191 21 22MB
German Pages 380 [384] Year 1997
Grundlagen der Meßtechnik herausgegeben von Professor em. Dr. Paul Profos ΕΤΗ Zürich und Professor Dr.-Ing. Dr. hc. Tilo Pfeifer RWTH Aachen 5., überarbeitete Auflage
Mit 262 Bildern und 46 Tabellen
R. Oldenbourg Verlag München Wien 1997
Die 1. und 2. Auflage erschienen unter dem Titel "Kompendium der Grundlagen der Meßtechnik" im Vulkan-Verlag, Essen
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Grundlagen der Messtechnik : mit 46 Tabellen / hrsg. von Paul Profos und Tilo Pfeifer. - 5., Überarb. Aufl. - München ; Wien : Oldenbourg, 1997 ISBN 3-486-24148-6
© 1997 R. Oldenbourg Verlag Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitimg in elektronischen Systemen. Lektorat: Elmar Krammer Herstellung: Rainer Hartl Umschlagkonzeption: Kraxenberger Kommunikationshaus, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München
Vorwort zur 3. Auflage Die Entwicklung der industriellen Meßtechnik war in den letzten Jahren vor allem geprägt durch das immer weitere und schnellere Eindringen von Komponenten und Systemstrukturelementen der elektronischen - vorzugsweise digitalen - Signal- und Datenverarbeitung sowie der Mikrosystemtechnik. Dieser Trend scheint weiterhin anzuhalten. Die Auswirkungen davon treten einerseits besonders deutlich im Bereich der Meßwerterfassung (Sensortechnik), andererseits - und hier noch ausgeprägter - bei der Meßwertverarbeitung in Erscheinung. Dabei fallen weniger die zwar wichtigen stetigen Verbesserungen der Gerätetechnik auf, die etwa in zunehmender Genauigkeit und besserer Zuverlässigkeit sowie höherem Bedienungskomfort zum Ausdruck kommen, als mehr die konzeptuellen Neuerungen, die für den Meßtechniker von besonderer Bedeutung sind und durch Stichworte wie: Selbstüberwachung, komplexe Meßwertverarbeitung, modellgestützte Meßverfahren, Diagnosesysteme u. a. m. angedeutet werden können. Durch diese Neuerungen wird dem Meßtechniker eine Fülle neuer Möglichkeiten angeboten, Meßprobleme besser zu lösen und die durch die Messung gewonnene Rohinformation besser interpretieren zu können. Gerade diese Neuerungen bringen es mit sich, daß an den Anwender auch höhere Anforderungen hinsichtlich seiner meßtechnischen Kenntnisse gestellt werden. Sowohl Planung und Handhabung solcher moderner Meßsysteme wie auch die Interpretation ihrer Ergebnisse verlangen in zunehmendem Maße gründliche Kenntnisse der theoretischen Grundlagen, auf denen diese neuen Meßund Auswerteverfahren beruhen. Dieser Sachverhalt hat Herausgeber und Verlag bewogen, das 1988 in 2. Auflage erschienene „Kompendium der Grundlagen der Meßtechnik" - unter einem etwas knapper gefaßten Titel - erneut herauszugeben. Wie die früheren Ausgaben stützt sich auch die neue Auflage auf das „Handbuch der industriellen Meßtechnik", das soeben in seiner 5. Auflage erschienen ist. Der Text des vorliegenden Buches hat gegenüber der 2. Auflage eine tiefgreifende Überarbeitung erfahren, was namentlich im Teil Β in Erscheinung tritt. Dabei wurden einzelne Kapitel völlig umgestaltet; auch einige neue Beiträge sind hinzugekommen. Zahlreiche Abbildungen sind neu und die Literaturangaben wurden aktualisiert. Durch den Neusatz des gesamten Werkes konnten zudem einige drucktechnische Mängel der früheren Ausgaben ausgemerzt werden. Das Buch möchte das für die optimale Nutzung der modernen Meßtechnik erforderliche Basiswissen in knapper, anwendungsnaher Form bereitstellen. Es wendet sich an den in der Praxis tätigen Ingenieur und Chemiker, der nicht die Zeit findet, sich das benötigte Wissen in der weit verstreuten Fachliteratur zusammenzusuchen. Obwohl kein Lehrbuch, richtet es sich auch an den Studierenden, dem es als Repetitorium und als Ergänzung zum Unterricht den Stoff in geraffter, einen Überblick vermittelnder Form anbietet und zugleich den Bezug theoretischen Grundlagenwissens zur Praxis nahebringt. Im Herbst 1991
Die Herausgeber T. Pfeifer P. Profos
Vorwort zur 4. Auflage Kaum ein Jahr nach dem Erscheinen der vollständig überarbeiteten und erweiterten 3. Auflage der „Grundlagen der Meßtechnik" wurde bereits die Herausgabe einer weiteren Auflage erforderlich. Im Hinblick auf die kurze Zeitspanne seit der Vorbereitung der 3. Auflage wurden diesmal nur kleine textliche Korrekturen sowie Druckfehlerberichtigungen vorgenommen. Im Winter 1992
Die Herausgeber T. Pfeifer P. Profos
Vorwort zur 5. Auflage Nachdem die 4. Auflage vergriffen war, erscheint nun die 5. Auflage, in der noch einige Fehler verbessert wurden.
Autorenverzeichnis Die in Klammern gesetzten Ziffern verweisen auf die bearbeiteten Abschnitte der jeweiligen Autoren Dr.-Ing. W. Basti Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) mbH Garching bei München (B.7) Dr.-Ing. R. Best Sandoz AG, Präklinische Forschung Pharma, Basel, Schweiz (B.5.2, 5.3.2) Dipl.-Ing. J. Böttcher UBW München (B.2.4) Dipl-Ing. H. Domeisen Rorschach, Schweiz (B.l, 5.5) Prof. Dr. T. Gast Technische Universität Berlin, Berlin (B.3, C.10.10) Dr. Hörtner G. R. S. Garching/München (B.7) Dipl.-Phys. H.-H. Marguerre Siemens AG, Abt. AUT E382 Cl, Karlsruhe (B.6)
Prof. Dr. P. Profos ΕΤΗ Zürich (ehemals) (A.l, 2, 3, 4, B.l, C.4.3, 7.3) Dr.-Ing. H. Richter UBW München (B.4) Dipl.-Ing. K. Ruhm ΕΤΗ, Institut für Meß- und Regeltechnik, Zürich (B.5.1, 5.3.1, 5.4) Prof. Dr. H.-R. Itänlder Elektrische Meßtechnik, Uni d. BW, Neubiberg (B.2.4, 4) Direktor a.D. Dr.-Ing. W. TYapp München (A.5, B.2.1 3)
VII
Inhalt Vorwort zur 3. Auflage Vorwort zur 4. Auflage Vorwort zur 5. Auflage
V VI VI
A.
Theoretische Grundlagen
ι
1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4
Grundlegende Begriffe und Definitionen Wesen des Messens; Fundamental-Voraussetzungen Normale und deren Einheiten Idealisiertes Blockschema; allgemeine Begriffe Meßverfahren Direkte und indirekte Meßverfahren Analoge und digitale Verfahren Zeitlich kontinuierliche und diskontinuierliche Verfahren Ausschlags- und Kompensationsverfahren
3 3 3 6 8 8 9 10 11
2. 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.5.6 2.5.7
Meßfehler und Fehlerursachen Repräsentativität, Repräsentativitätsfehler Allgemeines Blockschema des fehlerbehafteten Meßsystems Fehler, Korrektion Rückwirkung des Meßvorganges auf die Meßgröße: Bürde Superponierende äußere Störeinflüsse Deformierende äußere Störeinflüsse Innere Störeinflüsse Fehler im Zusammenhang mit dem Meßvorgang Einfluß der Einsatzbedingungen der Meßeinrichtung Systematische und zufällige Fehler Statische und dynamische Fehler Fehler im Zusammenhang mit der Auswertung von Meßwerten Quantisierung der Meßwerte, Ablesefehler Zeitliche Diskretisierung durch die Auswertung Fehler bedingt durch die Auswertehypothese Fehlerfortpflanzung durch die Auswertung Fehlercharakteristiken von Meßgeräten Nullpunktsunempfindlichkeit, Ansprechwert, Anlaufwert Umkehrspanne, Hysterese, elastische Nachwirkung Auflösung Nullpunktsstabilität Meßunsicherheit, Fehlergrenzen Linearität, Toleranzbänder Güteklassen
14 14 14 15 16 16 16 17 17 17 17 19 19 19 19 20 21 21 21 21 22 23 23 23 24
3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3
Statische MeBfehler Fehlerarten Fehlererfassung Zufällige Fehler der Einzelmessung Zufällige Fehler von Mittelwerten Systematische Fehler: Eichung
26 26 27 27 32 34
IX
Inhalt
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4
Fehlerfortpflanzung Systematische Fehler Zufällige Fehler Fehlergrenzen Auswerteverfahren im Zusammenhang mit statistischen Fehlern Prüfung der Hypothese der Gauß-Verteilung Ausreißer Unterschiede von Mittelwerten Lineare Regression Lineare Korrelation Möglichkeiten der automatischen Fehlerkorrektur Prinzip der Störgrößenabschirmung Prinzip der Fehlerkompensation Prinzip der Rückführung Prinzip der Signalfilterung
35 35 35 36 37 37 39 40 42 45 48 48 48 49 50
4. 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3
52 52 52 52 54 55 59 61 64 65 68 68 69
4.3.4 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.6 4.6.1 4.6.2
Dynamische Meßfehler Messen als Signalübertragungsprozeß Signale und ihre mathematische Beschreibung Klassierung von Signalen Beschreibung deterministischer Signale im Zeitbereich Beschreibung stochastischer Signale im Zeitbereich Beschreibung periodischer Signale im Frequenzbereich Beschreibung aperiodischer Signale im Frequenzbereich Beschreibung stochastischer Signale im Frequenzbereich Beschreibung von Signalen durch Impulsreihen Übertragungsverhalten des Meßsystems und seine mathematische Beschreibung Beschreibung des Übertragungsverhaltens durch die Differentialgleichung . . . Beschreibung des Übertragungsverhaltens durch Antwortfunktionen Beschreibung des Übertragungsverhaltens durch die Übertragungsfunktion bzw. den Frequenzgang Zusammenhang der Beschreibungsmittel des Übertragungsverhaltens Dynamische Eigenschaften fundamentaler Meßsysteme Meßsystem 1. Ordnung Meßsystem 2. Ordnung Meßsystem mit Totzeit Dynamische Meßfehler Definition des dynamischen Meßfehlers Berechnung des dynamischen Meßfehlers Dynamische Kenngrößen von Meßsystemen Korrektur dynamischer Meßfehler Dynamische Störwirkungen Berechnung der durch dynamische Störwirkungen hervorgerufenen Fehler . . . Bekämpfung der dynamischen Störwirkungen
5. 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2
Gesetzliche Grundlagen des Meßwesens Einleitung Das Internationale Einheitensystem (SI) Basiseinheiten Abgeleitete SI-Einheiten Gesetzliche Vorschriften über Einheiten im Meßwesen Gesetzliche SI-Einheiten Weitere gesetzliche Einheiten
X
71 75 77 77 80 86 87 87 89 92 93 95 95 96 99 99 99 99 100 101 105 105
Inhalt
5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.4
Gesetzliche Einheiten mit eingeschränktem Anwendungsbereich Tabelle häufig verwendeter Einheiten Umrechnung angelsächsischer Einheiten Gesetzliche Vorschriften des Meß- und Eichwesens
106 106 112 118
B.
