jahre entstanden zahlreiche inneramerikanische multilaterale Verträge, die insbesondere Elemente des Menschenrechtsschutzes für Ausländer (einschließlich des Asylrechts) und Schutznormen für Frauen enthielten. Etwa seit 1933 haben interamerikanische Konferenzen eine Vielzahl von Resolutionen verabschiedet, die sich insbesondere m i t Arbeitsbedingungen und dem Status von Frauen und Kindern befaßten, ferner auch m i t Informationsfreiheit, Religionsfreiheit und Rassendiskriminierung 54 . A u f der Konferenz von Bogota (1948), auf der die Charta der OAS 5 5 verabschiedet wurde, entstand die „American Declaration of the rights and duties of men", nach der „the international protection of the rights of men should be the principal guide of an evolving American law". Obwohl die Frage Gegenstand dogmatischer Kontroversen ist5®, dürfte aus der Staatenpraxis der Schluß herzuleiten sein, daß die Deklaration (ebenso wie vorangegangene Resolutionen zu Einzelfragen) keinen rechtsverbindlichen Charakter aufweist. Keines der angesprochenen Dokumente spezifiziert aber die Menschenrechte i n einer Weise, die sich deutlich vom europäischen Erbe unterschiede. Unterstellt w i r d vielmehr, daß insoweit ein Konsens bestehe — dieser Konsens kann wiederum nur das klassische Menschenrechtsverständnis meinen. Trotz allen verbalen Aufwandes blieb der lateinamerikanische Beitrag bis dahin also ohne inhaltliches Profil und auch ohne handfeste Rechtsverbindlichkeit. I m Jahre 1959 wurde durch Resolution der OAS eine Amerikanische Menschenrechtskommission gegründet, die lediglich beratende Funktionen gegenüber den Mitgliedstaaten wahrnehmen konnte. Diese Kommission selbst erklärte sich 1960 für unzuständig, eigene Entscheidungen über ihr vorgetragene Menschenrechtsverletzimgen zu fällen. Der teilweise erfolgreiche Kampf der Kommission um eine Erweiterung ihrer Befugnisse i n den sechziger Jahren kann hier nicht nachgezeichnet werden 57 . Er mündete 1969 i n die Verabschiedung der A m M R K . Nach deren Inkrafttreten 1979 schließlich und der damit verbundenen Errichtung des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte, war die 63
Dazu Salum Flecha (Anm. 42), S. 203 f. Ders., S. 204 ff. 65 Text i n der heute gültigen Fassung: Buergenthal/ Νorris /Shelton (Anm. 26), S. 275 ff. δβ Siehe dazu Buergenthal/ Νorris /Shelton (Anm. 26), S. 23 ff.; Text der Deklaration ebd., S. 285 ff. 57 Vgl. hierzu dies., S. 3 ff. 54
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Rechtslage erreicht, von der bei der folgenden vergleichenden Darstellung auszugehen sein w i r d : Konvention, Kommission und Gerichtshof prägen die gegenwärtige Situation des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes i n Lateinamerika.
D. Die regionalen Systeme im Vergleich Es wäre i m hier gegebenen Rahmen gewiß nicht sachgerecht, über die kontinentalen Konventionen detailliert zu berichten, auch wenn sie eine Fülle interessanter Auslegungsprobleme aufwerfen. Vielmehr sollen die Konventionen unter den Aspekten „Individualrechte", „Beschränkbarkeit von Rechten", „Kollektivrechte", „ I n d i vidualpf licht en", „Rechtskontrolle und Durchsetzbarkeit" m i t der E M R K verglichen und Erklärungsversuche für einige der Unterschiede gegeben werden. Es liegt dabei i n der Natur der Sache angesichts des geringen Alters der Amerikanischen wie der Afrikanischen Konvention, daß viele Aussagen prognostisch bleiben müssen. Normkonkretisierendes Material aus der Praxis ist i n Amerika wenig, i n Afrika noch gar nicht vorhanden. Ausgeklammert werden soll die Frage nach der Rolle, die die kontinentalen Menschenrechtsverträge i n den innerstaatlichen Rechten der jeweiligen Mitgliedstaaten spielen. I m Recht der Bundesrepublik hat die E M R K bekanntlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes, was wegen des ausgebauten Grundrechtsteiles des Grundgesetzes zu einer praktisch eher subsidiären Funktion führt 5 8 . I n Staaten, i n denen gleichfalls durch innerstaatliche Zustimmimg ein völkerrechtlicher Vertrag, der geeignet ist, individuelle Rechte oder Pflichten i m innerstaatlichen Rechtsraum zu begründen, i n innerstaatliches Recht transformiert wird, ist dies teilweise anders. I m amerikanischen und i m afrikanischen Rechtsraum existieren teilweise unterschiedliche Rechtslagen i n Bezug auf das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, die hier nicht behandelt werden können. Deutlich haben die Staaten aber sowohl i n der amerikanischen wie i n der afrikanischen Konvention zum Ausdruck gebracht, daß sie die A r t und Weise, i n der sie ihre teilweise viel Konkretisierungsspielraum lassenden völkerrechtlichen Verpflichtungen umsetzen, eigenen, d. h. umformulierten, innerstaatlichen Gesetzen — oder anderen Hoheitsakten — überlassen wollen. Sowohl A r t . 2 der A m M R K wie A r t . 1 der A f r M R K sprechen insoweit von „legislative or other measures". Der Schwerpunkt der innerstaatlichen Umsetzung liegt also auf gesonderten gesetzlichen und/oder exekutiven oder j u d i 68 Vgl. Fr owein, Die Europäische Menschenrechtskonvention i n der neueren Praxis der Europäischen Kommission u n d des Europäischen Gerichtshofs f ü r Menschenrechte, EuGRZ 1980, S. 231 ff. (231 f.).
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kativen Maßnahmen, nicht auf einer Überführung der Verträge als solcher5®. I n einigen Fällen bieten auch bereits die nationalen Verfassungen ein Instrument zur Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten. I . Individualrechte
Die i n den drei Menschenrechtskonventionen enthaltenen Individualrechte können hier nicht Norm für Norm verglichen werden. Zunächst ist zu fragen, welche Rechtspositionen überhaupt erscheinen; ist auch Textvergleichung noch nicht Rechtsvergleichung, so muß doch dieser erste Schritt unternommen werden, u m einer eingehenderen Betrachtung den Boden zu bereiten. Dabei erscheint es angebracht, den Vergleich der einzelnen Kataloge nicht nur auf die drei regionalen Schutzinstrumente zu beschränken, sondern auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen von 1966 einzubeziehen, u m auf diese Weise ein etwaiges eigenständiges Profil der afrikanischen und der amerikanischen Konvention deutlicher hervortreten zu lassen. Sowohl die Allgemeine Erklärung wie die Menschenrechtspakte sind ja vom gleichen ideengeschichtlichen und politischen Hintergrund geprägt wie die EMRK. I n allen genannten Instrumenten finden sich der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, der Freiheit der Person, des Rechts auf Leben 60 , des Schutzes der Menschenwürde, des habeas corpus, des rechtlichen Gehörs, des „ne bis i n idem", die Gewissens- und Religionsfreiheit, die Informations- und Meinungsfreiheit, die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, das Recht auf Freizügigkeit. Die A f r M R K enthält weiterhin zahlreiche Verbürgungen, die zwar sämtlich i n der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und i n den Pakten der Vereinten Nationen erscheinen, aber nicht i n der E M R K und auch nicht i n der A m M R K : die Rechte auf Arbeit und gleiche Entlohnimg, Gesundheit, Ausbildung, Teilnahme am kulturellen Leben — sog. soziale Rechte also. Das Recht auf Schutz der Familie findet sich i n allen Instrumenten m i t Ausnahme der EMRK. Auch das Recht auf 69 Vgl. zur A m M R K insoweit Fr owein, Die Europäische u n d die A m e r i k a nische Menschenrechtskonvention — E i n Vergleich, EuGRZ 1980, S. 442 ff. (443); Goldman, The Protection of H u m a n Rights i n the Americas: Past, Present and Future, i n : L i l l i c h / N e w m a n , International Rights: Problems of L a w and Policy, Boston/Toronto 1979, S. 628 ff. (629). 80 Z u den Unterschieden zwischen E M R K u n d A m M R K i m Hinblick auf das Recht auf Leben Fr owein (Anm. 59), S. 443; siehe auch Ireland, I n t e r national Protection of H u m a n Rights, L a w y e r of the Americas 7 (1975), S. 318 ff. (331).
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Eigentum — als klassisches bürgerliches Recht — ist i n der afrikanischen und der amerikanischen Konvention enthalten, nicht aber i n den Pakten. Lediglich i n Afrika und Amerika finden w i r das Recht auf Partizipation am politischen Prozeß einschließlich des gleichen Zugangs zum öffentlichen Dienst und das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen. N u r i n der A m M R K finden w i r den Anspruch auf finanzielle Entschädigimg bei Justizirrtum, das Recht zur Erwiderung bei öffentlicher Verunglimpfung, das Recht auf den eigenen Namen. Bestimmungen zur Ächtung, Einschränkung oder zur schrittweisen Abschaffung der Todesstrafe finden sich i n der A f r M R K nicht, dagegen i n allen anderen angesprochenen Instrumenten, dabei äußerst detailliert i n der A m M R K . Die afrikanische Charta läßt es bewenden bei der schlichten Formulierung „Human beings are inviolable" und macht durch den Hinweis, niemand dürfe willkürlich des Rechts auf Leben beraubt werden, deutlich, daß die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe als legitimes M i t t e l staatlichen Handelns angesehen wird, sofern dies i n einem rechtsförmigen Verfahren geschieht. I n den M i t gliedstaaten der O A U sind allein zwischen Februar 1981 und Februar 1982 mindestens 95 Todesurteile (in 15 verschiedenen Staaten) verhängt worden® 1; es ist dabei davon auszugehen, daß die tatsächliche Ziffer noch erheblich höher liegt. Es sei nunmehr die Frage gleichsam umgedreht: Welche Themenbereiche, die i n anderen völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzinstrumenten angesprochen werden, sind i n der A f r M R K und der A m M R K nicht enthalten? Hier sind zu nennen das Recht auf freie Wahl des Ehepartners (das sich überhaupt nicht i n Verträgen findet, die auf Beteiligung von Staaten der Dritten Welt angelegt sind); das Recht auf einen qualifizierten Lebensstandard und auf Erholung und Freizeit; das Recht auf Schutz der privaten Sphäre des Individuums. Insgesamt gesehen, können w i r auf dieser ersten Ebene des schlichten Katalogvergleichs eine starke Orientierung der A f r M R K an der A l l gemeinen Erklärung der Menschenrechte feststellen sowie das Bestreben, Rechte nicht zu verbürgen, die i m Rahmen der gegebenen und mittelfristigen politischen Verhältnisse i n beiden Kontinenten keinerlei Chance der Realisierung besitzen (qualifizierter Lebensstandard, freie Wahl des Ehepartners, Todesstrafe [nur i n Afrika]). Die i n beiden Verträgen enthaltene Verbürgung von Teilhaberechten am politischen Prozeß — inhaltlich nicht mehr als ein Demokratieprogramm — ist zu erklären aus dem Wunsch nach demokratischer 81
Quelle: A u s k u n f t von Amnesty International (Juni 1982).
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Selbstdarstellung. Eine irgendwie geartete Festlegung der Staatsform ist damit nicht verbunden. Auch i n Einparteienstaaten w i r k t jedenfalls nach deren Selbstverständnis das V o l k am demokratischen Prozeß mit, und Militärdiktaturen fühlen sich als Vollstrecker des Volkswillens. Der bloße Katalogvergleich erweist sich insgesamt als noch nicht sehr ergiebig bei der Profilsuche. I I . Beschränkungen der Individualrechte
Die Effektivität des Menschenrechtsschutzes hängt i n hohem Maße von den jeweils vorgeschriebenen Möglichkeiten der Einschränkung ab. Hier unterscheiden sich die kontinentalen Konventionen bereits deutlicher voneinander. Sowohl die E M R K als auch die A m M R K enthalten eine sog. Derogationsklausel (Art. 15 bzw. 27), die die Suspendierimg eines Teiles der Rechte für den Kriegs- und Notstandsfall ermöglicht. I n Lateinamerika haben Nicaragua, E l Salvador, Kolumbien davon schon Gebrauch gemacht 82 . Nach der A m M R K werden außerdem sämtliche Rechte durch „the security of all" sowie „the just demands of the general welfare, i n a democratic society" begrenzt (Art. 32 Abs. 2). Ähnliches lesen w i r i n A r t . 27 Abs. 2 A f r M R K : „collective security, morality and common interest" können hier zur Einschränkung angeführt werden. Hinzu kommen i n allen Verträgen Vorbehalte zu einzelnen Menschenrechten, freilich weniger und zumeist qualifizierte i n EMRK und A m M R K , sehr zahlreiche und allgemein formulierte i n der A f r M R K (z. B. „ i n accordance w i t h the law", „ w i t h i n the law", „provided that he abides by the law"). Da es i n beiden Verträgen — wie allerdings auch i n allen anderen Menschenrechtsverträgen — trotz dieser erheblichen Einschränkungsmöglichkeiten an Bestimmungen fehlt, die die Geltung eines Kerns der menschenrechtlichen Verbürgung gegenüber der gesetzlichen Eingrenzung sicherstellen würden, ist der Disposition des nationalen Gesetzgebers breiter Spielraum gelassen. Insbesondere die A f r M R K zeigt hier bereits vom Wortlaut her ihren 62 Dazu i m einzelnen Buergenthal/Norris/Shelton (Anm. 26), S. 194 ff. m i t Dokumenten; A r t . 51 des Statuts der Rechte u n d Garantien der Nicaraguaner v o m 21. August 1979 lautet i n englischer Übersetzung: „ T h e exercise of the rights and guarantees contained i n this statute of persons w h o are being investigated for crimes envisaged i n the penal code and i n international agreements, committed d u r i n g the Somoza regime, is hereby suspended for a term of s i x t y days, as from this date." (ebd. S. 194; Nicaragua hat diese Gesetzesbestimmung der Kommission mitgeteilt u n d erläutert). — Bolivien hat i m J u l i 1980 Menschenrechte suspendiert, ohne dies mitzuteilen. — Z u m Problem allgemein T. Stein, Die Außerkraftsetzung von Garantien menschenrechtlicher Verträge, i n : I. Maier (Hrsg.), Europäischer Menschenrechtsschutz. Schranken u n d Wirkungen, Heidelberg 1982, S. 135 ff.; Vergleich der Regelungen nach E M R K u n d A m M R K bei Frowein (Anm. 59), S. 449.
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primär programmatischen Charakter. Durchweg bieten ihre Bestimmungen einem Staat, dessen Verhalten gerügt wird, Möglichkeiten auch juristischer Exkulpation 6 ®. I I I . Kollektivrechte
Noch weiter auseinander tendieren die kontinentalen Systeme i n der Frage der kollektiven Rechte. K e i n einziges kollektives Recht ist i n der EMRK enthalten. Rechte, die kollektiv ausgeübt werden, wie die Koalitionsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit (Art. 11), sind auf die Perspektive des Individuums h i n angelegt. Einen nur kleinen Schritt hierüber hinaus unternimmt die A m M R K , wenn sie der Familie einen eigenen Schutzanspruch zuerkennt (Art. 17 Abs. 1) — die Familie, eine „kollektive" Einheit, die i n der EMRK wiederum nur i n dem Sinne angesprochen wird, daß Mann und Frau — als Individuen — das Recht zu ihrer Gründung haben (Art. 12). Eine ähnliche Rolle wie i n der A m M R K spielt die Familie auch i n der A f r M R K (Art. 18 Abs. 1 und 2), wo die Schutzverpflichtung des Staates ausschließlich auf die Rolle gestützt wird, die der Familie als „Wächterin der Moral und der traditionellen Werte" zukomme. Davon abgesehen enthält die A f r M R K aber einen eigenen Abschnitt über kollektive Rechte, nämlich die sog. „Peoples' Rights" (Art. 19 bis 24), i n ihrer Wichtigkeit akzentuiert schon durch ihre Aufnahme i n den Vertragsnamen. Sie wurden nicht i n einen eigenen Abschnitt aufgenommen, sondern erscheinen unmittelbar i m Zusammenhang m i t den Individualrechten, u m die enge Verwobenheit beider Arten von Rechten noch zu unterstreichen. Vergleichbares findet sich nicht i n den europäischen und lateinamerikanischen Systemen. Die A f r M R K knüpft hier — „peoples' rights" — an den Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Völker als ein Menschenrecht an (vgl. die gleichlautenden A r t . 1 der beiden UNO-Menschenrechtspakte von 1966). Freilich geht die Charta weit hinaus über die dem Selbstbestimmungsprinzip üblicherweise zuerkannten Inhalte 6 4 . 63
Das Problem formeller Vorbehalte k a n n hier aus Raumgründen nicht behandelt werden; vgl. dazu Imbert, Die Frage der Vorbehalte u n d die M e n schenrechtskonventionen, i n : I. Maier (Hrsg.; A n m . 62), S. 95 ff. — Z u r A m M R K hat E l Salvador einen Vorbehalt erklärt, der k a u m m i t A r t . 19 der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 [Text i n deutscher Übersetzung: J I R (GYIL) 15 (1971), S. 725 ff.] vereinbar sein dürfte — freilich ist E l Salvador an diese Konvention nicht gebunden. Der T e x t des Vorbehalts lautet i n englischer Ubersetzung: „The ratification of the American Convention on H u m a n Rights . . . w i t h the reservation that (the) ratification is understood to be w i t h o u t prejudice to those provisions of the Convention that may enter into conflict w i t h express precepts of the Political Constitution of the Republic."; zit. nach Buer genthal/ Νorris / Shelton (Anm. 26), S. 50.
