Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen [1 ed.] 9783428440702, 9783428040704


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Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen [1 ed.]
 9783428440702, 9783428040704

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 338

Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen Von

Josef Aicher

Duncker & Humblot · Berlin

JOSEF A I C H E R

Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen

Schriften zum öffentlichen Band 338

Recht

Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen

Von

Prof. Dr. Josef Aicher

DUNCKER

& HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in GermanyI S B N 3 428 04070 8

Meinem Lehrer Herrn Univ. Prof. Dr. Rolf Ostheim und der Salzburger Juristenfakultät gewidmet

Vorwort Eine dem österreichischen Recht gewidmete Untersuchung zum Thema „Eigentumsschutz und Enteignung" bedürfte keiner besonderen Rechtfertigung. Die letzte umfassende Untersuchung zu diesem Fragenkreis hat Lay er i m Jahre 1902 veröffentlicht. I n der vorliegenden Arbeit werden jedoch die Grundfragen der Staatshaftung bei rechtmäßigen Eigentumsbeeinträchtigungen nicht nur für das österreichische Recht allein erörtert. Vielmehr w i r d die deutsche Rechtslage zum Ausgangspunkt genommen. Dort hat i n den letzten 20 Jahren eine nahezu unübersehbare Judikatur und Literatur die entscheidenden Sachfragen des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes formuliert und an deren Beantwortung gearbeitet. I m Vergleich dazu steht die österreichische Eigentumsdiskussion erst am Beginn. Da sich sowohl für den deutschen als auch für den österreichischen Rechtsbereich bei allen Unterschieden i n der verfassungsrechtlichen Ausgangssituation i m Grunde ähnliche Fragen stellen, haben die deutschen Lösungsversuche für den Verfassungsschutz des Eigentums i n Österreich großen Erkenntniswert. Soweit die vorliegende Untersuchung die österreichische Problemsituation m i t den deutschen Erwägungen zum grundgesetzlichen Eigentumsschutz konfrontiert, ist sie rechtsvergleichend. Die Form einer länderweise getrennten Darstellung wurde hierfür nicht gewählt. Unter der gemeinsamen Klammer des jeweiligen Sachproblems w i r d die österreichische und die deutsche Situation i n einer verschränkenden Betrachtungsweise diskutiert. Dadurch werden die gemeinsamen Problembezüge, aber auch die beachtenswerten Divergenzen deutlicher sichtbar, und Überlegungen, die für den einen Rechtsbereich angestellt werden, bieten oft weiterführende Lösungsansätze für das gleiche Sachproblem i m anderen Rechtsbereich. Dabei zeigt es sich, daß nicht nur der deutsche Diskussionsstand für die Präzisierung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes i n Österreich wertvolle Hilfestellung leistet, sondern auch umgekehrt die i m österreichischen einfachgesetzlichen Recht deutlicher ausgeprägten eigentumsrelevanten Wertungsbezüge manche wertvolle Einsicht für die deutsche Eigentumsdiskussion vermitteln. Angesichts des umfangreichen deutschen Schrifttums überrascht es nicht, daß selbst die Grundfragen des grundgesetzlichen Eigentumsschutzes kontroversiell geblieben sind. Umstritten ist vor allem, welche Vermögenswerten Positionen überhaupt dem Eigentumsschutz unter-

8

Vorwort

fallen, nach welchen Kriterien entschädigungspflichtige von entschädigungslos hinzunehmenden hoheitlichen Maßnahmen zu trennen sind und welche Verfassungsgarantien darüber hinaus das Eigentum schützen. Deshalb kann sich die Untersuchung nicht nur auf eine Analyse des deutschen Meinungsstandes beschränken. Vielmehr w i r d versucht, i n manchen Fragen auch für das deutsche Recht neue Lösungswege zu gehen. Somit reiht sich auch diese Untersuchung i n die Vielzahl der Schriften zu einem Thema ein, das wie kaum ein anderes i m M i t t e l punkt des juristischen Interesses der letzten Jahrzehnte stand. Daher bedarf die Untersuchung, soweit sie sich auf das deutsche Recht bezieht, einer besonderen Rechtfertigung. Auch i n dieser Arbeit steht die Frage der Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtiger Enteignung und entschädigungsloser Eigentumsbindung i m Mittelpunkt. U m die jetzt auftretende Befürchtung gleich vorweg zu entkräften: I n dieser Untersuchung w i r d nicht nur zu den zahlreichen bereits bestehenden Enteignungstheorien eine neue hinzugefügt. Die Arbeit unterscheidet sich von den bisherigen schon i n ihrem Ausgangspunkt: Der Verfasser ist Zivilrechtler. Karl August Bettermann (Grundfragen des Preisrechts für Mieten und Pachten) hat i m Jahr 1952 geschrieben: „ A u f dem Boden des Privatrechts w i r d die letzte und entscheidende Schlacht für den sozialen Gedanken geschlagen." Seither sind von den Vertretern der Zivilrechtswissenschaft — sieht man von Reinhardts Privatnützigkeitstheorie ab — für die Eigentumsgarantie jedoch erstaunlich wenige Schlachten geschlagen worden. Fritz Baur (AcP 176, S 97 ff. [98]) sah sich i n seinem Referat vor der Tagung der deutschen Zivilrechtslehrer 1975 für den Bereich des Bodenrechts als Zivilrechtler gar schon vor die Frage gestellt, ob man nicht den Grabenkrieg aufgeben sollte, w e i l die Kapitulation ohnehin bevorsteht. I n der Tat: Angesichts des reichhaltigen öffentlich-rechtlichen Eingriffsinstrumentariums und der Ersetzung des Zuweisungsgehaltes des Privateigentums durch öffentlich-rechtliche „Eigéntumssurrogate", wozu noch die von der publizistischen Lehre immer wiederholte These kommt, daß das Zivilrechtseigentum m i t dem Verfassungseigentum nichts gemein habe, scheint eine öffentlich-rechtliche Betrachtung der Eigentumsgarantie schon längst den Sieg davongetragen zu haben. Baur hat jedoch i n seinem Referat nicht kapituliert. M i t Recht. Solange nämlich Grundfragen des Eigentumsschutzes derart kontroversiell entschieden werden, ist es legitim, auf die Wertungsbezüge des einfachgesetzlichen Zivilrechts zu blicken, nach denen dieses vergleichbare eigentumsrelevante Interessenkonflikte zu lösen sucht. Denn immerhin ist zu bedenken, daß hoheitliche Maßnahmen der hier i n Rede stehenden A r t ein genuin privatrechtliches Institut, das I n d i v i dualeigentum, treffen. Diese Sicht ist i m österreichischen Recht freilich

Vorwort naheliegender als i m deutschen Recht, da das A B G B i n § 365 die Enteignung als Institut des Zivilrechts begreift. Sie ist jedoch — wie nachzuweisen sein w i r d — auch für das deutsche Recht fruchtbar. Die vorliegende Arbeit bemüht sich — stark vergröbert ausgedrückt — u m eine privatrechtliche Theorie der Enteignung. Stark vergröbert deshalb, w e i l dadurch die öffentlich-rechtliche Dimension des Problems keineswegs überspielt werden soll. Worum es geht, ist eine Zusammenschau von zivilrechtlichen und verfassungsrechtlichen Regelungsinhalten. Stellungnahmen zu Rechtsproblemen des Eigentums sind i n besonderem Maße ideologiebefrachtet. Jeder Autor, der sich m i t dem Problem „Freiheit und Eigentum" beschäftigt, hat zu i h m einen eigenen, subjektiven ideologischen Zugang, der auch bei den einzelnen Problemlösungen mitschwingt. Soweit m i r eine subjektive Ideologiebeladenheit bewußt wurde, habe ich mich bemüht, sie auszuklammern. Insofern versteht sich die Arbeit ausschließlich als eine solche zum positiven Recht. Die Schrift stellt den zweiten Teil meiner Salzburger Habilitationsschrift dar. Der erste Teil, als rechtstheoretische Grundlegung gedacht, ist bereits unter dem Titel „Das Eigentum als subjektives Recht" i n den Schriften zur Rechtstheorie (Bd. 38) erschienen. Die vorliegende Schrift mag als dessen rechtsinhaltliche Fortsetzung verstanden werden. U r sprünglich war daran gedacht, dem Konzept der Habilitationsschrift folgend, die Grundfragen der rechtmäßigen und der rechtswidrigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen i n einer Schrift zu behandeln. Aus zeitlichen Gründen ist es m i r jedoch derzeit nicht möglich, zu beiden Problemkreisen gemeinsam eine den neuesten Stand der Diskussion mitberücksichtigende Untersuchung vorzulegen. Das Problem der rechtswidrigen Eigentumsbeeinträchtigungen w i r d daher i n einer späteren Publikation i m Rahmen der Schriften zum öffentlichen Recht unter dem Titel „Grundfragen der Staatshaftung bei rechtswidrigen hoheitlichen Eigentumsbeeinträchtigungen" erörtert. Ausgeklammert wurde i n dieser Arbeit auch die Frage der Entschädigungsbemessung. Hierfür liegen auch für das österreichische Recht bereits einzelne Untersuchungen vor. I n Deutschland hat diesem Thema jüngst Opfermann (Die Enteignungsentschädigung nach dem Grundgesetz [1975]) eine umfassende Monographie gewidmet. Manchen Detailfragen, die sowohl i m öffentlich-rechtlichen als auch i m zivilrechtlichen Bereich aufgetaucht sind, konnte nicht i n extenso nachgegangen werden. Repräsentative Literaturhinweise zu diesen Fragen mögen dem Leser als erste Orientierungshilfe dienen. Die Fassung der Habilitationsschrift wurde i m Jahre 1974 fertiggestellt. Spätere Literatur und Judikatur (bis einschließlich 1977) wurde nicht nur i n den Anmerkungen berücksichtigt, sondern hat mich be-

10

Vorwort

wogen, Teile des Textes neu zu bearbeiten. Soweit wie möglich habe ich mich m i t gegenteiligen Meinungen aus neuerer Zeit entweder i m Text oder i n den Anmerkungen auseinandergesetzt. Überdies habe ich mich bemüht, i m Anmerkungsapparat eine möglichst umfassende Dokumentation des Meinungsstandes vorzunehmen. Die Untersuchung ist während meiner Assistentenzeit am Salzburger Institut für österreichisches und Internationales Handels- und W i r t schaftsrecht entstanden. Meinem Lehrer, Herrn Univ.-Prof. Dr. Rolf Ostheim, schulde ich aufrichtigen Dank. Seine kritische Anteilnahme an meiner Arbeit hat m i r erst manches Problem bewußt gemacht, seiner ständigen Diskussionsbereitschaft verdanke ich manchen weiterführenden Hinweis. I m arbeitsintensiven, aber freundlich-kollegialen K l i m a der Salzburger Juristenfakultät habe ich meine Studien- und Assistentenzeit verbracht. Meinem Lehrer und der Salzburger Juristenfakultät sei daher diese Schrift gewidmet. Frau Edith Wallner hat i n dankenswerter Weise das umfangreiche Manuskript angefertigt. Den wissenschaftlichen Hilfskräften und Studienassistenten des Instituts danke ich für die große Hilfe bei der Literaturbeschaffung. Die Drucklegung der Schrift wäre ohne die großzügige finanzielle Hilfe verschiedener Stellen kaum möglich gewesen. Mein besonderer Dank gilt daher dem A m t der Salzburger Landesregierung, dem Akademischen Senat der Universität Salzburg und der Salzburger Stiftungsund Förderungsgesellschaft, insbesondere aber ihrem Präsidenten, Herrn Univ.-Prof. Dr. Carl Holböck, für die m i r gewährte finanzielle Unterstützung. Herrn Ministerialrat a.D. Senator Prof. Dr. Johannes Broermann schulde ich dafür Dank, daß er die gesamte Untersuchung — trotz ihres Umfanges — i n seine „Schriften zum öffentlichen Recht" aufgenommen hat. Salzburg, i m Juni 1977

Josef Aicher

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einleitung und Problemstellung

Zweiter

17

Teil

Die Beeinträchtigung des Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe I . Die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung und die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

25

25

A . Die Notwendigkeit der Unterscheidung v o n Enteignung u n d Eigentumsbeschränkung u n d der Verfassungsschutz des Eigentums i n A r t . 5 StGG 25 1. Einleitung

25

2. Die normative Konzeption des A r t . 5 StGG

26

3. Enteignung u n d Entschädigung

32

4. Die Eigentumsbeschränkung u n d A r t . 5 StGG

60

5. Der kompetenzrechtliche Enteignungsbegriff

70

B. Die F u n k t i o n der Wesensgehaltsgarantie bei Eigentumsbeschränk u n g u n d Enteignung

74

1. Die Wesensgehaltsgarantie i n der J u d i k a t u r des V e r f G H

74

2. Die J u d i k a t u r des V e r f G H zur „Wesensgehaltssperre" i n A r t . 5 StGG

79

3. Der „Doppelcharakter" der Grundrechte

82

a) Einleitung — Rechtsstellungsgarantie u n d Institutsgarantie 82 b) Die Institutsgarantie i n A r t . 5 StGG 86 c) Die Institutgsgarantie i n A r t . 5 StGG u n d der Gleichheitssatz 97 d) Die Schutzrichtung der Wesensgehaltssperre: Rechtsstellungs- oder Institutsgarantie? 100 e) Die Konkretisierung des Wesensgehaltes der Eigentumsgarantie 124 f) Schlußfolgerungen f ü r die Enteignungsdiskussion 134

12

Inhaltsverzeichnis

Π . Die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung in der bisherigen Lehre und Judikatur 137 A . Der verbal-historisch-formale Enteignungsbegriff des V e r f G H . . 137 1. Die historische Dimension des Enteignungsbegriffes J u d i k a t u r des V e r f G H

in

der 137

2. Die einzelnen Merkmale des Enteignungsbegriffes i n der J u d i k a t u r des V e r f G H 139 a) Enteignung n u r auf G r u n d oder auch u n m i t t e l b a r durch Gesetz? 139 b) Die A r t des Eingriffs

140

c) Die Rechtsübertragung als M e r k m a l der Enteignung?

141

d) Die „Vermögensverschiebung" nung?

142

3. Der Enteignungsbegriff Kritik

des

als M e r k m a l

VerfGH.

der

Enteig-

Zusammenfassende 144

B. Die Abgrenzungsversuche der deutschen Lehre u n d J u d i k a t u r u n d i h r Einfluß auf die österreichische Lehre 147 1. Die ungleiche Belastung, das besondere Opfer als zutreffender Ansatzpunkt f ü r die Abgrenzung der Enteignung v o n der Eigentumsbeschränkung 148 2. Die Einzelaktstheorie

152

a) Charakteristikum u n d dogmengeschichtliche gründe der Einzelaktstheorie

Entstehungs152

b) Die Einzelaktstheorie i n der J u d i k a t u r des RG u n d R S t G H u n d ihre Mängel 155 c) Die Einzelaktstheorie i n der österreichischen Lehre 3. Die Sonderopfertheorie BGH

(modifizierte

Einzelaktstheorie)

163 des 165

a) Die Sonderopfertheorie des B G H u n d der Gleichheitssatz . . 167 b) Eingriffsschwere u n d Folgenschwere als Unterscheidungsm e r k m a l zwischen Enteignung u n d Eigentumsbeschränkung i n der J u d i k a t u r des B G H 174 aa) Wirtschaftliche Betrachtimgsweise, Opfergrenze u n d Fühlbarkeit des Eingriffs bb) „Pflichtigkeit" u n d „Situationsgebundenheit" cc) Die Dauer der Bausperre als Z u m u t b a r k e i t s k r i t e r i u m dd) Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs als Z u m u t b a r keitskriterium ee) Die „Antastung des Wesenskerns" des Eigentumsrechts als K r i t e r i u m der Enteignung

174 179 193 194 197

Inhaltsverzeichnis ff) Anliegerschäden durch Straßenarbeiten u n d Z u m u t barkeit 202 gg) Das private Nachbarrecht als Bestimmungskriterium f ü r die Enteignungsschwere 204 hh) Zusammenfassung

220

4. Die „Schweretheorie" des B V e r w G

221

5. Die „Privatnützigkeitstheorie" Reinhardts

229

6. Zusammenfassung. Leitsätze zu den bisherigen Abgrenzungsversuchen i n Lehre u n d J u d i k a t u r 233 I I I . Die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung an Hand positivrechtlich vorgegebener Kriterien 235 A . Der Lösungsansatz

235

B. Z u r Entwicklungsgeschichte der f ü r die Inhaltsbestimmung des Eigentumsrechts relevanten Normen i m A B G B 243 1. Der Codex Theresianus

243

2. Der E n t w u r f Horten

247

3. Der E n t w u r f M a r t i n i

249

4. V o m U r e n t w u r f bis zum A B G B des Jahres 1811

251

5. Das Verhältnis v o n Eigentumsrecht, Eigentumsbeschränkung u n d Enteignung i n der Entwicklungsgeschichte des A B G B — Zusammenfassimg 256 6. Die Änderung des A B G B durch die 3. Teilnovelle u n d das V e r hältnis v o n Eigentumsrecht, Eigentumsbeschränkung u n d E n t eignung 256 C. Die dem Verhältnis v o n § 364 Abs. 2 A B G B zu § 364 a A B G B zugrunde liegende Wertung als tragfähiges Unterscheidungskriterium zwischen Enteignung u n d Eigentumsbeschränkung 259 1. Z u r näheren Präzisierung des Begriffes der „Ortsüblichkeit" i n §364 Abs. 2 A B G B u n d seine F u n k t i o n als Unterscheidungsm e r k m a l zwischen zulässigem u n d unzulässigem Eingriff i n das Eigentumsrecht 260 a) Einleitung

260

b) Die Ortsüblichkeit des Eingriffs u n d die ortsübliche B e n u t zung des beeinträchtigten Grundstückes als Tatbestandselemente des § 364 Abs. 2 A B G B 262 c) Die Wesentlichkeit des Eingriffs als Tatbestandsmerkmal des §364 Abs. 2 A B G B 269 2. Die „ p r i v a t e Aufopferung" i n § 364 a A B G B u n d der Enteignungstatbestand des § 365 A B G B 270

Inhaltsverzeichnis 3. Die i n §364 Abs. 2 A B G B enthaltene Wertentscheidung u n d deren Anwendbarkeit auf die Unterscheidung von inhaltsbestimmender Eigentumsbeschränkung u n d Enteignung — Z u sammenfassung 273 4. Der „ a n sich" gegebene Abwehranspruch u n d seine Versagung durch § 364 a u n d § 365 A B G B 274 5. Z u m „öffentlichen Interesse" bei der privaten u n d bei der Enteignung

Aufopferung 279

D. Die Wertungsgrundlagen der §§ 906 B G B u n d 26 GewO ( = 14 BISchG) u n d der Enteignungstatbestand

294

E. Die unterschiedliche Konzeption des Nachbarrechts i n § 364 Abs. 2 A B G B u n d i n §906 B G B — I h r e A u s w i r k u n g auf die Enteignungsproblematik 296 F. Die Wertungsgesichtspunkte des Nachbarrechts u n d ihre Operationalisierung f ü r die Abgrenzung zwischen Enteignung u n d Eigentumsbeschränkung 301 1. Das Tatbestandsmerkmal Nutzung"

des Eingriffs

i n die

„ortsübliche 301

a) Die von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützten Rechtspositionen 302 aa) Der Umfang schutzes

des verfassungsrechtlichen

Eigentums302

bb) Das Eigentum i m objektiven Sinn des § 353 A B G B u n d der Eigentumsschutz i n A r t . 5 StGG 305 cc) Der Eigentumsschutz i n A r t . 5 StGG u n d öffentlichrechtliche Ansprüche 311 aaa) Die J u d i k a t u r des VerfGH. Die Lehre Ermacoras bbb) Der Eigentumsschutz öffentlich-rechtlicher Rechtsstellungen i n der J u d i k a t u r des B G H . Die Lehre Janssens ccc) Der Eigentumsschutz öffentlich-rechtlicher Rechtsstellungen i n der J u d i k a t u r des B V e r f G u n d des BGS ddd) Der eigene Lösungsversuch

311

315

319 323

dd) Der „eingerichtete u n d ausgeübte Gewerbebetrieb" als Schutzobjekt der Eigentumsgarantie 338 aaa) Der Eigentumsschutz i m Grundsätzlichen 338 bbb) Der Schutzumfang des eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetriebs — Das Anliegerrecht 343 b) Beeinträchtigung der „ortsüblichen Nutzung" u n d eigentumsgarantierte Rechtsposition 363 aa) Zwischenergebnis f ü r den Schutzumfang der Rechtsposition „Eigentum" 363

Inhaltsverzeichnis bb) Eigentumsschutz u n d Polizeigefahr

366

cc) Baufreiheit u n d eigentumsgarantierte Rechtsposition . . 367 c) Eigentumsgarantierte kation

Rechtsposition u n d Eingrrffsqualifi386

aa) „Gezielter Eingriff" oder „unmittelbare" Das Problem der „Eingriffsfinalität"

Einwirkung? 386

aaa) D r e i Fälle als Einleitung bbb) Der „gewollte u n d gezielte" Eingriff ccc) Die „ U n m i t t e l b a r k e i t " des Eingriffs

386 390 393

bb) Eingriffsqualifikation u n d Folgeschäden

401

2. Die Wertungsgesichtspunkte des Nachbarrechts als Abgrenzungskriterien zwischen entschädigungslosem u n d entschädigungspflichtigem Eingriff i n Rechtspositionen 418 a) Entschädigungslose Duldungspflicht bei ortsüblichen E i n griffen 418 b) Entschädigungsauslösende Duldungspflicht bei ortsüblichen Eingriffen 427 c) Entschädigungslose Duldungspflicht bei unwesentlichen Beeinträchtigungen 428 d) Entschädigungsauslösende lichen Eingriffen

Duldungspflicht

bei

ortsunüb429

e) Der eigene Vorschlag: Abgrenzung zwischen entschädigungsloser Eigentumsbeschränkung u n d entschädigungspflichtiger Enteignung 430

Dritter Teil Die Erläuterung der Unterscheidungskriterien zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung am Beispiel der Raumplanung (unter besonderer Berücksichtigung der Fragen der Bebauung) 431 I . Die eigentumsrechtliche Relevanz von Landesraumplänen und örtlichen Raumplänen 431 I I . Die Enteignungsproblematik bei Landesraumplänen i m Hinblick auf die Verbauung 439 I I I . Die Enteignungsproblematik bei Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen 442 A . Vorbemerkung

442

B. Flächenwidmungsplan u n d Bausperre

442

C. Flächenwidmungsplan u n d planabhängiger Verwaltungsakt

443

16

Inhaltsverzeichnis D. Die Entschädigungsproblematik J u d i k a t u r u n d Lehre

bei Flächenwidmungsplänen

in 448

1. Die J u d i k a t u r des V e r f G H

448

2. Die Lehre

451

E. Entschädigungspflichtige u n d entschädigungslose Raumordnungsmaßnahmen 459 1. Erstmalige Planerlassung

459

2. Spätere Planänderung

462

F. Überblick über die Entschädigungsregelung i n den einzelnen L a n desraumordnungsgesetzen 465 G. K r i t i k der divergierenden Entschädigungsregelungen I V . Die Enteignungsproblematik bei „befristeten Bausperren Literaturverzeichnis

467 471 478

ERSTER T E I L

Einleitung und Problemstellung Es ist unbestritten, daß das Eigentum ein notwendiges Element jeder auf der Privatautonomie aufbauenden Rechtsordnung darstellt. Eine privatautonome Rechtsgestaltung wäre schlechterdings undenkbar, wenn nicht das Eigentum dem einzelnen einen „privaten, von einem fremden W i l l e n unabhängigen Lebensraum" 1 sichern würde. Diese grundlegende Funktion des Eigentums hat schon Zeiller erkannt, als er den Vertrag überhaupt als Eigentumsfunktion deutete 2 . Denn wenn Privatautonomie die Möglichkeit ist, durch selbstbestimmte Willensakte Rechtsfolgen zu begründen oder zu verhindern 3 , muß die Rechtsordnung dem einzelnen einen vermögensrechtlichen Freiheitsbereich sichern, i n dem er eigenverantwortlich über seine Güter verfügen kann 4 . M i t Recht hat daher das BVerfG darauf hingewiesen, daß die Eigentumsgarantie ein elementares Grundrecht darstellt, das i n einem inneren Zusammenhang m i t der Garantie der persönlichen Freiheit steht und die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit ergänzt. Sie habe die Aufgabe, „dem Träger des Grundrechts durch Zubilligung und Sicherung von Herrschafts-, Nutzungs- und Verfügungsrechten einen Freiheitsraum i m 1 Brunstäd, Das Eigentum u n d seine Ordnimg, FS Binder (1930), S. 122 ff.; W. Weber, Eigentum u n d Enteignung, i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die G r u n d r e c h t e i l 2(1968), S.353; Wolff / Raiser, Sachenrecht 10(1957), S.171; Larenz, Die rechtsphilosophische Problematik des Eigentums i n : Heckel, Eigentum u n d Eigentumsverteilung (1962), S. 26, 32; vgl. zur grundlegenden Bedeutung des Eigentums f ü r eine auf der Privatautonomie aufbauenden Rechtsordnung W. Burckhardt, Methode u n d System des Rechts (1936), S. 157 ff., S. 178 ff.; Oftinger, Über den Zusammenhang v o n Privatrecht u n d Staatsstruktur, SJZ 37 (1940/1941) S. 225 ff. 2 Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I I I / l (1812) S. 6: „Das Vertragsrecht läßt sich aus dem Eigentumsrecht erklären"; so auch K . Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts u n d ihre F u n k t i o n (1929); vgl. dazu auch Mayer-Maly, Studien zum Vertrag I I , V o n solchen Handlungen, die den K o n t r a k t e n i n ihrer W i r k u n g gleichkommen, i n FS W. W i l b u r g (1965), S. 129 £f. (131 F N 12). 3 Bydlinski, Privatautonomie u n d objektive Grundlage des verpflichtenden Rechtsgeschäfts (1967), insb. S. 126 f.; Flume, Das Rechtsgeschäft 2(1975), S. 6 f. 4 Freilich w ü r d e es die Dimension der Vertragsfreiheit verkürzen, w o l l t e man den Vertrag n u r als F u n k t i o n des Eigentums deuten. Die Funktionsfähigkeit des Vertrages als Instrument willentlicher Selbstbestimmung ist jedoch bedingt durch die Gewährleistung vermögensrechtlicher Verfügungsmacht qua Eigentum.

2 Aicher

18

1. Teil: Einleitung und Problemstellung

vermögensrechtlichen Bereich zu gewährleisten und i h m damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen 5 . So gesehen w i r d das Eigentum als Grundpfeiler unserer Rechtsund Gesellschaftsordnung zur Vorbedingung einer freien Persönlichkeitsenf altung. Dementsprechend hat der Gesetzgeber die Position des Eigentümers als besonders schutzwürdig erachtet. Dieser Schutz erschöpft sich nicht nur darin, daß allen übrigen Rechtsgenossen die Pflicht auferlegt ist, das Eigentum des einzelnen zu achten®. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch Verfassungsnorm insofern einen besonderen Schutz des Eigentums statuiert, als er die Beeinträchtigung des Eigentums durch staatliche Eingriffe nur i n besonderen Fällen unter Beachtung bestimmter Kautelen zuläßt. So bestimmt A r t . 5 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 7 : „Das Eigentum ist unverletzlich. Eine Enteignung gegen den Willen des Eigentümers kann nur i n den Fällen und i n der A r t eintreten, welche das Gesetz bestimmt", und § 365 A B G B ergänzt auf einfachgesetzlicher Ebene: „Wenn es das allgemeine Beste erheischt, muß ein Mitglied des Staates gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigentum einer Sache abtreten." Freilich war die Aufnahme des Eigentumsrechtes i n den Grundrechtskatalog des Jahres 1867 dem Zweck des StGG entsprechend 8 i n erster Linie von dem Bestreben getragen, das Eigentumsrecht positivrechtlich gegenüber dem Monarchen abzusichern 9 , u m es dadurch vor w i l l k ü r 5 BVerfGE 14, S. 263 (277); BVerfGE 14, S. 288 (293); BVerfGE 21, S. 73 (86); BVerfGE 24, S. 367 (389); BVerfGE 30, S. 292 (334); BVerfGE 31, S. 229 (239). β Vgl. dazu Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht (1975). 7 Vgl. die feierliche Proklamation der Unverletzlichkeit des Eigentums i n der französischen Déclaration des droits de l'homme et d u citoyen 1798: „ L a propriété étant u n droit invoilable et sacré n u l ne peut en être privé si n'est lorsque la nécessité publique l'exige évidemment et sous la condition d'une juste et préalable indemnité." 8 Vgl. dazu den Bericht des Verfassungsausschusses zum StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (im folgenden kurz StGG 1867), i n : Die neue Gesetzgebung Österreichs I 310: „Die Verfassungen aller constitutionellen Staaten enthalten d a h e r . . . die Feststellungen derjenigen Principien, von welchen die Gesetzgebung u n d V e r w a l t u n g i m Staate gegenüber der Freiheit des einzelnen Staatsbürgers geleitet sein soll. Wie n u n solche Grundsätze der Gesetzgebung u n d V e r w a l t u n g einerseits v o n der staatlichen Zusammengehörigkeit u n d rechtlichen Gleichheit aller Staatsbürger auszugehen haben, so muß andererseits den Staatsbürgern u n d Volksstämmen die selbständige Bewegung u n d freie E n t w i c k l u n g auf den Gebieten der materiellen I n t e r essen, der politischen u n d religiösen Überzeugung, des wissenschaftlichen u n d sittlichen Culturfortschrittes v o m Staate gewährt u n d f ü r den staatlichen Schutz dieser Entwicklung u n d die persönliche u n d sachliche Rechtssicherheit des Einzelnen gesorgt werden." 9 Melichar, Die Entwicklung der Grundrechte i n Österreich, Verhandlungen des zweiten österreichischen Juristentages Wien 1964,1/2, S. 11.

Einleitung und Problemstellung

19

liehen Eingriffen der Staatsgewalt zu sichern. Erst der ungeheure Aufschwung, den die technische und industrielle Entwicklung der folgenden Jahre genommen hat, hat gezeigt, daß sich der Gesetzgeber nicht darauf beschränken kann, das Eigentum zu schützen. Der vorausgesetzte Zusammenhang von Eigentum und Freiheit bliebe — wie Badura 10 zutreffend bemerkt hat — i n der demokratischen Industriegesellschaft ohne Uberzeugungskraft, wenn er an seinem individualistischen und idealistischen Ausgangspunkt festgehalten würde. Der Gesetzgeber muß deshalb auch den Inhalt und die Schranken des Eigentums bestimmen, damit das Eigentum des einzelnen für die anderen Rechtsgenossen sozial erträglich wird. E i n unbeschränktes und unbeschränkbares Eigentum, das keinerlei Bindungen verträgt, gibt es weder i n unserer jetzigen Rechtsordnung, noch hat es ein solches jemals gegeben 11 . Die Ausgestaltung der Pflicht- und Bindungsseite des Eigentums, die die Sozialbindung des Eigentums gegenüber der Allgemeinheit konkretisiert, war schon seit jeher Aufgabe des Gesetzgebers. Einen deutlichen verfassungsrechtlichen Niederschlag hat diese Aufgabe freilich erst i n den neueren Verfassungen gefunden. So bestimmt A r t . 14 GG inhaltlich schon viel differenzierter als A r t . 5 StGG: (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das A r t und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht i m Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen. Wenn nun der Gesetzgeber den Inhalt und die Schranken des Eigentumsrechtes ausgestaltet und dabei das Eigentum den sozialen Gegebenheiten und Notwendigkeiten anpaßt, indem er normiert, welche 10

Badura, Eigentum i m Verfassungsrecht der Gegenwart, i n : Verhandlungen des 49. D J T I I (1972) S. Τ 5 ff. (23). 11 So schon Jhering, Geist des römischen Rechts I (cit. nach 9. Aufl. 1953), S. 7; Jhering, Der Zweck i m Recht I 8(1893), S. 519; Dernburg, System des römischen Rechts I (8. Aufl. der Pandekten) (1911) S. 320; vgl. zur Widerlegung der Ansicht, das römische Recht habe i m Eigentum ein unumschränktes Herrschaftsrecht gesehen (so noch J. v. Gierke , Das Sachenrecht des bürgerlichen Rechts 4 [1959] S. 68; Lent/Schwab, Sachenrecht "[1966] S. 92), schon K . Blomeyer, Hat der Bauer Eigentum am Erbhof? i n FS Hübner (1935) S. 97; insbesondere auch Käser, Der römische Eigentumsbegriff i n : Deutsche L a n desreferate ζ. V I . I n t . Kongr. f. Rechtsvergl., B e r l i n 1962, S. 38; vgl. auch Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, S. 86 ff.; Kaden, Z f R V 1961, 193 ff.

2*

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1. Teil: Einleitung und Problemstellung

Handlungen der Eigentümer bezüglich eines bestimmten Eigentumsobjektes setzen kann oder setzen muß, oder welche Handlungen er unterlassen oder von dritter Seite dulden muß, so besteht die Gefahr, daß der Gesetzgeber dem Eigentümer ein solches Maß an Beschränkungen und Duldungspflichten auferlegt, daß der Eigentümer das Eigentumsobjekt überhaupt nicht mehr seinen Intentionen gemäß zu nutzen vermag. Dabei erhebt sich die Frage, ob es sich bei solchen Eingriffen noch u m eine die Sozialbindung konkretisierende, inhaltsbestimmende Eigentumsbeschränkung handelt oder ob bereits eine eigentumsentziehende Enteignung vorliegt. Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Bindung des Eigentums erklärt sich die zentrale Frage des heutigen Eigentumsrechts: Nach welchen Kriterien kann ein das Eigentum betreffender Hoheitsakt als inhaltsbestimmende Eigentumsbeschränkung oder als Enteignung qualifiziert werden? Diese Abgrenzungsfrage ist nicht nur von theoretischem Interesse, sondern auch von erheblicher praktischer Bedeutung. Denn Eigentumsbeschränkungen, die lediglich inhaltsbestimmender Natur sind, müssen, w e i l sie eben nur die Grenze des Rechtes des Eigentümers abstecken, regelmäßig entschädigungslos hingenommen werden, während Enteignungen m i t der Entschädigungspflicht verbunden sind. Das ist für die deutsche Rechtsordnung angesichts der klaren Verfassungsbestimmung des A r t . 14 Abs. 3 GG unbestritten. Aber auch für die österreichische Rechtsordnung sollte die Entschädigungspflicht bei Enteignung nicht zweifelhaft sein, wenngleich A r t . 5 StGG auf den ersten Blick diese nicht zu statuieren scheint 12 . Es versteht sich von selbst, daß diese Abgrenzungsfrage gerade i n einer Zeit von besonderer Bedeutung sein muß, i n der, bedingt durch eine dynamische technische und gesellschaftspolitische Entwicklung, die Anlässe, aber auch die Notwendigkeiten staatlicher Eingriffe i n die Eigentumssphäre Privater 1 3 i n einem Ausmaß zunehmen 14 , daß manche 12 Z u r Frage der Entschädigungspflicht bei Enteignungen nach österreichischem Recht siehe unten unter 2. Τ, I, A , 3. 18 Vgl. dazu Pernthaler, Der Wandel des Eigentumsbegriffes i m technischen Zeitalter i n : Ermacora / Klecatsky / Marcie, Hundert Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit — Fünfzig Jahre Verfassungsgerichtshof i n Österreich, S. 193 ff. ; Tautscher, Der Wandel i m Eigentumsrecht, FS W i l b u r g (1965) S. 205 ff. 14 Bei Eigentumsbeeinträchtigungen denkt m a n i n erster L i n i e an E i n griffe i m Zusammenhang m i t dem Bau von Eisenbahnen u n d Straßen, an Maßnahmen des Städtebaues, der Raumplanung, der Bodenreform, der Verstaatlichung etc. A b e r auch Maßnahmen der M a r k t o r d n u n g u n d Wirtschaftslenkung, der arbeitsrechtlichen Mitbestimmung u n d die Erschwerung der i n dividuellen Eigentumsbildung angesichts einer hemmenden Steuergesetzgebung können sinnvoll unter dem Gesichtspunkt einer Eigentumsbeeinträchtigung behandelt werden. Vgl. zur Vielfalt der Beeinträchtigungen Hede-

Einleitung und Problemstellung sogar schon von einer „Krise des Eigentums" glauben sprechen zu müssen 15 . Freilich hat die Entscheidung der Frage, welche hoheitlichen Eingriffe entschädigungslos zu dulden sind und welche eine Entschädigungspflicht nach sich ziehen, m i t spezifischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Einmal hat das Schutzobjekt der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie, das Eigentum, keinen ein für allemal fixierten Inhalt, sondern es ist i n einem steten Wandel begriffen, und zum anderen sind die Eingriffsmöglichkeiten der modernen Hoheitsverwaltung nicht auf wenige Eingriffstypen beschränkt. Vielmehr bedienen sich Gesetzgeber und Verwaltung bei der Erfüllung der Staatsaufgaben verschiedenster Instrumente, die ihrerseits wiederum ganz unterschiedliche Eigentumsbeeinträchtigungen nach sich ziehen können. Die Eigentumsordnung ist kein statisches Gebilde, sondern ein durch die gesellschaftliche Entwicklung bedingter Prozeß 16 . Insbesondere Pernthaler 17 hat deutlich gemacht, daß sich i n der Epoche der industriellen Entwicklung das bürgerliche Eigentum durch technisch-wirtschaftliche und staatlich-gesellschaftliche Ordnungskräfte wie Automation, Management und Wirtschaftsplanung gewandelt hat. Dadurch ist die bürgerliche Eigentumsordnung, bei der das Eigentum an körperlichen Sachen als Substanzeigentum i m Vordergrund stand, i n drei funktional 1 8 grundverschiedene Institutionen aufgespalten worden, die Pernthaler treffend als Organisations- oder Manage-Eigentum, als Versorgungs- oder Verbrauchseigentum und als öffentlich-rechtliches Eigentumssurrogat bezeichnet 19 . W i l l man nicht i n Kauf nehmen, daß die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung i n weiten Bereichen leerläuft, muß diesem Wandel mann, Schutz dem Eigentum, B B 1951, S. 961 ff. u n d jüngst S endler, Z u m Wandel der Auffassung v o m Eigentum, D Ö V 1974, S. 73 ff. 15 So ζ. B. Giese, Enteignung u n d Entschädigung früher u n d heute (1950), S. 3; Diester, Enteignung u n d Entschädigung nach altem u n d neuem Recht (1953) S. 12; jüngst dazu auch Weber, Das Eigentum u n d seine Garantie i n der Krise, FS Michaelis (1971), S. 316 ff.; Etwas ganz anderes meint freilich Negro (Das Eigentum [1963] S. 230 - 233), w e n n er von der „Krise des Eigentums" spricht u n d damit i n gesellschaftspolitischer Sicht die Gefahr kennzeichnet, die darin liege, daß sich heute das Eigentum i n den Händen einer wirtschaftlichen Oligarchie konzentriere, die dadurch auch politische Macht erhalte. 16 Vgl. dazu die i n F N 13 u n d bei Aicher (a. a. O. S. 89 F N 29) angegebene Literatur. 17 Pernthaler (FN 13). Vgl. auch Badura, Die soziale Schlüsselstellung des Eigentums, BayVBl. 1973, S. 1 ff. 18 Vgl. zu einer substantiellen oder funktionalen Betrachtung des Eigentums Pawlowski, Substanz- oder Funktionseigentum, A c P 165 (1963), S. 395 ff. 19 Vgl. zur Differenzierung des Eigentumsinstituts auch Krüger, Allgemeine Staatslehre 2(1966) S. 434 ff.; Stein, Z u r Wandlung des Eigentumsbegriffes, FS M ü l l e r (1970), S. 503 ff. (513 f.).

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1. Teil: Einleitung und Problemstellung

auch das Verständnis der Eigentumsgarantie angepaßt werden. Für den Bereich des Organisationseigentums w i r d man sich deshalb fragen müssen, ob und wenn ja inwieweit dieses vom verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz umfaßt ist, da ja das typische Rechtsgut des Organisationseigentums nicht das Eigentum an körperlichen Gegenständen, sondern die Verknüpfung von Eigentum und Organisation i m Unternehmen ist. Die Ausweitung der Eigentumsgarantie über die engen Grenzen des sachenrechtlichen Formaleigentums hinaus hat aber auch auf seiten der Eingriffstypik spezifische Konsequenzen. Zahlreiche staatliche Maßnahmen, die gerade das Organisationseigentum als Regelungsziel haben, wie z.B. Planungsmaßnahmen, Strukturveränderungen, Steuermaßnahmen, Subventionsgebarung usw., können dann nicht einfach aus dem Problemkreis der Eigentumsgarantie m i t dem Hinweis eliminiert werden, daß es sich hierbei nur u m mittelbare Eingriffe handelt, die nicht die Substanz des geschützten Rechtsgutes betreffen. Auch das persönliche Versorgungs- und Verbrauchseigentum besteht heute nicht mehr allein i m Eigentum an körperlichen Sachen, sondern dessen Versorgungsfunktion übernehmen i n zunehmendem Maße „Eigentumssurrogate" 20 , die man m i t Pernthaler* 1 als individuelle, öffentlich-rechtlich regulierte Vermögensansprüche umschreiben kann. Es erscheint deshalb fraglich, ob man die Eigentumsgarantie auf das persönliche Eigentum i m klassischen Sinn beschränken und öffentlichrechtliche Vermögensansprüche wie Gehalts- und Pensionsansprüche der Beamten, Ansprüche aus der Sozialversicherung und der öffentlichen Fürsorge aus dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz ausklammern kann, wie dies der VerfGH i n ständiger Judikatur tut, indem er nur private Vermögensrechte i n die Eigentumsgarantie des A r t . 5 StGG einbezieht 22 . Die Auffächerung der Eigentumsgarantie nach den durch den Wandel der Eigentumsordnung bedingten verschiedenen Funktionen der einzelnen Eigentumskategorien kennzeichnet aber nur eine spezifische Schwierigkeit, die sich der Untersuchung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie heute stellt. Die Prüfung der Frage, ob eine staatliche Maßnahme eigentumsneutralen, eigentumsbeschränkenden oder enteignenden Charakter hat, sieht sich auch der Schwierigkeit gegenüber, daß diese nicht schematisch von der Eingriffstype her erfolgen kann. Zu vielgestaltig ist das Eingriffsinstrumentarium, dessen sich Gesetzgebung und Verwaltung bei Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen. Neben den 20 Vgl. Badura, Verwaltungsrecht i m liberalen u n d i m sozialen Rechtsstaat (1966) S. 26. 21 Pernthaler (FN 13) S. 201. 22 Vgl. etwa VerfGHSlg. 4938/1965; VerfGHSlg. 5838/1968.

Einleitung und Problemstellung direkten, auf ein bestimmtes Eigentumsobjekt gerichteten Maßnahmen (z.B. Entziehung eines Grundstückes, Planungsmaßnahmen bezüglich Grund und Boden), hat — was Vogel 23 hervorgehoben hat — vor allem die staatliche Wirtschaftspolitik ein vielfältiges Arsenal indirekter Einwirkungsmöglichkeiten geschaffen. Man denke nur daran, daß die Maßnahmen, die der moderne Leistungs- und Wirtschaftsverwaltungsstaat i m Rahmen der Förderungsverwaltung setzen muß 24 , dem einen erhebliche Vorteile bringen können, woraus aber für einen anderen schwere Nachteile entstehen können. Ganz abgesehen davon führen auch zielgerichtete Eigentumseingriffe zu nicht intendierten Auswirkungen beim Rechtsträger des Eingriff sob jokts oder bei Dritten, die sinnvoll unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Eigentumsgarantie diskutiert werden können. Es käme einer Kapitulation der Grundrechte gleich, wollte man die Meßbarkeit derartiger Einwirkungen aus der Eigentumsgarantie von vornherein m i t dem Argument verneinen, daß es sich hierbei nicht u m unmittelbare Eingriffe i n die Grundrechte handelt. Gleichwohl w i r d man sich aber vor dem anderen Extrem hüten müssen, den Eigentumsschutz zu einer „Erfolgshaftung" des Staates auszuweiten, da dann die Gefahr bestünde, daß die Tätigkeit des Staates durch ein unüberschaubares Kostenrisiko lahmgelegt werden könnte. Denn es ist zu bedenken, daß die gewährenden und eingreifenden staatlichen Maßnahmen, die erforderlich sind, u m — wie es Pernthaler 25 ausgedrückt hat — „die Expansion der Wohlstandsgesellschaft ständig i n ihrem dynamischen Gleichgewicht zu erhalten", insofern „gefahrengeneigt" sind, als sie zu durchaus unvorhersehbaren eigentumsbeeinträchtigenden Fernwirkungen führen können, deren umfassende Entschädigung den Staatshaushalt i n bedrohlicher Weise belasten würde. Aus dem durch die Aufspaltung des Eigentumsinstituts i n funktional verschiedene Eigentumskategorien charakterisierten Wandel der Eigentumsordnung einerseits und der Variationsbreite staatlicher Eingriffsmöglichkeiten andererseits lassen sich zwei Gesichtspunkte als Arbeitshypothesen herausheben: Erstens w i r d auch bei der Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtiger Enteignung und entschädigungslos hinzunehmender Eigentumsbeschränkung der von Ludwig Raiser 26 allgemein zur Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG hervorgehobene Gesichtspunkt Beachtung finden müssen, daß die funktional unterschied28

Vogel, Gesetzgeber u n d Verwaltung, V V D S t R L 24 (1966) S. 125 ff. (153). Vgl. etwa Pernthaler, Über Begriff u n d Standort der leistenden V e r w a l t u n g i n der österreichischen Rechtsordnung, JB1. 1965, S. 57 ff.; vgl. dazu auch den instruktiven Überblick i n den einzelnen Beiträgen bei Wenger, Förderungsverwaltung (1973). 24

25 26

Pernthaler (FN 13) S. 201. Raiser, Z u r Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, AöR 78, S. 118 f.

1. Teil: Einleitung und Problemstellung

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liehen Eigentumskategorien auch verschieden zu behandeln sind 2 7 ; daß also etwa das Eigentum, das der freien Entfaltung der Einzelpersönlichkeit i n ihrem privaten Lebensraum dient, i m Rahmen der Eigentumsgarantie anders zu beurteilen ist, als das Eigentum, das wirtschaftliche oder gewerbliche Funktionen erfüllt. Zweitens müssen die Abgrenzungskriterien zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung zwar u m der Rechtssicherheit w i l l e n einen möglichst objektivierbaren Inhalt haben, doch müssen sie so flexibel gehalten werden, daß sie sowohl die Differenzierung nach Eigentumskategorien als auch die Vielfalt der Eingriffsmöglichkeiten i n sich aufnehmen können.

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(83).

Z u r Sonderstellung v o n G r u n d u n d Boden vgl. etwa BVerfGE 21, 73

ZWEITER TEIL

Die Beeinträchtigung des Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe I. Die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung und die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie A. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Enteignung und Eigentumsbeschränkung und der Verfassungsschutz des Eigentums in Art. 5 StGG. 1. Einleitung

Bevor der Frage nachgegangen wird, nach welchen Kriterien die Enteignung von der Eigentumsbeschränkung abzugrenzen ist, ist zu prüfen, ob die i n Frage stehende Unterscheidung überhaupt von Verfassungs wegen gefordert ist. A n zwei Fragen zeigt sich die verfassungsrechtliche Notwendigkeit der betreffenden Unterscheidung m i t voller Schärfe: Ο Ist auch i m österreichischen Recht die Enteignung von Verfassungs wegen m i t der Entschädigungspflicht verknüpft? Bekanntlich geht der Verfassungsgerichtshof i n ständiger Judikatur davon aus, daß auch entschädigungslose Enteignungen verfassungsrechtlich zulässig sind. Die h. L. hält dagegen i n Anlehnung an die §§ 364, 365 A B G B eine Entschädigungspflicht bei Enteignungen auch für verfassungsrechtlich geboten, während für bloße Eigentumsbeschränkungen keine Entschädigungspflicht angenommen wird. Sollte sich die Judikatur des VerfGH als richtig erweisen, ist unter dem Aspekt der Entschädigungspflicht keine Unterscheidung vonnöten, da es dann nicht nur bei bloßen Eigentumsbeschränkungen, sondern auch bei Enteignungen von Verfassungs wegen keiner Entschädigung bedürfte. Ebensowenig kommt es auf diese Unterscheidung an, wenn sich zeigen sollte, daß auch für bloße Eigentumsbeschränkungen eine Entschädigung von der Verfassung gefordert ist.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Ο Die zweite Frage, an der sich die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen staatlicher Eigentumsbeeinträchtigungen erweisen wird, ist, ob die Eigentumsgarantie des A r t . 5 StGG gegenüber Beeinträchtigungen durch bloße Eigentumsbeschränkungen versagt. Erweist es sich, daß der Verfassungsschutz des Eigentums gegenüber Eigentumsbeschränkungen nicht durchgreift, erhält die Abgrenzungsfrage zwischen Eigentumsbeschränkung und Enteignung eine eminente verfassungsrechtliche Bedeutung, da Enteignungen nur unter den Voraussetzungen des A r t . 5 S. 2 StGG verfassungsrechtlich zulässig sind. Sollte auch die Eigentumsbeschränkung unter den Schutzbereich des A r t . 5 StGG fallen, w i r d unter diesem Gesichtspunkt der Unterschied zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung entscheidend relativiert. Beide Fragen können jedoch nur beantwortet werden, wenn vorher die Konzeption der Eigentumsgarantie i n A r t . 5 StGG geklärt ist. 2. Die normative Konzeption des Art. 5 StGG

A r t . 5 StGG normiert: „Das Eigentum ist unverletzlich. Eine Enteignung kann gegen den Willen des Eigentümers nur i n den Fällen und i n der A r t eintreten, welche das Gesetz bestimmt." Demnach enthält A r t . 5 StGG zwei normative Aussagen: Der erste Satz garantiert das Privateigentum als Institut des objektiven Rechts1 und gewährt dem Eigentum als subjektivem Recht verfassungsrechtlichen Schutz 2 , wodurch er das Eigentum des einzelnen als Grundrecht anerkennt 3 . Dieser Eigentumsschutz w i r d aber durch den zweiten Satz bedeutend eingeschränkt. Unter den darin genannten formellen Voraussetzungen darf der Staat i n das Eigentum eingreifen. Allerdings ist Korinek 4 zuzustimmen, daß die Enteignung die Ausnahme bilde und „dem Grundsatz der Unverletzlichkeit des Eigentums gegenüber untergeordnet ist". Welcher Inhalt nun dem von A r t . 5 StGG geschützten Eigentum zukommt, ist weder aus 1

Melichar, Die E n t w i c k l u n g der Grundrechte i n Österreich, Verhandlungen des 2. ÖJT 1/2 (1964) S. 27; Gschnitzer, Sachenrecht (1968) S. 113; Steidl, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes f ü r die Enteignungsentschädigung (1971) S. 77; Schantl, Berufsfreiheit, Eigentumsfreiheit u n d Vertragsfreiheit als die wichtigsten Grundrechte der Wirtschaft, FS K o r i n e k (1972) S. 129 ff. (136). 2 Dabei mag es auf sich beruhen, ob aus A r t . 5 StGG abgeleitet werden kann, daß das Eigentum nicht von der staatlichen Rechtsordnung verliehen ist, sondern vielmehr eine naturrechtlich vorgegebene I n s t i t u t i o n darstellt (so Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten u n d der Menschenrechte [1963] S. 134). Wesentlich ist nur, welche A r t von Schutz die Verfassung dem P r i v a t eigentum gewährt. 3 Vgl. auch Steidl (FN 1) S. 9 - 11, 18. 4 Korinek, Eigentum u n d WirtschaftsVerfassung, WipolBl. 1970, S. 399 (401); Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung (1971) S. 51; aber auch Ermacora, Handbuch, S. 134.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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d e m S t G G noch aus a n d e r e n V e r f a s s u n g s b e s t i m m u n g e n a b z u l e i t e n . Desh a l b i s t es zutreffend, w e n n a n g e n o m m e n w i r d , daß A r t . 5 S t G G d e n E i g e n t u m s b e g r i f f des A B G B voraussetzt 5 . Das v o m A B G B v o r g e f o r m t e I n s t i t u t E i g e n t u m ist n i c h t e i n u n b e s c h r ä n k t e s u n d u n b e s c h r ä n k b a r e s E i g e n t u m , s o n d e r n t r ä g t i m G r u n d s a t z d i e „Sozialgebundenheit"® i n sich 7 . G e m ä ß § 364 A b s . 1 A B G B i s t die A u s ü b u n g des E i g e n t u m s r e c h t e s d u r c h die Rechte D r i t t e r u n d d u r c h die „ i n d e n Gesetzen z u r E r h a l t u n g u n d B e f ö r d e r u n g des a l l g e m e i n e n W o h l e s vorgeschriebenen E i n s c h r ä n k u n g e n " begrenzt. D i e d a r i n angesprochenen E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n , die — w i e i c h a n a n d e r e r S t e l l e gezeigt h a b e 8 — als I n h a l t s b e s t i m m u n 5 Ermacora, Bedeutung der Grund- u n d Freiheitsrechte f ü r die Wirtschaft, WipolBl. 1957, Heft 5, S. 14; Ermacora, Handbuch, S. 133; Ermacora, ö s t e r reichische Verfassungslehre (1970) S. 369; Pfeifer, Enteignung u n d Entschädigung, insbesondere i m Staatsvertrag, ÖJZ 1958, S. 255 ff. (256); Funktionen u n d Schranken des Grundeigentums i n der heutigen Rechtsordnung, S W A Studienarbeit, S. 12; Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung, S. 51, S. 53; w o h l auch Layer, Principien des Enteignungsrechts (1902) S. 66. Diese Annahme ist methodisch dadurch legitimiert, daß grundrechtliche Verfassungsbestimmungen zahlreiche Rechtsgehalte aus der vorgefundenen allgemeinen unterkonstitutionellen Rechtsordnung i m Wege der Rezeption übernehmen (vgl. dazu aus der älteren L i t e r a t u r Holstein, V o n Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft, AöR N F 11 (1926) S. 1 (31 f.); Kaufmann, Diskussionsbeitrag i n V V S t R L 4 (1927), S. 81; Hensel, Grundrechte und politische Weltanschauung (1931) S. 15; Giere, Das Problem des Wertsystems der Weimarer Grundrechte (1932) S. 118; aus der neueren L i t e r a t u r vgl. Scheuner, Die institutionellen Garantien des Grundgesetzes, i n Recht, Staat, Wirtschaft (1953) I V , S. 99; Scheuner, Grundrechtsinterpretation u n d W i r t schaftsordnung, D Ö V 1956, S. 65 (69); Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte i m kirchlichen Bereich (1956) S. 29; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 Grundgesetz 2(1972) S. 167 - 178. Z u r A n k n ü p f i m g der Eigentumsgarantie an den v o m bürgerlichen Recht u n d gesellschaftlichen Anschauungen geprägten Eigentumsbegriff insb. Weber, i n N e u m a n n / N i p perdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2(1968), S. 331 (357); jüngst auch Papier, Immissionen durch Betriebe der öffentlichen Hand, N J W 1974, S. 1797 ff. (1799, 1801); Leisner, Sozialbindung des Eigentums nach privatem u n d öffentlichem Recht, N J W 1975, S. 23 ff.; auch ständige Rechtsprechimg des B V e r f G seit BVerfGE 1, 264 (278); vgl. etwa BVerfGE 11, 64 (70); BVerfGE 28, 119 (142); zur J u d i k a t u r des B V e r f G vgl. insb. Richter, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsbegriff des A r t . 14 des Grundgesetzes (1971) insb. S. 17 ff. β Sozialgebundenheit bzw. Sozialpflichtigkeit bedeutet hier, daß das Eigentumsrecht des A B G B es verträgt, w e n n dem Eigentümer durch objektive Normen Beschränkungen bei dessen Ausübung i m Interesse der Allgemeinheit auferlegt werden. Eine Sozialpflichtigkeit des Eigentums i n dem Sinn, daß der Eigentümer bei Ausübung seines Rechts auch ohne objektivrechtliche Anordnung die Interessen der Allgemeinheit zu wahren hat, ist, w i e noch zu zeigen sein w i r d , dem A B G B fremd. 7 So auch Welan, Bemerkungen zum Eigentumsrecht u n d zur Eigentumsrechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, ÖJZ 1972, S. 337 ff. (339). Vgl. zur Sozialgebundenheit des Eigentums i m A B G B Ofner, Der soziale Charakter des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, FS zur Hundertjahrfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches I, S. 441 ff. (468). 8 Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, S. 82 f.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

gen des Eigentums diesem aus teleologischer Sicht immanent sind, verleihen der normativen und der teleologischen Komponente des Individualeigentums, der Ausschlußbefugnis und der Sachherrschaft ihre nähere inhaltliche Determinierung hinsichtlich einer Kollision m i t den Interessen der Allgemeinheit. Dadurch w i r d das Individualeigentum sozial erträglich 9 . Ist die Sozialbindung des Eigentums bereits i m A B G B normiert, läßt sich m i t Mayer-Maly 10 sagen, daß das Eigentum des A B G B eine durch positivierte Wertungen der Rechtsgemeinschaft bereits klar begrenzte Institution ist. Aus der Rezeption des vom A B G B geprägten Eigentums durch den Verfassungsgesetzgeber folgt, daß das Eigentum des A r t . 5 StGG ein durch inhaltsbestimmende Eigentumsbeschränkungen sozial gebundenes Eigentum ist". Dem entspricht auch die Judikatur des VerfGH, i n der er sich m i t den Beschwerden wegen Eigentumsverletzungen durch Flächenwidmungs- und Bebauungspläne zu befassen hatte 12 . Unabhängig davon, ob man die Auffassung des VerfGH, daß Auswirkungen aus einem Flächenwidmungs- oder Bebauungsplan bloße Eigentumsbeschränkungen darstellen, für richtig hält, ist i h m darin zuzustimmen, daß der EigentumsbegrifE des österreichischen Rechts die Zulässigkeit bloßer Eigentumsbeschränkungen aus Gründen des öffentlichen Wohles i n sich begreift. Neben dem durch inhaltsbestimmende Eigentumsbeschränkungen sozial gebundenen Eigentum kennt das A B G B i n § 365 auch die Enteignung als Institut des Zivilrechts, die es von der inhaltsbestimmenden 9

Antonioiii, Allgemeines Verwaltungsrecht (1954), S. 253. Mayer-Maly, Das Eigentum i n der österreichischen Rechtsordnung — Eigentum u n d Privatrechtsordnung WipolBl. 1970, S. 404 f. 11 Ermacora, Handbuch, S. 148. So auch Welan, ÖJZ 1972, S. 337 (342), der m i t Recht auf die erhöhte Sozialbindung hinweist, die dem Eigentum des Jahres 1920 (Übernahme des StGG als Bundesverfassungsgesetz) i m Vergleich zu dem des Jahres 1867 eigen ist. W a r u m die Übernahme des Eigentumsbegriffes aus dem A B G B i n die geltende Verfassimg dogmatisch u n d rechtspolitisch besonders verhängnisvoll sein soll, w i e Pernthaler (Das Bodeneigentum i m historischen Wandel, WipolBl. 1972, S. 333 (334 A n m . 1) meint, leuchtet nicht ein. Offenbar stößt sich Pernthaler an dem i n den §§364 ff. A B G B positivierten „schrankenlosen Gesetzesvorbehalt", der seines Erachtens w o h l einer Aushöhlung des Grundrechtsschutzes T ü r u n d T o r öffnet. Die Rezeption des Eigentumsbegriffes des A B G B i n A r t . 5 StGG hindert aber keineswegs, aus dem G r u n d rechtskatalog u n d der F u n k t i o n der Grundrechte dem Gesetzesvorbehalt Schranken zu ziehen, w e i l sich A r t . 5 StGG nicht i n einer Rezeption der Eigentumsordnung des A B G B erschöpft, sondern den Eigentumsschutz — auf dem Eigentumsinstitut des A B G B aufbauend — nicht n u r gegenüber der Verwaltung, sondern auch gegenüber dem einfachen Gesetzgeber verstärkt (vgl. dazu den i n I A n m . 8 zitierten Bericht des Verfassungsausschusses zum StGG 1867, aus dem deutlich hervorgeht, daß sich der Schutzzweck des StGG auch gegen den einfachen Gesetzgeber richtet). 12 V e r f G H 25. 6.1954 VerfGHSlg. 2686; V e r f G H 28. 6.1963 VerfGHSlg. 4486. 10

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Eigentumsbeschränkung dadurch unterscheidet, daß der Eigentümer aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen Entschädigung „selbst das vollständige Eigentum einer Sache abtreten muß". Da der Enteignungsbegriff vom Verfassungsgesetzgeber — obwohl er i h n i n A r t . 5 StGG verwendet — nicht definiert worden ist, ist anzunehmen, daß er den vom A B G B geprägten Enteignungsbegriff rezipiert hat 1 3 , zumindest aber den Begriff der Enteignung m i t einem von der Eigentumsbeschränkung unterschiedlichen Bedeutungsinhalt gebraucht hat, m i t anderen Worten: daß der Konzeption des A r t . 5 StGG i m Grundsatz die vom A B G B vorgegebene Unterscheidung zwischen Eigentumsbeschränkung und Enteignung 1 4 zugrunde liegt 1 5 . Baut aber A r t . 5 StGG auf dieser Unterscheidung auf, so ist die A n sicht Schantls 16 unzutreffend, daß unter dem Begriff „Enteignung" i n A r t . 5 Satz 2 StGG auch Eigentumsbeschränkungen zu verstehen-sind. Durch die Rezeption des sozial gebundenen Eigentumsbegriffes des ABGB i n A r t . 5 StGG hat der Verfassungsgesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß er das Eigentum nur insoweit als unverletzliches Grundrecht schützen w i l l , als es nicht dem einfachen Gesetzgeber aufgetragen ist, die Sozialgebundenheit des Eigentums den Anforderungen des Gemeinschaftslebens gemäß auszuformen. Deshalb hat der Verfassungsgesetzgeber für Eigentumsbeschränkungen anders als bei der Enteignung i n A r t . 5 StGG keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt nor13 So die ganz h. L.: Mannlicher, Z u r Sozialisierung v o n Unternehmungen, B I . 1957, Heft 292, S. 1 ff.; Pfeifer, Enteignung u n d Entschädigung, ÖJZ 1958, 255 ff. (257); Hellbling, Gedanken zum Enteignungsproblem, JB1. 1960, S. 353 ff. (354); Anderluh, Die Wandlung des Enteignungsbegriffes, JB1. 1963, S. 603 ff. (610); Ermacora, Handbuch, S. 155; Klecatsky, Verstaatlichung u n d die Forderungen des Rechtsstaates (1963) S. 43 ff.; Gschnitzer, Sachenrecht, S. 114; Langer, Z u m Ausgleich der Vermögensvor- u n d -nachteile kommunaler Raumplanung, WipolBl. 1971, S. 87 ff. (88); Korinek, Eigentum u n d W i r t schaftsverfassung, W i p o l B l . 1970, S. 399 (401); Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung (1971) 53; Korinek, Verfassungsrechtliche Garantien des Eigentums an G r u n d u n d Boden, WipolBl. 1972, 335 ff. (336). 14 M . E. ist deshalb die Ansicht Stolzlechners (Abgabengesetze u n d Eigentumsgarantie, ÖZW 1975, S. 33 ff. [37]), daß mangels Definition des Enteignungsbegriffes durch den Verfassungsgesetzgeber der Begriff der Enteignung auch i n der weitesten Bedeutung, wonach jeder Eingriff ins Eigentum eine Enteignung ist, verstanden werden könnte, unzutreffend. D a m i t bliebe f ü r eine Eigentumsbeschränkung i m Sinne des §364 A B G B k e i n Raum. Stolzlechners Ansicht beruht auf einer unzureichenden Würdigung des vorkonstitutionellen einfachgesetzlichen Rechts des A B G B , das die Unterscheidung zwischen Eigentumsbeschränkung u n d Enteignung bereits gekannt hat. 15 Diese historisch-institutionelle Sicht der Eigentumsgarantie des A r t . 5 darf nicht m i t der verbal-historischen Versteinerungstheorie gleichgesetzt werden, die der V e r f G H auch bei der Interpretation der Grundrechtsartikel verwendet u n d sie f ü h r t — w i e noch zu zeigen sein w i r d — anders als die Versteinerungstheorie zu keiner Schwächimg der Schutzwirkung der Eigentumsgarantie. 1β Schantl, FS K o r i n e k (1972) S. 129 ff. (145).

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

miert, da er bloße Eigentumsbeschränkungen für i n der grundsätzlichen Sozialbindung des Eigentums angelegte Ausformungen dieses Grundsatzes hielt. Demnach ist Schutzobjekt des A r t . 5 StGG das sozial gebundene Individualeigentum. Es wäre nun nicht erklärbar, w a r u m der Staatsgrundgesetzgeber bei der Rezeption des sozial gebundenen Eigentums des ABGB, dem inhaltsbestimmende Eigentumsbeschränkungen aus teleologischer Sicht immanent sind, diese als Enteignungen bezeichnet haben soll, zumal schon eine Gegenüberstellung der §§ 364 und 365 ABGB zeigt, daß die Enteignung hinsichtlich ihrer Auswirkungen (arg. aus § 365: „selbst das vollständige Eigentum einer Sache abtreten") über die Eigentumsbeschränkung hinausgeht. So gesehen läßt sich Schantls Ansicht nicht aufrechterhalten. Gleichwohl hat jüngst Stolzlechner die gleiche Ansicht vertreten 1 7 . Er hält die Einbeziehung der Eigentumsbeschränkungen i n den Enteignungsbegriff des A r t . 5 aus Gründen des Eigentumsschutzes für erforderlich. Aber ganz abgesehen davon, daß die Eigentumsgarantie des A r t . 5 StGG auch gegenüber bloßen Eigentumsbeschränkungen w i r k t 1 8 — was Stolzlechner freilich verkennt, weil er von der nicht näher begründeten und unhaltbaren Prämisse ausgeht, daß durch Maßnahmen ohne Enteignungscharakter das Grundrecht des A r t . 5 überhaupt nicht berührt werden kann 1 9 —, führt seine Ansicht auf der Rechtsfolgenseite zu erheblichen Komplikationen. Wenn nämlich für Enteignungen von Verfassungs wegen Entschädigungspflicht besteht und auch alle Eigentumsbeschränkungen Enteignungen i m Sinn des A r t . 5 StGG sein sollen, müßte auch für bloße Eigentumsbeschränkungen Entschädigung geleistet werden, die jedoch i n Wahrheit entschädigungslos hinzunehmen sind, w e i l sie lediglich sozial orientierte Inhaltsbestimmungen des Eigentums darstellen 20 . U m dieser Konsequenz zu entgehen, bleibt Stolzlechner nur die Möglichkeit, zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslos hinzunehmenden Enteignungen zu unterscheiden. Damit w i r d aber keineswegs eine Verstärkung der Eigentumsgarantie erreicht, sondern lediglich die zentrale Frage, für welche Eingriffe i n das Eigentum eine Entschädigung gebührt, auf eine andere Abgrenzungsebene verschoben. Da Stolzlechners Ansicht überdies m i t der historischen Konzeption des A r t . 5 StGG i n Widerspruch steht, ist es unzutreffend, unter den Enteignungsbegriff des A r t . 5 S. 2 A B G B auch die Eigentumsbeschränkungen zu subsumieren. Es ist nur eine andere — und m. E. verfehlte — Sicht des gleichen Problems, wenn der VerfGH i n seiner neueren Judikatur 2 1 die Meinung 17

Stolzlechner, ÖZW 1975, S. 33 ff. (38 f.). Siehe dazu sogleich unten I , A , 4. 19 Stolzlechner, Ö Z W 1975, 35. 20 Diese Schwierigkeit sieht Stolzlechner freilich nicht, w e i l sich seine Ausführungen n u r auf die Tatbestandsseite der Enteignung beziehen u n d er die Rechtsfolgenseite ausklammert. 18

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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vertritt, der Gesetzesvorbehalt des A r t . 5 erstrecke sich auch auf Eigentumsbeschränkungen. Von seiner Warte aus konsequent meint auch Stolzlechner pointiert, daß der Enteignungsvorbehalt i n A r t . 5 S. 2 dem einfachen Gesetzgeber auch als verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Normierung von Eigentumsbeschränkungen dient 2 2 . Einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt enthält A r t . 5 StGG i n seinem zweiten Satz nur für Enteignungen. Zumindest aus dem Wortlaut des A r t . 5 Satz 2 StGG könnte der Schluß gezogen werden, daß verfassungsmäßige Beeinträchtigungen des Eigentums auf einfachgesetzlicher Ebene nur unter den formellen Voraussetzungen der Enteignung zulässig wären 2 3 . Jedoch würde eine solche Ansicht die Wirkung verkennen, die m i t der Rezeption eines sozial gebundenen Eigentumsbegriffes i n A r t . 5 StGG verbunden ist. Die Aufnahme des sozial gebundenen Eigentumsbegriffes des A B G B hat nicht nur zur Folge, daß der Begriff „Eigentum" i n A r t . 5 StGG sowohl i m Grundsatz als auch seiner diesem Grundsatz entsprechenden einfachgesetzlichen Ausgestaltung nach, die er bis zu seiner Erklärung als Verfassungsgesetz des Bundes durch A r t . 149 B.-VG i m Jahre 1920 erfahren hat, als sozial gebundenes Eigentum aufgefaßt werden muß 2 3 a . Vielmehr birgt die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers für einen sozial gebundenen Eigentumsbegriff den Verfassungsauftrag an den heutigen einfachen Gesetzgeber i n sich, entsprechend den i n den Eigentumsbegriff aufgenommenen und auf Grund der vorkonstitutionellen einfachen Gesetze gebildeten Wertentscheidungen das Eigentum i m Sinne unserer geänderten Wirtschafts- und Sozialordnung auszugestalten 24 , u m so — wie es W. Weber 25 i m Anschluß an Nell-Breuning 26 prägnant formuliert — „ i m Wandel Bleibendes" festzulegen. Freilich ist dieser Auftrag i n A r t . 5 StGG nicht ausdrücklich normiert. Das ist auch nicht erforderlich. Vielmehr ist er die notwendige Konsequenz der Entscheidung für einen sozial gebundenen Eigentumsbegriff. 21 VerfGHSlg. 4486/1963; VerfGHSlg. 5208/1966; VerfGHSlg. 6780/1972. VerfGHSlg. 7306/1974. 22 Stolzlechner, Ö Z W 1975, S. 38. 23 So auch tatsächlich Stolzlechner, ÖZW 1975, S. 38. 23a y g i z u der dem GG zugrunde liegenden Konzeption eines sozial gebundenen Privateigentums die ständ. Espr. d. B V e r f G : etwa BVerfGE 25, 112 (121): 37, 132 (140); 38, 347 (370 f.). 24 Vgl. zur „Ausgestaltungsbefugnis" des einfachen Gesetzgebers i m Rahmen des A r t . 14 GG Badura, Wirtschafts Verfassung u n d Wirtschaftsverwaltung (1971) S. 106 f.; Badura, Eigentum i m Verfassungsrecht der Gegenwart, Verhandlungen des 49. D J T I I , T, S. 5 ff. (18 f.). 25 Weber i n Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 365. 26 Nell-Breuning, i n : Die F u n k t i o n des Eigenheims i n der Sozialordnung unserer Zeit (1951), S. 31 ff.