Allgemeines zur Gerätetechnik
1. 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4
Funktionselemente und Strukturen von Meßsystemen Einleitung Funktionselemente von Meßsystemen Funktionsstrukturen von Meßsystemen Grundstrukturen Funktionsstrukturen „klassischer" Meßsysteme Funktionsstrukturen komplexer Meßsysteme Funktionsstrukturen modellgestützter Meßsysteme
123 123 123 124 124 126 126 129
2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4
Meßgrößenerfassung Begriff der Meßgrößenerfassung Erfassung einer repräsentativen Meßgröße Möglichst fehlerfreie Erfassung dieser Meßgröße Primäre Umwandlung der Meßgröße Arten der Meßwerterfassung Primäre Umwandlungseffekte und Meßgrößenaufnehmer Aufnehmer mit mechanischem Ausgang Aufnehmer mit pneumatischem Ausgang Sensoren mit elektronischem Analogausgang Sensoren mit optischer Wirkung Sensoren mit integrierter Signalelektronik und Digitalausgang
132 132 132 132 133 134 135 135 135 135 155 159
3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2
168 168 168 168
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2
Meßgrößenumformung Grundlagen Zielsetzung und Bedeutung Begriffe Verknüpfung von Eingangs- und Ausgangsgröße eines Meßgrößenumformers durch physikalische und physikalisch-chemische Effekte Verknüpfungsmatrix Umkehr der Wandelungsrichtung Spezielle Anwendungen Umformung nichtelektrischer Signale in elektrische Mechanische Größen Thermische Größen Akustische Größen Umformung elektrischer Signale Umformung der Größenart elektrischer Signale Umformung eines elektrischen Signals in eine andere Signalart
171 171 171 174 175 175 180 182 184 184 185
4. 4.1 4.1.1 4.1.2
Rechenschaltungen Analoge Rechenschaltungen Addierer und Subtrahierer Multiplizierer und Dividierer
188 188 188 189 XI
Inhalt
4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3
Radizierer und Potenzierer Differenzierer und Integrierer Digitale Rechenschaltungen Rechenoperationen mit Impulsfolgen und Frequenzsignalen Kombinatorische Logikschaltungen Rechenwerke
191 192 196 197 198 202
5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4 5.5.5
Meßsignalverarbeitung Allgemeines Aufgaben und Bedeutung der Meßsignalverarbeitung Entwicklungstrend Signalanpassung Getastete Signale und ihre Übertragung Auswirkungen der Abtastung Die Übertragungsfunktion digitaler Systeme Filter Analoge Filter Digitale Filter Signalverarbeitung durch Einzweckgeräte Übersicht über Aufgaben und Lösungsmöglichkeiten Geräte zur Messung von Amplitudenverteilungen Geräte zur Bestimmung von Mittelungswerten Frequenzanalyse Meßsignal-Erfassung und -Verarbeitung mit Digitalrechnern Übersicht Die Meßkette für digitale Meßsignal-Verarbeitung Prozeßrechner Programme für Prozeßrechner Möglichkeiten der Signal Verarbeitung mit Prozeßrechnern
205 205 205 206 207 210 210 215 218 218 231 249 249 250 257 271 277 277 279 290 297 299
6. 6.1 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.4 6.4.1 6.4.2 6.5 6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.6 6.7 6.7.1 6.7.2 6.7.3 6.7.4 6.8 6.8.1
Ausgabegeräte Übersicht Darstellung analoger Meßwerte Darstellung digitaler Meßwerte Mechanische Anzeigen Optische Anzeigen Optoelektronische Anzeigen Intelligente Anzeigen Datensichtgeräte Informationsdarstellung durch Sichtgeräte Technologie der Bildschirme Meßwertausgabe durch Personal Computer (PC) Hardware-Benutzerschnittstelle: Grafikbildschirme Meßtechnische Hardware-Erweiterungen für PCs Software-Benutzerschnittstelle Meßwertausgabe in der industriellen Prozeßleittechnik Meßwertdrucker Typen- und Matrixdrucker Zeichen- und Zeilendrucker Anschlagende und nichtanschlagende Drucker Übersicht verschiedener Druckertypen Plotter Flachbettplotter
313 313 313 314 314 314 315 319 319 320 320 322 322 323 323 325 325 327 327 328 328 331 331
XII
Inhalt
6.8.2 6.9 6.9.1 6.9.2 6.9.3 6.9.4 6.10
Trommelplotter Schreiber Punkt- und Linienschreiber Kompensationsschreiber Übersicht der Schreibverfahren Schreiber als intelligente Registriergeräte Sprachausgabe
7. Die Zuverlässigkeit von MeBsystemen 7.1 Die wichtigsten Größen der Zuverlässigkeitsrechnung und ihre Zusammenhänge 7.2 Die Zuverlässigkeit von Bauelementen 7.2.1 Die Ausfallrate 7.2.2 Die exponentielle Verteilung der Überlebenswahrscheinlichkeit 7.2.3 Ausfallkriterium 7.2.4 Beanspruchungen 7.2.5 Zuverlässigkeitsprüfungen 7.3 Einige Grundlagen der Verknüpfung von Wahrscheinlichkeiten 7.4 Zuverlässigkeit von Geräten und Systemen 7.4.1 Die Zuverlässigkeit einfacher Schaltungen 7.4.2 Die Zuverlässigkeit redundanter Schaltungen 7.4.3 Reparatur und Inspektion 7.4.4 Methoden zur Berechnung der Zuverlässigkeit vermaschter Systeme 7.5 Zuverlässigkeit von Rechnern 7.5.1 Zuverlässigkeit der Hardware 7.5.2 Zuverlässigkeit der Software Register
331 331 332 333 333 334 335 337 337 340 340 341 344 345 345 345 346 348 349 351 352 353 353 354 361
XIII
Α. Theoretische Grundlagen
1.2 Normale und deren Einheiten
1. Grundlegende Begriffe und Definitionen Dr. P. Hemmi, Prof. Dr. P. Profos
1.1 Wesen des Messens; Fundamental-Voraussetzungen Der Vorgang des Messens im engeren Sinne ist einerseits durch das Erfassen und Darstellen von physikalischen Größen, andererseits durch das Normieren, das Zuordnen einer Maßzahl, gekennzeichnet. Der Größe X wird die Maßzahl χ als Vielfaches der Einheitsgröße Ν zugeordnet: Ν wird durch das Meßnormal verkörpert. X= χ·Ν Für die Dimensionsbetrachtung gilt die analoge Beziehung: [d] = [ - ] · [d] Um die genannte Operation durchführen zu können, müssen zwei Fundamentalvoraussetzungen erfüllt sein: 1. Fundamentalvoraussetzung: Die zu messende Größe muß qualitativ eindeutig definiert und quantitativ bestimmbar sein. 2. Fundamentalvoraussetzung: Das Meßnormal muß durch eine Konvention festgelegt sein. Beide Voraussetzungen sind nicht selbstverständlich. Während Größen wie Länge, Gewicht und Zeit von jedermann aus der Erfahrung heraus als definiert akzeptiert werden, bedarf ein Wirkungsgrad bereits einer konkreten Definition. Größen wie etwa die „Behaglichkeit" aus dem Bereich der Klimatechnik oder die Größe „Intelligenz" sind bis heute nicht in allgemein anerkannter Weise definiert und damit nicht im oben erwähnten Sinne meßbar. - Ähnliches gilt für die Konvention von Normalen. Diese stehen einerseits in enger Beziehung zum jeweiligen Stand der Technik, sind andererseits jedoch durch Überlegungen der zweckmäßigen Realisierung und Anwendung beeinflußt. Die voneinander unabhängig definierten Normale werden absolute oder Grundnormale genannt. Durch die „Conference Generale des Poids et Mesures" (CGPM) sind 7 Grundnormale definiert worden: dasjenige der Länge, der Masse, der Zeit, der Temperatur, des elektrischen Stromes, der Lichtstärke und der atomphysikalischen Stoffmenge.