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Bekräftigt werden zunächst das bereits seit längerem diskutierte Recht auf freie Verfügung über natürliche Reichtümer, das spezifiziert w i r d als Recht zur Rückgabe bzw. Entschädigung bei Entzug natürlicher Ressourcen (Art. 21 Nr. 2)®5. Der zweifelsfrei dem geltenden Gewohnheitsrecht angehörende Anspruch auf Dekolonialisierung®® w i r d bezogen nicht nur auf „kolonisierte", sondern auch auf „unterdrückte" (oppressed) Völker. Das daraus abgeleitete Recht auf Unterstützung i m antikolonialen Befreiungskampf umfaßt „liberation struggle" ganz allgemein und geht damit ebenfalls über den Konsens des universellen Völkerrechts hinaus. Die Ausdehnung auf ökonomische, soziale und kulturelle Selbstbestimmung w i r d konkretisiert durch die Vereinbarung der Staaten, „ausländische wirtschaftliche Ausbeutung", insbesondere durch „internationale Monopole" abzubauen, u m den Völkern die volle Nutzung der nationalen Ressourcen zu ermöglichen (Art. 21 Nr. 5). Zusätzlich w i r d die Pflicht der Staaten vereinbart, „to ensure the exercise of the right to development" (Art. 22 Nr. 2). Das systematische Verhältnis dieser Normen zueinander und ihr konkreter Inhalt werden nicht recht deutlich. Die Formulierungen der Charta sind insoweit ein Reflex des gegenwärtigen Standes der internationalen Diskussion über w i r t schaftliche Selbstbestimmung und das Recht auf Entwicklung, die zu einer vollständigen Klärung noch nicht geführt haben®7. Fortgeführt werden die Bestimmungen über „Peoples' Rights" durch eine Bezugnahme auf die Prinzipien der Vereinten Nationen über das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 23), wobei die besondere Sensibilität der afrikanischen Staaten für gegen sie gerichtete subversive Tätigkeit erneut zu einer einschlägigen Verbotsnorm führt, wie sie schon in der Satzung der OAU, der Afrikanischen Flüchtlingskonvention und Resolutionen der O A U ihren Ausdruck gefunden hat®8. e4 Vgl. dazu Henkin/Pugh/Schachter/Smit, International L a w . Cases and Materials, St. Paul, M i n n . 1980, S. 209 ff.; Berber (Anm. 1), S. 76, 174 f., 359. 65 Vgl. dazu Hingorani, Modern International L a w , Dobbs Ferry (N.Y.) 1979, S. 65 f.; Asante, Restructuring Transnational M i n e r a l Agreements, A J I L 73 (1979), S. 335 ff. ββ Vgl. dazu El-Ayouty, The United Nations and Decolonization. The Role of Afro-Asia, Den Haag 1971; Umozurike, Self-determination i n International L a w , Hamden 1972; Verwey, Decolonization and Jus ad bellum: A Case Study on the Impact of the U n i t e d Nations General Assembly on International L a w , i n : A k k e r m a n / v a n Krieken/ Pannenborg (Hrsg.), Declarations on P r i n ciples. A Quest for Universal Peace, FS Röling, Leyden 1977, S. 121 ff. 67 Vgl. International Commission of Jurists (Hrsg.), Development, H u m a n Rights and the Rule of L a w , O x f o r d / N e w Y o r k 1981; Dupuy (Hrsg.), Le droit au développement au plan international, A l p h e n aan den R i j n 1980; Graefrath, Recht auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht i n der internationalen Diskussion, Neue Justiz 1982, S. 197 ff.; Alston , A T h i r d Generation of Solidarity Rights: Progressive Development or Obfuscation of International H u m a n Rights Law?, N I L R 29 (1982), S. 307 ff. — Siehe ferner den Beitrag von Benedek i n diesem Band, S. 275 ff. • 8 Dazu näher Kunig (Anm. 10), S. 285 ff.
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Inhalt und Bedeutung der i n A r t . 19 bis 24 der Charta niedergelegten Peoples' Rights können sich nur erschließen, wenn man die Frage beantwortet, wer Rechtsträger und wer Adressat dieser Rechte ist. Bekanntlich zählen „Völker" nicht zum Kreis der Subjekte des klassischen Völkerrechts, als „Bevölkerungen" machen sie vielmehr lediglich ein Element des Staates als des wichtigsten Völkerrechtssubjektes aus. Die Charta geht, wie die vorangegangene inhaltliche Skizzierung der A r t . 18 bis 24 gezeigt hat, hierüber hinaus. Die „Völker" werden i n normative Zusammenhänge eingeordnet, die das Völkerrecht bisher nicht kannte. Dabei w i r d die Konzeption vom Staat als dem primären Subjekt des Völkerrechts aber nicht aufgegeben. Der Staat soll aber i m Interesse des Volkes agieren; dieses ist i h m rechtlich aufgegeben. Er reklamiert nach außen h i n — also i m zwischenstaatlichen Verkehr — die Bedingungen, derer das Volk zur Entwicklung und Selbstverwirklichung bedarf; er ergreift i m innerstaatlichen Bereich die Maßnahmen, die das Volk i n den Stand setzen, seinen Anspruch auf Existenz, Entwicklung und Selbstbestimmung zu verwirklichen. Dogmatische Stimmigkeit und rechtspolitische Bedeutung dieser Neuorientierung bedürfen noch eingehender Analyse 69 . I V . Individualpflichten
Bekanntlich enthält die E M R K wie keine kollektiven Rechte, so auch keinerlei Pflichten. Die A m M R K enthält demgegenüber das „Personal Responsibilities" überschriebene Kapitel V, das sich freilich i n einem A r t i k e l (Art. 32) erschöpft, der „Pflichten" gegenüber der Familie, der Gemeinschaft und der Menschheit erwähnt, ohne diese i n irgendeiner Form zu spezifizieren (Abs. 1). Der A r t i k e l formuliert i m übrigen (Abs. 2), daß alle Rechte durch die Rechte anderer und das Gemeinwohl begrenzt seien, faßt also — ähnlich wie A r t . 14 Abs. 1 GG — die Beachtung der Rechte anderer als Pflicht auf. Bemerkenswert ist dabei, daß die Amerikanische Menschenrechtserklärung von 194870 noch zehn Bestimmungen über Individualpflichten enthielt. Die A f r M R K ist demgegenüber wiederum detaillierter. I h r Kapitel I I („Duties") enthält drei Bestimmungen, die ein Pflichtenbündel erwähnen, das freilich nicht inhaltlich, sondern nach dem Adressaten bestimmt ist, damit, was seinen Umfang anlangt, in den Einzelheiten vorausgesetzt w i r d : Genannt werden Familie, Gesellschaft, Staat, andere rechtlich anerkannte Gemeinschaften — man mag an regionale Organisationen wie die O A U denken, innerstaatliche Gemeinschaften wie 69 Dazu Benedek unten, S. 275 ff.; Kunig (Anm. 52), S. 156ff., u n d ders., Peoples' Rights i n the A f r i c a n Charter on H u m a n and Peoples' Rights, i n : G i n ther/Benedek (Hrsg.; A n m . 41), S. 162 ff. 70 Text i n : Buergenthal/Norris/Shelton (Anm. 26), S. 285 ff.
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Parteien oder Gewerkschaften sind hier nicht gemeint —, ferner (wie i n der AmMRK) die Rechte anderer, die kollektive Sicherheit, Moral, Gemeinwohl. Spezifiziert (und teilweise redundant) ist von den Pflichten gegenüber Familie und Eltern die Rede, der nationalen Gemeinschaft, i n deren Dienst physische und intellektuelle Fähigkeiten zu stellen sind, von Pflichten i n bezug auf nationale Sicherheit des Heimat-, aber auch des Aufenthaltsstaates (man denke an das gewaltige afrikanische Flüchtlingsproblem), von sozialer Solidarität, nationaler Unabhängigkeit und territorialer Integrität, der Pflicht, seine persönlichen Fähigkeiten bestmöglich zu nutzen und Steuern zu zahlen, „positive afrikanische k u l turelle Werte" zu fördern und dem gesellschaftlichen Wohl zu dienen, jederzeit und nach Kräften die afrikanische Einheit zu fördern. Die Fülle und Intensität dieser sich vielfach überschneidenden Pflichten dokumentieren die Wichtigkeit, die die Vertragsstaaten der Inpflichtnahme des Individuums i n einer Charta beimessen, die i n erster Linie der Verbürgung von Rechten dienen soll. Daß damit eine i n ihren Einzelheiten heute noch nicht ermeßbare Relativierung der Individualrechte ermöglicht wird, liegt auf der Hand, wobei freilich auch die Pflichten der jeweiligen Umsetzung i n nationales Recht bedürfen, so daß der innerstaatliche Gesetzgeber die Möglichkeit hat, den Pflichtenkatalog der A f r M R K zu konkretisieren. Es wäre verfehlt, die Aufnahme von Pflichten i n die afrikanische Charta primär dem Umstand zuzuschreiben, daß zahlreiche afrikanische Staaten i h r Gesellschaftssystem als sozialistisch verstehen und deshalb auch der Grundpflichten betonenden sozialistischen Menschenrechtskonzeption 71 nahestehen. Die enge Verknüpfung von Rechten und Pflichten ist vielmehr — wie oben angedeutet — ein genuines Merkmal traditioneller afrikanischer Vorstellungen vom Staate. So finden sich Grundpflichten auch nicht nur i n den nationalen Verfassungen „sozialistischer Staaten" wie Angola, Mozambique, Guinea, Madagaskar, sondern auch i n den Verfassungen Togos, Obervoltas, des Sudan, Somalias und Ägyptens, die marktwirtschaftliche bis gemischte Systeme festschreiben bzw. voraussetzen. Es ist bemerkenswert, daß der auch i m europäischen Menschenrechtsgedanken angelegte Pflichtenaspekt — enthalten etwa schon i n der französischen Verfassung vom 22. 8.1795 72 — dem heutigen europäischen Verfassungsdenken eher fernsteht 73 , in 71 Dazu neuestens Klenner, Marxismus u n d Menschenrechte. Studien zur Rechtsphilosophie, (Ost-)Berlin 1982, S. 135: „Grundrechte sind m i t den Grundpflichten identisch." 72 Text i n deutscher Ubersetzung bei Heidelmeyer, Die Menschenrechte, Paderborn 1972, S. 63 ff. 73 Vgl. etwa den Bericht Schupperts, Uber Grundpflichten des Bürgers u n d die Funktionen des Verwaltungsverfahrens — Bericht über die Staatsrechtslehrertagung 1982 i n Konstanz, AöR 107 (1982), S. 614 ff.
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Lateinamerika und vor allem A f r i k a aber vehement aufgenommen worden ist. V. Kontrollorgane
Bei dem Vergleich der von den Verträgen m i t ihrer Durchsetzung betrauten Institutionen seien alle Formalia, wie Wahl der Mitglieder, Inkompatibilitäten, Verfahren etc. beiseitegelassen; einzubeziehen sind die substantiellen Aufgaben und Befugnisse. Wie das europäische System ist das amerikanische zweispurig, kennt „Kommission" und „Gerichtshof", während die A f r M R K als einziges Kontrollorgan eine „Kommission" errichtet. Die „Inter-American Commission on Human Rights" hat eine Vorgeschichte74, die bis ins Jahr 1959 zurückreicht. Sie erhielt 1960 ihr erstes Statut, wurde 1971 anerkannt als eines der Hauptorgane der OAS und arbeitet seit November 1979 aufgrund eines neuen Statuts 75 m i t neuen Funktionen, die hier allein interessieren sollen. Unter den Funktionsbestimmungen der A m M R K für die Organe finden w i r zunächst die generelle Aufgabenstellung „Förderung des Respekts vor den Menschenrechten und ihre Verteidigung" (Art. 41); dies w i r d spezifiziert durch sechs Klauseln, die sämtlich i n den Bereich der Policy-Maßnahmen gehören, nämlich das Recht, Empfehlungen abzugeben, die Mitgliedstaaten i n ihrer Menschenrechtspolitik zu beraten, Berichte und Analysen fertigen zu lassen, einen Jahresbericht zu erstellen u. ä. Eine einzige Funktion geht hierüber hinaus und verdient eine eingehendere Betrachtung, nämlich „to take action on petitions and other communications" (Art. 41 lit. f.). Dieses Petitionsrecht steht I n d i viduen, Personengruppen und juristischen Personen (die nach mindestens der nationalen Rechtsordnung eines der Mitgliedstaaten Rechtspersönlichkeit aufweisen müssen) zu, die damit Menschenrechtsverletzungen der Mitgliedstaaten geltend machen können. Anders als nach dem Recht der E M R K bedarf es insoweit keiner Zusatzerklärung. Neben den „Petitionen" sind auch sog. „communications" möglich, die hinsichtlich von Vorgängen i n einem Mitgliedstaat von einem anderen Mitgliedstaat vor die Kommission getragen werden können. Hier ist — wiederum anders als nach der EMRK — eine Zusatzerklärung notwendig 7 6 . Bis heute haben lediglich vier Mitgliedstaaten, nämlich Costa Rica, Jamaica, Peru und Venezuela, eine Erklärung dieser A r t abgegeben. 74
Dazu Buergenthal/Norris/Shelton (Anm. 26), S. 4 ff. Text i n : Buergenthal/Norris/Shelton (Anm. 26), S. 303 ff.; vgl. ferner Norris, The New Statute of the I n t e r - A m e r i c a n Commission on H u m a n Rights, H R L J 1 (1980), S. 379 ff. 75
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Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen sind — wie nach der EMRK — die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges (Art. 46 Abs. 1 lit. a A m M R K , vgl. A r t . 26 EMRK), die Einhaltung einer sechsmonatigen Frist (Art. 46 Abs. 1 lit. b A m M R K ; vgl. Art. 26 EMRK), das Nichtvorliegen von Anonymität (Art. 46 Abs. 1 lit. d A m M R K , vgl. A r t . 27 Abs. 1 lit. a EMRK) und einer Rechtshängigkeit vor anderen internationalen Streitschlichtimgsgremien (Art. 46 Abs. 1 lit. c A m M R K , vgl. A r t . 27 Abs. 1 lit. b EMRK). Die A m M R K sieht dabei wichtige Ausnahmen sowohl von der local-remedies-rule wie von der Frist vor, die i m europäischen Recht keine Parallele finden. Die Bestimmungen greifen nämlich nach A r t . 46 Abs. 2 lit. a—c A m M R K nicht, wenn das betreffende nationale Recht hinsichtlich der i n Rede stehenden Menschenrechtsverletzungen keinen angemessenen Rechtsschutz gewährt („due process of law"), Rechtsverweigerung oder unangemessene Verzögerung des Rechtsschutzes vorliegt. Das Verfahren — äußerst detailliert geregelt — orientiert sich deutlich an der EMRK. Parallelen liegen auch i n der Berichtspflicht an Organisationen und Mitgliedstaaten, sofern eine Streitbeilegung erreicht w i r d (Art. 59 A m M R K , A r t . 30 EMRK). Ist eine solche Lösung nicht erreichbar, legt die Europäische Kommission bekanntlich dem Ministerausschuß und den beteiligten Staaten einen Bericht vor, i n dem sie zur Frage einer Vertragsverletzung Stellung nimmt (Art. 31), woraufhin sie oder die betroffenen Staaten den Fall entweder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorlegt oder aber selbst m i t Zweidrittelmehrheit über eine Vertragsverletzung entscheidet und dem Vertragsbrüchigen Staat geeignete Maßnahmen bindend auferlegt (Art. 32 EMRK). Werden diese Maßnahmen nicht befolgt, erfolgt eine neue Entscheidung des Ministerausschusses und die Veröffentlichung des Berichtes der Kommission. Eine solche Zwischenschaltung eines weiteren Gremiums ist i n dem amerikanischen System nicht vorgesehen. Die Amerikanische Kommission kann den Fall an den Gerichtshof weiterleiten (wie i n Europa können das auch die betroffenen Staaten) oder aber m i t absoluter Mehrheit eine „Meinung" bilden und Empfehlungen abgeben. Nach Ablauf einer eventuellen Fristsetzung kann die Kommission bei Nichtbefolgung dieser Empfehlungen wiederum m i t absoluter Mehrheit dieses feststellen und ihren Bericht veröffentlichen. 76 Diese ,Umkehrimg' i m Vergleich zur E M R K erklärt Buergenthal aus der Vorstellung der amerikanischen Staaten, daß Staatenbeschwerden regelmäßig größere internationale Spannungen m i t sich brächten als Individualbeschwerden; siehe Buergental, The American Convention on H u m a n Rights: Illusions and Hopes, Buffalo L a w Review 21 (1971), S. 121 ff. (130); zustimmend Ireland (Anm. 60), S. 331. — Bisher haben n u r drei Staaten, nämlich Costa Rica, Peru u n d Venezuela, die Zuständigkeit der Kommission zur Prüfung von Staatenbeschwerden anerkannt.
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Die Praxis der Kommissionsarbeit war i n den letzten Jahren wechselvoll 7 7 . Fast i n allen zuletzt veröffentlichten Entscheidungen der Kommission i n Individualbeschwerdesachen mußte die Kommission von A r t . 39 A m M R K Gebrauch machen, wonach Tatsachen als wahr unterstellt werden können, wenn der jeweilige Staat einer Aufforderung zur Stellungnahme nicht nachgekommen ist. Argentinien, Bolivien, Chile, Kuba, Guatemala, Uruguay sind zumeist die betroffenen Staaten; i n der Sache geht es fast ausnahmslos u m Fälle willkürlicher Verhaftimg und Verschleppung, auch Folter. I m Jahresbericht für 1981/82 sind 29 I n d i v i dualbeschwerden behandelt, zumeist unter ausführlicher Sachverhaltswiedergabe 78 . I n den letzten beiden Jahren haben Brasilien, Costa Rica, Ecuador, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Uruguay und Venezuela der Kommission über ihre innerstaatlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes Berichte erstattet 79 . Bei der Erstellung eigener Länderberichte hält sich die Kommission seit einiger Zeit zurück, nachdem 1980 infolge detaillierter K r i t i k vor allem an Chile und Argentinien die Integrationsfähigkeit des gesamten OAS-Systems i n Frage gestellt worden war: Beide Staaten, aber auch Bolivien, Paraguay und Uruguay drohten m i t ihrem Austritt aus der Organisation 80 . I m Jahresbericht 1981/82 widmete sich die Kommission i n Einzelkapiteln neun Staaten, wobei sie lediglich für Bolivien, Kolumbien und Nicaragua eine leicht positive Bilanz der Menschenrechtsverwirklichung feststellte 81 . Erkundungsreisen hat die Kommission — das sei hier beispielhaft genannt — i m Berichtszeitraum 1981/82 i n Nicaragua (Situation der Miskito-Indianer), i n Florida, New York und Puerto Rico (Situation von Flüchtlingen aus Haiti) durchgeführt 82 . Die Effizienz der Kommissionsarbeit ist nicht leicht zu würdigen. Sie ist gewiß begrenzt durch den Umstand, daß zahlreiche Staaten konstant die Einlassung auf i n den Individualbeschwerden enthaltene Rügen verweigern (Chile verweigert derzeit kategorisch jede Zusammenarbeit m i t der Kommission) und daß gerade die Staaten, i n denen der Menschenrechtsschutz am wenigsten weit gediehen ist, die Zuständigkeit des 77
Vgl. die Berichte von Bartsch, Die E n t w i c k l u n g des internationalen M e n schenrechtsschutzes, N J W 1981, S. 488 ff. (493 f.); 1982, S. 478 ff. (483 ff.); 1983, S. 473 ff. (478 ff.) ; siehe ferner die A n n u a l Reports of the I n t e r - A m e r i c a n Commission on H u m a n Rights, zuletzt 1980/1981 (OEA/Ser. L / V / I I . 54, Doc. 9 rev. 1, 16.10.1981) u n d 1981/1982 (OEA/Ser. L / V / I I . 57, Doc. 6 rev. 1, 20. 9. 1982). 78 Siehe A n n u a l Report 1981/1982 (Anm. 77), S. 21 ff. 79 Siehe A n n u a l Report 1980/1981 (Anm. 77), S. 105 ff. bzw. A n n u a l Report 1981/1982 (Anm. 77), S. 97 ff. 80 Vgl. näher Bartsch (Anm. 77; 1981), S. 493. 81 Siehe A n n u a l Report 1981/1982 (Anm. 77), S. 103 ff., insbes. S. 108 ff. (Bolivien), S. 110 ff. (Kolumbien), S. 119 ff. (Nicaragua). 82 Siehe A n n u a l Report 1981/1982 (Anm. 77), S. 12 f. bzw. S. 17 f.