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Niemand hat dies schärfer erkannt als v.Mangoldt/Klein 27, wenn sie A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG, i n dem die den Eigentumsinhalt bestimmende und ausgestaltende Funktion des einfachen Gesetzgebers von Verfassungs wegen bestimmt ist, für überflüssig halten, w e i l das Grundrecht des Eigentums unter dem „denknotwendigen Vorbehalt zugunsten der Gesetze", d. h. „unter dem Vorbehalt seiner Konkretisierung durch ein ausfüllendes Gesetz" steht. Deshalb ist es auch durchaus zutreffend, wenn Korinek 28 allgemein von der „ausdrücklichen und konkludenten" Ermächtigung des Gesetzgebers zur Erlassung einfacher das Grundrecht ausgestaltender Gesetze spricht und Pernthaler 29 ausführt, A r t . 5 StGG enthalte bezüglich der Eigentumsbeschränkungen einen „begrifflich vorausgesetzten" Gesetzesvorbehalt. Festzuhalten ist, daß dieser „konkludente Gesetzesvorbehalt" nicht i n A r t . 5 Satz 2, sondern kraft der Rezeption eines sozial gebundenen Eigentumsbegriffes i m ersten Satz des A r t . 5 StGG angesiedelt ist 8 0 . Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Eigentumsgarantie des A r t . 5 StGG auf der vom A B G B vorgeformten Unterscheidung zwischen inhaltsbestimmender Eigentumsbeschränkung und Enteignung aufbaut 8 1 . 3. Enteignung und Entschädigung

Bisher wurde dargelegt, daß die Unterscheidung zwischen Eigentumsbeschränkung und Enteignung der verfassungsrechtlichen Konzeption der Eigentumsgarantie entspricht. Vor allem aber ergibt sich die Notwendigkeit dieser Unterscheidung i m Hinblick auf die Entschädigungspflicht. Es entspricht nämlich der h. L., daß die Enteignung nur gegen Entschädigung zulässig ist, während die Eigentumsbeschränkung entschädigungslos hinzunehmen ist. Diese Differenzierung bezüglich der Entschädigungspflicht findet sich schon i m ABGB. § 365 A B G B läßt Ent27 v. Mangoldt I Klein, Das B G G I 2 , S. 125; siehe dazu noch ausführlich unten unter I , A , 3 bei F N 77. 28 Korinek, Gedanken zur Lehre v o m Gesetzesvorbehalt bei Grundrechten, i n : FS M e r k l (1970) S. 171 ff. (174). 29 Pernthaler, Umfassende Landesverteidigung (1970), S. 135 F N 312; w o h l auch Welan, ÖJZ 1972, S. 369 ff. (372). 30 Das hat der V e r f G H i n seinem Erkenntnis 3666/1959 noch v ö l l i g richtig gesehen. Dort hat er zutreffend ausgesprochen, daß der erste Satz des A r t . 5 StGG f ü r Enteignungen u n d Eigentumsbeschränkungen gilt. U m aber die i n Frage stehende Grundabtretungsverpflichtung unter A r t . 5 Satz 2 StGG subsumieren zu können, hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich hierbei u m keine Eigentumsbeschränkung, sondern u m eine Enteignung handelt. 31 Das allein wäre freilich k e i n absolut zwingender Grund, diese U n t e r scheidung aufrecht zu erhalten. Es spricht allerdings vieles dafür, dieser Konzeption dann zu folgen, w e n n sie — was Stolzlechner zu Unrecht befürchtet — zu keinen Lücken i m Eigentumsschutz führt.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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e i g n u n g e n n u r gegen angemessene S c h a d l o s h a l t u n g zu, w ä h r e n d f ü r bloße E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n nach § 364 A B G B k e i n e E n t s c h ä d i gungspflicht n o r m i e r t ist. D e r V e r f G H h i e l t b i s h e r i n s t ä n d i g e r J u d i k a t u r entschädigungslose E n t e i g n u n g e n f ü r zulässig 3 2 . D a g e g e n h a t sich die L e h r e n a h e z u e i n h e l l i g g e w e n d e t 3 3 . F r e i l i c h m u ß beachtet w e r d e n , daß sich der V e r f G H seit s e i n e m E r k e n n t n i s aus d e m J a h r e 1954 erst w i e d e r i m J a h r e 1972 v o r die N o t w e n d i g k e i t g e s t e l l t sah, sich m i t der F r a g e der E n t s c h ä d i gungspflicht b e i E n t e i g n u n g e n auseinanderzusetzen u n d e r gerade i n diesen b e i d e n E r k e n n t n i s s e n 3 4 Ü b e r l e g u n g e n a n g e s t e l l t h a t , die z u der H o f f n u n g berechtigen, daß der V e r f G H v o n seiner b i s h e r i g e n entschädig u n g s f e i n d l i c h e n J u d i k a t u r i n Z u k u n f t a b g e h e n k ö n n t e . I c h h a l t e dies schon deshalb f ü r durchaus d e n k b a r , w e i l der V e r f G H bereits i n z w e i a n d e r e n w i c h t i g e n P u n k t e n des österreichischen E n t e i g n u n g s r e c h t s eine A b k e h r v o n seiner f r ü h e r e n J u d i k a t u r v o l l z o g e n h a t . I n V e r f G H Slg. 1123/1928 h a t sich der V e r f G H noch f ü r u n z u s t ä n d i g gehalten, z u p r ü f e n , ob e i n Gesetz zu Recht das E r f o r d e r n i s des a l l 32 V e r f G H 13.12.1928, VerfGHSlg. 1123/1928; V e r f G H 1.10.1949, VerfGHSlg. 1853; V e r f G H 6.3.1951, VerfGHSlg. 2092/1951; V e r f G H 10.10.1953, V e r f G H Slg. 2572/1955; V e r f G H 24. 6.1954, VerfGHSlg. 2680. Diese Judikatur des V e r f G H hat i n der L i t e r a t u r n u r vereinzelt Z u s t i m mung erfahren, so ζ. B. Rosenzweig, Enteignung u n d öffentliches Interesse, JB1. 1950, S. 49 ff. (52); Unkart, Raumplanung u n d Eigentumsgarantie, JB1. 1966, S. 298 ff. (305); Klang i n Klang, Kommentar zum A B G B I I 2 , S. 189; aber auch O G H 22.11.1961, EvBl. 1962/55; w o h l auch Welan, ÖJZ 1972, S. 269 ff. (376). 33 Spanner, Enteignungsprobleme i m österreichischen Recht, GS f. W. J e l l i nek (1955), S. 469 ff. (470 ff.); Mannlicher, Z u r Sozialisierung von Unternehmungen B I 1957 H. 592, S. I f f . ; Spanner, Bundesverfassung u n d Erstes V e r staatlichungsentschädigungsgesetz ÖJZ 1957, S. 197; Korn, Die Grundrechte i n der österreichischen Verfassung i n : österreichischer Anwaltstag 1958, S. 30 ff.; Pfeiffer, Enteignung u n d Entschädigung ÖJZ 1958, S. 255 ff. (257); Hellbling, Gedanken zum Enteignungsproblem, JB1. 1960, S. 353 ff. (354, 356); Pfeifer, Entschädigungslose Enteignung? ÖJZ 1962, S. 477 ff. (478); Anderluh, Die Wandlung des Enteignungsbegriffes, JB1. 1963, S. 603 ff. (608-611); Krzizek, Städteerneuerung u n d Eigentumsordnung i n der Bundesrepublik Österreich, i n : Städteerneuerung u n d Eigentumsordnung, Vorträge u n d Diskussionsbeiträge der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule f ü r Verwaltungswissenschaften (1963) 70 f.; Koziol, Elastizität des Eigentums und Eigentumsgarantie, JB1. 1966, S. 333; Beck, Probleme der E n t schädigung u n d des Gemeinwohls bei der Enteignung, JB1. 1969, S. 22 (23 ff.); Schulz, Der eigentumsrechtliche Schutz aus der Sicht der Verfassung, ÖJZ 1969, S. 512 ff. (516); Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung, S. 53; Ermacora, Handbuch, S. 131; Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts®, S. 559; Gschnitzer, Sachenrecht, S. 114, Moser, Die Europäische Menschenrechtskonvention u n d das bürgerliche Recht (1971). S. 261 ; Bydlinski, Der Ausgleich von Schadensfolgen der Durchführung öffentlicher Projekte, i n : Rechtsprobleme der Planungsfolgen, S. 27 ff. (39); Feil, österreichisches Enteignungsrecht (1974), S. 37 ff.; jüngst ausführlich auch Fröhler / Oberndorfer, Bodenordnung u n d Eigentumsgarantie (1975), S. 36 ff. 34 V e r f G H 13.10.1972 VerfGHSlg. 6884; VerfGHSlg. 7234/1973 vgl. dazu ausführlicher Aicher, ÖZW 1975, S. 59 ff.

3 Aicher

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2. T e i l : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

g e m e i n e n B e s t e n a n g e n o m m e n habe. Offenbar h a t t e d a m a l s der V e r f G H d i e Ü b e r p r ü f u n g des Erfordernisses des a l l g e m e i n e n B e s t e n m a n g e l s j u r i s t i s c h e r K o n k r e t i s i e r b a r k e i t als eine r e i n politische F r a g e u n d n i c h t als eine Rechtsfrage b e t r a c h t e t 3 5 u n d d a r a u f seine U n z u s t ä n d i g k e i t geg r ü n d e t 3 6 . V o n dieser A n s i c h t i s t der V e r f G H i n Slg. 1809/1949 jedoch abgegangen u n d h a t s e i t h e r i n s t ä n d i g e r J u d i k a t u r die Z u s t ä n d i g k e i t f ü r sich i n A n s p r u c h g e n o m m e n , das V o r l i e g e n des a l l g e m e i n e n Besten z u p r ü f e n 3 7 . D a d u r c h i s t der Verfassungsschutz des E i g e n t u m s entscheidend verstärkt worden38. E i n z w e i t e r W a n d e l i n d e r J u d i k a t u r des V e r f G H i s t b e z ü g l i c h der Z u l ä s s i g k e i t v o n L e g a l e n t e i g n u n g e n z u beobachten. W ä h r e n d er i n V e r f G H Slg. 360/1924 noch ausgesprochen h a t , daß eine E n t e i g n u n g i m juristischen Sinn n u r dann vorliege, w e n n durch einen Verwaltungsakt, n i c h t aber, w e n n d u r c h eine generelle N o r m i n das P r i v a t e i g e n t u m e i n g e g r i f f e n w i r d , h a t e r diese A u f f a s s u n g u n t e r d e m H i n w e i s d a r a u f , daß A r t . 5 S t G G n i c h t z w i n g e n d d e n Schluß zulasse, daß es d e m Gesetzgeber v e r w e h r t sei, u n m i t t e l b a r E n t e i g n u n g e n auszusprechen, i n V e r f G H Slg. 3118/1956 aufgegeben 3 9 . 35

Vgl. dazu Spanner, i n : GS W. Jellinek, S. 479. Zustimmend Rosenzweig, JB1.1950, S. 49. 37 Vgl. VerfGHSlg. 1853/1949; VerfGHSlg. 1946/1950; VerfGHSlg. 2217/1951; VerfGHSlg. 2934/1955; VerfGHSlg. 3118/1956; VerfGHSlg. 3463/1958; VerfGHSlg. 3475/1958; VerfGHSlg. 3541/1959; VerfGHSlg. 3666/1959; VerfGHSlg. 5617/1967; VerfGHSlg. 5807/1968; VerfGHSlg. 6097/1969; vgl. zu dieser E n t w i c k l u n g neuerdings Welan, ÖJZ 1972, S. 369 ff. (375). 38 U m das Vorliegen des öffentlichen Interesses einer objektivierbaren Nachprüfung unterziehen zu können, hat der V e r f G H drei K r i t e r i e n entwickelt, die bei einer durch das öffentliche Interesse gerechtfertigten E n t eignung gegeben sein müssen (VerfGHSlg. 3666/1959; VerfGHSlg. 6097/1969; VerfGHSlg. 7145/1973; VerfGHSlg. 7238/1973). Eine Enteignimg liegt n u r dann i m öffentlichen Interesse, w e n n — ein konkreter Bedarf vorliegt, dessen Deckung i m öffentlichen Interesse liegt; — das Objekt der Enteignung überhaupt geeignet ist, den Bedarf unmittelbar zu decken; — es unmöglich ist, den Bedarf anders als durch Enteignung zu decken. Vgl. dazu Wimmer, Z u r F u n k t i o n des öffentlichen Interesses als Schranke der Enteignung, Ö V A 1967, S. 141 ff.; Korinek i n K o r i n e k / Frotz / Wimmer, Rechtsfragen der Stadterneuerung (1974) S. 11 ff. (39 f.); Aicher, Das Bodenbeschaffungsgesetz (1975) S. 45 ff.; Korinek, Bodenbeschaffung u n d Bundesverfassung (1976) S. 33. Wie streng der V e r f G H das Erfordernis des öffentlichen Interesses interpretiert, zeigt V e r f G H 6763/1972. Z u den privatrechtlichen Folgen zweckverfehlender u n d daher nicht i m öffentlichen Interesse gelegener Enteignung Bydlinski, Rückübereignungs- u n d Vergütungsansprüche bei zweckverfehlender Enteignung, JB1. 1972, S. 129 ff. Z u r Rückübereignung bei zweckverfehlender Enteignung vgl. insb. BVerfGE 38, 175. 39 M i t der Zulassung der Legalenteignung ist freilich die Rechtsstellung des Enteigneten entscheidend geschwächt. Vgl. Spanner, i n : GS W. Jellinek, S. 473 f.; Ermacora / Klecatsky / Ringhof er, Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes i m Jahr 1956, ÖJZ 1959, S. 1 ff. (8); Anderluh, JB1. 1963, 36

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Es ist zu hoffen, daß der VerfGH auch von seiner bisherigen Judikatur bezüglich der Entschädigungspflicht abgeht. Dies u m so mehr, als die Begründung, m i t der er seine entschädigungsfeindliche Judikatur stützt, dogmatisch nicht haltbar ist. I n seinem die Enteignungsjudikatur des VerfGH bis heute prägenden Erkenntnis Slg. 1123/1928 hat der VerfGH ausgesprochen, daß nach dem Wortlaut des A r t . 5 für die Enteignung weder das allgemeine Beste noch eine Schadloshaltung gefordert werde 4 0 . Das Erfordernis des allgemeinen Besten hat er jedoch i m gleichen Erkenntnis wieder anerkannt, wenn er ausführt, daß A r t . 5 StGG i n Konsequenz des Rechtstaatsgedankens das Prinzip zur Geltung bringe, daß nicht die Verwaltung, sondern nur der Gesetzgeber zu bestimmen habe, i n welchen Fällen die Enteignung zulässig sei; er allein habe die Tatbestände zu normieren, bei welchen das Erfordernis des allgemeinen Wohles als vorhanden anzunehmen sei. Woraus der VerfGH damals das Erfordernis des allgemeinen Besten abgeleitet hat, ist nicht ersichtlich. Aus § 365 A B G B hat er es — zumindest i m Jahre 1928 — sicher nicht ableiten können, w e i l er es ausdrücklich abgelehnt hat, § 365 A B G B als Bestandteil des A r t . 5 StGG anzusehen. Vielmehr hat der VerfGH angenommen, daß „der A r t . 5 das bürgerliche Gesetzbuch nicht ins Auge gefaßt hat". Auch i n seiner späteren Judikatur hielt der VerfGH daran fest, daß § 365 A B G B nicht Bestandteil des A r t . 5 StGG geworden ist 4 1 . Ohne auf § 365 A B G B zurückzugreifen, hat der VerfGH das Erfordernis des allgemeinen Besten aus dem Begriff der Enteignung selbst abgeleitet 42 . Woher er jedoch das allgemeine Beste, das er als dem Enteignungsbegriff immanentes Wesensmerkmal betrachtete, sonst abgeleitet hätte, wenn nicht aus der vom Verfassungsgesetzgeber vorgefundenen einfachgesetzlichen Ausgestaltung, die das Institut der Enteignung vor allem durch § 365 A B G B erfahren hat, mußte unklar bleiben. Diese Inkonsequenz seiner Argumentation hat der VerfGH auch erkannt, und er hat S. 603 ff. (607); Gschnitzer, Sachenrecht 114; Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts®, S. 554 f.; Moser, Legalenteignung u n d gerichtliche Kontrolle, ÖJZ 1972, S. 569 ff. Gemäß A r t . 14 Abs. 3 S. 2 GG sind Legalenteignungen ausdrücklich zugelassen. Vgl. dazu statt vieler Ipsen, Enteignung u n d Sozialisierung i n : W D S t R L 10 (1952) S. 89 ff. 40 Vgl. dazu insb. Welan, ÖJZ 1972, S. 369 ff. (372 f.). Diesem Erkenntnis lag eine Anfechtung des Mietengesetzes zugrunde, das nach Ansicht der anfechtenden Parteien als Enteignungsgesetz zu qualifizieren war. Die anfechtenden Parteien gründeten die Verfassungswidrigkeit des M i e t G v o r allem darauf, daß es den Erfordernissen des allgemeinen Besten u n d der angemessenen Schadloshaltung widerspreche, die insoweit auch von A r t . 5 StGG als Voraussetzung f ü r die Verfassungsmäßigkeit der Enteignung gefordert werden, als dieser den § 365 A B G B rezipiert habe. 41 VerfGHSlg. 2572/1953, VerfGHSlg. 2680/1954. 42 VerfGHSlg. 1853/1949, VerfGHSlg. 3463/1958, VerfGHSlg. 3666/1959.

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2. T e i l : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

sich schon i n V e r f G H Slg. 3666/1959 e i n e n W e g offengehalten, u m das E r f o r d e r n i s des a l l g e m e i n e n Besten aus § 365 A B G B a b l e i t e n zu k ö n n e n , i n d e m er d a r a u f h i n w i e s , daß der E n t e i g n u n g s b e g r i f f i n A r t . 10 Ζ 6 B . - V G h i s t o r i s c h auszulegen sei, w o b e i aus der d a m a l i g e n R e c h t s o r d n u n g n e b e n A r t . 5 S t G G u n d d e n e i n z e l n e n Enteignungsgesetzen auch § 365 A B G B i n B e t r a c h t k ä m e . D i e s e n W e g h a t der V e r f G H auch i n seiner s p ä t e r e n J u d i k a t u r k o n s e q u e n t beschritten. D e m g e m ä ß h a t er i n V e r f G H Slg. 5617/1967 u n d V e r f G H Slg. 5807/1968 ausgesprochen, daß sich aus d e m B e g r i f f der E n t e i g n u n g selbst u n d aus § 365 A B G B ergebe, daß die E n t e i g n u n g n u r zulässig ist, w e n n u n d i n s o w e i t sie i m ö f f e n t l i c h e n Interesse n o t w e n d i g ist. Dieser A n s i c h t des V e r f G H ist v o r b e h a l t l o s z u z u s t i m m e n . E r h a t i m Gegensatz zu seiner f r ü h e r e n J u d i k a t u r e r k a n n t , daß es n i c h t a u f eine f o r m e l l e R e z e p t i o n des § 365 A B G B d u r c h A r t . 5 S t G G a n k o m m e n k a n n 4 8 , s o n d e r n l e d i g l i c h d a r a u f , daß das v o m V e r 43 Betrachtet man die Argumentation der Beschwerdeführer i n V e r f G H Slg. 1123/1928, so ist es verständlich u n d auch durchaus zutreffend, daß der V e r f G H die Rezeption des § 365 durch A r t . 5 StGG abgelehnt hat. Die Beschwerdeführer haben nämlich das Erfordernis des allgemeinen Besten und der angemessenen Entschädigung damit begründet, daß n u r § 365 A B G B das Gesetz sei, das gemäß A r t . 5 S. 2 StGG die Fälle u n d die A r t bestimme, i n denen eine Enteignung eintreten dürfe. Dies hat der V e r f G H zu Recht verneint. Z u r Begründung stützte er sich einmal darauf, daß i m Jahre 1867 die Enteignung nicht n u r durch § 365 A B G B , sondern auch durch eine Reihe von Spezialgesetzen bestimmt war, so daß § 365 A B G B nicht — w i e die Beschwerdeführer behaupteten — das einzige Gesetz war, das die Enteignung geregelt hat. Z u m anderen hat der V e r f G H k l a r erkannt, daß, sieht m a n i n §365 A B G B das Enteignungsgesetz i m Sinne des A r t . 5 S. 2 StGG, es der V e r w a l t u n g überlassen bleibt, festzustellen, ob das allgemeine Beste gegeben sei. Gerade diese polizeistaatliche W i r k u n g des § 365 w o l l t e der A r t . 5 StGG jedoch beseitigen, indem er normierte, daß Fälle u n d A r t der Enteignung durch Gesetz zu bestimmen sind. So führte der V e r f G H aus: „Es stünde auch recht schlecht m i t dem Schutze des Eigentums, w e n n das Staatsgrundgesetz i m A r t . 5 nichts anderes ausgesprochen hätte, als eine Rezeption des § 365 des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches. Denn diese Vorschrift stellt die V o r aussetzung der Enteignung, nämlich daß sie durch das allgemeine- Beste gerechtfertigt sei, lediglich i n das Ermessen der Verwaltung, dies ganz entsprechend dem damals bestehenden Systeme des Polizeistaates. Demgegenüber bringt A r t . 5 des Staatsgrundgesetzes i n Konsequenz des Rechtsstaatsgedankens das Prinzip zur Geltung, daß nicht die Verwaltung, sondern nur der Gesetzgeber zu bestimmen hat, i n welchen Fällen die Enteignung zulässig ist; er allein hat die Tatbestände zu normieren, bei welchen das E r fordernis des allgemeinen Wohles als vorhanden anzunehmen ist. Dies ist der Sinn des Ausdrucks ,das Gesetz' i n A r t . 5 . . . "

Diese Feststellung (vgl. dazu auch noch VerfGHSlg. 3230/1957) w a r u m so notwendiger, als der Κ . K . Verwaltungsgerichtshof i n ständiger Judikatur dafür eintrat, daß der § 365 A B G B selbst jene gesetzliche Bestimmung darstelle, auf G r u n d welcher die politischen Behörden nach Maßgabe des A r t . 5 StGG berechtigt seien, eine Expropriation auszusprechen (So Κ . K . V e r w G H 4774/1889; aber auch 5394/1890; 7020/1893; 9467/1896 u n d 2672/A/1904). Vgl. aus der älteren Diskussion, ob A r t . 5 S. 2 StGG unter „Gesetz" ein spezielles Enteignungsgesetz versteht oder ob i m A B G B bereits die „Fälle u n d die A r t " der Enteignung bestimmt sind: die Ansicht Κ . K . V e r w G H vertreten Prazak, Das Recht der Enteignung i n Österreich (1877) S. 84; Randa , Das Eigentums-

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fassungsgesetzgeber v o r g e f u n d e n e I n s t i t u t E n t e i g n u n g w e s e n t l i c h v o n § 365 A B G B g e p r ä g t w u r d e , so daß der Verfassungsgesetzgeber, als er d e n v o r g e f u n d e n e n B e g r i f f der E n t e i g n u n g i n A r t . 5 S t G G u n d i n A r t . 10 Ζ 6 B . - V G a u f n a h m , auch das E r f o r d e r n i s des a l l g e m e i n e n B e s t e n a n e r k a n n t h a t . Dies e n t s p r i c h t auch der s t ä n d i g e n J u d i k a t u r des V e r f G H , daß z u r S i n n e r m i t t l u n g des B e g r i f f s i n h a l t e s v o n Verfassungsbegriffen, die die V e r f a s s u n g selbst n i c h t definiert, a u f die v o m Verfassungsgesetzgeber v o r g e f u n d e n e historische A u s p r ä g u n g des B e g r i f f s b i l d e s abzustell e n i s t 4 4 . A u s dieser Sicht m ü ß t e der V e r f G H jedoch auch e r k e n n e n , daß § 365 A B G B n e b e n d e m E r f o r d e r n i s des a l l g e m e i n e n B e s t e n auch die angemessene S c h a d l o s h a l t u n g als n o t w e n d i g e Rechtsfolge der E n t e i g n u n g n o r m i e r t h a t . Es ist i n der T a t eine u n h a l t b a r e I n k o n s e q u e n z , einerseits das E r f o r d e r n i s des a l l g e m e i n e n B e s t e n zu a k z e p t i e r e n , andererseits jedoch — m i t d e m r e i n f o r m a l e n A r g u m e n t , § 365 A B G B sei n i c h t B e s t a n d t e i l des A r t . 5 S t G G g e w o r d e n — d e m E r f o r d e r n i s der angemessenen S c h a d l o s h a l t u n g die A n e r k e n n u n g zu versagen 4 5 . V i e l m e h r i s t das E r f o r d e r n i s d e r E n t s c h ä d i g u n g der E n t e i g n u n g ebenso i m m a n e n t , w i e das E r f o r d e r n i s des a l l g e m e i n e n B e s t e n 4 8 , da § 365 A B G B w e n n auch n i c h t f o r m e l l , so doch aus i n s t i t u t i o n e l l e r Sicht i n seinem m a t e r i e l l e n G e h a l t B e s t a n d t e i l des A r t . 5 S t G G 4 7 g e w o r d e n i s t 4 8 . recht (1884) I, S. 129; Krainz, System des österreichischen allgemeinen P r i v a t rechts (1894) I I 2 , S. 550; dagegen zutreffend Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 96; Ulbrich, Lehrbuch des österreichischen Staatsrechts (1883), S. 106; Layer, Principien des Enteignungsrechts, S. 171. Vgl. zu dieser Frage insb. auch Ermacora, Handbuch, S. 126 - 131. 44 Vgl. zu dieser unter dem Begriff „Versteinerungstheorie" bekannt gewordenen Auslegungsmethode die bei Schäffer, Verfassungsinterpretation i n Österreich (1971) S. 97 angeführte Judikatur des VerfGH. 45 So aber VerfGHSlg. 2572/1953. Freilich stammt diese Entscheidung aus einer Zeit, i n der der V e r f G H auch das Erfordernis des allgemeinen Besten noch nicht aus § 365 A B G B abgeleitet hat. Vgl. dazu auch Spanner, ÖJZ 1957, S. 197, der zu Recht befürchtet, daß die Anerkennung von Enteignungen, ohne eine angemessene Entschädigung nicht mehr „als wirksamer Schutz gegen w i l l k ü r l i c h e Eingriffe des Staates i n die Eigentumssphäre angesehen werden" könne. Die Rechtsprechung des V e r f G H bedeute vielmehr die „Legalisierung der Konfiskation". 46 So auch Spanner, GS f. W. Jellinek, S. 481; Anderluh, JB1. 1963, S. 610; Pfeifer, ÖJZ 1958, S. 257; daß die Entschädigung als Bedingung der Zulässigkeit von Enteignungen diesen wesensmäßig zugehört, ist schon i n der älteren L i t e r a t u r vertreten worden: vgl. Lay er, Principien des Enteignungsrechtes, S. 458; Prazak i n Mischler / Ulbrich, österreichisches Staatswörterbuch, I 2 (1905) S. 402; Westphalen-Fürstenberg, Das Problem der Grundrechte i m Verfassungsleben Europas (1935) S. 195 f. 47 Vgl. dazu auch Hellbling, JB1. 1960, S. 354; Pfeifer, ÖJZ 1962, S. 479. 48 Wenn der V e r f G H dagegen der Auffassung ist, daß es der Gesetzgeber des StGG ausdrücklich hätte sagen müssen, w e n n er den § 365 A B G B als früheres Gesetz zu seinem Bestandteil machen u n d damit m i t Verfassungsgarantie ausstatten w o l l t e (VerfGHSlg. 1123/1928), so mag dies f ü r die A n nahme einer formellen Rezeption durchaus zutreffen. Gegenüber einer institutionellen Sicht geht dieser E i n w a n d jedoch ins Leere.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Daran ändert sich auch nichts, wenn der VerfGH seiner Judikatur nicht mehr den liberalen Eigentumsbegriff des Jahres 1867 zugrunde legt, sondern von einer gewandelten Eigentumsvorstellung ausgeht. Daraus könnte nur abgeleitet werden, daß heute u. U. eine Eigentumsbeeinträchtigung als bloße Sozialbindung erscheint, die ehedem als Enteignung zu qualifizieren gewesen wäre. Nicht kann jedoch daraus der Schluß gezogen werden, daß sich infolge eines „gewandelten" Eigentumsbegriffes auch der Enteignungsbegriff dergestalt gewandelt hätte, daß nunmehr entschädigungslose Enteignungen zulässig wären 4 9 . Wenn der VerfGH dagegen meint, daß es der Praxis der Gesetzgebung nach dem ersten Weltkrieg entsprochen habe, Enteignungen ohne oder zumindest ohne ausreichende Entschädigung zu normieren 50 , so können diese Gesetze — die Richtigkeit der Prämisse des VerfGH, daß dies verfassungsrechtlich zulässig sei, w e i l nach A r t . 5 StGG eine Enteignung „ i n den Fällen und i n der A r t " , die das Gesetz bestimmt, erfolgen könne, wobei zur „ A r t " der Enteignung auch die Frage gehöre, ob der Enteignete zu entschädigen sei oder nicht, angenommen — nichts beweisen. Schon Spanner 51 hat darauf hingewiesen, daß alle diese Gesetze aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg stammen und deshalb für die Auslegung des älteren A r t . 5 StGG nichts beitragen können. Aber selbst wenn der VerfGH damit nachweisen wollte, daß sich das Institut der Enteignung bis zum Jahre 192052 dahingehend gewandelt hätte, daß die Entschädigung m i t der Enteignung nicht mehr verbunden sei, so muß dem entgegengehalten werden, daß allein durch zwei Gesetze, m i t einem derart schmalen Anwendungsbereich, die überdies i n einer besonderen Notsituation erlassen wurden, das i n gut hundertjähriger Tradition geprägte Institut der Enteignung nicht verändert werden könnte. Jedoch ist schon die Prämisse des VerfGH, daß zu der durch ein Gesetz zu bestimmenden „ A r t " , i n der die Enteignung erfolgen dürfe (Art. 5 S. 2 StGG), auch zweifellos (!) die Frage gehöre, ob der Enteignete zu entschädigen sei oder nicht, verfehlt. Daß Art. 5 StGG den Gesetzgeber ermächtigt, die „ A r t " zu bestimmen, i n der die Enteignung zu erfolgen hat, bedeutet ja nicht, daß der Gesetzgeber völlig willkürlich die Enteignungsfälle normieren kann. Vielmehr reicht seine Befugnis nur zu leitbildgerechter Ausgestaltung des Enteignungsinstitutes. Zu diesem durch die einfachgesetzliche Rechtslage geprägten Leitbild ge40 So aber Welan, Bemerkungen zum Eigentumsrecht u n d zur Eigentumsrechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, ÖJZ 1972, S. 369 ff. (376). 60 Keine Entschädigung gewährten: VolkspflegestättenG. StGBl. 309/1919; G. v. 11. 2.1920 StGBl. 67 zur Durchführung der A r t . 191 u n d 192 des Staatsvertrages von St. Germain; n u r eine geringe Entschädigung bestimmte das WiederbesiedlungsG StGBl. 310/1919. 51 Spanner, GS f. W. Jellinek, S. 480. 62 Übernahme des StGG als Verfassungsgesetz des Bundes.

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hört aber die Entschädigung als Rechtsfolge der Enteignung. Z u der vom Gesetz zu bestimmenden „ A r t " , i n der die Enteignung zu erfolgen hat, gehört demnach die Regelung des dabei einzuhaltenden Verfahrens oder auch die Frage nach dem Ausmaß der Entschädigung und ob sie i n Geld oder natura zu leisten ist, nicht jedoch die Frage, ob überhaupt eine Entschädigung zu gewähren ist 5 8 . So gesehen beweisen nicht die einfachen Gesetze, die entschädigungslose Enteignungen vorgesehen haben, daß solche Enteignungen verfassungsmäßig sind, sondern es stellt sich vielmehr die Frage nach ihrer eigenen Verfassungsmäßigkeit. Nun ist es zwar zutreffend, daß unsere Verfassungsordnung auch i n anderen Bestimmungen zu deren näherer Ausgestaltung auf den einfachen Gesetzgeber verweist (z.B. Art.23 B.-VG) 5 4 . Aber wie es auch dem A r t . 23 B.-VG widerspräche, wenn das Amtshaftungsgesetz als dessen Ausführungsgesetz eine Entschädigung für fahrlässige AmtspflichtVerletzungen ausschließen würde, steht es m i t A r t . 5 StGG i n Widerspruch, wenn ein Enteignungsgesetz die Entschädigung ausschließt, da die Entschädigung als notwendige Rechtsfolge dem Institut der Enteignung zugehört. Die Entschädigungspflicht bei Enteignungen läßt sich historisch auch noch durch eine ideengeschichtliche Überlegung begründen. Wenn es die Aufgabe des StGG war, die persönliche und sachliche Rechtssicherheit des einzelnen zu gewährleisten 65 und es deshalb die Entscheidung, ob die Enteignung durch das allgemeine Beste gerechtfertigt sei, i n A b kehr vom polizeistaatlichen Denken dem Ermessen der Verwaltung entzog und dem Gesetzgeber übertrug 5 8 , so stünde es doch m i t diesen, dem liberalen Gedankengut entstammenden Bestrebungen i n auffallendem 63 Vgl. dazu auch Spanner, GS f. W. Jellinek, 480; Anderluh, JB1. 1963, 603; Pfeifer, ÖJZ 1962, 478. 54 A r t . 23 B . - V G lautet: (1) Der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden u n d die sonstigen Körperschaften u n d Anstalten des öffentlichen Rechts haften f ü r den Schaden, den die als ihre Organe handelnden Personen i n Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten w e m i m m e r schuldhaft zugefügt haben. (2) Personen, die als Organe eines i m Absatz 1 bezeichneten Rechtsträgers handeln, sind ihm, soweit ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, f ü r den Schaden haftbar, f ü r den der Rechtsträger dem Geschädigten Ersatz geleistet hat. (3) Personen, die als Organe eines i m Absatz 1 bezeichneten Rechtsträgers handeln, haften f ü r den Schaden, den sie i n Vollziehung der Gesetze dem Rechtsträger durch ein rechtswidriges Verhalten unmittelbar zugefügt haben. (4) Die näheren Bestimmungen zu den Absätzen 1 bis 3 werden durch Bundesgesetze getroffen. (5) E i n Bundesgesetz k a n n auch bestimmen, inwieweit auf dem Gebiete des Post-, Telegraphen- u n d Fernsprechwesens von den i n den Absätzen 1 - 3 festgelegten Grundsätzen abweichende Sonderbestimmungen gelten. 56 Siehe dazu 1. T., F N 8. 56 Das erkennt auch der V e r f G H an (VerfGHSlg. 1123/1928).

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Widerspruch, daß das StGG die Entschädigungspflicht, die den w i r k samsten Schutz des Privateigentums vor willkürlichen Enteignungen darstellt, hätte aufgeben wollen. Wenn angenommen wird, daß m i t A r t . 5 StGG das Erfordernis der Entschädigung entfallen ist 5 7 , so hätte damit das StGG einen Rückschritt i n den tiefsten Absolutismus vollzogen, da nur der Codex Theresianus — i m Gegensatz zu allen übrigen Vorläufern des A B G B — dem Enteigneten keinen Anspruch auf Entschädigung gewährte 58 . Dies dem Gesetzgeber des Jahres 1867 zu unterstellen, hieße jedoch die ideengeschichtliche Grundlage des StGG völlig 5 9 verkennen 80 . Auch mit Hilfe des Gleichheitssatzes wurde versucht, die Entschädigungspflicht bei Enteignungen zu begründen 81 . Der Sache nach hat sich schon Zeiller auf i h n berufen 82 : „Da aber die Lasten von allen Bürgern verhältnismäßig getragen werden sollen, so kann der Eigentümer m i t Recht fordern, daß i h m für die Überlassung seines Eigentums eine dem Werthe desselben und dem Verteilungsgrundsatze angemessene Schadloshaltung geleistet werde 8 3 ." Freilich ist der Gleichheitssatz vor allem i n der deutschen Literatur i n erster Linie herangezogen worden, u m darauf die Unterscheidung zwischen Enteignung und bloßer Eigentumsbeschränkung aufzubauen 84 und weniger dazu, u m die Entschädigungspflicht bei Enteignungen zu begründen, zumal ja der Verfassungsgesetzgeber i n A r t . 14 Abs. 3 GG die Entschädigungspflicht zweifelsfrei posit i viert hat. Der Gedanke des „besonderen Opfers", das bei einer Enteignung der einzelne oder Gruppen von Rechtsträgern zum Wohl der Allgemeinheit auf sich nehmen und das nach weit verbreiteter Lehre eine tragfähige Grundlage einer Abgrenzung zwischen Enteignung und bloßer Eigentumsbeschränkung bildet, vermag auch ein Argument für 57

So Rosenzweig, JB1. 1950, S. 52. Siehe dazu unten unter I I I , B, 1. δ9 Daß der V e r f G H trotz der von i h m vertretenen Auslegungsmaxime, bei der Auslegung v o n Verfassungsbegriffen auf den historischen Bedeutungsinhalt der Begriffe abzustellen, dies nicht erkennt, zeigt m. E. deutlich, daß die Versteinerungstheorie eher eine Verbalinterpretation als eine historische Auslegung ist (siehe dazu auch unten unter I, B, 3, b i n F N 246). ββ Daß die Eigentumsgewähr von der Sicherung der individuellen Freiheit her verstanden werden muß, ist nicht n u r i n den Materialien z u m StGG zum Ausdruck gekommen (siehe dazu 1. T., F N 8). E i n solches V e r ständnis des Eigentumsschutzes ist auch i n der modernen Lehre vorherrschend; vgl. dazu Scheuner i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 115; Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung (1953) S. 104. 61 Pfeifer, ÖJZ 1962, S.47; Anderluh, JB1. 1963, S.610; Fröhler / Oberndorfer, Die Gemeinde i m Spannungsfeld des Sozialstaates (1970) 61 f.; Schulz, ÖJZ 1969, S. 516; neuerdings umfassend Steidl, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes f ü r die Enteignungsschädigung insb. S. 64 ff. 62 Zeiller, Commentar zum A B G B I I / l (1812), S. 128. 63 A l l e Sperrungen von Zeiller selbst. 64 Siehe unten unter I I , B, 3, a. 58

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die Entschädigungspflicht zu liefern 6 5 . Es bereitet jedoch mehr Schwierigkeiten, als es auf den ersten Blick scheinen mag, wenn man die Entschädigungspflicht allein m i t dem Gleichheitssatz zu begründen versucht. Es ist nämlich nicht ohne weiteres einsichtig, wie aus A r t . 7 B.-VG 6 6 und A r t . 2 StGG 6 7 und aus den übrigen Bestimmungen, i n denen das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz normiert ist 6 8 , eine Entschädigungspflicht abgeleitet werden könnte. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist dann unschwer zu erkennen, wenn auf Grund der persönlichen Stellung (z.B. aus rassischen oder religiösen Gründen) der zu enteignenden Rechtsträger entschädigungslose Enteignungen normiert werden, wenn ansonsten die Enteignungsgesetze eine Entschädigung vorsehen. Wenn solche Gesetze nicht schon am Erfordernis des allgemeinen Besten wegen Verletzung des i m Gleichheitsgrundsatz enthaltenen Diskriminierungsverbotes 69 scheitern 70 , so verstoßen sie wegen der diskriminierenden Versagung der Entschädigung gegen den Gleichheitssatz. I n diesen Fällen ergibt sich i n der Tat die Entschädigungspflicht bei sonstiger Verfassungswidrigkeit als eine unmittelbare Folge des Gleichheitssatzes. Wenn der Gleichheitsgrundsatz den Gesetzgeber verpflichtet, einerseits gleichartige soziale Sachverhalte gleich zu behandeln und andererseits „Unterschiede i m Tatsächlichen" 71 bei der gesetzlichen Regelung zu berücksichtigen 72 , d. h. tatbestandsmäßig Gleiches auch rechtlich gleich und tatbestandsmäßig Ungleiches verschieden zu behandeln 73 , so ist 65 So schon Zoepfl, Grundsätze des allgemeinen u n d des constitutionellenmonarchischen Staatsrechts 3(1846), S. 328, S. 360; Layer, Principien des E n t eignungsrechtes S. 451 ; Häberlin, Z u r Lehre von der Zwangsenteignung oder Expropriation historisch-dogmatisch erörtert A c P 39 (1856), S. 147 ff. (153); G. Meyer, Das Recht der Expropriation (1868) S. 164; Grünhut, Enteignungsrecht, S. 10, S. 97; v. Rohland, Z u r Theorie u n d Praxis des deutschen E n t eignungsrechts (1875) S. 8; Scheicher, Die Rechtswirkungen der Enteignung nach gemeinem u n d sächsischem Recht (1893) S. 21 f. ββ A r t . 7 B . - V G : „ A l l e Bundesbürger sind v o r dem Gesetz gleich. V o r rechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse u n d des Bekenntnisses sind ausgeschlossen." 67 A r t . 2 StGG: „ V o r dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich." e8 A r t . 66 StV v. St. Germain; A r t . 6 StV 1955. 69 Vgl. statt vieler Adamovich, Handbuch des österr. Verfassungsrechts®, S. 518. 70 Verfassungswidrig wäre ζ. B. ein Gesetz das Gruppenenteignungen aus Standesgründen ausspricht. I n diesen Fällen wäre der Gesetzgeber nämlich schon bei der Feststellung des „allgemeinen Besten" diskriminierend vorgegangen. D a m i t wäre bereits die Verfassungswidrigkeit des betreffenden Enteignungsgesetzes gegeben. Daran könnte selbst die Gewährung einer E n t schädigung nichts ändern. 71 Vgl. statt vieler V e r f G H 18. 6.1958, VerfGHSlg. 3389. 72 Vgl. dazu VerfGHSlg. 3334/1958; V e r f G H 5862/1968 usw. 73 Vgl. dazu Ermacora, Handbuch, insb. S. 65.

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keine Verletzung des so verstandenen Gleichheitssatzes gegeben, wenn der einfache Gesetzgeber i n keinem Enteignungsgesetz eine Entschädigung vorsieht und insofern alle Enteignungssachverhalte „gleich" behandelt. Aber auch das Nebeneinander von Enteignungsgesetzen mit und ohne Entschädigungspflicht verstößt dann nicht gegen den Gleichheitssatz, wenn diese rechtlichen Differenzierungen durch Unterschiede i m Tatsächlichen begründet sind. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die schon der Beantwortung der Frage, ob sich eine differenzierende rechtliche Behandlung aus Unterschieden i m Tatsächlichen ableiten läßt, entgegenstehen 74 , ist der VerfGH jedoch nur allzu gerne bereit, Unterschiede i m Tatsächlichen anzunehmen, u m die Verfassungsmäßigkeit rechtlicher Differenzierungen zu retten. Das Erkenntnis betreffend die Verfassungsmäßigkeit des ersten Verstaatlichungsgesetzes (VerfGH Slg. 3118/1956) läßt w o h l den Schluß zu, daß der VerfGH eine entschädigungslose Enteignung als eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung ansehen würde, wenn sie darauf gegründet ist, daß eine ansonsten zu bezahlende Entschädigung die Leistungsfähigkeit des österreichischen Staates übersteigen würde. Die Beschwerdeführer hatten nämlich i n der Tatsache, daß nicht ganze Wirtschaftszweige generell, sondern nur bestimmte namentlich aufgezählte Unternehmen verstaatlicht worden sind, eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes erblickt. Dem hielt der VerfGH u. a. entgegen, daß es sich u m eine sachlich gerechtfertigte Erwägung handelt, wenn der Gesetzgeber bei der Auswahl der zu verstaatlichenden Unternehmen darauf Rücksicht nimmt, daß die Entschädigungen nicht die Leistungsfähigkeit des österreichischen Staates übersteigen. Es ist angesichts dieser Judikatur kaum zweifelhaft, daß der VerfGH auch i n einer entschädigungslosen Enteignung keine Verletzung des Gleichheitssatzes erblicken würde, wenn sich Gründe dieser A r t dafür finden lassen. Damit ist aber die auf den Gleichheitsgrundsatz gestützte Entschädigungspflicht gerade für großangelegte Enteignungen entscheidend relativiert. Aber auch der Versuch Steidls 75, die Verletzung des Gleichheitssatzes bei entschädigungslosen Enteignungen schon aus der Grundrechtsverletzung des A r t . 5 StGG zu begründen, muß als verfehlt bezeichnet werden. I m Anschluß an Ermacora™ sieht auch Steidl i n den vorbehaltslos gewährten Grundrechten Erscheinungsformen des Gleichheitssatzes. Deren Verletzung sei immer eine Verletzung des Gleichheitssatzes. Wenn nun der Gesetzgeber entschädigungslose Enteignungen verfügt, verletzt er das Grundrecht des A r t . 5 StGG und damit auch gleichzeitig 74 Vgl. dazu Kelsen / Fröhlich / Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich V (1922) S.74. 75 Steidl, Bedeutung des Gleichheitssatzes, S. 73 - 80. 76 Ermacora, Handbuch, S. 46.

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den Gleichheitsgrundsatz. Damit dieses Ergebnis zutreffend ist, müssen zwei Prämissen gegeben sein. Einmal muß angenommen werden, daß entschädigungslose Enteignungen gegen A r t . 5 StGG verstoßen, und zum anderen müßte nachgewiesen werden, daß A r t . 5 StGG ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht darstellt. Die erste Prämisse ist zutreffend 77 . Die zweite Annahme Steidls, A r t . 5 StGG stelle ein vorbehaltlos garantiertes Grundrecht dar, ist jedoch verfehlt. Denn Steidl meint fälschlicherweise, daß der Gesetzesvorbehalt des A r t . 5 StGG i n die Kategorie der „denknotwendigen Vorbehalte" einzureihen ist. Einen „denknotwendigen Vorbehalt" stellt — wie oben gezeigt wurde 7 8 — lediglich der i n A r t . 5 S. 1 StGG hineinzulesende Vorbehalt zur Inhaltsbestimmung des Eigentums durch einfache Gesetze dar, nicht jedoch der zu Enteignungen ermächtigende Gesetzesvorbehalt i n A r t . 5 S. 2 StGG. Dieses Fehlverständnis dürfte auf einem Mißverständnis der i n der Tat schwer durchschaubaren Vorbehalts- und Schrankensystematik Kleins 70 beruhen, die Steidl auch für den österreichischen Grundrechtskatalog dienstbar machen w i l l . Klein sieht nämlich nicht — wie Steidl offenbar meint — auch i n dem zu Enteignungen ermächtigenden Vorbehalt i n A r t . 14 Abs. 3 GG einen „denknotwendigen Vorbehalt", sondern nur i n dem zur Inhaltsbestimmung des Eigentums i n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG ermächtigenden Vorbehalt 8 0 , während er den zur Schrankenbestimmung des Eigentums i n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG und den zu Enteignungen ermächtigenden Gesetzesvorbehalt i n A r t . 14 Abs. 3 GG als „verfassungsmittelbare Vorbehaltsschranken" ansieht, die gerade keinen „denknotwendigen Vorbehalt" darstellen 81 . Ist aber der zur Enteignung ermächtigende Vorbehalt — i m Gegensatz zu dem zur Inhaltsbestimmung ermächtigenden denknotwendigen Vorbehalt — keine „verfassungsimmanente sachliche Gewährleistungsschranke" i m Sinne Kleins 82, sondern vielmehr eine „verfassungsmittelbare Vorbehaltsschranke" 83 , dann haben die auf Grund dieses Vorbehaltes ergehenden Enteignungsgesetze nicht — wie Steidl 84 meint — deklaratorische Wirkung, w e i l deren Inhalt eben nicht durch die Gewährleistungsschranke gedeckt ist, sondern vielmehr konstitutive Wirkung, w e i l sie den als feststehend angenommenen Inhalt des Grundrechts über die Gewährleistungsschranke hinausgehend einengen 85 . Da der Enteignungsvorbehalt i n A r t . 5 StGG 77 78 79 80 81 82 83 84 85

Siehe dazu oben unten I, A , 3 bei F N 46. Siehe oben I , A , 1 bei F N 21. v. Mangoldt / Klein, B G G I 2 , S. 120 ff. v. Mangoldt / K l e i n , S. 125. v. Mangoldt / Klein, S. 129. Vgl. zu diesem Begriff v. Mangoldt / Klein, S. 124. Vgl. zu diesem Begriff v. Mangoldt / Klein, S. 129 f. Steidl, S. 79. v. Mangoldt / Klein, S. 129.

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daher nicht bloß deklarativer, sondern konstitutiver Natur ist, kann A r t . 5 StGG nicht — wie Steidl meint 8 6 — wie ein Grundrecht ohne Vorbehalt angesehen werden. Ist aber A r t . 5 StGG ein Grundrecht unter Vorbehalt des Gesetzes, stellt seine Verletzung auch keine unmittelbare Verletzung des Gleichheitssatzes dar. Dürig 87 versucht die Entschädigungspflicht damit zu begründen, daß i m Gleichheitssatz der „Opferausgleichsatz" enthalten sei. Worin jedoch das für den aus dem Gleichheitssatz ableitbaren Opferausgleichsatz relevante „besondere Opfer" zu sehen ist, bedarf noch näherer Prüfung. Bei Legalenteignungen, durch die bestimmte Vermögenswerte unmittelbar kraft Gesetzes enteignet werden, kann von einem „besonderen Opfer" i m Sinn eines „ungleichen Opfers" keine Rede sein, wenn das Gesetz generell bestimmte Sachgüter enteignet 88 . Aber auch das Enteignungsgesetz, auf Grund dessen durch Verwaltungsakt zu einem bestimmten Zweck enteignet werden soll, schafft keine „ungleiche" Opferlage, weil praktisch das Eigentum jeden Eigentümers unter der „latenten Gefahr" steht, durch Verwaltungsakt enteignet zu werden. Nun läßt sich jedoch bei Enteignungen durch Verwaltungsakt auf Grund des Gesetzes eine „besondere" Opferlage ganz spezifischer A r t feststellen. Der Gesetzgeber, der ein Enteignungsgesetz, auf Grund dessen durch Verwaltungsakt enteignet werden kann, erläßt, weiß, daß sich die konkrete Enteignung nicht bei allen Eigentümern ereignen kann, sondern abhängig von tatsächlichen Zufälligkeiten 8 9 — nur bei einzelnen Eigentümern. Hierin liegt nun i n der Tat ein „besonderes Opfer", das die anderen Eigentümer nicht zu tragen brauchen. Nach Dürig soll jeder vom Gesetz trotz dieser erkannten oder i n Rechnung gestellten besonderen Opferlage gewollter Eingriff einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darstellen und somit rechtswidrig sein, „wenn nicht der das ,ungleiche4 Opfer bewirkende oder i m Gefolge habende Eingriff den Willen zum ,Opferausgleich 4 i n sich trüge" 9 0 . Damit steht Dürigs „Opferausgleich" i n auffallender gedanklicher Nähe zu Scheuners 91 Versuch, die Entschädigungspflicht auf das eben86

Steidl, S. 80. Dürig, Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff, JZ 1954, S. 4. Dürig, Grundfragen des öffentlich-rechtlichen Entschädigungssystems, JZ 1955, S. 521 ff. (522). 88 Ζ. B. Enteignung bestimmter A r t e n von Medikamenten i n Katastrophenfällen. E i n „ungleiches Opfer" könnte allenfalls darin gesehen werden, daß einzelne Eigentümer unterschiedliche Mengen des betroffenen Gutes zur Verfügung stellen müßten. 89 E i n bestimmter Eigentümer w i r d enteignet, w e i l über sein Grundstück die geplante Straße führen soll. 90 Dürig, JZ 1954, S. 5. 91 Scheuner i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 73, S. 125. 87

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falls aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Prinzip der Lastengleichheit zu gründen. Dieser schon von Zeiller 92 zur Begründung der Entschädigungspflicht herangezogene Gedanke besagt, daß die durch die Enteignung von Vermögenswerten auferlegte Sonderbelastung „nicht von den zufällig Betroffenen, nicht von dem Inhaber der M i t t e l zur Erreichung der Ziele der Gesamtheit, sondern vom Ganzen getragen werden soll, dem die Aufopferung zugute kommt" 9 3 . Daraus ergebe sich die Forderung, daß die Allgemeinheit dem enteigneten Eigentümer zum Ausgleich seines „Sonderopfers" ersatzpflichtig wird. Für Scheuner ist dies nicht nur ein Gebot der Billigkeit 94, sondern ein Rechtsprinzip. Die auf dem Prinzip der Lastengleichheit beruhende Ausgleichspflicht hat für den deutschen Rechtsbereich ihren Grund vor allem i n dem nach A n sicht Schacks zu einem verfassungskräftigen Rechtsprinzip erstarkten allgemeinen Aufopferungsanspruch, der i n seinen Wurzeln auf den Aufopferungsanspruch der §§ 74, 75 Einl. A L R 9 5 zurückgeht. Freilich kann für die österreichische Rechtsordnung eine solche Norm nicht nachgewiesen werden. Doch läßt sich das Prinzip des Opfer- und Lastenausgleichs — worauf schon Dürig und Scheuner 96 verwiesen haben — unmittelbar aus dem Gleichheitssatz ableiten. Diese Ansicht ist von Spanner, Pfeifer und Korinek auch für den österreichischen Rechtsbereich übernommen worden 9 7 . 92

Zeiller, Commentar I I / l , S. 128. Scheuner, Verfassungsschutz, S. 125. A u f die Lastengleichheit stellen zur Begründung der Entschädigungspflicht ab: Kutscher, Die Enteignung (1938), S. 45 f.; Fischer, Referat zum 41. D J T I I C (1955) S. 37 ff. (38 f.); Jaenicke, Gefährdungshaftung i m öffentlichen Recht i n : V V D S t R L 20 (1963) S. 135 ff. Nell-Breuning, i n : Eigentum u n d Bodenrecht (1972) S.77ff. (82); Menger/ Erichsen, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, V e r w Arch. 56 (1965) S. 374 ff. (375); Heidenhain, Amtshaftung u n d Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff (1965), S. 96. 94 So aber O. Mayer, Deutsche Verwaltungsrecht 2(1914/1917) I I , S. 516 ff.; O. Mayer, Entschädigungspflicht des Staates i n : Stengel / Fleischmann, W ö r terbuch des deutschen Staats- u n d Verwaltungsrechts 2(1910) I, S. 731 - 734. Vgl. zur „Billigkeitstheorie" O. Mayers insb. Tschacksch, Die öffentlichrechtliche Entschädigung bei schuldlos rechtswidrigen Verwaltungsakten (1931) S. 30 ff.; Fahrenkrug, Die Entschädigung f ü r rechtswidrig schuldlose Verwaltungsakte (1937) S. 33 ff. 95 Schack, Gutachten zum 41. D J T (1955) 1/1, S. 38. §74 E i n l A L R : „Einzelne Rechte u n d Vorteile der Mitglieder des Staates müssen den Rechten u n d Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohles, w e n n zwischen beiden ein w i r k l i c h e r Widerspruch (Kollision) eint r i t t , nachstehen." § 75 E i n l A L R : „Dagegen ist der Staat denjenigen, der seine besonderen Rechte u n d Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt w i r d , zu entschädigen gehalten." 96 Dürig, JZ 1954, S. 6; Scheuner, Verfassungsschutz, S. 125. 97 Spanner i n : GS f. W. Jellinek, S. 482; Pfeifer, ÖJZ 1962, S. 477; Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung, S. 53. 93

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M. E. läßt sich jedoch diese Auffassung aus dem bisherigen Verständnis des Gleichheitssatzes als W i l l k ü r - und Diskriminierungsverbot schwer begründen. Denn wenn der allgemeine Gleichheitssatz lediglich fordert, daß der Tatbestand die Rechtsfolge sachlich zu rechtfertigen vermag, d. h. daß diese weder w i l l k ü r l i c h noch diskriminierend ist, ist nicht einzusehen, wo das für den Gleichheitssatz relevante Sonderopfer liegen soll, wenn sich die tatsächliche Enteignung nur bei dem einen oder anderen Eigentümer infolge des Hinzutritts besonderer Umstände (ζ. B. wegen der Lage des Grundstückes) ereignet, da durch die Konkretisierung der Enteignung i m Einzelfall Umstände, die auf „Unterschieden i m Tatsächlichen" beruhen, zum Tatbestandsmerkmal gemacht werden 98 , so daß von einer W i l l k ü r oder Diskriminierung keine Rede sein kann. Der Opferausgleichsatz bzw. das Prinzip der Lastengleichheit kann m. E. nur dann als Ausfluß des allgemeinen Gleichheitssatzes betrachtet werden 99 , wenn man m i t H. J. Wolff 100 erkennt, daß man von der „gesetzesimmanenten" Gleichheitsbeziehung, die die Beziehung zwischen dem Tatbestand und der Rechtsfolge betrifft 1 0 1 , das „gesetzestranszendente" Gleichheitsgebot unterscheiden muß, das die Beziehung zwischen dem gesetzlichen Tatbestand und dem realen Lebenssachverhalt betrifft. Das „gesetzestranszendente" Gleichheitsgebot verlangt nach H. J. Wolff, daß der Tatbestand des Gesetzes alle Sachverhalte wesentlich gleicher Beschaffenheit erfaßt, also nicht an akzidentelle, sondern an essentielle Momente anknüpft. Essentiell sind diejenigen Elemente der zu vergleichenden Lebenssachverhalte, die den objektiven Wert der beteiligten Interessen bedingen 102 . Eine Verletzung des „gesetzestranszendenten" Gleichheitsgebotes macht den Eingriff nicht verfassungswidrig, sondern löst lediglich Entschädigungsansprüche aus 103 . 98 Dieses Verständnis des Gleichheitssatzes dürfte auch der G r u n d dafür sein, daß die Begründung der Pflicht zum Ausgleich des „besonderen Opfers" m i t dem Gleichheitssatz, w i e sie i n der deutschen Lehre vertreten w i r d , i n der Schweiz überwiegend abgelehnt w i r d . Siehe dazu die Hinweise bei Pernthaler, Zonenplanung u n d Eigentumsschutz, Berichte zur Raumforschung u n d Raumplanung, Heft 3, S. 1 (5 F N 23). Aus der schweizerischen Lehre vgl. ablehnend Meier I Hayoz i n : Berner K o m m e n t a r I V 4 , S. 182; Holzach, öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen u n d expropriationsähnlicher Tatbestand (1951) S. 100 ff.; Reichlin, Rechtsfragen der Landesplanung, ZSR 66 (1947) S. 172 a ff. (320 a ff.); Imboden i n : Verhandlungen des Schweiz. Juristenvereins 1953 ZSR 72 (1953) S. 554; a. A . dagegen Sprecher, Über die Entschädigungspflicht des Staates bei Ausübung der öffentlichen Gewalt (1921),. S. 118 ff.; His, Das Problem der staatlichen Entschädigungspflicht bei Ausübung öffentlich-rechtlicher Funktionen, ZSR 42 (1923) S. 22 ff. 99 Ipsen i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I , S. 195. 100 Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht 1 9(1974) S. 525 ff. 101 Dem „gesetzesimmanenten" Gleichheitsgebot entspricht das W i l l k ü r u n d Diskriminierungsverbot, dem gemäß der Gesetzgeber eine Ungleichbehandlung n u r aus sachlichen Gründen vornehmen darf. 102 Wolff / Bachof, S. 176.

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Dieses „gesetzestranszendente" Gleichheitsgebot, als dessen Erscheinungsform der Opferausgleichsatz und das Lastengleichheitsprinzip angesehen werden können, liegt der Lehre vom besonderen Opfer zugrunde. Nach dieser Ansicht ist ein ausgleichsbedürftiges Sonderopfer anzunehmen, wenn eine das Eigentum beeinträchtigende Maßnahme von Umständen abhängt, die „zufällig", „von außen" hinzutreten und veranlassen, daß das i n Frage stehende Eigentumsobjekt anders behandelt w i r d als andere derselben A r t und Gattung. Durch derartige Eingriffe werden die betroffenen Interessenträger ungleich den Trägern wesentlich gleicher Interessen belastet, w e i l die Folge des rechtmäßigen Eingriffs nicht sämtliche Sachverhalte wesentlich gleicher Beschaffenheit betrifft, sondern nur diejenigen, die außerdem besondere, akzidentelle Momente aufweisen 104 . Das Gebot des Opfer- und Lastenausgleichs der Allgemeinheit kann als Ausformung des transzendenten Gleichheitsgebotes auch für die österreichische Verfassungsordnung anerkannt werden, da hinter diesem der Gedanke der „Chancengleichheit" 105 steht, der als Essentiale eines jeden demokratischen Rechtsstaates auch der österreichischen Verfassungsordnung zugrunde liegt. Durch eine entschädigungslose Enteignung, die nicht nur die Aufgabe des Eigentums an der konkreten Sache, sondern auch die alleinige Tragung der durch die Vermögenseinbuße bedingten Last bedeutet, w i r d jedoch der Enteignete i n der Möglichkeit den übrigen Rechtsgenossen i n seiner sozialen und w i r t schaftlichen Position zu gleichen, aufs Schwerste beeinträchtigt. Insofern kann i n der entschädigungslosen Enteignung eine Verletzung des aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Opferausgleichsatzes gesehen werden. Die Enteignung ist nur dann ein rechtmäßiger Eingriff, wenn m i t dem enteignenden Eingriff zugleich garantiert ist, daß die durch den Eingriff bewirkte Vermögenseinbuße von der Allgemeinheit ausgeglichen wird. Soweit der Gleichheitssatz als Ausfluß des einem demokratischen Staatswesen zugrunde liegenden Funktionsprinzips der 103

Wolff / Bachof, S. 526. W a n n der beeinträchtigende Eingriff an essentielle oder bloß akzidentelle Momente anknüpft u n d damit ein besonderes Opfer auferlegt, ist dadurch freilich nicht geklärt. U m dies zu klären, sind auch bei Wolffs Ansatz die gleichen K r i t e r i e n anzuwenden, die der Unterscheidung zwischen E n t eignung u n d Eigentumsbeschränkung dienen (vgl. dazu Battis , Erwerbsschutz durch Aufopferungsentschädigung, S. 52). Schon aus der oben (siehe soeben bei F N 100) gegebenen Darstellung w i r d deutlich, daß Wolff seine Lehre von der immanenten u n d transzendenten Gleichheitsbeziehung i m H i n b l i c k auf solche Sonderopferlagen konzipiert hat, die unmittelbar durch Gesetz angeordnet sind. Sein Schüler Battis hat es unternommen, die Herleitung der Sonderopferlehre aus dem gesetzestranszendenten Gleichheitssatz auf gegen das Eigentum gerichtete Verwaltungsakte auszudehnen. 105 Ermacora, Handbuch, S. 64. 104

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Chancengleichheit verstanden und demgemäß nicht nur als W i l l k ü r und Diskriminierungsverbot 1 0 8 , sondern auch als gesetzestranszendentes Gleichheitsgebot i m Sinne des Lasten- und Opferausgleichsatzes angesehen w i r d 1 0 7 , ist die Pflicht zur Enteignungsentschädigung auch vom Gleichheitssatz gefordert. Eingangs wurde bereits erwähnt, daß der VerfGH i n zwei Erkenntnissen aus jüngerer Zeit bei enteignenden Maßnahmen — gestützt auf den Gedanken des Gleichheitssatzes — von seiner entschädigungsfeindlichen Judikatur abgegangen ist 1 0 8 . Freilich zeigen gerade die beiden Erkenntnisse, wie verhängnisvoll es für die Eigentumsgarantie ist, wenn die Entschädigungspflicht auf das Verständnis des Gleichheitssatzes als Willkürverbot gestützt wird. I n beiden Erkenntnissen hat der VerfGH diejenigen Bestimmungen des Kärntner bzw. Tiroler Wohnsiedlungsgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben, die den Grundstückseigentümer i n bestimmten Fällen verpflichten, Teile seines Grundstückes ohne Entschädigung zu Zwecken der Herstellung von Straßen an die Gemeinde abzutreten. Er sah darin eine Gleichheitswidrigkeit, w e i l i n der Verpflichtung der Grundstückseigentümer, Grund ohne Entschädigung abzutreten, eine Benachteiligung der Betroffenen i m Vergleich zu jenen Anrainern liege, die — bedingt durch die Trassenführung — keine Grundfläche abtreten mußten, obwohl auch sie i n den Genuß der Aufschließungsvorteile gelangten, die durch die Straße hervorgerufen werden. Daß ein Teil der Grundeigentümer ohne Entschädigung abtreten müsse, während dies bei anderen nicht der Fall sei, obwohl die Aufschließungsvorteile allen Eigentümern zugute kämen, sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Ganz deutlich sieht man, daß der VerfGH hierbei an das Verständnis des Gleichheitssatzes als Willkürverbot anknüpft. Indem der VerfGH die „ W i l l k ü r " darin sieht, daß der eine Grundstückseigentümer für den Aufschließungsvorteil als Gegenwert Vermögen hingeben muß (nämlich die entschädigungslose Grundabtretung), während der andere Eigentümer dafür keine Vermögenseinbuße hinnehmen muß, wählt er jedoch einen Ausgangspunkt, der es ermöglicht, die Gleichheitswidrigkeit zu beseitigen, ohne den betroffe108 Daß das f ü r die verfassungsmäßige Enteignung charakteristische besondere Opfer nicht den Gleichheitssatz als W i l l k ü r - u n d Diskriminierungsverbot verletzt (ein eigentumsbeeinträchtigender Eingriff der dies täte, wäre verfassungswidrig), sondern das transzendente Gleichheitsgebot, w i r d oft verkannt (so z.B. B G H 2.10.1956, Β G H Z 22, S. 1 (9 f.); Thomä / Wolter, Zweckentfremdung u n d Enteignung, M D R 1958, S. 203 - 205), w o h l auch Haas, M D R 1951 S. 650 ff. (651); Haas, M D R 1952 S. 648 ff. (650). 107 v g l z u r Interpretation des Gleichheitsatzes als Gebot der Chancengleichheit insb. Scholler, Die Interpretation des Gleichheitssatzes als W i l l kürverbot oder als Gebot der Chancengleichheit (1969). toe V e r f G H 13.10.1972, VerfGHSlg. 6884; V e r f G H 11.12.1973 VerfGHSlg. 7234; siehe allerdings jetzt V e r f G H 11.3.1976, Ö Z W 1977, S.25ff. m i t abl. A n m . v. Korinek.