1.2 Normale und deren Einheiten Die sieben zu den Grundnormalen gehörenden Basiseinheiten des internationalen Einheitensystems (SI) sind: [m] das Meter, [kg] das Kilogramm, [s] die Sekunde, [A] das Ampere, [K] das Kelvin, [Cd] die Candela und [mol] das Mol. Die entsprechenden Normale sind wie folgt definiert: Länge Die Längeneinheit Meter wurde anläßlich der 17. Generalkonferenz (1983) der CGPM neu definiert als die Länge der Wegstrecke, welche Licht im Vakuum während der Dauer von V299794458 Sekunden durchläuft [1]. 3
A.l Grundlegende Begriffe und Definitionen
Masse Das Grundnormal der Masse wird durch den in Sevres/Frankreich aufbewahrten Platin-Iridium-Zylinder, das sogenannte internationale Kilogramm, repräsentiert. In den einzelnen Ländern werden aus praktischen Gründen Ersatznonnale aufbewahrt. Diese werden durch Balkenwaagen auf einige Teile von Γ0 " 9 genau geeicht. Zeit 1967 wurde die Sekunde als Grundnormal neu definiert: 1 s = 91926317701 0 wobei t 0 die Schwingungsdauer der Resonanzschwingung des Atoms 133 Cs (Caesium) bedeutet. Caesium-Strahlresonatoren reproduzieren die entsprechende Frequenz mit einer Genauigkeit besser als 10" 1 1 . Temperatur Das Messen der Temperatur wirft einige Fragen auf, die von der eingangs erwähnten Definition des Messens ausgehen. Im Gegensatz zu den Größen, Länge, Masse etc. ist die Temperatur keine extensive, sondern eine intensive Größe*). Die Definition der Temperatur - 1. Fundamentalvoraussetzung des Messens - geht von der Erfahrungstatsache des thermischen Gleichgewichtes aus. Diese besagt, daß zwei Systeme, die sich im thermischen Gleichgewicht befinden, dieselbe Temperatur besitzen. Werden somit zwei Systeme gleicher Temperatur zusammengebracht, so bleibt die Temperatur - als intensive Größe unverändert. Ganz im Gegensatz zu den extensiven Größen ist mit der Definition der Temperatur noch keineswegs erklärt, was unter einem Bruchteil oder einem Vielfachen einer gewissen Temperatur zu verstehen ist. Meßtechnisch ist zunächst keine Möglichkeit gegeben, ein Normal zu definieren, welches gestatten würde, der Temperatur eine Maßzahl als Vielfaches des Normals zuzuordnen. Die theoretischen Definitionen der Temperaturskala, etwa über den Carnot-Wirkungsgrad, die Gesetze der idealen Gase oder der statistischen Gasdynamik sind meßtechnisch nicht oder nicht mit vertretbarem Aufwand auswertbar. Der nullte Hauptsatz der Thermodynamik gibt jedoch die Möglichkeit, ein Thermometer im allgemeinen Sinn des Wortes in einer Konvention festzulegen. Dieser Hauptsatz sagt aus, daß zwei Systeme, die je mit einem dritten im thermischen Gleichgewicht stehen, sich gegenseitig im thermischen Gleichgewicht befinden. Auf Grund der Definition der Temperatur läßt sich dieser Satz direkt auf die Temperaturen verschiedener Körper übertragen. Nach der Wahl eines Nullpunktes - bei extensiven Größen nicht notwendig - läßt sich eine beliebige thermische Eigenschaft eines Körpers in einer Konvention zum Maß der Temperaturskala erklären. Letztlich wird damit ein Ersatznormal mit extensivem Charakter akzeptiert. Da die Wahl dieses Thermometers grundsätzlich frei ist, kann der Reproduzierbarkeit, der praktischen Handhabung und den Forderungen der theoretischen Temperaturskala Rechnung getragen werden. Eine derartige Temperaturskala ist die „Internationale praktische Temperaturskala" (ITPS-68), die von der 13. Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CGPM) verabschiedet wurde [2]. Die Einheit 1 Κ (1 Grad Kelvin) ist definiert als der 273,16te Teil der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunktes von Wasser. Im weiteren gilt die Einheitengleichung 1°C
*) Extensive Größen charakterisieren einen Zustand eines an sich geschlossenen Systems, der sich beim Teilen dieses Systems nicht ändert (ζ. B. Temperatur, Druck, Konzentration, Zähigkeit etc.). Bei intensiven Größen ist das Gegenteil der Fall (ζ. B. Länge, Volumen, Masse, Energie etc.).
4
1.2 Normale und deren Einheiten
(Celsius) = 1 K. Der Nullpunkt der Celsius-Skala liegt 0,01 Κ unter dem Tripelpunkt von Wasser. Damit gilt die nachstehende Beziehung zwischen der Kelvin- und der Celsius-Skala: 9 [°C] = Τ [Κ] - 273,15 [Κ] Die IPTS-68 beruht auf 12 reproduzierbaren Gleichgewichtstemperaturen, den sogenannten Fixpunkten (vgl. Tabelle 1.2-1). Die Zwischenwerte basieren auf der Anzeige bestimmter Temperaturmeßgeräte und werden nach vorgeschriebenen Interpolationsformeln bzw. -Verfahren errechnet [2],
Fixpunkt
T 6 8 [K]
Ks [°c]
Trippelpunkt von Wasserstoff Siedepunkt von Wasserstoff Siedepunkt von Wasserstoff Siedepunkt von Neon Tripelpunkt von Sauerstoff Siedepunkt von Sauerstoff Tripelpunkt von Wasser Siedepunkt von Wasser Erstarrungspunkt von Zink Erstarrungspunkt von Silber Erstarrungspunkt von Gold
13,81 17,042 20,28 27,102 54,361 90,188 273,16 373,15 692,73 1235,08 1337,58
-259,34 -256,108 -252,87 -246,048 -218,789 -182,962 0,01 100 419,58 961,93 1064,43
Tabelle 1.2-1: Definierende Fixpunkte der
ρ [Nm~ 2 ] 33330,6 101325 101325 101325 101325 101325 101325 101325
IPTS-68
Als Meßgerät für den Bereich 13,81 Κ bis 903,89 Κ wird das Platin-Widerstandsthermometer mit bestimmten Spezifikationen vorgeschrieben. Der genannte Temperaturbereich wird in 5 Unterbereiche aufgeteilt, für die je eigene Interpolationsformeln in Form von Polynomen bis 4. Grades definiert sind. Im Bereich 903,89 Κ bis 1337,58 Κ dient das Platin-10% Rhodium/Platin-Thermoelement als Meßgerät. Die Beziehung zwischen Thermospannung und Temperatur wird durch eine quadratische Gleichung dargestellt. Oberhalb von 1337,58 Κ (Golderstarrungspunkt) wird die Temperatur der IPTS-68 mit dem Spektralpyrometer über das Plank'sche Strahlungsgesetz ermittelt. Der Zusammenhang zwischen der „spektralen" Strahldichte L(A, T 6 8 ) eines schwarzen Strahlers bei der Wellenlänge λ und der zu messenden Temperatur T 6 8 und der „spektralen" Strahldichte ^68,AU) b « der gleichen Wellenlänge λ und der Bezugstemperatur T 6 g Au = 1337,58 Κ (Golderstarrungspunkt) wird durch folgende Beziehungt wiedergegeben:
L(A,T 68 ) L(A,T 68IAU )
exp ^(T68,Au) - 1
exp A(T 68 )
Darin ist für die Konstante c der Wert 0,014388 [m · K] einzusetzen. Der Temperaturbereich unter 13,81 K, dem Tripelpunkt von Wasserstoff, ist in der IPTS-68 nicht definiert. Dennoch werden natürlich Temperaturen Τ < 13,81 erzeugt und gemessen. Unter Ausnutzung verschiedenster physikalischer Effekte werden Temperaturen bis in den Bereich von 1 Κ gemessen. Es bestehen hierfür teilweise auch bereits nationale Normale.
5
A.l Grundlegende Begriffe und Definitionen
Temperatur [K] relativer Fehler
1
3 · 10~ 3
10
100
273,15
800
1500
4000
10000
10" 3
5 · 10~ 5
10~6
10" 5
2 · 10" 4
2 • 10-3
6·10~2
Tabelle 1.2 -2: Übersicht über die Größenordnung der Reproduzierbarkeit von Temperaturmessungen
Es sei noch erwähnt, daß auch die Fixpunkte nicht mit beliebiger Genauigkeit reproduziert werden können. Über die Größenordnung der derzeit erzielbaren Genauigkeiten bei der Reproduktion der IPTS gibt Tabelle 1.2-2 einen Überblick. Elektrische Stromstärke Unter der Stromstärke 1 Α (Ampere) wird die Größe eines zeitlich unveränderlichen elektrischen Stromes verstanden, der - durch zwei im Vakuum parallel im Abstand 1 m voneinander angeordnete, geradlinige, unendlich lange Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigem Querschnitt fließend - zwischen diesen Leitern pro 1 m Leiterlänge elektrodynamisch die Kraft 0,2 · 10" 6 Ν hervorrufen würde. Lichtstärke Die Einheit der Lichtstärke Candela wurde anläßlich der 16. Generalkonferenz (1979) der CGPM neu definiert als die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die monochromatische Strahlung der Frequenz 540,1012 Hertz aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung 1/683 Watt/Steradiant beträgt [1], Stoffmenge 1 Mol ist die Stoffmenge eines Systems bestimmter Zusammensetzung, das aus ebensovielen Teilchen besteht, wie Atome in 12 g des Nuklids 12 C enthalten sind. Dabei müssen die Teilchen spezifiziert sein: Atome, Moleküle, Ionen, Elektronen usw.