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Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht anerkannt haben 83 . Andererseits ist die Publizität, die Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen, aber auch die generelle Linie der einzelstaatlichen Menschenrechtspolitiken durch die Arbeit der Kommission erhalten, ein wichtiger Faktor. Schon die schiere Existenz dieses Gremiums und die (nur politische, vgl. A r t . 41 lit. d A m M R K ) Notwendigkeit, diesem Informationen über nationale Maßnahmen zur Verfügimg zu stellen, schaffen einen gewissen Druck. Da Regierungen freilich regelmäßig nicht zuzugeben pflegen, daß sie bestimmte Handlungen wegen eines völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzvertrages durchführen (auch wenn dies oft eine wichtige Motivation sein mag), bleibt jede Bewertung i n diesem Bereich spekulativ 84 . Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte besteht seit 197985. Seine Zuständigkeit ist bisher von Costa Rica, Honduras, Peru und Venezuela anerkannt worden (vgl. A r t . 62 AmMRK). Auch er ist sichtbar von dem europäischen Vorbild geprägt (vgl. i m einzelnen A r t . 52 ff. AmMRK). Staaten und Kommission sind klagebefugt (Art. 61 Abs. 1 AmMRK), wobei ein Verfahren vor der Kommission immer vorangehen muß (Art. 61 Abs. 2 i. V. m. A r t . 48 ff. AmMRK). Während die Kommission dem Gerichtshof bisher noch keinen Fall vorgelegt hat, wurde von Costa Rica ein Verfahren gegen „sich selbst" eingeleitet8®. Die Regierung von Costa Rica begehrte eine Feststellung, ob die Erschießung zweier Untersuchungsgefangener durch costaricanische Polizisten eine Vertragsverletzung darstelle; sie verzichtete auf die Durchführung des Verfahrens vor der Kommission und stellte sich auf den Standpunkt, dies sei zulässig, w e i l ein solches Verfahren ausschließlich dem Schutz des „Beklagten" diene. Der Gerichtshof hat das Verfahren als unzulässig bezeichnet. Das Kommissionsverfahren diene auch dem betroffenen Individuum, da es — wie i n Europa — nur vor der Kommission Partei ist, nicht aber vor dem Gerichtshof 87 . Wie sein europäisches Pendant 88 — das davon allerdings noch nicht Gebrauch gemacht hat — verfügt auch der amerikanische Gerichtshof 83
Dazu sogleich i m Text. Vgl. Farer/Rowles, The I n t e r - A m e r i c a n Commission on H u m a n Rights, i n : L i l l i c h / N e w m a n (Anm. 59), S. 635 ff. (651 f.). 86 Dazu ausführlich Buergenthal, The I n t e r - A m e r i c a n Court of H u m a n Rights, A J I L 76 (1982), S. 231 ff. 86 Government of Costa Rica (In the matter of V i v i a n a Gallardo et al.) No. G 101/81, Entscheidung v o m 13.11.1981; Text i n : Buergenthal!Norris/ Shelton (Anm.26), S.99ff., sowie i n I L M 20 (1981), S. 1424ff.; vgl. auch Bartsch (Anm. 77; 1982), S. 483 f.; Buergenthal (Anm. 85), S. 239. 87 Vgl. dazu aus der Sicht der E M R K Delvaux, Die Opfereigenschaft nach A r t i k e l 25 der Europäischen Menschenrechtskonvention, i n : I. Maier (Hrsg.; A n m . 62), S. 33 ff. (36 ff.). 84
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über die Zuständigkeit zur Erstattung von Gutachten. Zwei solcher Gutachten wurden bisher erstattet; sie betrafen die Frage nach dem Umfang der Gutachtenkompetenz (auf Antrag Perus) und die Frage, wann die A m M R K für Staaten i n Kraft t r i t t , die einen Vorbehalt erklären (auf Antrag der Kommission) 89 . Nach den „Measures of Safeguard" (Art. 30 ff.) der A f r M R K ist die Errichtung einer „African Commission on Human and Peoples' Rights" vorgesehen, die erst nach Inkrafttreten der Charta gebildet werden w i r d (vgl. A r t . 64 AfrMRK). Der rechte Zeitpunkt für eine ausführliche juristische Analyse der Rechtsstellung und der Kompetenzen dieser Kommission ist gewiß noch nicht gekommen. Gerade i m Rahmen der O A U gibt es übrigens einen klassischen Beispielfall detaillierten formellen Rechts, das nie praktische Bedeutung erlangt hat. Das zu A r t . 19 der OAU-Satzung ergangene Protokoll von Kairo vom 21. J u l i 1964 („Protocol of the Commission of Mediation, Conciliation and Arbitration") 9 0 umreißt i n fünfzehn Bestimmungen die Tätigkeit der Schlichtungskommission der OAU, ist aber — anders als die materiellen Bestimmungen der Satzung — totes Recht geblieben. Die afrikanische Menschenrechtskommission soll m i t folgenden, i n Art. 55 beschriebenen Aufgaben betraut werden: Sammlung von Material, Anregung von Forschungen, Beförderung des Meinungsaustausches i n Menschenrechtsfragen, Abgabe von Empfehlungen auf diesem Sektor an die Regierungen; Erarbeitung von Prinzipien, auf die die Mitgliedstaaten ihre nationale Gesetzgebung stützen können; Zusammenarbeit m i t anderen Menschenrechtsorganisationen. Diese Aufgaben sind beschränkt auf Organisation und Koordinierung. E i n der E M R K oder der A m M R K vergleichbares Beschwerdeverfahren existiert nicht, auch wenn die Kommission „communications" von Staaten (Art. 47 ff. AfrMRK) und von anderer Seite (Art. 55 ff. AfrMRK) entgegennimmt. Konsequenz jeder Beschäftigung m i t an die Kommission herangetragenen Menschenrechtsverletzungen ist die Erstattung eines Berichts an die Versammlung der Staats- und Regierungschefs der O A U (vgl. Art. 52 und 58 AfrMRK), die auch über eine allfällige Veröffentlichimg entscheidet. Damit w i r d das Schicksal dieser künftigen Kommission untrennbar verknüpft sein m i t dem Schicksal der OAU, über das i m gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zweifelsfrei eine günstige Prognose gestellt werden kann 9 1 . 88
Nach dem Protokoll Nr. 2 v o m 6. 5.1963, T e x t : BGBl. 1968 I I , S. 1112 ff. Z u beiden Gutachten näher Bartsch (Anm. 77; 1983), S. 479 f. 90 T e x t i n : Brownlie (Hrsg.), Basic Documents on A f r i c a n Affairs, Oxford 1971, S. 9 ff.; zur Ineffektivität der Kommission Kunig (Anm. 10), S. 139 ff. 89
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E. Schlußbemerkung Die eingangs aufgeworfenen Fragen nach dem Stellenwert der Menschenrechtsentwicklung i n Amerika und A f r i k a für die Debatte u m den Regionalismus i m Völkerrecht, nach den besonderen Konturen der beiden hier näher vorgestellten Menschenrechtsverträge und dem grundsätzlichen Sinn von Menschenrechtsschutz i n wenig entwickelten, von existentiellen Problemlagen charakterisierten Regionen können i n dem jetzigen Stadium der Rechtsentwicklung nicht abschließend beantwortet werden. Kein Zweifel kann sein an der Geeignetheit jedenfalls des oft beschworenen Minimums der Menschenrechte auch i n staatlichen Ordnungen, die sich von den bürgerlichen Ordnungen Europas deutlich unterscheiden und deren Traditionen nicht kennen, positive Ergebnisse zu erzielen und vor allem: von den Staaten akzeptiert zu werden. Der Katalogvergleich der Individualrechte hat ergeben, daß bei der Bestimmung jenes Minimums allzu große Zurückhaltung nicht am Platz ist. I m wesentlichen stimmen die Kataloge überein, wenn auch Akzente unterschiedlich gesetzt werden. Heimliche Verhaftung, Folter und Sklaverei sind immer und überall ein Übel; das w i r d auch von den Staaten A f r i kas und Lateinamerikas akzeptiert. Die Herausarbeitimg des unabdingbaren, überall geltenden Menschenrechtsminimums bleibt eine wichtige Aufgabe, zu der die Regionalkonventionen ermutigen. Es gibt keinerlei Anlaß, das Fortschreiten i n dieser Richtung als (nordatlantischen) K u l turimperialismus zu brandmarken, wie dies schon geschehen ist®2. I n den Bereichen Beschränkung von Individualrechten, Kollektivrechte, Individualpflichten und Kontrollorgane ist es die A f r M R K , die prinzipiell eigene Wege geht, während die A m M R K das europäische System i m wesentlichen kopiert und geringfügig modifiziert. Der Blick nach Europa, den die Organe der A m M R K i n ihrer Praxis richten, w i r d dies verstärken 98 . Es ist dennoch zu erwarten, daß Entwicklungsbedürf91 Vgl. dazu Maarouf, Est-ce la f i n de Î O U A ? , Jeune Afrique, No. 1143 (1. 12. 1982), S. 22 ff. 92 Vgl. etwa die Studie von W. Heinz, Menschenrechte u n d D r i t t e Welt. Z u r Frage nach den Ursachen von Menschenrechtsverletzungen, F r a n k f u r t a. M. 1980; vgl. dagegen zutreffend Grohs, Die Menschenrechtsdiskussion i n den unabhängigen Staaten Afrikas südlich der Sahara, i n : Ansprenger/Grohs/ Janik u. a. (Anm. 8), S. 43 ff. (48) ; grundsätzlich Tomuschat, Is Universality of H u m a n Rights Standards an Outdated and Utopian Concept?, i n : Bieber/ Bleckmann/Capotorti u. a. (Hrsg.), Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift f ü r Sasse, Bd. 2, K e h l am Rhein 1981, S. 585 ff.; siehe a u d i R.H. Green, Basic H u m a n Rights/Needs: Some Problems of Categorical Translation and Unification, The Review, International Commission of J u rists, Nr. 27 (Dezember 1981), S. 53 ff. 98 Vgl. dazu Frowein (Anm. 59), S. 449.
Regionaler Menschenrechtsschutz i m interkontinentalen Vergleich
273
nisse und politische Spannungslagen dazu führen werden, daß die Realität der Menschenrechtsverwirklichung noch längere Zeit i n Lateinamerika und i n A f r i k a ähnlich sein wird. Die rechtlichen Rahmenbedingungen — unterschiedlich i m Ansatz — werden infolge dieses Hintergrundes i n der Praxis einander angenähert werden. So w i r d der Menschenrechtsschutz sowohl i n A f r i k a wie auch i n Lateinamerika letztlich nur dann Gestalt gewinnen, wenn die Staaten die Menschenrechtskonventionen als politische Impulse aufnehmen und sich daran Verhaltenserwartungen knüpfen werden. Die künftige Entwicklung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes i n Amerika w i r d dabei stark vom Verhalten der Vereinigten Staaten abhängen, die die A m M R K 1977 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben — dies ungeachtet ihrer von Präsident Carter intensivierten, von Präsident Reagan i n abgeschwächter Form fortgesetzten Außenpolitik, die den Grad der Menschenrechtsbeachtung zum K r i t e r i u m außenpolitischer Entscheidungen macht, demonstrativ unterstrichen durch die Jahr für Jahr publizierten Berichte des Außenministeriums über die Menschenrechtssituation i n den Staaten der Welt. Es sind einige Bestimmungen i n der Konvention vorhanden, an die sich die USA nicht binden mögen (Schutz des werdenden Lebens; Ächtung der Todesstrafe). Die Glaubwürdigkeit der US-Außenpolitik, aber auch die Tragfähigkeit des amerikanischen Menschenrechtsschutzsystems werden durch die amerikanische Abstinenz erheblich beeinträchtigt, denn die faktisch dominierende Rolle der USA i n der OAS bewirkt, daß die Funktionsfähigkeit des Systems vom Verhalten der USA entscheidend abhängt: Die Staaten, die sich an den USA orientieren, aber auch diejenigen, die ihnen prinzipiell kritisch gegenüberstehen, verspüren wenig Neigung, die mit dem System verbundenen Souveränitätseinbußen zu akzeptieren, solange die USA dazu nicht bereit sind 94 . I n A f r i k a ist es (wie erwähnt) das weitere Schicksal der OAU, dem entscheidende Bedeutung für die Zukunft des afrikanischen Menschenrechtsschutzsystems zukommt. Gelingt es der A f r M R K , eine Rolle als Stimulanz für innerstaatliche Rechtsänderungen (noch wichtiger derzeit wohl: für die Einhaltung innerstaatlich schon existenter Menschenrechtsschutzgarantien) zu spielen, würde die Menschenrechtsidee nicht nur i n einem Kontinent effektuiert, der bisher i n besonderem Maße unter W i l l k ü r zu leiden hat; zugleich wäre dem universellen Menschenrechtsschutz damit gedient. Wenn die regionalen Menschenrechtsverträge Afrikas und Amerikas nicht bloß große Worte bleiben, wenn sie sich als juristische Maßstäbe durchsetzen, ist der Gefahr vorgebeugt, daß die Menschenrechtsidee m i t ihrer immer weiteren Verbreitung zugleich zum inhalts94
1
Vgl. Ireland
(Anm. 60), S. 331 ff.
Grundrechtsschutz
274
Philip Kunig
leeren Schlagwort verkommt. Daß der regionale Menschenrechtsschutz i n der Dritten Welt eine Chance hat, ist die Uberzeugung des Verfassers; wissenschaftlich beweisbar ist es noch nicht.
Das Recht auf Entwicklung in universeller Sicht und im Rahmen des afrikanischen Menschenrechtsschutzes Von Wolfgang Benedek Inhaltsübersicht Einleitung
276
A . E n t w i c k l u n g u n d Menschenrechte
277
I. Die zentrale Bedeutung der Entwicklungsproblematik
277
I I . Zusammenhänge zwischen Menschenrechten u n d E n t w i c k l u n g . .
278
1. Afrikanische Erfahrungen m i t dem europäischen Menschenrechtsverständnis
278
2. Menschenrechte u n d E n t w i c k l u n g i m nationalen K o n t e x t
280
3. Menschenrechte u n d E n t w i c k l u n g i m internationalen K o n text
282
4. Entwicklungsvölkerrecht u n d Entwicklungsrecht
283
B. Entstehungsgeschichte u n d I n h a l t des Rechts auf E n t w i c k l u n g
285
I. Z u r Entstehungsgeschichte I I . I n h a l t u n d Instrumente des Rechts auf E n t w i c k l u n g
287
1. Der Begriff der E n t w i c k l u n g
287
2. Der Deklarationsentwurf über das Recht auf E n t w i c k l u n g . . a) Inhalte u n d Ziele des Rechts auf E n t w i c k l u n g b) M i t t e l zur V e r w i r k l i c h u n g des Rechts auf E n t w i c k l u n g . . c) Schlußfolgerungen für den I n h a l t des Rechts auf E n t wicklung
289 290 291
I I I . Das Recht auf E n t w i c k l u n g i n der Afrikanischen Charta der Menschenrechte u n d Rechte der Völker C. Das Recht auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht? I. Begründung u n d Quellen des Rechts auf E n t w i c k l u n g I I . Anspruchsberechtigte bzw. Begünstigte des Rechts auf E n t w i c k lung
292 294 297 297 299
I I I . Dogmatische Einordnung des Rechts auf E n t w i c k l u n g
300
I V . Recht auf E n t w i c k l u n g u n d Recht auf Entwicklungshilfe
305
V. Rechtsdogmatische u n d rechtspolitische Schlußfolgerungen 18·
285
307
276
Wolfgang Benedek
Einleitung Das Recht auf Entwicklung bezieht aus der Verbindung der Bereiche Menschenrechte und Entwicklung sowohl seine A t t r a k t i v i t ä t für die einen als auch seine Fragwürdigkeit für die anderen. Während die Entwicklungsländer darin eine Chance der Einbringung ihrer Forderung nach einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung (NIWO) i n die Menschenrechtsdiskussion und dadurch einen Legitimitätsgewinn für diese Ansprüche erwarten, ist die Haltung der Industrieländer eher skeptisch darauf ausgerichtet, daß durch die Diskussion des Rechts auf Entwicklung nicht der gesicherte Bestand an Menschenrechten i n den Hintergrund gedrängt wird. Beide Gruppen dürften i n dieser Diskussion möglicherweise auch den Nutzen einer gewissen Ventilfunktion angesichts des trotz zunehmenden Problemdrucks steckengebliebenen NordSüd-Dialogs sehen. Schließlich hat das Recht auf Entwicklung seine i n einer Vielzahl von Symposien und Seminaren zutage getretene A t t r a k tivität für die Wissenschaft 1 wohl dem Umstand zu verdanken, daß es eine herausragende konzeptionelle Möglichkeit bietet, die Zusammenhänge zwischen Menschenrechten und Entwicklung i m Sinne eines erweiterten Menschenrechtsverständnisses zu erfassen. Durch die Erfassung und den Einbezug andersgearteter Bedürfnislagen, insbesondere der Entwicklungsländer, die hier am Beispiel Afrikas aufgezeigt werden sollen, bietet das Recht auf Entwicklung auch einen Ansatz zur Uberwindung eines inhärenten Eurozentrismus i n der westlichen Menschenrechtsdogmatik. Dieser Beitrag gliedert sich i n drei Teile: I n einem ersten Teil über die Beziehungen zwischen Entwicklung und Menschenrechten soll die zentrale Bedeutung der Entwicklungsproblematik für die Dritte Welt und der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Entwicklung am Beispiel der Entwicklungsbedürfnisse des afrikanischen Kontinents und der Diskussion i n den Vereinten Nationen um eine NIWO aufgezeigt werden. I n einem zweiten Teil sollen die Entstehungsgeschichte und der Inhalt des Rechts auf Entwicklung anhand der i n Erarbeitung befindlichen Deklaration über das Recht auf Entwicklung und der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker erörtert werden. Der dritte Teil setzt sich m i t dem 1 The Right to Development at the International Level (Le D r o i t au Développement au Plan International), Hague Academy of International L a w , Workshop, The Hague, 16—18 October 1979, hrsg. ν. René-Jean Dupuy, A l p h e n aan den R i j n 1980; Development, H u m a n Rights and the Rule of L a w , International Commission of Jurists, Report of a Conference held i n the Hague on 27 A p r i l — 1 M a y 1981, O x f o r d / N e w Y o r k u.a.; vgl. auch A n m . 20—22.
Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht
277
Problem der systematischen Einordnimg des Rechts auf Entwicklung, insbesondere der dogmatischen Frage seiner „Menschenrechtsqualität" auseinander und versucht auch eine menschenrechtspolitische Würdigung der Anerkennung eines solchen neuen Rechts.
A. Entwicklung und Menschenrechte I . Die zentrale Bedeutung der Entwicklungsproblematik
Die zentrale Bedeutung der Entwicklungsproblematik für die Länder der Dritten Welt wurde gerade am Beispiel des afrikanischen Kontinents i n letzter Zeit in verschiedenen internationalen Dokumenten, wie ζ. B. dem Bericht der Weltbank über „ A f r i k a südlich der Sahara" von 19812 oder den Dokumenten der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für A f r i k a (UNECA) 3 i n ein grelles Licht gerückt. Danach haben 19 afrikanische Länder zwischen 1960 und 1979 nicht einmal eine einprozentige Wachstumsrate erreicht, i n verschiedenen Fällen gab es sogar eine Schrumpfung des Volkseinkommens. Erst jüngst hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen i n einer Resolution über die Ernährungslage und Landwirtschaft i n A f r i k a [GV-Res. 37/245 (1982)] eine drastische Verschlechterung der Ernährungs- und Landwirtschaftssituation i n A f r i k a festgestellt. Andererseits w i r d i n dem vom Gipfeltreffen der afrikanischen Staatsund Regierungschefs i n Lagos 1980 verabschiedeten „Aktionsplan von Lagos" das immense Potential an menschlichen und natürlichen Ressourcen betont, und ein geradezu herkulischer Plan für die Entwicklung Afrikas bis zum Jahr 2000 entworfen 4 . Gemäß diesem Plan sollen i n eigenständigen Abkommen subregionale Integrationszonen als Instrumente kollektiver Selbsthilfe 5 geschaffen werden. Als ein aktuelles Bei2 Accelerated Development i n Sub-Saharan Africa, A n Agenda for Action, The W o r l d Bank, Washington 1981. Siehe auch Weltentwicklungsbericht 1981, Weltbank, Washington 1981, S. 19 f. 3 Vgl. Revised Framework of Principles for the Implementation of the New International Economic Order i n Africa 1976 — 1981 — 1986, Economic Commission for Africa, U N Doc. E / C N . 4/ECO/90/Rev. 3 sowie A f r i c a n Trade and Finance, Recent Developments and Prospects, Economic Commission for Africa, U N Doc. S T / E C A / W P . 1/11. 4 Lagos Plan of A c t i o n for the Implementation of the Monrovia Strategy for the Economic Development of Africa, adopted by the 2nd E x t r a - O r d i n a r y Assembly of O A U Heads of State and Government, 28—29 A p r i l 1980, Lagos, Nigeria, O A U Doc. E C M / E C O / 9 ( X I V ) Rev. 2 bzw. U N Doc. A / S - l l / 1 4 , A n nex I. 5 So ζ. B. Treaty for the Establishment of the Preferential Trade Area for Eastern and Southern African States, United Nations Economic Commission for Africa (ohne Symbol), signed 21 December 1981, Lusaka, Zambia.
278
Wolfgang Benedek
spiel für unterstützungswürdige Eigenanstrengungen zur V e r w i r k lichung von Entwicklung i m subregionalen Kontext kann die „Entwicklungskoordinationskonferenz des Südlichen A f r i k a " (SADCC)® genannt werden, als ein Beispiel interregionaler Entwicklungszusammenarbeit das „Abkommen von Lomé". Beide Formen sind als konkrete Ansätze zur Verwirklichung eines Rechts auf Entwicklung zu verstehen 7 . Weltweit findet die Diskussion u m das Recht auf Entwicklung i m Kontext enormer Entwicklungsunterschiede, Abhängigkeiten und Chancenungleichheiten sowie vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung u m eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung statt, die den Bedürfnissen und Interessen der Entwicklungsländer besser Rechnung tragen soll. I m Bestreben u m internationale soziale Gerechtigkeit und auf Basis der Grundsätze der Solidarität und der Interdependenz w i r d der Gedanke sozialer Verantwortung von der nationalen auf die internationale Ebene übertragen. I n einer Welt, wo 800 Millionen Menschen i n absoluter A r m u t leben, i n der jedoch die Rüstungsausgaben explodieren, die Entwicklungshilfe stagniert und die Verschuldung der Entwicklungsländer stetig zunimmt (1982 ca. 600 Mrd. US-Dollar), hat angesichts der Begrenztheit der Ressourcen und der Belastbarkeit der U m w e l t der Kampf ums Überleben bereits begonnen, auch wenn der letzte Bericht der BrandtKommission nochmals „Hilfe i n der Weltkrise" verheißt 8 . I I . Zusammenhänge zwischen Menschenrechten und Entwicklung 1. Afrikanische Erfahrungen mit dem Menschenrechtsverständnis
europäischen
Die Verknüpfimg von Menschenrechten und Entwicklung, die derzeit i n der Erarbeitung einer Deklaration über das Recht auf Entwicklung i m Rahmen der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen eine rechtlich relevante Konkretisierung findet, läßt sich weit zurückverfolgen. Schon i n der Kolonialzeit waren i n A f r i k a Menschenrechtsfragen • Vgl. Peter Meyns , Non-Alignment and Regional Cooperation: The Southern African Development Coordination Conference (SADCC), V R Ü 15 (1982), S. 261 ff., sowie Arne Tostensen, Dependence and Collective Self-Reliance in Southern Africa, The Case of the Southern African Development Coordination Conference (SADCC), Scandinavian Institute of African Studies, Research Report 62, Uppsala 1982. 7 Vgl. Wolfgang Benedek , The Lomé Convention and the International L a w of Development, A Concretization of the New International Economic Order? Journal of African L a w 26 (1982), S. 74 ff. 8 Willy Brandt (Hrsg.), Hilfe i n der Weltkrise, E i n Sofortprogramm, Der 2. Bericht der Nord-Süd-Kommission, Reinbek bei Hamburg 1983.
Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht
279
mit der Entwicklungsproblematik verknüpft worden. I n der Generalakte der Berliner Konferenz vom 26. Februar 1885 wurde bereits das Anliegen der wirtschaftlichen Entwicklung vertreten, wenn dort i n A r t . 6 betreffend „Bestimmungen hinsichtlich des Schutzes der Eingeborenen, der Missionare und Reisenden sowie der religiösen Freiheit" die Verpflichtimg der Kolonialmächte zur Verbesserung der Existenzbedingungen der eingeborenen Bevölkerung niedergelegt wird. Zugleich sollten durch A r t . 6 insbesondere diejenigen Einrichtungen und Unternehmungen geschützt werden, die die Eingeborenen die Vorteile der Zivilisation verstehen und schätzen lehren sollten, vor allem die Missionare, die Gelehrten und die Forscher 9 . Dazu kam ein von den Europäern unter Entwicklungsgesichtspunkten bewußt angewendeter Doppelstandard i m Recht und i n der Folge auch i m Menschenrechtsschutz. Von der i n A r t . 63 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Möglichkeit der Mitgliedstaaten, durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete M i t t e i lung zu erklären, daß die Konvention auf alle oder einzelne Gebiete Anwendung finden solle, für deren internationale Beziehungen sie verantwortlich sind, wurde nur durch England und Belgien Gebrauch gemacht, die jedoch keine der i n Art. 63 Abs. 4 geforderten weiteren Erklärungen über die Zulassung von Individualbeschwerden abgaben. Überdies enthält A r t . 63 Abs. 3 E M R K eine sogenannte „Kolonialklausel" 10 , wonach i n den genannten Gebieten die Bestimmungen dieser Konvention „unter Berücksichtigung der örtlichen Notwendigkeiten" anzuwenden waren, wodurch die E M R K i n den Kolonien praktisch ohne Wirkung blieb. I m ersten Entwurf zu A r t . 63 war noch eine automatische Anwendung der E M R K auf die überseeischen Gebiete vorgesehen gewesen. Gleichwohl bekennt sich die EMRK zur universellen Menschenrechtsidee und spricht i n ihren Formulierungen von „jedem Menschen" und „jedermann". Man kann sich vorstellen, welch tiefe Spuren diese Selektivität bei den Afrikanern, die i m Falle des späteren senegalesischen Präsidenten Senghor sogar i n der französischen Nationalversammlung darüber zu debattieren hatten, hinterlassen hat 1 1 . Als diese Staaten später i n die Unabhängigkeit entlassen werden sollten, beeilte man sich jedoch, die Aufnahme von Grundrechtskatalogen nach europäischer Vorlage i n die nationalen Unabhängigkeitsverfassungen zu 9 Vgl. den Text der Generalakte der Berliner Konferenz, i n : Franz von Liszt , Das Völkerrecht, 9. A u f l . B e r l i n 1913, S. 393 ff. (396). 10 Vgl. dazu z. B. J. E. S. Fawcett, The B r i t i s h Commonwealth i n International L a w , London 1963, S. 210 ff. 11 Vgl. Meeting of A f r i c a n Experts Preparing the D r a f t A f r i c a n Charter on H u m a n and Peoples' Rights, Address delivered b y H.E. M r . Leopold Sedar Senghor, President of the Republic of Senegal, 28 November 1979, O A U Doc. C A B / L E G / 6 7 / 5 , S. 2.
280
Wolfgang Benedek
empfehlen. Diese jedoch erblickten eher in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 jenes Vorbild, das ihren Bedürfnissen besser entgegenkam 12 . 2. Menschenrechte und Entwicklung
im nationalen
Kontext
Hatten die europäischen Kolonialherren den Afrikanern einen europäischen Menschenrechtsstandard aus Gründen der wirtschaftlich-sozialen und politischen Lage i n den Kolonien vorenthalten, so bot das Argument der Unterentwicklung bzw. der Vorrangigkeit der Entwicklungsbedürfnisse den neuen schwarzen Machthabern einen billigen Vorwand, u m bestehende Grundrechte auszusetzen bzw. den Beitritt zu neuen Menschenrechtsinstrumenten wie den Menschenrechtspakten auf die lange Bank zu schieben. Das Argument einer A r t permanenten „Entwicklungsnotstands" und der Priorität des „nation building" 1 5 diente zur Legitimierung der Unterdrückung von Menschenrechten. Behauptungen wie, daß Menschenrechtsschutz von der Erreichimg gewisser Entwicklungsfortschritte abhängig sei 14 und daß bürgerliche Freiheiten ohne Brot wenig Sinn gäben, lösten eine breite Diskussion aus. Darin vertrat z. B. der tansanische Präsident Julius Nyerere die Auffassung, Freiheit und Entwicklung seien als ein Henne-Ei-Problem zu verstehen. Ohne Freiheit gäbe es keine Entwicklung und ohne Entwicklung könne man schnell seine Freiheit verlieren 15 . Der afrikanische Weg würde danach Freiheit und Entwicklung heißen. Freilich hat sich diese Auffassung nicht generell bei allen afrikanischen Staaten durchgesetzt 1®, jedoch sind die Bedürfnisse der Entwicklung heute kein akzeptiertes Argument zur Derogation von Grundrechten mehr 1 7 . 12 Vgl. z. B. James S. Read, Bills of Rights i n „The T h i r d W o r l d " , Some Commonwealth Experiences, V R Ü 6 (1973), S. 21 ff. sowie T. O. Elias, H u m a n Rights and the Developing Countries, i n : T. Ο. Elias, New Horizons i n I n t e r national L a w , A l p h e n aan den R i j n 1979, S. 159 ff. 13 Vgl. z. B. Osita C. Eze, Les droits de l'homme et le sous-développement, Revue des droits de l'homme 12 (1979), S. I f f . (16) u n d A.G.Mower jr., H u m a n Rights i n Black Africa: a Double Standard?, Revue de droit de l'homme 9 (1976), S. 39 ff. 14 Vgl. Proclamation of Teheran 13 M a y 1968, A r t . 13: „ . . . The achievement of lasting progress i n the implementation of human rights is dependent upon sound and effective national and international policies of economic and social development." 15 Julius K. Nyerere, Freedom and Development, A Selection f r o m Writings and Speeches 1968—1973. Dar-es-Salaam/London u. a. 1973, deutsche Übersetzung i n : Freiheit u n d Entwicklung, texte 10, hrsg. v. Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Kirchen i n Deutschland, Stuttgart 1975, S. 15 ff. 18 Vgl. dazu auch die Formulierung der Präambel der Afrikanischen Charta (Anm. 55). 17 Vgl. ζ. B. die Schlußfolgerungen des Colloque de Dakar (1978) sur le développement et les droits de l'homme: „Les membres de la commission
Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht
281
Dieselbe Diskussion findet sich i n der Frage des Vorranges der bürgerlichen und politischen oder der wirtschaftlichen, sozialen und k u l turellen Rechte i m internationalen Menschenrechtsschutz wieder. Die Auseinandersetzimg fand ihren sichtbaren Ausdruck i n der Voranstellung des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vor den Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Der i n GV-Res. 32/130 (1977) über alternative Ansätze, Wege und M i t t e l innerhalb des Systems der Vereinten Nationen zur Verbesserung des effektiven Menschenrechtsschutzes enthaltene Kompromiß bezeichnete schließlich beide Kategorien als „unteilbar und interdependent". Das Verhältnis zwischen Menschenrechten und Entwicklung kann daher wie folgt beschrieben werden: Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Bereichen der Menschenrechte und Entwicklung derart, daß die Verbesserung der Situation i m einen Bereich einen günstigen Einfluß auf den anderen Bereich ausübt. Umgekehrt ist ein Mißerfolg i n der Erreichung der Entwicklungsziele kein legitimer Grund für eine Einschränkung des Menschenrechtsschutzes, der seiner Natur nach gerade i n Zeiten der Bedrängnis an Bedeutung gewinnt. Dies gilt insbesondere für die bürgerlichen und politischen Rechte. Andererseits ist anzuerkennen, daß Fortschritte i m Bereich der Entwicklung generell einer Besserung der Menschenrechtssituation förderlich sind. Dies gilt wiederum i n besonderer Weise für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, die i n enger Abhängigkeit zur entwicklungsbedingten Leistungskraft eines Staates stehen. Die vorstehenden Überlegungen entsprechen einer „strukturellen Perspektive" des Menschenrechtsschutzes. I n einem solchen Ansatz des Menschenrechtsschutzes, auf dessen Bedeutung für ein erweitertes Verständnis der Menschenrechtsproblematik wiederholt hingewiesen wurde, w i r d den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der Menschenrechte auf nationaler wie internationaler Ebene eine besondere Rolle für die Gewährleistung eines effektiven Menschenrechtsschutzes zugemessen. I n einem strukturellen Ansatz werden sowohl die Ursachen von Menschenrechtsverletzungen als auch die Faktoren, die den Genuß der Menschenrechte einschränken, analysiert und s'accordent à dire que le respect des droits de l'homme ne saurait être suspendu sous le m o t i f fallacieux que la situation exceptionnelle que crée le sous-développement fonde les mesures exceptionnelles prises en violation des droits de l'homme et d u citoyen auquel on promet dans u n avenir plus ou moins imprécis une situation meilleure."; Revue Sénégalaise de Droit, No. 22, Dec. 1977, S. 65. Vgl. auch Summary of Discussions and Conclusions of the International Commission of Jurists 1981 Conference on Development and the Rule of L a w (Anm. 1), S. 224, No. 7: „ . . . True development requires a recognition that the different human rights are inseparable from each other, and that development is inseparable from human rights and the Rule of L a w . "
282
Wolfgang Benedek
Vorstellungen hinsichtlich von Bedingungen entwickelt, die die V e r w i r k lichung der Menschenrechte unterstützen 18 . 3. Menschenrechte und Entwicklung
im internationalen
Kontext
Die Voraussetzungen insbesondere zur Erfüllung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte i n einem Entwicklungsstaat liegen meist nicht i n dessen Hand allein. Die internationalen Rahmenbedingungen i n Form der Prinzipien und Regeln der internationalen Wirtschaftsordnung spielen eine gewichtige Rolle. Daher r ü h r t der Ruf der Entwicklungsländer nach einer Neuen Internationalen W i r t schaftsordnung, j a einer neuen internationalen Ordnung überhaupt, die ihren Entwicklungsbedürfnissen besser Rechnung trägt. Bereits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 stellt i n A r t . 28 den „Anspruch jedes Menschen auf eine soziale und internationale Ordnung" fest, „ i n welcher die i n der vorliegenden Erklärung ausgeführten Rechte und Freiheiten v o l l verwirklicht werden können" 1 9 . I n der Charta der Vereinten Nationen sind i n A r t . 1, 13 und 55 seit jeher internationale Zusammenarbeit i n wirtschaftlichen und sozialen Belangen und der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten systematisch verknüpft. Das Anliegen der Klärung des Zusammenhangs zwischen Entwicklung und Menschenrechten hat eine Reihe von Aktivitäten der Vereinten Nationen auf universeller und regionaler Ebene hervorgerufen. Eine Anzahl von internationalen Tagungen und Konferenzen hat sich mit dem Verhältnis zwischen Menschenrechten und Entwicklung befaßt 20 . 18 Wolf gang S. Heinz, Menschenrechte u n d D r i t t e Welt, Z u r Frage nach den Ursachen von Menschenrechtsverletzungen, F r a n k f u r t 1980; Philip Aiston, Prevention Versus Cure as a H u m a n Rights Strategy, i n : Development, H u m a n Rights and the Rule of L a w (Anm. 1), S. 31 ff. (80); The regional and national dimensions of the r i g h t to development (Anm. 36), S. 5 ff. : „ A struct u r a l approach . . . " Vgl. auch Study on the New International Economic Order and the Promotion of H u m a n Rights, M r . Raul Ferrerò , Special Rapporteur, Commission of H u m a n Rights, Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, U N Doc. E / C N . 4/Sub. 2/1983/ 24; ein gutes Beispiel gibt auch das erste Arbeitspapier der Experten der Gruppe der 77 zum Recht auf Entwicklung, w o u. a. Hindernisse f ü r die Realisierung des Rechts auf nationaler u n d internationaler Ebene angeführt werden, siehe E / C N . 4/AC. 34/WP. 17. ι® Vergleiche auch die Präambel zu den beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen von 1966, Abs. 3: „ I n der Erkenntnis, daß nach der A l l gemeinen E r k l ä r u n g der Menschenrechte das Ideal v o m freien Menschen, der frei von Furcht u n d Not lebt, n u r v e r w i r k l i c h t werden kann, wenn V e r h ä l t nisse geschaffen werden, i n denen jeder seine wirtschaftlichen, sozialen u n d k u l t u r e l l e n Rechte ebenso w i e seine bürgerlichen u n d politischen Rechte genießen kann." 20 Vgl. z.B. Seminar on the relations that exist between h u m a n rights, peace and development, N e w York, 3—14 August 1981, U N Doc. S T / H R /
Das Recht auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht
283
Die UNESCO ζ. B. hielt 1978 ein „Expertentreffen über Menschenrechte, Grundbedürfnisse und die Errichtung einer Neuen Internationalen W i r t schaftsordnung" 21 ab und die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen veranstaltete 1980 i n Verfolgung eines bestehenden Tagesordnungspunktes gar ein „Seminar über die Auswirkungen der bestehenden ungerechten internationalen Wirtschaftsordnung auf die W i r t schaften der Entwicklungsländer und die daraus folgenden Hindernisse für die Erfüllung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" 2 2 . I n Punkt 8 der GV-Res. 37/199 (1982) über alternative Ansätze, Wege und M i t t e l innerhalb des Systems der Vereinten Nationen zur Verbesserung des effektiven Menschenrechtsschutzes bekräftigte die Generalversammlung der Vereinten Nationen, daß „die Vereinten Nationen ihre Aufmerksamkeit nicht nur den Menschenrechtsaspekten der Entwicklung, sondern auch den Entwicklungsaspekten der Menschenrechte w i d men sollen" (Übersetzung durch den Verfasser). So sehr auch i n einem strukturellen Ansatz der Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Entwicklung deutlich wird, so wenig erscheint es zulässig, die Gewährleistung von Menschenrechten von bestimmten Entwicklungserfolgen oder der Realisierung einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung abhängig zu machen 23 . 4. Entwicklungsvölkerrecht
und Entwicklungsrecht
Die wichtigsten Reformvorstellungen der Dritten Welt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen ihrer Entwicklung wurden i n der von der 6. Sonder-GV der V N 1974 i m Konsens angenommenen Erklärung und dem Aktionsprogramm über die Errichtung einer NIWO [GV-Res. 3201 und 3202 (S-VI)] sowie der i m selben Jahr m i t Mehrheit beschlossenen Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten [GV-Res. 3281 ( X X I X ) ] niedergelegt. Seither ist es die Aufgabe des Nord-Süd-Dialogs, diese Vorstellungen i n den einzelnen Bereichen SER. A / 1 0 ; Colloque de Dakar sur le développement et les droits de l'homme (Anm. 17) ; H u m a n Rights and Development, Report of a Seminar on H u m a n Rights and their Promotion i n the Caribbean, September 1977, Barbados, Bridgetown 1978; weitere Hinweise bei Stephen P. Marks, The Peace-Human Rights-Development Dialectic, B u l l e t i n of Peace Proposals 11 (1980), S. 339 ff. 21 UNESCO-Meeting of Experts on H u m a n Rights, H u m a n Needs, and the Establishment of a New International Economic Order, Paris, UNESCO, 19.—23. J u n i 1978, SS-78/CONF. 630/12 (Final Report). 22 Seminar on the Effects of the Existing U n j u s t International Economic Order on the Economies of the Developing Countries and the Obstacle that this Represents for the Implementation of H u m a n Rights and Fundamental Freedoms, Geneva, 30 June—11 J u l y 1980, U N Doc. S T / H R / S E R . A / 8 . 23 Vgl. Theo C. van Boven , The Right to Development and H u m a n Rights, i n : The Review, International Commission of Jurists, Nr. 28 (Juni 1982), S. 54; vgl. auch den Ferrero-Bericht (Anm. 18).