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nen Eigentümer zu entschädigen: nämlich durch die gesetzliche Statuierung einer Beitragspflicht für alle durch den Aufschließungsvorteil begünstigten Grundeigentümer; eine Möglichkeit, die der VerfGH i n dem betreffenden Erkenntnis ja auch diskutiert. Damit müßten neben dem von der Abtretungspflicht betroffenen Eigentümer auch die anderen Eigentümer für den Aufschließungsvorteil ein vermögenswertes Äquivalent leisten, wodurch die Gleichheitswidrigkeit beseitigt wäre, ohne daß das i n der Grundstücksabtretung gelegene Sonderopfer des einen Eigentümers ausgeglichen wäre. Gleichwohl hat aber der VerfGH auch den Gedanken des Opferausgleiches ins Spiel gebracht, wenn er die Möglichkeit von Interessenbeiträgen aller durch die Aufschließungsvorteile Begünstigten unter dem Aspekt diskutiert, daß der Gemeinde aus der Entschädigung des Abtretungspflichtigen auf diese Weise keine Kosten erwachsen würden. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, daß die Ausführungen des VerfGH — obwohl sie i n der Frage der Entschädigung bei hoheitlichen Eigentumseingriffen einen wichtigen Fortschritt bringen — nicht ganz befriedigen, w e i l der VerfGH durch die Verkürzung der Problematik auf den Gleichheitssatz als Willkürverbot verkannt hat, daß nur der Opferausgleichsatz imstande ist, eine auf dem Gleichheitssatz beruhende Entschädigungspflicht bei Enteignungen zu begründen. Schließlich w i r d die Entschädigungspflicht noch auf A r t . 1 ZPMRK gegründet 109 , das durch Bundesverfassungsgesetz vom 6.4.1964 (BGBl. 59/1964) eindeutig Verfassungsrang erhalten hat. Gemäß A r t . 1 Abs. 1 S. 1 ZPMRK hat jede natürliche oder juristische Person ein Recht auf Achtung des Eigentums. Niemanden — so bestimmt A r t . 1 Abs. 1 S. 2 ZPMRK — darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, daß das öffentliche Interesse es verlangt und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen 110 . N u n ist es unbestritten, daß die Entschädigungspflicht bei Enteignungen zu den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts gehört 1 1 1 . Daraus 109 Hellbling, JB1. I960, S.353; Pfeifer, ÖJZ 1962, S.478; Wresounig, Der E n t w u r f einer Bauordnung f ü r Steiermark u n d der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz, JB1. 1967, S. 126 ff. (127 f.); Mayer-Maly, Rechtsfragen der Raumordnung (1972) S. 57. 110 A r t . 1 Abs. 2 Z P M R K lautet: Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch i n keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er f ü r die Regelung der Benutzung des Eigentums i n Übereinstimmung m i t dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern, sonstiger Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält. 111 I m Gegensatz zur früheren Lehre und Judikatur, die eine Enteignung n u r dann f ü r völkerrechtsgemäß hielt, w e n n „volle" Entschädigung geleistet wurde (vgl. dazu Schiedsspruch des Ständigen Internationalen Schiedshofes i m Streit zwischen den U S A u n d Norwegen über die Ansprüche norwegischer

4 Aicher

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l e i t e t m a n ab, daß A r t . 5 S t G G n i c h t m e h r die einzige V e r f a s s u n g s n o r m ist, die das E i g e n t u m schützt. D u r c h A r t . 1 Z P M R K sei d e r einfache G e setzgeber v o n Verfassungs w e g e n v e r p f l i c h t e t , n u r m e h r völkerrechtsmäßige E n t e i g n u n g e n z u n o r m i e r e n . E i n e B e d i n g u n g d e r V ö l k e r r e c h t s m ä ß i g k e i t sei j e d o c h auch die E n t s c h ä d i g u n g s p f l i c h t 1 1 2 . Diese A n s i c h t ist j e d o c h f ü r d e n i n n e r s t a a t l i c h e n B e r e i c h n u r d a n n zutreffend, w e n n sich der persönliche G e l t u n g s b e r e i c h des A r t . 1 Z P M R K auch a u f I n l ä n d e r bezieht. Dies ist jedoch f ü r die V e r w e i s u n g a u f d i e a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e des V ö l k e r r e c h t s u m s t r i t t e n . D i e Europäische K o m m i s s i o n h a t es u n t e r B e r u f u n g a u f die M a t e r i a l i e n z u A r t . 1 Z P M R K i m G u d m u n d s s o n - F a l l 1 1 8 v e r n e i n t , daß sich die V e r w e i s u n g a u f die a l l g e m e i n e n G r u n d s ä t z e des V ö l k e r r e c h t s i n A r t . 1 Z P M R K auch a u f d e n I n l ä n d e r u n d s e i n E i g e n t u m b e z i e h t 1 1 8 0 . N a c h Ermacora 114 genießen j e d o c h auch I n l ä n d e r d e n Schutz des A r t . 1 Z P M R K 1 1 5 . F ü r diese A n s i c h t Reeder i n : R I A A 1, S. 339 f.; Schiedsspruch i m „Delagoa-Fall" NRG 2 ,30, S. 329 ff. [404]), verlangt die neue Lehre n u r mehr eine angemessene Entschädigung (vgl. dazu Seidl-Hohenfeldern, Völkerrecht (1974) S. 288; Seidl-Hohenfeidern, A r t i k e l „Auslandsvermögen i m Völkerrecht" i n : Staatslexikon der GörresGesellschaft I, Sp. 702-703; Wengler, Völkerrecht I I (1964), S. 1008; Verdroß, Völkerrecht (1964) S. 366; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts I (1960) 399; Dahm, Völkerrecht I (1958) S. 516 f.; Böckstiegel, Die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über Eigentumsentziehung (1963) S. 81 ff. Vereinzelt w i r d i n der Völkerrechtslehre auch die Auffassung vertreten, daß bei umfassenden wirtschaftlichen u n d sozialen Umgestaltungen, w i e Sozialisierungen u n d Bodenreform, auch der Ausländer sein Eigentum ersatzlos aufopfern muß (so La Pradelle, Annuaiere de l ' I n s t i t u t de droit intern a t i o n a l s (1950) I, S. 42 ff.; Friedman, Expropriation i n International L a w (1953) S. 206 ff.; dagegen Guggenheim, Traité de droit international puplic, I (1953), S. 334 f. 112 Vgl. insb. Ermacora, Handbuch S. 169- 173; Wresounig, JB1. 1967, S. 128 f. 113 J B I I I (1960) S. 394, 422 f. Kritisch dazu Mosler, Kritische Bemerkungen zum Rechtsschutzsystem der E M R K i n : FS Jahrreis (1964) S. 289 f. (313 f.). 113a So auch Böckstiegel, Die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über die Eigentumsentziehung S. 79; Böckstiegel, G i l t der Eigentumsschutz der E M R K auch f ü r Inländer, N J W 1967, S. 905 ff. (906); Partsch, Die Rechte u n d Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention (1966) 255 f.; jüngst wieder Böckstiegel i n : Böckstiegel / Koppensteiner, Enteignungs- oder Nationalisierungsmaßnahmen gegen ausländische Kapitalgesellschaften (1974) S. 5 ff. (23). 114 Ermacora, Handbuch, S. 133; so auch Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention (1968) S. 258 f. 115 Hellbling (JB1. 1960, S. 355) läßt es zwar offen, i n w i e w e i t der einfache Gesetzgeber durch A r t . 1 Z P M R K unmittelbar verpflichtet ist, bei Enteignungen von Inländern eine Entschädigung vorzusehen. E r h ä l t es aber f ü r eine dem Gleichheitsgrundsatz widersprechende unsachliche Differenzierung, w e n n der Gesetzgeber bei Enteignungen von Ausländern Entschädigungen bestimmt, dies aber bei Enteignungen von Inländern unterläßt (so auch Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts®, S. 560). Dem ließe sich jedoch entgegenhalten, daß — zumindest nach der J u d i k a t u r des V e r f G H (3118/1956) — ein sachlicher G r u n d f ü r eine derartige Differenzierung darin läge, daß Enteignungen von Ausländern v i e l seltener w ä r e n als von I n l ä n -

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scheint der Wortlaut des A r t . 1 ZPMRK zu sprechen, der eine Unterscheidung zwischen Inländern und Ausländern nicht trifft, sondern jeder natürlichen oder juristischen Person die Achtung ihres Eigentums garantiert. Dazu kommt noch, daß das Gesamtbild der Konvention für den Inländerschutz spricht. Das kann angesichts der Formulierung i n A r t . 1 MRK, nach der die vertragschließenden Staaten die Konventionsrechte „allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen" zu gewähren haben, nicht zweifelhaft sein 116 . Dies stellt auch Böckstiegel 117 nicht i n Frage. Er bezweifelt nur — und das ist für unser Problem von besonderer Bedeutung —, ob die Verweisung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts auch für den Inländer gilt. Eine solche Deutung ist vom Wortlaut des A r t . 1 Z P M R K jedoch nicht ausgeschlossen, denn die Verweisung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts könnte auch so verstanden werden, daß eine konventionsgemäße Enteignung nur erfolgen könne, wenn die nach den Grundsätzen des Völkerrechts zu beachtenden Bedingungen, d.h. die völkerrechtlichen Fremdenschutzprinzipien, eingehalten werden, zu deren Anwendbarkeitsvoraussetzung jedoch die Ausländereigenschaft des zu Enteignenden gehört. Läßt der Text des A r t . 1 Z P M R K aber auch diese Deutung zu, ist er insofern mehrdeutig, und es ist Böckstiegel 118 zuzustimmen, daß unter diesen Umständen auf die Entstehungsgeschichte des A r t . 1 ZPMRK abzustellen ist. Aus dieser ergibt sich aber — wie Böckstiegel i n einer exakten Analyse der Materialien zu A r t . 1 Z P M R K nachgewiesen hat 1 1 9 — eindeutig, daß unter den Vertragspartnern Einigkeit herrschte, daß die Verweisung auf die allgemeinen Völkerrechtsgrundsätze nur Ausländer schützen soll 1 2 0 . Wenn dagegen behauptet wird, daß die vertragschließenden Teile es ausdrücklich hätten normieren müssen, wenn sie die Verweisung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts nur auf Ausländer bedern, so daß durch Entschädigung f ü r Enteignungen v o n Ausländern die Leistungsfähigkeit des Staates w e i t weniger i n Frage gestellt werden würde, als durch die viel häufiger auftretenden Enteignungen von Inländern bei gleicher Entschädigungsleistung. 116 Da gemäß A r t . 5 Z P M R K die A r t . 1 - 4 Z P M R K als Zusatzartikel zur Konvention gelten, findet A r t . 1 M R K auch auf A r t . 1 Z P M R K Anwendung. 117 Siehe F N 114. 118 Böckstiegel, N J W 1967, S. 907. 118 Böckstiegel, N J W 1967, S. 907. 120 Deshalb ist es unverständlich, daß Moser (Die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 270) diesen E i n w a n d m i t der Bemerkung abtut, die E n t stehungsgeschichte verschaffe keine K l a r h e i t (!). Auch die Bedenken Gur adzes (Die Europ. Menschenrechtskonvention 258), daß es fraglich sei, ob dies dem Parteiwillen entsprochen habe, da die Mehrheit des Ministerkomitees einer Minderheit von 3 Delegationen nachgegeben hätte, ändert nichts daran, daß die Mehrheit der inländerfeindlichen Auffassung der Minderheit zugestimmt hat, u m die notwendige Einstimmigkeit zu erreichen.



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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

schränken wollten 1 2 1 , so ist dies nicht zutreffend. Die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts und damit auch die Entschädigungspflicht bei Enteignungen haben sich vor allem i n der Judikatur der internationalen Gerichte entwickelt. Die völkerrechtliche Eigenart dieser Rechtsstreitigkeiten bestand gerade darin, daß ein Staat von einem anderen Staat oder von einem ausländischen Individuum belangt wurde. Die allgemeinen Völkerrechtsgrundsätze, die sich aus dieser Judikatur entwickelten, sahen entsprechend ihrer eigenartigen Entstehungsweise den Ausländer als Schutzobjekt an. Wenn i n A r t . 1 Z P M R K auf solche allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts verwiesen wird, so w i r d als Voraussetzung für deren Anwendbarkeit — bedingt durch die Eigenart ihrer völkerrechtlichen Entstehung — auch auf die Ausländereigenschaft verwiesen. Deshalb wurde durch die Verweisung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts i n dem grundsätzlich für In- und Ausländer geltenden A r t . 1 ZPMRK nicht der Inländer als Schutzobjekt der allgemeinen Völkerrechtssätze anerkannt. Vielmehr wurde dadurch bestimmt, daß eine rechtmäßige Enteignung — unabhängig davon, ob der Enteignete I n - oder Ausländer ist — nur vorliegt, wenn das öffentliche Interesse und sofern es sich u m die Enteignung von Ausländern handelt auch die i n den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts enthaltenen Bedingungen, vor allem die Pflicht zur Entschädigung erfüllt sind. Dies mußte nicht ausdrücklich normiert werden, w e i l es sich schon aus der Verwendung der Formulierung „allgemeine Grundsätze des Völkerrechts" ergab. A r t . 1 Z P M R K hätte, wenn die Entschädigungspflicht durch A r t . 1 Z P M R K auch für Inländer hätte begründet werden sollen, statt der Verweisung auf die allgemeinen Völkerrechtsgrundsätze neben dem Erfordernis des öffentlichen Interesses und der Gesetzmäßigkeit die Entschädigungspflicht als dritte Voraussetzung der rechtmäßigen Enteignung nennen müssen. Damit wäre zweifelsfrei festgestellt, daß dem einfachen Gesetzgeber auch eine entschädigungslose Enteignung von Inländern untersagt ist. Ein von der Mehrheit des Ministerkomitees gewünschter Text des A r t . 1 ZPMRK, der dies tatsächlich vorgesehen hatte, fand jedoch keine Zustimmung der britischen, französischen und saarländischen Delegation 122 . Offenbar wollten diese Staaten keine Einschränkung ihrer nationalen Souveränität bezüglich der Normierung von entschädigungslosen Enteignungen von Inländern erdulden. Deshalb wurde, u m die erforderliche Einstimmigkeit zu erzielen, eine Kompromißformel gefunden, i n der durch die Verweisung auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts wenigstens die Entschädigungspflicht bei Enteignungen von Ausländern gesichert war. Dadurch mag nun durchaus das die M R K tragende Prinzip der Gleich121 122

So Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 259. Böckstiegel f N J W 1967, S. 907.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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b e h a n d l u n g v o n I n - u n d A u s l ä n d e r n v e r l e t z t s e i n 1 2 3 . Das w a r jedoch der Preis f ü r die Konzession, die gegenüber d e n V e r h a n d l u n g s p a r t n e r n gem a c h t w e r d e n m u ß t e , die i n diesem B e r e i c h i h r e n a t i o n a l e S o u v e r ä n i t ä t b e w a h r e n w o l l t e n , u m ü b e r h a u p t e i n e n K o n v e n t i o n s s c h u t z des E i g e n t u m s zustande zu b r i n g e n . M a g dies auch f ü r d e n Schutz des I n l ä n d e r e i g e n t u m s eine bedauerliche S c h w ä c h u n g d a r s t e l l e n . Angesichts der sich aus der Entstehungsgeschichte des A r t . 1 Z P M R K ergebenden A b s i c h t des h i s t o r i s c h e n Gesetzgebers erscheint es f r a g l i c h , ob sich auch e i n I n l ä n d e r gegenüber e i n e r entschädigungslosen E n t eignung auf A r t . 1 Z P M R K berufen 124 könnte125. 123 Nicolas y L a Convention européenne des droits de l'homme et le droit de propriété i n : Le D r o i t Européen 4, (1961) S. 209 f. 124 Demgegenüber schlägt auch der E i n w a n d Mosers (a. a. O., S. 271) nicht durch, daß die M R K die Individualbeschwerde zugelassen habe. Dadurch werde abweichend v o m allgemeinen Völkerrecht dem einzelnen unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit der Konventionsschutz gewährt. Könnte die Individualbeschwerde der Inländer nicht auf A r t . 1 Z P M R K gestützt werden, wäre die Mehrzahl der Bevölkerung von der Vermögensgarantie der K o n vention ausgeschlossen, da die Inländer stets den überwiegenden T e i l der Bevölkerung eines Staates darstellen. Diese Ansicht übersieht, daß sich I n länder durchaus auf den A r t . 1 Z P M R K stützen können, soweit sich ihre Beschwerde gegen eine gesetzlose oder gegen eine nicht i m öffentlichen Interesse liegende Enteignung richtet. Lediglich auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts können sie sich nicht stützen. Das übersieht auch Korinek (Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung S. 54), w e n n er meint, daß der persönliche Geltungsbereich des A r t . 1 Z P M R K f ü r Inländer fraglich ist. Problematisch ist vielmehr nur, ob sich der Inländer i m Rahmen des auch auf i h n anwendbaren A r t . 1 Z P M R K auch auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts berufen kann. So auch Schulz, Die aktuellen Probleme des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, S. 172. 125 Es ist auch nicht möglich, die Entschädigungspflicht bei Enteignungen von Inländern auf A r t . 9 B . - V G zu gründen. Dagegen spricht schon einmal die freilich problematische Ansicht des VerfGH, daß die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts n u r auf der Stufe eines einfachen Bundesgesetzes stehen, sodaß auf die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts eine verfassungskräftige Verpflichtung zu Entschädigungsleistung nicht gegründet werden könnte. Daß die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts auf der Stufe einfacher Bundesgesetze stehen, v e r t r i t t der V e r f G H seit V e r f G H Slg. 2680/1954 i m Gegensatz zur Lehre von Kunz (Völkerrechtliche Bemerkungen zur österreichischen Bundesverfassung, Annalen des Deutschen Reiches 54/55 [1921/22] S. 312) und Metall, (Das allgemeine Völkerrecht u n d das innerstaatliche Verfassungsrecht, Z. f. Völkerrecht 14 [1928] S. 161) i n ständiger Judikatur. Dagegen auch Ermacora, Der Verfassungsgerichtshof, S. 353 f., der den Rang der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts danach bestimmt, ob sie gemäß den einschlägigen Bestimmungen des B . - V G n u r durch ein Verfassungsgesetz oder durch einfaches Gesetz aufgehoben oder abgeändert werden können (so auch Walter, Der Stufenbau nach der derogatorischen K r a f t i m österreichischen Recht, ÖJZ 1968, S. 169 ff. (173); Walter, Verfassung u n d Gerichtsbarkeit, S. 129 f.; vgl. dazu auch Rill, Der Rang der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts i n der österreichischen Rechtsordnung, ZöffR 10 (1959/60) S. 439 f t , der den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts einen Rang zwischen Bundesverfassungsrecht u n d einfachem Bundesrecht zuerkennt. A b e r selbst w e n n der V e r f G H von seiner J u d i k a t u r abgehen u n d zu einer differenzierenden Betrachtung i m Sinne Ermacoras gelangen sollte, wäre da-

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß auch nach der österreichischen Verfassungsordnung Enteignungen eine Entschädigungspflicht nach sich ziehen. Dies kann vor allem aus A r t . 5 StGG abgeleitet werden, zu dessen normativen Gehalt aus institutioneller Sicht auch § 365 A B G B gehört, der sowohl das Erfordernis des allgemeinen Besten als auch der angemessenen Schadloshaltung normiert. Dieses Ergebnis kann auch durch die Überlegung gestützt werden, daß die Verweigerung einer Entschädigung durch A r t . 5 StGG i n gröbstem Widerspruch zur ideengeschichtlichen Grundlage des Liberalismus stünde, auf der A r t . 5 StGG aufbaut. Erkennt man, daß i m Gleichheitssatz i m Zusammenhalt m i t dem demokratischen Prinzip (Art. 1 B.-VG) der Grundsatz der Lastengleichheit seinen positivrechtlichen Niederschlag gefunden hat, läßt sich die Entschädigungspflicht auch auf diesen gründen 128 . Da es demnach nicht zweifelhaft sein kann, daß auch nach der österreichischen Verfassungslage bei Enteignungen die Leistung einer Entschädigung gefordert wird, ist die Ansicht des VerfGH, daß die Verpflichtung des Staates zur Entschädigung verfassungsgesetzlich überhaupt nicht festgelegt sei, unhaltbar 1 2 7 . Ebenso verfehlt ist jedoch auch die Ansicht der h. L. 1 2 8 , entschädigungslose Enteignungen 129 seien verfassungswidrig. Die Ablehnung beider Standpunkte mag überraschen. Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit entschädigungsloser Enteignungen heißt die Alternative, die Judikatur und Lehre anzubieten haben. Ein Mittelweg scheint nicht gangbar. Indessen ist die Aussage der Lehre, entschädigungslose Enteignungen seien verfassungswidrig, nur zutreffend, wenn die dieser Aussage zugrundegelegte Prämisse stimmt, die — soweit ich sehe — insbesondere von Layer m formuliert und seither unkritisch übernommen wurde: Die Entschädigung sei Zulässigkeitsvoraussetzung, ja Bedingung der Enteignung. I n diesem Sinn meint Lay er pointiert: „Es gibt nur eine Enteignung gegen Entschädigung, so daß sich eine Enteignung ohne Entdurch f ü r den Inländerschutz noch nichts gewonnen. Denn die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts, die durch A r t . 9 B . - V G dem innerstaatlichen Recht inkorporiert u n d damit f ü r alle innerstaatlichen Organe v e r bindlich werden (Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts®, S. 54) setzen als Völkerrechtsregeln den Ausländer als Schutzobjekt voraus. 126 M. E. ist es jedoch verfehlt, die Entschädigungspflicht bei der E n t eignung von Inländern aus A r t . 1 Z P M R K abzuleiten. 127 V e r f G H 19.10.1953 VerfGHSlg. 2572/1953. 128 Siehe I, A , 3 i n F N 33. 129 Unter „entschädigungsloser Enteignung" w i r d i m folgenden ein enteignender Eingriff verstanden über dessen Entschädigung auf unterverfassungsgesetzlicher Ebene nichts gesagt ist. 130 Layer, Principien des Enteignungsrechts, S. 450 ff.

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Schädigung überhaupt nicht vollziehen kann, bzw. eine solche i m Rechtssinne überhaupt nicht ist". Die positivrechtliche Begründung dieser Aussage stößt auf erhebliche Bedenken. I n § 365 A B G B findet sie keine Stütze. Aus dem Wortlaut des § 365 ABGB: „Wenn es das allgemeine Beste erheischt, muß ein Mitglied des Staates gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigentum einer Sache abtreten", geht vielmehr hervor, daß die Entschädigung nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung i m Tatbestandsteil des § 365 A B G B steht (wie ζ. B. das allgemeine Beste), sondern daß §365 A B G B die angemessene Entschädigung als Rechtsfolge qualifiziert. Wenn es das allgemeine Beste erheischt (Tatbestand) ist als Rechtsfolge a) das Eigentum an der Sache abzutreten und b) dafür Entschädigung zu leisten. Diese Auffassung kann auch dogmengeschichtlich gestützt werden, da alle Vorläufer des A B G B — sieht man vom C. Theresianus, der zwar die Enteignung kannte, jedoch keine Entschädigung verhieß, ab — die Entschädigung als Folge der Enteignung auffaßten 131 . N u n gründet Layer seine Ansicht freilich nicht auf § 365 ABGB. I m wesentlichen beruht die Ansicht Layers auf zwei Argumenten: Einmal hält er die Ansicht, daß die Entschädigung die Konsequenz der Enteignung darstellt 1 3 2 , unvereinbar m i t den Enteignungsgesetzen, die die Pflicht zu vorgängiger Entschädigung normieren (so auch §§ 33, 35 EisbEntG) 133 . Diese Begründung überzeugt jedoch nicht. Denn offenbar steht hinter der Konzeption des EisbEntG, die Zulässigkeit des Enteignungsvollzuges an die Leistung der Entschädigung zu binden, die Überlegung, daß durch diese rechtstechnische Konstruktion der betroffene Eigentümer am ehesten davor geschützt ist, daß der begünstigte Unternehmer oder der Staat die Leistung der Entschädigung ungebührlich verzögert 134 . Daß einzig der Sicherungszweck und nicht — wie Layer 131

Siehe unten unter I I I , B, 2 - 4. 132 vgl. v Rohland, Z u r Theorie u n d Praxis des deutschen Enteignungsrechts (1875) S. 34; Grünhut, Das Enteignungsrecht, S. 189. 133 § 35 Abs. 2 EisbEntG: „Dieser Vollzug (s. c. der Enteignung) ist auf A n suchen des Eisenbahnunternehmens zu bewilligen, w e n n dieses nachweist, daß es den i h m betreffend die Leistung oder die Sicherstellung der E n t schädigung obliegenden u n d v o r der Enteignung zu erfüllenden Verbindlichkeiten nachgekommen sei." §33 Abs. 1 EisbEntG: „Die gerichtlich festgestellte Entschädigung ist, w e n n sie i n einem Kapitalbetrage besteht, vor dem Vollzuge der Enteignung zu leisten, soweit nicht nach § 9 eine nachträgliche Leistung stattzufinden hat." 134 Dagegen schlägt Layers Argument, die Sicherung des betroffenen Eigentümers sei lediglich ein rechtstechnisches Problem und hätte ebenso auf andere Weise gelöst werden können, nicht durch (Layer, Principien S. 457). Der Gesetzgeber hat eben i m EisbEntG gerade diese F o r m der Sicherstellung gewählt.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

meint 1 3 5 — die richtige Erkenntnis vom Wesen der Enteignung das Motiv für diese Konzeption war, w i r d auch noch aus den §§ 9 und 10 EisbEntG deutlich. Gemäß §§ 9 und 10 EisbEntG ist der Vollzug der Enteignung unter gewissen Umständen ohne vorgängige Entschädigung zulässig 136 . I n diesen Fällen muß die Eisenbahnunternehmung lediglich Sicherstellung leisten, und zwar nur auf Verlangen des betroffenen Eigentümers. Wenn der Gesetzgeber die Entschädigungsleistung i m EisbEntG als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung aufgefaßt hätte, hätte er konsequenterweise die Sicherstellungspflicht eintreten lassen müssen, ohne daß es einer Aufforderung des Entschädigungsberechtigten bedürfte. Aber auch Layers zweites Argument kann nicht überzeugen. Seiner Ansicht nach steht die Regelung des § 23 EisbEntG, nach der der Enteigner das Ansuchen auf Feststellung der Entschädigung stellen muß und der Enteignete dies erst t u n kann, wenn es der Enteigner versäumt hat, innerhalb eines Jahres den entsprechenden Antrag zu stellen, m i t der Auffassung, die Entschädigung sei Folge der Enteignung, i n Widerspruch, da es „doch ein einigermaßen merkwürdiges ,Recht auf Entschädigung' " sei, „welches gar nicht derjenige, der entschädigt werden soll — also der Expropriant — geltend machen kann, sondern i m Gegenteil derjenige, der die Entschädigung leisten soll". Da jedoch die Entschädigung Bedingung der Enteignung sei und der Enteignungsanspruch prinzipiell als Rechtsanspruch des Exproprianten seiner Disposition unterliege, sei es nur folgerichtig, daß auch die Feststellung und Zahlung der dem Gesetz entsprechenden Entschädigung zunächst der Initiative des Exproprianten überlassen sei 137 . Indessen übersieht Layer, daß — wie aus den Materialien zum EisbEntG eindeutig hervorgeht 1 3 8 — allein prozeßökonomische und für den Eisenbahnbau spezifische technische Überlegungen maßgeblich waren, das Recht auf Feststellung der zu leistenden Entschädigung i n ersten Linie dem Eisenbahnunternehmen zuzusprechen 139 . 185

Layer, Principien, S. 457. Ζ. B. w e n n sich der durch die Enteignung zu erwartenden Nachteil noch nicht bestimmen läßt. 187 Layer, Principien, S. 463. 138 Kaserer, Das Gesetz v o m 18. Februar 1878 betr. die Enteignung zum Zweck der Herstellung u n d des Betriebes von Eisenbahnen m i t Materialien, S. 263 f. 189 Der A n t r a g eines Abgeordneten i n § 23 Abs. 1 EisbEntG die Worte „ w e n n die Eisenbahnunternehmung dieses Ansuchen nicht innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft des Enteignungserkenntnisses stellt" wegzulassen u m damit sowohl dem Enteigner als auch dem Enteigneten ein gleiches Recht auf Feststellung der Entschädigungsleistung einzuräumen, wurde m i t dem Hinweis darauf zurückgewiesen, daß es der Eisenbahnunternehmung unmöglich sei, bereits kurze Zeit nach Rechtskraft des Enteignungserkenntnisses 136

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Es mag dahinstehen, ob diese Überlegungen von der Sache her gerechtfertigt waren. Es scheint jedoch gesichert zu sein, daß es nicht rechtsdogmatische Gründe waren, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, das Recht auf Feststellung der Entschädigung i n erster Linie dem Enteigner zu gewähren. Überdies findet sich i n den neueren Enteignungsgesetzen keine dem § 23 EisbEntG vergleichbare Regelung, sondern es steht sowohl dem Enteigner als auch dem Enteigneten innerhalb der gleichen Frist zu, um die Feststellung der Entschädigung anzusuchen 140 . Können schon die positivrechtlichen Argumente, die Layer zur Begründung seiner Ansicht, die Entschädigung sei Bedingung der Enteignung, heranzieht, nicht überzeugen, spricht auch noch ein allgemein rechtsdogmatischer Grund gegen seine Lehre. Auch Layer muß zugeben, daß insbesondere i n den Fällen, i n denen die Enteignungsgesetze dem Enteigneten ein i m Klagsweg durchzusetzendes Recht auf Entschädigung eingeräumt haben 141 , ein subjektives Recht des Enteigneten auf Entschädigung besteht und daß durch diesen Vorgang „die Entschädigung aus ihrem Zusammenhang m i t der Enteignung losgelöst" erscheint 142 . Diese zutreffende Erkenntnis Lay er s beweist jedoch die Unhaltbarkeit seiner eigenen Position. Es ist nämlich nicht erklärbar, wie das subjektive Recht auf Entschädigung, das infolge der Entziehung oder Schmälerung des Eigentums entsteht, seinerseits wiederum i m Tatbestandsteil ZulassungsVoraussetzung und Bedingung der Enteignung „ohne die eine Enteignung i m Rechtssinne überhaupt nicht ist" 1 4 3 sein soll. Es gilt demnach festzuhalten, daß die Entschädigung nicht tatbestandliche Voraussetzung, sondern Rechtsfolge der Enteignung ist. Daraus die Vorarbeiten abzuschließen, die f ü r die Feststellung der Entschädigung notwendig seien. Überdies waren prozeßökonomische Gründe dafür maßgebend, daß dem Enteigneten erst nach einem Jahr die Möglichkeit gegeben wurde, u m die Feststellung der Entschädigung anzusuchen. Da von einem Enteignungsverfahren f ü r Eisenbahnbauten i n aller Regel mehrere Eigentümer betroffen sind, befürchtete man, daß von Seiten der betroffenen Eigentümer zu den verschiedensten Zeiten Feststellungsgesuche eingehen werden, w e n n diesen die Möglichkeit dazu bereits nach Rechtskraft des Enteignungsbescheides eingeräumt wäre, so daß die betreffenden Gerichte „ v o n der A r b e i t m i t jedem Einzelnen gar nicht mehr herauskommen, während, w e n n die Eisenbahnunternehmung dieses Ansuchen stellt, aber f ü r alle zu einem Gerichtssprengel liegenden zu enteignenden Grundstücke die A r b e i t auf einm a l abgethan w ü r d e " (Kaserer, a. a. O., S. 263 f.). 140 Vgl. dazu auch Anderluh, Der maßgebende Zeitpunkt f ü r die v o m Gericht festzusetzende Enteignungsentschädigung JB1. 1961, S. 311 ff. (312). Siehe z. B. § 20 StWG (BGBl. 1968/70). 141 Z. B. § 20 Abs. 3 B S t r G ; § 20 lit. c S t W G u. v. a. 142 Layer, Principien, S. 480. 143 Layer, Principien, S. 458.

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

ergeben sich i m Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit entschädigungsloser Enteignungen bedeutsame Konsequenzen. Der Staatsgrundgesetzgeber des Jahres 1867 und der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 hat das von der einfachgesetzlichen Rechtsordnung geprägte Institut der Enteignung vorgefunden, m i t dem die Entschädigung als Rechtsfolge notwendig verbunden war. Ist durch die Verwendung des Begriffes Enteignung i n A r t . 5 StGG das historisch geprägte Begriffsbild der Enteignung der Regelung des Eigentumsschutzes der Verfassung zugrundegelegt worden, w i r d von A r t . 5 StGG als tatbestandliche Zulässigkeitsvoraussetzung das Vorliegen des allgemeinen Besten und als Rechtsfolge die Leistung einer Entschädigung gefordert. Genügt der Eingriff i n das Eigentum dem Erfordernis des allgemeinen Besten nicht, so ist der Eingriff mangels der von der Verfassung geforderten Zulässigkeitsvoraussetzung des allgemeinen Besten verfassungswidrig. Anders verhält es sich jedoch, wenn ein Eingriff i n das Eigent u m entschädigungslos erfolgt ist. Stellt sich nachträglich heraus, daß dieser Eingriff als Enteignung zu qualifizieren ist, folgt daraus nicht dessen Verfassungswidrigkeit, sondern der betreffende Eigentümer kann seinen Entschädigungsanspruch unmittelbar auf A r t . 5 StGG stützen. Durch die Rezeption des Enteignungsinstituts i n A r t . 5 StGG ist die Entschädigung als Rechtsfolge der Enteignung verfassungsgesetzlich normiert. A r t . 5 StGG stellt so gesehen die verfassungsgesetzliche Anspruchsgrundlage für den Entschädigungsanspruch des Enteigneten dar 1 4 4 . Als weitere Anspruchsgrundlage wäre noch A r t . 2 StGG denkbar, sofern man aus dem Gleichheitssatz den Opferausgleichsatz ableitet. 144 Gerade i n dieser Frage besteht zwischen der österreichischen u n d der deutschen Verfassungslage ein grundlegender Unterschied. Angesichts des Entschädigungsjunktims i n A r t . 14 Abs. 3 S. 2: „Sie (s. c. Enteignung) darf n u r durch Gesetz oder auf G r u n d eines Gesetzes erfolgen, das A r t u n d Ausmaß der Entschädigung regelt" verbietet sich die Möglichkeit, A r t . 14 GG als Anspruchsgrundlage f ü r die Enteignungsentschädigung heranzuziehen. Denn durch die Junktimklausel ist die Entschädigung zur Voraussetzung der Zulässigkeit einer Enteignung gemacht worden (vgl. dazu insb. H. Schneider i n : Kreft, Aufopferung u n d Enteignung, S. 36; Scheuner i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums S. 91 F N 64): Enteignungsgesetze, die keine Entschädigung vorsehen, sind deshalb verfassungswidrig u n d somit nichtig (Weber i n : Neumann / N i p p e r d e y / Scheuner, Die Grundrechte I I S. 384 ff. (Α. A . freilich Jellinek (DVB1. 1951, S. 283 f. u n d Diskussionsbeitrag i n W D S t R L 10, S. 162 ft. der die Junktimklausel n u r auf die klassische Enteignung [siehe I I , A , 3 i n F N 39] beschränken w i l l ) . Der B G H e n t n i m m t dagegen den Entschädigungsanspruch unmittelbar aus A r t . 14 GG (siehe dazu Kreft, Aufopferung u n d Enteignung, S. 30). Z u m Entschädigungsjunktim i m allgemeinen vgl. statt vieler grundlegend Ipsen, Enteignung u n d Sozialisier u n g i n : W D S t R L 10 (1952) S. 78 f., S. 96 f.; v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz I 2 , S. 448 ff. ; Bachof, Z u r Bedeutimg des Entschädigungsjunktims

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Deshalb ist es verfehlt, wenn die h. L. entschädigungslose Enteignungen für verfassungswidrig hält und der VerfGH meint, eine Entschädigung sei von Verfassungswegen nicht gefordert. Vielmehr stellen Art. 5 und A r t . 2 StGG die Anspruchsgrundlage dar, auf Grund der vom Betroffenen unmittelbar Entschädigung gefordert werden kann. Anders verhält es sich freilich, wenn der einfache Gesetzgeber i n dem Glauben, bloße Eigentumsbeschränkungen zu normieren, eine Entschädigungspflicht ausdrücklich ausschließt. W i r d nachträglich der Enteignungscharakter dieser Maßnahme erkannt, ist die den Entschädigungsausschluß normierende Bestimmung vom VerfGH als verfassungswidrig aufzuheben. Nach ihrer Kassation kann ein Entschädigungsanspruch unmittelbar auf A r t . 5 StGG gestützt werden 1 4 5 . Es konnte bisher gezeigt werden, daß auch nach der österreichischen Verfassungsordnung ein Anspruch auf Entschädigung bei Enteignungen besteht. Sofern sich nachweisen läßt, daß dies bei bloßen Eigentumsbeschränkungen nicht der Fall ist, w i r d auch aus dieser Sicht eine Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung auf Verfassungsebene gefordert. Aus A r t . 5 StGG, der die Eigentumsbeschränkung als bloße Inhaltsbestimmung und Ausgestaltung des Sozialbezuges des Eigentums und als solche dem Eigentum wesensmäßig zugehörig vorgefunden hat und die durch die Rezeption eines sozial gebundenen Eigentumsbegriffs als konkludenter Gesetzesvorbehalt i n A r t . 5 S 1 StGG aufgenommen wurde, läßt sich· eine Entschädigungspflicht für bloße Eigentumsbeschränkungen nicht ableiten. Eine historische Sicht zeigt nämlich, daß die einfachgesetzliche Ausformung, die das Institut Eigentum erfahren hat, bei bloßen Eigentumsbeschränkungen keine Entschädigung vorgesehen hat. Schon das A B G B hat erkannt, daß für bloße, das Eigentum inhaltlich ausgestaltende Eigentumsbeschränkungen, durch die das Eigentum des einzelnen sozial erträglich w i r d und die eine weitesti n Enteignungsgesetzen D Ö V 1954, S. 592 - 595; Dürig, Grundlagen des öffentlich-rechtlichen Entschädigungssystems JZ 1955, S. 521; Schäfer, Referat zum 41. DJT, 1/2 C S. 1 ff. (22), Rausch, Enteignungsrechtliche Probleme i m Lichte der Junktimklausel, DVB1. 1969, S. 167. Rausch, Die Funktionen des E n t schädigungsjunktims i m Enteignungsrecht (1964); Wulf, Die Junktimklausel (1968); aus der J u d i k a t u r : grundlegend BVerfGE 4, S. 230 ff. 145 E i n derartiger F a l l könnte u. U. i n der E r k l ä r u n g zum Bundesstraßenplanungsgebiet nach § 14 B S t r G 1971 gesehen werden. Entsprechend des unten (siehe insb. die Zusammenfassung i n I I I , F, 2, e) gebildeten Enteignungsbegriffes u n d i m E i n k l a n g m i t den f ü r die enteignungsrechtliche Beurteilung von befristeten Bausperren i m Raumplanungsrecht (siehe unter 3. Τ, IV.) wäre es denkbar, daß die m i t der E r k l ä r u n g zum Bundesstraßenplanungsgebiet verbundene m a x i m a l dreijährige Bausperre eine enteignende Maßnahme darstellt. Gleichwohl hat der Gesetzgeber i n § 14 Abs. 2 B S t r G schlechthin f ü r alle Fälle der E r k l ä r u n g zum Bundesstraßenplanungsgebiet eine Entschädigung ausgeschlossen.

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

gehend kollisionsfreie Eigentumsausübung überhaupt erst ermöglichen, keine Entschädigung gefordert werden kann, wenn es i n § 364 Abs. 1 neben dem Erfordernis des allgemeinen Wohles — anders als bei der Enteignung i n § 365 A B G B — die Pflicht zur angemessenen Schadloshaltung nicht nennt. Demnach kann aus dem historischen Inhalt der Eigentumsbeschränkung, m i t dem sie der Verfassungsgesetzgeber vorgefunden hat, keine Entschädigungspflicht abgeleitet werden. Erkennt man, daß es sich bei der Eigentumsbeschränkung u m unter dem Gesichtspunkt sozialer Verantwortung vorgenommene generelle Festlegungen der vermögensrechtlichen Herrschafts- und Aktionsmöglichkeiten des einzelnen handelt 1 4 6 , die aus rechtsteleologischer Sicht dem Eigentum immanent sind 1 4 7 , stellen sie keinen Einbruch i n den rechtlich geschützten Bereich dar 1 4 8 und lösen schon deshalb keinen Entschädigungsanspruch aus 149 . Deshalb ist m i t der h. L. 1 5 0 davon auszugehen, daß bei bloßen Eigentumsbeschränkungen von Verfassungs wegen keine Entschädigung gefordert ist 1 5 1 . Wenn jedoch nach der österreichischen Rechtsordnung nur für Enteignungen, nicht aber für bloße Eigentumsbeschränkungen ein Entschädigungsanspruch besteht, ist die Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten der Eigentumsbeeinträchtigung von großer Tragweite und sie ist unter diesem Gesichtspunkt auch1 von Verfassungs wegen gefordert. 4. Die Eigentumsbeschränkung und Art. 5 S t G G 1 5 2

Wenn die Eigentumsgarantie des A r t . 5 StGG — wie Stolzlechner 153 jüngst gemeint hat — nur durch Enteignungen, nicht aber durch Eigen148

Weber i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 347. Siehe dazu Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht, S. 82 f. 148 So auch Klang i n : Klang, K o m m e n t a r zum A B G B I I 2 , S. 154. 149 So gesehen ist der Begriff Eigentumsbeschränkung irreführend u n d es wäre terminologisch korrekter von Sozialbindung zu sprechen. Gleichwohl soll i m Rahmen dieser Untersuchung die i n Österreich übliche Terminologie beibehalten werden. 150 Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung, S. 56; Adamovich, Handbuch des österr. Verfassungsrechts® S. 555; Bydlinski, Diskussionsbeitrag i n : Rechtsprobleme der Planungsfolgen, S. 85. 147

151 Wenn Adamovich (Handbuch des österr. Verfassungsrechts®, S. 555) die Frage stellt, ob nicht auch bei Eigentumsbeschränkungen eine generelle E n t schädigungspflicht am Platze wäre, liegt d a r i n eine begrüßenswerte rechtspolitische Forderung, der auch der Gesetzgeber i n vorbildlicher Weise insofern nachgekommen ist, als er i n zahlreichen Fällen bloßer Eigentumsbeschränkungen eine Entschädigung normiert hat. Es muß jedoch beachtet werden, daß eine Entschädigung f ü r Eigentumsbeschränkungen nach der derzeit geltenden Verfassungsordnung nicht gefordert ist. 152 I n diesem K a p i t e l w i r d der zweiten, unter I, A , 1 gestellten Frage nachgegangen. 158 Stolzlechner, ÖZW 1975, S. 33 ff. (35).

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

61

tumsbeschränkungen berührt werden kann, kommt der Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung nicht nur wegen der Entschädigungspflicht bei Enteignungen, sondern auch hinsichtlich der Schutzrichtung des A r t . 5 StGG entscheidende Bedeutung zu. I n dieser Frage hat die Lehre und Judikatur i n den letzten Jahren eine entscheidende Änderung erfahren. Adamovich / Spanner 154 führen noch aus, daß die Eigentumsgarantie des A r t . 5 StGG gegenüber bloßen Eigentumsbeschränkungen versagt. Darin ist ihnen auch- Koziol 155 gefolgt. Der VerfGH hat allerdings schon i m Jahre 1959 — freilich i n einem obiter dictum — d i e ersten Ansätze zu einer gegenteiligen Judikatur entwickelt 1 5 6 . I n diesem Erkenntnis hat der VerfGH erstmals ausgesprochen, daß A r t . 5 erster Satz StGG sowohl für Eigentumsbeschränkungen als auch für Enteignungen gilt. Höchst widersprüchlich ist dagegen seine Entscheidung vom 28. 6. 1963157, i n der er eine Beschwerde wegen Verletzung des Eigentumsrechts durch einen Fluchtlinienbekanntgabebescheid abgewiesen hat. Davon ausgehend, daß der Eigentumsbegriff des österreichischen Rechts die Zulässigkeit von Eigentumsbeschränkungen aus Gründen des öffentlichen Wohles i n sich begreift, hielt er die für Enteignungsgesetze geltenden Grundsätze auf Eigentumsbeschränkungen für nicht anwendbar. Gleichwohl führte der VerfGH i n diesem Erkenntnis aus, daß der Gesetzgeber i m Rahmen des Gesetzesvorbehaltes dann verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen kann, wenn er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unverletzlichkeit des Eigentums berührt oder i n einer anderen Weise gegen einen den Gesetzgeber bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt. Diese Rechtsansicht hat der VerfGH auch i n seinem jüngsten zu dieser Frage ergangenen Erkenntnis beibehalten, indem er darauf hinwies, daß sowohl der erste Satz des A r t . 5 als auch der Gesetzesvorbehalt i m A r t . 5 nicht nur für Enteignungen, sondern auch für Eigentumsbeschränkungen gelten 158 . Diese Ansicht des VerfGH ist bereits von Adamovich 159 i n der Neuauflage des Handbuches des österreichischen Verfassungsrechts berücksichtigt und 154 Adamovich / Spanner, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts 5(1957) S. 461. 155 Koziol, Elastizität des Eigentums u n d Eigentumsgarantie, JB1. 1966, S. 333 (334); Langer, Z u m Ausgleich der Vermögensvor- u n d nachteile k o m munaler Raumplanung, WipolBl. 1971, S. 87 (88); jüngst auch Stolzlechner, ÖZW 1975, S. 33 (35). 156 V e r f G H 19.12.1959 VerfGHSlg. 3666. 157 VerfGHSlg. 4486. iss V e r f G H 28. 2.1966 VerfGHSlg. 5208. Daß letzteres verfehlt ist, w e i l der Gesetzesvorbehalt f ü r Eigentumsbeschränkungen i n der Rezeption des sozialgebundenen Eigentumsbegriffes i n A r t . 5 Satz 1 StGG enthalten ist, wurde bereits oben unter 1.2.1 gezeigt. Vgl. auch VerfGHSlg. 6763; VerfGHSlg. 7307. 159

S. 555.

Adamovich,

Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts

6

(1971),

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

sie hat Schantl 160 offenbar dazu verleitet, dem Begriff „Enteignung" i n A r t . 5 S. 2 StGG auch die Eigentumsbeschränkung zu subsumieren. Sie ist vor allem von Pernthaler m i t Nachdruck begrüßt worden 1 8 1 und kann deshalb als heute herrschende Lehre betrachtet werden. Da nun auf Grund der Judikatur des VerfGH der Eigentumsschutz i m ersten Satz des Art. 5 StGG sowohl gegenüber Enteignungen als auch gegenüber Eigentumsbeschränkungen durchgreift und der Gesetzesvorbehalt sich auch auf Eigentumsbeschränkungen bezieht 182 , ist für Pernthaler die Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung „heute so relativiert, daß man darauf keinen allzu großen Wert legen soll" 1 8 3 . Wenngleich diese Aussage i n ihrer Allgemeinheit unzutreffend ist, w e i l die historisch-institutionelle Konzeption des A r t . 5 StGG auf dieser Unterscheidung aufbaut und A r t . 5 nur an Enteignungen die Entschädigungspflicht knüpft, so ist Pernthaler doch i n einem entscheidenden Punkt zuzustimmen: daß nämlich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eigentumsbeschränkender Normen von Verfassungs wegen nahezu gleichartige Schranken errichtet sind. M i t Recht weist Pernthaler darauf hin, daß auch Eigentumsbeschränkungen, da sich ebenso wie bei der Enteignung dem Grunde nach — wenn auch i n anderer Intensität — die gleichen Abwägungsfragen ergeben, an A r t . 5 Satz 1 StGG „meßbar" sind 1 8 4 . Die Richtigkeit dieser Ansicht zeigt sich darin, daß auch Eigentumsbeschränkungen nur i m öffentlichen Interesse auferlegt werden dürfen. Es führte nämlich i n der Tat zu bedenklichen Ergebnissen, würde man die Zulässigkeit bloßer Eigentumsbeschränkungen nicht am Erfordernis des allgemeinen Wohls und der nach richtiger Auffassung 185 darin enthaltenen Abwägung zwischen dem öffent180 Schantl, Berufsfreiheit, Eigentumsfreiheit u n d Vertragsfreiheit als die wichtigsten Grundrechte der Wirtschaft i n FS K o r i n e k (1972), S. 129 ff. (145). 161 Pernthaler, i n : Hundert Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit — Fünfzig Jahre Verfassungsgerichtshof, S. 200; Pernthaler, Umfassende Landesverteidigung (1970) S. 135; vgl. auch Pernthalers Diskussionsbeitrag i n : Rechtsprobleme der Planungsfolgen, S. 82; Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung u n d Verfassungsrecht (1972) S. 215 f. 182 So ausdrücklich V e r f G H 28. 2.1966 VerfGHSlg. 5208. lee pernthaler, Diskussionsbeitrag i n : Rechtsfragen der Planimgsfolgen, S. 82. 184 Pernthaler, Diskussionsbeitrag i n Rechtsfragen der Planungsfolgen, S. 86. A n A r t . 5 StGG „meßbar" muß auch das Eintrittsrecht der Gemeinden sein, w e n n diese nicht zum vereinbarten, sondern n u r zum „angemessenen Preis" an Stelle des Käufers i n Kaufverträge eintreten können, w e i l das E i n t r i t t s recht den Eigentümer wirtschaftlich genauso trifft, w i e eine Enteignung (VfGHSlg. 2934/1955; Ernst, Bodenrecht — Fragen zur Neuordnung [1970] S. 16). Deshalb ist auch die Regelung des Eintrittsrecht i m öBobeschG verfassungswidrig, w e i l sie nicht an die Kautelen des A r t . 5 StGG gebunden ist (vgl. dazu Aicher, Das Bodenbeschaffungsgesetz [1975], S. 49 f.).

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

3

l i e h e n Interesse u n d d e m b e e i n t r ä c h t i g t e n I n d i v i d u a l i n t e r e s s e messen. D e n n eine E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g , die, ohne d e m ö f f e n t l i c h e n I n t e r esse z u dienen, d e m E i g e n t ü m e r d u r c h Gesetz a u f e r l e g t w i r d , m u ß ebenso v e r f a s s u n g s w i d r i g sein w i e eine E n t e i g n u n g , d e r es a m öffentl i c h e n Interesse 16 ® m a n g e l t . Dieses Z u l ä s s i g k e i t s e r f o r d e r n i s e r g i b t sich i n d e r T a t auch f ü r E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n als Verfassungsgebot aus A r t . 5 Satz 1 S t G G . D a A r t . 5 Satz 1 S t G G — w i e o b e n gezeigt w u r d e 1 6 7 — d e n i m G r u n d s a t z sozial g e b u n d e n e n E i g e n t u m s b e g r i f f des A B G B r e z i p i e r t h a t , h a t er auch das a l l g e m e i n e W o h l als d i e i n § 364 A b s . 1 A B G B n o r m i e r t e V o r a u s s e t z u n g d e r zulässigen S o z i a l b i n d u n g des E i g e n t u m s i n sich a u f g e n o m m e n . S o w e i t es sich also b e i d e r F r a g e der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit v o n Eigentumsbeschränkungen u m das E r f o r d e r n i s des a l l g e m e i n e n W o h l e s h a n d e l t , t r e t e n s o w o h l b e i der E n t e i g n u n g als auch b e i E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n tatsächlich gleichgelagerte A b w ä g u n g s f r a g e n a u f 1 6 7 a . les vgL dazu Ermacora, Handbuch, S. 154; W. Weber i n Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I , S. 331 ff. (383). 1ββ A u f eine inhaltliche Deutung der unbestimmten Gesetzesbegriffe „ a l l gemeines Bestes", „allgemeines W o h l " u n d „öffentliches Interesse" als Z u lässigkeitsvoraussetzung der Enteignung u n d Eigentumsbeschränkung muß hier verzichtet werden. Soweit i m Rahmen dieser Untersuchung dazu Stell u n g genommen werden muß, w i r d eine inhaltliche Bestimmung des „öffentlichen Interesses" i m gegebenen Zusammenhang versucht (siehe dazu unten unter I I I , C, 5). Vgl. dazu an älterer L i t e r a t u r : Häberlin, Z u r Lehre von der Zwangsenteignung A c P 39 (1856) S. 147 ff.; Pràzak , Das Recht der Enteignung i n Österreich (1877) S. 11 ff.; Lay er, Prinzipien des Enteignungsrechts, S. 220; an neuerer L i t e r a t u r vgl. Rosenzweig, JB1. 1950, S. 52, f ü r den das öffentliche Interesse keine Voraussetzung der Enteignung ist, da schon durch die N o r mierung des Enteignungsfalles i m Gesetz das öffentliche Interesse nachgewiesen ist; ähnlich auch Ehrenzweig, System I/2 2 , S. 223; vgl. auch Wimmer, VerwArch. 1967, S. 141 ff.; Ermacora, Handbuch S. 153 ff. Aus der deutschen u n d schweizerischen J u d i k a t u r vgl. Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffs „öffentliches Interesse" (1949); Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, Der S t a a t I (1962), S. 449 ff. (456 ff.); Huber, Das Gemeinw o h l als Voraussetzung der Enteignung, ZSR84, (1965), 39 ff.; Blanc, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung (1967); Streissler, Z u r Anwendbarkeit v o n Gemeinwohlvorstellungen i n richterlichen Entscheidungen, i n : Z u r Einheit der Rechts- u n d Staatswissenschaften (1967) S. I f f . ; Ryffel, öffentliches Interesse u n d Gemeinwohl — Reflexionen über I n h a l t u n d Funktion, i n : W o h l der Allgemeinheit u n d öffentliche Interessen (1968), S. 13 ff.; Rupp, W o h l der Allgemeinheit und öffentliche Interessen — Bedeut u n g der Begriffe i m Verwaltungsrecht, a.a.O., S. 116ff.; Ule, Allgemeines W o h l u n d öffentliche Interessen i n der Rechtsprechung der Verfassungs- u n d Verwaltungsgerichte, a.a.O., S. 125ff.; Martens, öffentlich als Rechtsbegriff (1969); Schack, Enteignung n u r „ z u m W o h l der Allgemeinheit", B B 1961 S. 74 ff.; Läufer, „Gemeinwohl" u n d „öffentliches Interesse" — Summarische Wertsetzung oder unverzichtbare Rechtsprechungshilfe, JuS 1975, S. 689 ff.; Häberle, öffentliches Interesse als juristisches Problem, (1970); Häberle, „Gemeinwohljudikatur u n d Bundesverfassungsgericht", AöR 95 (1970) S. 86 ff., S. 260 ff. 187 Siehe oben unter I , A , 2. ie7a Wenngleich auch die Eigentumsbeschränkung n u r verfassungsmäßig ist, w e n n sie i m öffentlichen Interesse erfolgt u n d sich insofern qualitativ

4

. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Gleichgelagerte V e r f a s s u n g s f r a g e n ergeben sich auch h i n s i c h t l i c h der B i n d u n g a n das L e g a l i t ä t s p r i n z i p . D e r Gesetzgeber i s t s o w o h l b e i der Festsetzung v o n E n t e i g n u n g s t a t b e s t ä n d e n als auch b e i der N o r m i e r u n g v o n E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n , die n u r die rechtliche G r u n d l a g e f ü r die erst d u r c h i n d i v i d u e l l e n V e r w a l t u n g s a k t z u k o n k r e t i s i e r e n d e n V e r p f l i c h t u n g e n des b e t r e f f e n d e n E i g e n t ü m e r s d a r s t e l l e n , d u r c h A r t . 18 A b s . 1 B . - V G g e h a l t e n , a l l e w e s e n t l i c h e n M e r k m a l e des i n F o r m eines Bescheides e r g e h e n d e n — e n t e i g n e n d e n oder e i g e n t u m s b e s c h r ä n k e n d e n — V e r w a l t u n g s a k t e s z u n o r m i e r e n 1 6 8 . Diese A u s f o r m u n g des L e g a l i t ä t s p r i n z i p s i s t i n A r t . 5 Satz 2 S t G G 1 6 9 a u s d r ü c k l i c h f ü r E n t e i g n u n g e n n o r m i e r t , w e n n d a r i n g e f o r d e r t w i r d , daß eine E n t e i g n u n g n u r i n d e n F ä l l e n u n d i n d e r A r t e i n t r e t e n k a n n , w e l c h e das Gesetz b e s t i m m t . D a ß A r t . 5 Satz 2 S t G G i n dieser F u n k t i o n n u r m e h r h i s t o r i s c h z u v e r s t e h e n ist u n d F ä l l e u n d A r t der d u r c h Bescheid z u v e r f ü g e n d e n E n t e i g n u n g schon a u f G r u n d des A r t . 18 A b s . 1 B . - V G i m Enteignungsgesetz d e t e r m i n i e r t sein müssen, h a t schon Ermacora 170 erkannt. Für Eigentumsb e s c h r ä n k u n g e n k a n n das E r f o r d e r n i s i n h a l t l i c h e r D e t e r m i n a t i o n des das E i g e n t u m b e s c h r ä n k e n d e n Bescheides i m e i g e n t u m s b e s c h r ä n k e n d e n Gesetz ü b e r h a u p t n u r aus A r t . 18 A b s . 1 B . - V G b e g r ü n d e t w e r d e n . D e m gleichgelagerte Abwägungsfragen w i e bei der Enteignung ergeben, darf doch ein quantitativer Unterschied nicht verkannt werden. Da die Enteignung n u r dann i m öffentlichen Interesse gelegen ist, w e n n der intendierte Zweck anders nicht erreicht werden k a n n (siehe oben I, A , 3. i n F N 38), muß f ü r die Verfassungsmäßigkeit der Enteignung geprüft werden, ob der gleiche Zweck nicht auch m i t dem M i t t e l einer weniger belastenden bloßen Eigentumsbeschränkung erreicht werden kann. Ist die hoheitliche Maßnahme dagegen eine bloße Eigentumsbeschränkung, stellt sich die Abwägungsfrage anders. Findet die Enteignung erst i n der unumgänglichen Notwendigkeit ihre Rechtfertigung, so rechtfertigt sich die Eigentumsbeschränkung bereits aus Zweckmäßigkeitsgründen, w e i l der geringeren Folgenschwere der bloßen Eigentumsbeschränkung eine geringere Anforderung an das u l t i m a - r a t i o - K r i t e r i u m des öffentlichen Wohles korrespondieren muß. 188 Dieses Erfordernis hat der V e r f G H zwar zunächst n u r f ü r Durchführungsverordnungen aufgestellt (Art. 18 Abs. 2 B.-VG), indem er sogen, „formalgesetzliche Delegationen" f ü r verfassungswidrig hielt, durch die die Verwaltungsbehörde zur näheren Ausführung der Gesetze i m Verordnungsweg ermächtigt ist, ohne daß zugleich der I n h a l t der Durchführung wenigstens i n seinen wesentlichen Grundzügen angegeben w i r d (VerfGHSlg. 1871/1949; VerfGHSlg. 1928/1950; VerfGHSlg. 2294/1952 usw.). Erst später hat der V e r f G H anerkannt, daß derselbe Maßstab auch an die Gesetze angelegt werden muß, die die Grundlage der individuellen Verwaltungsakte bilden (vgl. dazu Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts 8 , S. 103; ausführlich dazu Kobzina, Die Republik u n d die Herrschaft des Rechts, i n : Die Republik Österreich (1968) 189 f. 189 A r t . 5 StGG hat als Verfassungsbestimmung w i e A r t . 18 Abs. 1 u n d 2 B . - V G sowohl die Vollziehung als auch den Gesetzgeber zu Normadressaten. Der Gesetzgeber hat die Enteignungsgesetze so zu gestalten, daß, u m m i t Ermacora (Handbuch, S. 161) zu sprechen, „die Vollziehung gesetzmäßig i m materiellen Sinne erfolgen kann". 170 Ermacora, Handbuch, S. 161. Dies betont f ü r A r t . 14 Abs. 3 S. 2 GG jüngst wieder ff. Säcker, BauR 1976, S. 241 ff. (243).

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie nach ergeben sich auch i m Hinblick auf das Legalitätsprinzip sowohl bei Enteignungen als auch bei Eigentumsbeschränkungen gleichartige verfassungsrechtliche Zulässigkeitsfragen. Auch hinsichtlich des Ausmaßes der durch die Eigentumsbeeinträchtigung bewirkten Belastung sind Eigentumsbeschränkungen an A r t . 5 S. 1 StGG meßbar. Für die Enteignung leitet man aus dem Wortlaut des A r t . 5 StGG ab, daß sie sich zum Grundsatz der Unverletzlichkeit des Eigentums wie die Ausnahme zur Regel verhalte 1 7 1 . Aus diesem Ausnahme-Regel-Verhältnis folgert Ermacora 172 zu Recht, daß für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Enteignung die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzipes gefordert werden müsse. Das Subsidiaritätsprinzip fordere, daß bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die das Eigentum betreffen, nur dann zur Enteignung geschritten werden dürfe, wenn anders die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben undurchführbar wäre. Ermacora erkennt dabei zutreffend, daß es auch nach dem Wortlaut des A r t . 5 StGG geboten ist, die Enteignung als das schwerwiegendste M i t t e l i n der Erfüllung der Staatszwecke, als ultima ratio staatlichen Verwaltungshandelns anzusehen. Deshalb w i r d man für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Enteignung auch fordern müssen, daß zur Erreichung eines dem allgemeinen Besten dienenden Zweckes die Enteignung nur statthaben darf, wenn anders die Erfüllung der betreffenden öffentlichen Aufgabe nicht möglich wäre. Erkennt man, daß das Subsidiaritätsprinzip nur eine spezielle Erscheinungsform des Verhältnismäßigkeits- und Mindesteingriffsprinzips ist, dem gemäß die Verwaltungsbehörden einerseits die Maßnahme nicht setzen dürfen, wenn m i t dieser unvermeidbare Nachteile verbunden sind, die schwerer wiegen als der m i t der Amtsausübung verfolgte Zweck und andererseits i m Rahmen des Zumutbaren verpflichtet sind, die nachteiligen Folgen des Eingriffs für den Betroffenen gering zu halten 1 7 3 , folgt daraus, daß der einzelne durch A r t . 5 S. 1 auch vor „übermäßigen" Eigentumsbeschränkungen geschützt ist. Insofern ist es zutreffend, wenn Pernthaler fordert, daß auch die Eigentumsbeschränkungen i n den Schutzbereich der Verfassung aufzunehmen sind: Auch die Eigentumsbeschränkung muß zweckentsprechend, notwendig und nicht übermäßig belastend sein 174 . Eigentumsbeschränkungen, die 171 Siehe oben unter I, A , 2. bei F N 4. Bedenken dagegen i m H i n b l i c k auf die J u d i k a t u r des V e r f G H Welan, ÖJZ 1972, S. 369 ff. (371); gegen Welan neuerdings überzeugend Korinek, Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz u n d Raumplanung (1977). 172 Ermacora, Handbuch, S. 152. 173 Siehe dazu unten unter I I , B, 3, b, dd. 174 Pernthaler, Diskussionsbeitrag i n : Rechtsprobleme der Planungsfolgen, S. 82.

5 Aicher

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe — nicht dem Erfordernis des allgemeinen Besten entsprechen oder — den Erfordernissen des Legalitätsprinzips nicht genügen oder — gegen das Prinzip des Mindesteingriffs und der Verhältnismäßigkeit verstoßen oder — ihre „Zweckwidmung" nicht angeben 175 175

Daß Eigentumsbeschränkungen, die ihre Zweckwidmung nicht angeben, verfassungswidrig sind, ergibt sich aus folgender Überlegung: Der Begriff „Enteignung" findet sich nicht n u r i n A r t . 5 StGG, sondern auch i n A r t . 10 B.-VG. „Enteignung, soweit sie nicht Angelegenheiten betrifft, die i n den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen", ist, gemäß A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B . - V G Bundessache i n Gesetzgebung u n d Vollziehung. (Vor dem StadternG [BGBl. 287/1974] hatte A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B . - V G neben der „sonstigen Enteignung", soweit sie nicht Angelegenheiten betrifft, die i n den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen, noch die „Enteignung zu Zwecken der Assanierung" besonders der Bundeskompetenz i n Gesetzgebung u n d Vollziehung zugewiesen. Durch §35 StadternG wurde die Assanierung ein eigener Kompetenztatbestand i n A r t . 11 B.-VG.) Diese Kompetenzbestimm u n g ist eine weitere Voraussetzung einer verfassungsmäßigen Enteignung. Sie muß auch bei bloßen Eigentumsbeschränkungen e r f ü l l t sein. I n dem Erkenntnis V e r f G H 19.12.1959 VerfGHSlg. 3666 hat der V e r f G H den § 17 a Abs. 1 u n d 2 der WBauO, der bestimmte, daß bei der A b t e i l u n g eines Grundes auf Bauplätze der Abteilungswerber einen bestimmten Teil der abzuteilenden Grundfläche f ü r öffentliche Zwecke unentgeltlich an die Gemeinde abzutreten oder unter gewissen Umständen statt der N a t u r a l leistung eine Geldleistung zu erbringen habe, als verfassungswidrig aufgehoben. I m Gesetz selbst waren die öffentlichen Zwecke, f ü r die der G r u n d abgetreten werden mußte, nicht näher umschrieben, so daß die Gemeinde die betreffende Grundfläche f ü r beliebige öffentliche Zwecke verwenden konnte. Der VerfGH, der die i n Frage stehenden Grundabtretungen — trotz der ersatzweisen Geldleistungen — m. E. zu Recht als Enteignung qualifizierte, begründete die Verfassungswidrigkeit der präjudiziellen Bestimmung unter anderem damit, daß sich aus A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B . - V G zwangsläufig ergebe, daß die Enteignung n u r i m Zusammenhang m i t einer bestimmten „Angelegenheit" i m Sinne der Kompetenzartikel des B . - V G normiert werden könne. Sonst könnte nämlich nicht festgestellt werden, ob sie zu „Zwecken der Assanierung" vorgesehen sei oder ob sie „Angelegenheiten betrifft, die i n den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen". Ob eine Enteignung eine bestimmte „Angelegenheit" i. S. der Kompetenzbestimmungen betreffe, könne aber n u r nach dem Zweck der Enteignung festgestellt werden. Da die Verfassung selbst bei der Formulierung der Enteignungstatbestände i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 auf den Zweck der Regelung hinweise, ergebe sich zwangsläufig, daß weder der Bundes- noch der Landesgesetzgeber durch das B . - V G eine Zuständigkeit eingeräumt erhalten habe, die es ermöglichen würde, eine E n t eignung einzurichten, ohne dabei den Zweck der Enteignung soweit vorzuschreiben, daß dadurch die betreffenden „Angelegenheiten" bezeichnet seien. Da § 17 a Abs. 1 u n d 2 WBauO eine Enteignung f ü r öffentliche Zwecke schlechthin vorsehen, deute nichts darauf hin, daß sie n u r f ü r bestimmte Zwecke eingerichtet sei, die Landesangelegenheiten betreffen. Deshalb fehlte auch dem Wiener Landtag die Zuständigkeit die betreffende Regelung zu erlassen, so daß diese als verfassungswidrig aufgehoben werden mußte. Daraus ist abzuleiten, daß der V e r f G H n u r solche Enteignungstatbestände f ü r verfassungsmäßig hält, die die Zwecke der Enteignung soweit angeben, daß es dem V e r f G H möglich ist zu überprüfen, ob die Normierung des betreffenden Enteignungstatbestandes i n die Gesetzgebungskompetenz des Bundes oder der Länder fällt. Es erhebt sich die Frage, ob dieses „Zweckwidmungserfordernis" auch bei

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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verstoßen gegen die Eigentumsgarantie des A r t . 5 S. 1 StGG 1 7 5 a und sind deshalb rechtswidrig 17β. Völlig verfehlt wäre es, derartige eigentumsverletzende Eigentumsbeschränkungen als Enteignungen zu qualifizieren 177 . Auch die Enteignung verletzt die Eigentumsgarantie nicht, bloßen Eigentumsbeschränkungen verlangt w i r d . Das ist i n der T a t zu bejahen. Nach der J u d i k a t u r des V e r f G H fallen Eigentumsbeschränkungen nicht unter den Kompetenztatbestand „Zivilrechtswesen" des A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B . - V G (VerfGHSlg. 2658/1954; VerfGHSlg. 4605/1963; VerfGHSlg. 5534/ 1967; vgl. dazu auch Welan, ÖJZ 1972, S. 376; jüngst auch Stolzlechner, ÖZW 1975, S. 37). Vielmehr richtet sich die Kompetenz zur Normierung von Eigentumsbeschränkungen je nach der A r t der Materie, u m deren Regelung es sich handelt (VerfGHSlg. 2546/1953). Wenn demnach der Bundes- oder Landesgesetzgeber n u r insoweit Eigentumsbeschränkungen normieren darf, als sie m i t der Hauptmaterie i n Zusammenhang stehen, muß auch die Eigentumsbeschränkung ihre „ Z w e c k w i d m u n g " angeben, damit es dem Verfassungsgerichtshof möglich ist, zu überprüfen, ob die normierte Eigentumsbeschränk u n g überhaupt i n Zusammenhang m i t der Hauptmaterie steht. Auch i n diesem P u n k t ergeben sich demnach sowohl bei der Enteignung als auch bei der Eigentumsbeschränkung durchaus ähnliche Verfassungsfragen. 175a Darüber hinaus ergibt sich die Verfassungswidrigkeit einer eigentumsbeschränkenden N o r m aus einem Verstoß gegen die sonstigen Normen des Verfassungsrechts. Daß der einfache Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung der Sozialbindung an die Wertentscheidung der Verfassung, an die übrigen Verfassungsnormen, insb. an den Gleichheitssatz, an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gebunden ist, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des B V e r f G : vgl. etwa BVerfGE 14, 263 (278); BVerfGE 18, 121 (132); BVerfGE 21, 150 (155); BVerfGE 25, 112 (117); BVerfGE 26, 215 (222); BVerfGE 31, 275 (290). 176 Das übersehen Adamovich / Spanner (Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts 6 , S. 461) u n d Koziol (JB1. 1966, S. 344), w e n n sie ausführen, daß gegenüber den Eigentumsbeschränkungen die Verfassungsgarantie des A r t . 5 StGG versagt. 177 Z u diesem Ergebnis gelangt jedoch Stolzlechner (ÖZW 1975, S. 33 ff.), w e i l er von einer m. E. unzutreffenden Prämisse ausgeht. Stolzlechner geht davon aus, daß n u r Enteignungsmaßnahmen i n das Grundrecht der Eigentumsfreiheit verfassungsgemäß oder verfassungswidrig eingreifen können. Dies deshalb, w e i l der Gesetzes vorbehält des A r t . 5 S. 2 StGG n u r die E n t eignung als Eingriffsakt typisiert. Da es aber auch Beeinträchtigungen des Eigentums gibt, die gewiß keine Enteignungen darstellen (z.B. Eigentumsbeschränkungen), w i r d bei i h m der Enteignungsbegriff zu einem umfassenden Begriff, der auch die Eigentumsbeschränkungen erfaßt. Der Enteignungsvorbehalt w i r d daher bei Stolzlechner überhaupt zur Grundlage f ü r den Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Eigentumseingriffe. Das ist deshalb verfehlt, w e i l der sozial gebundene Eigentumsbegriff i n A r t . 5 S. 1 StGG einen k o n kludenten Gesetzesvorbehalt f ü r Eigentumsbeschränkungen enthält. Daß Stolzlechner dies verkennt, hat eine weitere unerfreuliche Konsequenz. U m i n seiner Argumentation konsequent zu bleiben, muß er die Eigentumsformel des V e r f G H (siehe dazu die Zitate bei Stolzlechner, 36 F N 23), nach der das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde dann verletzt ist, w e n n der Bescheid ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist oder auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht oder w e n n bei Erlassung eines Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz bzw. eine gesetzmäßige Verordnung n u r zum Schein oder i n denkunmöglicher Weise angewendet wurde, zur Enteignungsformel umfunktionieren. Das zeigt sich deutlich bei Stolzlechners Analyse des Erkenntnisses VerfGHSlg. 1305. Dort hatte die Beschwerdeführerin die Vorschreibung einer Geldabgabe wegen Verfassungswidrigkeit ihrer gesetzlichen Grundlage bekämpft. Der

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe V e r f G H hat zuerst geprüft, ob die formelle Beschwerdevoraussetzung gegeben ist, d. h. er hat geprüft, ob der Eingriff das Schutzgut Eigentum verletzt: „Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes... ist unter dem Worte Eigentum i m Sinne des A r t . 5 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger nicht n u r das Eigentum an körperlichen Sachen, sondern jedes zum Vermögen des Beschwerdeführers gehörige P r i vatrecht zu verstehen; w e n n also von der Beschwerdeführerin Zahlungen verlangt werden, die sich nicht als gesetzmäßig auferlegte öffentliche Lasten darstellen, w e i l sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehren, so liegt darin eine Verletzung des i m erwähnten A r t . 5 geschützten Eigentumsrechts; die A n r u f u n g des Verfassungsgerichtshofes w a r somit formell begründet." Für Stolzlechner hat der V e r f G H damit bereits entschieden, daß die i n Frage stehende Abgabe eine Enteignung darstellt. Daß der V e r f G H i n der ganzen Entscheidung kein einziges M a l von Enteignung spricht, t u t Stolzlechner m i t der Vermutung ab, daß der V e r f G H eben keinen Zweifel am enteignenden Charakter der Abgabe hatte. Davon k a n n aber keine Rede sein. Der VerfGKt hat i n der zitierten Passage, auf die auch Stolzlechner seine Ansicht stützt, lediglich geprüft, ob der Eingriff überhaupt das Schutzobjekt der Eigentumsgarantie trifft. Deshalb seine Ausführungen über das Vermögen als Schutzgut des A r t . 5 StGG, die j a auch Stolzlechner f ü r den Schwerpunkt des E r kenntnisses h ä l t ! M i t keinem Wort hat aber der V e r f G H den Eingriffstyp charakterisiert, was j a auch nicht notwendig war, da die Abgabenvorschreibung nicht deshalb verfassungswidrig war, w e i l sie den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Enteignung nicht genügt hat, sondern w e i l ihre Rechtsgrundlage aus einem anderen G r u n d verfassungswidrig war. Daß nach der Judikatur des V e r f G H m i t der Eigentumsformel noch keineswegs der Enteignungscharakter der Eingriffsmaßnahme feststeht, hätte Stolzlechner dem von i h m selbst zitierten Erkenntnis VerfGHSlg. 4149/1962 entnehmen können. Wenn — w i e Stolzlechner (a. a. O. 41) meint — m i t der Feststellung, daß keine Enteignung vorliegt, auch feststeht, daß eine Verletzung dieses Grundrechts ausgeschlossen ist, hätte der V e r f G H i n VerfGHSlg. 4149, nachdem er festgestellt hatte, daß die i n Frage stehende Maßnahme keine Enteignung darstellt, nicht i m Sinne der Eigentumsformel weiterprüfen dürfen, ob darüber hinaus die Geldvorschreibung m i t einem sonstigen, den A r t . 5 StGG verletzenden Mangel (verfassungswidrige Rechtsgrundlage, gesetzlose Vorschreibung) behaftet ist. Nachdem der V e r f G H festgestellt hatte, daß i n der Vorschreibung der Ausgleichstaxe nach dem InvalideneinstellungsG niemals eine Enteignung vorliegt, führte er aus: „Dessenungeachtet würde aber eine gesetzlos oder auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhende Vorschreibung von Geldleistungen i n das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums nach A r t . 5 StGG eingreifen." Es ist somit festzuhalten, daß die A n w e n d u n g der Eigentumsformel unabhängig davon, ist, ob der Eingriff eine Enteignung darstellt. M i t ihrer A n wendung steht keinesfalls fest, daß die betreffende Maßnahme eine Enteignung darstellt. Eine derartige Qualifikation w i r d m i t der Eigentumsformel weder bezweckt noch könnte sie überhaupt bezweckt werden. Die Formel dient lediglich der Kompetenzabgrenzung zwischen V e r f G H u n d V e r w G H , der die einfache Gesetzmäßigkeit von Bescheiden zu überprüfen hat. Sie ist i m Grunde auch gar k e i n Spezifikum der Eigentumsgarantie. Entwickelt wurde die Formel, daß ein Grundrecht dann verletzt w i r d , w e n n sich der angefochtene Verwaltungsakt entweder überhaupt auf kein Gesetz oder n u r auf ein verfassungswidriges Gesetz zu stützen vermag i n VerfGHSlg. 184/1923 für das Recht auf persönliche Freiheit. VerfGHSlg. 222/1923 übertrug den Grundsatz auf alle unter Gesetzes vorbehält gewährleisteten Grundrechte. V e r f G H Slg. 247/1923 wendete i h n erstmals auf das Eigentumsrecht an. Hat aber die Eigentumsformel lediglich kompetenzabgrenzende Funktion, u n d enthält sie noch keine Aussage über die Qualifikation der eingreifenden Maßnahme, dann ist es v ö l l i g zutreffend, w e n n der V e r f G H bei A n w e n d u n g dieser Formel

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s o n d e r n sie g r e i f t legitimerweise ü b e r d i e bloße S o z i a l b i n d u n g h i n a u s i n das E i g e n t u m ein. O b z u m A u s g l e i c h r e c h t s w i d r i g e r E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n eine E n t s c h ä d i g u n g s p f l i c h t aus „ e n t e i g n u n g s g l e i c h e m E i n g r i f f " besteht, k a n n erst b e a n t w o r t e t w e r d e n , w e n n g e k l ä r t ist, ob diese Rechtsfigur i m österreichischen Verfassungsrecht a n e r k a n n t i s t 1 7 8 . D a s o m i t aus d e n a n g e f ü h r t e n G r ü n d e n auch bloße E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n i n d e n Schutzbereich· des A r t . 5 S t G G f a l l e n , i s t f ü r d i e F r a g e der verfassungsrechtlichen Z u l ä s s i g k e i t v o n E i g e n t u m s b e e i n t r ä c h t i g u n g e n eine U n t e r s c h e i d u n g zwischen E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g u n d E n t e i g n u n g n i c h t geboten, o b w o h l das A B G B eine solche t r i f f t u n d sie deshalb auch d e r K o n z e p t i o n des A r t . 5 S t G G z u g r u n d e l i e g t .

den neutralen Ausdruck „Eingriff" ins Eigentum verwendet. Wenn Stolzlechner dem V e r f G H unterstellt, er verwende diese Ausdrucks weise nur, u m den Begriff der Enteignung i m Zusammenhang m i t Rechtsnormen zu vermeiden, die öffentlich-rechtliche Geldleistungsverpflichtungen auferlegen, so w i r d er damit der J u d i k a t u r des V e r f G H nicht gerecht. F ü r symptomatisch dafür hält Stolzlechner folgende Passage i n VerfGHSlg. 1796/1949: „Jede Steuervorschreibung b r i n g t einen Eingriff i n das Eigentum m i t sich. F ü r die Frage aber, ob dieser Eingriff ein verfassungswidriger ist oder nicht, ist lediglich von Bedeutung, ob er auf Grund eines sich nicht als verfassungsw i d r i g darstellenden Gesetzes erfolgt. Denn dieser Eingriff ist i m m e r zulässig i n den Fällen u n d i n der A r t , die das Gesetz bestimmt." Stolzlechner (a. a. O. 42) schließt aus der Tatsache, daß der letzte Satz nahezu wörtlich den Gesetzes vorbehält i n A r t . 5 StGG wiederholt, wobei n u r das W o r t „Enteignung" durch den Ausdruck „Eingriff" ersetzt w i r d , daß der V e r f G H i n Wahrheit den i n Rede stehenden Abgabenbescheid als Enteignung gemäß A r t . 5 StGG qualifiziert. Das k a n n man jedoch daraus nicht schließen. Der V e r f G H stellt unter Verwendung einer v ö l l i g zutreffenden Terminologie lediglich fest, daß Abgabenbescheide i n das Schutzgut „Eigentum" eingreifen und daß jeder Eingriff — gleichgültig ob er sich als Enteignung, Eigentumsbeschränkung oder sonstiger zwangsweiser Eingriff darstellt, v o m Gesetzesvorbehalt — sei es v o m konkludenten i n A r t . 5 S. 1 oder v o m ausdrücklichen i n S. 2 — gedeckt sein muß, also i n den Fällen u n d i n der A r t , die das Gesetz bestimmt, erfolgen muß (vgl. auch VerfGHSlg. 7005/1973, VerfGHSlg. 7006/ 1973, VerfGHSlg. 7096/1973, VerfGHSlg. 7137/1973, VerfGHSlg. 7153/1973). Daß der V e r f G H m i t dem Terminus „Eingriff" n u r feststellen w i l l , daß das Schutzgut „Eigentum" durch die behördliche Maßnahme beeinträchtigt ist, zeigt sich v o r allem i n den Erkenntnissen, i n denen er „Eingriff" m i t „ B e schränkung" (VerfGHSlg. 6735/1972) bzw. m i t „Berührung" (VerfGHSlg. 6694/1972) des Eigentums gleichstellt. M e h r ist aus der Eigentumsformel nicht zu entnehmen. Das hat Welan (ÖJZ 1972, 371) v ö l l i g zutreffend hervorgehoben, w e n n er aus der Eigentumsformel ableitet, „daß der V e r f G H den A r t . 5 StGG dergestalt verstand und versteht, daß grundsätzlich jedes einfache Gesetz, das nicht sonst an V e r fassungswidrigkeiten leidet, Enteignungen, Eigentumsbeschränkungen u n d sonstige zwangsweise Eingriffe i n private Vermögensrechte... festsetzen kann". Die Enteignung ist n u r eine von mehreren Eingriffstypen, deren Verfassungsmäßigkeit an der Eigentumsformel gemessen werden k a n n (vgl. etwa VerfGHSlg. 6951/1972). 178 Siehe dazu demnächst Aicher, Grundfragen der Staatshaftung bei rechtswidrigen Eigentumsbeeinträchtigungen.