1.3 Idealisiertes Blockschema; allgemeine Begriffe Die in Abschnitt A.l.l erwähnten charakteristischen Merkmale des Meßvorganges lassen sich zunächst unabhängig von der gerätetechnischen Ausführung in einem idealisierten Blockschaltbild darstellen (vgl. Bild 1.3-1) [3], Dieses Blockschaltbild verdeutlicht zunächst den Aspekt des Erfassens und des Wieder-zur-Darstellung-Bringens von Größen. Der das Messen wesentlich charakterisierende Vorgang des Normierens wird durch die in die Meßeinrichtung eingebrachte Information bezüglich des Normals symbolisiert. Die Idealisierung dieses Blockschaltbildes bedeutet, daß der Meßvorgang nur durch die Meßgröße einerseits und das Normal andererseits beeinflußt wird. Störeinflüsse irgendwelcher Art sind in dieser Betrachtung zunächst vernachlässigt. Das Blockschaltbild nach Bild 1.3-1 besitzt die Struktur eines Übertragungssystems mit einseitig gerichtetem Signalfluß. Die Information über die einem Prozeß angehörende Meßgröße wird durch die Meßeinrichtung auf die Anzeige übertragen. Ausgehend von Bild 1.3-1 und in Anlehnung an die DIN-Normen [4], seien folgende Begriffe definiert: 6
1.3 Idealisiertes Blockschema; allgemeine Begriffe
Prozeß
x, Meßgröße (Eingang)
Ζ
Meßeinrichtung
Justier-bzw. Eichprozeß
Eichgröße (Normal-Größe)
Τ
x a , angezeigte Größe (Ausgang) j
Meßsystem
Bild 1.3.1: Idealisiertes Blockschema des Meßsystems
Messen, Meßvorgang: Messen im engeren Sinne heißt, eine zu messende Größe als Vielfaches einer allgemein anerkannten Einheitsgröße derselben physikalischen Dimension zu ermitteln durch experimentellen Vergleich mit einer Maßverkörperung dieser Einheit. Messen in erweitertem Sinne heißt, auf experimentellem Weg quantitative Angaben über eine bestimmte, aus einer oder mehreren meßbaren Größen ableitbare Eigenschaft eines Meßobjektes zu ermitteln. Diese Eigenschaft kann eine Größe (ζ. B. eine Kraft oder ein Wirkungsgrad) oder eine Zuordnung (z.B. ein zeitlicher Verlauf) sein. Sie kann auch einen Systemzustand (oft durch mehrere parallel erfaßte Meßgrößen) beschreiben. Zählen: Zählen heißt, die Anzahl von Elementen (z.B. Stückzahl) oder Ereignissen (z.B. Umdrehungszahl) zu ermitteln. Das Zählen stellt einen Sonderfall des Messens dar. Prüfen: Prüfen heißt, experimentell festzustellen, ob eine bestimmte Eigenschaft eines Prüflings vorgegebenen Anforderungen entspricht. Wenn das Prüfen mit Hilfe von Messungen durchgeführt wird, kann es als eine besondere Form des Messens angesehen werden. Meßgröße: Die Meßgröße ist die physikalische Größe, die durch die Messung erfaßt werden soll (ζ. B. Länge, Druck, elektrischer Widerstand etc.). Anzeige: Die Anzeige ist ein Maß für die Maßzahl χ (s. Abschnitt A.l.l). Sie ist bei analogen Meßgeräten aus dem Stand der Meßmarke (Zeiger) auf der Skala durch „Ablesen" zu ermitteln, bei digitalen Geräten direkt als Zahl ablesbar. Anzeigebereich: Der Anzeigebereich einer Meßeinrichtung ist der Bereich der Meßwerte, die am Anzeigeinstrument abgelesen werden können (Skalenbereich). Meßbereich: Der Meßbereich ist der Teil des Anzeigebereiches, für den der Fehler innerhalb der garantierten oder vorgeschriebenen Fehlergrenzen (siehe A.2.5.5) bleibt. Unterdriickungsbereich: Der Unterdrückungsbereich ist derjenige Bereich von Meßwerten, oberhalb dessen die Anzeige der Meßeinrichtung beginnt. Meßwert: Der Meßwert ist der gemessene spezifische Wert einer Meßgröße. Er wird bei anzeigenden Meßgeräten durch Ablesen der Anzeige ermittelt und als Produkt aus Maßzahl (Zahlenwert) und Einheit der Meßgröße angegeben (ζ. B. 3 m). Er kann auch in Form eines übertragbaren Meßsignals ausgegeben und der weiteren automatischen Verarbeitung (Speicherung, Meßwertverarbeitung, Regelung etc.) zugeleitet werden. Meßergebnis: Das Meßergebnis wird im allgemeinen aus mehreren Meßwerten mit Hilfe einer 7
A.l Grundlegende Begriffe und Definitionen
vorgegebenen Beziehung erhalten. Im einfachsten Fall ist ein einzelner Meßwert bereits das Meßergebnis. Meßobjekt: Das Meßobjekt ist derjenige Teil eines physischen Systems, der Träger der Meßgröße ist. MeBeinrichtung: Die Meßeinrichtung ist die Gesamtheit der zum Zweck der Messung benutzten Gerätebausteine. Darin sind Fühler zur Erfassung der Meßgröße, Verstärker, Rechengeräte und die Ausgabegeräte zur Darstellung der angezeigten Größe sowie eventuell weitere Bausteine miteingeschlossen. Meßsystem: Das Meßsystem umfaßt neben der Meßeinrichtung auch diejenigen Bereiche des das Meßobjekt enthaltenden physischen Systems, welche den Meßvorgang, insbesondere die Meßwerterfassung, beeinflussen. MeBgerät: Das Meßgerät ist eine Baueinheit, welche Teil oder Ganzes der Meßeinrichtung sein kann. Meßprinzip: Unter dem Meßprinzip versteht man das charakteristische physikalische Phänomen, das bei der Messung benutzt wird (ζ. B. Meßgröße: Temperatur; Meßprinzip: Längenausdehnung, thermoelektrischer Effekt etc.). Meßverfahren: Unter dem Meßverfahren ist die Art der Anwendung bzw. Realisierung des Meßprinzips zu verstehen, darüberhinaus auch die Funktionsweise der Meßeinrichtung. Empfindlichkeit: Die Empfindlichkeit ist der Zeigerweg auf der Skala (in mm) pro Einheit der Meßgröße. Bei Lichtzeigergeräten ist die Zeigerlänge mit 1 m definiert. Bei digital anzeigenden Geräten ist die Empfindlichkeit gleich der Anzahl Ziffernschritte pro Einheit der Meßgröße. Bei nichtlinear anzeigenden Meßgeräten ist die Empfindlichkeit eine Funktion des Meßwertes bzw. der Anzeige.
1.4 Meßverfahren Die Meßverfahren lassen sich nach den verschiedensten Gesichtspunkten klassieren und beurteilen. Nachfolgend werden die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale besprochen.
1.4.1 Direkte und indirekte Meßverfahren In engerem Sinne sind direkte Meßverfahren dadurch gekennzeichnet, daß der gesuchte Meßwert einer Meßgröße durch unmittelbaren Vergleich mit einem Normal derselben Meßgröße gewonnen wird. Als Beispiele hierzu können etwa genannt werden: - die Messung eines Gewichtes durch Vergleich mit geeichten Gewichten (Gewichtsnormal) - die Längenmessung durch Vergleich mit einem Metermaß. In einem erweiterten Sinn werden aber alle direktanzeigenden Meßeinrichtungen unter die direkten Meßverfahren eingeordnet. Da der aus der Anzeige abgelesene Wert hier direkt dem Meßwert entspricht, muß die Skala in Einheiten der Meßgröße graduiert sein. Dabei entspricht das im Meßgerät verwendete Normal meist nicht direkt der Meßgröße. Der Vergleich wird dann über die Skalierung herbeigeführt. Die Anzeige eines Thermometers „vergleicht" die zu messende Temperatur mit der beim Kalibrieren angezeigten Temperatur. Bei der Messung einer Spannung mit einem Drehspulinstru8
1.4 Meßverfahren
ment wird innerhalb des Gerätes ein Momentenvergleich durchgeführt; das Normal wird also durch das Moment der Spiralfeder dargestellt, durch das Kalibrieren wird aber der Vergleich mit einem Spannungsnormal realisiert. Indirekte Meßverfahren sind dadurch gekennzeichnet, daß der gesuchte Meßwert auf andersartige physikalische Größen zurückgeführt und aus diesen unter Verwendung bekannter physikalischer Zusammenhänge ermittelt wird. Ein bekanntes Beispiel eines indirekten Meßverfahrens ist die Druckmessung mit einem Gewichts-Kolbenmanometer. Der Druck ( = gesuchtes Meßergebnis) wird dabei aus der bei der Messung ermittelten Masse der aufgelegten Gewichte ( = Meßwert) unter Berücksichtigung von Gravitätskonstante und Kolbenfläche berechnet. Bei den indirekten Meßmethoden muß also zwischen den Meßwerten und den Meßergebnissen unterschieden werden.