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Wolfgang Benedek
kompromißhaft i n die Realität umzusetzen. Dies erfolgt auf einer politischen und auf einer rechtlichen Ebene. Während die für die politische Ebene zentrale „globale Verhandlungsrunde" wenig Chancen auf Realisierung hat, geht die Arbeit an den rechtlichen Aspekten der N I W O 2 4 i n verschiedenen internationalen Institutionen und Gremien, wie dem United Nations Institute of Training and Research (UNITAR) 2 5 , der United Nations Commission on International Trade L a w (UNCITRAL) 2 6 und der International L a w Association (ILA) 2 7 weiter und hat durch die Diskussion u m das Recht auf Entwicklung eine neue Dimension erfahren. Ziel der rechtlichen Analyse des NlWO-Prozesses ist die Identifikation und Analyse der i n Entstehung befindlichen Prinzipien und Regeln der NIWO 2 8 . So hat z. B. das Prinzip präferentieller Behandlung der Entwicklungsländer i m internationalen Handel durch die allgemeinen Zollpräferenzen und die sog. „enabling clause" auch i m GATT Anerkennung gefunden und ein Prinzip der Stabilisierung der Rohstoffexporterlöse der Entwicklungsländer w i r d erörtert 2 9 . Diese neuen Prinzipien, Regeln und Institutionen werden auch als „EntwicklungsVölkerrecht" bezeichnet, das als Kern eines neuen völkerrechtlichen Paradigmas aufgefaßt werden kann 3 0 . 24 Vgl. Kamal Hossain (Hrsg.), Legal Aspects of the New International Economic Order, London 1980. 25 Vgl. Progressive Development of the Principles and Norms of I n t e r national L a w Relating to the New International Economic Order, U N I T A R / DS/5 of 15 August 1982, sowie den betreffenden Bericht des Generalsekretärs, U N Doc. A/37/409 v o m 1.10.1982 u n d als Grundlage der A r b e i t von U N I T A R GV-Res. 35/166, 36/107, 37/103 u n d 38/128. 26 Vgl. z. B. Report of the W o r k i n g Group on the New International Economic Order on the W o r k of its T h i r d Session, U N Doc. A / C N . 9/217 of 27 J u l y 1982. 27 Vgl. Legal Aspects of a New International Economic Order, Committee Report, The International L a w Association, Report of the Sixtieth Conference at Montreal 1982, 1983, S. 183 ff. 28 Vgl. dazu insbesonders den Bericht des Generalsekretärs (Anm. 25) sowie The New International Economic Order, Workshop, The Hague, 23—25 October 1980, René-Jean Dupuy (Hrsg.), The Hague 1981, ferner Peter VerLoren van Themaat, The Changing Structure of International Economic L a w , The Hague 1981 ; siehe auch Otto Kimminich, Das Völkerrecht u n d die neue W e l t wirtschaftsordnung, A V R 20 (1982), S. 2 ff. sowie Oswaldo de Rivero Β., New Economic Order and International Development L a w , Oxford u. a. 1980. 29 Siehe „The Principle of Preferential Treatment of Developing Countries" sowie „The Principle of Stabilisation of Export Earnings of Developing Countries", i n : Progressive Development of the Principles and Norms of International L a w Relating to the N e w International Economic Order (Anm. 25), S. 6 ff. u n d S. 217 ff. 30 Vgl. Wolfgang Benedek, Entwicklungsvölkerrecht — neuer Bereich oder neue Perspektive (Gestaltwandel) i m Völkerrecht?, i n : Reformen des Rechts, FS zur 200-Jahr-Feier der rechtswissenschaftlichen F a k u l t ä t der Universität Graz, Graz 1979, S. 881 ff.; skeptisch: Michael Silagi, Entwicklungsvölkerrecht
Das Recht auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht
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Die Frage nach den geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen für den Entwicklungsprozeß findet sich ebenso i m nationalen Bereich. Durch neues, „modernes" Recht w i r d vielfach versucht, die traditionellen Lebens- und Produktionsgewohnheiten zu verändern. Die Möglichkeiten und Grenzen dieser staatlichen Maßnahmen, die auch als Instrumente zur Realisierung wirtschaftlicher und sozialer Rechte verstanden werden, werden heute unter dem Begriff „Entwicklungsrecht" erörtert. Diese Rechtsentwicklung auf internationaler und nationaler Ebene ist der juristische Reflex der Entwicklungsanstrengungen der Dritte-WeltStaaten. B. Entstehungsgeschichte und Inhalt des Rechts auf Entwicklung I . Zur Entstehungsgeschichte
Die Einführung des Rechts auf Entwicklung i n die Menschenrechtsdiskussion erfolgte 1972 durch den seinerzeitigen Ersten Präsidenten des Obersten Gerichtshofs von Senegal und heutigen Richter des Internationalen Gerichtshofs, Kéba M'Baye, in einem Vortrag vor dem Institut International du Droit de l'Homme i n Straßburg mit dem Titel „Le droit au développement comme droit de l'homme", „Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht" 81 . Kéba M'Baye bezog sich u. a. auf eine 1969 erschienene Publikation der algerischen Kommission Justitia et Pax über „Das Recht der unterentwickelten Völker auf Entwicklung" 3 2 . Die päpstlichen Kommissionen Justitia et Pax wurden i m Zusammenhang m i t der von Papst Paul V I . 1967 herausgegebenen Enzyklika Populorum Progressio, zu deutsch „Über die Entwicklung der Völker", eingerichtet. Diese stellt i n A r t . 22 fest, daß jeder Mensch das Recht habe, auf der Erde, die dafür da sei, jedem die M i t t e l für seine Existenz und seine Entwicklung zu geben, das u n d Neue Wirtschaftsordnung, ÖZÖRV 32 (1981/82), S. 177 ff.; siehe auch A. P. Mutharika, The International L a w of Development, Basic Documents, Vol. 1—4, New Y o r k 1978; M.Flory, D r o i t International d u Développement, Paris 1977; E. U. Petersmann, Die D r i t t e Welt u n d das Wirtschaftsvölkerrecht; „Entwicklungsland" als privilegierter Rechtsstatus, ZaöRV 36 (1976), S. 492 ff.; ders., „Entwicklungsvölkerrecht", „ D r o i t International D u Développement", „International Economic Development L a w " : Mythos oder Wirklichkeit?, G Y I L 17 (1974), S. 145 ff. 31 Kéba M'Baye, L e droit au développement comme u n droit de l'homme, Revue de droit de l'homme 5 (1972), S. 505 ff.; siehe auch ders., L e droit au développement, i n : D u p u y (Anm. 1), S. 72 ff. 32 Commission „Justice et P a i x " d'Algérie, L e droit des peuples sousdéveloppés au développement, auszugsweise enthalten i n : Dupuy (Anm. 1), S. 204 ff.
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zu finden, was er nötig habe. Und i n A r t . 48 von Populorum Progressio über die Pflicht zur Solidarität heißt es: „Es ist eine schwere Verpflichtung der hochentwickelten Länder, den aufstrebenden Völkern zu helfen 85 ." Der seinerzeitige Leiter des Straßburger Menschenrechtsinstituts und der Menschenrechtsabteilung der UNESCO, Karel Vasak, regte sodann i n der UNESCO einen Diskussionsprozeß zum Recht auf Entwicklung an, für das er zusammen m i t anderen Solidaritätsrechten, wie z. B. dem Recht auf Umwelt, dem Recht auf Frieden und dem Recht auf das gemeinsame Erbe der Menschheit den Begriff der sog. „3. Generation der Menschenrechte" prägte 34 , auf den i n der Folge noch näher einzugehen sein wird. Von der UNESCO wurde die Diskussion i n die Genfer Menschenrechtskommission der V N getragen, die 1977 eine Studie über die internationalen Dimensionen des Rechts auf Entwicklung als Menschenrecht initiierte 3 5 . A u f Basis dieser grundsätzlichen Studie, die in der Folge noch u m die regionale und nationale Dimension erweitert wurde 8 6 , verabschiedete i m Jahre 1979 die Menschenrechtskommission und die GV der V N Resolutionen, die das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht anerkannten 87 . I m folgenden Jahr forderte die GV der V N die Menschenrechtskommission m i t GV-Res. 35/174 (1980) auf, Maßnahmen zur Förderung dieses Rechts und für seine Realisierung zu ergreifen. I m Jahre 1981 richtete sodann die Menschenrechtskommission eine Arbeitsgruppe von 15 Regierungsexperten über das Recht auf Entwicklung m i t dem Ziel ein, Inhalt und Formen der Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung zu studieren 38 . I m folgenden Jahr wurde der 33
Vgl. auch A r t . 65, w o es u. a heißt: „ D i e jetzt aufstrebenden ärmeren Völker fordern ihren A n t e i l a m A u f b a u einer besseren Welt, i n der die Rechte u n d die Aufgaben eines jeden geachtet werden. Dieses Verlangen ist berechtigt, jeder muß es hören u n d darauf antworten." Texte zur K a t h o l i schen Soziallehre, hrsg. v. Bundesverband der Katholischen ArbeitnehmerBewegung Deutschlands, Kevelaer 1977, S. 443 u n d S. 453. 34 Karel Vasak, For the T h i r d Generation of H u m a n Rights: The Rights of Solidarity, Inaugural Lecture to the T e n t h Study Session of the I n t e r national Institute of H u m a n Rights, Straßburg 1979, sowie ders., Die A l l gemeine E r k l ä r u n g der Menschenrechte 30 Jahre später, UNESCO K u r i e r , Nr. 11/1977, S. 29. 35 Vgl. Res. 4 ( X X X I I I ) der Menschenrechtskommission der V N v o m 21. 2. 1977 u n d als Ergebnis: The International Dimensions of the Right to Development as a H u m a n Right i n Relation w i t h Other H u m a n Rights based on International Co-operation, I n c l u d i n g the Right to Peace, T a k i n g into A c count the Requirements of the New International Economic Order and the Fundamental H u m a n Needs, Report of the Secretary General, U N Doc. E / CN. 4/1334 v o m 2.1.1979. 36 The regional and national dimensions of the r i g h t to development as a h u m a n right, Study b y the Secretary General, Commission on H u m a n Rights, Doc. E / C N . 4/1488 of 31 December 1981. 37 Vgl. Res. 5 ( X X X V ) der Menschenrechtskommission u n d Res. 34/46 (1979) der Generalversammlung der Vereinten Nationen.
Das Recht auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht
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A r b e i t s g r u p p e a u f g r u n d i h r e s e r s t e n Berichtes e i n M a n d a t z u r E r a r b e i t u n g e i n e r D e k l a r a t i o n ü b e r das Recht a u f E n t w i c k l u n g e r t e i l t 3 9 . K e i n Recht h a t i n j ü n g s t e r V e r g a n g e n h e i t s o v i e l i n t e r n a t i o n a l e A u f m e r k s a m k e i t a u f sich k o n z e n t r i e r t . E i n e R e i h e v o n S e m i n a r e n , K o l l o quien u n d K o n s u l t a t i o n e n i m Rahmen der V N , der Völkerrechtsakadem i e i n D e n Haag, aber auch des E u r o p a r a t e s , d e r eine eigene K o n t a k t g r u p p e e i n r i c h t e t e , d r ä n g e n sich a n e i n a n d e r 4 0 . I n n e r h a l b k u r z e r Z e i t e n t s t a n d bereits eine r e i c h h a l t i g e L i t e r a t u r z u m Recht a u f E n t w i c k l u n g 4 1 . E i n w i c h t i g e r G r u n d f ü r dieses Interesse i s t d a r i n z u sehen, daß das Recht a u f E n t w i c k l u n g e i n e n geeigneten k o n z e p t i o n e l l e n R a h m e n f ü r e i n e n s t r u k t u r e l l e n A n s a t z u n d d a m i t eine neue D i m e n s i o n f ü r d i e Menschenrechtsdiskussion e r ö f f n e t .
I I . Inhalt und Instrumente des Rechts auf Entwicklung 1. Der Begriff
der
Entwicklung
N a c h e i n e m e i n h e i t l i c h e n E n t w i c k l u n g s b e g r i f f als G e g e n s t a n d eines Rechts auf E n t w i c k l u n g z u fragen, erscheint w e n i g s i n n v o l l , d a sich das A n l i e g e n d e r E n t w i c k l u n g i n verschiedenen Z u s a m m e n h ä n g e n sehr 88 Res. 36 ( X X X V I I ) v o m 11. März 1981. Die Arbeitsgruppe setzt sich aus den Vertretern folgender Staaten zusammen: Algerien, Kuba, Äthiopien, Frankreich, Indien, I r a k , Niederlande, Panama, Peru, Polen, Senegal, Syrien, USA, Sowjetunion u n d Jugoslawien. Der Berichterstatter w i r d von F r a n k reich gestellt; den Vorsitz hat Senegal inne. 89 Res. 1982/17 der Menschenrechtskommission v o m 9. 3.1982. Diese Resol u t i o n erfolgte aufgrund des ersten Berichts der Arbeitsgruppe über das Recht auf Entwicklung, U N Doc. E / C N . 4/1489 v o m 11. 2.1982. 40 Vgl. die i n A n m . 1 u n d 20—22 angegebene Literatur. 41 Christian Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, G Y I L 2 5 (1982), S.85ff.; Harald Hohmann, Recht auf E n t w i c k l u n g i n der internationalen Diskussion, Vereinte Nationen 1982, S. 59 ff.; Bernhard Graefrath, Recht auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht i n der internationalen Diskussion, i n : Schriften u n d I n f o r mationen des DDR-Komitees für Menschenrechte, Heft 1/82, S. 3 ff.; Karel de Vey Mestdagh, The Right to Development, N I L R 38 (1981), S. 30 ff.; Hector Gros Espiell, The Right to Development as a H u m a n Right, i n : Texas I n t e r national L a w Journal 16 (1981), S. 189 ff.; Abi-Saab, The Legal Formulation of the Right to Development, i n : D u p u y (Anm. 1), S. 159 ff.; vgl. Kéba M'Baye (Anm. 31); ders., Emergence d u droit au développement en tant que droit de l'homme dans le contexte d u nouvel ordre économique international, UNESCO, U N Doc. 55—78/CONF./630/8 (1978); Carillo Salcedo, Sur le droit au développement, UNESCO, U N Doc. 55—78/CONF./630/Supp. 2 (1978); M . T. Szmitkovski, Reconnaissance d u droit au développement et doctrine chrétienne, i n : René Cassin, A m i c o r u m Discipulorumque Liber, Bd. 4, Paris 1972, S. 119 ff. Siehe auch Roland Y. Rich, The Right to Development as an Emerging H u m a n Right, i n : V i r g i n i a Journal of International L a w 23 (1983), S. 287 ff. u n d Jean-Jacques Israel , L e droit au développement, R G D I P 87 (1983), S. 5 ff., auf die i n diesem Beitrag nicht mehr eingegangen werden konnte.