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2. T e i l : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe 5. Der kompetenzrechtliche Enteignungsbegriff

Bedenkt man, daß sich einerseits unter dem Aspekt des A r t . 5 StGG sowohl für Enteignungen als auch für Eigentumsbeschränkungen gleiche Zulässigkeitsschranken ergeben, der VerfGH andererseits bisher entschädigungslose Enteignungen für zulässig erachtet hat und er auch die Konzeption des A r t . 5 StGG mißversteht, indem er den Gesetzesvorbehalt für Eigentumsbeschränkungen i m Enteignungsvorbehalt angesiedelt hat, muß es auf den ersten Blick überraschen, daß der VerfGH dennoch i n ständiger Judikatur zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung unterscheidet. Jedoch ist der VerfGH aus kompetenzrechtlichen Gründen gehalten, zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung zu unterscheiden. Die österreichische Verfassungsordnung verwendet den Begriff „Enteignung" nicht nur i n A r t . 5 StGG, sondern auch i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B.-VG. Danach ist die Enteignung, soweit sie nicht Angelegenheiten betrifft, die i n den selbständigen W i r kungsbereich der Länder fallen „Bundessache i n Gesetzgebung und Vollziehung" 1 7 9 . Die Länder sind demnach nur befugt, Enteignungen i m Rahmen ihres Kompetenzbereiches nach A r t . 15 B.-VG zu normieren. Ob nun eine landesrechtliche, das Eigentum beeinträchtigende Bestimmung i n kompetenzrechtlicher Sicht verfassungsmäßig ist, mißt der VerfGH i m wesentlichen an zwei Kriterien: Zuerst überprüft er, ob es sich bei der gegenständlichen Eigentumsbeeinträchtigung u m einen F a l l „echter" Enteignung 1 8 0 handelt 1 8 1 . Ist dies zu bejahen, fragt er, ob sich die i n Frage kommende Enteignungsbestimmung ihrem Zweck nach auf Materien bezieht, die nach A r t . 15 B.-VG i n die Kompetenz der Länder 1 8 2 fallen 1 8 3 . Bezieht sich eine Eigentumsbeeinträchtigung — gleichgültig ob es sich u m eine Enteignung oder eine Eigentumsbeschränkung handelt — ihrem Zweck nach nicht auf eine Angelegenheit, die i n den selbständigen Wirkungskreis des Landes fällt, so ist die fragliche Bestimmung verfassungswidrig. K o m m t der VerfGH jedoch zum Ergebnis, daß es sich bei der betreffenden Gesetzesbestimmung nicht u m eine „echte" Enteignung, sondern u m eine Eigentumsbeeinträchtigung durch ein Institut des Z i v i l 179

Siehe zur Kompetenzlage v o r dem StadternG I , A , 4 i n F N 175. 180 "Was der V e r f G H unter „echter" Enteignung oder Enteignung engeren Sinn" versteht, w i r d unter I I , A , 2 c u. d dargelegt.

„im

181 Vgl. dazu insb. V e r f G H 27.6.1949 VerfGHSlg. 1809/1949; V e r f G H 17.12.1955, VerfGHSlg. 2934/1955; V e r f G H 19.12.1959 VerfGHSlg. 3666/1959. 182 Kompetenzverteilung zwischen B u n d u n d Ländern bezüglich der E n t eignung vgl. insb. auch V e r f G H 13.1.1951 VerfGHSlg. 2217/1951. 183 v g l . d i e i n f N 181 angeführten Erkenntnisse u n d I, A , 4 i n F N 175.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie rechts handelt, ist sie verfassungsrechtlich nur dann einwandfrei, wenn sie gemäß A r t . 15 Abs. 9 B.-VG 1 8 4 i n einer unerläßlichen 165 Verbindung m i t der zu regelnden Hauptmaterie steht 186 . Ein instruktives Beispiel, an dem gezeigt werden kann, wie der VerfGH bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer landesgesetzlichen Eigentumsbeeinträchtigung i n kompetenzrechtlicher H i n sicht vorgeht, stellt die Entscheidung des VerfGH vom 17. 12. 1955187 dar: Nach § 18 des Wiener Wiederaufbaugesetzes (WWG) war die Stadt Wien zum Zweck der Erhaltung des Wald- und Wiesengürtels berechtigt, i n Kaufverträge über Grundstücke, die ganz oder teilweise i m Wald- oder Wiesengürtel lagen, an Stelle des Käufers einzutreten, wobei, sofern der vereinbarte Kaufpreis der Höhe nach die gemäß § 41a Abs. 3 WBauO zu leistende Entschädigung (Enteignungsentschädigung) überstieg, ein Kaufpreis i n der Höhe der Enteignungsentschädigung als vereinbart galt. Der VerfGH hat nun zuerst geprüft, ob dieses „Eintrittsrecht" als „echte" Enteignung anzusehen ist. Dies hat der VerfGH verneint. Der VerfGH hat jedoch keine Zweifel daran gelassen, daß — wenn das „Eintrittsrecht" als Enteignung zu qualifizieren gewesen wäre — die „Enteignung" verfassungsmäßig einwandfrei wäre, da sie i n einer Angelegenheit des Baurechts, das nach A r t . 15 Abs. 1 B.-VG i n die Kompetenz der Länder fällt, normiert worden wäre. Von seinem Standpunkt aus folgerichtig, hat er i n einem weiteren Schritt überprüft, ob das „Eintrittsrecht" eine Eigentumsbeeinträchtigung durch ein Institut des Zivilrechts darstellt. Da er das „Eintrittsrecht" für eine dem Vorkaufsrecht des A B G B nachgebildete und damit zivilrechtliche Rechtsfigur hielt, mußte er noch prüfen, ob diese Bestimmung zur Regelung des Gegenstandes i m Sinne des A r t . 15 Abs. 9 184 A r t . 15 Abs. 9 B . - V G : Die Länder sind i m Bereich ihrer Gesetzgebung befugt, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auch auf dem Gebiet des Straf- u n d Zivilrechts zu treffen. 185 Das M e r k m a l der Erforderlichkeit i n A r t . 15 Abs. 9 B . - V G interpretiert der V e r f G H i n ständiger J u d i k a t u r eng, d. h. i m Sinne von „unerläßlich" (vgl. dazu V e r f G H 19. 3.1926, VerfGHSlg. 558/1926; V e r f G H 15.12.1952, V e r f G H Slg. 2452/1952; V e r f G H 20.6.1953, VerfGHSlg. 2537/1953; V e r f G H 7.12.1953, VerfGHSlg. 2595/1953; V e r f G H 24. 3.1954, VerfGHSlg. 2658/1954). 186 Angesichts der klaren Gegenüberstellung der Kompetenztatbestände „Zivilrechtswesen" u n d „ E n t e i g n u n g . . . " i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B . - V G liegt es auf der Hand, daß die Länder die Möglichkeit, Enteignungstatbestände zu nomieren, nicht durch A r t . 15 Abs. 9 B.-VG, nach dem es den Ländern gestattet ist, auch die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen „Bestimmungen . . . des Zivilrechts zu treffen", sondern durch A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B . - V G erhalten haben. 187 VerfGHSlg. 2934/1955.

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe B.-VG unerläßlich war. Das hat er unter Hinweis auf § 41 a WBauO, der schon zu demselben Zweck eine Enteignungsmöglichkeit normiert hatte, verneint. Damit war die Verfassungswidrigkeit des § 18 W W G gegeben 1 8 8 , 1 8 9 . Angesichts der kompetenzrechtlichen Notwendigkeit, den 188 Aufschlußreich f ü r den kompetenzrechtlichen Uberprüfungsvorgang ist auch VerfGHSlg. 1809/1949, i n dem er — w i e auch i n VerfGHSlg. 2934/1955 — zum Kompetenztatbestand „Enteignung" Stellung genommen hat. Gemäß § 3 Abs. 3 des Wiener VeranstaltungsbetriebeG konnte die Behörde dem Eigentümer einer unausgenützten, einem Veranstaltungsbetrieb dienenden Betriebseinrichtung den Abschluß eines Bestandvertrages über die Betriebseinrichtung auftragen, wobei mangels Einigung der Parteien binnen 14 Tagen die Behörde den I n h a l t des Β est andVertrages nach vorheriger Schätzung der Betriebseinrichtung m i t Bescheid festsetzen kann. Da die Angelegenheiten, die das VeranstaltungsbetriebeG regelte, unter den Kompetenztatbestand des A r t . 15 B . - V G fielen, hatte der V e r f G H zu prüfen, ob der zwangsweise Abschluß u n d die Festsetzung des Inhaltes des Bestandvertrages eine Enteignung darstellte. Dies hat der V e r f G H zu Recht verneint, da die dem VeranstaltungsbetriebeG unterliegenden Betriebe n u r zum geringen T e i l dem allgemeinen Besten dienten, so daß der zwangsweise Abschluß u n d die behördliche Festsetzung des Inhaltes des Bestandvertrages zum überwiegenden T e i l nicht dem allgemeinen Besten diente, sondern lediglich i m privaten Interesse einzelner privater Unternehmer erfolgt ist. Nachdem der V e r f G H zu Recht den Enteignungscharakter dieser Bestimmung verneint hat, hat er noch geprüft, ob die i n der bezeichneten Gesetzesstelle vorgesehenen privatrechtlichen Einschränkungen auf A r t . 15 Abs. 9 B . - V G gestützt werden können. Da der V e r f G H eine unerläßliche Verbindung m i t der i n die Regelung der Landesgesetzgebung fallenden Materie zu Recht nicht anerkannt hat, mußte die Bestimmung des § 3 Abs. 3 Wiener VeranstaltungsbetriebeG als verfassungswidrig aufgehoben werden. 189 Neben der Notwendigkeit, aus kompetenzrechtlichen Gründen zwischen der Enteignung u n d der bloßen Eigentumsbeschränkung zu unterscheiden, scheint m i r noch ein zweiter — eher entscheidungstechnischer — G r u n d den V e r f G H zu motivieren, sich u m eine Abgrenzung zu bemühen. I n all den Fällen, i n denen die Beschwerdeführer eine das Eigentum beeinträchtigende N o r m als Enteignung qualifizieren u n d deren Verfassungsw i d r i g k e i t (ζ. B. wegen Fehlens der Entschädigung) behaupten, ist der V e r f G H gehalten, zu überprüfen, ob eine Enteignung oder eine bloße Eigentumsbeschränkung vorliegt. K o m m t er zu dem Ergebnis, daß es sich bei der i n Frage stehenden Bestimmung nicht u m eine Enteignung handelt, ist er auch der Frage enthoben, was — vor allem hinsichtlich der Entschädigung — rechtens wäre, w e n n die betreffende N o r m als Enteignungsnorm zu qualifizieren wäre. Das w i r d vor allem i n den Erkenntnissen deutlich, i n denen der V e r f G H über die Verfassungswidrigkeit der V O betreffend den Vassacher See zu befinden hatte (VerfGH 23.6.1962, VerfGHSlg. 4225/1962; V e r f G H 22.6.1962, VerfGHSlg. 4226/1962). Diese V O hatte i n Ausführung der §§ 11 u n d 12 des K ä r n t n e r NaturschutzG zahlreiche Eigentumsbeeinträchtigungen, ζ. B. Verbot i n dem betreffenden Gebiet Bauten u n d Zäune zu errichten, Sprengungen u n d Grabungen vorzunehmen etc.) normiert, von denen die Beschwerdeführer annahmen, sie stellten i n ihrer Gesamtheit eine Enteignung dar. Die Beschwerdeführer hielten die Enteignung jedoch f ü r verfassungswidrig (wohl deshalb, w e i l die V O keine Entschädigungsbestimmung enthielt). Der V e r f G H brauchte jedoch auf diese Frage nicht einzugehen, w e i l er die betreffende Eigentumsbeeinträchtigung als Eigentumsbeschränkung qualifizierte. I n zwei weiteren Fällen wurde den Beschwerdeführern durch Bescheid Beschränkungen i n der Möglichkeit, ihre Grundstücke nach Belieben einzu-

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Enteignungsbegriff zu umschreiben, hat der VerfGH zur Konkretisierung des Enteignungsbegriffes i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B.-VG 1 9 0 die Versteinerungstheorie 191 herangezogen, die er auch sonst zur Auslegung der Kompetenzartikel verwendet. Diese auf den juristischen Sprachgebrauch des Jahres 1925 abzielende Etymologie 1 9 2 hat — wie noch zu zeigen sein w i r d — den VerfGH einen sehr engen Enteignungsbegriff bilden lassen, für den das K r i t e r i u m der Rechtsübertragung wesentlich ist 1 9 3 . I n späteren Erkenntnissen hat der VerfGH diesen kompetenzrechtlichen Enteignungsbegriff ohne nähere Begründung unter Verwendung der stereotypen Formel, daß die jeweils i n Frage stehende Maßnahme niemals unter den „historisch auszulegenden Enteignungsbegriff nach § 365 ABGB, A r t . 5 StGG und Art. 10 Abs. 1 Ζ 6 B.-VG" gefallen ist, auf den grundrechtlichen Enteignungsbegriff i n A r t . 5 StGG übertragen 194 . Stolzlechner 195 hat i n einer gründlichen Analyse überzeugend nachgewiesen, daß diese Vorgangsweise methodisch unhaltbar ist und beide Enteignungsbegriffe einen verschiedenen Inhalt haben 198 . I n der Tat verkennt der VerfGH, daß der Enteignungsbegriff i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B.-VG und i n A r t . 5 StGG verschiedene Funktionen zu erfüllen hat. Dient er dort der Kompetenzabgrenzung, dient er hier dem Schutz der Eigentumssphäre des einzelnen. Deshalb mag es zwar methodisch zulässig sein, den Enteignungsbegriff i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B.-VG m i t Hilfe der Versteinerungstheorie verbal-historisch-deskriptiv zu bestimmen, w e i l diese als Sicherung des föderalistischen Prinzipes 197 frieden, auferlegt (VerfGH 15.3.1961, VerfGHSlg. 3923/1961 u n d V e r f G H 18. 6.1962, VerfGHSlg. 4211/1962). Die Beschwerdeführer hielten die betreffenden Bestimmungen der Linzer BauO bzw. der Tiroler LandesbauO, auf die sich die Bescheide stützten, f ü r verfassungswidrige Enteignungsnormen. Der V e r f G H hat v ö l l i g zu Recht erkannt, daß es sich hierbei u m bloße Eigentumsbeschränkungen handelt, so daß er nicht darauf einzugehen brauchte, ob die i n k r i m i n i e r t e n Bestimmungen als Enteignungsnormen verfassungsw i d r i g wären. 190 V g L VerfGHSlg. 1809/1949; VerfGHSlg. 3666/1959; VerfGHSlg. 4570/1963. 191

Vgl. statt vieler VerfGHSlg. 3227/1957; VerfGHSlg. 3685/1960; V e r f G H Slg. 4349/1963; VerfGHSlg. 5019/1965. Nach der Versteinerungstheorie muß, w e n n der Verfassungsgesetzgeber nicht definiert, was unter einem bestimmten i n einem Kompetenztatbestand verwendeten Ausdruck zu verstehen ist, diesem Ausdruck der I n h a l t unterstellt werden, der i h m am 1.10.1925, dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzbestimmungen des B . - V G nach dem Stand der Rechtsordnung zugekommen ist. 192 So Ermacora / Klecatsky / Ringhofer, Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes i m Jahre 1954, ÖJZ 1956, S. 617 ff. (620). 193 Vgl. insb. VerfGHSlg. 2934/1955. 194 VerfGHSlg. 4086/1960; VerfGHSlg. 4149/1962; VerfGHSlg. 4225/1962; VerfGHSlg. 5051/1965; VerfGHSlg. 5369/1966; VerfGHSlg. 5559/1968. 195 Stolzlechner, ÖZW 1975, 33 ff. (40 f.). 196 So schon Schantl, FS Korinek, S. 145; anders freilich Rosenzweig, JB1. 1950, S. 50; Welan, ÖJZ 1972, S. 374. 197 Vgl. dazu Ermacora, Der Verfassungsgerichtshof (1956), S. 148.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

dort ihren legitimen Ort hat. Es st jedoch keine methodische Rechtfertigung dafür zu finden, daß der VerfGH auch bei der Inhaltsbestimmung des Enteignungsbegriffes i n A r t . 5 StGG auf die Versteinerungstheorie abstellt. Ein derart formal-historischer Enteignungsbegriff w i r d überdies dem Schutzzweck des A r t . 5 nicht gerecht. Denn selbst wenn der VerfGH i n Zukunft Enteignungen für entschädigungspflichtig halten würde, müßte dennoch die Eigentumsgarantie qua Entschädigungspflicht praktisch leerlaufen, w e i l selbst massivsten Beeinträchtigungen der Eigentumssphäre mangels Vorliegens der dem verbal-historischen Enteignungsbegriff immanenten „Rechtsübertragung" der Enteignungscharakter fehlen würde 1 9 8 . Gleichwohl halte ich die Ansicht Stolzlechners 199 , daß deshalb der Enteignungsbegriff des A r t . 5 StGG auch alle Eigentumsbeschränkungen umfaßt, für unzutreffend. Denn aus der Tatsache, daß die Übertragung des kompetenzrechtlichen Enteignungsbegriffes auf A r t . 5 StGG methodisch unhaltbar ist, kann — wenn man bedenkt, daß A r t . 5 StGG auf der Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung aufbaut — nur gefolgert werden, daß der Enteignungsbegriff i n A r t . 5 StGG unter Berücksichtigung seines Schutzzweckes nach anderen als den formalen Kriterien, die die Versteinerungstheorie bietet, zu bestimmen ist 2 0 0 . B. Die Funktion der Wesensgehaltsgarantie bei Eigentumsbeschränkung und Enteignung 1. Die Wesensgehaltsgarantie in der Judikatur des VerfGH

Wie i n den meisten modernen Grundrechtskatalogen sind auch i m StGG die Grundrechte nicht uneingeschränkt gewährleistet 201 . Durch die sogenannten Gesetzesvorbehalte w i r d es dem einfachen Gesetzgeber ermöglicht, die Grundrechte entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung i n sachgerecht differenzierender Weise auszugestalten, einzuschränken oder näher zu umschreiben 202 . Dabei besteht jedoch die Ge198

So hat der V e r f G H bereits i n der VerfGHSlg. 1123/1928 bei Eigentumsbeeinträchtigungen durch das M G eine Entschädigungspflicht verneint, w e i l er die Beeinträchtigung mangels „Rechtsübertragung" nicht als Enteignungen, sondern als bloße Eigentumsbeschränkungen i m Sinne des § 364 A B G B qualifiziert hat. 199 Stolzlechner, ÖZW 1975, S. 39; vorher bereits Schantl, FS Korinek, S. 141. 200 Dazu ausführlich unten unter I I I , C. 201 Anders die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, die die Grundrechte des einzelnen „vorbehaltslos" garantiert (vgl. dazu Carsten, Grundgedanken der amerikanischen Verfassung u n d ihre V e r w i r k l i c h u n g [1954] 8 156 ff.; Loewenstein, Verfassungslehre [1959] S. 340). 202 Y g i z u m Gesetzes vorbehält f ü r das österreichische Recht Melichar, Die Entwicklung der Grundrechte i n Österreich, Gutachten zum I I . ÖJT, 1/2, S. 14

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie f a h r , daß d e r Gesetzgeber d e n G e l t u n g s b e r e i c h der G r u n d r e c h t s n o r m e n a u f G r u n d j e n e r V o r b e h a l t e nach s e i n e m G u t d ü n k e n e i n s c h r ä n k t u n d d a m i t d e n A n w e n d u n g s b e r e i c h d e r G r u n d r e c h t e d e r a r t schmälert, daß sie i m E x t r e m f a l l i h r e r F u n k t i o n , d e m e i n z e l n e n d e n Schutz seiner i n d i v i d u e l l e n F r e i h e i t z u sichern, n i c h t m e h r g e n ü g e n k ö n n e n . Diese G e f a h r h a t d e n n auch die L e h r e u n d J u d i k a t u r e r k a n n t . V o r a l l e m i n D e u t s c h l a n d h a t m a n — b e d i n g t d u r c h die p o s i t i v r e c h t l i c h e N o r m i e r u n g i n A r t . 19 A b s . 2 G G — versucht, i h r m i t d e r T h e o r i e der „Wesensgehaltssperre" z u steuern. N a c h dieser L e h r e ist d e m G r u n d r e c h t e i n u n v e r l e t z l i c h e r K e r n b e r e i c h eigen, der t r o t z des G e setzesvorbehaltes i n d e r b e t r e f f e n d e n G r u n d r e c h t s n o r m u n a n g e t a s t e t b l e i b e n m u ß u n d a n d e m die verfassungsrechtliche Z u l ä s s i g k e i t des a u f G r u n d des V o r b e h a l t e s e r g e h e n d e n einfachen Gesetzes zu p r ü f e n i s t 2 0 3 . - 2 0 ; Pernthaler, Die Grundrechtsreform i n Österreich, A ö R 1969, S. 51 u n d neuerdings Korinek, Gedanken zur Lehre v o m Gesetzesvorbehalt bei G r u n d rechten i n : FS M e r k l (1970) 171; Schaff er, Verfassungsinterpretation i n Österreich (1971) S. 160 ff.; Schaff er, Legal Restraints on Personal Liberties i n Austria, ÖZöffR 19 (1969) S. 35 ff. (40 - 44). Z u m Gesetzesvorbehalt i m allgemeinen Ermacora, Der verfassungsrechtliche Gesetzes vorbehält, D Ö V 1960, S. 561 ff. 203 Vgl. dazu das „Apothekenurteil" des B V e r f G (BVerfGE 7, 377); Krüger, Der Wesensgehalt der Grundrechte i.S. des A r t . 19 GG, D Ö V 1955, S. 597; Zippelius, Das Verbot übermäßiger Beschränkung v o n Grundrechten, DVB1. 1956, S. 353 - 355; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 G r u n d gesetz 2 ; Abel, Die Bedeutung der Lehre von der Einrichtungsgarantie f ü r die Auslegung des Bonner Grundgesetzes (1964) insb. S. 38 ff.; E. v. Hippel, Grenzen u n d Wesensgehalt der Grundrechte (1965); ν . Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz I 2(1956) S. 551 - 566; Hesse, Die B i n d u n g des Gesetzgebers an das Grundrecht des A r t . 2 I GG bei der V e r w i r k l i c h u n g einer „verfassungsmäßigen Ordnung" (1968); Jäckel, Grundrechtsgeltung u n d Grundrechtssicherung (1967); Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung (1975). W a n n n u n der Wesensgehalt eines Grundrechtes verletzt ist, ist umstritten. Lehre u n d J u d i k a t u r haben bisher vornehmlich drei Theorien zum Begriff des Wesensgehaltes entwickelt. Vgl. zum Meinungsstand Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht (1961) S. 34ff., 236 ff.; Jäckel, Grundrechtsgeltung u n d Grundrechtssicherung, S. 20 - 43. a) Die absolute Theorie (u.a. vertreten v o n v. Mangoldt / Klein (a.a.O.); Krüger; D Ö V 1955, S. 597; Wernicke i n : Bonner K o m m e n t a r zum GG, Erl. I I , 2 a zu A r t . 19; Peters, Die Verfassungsmäßigkeit des Verbotes der Beförderung von Massengütern i m Fernverkehr auf der Straße (1954) S. 13, 26 f.; Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht (1960), S. 154; Wintrich, Z u r Problematik der Grundrechte (1957) S. 19, jüngst auch Chlosta, a. a. Ο., S. 47; i h r scheint auch das B V e r f G zuzuneigen: „Apothekenurteil" (a. a. O.), „Elfesurteil", BVerfGE 6, 32 (41), B V e r f G 10. 6.1963, BVerfGE 16, 194 (201); B V e r f G 18.7.1967, BVerfGE 22, 180 (219), B V e r f G 31.1.1973, BVerfGE 34, 238 (245), aber auch schon O V G Münster 6. 5.1954, N J W 1954, S. 1621 - 1623) sieht den Wesensgehalt dann als verletzt an, w e n n auch n u r einer der den Charakter des Grundrechts bildenden typischen Grundzüge durch bzw. auf G r u n d eines Gesetzes beeinträchtigt w i r d . F ü r die Frage, w a n n ein Grundrecht verletzt ist, k o m m t es demnach nicht auf den G r u n d u n d den Zweck der Beschränkung, sondern n u r darauf an, was nach der Beschränk u n g von dem Grundrecht überhaupt ü b r i g bleibt.

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe Kritisch zur absoluten Theorie: Hamel, Die Bedeutung der Grundrechte i m sozialen Hechtsstaat (1957), S. 42 ff. b) Die relative Theorie (u. a. vertreten v o m B G H : vgl. B G H 25.1.1952, BGHSt.4, 375; B G H 28.4.1952, DVB1. 1952, S. 471 - 474; B G H 17.10.1955, B B 1955, S. 1035 f. = VerwRspr. 8, Nr. 21, S. 98; B G H 16.11.1956, Β GHZ 22, 167 [176]; zustimmend zur Judikatur des B G H v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit [1955] S. 51; Adam, DÖV 1954, S. 202 [205]; Zippelius, DVB1. 1956, S. 353 [354] ; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland e [1973] S. 132 f., 139) orientiert sich bei der Überprüfung der Wesensgehalts Verletzung an den Grundsätzen der Güterabwägung u n d der Verhältnismäßigkeit. Danach ist ein Grundrecht i n seinem Wesensgehalt angetastet, w e n n durch den Eingriff die wesensmäßige Geltung u n d Entfaltung des Grundrechts stärker eingeschränkt w ü r d e als dies der sachliche Anlaß u n d Grund, der zu dem Eingriff geführt hat, unbedingt u n d zwingend gebietet. Der Eingriff darf also n u r bei zwingender Notwendigkeit u n d i n dem nach Lage der Sache geringstmöglichen Umfang vorgenommen werden und muß zugleich von dem Bestreben geleitet sein, dem Grundrecht i n weitestmöglichem Umfang Raum zu lassen. Unter besonderer Betonung der Güterabwägung formuliert neuerdings Ε. v. Hippel (a.a.O.) i . S . einer relativen Theorie: „ I n keinem Falle darf ein grundsätzlich geschütztes Freiheitsinteresse stärker beeinträchtigt w e r den, als dies zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter erforderlich ist." Kritisch zur relativen Theorie: Krüger, a . a . O . ; Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde. E n t w u r f eines praktikablen Wertsystems der Grundrechte aus A r t . 1 Abs. I i n Verbindung m i t A r t . 19 Abs. 2 des Grundgesetzes, AÖR81 (1956) S. 117 ff. (135); Bachof, Das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1958, S. 468; Peters, Die Verfassungsmäßigkeit des Verbotes der Beförderung von Massengütern i m Fernverkehr auf der Straße (1954) S. 13, S. 26 f.; Peters, Die Positivierung der Menschenrechte u n d ihre Folgen, FS Messner, S. 363 ff. (369); v. Münch, Die Grundrechte des Strafgefangenen, JZ 1958, S. 73 ff. (76); Giese l Schunck, Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland 8(1970), A n m . I I , 4 zu A r t . 19 GG; Denninger, Z u m Begriff des „Wesensgehaltes" i n der Rechtsprechung, D Ö V 1960, S. 812. c) Die Theorie der immanenten Grundrechtsschranken, die v o m B V e r w G vertreten w i r d , hat eher vermittelnden Charakter. Das B V e r w G geht zwar von der absoluten Theorie aus (vgl. B V e r w G 15.12.1953, B V e r w G E 1, 48 (51 ff.); B V e r w G 10.3.1954, B V e r w G E 1, 93 (94); B V e r w G E 1, 165 (168); B V e r w G E 1, 269 (270, 272); B V e r w G E 2, 85 (87); B V e r w G E 2, 89 (94); B V e r w G E 2, 295 (300); B V e r w G E 4, 167 (171); B V e r w G E 5, 171 (177). Danach darf ein Grundrecht durch die Gesetzgebung i n keinem F a l l i n seinem Wesensgehalt angetastet werden. Jedoch n i m m t das B V e r w G einen durch immanente Grundrechtsschranken relativierten Wesensgehalt an, indem es ausführt, daß es zum Inbegriff der Grundrechte gehöre, daß sie nicht i n Anspruch genommen werden dürfen, w e n n dadurch andere Grundrechte oder die f ü r den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden. Denn das Grundrecht setze den Bestand der staatlichen Gemeinschaft voraus, durch die es gewährleistet ist. Solche Schranken seien dem Grundrecht immanent (vgl. insbes. B V e r w G E 2, 295-302); i m Ergebnis ähnlich Dürig, A r t . 2 des Grundgesetzes u n d die Generalermächtigung zu allgemeinpolizeilichen Maßnahmen, AöR 79 (1954) S. 57 ff. (80 f.). Kritisch zur Theorie des B V e r w G v. Mangoldt / Klein, a. a. O.; K r ü ger, a.a.O.; Denninger, a . a . O . ; Bachof, JZ 1957, S. 334 ff. (337); Uber, Die neueste E n t w i c k l u n g der Rechtsprechung des B V e r w G zur Bedürfnisprüfung, GewArch. 1955, S. 57 ff. (58); Krassnig, DVB1. 1957, S. 284 ff. (285 f.). V e r m i t t e l n d zwischen absoluter u n d relativer Theorie auch Häberle (a. a. O.), der den Wesensgehalt der Grundrechte aus den immanenten Grundrechtsgrenzen an Hand einer am objektiven Wertsystem der Verfassung orientierten Güterabwägung gewinnt (insb. 51 - 67).

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie Auch der VerfGH hat den engen Konnex zwischen Gesetzesvorbehalt und der Frage des einfachgesetzlichen Verstoßes gegen den Wesensgehalt eines Grundrechts erkannt. Dabei hat er freilich noch keine besonderen Kriterien entwickelt, an denen er die Verletzung des Wesensgehaltes eines Grundrechtes messen w i l l und er ist auch i n den betreffenden Erkenntnissen noch nie zur Feststellung einer Wesensgehaltsverletzung gelangt. Nach der Ansicht des VerfGH verletzen Gesetze dann ein unter Gesetzesvorbehalt garantiertes Grundrecht, wenn sie „ i n ihrer Wirkung einer Aufhebung des Grundrechts gleichkommen" 204 , wenn sie „gegen das Wesen des Grundrechts verstoßen" 205 oder wenn sie „den Wesensgehalt des Grundrechts aushöhlen" 206 . Wann nach Ansicht des VerfGH der Wesensgehalt eines Grundrechts verletzt wäre, hat er i m Verstaatlichungserkenntnis 207 an einem Beispiel demonstriert: Die Verstaatlichung der gesamten Unternehmen m i t großem Kapitalbedarf und der gesamten Grundstoffindustrie sei deshalb dem Gesetzgeber verwehrt, „ w e i l dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Staatsbürgers auf Freiheit der Erwerbstätigkeit (Art. 6 StGG) i n diesem Sektor praktisch beseitigt worden wäre" 2 0 8 . Diese an sich schon enge Auffassung vom Wesensgehalt der Grundrechte hat der VerfGH — wie Korinek? 09 i n einer Analyse des Erkenntnisses vom 26. 3. 1962 VerfGHSlg. 4163/1962 zutreffend erkennt — noch weiter eingeschränkt 210 . Denn ob der Wesensgehalt eines Grundrechtes 204 V e r f G H 16.3.1961, VerfGHSlg. 3929; V e r f G H 27.11.1970, VerfGHSlg. 6316. 205 V e r f G H 26.11.1965, VerfGHSlg. 5134. 2oe V e r f G H 4.12.1965, VerfGHSlg. 5150; V e r f G H 17.3.1966, VerfGHSlg. 5240. 207

V e r f G H 8.12.1956, VerfGHSlg. 3118. I m E. v o m 4.12.1965 VerfGHSlg. 5150 hat der V e r f G H am Grundrecht der Freiheit des Liegenschaftserwerbs gezeigt, w a n n er den Wesensgehalt eines Grundrechts verletzt sieht: Da das Grundrecht der Freiheit des Liegenschaftserwerbes durch den Gesetzesvorbehalt eingeschränkt sei, habe der Gesetzgeber die Befugnis, die Übertragung des Eigentums an die Zustimmung der Grundverkehrsbehörden zu binden u n d zu normieren, nach welchen Grundsätzen diese Zustimmung zu erteilen sei. Der Wesensgehalt des G r u n d rechts wäre jedoch „ausgehöhlt", w e n n ein Gesetz die Behörde ermächtigte, bei einer Veräußerung den Erwerber zu bestimmen. (Vgl. dazu Korinek, V e r fassungsschranken f ü r die Bodenpolitik, B I 1971 [1312/1313, S. 3 ff.]); daher ist die Regelung des Eintrittsrechts i n §§6 u. 26 des öBobeschG wegen der Verletzung der Wesensgehaltsgarantie des A r t . 6 StGG verfassungswidrig (vgl. dazu Aicher, Das Bodenbeschaffungsgesetz, S. 42 ff.); Moser, Assanierung, Bodenbeschaffung u n d Verfassungsrecht, B I 1972 (1345/46). 209 Korinek, FS M e r k l , S. 178. 210 Dem Erkenntnis lag folgender Sachverhalt zugrunde. E i n Bäckermeister wurde i n einem i m Instanzenweg ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes f ü r schuldig erkannt, gegen § 5 des Bäckereiarbeitergesetzes verstoßen zu haben, w e i l er u m 2 U h r 5 M i n u t e n m i t der Tafelarbeit begon208

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe v e r l e t z t ist, m i ß t d e r V e r f G H i n W a h r h e i t n i c h t a n der N a t u r des d u r c h das G r u n d r e c h t geschützten Gutes, s o n d e r n n u r a n d e n A n f o r d e r u n g e n des Gleichheitsgrundsatzes. D a es aber der Gleichheitssatz a n sich d e m einfachen Gesetzgeber v e r b i e t e t , b e i seinen R e g e l u n g e n v o n unsachl i c h e n E r w ä g u n g e n auszugehen, m u ß m i t Korinek 211 angenommen werden, daß die bloße U b e r p r ü f u n g e i n e r m ö g l i c h e n sachlichen R e c h t f e r t i g u n g einer R e g e l u n g „ i n W a h r h e i t g a r k e i n e U b e r p r ü f u n g des A u s f ü h rungsgesetzes a m G r u n d r e c h t " bedeutet. D a b e i h a t der V e r f G H i n e i n e m u n m i t t e l b a r v o r h e r e r g a n g e n e n E r k e n n t n i s (E 16. 3. 1961, V e r f G H S l g . 3929) — w o h l ohne sich dessen b e w u ß t z u sein — d e n G r u n d s t e i n f ü r eine durchaus z u s t i m m e n s w e r t e E r k e n n t n i s d e r „Wesensgehaltssperre" gelegt. nen hatte, obwohl § 51. cit. besagt, daß i n Backwaren-Erzeugerbetrieben die A r b e i t zur Nachtzeit (20 U h r - 4 Uhr) verboten ist. Gemäß § 141. cit. g i l t die Bestimmung des § 5 auch f ü r den Inhaber eines Backwaren-Erzeugerbetriebes u n d dessen Familienangehörige. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verstieß diese gesetzliche Regelung gegen den Gleichheitssatz, w e i l die Bäcker durch die Regelung des § 141. cit. i m Vergleich zu allen anderen selbständigen Berufstätigen, deren Arbeitszeit nicht vorgeschrieben ist, besonders schlecht behandelt wären. Des weiteren machte der Beschwerdeführer geltend, daß § 141. cit. auch dem A r t . 6 StGG (Freiheit der Berufsausübung) widerspreche. Der V e r f G H sah i n § 141. cit. keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Diesem widerspreche eine gesetzliche Regelung n u r dann, w e n n sie unsachliche Differenzierungen vornehme. Daß die betreffende Regelung des Bäckereiarbeitergesetzes sachfremden Erwägungen entspreche, könne nicht angenommen werden. Sie sei vielmehr aus den gegebenen Besonderheiten i n der Backwarenerzeugung ableitbar. Die Ausführungen des V e r f G H m i t denen er die Verletzung des A r t . 6 StGG verneinte, sind f ü r die Frage der „Wesensgehaltsverletzung" eines Grundrechts v o n besonderer Bedeutung. Da A r t . 6 unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehe, sei der Gesetzgeber befugt vorzuschreiben, daß die Berufsausübung n u r unter gewissen Umständen u n d V o r aussetzungen erlaubt oder verboten sei. Dabei sei der Gesetzgeber — außer an die sonstigen Vorschriften der Verfassung — dem Wesensgehalt des Grundrechts entsprechend an die i n der N a t u r der zu regelnden Materie liegenden Grenzen, also an die sachlichen Grenzen der Materie gebunden. W a n n n u n die „sachlichen Grenzen der Materie" überschritten sind, m i ß t der V e r f G H am Gleichheitssatz. Da der V e r f G H i n dem vorliegenden F a l l die Verletzung des Gleichheitssatzes schon verneint hatte, konnte er demgemäß auch keine Verletzung des Wesensgehalts des A r t . 6 StGG annehmen. D a m i t v e r t r i t t der V e r f G H bezüglich der „Wesensgehaltssperre" weder die relative Theorie des B G H , nach der der Wesensgehalt des Grundrechts dann verletzt ist, w e n n durch den Eingriff die wesensmäßige Geltung u n d Entfalt u n g des Grundrechts stärker eingeengt wurde, als dies der sachliche Anlaß u n d Grund, der zu dem Eingriff geführt hat unbedingt u n d zwingend gebietet, noch die absolute Theorie, die — bezugnehmend auf die N a t u r des grundgesetzlich geschützten Gutes — ausschließlich danach fragt, was nach der Beschränkung v o m Grundrecht überhaupt ü b r i g bleibt (vgl. dazu F N 203). Vielmehr sieht der V e r f G H n u r dann das Grundrecht i n seinem Wesensgehalt verletzt, wenn i m Hinblick auf die sachlichen Grenzen der zu regelnden Materie v o m Gesetzgeber unsachliche Differenzierungen getroffen werden, ohne dabei eine Relation zum Grundrecht selbst herzustellen. A n dieser J u d i k a t u r hat der V e r f G H bis heute festgehalten (vgl. dazu VerfGHSlg. 7304/1974). 211 Korinek, FS M e r k l , S. 178.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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I n dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Fall war dem Beschwerdeführer durch· den vom Landeshauptmann von Wien i m Berufungsweg erlassenen Bescheid eine Geldstrafe von S 50,— auferlegt worden, w e i l er entgegen den Bestimmungen des Sonntags- und Feiertagsruhegesetzes sein Lebensmittelgeschäft am Sonntag von 7.30 - 9 Uhr offengehalten hatte, obwohl i h m dazu keine Sondergenehmigung erteilt worden war. Durch diesen Bescheid fühlte sich der Beschwerdeführer u. a. i n seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 13 StGG) verletzt, da er i n den fraglichen Öffnungszeiten ausschließlich Zeitungen verkauft habe. Der VerfGH zog nicht i n Zweifel, daß Vorschriften über den Vertrieb von Druckschriften das Grundrecht nach A r t . 13 StGG berührten, und, trotz des Gesetzesvorbehaltes, verfassungswidrig sein könnten, wenn sie i n ihrer W i r k u n g einer Aufhebung des Grundrechtes gleichkämen. Daß dies hier der F a l l sei, verneinte der VerfGH völlig zu Recht, da das SonntagsruheG nicht eine Regelung der Meinungsfreiheit zum Gegenstand habe. Vielmehr diene diese Vorschrift dem Schutz eines von der Meinungsfreiheit völlig verschiedenen Rechtsgutes. Sie sei nicht dazu bestimmt, die geistige W i r k u n g der freien Meinungsäußerung als solche zu unterbinden oder einzuschränken. Da das SonntagsruheG daher das Grundrecht der freien Meinungsäußerung überhaupt nicht berühre, könne auch von einer Verfassungswidrigkeit keine Rede sein. Damit hat der VerfGH erstmals und — soweit ich· sehe — auch das letzte M a l für die Frage der Wesensgehaltsverletzung auf das Schutzobjekt des betreffenden Grundrechts, also insoweit auf die Natur des grundrechtlich geschützten Gutes abgestellt. Dabei hat er i n dem vorliegenden F a l l das Vorliegen einer Verfassungswidrigkeit zu Recht verneint. Für seine weiteren Erkenntnisse bezüglich der Wesensgehaltsverletzung bei Grundrechten hätte der VerfGH nur von diesem richtigen Ansatzpunkt ausgehend die „Grundsubstanz" des jeweils i n Frage stehenden Grundrechts herausarbeiten müssen, u m daran eine eventuelle Wesensgehaltsverletzung durch ein Ausführungsgesetz messen zu können. 2. Die Judikatur des VerfGH zur „Wesensgehaltssperre" in Art. 5 StGG

Von besonderem Interesse sind für unsere Frage die Entscheidungen, i n denen der VerfGH zur Wesensgehaltsproblematik i n A r t . 5 StGG Stellung genommen hat. Zwei Erkenntnissen kommt dabei zentrale Bedeutung zu. I n dem dem Erkenntnis VerfGHSlg. 4486 vom 28. 6. 1963 zugrundeliegenden Fall machte der Beschwerdeführer u. a. geltend, durch einen Fluchtlinienbekanntgabebescheid, durch den ein Teil seiner Grund-

2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe stücke als „Bauland für öffentliche Zwecke" qualifiziert wurde, i n seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt zu sein. Entsprechend der ständigen Judikatur des VerfGH, nach der mit Rücksicht auf den Gesetzesvorbehalt i n A r t . 5 StGG das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums dann verletzt ist, wenn der Bescheid ohne jede gesetzliche Grundlage erlassen wurde, oder wenn er sich- auf ein verfassungswidriges Gesetz oder auf eine gesetzwidrige Verordnung stützt oder schließlich, wenn bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung i n denkunmöglicher Weise angewendet wurde 2 1 2 , hat er das Vorliegen von Mängeln dieser A r t überprüft und deren Vorhandensein verneint. Insbesondere behauptete der Beschwerdeführer — zumindest der Sache nach —, der i m gegebenen Zusammenhang i n Betracht kommende Teil des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes vestoße gegen A r t . 5 StGG. Demgegenüber führte der VerfGH aus, daß die Erklärung eines Grundstückes zum „Bauplatz für öffentliche Zwecke" durch den eine Verordnung darstellenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan lediglich eine Eigentumsbeschränkung darstelle. A r t . 5 StGG enthalte den Gesetzesvorbehalt. Der Gesetzgeber könne daher verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechts der Unverletzlichkeit des Eigentums berühre oder i n einer anderen Weise gegen einen den Gesetzgeber bindenden Verfassungsgrundsatz verstoße. Offenbar nahm der VerfGH — wie ich meine i m Ergebnis zu Recht — an, daß der betreffende Teil des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes den Wesensgehalt des Grundrechtes nicht antastet. Eine befriedigende Begründung läßt das Erkenntnis jedoch vermissen. I n seinem Erkenntnis vom 28. 2. 1966213 mußte sich der VerfGH m i t der Frage beschäftigen, ob das nö. Landesgesetz über die Beschränkung des Auspflanzens von Weinreben 214 den Wesensgehalt des A r t . 5 StGG beeinträchtigt. Gemäß §11. cit. sind Auspflanzungen von Weinreben i m Ausmaß von mehr als 6000 m 2 je landwirtschaftlichem Betrieb verboten. I n einem 212 Vgl. dazu die Erkenntnisse des V e r f G H i n : Hirsch, Die J u d i k a t u r des V e r f G H 1919 - 1964 (1966) unter „Eigentum — Recht auf Unverletzlichkeit" S. 409 - 413 u n d Hirsch, Die J u d i k a t u r des V e r f G H 1965 - 1969 (1970) unter „Eigentum — Recht auf Unverletzlichkeit", S. 208 - 219; kritisch dazu, v o r allem zur Figur der denkunmöglichen Gesetzesanwendung Melichar, Die E n t w i c k l u n g der Grundrechte i n Österreich, Gutachten zum 2. ÖJT, 1/2 S. 15 ff. Vgl. dazu neuerdings Welan, Bemerkungen zum Eigentumsrecht u n d zur Eigentumsrechtsprechung des VerfGH, ÖJZ 1972, S. 369 ff. (370 f.). 213 VerfGHSlg. 5208/1966. 214 N ö L G B l . 36/1965.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie z u m T e i l v o n der nö. L a n d e s r e g i e r u n g b e s t ä t i g t e n Bescheid der B e zirkshauptmannschaft H o l l a b r u n n w u r d e dem Beschwerdeführer aufgetragen, eine b e s t i m m t e m i t W e i n r e b e n ausgepflanzte P a r z e l l e w i e d e r zu roden, d a d a d u r c h das i n § 1 1. cit. e r l a u b t e A u s m a ß ü b e r s c h r i t t e n w e r d e . D a d u r c h f ü h l t e sich d e r B e s c h w e r d e f ü h r e r i n s e i n e m verfassungsgesetzlich g e w ä h r l e i s t e t e n Recht a u f U n v e r s e h r t h e i t des E i g e n t u m s v e r l e t z t . D e r V e r f G H w i e s j e d o c h die Beschwerde ab. D i e i n F r a g e stehende A n b a u b e s c h r ä n k u n g stelle eine E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g d a r . A l l e r d i n g s gelte der erste Satz des A r t . 5 S t G G , der besage, daß das E i g e n t u m u n v e r l e t z l i c h sei, n i c h t n u r f ü r E n t e i g n u n g e n (§ 365 A B G B ) , s o n d e r n auch f ü r E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n 2 1 5 . D e r Gesetzesvorbehalt beziehe sich aber auch a u f E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n (§364 A B G B ) . D e r Gesetzgeber k ö n n e d a h e r verfassungsgesetzlich einwandfreie E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n v e r f ü g e n , soferne er d a d u r c h n i c h t d e n Wesensgehalt des G r u n d r e c h t s der U n v e r l e t z l i c h k e i t des E i g e n t u m s b e r ü h r e oder i n a n d e r e r Weise gegen e i n e n d e n Gesetzgeber b i n d e n d e n V e r f a s s u n g s g r u n d s a t z verstoße. I n d e n b e t r e f f e n d e n A n b a u b e s c h r ä n k u n g e n e r b l i c k t e der V e r f G H j e d o c h E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n , die d e n Wesensgehalt des G r u n d r e c h t s der U n v e r l e t z l i c h k e i t des E i g e n t u m s n i c h t b e r ü h r e n 2 1 6 . A u s d e n b e i d e n v o r h i n besprochenen E r k e n n t n i s s e n 215

So auch schon VerfGHSlg. 3666. Wenn der V e r f G H bei der Frage der Wesensgehaltsverletzung des A r t . 5 StGG der i n der Gegenschrift der Behörde vorgebrachten Argumentation, das betreffende Gesetz bezwecke nicht n u r eine der heimischen W e i n w i r t schaft drohende Uberproduktions- u n d Absatzkrise abzuwehren, sondern auch durch die Verhinderung weiterer Fehlinvestitionen eine Vergeudung des Volksvermögens hintanzuhalten, ausdrücklich zustimmt, deutet dies m. E. darauf hin, daß der V e r f G H nach w i e vor den Wesensgehalt eines Grundrechts erst dann f ü r verletzt hält, w e n n der Gesetzgeber sachlich nicht gerechtfertigte Ausführungsgesetze erläßt. Auch i n einem seiner neueren E r kenntnisse zum A r t . 5 StGG (Slg. 6316) n i m m t der V e r f G H zur „Wesensgehaltssperre" nicht Stellung, sondern verweist lediglich auf VerfGHSlg. 3929 (völlig am Gleichheitssatz orientiert VerfGHSlg. 7304). Deshalb vermag ich auch Korineks (FS M e r k l , S. 182 f.) vorsichtigen O p t i mismus, schon i m Erkenntnis VerfGHSlg. 3666 v o m 19.12.1969 (siehe dazu I, A , 4 i n F N 175) bahne sich ein zwischen öffentlichen u n d privaten Interessen abwägendes Verständnis des Gesetzesvorbehaltes u n d damit auch der Wesensgehaltssperre an, nicht zu teilen. Dem § 17 Abs. 1 u. 2 WBauO, der bei Grundteilungen eine unentgeltliche A b t r e t u n g eines bestimmten G r u n d stücksanteils an die Gemeinde zu öffentlichen Zwecken normierte u n d den der V e r f G H i n dem betreffenden Erkenntnis schon aus kompetenzrechtlichen Gründen aufgehoben hat, fehlte es nämlich nach richtiger Ansicht des, V e r f G H — da diese N o r m als Enteignungstatbestand zu qualifizieren w a r — an dem v o m V e r f G H i n ständiger Judikatur als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung geforderten „allgemeinen Besten". Insofern ging es dem V e r f G H lediglich u m eine Präzisierung des unbestimmten Rechtsbegriffes „öffentliches Interesse". E i n solches ist nach Ansicht des V e r f G H n u r dann gegeben, w e n n ein konkreter Bedarf vorliegt, dessen Deckung im öffentlichen Interesse liegt. Des weiteren muß das Objekt der Enteignung überhaupt geeignet sein, diesen Bedarf unmittelbar zu decken u n d es muß schließlich unmöglich sein, den Bedarf anders als durch Enteignung zu decken. Z u diesen 216

6 Aicher

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe des VerfGH läßt sich ein wichtiger Schluß ziehen. Der VerfGH hält es offenbar für möglich, daß durch bloße Eigentumsbeschränkungen der Wesensgehalt des verfassungsgesetzlich geschützten Eigentumsrechts verletzt wird, daß also die Wesensgehaltsgarantie nicht nur eine Verfassungsschranke für die Enteignung, sondern auch für die Eigentumsbeschränkung darstellt 2 1 7 . Es w i r d zu prüfen sein, ob diese Aussage generell richtig ist oder ob sie nur die Konsequenz eines formal-historischen und deshalb allzu engen Enteignungsbegriffes ist, den der VerfGH i n ständiger Judikatur gebildet hat 2 1 8 . Überdies zeigen diese Erkenntnisse, daß der VerfGH bisher keine tauglichen Kriterien entwickelt hat, u m den Wesensgehalt des Eigentumsgrundrechts zu bestimmen. Beiden Problemkreisen w i r d i m folgenden nachzugehen sein. 3. Der „Doppelcharakter" der Grundrechte

a) Einleitung

— Rechtsstellungsgarantie

und Institutsgarantie

Es muß davon ausgegangen werden, daß das Grundrecht der Unverletzlichkeit des Eigentums nicht nur die Rechtsposition des einzelnen durch die Gewährung eines subjektiven öffentlichen Rechts schützt, sondern daß es auch« dem Privateigentum als Institut des objektiven Rechts verfassungsrechtlichen Schutz verheißt 2 1 9 . Diese Doppelfunktion ist nun keineswegs ein Spezifikum des Grundrechts auf Unversehrtheit des Eigentums. Sie findet sich auch bei andeAusführungen w a r der V e r f G H m. E. n u r durch das von i h m als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung geforderte „öffentliche Interesse" gezwungen, ohne daß darüber hinaus „ein Ansatzpunkt f ü r eine Revision der Judik a t u r zum Gesetzesvorbehalt bei Grundrechten" abzuleiten ist. Siehe dagegen das deutsche BVerwG, das i n einem ganz ähnlich gelagerten F a l l — freilich v o m Standpunkt der Schrankenimmanenzlehre (siehe dazu i n F N 203 u n d unten unter I, B, 3, d — eine Wesensgehaltsverletzung des Eigentums anerkannt hat (BVerwG 4. 7.1957 B V e r w G E 5, 171). 217 D a r i n scheint der V e r f G H m i t dem deutschen B V e r f G übereinzustimmen. Z w a r hat das B V e r f G i n zahlreichen Entscheidungen, i n denen es die Verfassungsmäßigkeit von Eigentumsbeschränkungen zu prüfen hatte, n u r betont, daß der einfache Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Sozialbindung des Eigentums an die Wertentscheidung der Verfassung, an den Gleichheitsgrundsatz, an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz etc. gebunden sei u n d es hat dabei die Wesensgehaltsperre nie erwähnt (vgl. die unter I, A , 4 i n F N 175 a angegebenen Erkenntnisse). Doch hat es i n seinem Erkenntnis BVerfGE 21, 92 (93) eine als Inhaltsbestimmung des Eigentums qualifizierte N o r m noch auf ihre Wesensgehaltsverträglichkeit geprüft. 218 Siehe dazu ausführlich unten unter I I , A . 219 Das ist f ü r das deutsche Recht ganz unbestritten: vgl. dazu aus der neuesten L i t e r a t u r statt vieler Badura, Eigentum i m Verfassungsrecht der Gegenwart, Verhandlungen des 49. D J T I I , Τ S. 5 ff. (13); Böckenförde, Eigentum, Sozialbindung des Eigentums, Enteignung, i n : Gerechtigkeit i n der I n dustriegesellschaft (1972), S. 215 f.; aus der älteren L i t e r a t u r vgl. statt vieler Weber, i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 331 ff. (335 ff.); Kubier, A c P 159 (1960), S. 236 ff. (238).

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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ren Grundrechten 220 . Nur ist sie beim grundrechtlichen Schutz des Eigentums besonders augenfällig und eine dahingehende Untersuchung kann sich auch — dem Ziel der Arbeit entsprechend — nur auf A r t . 5 StGG beziehen. Die nach herrschender Ansicht dem Grundrecht immanente, sowohl auf die Rechtsstellung des einzelnen als auch auf das Institut bezogene doppelte Gewährleistung prägt auch Schutzinhalt und Schutzfunktion der Wesensgehaltsperre. Denn wenn beantwortet werden soll, wann der Wesensgehalt eines Grundrechts i n verfassungswidriger Weise beeinträchtigt ist, muß geklärt sein, ob die Wesensgehaltsgarantie dem Schutz des Grundrechts als subjektivem öffentlichem Recht oder der normativ-generellen Grundrechtsverbürgung i m Sinn eines Institutsschutzes dient. Dies setzt aber die Beantwortung der Vorfrage voraus, ob die verfassungsrechtliche Gewährleistung privater Rechtsinstitute neben der Verbürgung subjektiver öffentlicher Rechte überhaupt eine eigenständige Funktion hat und — bejahendenfalls — welche Funktion die Institutsgarantie erfüllt. Der institutionellen Seite der Grundrechte ist jedoch i n der österreichischen Lehre bisher nicht die gebührende Beachtung geschenkt worden. Auch i m Rahmen dieser Untersuchung können lediglich i m H i n blick auf die Eigentumsgarantie i n A r t . 5 StGG einige Anmerkungen und Anregungen zu dieser grundlegenden Frage beigetragen werden. Eine ausführliche Erörterung der Einrichtungsgarantie privater Rechtsinstitute würde den Rahmen der Untersuchung bei weitem sprengen. Diese Frage bringt nämlich nicht nur die Notwendigkeit m i t sich, die bisherige Auffassung über die Funktion der Gesetzesvorbehalte i m Grundrechtsbereich' zu überprüfen und die Frage der Wesensgehaltsgarantie neu zu überdenken. Sie berührt vielmehr eine der bedeutendsten Grundfragen der allgemeinen Rechtslehre überhaupt: Beruht unsere Rechtsordnung nur auf dem Schutz des Freiheitsbereiches des einzelnen durch die Zuweisung subjektiver Rechte oder ist sie daneben — wie Raiser meint 2 2 1 — auch am Schutz und der Entfaltung der „unser gesellschaftliches Leben durchziehenden Institutionen durch die Ausbildung entsprechender Rechtsinstitute kraft objektiven Rechts" orientiert 2 2 2 ? 220 Z . B . A r t . 14 StGG: Glaubens- u n d Gewissensfreiheit; A r t . 18 StGG: Freiheit der Berufswahl. 221 Raiser i n : S u m m u m ius, summa iniuria, S. 145 ff. (148). 222 Der Gedanke einer ordnungsfunktionalen Betrachtungsweise privater Rechtsinstitute geht schon auf Franz Böhm, Wettbewerb u n d Monopolkampf (1933) S. 124 zurück. Vgl. zum „institutionellen Denken" i m privatrechtlichen Bereich noch Raiser , Vertragsfreiheit heute, JZ 1958, S. I f f . ; Biedenkopf, i n : FS Böhm, S. 113 ff. u n d Biedenkopf, Rechtsfragen der Konzentration, Zeitschr. d. Bernischen Juristenvereins 108 (1972) S. 1 ff.