1.4.2 Analoge und digitale Verfahren Nach dem im Abschnitt Α. 1.1 Ausgeführten ist der Meßwert das Produkt einer Maßzahl χ und der Dimension des zugehörigen Normals. Im Verlauf des Meßvorgangs wird die Information über diese Maßzahl durch Signale übertragen. Die analogen Meßverfahren enthalten diese Information in der direkten Zuordnung der Maßzahl der Meßgröße zur Maßzahl der physikalischen Größe des Signals. So entspricht etwa beim Quecksilberthermometer jeder Fadenlänge eine bestimmte Temperatur. Es wird also nicht die Maßzahl selbst, sondern eine analoge Größe verarbeitet. Die digitalen Verfahren sind dagegen dadurch gekennzeichnet, daß sie die Maßzahl selber, genauer gesagt die Ziffern der Maßzahl verarbeiten, mindestens aber ausgeben. Die Signalverarbeitung erfolgt dann auf der Grundlage des Zählens, wie dies von den Ziffernrechenmaschinen her bekannt ist. Dieser prinzipielle Unterschied der Verfahren äußert sich in entsprechenden Vor- und Nachteilen der Signalverarbeitung und der Meßwertausgabe. In Bild 1.4-1 sind je zwei Beispiele analoger und digitaler Meßwertausgaben dargestellt. Bezüglich der Ausgabegenauigkeit besteht zunächst der Unterschied darin, daß bei der Ziffernanzeige diese Genauigkeit durch den Quantisierungsfehler definiert ist; die Ablesung erfolgt praktisch fehlerfrei. Anderseits erfolgt das Ablesen einer analogen Anzeige über eine Ana-
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A.l Grundlegende Begriffe und Definitionen
log-Digital-Umwandlung durch den Operator, wobei deren Genauigkeit nicht definiert ist und u. a. von der Interpolationsfähigkeit des Ablesenden abhängt. Ein Vorteil der analogen Meßwertausgabe liegt in der besseren Übersichtlichkeit. Zeigerinstrumente etwa einer Schaltwarte sind wesentlich einfacher zu überwachen als eine entsprechzende Anzahl Ziffernanzeigen. Auch der analoge Meßschrieb vermittelt optisch wesentlich mehr Information als etwa eine Zahlenreihe eines Zifferndruckers. Diese Tatsache wird dadurch unterstrichen, daß zur Interpretation von Zahlenreihen häufig auf die graphische Darstellung zurückgegriffen wird, was einer Rekonstruktion der analogen Darstellung aus der digitalisierten Information gleichkommt. Die digitale Meßwertverarbeitung beruht auf der Verarbeitung von Zahlen. Dabei lassen sich im allgemeinen wesentlich größere Genauigkeiten als in der Analogtechnik verwirklichen. Zudem sind, im Gegensatz zur analogen Signalverarbeitung, der Komplexität des Verarbeitungsalgorithmus praktisch kaum Grenzen gesetzt. Digitale Verfahren, auf der Grundlage des Zählens basierend, sind aber durch eine sequentielle Verarbeitungstechnik gekennzeichnet. Die Zykluszeit der Verarbeitung nimmt daher mit steigender Genauigkeit stark zu. Analoge Verfahren arbeiten dagegen kontinuierlich bzw. simultan, was grundsätzlich zu besseren dynamischen Eigenschaften für die Messung zeitlich veränderlicher Größen führt und die geringere erzielbare Rechengenauigkeit unter Umständen wettmacht. Bei der Meßwertübertragung weisen die digitalen Methoden einen ganz spezifischen Vorteil auf. Wie schon bei der Meßwertausgabe erwähnt, ist die Genauigkeit der digitalen Anzeige durch die Zifferndarstellung genau definiert. Diese Genauigkeit läßt sich bei der Fernübertragung von Meßdaten wesentlich leichter aufrechterhalten als etwa die Genauigkeit analog dargestellter Größen. Die Güte etwa der Übertragung elektrischer Analogsignale hängt stark von den Driftund Rauscheigenschaften der elektronischen Komponenten und von den auf die Übertragungsleitung eingestreuten Induktionsstörungen ab. Das Auszählen einer Impulsfolge oder das Unterscheiden zweier Signalzustände Ein-Aus ist dagegen auch bei relativ hohem Rauschpegel noch möglich. Aus dem Bereich der Telefonie ist das Problem der Verständlichkeit eines Gespräches bei Rauschstörungen bekannt. Dagegen lassen sich Morsezeichen auch bei sehr starken Störungen noch klar erkennen. Bei der Datenübertragung zeigt sich andererseits erneut, daß durch die sequentielle Arbeitsweise, etwa beim Morsen, die Übertragungsgeschwindigket gegenüber der analogen (simultanen) Übertragung verkleinert wird.
1.4.3 Zeitlich kontinuierliche und diskontinuierliche Verfahren Bei den kontinuierlichen Verfahren arbeiten alle Elemente der Meßeinrichtung zeitlich kontinuierlich. Diskontinuierliche Systeme enthalten dagegen mindestens ein zeitlich diskret arbeitendes Element. Es ist offensichtlich, daß bei diskontinuierlichen Verfahren, bei welchen man auch von getasteten Systemen spricht, Information bezüglich der Meßgröße verloren geht. Wie sich dieser Informationsverlust beurteilen läßt, wird im Kapitel A.4.1 bzw. A.4.2.7 behandelt. Wird etwa aus einer graphischen Darstellung einer Zeitfunktion eine Tabelle der Abszissen- und Ordinatenwerte hergestellt, so gehen die dazwischen liegenden Wertzuordnungen verloren. Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß die Analog-/Digital-Umwandlung immer zu abgetasteten Systemen führt und grundsätzlich mit einem Informationsverlust verbunden ist. Dies gilt es insbesondere auch zu beachten, wenn Meßwerte durch Stützstellenauswertung numerisch weiterverarbeitet werden. Oft werden aber diskontinuierliche Verfahren auch ohne Analog-/Digitalumwandlung eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Punktschreiber, dessen eigentliches Meßwerk zwar kontinuierlich arbeitet, der aber durch den zyklischen Druckvorgang zeitlich diskretisierte Meßgrößenverläufe liefert. Wird überdies mit einem Meßstellenumschalter das gleiche Meßwerk zur Erfassung mehrerer 10
1.4 Meßverfahren
Kanäle benutzt, ist der Dynamik des Meßwerkes in Relation zum Meßsignal größte Beachtung zu schenken (siehe Kapitel A.4.2 und A.4.5).
1.4.4 Ausschlags- und Kompensationsverfahren Beim Ausschlagverfahren wird der durch die Meßgröße bewirkte Zeigerausschlag mit den bei der Graduierung ermittelten, auf einer Skala festgehaltenen Ausschlägen verglichen (vgl. Bild 1.4-2). Der Vergleich mit dem Normal erfolgt also nicht direkt, sondern mittelbar über das Graduieren, wobei die „Eichinformation" in Form der Skala gespeichert wird. Die Blockstruktur dieses Meßverfahrens ist durch eine gerichtete Wirkkette gekennzeichnet (vgl. Bild 1.4-3). Diese Struktur ist im allgemeinen problemlos bezüglich der Stabilität; die Kette ist stabil, falls alle ihre Elemente stabil sind. Das Ausschlagverfahren ist aber grundsätzlich mit einigen Unzulänglichkeiten behaftet. Eine erste betrifft die Güte der Vergleichsoperation. Der Ausschlag wird sehr oft durch Abgleich der Meßkraft mit einer Feder erzeugt. Nebst der Schwierigkeit, Federn für größere Ausschläge genau und linear herzustellen, werden dabei mit steigendem Ausschlag auch größere Kräfte im Vergleichsorgan wirksam. Die entsprechenden Lager etc. sind daher für den Maximalausschlag zu dimensionieren. Dadurch leidet normalerweise die Empfindlichkeit des Vergleichs, was namentlich im Teillastbereich zu Fehlern in der Ausschlaganzeige und zu unerwünschten Nichtlinearitäten führt. - Der zweite Nachteil betrifft die möglicherweise auftretende Rückwirkung des Meßvorganges auf den Prozeß bzw. auf die Meßgröße. Die Energie bzw. die Leistung, die für das Ausschlagverfahren aufgebracht werden muß, wird sehr oft dem Prozeß entzogen, was zu Rückwirkungen auf die Meßgröße führt. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Messung einer nichtidealen Spannungsquelle mit einem Ausschlagverfahren. - Vor allem aber ist bei der Anwendung des Ausschlagverfahrens zu beachten, daß die in Form der Skala gespeicherte Eichinformation beim Gebrauch des Instruments (durch Änderung der Federkennlinie, bleibende Deformation von Geräteteilen u. ä.) verfälscht werden kann. Ohne Nachkalibrierung sind daher mit dem Ausschlagverfahren erhaltene Meßergebnisse zweifelhaft.
/ / / / / / / /
Bild 1.4-2: Beispiele von Ausschlagsmeßverfahren
Messung
χ
Erfassung - ' (X
N
)-
1>ηίοιτηιιης —
Ausschlag Erzeugung
Skala
(Graduierung) Vergleichs- Vorrichtung
xa Bild 1.4-3: Beispiel der Blockstruktur des Ausschlagsmeßverfahrens
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A.l Grundlegende Begriffe und Definitionen
X x=o Bild 1.4-4: Beispiele von Kompensationsmeßverfahren
fl Ρ
! X
Fühler
Umformer
»O-» Nuinstnxnent
\ veründ. Normal
( \
Ausgabe
/ \
/
integrierender Regler
Bild 1.4-5: Beispiel einer Blockstruktur des Kompensationsmeßverfahrens
Das Kompensationsverfahren oder Abgleichverfahren ist auch unter der Bezeichnung Nullmethode bekannt. Beispiele dazu sind in Bild 1.4-4 wiedergegeben. Am besten lassen sich seine spezifischen Merkmale an Hand des Blockschaltbildes aufzeigen (Bild 1.4-5). Der Darstellung in Bild 1.4-5 ist zu entnehmen, daß die Meßgröße bei der Subtraktionsstelle kompensiert wird. Die Differenzgröße wird unabhängig vom Arbeitsbereich klein gehalten. Das Nullinstrument kann daher für den Nullbereich konzipiert werden, wodurch eine hohe Empfindlichkeit erzielt werden kann und eventuelle Nichtlinearitäten bei größeren Ausschlägen an Bedeutung verlieren. Das Nullinstrument ist im ideal abgeglichenen Zustand leistungslos, wodurch Rückwirkungen auf den vorangehenden Prozeß vermieden werden können. Bei der Nullmethode wird die erzeugte Normal- bzw. Ersatznormal-Größe xN einerseits zur Kompensation, andererseits zur Meßwertanzeige benutzt. Es sind daher veränderliche Normale hoher Güte erforderlich. Namentlich im Zusammenhang mit Waagen wird auch das dem Kompensationsverfahren verwandte Substitutionsverfahren angewandt [3], Dabei wird die zu messende Größe durch veränderliche Normale so weit ergänzt, bis ein vorgegebenes Normal konstanter Größe kompensiert wird. Bezüglich des auf die Differenz reagierenden Nullinstruments gelten die gleichen Aussagen wie beim Kompensationsverfahren. Die Grundbelastung der Subtraktionsstelle, etwa der Balkenarme und Lager im Falle von Balkenwaagen, wird dadurch aber konstant gehalten, wodurch systematische Fehler vom Meßwert unabhängig werden. Im Gegensatz zur Ausschlagsmethode (Bild 1.4-3) tritt bei den zuletzt genannten Verfahren ein Wirkkreis (Regelkreis) auf, wie die in Bild 1.4-5 dargestellte Struktur zeigt. Damit ist die Stabilität nicht mehr durch das Stabilsein der einzelnen Komponenten gesichert. Der Abgleichvorgang benötigt vereinfacht ausgedrückt Zeit und kann, ohne die Stabilität zu gefährden, nicht beliebig beschleunigt werden.