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unterschiedlich darstellen kann. So ist zwischen der Entwicklung des einzelnen, der Familie, der Gruppe und der Entwicklung des Volkes und des Staates zu unterscheiden. Und obwohl von „Entwicklungsländern" und „entwickelten Ländern" die Rede ist, so sind letztere ebenfalls i n ständiger Entwicklung begriffen und einzelne, Gruppen oder Regionen dieser sog. „entwickelten Länder" mögen gar um ihre Entwicklungschancen zu kämpfen haben. Versucht man zum K e r n des Begriffs vorzustoßen, so t r i f f t man auf die Diskussion u m die Sicherung der Grundbedürfnisse, der sog. „basic needs" des Menschen, wie Nahrung, Kleidung, Behausung, medizinische Versorgung und Bildimg. Aber auch immaterielle Bedürfnisse, wie sie i n den bürgerlichen und politischen Freiheiten verbrieft sind, treten zu den materiellen Grundbedürfnissen hinzu 4 2 . Diesen Grundbedürfnissen entsprechen i n der Regel wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Menschenrechte i n Form von Leistungsansprüchen an den Staat bzw. bürgerliche und politische Menschenrechte i n Form von Abwehrrechten. Auf der Aggregatebene des Staates äußern sich Entwicklungsbedürfnisse i n Form von Entwicklungsansprüchen des Staates an die Staatengemeinschaft, wie sie sich zum Beispiel i n den Dokumenten einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung finden. Entwicklung bedeutet hier: gerechte Handelsstrukturen, Zugang zu finanziellen Ressourcen, auch Investitionen, lohnende Rohstoffpreise oder Stabilisierung der Exporterlöse aus dem Verkauf von Rohstoffen gegen die großen Preisschwankungen etc. Diesem Anliegen stehen i m Bereich des Völkerrechts nur Ansätze zu neuen anspruchsbegründenden Prinzipien und Regeln gegenüber, die überdies von ihrer Rechtsqualität meist nur politische oder moralische Verbindlichkeit entfalten 48 . Trotz unterschiedlicher ideologischer Gewichtungen besteht weitgehende Übereinstimmung, daß der Mensch i m Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses zu stehen habe und daß Entwicklung immer Entwicklung des Menschen bzw. für den Menschen bedeuten muß 44 . 42 Vgl. Reginald H. Green, Basic H u m a n Rights/Needs: Some Problems of Categorical Translation and Unification, The Review, International Commission of Jurists, Nr. 27, 1981, S. 53 ff.; Philip Alston, H u m a n Rights and Basic Needs, Revue de droit de l'homme 12 (1979), S. 19 ff.; Johann Galtung ! A. Wirak, H u m a n Needs and H u m a n Rights — A Theoretical Approach, B u l l e t i n of Peace Proposals 8 (1977), S. 251 ff.; International Labour Organisation (ILO), The Basic Needs Approach to Development, Some Issues regarding Concept and Methodology, I L O , Geneva 1977; allgemein: Detlev Schwefel, Grundbedürfnisse u n d Entwicklungspolitik, Baden-Baden 1978. 43 Aus der umfangreichen L i t e r a t u r zu dieser Grauzone des Völkerrechts: T. M. Franck/M. M. Munansangu, The New International Economic Order, International L a w i n the Making, U N I T A R , New Y o r k 1982; Ignaz SeidlHohenveldern, Règles juridiques et le conflit Nord-Sud, ÖZÖRV 33 (1982), S. 199 ff. sowie ders., International Economic „Soft L a w " , RC 163 (1979 II), S. 165 ff. sowie die i n A n m . 24—30 angegebene Literatur.
Das R e t auf Entwicklung als Menschenrecht
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Von großer Bedeutung für das Gesamtziel der Entwicklung ist die Verbindung des nationalen und internationalen Bereichs um zu gewährleisten, daß internationale Entwicklungsanstrengungen zu einer realen Verbesserung auch der Situation der Betroffenen bis hinunter zur lokalen Ebene führt. Dieses Anliegen findet i n Formulierungen zum Begriff der Entwicklung seine Äußerung, wenn zum Beispiel als Ziel des Rechts auf Entwicklung i m allgemeinsten Sinne die Selbstverwirklichung des einzelnen i m Einklang m i t der Gemeinschaft und damit die „Gleichheit der Entwicklungschancen des einzelnen, der Völker und der Staaten" genannt werden. Dementsprechend bekräftigen die Vereinten Nationen seit Res. 34/46 (1979) fortwährend, daß „gleiche Entwicklungschancen ebenso ein unabdingbares Recht von Nationen, wie der einzelnen innerhalb von Nationen sind", eine Formulierung, die sich ebenfalls i m Entw u r f der Deklaration findet. Die Studie des Generalsekretärs der V N über „Die internationalen Dimensionen des Rechts auf Entwicklung als Menschenrecht . . . " von 197945 nennt 7 Hauptelemente des Konzepts der Entwicklung: (i) The realization of the potentialities of the h u m a n person i n harmony w i t h the community should be seen as the central purpose of development; (ii) The human person should be regarded as the subject and not the object of the development process; (iii) Development requires the satisfaction of both material and nonmaterial basic needs; (iv) Respect of h u m a n rights is fundamental to the development process; (v) The human person must be able to participate f u l l y i n shaping his o w n reality; (vi) Respect for the principles of equality and non-discrimination is essential; and (vii) The achievment of a degree of i n d i v i d u a l and collective self-reliance must be an integral part of the process.
2. Der Deklarationsentwurf
über das Recht auf
Entwicklung
Die Arbeitsgruppe der Menschenrechtskommission der V N für das Recht auf Entwicklung hielt bis Ende 1982 fünf Sessionen ab. Nachdem aufgrund der Empfehlungen des ersten Berichts an die Menschenrechtskommission Anfang 1982 diese die Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung einer „Deklaration über das Recht auf Entwicklung" beauftragt hatte, enthält deren jüngster Bericht die Gliederung und einen vom Redaktionsausschuß der Arbeitsgruppe verfaßten ersten Entwurf der ange44 Z u m Entwicklungskonzept siehe auch Kéba M'Baye (Anm. 31), S. 512 f. u n d Gros Espiell (Anm. 41), S. 200 ff. 45 Vgl. den Bericht des Generalsekretärs (Anm. 35), S. 13.
Grundrechtsschutz
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strebten Deklaration 4 8 . Die neue Deklaration soll aus zwei Teilen bestehen, und zwar einer umfassenden Präambel und drei Abschnitten über „Ziele und Prinzipien", über die „ M i t t e l " zur Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung und über „allgemeine Bestimmungen", die zusammen den operativen Teil der Deklaration bilden. Derzeit stellt sich der Entwurf als eine umfangreiche Kompilation von Formulierungsvorschlägen dar. Der Großteil dieses Entwurfs steht noch i n Klammer, wom i t zum Ausdruck gebracht wird, daß die Formulierungen entweder noch nicht diskutiert wurden oder kein Konsens darüber erreichbar war. Dennoch zeichnet sich von der Struktur wie vom Inhalt der Erklärung bereits einiges ab: a) Inhalte und Ziele des Rechts auf Entwicklung I n der Präambel findet sich nach Verweisen auf die wichtigsten Menschenrechtsdokumente bereits die für das Recht auf Entwicklung charakteristische Verbindung von Bezugsstellen aus dem Bereich der Menschenrechte und des politischen, insbesondere entwicklungspolitischen Bereichs, von GV-Res. 1803 (1962) über die permanente Souveränität über die natürlichen Ressourcen bis zu GV-Res. 35/56 (1980) über die Internationale Entwicklungsstrategie für die 3. Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen. I n den i n der Präambel enthaltenen „grundsätzlichen Prinzipien" spiegeln sich jedoch auch unterschiedliche Menschenrechtskonzeptionen der Regierungsexperten wider. Neben dem individualistischen Ansatz der westlichen Staaten w i r d der kollektivistische Ansatz der sozialistischen Länder und das strukturalistischnationalistische Konzept der Dritten Welt, das freilich mehr von der östlichen Konzeption denn von westlichen Vorstellungen bezieht, deutlich. Die ideologisch bedingt verschiedenen Auffassungen zeigen sich jedoch nicht nur i n den menschenrechtlichen, sondern auch i n den entwicklungspolitischen Ansätzen. Diese werden insbesondere an der Einschätzung der Position und Rolle des Individuums i m Entwicklungsprozeß gegenüber dem Staat deutlich. So w i r d z. B. einerseits die volle Entwicklung des Individuums als letztes Ziel jeder Entwicklungspolitik statuiert und andererseits das Recht auf Entwicklung als ein unerläßliches kollektives Recht aller Völker bezeichnet. Nach einem Vorschlag soll eine Entwicklungsstrategie, die auf Repression und der Verweigerimg der Menschenrechte beruht, als Negation des Konzepts der Entwicklung bezeichnet werden, während diesem Vorschlag ein anderer entgegensteht, wonach eine Entwicklungsstrategie, die auf Unterdrük46 Die folgende Darstellung beruht auf diesem 2. Bericht des Berichterstatters der Arbeitsgruppe zum Recht auf Entwicklung, Gilles Chouraqui, UN Doc. E / C N . 4/1983/11 v o m 9.12.1982. Z u r weiteren E n t w i c k l u n g siehe den 3. Bericht, U N Doc. E / C N . 4/1984/13.
Das Recht auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht
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kung, Ausbeutung sowie kolonialer und auswärtiger Herrschaft beruht als Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung, aller anderen Menschenrechte und ebenfalls als Verneinung des Konzepts der Entwicklung beschrieben werden soll. Oder, wenn einerseits Besorgnis über das i n vielen Ländern fortdauernde Bestehen schwerwiegender Hindernisse für die freie Entwicklung des Individuums aufgrund der Verweigerimg der bürgerlichen und politischen Rechte und individuellen Freiheiten sowie der ungleichen Verteilung des nationalen Einkommens geäußert wird, und andererseits die gegenwärtige ungerechte internationale Wirtschaftsordnung als Hindernis für die Realisierung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bezeichnet wird. Ähnliche Feststellungen gelten für den Abschnitt I über die „Ziele und Prinzipien", für Aussagen zum Begriff der Entwicklung, der Bedeutung der nationalen und internationalen Rahmenordnung und der Rolle des Staates bzw. der Partizipation des einzelnen i m Entwicklungsprozeß. Der einzelne w i r d einmal als Subjekt, dann wieder als Objekt des Entwicklungsprozesses bezeichnet. Während nach einer Formulierung die Hauptverantwortung für die Entwicklung individuell und kollektiv bei den Einzelmenschen liegen soll, kommt nach einem Gegenvorschlag die Hauptrolle den Staaten zu, die ihre volle Souveränität über die nationalen wirtschaftlichen Ressourcen i m Interesse der breiten Volksmassen auszuüben hätten. Es steht zu erwarten, daß i m Ergebnis ein mehr oder weniger ausgewogenes Nebeneinander dieser Formulierungen anzutreffen sein wird, etwa nach dem Muster von GV-Res. 32/ 130 (1977) über alternative Ansätze, Wege und M i t t e l innerhalb des Systems der V N zur Verbesserung des effektiven Menschenrechtsschutzes. b) M i t t e l zur Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung Der Abschnitt I I des operativen Teiles über die „ M i t t e l " zur Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung enthält eine Vielzahl vorgeschlagener Maßnahmen auf internationaler wie auf nationaler Ebene. A u f internationaler Ebene w i r d insbesondere die internationale Entwicklungszusammenarbeit, die Erweiterung der Entwicklungsressourcen, die Einhaltung nationaler und internationaler Standards bezüglich Bildung, Beschäftigung und gleicher Einkommensverteilung, namentlich aufgeführte Grundbedürfnisse, die Einrichtung eines Sicherheitssystems für die Welternährung, eine neue Weltwährungsordnung, die Demokratisierung der internationalen Beziehungen, die Errichtung einer neuen internationalen Informations- und Kommunikationsordnung, wissenschaftliche und technologische Kooperation der Staaten, aber auch die Schaffung eines günstigen Investitionsklimas etc. gefordert. 19·
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A u f nationaler Ebene werden u. a. Chancengleichheit i m Zugang zu den grundlegenden Ressourcen und Diensten, wie Bildung und medizinische Versorgung und die Partizipation aller an Entscheidungsprozessen, insbesondere die Förderung der Beteiligung der Bevölkerung, i m speziellen der Frauen am Entwicklungsprozeß, Abbau sozialer Ungerechtigkeiten und Förderungsmaßnahmen für benachteiligte Gruppen genannt. Wiederum treffen w i r auf unterschiedliche Konzeptionen und Prioritäten, wenn z. B. als Vorbedingung für die volle Erreichung von Entwicklung die Eliminierung massiver und flagranter Verletzungen der Menschenrechte von Völkern und Personen aufgrund von Apartheid, rassischer Diskriminierung, Kolonialismus, Fremdherrschaft und Okkupation etc. etc. genannt und eine Priorität für die Errichtung einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung gefordert wird, die die Entwicklungsländer i n die Lage versetzen soll, echte wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen und die materiellen und geistigen Bedingungen für einen geeigneten Lebensstandard ihrer Bevölkerung zu schaffen. c) Schlußfolgerungen für den Inhalt des Rechts auf Entwicklung I n der Formulierung der Deklaration über das Recht auf Entwicklung kristallisiert sich der breite Problemkreis von Entwicklung und Menschenrechten. Dessen Durchdringung i m Sinne eines strukturellen A n satzes hinsichtlich der Menschenrechte und einer stärkeren Berücksichtigimg menschenrechtlicher Aspekte i n der Entwicklungspolitik ist sehr positiv zu bewerten. Z u Recht sollten menschenrechtliche Standards verstärkt i n entwicklungspolitischen Dokumenten Aufnahme finden, während i n der gegenwärtigen Situation Tendenzen einer umgekehrten Entwicklung m i t dem Verweis auf die Kontroversialität der Menschenrechte zu verzeichnen sind 47 . Die Dichotomie des Rechts auf Entwicklung zwischen Individuum und Staat kennzeichnet auch seinen Inhalt. A u f der individuellen Ebene besteht der Inhalt des Rechts auf Entwicklung vor allem i n der Gewährleistung eines effektiven Menschenrechtsschutzes i m Sinne der beiden Menschenrechtspakte, auf der Ebene des Staates geht es um die Gewährleistung einer internationalen Wirtschaftsordnung, die verbesserte Rahmenbedingungen für die Entwicklungsanstrengungen vor allem der Länder der sog. Dritten Welt bietet. Dazwischen stehen sog. „intermediary groups" 4 8 wie Vereinigungen oder benachteiligte Gruppen, vor 47 Vgl. van Boven (Anm. 23), S. 55 sowie Philip Aiston, H u m a n Rights and the New International Development Strategy, B u l l e t i n of Peace Proposals 10 (1979), S. 281 ff. 48 Vgl. den Formulierungsvorschlag des Deklarationsentwurfes f ü r A r t . V I I von Abschnitt I über die Ziele u n d Prinzipien, wo von „active participation,
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allem aber das Staatsvolk, das einerseits als Summe von Individuen, andererseits als Pendant des Staates aufgefaßt werden kann und i n dem sich daher beide Dimensionen angelegt finden. Die Analyse des Inhalts der vorliegenden Textvorschläge zeigt eine breite Kompilation von aus NIWO-Dokumenten wohlbekannten Forderungen neben Verweisen auf die Menschenrechte. Der Gedanke der Betonung der „basic needs", daß also die Ergebnisse der Entwicklungsanstrengungen besonders dem ärmsten Teil der Bevölkerung zugute kommen bzw. prioritär für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse verwendet werden sollen, ist i n dem Deklarationsentwurf kaum präsent. I m Bericht des Generalsekretärs von 1979 hatte dieser Aspekt noch eine wichtige Rolle gespielt. Seither hat sich jedoch unter den Entwicklungsländern zunehmend Widerstand gegen die ihrer Ansicht nach zu eng konzipierten und bevormundenden Grundbedürfnisstrategien entwickelt, was sich offensichtlich auch in den Formulierungsvorschlägen zum Recht auf Entwicklung ausgewirkt hat 4 9 . Ebenso fällt auf, daß die heute völkerrechtlich anerkannten besonderen Bedürfnisse der Gruppe der am wenigsten entwickelten Entwicklungsstaaten und anderer Untergruppen von Entwicklungsländern bisher keine Erwähnung finden. H i n gegen findet der wichtige Aspekt der Partizipation, der erst jüngst wieder von der GV der V N hervorgehoben wurde 6 0 , breiteren Raum, wobei jedoch „Partizipation" nicht unbedingt Demokratisierung i m westlichen Sinn bedeutet. Offen erscheint nach den vorliegenden Formulierungsvorschlägen noch, ob auch das Recht auf Entwicklung der Staaten als Menschenrecht bezeichnet werden wird. A u f diese Frage w i r d i n A b schnitt C. noch näher einzugehen sein. Der bedeutendste Aspekt des Inhalts liegt jedoch nicht i n der Bestätigung bestehender Entwicklungsforderungen und Menschenrechtsverpflichtungen, sondern i n der Verbindung beider Dimensionen zu einem neuen Ganzen. Das bedeutet, daß die Berücksichtigung der entwicklungspolitischen Aspekte der Menschenrechte ebenso wie der menschenrechtlichen Aspekte der Entwicklung die wesentlichste Innovation des Rechts auf Entwicklung ausmacht 51 . Der derzeitige Stand der vorliegenden Deklaration zeigt jedoch, daß es den Regierungsexperten noch nicht gelungen ist, zu neuen Ufern vori n d i v i d u a l l y and through appropriated associations" die Rede ist oder P u n k t 10 des Abschnittes über die M i t t e l , wonach die Maßnahmen auf nationaler Ebene „ a fair distribution of the benefits of development, t a k i n g into account the specific needs of disadvantaged groups" sichern sollen. 49 Vgl. A n m . 35, insbes. S. 88 ff. sowie den 1. Bericht der Arbeitsgruppe (Anm. 39), § 18. 60 Vgl. GV-Res. 35/55 (1982). 51 Derselben Auffassung u. a. Mestdagh (Anm. 41), S. 48 ff.