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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Die m i t der durch die Verfassung gewährten Einrichtungsgarantie privater Rechtsinstitute verbundenen Fragen sind i m deutschen Rechtsbereich schon viel ausführlicher diskutiert worden als i n Österreich. Einer unbesehenen Übernahme der dort erzielten Ergebnisse stehen — trotz zugegebener Ähnlichkeiten — doch manche Bedenken entgegen. Abgesehen davon, daß auch i n der deutschen Diskussion noch tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten bestehen, unterscheidet sich die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Grundrechtsteils des GG von der Regelung i m StGG i n gerade für diesen Fragenkreis relevanten Punkten. Einmal fehlt es dem StGG und auch dem B.-VG an einer ausdrücklichen Einrichtungsgarantie, durch die eine generelle „Institutionalisierung" der Grundrechte erfolgen könnte. Diese Funktion erfüllt i m GG nach Ansicht Häberles 223 A r t . 19 Abs. 2 GG. Überdies fehlt dem StGG und auch dem B.-VG eine dem A r t . 20 GG vergleichbare „Sozialstaatsgarantie", die nach herrschender deutscher Lehre die Grundrechte inhaltlich mitbestimmt 2 2 4 . Soziale Ansprüche des einzelnen ergeben sich nach österreichischem Recht ausschließlich aus den Regelungen der einfachen Gesetzgebung 225 . Schon diese Unterschiede i n der positiven Verfassungsordnung der beiden Staaten dürften zeigen, daß bei der Übernahme deutscher Lehrmeinungen Vorsicht am Platze ist 2 2 6 . 223 Häberle, Wesensgehaltgarantie 2 , S. 236 - 239; so aber auch Lerche, Grundrechtsbegrenzungen durch „Gesetz" i m Wandel des Verfassungsbildes, DVB1. 1958, S. 524 insb. A n m . 51; Herbert Krüger, Grundgesetz u n d K a r t e l l gesetzgebung (1950) S. 13; E. R. Huber, Streit u m das Wirtschaftsverfassungsrecht, D Ö V 1956, S. 135 ff. (142); Bedenken dagegen hat Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien, S. 53 f. 224 Vgl. dazu Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , 178; Raiser, JZ 1958, S. 1 ff.; Werner, Die Zuständigkeit des Bundes f ü r ein Bundesbaugesetz, DVB1. 1954, S. 481; f ü r A r t . 14 GG: vgl. insbesondere Scheuner i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 76 f. 225 Melichar i n : Verhandlungen des 2. ÖJT 1/2, S. 23. 226 Überdies ist es i n Österreich h. L., daß aus den Grundrechten eine materiale Entscheidung f ü r eine bestimmte Wirtschaftsordnung nicht ableitbar ist (vgl. dazu Fröhler, Das Wirtschaftsrecht als Instrument der W i r t schaftspolitik [1969] S. 19 ff.; Mayer-Maly, Arbeitsrecht u n d Gesellschaftsordnung, D R d A 1964, S. 70 ff.; Schnorr; Dogmatik u n d Methode des österreichischen Arbeitsrechts, D R d A 1965, S. 41 ff.; Mayer-Maly, Privatautonomie u n d Wirtschaftsverfassung i n : FS Korinek, S. 151 ff.; Kafka, Rechtsordnung u n d Wirtschaftsordnung, WiPolBl. 1965, Beil. 2, S. 13 ff.). Das entspricht auch der Ansicht des VerfGH, der i n ständiger J u d i k a t u r die österreichische V e r fassungsordnung f ü r wirtschaftspolitisch neutral hält (vgl. dazu VerfGHSlg. 4753; V e r f G H 17.10.1968, VerfGHSlg. 5831; V e r f G H 14.6.1969, VerfGHSlg. 5966). I n Deutschland ist es jedoch eine Mindermeinung, w e n n Ehmke, W i r t schaft und Verfassung (1961) S. 55 u n d Zacher, Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung i n : FS B ö h m (1965) S. 63 ff. einer A b l e i t u n g w i r t schaftspolitischer M a x i m e n aus der Verfassung skeptisch gegenüberstehen. I n diesem Sinn w o h l neuerdings wieder Schwengler, A u R 1975, S. 263 ff. (268). Z w a r ist auch Nipperdey m i t seiner extrem entgegengesetzten Ansicht (Soziale Marktwirtschaft u n d Grundgesetz 3 [1965]), aus dem Grundrechtsteil des

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie GG lasse sich f ü r die Bundesrepublik Deutschland das wirtschaftspolitische Modell der sozialen Marktwirtschaft ableiten, auf heftige Ablehnung gestoßen (vgl. dazu das Investitionshilfeurteil des BVerfG, BVerfGE 4, 8; dazu Badura, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung i m sozialen Rechtsstaat, AöR [1967] 92, S. 382 fï.); vgl. auch neuerdings Klein, Eigentumsbindung, Enteignung, Sozialisierung und Gemeinwirtschaft i m Sinne des Bonner Grundgesetzes (1972), S. 7 ff. Doch entspricht es i n Deutschland der überwiegenden Lehre, daß die W i r t schaftsordnung i n bestimmten Bereichen durch die Grundrechte zumindest strukturiert ist (vgl. statt vieler E. R. Huber, Der Streit u m das Wirtschaftsverfassungsrecht, D Ö V 1956, S. 135 ff.; Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre [1966] S. 576 f.; Herbert Krüger, V o n der reinen Marktwirtschaft zur gemischten Wirtschaftsverfassung [1966] ; Benda, Wirtschaftsordnung u. G r u n d gesetz, i n : Gemper, Marktwirtschaft u. soziale Verantwortung [1973] S. 185 ff. [193 ff.]). Davon w i r d man auch für den österreichischen Rechtsbereich ausgehen können. Z w a r ist der Meinung des VerfGH, daß die freie Marktwirtschaft kein Grundsatz der österreichischen Verfassungsordnung ist (vgl. etwa VerfGHSlg. 5966) zuzustimmen. Doch ist die österreichische Grundrechtsverfassung keineswegs wirtschaftsverfassungsrechtlich so indifferent, wie es i h r die h. L. gemeiniglich attestiert. Vielmehr entfalten einige Grundrechtsartikel eine nicht unbedeutsame I n d i z w i r k u n g f ü r ein marktwirtschaftliches System. Die Marktwirtschaft k a n n ohne Wettbewerbsgarantien nicht funktionieren. Ob die österreichische Verfassungsordnung die Marktwirtschaft garantiert — oder anders gewendet — ob sie verhindert, daß durch einfaches Gesetz ein planwirtschaftliches System eingeführt w i r d , ist danach zu entscheiden, ob sie die Rahmenbedingungen f ü r das Entstehen u n d Funktionieren von W e t t bewerb enthält. Dies ist zu bejahen. Wettbewerb ist ohne Konkurrenzverhältnis nicht denkbar. E i n solches Konkurrenzverhältnis k a n n aber n u r entstehen, w e n n jeder, der sich unternehmerisch betätigen w i l l , den Zugang zum M a r k t hat. N u r so entstehen Marktalternativen. Verfassungsrechtlich gewährleistet ist der Zugang zum M a r k t durch die i n A r t . 6 StGG verbürgte Niederlassungs-, Liegenschafts- u n d Erwerbsfreiheit. Wettbewerb verlangt auch, daß m a n Eigentum erwerben, es wirtschaftlich einsetzen k a n n u n d daß man f ü r die Entscheidung, sein Eigentum so u n d nicht anders zu verwenden, das wirtschaftliche Risiko trägt. Deshalb muß i n einer Wettbewerbswirtschaft das Eigentum als private, eigenverantwortliche Nutzungsbefugnis garantiert sein. Eine solche grundsätzliche Garantie enthält A r t . 5 StGG. D a m i t ist aber auch die Vertragsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert. Denn die V e r fügungsfreiheit über das Eigentum setzt voraus, daß man auch grundsätzlich die Freiheit hat, m i t w e m man Verträge abschließt. Es ist ein unverzichtbares M e r k m a l einer Wettbewerbswirtschaft, daß nicht von Staats wegen angeordnet w i r d , m i t w e m man Verträge welchen Inhalts abzuschließen hat. W e t t bewerbsnotwendig k a n n es aber auch sein, daß sich Menschen zur Durchführung wirtschaftlicher Absichten zu Gesellschaften zusammenschließen k ö n nen. Verfassungsrechtlich ist dies durch A r t . 12 StGG gewährleistet. Freilich sind diese Grundrechte nicht unbeschränkt gewährleistet, sondern sie stehen unter dem Gesetzesvorbehalt, der es dem einfachen Gesetzgeber ermöglicht, die grundrechtlich garantierten Institute bezüglich ihrer „Sozialverträglichkeit" auszugestalten. So können gemäß A r t . 5 S. 2 StGG trotz der grundsätzlichen Unverletzlichkeit des Eigentums durch einfaches Gesetz E n t eignungsmöglichkeiten positiviert werden u n d die Rezeption des sozial gebundenen Eigentumsbegriffes i n A r t . 5 StGG bedingt die Zulässigkeit von Eigentumsbeschränkungen. Auch die Erwerbsfreiheit steht unter dem Gesetzesvorbehalt, so daß der einfache Gesetzgeber die Zulassung zum M a r k t an gewisse Voraussetzungen binden kann, deren E r f ü l l u n g i m öffentlichen Interesse liegt. Die diesen Grundrechten eigene Wesensgehaltssperre v e r hindert jedoch, daß der wettbewerbsgewährleistende Charakter dieser

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe b) Die Institutsgarantie

in Art. 5 StGG

Es ist i n der österreichischen Lehre vereinzelt darauf hingewiesen worden, daß sich die Eigentumsgarantie i m ersten Satz des A r t . 5 StGG „Das Eigentum ist unverletzlich" i n zwei Garantiefunktionen aufgliedert: Sie schützt sowohl das Eigentum als Institut der i m Recht ausgeformten Sozialordnung, als auch das Eigentum als subjektives Recht 227 des einzelnen 228 . Demnach muß innerhalb der Eigentumsgarantie eine Institutsgarantie und eine Rechtstellungsgarantie unterschieden werden"229. Es ist jedoch zu beachten, daß diese beiden Schutzfunktionen eng zusammenhängen. Es w i r d sich gerade bei der Eigentumsgarantie zeigen, daß es völlig sinnlos wäre, die Eigentümerstellung des einzelnen durch die Verleihung eines subjektiven öffentlichen Rechts zu schützen, ohne damit gleichzeitig das Eigentum als Privatrechtseinrichtung zu garantieren. Überdies prägt die Institutsgarantie die Rechtstellungsgarantie des einzelnen insoweit, als eine konkrete Rechtstellung des einzelnen nur dann als Eigentümerstellung geschützt werden kann, wenn sie unter die einfachgesetzliche Ausformung des Eigentumsinstituts subsumierbar ist. Die Hauptfunktion der Institutsgarantie ist aber darin zu sehen, daß sie der Rechtsposition des einzelnen eine größere Sicherheit gewährt, als dies durch eine bloße Rechtsstellungsgarantie i n Form von Grundrechte zur Gänze beseitigt w i r d . Dazu muß freilich — was i n Österreich bisher unterlassen wurde — der absolut garantierte Kernbereich wettbewerbsrelevanter Grundrechte herausgearbeitet werden. I m m e r h i n lassen die verfassungsrechtliche Garantie wettbewerbsrelevanter Grundrechte u n d deren auch i n Österreich grundsätzlich anerkannte Wesensgehaltsgarantie den vorsichtigen Schluß zu, daß der Grundrechtskatalog unser Wirtschaftssystem sozial-marktwirtschaftlich strukturiert (so auch jüngst Korinek, WipolBl. 1976, S. 87; Stern, Betrachtungen zur freiheitlichen Staats- u. Wirtschaftsordnung, ÖZW 1976, S. 33 ff.). 227 Melichar i n : Verhandlungen des 2. ÖJT 1/2, S. 27; Gschnitzer, Sachenrecht, S. 113; i m Anschluß an Melichar neuerdings auch Steidl, Bedeutung des Gleichheitssatzes, S. 77; Schantl, Berufsfreiheit, Eigentumsfreiheit u n d V e r tragsfreiheit als die wichtigsten Grundrechte der Wirtschaft i n : FS F. K o r i n e k (1972), S. 129 ff. (136). 228 Daß Grundrechte subjektive öffentliche Rechte darstellen, ist heute unbestritten; vgl. statt vieler Dürig i n Maunz / D ü r i g / Herzog, Grundgesetz 3 Rdn. 96 zu A r t . 1 Abs. 3. Daß der grundrechtliche Schutz des Eigentums nicht das konkrete Einzeleigentum gegenüber staatlichen Eingriffen schützt, sollte heute überholt sein (vgl. dazu Dürig, ZgesStW 1953, S. 338). So aber noch f ü r die Weimarer Zeit: Hof acker, Grundrechte u n d Grundpflichten der Deutschen (1926) S. 37; Hof acker, Die Auslegung der Grundrechte (1931) S. 21; heute n u r noch Müller-Engelhardt, Eigentum, Enteignung u n d Entschädigung i m Bonner Grundgesetz, JR 1950, S. 137 f. 229 Während sich die Rechtsstellungsgarantie sowohl gegen den Gesetzgeber als auch gegen die Vollziehung richtet, richtet sich die Institutsgarantie n u r gegen den Gesetzgeber. Vgl. dazu W. Weber i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 355, 364.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie Z u t e i l u n g s u b j e k t i v e r öffentlicher Rechte d e r F a l l w ä r e . U m dies z u b e g r ü n d e n , m u ß noch k u r z z u r F u n k t i o n d e r I n s t i t u t s g a r a n t i e S t e l l u n g genommen werden. Es i s t S i n n u n d Z w e c k der verfassungsrechtlichen I n s t i t u t s g a r a n t i e 2 3 0 , d e n B e s t a n d e i n e r b e s t i m m t e n p r i v a t r e c h t l i c h e n E i n r i c h t u n g a n sich ( z . B . E i g e n t u m , V e r t r a g , Ehe) gegenüber d e m einfachen Gesetzgeber z u g e w ä h r l e i s t e n 2 3 1 . Diese B e s t a n d s g a r a n t i e ist aber n i c h t u m der I n s t i t u t e selbst w i l l e n v o n Verfassungs w e g e n eingerichtet. Sie d i e n t i n erster L i n i e d e m Z w e c k — u n d das w a r auch i h r dogmengeschichtlicher H i n t e r g r u n d 2 3 2 — das s u b j e k t i v e Recht v o r d e r „gesetzespositivistisch m ö g l i c h e n D e n a t u r i e r u n g " z u schützen 2 3 3 . 230 Die Frage, i n w i e w e i t sich die Institutsgarantie von der institutionellen Garantie unterscheidet, braucht hier nicht erörtert zu werden. M i t der h. L. w i r d auch i m Rahmen dieser Untersuchung davon ausgegangen, daß unter den Oberbegriff „Einrichtungsgarantie" sowohl die Institutsgarantie, die die Gewährleistung privatrechtlicher Rechtseinrichtungen zum Gegenstand hat als auch die institutionelle Garantie, deren Aufgabe es ist, öffentlich-rechtliche Rechtseinrichtungen zu gewährleisten (ζ. B. Gemeinde, Berufsbeamtent u m ect.), fallen. I m Anschluß an C. Schmitt (Verfassungslehre [1928] insb. S. 128) wurde vereinzelt auch die Eigentumsgarantie als institutionelle Garantie bezeichnet (heute noch Hamann I Lenz, Das Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland s [1970] A n m . Β 3 zu A r t . 14), da Schmitt damals u n d i f ferenziert von institutionellen Garantien gesprochen hat. I n späteren Werken (Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien i n der Reichsverfassung (1931), S. 20 ff.; I n h a l t u n d Bedeutung des zweiten Hauptteiles der Reichsverfassung i n : Anschütz / Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts I I (1932) S. 572 bis 600 insb. S.595/596) hat jedoch Schmitt ausdrücklich zwischen Institutsgarantie u n d institutionelle Garantie unterschieden. (Vgl. aus dem älteren Schrifttum zu den Einrichtungsgarantien neben den Werken C. Schmitts insb. Wolff, Reichsverfassung u n d Eigentum i n : FS K a h l [1923] S. 1 ff. [6]; Bennewitz, Die institutionelle Garantie [1932]; E. R. Huber, Bedeutungswandel der Grundrechte, AöR N F 23 [1933] S. 51 - 98; F. Klein, Institutionelle Garantien u n d Rechtsinstitutsgarantien [1934]; Menzel, Das Ende der institutionellen Garantien, AöR N F 28 [1937], S. 32 - 76; Nawiasky / Leusser, Die Verfassung des Freistaates Bayern v. 2.12.1946 [1948], S.177; Scheuner i n : Recht—Staat — Wirtschaft I V , S. 88-119; an neuerer L i t e r a t u r vgl. Sasse, Z u r verfassungsrechtlichen Problematik der Steuerreform, AöR 85 [1960], S. 423 ff. [insb. 447]; Häberle, Wesensgehalt 2 [insb. S. 122 - 124] ; Abel, Die Bedeutung der Lehre von den Einrichtungsgarantien [insb. S. 44 - 76] ; f ü r Österreich vgl. Melichar, i n : Verhandlungen d. 2. ÖJT 1/2, S. 2 6 - 3 0 ; Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts 6 , S. 503).

Da aber die Eigentumsgarantie nach heute unbestrittener Lehre als I n s t i tutsgarantie angesehen w i r d , braucht auf die fragliche Unterscheidung nicht näher eingegangen werden. Sie beruht überdies auf der problematischen Trennung zwischen privatem u n d öffentlichen Recht (vgl. zu dieser grundlegend f ü r das österr. Recht Melichar, Der Gegensatz von öffentlichem u n d privatem Recht i m weltlichen u n d kirchlichen Recht, JB1. 1948, S. 525 ff., S. 550 ff., S. 581 ff., S. 613 ff.). Diese Schwäche hat auch Klein (Mangoldt / Klein, Das B G G 2 1 , S. 84) der zu den Vätern der Unterscheidung von Institutsgarantien u n d institutionellen Garantien zählt (vgl. Klein, a. a. O., insb. S. 165) erkannt. E r unterscheidet heute die grundrechtlichen Gewährleistungen nach ihren Garantieinhalten u n d nach ihrer Zuordnung zu den Grundrechten. 231 Vgl. statt vieler Mangoldt / Klein, Das B G G I 2 , S. 83. 232 So deutlich bei Wolff i n : FS K a h l , S. 6.

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe Für das Eigentumsrecht des einzelnen heißt das: Der konkrete sachliche Bereich eines Individuums ist gegenüber den Eingriffen des Staates durch das von der positiven Verfassungsordnung durch das Grundrecht gewährte subjektive öffentliche Recht geschützt. Aber dieser Schutz wäre lückenhaft, ja nahezu wertlos, wenn der einfache Gesetzgeber bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Eigentums den objektiven Gehalt des Eigentums schon von vornherein — auf Grund ausdrücklicher oder denknotwendig vorausgesetzter Gesetzesvorbehalte — unbeschränkt regeln könnte. Denn die Verleihung eines subjektiven öffentlichen Rechts würde dann bedeuten, daß das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums nur i m Rahmen dieses vorab geregelten Gehaltes i n Anspruch genommen werden kann 2 3 4 . Davor schützt nun die grundrechtliche Institutsgarantie. Nach dieser Konzeption ist die grundrechtliche Institutsgarantie eine gegen den einfachen Gesetzgeber gerichtete, zum subjektiven öffentlichen Recht konnexe und komplementäre Gewährleistung, die den durch das Grundrecht als subjektives öffentliches Recht verliehenen Schutz absichert 235 . Damit sichert die Institutsgarantie das durch das Grundrecht eingeräumte subjektive Recht davor, daß es auf einfachgesetzliche Weise seiner Wirksamkeit beraubt werden könnte 2 3 6 , indem sie den einfachen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Institutes an das einfachgesetzlich geprägte, aber verfassungsrechtlich verfestigte traditionelle Leitbild des Institutes bindet. Die Bindungswirkung der Institutsgarantie resultiert aus der Tatsache, daß das garantierte Institut ein Komplex von Rechtsnormen ist 2 3 7 . Das (privatrechtliche) Institut „Eigentum" w i r d primär durch einfachgesetzliche Vorschriften des Privatrechts gebildet. Ein bestimmter Lebensbereich w i r d durch eine Fülle von Normen durchzogen, d. h. ausgestaltet und abgegrenzt 238 . Eignen sich die den betreffenden Lebens233 D ü r i g i n Maunz / D ü r i g / Herzog, Grundgesetz 3 A n m . 98 zu A r t . 1 Abs. 3. Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung u n d Verfassungsrecht, S. 77 f. 284

Bachof i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, I I I / l 2(1972) S. 166. So auch Abel, Einrichtungsgarantien, S. 73. 236 Daß das konkrete subjektive öffentliche Recht durch die grundgesetzliche Institutsgarantie abgesichert ist, bedeutet nicht, daß die aus den das I n s t i t u t inhaltlich bildenden Rechtsnormen erwachsenden subjektiven P r i v a t rechte i m Verhältnis der Individuen untereinander verfassungsrechtlichen Schutz erhalten. A u f sie bezieht sich der grundgesetzliche Institutsschutz n u r insoweit als er die abstrakte Zusammenfassung dieser konkreten subjekt i v e n Einzelrechte i n F o r m des i m Privatrecht vorgefundenen Rechtsinstituts m i t verfassungsrechtlicher Garantie umgibt (Dürig, ZgesStW 103, S. 326). 237 Abel, Einrichtungsgarantie, S. 70. 238 I m „ I n s t i t u t " w i r d i m Rahmen dieser A r b e i t daher eine „normative" Kategorie gesehen. Dies muß deshalb besonders betont werden, w e i l die Institution von einer beachtlichen Lehrmeinung als sozialer Sachverhalt begriffen w i r d , der seine rechtliche Regelung bereits i n sich trägt (vgl. etwa Häberle, Allgemeine Staatslehre, Verfassungslehre oder Staatsrechtslehre?, Zeitschrift f ü r P o l i t i k 12 [1965], S. 381 ff. [392 f.]; Maihof er, Die N a t u r der 235

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Sache, i n : Die ontologische Begründung des Rechts [1965], S. 52 if. [59, 83 ff.]; abwägend Gutzwiller, Z u r Lehre von der „ N a t u r der Sache", a. a. O., S. 14 ff. [S. 28 if.]; Schambeck, Der Begriff der „ N a t u r der Sache", a . a . O . S. 164 ff. [S. 170 f.]). Dieser — u m m i t Rüthers (Institutionelles Rechtsdenken i m Wandel der Verfassungsepochen [1969]) zu sprechen — „metaphysische" Institutsbegriff, m i t dessen Hilfe außerrechtliche, den sozialen Bereich strukturierende Wertüberzeugungen normative K r a f t erhalten sollen, geht auf das institutionelle Rechtsdenken Maurice Haurious zurück (vgl. etwa: Principes de Droit Public [1910], S. 203 if.; L a theorie de l'institution et de la fondation, i n : Cahiers de la Nouvelle Journée 4 [1925], S. 2 ff.; vgl. die deutschen Übersetzungen der wichtigsten Arbeiten Haurious i n : Schnur [Herausgeber], Die Theorie der I n s t i t u t i o n u n d zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou [1965]; zu Haurious institutionellem Rechtsdenken insb. Gurvitch, Die Hauptideen Maurice Haurious i n : Schnur, Institution u n d Recht [1968], S. 23 ff.; an neuerer L i t e r a t u r : Schild, Die Institutionen theorie Maurice Haurious, öZöifR 25 [1974], S. 3 ff.; Fikentscher, Maurice Hauriou u n d die Institutionelle Rechtslehre i n : FS Raiser [1974], S. 559 m i t umfassenden Angaben). Die Gefährlichkeit dieses Institutsbegriffes, der dazu dient, u m aus sozialen — dem Seinsbereich angehörenden — Ordnungsstrukturen außergesetzliche Rechtsnormen entstehen zu lassen, haben Rüthers (a. a. O.) u n d Esser (Vorverständnis u n d Methodenwahl i n der Rechtsfindung [1970] 126 ff.) insbesondere für die rationale Nachprüfbarkeit juristischer Interpretation nachgewiesen. Nicht nur, daß ein dermaßen verstandener Institutsbegriff i n seiner Manipuliert) arkeit dem m i t Recht i n M i ß k r e d i t geratenen „Wesensargument" (dagegen treffend Scheuerle, Das Wesen des Wesens, A c P 163 [1964], S. 429 ff.) nicht nachsteht, verdeckt es auch den i m höchsten Maße erklärungsbedürftigen Sprung v o m Sein zum Sollen durch den — u m ein von Bettermann (Rundfunkfreiheit u n d Rundfunkorganisation, DVB1. 1963, S. 41 ff. [43]) i n anderem Zusammenhang gebrauchtes W o r t zu verwenden — „Nebel des Institutionellen". (Vgl. dazu etwa Häberles [a. a. O.] — nicht weiter begründete — Aussage, daß die Institutionen „leben, indem sie i m Normativen und Tatsächlichen »eingerichtet' sind". Wenn Häberle an anderer Stelle (Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 171) i n den Normenkomplexen das Konstituens des Instituts erblickt, so erschöpft sich sein Institutsbegriff dennoch nicht i n der Summe der institutsbildenden Normen. Denn zum Charakter des Instituts gehört es, daß sich die i m I n s t i t u t verkörperte Idee durch die individuelle Rechtsausübung i m m i l i e u social v e r w i r k l i c h t (a. a. O. S. 106 ff.). Das Spannungsverhältnis z w i schen N o r m und sozialer W i r k l i c h k e i t überbrückt nach Ansicht Häberles der Gesetzgeber (a. a. O. 191). Bei seiner institutsausgestaltenden Tätigkeit müssen dem Gesetzgeber freilich Grenzen gesetzt sein. Die Gesetzesvorbehalte dürfen, w i e Häberle selbst sagt, nicht zur „Durchnormierung eines Grundrechts i m Sinne seiner Reglementierung" führen. Das institutionelle Leitbild, an das der Gesetzgeber bei seiner Ausgestaltungstätigkeit gebunden ist, k a n n sich aber — sonst hätte das „Eingepflanztsein" des Instituts i m „Tatsächlichen" keine F u n k t i o n — nicht allein aus normativen Elementen der grundrechtlichen u n d einfachgesetzlichen Normenkomplexe bestehen. Die Einbeziehung des Tatsächlichen i n die rechtliche Betrachtung muß vielmehr auch i m „soziologischen Bereich" angesiedelte Elemente i n sich aufnehmen. Daraus resultiert aber die nicht zu unterschätzende Gefahr, daß außerrechtliche Wertungen, insbesondere Veränderungen der realen Verhältnisse i n das „normative" L e i t b i l d einfließen, so daß dadurch außerrechtliche Wertungen auf interpretativem Wege u n d nicht qua Gesetzgeber unkontrolliert zu Normen überhöht werden. Der hier vertretene Institutsbegriff sieht sich derartigen Einwendungen nicht ausgesetzt. U n t e r I n s t i t u t w i r d eine Summe von auf einen bestimmten sozialen Sachverhalt bezogen (einfachgesetzlichen) Rechtsnormen verstanden, aus denen ein L e i t b i l d gesetzlicher Ausgestaltung, ein — wie Rüthers es nennt — Wertungsplan entnommen werden kann.

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe bereich ausgestaltenden und begrenzenden und damit strukturierenden einfachgesetzlichen Normenkomplexe zur Lösung der i n dem betreffenden Lebensbereich auftretenden sozialen Konflikte, bauen weitere gesetzliche Regelungen desselben sozialen Sachverhaltes auf dem normativen Fundament früherer Regelungen. Durch die wiederholte Rezeption bereits positivierter Ordnungsstrukturen durch nachfolgende Gesetzgebungsakte ergibt sich eine Verfestigung und Stabilisierung der den i n Frage stehenden Lebensbereich durchziehenden Ordnungsstrukturen. Dadurch erhalten nun die betreffenden normativen Ordnungsstrukturen Institutscharakter 239 , denn das K r i t e r i u m der Stabilität und der Dauer ist auch ein charakteristisches Merkmal des „normativen" Instituts. Sie werden dadurch zu „typischen, traditionell feststehenden Normenkomplexen" 2 4 0 , zu einer vom positiven Recht inhaltlich bestimmten und nach außen abgegrenzten Grundform, i n der die tatsächlichen Lebensverhältnisse rechtlich erfaßt werden können 241 . Diese i m wesentlichen vom einfachen Gesetzesrecht ausgestalteten und aus diesem abgeleiteten traditionell — typischen Grundformen 2 4 2 und „ K e r n bestimmungen", aus denen sich die Kriterien der i m grundrechtlichen Normenbereich verwendeten Begriffe ergeben 243 , wurden i n ihrer Institutsqualität vom Verfassungsgesetzgeber vorgefunden und er hat bei der verfassungsrechtlichen Normierung des Schutzes der Lebensgüter des einzelnen und der Allgemeinheit an diese angeknüpft 24311 . Das ist für den Verfassungsschutz des Eigentums i n A r t . 5 StGG ^chon oben 244 gezeigt worden und findet hierin nur seine Bestätigung 2 * 5 . Das heißt 289 U n d nicht dadurch, daß sich — w i e Häberle (Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 170) meint — die Ordnungsstrukturen allmählich i n der Sollens- u n d Seinssphäre verwirklichen, w e i l sie von den Rechtsgenossen innerlich bejaht u n d i n ihrer Aufgegebenheit „angenommen" werden. Daß sich die Individuen der Normen zur Vermeidung u n d Schlichtung von Konfliktsituationen bedienen, ist die v o n Kelsen (Reine Rechtslehre 2 , S. 215 ff.) als Effektivität bezeichnete Geltungsbedingung des Rechts. (Vgl. dazu auch Walter, Wirksamkeit u n d Geltung, öZöffR 11, [1961], S. 531 ff.; Schambeck, Ordnung u n d Geltung, öZöffR 11 [1961], S. 470 ff.). 240 C. Schmitt i n : Handbuch des Deutschen Staatsrechts I I , S. 596. 241 E. R. Huber, AöR N F 23 (1933), S. 38. 242 Vgl. zur Beschränkung der Institutsgarantie des A r t . 6 Abs. 1 GG (Ehe u n d Familie) auf die wesentlichen Strukturprinzipien dieses Normenbereiches Seheff 1er, i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte IV/1 2 , S. 257. 243 Fr. Klein, Grundgesetz u n d Steuerreform, F A N F 20 (1959/60), S. 115 ff. 24sa Methodisch ähnlich Leisner, Die Gesetzmäßigkeit der Verfassung, JZ 1964, S. 201 ff. (205); Bydlinski, Die privatwirtschaftliche Tätigkeit des Staates i n privatrechtlicher Sicht, JB1.1968, S. 9 ff. (11). 244 Siehe oben unter I, A 2 bei und i n F N 5. 245 Daß auch A r t . 14 GG den überkommenen Eigentumsbegriff rezipiert hat, w i r d auch i n Deutschland vertreten; vgl. dazu W. Weber i n : N e u m a n n / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 357; Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 171; Hamann, Rechtsstaat u n d Wirtschaftslenkung (1953), S. 81;

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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jedoch, daß der österreichische Verfassungsgesetzgeber das E i g e n t u m n i c h t n u r — r e c h t s f o r m a l gesehen — als absolutes A u s s c h l u ß r e c h t u n d — rechtsteleologisch gesehen — als u n m i t t e l b a r e Sachherrschaft v o r g e f u n d e n h a t , s o n d e r n daß er b e i der N o r m i e r u n g des V e r f a s s u n g s schutzes des E i g e n t u m s auch a n e i n i m G r u n d s a t z a u f S o z i a l b i n d u n g angelegtes u n d i n e i n z e l n e n Lebensbereichen auch b e r e i t s d a h i n g e h e n d ausgeführtes E i g e n t u m a n g e k n ü p f t h a t . M i t d e r R e z e p t i o n des t r a d i t i o n e l l e n O r d n u n g s g e f ü g e s „ E i g e n t u m " d u r c h d e n Verfassungsgeber i s t aber die E n t w i c k l u n g des E i g e n t u m s i n s t i t u t s n i c h t i m J a h r e 1920 2 4 8 Ipsen, Enteignung u n d Sozialisierung, W D S t R L 10 (1952) S. 86; aus der Judik a t u r vgl. B V e r w G E 3, 28 (29); B V e r w G E 10, 3 (7); abweichend freilich B G H 20.1.1958, B G H Z 26, 248 (254); B G H 14. 4.1958, Β G H Z 27, 69 (73). F ü r A r t . 153 W R V vgl. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches v o m 11. August 1919 14(1933) S. 6, 11; Scheicher i n : Nipperdey, Die Grundrechte u n d G r u n d pflichten der Reichsverfassung I I I (1930) S. 198; Wittmayer i n : Handwörterbuch der Staatswissenschaften I I I (1926) S. 738. Vgl. überdies die unter I, A , 2 i n F N 5 angegebene Literatur. Deshalb ist die Aussage des A r t . 14 GG zur Eigentumsfrage keineswegs so unsubstantiell w i e Däubler i n : Eigentum u n d Recht (1976), S. 141 ff. (153) meint. 248 Übernahme des StGG 1867 als Verfassungsgesetz des Bundes. Das A b stellen auf den historischen Bedeutungsinhalt des Begriffes Eigentum erinnert an die „Versteinerungstheorie", die der V e r f G H zur Auslegung der Kompetenzartikel entwickelt hat. F ü r den Begriff der Enteignung hat der V e r f G H i n mehreren Erkenntnissen (siehe dazu unten unter I I , A , 1.) auf die Versteinerungstheorie abgestellt u n d geprüft, welcher Bedeutungsinhalt dem Begriff Enteignung am 1.10.1925 zukam. Bei der Auslegung des Begriffs Eigentum läßt sich jedoch ein Abstellen auf die Versteinerungstheorie nicht nachweisen. H i e r ist n u r darauf hinzuweisen, daß die historische Interpretation des von der Verfassung verwendeten Begriffs Eigentum nicht auf einer A n w e n d u n g der Versteinerungstheorie beruht, sondern vielmehr durch den Rezeptionsvorgang bedingt ist, durch den ein einfachgesetzlich ausgeformtes I n s t i t u t i n seinen Strukturprinzipien i n die betreffende G r u n d rechtsnorm eingeht u n d verfassungskräftig garantiert w i r d (vgl. zur historischen Dimension i m institutionellen Denken insb. Häberle, Wesensgehalt 2 , S. 167 - 178). Daß das aus dem Wertungsplan des einfachen Gesetzesrechtes ableitbare L e i t b i l d des auszugestaltenden Sozialbezuges des Eigentums (§§ 364 ff. A B G B ) auch dem Verfassungsschutz des Eigentums zugrunde liegt, k a n n m. E. auch n u r aus der institutionellen Sicht der Verfassungsgarantie des Eigentums u n d nicht m i t der Versteinerungstheorie begründet werden. Der Rezeption des Instituts Eigentum m i t der i h m immanenten Sozialbindung als eines t r a d i tionellen auf einfachgesetzlicher Ebene ausgestalteten Ordnungsgefüges u n d der davon unterschiedenen Rechtsfigur der Enteignung mußte auch die aus dem einfachgesetzlichen privatrechtlichen Normenkomplex ableitbare U n t e r scheidung zwischen bloßer inhaltsbestimmender Eigentumsbeschränkimg u n d Enteignimg zugrunde liegen. M i t der Versteinerungstheorie hat diese institutionelle Sicht zwar die historische Dimension gemein. Sie beruht aber auf einer objektiv-historischen Auslegung als einer Interpretationsmethode, indem sie aus dem einfachgesetzlichen Normenbestand die Ordnungsstrukturen ableitet, die durch die verfassungsrechtliche Rezeption Gegenstand des Verfassungsschutzes des Eigentums geworden sind, während die Versteinerungstheorie eine spezielle, nämlich auf den juristischen Sprachgebrauch abzielende Etymologie darstellt (so Ermacora / Klecatsky / Ringhof er, Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes i m Jahre 1954, ÖJZ 1956, S. 617 ff. [620]). Überdies dient die Versteinerungstheorie n u r dazu, die Begriffe, die der

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe Verfassungsgesetzgeber i n den Kompetenzartikeln verwendet hat, m i t der Bedeutung zu versehen, die sie i n der unterverfassungsgesetzlichen Rechtssprache bei Inkrafttreten der Kompetenzartikeln gehabt haben, w e i l anzunehmen ist, „daß der Verfassungsgesetzgeber die von i h m verwendeten Begriffe i n der herkömmlichen und von i h m vorgefundenen Bedeutung gebraucht" (so VerfGHSlg. 1961/3392). Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, daß damit zugleich auch die inhaltliche Ausgestaltung, die die betreffenden Materien auf einfachgesetzlicher Ebene erfahren haben, verbindlich normiert worden wären (dagegen auch Schaff er, Verfassungsinterpretation S. 110). Die institutionelle Sicht versucht dagegen gerade nachzuweisen, daß bestimmte rechtsinhaltliche, das I n s t i t u t strukturierende Ausgestaltungen durch die verfassungsgesetzliche Rezeption vor einfachgesetzlichen Änderungen verfassungskräftig gesichert sind. Selbst w e n n i n der Versteinerungstheorie eine rechtslogische Interpretationsmethode gesehen w i r d , w i r d man ihrer Eigenart nicht gerecht, wenn man sie n u r als historische Interpretation auffaßt (so aber Antonioiii, Probleme der Gesetzesprüfung, JB1. 1967, S. 226 ff. [227]. Sie ist m. E. vielmehr Verbalinterpretation, nach der es auf die Bedeutung des Wortes i m Zeitpunkt seiner Verwendung durch den Verfassungsgesetzgeber ankommt. Dabei ist es n u r naheliegend, als philologisches H i l f s m i t t e l die einfachgesetzliche Rechtssprache heranzuziehen [so auch Walter, österreichisches Bundesverfassungsrecht [1972] S. 93, der die Versteinerungstheorie nicht als eine p r i m ä r historische, sondern als eine Verbalinterpretation m i t systematischen Aspekten betrachtet]). Vgl. zur Versteinerungstheorie zustimmend Ermacora, Der Verfassungsgerichtshof (1956) S. 148; öhlinger, Auslegung des öffentlichen Rechts, JB1. 1971, S. 284 ff. (292); Schäfer, Verfassungsinterpretation, S. 106 - 116; k r i tisch dazu Mayer-Maly, Verhandlungen des 1. ÖJT (1961) II/4, S. 28; MayerMaly, JB1. 1969, S. 414; Melichar, Naturschutz i n Österreich i n : FS Merkl, S. 255 ff. (259); Korinek, Könnte das zweite Verstaatlichungsgesetz heute noch durch einfaches Gesetz abgeändert werden? JB1. 1970, S. 544 ff. (546); Fröhler, Wirtschaftsrecht, S. 183; Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis (1971) S. 32 - 35, der bei seiner K r i t i k i m Anschluß an Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung (1964), S. 27 ff. und Leisner, Die Gesetzmäßigkeit der Verfassung, JZ 1964, S. 201 ff. jedoch fälschlicherweise annimmt, daß das Abstellen auf die Versteinerungstheorie eine Verweisung auf den W i l l e n des einfachen Gesetzgebers bedeute u n d daß dam i t eine Sinnentleerung der Verfassung notwendig verbunden sei. Z u r Versteinerungstheorie als historisch-teleologische Methode vgl. Ermacora, Verfassungslehre, S. 271; vgl. auch Neisser/ Schantl / Welan, Betrachtungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit, ÖJZ 1974, S. 365 ff. (369 ff.). Vgl. auch Rill, Grundfragen des österr. Preisrechts, ÖZW 1974, S. 97 ff. (99). Der V e r f G H hat die Versteinerungstheorie über die Interpretation der Kompetenzartikel hinaus als historische Interpretation immer dann angewendet, w e n n die Verfassung Begriffe verwendet, die sie selbst nicht bes t i m m t (vgl. dazu Schäffer, Verfassungsinterpretation, S. 64, S. 98 f.; Werner, Die Kompetenzartikel der Bundesverfassung i n der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, JB1. 1960, S. 161 [162]). Freilich hat die Versteinerungstheorie ihre besondere Legitimation n u r i m Bereich der Kompetenzordnung, da diese ein historisch gewordenes A b b i l d des von der Verfassung vorgestellten Kräfteverhältnisses zwischen B u n d u n d Ländern darstellt. Sie ist deshalb f ü r die Auslegung der Kompetenzartikel zu begrüßen, w e i l sie i m Sinne des föderalistischen Prinzips w i r k t (so schon Ermacora, Verfassungsgerichtshof, S. 148). Z u r Rechtfertigung der Versteinerungstheorie bei der Auslegung des organisatorischen Teiles der Verfassung öhlinger, JB1. 1971, S. 292). Soweit sich der V e r f G H u m die Auslegung der Grundrechte bemüht, hat er sich von den historischen Begriffsinhalten teilweise gelöst. Z w a r interpretiert der V e r f G H das Grundrecht der Freiheit des Liegenschaftserwerbes nach w i e v o r streng historisch. Doch bei der Interpretation des Rechts auf den gesetzlichen Richter hat er sich weitgehend von den histo-

I. Verfassungsrechtliche Eigentums garantie

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abgeschnitten worden. Das geschichtlich ausgeformte und so von der Verfassung übernommene Institut „Eigentum" trägt das Leitbild seines durch einfachgesetzliche Normierung auszugestaltenden Sozialbezuges bereits i n sich 247 . Die Auffassung, daß es Aufgabe des einfachen Gesetzgebers ist, das historisch gewachsene Institut „Eigentum" auch nach seiner grundgesetzlichen Gewährleistung noch weiter leitbildgerecht auszugestalten, verhindert, daß das Eigentumsinstitut hinter den Wandlungen seines sozialen Substrats zurückbleibt. Die inhaltsgestaltende Funktion des einfachen Gesetzgebers kann angesichts des ausdrücklichen Verfassungsauftrages i n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG, den Inhalt und die Schranken des Eigentums durch Gesetze zu bestimmen, für den Geltungsbereich des GG nicht zweifelhaft sein. Sie ergäbe sich — und das ist für A r t . 5 StGG mangels einer dem A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG vergleichbaren Bestimmung von besonderer Bedeutung — auch aus einem „denknotwendig" angenommenen Gesetzesvorbehalt 248 als notwendige Konsequenz der Entscheidung der Verfassung, nur einem sozial gebundenen Eigentum Schutz zu verheißen. Diese „institutionelle" Sicht der Verfassungsgarantie des Eigentums zeigt, daß die einfache Gesetzgebung i m grundrechtlichen Bereich — ermächtigt durch ausdrückliche oder konkludente Gesetzesvorbehalte — eine andere Funktion haben muß, als ihr bisher vom traditionellen Verständnis der „Gesetzesvorbehalte" beigemessen wurde. Die Vorbehaltsgesetzgebung steht nicht i m Gegensatz zu den Grundrechten. Durch sie w i r d nicht — wie traditionellerweise angenommen wurde — rischen Bindungen befreit (vgl. dazu öhlinger, JB1. 1971, S. 292). Soweit der V e r f G H den Begriff der Enteignung i n A r t . 5 StGG auszulegen hatte, ging er früher von einer rein historischen Interpretation aus u n d er hat deshalb Enteignungen durch generelle Normen abgelehnt (VerfGHSlg. 71/1921; VerfGHSlg. 360/1924; VerfGHSlg. 1123/1928). I n den Verstaatlichungserkenntnissen (VerfGHSlg. 2680/1954 u n d VerfGHSlg. 3118/1956) hat der V e r f G H von der rein historischen Interpretation Abstand genommen u n d ausgeführt, daß A r t . 5 StGG Legalenteignungen nicht zwingend ausschließe (vgl. dazu kritisch Ermacora / Klecatsky / Ringhof er, ÖJZ 1959, S. 8). I m übrigen ist der V e r f G H jedoch bei seiner Ansicht geblieben, daß als Enteignung n u r zu qualifizieren sei, was sich den historisch bekannten Enteignungsfällen zuordnen lasse (siehe dazu unten unter I I , A). Daß sich der V e r f G H bei der Auslegung des Begriffs Enteignung strenger an den überkommenen Begriffsinhalt hält, hat seinen G r u n d darin, daß die Enteignung auch einen auslegungsbedürftigen Kompetenztatbestand darstellt (Art. 10 Abs. 1 Ζ 6 B.-VG), bei dessen Auslegung der V e r f G H sich mehr an die Versteinerungstheorie gebunden hält (siehe dazu oben I, A , 5). 247 A u f das aus der Wertentscheidung der §§ 364 ff. A B G B deduzierte L e i t b i l d w i r d noch bei der Abgrenzung zwischen inhaltsbestimmender Eigentumsbeschränkung u n d Enteignung zurückzukommen sein. 248 Die inhaltliche Ausgestaltung erfolgt nicht n u r durch Normen des bürgerlichen Hechts, sondern auch durch Normen, die traditionellerweise dem Verwaltungsrecht zugeordnet werden.

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. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

der Rechtswertgehalt der Grundrechte gemindert 249 . Die Befugnis zu leitbildgerechter Ausgestaltung des Grundrechts i m Wege des Gesetzesvorbehaltes ermächtigt den einfachen Gesetzgeber auch nicht zu echten Eingriffen i n die Grundrechtssphäre 250 . Da die — zumindest früher — h. L. dies verkennt, läßt sie auch eine inhaltliche Bestimmung der Grundrechte durch die Vorbehaltsgesetzgebung nicht zu 2 5 1 . Damit setzt sie die Vorbehaltsgesetzgebung i n Gegensatz zur gesetzgeberischen Konkretisierung immanenter Grundrechtsgrenzen 252 , zum „Verfassungsvorbehalt" zur Auslegung des Grundrechtsinhaltes 255 . A m ehesten wurde der Gesetzesvorbehalt von der h. L. noch zur Sicherstellung von Gemeinschaftsinteressen gegenüber der individuellen Freiheit anerkannt 2 5 4 . Diese Auffassungen können jedoch der wahren Funktion der Gesetzesvorbehalte nicht gerecht werden. Freilich wurde beim Verfassungsschutz des Eigentums schon früh erkannt, daß diese Deutung der Funktion und der Wirkungsweise der Gesetzesvorbehalte den ausdrücklichen Ausgestaltungsvorbehalten i n A r t . 153 Abs. 1 S. 2 WRV und i n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 GG nicht entspricht. Begünstigt durch die deutschrechtliche Auffassung, nach der dem Eigent u m die Beschränkungen begrifflich immanent sind 2 5 5 , machte man sich von dem Verständnis der Gesetzesvorbehalte als Eingriffe i n einen ansonsten unantastbaren Freiheitsbereich zumindest für die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie frei und erkennt eine die Sozialgebundenheit des Eigentums ausgestaltende Funktion des einfachen Gesetzgebers an 2 5 6 . Vereinzelt wurde eine ausgestaltende Funktion des einfachen Gesetzgebers i m Grundrechtsbereich auch bei anderen Grundrechten angenommen 257 und C. Schmitt nahm für die „relativen" Grundrechte und die Institutsgarantien als einer der ersten eine Befug249 Vgl. statt vieler Schöne, öffentliche Gewalt u n d Eigentum, D Ö V 1954, S. 552 ff. (553); W. Jellinek, D R Z 1946, S. 1 ff. (4 ff.); Fechner, Soziologische Grenze der Grundrechte (1957) S. 1 ff. 250 So aber statt vieler Hamann / Lenz, Grundgesetz 8 A n m . Β 2 zu A r t . 19. 251 Vgl. statt vieler Giacometti, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweizerischen Bundesgerichts (1933) S. 50 ff. 252 Vgl. Bachof i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I I / l S. 155 ff. (208). 253 v g l . F N 250. 254 Vgl. statt vieler Huber, Die Verfassungsbeschwerde (1954) S. 21. 255 Gierke, Sachenrecht S. 360 ff.; vgl. dazu insb. Holstein, Die Lehre v o n den öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen (1921) S. 83. 258 So deutlich M. Wolff i n : FS K a h l , S. 7; E. Kaufmann, Diskussionsbeitrag i n : V V D S t R L 4, S.81; W. Ε. A. Schmidt, Die Freiheit der Wissenschaft (1920) 108; insb. auch Herbert Krüger, Die Bestimmungen des Eigentumsinhaltes (Art. 14 Abs. I S. 2 GG) i n : FS Schack, S. 71 ff. (72 ff.). 257 So schlug Nawiasky (Diskussionsbeitrag i n : V V D S t R L 4, S. 81) vor, beim Grundrecht der Freiheit v o n K u n s t u n d Wissenschaft w i e beim Eigentum immanente Schranken anzuerkennen.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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nis des einfachen Gesetzgebers an, inhaltsbestimmende Normen zu erlassen 258 . I n der heutigen Literatur ist es — zumindest für den Eigentumsschutz — nicht mehr zweifelhaft, daß inhaltsbestimmende einfache Gesetze i m Grundrechtsbereich zulässig sind 2 5 9 . Unabhängig von der Eigentumsgarantie hat dann Häberle das Verständnis der Gesetzesvorbehalte überhaupt auf eine neue Grundlage gestellt: Er weist nach, daß die Auffassung, Gesetzes vorbehalte ermächtigen lediglich zu Eingriff und Einschränkung, kaum mehr haltbar ist. Häberle stellt den Begrenzungsvorbehalten, die es dem Gesetzgeber ermöglichen, das Grundrecht gegen kollidierende gleich«- und höherrangige Rechtsgüter abzugrenzen 280 , die Ausgestaltungsvorbehalte, die den Gesetzgeber zu leitbildgerechter inhaltlicher Ausgestaltung von Grundrechten ermächtigen 281 , gegenüber 282 . Ausgehend von einer institutionellen Sicht der Grundrechte erkennt Häberle, daß die i n Grundrechten geschützten objektiven Ordnungen aus einer Vielzahl von Normenkomplexen bestünden und es deshalb eines Organs bedürfe, das die Normenkomplexe schaffe. Da die Verfassung die objektiven Ordnungen i m einzelnen nicht ausgestalten könne, überlasse sie die Ausgestaltung vor allem dem einfachen Gesetzgeber. Die Ausführungsgesetze stünden i m Dienst der betreffenden Grundrechte, indem sie die Grundrechte aktualisieren und die Normenkomplexe schaffen würden, i n der sich die Grundrechte als Institute verwirklichten. Dadurch gelangt Häberle zu einer Aufwertung der Tätigkeit des einfachen Gesetzgebers i m grundrechtlichen Bereich 283 . Die einfachgesetzlichen Normierungen seien i m Grundrechtsbereich als „Konsequenz der Verfassung" zu verstehen 284 . Die Auffassung Häberles hat i n jüngerer Zeit weit258 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 166. Insbesondere i n der Schweiz gew a n n der Gedanke, daß zumindest bei den „Institutsrechten" eine gesetzgeberische A k t i v i t ä t nicht n u r erlaubt, sondern sogar geboten ist, schon f r ü h an Boden (vgl. dazu E. R. Huber, AöR N F 23, S. 37 f.; H. Huber, Die Garantie der individuellen Verfassungsrechte i n : Verhandlungen des Schweizerischen Juristenvereins (1936) S. 106 a; Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision (1946) S. 117 ff.; Giacometti, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 73 f., jedoch n u r f ü r das Eigentum). 259 v g l . statt vieler Raiser, JZ 1958, S. 5; Ipsen, Enteignung u n d Sozialisierung i n : W S t R L 10 (1952) S. 74 ff. (85); Scheuner, Grundlagen u n d A r t der Enteignungsentschädigung i n Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums (1954) S.63ff. (79); Herbert Krüger, D Ö V 1955, S. 601 A n m . 34; Bachof i n Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I I / l , S. 208; Scheuner, Grundrechtsinterpretation u n d Wirtschaftsordnung, DÖV 1956, S. 65 ff. (69). 260

Z. B. A r t . 13 StGG (Recht auf freie Meinungsäußerung). Z. B. A r t . 12 StGG (Recht auf Vereins- u n d Versammlungsfreiheit). 262 Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , insb. S. 140 ff. 288 Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 insb. S. 180 - 185. Vgl. dazu auch Bökkenförde, Grundrechtstheorie u n d Grundrechtsinterpretation, N J W 1974, S. 1529 ff. (1532). 284 Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 202. 261

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe gehende Zustimmung erfahren 265 . M i t ihr deckt sich auch die Ansicht Oberndorfers 266y der für die österreichische Verfassungsordnung feststellt, daß dem Gesetzgeber i n wirtschaftspolitischen Belangen eine Entscheidungsfülle zukomme, mit Hilfe derer er die i h m i n spezifischer Weise zugeordneten Grundrechte ausgestalte. Dieses Verständnis des Gesetzesvorbehaltes macht auch das Verhältnis zwischen dem Grundrecht als subjektiven öffentlichen Recht und dem Grundrecht als Institutsgarantie deutlich'. Wenn durch den einfachen Gesetzgeber das grundrechtlich garantierte Institut ausgeformt und dadurch das Grundrecht aktualisiert wird, erhält auch das sich auf das garantierte Institut beziehende subjektive öffentliche Recht seinen konkreten Inhalt. Das hat W. Weber für A r t . 14 GG klar erkannt, wenn er ausführt, daß „Eigentum und Vermögen von vornherein nicht mehr hergeben, als ihnen die i m Recht ausgeformte Sozialordnung überhaupt an Inhalt und Möglichkeiten zuerkennt" 2 6 7 . Deshalb kann auch Dürig 266 nicht zugestimmt werden, daß die Einrichtungsgarantien nach Maßgabe der zugrundeliegenden subjektiven Rechte bestehen. Richtig ist zwar Dürigs Erkenntnis, daß die Institutsgarantien des Schutzes der subjektiven Rechte wegen bestehen und nicht u m ihrer selbst willen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die durch den Verfassungsschutz des Eigentums gewährleisteten subjektiven öffentlichen Rechte nicht ihren Inhalt aus dem grundrechtlich gewährleisteten Eigentumsinstitut erhalten 269 . Vielmehr kann erst das grundrechtlich garantierte Institut „Eigentum" angeben, welchen konkreten Inhalt das subjektive öffentliche Recht auf Unversehrtheit des Eigentums hat und was es i m Einzelfall zu leisten vermag. Endlich verdeutlicht das moderne Verständnis der Vorbehaltsgesetzgebung i m Grundrechtsbereich die eigenständige Funktion der Insti265 Korinek, i n : FS M e r k l (1970) insb. S. 180; Rupp, Beweisverbote i n verfassungsrechtlicher Sicht i n : Verhandlungen des 46. D J T (1966) 1/3, A , S. 167 ff. (307); Hoppe, DVB1.1964, S. 165 ff. (166 f.). Freilich müssen an Häberles Verständnis des Gesetzesvorbehaltes i m H i n blick auf das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums gewisse K o r rekturen vorgenommen werden. Das beruht vor allem darauf, daß Häberle — wie unten zu zeigen sein w i r d (I, B, 3, d bei F N 317) — fälschlich i n der Enteignung ein Wesenselement des Eigentums sieht. Daraus ergibt sich dann auch, daß f ü r den zur Enteignung ermächtigenden Gesetzesvorbehalt eine differenzierende Betrachtungsweise erforderlich ist, die sich i n Häberles Unterscheidung i n Ausgestaltungs- u n d Begrenzungsvorbehalte nicht erschöpft. 266 Oberndorfer, Grundrechte u n d staatliche Wirtschaftspolitik, ÖJZ 1969, S. 449 (457). 2β7 w Weber, Z u r Problematik von Enteignung u n d Sozialbindung nach dem neuen Verfassungsrecht, N J W 1950, S. 401 ff. 268 D ü r i g i n : Maunz / Dürig, Grundgesetz 3 , Rdn. 98 zu A r t . 1 Abs. 3. 269

Abel, Einrichtungsgarantien, S. 73.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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tutsgarantie für das subjektive öffentliche Grundrecht. Die i m Institut verfestigten Ordnungsstrukturen und ihr funktionaler Gehalt umschreiben den Wesensgehalt des Grundrechts, den der Gesetzgeber nicht antasten darf. Somit kann bezüglich des Verhältnisses zwischen dem Grundrecht des A r t . 5 StGG als Institutsgarantie und als subjektives öffentliches Recht vorerst festgehalten werden: — Das grundrechtlich garantierte und durch die einfache Gesetzgebung leitbildgerecht ausgestaltete Institut „Eigentum" erfüllt das subjektive öffentliche Recht des einzelnen m i t konkretem Inhalt. — Der Institutsgarantie kommt insofern Komplementärfunktion zu, als sie das subjektive öffentliche Recht des einzelnen auf Unversehrtheit des Eigentums gegenüber dem einfachen Gesetzgeber verfassungskräftig absichert, indem der funktionale Gehalt der i m Institut verkörperten Grundstrukturen den Wesensgehalt des Grundrechts ausmacht. c) Die Institutsgarantie

in Art. 5 StGG und der Gleichheitssatz

Es muß jedoch noch die Frage gestellt werden, ob es der Komplementärfunktion der verfassungsrechtlichen Garantie des Eigentumsinstituts zur Absicherung des subjektiven öffentlichen Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums überhaupt bedarf und ob nicht diese A b sicherung schon durch den Gleichheitssatz erfolgt, wie der VerfGH offenbar annimmt 2 7 0 . Erfüllte schon der Gleichheitssatz 271 die gleiche Schrankenfunktion wie die Institutsgarantie des Eigentums wäre diese i n ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung bedeutend gemindert, wobei die verfassungskräftige Absicherung des subjektiven öffentlichen Rechts durch den Gleichheitssatz den Vorteil hätte, daß dieser ausdrücklich positiviert ist 2 7 2 , während es der österreichischen Verfassung an einer ausdrücklichen Institutsgarantie mangelt 2 7 3 und diese erst — wie oben ausgeführt — aus der verfassungsrechtlichen Konzeption des Eigentums270

Siehe dazu oben unter I, Β , 1 nach F N 209. Z u m Gleichheitssatz i m österreichischen Recht vgl. Ermacora, Handbuch, S. 36-104; Adamovich, Handbuch des österr. Verfassungsrechts®, S. 516-521; Antonioiii, Gleichheit v o r dem Gesetz, JB1. 1956, S. 611 - 613; Marginter, Die Rechtsprechung zum Gleichheitssatz auf neuen Wegen, JB1. 1964, S. 592 ff.; Marschall, Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz i m Spannungsfeld zwischen demokratischem u n d rechtsstaatlichem Prinzip, ÖJZ 1967, S. 85 ff.; zum Gleichheitssatz i m österr. Privatrecht grundlegend Bydlinski, Der Gleichheitsgrundsatz i m österreichischen Privatrecht, i n : Verhandlungen des 1. ÖJT (1961) 1/1. 272 A r t . 2 StGG; A r t . 7 Abs. 1 B . - V G ; A r t . 66 Abs. 1 u. 2; A r t . 67 StV v. St. Germain; A r t . 6 Ζ 2 öStV v. Wien 1955; A r t . 14 M R K . 273 Melichar i n : Verhandlungen des 2. ÖJT 1/2, S. 27. 271

7 Aicher

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe schutzes abgeleitet werden mußte. Jedoch reicht der Schutz der Institutsgarantie weiter als der des Gleichheitssatzes. Denn der Gleichheitssatz hindert den Gesetzgeber 274 lediglich, gleichartige soziale Sachverhalte ungleich zu behandeln bzw. Ungleiches gleich zu behandeln. Der Gleichheitssatz hindert jedoch nicht, das Privatrechtsinstitut „Eigentum" durch generelle, nicht an unsachlichen Gesichtspunkten anknüpfende Normierungen abzuschaffen oder derart auszugestalten, daß es seiner Aufhebung gleichkommt. Der Gleichheitssatz schützt nur davor, daß das Institut „Eigentum", sei es bei dessen Ausgestaltung oder bei der Regelung anderer Materien, diskriminiert w i r d 2 7 6 . A n sich sachlich gerechtfertigte Regelungen sind, gemessen am Gleichheitssatz, auch dann nicht verfassungswidrig, wenn sie das Privatrechtsinstitut i n seinem funktionalen Gehalt abwerten oder gar vernichten. Der VerfGH hat jedoch bei der Abgrenzung des vor dem einfachen Gesetzgeber geschützten unantastbaren Wesenskerns der i n Frage stehenden Grundrechte niemals auf die Institutsgarantie, sondern — wenn er überhaupt versucht hat die Wesensgehaltssperre zu konkretisieren — nur auf den Gleichheitsgrundsatz abgestellt27®. Deshalb ist der VerfG H auch m. E. zu keinen praktikablen Kriterien gelangt, u m eine Verletzung des Wesensgehaltes eines Grundrechts feststellen zu können. Dabei mag es durchaus zweifelhaft sein, ob die Institutsgarantie des Eigentums die einzige i n der österreichischen Verfassungsordnung darstellt, oder ob daneben auch noch die Berufsfreiheit (Art. 6 StGG) oder die Meinungs- und die Pressefreiheit (Art. 13 StGG) als verfassungsrechtlich gewährleistete Institute angesehen werden können. Ist für ein Grundrecht keine damit verbundene Institutsgarantie nachzuweisen, stellt i n der Tat der Gleichheitssatz die einzige Möglichkeit dar, das grundrechtlich gewährte subjektive öffentliche Recht vor positiv-rechtlicher Abwertung zu sichern 277 . Bei dem Grundrecht aus 274 Die B i n d u n g des Gesetzgebers an den Gleichheitsgrundsatz ist heute unbestritten (vgl. dazu statt vieler Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts®, S. 517; seit VerfGHSlg. 1451/1931 ständige Jud. [a. A . noch V e r f G H 1226/1929]). Seit jeher w a r unbestritten, daß die vollziehenden Gew a l t e n an das Gleichheitsprinzip gebunden sind (vgl. statt vieler Ermacora, Handbuch, S. 57). Z u den Anwendungsregeln die der V e r f G H zum Gleichheitssatz herausgebildet hat, vgl. Ermacora, Handbuch, S. 6 5 - 7 4 ; kritisch auch Ermacora / Klecatsky / Ringhof er / Weiler, ÖJZ 1961 S. 233 ff. (235). 275 Vgl. Melichar i n : Verhandlungen des 2. ÖJT, S. 27. 276 Abgesehen von VerfGHSlg. 3929 (siehe dazu oben unter I, Β , 1 nach F N 211); siehe dazu VerfGHSlg. 4163 (dazu oben unter I, Β , 1 bei F N 210); aber auch V e r f G H 9.12.1958, VerfGHSlg. 3447. 277 Der Mangel einer Institutsgarantie f ü r Ehe u n d Familie i m österr. StGG hat sich i n einem Erkenntnis des V e r f G H (Slg. 3334/1958) betreffend die Haushaltsbesteuerung gezeigt. Der V e r f G H konnte sich i n seiner Begründung n u r auf den Gleichheitssatz stützen. Das deutsche B V e r f G konnte i n seinem Haushaltsbesteuerungs-Erkenntnis (BVerfGE 6, 55) dagegen auch die I n s t i tutsgarantie des A r t . 6 GG (Schutz von Ehe u n d Familie) heranziehen.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie A r t . 5 StGG, für den eine Institutsgarantie nachweisbar war, sollte jedoch zum Schutz des subjektiven öffentlichen Hechts auf Unversehrtheit des Eigentums auf die Institutsgarantie abgestellt werden, da sie einen umfassenderen Schutz verbürgt als der Gleichheitssatz. Diese Ansicht widerspricht auch nicht der i n ständiger Rechtsprechung des VerfGH hinsichtlich des Gleichheitssatzes ausgebildeten Judikatur, wonach es dem Gesetzgeber nicht verwehrt sei, innerhalb eines von i h m geschaffenen Ordnungssystems einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgemäße A r t zu regeln, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen und wonach bei Wahrung der Sachlichkeit der Gesetzgeber deshalb allein, w e i l er Gleichgeartetes prinzipiell gleicher rechtlicher Ordnung unterzogen habe, nicht einer verstärkten Bindung an das von i h m gewählte Ordnungssystem unterworfen sei. I n der Tat läßt sich die Gleichheitswidrigkeit einer Regelung nicht daraus begründen, daß der einfache Gesetzgeber aus sachlicher Überlegung von dem von i h m ausgeprägten Ordnungsmodell eines bestimmten Regelungsbereiches abweicht. Aber auch aus „institutioneller" Sicht konnte i n den betreffenden Gewerbesteuer- 278 , Kapitalverkehrssteuer- 279 und Umsatzsteuererkenntnissen 280 der Gedanke, daß die betreffenden Sonderregelungen innerhalb eines geschlossenen prinzipiellen Ordnungssystems an der verfassungskräftigen Garantie der den i n Frage stehenden Lebensbereich durchziehenden Ordnungsstrukturen scheitern könnten, gar nicht auftauchen, da die typisierten Ordnungsstrukturen der betreffenden Steuergesetze und auch der Kapitalgesellschaften 281 niemals vom Grundrechtskatalog als verfassungsrechtliche Institutsgarantien rezipiert worden sind. Den Gesetzgeber an von i h m typischerweise ausgeformte Regelungsbereiche zu binden, ohne daß diese Ordnungsstrukturen zum Inhalt einer verfassungskräftigen grundgesetzlichen Institutsgarantie wurden, würde i n der Tat den Gesetzgeber „unerträglichen und seinen legislativen Aufgaben nicht entsprechenden Bindungen unterwerfen" 2 8 2 . Auch Oberndorfer 288 billigt dem Gesetzgeber Entscheidungsfreiheit i n wirtschaftspolitischen Belangen zu und hält Differenzierungen, die i n wirtschaftspolitischen Zielen und Maßnahmen ihren Grund haben — unbeschadet der vom Gesetzgeber zugrundegelegten wirtschaftspoliti278

V e r f G H 25. 6.1954, VerfGHSlg. 4753. V e r f G H 9. 3.1967, VerfGHSlg. 5481. 280 V e r f G H 12.12.1968, VerfGHSlg. 5862. 281 Die Frage nach den Ordnungsstrukturen der Kapitalgesellschaften w a r f ü r das Gewerbesteuer-Erkenntnis des V e r f G H (Slg. 4753) von Bedeutung. 282 VerfGHSlg. 4753. 288 Oberndorfer, Grundrechte u n d staatliche Wirtschaftspolitik, ÖJZ 1969, S. 449. 279



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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

sehen Vorstellungen — nicht für gleichheitswidrig. Obwohl dieser A n sicht und auch seiner weiteren Schlußfolgerung, daß es dem VerfGH verwehrt sei, ohne Bezug auf einen Einzelfall oder über einen Einzelfall hinausgehende „Standards" zum Grundrechtsteil zu entwickeln, und so die grundrechtsvollziehende und ausgestaltende Funktion dem Gesetzgeber zu entziehen, durchaus zuzustimmen ist, muß bezweifelt werden, ob das formale Rechtsstaatsprinzip, auf das Oberndorfer abstellt, überhaupt etwas zur Absicherung der grundrechtlich gewährten subjektiven öffentlichen Rechte beitragen kann. Denn wenn es auch auf Grund dieses Prinzips zwingend sein mag, daß dem einfachen Gesetzgeber die Grundrechtsausgestaltung und dem VerfGH nur die nachprüfende Kontrolle zukommt, so muß gerade für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Grundrechtsausgestaltung vom VerfGH geprüft werden, ob die Grundrechtsausgestaltung nicht schon i n eine den Wesenskern des Grundrechts beeinträchtigende Grundrechtsaufhebung umgeschlagen hat. Dazu kann und soll w o h l auch nach Ansicht Oberndorfers das formale Rechtsstaatsprinzip keine Aussagen machen, da Oberndorfer selbst darauf hinweist, daß dem Gesetzgeber dann Einhalt zu gebieten sei, wenn der Grundrechtskern beeinträchtigt wird, ohne freilich zu konkretisieren, wann dies der F a l l ist. M i t dem formellen Rechtsstaatsprinzip hat Oberndorfer zwar die Funktion des einfachen Gesetzgebers i m Grundrechtsbereich richtig gesehen; zur Frage seiner zulässigen Beschränkbarkeit hat jedoch Oberndorfers Theorie nichts beitragen können. Sie kann auch m. E. nur durch eine materiale Betrachtung einer Lösung näher gebracht werden. Dazu ist es aber für einen wirksamen Schutz des subjektiven öffentlichen Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums unumgänglich, den vom einfachen Gesetzgeber unantastbaren Wesenskern des Grundrechts nicht nur am Gleichheitssatz, sondern auch an der grundgesetzlichen Institutsgarantie zu messen. d) Die Schutzrichtung der Wesensgehaltssperre: Rechtsstellungs- oder Institutsgarantie? Dem durch den einfachen Gesetzgeber ausgeformten Rechtsinstitut „Eigentum" ist nun freilich nicht i n seinen einzelnen positivrechtlichen Ausgestaltungen und Zufälligkeiten 2 8 4 eine verfassungskräftige Institutsgarantie zuteil geworden. Vielmehr wurden durch die grundgesetzliche Rezeption nur die wesentlichen Ordnungsstrukturen des Eigentums, d. h. der Normenkomplex „Eigentum" zurückgeführt auf seine typischen und charakteristischen Züge, als verfassungsrechtlich gewähr284 Z. B. Bestimmungen über die Voraussetzung, A r t u n d Weise des Eigentumserwerbes, über gutgläubigen Eigentumserwerb, über Verlust des Eigentums etc.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie leistetes Institut anerkannt 2 8 5 . Dadurch wurde das Institut Eigentum als „eine abstrakte Form von allgemeiner Prägung, i n die die konkreten Rechtsbeziehungen einzuordnen sind" 2 8 6 , verfassungsgesetzlich gewährleistet 287 . Bevor nun der Versuch gemacht werden soll, den verfassungsrechtlich gewährleisteten Wesensgehalt des Eigentums zu konkretisieren, muß jedoch noch geklärt werden, ob die Wesensgehaltssperre dem Schutz des Grundrechts als eines subjektiven öffentlichen Rechts des einzelnen oder dem Grundrecht als Institutsgarantie dient. Die Beantwortung dieser Frage ist u m so notwendiger, als sie i n der österreichischen Lehre — soweit ich sehe — überhaupt nicht behandelt wurde, obwohl erst nach Beantwortung dieser Frage die Funktion der Wesensgehaltssperre richtig gedeutet werden kann. Allerdings hat die Judikatur des VerfGH rudimentäre Ansatzpunkte für das Verständnis der Wesensgehaltssperre entwickelt, auf die hierbei zurückzugreifen sein wird288. Bisher ist i n der österreichischen Lehre nur klargestellt worden, daß auch für die Grundrechte des österreichischen Grundrechtskataloges eine Wesensgehaltssperre anzunehmen ist, die das Grundrecht i n seinem unverletzlichen Kernbereich vor Eingriffen des Gesetzgebers Schützern soll 2 8 9 . Da die österreichische Verfassungsordnung eine dem A r t . 19 285 F ü r das I n s t i t u t „Ehe u n d Familie" vgl. Scheffler i n : B e t t e r m a n n / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I V / 1 2(1972), S. 257. Daß A r t . 14 Abs. 1 S. 1 GG nicht den i m bürgerlichen Recht vorgefundenen u n d m i t „Eigent u m " etikettierten Normenkomplex verfassungsrechtlich „einfrieren", sondern n u r die Grundstruktur des Eigentumes gesetzesbeständig festgelegt wissen wollte, haben v o r allem Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre (1965) S. 235 u n d Ipsen, Das Bundesverfassungsgericht u n d das Privateigentum, A ö R (1961) 91, S. 86 ff. (90 f.) betont. 286 E. R. Huber, AöR N F 23 (1933), S. 37. 287 Es wurde oben (I, B, 3, b) darauf hingewiesen, daß das verfassungsgesetzlich gewährleistete I n s t i t u t Eigentum durch einfachgesetzliche Normen geprägt ist. Jedoch müssen bei der Inhaltsbestimmung eines Instituts auch diejenigen Normen i n Betracht gezogen werden, die ihrerseits Grundrechte statuieren. Aus dem Verhältnis der einzelnen Grundrechte zueinander ergeben sich einmal — u m Kollisionen von Grundrechtsbestimmungen zu v e r hindern — die systematischen sachlichen Gewährleistungsschranken (vgl. dazu Mangoldt / Klein, Das B G G I 2 , 125). Jedoch werden die grundgesetzlich gewährleisteten Rechtsinstitute durch die aus anderen Grundrechtsbestimmungen abgeleiteten verfassungsrechtlichen Wertkonstellationen auch dadurch geprägt, daß bestimmte Grundrechte untereinander i n engem Z u sammenhang stehen. So dient A r t . 6 StGG (Erwerbsfreiheit u n d Freiheit des Liegenschaftsverkehrs) der Abstützung der Eigentumsgarantie des A r t . 5 StGG. 288 Siehe dazu oben unter I, B, 1. u n d I, B, 2. 289 Ermacora / Klecatsky / Ringhof er / Weiler, Die Rechtsprechung des V e r fassungsgerichtshofes i m Jahre 1958, ÖJZ 1961, S. 253 ff. (258); Ermacora, Die Entwicklung des österreichischen Bundesverfassungsrechts seit 1956, JböffR N F 16 (1967), S. 276; Melichar, Verfassungsrechtliche Probleme des A g r a r rechts, JB1. 1968, S. 291; Oberndorfer, ÖJZ 1969, S. 457; Pernthaler, Umfas-

1 2 . Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe Abs. 2 GG vergleichbare Wesensgehaltssperre nicht kennt, findet sie die österreichische Lehre i m Geist der Grundrechte selbst 290 . Dem ist schon deshalb zuzustimmen, w e i l die Grundrechte ihre normative Funktion verlieren würden, stünden die Grundrechte zur freien und unbeschränkten Disposition des Gesetzgebers. Überdies kann es auch für das österreichische StGG 1867 nicht zweifelhaft sein, daß es dem einzelnen einen persönlichen und sachlichen Bereich individueller Freiheit sichern sollte. Schon das von den Ideen des frühen Liberalismus und des aufgeklärten Absolutismus getragene StGG hat erkannt, daß der Freiheit des einzelnen nicht nur von einer allmächtigen Verwaltung, sondern auch von einer unumschränkten Gesetzgebung Gefahr droht. Deshalb hat auch der Verfassungsausschuß i n seinem Bericht zum StGG neben der Bindung der Verwaltung auch die des Gesetzgebers an die Grundrechte besonders hervorgehoben 291 . Damit stünde es jedoch i n unlösbarem Widerspruch, wenn das StGG durch die Einräumung unbeschränkter und unbeschränkbarer Gesetzesvorbehalte dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit geboten hätte, die Grundrechte ihrer freiheitsschützenden Funktion zu berauben. Deshalb w i r d man auch für die Grundrechte i n der österreichischen Rechtsordnung einen unantastbaren Wesenskern als Schranke gegenüber dem einfachen Gesetzgeber anzunehmen haben 292 . sende Landesverteidigung, S. 136; Pernthaler i n : Hundert Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit — Fünfzig Jahre Verfassungsgerichtshof, S. 202; Korinek i n : FS M e r k l , S. 177 - 183; Schaff er, Verfassungsinterpretation i n Österreich, S. 113, 162 f.; Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts 6 , S. 504. Schantl, FS F. Korinek, S. 130 - 133, 139; Laurer, Wirtschafts- u n d Steueraufsicht über K r e d i t - u n d Versicherungsunternehmen (1972) S. 167 ff.; Mayer, Staatsmonopole (1976), S. 31 f.; Melichar, Der Schutz d. Menschenrechte i m Verfassungsrecht der Rep. österr. i n : österr. Landesreferate zum 9. I n t . Kongreß f ü r Rechtsvergleichung 1974, S. 121 ff. (130); Wenger, Referat z. 5. ÖJT, I I , 3. T, S. 80; eingehender bereits Aicher, Das Bodenbeschaffungsgesetz (1975), S. 37 ff. 290 Ermacora, Handbuch S. 18; Melichar i n : Verhandlungen des 2. ÖJT 1/2, S. 15. 291 Siehe dazu 1. T., F N 8. Freilich hat diese Auffassung i m T e x t des StGG keinen dem A r t . 1 Abs. 3 GG vergleichbaren Ausdruck gefunden. Vgl. dazu auch Ermacora, i n : Bettermann / Neumann / Nipperdey, Die Grundrechte 1/1, S. 154 f. 292 Daß eine Wesensgehaltsgarantie dem Grundrecht immanent ist, findet seinen Ausdruck i n den zahlreichen Stellungnahmen der deutschen Lehre zu A r t . 19 Abs. 2 GG, i n denen diesem eine selbständige normative Bedeut u n g abgesprochen w i r d . Jäckel, Grundrechtsgeltung, S. 63; Scheuner i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz, S. 79, Leisner, Die schutzwürdigen Rechte i m besonderen Gewaltverhältnis DVB1. 1960, S. 625. Nach dieser A n sicht k o m m t dem A r t . 19 Abs. 2 GG lediglich eine „rechtspraktische" (Mangoldt / Klein, Das B G G I 2 , S. 564) oder „deklaratorische" (Häberle, Wesensgehalt 2 , S. 236) Bedeutung zu. Eike v. Hippel (Grenzen u n d Wesensgehalt, S. 63) sieht i n A r t . 19 Abs. 2 GG sogar den G r u n d dafür, daß bezüglich des Umf anges des „unantastbaren Wesenskernes" bis heute keine K l a r h e i t herrscht. Auch die Schweizerische Bundesverfassung kennt keine ausdrückliche Wesensgehaltssperre. Dennoch w i r d auch f ü r die Schweiz angenommen,

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Ist nun dem Grundrecht der Unversehrtheit des Eigentums — wie allen Grundrechten — ein unantastbarer Wesenskern eigen und w i r d durch Art. 5 StGG sowohl ein subjektives öffentliches Recht auf Unverletzbarkeit des Eigentums als auch das Eigentum als Rechtsinstitut gewährleistet, ergeben sich für die Frage nach dem Schutzobjekt der Wesensgehaltssperre zwei Anknüpfungspunkte: Einmal könnte dadurch das subjektive öffentliche Recht auf Unversehrtheit des Eigentums geschützt sein, zum anderen das Eigentum als Institut. I n der deutschen Diskussion zu A r t . 19 Abs. 2 GG ist wiederholt die Ansicht geäußert worden, daß sich die Wesensgehaltssperre zumindest auch auf das Grundrecht als subjektives öffentliches Recht des einzelnen beziehe 293 . Machte man m i t dieser Auffassung Ernst, so käme man i n die beträchtliche Schwierigkeit, die zahlreichen Fälle, i n denen i m praktischen Rechtsleben der „Wesensgehalt" des subjektiven öffentlichen Rechts des einzelnen vernichtet wird, m i t der Auffassung, daß dem Grundrecht ein durch absolute und für den einfachen Gesetzgeber unüberwindliche Schranken gesicherter Wesenskern eigen ist, i n dogmatisch befriedigender Weise i n Einklang zu bringen 2 9 4 . Das läßt sich am deutlichsten an einigen Beispielen demonstrieren. Die Verhängung einer i m Strafgesetz vorgesehenen lebenslänglichen Freiheitsstrafe vernichtet unmittelbar das dem einzelnen an sich zukommende subjektive öffentliche Recht auf Freiheit der Person (Art. 8 StGG), auf Freizügigkeit der Person (Art. 4 StGG), auf Niederlassungsfreiheit (Art. 6 StGG), auf Erwerbsfreiheit (Art. 6 StGG) und auf Versammlungsfreiheit (Art. 12 StGG). Keines dieser Rechte kann von dem Betroffenen mehr ausgeübt werden. Es ist dadurch auch i n seinem letzten Wesenskern vernichtet. Niemand ist jedoch auf den Gedanken gekommen, diese durch den Gesetzesvorbehalt legitimierten Eingriffe i n die i n Frage kommenden subjektiven öffentlichen Grundrechte wegen Verletzung der Wesensgehaltssperre für verfassungswidrig zu halten. Und dennoch wäre dies die denknotwendige Konsequenz, ginge man unter Zugrundelegung daß der Wesensgehalt der Grundrechte vor dem einfachen Gesetzgeber geschützt ist (vgl. H. Huber, öffentlich-rechtliche Gewährleistung, Beschränk u n g u n d Inanspruchnahme privaten Eigentums i n der Schweiz i n : Staat u n d Privateigentum [1960] S. 83; Bridel, Sur les limites de libertés individuelles i n : Die Freiheit des Bürgers i m schweizerischen Recht [1948] S. 99). 293 So Giese, Enteignung durch K o l l e k t i v a k t , D R i Z 1951, S. 192; v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1955) S. 48; Herbert Krüger, D Ö V 1955, S. 597; Hildegard Krüger, Die Verfassungswidrigkeit der lex Schörner. DVB1. 1955, S. 759 ff. (760); Zivier, Der Wesensgehalt der Grundrechte (I960) insb. S. 36 ff.; Kimminich, Rechtsgutachten zu den eigentumsrechtlichen Bestimungen des Entwurfs eines Städtebau- u n d Gemeindeentwicklungsgesetzes (1969) S. 11; Bielenberg, DVB1. 1971, S. 441 ff. (446); jüngst auch Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 41 ; aber auch B G H 18.12.1954, B G H Z 16, 71 (80). 294 Darauf ist schon von Jäckel, Grundrechtsgeltung, 38 verwiesen worden.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

e i n e r a b s o l u t e n W e s e n s g e h a l t s g a r a n t i e d a v o n aus, daß d u r c h die W e sensgehaltssperre die R e c h t s t e l l u n g des e i n z e l n e n u n m i t t e l b a r geschützt sei 2 9 5 . A b e r auch i m R a h m e n des A r t . 5 S t G G f ü h r t e diese A n s i c h t z u u n h a l t b a r e n Konsequenzen. Jede a n sich d u r c h d e n Gesetzesvorbehalt i n A r t . 5 A b s . 2 gestattete E n t e i g n u n g , d u r c h die d e m e i n z e l n e n das E i g e n t u m a n e i n e r b e s t i m m t e n Sache g ä n z l i c h entzogen w i r d , t r ä f e das s u b j e k t i v e öffentliche Recht des e i n z e l n e n a u f U n v e r s e h r t h e i t des E i g e n t u m s i n s e i n e m Wesensgehalt. Das E i g e n t u m s r e c h t a n d e r Sache g e h t d e m B e t r e f f e n d e n g ä n z l i c h v e r l o r e n ; nichts d a v o n b l e i b t i h m ü b r i g . D a m i t w ä r e aber jedes Enteignungsgesetz, das eine „ V o l l e n t e i g n u n g " v o r s i e h t , e x d e f i n i t i o n e v e r f a s s u n g s w i d r i g 2 9 6 . F r e i l i c h w ä r e eine solche 295 Chlosta (Wesensgehalt, S. 41 f.) meint dem entgegenzuhalten können, daß die Freiheitsstrafe i n herkömmlichen Sinn i n A r t . 74 Nr. 1 u n d A r t . 104 GG gebilligt werde u n d die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 GG nicht Freiheiten absichern könne, die das Grundgesetz selbst an anderer Stelle versagt. Dagegen ist einzuwenden, daß Chlosta i n seinem Bestreben, die Wesensgehaltsgarantie unmittelbar auf das Einzelgrundrecht zu beziehen, ihre Schutzfunktion f ü r den Eingriffsbereich „Freiheitsstrafe" überhaupt beseitigt, w e i l er den darin liegenden Widerspruch, daß zwar einerseits der Wesensgehalt des Grundrechts i n keinem F a l l beeinträchtigt werden darf, andererseits aber durch gewisse hoheitliche Maßnahmen Einzelgrundrechte i n i h r e m letzten Wesenskern vernichtet werden können, dadurch löst, daß er diesen Bereich überhaupt von der Schutzwirkung der Wesensgehaltssperre ausklammert. Chlosta könnte also nicht die Wesensgehaltssperre heranziehen, u m zu verhindern, daß der einfache Gesetzgeber unter Berufung auf vage Gemeinwohlinteressen eine Tat m i t geringem Unwertgehalt m i t einer exorbitant hohen Freiheitsstrafe belegt. Hesse (Grundzüge des Verfassungsrechts 6 , S. 140), der seinerseits die Wesensgehaltsgarantie auf das Einzelgrundrecht bezieht, hat sich — u m die Schutzwirkung der Wesensgehaltsgarantie i n diesem Bereich nicht aufzuheben — nicht — w i e Chlosta (a. a. O. S. 42 F N 11) erwartet hätte — dieses Arguments bedient, u m die geschilderte A n t i n o m i e zu lösen, sondern er hat — was aber ebenfalls ein untauglicher Versuch ist — die Fälle der Freiheitsstrafe m i t Verhältnismäßigkeitserwägungen aus dem Schutzbereich des A r t . 19 Abs. 2 GG ausgeklammert. 2θβ w e n n Chlosta (a. a. O. S. 41 f.) meint, daß auch hier die Wesensgehaltsperre überhaupt versagt, w e i l es das GG selbst vorgesehen habe, daß durch Enteignungen i m Einzelfall der Eigentumsschutz zur Eigentumswertgarantie verkümmere, so beseitigt er die Schutzwirkung der Wesensgehaltsgarantie gerade f ü r den Bereich der schwersten Eigentumsbeeinträchtigungen, w e i l er sich den Blick dafür verstellt, daß eine auf das I n s t i t u t bezogene Wesensgehaltssperre ihre Schutzfunktion gegen das Eigentum seiner institutionellen F u n k t i o n entfremdenden Enteignungen beibehält, auch w e n n die Verfassung vorsieht, daß der Eigentumsschutz i m Einzelfall qua Enteignung i n eine Eigentumswertgarantie transformiert w i r d .