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1.4 Meßverfahren
Schrifttum: [1] PTB-Mitteilungen 1969, Heft 2, S. 123-125 [2] Profos, P.: Meßfehler. Verlag Teubner, Stuttgart, 1984 [3] DIN 1319 Teil 1, 1985: Grundbegriffe der Meßtechnik. Messen, Zählen, Prüfen [4] DIN 1319 Teil 2, 1980: Grundbegriffe der Meßtechnik. Begriffe für die Anwendung von Meßgeräten [5] DIN 1319 Teil 3, 1983: Grundbegriffe der Meßtechnik. Begriffe für die Fehler beim Messen [6] ISO 31/0-1974-04-01: General principles concerning quantities, units and symbols [7] DIN 1301 Teil 1, 1985: Einheiten, Einheitennamen, Einheitenzeichen
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A.2 Meßfehler und Fehlerursachen
2. Meßfehler und Fehlerursachen Dr. P. Hemmi, Prof. Dr. P. Profos
2.1 Repräsentativität, Repräsentativitätsfehler In Abschnitt A.l.l wurden für den Meßvorgang zwei Fundamentalvoraussetzungen genannt. Danach müssen die zu messende Eigenschaft des Meßobjektes sowie ein dazugehöriges Normal definiert sein. Für die allgemeine Anwendung der Meßtechnik zur Erfassung von Vorgängen oder Zuständen muß indes noch eine weitere Bedingung erfüllt werden, die Repräsentativität der Messung. Diese ist dann gewährleistet, wenn aus den Meßwerten mit Hilfe eines quantitativen, gesetzmäßigen Zusammenhangs (sog. Aufgabengesetz) auf die durch die Messung zu ermittelnde Eigenschaft des Meßobjektes (Ergebnisgröße) geschlossen werden kann und darf. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, d. h. ist das benutzte Aufgabengesetz unkorrekt oder sind die Voraussetzungen für die Anwendung eines an sich korrekten Aufgabengesetzes nicht gegeben, so entsteht ein sog. Repräsentativitätsfehler [1], In der Praxis entstehen Repräsentativitätsfehler oft, weil wegen mangelnder Kenntnis der maßgebenden Vorgänge im Meßobjekt kein zutreffendes Aufgabengesetz verfügbar ist und man statt dessen mit mehr oder weniger groben Näherungsbeziehungen arbeiten muß. Ein alltägliches Beispiel dafür bietet die Messung der Raumtemperatur, welche ein Maß für das in einem Räume vorliegende Temperaturfeld sein soll. In Ermangelung eines physikalisch und physiologisch begründeten Aufgabengesetzes wird dabei in den allermeisten Fällen die an einem mehr oder weniger willkürlich gewählten Meßort ermittelte lokale Temperatur zur „Raumtemperatur" erklärt. - Ähnliche Verhältnisse trifft man fast immer bei Meßaufgaben, bei welchen mit Hilfe einer kleinen Zahl von Meßfühlern (oft mit einem einzigen) örtliche Mittelwerte von Feldgrößen (Geschwindigkeit, Temperatur, Konzentration, Feldstärke etc.) ermittelt werden sollen. Es ist charakteristisch, daß hierbei der Wahl des Meßorts große Bedeutung zukommt [1]. Andererseits entstehen Repräsentativitätsfehler häufig deshalb, weil ein unter normalen Bedingungen zwar wohl zutreffendes Aufgabengesetz auch dann noch angewendet wird, wenn anormale Meßbedingungen dies eigentlich nicht mehr erlauben. Ein typisches Beispiel hierzu ist die fehlerhafte Messung von Effektivwerten von Wechselstrom bzw. Wechselspannung mit Hilfe von Gleichrichter-Instrumenten im Falle nichtsinusförmigen Verlaufs der Meßgröße (s. dazu C.l.5.2).*) Ein anderes gängiges Beispiel hierzu stellt die Durchflußmessung mit Düsen oder Blenden außerhalb des sog. Toleranzbereichs des Drosselorgans dar (s. dazu Abschnitt C.6.2.2). In diesem Zusammenhang sind auch Repräsentativitätsfehler zu nennen, die bei Messungen mit Probennahme auftreten können. Voraussetzung für die Anwendung des jeweiligen Aufgabengesetzes ist hierbei, daß bei der Probennahme gewisse statistische Bedingungen eingehalten werden (s. Abschnitt C.10.1). Es ist typisch, daß Repräsentativitätsfehler auch beim Einsatz an sich einwandfreier Meßgeräte auftreten können und daß sie in der Praxis meist nur schwer und nur mit erheblichem Aufwand nachweisbar sind. Das ist besonders deshalb unangenehm, weil Repräsentativitätsfehler nicht selten von beträchtlicher Größe sind und die übrigen Meßfehler um ein mehrfaches übersteigen können.
2.2 Allgemeines Blockschema des fehlerbehafteten Meßsystems Grundsätzlich ist jede Messung mit Fehlern behaftet. Ohne zunächst auf die Natur der auftretenden Fehler einzugehen, sollen vorerst die sie verursachenden Störeinflüsse nach ihrem Auftreten bzw. nach ihrer spezifischen Auswirkung auf das Meßsystem klassiert werden. Zur *) Hinweise auf Buchteil C beziehen sich auf das „Handbuch der industriellen Meßtechnik", das ebenfalls im Oldenbourg Verlag erschienen ist.
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2.2 Allgemeines Blockschema des fehlerbehafteten Meßsystems
übersichtlicheren Darstellung kann wiederum wie in Abschnitt A.1.3 die Blockschaltbild-Darstellung zu Hilfe gezogen werden [1]. Bild 2.2-1 zeigt das allgemeine Blockschaltbild des fehlerbehafteten Meßsystems. Von dieser Darstellung ausgehend, werden im folgenden die einzelnen Begriffe erläutert. äußere Störeinflüsse dem Meßsignal superponiert
das Übertragungsverhalten deformierend Meßeinrichtung
CS ω •x ΰ
Meßgröße
φ ο
Ausgabe
Übertragungsverhalten
.J
CS CD
• Rückwirkung vom Empfänger
Rückwirkung innere Störeinflüsse (unbeabsichtigte Nichtlinearitäten, Reibung, Spiel etc.)
Bild 2.2-1: Blockschema des fehlerbehafteten Meßsystems
Es sei bereits an dieser Stelle daraufhingewiesen, daß sich entsprechend der folgenden Klassierung bei den in Abschnitt A.3.5 zu behandelnden automatischen Fehlerkorrekturen verschiedene Verfahren und Möglichkeiten anbieten.
2.2.1 Fehler, Korrektion Unter dem Meßfehler E*) versteht man allgemein die Differenz: Meßwert (bei anzeigenden Meßgeräten = Anzeige) xa minus richtiger (wahrer) Wert x: Ε = x„ - χ Der richtige Wert ist derjenige Meßwert, der bei repräsentativer Meßgröße durch ein fehlerfreies Meßgerät angezeigt würde. Praktisch wird dieser Wert durch den Vergleich mit einem Normal oder durch ein Eichinstrument höherer Genauigkeit ermittelt (siehe dazu Abschnitt A.3.2: Fehlererfassung). Unter der Korrektion, die auch Berichtigung genannt wird, versteht man den zahlenmäßig gleichen Wert wie beim Fehler, jedoch mit umgekehrtem Vorzeichen: Β = χ - xa Der richtige Meßwert ergibt sich damit aus der Summe des angezeigten Meßwertes und der Korrektion. Der so definierte Fehler ist das Ergebnis verschiedenster Störeinflüsse**), die im folgenden dargestellt werden. *) In der neuen Ausgabe der DIN-Norm 1319 [2] wird, im Gegensatz zu früheren Ausgaben, das Wort „Fehler" teilweise durch „Abweichung" ersetzt. Diese Regelung wird hier nicht übernommen, da sie mit verschiedenen Nachteilen verbunden ist. Zunächst werden statt einer nun zwei Bezeichnungen (Abweichung und Fehler) benutzt, deren begriffliche Unterscheidung recht künstlich wirkt und für die Praxis kaum tauglich ist. Vor allem aber ist die Bezeichnung „Fehler" schon lange (seit Gauss) und in allen Bereichen der Meßtechnik eingebürgert und hat ihre Entsprechung zudem in der internationalen Sprachregelung [3]. **) Neben der Bezeichnung „Störeinfluß" ist auch die kürzere Form „Einfluß" im Gebrauch [2], wird aber hier nicht verwendet, weil sie den Begriffsinhalt nur ungenügend charakterisiert.