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zustoßen. Sowohl i m Hinblick auf die Beschreibung der Beziehung zwischen Menschenrechten und Entwicklung als auch hinsichtlich des Aspekts der Verknüpfung der lokalen bis nationalen und der internationalen Ebene findet sich wenig qualitativ Neues. Als Gesamteindruck des Inhalts bleibt haften, daß ein möglichst knappes und präzises Dokument, das echte Akzente setzt, mehr Wirkung zeigen würde als eine noch so ausgewogene Kumulation von NlWO-Postulaten und Menschenrechtsbestimmungen. Die Expertengruppe sollte daher ohne falsche Eile versuchen, i n der Erfassimg des relevanten Materials die Grundsatzfragen der Beziehungen zwischen Menschenrechten und Entwicklung zu vertiefen, u m vielleicht auch mit qualitativ neuen Aussagen hervorzutreten. Ein Aspekt, der i n der Deklaration bisher jedenfalls zu kurz gekommen ist, ist die regionale und subregionale Dimension des Rechts auf Entwicklung. Vielleicht steht dahinter die Auffassung der UN-Arbeitsgruppe, daß es den regionalen Organisationen vorbehalten bleiben sollte, auf Grundlage der für fast alle Regionen bestehenden Menschenrechtsdokumente und regionalen Entwicklungsvorstellungen zum Recht auf Entwicklung eigene Aussagen i n regionaler Sicht zu entwickeln? Solche Aussagen liegen bisher nur von afrikanischer Seite vor. Diese Aussagen sollen daher hier näher erörtert werden, bevor w i r uns der Frage der Erfassung des Rechts auf Entwicklung als Menschenrecht zuwenden. I I I . Das Recht auf Entwicklung in der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Redite der Volker
Die 1981 verabschiedete Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (Charta von Banjul) 5 2 ist das bisher einzige Menschenrechtsinstrument, i n dem das Recht auf Entwicklung ausdrückliche Verankerung gefunden hat 5 3 . Art. 22 lautet (Übersetzung durch den Verfasser): 52 Vgl. dazu Philip Kunig, Regionaler Menschenrechtsschutz i m interkontinentalen Vergleich (in diesem Band), sowie ders., The Protection of H u m a n Rights by International L a w i n Africa, G Y I L 25 (1982), S. 138 ff.; sowie Richard Gittleman, The A f r i c a n Charter on H u m a n and Peoples' Rights: A Legal Analysis, V i r g i n i a Journal of International L a w 22 (1982), S. 667—714. Siehe zur Afrikanischen Charta auch die Beiträge von Umozurike, Balanda, Benedek u n d Kunig, i n : K o n r a d Ginther / W o l f gang Benedek (Hrsg.), New Perspectives and Conceptions of International L a w , A n Afro-European D i a logue, W i e n / N e w Y o r k 1983, S. 95 ff., sowie U. O. Umozurike, The A f r i c a n Charter on H u m a n and Peoples' Rights, A J I L 77 (1983), S. 902 ff. u n d Philip Kunig /Wolf gang Benedek/Costa Mahalu, The African Charter on H u m a n and Peoples' Rights, Documents and Introductory Essays, Baden-Baden 1984.
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„1. A l l e Völker haben das Recht auf ihre wirtschaftliche, soziale u n d k u l turelle Entwicklung bei Berücksichtigung ihrer Freiheit u n d Identität u n d unter gleichem Genuß des gemeinsamen Erbes der Menschheit. 2. Die Staaten haben die Pflicht, einzeln oder kollektiv, die Ausübung des Rechts auf Entwicklung zu gewährleisten 5 4 ." Schon die P r ä a m b e l z u r A f r i k a n i s c h e n C h a r t a g i b t sich ü b e r z e u g t , daß es i n H i n k u n f t u n b e d i n g t e r f o r d e r l i c h ist, d e m Recht auf E n t w i c k l u n g besondere A u f m e r k s a m k e i t z u w i d m e n . Sie s t e l l t i n d i e s e m Z u s a m m e n h a n g fest, daß die b ü r g e r l i c h e n u n d p o l i t i s c h e n Rechte i h r e r K o n z e p t i o n u n d i h r e r U n i v e r s a l i t ä t nach v o n d e n w i r t s c h a f t l i c h e n , sozialen u n d k u l t u r e l l e n Rechten n i c h t z u t r e n n e n s i n d u n d daß „ d i e B e f r i e d i g u n g d e r w i r t s c h a f t l i c h e n , sozialen u n d k u l t u r e l l e n Rechte eine G a r a n t i e f ü r d e n G e n u ß d e r b ü r g e r l i c h e n u n d p o l i t i s c h e n Rechte d a r s t e l l t " 5 5 . W e n n auch d e r l e t z t e H a l b s a t z d e r P r ä a m b e l i n s e i n e r B e t o n u n g e i n e r a f r i k a nischen P r ä f e r e n z l e t z t l i c h zwischen I l l u s i o n u n d I r r e f ü h r u n g d e r a f r i 53 Der T e x t der Charta w u r d e i m Jänner 1981 i n Banjul, Gambia, durch eine OAU-Ministerkonferenz finalisiert u n d durch die X V I I I . Konferenz der Staats- u n d Regierungschefs der Organisation f ü r Afrikanische Einheit (OAU), J u l i 1981, i n Nairobi angenommen. Dabei wurde beschlossen, den offiziellen T i t e l der Afrikanischen Charter i n B a n j u l - C h a r t e r on H u m a n and Peoples' Rights zu ändern, vgl. I L M 21 (1982), S. 58 f. Die Annahme erfolgte i m Konsens, jedoch ohne Verabschiedung einer eigenen Resolution. Daher enthält die übliche Benachrichtigung der Generalversammlung durch den Sprecher der O A U über die Beschlüsse der Staats- u n d Regierungschefs (UN Doc. A/36/534) keinen Hinweis auf eine Resolution betreffend die O A U - M e n schenrechtscharta. Die umlaufenden Texte tragen daher das Symbol des B a n j u l - E n t w u r f s : O A U Doc. C A B / L E G / 6 7 / 3 / R e v . 5. M i t der Ratifikation durch Nigeria, das allein fast ein D r i t t e l der afrikanischen Bevölkerung stellt, ist die Charta von B a n j u l ihrer Realisierung einen wichtigen Schritt näher gekommen. Vgl. West Africa, 28 March 1983, S. 806. Doch haben erst etwa ein Dutzend afrikanischer Staaten die Charta ratifiziert. M i t t e 1983 waren dies die Staaten Kongo, Guinea, Liberia, Malawi, Nigeria, Rwanda, Senegal, Togo u n d Tunesien. N u r unterzeichnet w u r d e die Charta von B a n j u l bis zu dieser Zeit von den Staaten Ägypten, Gabon, Mauritius, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Tansania u n d Sambia. F ü r das I n k r a f t t r e t e n der Charta ist jedoch eine Ratifikation durch eine einfache Mehrheit der afrikanischen Staaten, das sind 26 Staaten, erforderlich. Verschiedene I n i t i a t i v e n von privater Seite, w i e zum Beispiel v o n der I n t e r A f r i c a n Union of Lawyers u n d der A f r i c a n Bar Association bzw. der afrikanischen Richter am Internationalen Gerichtshof dienten dem Versuch eine zügigere Ratifikation der Charta zu erreichen. 54 „ A r t . 22: 1. A l l peoples shall have the right to their economic, social and cultural development w i t h due regard to their freedom and identity and i n the equal enjoyment of the common heritage of mankind. 2. States have the duty, i n d i v i d u a l l y and collectively, to insure the exercise of the right to development." 55 Vgl. die Präambel der Charta von B a n j u l : „Convinced that i t is henceforth essential to pay attention to the right to development and that c i v i l and political rights cannot be dissociated f r o m economic, social and c u l t u r a l rights i n their conception as w e l l as universality and that the satisfaction of economic, social and c u l t u r a l rights is a guarantee for the enjoyment of c i v i l and political rights."
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kanischen Öffentlichkeit anzusiedeln sein mag, so w i r d doch der Menschenrechtsbezug des Rechts auf Entwicklung aus dieser Bestimmung insgesamt deutlich. A r t . 22 nennt jedoch nur die „Völker" als Anspruchsberechtigte für das Recht auf Entwicklung. Ein Recht des einzelnen auf Entwicklung w i r d nicht ausdrücklich anerkannt. Es ließe sich allenfalls aus der I n pflichtnahme des Einzelstaates zur Sicherung der Ausübimg des Rechts auf Entwicklung i n Verbindung mit der Präambel entnehmen. Zur Stützung dieser Ansicht mag der Generalsekretär der OAU, Edem Kodjo, angeführt werden, der vor einem Experten treffen zur Ausarbeitung der afrikanischen Charta zum Verhältnis zwischen Menschenrechten und Entwicklung sagte: „Es gibt keine wirkliche Entwicklung ohne die grundlegenden Menschenrechte, ohne individuelle Partizipation und ohne eine minimale Freiheit i m Denken und Tun 5 8 ." I n ähnlicher Weise hatte Senegals Präsident Leopold S. Senghor vor den afrikanischen Experten sowohl die materiellen wie immateriellen Elemente des Rechts auf Entwicklung angesprochen und hervorgehoben, daß i n der afrikanischen Konzeption des Rechts der Völker auf Entwicklung die Achtung des Menschen und seiner Freiheiten enthalten sei 67 . Es ist jedoch festzuhalten, daß das Recht auf Entwicklung i n der afrikanischen Charta nur als kollektives Recht voll ausgebildet ist. Sein systematischer Ort befindet sich i n der Gruppe kollektiver Rechte, wobei vor allem der vorgestellte A r t . 21 über die freie Verfügung der Völker über ihren Reichtum und ihre natürlichen Ressourcen für das Recht auf Entwicklung relevant ist. Zur Ausübung dieses Rechts werden jedoch i n A r t . 21 ausdrücklich die Staaten, und zwar einzeln und kollektiv, i m Hinblick auf die afrikanische Einheit und Solidarität ermächtigt, während sie i m Falle des Rechts auf Entwicklung die Ausübung dieses Rechts zu gewährleisten haben. A r t . 22 und A r t . 21 sind i n ihrer Formulierung eng an A r t . 1 der Menschenrechtspakte über das Recht auf Selbstbestimmung angelehnt. I n diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker das gerade den Afrikanern so heilige Recht der Völker auf Selbstbestimmung formal nicht als solches nennt, sondern materiell i n verschiedene kollektive 66 Z i t a t nach: Warren Weinstein, H u m a n rights i n A f r i c a : a long awaited voice, Current History 78 (1980), S. 132 (Übersetzung durch den Verfasser). 67 Meeting of A f r i c a n Experts Preparing the D r a f t A f r i c a n Charter on H u m a n and Peoples' Rights, Address delivered by H. E. M r . Leopold Sedar Senghor , President of the Republic of Senegal, 28 November 1979, O A U Doc. CAB/LEG/67/5.
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Rechte politischer und wirtschaftlicher Natur aufgliedert (Art. 20 bis 22). Das Recht auf Entwicklung der Charta von B a n j u l ist, wie die ebenfalls enthaltenen kollektiven Rechte auf Frieden und Sicherheit sowie auf Umwelt, wohl hauptsächlich programmatischer Natur. Es w i r d jedoch von der afrikanischen Staatenpraxis abhängen, ob es zum Gegenstand rechtlicher Ansprüche gemacht wird. Rein theoretisch könnte es Gegenstand einer Staatenbeschwerde nach Art. 46 der Charta von Banjul sein. Die Hauptbedeutung des Rechts auf Entwicklung der Charta von Banjul liegt jedoch i n seiner Etablierung als ein grundlegendes Gestaltungsprinzip des afrikanischen Menschenrechtsschutzes. Aufgrund der besonderen Entwicklungsbedürfnisse des afrikanischen Kontinents, die i n verschiedenen Dokumenten zur afrikanischen Entwicklung, vor allem dem Aktionsplan von Lagos von 1980 über die Durchführung der 1979 formulierten Monrovia-Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas, Ausdruck gefunden haben, kommt dem Recht auf Entwicklung i m afrikanischen Kontext zugleich eine zentrale Funktion als einer „materiellen Grundnorm der afrikanischen Entwicklung" zu.
C. Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht? I m Zusammenhang mit den Erfordernissen zeitgemäßer Menschenrechtserziehung i m Entwicklungskontext wurde auf einem UNESCOExpertentreffen i n Straßburg 1982 von einem Vertreter der Dritten Welt gefordert, den Menschen i n den Industrieländern bewußt zu machen, daß sie den Entwicklungsländern, ohne deren Würde noch weiter Gewalt anzutun, nur helfen könnten, „unless they recognize that the poor have a right to be helped, that aid to developing countries is not charity but retribution, not benevolence b u t justice, that i n short, there is a human right, i n d i v i d u a l and collective, to development" 5 8 . I . Begründung und Quellen des Rechts auf Entwicklung
Als Begründung für das Bestehen eines Rechts auf Entwicklung w u r den von Kéba M'Baye wirtschaftliche und strategische sowie politische und moralische Erwägungen angeführt 5®. Darin erscheint sowohl das Argument der Kompensation, z. B. für die A f r i k a durch Kolonisation 58 José W. Diokno , H u m a n Rights Teaching and Research i n the Context of Development: The East-West and North-South Dimensions, B u l l e t i n of Peace Proposals 14 (1983), No. 1 (Special Issue: Research and Teaching of H u m a n Rights), S. 35 ff. (42). 59 Kéba M'Baye, i n : D u p u y (Anm. 1), S. 72 ff. (78—87); als einen weiteren D r i t t e - W e l t - S t a n d p u n k t José W. Diokno (Anm. 58), S. 41.
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und Ausbeutung entstandenen Nachteile, als auch das Argument der Verpflichtung der Industrieländer gegenüber dem Entwicklungsanliegen aufgrund der vielfältigen wirtschaftlichen und politisch-strategischen Vorteile, die sie aus den Beziehungen mit den Entwicklungsländern ziehen, somit der Verantwortung der Industrieländer aufgrund des ungleichen Tausches und schließlich aufgrund der Solidarität als notwendiger Bedingung gemeinsamen Überlebens der Staaten. Die moralisch-ethische Argumentation wurde bereits i n der Entstehungsgeschichte dargestellt. Daraus läßt sich vorerst das Recht auf Entwicklung freilich nur als politisches Postulat oder moralischer Imperativ entnehmen. Das Argument der Entschädigung für koloniale Ausbeutung nimmt überdies wenig Rücksicht auf diejenigen Entwicklungsländer, die nicht Gegenstand kolonialer Okkupation gewesen waren und dennoch ein Recht auf Entwicklung geltend machen. Das Recht auf Entwicklung läßt sich jedoch auch ganz allgemein aus dem allen Menschen und Völkern inhärenten Recht auf Leben und angemessene Lebensbedingungen entwickeln. So finden w i r i n der Erklärung von Philadelphia der Internationalen Arbeitsorganisation vom Mai 1944 die Feststellung: „ a l l human beings, irrespective of race, creed or sex, have the r i g h t to pursue both their material w e l l - b e i n g and their spiritual freedom and dignity, i n conditions of economic security and equal opportunity 8 0 ."
Als Quellen des Rechts auf Entwicklung können i n einem „synthetischintegrativen Ansatz" alle einschlägigen Menschenrechtsdokumente ermittelt werden, für die kollektive Dimension des Rechts zusätzlich die relevanten Dokumente einer NIWO 6 1 . So werden z. B. Art. 1, 55 und 56 der Charta der Vereinten Nationen, A r t . 22 bis 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, A r t . 2 Abs. 1 des Paktes über w i r t schaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die Deklaration der Vereinten Nationen über sozialen Fortschritt und Entwicklung von 196962 sowie GV-Res. 35/56 (1980) über eine Internationale Entwicklungsstrategie für die Dritte Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen u. v. a. angeführt. Entsprechend dem snythetisch-integrativen Ansatz definiert z. B. Gros Espiell das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht als „the synthesis of all human rights" 6 3 . 60
Z i t i e r t nach Aiston (Anm. 18), S. 100. Vgl. dazu insbes. Zalmai Haquani, L e droit au développement: fondement et sources, i n : D u p u y (Anm. 1), S. 22 ff., sowie Kéba M'Baye, L e droit au développement, i n : D u p u y (Anm. 1), S. 72 ff. (88—92). Eine Zusammenstell u n g enthält der erste Bericht der Arbeitsgruppe (Anm. 39), S. 4. 62 GV-Res. 2542 ( X X I V ) v o m 11. Dezember 1969. 63 Gros Espiell (Anm. 41), S. 205. 61
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Daraus erscheint das Recht auf Entwicklung als instrumentales Recht, das vorhandene Rechte besser zur Geltung bringt. Ein Problem ergibt sich freilich aus der unterschiedlichen Rechtsqualität dieser Quellen. Eine Abwertung verbindlicher Menschenrechtsgrundsätze durch Gleichstellung mit NIWO-Resolutionen muß vermieden werden. I n einem „analytisch-strukturellen Ansatz" wäre überdies der Kontext und die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Rechten sowie zwischen der individuellen und der kollektiven Dimension und zwischen Menschenrechten und Entwicklungsbedingungen einzubeziehen, woraus sich erst das volle „Profil" des Rechts auf Entwicklung ergeben kann. A u f regionaler Ebene liegt mit der afrikanischen Charta erstmals ein vertragsförmiges Völkerrechtsinstrument vor. Schließlich läßt sich das Recht auf Entwicklung des einzelnen bzw. von Zwischengruppen und Minderheiten auch aus dem nationalen Recht i n Form verschiedener grundrechtlicher Bestimmungen bzw. der i n Ausführung des Sozialstaatsprinzips ergangenen Sozialgesetzgebung erkennen. Gros Espiell 8 4 führt als Beispiel Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland von 1949 an, der die freie Entwicklung der Persönlichkeit i n Einklang m i t den Rechten anderer und der Verfassung garantiert. Tomuschat 65 hingegen hält Art. 2 Abs. 1 GG als Grundlage eines individuellen Rechts auf Entwicklung für ungeeignet, da darin nur ein individuelles Abwehrrecht und kein generelles Teilhaberecht enthalten sei. Dem wäre entgegenzuhalten, daß ein Recht auf Entwicklung nicht notwendigerweise nur als Leistungsanspruch zu verstehen ist, umschließt es doch alle i n seiner individuellen Dimension für die Entwicklung des einzelnen maßgeblichen Rechte, also auch die bürgerlichen und politischen Rechte. Außerdem unterliegt jede Verfassungsinterpretation auch einer dynamischen Entwicklung.
I I . Anspruchsberechtigte bzw. Begünstigte des Rechts auf Entwicklung
Es herrscht weitgehende Übereinstimmung, daß das Recht auf Entwicklung sowohl dem Individuum als auch dem Volk und dem Staat zukommt. Hinsichtlich von Zwischengruppen (intermediary groups) und Minderheiten sind die Aussagen weniger einheitlich. Entsprechend den Quellen des Rechts auf Entwicklung ist ein Anspruch des einzelnen insbesondere i m Rahmen der i h m zustehenden Rechte aus den Menschenrechtskonventionen, allenfalls auch den Konventionen der Internatio64
es V
Vgl. Gros Espiell (Anm. 41), S. 203, A n m . 50. Tomuschat (Anm. 41), S. 104. g l
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nalen Arbeitsorganisation (ILO), gegeben®6. Darüber hinaus erscheint der einzelne als Begünstigter des Rechts auf Entwicklung i n seiner kollektiven Dimension, wo dieses durch das Volk bzw. den Staat realisiert wird. I m Falle des kollektiven Rechts auf Entwicklung gibt es ein Verfahren der Durchsetzimg i n der Regel nur auf zwischenstaatlicher Ebene, so daß das Volk und der Staat als Träger des Rechts auf Entwicklung nach außen meist verschmelzen. Dies gilt aber i n der Regel nur für einen auf legitimer Basis errichteten Staat, i n besonderen Fällen können auch Befreiungsbewegungen als Vertreter des Volkes und seines Rechts auf Entwicklung nach außen auftreten. Wenn auch grundsätzlich allen Staaten gleichermaßen ein Recht auf Entwicklung zukommt, so kann angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Entwicklungsländer, insbesondere der sogenannten „least developed countries", kein Zweifel daran bestehen, daß diesen Gruppen von Ländern besondere Begünstigungen und Ansprüche, insbesondere gegenüber der organisierten Staatengemeinschaft, zustehen®7. Eine Vielzahl von internationalen Normen und Prinzipien, die oben bereits unter dem Begriff Entwicklungsvölkerrecht angesprochen w u r den, trägt diesem Umstand bereits Rechnung®8.