Andererseits erweckt aber Chlosta an anderen Stellen den Eindruck, daß er i m F a l l der Enteignung die Wesensgehaltssperre doch auf das I n s t i t u t Eigentum beziehen w i l l . Freilich verläßt Chlosta damit seinen individualistischen Ansatz. So weist Chlosta selbst darauf hin, daß die Enteignung den Wesensgehalt privater Rechtsstellungen beseitigt (a. a. O. S. 21, S. 181). Die Rechtsstellungsgarantie schütze nicht v o r rechtmäßiger Enteignung. Die Z u lässigkeit von Gruppenenteignungen sei daher n u r an der Institutsgarantie zu messen, wobei generelle Enteignungen i m m e r gegen die Institutsgarantie verstießen. Wenn die Rechtsstellungsgarantie versagt, k a n n sich die Wesens-

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie gehaltssperre aber n u r auf das I n s t i t u t beziehen. D a m i t s t i m m t überein, daß Chlosta, obwohl nach seiner Lesart des A r t . 19 Abs. 2 (a. a. O. S. 40) der Wesensgehalt eines Grundrechts „ i n keinem Einzelfall" angetastet werden darf, A r t . 19 Abs. 2 „entsprechend" zum Schutz des „sachlichen Gehaltes" des Grundrechts anwenden w i l l (S. 42). Das heißt aber nichts anderes, als daß sich die Wesensgehaltssperre m i t den rechtmäßigen Entziehungen von i n dividuellen Rechtspositionen n u r i n Einklang bringen läßt, w e n n man sie auf das garantierte I n s t i t u t bezieht. Unzutreffend ist auch Chlostas These, daß bei der Bestimmung der Schranken des Eigentums durch den Gesetzgeber n u r die Rechtstellungsgarantie eingreife, während bei der inhaltlichen Gestaltung des Eigentums neben der Rechtstellungsgarantie vor allem die Institutsgarantie eingreife (a. a. O. S. 32). Diese Ansicht basiert auf Chlostas Überbetonung des Unterschieds zwischen Inhalts- u n d Schrankenbestimmung (a. a. O. S. 31 f.). M a n muß keineswegs Haberies institutionelles „Ineinandersetzen" von Recht u n d Freiheit (Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 insb. S. 222 ff.) akzeptieren (dageg. auch Lerche, D Ö V 1965, S. 212 ff.), aus dem sich I n h a l t u n d immanente Grenze des Grundrechts schon aus dessen wesensmäßiger Hinordnung zum verfassungsmäßigen W e r t system ergeben, u m zu erkennen, daß jede Unterscheidung zwischen Inhaltsu n d Schrankenbestimmung scheitern muß. Häberle hat überzeugend nachgewiesen, daß — was auch Chlosta akzeptiert (a. a. O. S. 32) — jeder I n h a l t durch Schranken bestimmt w i r d u n d jede Inhaltsbestimmung auch Schranken errichtet. Dagegen k a n n man nicht einwenden, beim Eigentum lägen die Dinge anders, w e i l Eigentum i n seinem K e r n regelungsbedürftig sei, während sich natürliche Freiheitsrechte, w i e Meinungsfreiheit oder das Erziehungsrecht der Eltern gegenüber ihren K i n d e r n i m K e r n rechtlicher Regelung entzögen (a. a. O., S. 20), wobei letztere nach Chlosta w o h l nicht inhaltlich bestimmt, sondern n u r beschränkt werden können (a. a. O., S. 42). Daß die Sachherrschaft ohne Recht n u r ein zwischenmenschliches Machtverhältnis wäre, ist richtig. Das gleiche g i l t aber auch f ü r die Meinungsfreiheit u n d ebenso f ü r das Eltern-Kind-Verhältnis. Gerade die eingehende Regelung der Eltern-Kind-Beziehung i m einfachgesetzlichen Zivilrecht zeigt doch dessen inhaltliche Regelungsbedürftigkeit. Deshalb ist auch die Unterscheidung zwischen der f ü r die Berufsfreiheit (Art. 12) u n d f ü r die Eigentumsfreiheit spezifischen inhaltlichen Regelungsbedürftigkeit u n d der Schrankenbestimm u n g durch Chlosta nicht überzeugend. Er sieht die Trennungslinie zwischen Inhalts- u n d Schrankenbestimmung i n der Grenze zwischen öffentlich-rechtlichen u n d privat-rechtlichen Normen (a. a. O., S. 32). Schrankenbestimmung liege vor, w e n n i n Verfolgung öffentlicher Interessen dem Rechtsinhaber spezielle Handlungs- u n d Duldungspflichten auferlegt werden (a. a. O., S. 20), Inhaltsbestimmung dagegen, w e n n die vermögensrechtlichen Beziehungen der Bürger untereinander geregelt werden (a. a. O., S. 19, 21). Es ist aber offenkundig, daß sich die Auferlegung von Handlungs- u n d Duldungspflichten i m Eigentumsinhalt niederschlägt, w e ü dies notwendigerweise zu einer Dezimierung der Ausschluß- u n d Herrschaftsbefugnis führt. Das erkennt auch Chlosta, w e i l er die ursprüngliche Umschreibung der Inhaltsbestimmung als Rechtsabgrenzung der Bürger untereinander (a. a. O., S. 19) später u m die Einbeziehung bisher der Privatrechtsordnung unterliegender Sachbereiche i n die öffentliche V e r w a l t u n g durch den Gesetzgeber erweitert (a. a. O., S. 21). Die Rechtstechnik der letzten Zeit zeigt aber m i t besonderer Deutlichkeit, daß gerade dies durch die Auferlegung von Duldungspflichten i m öffentlichen Interesse erreicht w i r d (Denkmalschutzrecht, Baurecht, Raumordnungsrecht). Chlostas Differenzierung — mag sie auch v o m Wortlaut des A r t . 14 GG gedeckt sein (Art. 5 StGG enthält sie nicht) — ist daher nicht aufrecht zu erhalten u n d deshalb auch nicht geeignet, eine Differenzierung des Schutzumfanges von Rechtsstellungs- u n d Institutsgarantie zu begründen. I n W a h r heit bindet die grundrechtsdeterminierende Regelungsbefugnis des einfachen Gesetzgebers — mag er Schranken oder I n h a l t bestimmen — die auf das I n s t i t u t bezogene Wesensgehaltssperre vorbehaltlich der sonstigen formalen

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Ansicht absurd und die angeführten Beispiele erweisen nur die Unhaltbarkeit der Auffassung, daß die Wesensgehaltssperre dem unmittelbaren Schutz der Rechtstellungsgarantie dient. Krüger 297 meint n u n freilich, daß überhaupt die Annahme verfehlt sei, es müsse i n einem „dergestalt freiheitlichen Staat alles a priori glatt aufgehen" und findet daher auch den „Horror" vor diesem „ungelösten Widerspruch jedenfalls i n einem liberal-freiheitlichen Staat unbegründet". Andere Vertreter der Ansicht, die Wesensgehaltssperre schütze unmittelbar die Rechtstellung des einzelnen, haben sich jedoch ernsthaft bemüht, dieser unausweichlichen Diskrepanz durch eine Reihe von — dogmatisch kaum haltbaren — Hilfskonstruktionen zu entgehen. Die Bedenken gegen diese Konstruktionen ergeben sich i n erster Linie daraus, daß sie den Widerspruch zwischen ihrer Theorie und der Verfassungswirklichkeit auf Kosten der Schutzkraft der Wesensgehaltssperre lösen wollen und somit unweigerlich zu einer Relativierung der Wesensgehaltssperre gelangen. Für den Bereich des GG ist dies vor allem wegen dem Wortlaut des A r t . 19 Abs. 2 GG kaum vertretbar. Das hat den Vertretern der relativen Theorie auch die sarkastische Feststellung Krügers 298 eingetragen, daß „man ihr den V o r w u r f des Positivismus gewiß nicht machen" könne, da sie gemessen an A r t . 19 Abs. 2 GG ( „ I n keinem Fall darf ein Grundrecht i n seinem Wesensgehalt angestastet werden") „schlankweg das Gegenteil des Wortlautes" behaupten würden. Freilich stößt eine „relative Theorie" i m Bereich des StGG mangels einer dem A r t . 19 Abs. 2 GG vergleichbaren Bestimmung nicht auf derartige positivrechtliche Hindernisse. Dennoch könnte einer „relativen" Auffassung bezüglich der Sperrwirkung der Wesensgehaltsgarantie auch für den österreichischen Grundrechtskatalog nicht zugestimmt werden. Dabei ergeben sich sowohl gegen die relative Theorie i. S. des B G H und gegen die vom BVerwG vertretene Theorie der u n d materialen Verfassungsschranken (wie Entschädigungsjunktim bei enteignenden Maßnahmen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Gleichheitsgrundsatz [dazu B V e r f G E 14, 263 (277 f.); B V e r f G 8.7.1971, N J W 1972, S. 145 ff. (147) u n d die dort zitierten Erkenntnisse]). V o r rechtswidrigen Eingriffen — u n d darin ist Chlosta (a. a. O., S. 20) zuzustimmen — schützt den einzelnen die Rechtsstellungsgarantie. Die Rechtsw i d r i g k e i t eines Eingriffes, die der einzelne qua Rechtsstellungsgarantie geltend macht, k a n n sich jedoch auch daraus ergeben, daß das die Eingriffe tragende Gesetz selbst rechtswidrig ist, w e i l es den Wesensgehalt des I n s t i tuts verletzt. Ohne Anerkennung des Institutsschutzes wäre ein derartiger E i n w a n d des beeinträchtigten Eigentümers nicht möglich, w e i l der Gesetzgeber — ohne diese Grenze — schon vorab den I n h a l t des Eigentums hätte rechtmäßig bestimmen können, so daß eine Qualifikation des die Rechtsstellung beeinträchtigenden Eingriffes als rechtswidrig nicht möglich wäre. 297 Herbert Krüger, D Ö V 1955, S. 600. 298 Krüger, D Ö V 1955, S. 597.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie immanenten Grundrechtsschrankeri 299 i m wesentlichen gleichgelagerte Bedenken. Der Satz des B G H 8 0 0 „ E i n Grundrecht w i r d durch einen gesetzlichen Eingriff dann i n seinem Wesensgehalt angetastet, wenn durch den Eingriff die wesensmäßige Geltung und Entfaltung des Grundrechts stärker eingeschränkt wurde, als dies der sachliche Anlaß und Grund, der zu dem Eingriff geführt hat, unbedingt und zwingend gebietet" führt unweigerlich dazu, die Wesensgehaltssperre ihrer Schutzfunktion gegenüber positivrechtlicher Denaturierung der Grundrechte zu berauben, da sie den Eingriff nicht an der Grundrechtssubstanz, sondern lediglich an der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs mißt. Damit begibt man sich nämlich der Möglichkeit, den Wesensgehalt eines Grundrechts inhaltlich zu konkretisieren. Bedenkt man, daß m i t der Feststellung einer Wesensgehaltsverletzung durch ein Gesetz die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes verbunden ist, würde der VerfGH angesichts der Unbestimmtheit des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit letzten Endes nicht u m h i n können, die Ausgewogenheit von M i t t e l und Zweck nur am Gleichheitssatz zu messen. Damit würde aber die Wesensgehaltssperre ihrer — schon oben dargelegten 801 — spezifischen Funktion entkleidet, das Grundrecht i m Zusammenhalt m i t der Institutsgarantie über den Gleichheitssatz hinaus auch vor nicht diskriminierenden Grundrechtsvernichtungen durch den einfachen Gesetzgeber zu schützen 802 . Aber auch1 die Judikatur des BVerwG begegnet erheblichen Bedenken. I n einigen Erkenntnissen vertritt das B V e r w G — noch undifferenziert — eine Abart der relativen Theorie. Es geht davon aus, daß jedem Grundrecht ein unantastbarer Wesenskern eigen ist. Es hält aber Einbrüche des einfachen Gesetzgebers i n den Wesenskern dann für verfassungsmäßig, wenn das i n Frage stehende einfache Gesetz i m übergeordneten Interesse der staatlichen Gemeinschaft den Wesenskern angetastet hat 8 0 8 . Da jedoch i n der deutschen Literatur neben der öffentlichen Sicherheit und der Volksgesundheit 'auch das öffentliche Verkehrsinteresse als übergeordneter Gemeinschaftswert anerkannt w i r d 8 0 4 , 299

Siehe dazu i n F N 203. Siehe dazu i n F N 203. 301 Siehe dazu oben unter I, B, 3, c. 302 M i ß t m a n — w i e der B G H — die WesensgehaltVerletzung nach der Ausgewogenheit von M i t t e l u n d Zweck u n d nicht an der Grundrechtssubstanz, käme man zu dem eigenartigen Ergebnis, daß ein Eingriff m i n i m a l e r Intensität den Wesensgehalt des Grundrechts verletzt, w e n n die Ausgewogenheit von M i t t e l u n d Zweck nicht gegeben ist, während der schwerste Eingriff keine derartige Wesensgehaltverletzung darstellt, w e n n n u r die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gewahrt ist (vgl. dazu Jäckel, Grundrechtsgeltung, S. 21 f.). Dagegen jüngst auch Breuer, Die Bodennutzung (1976) S. 37 ff. 803 Vgl. dazu insbesondere das „Prozeßagenten-Urteil" B V e r w G E 2, 89 (94). 304 Vgl. dazu auch Jäckel, Grundrechtsgeltung, S. 26 F N 26; Hamel, Das 300

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

w i r d offenbar, zu welcher bedenklichen Relativierung der Wesensgehaltssperre die Auffassung des BVerwG führt. Vor dieser Gefahr ist auch die Lehre Korineks 305 nicht gefeit, der zwar durch eine „sinnvoll angewandte historisch-objektive Interpretationsmethode" den unverletzlichen K e r n des Grundrechts feststellt, jedoch daneben (!) i n jedem einzelnen Fall eine Interessenabwägung von grundrechtlich geschütztem Einzelinteresse und Gemeinschaftsinteresse vornimmt. Freilich bleibt bei Korinek unklar, i n welcher Weise die i m Einzelfall übergeordneten Gemeinschaftsinteressen die Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs bewirken sollen. Sollte nach' Korinek die an sich verfassungswidrige, w e i l den Wesensgehalt des Grundrechts beeinträchtigende gesetzliche Bestimmung durch die „Gemeinwohlgerechtheit" der betreffenden Normierung gerechtfertigt werden, unterscheidet sich seine Theorie nicht von der des BVerwG. Dann trifft auch Korineks Ansicht der Einwand, daß der so vielschichtige und deshalb kaum konkretisierbare Begriff des „Gemeinwohls" nicht geeignet sein kann, das Grundrecht vor Beeinträchtigungen durch den einfachen Gesetzgeber wirksam zu schützen. Allerdings könnte auch i n Korineks Forderung, das grundrechtlich geschützte Einzelinteresse gegenüber dem Gemeinschaftsinteresse abzuwägen, der Versuch erblickt werden, die i n Deutschland des öfteren und jetzt auch vom B V e r w G vertretenen Theorie der immanenten Grundrechtsschranken 30® auch für den österreichischen Grundrechtskatalog heimisch zu machen. Nach dieser Lehre w i r d die an sich unzulässige Beeinträchtigung des Wesenskerns eines Grundrechts nicht dadurch gerechtfertigt, daß der Eingriff zum Schutz bestimmter Gemeinschaftswerte unerläßlich ist, sondern ein solcher Eingriff kann, w e i l die Gemeinschaftsbindung dem Grundrecht schon von vornherein immanent ist, den Wesensgehalt des Grundrechts überhaupt nicht antasten. Daß gerade das BVerwG, das — wie soeben gezeigt — aus Gründen übergeordneter Gemeinschaftsinteressen einen Eingriff i n den Wesensgehalt für zulässig gehalten hat, i n seiner jüngeren Judikatur immer stärker der Theorie der immanenten Grundrechtsschranken zuneigt 307 , nach der aber eine Wesensgehaltsverletzung gar nicht vorliegen kann, wenn das Gesetz nur die wirklichen Grundrechtsschranken konkretisiert, soll als erstes Indiz dafür gelten, daß Recht zur freien Berufswahl, DVB1. 1958, S. 38; zum öffentlichen Verkehrsinteresse als übergeordnetem Gemeinschaftswert B V e r w G E 1, 92. 305 Korinek i n : FS M e r k l , S. 183. 306 Siehe i n F N 203. Vgl. Scheuner, Die staatliche Intervention i m Bereich der Wirtschaft, W D S t R L 11 (1954) S. 22; Bachof, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, JZ 1957, S. 337. 307 So schon B V e r w G E 1, 48 (52); 1, 92 (94); 1, 165 (168); 1, 269 (277); 2, 85 (87); 2, 89 (94); 2, 345 (346); 2, 295 (300); 4, 167 (170); 5, 283 (284); 30, 313 (316) — A r t . 19 Abs. 2 als Positivierung des Verhältnismäßigkeitsgebotes u n d dam i t i n auffallender Nähe zur relativen Theorie des B G H — ; 43, 353 (355).

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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sich beiide Theorien — obwohl sie einander logisch ausschließen 308 — der Sache nach gleichen. M i t der Theorie der immanenten Grundrechtsschranken scheint nun ein Weg gefunden zu sein, die Vielzahl der Eingriffe i n den Kernbereich des Grundrechts des einzelnen m i t der Wesensgehaltssperre i n Einklang zu bringen, indem man diese Einzeleingriffe als Konkretisierungen der dem Wesensgehalt des Grundrechts immanenten Gemeinschaftsbindung auffaßt. Freilich stellt dieser Ausweg — zumindest für die österreichische Grundrechtsordnung — eine Scheinlösung dar. Denn dadurch w i r d die Problematik lediglich von der mangels Konkretisierungsmöglichkeiten kaum zu beantwortenden Frage, welcher übergeordnete Gemeinschaftswert die Wesensgehaltsverletzung durch ein einfaches Gesetz rechtfertigen könne, auf die ebenso schwierige Frage verlagert, welche Gemeinschaftsbindungen dem Grundrecht immanent sind, die durch den Gesetzesvorbehalt nur konkretisiert werden und welche Vorbehalte von außen an das Grundrecht herangetragen werden. W i r d bei der Frage nach der Schrankenimmanenz nicht ein strenger Maßstab angelegt, so liegt die allmähliche Aushöhlung des Grundrechtsschutzes auf der Hand. Ein solcher Maßstab kann — gerade für die österreichische Grundrechtsordnung — kaum gefunden werden, ohne daß den subjektiven Anschauungen des jeweiligen Betrachters T ü r und Tor geöffnet sind. Für das GG läßt sich die an sich „vage Gemeinschaftsklausel" 309 immerhin an A r t . 2 Abs. 1 GG konkretisieren, wenn man die „Rechte anderer", die „verfassungsmäßige Ordnung" und das „Sittengesetz" als eine allen Fredheitsrechten immanente Schrankentrias auffaßt 310 . Dabei ist auch durchaus zuzugeben, daß den Freiheitsrechten insofern eine Schranke immanent ist, als diie Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen Individuums seine Grenzen an der Freiheit des Mitmenschen zu finden hat. Darin kommt ein elementares Wesensmerkmal jeder auf der Gewährung individueller Freiheiten aufbauenden Rechtsordnung zum Ausdruck, das demgemäß auch für die österreichische Grundrechtsordnung vorbehaltlos übernommen werden kann. Problematisch scheint dies jedoch schon für die immanente Grundrechtsschranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" zu sein. Was unter dem Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" zu verstehen ist, ist i n Deutschland umstritten. Immerhin dürfte heute gesichert sein, daß entgegen der Ansicht von von Mangoldt 511 darunter nicht jedes ordnungsgemäß, d. h. nach den Vorschrif308

Bachof, JZ 1957, S. 337. Bachof, JZ 1957, S. 337. 310 Das B V e r w G u n d auch das B V e r f G weigern sich jedoch i n ständiger Judikatur bei der Determinierung der „immanenten Schranken" auf A r t . 2 Abs. 1 GG zu rekurrieren; dagegen Scheuner, V V D S t R L 11 S. 22, vgl. auch Bettermann, Grenzen der Grundrechte (1968), insb. S. 9 ff. 311 v. Mangoldt, Das B G G 1 A n m . 2 zu A r t . 2; zu den Vertretern dieser A n 309

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

ten der Verfassung ergangene Gesetz zu verstehen ist 3 1 2 , sondern die elementaren Verfassungsgrundsätze, die für den freiheitlichen demokratischen und sozialen Rechtsstaat konstitutiv sind 3 1 3 . Damit sind freilich noch genug Einfallspforten für eine rein subjektivistische Betrachtung der immanenten Grundrechtsschranken offen, so daß Jäckel 314 zu einer „entschieden restriktiven" Interpretation des Begriffes der „verfassungsmäßigen Ordnung" rät. Diesen Weg hat denn auch Herb. Krüger 316 konsequent verfolgt. Er sieht i n der „verfassungsmäßigen Ordnung" die geschriebenen und ungeschriebenen Existenzelemente des Staates. Wenn den Grundrechten solche Beschränkungen immanent sind, die der Gesetzgeber der staatlichen Existenz w i l l e n normieren kann, ist damit i n der Tat die „Blankettvollmacht", die die Lehre von den immanenten Grundrechtsschranken dem einfachen Gesetzgeber erteilt hat, i n eine Schranke verwandelt worden, die nach einem materialen Maßstab (Erforderlichkeit zur Aufrechterhaltung der staatlichen Existenz) meßbar, ein zulässiges Maß an Gemeinschaftsbindungen der Grundrechte ausdrückt. M i t diesem engen Begriffsinhalt könnte nun auch die „verfassungsmäßige Ordnung" als eine den Freiheitsrechten immanente Schranke auch für die österreichische Grundrechtsordnung angenommen werden, wenn auch dem StGG eine entsprechende Bestimmung fehlt. Denn es kann w o h l angenommen werden, daß die zum Erhalt der Existenz der staatlichen Gemeinschaft notwendigen einfachgesetzlichen Beschränkungen der Grundrechte als Konkretisierung immanenter Schranken angesehen werden können, da doch die Grundrechte den Bestand der staatlichen Gemeinschaft voraussetzen, durch die sie garantiert sind. Freilich hat die zur Konkretisierung der Schrankendmmanenz unbedingt notwendige Verengung des Begriffs der „verfassungsmäßigen Ordnung" zur Folge 316 , daß eine so verstandene — sieht vgl. die Darstellung bei Laufke, Vertragsfreiheit u n d Grundgesetz i n : FS Lehmann (1956) S. 172 ff.; so noch Wernicke i n : Bonner Kommentar Erl. I I 1 b zu A r t . 2. 812 So schon υ. Mangoldt / Klein, Das B G G 2 A n m . I V 2 a zu A r t . 2, vgl. zum Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung insb. Hesse, B i n d u n g des Gesetzgebers an das Grundrecht des A r t . 2 I GG bei der V e r w i r k l i c h u n g einer „ v e r fassungsmäßigen Ordnimg" (1968). 818 Jäckel, Grundrechtsgeltung, S. 31. Vgl. dazu auch Ipsen, Das Verbot des Massengütertransportes i m Straßenverkehr. Rechtsgutachten zum Regierungsentwurf eines Straßenentlastungsgesetzes (1954) S. 26. Die „verfassungsmäßige Ordnung" zumindest auch an der Sozialstaatsklausel (Art. 20 GG) zu konkretisieren (so w o h l Scheuner W D S t R L 11, S. 21) muß angesichts des Fehlens einer entsprechenden Bestimmung i m österr. Grundrechtskatalog f ü r die österr. Grundrechtsordnung von vornherein scheitern. 314 Jäckel, Grundrechtsgeltung S. 32. 316 Krüger, Neues zur Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung u n d deren Schranken, N J W 1955, S. 201 (204). 816 Sollte auch das „Sittengesetz" als Grenze freier Persönlichkeitsentfalt u n g u n d damit als eine den Freiheitsrechten immanente Schranke gesehen

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie auch für das StGG annehmbare — Theorie der immanenten Grundrechtsschranken nicht mehr i n der Lage ist, die Funktion zu erfüllen, der sie ihre Entstehung verdankt: Sie kann nicht mehr nachweisen, daß eine vollständige Vernichtung einer subjektiven Grundrechtsposition des einzelnen durch einen rechtmäßigen Eingriff als Konkretisierung einer immanenten Gemeinwohlbindung nicht m i t der Wesensgehaltssperre i n Konflikt gerät. Denn es kann nicht ernsthaft behauptet werden, daß eine Enteignung zur Errichtung von Kinderspielplätzen nach dem SpielplatzanforderungsG und die damit verbundene Vernichtung der durch die Enteignung betroffene Eigentümerpositionen zur Erhaltung der Existenz des Staates notwendig ist und deshalb eine Konkretisierung der dem Grundrecht immanenten Gemeinschaftsbindung darstellt. Diese Schwierigkeit hat man auch dadurch zu umgehen versucht, daß die Enteignung überhaupt als immanente Schranke des Verfassungsschutzes des Eigentums angesehen wurde 8 1 7 . Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden 8 1 8 . Wenn Häberle 819 aus der traditionellen Zuordnung der Enteignung zum Eigentum ableitet, daß die Enteignung dem Eigentum „wesenhaft" zugehört, so übersieht er, daß sich das Wesen des Eigentums nicht ändert, wenn man an eine Rechtsordnung denkt, die die Enteignung nicht kennt 8 2 0 . Denn unabhängig davon, ob eine Rechtsordnung die Enteignung kennt oder nicht, bleibt das Eigentumsrecht — rechtsformal gesehen — absolutes Ausschlußrecht und — aus teleologischer Sicht — Befugnis zu unmittelbarer Sachherrschaft. Wenn aber eine Eigenschaft eines bestimmten Erkenntnisgegenstandes weggedacht werden kann, ohne daß dieser sein Wesen ändert, gehört die betreffende Eigenschaft eben nicht zu seinem Wesensgehalt. Folglich gehört auch nicht die Enteignung dem Eigentum wesensmäßig zu. Dagegen spricht auch nicht, daß die Verfassung „Eigentum" und „Enteignung" w i l l 8 2 1 . Daß die Verfassung auch die Enteignung w i l l , ist werden, so bedarf dieser Begriff einer ebenso entschieden restriktiven I n t e r pretation, sollte die S p e r r w i r k u n g der Wesensgehaltsgarantie nicht überall dort aus dem Weg geräumt werden können, w o sie einfach unbequem ist. Vgl. zum Sittengesetz als Schranke der Grundrechte Erbel, Das Sittengesetz als Schranke der Grundrechte (1971). 817 So Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 122, 137, der i m Anschluß an Gierke die Enteignung als äußerste Begrenzung des Eigentums sieht. 818 Dagegen auch Kimminich i n der Zweitbearbeitung des Bonner K o m mentars z. GG, Randnr. 37 zu A r t . 14. 319 Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 137. 320 Dagegen spricht nicht, daß heute praktisch alle Rechtsordnungen die Enteignung kennen u n d als „enteignungslose" n u r noch historisch die r ö m i sche Rechtsordnung gesehen werden k a n n (vgl. dazu Käser, Das Römische Privatrecht I 2(1971) S. 404; De Robertis, L a espropriazione par publica u t i l i t à nel diritto romano [1936]). 321

So Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 38.

1 1 2 . Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe angesichts der klaren Verfassungsbestimmungen des A r t . 14 Abs. 3 GG und A r t . 5 S. 2 StGG unbestreitbar. Ebenso unbestreitbar ist aber, daß die Verfassung die Enteignung als ultima ratio und als Ausnahme von der als Regel statuierten Unverletzlichkeit des Eigentums auffaßt 322 , so daß es nicht sinnvoll sein kann, die Beantwortung der Frage bis zu welchem Ausmaß Enteignungen vorgenommen werden können ohne daß der Wesensgehalt des Grundrechts verletzt w i r d dadurch zu erschweren, daß man die Enteignung als dem Eigentum wesenmäßig zugehörig deutet. Die Auffassung, daß die Enteignung nicht zu den immanenten Schranken des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums gehört, verbietet sich auch nicht aus der vorhin getroffenen Feststellung, daß das Eigentum des A r t . 5 StGG ein sozial gebundenes Eigentum ist 3 2 3 . Denn es ist unbestreitbar, daß auch dem sozial gebundenen Eigentum ein verfassungsrechtlich geschützter Wesenskern eigen ist, der auch durch die dn öffentlichem Interesse normierte Enteignung nicht verletzt werden darf. Da laber jede Sozialbindung des Eigentums und jede Enteignung, die durch einfaches Gesetz verfügt wird, durch das öffentliche Interesse legitimiert sein muß 3 2 4 , würde, wenn dem Wesensgehalt des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums schlechterdings alle aus öffentlichem Interesse normierten Eigentumsbeeinträchtigungen immanent sind, keine noch so gravierende Enteignungsgesetzgebung den Wesensgehalt des Grundrechts verletzen können. Damit stünde aber der unantastbare Wesenskern des Eigentums — den auch Häberle anerkennt 3 2 5 — zur unumschränkten Disposition des einfachen Gesetzgebers. Wollte man dies verhindern, bliebe nur die Möglichkeit, nicht alle Eigentumsbeeinträchtigungen als dem Wesensgehalt des Grundrechts immanent zu betrachten, sondern nur diejenigen, an denen ein öffentliches Interesse wegen der dadurch bewirkten Bewahrung übergeordneter Gemeinschaftswerte besteht. Dadurch ist man aber wieder bei der zentralen Schwierigkeit der Lehre von den immanenten Grundrechtsschranken angelangt, nach welchen Kriterien die „übergeordneten Gemeinschaftswerte" zu konkretisieren sind. W i l l man dabei nicht bei völlig unbestimmten und deshalb die Wesensgehaltsperre relativierenden Begriffen verharren, kann man wiederum nur auf die Rechte anderer und auf die Aufrechterhaltung der staatlichen Existenz rekurrieren. 322

Siehe dazu oben unter I, A , 4 nach F N 172. Siehe dazu oben unter I, A , 2. 324 Siehe zum öffentlichen Interesse bei der Sozialbindung des Eigentums i n § 364 Abs. 2 A B G B unten unter I I I , C, 4 bei F N 146. 325 Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 64. 323

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Die Ansicht, daß die Enteignung dem Eigentum immanent sei, führt demnach nicht über die zentrale Schwierigkeit der Theorie der immanenten Grundrechtsschranken hinweg. Sie birgt sogar, noch eine weitere Schwierigkeit i n sich. Die Lehre der immanenten Grundrechtsschranken unterscheidet zwischen grundrechtsimmanenten Schranken und von außen an das Grundrecht herangetragenen Beschränkungen, die den Wesenskern des betreffenden Grundrechts verletzen können. Wenn aber schon die den zweifellos massivsten Eingriff darstellende Enteignung als dem Eigentum wesensmäßig zugehörig als immanente Gemeinschaftsbindung i n das Grundrecht hineinprojiziert wird, kann keine Beschränkung mehr gefunden werden, die gegenüber dem Grundrecht ein aliud darstellt und deren zulässige Intensität — w e i l nicht zur Grundrechtssubstanz gehörig — am Wesenskern des Grundrechts gemessen werden kann. Die Diskrepanz zwischen der Annahme eines unantastbaren Wesenskerns der Grundrechte und der Auffassung, daß die Wesensgehaltssperre die Rechtstellung des einzelnen schützt, vermögen weder die relative Theorie des B G H noch· die Lehre von den immanenten Grundrechtsschranken befriedigend zu lösen, w e i l sie die Wesensgehaltssperre — bedingt durch die mangelnde Konkretisierbarkeit „übergeordneter Gemeinschaftswerte" — relativieren und so das Grundrecht positivrechtlicher Denaturierung preisgeben. Der Gefahr, die Wesensgehaltssperre aufzuweichen, entgeht auch Korineks Forderung nach' einer Interessenabwägung zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen nicht. Freilich ist bei Korineks Auffassung die Gefahr der Auflösung der Wesensgehaltssperre nicht so groß, wie bei der relativen Theorie und der Schrankenimmanenzlehre, w e i l er den unantastbaren Wesenskern des Grundrechts durch eine historisch-objektive Interpretationsmethode feststellt. Daß Korinek daneben auf die Interessenabwägung abstellt, könnte auch so verstanden werden, daß er die Zulässigkeit der grundrechtsbeschränkenden Norm an ihrer Notwendigkeit zur Beförderung des Gemeinwohls messen w i l l . Damit wäre die Wesensgehaltssperre für besonders massive Grundrechtsbeschränkungen, die i m Interesse des Gemeinwohls unerläßlich sind, „aufgespart" und die Frage der Legitimation der Notwendigkeit des Eingriffs könnte — sozusagen i m Vorfeld der Wesensgehaltssperre — durch die Abwägung von Individual- und Gemeinschaftsinteressen beantwortet werden. Dadurch ist neben der Wesensgehaltssperre eine zweite Schranke gegenüber den einfachgesetzlichen Beeinträchtigungen der Grundrechte aufgebaut. Nach dieser Konzeption hat auch das deutsche BVerfG den Grundrechtsschutz abgesichert. Es scheint, daß diese Theorie für den österreichischen Grundrechtsbereich besonders geeignet ist, das Grundrecht 8 Aicher

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des einzelnen abzusichern, w e i l das BVerfG seine Judikatur unabhängig von A r t . 19 Abs. 2 GG entwickelt hat. Dadurch gelingt es dem BVerfG die absolute Sperrwirkung der Wesensgehaltsgarantie, zu der es sich i n der Auseinandersetzung m i t dem B G H und dem BVerwG ausdrücklich bekennt 3 2 6 , zu erhalten, ohne dabei auf die Überprüfung der „unabweisbaren Notwendigkeit" des Eingriffs verzichten zu müssen. Die Frage der Notwendigkeit der Grundrechtsbeschränkung w i r d jedoch nicht am Wesensgehalt des Grundrechts, sondern daran gemessen, inwieweit die Einschränkung aus Gründen des öffentlichen Wohles unerläßlich ist. Das zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteresse abwägende Verfahren w i r d vom BVerfG damit begründet, daß nach der Gesamtauffassung des Grundgesetzes die freie menschliche Persönlichkeit der oberste Wert sei, so daß die Freiheit nur insofern eingeschränkt werden dürfe, als es zum allgemeinen Wohl unerläßlich ist 3 2 7 . Den zweiten tragenden Grund für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit grundrechtsbeschränkender Normen hat das BVerfG darin gesehen, daß der Gesetzgeber stets die Form des Eingriffs zu wählen hat, die das Grundrecht am wenigsten beschränkt 328 . Freilich war sich das BVerfG der Schwierigkeiten bewußt, die eine Güterabwägung zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen mit sich bringt. U m zu praktikablen Kriterien zu gelangen, an Hand derer die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes festgestellt werden kann, wenn es die individuelle Freiheit mehr beeinträchtigen sollte als dies aus Gründen des öffentlichen Wohles notwendig wäre, hat es das BVerfG unternommen, nach dem Sinn und Zweck des Grundrechts und seiner Rolle für das soziale Leben, das i n den einzelnen Grundrechten geschützte Individualinteresse zu bestimmen. Aus guten Gründen hat es das BVerfG nie versucht, das „Gemeinwohl" zu konkretisieren. U m nun das Individualinteresse bestimmen zu können, hat das BVerfG für das Grundrecht der Berufsfreiheit seine „Stufentheorie" entwickelt. Dabei unterscheidet es bezüglich des Gemeinwohlerfordernisses als Legitimation der Grundrechtsbeschränkung zwischen der Berufswahl und der Berufsausübung. Durch die Berufsausübung greife der einzelne unmittelbar i n das soziale Leben ein, so daß i h m i m Interesse der 326 B V e r f G 11. 6.1958, BVerfGE 7, 377 (401). 327

BVerfGE 7, 405. D a m i t hat das B V e r f G f ü r die Zulässigkeit grundrechtsbeschränkender Eingriffe generell auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip abgestellt, als dessen Ausfluß das Subsidiaritätsprinzip schon oben (siehe unter I, A , 4) als V o r aussetzung f ü r die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Enteignung erkannt wurde. So auch noch i n neuester J u d i k a t u r : BVerfGE 30, 292 (315 ff.); 33, 171 (186 ff.) ; 36, 47 (58 ff.); 37, 1 (19). Die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes f ü r den Grundrechtsschutz des einzelnen betont jüngst Denninger, Freiheitsordnung — Wertordnung — Pflichtordnung, N J W 1975, S. 545 ff. 328

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anderen und der Gesamtheit Beschränkungen auferlegt werden könnten. Die Berufswahl sei hingegen ein A k t der Selbstbestimmung, der von Eingriffen der öffentlichen Gewalt möglichst unberührt bleiben müsse 329 . Aus dem stärkeren Sozialbezug der Berufsausübung folgert das BVerfG, daß eine Beschränkung des Individualrechts schon dann zulässig sei, wenn „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohles es zweckmäßig erscheinen lassen". W i r d hingegen das Individualrecht auf freie Berufswahl beeinträchtigt, müsse gefordert werden, daß es der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erfordere. Bezüglich der Berufszulassungsvoraussetzungen hat das BVerfG eine weitere Differenzierung zwischen objektiven und subjektiven Zulassungsvoraussetzungen getroffen, wobei die Aufstellung subjektiver Zulassungsvoraussetzungen 330 schon durch vernünftige, am Gemeinwohl orientierte Zweckmäßigkeitserwägungen legitimiert sei, während die Aufstellung objektiver Zulässigkeitsvoraussetzungen 331 der Abwehr schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsinteresse dienen müßte 332 . Offensichtlich war dabei das BVerfG bemüht, aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit selbst rationale Kriterien für die Gewichtung der Allgemeininteressen zu gewinnen. Dies ist aber dem BVerfG nur zum Teil gelungen. Rupp 3 3 3 hat i n einer Analyse der Judikatur des BVerfG zur Berufsfreiheit nachgewiesen, daß es an seiner Unterscheidung von Berufswahl und Berufsausübung und den daraus folgenden abgestuften Anforderungen an das Gemeinwohl selbst nicht festgehalten hat 3 3 4 , so daß „die Unterscheidung von Berufswahl- und Berufsausübungsregeln keinen eigenen determinatorischen Wert besitzt, sondern nur noch zur höchst willkürlichen Etikettierung anderweitig gefundener Ergebnisse dient". Damit soll nicht bestritten werden, daß das BVerfG i n einzelnen Entscheidungen zu durchaus sachgerechten Ergebnissen gelangt ist 3 3 5 . Hier soll nur darauf verwiesen werden, daß auch das 329 BVerfGE 7, 403. Vgl. zu diesem Erkenntnis insb. Bachof, Das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1958, S. 468 ff.; Leisner, Die v e r fassungsrechtliche Berufsfreiheit — BVerfGE 7, 377, JuS 1962, S. 463 ff. Zur Stufentheorie i n neuester J u d i k a t u r : BVerfGE 23, 50 (56); 25, 1 (11 f.); 32, 1 (34); 33, 115 (160); 39, 334 (370). 330 Z . B . besondere Schulung; Vorhandensein besonderer technischer Kenntnisse. 331 Ζ. B. Lokalbedarf; numerus clausus für bestimmte Berufstypen. 332 BVerfGE 7, 408. 333 Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, AoR 92 (1967) S. 212 ff. 334 Vgl. aus der neueren J u d i k a t u r insb. B V e r f G 23. 3.1960, BVerfGE 11, 30 u n d B V e r f G 8.2.1961, BVerfGE 12, 144 (Kassenarzt-Entscheidungen) und BVerfG 13.10.1961 BVerfGE 13, 181 (Schankerlaubnissteuer). 335 v g l . z u r Judikatur des B V e r f G zur Berufsfreiheit Bachof i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I I / l 2 , S. 155 ff.; Scheuner, Das

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

BVerfG nicht über die Schwierigkeiten hinwegkommt, die m i t einer Theorie verbunden sind, die die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Grundrechtsbeschränkungen am Gemeinwohlerfordernis mißt. Wenngleich es dem BVerfG — zumindest für das Grundrecht der Berufsfreiheit — gelungen ist, aus dem Grundrecht selbst das geschützte Individualinteresse zu konkretisieren, bleibt das zweite Gewicht auf der „Legitimationswaage des Verhältnismäßigkeitsprinzips" 336 weitestgehend unbestimmt. Durch die mangelnde Konkretisierbarkeit des Gemeinwohlbegriffes bedingt, fließen eine Reihe von subjektiven, rational nicht nachprüfbaren Anschauungen und Vorstellungen i n die Abwägung zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen ein, die der Berechenbarkeit des Rechts abträglich sind und den Grundrechtsschutz relativieren müssen. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß das BVerfG i n einigen Fällen die Berufsfreiheit beschränkende Gesetze an dem Prinzip der Abwägung von Individual- und Gemeinschaftsinteressen hat scheltern lassen 337 . Denn das BVerfG hat es offen gelassen, was das Gemeinwohl ist und wann es i n die „Waagschale des Verhältnismäßigkeitsprinzips" eingebracht werden kann 3 3 8 . Ansatzweise hat das BVerfG eine Bestimmung des „Gemeinwohls" nur i n der „Zweigstellensteuer-Entscheidung" versucht 339 . Dabei hat es — was angesichts der Vielschichtigkeit des Gemeinwohlbegriffes legitim ist — die Gemeinwohlgerechtigkeit einer grundrechtsbeschränkenden Bestimmung am Gleichheitssatz gemessen. Damit ist jedoch letztlich das zwischen Individual- und Gemeinwohlinteresse abwägende Verfahren i n seiner Bedeutung gemindert, da dadurch die Schutzwirkung, die durch die Interessenabwägung erzielt wird, nicht über die hinausgeht, die schon m i t dem Gleichheitssatz verbunden ist 3 4 0 . Das Phänomen der Reduzierung des grundrechtlichen Schutzes auf die Verletzung des Gleichheitssatzes ist schon vorhin i n der Judikatur des VerfGH erkennbar geworden, der die Verletzung der von i h m anerkannten Wesensgehaltssperre am Gleichheitssatz gemessen hat 3 4 1 . Dort ist auch schon auf die Gefahren dieser Auffassung aufmerksam gemacht worden. Freilich besteht zwischen der Auffassung des VerfGH und des BVerfG ein bedeutender Unterschied. Während sich für den VerfGH Grundrecht der Berufsfreiheit, DVB1. 1958, S. 845; Schantl i n : FS F. Korinek S. 132 f. 336 Rupp, AöR 92, 233. 337 BVerfG 29.11.1956, BVerfGE 7, 737; BVerfG 17.12.1958, BVerfGE 9, 39; BVerfG 25.1.1961, BVerfGE 12, 13. 338 Rupp, AöR 92, S. 237. 339 B V e r f G 13. 7.1965, BVerfGE 19, 101 (111). 340 Bedenken i n dieser Richtung auch bei Rupp, AöR 92, S. 238. 341 Siehe oben unter I, B, 1.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie an der Überprüfung des Gleichheitssatzes die Wesensgehaltsverletzung entscheidet, nimmt das BVerfG die Überprüfung der Gemeinwohlgerechtigkeit am Gleichheitssatz bereits i n der der Wesengehaltsgarantie vorgelagerten Güterabwägungsphase vor. Damit bleibt für das BVerfG die Wesensgehaltssperre als letzter unantastbarer Schutzbereich gegenüber den einfachgesetzlichen Beschränkungen aufgespart. Wann nun freilich der letzte absolut geschützte Wesenskern beeinträchtigt ist, hat das BVerfG nicht präzisiert. Aus einzelnen Entscheidungen läßt sich jedoch ableiten, daß das BVerfG den Kreis des absolut geschützten Wesenskerns besonders eng zieht. Selbst i n den Entscheidungen, i n denen das BVerfG eine Grundrechtsverletzung durch das grundrechtsbeschränkende Gesetz auf Grund der Interessenabwägung angenommen hat 8 4 2 , ist es zu keiner Wesensgehaltverletzung gelangt. I m „Apotheken-Urteil" 3 4 8 hat es das BVerfG ausdrücklich dahingestellt gelassen, ob sich „aus dem Verbot der Antastung des Wesensgehaltes der Grundrechte weitere Grenzen für den Regelungsgesetzgeber des A r t . 12 Abs. 1 S. 2 ergeben" 344 . Die Schwierigkeiten, die m i t der Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffes verbunden sind und die bisher noch nicht erfolgte Angabe von Kriterien, m i t denen der Wesensgehalt der Grundrechte umschrieben werden könnte, sollte bei der Übernahme der Theorie des BVerfG i n den österreichischen Grundrechtsbereich zur Vorsicht mahnen 345 . Gerade i m Hinblick auf den Verfassungsschutz des Eigentums ergeben sich nämlich gegen die Lehre des BVerfG schwerwiegende Bedenken. Das BVerfG hat seine „Stufentheorie" am Grundrecht der Berufsfreiheit entwickelt und erprobt. Es muß bezweifelt werden, ob sie darüber hinaus auch geeignet ist, den durch andere Grundrechte gewährten Schutz abzusichern 346 . Für das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums halte ich eine Differenzierung des Gemeinwohl342

B V e r f G 17.12.1958, BVerGE 9, 39; B V e r f G 25.1.1961, BVerGE 12, 113. BVerfGE 7, 377 (409). Vgl. dazu kritisch unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes: Forsthoff, i n : Staatsbürger u. Staatsgewalt I I , S. 19ff.; Leisner, Eigentümer als Beruf, JZ 1972, S. 33 ff. 344 Auch i n anderen Entscheidungen, i n denen sich das B V e r f G m i t A r t . 19 Abs. 2 GG befaßte, w a r A r t . 19 Abs. 2 niemals der tragende G r u n d der E n t scheidung, so ζ. B. B V e r f G 4. 5.1955, BVerfGE 4, 157 (170); B V e r f G 16.1.1957, BVerfGE 6, 32 (40 f.); B V e r f G 17.7.1961, BVerfGE 13, 97; aber auch B V e r f G 25.5.1956, BVerfGE 5, 13 (18); B V e r f G 12.11.1958, BVerfGE 8, 274 (328 f.); B V e r f G 21. 3.1961, BVerfGE 12, 281 (295); B V e r f G 7. 8.1962, BVerfGE 14, 263 (281); B V e r f G 14.11.1962, BVerfGE 15, 126 (144). 345 Vgl. jedoch die vollinhaltliche Übernahme der Theorie des B V e r f G durch Schantl i n : FS F. K o r i n e k 132 f., wobei jedoch zuzugeben ist, daß die durchaus gleichgelagerte Regelung des Grundrechtsschutzes der Berufsfreiheit i n A r t . 12 GG u n d i n A r t . 6 u n d 18 StGG eine Übernahme der E r gebnisse des B V e r f G nahelegen. 348 So auch Jäckel, Grundrechtsgeltung 42. 343

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

erfordernisses nach der Stufentheorie des BVerfG für nicht durchführbar. Analog zur Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung müßte für das Eigentum zwischen Eigentumsenuerbsfreiheit und Eigentumsausübungsfreiheit unterschieden werden. Da der einzelne m i t der Eigentumsausübung — u m m i t dem BVerfG zu sprechen — „unmittelbar i n das soziale Leben eingreift" 3 4 7 , könnten i h m i m Interesse der Gesamtheit bereits Beschränkungen auferlegt werden, „soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es für zweckmäßig erscheinen lassen". Da die Eigentumserwerbsfreiheit jedoch als „ A k t der Selbstbestimmung" von „Eingriffen der öffentlichen Gewalt möglichst unberührt bleiben muß", wäre eine Grundrechtsbeschränkung nur zulässig, wenn und soweit „es der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erfordert". Hier beginnen jedoch die Konturen gänzlich zu verfließen. Hatte das BVerfG schon i n seinen Kassenarzt-Entscheidungen 348 seine Differenzierung zwischen Berufswahl und Berufsausübung dahingehend modifizieren müssen, daß der Gesetzgeber auch bei bloßen Ausübungsregelungen u m so stärker gebunden sei, je mehr zugleich die Berufswahl beeinträchtigt werde, so lassen sich bei der Verfassungsgarantie des Eigentums die Eigentumserruerbsfreiheit von der Eigentumsausübungsfreiheit überhaupt nicht mehr sinnvoll trennen. Jede Beeinträchtigung der Eigentumsausübungsfreiheit w i r k t sich mittelbar iauf die Eigentumserwerbsfreiheit aus. Denn das Rechtssubjekt erwirbt das Eigentum an einer Sache nicht u m des nudum ius willen, sondern damit es sie nach seinem W i l l e n benützen kann. Jede pauschale Beschränkung der Ausübungsfreiheit an einer bestimmten Sachtype bewirkt i n aller Regel eine faktische Beschränkung der Eigentumserwerbsfreiheit hinsichtlich der betreffenden Sachtype, da die Individuen, die die Sache zur Erreichung eines bestimmten wirtschaftlichen Zweckes erwerben wollten, diesen Zweck durch die Ausübungsbeschränkung bedingt nicht mehr erreichen können, so daß sie auf den Erwerb der Sache überhaupt verzichten. Dagegen kann nicht eingewendet werden, daß auch i n diesem Fall die Eigentumserwerbsfreiheit noch gegeben ist. Eine solche A n sicht vergißt, daß die Eigentumserwerbsfreiheit nicht u m ihrer selbst w i l l e n gewährt ist, sondern u m den einzelnen die Möglichkeit der wirtschaftlichen Bedürfnisbefriedigung nach freier Selbstbestimmung zu sichern. Rein theoretisch mögen sich Eigentumserwerbsfreiheit und Eigentumsausübungsfreiheit trennen lassen. Eine solche Trennung widerspricht jedoch aufs gröbste der Lebenswirklichkeit 3 4 9 . 347

BVerfGE 7, 377 (403). Insb. BVerfGE 11, 44. 849 Was hier f ü r die Unterscheidung von Eigentumserwerbsfreiheit und Eigentumsausübungsfreiheit ausgeführt wurde, gilt ebenso f ü r das Grund348

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Läßt sich aber auch die Gewichtigkeit des grundrechtlich geschützten Individualinteresses durch eine solche abgestufte Differenzierung nach Eigentumserwerbsfreiheit und Ausübungsfreiheit nicht mehr bestimmen, verliert man damit auch den letzten Maßstab zur Konkretisierung des Gemeinwohlerfordernisses. Damit kann auch die Theorie des BVerfG ihre grundrechtsschützende Sperrwirkung nicht mehr entfalten. So ist es zwar richtig, wenn Korinek 350 i m Anschluß an die bei Rupp 3 5 1 diskutierte Judikatur des BVerfG folgert, daß jeder Gesetzesvorbehalt infolge der Grundrechtsentscheidung des verfassungsrechtlichen Grundrechtskataloges zugunsten der Freiheit des einzelnen als limitierter Vorbehalt verstanden werden müsse. Das Maß der „ L i m i tierung" kann jedoch durch die Theorie des BVerfG aus den eben dargelegten Gründen nicht mit Sicherheit gefunden werden. Die Auffassung, daß die Wesensgehaltssperre über das grundrechtliche Institut hinaus auch die Rechtstellung des einzelnen unmittelbar schützt, stößt auf unüberwindliche Schwierigkeiten, wenn sie die Grundrechtsbeschränkungen i m „besonderen Gewaltverhältnis" 3 5 2 damit i n Einklang bringen soll. U m die rigorosen Beschränkungen, die die grundrechtlich geschützten Freiheiten des einzelnen i m besonderen Gewaltverhältnis u. U. zulässigerweise erfahren, dogmatisch begründen zu können, wurde von einer heute w o h l nicht mehr h. L. ein Grundrechtsverzicht durch den Gewaltunterworfenen beim E i n t r i t t i n das besondere Gewaltverhältnis angenommen. Daß dieser — offenbar konkludent zustandegekommene — Grundrechtsverzicht bei freiwilligem E i n t r i t t i n ein besonderes Gewaltverhältms unwahrscheinlich, bei zwangsweisem E i n t r i t t (ζ. B. Strafgefangener) unhaltbar ist, hat m. E. Jäcfcei 353 überzeugend nachgewiesen. So haben denn auch v. Mangoldt I Klein 354 i m Anschluß an Dürig 355 darauf abgestellt, daß der Gewaltunterworfene, nicht auf das Grundrecht an sich, sondern nur auf dessen Ausübung verzichte. Die begriffliche Trennung zwischen dem recht der Berufsfreiheit. Auch aus dieser Sicht scheint deshalb die v o m B V e r f G vorgenommene Trennung der Berufswahl von der Berufsausübung problematisch. 350 Korinek, FS M e r k l , S. 182. 351 Rupp, AöR 92, S. 233. 352 Als „besonderes Gewaltverhältnis" w i r d derjenige Sonderstatus bezeichnet, i n dem ζ. B. Beamte, Studenten, Schüler, Soldaten etc. stehen, die bedingt durch i h r Dienst- oder Amtsverhältnis u n d den damit verbundenen Pflichten besondere Grundrechtsbeschränkungen auf sich nehmen müssen (vgl. zum „besonderen Gewaltverhältnis" neuerdings Evers, Das besondere Gewaltverhältnis [1972]). 353 Jäckel, Grundrechtsgeltung, S. 83 - 86. 354 v. Mangoldt / K l e i n , Das B G G 2 , S. 138. 355 Dürig, ZgesStW 109, S. 328; davon ist jedoch Dürig i n AöR 81, S. 152 wieder abgerückt.