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Α. 2 Meßfehler und Fehlerursachen
2.2.2 Rückwirkung des Meßvorganges auf die Meßgröße: Bürde Einen ersten Störeinfluß des Meßvorganges stellt die Rückwirkung der Meßeinrichtung auf den Prozeß dar. Der zur Erfassung des Meßwertes dienende Fühler beeinflußt in mehr oder weniger starker Weise den Prozeß bzw. die zu messende Größe. Wird die Temperatur einer sich in einem adiabatisch isolierten Gefäß befindenden Flüssigkeit mit einem Thermometer gemessen, so stellt sich nach dem Einbringen des Fühlers zwischen Flüssigkeit und Thermometer eine neue Gleichgewichtstemperatur ein. Das Thermometer zeigt somit die durch die Rückwirkung des Meßvorganges verfälschte Temperatur an. Die Messung einer nichtidealen Spannungsquelle mit einem Drehspulinstrument ist dadurch gekennzeichnet, daß der zur Meßanzeige benötigte elektrische Strom am inneren Widerstand der Spannungsquelle einen Spannungsabfall bewirkt. Die entstehende Fehlanzeige bei gegebener Belastung durch das Meßgerät ist somit von der Größe des äußeren Widerstandes, der Bürde, abhängig. Das Problem der Rückwirkung des Fühlers auf den Prozeß tritt auch ζ. B. bei Sondenmessungen in Strömungsfeldern besonders deutlich zutage, da dort das zu messende Strömungsfeld gestört wird.
2.2.3 Superponierende äußere Störeinflüsse Bild 2.2-1 zeigt, daß neben der Meßgröße noch weitere Größen auf die Meßeinrichtung einwirken. Diese an sich unerwünschten Störgrößen bewirken Meßfehler. Sehr häufig auftretende Störeinflüsse sind die superponierenden äußeren Störungen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß ihre Wirkung dem Meßsignal bzw. der Anzeige überlagert wird. Dies bedeutet insbesondere, daß der dadurch verursachte Fehler unabhängig von der Größe des zu ermittelnden Meßwertes ist. Eine dem Meßsignal überlagerte, durch äußere Wechselfelder induzierte Störspannung entspricht einer solchen superponierten äußeren Störung. Weitere Beispiele sind etwa die durch Temperaturänderungen hervorgerufene Längenänderungen eines Prüflings, durch Druckschwankungen bedingte Volumenänderungen eines Gases, durch Schwankungen des Wasserdampfgehaltes bedingte Konzentrationsänderungen des Schadstoffgehaltes von Abgasen usw. Wie sich in Abschnitt A.3.5 zeigen wird, sind den superponierenden Störeinflüssen ganz spezifische Fehlerkorrekturmöglichkeiten zuzuordnen.
2.2.4 Deformierende äußere Störeinflüsse In Bild 2.2-1 ist innerhalb der Meßeinrichtung ein Bezirk eingetragen, der das Übertragungsverhalten der Meßeinrichtung symbolisiert. Unter dem Übertragungsverhalten verstehen wir ganz allgemein, unabhängig davon, ob die zu ermittelnde Größe zeitlich variabel oder konstant ist, die Beziehung zwischen Ein- und Ausgangsgröße der Meßeinrichtung. Eine Störgröße, ζ. B. den statischen Druck, die Umgebungstemperatur, das Gravitationsfeld oder dergleichen, nennen wir deformierend, wenn sie das Übertragungsverhalten der Meßeinrichtung beeinflußt bzw. ändert. Charakteristisch für diese Art der Störung ist die Tatsache, daß der absolute Meßfehler von dem zu ermittelnden Meßwert abhängig ist. Je nach Art der durch die Störgröße bewirkten Änderung des Zuordnungsgesetzes von Ein- und Ausgangsgröße ist der Fehler von der Größe und/oder vom zeitlichen Verlauf des zu ermittelnden Meßwertes abhängig. Als Beispiel einer deformierenden äußeren Störung kann etwa die einseitige Erwärmung des Balkens einer Hebelwaage durch Sonneneinstrahlung genannt werden. Durch die Wärmedehnung des einen Hebelarmes wird das Hebelverhältnis verändert. Der Betrag der Fehlmessung ist damit abhängig vom Betrag des zu ermittelnden Gewichtes. Wird die Temperatur eines strömenden Gases mit einem Eintauchthermometer ermittelt, so ist die Strömungsgeschwindigkeit eine deformierende äußere Störung. Diese beeinflußt einerseits den Wärmeübergang zwischen Gas und Thermofühler und ist demzufolge mitbestimmend für die 16
2.3 Fehler im Zusammenhang mit dem Meßvorgang
Trägheit des Meßgerätes, d.h. des dynamischen Meßfehlers (s. dazu Kap. A.4). Anderseits entstehen durch den Staueffekt Temperaturänderungen in der Stauzone am Fühler und dadurch geschwindigkeitsabhängige statische Meßfehler (s. dazu Kap. A.3).
2.2.5 Innere Störeinflüsse Als innere Störungen bezeichnen wir solche, die zunächst unabhängig von äußeren Einflüssen auf Grund geräte-interner Effekte auftreten. Dazu sind etwa das Spiel einer mechanischen Übertragung, die Reibung von Lagern etc. zu zählen. Diese und ähnliche Effekte führen in der Regel zu nicht beabsichtigten Nichtlinearitäten und demzufolge zu Meßfehlern.
2.3 Fehler im Zusammenhang mit dem Meßvorgang 2.3.1 Einfluß der Einsatzbedingungen der Meßeinrichtung Ausgehend von der Klassierung der Meßfehler (vgl. A.2.2), wird die Bedeutung der Einsatzbedingungen einer Meßeinrichtung auf die Meßfehler offensichtlich. Die Rückwirkung einer gegebenen Meßeinrichtung auf das Meßobjekt ist fallweise nur durch die speziellen Einsatzbedingungen definiert. Sehr oft sind daher besondere Einbauvorschriften für Meßfühler zu beachten. Klassische Beispiele hierzu sind die Einbauvorschriften bei Geschwindigkeits- und Druckmessungen in Strömungsfeldern. Die Angabe des maximal zugelassenen Quellwiderstandes bei der Spannungsmessung ist das Beispiel einer Einsatzvorschrift, die den Leistungsentzug aus dem Prozeß und die damit verbundene Rückwirkung begrenzt. Dadurch wird die Angabe von Fehlerschranken ermöglicht. Die durch superponierende und deformierende äußere Störungen verursachten Fehler werden ebenfalls erst durch die speziellen Einsatzbedingungen einer Meßeinrichtung bestimmt. Bei den deformierenden äußeren Störungen ist nebst den Störeinflüssen, wie Temperatur, Druck, Feuchte, elektromagnetische Felder usw., die Meßgröße selbst für die resultierenden Fehler von Bedeutung (vgl. A.2.2.4). Grundsätzlich sind zur Fehlererfassung bzw. zur Beurteilung der Einsatzbedingungen meist eine sehr große Zahl von Störgrößen mitbestimmend. Unter diesen Größen sind aber im allgemeinen solche, die das Meßergebnis in ganz besonderem Maße beeinflussen. Diese Größen werden in den Eich- und Einsatzvorschriften in gewissen Grenzen vorgeschrieben. Die größere Zahl von weniger wirksamen Störgrößen wird zunächst nicht berücksichtigt. Im Idealfall kompensieren sich die vielen kleinen, nicht erfaßten Fehlereinflüsse durch ihre zufallige Kombination. Man spricht dann davon, daß die Messung unter statistischer Kontrolle stehe. In Wirklichkeit wird der resultierende Fehler der nichterfaßten Größen nicht zu Null, wird aber zufallig um den Wert Null schwanken. Dieser resultierende zufällige Fehler ist dann für die Güte der Reproduzierbarkeit verantwortlich.
2.3.2 Systematische und zufallige Fehler Nach dem im vorangehenden Abschnitt Ausgeführten sind die Einsatzbedingungen einer Meßeinrichtung bekannt, wenn nebst dem Prozeß die maßgebenden Störgrößen bekannt sind. Es bleiben aber, wie erwähnt, immer eine Vielzahl von an sich weniger gewichtigen Einflüssen. Der daraus resultierende Fehler ist i. A. zufälliger Art, da er durch die zufallige Kombination vieler Einzeleinflüsse entsteht. Er ist daher zunächst weder seinem Betrage noch seinem Vorzeichen nach bekannt. Ein zufalliges Schwanken des Fehlers kann selbstverständlich auch als Folge der zufalligen (stochastischen) Schwankung einer einzelnen Störgröße entstehen. Letztlich rühren solche stochastischen Schwankungen im allgemeinen aber wieder davon her, daß diese Größe das Ergebnis vieler zufallig kombinierter Einzelprozesse ist. So ist das Ablesen einer analogen 17
Α.2 Meßfehler und Fehlerursachen
Meßwertanzeige immer auch mit zufälligen Fehlern behaftet. Dieser stochastische Einfluß des Abiesens ist seinerseits aber die Folge vieler unkontrollierbarer Nebeneinflüsse. Wird nun eine Messung unter bekannten und gleichbleibenden Einsatzbedingungen öfters wiederholt, so schwanken die Meßwerte um den Erwartungswert, der als Durchschnitt unendlich vieler Messungen resultieren würde. Die Reproduzierbarkeit eines Meßwertes wird durch Art, Betrag und Häufigkeit der Abweichung von diesem Erwartungswert charakterisiert (siehe dazu Abschnitt A.3.2.1: Zufällige Fehler). Die Genauigkeit, mit der der genannte Erwartungswert mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ermittelt werden kann, läßt sich über die statistischen Gesetze formulieren. Diese Genauigkeit des Meßergebnisses ist aber nicht mit dessen Richtigkeit zu verwechseln. Die zwar bekannten und konstantgehaltenen maßgebenden Einflußgrößen können von den bei der Eichung definierten Werten abweichen. Im weiteren ist die Verkörperung der Normale niemals exakt, und schließlich kann auch das effektive Übertragungsgesetz der Meßeinrichtung vom gewünschten abweichen. Diese Fehler lassen sich durch Wiederholen der Messung nicht eliminieren. Sie sind im Gegensatz zu den zufalligen Fehlern systematischer Art. Sie zeichnen sich durch ihre Reproduzierbarkeit aus. Ihr Betrag sowie ihr Vorzeichen bleiben unter gegebenen Einsatzbedingungen unverändert. Die a priori-Unterscheidung von maßgebenden und nebensächlichen Störeinflüssen ist im allgemeinen schwierig vorzunehmen. Durch die Auswertung von Versuchen können aber zusätzlich zu erfassende maßgebende Störgrößen ermittelt werden. Anhand eines einfachen Beispiels soll die Bedeutung einer solchen Analyse gezeigt werden: Ein und derselbe Gewichtsstein wird im Verlaufe eines Tages mehrmals gewogen. Bild 2.3-1 a zeigt als Beispiel die über die Versuchsnummer aufgetragenen Meßwerte. Diese Darstellung läßt vermuten, daß eine „maßgebende" Einflußgröße sich im Verlaufe der Versuchsserie geändert hat. Eine genauere Analyse der Versuchsbedingungen würde ergeben, daß diese Einflußgröße die sich im Verlaufe des Tages ändernde Temperatur war. Durch Wiederholen desselben Versuches in einem klimatisierten Raum ergäbe sich die Bestätigung dieser Aussage (siehe Bild 2.3-1 b).