I I I . Dogmatische Einordnung des Rechts auf Entwicklung
Zur dogmatischen Einordnung des Rechts auf Entwicklung werden i n der Literatur verschiedene Auffassungen vertreten: Danach erscheint das Recht auf Entwicklung einmal bloß als ein rechtliches Konzept, ein anderes M a l als ein allgemeines Prinzip des Völkerrechts und schließlich als ein Menschenrecht. Die Auffassung, daß das Recht auf Entwicklung ein neues rechtliches Konzept darstelle, hat in einem Bericht des holländischen ILA-Komitees über die rechtlichen Aspekte der Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung Eingang gefunden® 9. Dieser Bericht stellt das Bestehen eines rechtββ Vgl. The International Dimensions of the Right to Development as a H u m a n Right . . . (Anm. 35), S. 43 ff. (45). 7 • Vgl. Gros Espiell (Anm. 41), S. 198 f. Gros Espiell sieht insbes. die E n t wicklungsländer als A k t i v s u b j e k t e des Rechtes auf Entwicklung, während es vorwiegend die entwickelten Länder u n d die Staatengemeinschaft sind, an die sich der Anspruch richtet. 88 Vgl. The Principle of Preferential Treatment of Developing Countries (Anm. 29), sowie Marthinus G. Erasmus , The New International Economic Order and International Organizations, Towards a Special Status for Developing Countries?, F r a n k f u r t 1979.
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liehen Konzepts der Entwicklung fest, das i n einer Vielzahl internationaler Abkommen und Empfehlungen anzutreffen wäre. Diese rechtliche Konzeptionalisierung des Rechts auf Entwicklung bedeutet jedoch noch nicht, daß daraus konkrete und durchsetzbare Rechtsansprüche erwachsen, sondern findet ihre Bedeutung vor allem i n der rechtlichen Erfassung des Gegenstandes. Dem Recht auf Entwicklung als Rechtskonzept käme jedoch nach Auffassung des Berichts bereits eine instrumentale Funktion zur Realisierung bestehender Menschenrechte, aber auch i n der Ausformung des Rechts auf Entwicklung als ein allgemeines Völkerrechtsprinzip zu, für dessen Anerkennung sich nach dem Bericht klare Anfänge abzeichnen 70 . Das Recht auf Entwicklung als ein allgemeines Prinzip des Völkerrechts stellt sich als Abstraktion eines generellen Konsenses der Staaten auf internationaler Ebene dar 71 . Ein solcher Konsens kann i n der großen Zahl von Resolutionen und Aktivitäten i n den Vereinten Nationen hinsichtlich des Bereichs der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung gesehen werden, dessen Bedeutung vor allem i n den 60er und 70er Jahren laufend zugenommen hat. A l l diesen Aussagen zur Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungsförderimg ist der Grundsatz eines Rechts auf Entwicklung inhärent, wenn auch die Verpflichtung der Staaten zum Engagement i m Entwicklungsbereich bisher i n der Regel aus den Grundsätzen der internationalen Solidarität und der materiellen Gleichheit sowie den Grundsätzen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Interdependenz abgeleitet wurde 7 2 . Davon zu unterscheiden sind die i n A r t . 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut erwähnten allgemeinen Rechtsgrundsätze, die auf einem zwischenstaatlichen Konsens über i n den nationalen Rechtsordnungen enthaltene Grundsätze beruhen. I n diese Kategorie könnte allenfalls das Sozialstaatsprinzip fallen. Tomuschat lehnt eine solche Einordnung ab, w i l l aber das Recht auf Entwicklung wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung als ein Strukturprinzip des Völkerrechts i m Sinne von Verdross verstanden wissen, als „Grundaxiom der heutigen Völkerrechtsord69
„The Right to Development as a Legal Phenomenon", Committee of the Netherlands Branch of the International L a w Association, Report for the I L A International Committee on Legal Aspects of a New International Economic Order by Peter van Dijk/Wil D. Verwey/Karel de Vey Mestdagh and Paul J. I . M . de Waart, dated 30 J u l y 1981, S. 18 ff. 70 (Anm. 69), S. 18. 71 Vgl. Mestdagh (Anm. 41), S. 38 f. 72 Vgl. ζ. Β . Ulrich Scheuner, Solidarität unter den Nationen als Grundsatz i n der gegenwärtigen internationalen Gemeinschaft, i n : Recht i m Dienst des Friedens, FS Eberhard Menzel, B e r l i n 1975, S. 251 ff., sowie Wil D. Verwey, Das Prinzip der Solidarität als rechtlicher Grundpfeiler einer neuen i n t e r nationalen Wirtschaftsordnung, i n : K a r l Acham (Hrsg.), Gesellschaftliche Prozesse, Graz 1983, S. 219 ff.
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nung" 7 3 , was der Einordnung als allgemeines Völkerrechtsprinzip i m obigen Sinne entspricht. Konkrete rechtliche Ansprüche lassen sich freilich auch aus einem allgemeinen Völkerrechtsprinzip eines Rechts auf Entwicklung bzw. einem Grundaxiom der Völkerrechtsordnung wegen dessen hohen A b straktionsgrades kaum geltend machen, auch wenn den Staaten eine Pflicht zur Anerkennimg und Förderung dieses Prinzips zugemessen wird. Zur Klärung wurde der Abschluß eines völkerrechtlichen A b kommens über das Recht auf Entwicklung erwogen 74 . Der erste Bericht der Arbeitsgruppe von Regierungsexperten über das Recht auf Entwicklung zeigt, daß die Experten über die Rechtsnatur des Rechts auf Entwicklung geteilter Meinung sind. Eine — größere? — Gruppe wollte das Recht auf Entwicklung als ein neues Prinzip des Völkerrechts verstehen, während eine andere Gruppe darin nur die Konzeptionalisierung eines moralischen Imperativs erblicken konnte. Nach Auffassung einiger Experten ist das Recht auf Entwicklung jedoch ein Menschenrecht, das Pflichten der Staaten begründet 75 . Eine Kategorisierung des Rechts auf Entwicklung als Menschenrecht w i r d i n der westlichen Literatur bisher weitgehend abgelehnt. Nach dem Bericht des holländischen ILA-Komitees kann nur allgemein von einem „Recht der einzelnen und der Staaten auf Entwicklung" gesprochen werden 7®. Demgegenüber stehen die Aussagen der Menschenrechtskommission und der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die von der Existenz eines Rechts auf Entwicklung als Menschenrecht sprechen. So hat die Generalversammlung sogar erklärt, daß das Recht auf Entwicklung ein „unveräußerliches" Menschenrecht darstellt 7 7 . A u f dieser Grundlage wurde die Ausarbeitung einer eigenen Deklaration i n Auftrag gegeben, während i n der Afrikanischen Charta der Menschenrechte 78
Tomuschat (Anm. 41), S. 94 ff. Vgl. Mestdagh (Anm. 41), S. 38. Mestdagh (Anm. 41), S. 40 u n d 53. 75 Vgl. U N Doc. E / C N . 4/1489 (Anm. 39), S. 8. 78 Vgl. Mestdagh (Anm. 41), S. 53 u n d i h m folgend den Bericht des holländischen I L A - K o m i t e e s (Anm. 69), S. 27. Siehe auch Tomuschat (Anm. 41), S. 105. 77 Vgl. GV-Res. 37/199 v o m 18.12.1982 (Abstimmung 113:1:26), S.7: „Declares that the Right to development is an inalienable human right." Die H a l t u n g der Vereinten Nationen zur Frage der Menschenrechtsqualität ist allerdings nicht einheitlich. Während die Menschenrechtskommission u n d die Generalversammlung der V N i n ihren Resolutionen ausschließlich v o m Bestehen eines Rechtes auf E n t w i c k l u n g als „Menschenrecht" ausgingen, u m faßt das der Arbeitsgruppe der Regierungsexperten erteilte Mandat n u r die Ausarbeitung eines Deklarationsentwurfes über das Recht auf Entwicklung als solches u n d auch die Benennung der Arbeitsgruppe selbst brachte keine Vorwegnahme der Frage der Menschenrechtsqualität. 74
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und Rechte der Völker ein kollektives Recht auf Entwicklung erstmals rechtsverbindlichen Ausdruck gefunden hat. Die entsprechenden Resolutionen der Generalversammlung wurden zwar i n der Regel nicht i m Konsens gefaßt, geben aber ohne Zweifel die „opinio juris" einer Mehrheit der Staaten wieder, der sich auch die bisher meist Enthaltung übenden westlichen Vertreter, die dennoch i n der Arbeitsgruppe über das Recht auf Entwicklung mitarbeiten, auf Dauer kaum werden entziehen können. I n der Tat deutet sich i n der Arbeitsgruppe eine Entwicklung etwa derart an, daß ein Konsens über die Menschenrechtsqualität des Rechts auf Entwicklung möglich erscheint, wenn dafür die Staaten als Berechtigungssubjekt gestrichen werden 78 . Auch verschiedene Autoren, allen voran Kéba M'Baye, sind für ein Recht auf Entwicklung als Menschenrecht eingetreten 79 . Aus den vielfältigen Beziehungen zwischen Menschenrechten und dem Entwicklungskonzept, aus deren dialektischer Verbindung, wie sie ζ. B. die Erklärung von Teheran feststellt, wurde ein Menschenrecht auf Entwicklung konstruiert. Dabei handelt es sich jedoch offensichtlich — noch — nicht u m ein Menschenrechtskonzept i m Sinne der traditionellen Menschenrechte. Das Konzept ist grundsätzlicher und weiter zugleich. Es hat daher auch seinen Platz i n einer neuen, sogenannten „dritten Generation" von Menschenrechten, den sogenannten Solidaritätsrechten gefunden. Diese Kategorie von Menschenrechten, auf die i n der Folge näher einzugehen sein wird, zeichnet sich durch einen höheren Abstraktionsgrad als die beiden anderen Kategorien aus und könnte deshalb als eine A r t „menschenrechtliche Rahmenordnungsprinzipien" i n Analogie zu den erwähnten völkerrechtlichen Strukturprinzipien verstanden werden. Sie finden zum einen Teil i n den anerkannten Menschenrechten ihre Ausgestaltung, zum anderen Teil bedürfen sie erst weiterer Konkretisierung, insbesondere dort, wo internationale Bezüge auftreten, wie zum Beispiel beim Recht auf Umwelt und ebenso beim Recht auf Entwicklung. Das Recht auf Entwicklung w i r d zusammen m i t anderen neuen Rechten, wie dem Recht auf Umwelt, auf Friede oder auf das gemeinsame Erbe der Menschheit als „Solidaritätsrecht" und als „Menschenrecht 78 Vgl. A r t . 1 des Technical Consolidated Text, U N Doc. E / C N . 4/1984/13, Annex I I . 79 Kéba M'Baye, L e droit au développement comme u n droit de l'homme (Anm. 31), S. 529: „ L e droit au développement est u n droit de l'homme." sowie S. 530: „ L e droit au développement est bien u n droit de l'homme, parce q u ' i l n'y a pas de droits de l'homme sans développement." Vgl. auch Vasak (Anm. 34). Demgegenüber gelangt Tomuschat zum Ergebnis, daß „das Recht auf E n t wicklung, verstanden als Prinzip der internationalen Solidarität, als G r u n d axiom der heutigen Völkerrechtsordnung durchaus Anerkennung verdient, daß sich aber seine Qualität als individuelles — u n d gar unveräußerliches! — Menschenrecht k a u m begründen läßt" ; vgl. Tomuschat (Anm. 41), S. 105.
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einer 3. Generation" bezeichnet 80 . Bei all diesen Rechten kommt der kollektiven Dimension eine besondere Rolle zu 81 . Zum Verhältnis zwischen den Individualrechten und den Kollektivrechten wurde von der UNESCO das Bestehen dialektischer Beziehungen zwischen beiden Gruppen, die sich gegenseitig ergänzen, hervorgehoben 82 . Der Begriff einer „3. Generation" von Menschenrechten stammt von Karel Vasak, der damit die neuen „Solidaritätsrechte" von einer ersten Generation der bürgerlichen und politischen und einer zweiten Generation der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unterscheiden wollte 8 5 . Der Begriff der „Generationen" hat jedoch zu Miß Verständnissen Anlaß gegeben, etwa daß der Begriff die Ablösung einer Generation durch die andere beinhalten könne 84 . Es sollte daher besser von einer neuen „Kategorie" von Menschenrechten gesprochen werden. Diese Bezeichnung ist i n den Vereinten Nationen für die Einordnung der bürgerlichen und politischen sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte üblich, und wurde von Karel Vasak ursprünglich selbst auch für die neuen „Solidaritätsrechte" verwendet 85 . Man kann sich diese neue Kategorie von Menschenrechten, die vor allem günstigere Rahmenbedingungen für die Ausübung der bestehenden Menschenrechte herstellen soll, etwa als einen Kreis vorstellen, der die Teilmengen der beiden anderen Kategorien umschließt. Schließlich sei festgehalten, daß, obwohl zwar i n der Tat das Solidaritätsprinzip für diese Rechte von besonderer Bedeutung ist, der vorliegende Deklarationsentwurf über das Recht auf Entwicklung kaum Anrufungen dieses Prinzips enthält. I n der D o k t r i n der sozialistischen Völkerrechtslehre w i r d das Recht auf Entwicklung aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker abgeleitet. Nach Blischtschenko ist Selbstbestimmung nicht ohne Entwicklung zu denken, und ebenso wenig wäre es möglich, individuelle Menschenrechte 80 Vgl. Vasak (Anm. 34); siehe auch den „ P r e l i m i n a r y D r a f t of a T h i r d International H u m a n Rights Covenant on Solidarity Rights", der der F o u r t h A r m a n d Hammer Conference on H u m a n Rights and Peace i n A i x - e n - P r o vence, 21—23 August 1981, vorlag. 81 So auch die Auffassung der Expertenmehrheit i m 1. Bericht (Anm. 39), § 16. Auch Abi-Saab (Anm. 41), S. 164, sieht die Bedeutung des Rechts auf E n t w i c k l u n g vor allem i n seiner kollektiven Dimension. 82 Vgl. Asbjorn Eide, Dynamics of H u m a n Rights and the Role of the Educator, B u l l e t i n of Peace Proposals 14 (1983), No. 1 (Special Issue: Research and Teaching of H u m a n Rights), S. 105 ff. (113). 83 Vgl. Karel Vasak , L e droit international des droits de l'homme, RC 140 (1974 IV), S. 333 ff. (344 f.). 84 Vgl. Philip Alston, A T h i r d Generation of Solidarity Rights: Progressive Development or Obfuscation of International H u m a n Rights Law?, N I L R 29 (1982), S. 307 ff. (312). 85 Vgl. Vasak (Anm. 83), S. 344.
Das R e d i t auf E n t w i c k l u n g als Menschenrecht
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unabhängig vom Selbstbestimmungsrecht des Volkes zu verwirklichen 8 8 . Das Recht auf Selbstbestimmung findet durch das Recht auf Entwicklung eine Spezialisierung und könne daher als „ein Spezifikum des Selbstbestimmungsrechtes" begriffen werden 87 . Das Redit auf Entwicklung erscheint dabei abgeleitet vom Recht auf Selbstbestimmung, das als ein individuelles und kollektives Menschenrecht Anerkennimg gefunden hat 8 8 und i m gemeinsamen A r t . 1 der Menschenrechtspakte von 1966 A u f nahme fand. I n dessen Abs. 1, der aus § 2 der Deklaration über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker, der Dekolonisierungsdeklaration von 1960, übernommen wurde, w i r d allen Völkern die freie Gestaltung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und k u l turellen Entwicklung verbrieft. Auch i n der Charta von B a n j u l spielt, wie gezeigt, das Selbstbestimmungsrecht der Völker eine zentrale Rolle. Die sozialistische Auffassung vom Recht auf Entwicklung als Ausfluß vorwiegend der wirtschaftlichen Komponente des Selbstbestimmungsrechts weist auf einen wichtigen Aspekt des Rechts auf Entwicklung hin. Sie greift aber i n dieser Einschränkung zugleich zu kurz, insbesondere wenn das Recht auf Entwicklung nur als eine A r t — internationales — Abwehrrecht, „als eine revolutionäre Forderung gegen die nationale und internationale Einschränkung bzw. Unterdrückimg und Manipulierung des Lebensrechts des einzelnen, der Völker und Staaten" 8 · verstanden wird. Daß jedoch die Entwicklung der Völker vielfach mit Befreiimg einhergeht, kann angesichts der historischen Erfahrung nur bestätigt werden. I V . Redit auf Entwicklung und Recht auf Entwicklungshilfe
Eine bedeutende Konkretisierung des Rechts auf Entwicklung stellt das Recht auf Entwicklungshilfe dar. Die Diskussion u m das Recht auf Entwicklungshilfe ist jedoch älter als die Erörterung eines Rechts auf Entwicklung. Eine Verpflichtimg zur Entwicklungshilfe ist i n allgemeiner Form i n den Konsensresolutionen zur Zweiten und Dritten Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen (1970—1980—1990) enthalten, 88
Z i t i e r t nach Graefrath (Anm. 41), S. 13, siehe auch ders., S. 16. Martina Haedrich, Selbstbestimmungsrecht — Menschenrecht — Recht auf Entwicklung, i n : Franz Bolck (Hrsg.), Bürger i m sozialistischen Redit, Jena 1983, S. 181 ff. (190). 88 Hector Gros Espiell, The R i g h t to Self-determination, Implementation of U n i t e d Nations Resolutions, U N N e w Y o r k 1980, S. 10; sowie allgemein: H.Reinhard, Rechtsgleichheit u n d Selbstbestimmimg der V ö l k e r i n w i r t schaftlicher Hinsicht, Heidelberg 1980; A. Christescu, The Right to Self -Determination, Historical and Current Development on the Basis of U n i t e d Nations Instruments, U N N e w Y o r k 1981. 88 Graefrath (Anm. 41), S. 18. 87
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die ein Leistungsziel von 0,7 % des Bruttosozialprodukts an öffentlicher Entwicklungshilfe festlegen 90 . I m Rahmen der OECD besteht ein Entwicklungshilfeausschuß (DAC), der die Leistungen der OECD-Mitglieder hinsichtlich dieses anhand weiterer Kriterien noch näher bestimmten Zieles überwacht 91 . Daß diese Verpflichtimg von manchen Staaten auch rechtlich ernst genommen wird, läßt sich daraus ersehen, daß z. B. Österreich anläßlich der Resolution über die Zweite Entwicklungsdekade einen Vorbehalt hinsichtlich der Erreichung des 0,7