1 2 . Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe Grundrecht an sich und dessen Ausübung ist jedoch nur ein scheinbarer Ausweg. Zwar bleibt nach dieser Auffassung der auf die Rechtstellungsgarantie des einzelnen bezogene Wesensgehalt absolut geschützt, w e i l durch das besondere Gewaltverhältnis nicht das Grundrecht selbst, sondern nur dessen Ausübung beschränkt wird. Es ist aber v. Münch 8 5 6 zuzustimmen, wenn er dagegen einwendet, daß sich Rechtsinhaberschaft und Rechtsausübungsbefugnis zwar theoretisch, jedoch nicht praktisch trennen lassen. Spaltet man nämlich vom Grundrecht die Möglichkeit seiner Ausübung ab, so bleibt i n der Tat „lediglich eine praktisch bedeutungslose leere Formel zurück". Es ist bisher gezeigt worden, daß die Theorie, nach der die Wesensgehaltssperre über das grundrechtliche Institut hinaus auch die Rechtstellung des einzelnen unmittelbar sichern soll, i n unüberwindliche Schwierigkeiten gerät, wenn es gilt, die zahllosen rigorosen Beschränkungen der individuellen Grundrechtsposition, die den Wesenskern des Grundrechts antasten und dennoch verfassungsmäßig sind, m i t einer absoluten Wesensgehaltssperre i n Einklang zu bringen. Alle bisher diskutierten Versuche können nicht umhin, die absolute Wesensgehaltssperre zu relativieren oder u m dieser Konsequenz zu entgehen zu dogmatisch äußerst problematischen Hilfskonstruktionen wie der Trennung von Grundrecht und dessen Ausübung zu greifen. Das bedeutet nun keineswegs, daß dadurch die Wesensgehaltssperre als Absicherung des grundrechtlichen Schutzes bedeutungslos wäre. I h r kommt nur eine andere Funktion zu. Sie schützt nicht unmittelbar die Rechtstellung des einzelnen, sondern den Bestand des Grundrechts als objektiver Rechtseinrichtung 367 . Die Wesensgehaltssperre hindert den 866 ν . Münch, Freie Meinungsäußerung u n d besonderes Gewaltverhältnis (1957) S. 27. 857 So auch E. R. Huber, D Ö V 1956, S. 142 f.; v. Mangoldt / Klein, Das B G G 2 1 , S. 554; Giese / Schunck, Grundgesetz 8(1970) A n m . I I 4 zu A r t . 19; Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht S. 243, S. 351; Kaiser, Verfassungsrechtliche Eigentumsgewähr, Enteignung u n d Eigentumsbindung i n der B u n desrepublik Deutschland, i n : Staat u n d Privateigentum (1960) S. 43; Peters, Elternrecht, Erziehung, B i l d u n g u n d Schule i n : Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I V / 1 2 (1972) S.383; Schöne, D Ö V 1954, S.553; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I ®(1966) S. 315; Dürig, Z u m hessischen Sozialisierungsproblem, D Ö V 1954, S. 131; Jäckel, Grundrechtsgeltung S. 5 7 - 6 5 ; Knoll, Eingriffe i n das Eigentum i m Zuge der Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse, AöR 79 (1953/54) S. 455 ff. (487 f.); w o h l auch Schulz, Die aktuellen Probleme des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, S. 110; gleicher Ansicht BVerfGE 2, 266 (285). Dagegen freilich Leisner, Grundrechte u. Privatrecht (1960), S. 152 -160, Häberle, Wesensgehaltsgarantie 2 , S. 124 F N 322. Kimminich i n : Zweitbearbeit u n g des Bonner K o m m . z. GG Randnr. 31 zu A r t . 14; jetzt auch Chlosta, Der Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung, S. 41. Die deutsche J u d i k a t u r hat sich zur Frage, ob die Wesensgehaltssperre die Rechtstellung des einzelnen oder das Grundrecht als I n s t i t u t schützt, k a u m geäußert. Diese Alternative hat zwar das B V e r f G i n seinem Erkenntnis v o m

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie durch den Gesetzesvorbehalt formell legitimierten einfachen Gesetzgeber, das durch das betreifende Grundrecht geschützte Institut entweder überhaupt zu beseitigen oder es soweit seines Inhaltes zu berauben, daß das ian sich beschränkbare Grundrecht „ n u r dem Scheine nach besteht" 358 . Vor diesen Gefahren baut die Wesensgehaltssperre eine unübersteigbare Mauer, die auch aus „zwingender Notwendigkeit" nicht überwunden werden kann 3 5 9 . I n dieser Richtung hat die Judikatur des VerfGH bereits entscheidende Vorarbeiten geleistet. I n den Erkenntnissen vom 8. 12. 1956 (VerfGHSlg. 3118) und vom 4. 12. 1965 (VerfGHSlg. 5150) hat der VerfGH die Wesensgehaltssperre zumindest der Sache nach auf die Institutsgarantie bezogen. Das w i r d vor allem i m Verstaatlichungserkenntnis (VerfGHSlg. 3118) deutlich, wenn der VerfGH ausführt, daß eine Verstaatlichung der gesamten Unternehmungen m i t großem Kapitalbedarf und der gesamten Grundstoffindustrie deshalb dem Gesetzgeber verwehrt war, w e i l dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Staatsbürgers auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (Art. 6 StGG) i n diesem Sektor beseitigt worden wäre. Daraus geht m. E. eindeutig hervor, daß der VerfGH die Wesensgehaltssperre nicht auf das subjektive öffentliche Recht auf freie Erwerbsbetätigung des einzelnen, sondern auf das Institut der Erwerbsfreiheit i n seiner Bedeutung für einen ganzen Wirtschaftssektor bezogen hat 3 6 0 . 7. 5.1953, BVerfGE 2, 266 deutlich gesehen. Aus dieser Entscheidung leiten auch υ. Mangoldt ! Klein (Das B G G 2 1 , S. 554) ab, daß sich das BVerfG zur Bestandsgarantie bekennt. Ob dies angesichts der Erkenntnisse v o m 30.10.1956 BVerfGE 6, 31 (insb. 41) u n d v o m 12.11.1958 (DVB1. 1959, S. 177) noch haltbar ist, muß m i t Jäckel (Grundrechtsgeltung, S. 60 F N 42) bezweifelt werden. 858 E. R. Huber, D Ö V 1956, S. 142. 859 Die Bewahrung eines auch aus zwingender Notwendigkeit nicht antastbaren Wesenskerns des Grundrechts muß vor allem f ü r eine Rechtsordnung angenommen werden, die es w i e die österreichische Verfassungsordnung auch dem Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten (Art. 18 Abs. 3 - 5 B.-VG) versagt, bundesverfassungsgesetzliche Bestimmungen abzuändern. Deshalb können auch durch das Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten keine Grundrechte aufgehoben werden (vgl. i m Gegensatz dazu A r t . 48 WRV). Es wäre u m den Grundrechtsschutz schlecht bestellt, w e n n eine gänzliche oder teilweise Aufhebung i n einer ähnlichen Krisensituation unter Hinweis auf die formelle Legitimation durch den Gesetzesvorbehalt durch einfaches Gesetz möglich wäre. Die Beseitigung oder eine das grundrechtlich geschützte I n s t i t u t i n seinem Wesensgehalt treffende Aushöhlung ist m. E. eine Gesamtänderung der Bundesverfassung u n d gem. A r t . 44 Abs. 2 B . - V G einer Volksabstimmung zu unterziehen. 380 Dem V e r f G H ist jedoch nicht zuzustimmen, w e n n er den Wesensgehalt des Grundrechtes auch dann f ü r verletzt hält, w e n n der Behörde durch den einfachen Gesetzgeber ein schrankenloses Ermessen eingeräumt wurde, so daß diese w i l l k ü r l i c h handeln k a n n (so i n E 17. 3.1966, VerfGHSlg. 5240). Ganz richtig hat der V e r f G H gesehen, daß die Einräumung undeterminierten Ermessens dem Rechtsstaatsprinzip widerspreche. U m die Verfassungswidrig-

1 2 . Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe Für den Art. 5 StGG heißt das, daß die Wesensgehaltssperre nicht das subjektive öffentliche Recht auf Unversehrtheit des Eigentums absichert, sondern vielmehr das durch die Grundrechtsnorm geschützte Eigentum als Einrichtung des objektiven Rechts. Freilich ist dieser durch die Wesensgehaltssperre garantierte Schutz des Eigentums als Institut nicht u m seiner selbst w i l l e n gegeben. Die Wesensgehaltssperre schützt — wenn auch nur mittelbar — über die Institutsgarantie kraft deren Komplementärfunktion 3 6 1 auch das subjektive öffentliche Recht des einzelnen auf Unversehrtheit des Eigentums. Diese W i r k u n g geht nun nicht dahin, die einzelnen Enteignungsgesetze, durch die oder auf Grund derer Enteignungen vorgenommen werden, die als „Vollenteignungen" das subjektive öffentliche Recht des einzelnen gänzlich vernichten, m i t dem Makel der Verfassungswidrigkeit zu belegen. Vielmehr schützt die durch die Wesensgehaltssperre abgesicherte Institutsgarantie ihrerseits davor, daß der Schutz des sachlichen Bereiches des einzelnen durch das subjektive öffentliche Recht schon dadurch wertlos wird, daß der einfache Gesetzgeber — formell durch den Gesetzesvorbehalt legitimiert — dem Institut „Eigentum" seine i n historischer Entwicklung ausgeprägten spezifischen Wesenszüge 302 nimmt, worauf sich ja das subjektive öffentliche Recht insofern stützt, als diese — wie oben schon dargelegt 363 — das subjektive öffentliche Recht auf Unversehrtheit des Eigentums inhaltlich prägen. Wenn die Wesensgehaltssperre dem Schutz des Eigentums als Institut des objektiven Rechts dient, lassen sich die relevanten Kriterien für ihre Konkretisierung aus dem Institut des Eigentums finden, indem man aus dem unterverfassungsgesetzlichen privatrechtlichen Normenkomplex diejenigen typischen und charakteristischen Merkmale deduziert, die die Struktur des Eigentumsrechts ausmachen. Dadurch ist ein keit des betreffenden Gesetzes zu begründen, bedarf es jedoch keines Rückgriffs auf die Wesensgehaltssperre. Hier liegt vielmehr eine formalgesetzliche Delegation vor, deren Verfassungswidrigkeit aus A r t . 18 B . - V G abzuleiten ist. D a m i t ist freilich nicht gesagt, daß eine gesetzliche Ermächtigung, die die Determinationserfordernisse des A r t . 18 B . - V G erfüllt, nicht gegen die Wesensgehaltssperre verstoßen kann. Dies wäre dann der Fall, w e n n die gesetzliche Ermächtigung es der V e r w a l t u n g ermöglicht „bei voller Ausschöpfung der Ermächtigung" (BVerwG 4. 7.1956, B V e r w G E 4, 24 [37]) das Grundrecht i n seinem Wesenskern zu verletzen, mag auch die Wesensgehaltsverletzung erst durch „die Summe mehrerer oder aller durch das Ermächtigungsgesetz zugelassenen Maßnahmen der Exekutive eintreten" (so B V e r w G a. a. O.). Hier genügt zur Verfassungswidrigkeit m. E. bereits die latente Gefahr einer Wesensgehaltverletzung. 361 Siehe oben unter I, B, 3, b bei F N 235. 362 Vgl. BVerfGE 24, 367 (389): Entzug von Sachbereichen, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung i m vermögensrechtlichen Bereich gehören. 363 Siehe oben unter I, B, 3, b bei F N 229.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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Weg gefunden, den absolut geschützten Wesenskern nach objektiveren Kriterien zu bestimmen als dies unter Einschluß übergeordneter Gemeinschaftswerte möglich ist, wenn die Wesensgehaltssperre auf die Hechtsstellung des einzelnen bezogen wird. Die „Einfallspforte" für subjektive Wertungen ist dadurch enger geworden. Gerade eine Auffassung, die, wie sie hier vertreten wird, i m einfachen Gesetz keine durch den Gesetzesvorbehalt legitimierte „Einschränkung" des Grundrechts, sondern vielmehr — der institutionellen Sicht der Verfassungsgarantie entsprechend — eine Ausgestaltung der grundrechtlichen Institute und damit eine Aktualisierung der Grundrechte sieht, bedarf eines konkretisierbaren „Leitbildes" nach dem der einfache Gesetzgeber seine ausgestaltende und inhaltsbestimmende Tätigkeit auszurichten hat. A n der Ausgestaltungsbefugnis, ja an dem Verfassungsauftrag zur leitbildgerechten Ausgestaltung des Rechtsinstituts kann angesichts der ausdrücklichen Normierung i n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 und des konludenten Gesetzesvorbehaltes i n A r t . 5 S. 1 StGG kein Zweifel bestehen. Daraus ergibt sich nun die auf den ersten Blick paradox erscheinende Situation, daß es die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber einerseits überläßt, „Inhalt und Schranken" des Instituts zu bestimmen und andererseits gerade das Institut Eigentum gegenüber dem einfachen Gesetzgeber i n Schutz nimmt. Dieser nur scheinbare Widerspruch läßt sich jedoch insofern klären, als der einfache Gesetzgeber nur dann das Institut verfassungsgemäß ausgestaltet, wenn er den Inhalt des Instituts Eigentum leitbildgerecht ausgestaltet. Dieses Leitbild ergibt sich aus dem traditionell überkommenen durch den p r i vatrechtlichen Normenkomplex gebildeten Institutsinhalt, den die Verfassung i n seinen Strukturelementen rezipiert hat. Dadurch' wurden die das Eigentum prägenden Ordnungsstrukturen als verfassungsrechtlich gewährleistetes Institut anerkannt. M i t diesen typischen und charakteristischen Merkmalen ist aber auch der Wesenskern des Eigentums umschrieben 364 . Greift der einfache Gesetzgeber i n diesen Kernbereich ein, gestaltet er das Eigentum nicht mehr leitbildgerecht aus und er verletzt damit auch den Wesenskern des Eigentumsrechts, w e i l die das Leitbild prägenden Strukturelemente des Instituts durch die Wesensgehaltssperre abgesichert sind. Das Institut bedarf daher, u m seine komplementäre Schutzfunktion für das subjektive Einzelgrundrecht entfalten zu können, seinerseits der Wesensgehaltsgarantie 364a , die das Leitbild des Instituts und dessen funktionalen Wertungsplan vor 384 Vgl. f ü r die grundrechtliche Institutsgarantie i m allgemeinen Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 241. 364a Anders freilich Haas (System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten, S. 43), der diese F u n k t i o n der Institutsgarantie allein zuschreibt u n d deshalb glaubt, auf die Wesensgehaltssperre verzichten zu können.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

gesetzlicher Denaturierung schützt. Die Befürchtung Chlostas, daß eine auf das Institut bezogene Wesensgehaltssperre den einzelnen gegenüber dem Gesetzgeber rechtlos stelle, w e i l aus seiner Sicht der Gesetzesvorbehalt total wäre 3 6 5 , trifft daher nicht zu. Gewiß kann sich bei einer so verstandenen Wesensgehaltssperre der einzelne Eigentümer grundsätzlich nicht dagegen wehren, wenn i h m durch einen formell und materiell rechtmäßigen Hoheitsakt sein Eigentumsrecht gänzlich· entzogen w i r d 3 6 6 . Er kann dies jedoch dann, wenn der Gesetzgeber selbst oder durch Einräumung behördlicher Eingriffsbefugnisse nicht nur sein Einzelgrundrecht beseitigt, sondern dabei entweder den Eigentumsinhalt solcherart regelt oder solche Eingriffsmöglichkeiten schafft, daß für eine bestimmte Sachkategorie die wesentlichen Strukturelemente des Privateigentums und dessen funktionaler Gehalt eliminiert werden. Denn daß die Wesensgehaltssperre das Institut schützt, heißt nicht, daß der einzelne einen grundrechtsentziehenden oder grundrechtsbeschränkenden Eingriff nicht bekämpfen kann, wenn dessen gesetzliche Basis die Wesensgehaltsgarantie verletzt. Ein solcher Eingriff wäre — auf verfassungswidriger Grundlage ergangen — selbst verfassungswidrig, wodurch der einzelne — mag der Eingriff auch sonst formell und materiell rechtmäßig sein — i n einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht (Einzelgrundrecht) verletzt wäre (Art. 144 B.-VG). Freilich schützt eine so verstandene Wesensgehaltssperre nur vor grundlegenden Umgestaltungen unserer Eigentumsordnung. Sie ist aber auch nur i n diesem eingeschränkten Anwendungsbereich notwendig. Hier schützt sie über die Institutsgarantie das vom Grundrecht eingeräumte subjektive öffentliche Recht des einzelnen davor, daß der einfache Gesetzgeber dem Institut Eigentum seinen spezifischen Inhalt nimmt, u m dadurch das subjektive öffentliche Recht auf Unversehrtheit des Eigentums seiner Wirksamkeit zu berauben. I n diesem eingeschränkten Anwendungsbereich kann sie auch· weniger beeinflußt von subjektiven Wertvorstellungen ihre absolute Sperrwirkung entfalten. Eine so verstandene Wesensgehaltssperre läßt dem einfachen Gesetzgeber andererseits aber auch genug Spielraum, u m das Institut Eigent u m der sich stets wandelnden Wirtschafts- und Sozialordnung anzupassen. e) Die Konkretisierung

des Wesensgehaltes der Eigentumsgarantie

Chlosta 367 weist zu Recht darauf hin, daß trotz intensiver Beschäftigung der Lehre und Judikatur m i t der Frage der Wesensgehaltsgaran365

Chlosta, Wesensgehalt, S. 41. Was er auch nach Chlostas Konzept nicht könnte, w e i l A r t . 19 Abs. 2 nicht Freiheiten absichern könne, die das Gesetz an anderer Stelle verwehrt (a. a. O. 42). Daß damit aber überhaupt die Schutzwirkung der Wesensgehaltsgarantie beseitigt w i r d , ist schon oben (FN 295, 296) dargelegt worden. 3ββ

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie tie eine befriedigende materiale Wesensgehaltsbestimmung bisher noch nicht gelungen ist. Chlosta selbst versucht den Wesensgehalt des Eigentums durch eine umsichtig geführte historisch-geistesgeschichtliche Interpretation zu ermitteln 3 8 8 . Er geht davon aus, daß die von der Verfassung verwendeten Begriffe i m Zweifel nach dem Stand der geistesgeschichtlichen Diskussion zu verstehen sind. Sein Ausgangspunkt, die historische Dimension der Eigentumsfrage zu erschließen, läßt i h n für die Ermittlung des funktionalen Kerngehaltes des Eigentums auch die einfachgesetzliche Eigentumsordnung heranziehen, da die geltenden Privatrechtsnormen „wegen ihrer jahrzehntelangen Geltungsdauer die Brücke zur historischen Argumentation" bilden 3 6 9 . Trotz dieses umfassenden Ansatzes sind die konkreten Ergebnisse für die Bestimmung des Wesensgehaltes eher bescheiden. Für das von i h m speziell untersuchte Eigentum an Produktionsmitteln kommt er zu dem Ergebnis, daß die ökonomische ratio der Gewährleistung von Privateigentum an Produktionsmitteln wirksam bleiben muß, daß die ratio p r i v a t w i r t schaftlicher Produktionsweise, den gewünschten gesamtwirtschaftlichen Erfolg indirekt über autonome, dezentralisierte Eigentümerentscheidungen zu verfolgen, nicht aufgehoben werden darf 3 7 0 . Überdies dürfe der Gesetzgeber die gemeinwohlbezogenen Pflichtmomente der Herrschaft über äußere Güter nicht ohne Rücksicht auf A r t und Funktion des Eigentumsobjektes i m sozialen Leben bestimmen, wobei sich eine Differenzierungsskala für die Realisierung der Gemeinwohlbindung aus der Nähe der Eigentumsbefugnisse zur Persönlichkeitsverwirklichung ergibt 3 7 1 . Diese Erkenntnis ist freilich nicht neu. Pawlowski 372 und Badura 373 haben auf die Differenzierung des Eigentums nach dessen unterschiedlicher sozialer Funktion hingewiesen und Raiser hat bereits darauf aufmerksam gemacht, daß die Intensität des Eigentumsschutzes dort am stärksten ist, wo das Eigentum die freie Entfaltung der Einzelperson i n ihrem privaten Lebensraum sichert 374 . Das besondere Verdienst der Arbeit Chlostas besteht darin, diese Ergebnisse auf das breite Fundament historisch-geistesgeschichtlicher Interpretation ge367

Chlosta, a. a. O., S. 47. Chlosta, a. a. O., insb. S. 89 - 147. 369 Chlosta, a. a. O., S. 89. 370 Chlosta, a. a. O., S. 144 f. 371 Chlosta, a. a. O., S. 146. 372 Pawlowski, Substanz- oder Funktionseigentum, AcP 165 (1965) S. 395 ff. (insb. S. 411 f.). 373 Badura, Eigentum i m Verfassungsrecht der Gegenwart, Verh. d. 49. D J T I I , Τ 5 ff. (26 ff.), aber auch schon Reinhardt i n : Verfassungsschutz des Eigentums, S. 1 ff. (4). Z u r Abstufung der Gewährleistungsintensität nach Eigentumsobjekten entsprechend ihrer sozialen F u n k t i o n Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem (1975), S. 313 ff. 374 Raiser, Z u r Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, A ö R 78,118 (119). 368

1 2 . Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe stellt zu haben. Daß sich dabei für die inhaltliche Konkretisierung nicht mehr präzise Kriterien ergeben, ist nicht ein Mangel der Untersuchung Chlostas, sondern zeigt m. E. nur, daß die dem Eigentum immanenten Ordnungsstrukturen nur sehr abstrakt-allgemeine Grenzen setzen 375 , was ja auch genügt, wenn man bedenkt, daß die Wesensgehaltsgarantie ihrer Funktion nach nur eine letzte, aber dafür unüberwindliche Schranke davor aufbaut, daß die Institutsgarantie infolge ihrer Entleerung durch Gesetzgebungsakte ihre komplementäre Schutzfunktion für den Restbereich individueller Freiheit nicht mehr erfüllen kann. Deshalb kann auch eine normativ-institutionelle Sicht der Grundrechte, wie sie hier vertreten wird, keine grundlegend neuen Erkenntnisse hervorbringen, sondern allenfalls Gesichtspunkte beisteuern, die einer präziseren Erfassung des Wesensgehaltes der Eigentumsgewährleistung dienlich sind. Bei dieser Betrachtungsweise werden die den Wesensgehalt konkretisierenden Kriterien dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Institut „Eigentum" entnommen, indem aus dem unterverfassungsgesetzlichen privatrechtlichen Normenkomplex diejenigen charakteristischen Merkmale des Eigentumsbegriffs, die die Ordnungsstrukturen des Eigentumsrechtes ausmachen, deduziert werden. Der in diesen charakteristischen Ordnungsstrukturen zum Ausdruck kommende funktionale Gehalt des Instituts konturiert das Leitbild, an das die grundrechtsausgestaltende Tätigkeit des einfachen Gesetzgebers gebunden ist. Schon i n einer früheren Untersuchung habe ich versucht, die Ordnungsstrukturen des Eigentums herauszuarbeiten. Sie sind zum einen rechtsformaler und zum anderen rechtsteleologischer Natur. I n rechtsformaler Sicht ist das Eigentum absolutes Ausschlußrecht 375a und i n rechtsteleologischer Sicht unmittelbare Sachherrschaft 376 . Eine teleologische Betrachtung zeigt, daß der Zweck der Gewährung unmittelbarer Sachherrschaft sich nicht i n der Verschaffung eines statischen „Habens" erschöpft, sondern dem einzelnen ein sachlicher Herrschaftsbereich auch zu Zwecken des „Verfügendürfens" zugeordnet wird. Haben- und Verfügendürfen dienen als positivrechtlich fundierte teleologische Begriffselemente des Eigentums (§362 ABGB) entsprechend der geistesgeschichtlichen Grundlage der österreichischen Zivilgesetzgebung der Verfolgung privaten Nutzens 377 . Zwar ist das Eigentum an Sachen kein 375 Daß aus solchen allgemein-abstrakten Maßstäben Grenzen f ü r den Gesetzgeber ableitbar wären, bezweifelt freilich Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes u n d das Grundgesetz (1969) insb. S. 296 f. 3753 Daß aus der Ausschaltung der A b w e h r f u n k t i o n des Eigentums dessen Wesensgehaltsverletzung folgen kann, hat jüngst Papier, N J W 1974, S. 1797 ff. (1801) zutreffend hervorgehoben. 376 Aicher, Das Eigentum als subjektives Recht (1975). 377 Zeiller, Das natürliche Privatrecht 3(1819), S. 93. Z u r privatnützigen

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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der Person angeborenes Recht (§ 16 ABGB) 3 7 8 , doch ist die rechtlich gesicherte Verfügungsmacht über Sachen eine Emanation des angeborenen Urrechts, sich als Person i n einem „geselligen Zustand gleichmäßig freyhandelnder Wesen" zu behaupten 379 . Die bei Zeiller wiederholt geäußerte Ansicht 3 8 0 , daß die Verfügungsmacht über Sachen M i t t e l für die (grundsätzlich unbeschränkten) Zwecke freihandelnder vernünftiger Wesen sei, läßt den Schluß zu, daß die das Eigentum aus teleologischer Sicht auszeichnende Verfügungsmacht über Sachen, aus geistesgeschichtlicher Sicht Rahmenbedingung individueller Freiheit ist 3 8 1 , die zu sichern das zentrale Anliegen der Privatrechtskodifikation war. Die funktionale Zuordnung von Sachherrschaft und Freiheit rechtfertigt freilich nicht unbeschränktes Eigentümerbelieben. Freiheit i m Sinne des ABGB reicht nur soweit, als andere Personen auf die gleiche Weise daneben existieren können 382 . Deshalb ist die Verfügungsmacht des Eigentümers auch nur „ i n der Regel" unbeschränkt und sie findet eine allgemeine Grenze an den Rechten Dritter und an den Einschränkungen, die i n den Gesetzen zur Erhaltung und Beförderung des allgemeinen Wohles vorgeschrieben werden (§ 364 ABGB). Gleichwohl bezieht sich — wie § 355 A B G B sagt — das Eigentumsrecht auf alle Sachen. Nach dem Konzept des A B G B muß daher grundsätzlich Eigentum an allen Sachkategorien möglich sein, an Sachen zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung ebenso wie an Grund und Boden und Produktionsgütern 3 8 3 . Nur der Grad der Sozialbindung und die Häufigkeit von enteignenden Eingriffen kann für einzelne Sachkategorien verschieden sein. Die Sozialbindung w i r d für diejenigen Sachkategorien stärker sein, bei denen die Ausübung unbeschränkter Sachherrschaft m i t größeren Gefahren für die Freiheit und Persönlichkeitsentfaltung der übrigen Rechtsgenossen verbunden ist, als bei anderen Sachkategorien. Aber auch bei massiv sozialgebundenen Sachkategorien wie Produktionsmittel und Liegenschaften muß nach dem Konzept des ABGB priF u n k t i o n des Eigentums i n entwicklungsgeschichtlicher Sicht, Flossmann, Eigentumsbegriff u n d Bodenordnung i m historischen Wandel (1976). 378 Zeiller, a. a. O., S. 75. 379 Zeiller, a. a. O., S. 65 f. 380 Zeiller, a. a. O., S. 6, 69, 91. 381 Jüngst Tautscher, Das Eigentum ist i n Gefahr, FS Wilburg, (1975), S. 405 ff. 382 Zeiller, a. a. O., S. 9. 383 Dazu insb. aus ökonomischer Sicht Streissler, Privates P r o d u k t i v eigentum (1970), insb. S. 76 ff. Dies gilt auch f ü r das deutsche Recht. Die i n der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung positivierte objektbezogene Totalität ist v o m GG rezipiert worden. Schon deshalb ist es unzulässig, den Verfassungsschutz des Eigentums auf das persönliche Konsumeigentum zu beschränken u n d das Unternehmenseigentum auszuklammern (so aber Rittstieg, Eigent u m als Verfassungsproblem, insb. S. 360 ff.). Dageg. auch Friauf, D Ö V 1976, S. 624 ff. (626).

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

vates Eigentum möglich sein, weil sonst § 364 A B G B nicht von einer Beschränkung der Ausübung des Eigentumsrechts aus Gründen des öffentlichen Wohles sprechen könnte. Bei aller Beschränkung muß für die Eigentümer einer Sachkategorie soviel Verfügungsbefugnis übrig bleiben, daß sie an dem freiheitssichernden Prozeß des Interessenausgleiches i m Wege des Vertrages durch verantwortlichen Einsatz ihrer Güter teilhaben können. Nicht umsonst sieht gerade Zeiller den Vertrag als Funktion des Eigentums 384 . Man muß keineswegs die sozialromantische Vorstellung vertreten, daß der privatautonome, eigenverantwortliche Einsatz des Eigentums für sich allein genommen zur optimalen Gemeinwohlverwirklichung führt. Jedoch entspricht es einem grundlegenden geistesgeschichtlich fundierten Prinzip der durch das ABGB konstituierten „Privatrechtsgesellschaft" 385 , den „geselligen Zustand gleichmäßig freyhandelnder Wesen" durch eigenverantwortliche Dispositionen des einzelnen i m Wege eines freiheitsverbürgenden und persönlichkeitssichernden Interessenausgleichs zu bewerkstelligen, wofür die rechtlich geschützte Verfügungsmacht über Sachen die Grundlage bietet. Eigentum und Privatrechtsgesellschaft stehen zueinander i n engem Konnex 3 8 6 . Gemeinwohlgerechtigkeit w i r d damit schon oft durch den verantwortlichen Interessenausgleich erzielt, freilich nicht verbürgt. Schon alleine deshalb nicht, w e i l es Machtungleichheiten gibt und w e i l die am eigenen Nutzen orientierte Verfügung über Sachen gerade bei Sachkategorien m i t hoher Sozialrelevanz nicht immer dem Interesse der Allgemeinheit dient. Hier setzen die Korrekturen des Gesetzgebers an. Der Marktmächtige w i r d trotz Privatautonomie an die i m dispositiven Recht niedergelegte Rechte- und Pflichtenverteilung als Mindeststandard gebunden 387 , der Eigentümer w i r d trotz Eigentumsfreiheit durch gesetzlich konkretisierte Sozialbindung und Enteignung i n seiner Verfügungsfreiheit beschränkt. Derartige Beschränkungen privater Dispositionsmöglichkeiten sind jedoch „systemkonform", indem sie qua Gemeinwohlverwirklichung die Entscheidungsfreiheit anderer Rechtsgenossen sichern. Das ändert auch nichts daran, daß das durch das 384

S. 6.

Zeiller,

Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I I I / l ,

385 Dazu insb. Böhm, Privatrechtsgesellschaft u n d Marktwirtschaft, Ordo 1966, S. 75 ff.; jüngst Bydlinski, Privatrecht u n d umfassende Gewaltenteilung, FS W i l b u r g (1975), S. 53 ff.; vgl. auch Raiser, Die Z u k u n f t des Privatrechts (1971). 886 So Mayer-Maly, Raumordnung u n d Privatrechtsgesellschaft (1973), S. 10. Vgl. dazu auf verfassungsdogmatischer Ebene jüngst Leisner, D Ö V 1975, S. 73 ff. 387 Vgl. dazu grundlegend Biedenkopf, Über das Verhältnis wirtschaftlicher Macht zum Privatrecht, FS Franz B ö h m (1965), S. 113 ff. (135); Biedenkopf, Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung u n d Wirtschaftsverfassung (1958), S. 128 ff.; Bydlinski, Z u r Einordnung der allgemeinen Geschäftsbedingungen i m Vertragsrecht, FS Kastner (1972), S. 45 ff.; Kramer, Die normative K r a f t des dispositiven Rechts, ÖJZ 1973, S. 505 ff.

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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A B G B rechtlich strukturierte System der Privatrechtsgesellschaft die individuelle Freiheitsverwirklichung primär durch die „ M o t i v k r a f t " 8 8 8 sich gegenseitig begrenzender Eigeninteressen erzielen w i l l , was aber Verfügungsmacht über Eigentum bedingt 3 8 9 . Die i m §364 A B G B vorgesehene Einschränkung der Eigentümerbefugnisse durch Gesetz weist schon durch seine systematische Stellung auf das Ausnahmeverhältnis hin, i n dem die Beschränkung zum Grundsatz der Eigentumsfreiheit steht. Zeiller selbst hat dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis verdeutlicht, wenn er die eigenverantwortliche, am Eigennutz orientierte Eigentümerfreiheit als „natürliche" Freiheit bezeichnet 390 und eine Einschränkung deshalb — man bedenke: i m Jahre 1811 — nur durch den Gesetzgeber zuließ, u m zu verhindern, daß Beschränkungen der Eigentümerfreiheit „von den Richtern und Obrigkeiten nicht eigenmächtig bestimmt, noch durch willkürliche Auslegung vermehret werden" können. Der dargelegte funktionale Gehalt des Eigentums i n der i m A B G B verfaßten privatrechtsgesellschaftlichen Ordnung läßt es zu, daß das Institut des Privatrechteigentums auch, aber nicht nur der Verfolgung von Gemeinwohlinteressen gewidmet w i r d 3 9 1 . Da Eigentum nach dem ABGB gem. § 355 an allen Sachkategorien möglich ist, widerspräche es diesem Strukturprinzip der einfachgesetzlichen Eigentumsordnung, wenn der Gesetzgeber den Eigentümern einer ganzen Sachkategorie die eigenverantwortliche Nutzungsmöglichkeit entzieht, indem er ihnen entweder das absolute Ausschlußrecht bezüglich des betroffenen Eigentumsgegenstandes n i m m t oder doch unter Belassung eines nudum ius die Sachherrschaft so beschränkt (oder ausgestaltet), daß eine eigenverantwortliche, am Eigeninteresse orientierte Nutzung überhaupt unmöglich wird. Diese i m A B G B positivierte freiheitssichernde Funktion des Privateigentums 3 9 2 i m Sinne einer auf eigenverantwortlichen Rechtssubjekten aufbauenden Privatrechtsgesellschaft ist i n der institutionellen Eigentumsgarantie des StGG rezipiert worden 3 9 3 . Dieser 388 Messner, Die I n s t i t u t i o n u n d F u n k t i o n des Privateigentums, WipolBl. 1970, S. 395 ff. (397). 389 Daß der Konnex von Eigentum u n d Freiheitssicherung bereits dem Sozialmodell des A B G B zugrunde liegt, zeigt, daß der Zusammenhang v o n Eigentum u n d Privatrechtsgesellschaft nicht n u r auf dem Denkansatz der ordoliberalen Schule begründet werden k a n n (zu diesem kritisch Runge, A n t i n o m i e n des Freiheitsbegriffes i m Rechtsbild des Ordoliberalismus [1971]). 390 Zeiller, Commentar über das allg. bürgerl. Gesetzbuch I I / l , S. 127. 391 Was A r t . 14 Abs. 2 S. 2 GG trefflich m i t den Worten umschreibt: Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Z u dieser Ausgleichsfunktion insb. BVerfGE 25, 112 (117 f.). 392 Nach Ansicht des B V e r f G erfüllt die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG diese freiheitssichernde Funktion, vgl. etwa BVerfGE 24, 367 (389, 400). Sie w i r d auch von Forkel, Immissionsschutz u. Persönlichkeitsrecht (1968), S. 19 ff. u n d Picker, A c P 176, S. 28 ff. (60) besonders hervorgehoben. 393 I m Bericht des Verfassungsausschusses zum StGG (in: Die Gesetzgebung Österreichs I) w i r d die Gewährleistung der „freien E n t w i c k l u n g der

9 Aicher

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Umstand erlaubt es, die Funktion des Privateigentums i n der vom A B G B verfaßten Privatrechtsgesellschaft zur Konkretisierung der verfassungskräftigen Wesensgehaltssperre heranzuziehen. Den funktionalen Wesensgehalt des Eigentumsinstituts i n einer Privatrechtsgesellschaft kann man nicht besser umschreiben als dies Reinhardt 394 i n seiner Privatnützigkeitstheorie getan hat: Das Privateigentum erfüllt nur dann seine Funktion als die den Wirtschaftsprozeß bewegende und ordnende Kraft, wenn gesichert ist, daß durch selbstverantwortliche, erwerbswirtschaftlich bestimmte Entscheidungen des Individuums der erwünschte Interessenausgleich auch zum Nutzen der Allgemeinheit erfolgen k a n n 3 9 4 \ Diese Formel macht deutlich, daß auch die intensivste einer Eigentumskategorie aufgelastete Sozialbindung den Wesensgehalt des Eigentumsinstituts solange nicht verletzt, als dem Eigentümer ein Bereich wirtschaftlich sinnvoller Eigeninitiative bezüglich der betroffenen Sachkategorie verbleibt. Der Wesensgehalt des Eigentums ist danach verletzt, wenn für eine bestimmte Sachkategorie 395 das Eigentumsinstitut seine privatnützige Funktion nicht erfüllen kann, w e i l die gemeinwohlbezogene Inhaltsbestimmung des Eigentums einen Grad erreicht hat, der den Eigentümern der betreffenden Sachkategorie jede Möglichkeit nimmt, selbstverantwortlich und i n Verfolgung ihrer Privatinteressen 39® über das Eigentumsobjekt i m weitesten Sinn zu disponieren 3 9 7 . Dabei ist es gleichgültig, ob die privatautonome Dispositionsmateriellen Interessen" als „anerkanntes Postulat des constitutionellen Staatsrechtes, welches einer besonderen Erläuterung oder Rechtfertigung nicht bedürfe" angesehen (S. 312). 894 Reinhardt i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 1 ff. (insb. 1 - 27). 8943 So auch BVerfGE 31, 229 (240); BVerfGE 37, 132 (140): Das P r i v a t eigentum i m Sinne der Verfassung zeichnet sich i n seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit u n d grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand aus. Darauf stellt auch jüngst ab Mayer, Bodenrechtsreform aus öffentlich-rechtlicher Sicht, D B 1974, S. 1209 ff.; so auch jüngst f ü r die unternehmerische Nutzung des Eigentums Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976, S. 205 ff. (209). 895 Die Kategorienbildung w i r d m a n n u r nach „funktionstypischen" Verwendungsarten des Eigentums vornehmen können. 39β Private Interessen müssen nicht unbedingt erwerbswirtschaftlicher N a t u r sein, Einsatz von Privateigentum muß auch zur Ausgestaltung des unmittelbaren Individualbereiches (Nutzung eines Grundstückes zu Wohnzwecken) möglich sein. 397 Wenn Chlosta (Wesensgehalt, S. 85 ff.) auch gegen Reinhardts verfassungssystematische A b l e i t u n g des Privatnützigkeitsprinzips aus A r t . 2 und A r t . 14 Bedenken hat, so unterscheidet sich seine Bestimmung des Wesensgehalts der Eigentumsgewährleistung i m Ergebnis k a u m v o n der Reinhardts. Es ist n u r eine Konkretisierung des Privatnützigkeitsprinzips f ü r das Eigent u m an Produktionsmitteln, w e n n Chlosta den Wesensgehalt dann verletzt sieht, w e n n durch eine unmittelbare Produktions- u n d Investitionskontrolle die ratio privatwirtschaftlicher Produktionsweise, den erwünschten gesamtwirtschaftlichen Erfolg i n d i r e k t über autonome, dezentralisierte Eigentumsentscheidungen zu verfolgen, aufgehoben wäre (a. a. O., S. 144).

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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m ö g l i c h k e i t g e n o m m e n ist, w e i l a n der gesamten E i g e n t u m s k a t e g o r i e p r i v a t e E i g e n t u m s r e c h t e n i c h t m e h r b e g r ü n d e t w e r d e n k ö n n e n , oder ob u n t e r Belassung eines n u d u m i u s eine f ü r d e n E i g e n t ü m e r ö k o n o m i s c h s i n n v o l l e N u t z u n g d e r b e t r e f f e n d e n Sachkategorie u n m ö g l i c h gemacht w i r d , so daß die P r i v a t i n i t i a t i v e d u r c h E n t s c h e i d u n g e n des K o l l e k t i v s ersetzt w i r d 3 9 7 6 . Schärfer l ä ß t sich m . E. die a u f das I n s t i t u t E i g e n t u m bezogene Wesensgehaltssperre n i c h t umschreiben. Das i s t aber auch n i c h t n o t w e n d i g , w e i l die W e s e n s g e h a l t s g a r a n t i e n u r v o r g r u n d l e g e n d e n U m g e s t a l t u n g e n der E i g e n t u m s o r d n u n g schützen soll. So h i n d e r t die Wesensgehaltssperre d e n Gesetzgeber, die a u f d e m P r i v a t e i g e n t u m g e g r ü n d e t e E i g e n t u m s o r d n u n g i n s g e s a m t z u beseitigen. D e m Gesetzgeber i s t es auch v e r w e h r t , das E i g e n t u m a n G r u n d u n d B o d e n oder auch n u r a n städtischem oder l a n d w i r t s c h a f t l i c h e m B o d e n g r u n d s ä t z l i c h f ü r u n z u l ä s s i g z u e r k l ä r e n 3 9 8 o d e r die N u t z u n g v o n G r u n d u n d B o d e n i n s o f e r n z u „ v e r p l a n e n " als j e g l i c h e A r t d e r B o d e n n u t z u n g e i n e r s t a a t l i c h e n G e n e h m i g u n g b e d ü r f t e , w e i l d a d u r c h die e i g e n v e r a n t 397a Ich habe an anderer Stelle (Das Bodenbeschaffungsgesetz, S. 36 ff.) den Nachweis geführt, daß das österr. Bodenbeschaffungsgesetz, obwohl es die Sachkategorie unbebaute, aber bebaubare Grundstücke zu Zwecken des sozialen Wohnbaues weitreichenden Enteignungsmöglichkeiten u n d enteignungsähnlichen Maßnahmen (Eintrittsrecht) u n t e r w i r f t , entgegen der A n sicht Ermacoras (Die Verfassungsfragen der „Wohnbauassanierungsprojekte", WipolBl. 1971, S. 357 ff.) nicht gegen den Wesensgehalt der Eigentumsgewährleistung verstößt, w e i l es den privaten Nutzungsbefugnissen an Bauland den Vorrang vor der Nutzung durch das K o l l e k t i v einräumt. So k a n n gem. § 10 BobeschG der Eigentümer dem Enteignungsantrag m i t der Folge, daß dieser abgewiesen w i r d , widersprechen, w e n n er das Grundstück selber bebauen w i l l . Ebenso k a n n dem Enteignungsantrag widersprochen werden, w e n n der Enteignungswerber i m gleichen Bodenbeschaffungsgebiet über ein anderes geeignetes Baugrundstück verfügt. D a m i t w i r d verhindert, daß Gebietskörperschaften oder gemeinnützige Bauunternehmen Grundstücke auf Kosten der Privateigentümer horten. Endlich verhindert der W i d e r r u f der E n t eignung bei mangelnder Bautätigkeit des Enteignungswerbers (§ 25 BobeschG), daß Boden gehortet w i r d , ohne daß er dem Zweck des sozialen Wohnbaues zugeführt w i r d . Aus ähnlichen Überlegungen verstoßen auch die weitreichenden E n t eignungsmöglichkeiten des StbaufG nicht gegen die Wesensgehaltssperre. Das I n s t i t u t der „Durchgangsenteignung" (§ 59 StbaufG) sichert, daß nach Durchführung der Neuordnung u n d Erschließung der Grundstücke diese — i n eingeschränktem Maße — an Bauwillige zurückveräußert werden, wobei insbesondere die früheren Grundstückseigentümer zu berücksichtigen sind. Vgl. zur Durchgangsenteignung insb. Schmidt-Assmann, Grundfragen des Städtebaurechts (1972), S. 255. V o r Bodenhortung der öffentlichen H a n d durch E n t eignung schützt § 87 Abs. 2 BBauG, der als Voraussetzung f ü r die Enteignung fordert, daß eine Bereitstellung i m Rahmen der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung f ü r das Vorhaben geeigneter Grundstücke weder aus dem Grundbesitz des Bundes, der Länder, einer Gemeinde oder einer juristischen Person des Privatrechts, an welcher der Bund, das Land, eine Gemeinde allein oder gemeinsam überwiegend beteiligt sind, noch aus dem des Antragstellers möglich u n d zumutbar ist. 398 So auch Rüfner, Bodenordnung u n d Eigentumsgarantie, JuS 1973, S. 593 f.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

wortliche unmittelbare Nutzungsbefugnis über das Eigentumsobjekt und damit der Zweck der Gewährung des absoluten Ausschlußrechtes schlechthin für eine ganze Sachkategorie wegfiele. Die Wesensgehaltssperre schützt aber auch davor, daß der einfache Gesetzgeber das Privateigentum an Produktionsmitteln verbietet. Ebenso ist der einfache Gesetzgeber durch die Wesensgehaltssperre gehindert, eine totale Planwirtschaft einzuführen oder die Eigentümer einer Kategorie von Produktionsmitteln an staatliche Produktions- und Investitionspläne zu binden. Keine Kollision m i t der Wesensgehaltssperre ergibt sich hingegen, wenn die Veräußerung von landwirtschaftlichem Grund und Boden an eine behördliche Genehmigung gebunden ist, da dadurch die unmittelbare Sachherrschaft nicht aufgehoben, sondern n u r bezüglich einer „Nutzungsart" eingeschränkt ist. Ebenso können Bewirtschaftungspläne für gewisse Arten von landwirtschaftlichem Boden erlassen werden, ohne daß der Wesensgehalt des Eigentums angetastet wird, wenn damit für den Eigentümer eine rentable Nutzung gewährleistet ist. Auch Anbaubeschränkungen hinsichtlich gewisser landwirtschaftlicher Produkte schränken zwar die Nutzungsbefugnisse des Eigentümers ein, heben sie aber nicht gänzlich auf. Die Prüfung einer das Eigentum betreffenden Normierung an der Wesensgehaltsgarantie ist demnach ein zweistufiger Vorgang. Berücksichtigt man, daß die inhaltliche Konkretisierung des Wesensgehaltes am besten nach Reinhardts Privatnützigkeitstheorie erfolgen kann und daß die Wesensgehaltssperre ihrer Funktion nach· nur das Eigentum als Institut schützt, muß zuerst gefragt werden, ob sich die betreffende Regelung auf eine geschlossene und vollständige Kategorie von Eigentumsrechten bezieht. Dann muß gefragt werden, ob durch die betreffende Regelung das absolute Ausschlußrecht oder die unmittelbare Sachherrschaft bezüglich einer bestimmten Sachkategorie i n einem solchen Maße beeinträchtigt ist, daß die privatnützige Verfügung über die betreffende Sachkategorie den Eigentümern genommen ist 3 9 8 a . Erst 398a Ausschlußrecht u n d Sachherrschaft sind Kategorien, die sich auf das Eigentum an körperlichen Sachen beziehen. Der weite Eigentumsbegriff des § 285 A B G B erfaßt aber auch — anders als § 90 B G B — Unkörperliches, insb. Forderungen, als Sache. B e i Forderungsrechten k a n n m a n nicht von Ausschlußrecht u n d Sachherrschaft sprechen. Formale u n d teleologische S t r u k t u r elemente der Forderungsrechte sind vielmehr die Rechtszuständigkeit, das Recht auf obligationsgemäße Willensrichtung des Schuldners u n d das Befriedigungsrecht (vgl. hierzu Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, insb. S. 135 ff.). Es k a n n heute als gesichert gelten, daß sich der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff nicht n u r auf das Sacheigentum beschränkt, sondern zumindest alle Vermögenswerten Privatrechte umfaßt (vgl. statt vieler Weber i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die G r u n d rechte I I 2 S. 352 ff. u n d ausführlich unten unter I I I , F, 1, a). Die Frage der Wesensgehaltssperre muß daher bei hoheitlichen Eingriffen i n Forderungs-

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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wenn beide Fragen zu bejahen sind 3 9 9 , ist die Wesensgehaltssperre verletzt und die Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes gegeben 399a . Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob die gesetzliche Normierung sich i m Rahmen der Inhaltsbestimmung des Eigentums hält oder eine enteignende Maßnahme darstellt. rechte etwas anders gestellt werden. Hier ist zu fragen, ob f ü r eine v o l l ständige u n d geschlossene Kategorie von Forderungsrechten die Rechtszuständigkeit (als normatives Element) oder unter Belassung der formalen Zuordnung des Forderungsrechtes zur Person des Gläubigers dessen Recht auf die obligationsgemäße Willensrichtung u n d das Befriedigungsrecht genommen ist. 399 Freilich ist m i t einer so verstandenen, auf das I n s t i t u t bezogenen Wesensgehaltssperre die Gefahr verbunden, daß der Gesetzgeber, u m nicht den Wesensgehalt des Instituts zu verletzen, bei der Aufhebung einer bestimmten Kategorie von Eigentumsrechten davon Ausnahmen normiert, so daß nicht eine vollständige Gattung von spezifischen Eigentumsrechten aufgehoben w i r d u n d das Eigentum als I n s t i t u t damit gewahrt wäre. I n solchen Fällen greift jedoch der Gleichheitssatz ergänzend ein. Lassen sich nämlich f ü r diese Ausnahmen keine sachlich gerechtfertigten Gründe finden, ist das betreffende Gesetz wegen unsachlicher Differenzierung verfassungswidrig. 399a Daß das B V e r f G eine ähnlich konzipierte Auffassung der Wesensgehaltssperre vertritt, die n u r i n äußersten Grenzfällen einzugreifen bestimmt ist, ergibt sich m. E. aus zahlreichen Erkenntnissen zum Grundeigentum. Obwohl es keinem Zweifel unterliegt, daß das B V e r f G i n der Sachherrschaft des Grundeigentümers ein freiheitssicherndes Element i m vermögensrechtlichen Bereich sieht (vgl. etwa BVerfGE 24, 367 [389 f.]) u n d dementsprechend selbst i n der Veräußerungsbefugnis des Grundeigentümers einen elementaren Bestandteil der Handlungsfreiheit i m Bereich der Eigentumsordnung sieht (BVerfGE 26, 215 [222]), ist er dennoch selbst bei massivsten Einschränkungen der Verfügungsmacht des Eigentümers nicht zu einer Wesensgehaltsverletzung gelangt. Eine Rechtfertigung dafür, den Gesetzgeber i n der sozialen Ausgestaltung des Grundeigentums nicht durch eine allzu eng gefaßte Wesensgehaltssperre zu fesseln, folgt aus dem auch v o m B V e r f G anerkannten Umstand, daß der Boden unvermehrbar u n d unentbehrlich sei u n d daher nicht ohne weiteres m i t anderen Vermögensgütern gleichgestellt werden dürfe (BVerfGE 21, 73 [82 f.]). I n BVerfGE 8, 71 wurde durch das Verbot, neue Weinbaugebiete anzulegen, die Privatnützigkeit der betroffenen Grundstücke nicht beseitigt. Das gleiche g i l t f ü r die Anbaubeschränkungen nach dem WeinwirtschaftsG (BVerfGE 21, 150). Auch die Veräußerungsbeschränkungen f ü r land- u n d forstwirtschaftliche Grundstücke nehmen nicht jede wirtschaftlich sinnvolle Veräußerungsmöglichkeit f ü r die betreffende Sachkategorie (BVerfGE 21, 73 [86]: „Diese Grenze wäre überschritten, w e n n der Erwerb von Grund u n d Boden deshalb schlechthin verboten wäre, w e i l es sich f ü r den Erwerber u m eine Kapitalanlage handelt"; vgl. auch BVerfGE 21, 92; 21, 94; 21, 99). Dies ist auch dann nicht der Fall, wenn, w i e durch §9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG die Erzielung eines spekulativen Veräußerungsgewinnes genommen ist (BVerfGE 21, 87). Selbstverständlich ist die Privatnützigkeit des Grundeigentums nicht durch die Auferlegung von Erschließungsbeiträgen beseitigt. Ganz i m Gegenteil dient die Erschließung der Steigerung der Privatnützigkeit (BVerfGE 34, 139). Problematischer sind die Fälle der deichrechtlichen Bauverbote (vgl. dazu die Erkenntnisse des B V e r f G zum hamburgischen u n d niedersächsischen Deichgesetz: BVerfGE 34, 139; BVerfGE 25, 112). Durch die deichgesetzlichen Bauverbote ist die Privatnützigkeit der Deichgrundstücke i m wesentlichen auf Grasnutzung reduziert. Freilich sind Deichgrundstücke schon seit jeher durch ihre besondere gefahrenabwehrende F u n k t i o n gekennzeichnet. Die traditionelle F u n k t i o n der Gefahrenabwehr rechtfertigt besonders gravierende Beeinträchtigungen der Privatnützig-

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe f) Schlußfolgerungen

für die

Enteignungsdiskussion

Dieses V e r s t ä n d n i s des I n h a l t s des Wesenskernes u n d der F u n k t i o n d e r Wesensgehaltssperre e r l a u b t auch eine differenziertere, v o n d e n h e r k ö m m l i c h e n A n s c h a u u n g e n abweichende B e t r a c h t u n g des V e r f a s sungsschutzes des E i g e n t u m s i m V e r h ä l t n i s z u E n t e i g n u n g u n d E i g e n tumsbeschränkung. A l s ü b e r p r ü f u n g s b e d ü r f t i g e r w e i s t sich die A n s i c h t des V e r f G H , daß d i e W e s e n s g e h a l t s g a r a n t i e auch eine B e g r e n z u n g f ü r bloße E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n d a r s t e l l t 4 0 0 . Dies i s t n u r d a n n zutreffend, w e n n es r i c h t i g ist, daß — w i e der V e r f G H a n n i m m t 4 0 1 — die E n t e i g n u n g v o n der Eigentumsbeschränkung durch ein formales K r i t e r i u m (Rechtsübertragung, Vermögensverschiebung) unterschieden ist402. B e s t i m m t m a n dakeit, wozu noch kommt, daß Deichgrundstücke einen ganz geringen T e i l landwirtschaftlich genutzter Fläche ausmachen, so daß das Eigentum an der Sachkategorie „landwirtschaftlich genutzter Boden" dadurch nicht beseitigt wird. 400 Siehe oben I, B, 2 u n d F N 217. 401 Siehe sogleich unten unter I I , A , 2, c u. d. 402 Diese J u d i k a t u r des V e r f G H hat i n neuester Zeit von Mayer-Maly (Rechtsfragen der Raumordnung [1972] S. 56) Zustimmung erfahren. Jedoch k a n n auch Mayer-Malys Ansicht nicht überzeugen. E r sieht wie der V e r f G H (unten unter I I , A , 2, c) i n der Rechtsübertragung ein Wesensmerkmal der Enteignung. Dieser außerordentlich enge Enteignungsbegriff f ü h r t indessen bei Mayer-Maly — anders als bei Unkart (unten I I , A , 3 i n F N 39 [Ende]) — nicht zur Versagung einer Enteignungsentschädigung bei bloßer Beschränk u n g der Nutzungsmöglichkeit, da f ü r i h n eine Definition des Enteignungsbegriffes eher sekundärer N a t u r ist, w e i l sie n u r eine Konsequenz der W e r t entscheidungen zur Entschädigungsfrage darstelle. Es müsse vielmehr gefragt werden, ob die Wertungen, die f ü r eine Entschädigung nach Eigentumsentziehung eingreifen, auch f ü r die Fälle der Eigentumsbeschränkung G ü l t i g keit beanspruchen können. Da Mayer-Maly die Entschädigungsfolgen nicht ausschließlich an den Enteignungsbegriff k n ü p f t u n d eine Entschädigung nach Mayer-Maly sowohl bei Enteignungen als auch — sofern eine entsprechende Wertung Platz greift — bei bloßer Eigentumsbeschränkung gefordert ist, ist das Abstellen auf einen engen Enteignungsbegriff — entschädigungsrechtlich gesehen — unschädlich. Indessen löst jedoch Mayer-Malys Lehre keineswegs die Frage der Abgrenzung von entschädigungspflichtiger u n d entschädigungsloser Eigentumsbeeinträchtigung. Er verschiebt sie lediglich i n Abweichung von der bisher üblichen Gegenüberstellung (entschädigungspflichtige) Enteignung — (entschädigungslose) Eigentumsbeschränkung auf die noch m ü h samere Unterscheidung v o n Enteignung u n d entschädigungspflichtiger Eigentumsbeschränkung einerseits u n d entschädigungsloser Eigentumsbeschränk u n g andererseits. F ü r diese Abgrenzung findet auch Mayer-Maly keinen anderen Ansatz als das auferlegte Sonderopfer (56), das jedoch n u r einen — w e n n auch zutreffenden — Ausgangspunkt darstellt, der u m K r i t e r i e n zu ergänzen ist, an denen das Sonderopfer gemessen werden k a n n (siehe unten unter I I , B, 1). Solche K r i t e r i e n läßt Mayer-Malys Lösungsversuch jedoch vermissen, so daß auch seine „wertende" Betrachtung nicht weiter führt. Gegen Mayer-Malys Lehre müssen aber noch i m H i n b l i c k auf sein V e r ständnis der Wesensgehaltssperre Bedenken angemeldet werden. Ausgehend v o n seinem engen Enteignungsbegriff ist es folgerichtig, w e n n es MayerMaly f ü r möglich hält, daß auch Eigentumsbeschränkungen den Wesensgehalt

I. Verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie

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gegen d e n E n t e i g n u n g s b e g r i f f n a c h d e n m a t e r i e l l e n K r i t e r i e n der E i n griffs- u n d F o l g e n s c h w e r e u n d b e r ü c k s i c h t i g t m a n , daß die L e g a l e n t e i g n u n g s o w o h l i n Ö s t e r r e i c h als auch i n D e u t s c h l a n d als r e c h t m ä ß i g e h o h e i t l i c h e M a ß n a h m e a n e r k a n n t ist, k a n n e i n Gesetz, das e i n e n so s c h w e r w i e g e n d e n E i n g r i f f w i e die B e s e i t i g u n g der P r i v a t n ü t z i g k e i t e i n e r b e s t i m m t e n Sachkategorie m i t sich b r i n g t , n i e m a l s eine ( v e r fassungswidrige) i n h a l t s b e s t i m m e n d e E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g 4 0 8 , sond e r n n u r e i n (verfassungswidriges) Enteignungsgesetz s e i n 4 0 4 . D i e F e s t s t e l l u n g , d e r Wesensgehalt des E i g e n t u m s r e c h t s k ö n n e auch d u r c h eine i n h a l t s b e s t i m m e n d e E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e r r e i c h t w e r d e n , setzt d a h e r d i e — höchst ü b e r p r ü f u n g s b e d ü r f t i g e — P r ä m i s s e v o r a u s , daß d e r E n t e i g n u n g s b e g r i f f nach f o r m a l e n , n i c h t a n der E i n g r i f f s - u n d F o l g e n schwere o r i e n t i e r t e n K r i t e r i e n z u b e s t i m m e n ist. des Grundrechts der Unverletzlichkeit des Eigentums verletzen können. Insow e i t s t i m m t er auch m i t dem V e r f G H überein, der diese Ansicht — w i e oben (I, B, 2.) gezeigt — ebenfalls v e r t r i t t u n d auch folgerichtig vertreten kann, w e i l auch er — w i e unten (II, A) zu zeigen sein w i r d — auf einen engen Enteignungsbegriff abstellt. Daß dagegen m. E. der Wesensgehalt des Eigentums n u r durch Enteignungen erreichbar ist, mag allenfalls als terminologische Diskrepanz aufgefaßt werden. Jedoch verkennt Mayer-Maly die Aussagekraft der J u d i k a t u r des VerfGH, daß Eigentumsbeschränkungen verfassungsrechtlich einwandfrei seien, w e n n sie den Wesensgehalt des G r u n d rechts nicht verletzen. D a m i t w i l l der V e r f G H zum Ausdruck bringen, daß Eigentumsbeschränkungen sofern sie den Wesensgehalt des Grundrechts v e r letzen, verfassungswidrig sind. Das ist an sich zutreffend u n d w ü r d e meine uneingeschränkte Zustimmung erfahren, w e n n der V e r f G H erkennen würde, daß es sich hierbei n u r u m Eingriffe handeln kann, die, was die Intensität des Eingriffs u n d die Schwere der Folgen betrifft, Enteignungen gleichkommen. Dagegen sieht Mayer-Maly i n der v o m V e r f G H vertretenen Wesensgehaltssperre die Grenze, durch deren Überschreiten der Eingriff entschädigungspflichtig w i r d . Darauf deutet v o r allem seine Aussage hin, daß durch die „Wesensgehaltssperre" der V e r f G H dem Eigentum einen Schutz verheiße, der sich i n der Schweiz aus dem Begriff der „materiellen Enteignung" u n d i n Deutschland aus der Lehre v o m „enteignungsgleichen Eingriff" ergäbe. H i e r i n zeigt sich der grundlegende Unterschied der Lehre Mayer-Malys von der V e r f G H : Während der V e r f G H an die Verletzung der „Wesensgehaltssperre" als Rechtsfolge die Verfassungswidrigkeit knüpft, (die Frage der Entschädigung k a n n auch bei der entschädigungsfeindlichen J u d i k a t u r des V e r f G H keine Rolle spielen [siehe unten unter I, A , 3]), leitet Mayer-Maly daraus die Entschädigungspflicht ab. Der Ansicht Mayer-Malys k a n n nicht zugestimmt werden. Die Verletzung der Wesensgehaltssperre macht den E i n griff verfassungswidrig. Die Verfassungswidrigkeit k a n n auch nicht durch die Leistung einer Entschädigung geheilt werden (siehe unten bei F N 407). Daraus folgt jedoch, daß die „Wesensgehaltsverletzung" keine taugliche Grenze zwischen entschädigungspflichtiger u n d entschädigungsloser Eigentumsbeeinträchtigung ist. Daß bei Verfassungswidrigkeit des Eingriffes wegen Verletzung der Wesensgehaltssperre eine Entschädigung aus „enteignungsgleichem Eingriff" zustehen sollte, hat der V e r f G H nicht einmal angedeutet. Angesichts seiner entschädigungsfeindlichen J u d i k a t u r ist dies auch nicht verwunderlich. Die Frage des „enteignungsgleichen Eingriffs" i m österr. Recht bedarf erst eingehender Prüfung. 408 So auch B V e r w G E 11, 95 (96). 404 So auch Kaiser, i n : Staat u n d Privateigentum, 44.

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Aus der Erkenntnis, daß die Wesensgehaltssperre nicht die Rechtstellung des einzelnen unmittelbar, sondern das Institut Eigentum schützt, ergibt sich als weitere Folge, daß die Grenze zwischen bloßer Eigentumsbeschränkung und Enteignung nicht i n der Wesensgehaltssperre gefunden werden kann. Alle Versuche, die Enteignung als Eingriff i n den Wesensgehalt des Eigentums zu definieren, müssen als verfehlt bezeichnet werden 4 0 5 . Gesetze, die das Eigentum i n seinem Wesensgehalt treffen, sind nicht Enteignungsgesetze, sondern verfassungswidrig 408 . Wie jede Verfassungswidrigkeit kann auch diese nicht durch Entschädigung ausgeglichen werden 4 0 7 . Stellt man auf eine formale Enteignungstheorie ab, die i n der Rechtsübertragung das Merkmal der Enteignung sieht (klassische Enteignung) 408 , w i r d zwar durch die Enteignung dem bisherigen Eigentümer Ausschlußrecht und Sachherrschaft entzogen und dadurch die Privatnützigkeit des enteigneten Gegenstandes für den Eigentümer beseitigt, doch w i r d der Wesensgehalt des Eigentumsinstituts dadurch solange nicht beeinträchtigt als nicht die Privatnützigkeit für die gesamte Sachkategorie beseitigt wird. Charakterisiert man die Enteignung durch das ebenfalls formale Merkmal des Einzelakts, kann dadurch schon definitionsgemäß der Wesensgehalt nicht getroffen werden, w e i l der Einzelakt sich eben nicht auf sämtliche Eigentümer einer Sachkategorie beziehen kann. Bestimmt man die Enteignung dagegen nach an der Eingriffs- und Folgenschwere orientierten Zumutbarkeitskriterien, kann ein Eingriff schon enteignende Schwere erreichen, ohne daß die privatnützige Sachherrschaft für den einzelnen gänzlich beseitigt ist, ganz abgesehen davon, daß sich nach der vertretenen Konzeption die Frage der Wesensgehaltsverletzung erst bei der Beseitigung der Privatnützigkeit einer geschlossenen und vollständigen Sachkategorie stellen würde. Die Grenze zwischen bloßer (inhaltsbestimmender) Eigentumsbeschränkung und Enteignung muß daher unabhängig von der Wesensgehaltssperre gefunden werden. Die kritische Analyse der bisher dieser Frage gewidmeten Versuche steht daher i m Mittelpunkt des nächsten Abschnittes. 405 So aber Scheuner, i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 109; Schneider, Entschädigungsansprüche wegen Straßenverkehrs, M D R 1965, S. 439; Ipsen, Rechtsfragen der Investitionshilfe, AöR 78 (1952/53), S. 284 (322); Kreft, Aufopferung u n d Enteignung (1968), S. 21, 23 f.; aber auch B G H 30.4.1964 (Bärenbaude-Fall), Warneyers Rspr. 1964, Nr. 122, 272; B G H 4.2.1957, VerwRspr. 9, Nr. 76, 342; B G H 9.12.1957, VerwRspr. 10, Nr. 121, 472; B G H 4.2.1957, Β G H Z 23, 32; aber auch noch i n jüngster Zeit B G H 25.1.1973, Β G H Z 60, 145 (147); B V e r w G 28.4.1959, B V e r w G E 8, 277, vgl. dazu eingehend unten unter I I , B, 3, b, ee. 406 So auch Forsthoff, Verwaltungsrecht I 9 , S. 315; Kaiser, i n : Staat u n d Privateigentum, S. 33 F N 134; 40, 42; Schuhmacher, Der Begriff der E n t eignung, N J W 1951, S. 53 ff. (56); Kimminich, i n : Zweitbearbeitung des Bonner K o m m . z. GG, Randnr. 50 zu A r t . 14; Jäckel, Grundrechtsgeltung S. 58, F N 37. 407 Dies übersieht Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 140), w e n n er Eingriffe, die den Wesensgehalt verletzen durch A r t . 14 GG legitimiert sieht. 408 Siehe unten unter I I , A , 2, c.

I I . Die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung in der bisherigen Lehre und Judikatur A . D e r v e r b a l - h i s t o r i s c h - f o r m a l e E n t e i g n u n g s b e g r i f f des V e r f G H 1. Die historische Dimension des Enteignungsbegriffes in der Judikatur des VerfGH D e r V e r f G H b i l d e t d e n E n t e i g n u n g s b e g r i f f n a c h K r i t e r i e n , die er i n e i n e r historischen B e t r a c h t u n g s w e i s e als f ü r d e n B e g r i f f d e r E n t e i g n u n g wesentlich' e r k a n n t h a t 1 . W e n n auch der V e r f G H i n z a h l r e i c h e n E r k e n n t n i s s e n n u r a p o d i k t i s c h festgestellt h a t , daß eine b e s t i m m t e M a ß n a h m e „niemals unter den E n t e i g n u n g s b e g r i f f i m S i n n e des § 365 A B G B u n d s o m i t auch i m S i n n e des A r t . 5 S t G G s o w i e des A r t . 10 A b s . 1 Ζ 6 B . - V G g e f a l l e n i s t " 2 , h a t er i n a n d e r e n E r k e n n t n i s s e n 3 d e u t l i c h z u m A u s d r u c k gebracht, d a ß er 1 V e r f G H 17.12.1955, VerfGHSlg. 2934/1955; V e r f G H 19.12.1959, VerfGHSlg. 3666/1959; V e r f G H 15.3.1961, VerfGHSlg. 3923/1961; V e r f G H 18.6.1962, VerfGHSlg. 4211/1962; V e r f G H 2.12.1961, VerfGHSlg. 4086/1961; V e r f G H 16.12.1961, VerfGHSlg. 4127/1961; V e r f G H 22.3.1962, VerfGHSlg. 4149/1962; V e r f G H 23.6.1962, VerfGHSlg. 4225/1962; V e r f G H 23.6.1962, VerfGHSlg. 4226/1962; V e r f G H 27.9.1965. VerfGHSlg. 5051/1965; V e r f G H 14.10.1965, VerfGHSlg. 5105/1965; V e r f G H 13.10.1966, VerfGHSlg. 5369/1966; V e r f G H 10.12.1968, VerfGHSlg. 5858/1968; V e r f G H 3.3.1971, VerfGHSlg. 6390/1971. Daß f ü r die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung nach Auffassung des V e r f G H das historische Erscheinungsbild der Enteignung maßgebend ist, hebt auch Welan, ÖJZ 1972, 369 (370) hervor. Unzutreffend ist die Ansicht Stolzlechners (ÖZW 1975, S. 40), daß der V e r f G H die N o t wendigkeit der historischen Auslegung des grundrechtlichen Enteignungsbegriffes n u r dann hervorhebt, w e n n es darum geht, unter diesen Begriff A b gaben zu subsumieren. So inkonsequent ist der V e r f G H nicht. Zahlreiche E r kenntnisse, i n denen der V e r f G H den Enteignungsbegriff ausdrücklich historisch interpretiert, haben keineswegs Abgaben zum Gegenstand (vgl. etwa VerfGHSlg. 3666; VerfGHSlg. 3923; VerfGHSlg. 4127; VerfGHSlg. 5105; VerfGHSlg. 5369; VerfGHSlg. 6390). Daß der V e r f G H bei der Frage des öffentlichen Wohles als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung nicht historisch interpretiert, w i e Stolzlechner hervorhebt, ist n u r f ü r die frühere J u d i k a t u r zutreffend. Seit VerfGHSlg. 5617/1967 u n d 5807/1968 n i m m t der V e r f G H auch f ü r diese Frage auf den „Stand der Rechtsordnung", nämlich auf § 365 A B G B , Bezug. Richtig ist die Beobachtung Stolzlechners, daß der V e r f G H bei der Entschädigungsfrage u n d bei der Legalenteignung — methodisch inkonsequent — nicht historisch, sondern objektiv-grammatisch interpretiert hat. 2 VerfGHSlg. 3923/1961; VerfGHSlg. ähnlich auch VerfGHSlg. 3666/1959. 3 VerfGHSlg. 2934/1955; VerfGHSlg.

4225/1962; VerfGHSlg.

4226/1962;

4086/1961; VerfGHSlg.

4127/1961;

138

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

auch für die Interpretation des Enteignungsbegriffes auf die Versteinerungstheorie abstellt. Demgemäß hat der VerfGH das Eintrittsrecht einer Gemeinde i n abzuschließende Kaufverträge über Grundstücke 4 , die Beschränkung der Freiheit nach Belieben ein Grundstück 5 einzuzäunen®, Geldleistungen an die öffentliche Hand, wie Steuern, öffentlich-rechtliche Mitgliedsbeiträge und Sozialversicherungsbeiträge 7 , die m i t den Rückstellungsmaßnahmen nach A r t . 26 Ζ 2 StV 1955 und dem Auffangorganisationsgesetz verbundene Vernichtung von Rechtsgeschäften 8, die Zahlung einer Ausgleichstaxe nach dem Invalideneinstellungsgesetz 9 , das gesetzlich normierte Erlöschen einer radizierten Gewerbeberechtigung 10 und die Verpflichtung zur Zahlung der vom Vorpächter schuldig gebliebenen Sozialversicherungsbeiträge durch den Betriebsnachfolger 11 nicht als Enteignungen »angesehen, w e i l diese Maßnahmen keinem am 1. Oktober 192512 bekannten Enteignungsfall i n der österreichischen Rechtsordnung rechtsähnlich waren. Dagegen hat der VerfGH den Enteignungscharakter einer zwangsweisen Entziehung des Eigentums an einer bestimmten Grundfläche zugunsten einer namentlich genannten Gebietskörperschaft unter Hinweis auf die am 1. 10. 1925 geltende Rechtsordnung zutreffend bejaht 1 8 .

VerfGHSlg. 4149/1962; VerfGHSlg. 5051/1965; VerfGHSlg. 5105/1965; V e r f G H Slg. 5369/1966; V e r f G H 3. 3.1971, VerfGHSlg. 6390. 4 VerfGHSlg. 2934/1955. 5 VerfGHSlg. 3923/1961; VerfGHSlg. 4225/1962; VerfGHSlg. 4226/1962. β Vgl. dazu I. A . 5 i n F N 189. 7 VerfGHSlg. 4086/1961; VerfGHSlg. 5051/1965; VerfGHSlg. 5858/1968. 8 VerfGHSlg. 4127/1961. 9 VerfGHSlg. 4149/1962. 10 VerfGHSlg. 5105/1965. 11 VerfGHSlg. 5369/1966. 12 Daß der V e r f G H bei der Auslegung des Enteignungsbegriffes i n A r t . 5 StGG den 1.10.1925 als „Versteinerungszeitpunkt" heranzieht, ist w o h l w i l l kürlich, w e i l an diesem Tag zwar die Kompetenzartikel des B . - V G i n K r a f t getreten sind, das StGG 1867 jedoch bereits seit dem 1.10.1920 gemäß A r t . 149 B . - V G als Verfassungsgesetz des Bundes gilt. Daraus ergibt sich, daß f ü r die Auslegung des Enteignungsbegriffes i n A r t . 5 StGG als Versteinerungszeitp u n k t der 1.10.1920, f ü r die Interpretation des Enteignungsbegriffes i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 jedoch der 1.10.1925 heranzuziehen wäre. Der Sache nach ergibt sich jedoch daraus kein Unterschied, da sich der Enteignungsbegriff i n den Jahren 1920 - 1925 auf G r u n d der damals geltenden Enteignungsbestimmungen nicht geändert hat. 18 VerfGHSlg. 3666/1959.

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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2. Die einzelnen Merkmale des Enteignungsbegriffes in der Judikatur des VerfGH

I m folgenden gilt es zu untersuchen, nach welchen Kriterien der VerfGH einen staatlichen Eingriff unter den auf seine historische Erscheinungsform zu beschränkenden Enteignungsbegriff subsumiert. a) Enteignung nur auf Grund oder auch unmittelbar

durch Gesetz?

I n seiner früheren Judikatur hat der VerfGH die Auffassung vertreten, daß eine Enteignung i m juristischen Sinn nur dann vorliegt, wenn durch einen Verwaltungsakt, nicht aber wenn durch' eine generelle Norm i n das Privateigentum eingegriffen wird 1 4 . Von dieser A n sicht ist der VerfGH — ohne dies freilich zu begründen — i m Jahre 195515 abgegangen und er hat es für den Begriff der Enteignung „ i m engeren Sinn" genügen lassen, daß auf Grund oder unmittelbar durch Gesetz i n das Privateigentum eingegriffen wird 1 8 . I n VerfGHSlg. 3118/ 1956 hat er diese Ansicht zu begründen versucht. Die Begründung muß jedoch als verfehlt bezeichnet werden 17 . Nur i n diesem Erkenntnis hat der VerfGH ausdrücklich eine historische Auslegung des Enteignungsbegriffes abgelehnt 18 . U m die Verstaatlichung als verfassungsmäßige Enteignung qualifizieren zu können, hat er die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Legalenteignung durch· eine rein grammatische Interpretation des A r t . 5 StGG begründet. A r t . 5 StGG — so führte der VerfGH aus — lasse nicht zwingend den Schluß zu, daß es dem Gesetzgeber verwehrt wäre, unmittelbar Enteignungen auszusprechen. Rechtswissenschaftliche Gründe, die den VerfGH bewogen haben, m i t der von i h m herangezogenen historischen Interpretation zu brechen, lassen sich nicht finden. Meines Erachtens hätte der VerfGH auch aufgrund einer historischen Interpretation die Anerkennung der Legalenteignung begründen können. Er hätte lediglich darauf verweisen müs14 V e r f G H 15.12.1924, VerfGHSlg. 360/1924; V e r f G H 13.12.1928, V e r G H Slg. 1123/1928. 15 VerfGHSlg. 2934/1955. 16 Vgl. dazu auch oben I, A , 3 bei u n d i n F N 39. So auch schon i m Ansatz V e r f G H 18.10.1952, VerfGHSlg. 2431/1952; V e r f G H 24.6.1954, VerfGHSlg. 2680/1954. 17 Soweit sich der V e r f G H zur Stützung seiner Ansicht auf die „neuere österreichische Verwaltungsliteratur" stützt, haben schon Ermacora / K l e catsky / Ringhof er, ÖJZ 1959, S. 8 auf die mangelnde Beweiskräftigkeit dieser Argumente verwiesen. Kritisch zu VerfGHSlg. 3118/1956 unter besonderem Hinweis auf den Bruch m i t dem ansonsten v o m V e r f G H vertretenen historischen Verständnisses des Enteignungsbegriffes Welan, ÖJZ 1972, S. 369 ff. (374). 18 Dazu, daß der V e r f G H i n seiner späteren Judikatur wieder f ü r eine streng historische Interpretation des Enteignungsbegriffes eingetreten ist vgl. die i n F N 1 angegebenen Erkenntnisse.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

sen, daß es i n der österreichischen Rechtsordnung bereits vor Inkrafttreten der Bundesverfassung Fälle von Legalenteignungen gegeben hat 1 9 , die der Bundesverfassungsgesetzgeber vorgefunden hätte. Dadurch wäre es dem VerfGH möglich gewesen, ohne methodischen Bruch die Verstaatlichung als verfassungsmäßige Legalenteignung zu qualifizieren. Abgesehen von der problematischen Begründung dieser Judikatur kann es jedoch heute als gesichert gelten, daß es dem VerfGH für den Enteignungscharakter eines Eingriffes nicht darauf ankommt, ob der Eingriff auf Grund eines Gesetzes oder unmittelbar durch Gesetz erfolgt ist 20 . b) Die Art des Eingriffs Ob der VerfGH den vollständigen Entzug eines Rechtes als begriffsnotwendiges Merkmal der Enteignung ansieht, oder ob auch schon die bloße Schmälerung eines Rechts seiner Ansicht nach eine Enteignung darstellt, kann aus der i n dieser Frage schwankenden Judikatur nicht m i t Sicherheit festgestellt werden. I n einer Reihe von Entscheidungen hat der VerfGH die Enteignung als Entzug eines Rechtes definiert und damit den Enteignungscharakter eines staatlichen Eingriffs nur bei vollständiger Rechtsvernichtung für den einzelnen angenommen 21 . Dagegen hat er i n anderen Erkenntnissen die Enteignung als Entzug oder Schmälerung von Rechten umschrieben 22 . Meines Erachtens ist es zutreffend, u. U. auch die bloße Schmälerung eines Rechts als Enteignung zu qualifizieren 23 . Soweit nämlich der VerfGH nur die vollständige Entziehung eines Rechts als Enteignung anerkennt, setzt er sich i n auffallenden Widerspruch zu seiner ansonsten vertretenen historischen Interpretation des 19 So ζ. B. HabsburgerG StGBl. 209/1919; G ν. 11. 2.1920 zur Durchführung der A r t . 191 u n d 192 des StV v. St. Germain StGBl. 67/1920. 20 Die Legalenteignung w i r d v o m V e r f G H i n ständiger J u d i k a t u r als zulässige F o r m der Enteignung anerkannt: VerfGHSlg. 1853/1949; VerfGHSlg. 2680/1954; VerfGHSlg. 2934/1955; VerfGHSlg. 3118/1956; VerfGHSlg. 4570/ 1963. 21 VerfGHSlg. 1123/1928; VerfGHSlg. 4378/1963; VerfGHSlg. 5369/1966. So auch neuerdings Mayer-Maly, Rechtsfragen der Raumordnung, S.56f.; f. Deutschland Schack, Generelle Eigentumsentziehungen als Enteignungen N J W 1954, S. 577 ff. (allerdings unter Einschluß der einer „Entziehung gleichkommenden Beschränkung"); Haas, System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten, S. 36; Beschränkungen des Eigentums w i l l Haas, sofern damit eine Entwertung der Disposition des Eigentümers verbunden ist, als „Indienstnahme" nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten auf G r u n d eines allgemeinen Lastengleichheitssatzes entschädigen (S. 44 ff.). 22 VerfGHSlg. 1523/1946; VerfGHSlg. 2537/1953. 23 Α . A . jedoch Korn, Referat zum österreichischen Anwaltstag 1958, S. 28, der die Enteignung auf den Entzug von Rechten beschränken w i l l .

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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Enteignungsbegriffes. Denn schon das EisbEntG 1878 hat i n seinem § 2 die zwangsweise Begründung von Servituten, bei der von einem völligen Rechtsentzug keine Rede sein kann, 'als Enteignungstatbestand gekannt. Aber auch das Erfordernis eines effektiven Eigentumsschutzes verbietet es, den Enteignungsbegriff auf Eigentumsentziehungen zu beschränken. Denn solange dem Eigentümer die nuda proprietas belassen wird, ist sein Eigentumsrecht geschmälert, aber nicht entzogen. Das hätte zur Folge, daß selbst schwerwiegendste Eigentumsbeeinträchtigungen keine Enteignungen wären, solange dem Eigentümer die formale Rechtsträgerschaft erhalten bliebe. Damit wären derartige Beeinträchtigungen nicht nur von der Entschädigungspflicht ausgenommen. Da Eigentumsbeschränkungen nur Ausgestaltungen der dem Eigentum immanenten Sozialbindung darstellen, wären bei derartigen Maßnahmen an das Vorliegen des öffentlichen Interesses als deren Zulässigkeitsvoraussetzung geringere Anforderungen zu stellen, >als bei Enteignungen 24 , obwohl sie i n ihrer wirtschaftlichen Folgenschwere einer Enteignung gleichkommen würden. c) Die Rechtsübertragung

als Merkmal der Enteignung?