•
Definitionen der Linearität
Eng mit dem Begriff der Linearität ist die Angabe des Toleranzbandes verbunden. Dabei muß wiederum definiert werden, ob es sich um Angaben im Sinne der Fehlergrenze oder im Sinne der Meßunsicherheit handelt. Geht man von der Annahme eines konstanten, vom Meßwert unabhängigen Fehlers aus, so ergibt sich ein Toleranzband nach Bild 2.3-5 a. Ist der Fehler vom Meßwert abhängig, wird meist ein Toleranzband nach Bild 2 . 5 - 5 b angegeben. Darin ist im oberen Meßbereich der auf den Meßwert bezogene relative Fehler e = E/x konstant. Für den Meßbereich in der Nähe des Nullpunktes müßte damit der Absolutfehler gegen Null gehen. Für diesen Bereich wird daher wiederum ein Toleranzband mit konstantem Absolutfehler Ε definiert.
eranzband
Toleranzbond
Sollanzeige
a)
b)
Bild 2.5-5: a) Toleranzband bei konstantem Absolutfehler über dem Anzeigebereich b) Toleranzband bei konstantem relativem Fehler im oberen und konstantem Absolutfehler im unteren Anzeigebereich
2.5.7 Güteklassen Namentlich bei elektrischen Meßgeräten werden sogenannte Güteklassen definiert. Mit der Güteklasse zum Beispiel 0,2 wird ausgedrückt, daß der maximale Fehler 0,2 % des Skalenendwertes ist. Der Fehler wird dabei im Sinne der Fehlergrenze (siehe Abschnitt A.2.5.5) verstanden.
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2.5 Fehlercharakteristiken von Meßgeräten
Als Beispiel sind in Tabelle 1.2-1 die Güteklassen elektrischer Meßgeräte zusammengestellt. Klasse
Zulässiger Anzeigefehler in + % vom Skalenendwert
Geräteart
0,1 0,2 0,5
0,1 0,2 0,5
Feinmeßgeräte
1 1,5 2,5 5
1 1,5 2,5 5
Betriebsmeßgeräte
Tabelle 2.5-1:
Güteklassen elektrischer Meßgeräte
Schrifttum: [1] Profos, P.: Meßfehler. B.G.Teubner, Stuttgart 1984 [2] DIN 1319, Grundbegriffe der Meßtechnik, Teil 3 (1983) [3] ISO, BIPM, IEC, OIML: International Vocabulary of basic and general terms in metrology, 1984 [4] DIN 1319, Teil 2. 1980: Grundbegriffe der Meßtechnik
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Α. 3 Statische Meßfehler
3. Statische Meßfehler Dr. P. Hemmi, Prof. Dr. P. Profos
Fehler, die im Zusammenhang mit der Erfassung zeitlich konstanter Meßgrößen auftreten, werden statische Meßfehler genannt. Dabei wird vorausgesetzt, daß alle Einschwingvorgänge der Meßeinrichtung abgeklungen sind, die Meßgeräte und die Meßgrößen sich somit in einem Beharrungszustand befinden.
3.1 Fehlerarten Wird eine Messung unter den oben genannten Bedingungen öfters unabhängig wiederholt, so ergibt sich die in Bild 3.1-1 dargestellte Situation. Dabei lassen sich die zwei grundsätzlich verschiedenen Fehlerarten, die sogenannten systematischen und die zufälligen Fehler, unterscheiden. Ausgehend von Bild 3.1-1 wird der systematische Fehler Es als Abweichung des wahren Meßwertes χ vom Erwartungswert μ definiert: Es = μ - x
(3-1)
Der Erwartungswert μ ist dabei der aus unendlich vielen Meßwerten gewonnene Mittelwert η μ = lim Σ
x
ai/n·
Dieser Fehler ist unter gleichen Bedingungen stets von der selben Größe und von gleichem Vorzeichen. Demgegenüber ist die Größe und das Vorzeichen der Abweichung der Einzelmessung vom Erwartungswert nicht vorauszusagen. Dieser zufällige (aleatorische) Fehler wird mit Ea bezeichnet.
χ.
ο
h
5
I ίο
15
Bild 3.1-1: Beispiel der wiederholten Messung des wahren Wertes x, zur Illustration des systematischen Fehlers Es und des zufälligen Fehlers Eai
26
4
t ^ . » Χ,
X,
• 1
Bild 3.2-1: Beispiel eines Histogramms
X
3.2 Fehlererfassung
Er entspricht der Differenz von angezeigtem Meßwert der Einzelmessung und Erwartungswert: E ai =
(3.2)
- μ
Der unterschiedlichen Natur der beiden Fehlerarten entsprechend, sind auch die Beschreibungsmittel der Fehlererfassung und Fehlerfortpflanzung je eigener Art.
3.2 Fehlererfassung 3.2.1 Zufallige Fehler der Einzelmessung Die zunächst völlig regellos erscheinenden Schwankungen der zufälligen Fehler gehorchen im statistischen Sinne dennoch gewissen Gesetzen. Unterteilt man die an sich kontinuierliche Anzeige eines Meßgerätes in Klassen bestimmter Breiten Α χ und wertet die relative Häufigkeit der in den einzelnen Klassen bei wiederholten Messungen auftretenden Anzeigewerte aus, so läßt sich ein Histogramm analog dem in Bild 3.2-1 dargestellten ermitteln. η Αη h =
: Gesamtzahl der Messungen : Anzahl der im Intervall & χ, x; < χ < Xj + 1 auftretenden Anzeigewerte An Ax η
:
relative Häufigkeitsdichte im entsprechenden Intervall
Bei genügend großer Anzahl η wird diese Darstellung repräsentativ, d. h. die relativen Häufigkeitsdichten streben einem Grenzwert zu und werden unabhängig von n. Liegen genügend Meßwertanzeigen vor, so läßt sich das Histogramm dadurch verfeinern, daß die Klassenbreite Ax verkleinert wird. Die Treppenfunktion des Histogramms geht dann beim Grenzübergang Α χ -» 0 und η -» oo in die im allgemeinen stetige Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung h(x) über (vgl. Bild 3.2-2): h(x) = lim —— -
dn lim —
(3.3)
h(x) Δη η—oo Δ χ—0
« Pix,« Χ < Χ2)
χ
Bild 3.2-2: Häufigkeitsdichtefunktion h (χ) als Grenzfall der relativen Häufigkeit und deren Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit
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Α. 3 Statische Meßfehler
Auf Grund der Definition der Verteilungsdichte läßt sich ein direkter Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeitsfunktion herstellen. Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Meßwert χ im Intervall Xj < χ < x 2 auftritt, ist durch die Fläche F gegeben, die in diesem Intervall unter der Häufigkeitsdichtefunktion h(x) liegt (siehe Bild 3.2-2). V An P(x, < χ < x 2 ) = | h(x)dx = lim — ii
η —» m
(3.4)
^
Im besonderen gilt die bekannte Bedingung der Wahrscheinlichkeitsfunktion, wonach beim Auftreten eines Ereignisses dieses mit Sicherheit (P = 1) im betrachteten Wertebereich — oo < χ < + oo liegt. P(— oo < χ < — oo) = J h(x)dx = lim
Δη
1
(3.5)
Im Zusammenhang mit meßtechnischen Auswertungen interessiert oft die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Meßwert kleiner als eine vorgegebene Schranke auftritt. P(x) = P(x < x t ) =
(3-6)
| h(x)dx
Die Wahrscheinlichkeitsfunktion Ρ (χ) variiert für — oo < χ < + oo zwischen 0 und 1 (siehe Bild 3.2-3b). Da die Wahrscheinlichkeitsfunktion P(x) durch Integration aus der Verteilungsdichte h(x) hervorgeht, wird sie oft auch Verteilungsfunktion genannt. In analoger Weise gilt für die Wahrscheinlichkeit, daß ein Meßwert auftritt, der größer ist als x t , die Beziehung P(x>xi)=
(3.7)
J h(x)dx
IX. Pix)
1 r
* 1
o)
28
b)
p h(«) d*=p0
j h x dx = lim S(x) —co
(3.9)
η -» oo Jx->0
Die Summenhäufigkeit an einer bestimmten Stelle läßt sich durch einen einfachen Siebprozeß gewinnen und ist damit im allgemeinen einfacher als die relative Häufigkeit zu bestimmen. Unter den vielen möglichen Verteilungsfunktionen nimmt die Normal- oder Gaußverteilung im Rahmen der Meßtechnik eine besondere Stellung ein. Die Dichtefunktion der Gaußverteilung wird durch Gl. (3.10) definiert: h(x) = _ J _ . e - < x - / - > W . σ]/2π
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