Der VerfGH v e r t r i t t überwiegend die Auffassung, daß eine Enteignung nur dann vorliegt, wenn ein Recht entweder auf den Staat, eine öffentliche Korporation oder auf eine gemeinnützige Unternehmung übertragen wird 2 5 . I n zwei Erkenntnissen ist der VerfGH jedoch von dieser Ansicht abgegangen. I n VerfGH 2934/1955 hat er auch staatliche Eingriffe als Enteignung qualifiziert, durch die ein Recht an einer fremden Sache zugunsten eines gemeinnützigen Rechtsträgers begründet wird 2 8 . Noch weiter hat er sich i n einem späteren Erkenntnis aus dem Jahre 196327 von der „Übertragungstheorie" entfernt. Nach diesem Erkenntnis liegt eine Enteignung dann vor, wenn durch' einen staatlichen Eingriff ein Recht auf eine andere Person übertragen oder „auch sonst überhaupt dem Beschwerdeführer entzogen" wird. Dieser Umschreibung des Enteignungsbegriffes kann — sieht man davon ab, daß der VerfGH hier wieder auf den „Rectitsentzug" als Enteignungsmerkmal abstellt, zugestimmt werden. Es würde nämlich der Verfassungsschutz des Eigentums entscheidend geschwächt, wenn es darauf ankommen sollte, ob das entzogene Recht auf ein anderes Rechtssubjekt übertragen wird. Wenn 24

Siehe dazu oben I, A , 4 i n F N 167 a. VerfGHSlg. 1123/1928; VerfGHSlg. 1853/1949; VerfGHSlg. VerfGHSlg. 5369/1966. 26 Z. B. zwangsweise Servitutenbegründung. 27 VerfGHSlg. 4378/1963. 25

5105/1965;

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

der Schutzzweck des A r t . 5 StGG ernst genommen werden soll, kann es nicht darauf ankommen, ob ein anderer das Recht des betreffenden Eigentümers erwirbt, oder ob es erlischt' 28 . Aus der Sicht der Eigentumsgarantie kann es nur darauf ankommen, ob dem Eigentümer sein Recht entzogen oder i n besonders schwerem Maße beeinträchtigt wird 2 9 . Es muß jedoch bezweifelt werden, ob der VerfGH zu dieser zutreffenden Umschreibung des Enteignungsbegriffes zurückkehrt. I n späteren Erkenntnissen hat er nämlich wieder auf die Rechtsübertragung als Merkmal der Enteignung abgestellt 30 . d) Die „Vermögensverschiebung"

als Merkmal der Enteignung?

Seit dem Erkenntnis vom 27. 6. 1963 (VerfGHSlg. 4475/1962) nimmt der VerfGH das Vorliegen einer Enteignung dann an, wenn durch einen staatlichen Eingriff eine „Vermögensverschiebung" bewirkt wurde 3 1 . Da diesem Begriff allein keine Aussagekraft zukommt, soll der Bedeutungsinhalt dieses Abgrenzungskriteriums an Hand der Fälle geklärt werden, i n denen der VerfGH m i t diesem K r i t e r i u m die Enteignung von der bloßen Eigentumsbeschränkung unterschieden hat. I n VerfGHSlg. 4908/1957 sah der Beschwerdeführer i n den Beschränkungen, die § 4 Salzb. NaturschutzG dem Eigentümer auferlegt (ζ. B. Eingriffe i n Naturdenkmäler nur nach vorheriger Genehmigung der Landesregierung, Anmeldepflicht bei Veräußerung, Vermietung und Verpachtung des Naturdenkmales) eine verfassungswidrige Enteignung. Der VerfGH verneinte das Vorliegen einer Enteignung, da m i t den i n Betracht kommenden Anordnungen des Salzburger NaturschutzG keinerlei Vermögensverschiebung verbunden sei. I m Erkenntnis VerfGHSlg. 5208/1966 sah der VerfGH i n einem Bescheid, m i t dem dem Beschwerdeführer aufgetragen wurde, entsprechend dem nöG über die Beschränkung des Auspflanzens von Weinreben, demgemäß Anpflanzungen von Weinreben von mehr als 6000 m 2 28 So auch Koziol, JB1. 1966, S. 334; Bydlinski i n : Rechtsprobleme der Planungsfolgen S. 44 f. 29 Daß es f ü r die Enteignung n u r darauf ankommt, i n welcher Intensität u n d m i t welchem Erfolg ein staatlicher Eingriff dem einzelnen Rechte entzieht oder Rechte beschränkt u n d nicht, ob dadurch Rechte auf andere Rechtssubjekte übertragen oder Rechte anderer Rechtssubjekte begründet werden, verkennt auch Layer (Principien des Enteignungsrechts [1902] S. 19 f., S. 660), w e n n er die Enteignung als Aufhebung von Rechten zum Zwecke der gleichzeitigen Begründung von Rechten für einen D r i t t e n auf G r u n d des öffentlichen Interesses bzw. als Begründung öffentlicher Rechte unter Aufhebung individueller Rechte definiert. 80 Vgl. dazu i n F N 25 angegebenen Erkenntnisse. 81 VerfGHSlg. 4908/1965; VerfGHSlg. 5208/1966; VerfGHSlg. 5378/1966; V e r f G H 3. 3.1971, VerfGHSlg. 6390.

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verboten sind, darüber hinausgehende Auspflanzungen zu roden, lediglich eine Eigentumsbeschränkung, da dadurch keine für das Vorliegen einer Enteignung notwendige Vermögensverschiebung herbeigeführt werde. Ebenso hat der VerfGH die Verfügungsbeschränkungen, die dem Eigentümer durch die Bestellung eines öffentlichen Verwalters nach dem VerwalterG 1952 auferlegt werden nicht als Enteignung qualifiziert, da keine Vermögensverschiebung vorliegt, weil die Befugnisse des bisherigen Verfügungsberechtigten während der Dauer der öffentlichen Verwaltung lediglich zum Ruhen gebracht werden 32 . Es fällt auf, daß i n all diesen Fällen keine endgültige Rechtsübertragung auf einen anderen Rechtsträger erfolgt ist. Dies läßt den Schluß zu, daß dem Abgrenzungskriterium der „Vermögensverschiebung" die gleiche verfehlte Ansicht des VerfGH zugrunde liegt, daß eine Enteignung nur bei Vorliegen einer endgültigen Rechtsübertragung gegeben ist, die schon i m Rahmen der K r i t i k an der „Übertragungstheorie" des VerfGH abgelehnt wurde. Auch der Ausdruck „VermögensVerschiebung" deutet darauf hin, daß ein bisher dem Enteigneten zukommendes vermögenswertes Recht aufgrund eines staatlichen Eingriffs nun einem anderen Rechtsträger zugehört. Daß der VerfGH damit zum Ausdruck bringen wollte, daß nur der vollständige und endgültige Rechtsentzug eine Enteignung darstellt, kann nicht angenommen werden. Denn auch m i t der Schmälerung der Rechte des einen Rechtssubjekts kann eine „Verschiebung" der durch den staatlichen A k t eingeschränkten Befugnisse auf den begünstigten Rechtsträger verbunden sein. Es liegt aber auch auf der Hand, daß der Begriff „Vermögensverschiebung" nicht m i t Vermögenseinbuße 'auf Seiten des Berechtigten gleichgesetzt werden darf. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Verbot, Weinreben über ein bestimmtes Höchstmaß auszupflanzen, die Versagung der Erlaubnis, sein Grundstück i n bebauungsfähige Parzellen abzuteilen, oder der auch nur zeitlich beschränkte Entzug der Dispositionsbefugnis über die i m Eigentum des Betroffenen stehenden Güter, eine Vermögenseinbuße darstellt. Gerade i n solchen Fällen hat aber der VerfGH das Vorliegen einer Vermögensverschiebung verneint. Freilich ist gerade i n diesen Fällen 3 3 m i t der Vermögenseinbuße des beeinträchtigten Eigentümers kein Vermögenszuwachs auf Seiten eines bestimmten Rechtsträgers gegeben, so daß es denkbar wäre, daß der VerfGH deshalb durch den staatlichen Eingriff keine Vermögensverschiebung bewirkt sah. Damit würde aber der VerfGH nur eine andere 82 83

VerfGHSlg. 5378/1966. Siehe die i n F N 31 angegebenen Erkenntnisse.

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Spielart der „Übertragungstheorie" vertreten, wenn es für den Enteignungscharakter eines staatlichen Eingriffes darauf ankommen soll, ob sich die durch den Eingriff bewirkte Vermögenseinbuße des bisherigen Rechtsträgers i n einem Vermögensvorteil eines anderen Rechtsträgers niederschlägt. Aus all dem ergibt sich, daß der VerfGH auch m i t dem Abgrenzungskriterium der „Vermögensverschiebung" i n Wahrheit auf die Übertragung eines Rechts oder zumindest auf den E i n t r i t t eines Vermögensvorteiles bei einem bestimmten Rechtsträger, der dem Vermögensnachteil des enteigneten Eigentümers entspricht, abstellt 34 . 3. Der Enteignungsbegriff des VerfGH. Zusammenfassende Kritik

Es kann zusammenfassend festgehalten werden, daß der VerfGH das Vorliegen einer Enteignung dann annimmt, wenn ein dem allgemeinen Besten dienender staatlicher Eingriff, sei es unmittelbar durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes durch Verwaltungsakt eine Entziehung oder Schmälerung eines privaten Vermögensrechtes bewirkt, sofern damit die Übertragung eines Rechts oder eines Vermögensvorteils auf einen anderen Rechtsträger verbunden ist. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß ein solcher Enteignungsbegriff keineswegs dem Schutzzweck des A r t . 5 StGG entspricht. Wenn der VerfGH für das Vorliegen der Enteignung darauf abstellt, ob das dem von der staatlichen Maßnahme Betroffenen entzogene Recht auf ein anderes Rechtssubjekt übertragen worden ist, sind alle Eingriffe — w e i l bloße Eigentumsbeschränkungen — entschädigungslos hinzunehmen, die dem Eigentümer zwar sämtliche Ausübungsbefugnisse nehmen, i h m jedoch das „nudum ius" belassen. Aber selbst der vollständige Rechtsentzug wäre nach der Judikatur des VerfGH keine Enteignung, soferne nicht einem anderen Rechtsträger daraus ein Vermögensvorteil erwächst. Es liegt auf der Hand, daß bei Zugrundelegung dieses Enteignungsbegriffes der Eigentumsschutz qua verfassungsrechtlich gewährleisteter Entschädigungspflicht praktisch leerlaufen würde. Der Grund für diese formale und unzutreffende Unterscheidung zwischen Eigentumsbeschränkung und Enteignung ist darin zu sehen, daß der VerfGH i n unzulässiger Weise 35 den m i t Hilfe der Versteinerungstheorie gebildeten3® kompetenzrechtlichen Enteig34 Diesen Zusammenhang übersieht Anderluh, Die Wandlung des E n t eignungsbegriffes, JB1. 1963, S. 603 ff. (604), der annimmt, daß der V e r f G H heute nicht mehr auf die Rechtsübertragung als M e r k m a l der Enteignung abstellt. 35 Siehe dazu oben I, A , 5 bei F N 190. 36 Siehe zum I n h a l t der Versteinerungstheorie oben I , A , 5 i n F N 191.

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nungsbegriffs auf den Enteignungsbegriff i n A r t . 5 StGG überträgt. Verhängnisvoll ist für den Eigentumsschutz i n A r t . 5 StGG nicht die historische Dimension der Versteinerungstheorie, sondern i h r Charakter als eine auf juristischer Etymologie aufbauende Verbalinterpretation 3 7 , die den VerfGH einen rein deskriptiven Enteignungsbegriff bilden läßt, der zwar seiner Kompetenzabgrenzungsfunktion i n A r t . 10 Abs. 1 Ζ 6 B.-VG, nicht aber der Eigentumsschutzfunktion i n A r t . 5 StGG genügen kann. Es mag durchaus zutreffen, daß i n dem vom VerfGH angenommenen Versteinerungszeitpunkt (1. 10. 1925)38 bei allen damals i n den speziellen Enteignungsgesetzen normierten Enteignungstatbeständen m i t dem staatlichen Eingriff eine Rechtsübertragung an einen anderen Rechtsträger verbunden war. Eigentumsbeeinträchtigungen, die den Eigentümer i n der Ausübung seines Rechts derart beschränken, daß nur mehr ein nudum ius übrig bleibt, ohne daß aber das Recht „an sich" auf ein anderes Rechtssubjekt übertragen w i r d (ζ. B. Eigentumsbeeinträchtigungen durch Flächenwidmungs- und Bebauungspläne) sind i n der Tat erst i n der neueren Rechtsentwicklung zu finden. Solchen Eigentumsbeeinträchtigungen rechtsähnliche Fälle i n der Rechtsordnung von 1925 zu finden, w i r d nicht gelingen. Das darf aber nicht dazu führen, daß solche Eigentumsbeeinträchtigungen schon deshalb vom Enteignungsbegriff ausgenommen werden. Zu diesem Ergebnis gelangt man freilich durch eine reine Verbalinterpretation, die dem Begriff der Enteignung den Inhalt beimißt, den i h m die einfachgesetzliche Rechtslage zu dem Zeitpunkt gegeben hat, i n dem i h n der Verfassungsgesetzgeber gebraucht hat. Diese auf den juristischen Sprachgebrauch des Jahres 1925 abstellende Verbalinterpretation verstellt den Blick dafür, daß die verfassungsrechtliche Entschädigungsgewährleistung nicht vor staatlichen Eingriffen kapitulieren kann, die — wirtschaftlich — wie „klassische Enteignungen" wirken, indem sie dem Betroffenen nur noch das nudum ius am Eigentumsgegenstand oder eine völlig unwirtschaftliche Nutzung belassen, jedoch — anders als die klassische Enteignung — des formalen Elements der Rechtsübertragung entbehren 39 . 37 Siehe dazu I, A , 5 F N 192 und insb. Walter, österreichisches Bundesverfassungsrecht, S. 93. 38 Siehe zum Versteinerungszeitpunkt I I , A , 1 i n F N 12. 39 Angesichts dieser Einwände gegen die Übertragungstheorie n i m m t es nicht wunder, daß sie heute i n der deutschen Lehre nicht mehr vertreten w i r d . Der „Übertragungstheorie" k o m m t dort n u r mehr historische Bedeutung zu. „Rechtsübertragung" w a r nämlich ein begriffsnotwendiges M e r k m a l der sogenannten „klassischen" Enteignung des 19. Jahrhunderts, nach dem ein staatlicher Eingriff dann als entschädigungspflichtige Enteignung zu qualifizieren war, w e n n damit eine Übereignung von Grundeigentum durch gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt auf ein aus Gründen des öffentlichen Wohles begünstigtes Unternehmen verbunden w a r (vgl. zum klassischen Enteignungsbegriff statt vieler Kimminich, i n : Zweitbearbeitung d. Bonner

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

K o m m . z. GG, Randnr. 42 zu A r t . 14). Jedoch hatte schon das RG durch seine J u d i k a t u r diesen Enteignungsbegriff bald modifiziert. Abgesehen davon, daß es schon kurz nach dem 1. Weltkrieg nicht n u r das Grundeigentum sondern jedes Vermögenswerte Privatrecht i n die Eigentumsgarantie einbezogen hat (vgl. dazu RGZ 103, S. 200; RGZ 105, S. 251; RGZ 107, S. 370 ff. [375]; RGZ 109, S. 310 ff. [319]; RGZ 111, S. 320 ff. [328]; RGZ 129, S. 146) hat es auch bereits Legalenteignungen anerkannt (vgl. dazu RGZ 103, S. 200; RGZ 111, S. 320 ff. [325]. Des weiteren hat das R G auch das M e r k m a l der Zweckgebundenheit der E n t eignung f ü r ein bestimmtes Unternehmen aufgegeben u n d es hat Eigentumsbeeinträchtigungen, die lediglich i m Interesse der Allgemeinheit erfolgten, unter dem Gesichtspunkt der Entschädigungsgarantie des A r t . 153 W R V überprüft [vgl. dazu RGZ 116, S. 268]. Endlich hat das H G auch auf die Überführung des entzogenen Rechts auf einen Begünstigten, die M. Wolff [in: FS K a h l (1923) S. 70], aber auch Anschütz [Die Verfassungsurkunde f ü r den preußischen Staat I, S. 165] noch als ein begriffsnotwendiges M e r k m a l der Enteignung angesehen hatte, verzichtet u n d ließ Rechtsentzug und Beschränkung von Rechten ohne Übertragung auf einen D r i t t e n f ü r den Enteignungscharakter eines staatlichen Eingriffs genügen [vgl. dazu RGZ 126, S. 268 ff. (272); RGZ 128, S. 165ff. (171); RGZ 129, S. 146ff. (148)]. So konnte denn auch das RG die Enteignung als staatlichen Hoheitsakt, der sich gegen eine bestimmte Person, oder einen bestimmt begrenzten Personenkreis richtet und durch den ein subjektives Recht zugunsten eines D r i t t e n entzogen oder beschränkt w i r d , definieren (RGZ 135, S. 308 ff. [311]). Diese Entwicklung hat C. Schmitt freilich als „Auflösung des Enteignungsbegriffes" beklagt (C. Schmitt, Die Auflösung des Enteignungsbegriffs, J W 1929, S. 495 ff.) u n d er ist dafür eingetreten, das M e r k m a l der „gegenständlichen Überführung" f ü r den Enteignungsbegriff beizubehalten. D a r i n ist i h m aber — sieht man von Greiner, Wiederbelebung des klassischen Enteignungsbegriffes, D Ö V 1954, S. 583 (586) u n d einer E n t scheidung des L G D o r t m u n d B B 1950, S. 408 ab — weder die Lehre noch die Judikatur gefolgt. Selbst die Autoren, die f ü r eine Rückkehr zum „klassischen Enteignungsbegriff" eintreten, weisen ausdrücklich darauf hin, daß man das K r i t e r i u m der Enteignung nicht mehr i n der Rechtsübertragung oder i n der wirtschaftlichen Überführung i n das Vermögen eines Begünstigten sehen k a n n (Dürig, Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff, JZ 1954, S. 4 ff. [9] ; Schach, Generelle Eigentumsentziehungen als Enteignimg, N J W 1954, S. 577 ff. [579]). Gegen die Übertragungstheorie vgl. statt vieler Weber, Z u r Problematik von Enteignung u n d Sozialisierung nach dem neuen Verfassungsrecht, N J W 1950, S. 401 ff. (402); Schuhmacher, Der Begriff der E n t eignung N J W 1951, S. 53; Scheuner i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 99). Das M e r k m a l der Rechtsübertragung als K o n s t i tuens des Enteignungsbegriffes gehört i n der deutschen Lehre m i t Recht der Vergangenheit an. Anders verhält es sich jedoch i n der österreichischen Lehre. Nicht n u r der V e r f G H sieht — wie soeben gezeigt wurde — i n der Rechtsübertragung bzw. i n der Vermögensverschiebung ein Begriffsmerkmal der Enteignung. Auch i n der neueren Lehre w i r d m i t u n t e r noch die Rechtsübertragung als f ü r die E n t eignung begriffsnotwendig angesehen (so z.B. Rosenzweig, Enteignung u n d öffentliches Interesse JB1. 1950, S. 49 ff. [52]; Wresounig, Der E n t w u r f einer Bauordnung f ü r die Steiermark u n d der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz JB1. 1967, S. 126 ff. [130]; Hellbling, Gedanken zum Enteignungsproblem, JB1. 1960, S. 353 ff. [354]; schwankend Ermacora, der zwar einerseits ausdrücklich auf die Rechtsübertragung als Wesensmerkmal der Enteignung abstellt [Handbuch S. 149, S. 160], andererseits schon dann eine Enteignung annimmt, w e n n ein einzelnes Privatrecht n u r entzogen w i r d [a. a. O. 148]). I n neuerer Zeit hat vor allem Unkart (Raumplanung u n d Eigentumsgarantie, JB1. 1966, S. 298 ff. [301]) auf die Rechtsübertragung als Wesensmerkmal der Enteignung abgestellt, u m Raumpläne, m i t denen Bebauungs- u n d V e r äußerungsverbote verbunden sind, mangels Rechtsübertragung als bloße Eigentumsbeschränkungen qualifizieren zu können. Da Unkart jedoch seine

I I . Bisherige Lehre u n d J u d i k a t u r

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D u r c h das A b s t e l l e n a u f e i n e n — w i e i c h m e i n e v e r z e i c h n e t e n — h i s t o r i s c h e n E n t e i g n u n g s b e g r i f f ist der V e r f G H der M ü h e e n t h o b e n , nach a n d e r e n K r i t e r i e n z u suchen, m i t d e n e n eine A b g r e n z u n g der E n t e i g n u n g v o n der E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g g e l i n g e n k ö n n t e . D e s h a l b h a t er auch noch n i e z u d e n A b g r e n z u n g s v e r s u c h e n S t e l l u n g g e n o m m e n , die i n der österreichischen L e h r e e n t w i c k e l t w o r d e n sind.

B. Die Abgrenzungsversuche der deutschen Lehre und Judikatur und ihr Einfluß auf die österreichische Lehre S o w e i t sich die österreichische L e h r e u m die A b g r e n z u n g zwischen E n t e i g n u n g u n d E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g b e m ü h t , ü b e r n i m m t sie z u m g r ö ß t e n T e i l die Ergebnisse der deutschen L e h r e u n d J u d i k a t u r . Ü b e r w i e g e n d w i r d die S o n d e r o p f e r t h e o r i e v e r t r e t e n 4 0 . N u r v e r e i n z e l t i s t Ansicht — sieht man von seinem Hinweis auf den Enteignungsbegriff Erma coras ab — nicht näher begründet u n d die Übertragungstheorie bereits i n der Auseinandersetzung m i t dem Enteignungsbegriff des V e r f G H abgelehnt wurde, erübrigt es sich, auf die Auffassung Unkarts einzugehen, zumal bereits auf deren Unhaltbarkeit von Koziol, JB1. 1966, S. 334; Bydlinski i n : Hechtsprobleme der Planungsfolgen S. 26 (45); Wenger, Planungsmaßnahmen u n d Ausgleich von Planungsschäden aus öffentlich-rechtlicher Sicht, i n : Rechtsprobleme der Planungsfolgen S. 91 ff. (101), Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung S. 57 u n d Mayer-Maly, Rechtsfragen der Raumordnung (1972) S. 55, hingewiesen wurde. Gegen die Übertragungstheorie vgl. aus der österreichischen Lehre schon Binder, Die Entschädigung f ü r Flächenwidmungsänderungen, ÖJZ 1956, S. 146 ff. (149); Anderluh, Die Wandlung des Enteignungsbegriffs, JB1. 1963, S. 600 ff. (604). V o r dem zweiten Weltkrieg wurde auch i n der österreichischen Lehre die Übertragungstheorie des öfteren vertreten (so z. B. von Lanzer, Die neuen österreichischen Enteignungsgesetze ZB1. 1923, S. 98 ff. (101); Herrnritt, Eigentumsbegrenzung u n d Enteignung, JB1. 1931, S. 354 ff. (355); Lay er, Principien d. Enteignungsrechts, S. 19 f.; Grünhut, Das Enteignungsrecht (1873) S. 3; w o h l auch Reinitz, Das Expropriationsrecht der Eisenbahnen m i t besonderer Rücksicht auf Österreich ZB1. 1, S. 581 ff. (583); Swoboda, Entwicklung u n d Begriff der Enteignung, GZ 1919, S. 241 ff. (244). Anders freilich Prazak (Das Recht der Enteignung i n Österreich [1877] S. 18), der schon damals die E n t eignung als jene F u n k t i o n der V e r w a l t u n g bezeichnet hat, „ k r a f t welcher dieselbe i m Grunde freien Entschlusses ein dem einzelnen I n d i v i d u u m i n A n sehnung einer bestimmten Sache zustehenden Rechtes behufs Erreichung eines außerhalb des betreffenden Vermögensobjektes liegenden staatlichen, auf Beförderung der wirtschaftlichen Wohlfahrt gerichteten Zweckes zu Gunsten einer gemeinnützigen Unternehmung gegen Gewährung vollständiger Entschädigung aufhebt oder beschränkt" u n d damit auf die Rechtsübertragung als M e r k m a l der Enteignung verzichtet. Ebenso auch schon Randa, Das Eigentumsrecht S. 149, der die Enteignung als jene F u n k t i o n der Staatsverwaltung charakterisiert „ k r a f t welcher dieselbe unter freier A b wägung der Umstände Privatrechte an beweglichen oder unbeweglichen Sachen zu Gunsten einer gemeinnützigen Unternehmung gegen volle Entschädigung entzieht oder beschränkt" u n d weiter: „ M i t der Entziehung k a n n die gleichzeitige Übertragung des Rechts verbunden sein" (So auch Randa, Die Enteignung, GrünhutsZ X , S. 613). 40 So schon i m Ansatz Layer, Principien des Enteignungsrechts S. 451; Swoboda, Die Wandlung des Eigentumsbegriffs u n d deren Einfluß auf die

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

auch versucht worden, Jellineks Schutzwürdigkeitstheorie 41 und Reinhardts Privatnützigkeitstheorie 4 " 2 für das österreichische Recht fruchtbar zu machen. Ermacora 43 hat einen eigenständigen Abgrenzungsversuch beigetragen. Gschnitzer 44 und Bydlinski 45 treffen ausgehend von der Sonderopfertheorie die i n Frage stehende Unterscheidung unter Bedachtnahme auf die Schwere des Eingriffs i m Sinne der Zumutbarkeitstheorie. Freilich sind gerade die m i t dem Begriff der Sonderopfertheorie verbundenen Vorstellungen derart vielgestaltig, daß es notwendig erscheint, vorerst eine klare Begriffsbildung vorzunehmen, u m nicht i n dem „allgemeinen terminologischen und begrifflichen Nebel" zu versinken, „der sich seit 1919 i n zunehmendem Maße i n der Wissenschaft und i n der Rechtsprechung u m die Problematik von Enteignung und Sozialisierung gelegt hat" 4 6 . 1. Die ungleiche Belastung, das besondere Opfer als zutreffender Ansatzpunkt für die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung

Es gehört zum gesicherten Bestand der Enteignungsdiskussion, daß die Enteignung durch die Auferlegung eines besonderen Opfers gekennzeichnet ist, das der Enteignete i m Interesse de Allgemeinheit auf sich nehmen muß 4 7 . Damit verstoße eine solche Maßnahme gegen den Gundsatz, der Lastengleichheit, wenn nicht dem Enteigneten ein verGestaltung der Enteignung, ö A n w Z 1931, S. 321 ff. (326); neuerdings Klang i n Klang, Kommentar zum A B G B I I 2 , S. 190; Binder, Die Entschädigung f ü r Flächenwidmungsänderungen ÖJZ 1956, S. 146 ff. (149); Korn, Referat zum österreichischen Anwaltstag 1958, S. 29; Pfeifer, Enteignung u n d Entschädigung, ÖJZ 1958, S. 258; Pfeifer, Entschädigungslose Enteignung ÖJZ 1962, S. 477; Anderluh, Die Wandlung des Enteignungsbegriffes, JB1. 1963, S. 603 ff. (611); Geuder, Die Grundabtretung f ü r öffentliche Verkehrsflächen, JB1. 1968, S. 131 ff. (136); Studienarbeit der S W A „Funktionen u n d Schranken des Grundeigentums i n der heutigen Rechtsordnung" (1967) S.12; Pernthaler, i n : Hundert Jahre Verfassungsgerichtsbarkeit — Fünfzig Jahre Verfassungsgerichtshof i n Österreich, S. 193 ff. (202). 41 Spanner i n : GS Jellinek S. 469 ff. (475). Siehe dazu unten unter I I , B, 4 i n F N 313. 42 Koziol, Elastizität des Eigentums u n d Eigentumsgarantie JB1. 1966, S. 333 ff. (334). Siehe dazu unten unter I I , B, 5. 43 Ermacora, Handbuch S. 148 f. Siehe dazu unten unter 3. T, I I I , D, 2. nach F N 78. 44 Gschnitzer, Sachenrecht S. 116. 45 Bydlinski i n : Rechtsprobleme der Planungsfolgen S. 27 ff. (45 f.). 46 Ridder, Enteignung u n d Sozialisierung i n : W D S t R L 10 (1952), S. 124

(126).

47 Vgl. statt vieler Scheuner i n : Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums S. 109 f.; Janssen, Der Anspruch auf Entschädigung bei A u f opferung u n d Enteignung (1961) insb. S. 5 0 - 5 2 ; Scheuner, Die Abgrenzung der Enteignung D Ö V 1954, S. 587 (589).

II. Bisherige Lehre und Judikatur

149

mögenswertes Äquivalent zum Ausgleich seines Vermögensnachteiles gewährleistet wäre. Sieht man i m Prinzip der Lastengleichheit eine Erscheinungsform des gesetzestranszendenten Gleichheitsgebotes 48 , so kann i n einer entschädigungslosen Enteignung die Verletzung des Gleichheitssatzes erblickt werden. Insofern ist es auch zutreffend, wenn der B G H seit seiner grundlegenden Entscheidung vom 9./10. 6. 195249 i n ständiger Judikatur 5 0 das Merkmal der Enteignung i m „Verstoß gegen den Gleichheitssatz" sieht. Gleichwohl ist diese Formulierung irreführend, w e i l ein „Verstoß" gegen den Gleichheitssatz die Enteignung rechtswidrig machen würde, obwohl sie der Musterfall des rechtmäßigen Staatseingriffes ist 5 1 , zumal der B G H bei der Prüfung der Frage, ob ein Gesetz Enteignungscharakter besitzt 52 , auf Kriterien abstellt, die das BVerfG zum Gleichheitssatz als Willkürverbot 5 3 entwikkelt hat. Eine nachträgliche Entschädigung könnte den Verstoß gegen den Gleichheitssatz als Willkürverbot ebensowenig heilen wie das fehlende öffentliche Interesse oder der Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch die Leistung einer Entschädigung geheilt werden könnte 54 . Wie das Erfordernis des öffentlichen Interesses und die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist die Willkürfreiheit RechtmäßigkeitsVoraussetzung der Enteignung 54 ®. Genauer gesagt: Die 48

Siehe oben unter I, A , 3 bei F N 100. Β G H Z 6, 270 = JZ 1952, 622 m i t A n m . v. Forsthoff. 50 B G H 6.10.1952, B G H Z 9, 400; B G H 10. 5.1954, Β G H Z 13, 265 (319); B G H 26.11.1954, B G H Z 15, 268; B G H 4. 2.1957, B G H Z 23, 235; B G H 25. 3.1957, L M A r t . 14 GG Nr. 60; B G H 24. 2.1958, W M 1958, 847 (848); B G H 3. 3.1958, B G H Z 27, 15; B G H 9. 5.1960, N J W 1960, 1618; B G H 11.12.1961, M D R 1962, 307; B G H 14.7.1965, N J W 1965, 2101; B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 126; B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 145; B G H 15.11.1973, M D R 1974, 296. 51 Dürig, JZ 1954, S. 6; vgl. auch Haas, System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten (1955) S. 13; Lerche, Amtshaftung u n d enteignungsgleicher Eingriff, JuS 1961, S. 241 F N 32; R. Schneider, Rechtsnorm u n d I n dividualakt i m Bereich des verfassungsrechtlichen Eigentumschutzes, V e r w Arch. 58 (1967) S. 301 ff. (313). 62 Vgl. etwa B G H Z 22, 1 (9 f.); B G H Z 23, 30. 53 Vgl. etwa BVerfGE 3, 58 (135), BVerfGE 27, 364 (371). 54 Unzutreffend daher Schulz-Schäffer, Diskussionsbeitrag i n : Verh. d. 47. DJT, Bd. I I , L 75 f.; Maercks, Die Gefahrtragung als Folge behördlicher Fehlentscheidungen, N J W 1960, S. 1988 f. 54a Entgegen der Ansicht von Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff [1975 S. 70]) k a n n man Dürig (JZ 1954, S. 4 ff. und i n : Maunz / D ü r i g / Herzog, G G 3 A r t . 3 I Rdnr. 56 f.) nicht zu den Autoren zählen, die die Rechtswidrigkeit der „gleichheitsverletzenden" Enteignung durch die Gewährung von Entschädigung, wegen der Ausgleichsbereitschaft des Staates als „geheilt" ansehen. Vielmehr scheint Dürig die Auffassung zu vertreten, daß das nach anderen als nach W i l l k ü r k r i t e r i e n zu bestimmende ungleiche Opfer n u r deshalb verfassungsmäßig ist, w e i l der staatliche Ausgleichswille eine Verletzung des i m „Gleichheitssatz enthaltenen Opferausgleichsatzes" hintanhält. Die i n A r t . 14 GG positivierte Entschädigungspflicht bei Enteignungen ist damit Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Enteignung u n d nicht eine vorweggenommene Rechtfertigung f ü r das W i l l k ü r v e r b o t verletzende Enteignungen. 49

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Willkürfreiheit geht i m Erfordernis des allgemeinen Wohles auf. Resultiert eine ungleiche Belastung aus einer unsachlichen Differenzierung kann sie nicht dem Wohl der Allgemeinheit dienen und ist deshalb sowohl unter dem Aspekt des A r t . 14 Abs. 3 1. S. als auch unter dem des A r t . 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig 541 " und kann dementsprechend nichts für die Abgrenzung der Enteignung von der Sozialbindung als rechtmäßige Eingriffe leisten. Das besondere Opfer und die damit verbundene ungleiche Behandlung Rechtsunterworfener ist jedoch· ein — richtiger — Ansatz zur Lösung der Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung. Jedoch kann aus dem Gedanken des besonderen Opfers als „Verletzung" des Gleichheitssatzes allein die i n Frage stehende Abgrenzung nicht getroffen werden 5 5 . Die Auffassung des BGH 5 6 , das Abstellen auf den Gleichheitssatz ergäbe das gesuchte materielle Abgrenzungskriterium, ist i n dieser Allgemeinheit unhaltbar. Denn erst wenn feststeht, daß m i t dem staatlichen Eingriff ein besonderes Opfer, das nach anderen Kriterien als denen der willkürlichen Differenzierung zu bestimmen ist, verbunden ist, greift das aus dem — materiell verstandenen — Gleichheitssatz abgeleitete Prinzip der Lastengleichheit ein 5 e a , indem es die Leistung eines Vermögenswerten Äquivalents als Ausgleich für die ungleiche Belastung fordert. Aus dem Gleichheitssatz selbst kann jedoch unmittelbar kein materielles K r i t e r i u m gewonnen werden, m i t dem angegeben werden könnte, wann nun ein besonderes Opfer gegeben ist, das bei sonstiger Verletzung des Gleichheitssatzes einen Vermögensausgleich gebietet 57 . I n Wahrheit hat ja auch der B G H bereits i n seiner grundlegenden Entscheidung i n BGHZ 6, 270 das besondere Opfer nicht mit Hilfe des Gleichheitssatzes bestimmt, sondern vielmehr die „Einzelaktstheorie" 58 54b Da die Rechtswidrigkeit des Eingriffs nach der J u d i k a t u r des B G H das Sonderopfer indiziert (siehe I I , B, 3 i n F N 125) käme bei gleichheitswidrigen Enteignungen n u r ein Entschädigungsanspruch aus „enteignungsgleichem E i n griff" i n Betracht. 55 So auch Wagner, Der Haftungsrahmen i n der Lehre v o m Sonderopfer, i n : FS f. Hermann Jahrreis (1964), S. 441 ff. (451); kritisch auch Mueller -Thuns, Enteignung, S. 133 f.; Schütz, Preisvorschriften u n d Eigentumsantastung, N J W 1957, S. 1817 ff. (1818); Riegel, Das Eigentum i m europäischen Recht (1975), insb. S. 45 ff.; Krumbiegel, Der Sonderopferbegriff, S. 70 f.; Breuer, Die Bodennutzung (1976), S. 51 ff. 56 B G H Z 6, 270 (280). 5ea So auch jüngst Krumbiegel, Der Sonderopferbegriff (1975), S. 17. 57 Vgl. dazu auch E. Schneider, Eingriffsschwere oder Einzelakt D Ö V 1965, S. 292 ff. (296); Schäfer, Referat zum 41. D J T (1955) 1/2 C 1 ff. (10). D a m i t steht nicht i n Widerspruch, daß von dem aus dem gesetzestranszendenten Gleichheitssatz abgeleiteten Opferausgleichsatz eine Entschädigung f ü r Enteignungen gefordert w i r d .

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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durch die „Zweckentfremdungstheorie" 59 modifiziert 60 . Deshalb ist es auch unzutreffend, wenn Forsthoff annimmt, der B G H entnehme das materiale Merkmal der Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung dem Gleichheitssatz 81 . Daß der B G H das „Sonderopfer" nach anderen Kriterien mißt und i h m der Gleichheitssatz lediglich als — durchaus zutreffender — Ansatz dient 6 2 w i r d i n seiner Entscheidung vom 26. 11. 1954 (Stuttgarter Bausperren-Urteil) 63 besonders deutlich. Zwar geht der B G H auch i n diesem Erkenntnis i n Übereinstimmung m i t BGHZ 6, 270 davon aus, daß der Verstoß gegen den Gleichheitssatz die Enteignung kennzeichnet. Wenn er jedoch i n den das Eigentum beeinträchtigenden Maßnahmen der engeren Teilplanung i m Gegensatz zu denen der „überörtlichen" und „gesamtstädtischen" Planung keine Enteignung, sondern lediglich eine entschädigungslos zu duldende Eigentumsbeschränkung sieht, w e i l diese erst die Bebaubarkeit des einzelnen Grundstückes schaffen, kann der tragende Grund der Entscheidung nicht i m Gleichheitssatz erblickt werden 64 . Vielmehr stellt der B G H m i t dem K r i t e r i u m der Schaffung und Sicherstellung der Bebaubarkeit auf die Notwendigkeit der betreffenden Zwangsmaßnahme (Bausperre) zur Sicherstellung funktionsgerechter privater Nutzung i m Sinne von Reinhardts Privatnützigkeitstheorie 6 5 ab 66 . Schon Stödter 67 hat erkannt, daß der Gleichheitssatz der Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung als Ansatz, aber nicht als alleinige Lösung dienen kann, wenn er zwar einerseits dem Gleichheitsgedanken für das Verständnis der verfassungsrechtlichen Eigentumsordnung entscheidende Bedeutung beimißt, andererseits jedoch keinen Zweifel daran läßt, daß erst davon ausgehend spezifische Kriterien entwickelt werden müssen, m i t der die zum Ausgleich verpflichtende ungleiche Behandlung i m Sinne des besonderen Opfers konkretisiert werden soll. 58

Siehe dazu sogleich unten unter I I , B, 2. Siehe dazu unten unter I I , B, 3, a nach F N 141 a. 80 Vgl. insb. S. 279, 280, 284 des Beschlusses i n B G H Z 6, 270. 61 Forsthoff, A n m . zu B G H 9/10. 6.1952, JZ 1952, S. 627. 62 Siehe dazu ausführlich unten unter I I , B, 3, a. 63 B G H Z 15, S. 268. 84 So auch Gieseke, Sozialbindungen des Eigentums i m Wasserrecht, i n : FS Heinrich Lehmann I (1956) S. 308 ff. (313); Schäfer, Heferat zum 41. DJT, 1/2 C 1 ff. (11). 65 Siehe dazu unten unter I I , B, 5. ββ Z u den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen B G H Z 15, 268 vgl. insb. Forsthoff, Verfassungsrechtliche Bemerkungen zum Bausperren-Urteil des BGH, D Ö V 1955, 193 ff.; zu B G H Z 15, 268 i n baurechtlicher Sicht vgl. Dittus, Z u m Problem der Bausperrenentschädigung D Ö V 1955, 161 ff. u. 196 ff.; siehe dazu noch F N 148 unter I I , B, 3, a. 67 Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigung (1933) S. 190 ff. 59

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

I n der Tat nimmt jede der bisher entwickelten Abgrenzungstheorien — mögen sie nun Einzelakts-, Schutzwürdigkeits-, Zumutbarkeits-, Substanz«, Zweckentfremdungs- oder Privatnützigkeitstheorie heißen — den Gleichheitssatz zum Ausgangspunkt ihrer Lösungsvorschläge 68 . Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der betreffenden Theorien beruhen lediglich auf den i n differenzierenden Methoden entwickelten und i n ihrer Wirkungsweise verschiedenen Kriterien, nach denen das „besondere Opfer" konkretisiert wird. Deshalb ist auch die Zuordnung bestimmter Lösungsversuche zur „Sonderopfertheorie" eine stark vergröberte Etikettierung m i t geringer Aussagekraft, w e i l gerade i n der Ermittlung der relevanten Kriterien des besonderen Opfers die entscheidenden Unterschiede liegen. Daher w i r d auch i m Rahmen dieser Untersuchung der Begriff „ Sonderopfertheorie" ausschließlich für die Abgrenzungstechnik reserviert, die der B G H entwickelt hat 6 9 . I m folgenden gilt es, die bisherigen Versuche der Konkretisierung des besonderen Opfers einer kritischen Würdigung zu unterziehen. 2. Die Einzelaktstheorie

a) Charakteristikum und dogmengeschichtliche Entstehungsgründe der Einzelaktstheorie Die Einzelaktstheorie trifft die Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung nach dem von der beeinträchtigenden Maßnahme betroffenen Adressatenkreis. Einer ihrer profiliertesten Vertreter, G. Anschütz 70 hat staatliche Eingriffe dann als Enteignung angesehen, wenn sie „den Charakter von Einzeleingriffen haben, indem sie bestimmte Personen oder verhältnismäßig eng begrenzte Personenkreise m i t besonderen Opfern zugunsten der Allgemeinheit belasten". Damit hat die Einzelaktstheorie das besondere Opfer handlungsbezogen danach zu konkretisieren versucht, ob sich der staatliche Eingriff auf einen allgemeinen oder speziellen Adressatenkreis bezieht. Waren nur bestimmte Personen oder ein bestimmter umgrenzter Personenkreis von der beeinträchtigenden Maßnahme betroffen, lag eine entschädigungspflichtige Enteignung vor. Belastete dagegen eine staatliche Maßnahme alle Bürger gleichmäßig, war sie als bloße Eigentumsbeschränkung entschädigungslos zu dulden. Die Einzelaktstheorie, die als der historisch erste Versuch einer A b grenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung bezeichnet 68

Vgl. dazu Stödter, Über den Enteignungsbegriff, D Ö V 1953, S. 97 ff. (99). Siehe dazu unten unter I I , B, 3. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. 8.1919 14 , A n m . 7 und 9 zu A r t . 153. 69 70

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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werden kann, ist unter der Geltung der W R V herrschend geworden. Sie hat jedoch auch die modernen Abgrenzungsversuche nachhaltig beeinflußt. Der B G H hat sich i n seinem Erkenntnis vom 9./10. 6. 1952 — wenn auch i n modifizierter Form — ausdrücklich zu ihr bekannt. Sie w i r d auch i n der österreichischen Lehre — zumindest der Sache nach — vertreten 71 . Sowohl ihre Genesis als auch ihre Wirkungsweise kann jedoch nur vor dem dogmengeschichtlichen Hintergrund verstanden werden, dem sie ihre Entstehung verdankt. Die Einzelaktstheorie ist i n ihrer Entstehung durch zwei wesentliche Merkmale der Rechtsauffassung des 19. Jh. geprägt: Z u m einen liegt ihr das spezifische Gesetzesverständnis der damaligen Zeit und zum anderen ein noch näher zu kennzeichnender Wandel der Vorstellung über die wohlerworbenen Rechte zugrunde. Schon die gemeinrechtliche Enteignungslehre sah i n der Auferlegung eines besonderen Opfers das Wesensmerkmal der Aufopferung und der Enteignung 72 . Entsprechend dem damaligen Verständnis des Gesetzesbegriffes konnte durch einen gesetzlichen Eingriff schon begrifflich kein besonderes Opfer 'auferlegt werden, da das Gesetz gerade von der Auferlegung gleicher Lasten her definiert wurde 7 8 . Demgemäß bedurfte ein durch Gesetz verfügter Eingriff i n das Eigentumsrecht keiner ausgleichenden Entschädigung. Eingriffe durch generelle Gesetze geschahen nicht i n Ausübung des ius eminens, m i t dem die Entschädigungspflicht notwendig verbunden war. Eine Entschädigungspflicht bei generellen Eingriffen bestand nur dann, wenn das Gesetz diese selbst bestimmte. M i t dem Übergang vom Polizeistaat zum liberalen Rechtsstaat hat sich die Auffassung von den „wohlerworbenen Rechten" als Eingriffsobjekt der Enteignung gewandelt. Die „wohlerworbenen Rechte" des einzelnen stellten nicht mehr einen dem staatlichen Zugriff entzogenen Bereich dar, i n den der Staat i m Konfliktsfall zwischen wohlerworbenem Recht des einzelnen und Erfüllung öffentlicher Aufgaben nur eingreifen durfte, wenn er die dadurch entstandene Rechtseinbuße entschädigte. Das „wohlerworbene Recht" ist nur mehr das von Staat aufgrund eines besonderen Rechtstitels gewährte Recht, das seine Grenze und seinen Inhalt i n der objektiven Rechtsordnung findet. Das „wohlerworbene Recht" wandelt sich i n das auf staatlicher Gewährung, 71

Siehe dazu unten unter I I , B, 2, c, F N 117. U. Huber, De iure Civitatis 4 (1708) L i b . I Sect. I I I , Cap. V I § § 3 7 - 4 4 ; G. Accentuali, Jus Naturae 5(1763) I I I . Buch §§146- 147; Pütter, Institutiones juris publici Germanici β(1802) L i b . V I , Cap. 9. 73 Vgl. statt vieler Pfeiffer, Praktische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft I (1825) S. 245, I I I (1831) S. 285, S. 297, S. 471. 72

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

beruhende „subjektive Recht" 74 , dessen Inhalt durch Gesetz bestimmt wird. Diese beiden Vorstellungen — das Gesetz als gleich belastende Maßnahme einerseits und das Recht des einzelnen als einer durch staatliche Normierung bestimmten Befugnis andererseits — haben i n der Preußischen Kabinettsorder vom 4. 12. 183175 ihren positivrechtlichen Niederschlag gefunden. Durch sie sollten die Gerichte gehindert werden, den Staat für Kriegsschäden aus § 75 E i n l A L R 7 6 ersatzpflichtig zu machen 77 . Sie stellte klar, daß ein durch einen Gesetzgebungsakt erfolgender staatlicher Eingriff nicht geeignet sei, einen Entschädigungsanspruch auszulösen, es sei denn, daß das Gesetz selbst eine Entschädigung vorsah. Nur Einzelakte der Verwaltung sollten einen Entschädigungsanspruch auslösen, wenn i n subjektive Rechte des einzelnen eingegriffen und diesem dadurch ein besonderes Opfer auferlegt wurde. Die Preußische Kabinettsorder hat dadurch auf die Rechtssprechung dieser Zeit einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt und entscheidend zur Ausbildung der Einzelaktstheorie durch das RG beigetragen. Denn als das RG i n Abkehr vom klassischen Enteignungsbegriff 78 i n seiner späteren Judikatur auch Eingriffe unmittelbar durch· Gesetz als Enteignung anerkannte, griff es für die Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung auf die für den Aufopferungstatbestand der §§ 74, 75 E i n l A L R geprägte Vorstellung des besonderen Opfers i n seiner durch die Preußische Kabinettsorder erfolgten Ausbildung des Einzelakts zurück, obwohl diese für den Enteignungstatbestand des A r t . 153 W R V keine Geltung beanspruchen konnte. Auch das unmittelbar das Eigentum beeinträchtigende Gesetz mußte seiner W i r k u n g nach einen Einzeleingriff darstellen, d. h. es mußte einer bestimmten Person oder einem bestimmt begrenzten Personenkreis ein besonderes Opfer auferlegen 79 . Obwohl der Gedanke, die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung nach der Qualität des Eingriffs als Einzelakt vorzunehmen, erstmals von Schelcher 60 geäußert wurde, ist die Kennzeich74

Kreft, Aufopferung u n d Enteignung, S. 8. Kabinettsorder betreffend die genauere Beobachtung der Grenzen z w i schen landeshoheitlichen u n d fiskalischen Rechtsverhältnissen (PrGS, 255). 7β Siehe I, A , 3 i n F N 95. 77 Vgl. zur Preuß. Kabinettsorder insb. Anschütz, Der Ersatzanspruch aus Vermögensbeschädigungen durch rechtmäßige Handhabung der Staatsgewalt, VerwArch. 5 (1897) S. 1 ff. (71). 78 Siehe dazu I I , A , 3 i n F N 39. 79 Vgl. zur Übernahme des „alten" Einzelaktkriteriums (Enteignung = V e r waltungsakt) i n die J u d i k a t u r zum „neuen" Enteignungsbegriff, der auch Eingriffe durch Gesetz erfaßt, neuerdings Leisner, Sozialbindung des Eigentums (1972) S. 22 - 24. 75

II. Bisherige Lehre und Judikatur

155

nung der Enteignung als eines ein besonderes Opfer auferlegenden Einzelaktes insbesondere durch die Judikatur des RG und RStGH entwickelt und zur herrschenden Abgrenzungstheorie «ausgebaut worden. b) Die Einzelaktstheorie in der Judikatur und RStGH und ihre Mängel

des RG

Deshalb soll i n einer kurzen Analyse der wichtigsten Entscheidungen des RG und des RStGH die Entwicklung der Einzelaktstheorie nachgezeichnet werden. Dies ist nicht nur von historischem Interesse. Denn auch der B G H beruft sich i n seinem Abgrenzungsversuch, den die österreichische Lehre weitestgehend übernommen hat 8 1 , auf die Einzelaktstheorie. Zudem läßt gerade eine fallbezogene Analyse der Einzelaktstheorie auch deren Schwierigkeiten und Mängel am schärfsten deutlich werden. Erstmals diente i m sogenannten Galgenberg-Urteil 82 das K r i t e r i u m des Einzelaktes zur Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung. I n diesem Fall klagte der Eigentümer eines Grundstückes, das als „Umgebung eines Baudenkmales" i n die Denkmalliste eingetragen wurde, den Hamburger Staat auf Zahlung einer Entschädigung, w e i l die Denkmalschutzbehörde der geplanten Anlage einer Kiesund Sandgrube die Genehmigung versagte. Die Eintragung i n die Denkmalliste hatte nämlich zur Folge, daß der Eigentümer sein Grundstück ohne Genehmigung der Denkmalschutzbehörde weder durch bauliche Anlagen nutzen noch sonst veräußern durfte. Das RG gab der Klage statt. Dem Einwand des Hamburger Staates, es handle sich bei der Verfügungsbeschränkung nur u m eine Auswirkung einer gesetzlichen Eigentumsbegrenzung, weil das, was das Gesetz versage, i m Eigentumsrecht nicht mehr enthalten sei, hielt das RG entgegen, daß das Denkmalschutzgesetz nicht allgemein ausgesprochen habe, daß i m Gebiet Hamburgs kein Eigentümer sein Grundstück ohne Genehmigung der Denkmalschutzbehörde verändern dürfe, sondern daß es nur die Möglichkeit gegeben habe, durch eine besondere Verwaltungsmaßnahme, nämlich die Eintragung i n die Denkmalliste, die Eigentümer bestimmter Grundstücke i n ihrem Eigentumsrecht zu beschränken. Es könnten also ausnahmsweise einzelne Eigentümer an der Ausübung der an sich nach dem Hamburger Recht i n ihrem Eigentum liegenden Befugnisse gehindert werden. 80 Scheicher y Die Haftung des Staates f ü r Eingriffe i n Privatrechte, Fischers Zeitschrift für Praxis u n d Gesetzgebung der V e r w a l t u n g f ü r Sachsen 52 (1921) S. 1 ff. (169). 81 Vgl. statt vieler Pfeifer, Enteignung u n d Entschädigung, ÖJZ 1958, 255 (258). 82 RG 11. 3.1927, RGZ 116, 268.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Damit sah das RG erstmals i n der Besonderheit des Eingriffs, der nicht alle Eigentümer gleichmäßig, sondern nur einzelne von ihnen beeinträchtigt, das Spezifikum der Enteignung. Nur kurze Zeit später gab der RStGH diesem Gedanken die für die spätere Judikatur maßgebliche Formulierung 8 3 . Er hatte sich m i t der Frage zu befassen, ob die durch die PrVO über einen erweiterten Staatsvorbehalt zur Aufsuchung und Gewinnung von Steinkohle und Erdöl vom 10.10.1927 erfolgte Entziehung des Rechts, Steinkohle, Erdöl und andere Mineralien aufzusuchen und zu fördern, eine Enteignung darstellt. Dabei definierte das Gericht die Enteignung als einen „staatlichen Hoheitsakt, der das Recht des Eigentümers mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren, oder das sonstige von ihr betroffene Recht zugunsten eines Dritten beeinträchtigt". Dieser Eingriff sei regelmäßig ein Verwaltungsakt, könne jedoch anerkanntermaßen auch unmittelbar durch Gesetz erfolgen. „Aber auch dann muß er sich als Einzeleingriff darstellen, der nicht alle i m Geltungsbereich des Gesetzes befindlichen Grundstücke oder Rechte gleichmäßig, sondern nur einzelne von ihnen oder einen engeren Kreis von einzelnen Grundstücken oder Rechten trifft, ihnen ein besonderes Opfer zugunsten der Allgemeinheit auferlegt. Den Inhalt und die Schranken des Eigentums allgemein zu regeln, die zulässigen Rechte an Grundstücken und die Voraussetzungen ihrer Entstehung allgemein zu bestimmen, muß dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, ohne daß er dabei durch eine Pflicht zur Entschädigung gehindert werden kann 8 4 ." Damit hat die Einzelaktstheorie ihre klassische Formulierung erhalten, i n der sie für den Enteignungsbegriff der W R V weiterhin bestimmend sein sollte. I n der späteren enteigungsrechtlichen Judikatur des RG erfuhr die Einzelaktstheorie ständige Anwendung 8 5 . Demnach bestimmt das RG das die Enteignung kennzeichnende besondere Opfer handlungsbezogen nach dem Adressatenkreis des Eingriffes. Trägt der Eingriff generellen Charakter, liegt eine bloße Eigentumsbeschränkung vor. Trifft der Eingriff nur einzelne Rechtsträger bzw. Rechtsobjekte oder einen eng begrenzten Kreis von ihnen, liegt ein „Einzeleingriff" und damit eine Enteignung vor. Jeder Einzeleingriff gilt als besonderes Opfer. 88

RStGH 23. 3.1929, RGZ 124, A n h . 33. Es f ä l l t auf, daß der R S t G H bei der Frage, ob ein Einzeleingriff v o r liegt, auf den engeren oder weitern Kreis der Eingriffsobjekte abstellt, w ä h rend Anschütz (siehe oben bei F N 70) den Einzeleingriff am Kreis der Rechtsträger mißt. 85 RG 30.11.1928, RGZ 126, 163; R G 7.2.1930, RGZ 127, 280 (281); RG 3.12.1929, RGZ 128, 165 (171); RG 28.2.1930, RGZ 128, 18; R G 27. 5.1930, RGZ 129, 146 (149); R G 3.3.1931, RGZ 132, 69; R G 20.6.1931, RGZ 133, 124; RG 10.2.1932, RGZ 137, 163 (167); R G 10.1.1930, R G Z 139, 177 (183); RG 17.12.1935, RGZ 150, 9 (13). 84

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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Jedoch ist die Abgrenzung nicht auf alle das Eigentum beeinträchtigenden Tatbestände anwendbar. Gerade hinsichtlich der Legalenteignung führt diese Theorie zu Konsequenzen, die i m Einzelfall zu ziehen sich auch das RG gescheut hat. Bezeichnend dafür ist der Fall der „Anhaltschen Kohlenrenten" 8 ®. Nach dem Anhaltschen Berggesetz stand dem Grundeigentümer, auf dessen Grundstück Braunkohlengruben betrieben wurden, eine 6°/oKohlenrente zu, die durch G vom 27. 3.1920 so beträchtlich herabgesetzt wurde, daß die Schmälerung infolge der Auswirkungen der Inflation einer völligen Entziehung gleichkam. Gemessen an den Kriterien der Einzelaktslehre wäre darin eine entschädigungslos zu duldende Eigentumsbeschränkung zu sehen gewesen. Das Gesetz traf nach abstrakten Merkmalen alle Grundeigentümer, die sich i n gleicher Rechtslage befanden. Dazu kommt noch, daß durch dieses Gesetz nicht nur einige wenige Grundeigentümer, sondern ein verhältnismäßig großer Personenkreis getroffen wurde. Dennoch hat das RG — ohne dafür freilich Gründe anzugeben — i n der schwerwiegenden Beschränkung der Kohlenrentenansprüche eine Enteignung gesehen87. Die Schwierigkeiten, die mit der Einzelaktstheorie verbunden sind, verdeutlichen auch zwei Erkenntnisse des RG, i n denen es vom Boden der Einzelaktstheorie denselben Sachverhalt einmal als Enteignung und dann wiederum als bloße Eigentumsbeschränkung qualifiziert hat. I n beiden Fällen ging es u m die Frage, ob der durch das RentensperrG 88 verfügte vorübergehende Ausschluß des Rechtsweges zur Geltendmachung rechtlich begründeter Rentenansprüche für die Aufgabe gewisser Standesvorrechte eine Enteignung sei. Der 6. Senat des RG war der Auffassung, daß das grundsätzlich aufrechterhaltene Recht zur gerichtlichen Geltendmachung rechtlich begründeter Ansprüche einer gewissen Gruppe von Gläubigern genommen wäre. Darin sah es den für die Enteignung charakteristischen Einzeleingriff 89 . Dagegen erblickte der 7. Senat i m RentensperrG eine „allgemeine Regelung für alle Streit86

RG 13.12.1924, RGZ 109, 310. A u f g r u n d der Einzelaktstheorie hätte das R G auch i n RGZ 110, 344 das Vorliegen einer Enteignung verneinen müssen. Durch die V O über die Ablieferung ausländischer Vermögensgegenstände v o m 25. 8.1923 wurde eine Ablieferungspflicht f ü r bestimmte ausländische Zahlungsmittel und W e r t papiere festgesetzt. A l s Gegenleistung erhielten die Ablieferungspflichtigen Geldanleihen, Reichsmark oder Gutschriften auf ein wertbeständiges Steuerkonto. Obwohl die V O eine generelle N o r m darstellte, die nach abstrakten Merkmalen den i n Frage kommenden Adressatenkreis bestimmte u n d deshalb ein Einzelakt nicht gegeben w a r , n a h m das RG das Vorliegen einer E n t eignung an. (Vgl. dazu auch Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung [1930] S. 53 f.). 88 G. V. 6. 7.1929, RGBl. I 131. 89 RG 30.11.1929, RGZ 126, 161. 87

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

fälle einer nach der Beschaffenheit der Sache oder der Stellung der Beteiligten bezeichneten Gattung" und nicht einen „ n u r auf einen bestimmten Einzelfall oder auf mehrere bestimmte Einzelfälle abzielenden Eingriff" 9 0 . Diese Entscheidungen zeigen bereits, m i t welchen Schwierigkeiten die Einzelaktstheorie zu kämpfen hat, wenn sie, u m die Enteignung von der Eigentumsbeschränkung abgrenzen zu können, feststellen muß, ob es sich u m einen allgemeinen Eingriff oder u m Eingriffe i n bestimmte Güter eines begrenzten Personenkreises handelt. Sie führt auch — konsequent zu Ende gedacht — zu absurden Ergebnissen. Man denke an den Fall, daß durch ein Gesetz alle Eigentümer von Grundstücken i m Bereich von Städten m i t mehr als 20 000 Einwohnern V4 ihrer Grundfläche an die Gemeinde zwecks Bepflanzung mit Bäumen und Sträuchern abtreten müssen. Da — wie das RG es für das Vorliegen einer generellen Anordnung fordert 9 1 — i n diesem Fall die Rechtsverhältnisse i n allgemeiner Weise nach Gattungsmerkmalen bezeichnet worden sind, kann von einem Einzelakt keine Rede sein. Dennoch liegt i n diesem Fall eine Enteignung vor. W i r d dagegen durch Verwaltungsakt einem Hauseigentümer aus Gründen des Landschaftsschutzes untersagt, sein Haus mit greller roter Farbe zu bemalen, w i r d trotz des zweifellos vorliegenden Einzeleingriffs von einer Enteignung nicht gesprochen werden können. Diese offensichtlich unzutreffenden Ergebnisse weisen auf einen schweren Mangel der Einzelaktstheorie hin. Sie ist angesichts der formalen Gegenüberstellung: allgemeiner Eingriff ist gleich Eigentumsbeschränkung, spezieller Eingriff ist gleich Enteignung nicht i n der Lage, die Intensität der Beeinträchtigung der individuellen Rechtspositionen für die i n Frage stehende Abgrenzung dienstbar zu machen 92 . Diesen Mangel hat das RG auch erkannt und es hat vereinzelt neben dem Einzeleingriff auch die Eingriffsintensität als Charakteristikum der Enteignung herangezogen. So hat der 7. Senat i n seinem RentensperrGErkenntnis vom 3. 12. 192993 den Enteignungscharakter des vorübergehenden Ausschlusses des Rechtsweges für bestimmte Rentenansprüche nicht nur mangels Vorliegens eines Einzelaktes verneint, sondern auch 90

RG 3.12.1929, RGZ 128, 165. Vgl. RG 3.12.1929, RGZ 128, 165. 92 Vgl. dazu auch Reichlin, Rechtsfragen der Landesplanung ZSR 66 (1947) S. 320 a f. gegen die Judikatur des schweizerischen Bundesgerichts die A b grenzung der „materiellen Enteignung" von der Eigentumsbeschränkung durch eine K o m b i n a t i o n von Eingriffsschwere u n d Einzelakt zu lösen (so BGE 26 I 78; B G E 31 I I 558; B G E 45 I 260; B G E 48 I 600 f.; B G E 69 I 242; vgl. aber B G E 91 I 329 ff., w o bei schwerwiegenden Eingriffen nicht mehr auf den Einzelakt abgestellt wird). 93 RGZ 128, 165 (171). 91

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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deshalb, w e i l nur i n einer dauernden Entziehung der Klagsmöglichkeit eine Aufhebung der i n Betracht kommenden Forderungsrechte und damit eine Enteignung zu erblicken gewesen wäre. Demnach ist eine vorübergehende Beeinträchtigung der Befugnisse der Eigentümer als unwesentlicher Eingriff lediglich eine Eigentumsbeschränkung. Gerade i m Rahmen der Rechtsprechung zu den Fluchtlinienplänen hat das RG vor allem dem materialen K r i t e r i u m der Eingriffsschwere Beachtung geschenkt 94 . Dies w i r d i n der Entscheidung des RG vom 3. 3. 193195 besonders deutlich 96 . Zwar geht auch hier das RG von der Einzelaktstheorie aus. Doch es w i r d auch auf die Intensität des beeinträchtigenden Eingriffs abgestellt, wenn das RG ausführt: „Außerdem muß der Eingriff als eine u m so schwerere Belastung erscheinen, je schärfer das Recht des Eigentümers betroffen wird." Diese Erkenntnisse zeigen, daß eine Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung allein nach der formalen Einzelaktstheorie nicht praktikabel ist, sondern durch materiale Abgrenzungskriterien ergänzt werden muß 97 . Es ist der Einzeleingriffslehre des öfteren vorgeworfen worden, daß sie ein materiales Abgrenzungsproblem mit formalen Kriterien lösen wolle 9 8 . Diese K r i t i k ist auch berechtigt. Dies vor allem deshalb, weil die Einzelaktstheorie die Frage, wann ein ungleiches Sonderopfer und 94 So z.B. i m sogen. „ B e t h k e - F a l l " (RG 28.2.1930, RGZ 118, 18). Durch den Fluchtlinienplan der Stadt B e r l i n w a r ein Grundstück des Klägers zur Freifläche erklärt worden. M i t der Offenlegung des Planes wurde das Grundstück gemäß §§ 8, 11 PrFluchtlinienG m i t der Servitut der Unbebaubarkeit belastet. Die dafür zu leistende Entschädigung wurde jedoch erst m i t der endgültigen Abtretung der zur Anlegung von Straßen u n d Plätzen benötigten Fläche fällig. Diese Verzögerung der Entschädigungsleistung w a r nach der Ansicht des RG m i t A r t . 153 W R V nicht vereinbar. Unter Bedachtnahme auf die Schwere der beeinträchtigenden Maßnahme führte es aus, daß zwar nicht jede Verzögerung der Schadloshaltung verfassungswidrig sei. Es würde genügen, w e n n es der betroffene Eigentümer i n der Hand hätte, die Fälligkeit der zunächst versagten Entschädigung dadurch herbeizuführen, daß er v o n der Gemeinde die Übernahme der belasteten Fläche verlange. Da er jedoch dieses Recht nicht hatte und der Zeitpunkt f ü r die Entschädigung deshalb v o m freien Ermessen der Gemeinde abhing, stand die Regelung nicht i m Einklang m i t A r t . 153 WRV. 95 RGZ 132, 69. 96 Der Sachverhalt ist ähnlich dem des Bethke-Falles. 97 Das wurde schon i n der Auseinandersetzung m i t der J u d i k a t u r des R G von der damaligen Lehre erkannt; vgl. dazu insb. Hensel, Referat zum 36. DJT, Verhandlungen I I , (1932) S. 369; Bertram, Das Fluchtlinienurteil des Reichsgerichts VerwArch. 35, S. 411: W. Jellinek, Gutachten f ü r den 36. DJT, Verhandlungen 1/2, (1931) S. 292; Stödter, öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 205 m i t weiteren Nachweisen: vgl. auch D O G 13. 4.1950 AöR 77, 84 ff. m i t A n m . v. Werner Weber. 98 Stödter, öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 195; Stödter, D Ö V 1953, S. 97 (99); Ha ab, Privateigentum u n d materielle Enteignung (1947), S. 42; Schuhmacher, Der Begriff der Enteignung, N J W 1951, S. 53 ff. (55).

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2. Teil: Beeinträchtigg d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

damit eine Enteignung vorliegt, durch eine Gleichstellung der Begriffspaare „ungleich-gleich" und „speziell-allgemein" lösen w i l l . Dies ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch. Einmal w i r d durch das Moment der Individualisierung allein der Tatbestand der ungleichen Belastung noch nicht erfüllt". Die Gleichsetzung der Begriffe ungleichspeziell entbehrt deshalb jeder Berechtigung. Wäre diese zutreffend, so stellte jede Eigentumsbeeinträchtigung durch Verwaltungsakt aufgrund eines Gesetzes (Einzelakt) eine Enteignung dar. Dieses absurde Ergebnis kann auch nicht dadurch vermieden werden, daß man dem aufgrund eines Gesetzes ergehenden gebundenen Verwaltungsakt den Charakter des Einzeleingriffs nimmt, indem man darin lediglich die Konkretisierung der bereits i m Gesetz ausgesprochenen Sozialbindung sieht 100 . Denn irgend ein Ermessen, vor allem — und das ist hier entscheidend — i n der Auswahl des i m Einzelfall i n Frage kommenden Eingriffsobjekts hat die Behörde letztlich immer 1 0 1 . Aber auch die von der Einzelaktstheorie vorgenommene Gleichsetzung der Begriffe „gleichallgemein" begegnet erheblichen Bedenken. Sie verkennt, daß durch ein allgemeines Gesetz die Wahrung materieller Gleichheit noch nicht garantiert ist 1 0 2 . Überdies ist schon i n der Judikatur des RG unklar geblieben, wonach sich die „Allgemeinheit" des Gesetzes bemißt. Der RStGH hatte unter „Allgemeinheit" eine zahlenmäßige „Vielheit" verstanden, wenn er ein Gesetz als Enteignungsgesetz qualifizierte, das nur einzelne Rechtsobjekte oder einen engen Kreis von ihnen betraf 1 0 3 . Damit ist aber die Abgrenzung vollends unmöglich. Wo soll gemessen an der Zahl der Betroffenen der „engere Kreis" aufhören und die „Allgemeinheit" beginnen? Aus diesem Dilemma hat denn auch der OGH für die britische Zone 104 einen ebenso konsequenten wie verzweifelten Ausweg gefunden. Er hat einen Einzeleingriff dann angenommen, wenn der betroffene Personenkreis bekannt ist oder sich aufgrund vorhandener Unterlagen sofort feststellen läßt. M i t Recht hat dazu Wagner 105 die sarkastische Frage gestellt, ob die Leistung einer Entschädigung vom Vorhandensein statistischer Unterlagen abhängig sein soll. I n anderen Entscheidungen hat das RG die Allgemeinwirkung der Gesetze daran gemessen, ob die betroffenen Rechtsverhältnisse i n all99

Vgl. die i n F N 98 angegebene L i t e r a t u r ; Forsthoff, JZ 1952, S. 627. So ζ. B. B G H i n B G H Z 6, 270. 101 So auch Wagner i n FS Jahrreis, S. 441 ff. (444); Bedenken i n dieser Richt u n g gegen B G H Z 6, 270 auch Forsthoff, JZ 1952, S. 628. 102 Scheuner, Die Abgrenzung der Enteignung, D Ö V 1954 S. 587 ff. (590); Wagner i n : FS Jahrreis, S. 441 ff. (443). 103 Siehe oben bei F N 83. 104 E. 1. 6.1948, OGHZ 1, 87. 105 Wagner i n : FS Jahrreis, S. 441 ff. (446). 100

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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gemeiner Weise nach Gattungsmerkmalen bezeichnet worden sind 1 0 6 . Auch dieser Ansatz führt zu unüberwindlichen Schwierigkeiten. Ein Gesetz, das alle Eigentümer von Lastkraftwagen verpflichtet, diese an den Staat abzuliefern, ist zweifellos eine generelle Anordnung. Die Intensität des Eingriffs scheint jedoch für eine Enteignung zu sprechen 107 . Dazu kommt noch, daß sich auch ein Gesetz, das eine allgemeine Formulierung der Tatbestandsmerkmale enthält, i n aller Regel an bestimmte Gruppen von Subjekten und Objekten wendet. Insbesondere hat Forsthoff m gezeigt, daß es zu den Merkmalen des modernen Staates gehört, „daß seine Formtypik nicht mehr ausschließlich von dem Gegensatz des Individuellen und Generellen her begriffen werden kann". Moderne Gesetze seien vielfach nicht mehr generelle, abstrakte Normierungen, sondern staatliche Reaktionen auf zu beseitigende Mißstände und Notsituationen. Ihnen wohne deshalb regelmäßig i n höherem oder geringerem Grade der Charakter der Maßnahme inne. I n gleichem Maße hörten sie auf abstrakt und generell zu sein. Gerade i n diesem mittleren Bereich zwischen voller Individualisierung und voller Allgemeinheit sind die häufigsten Eingriffe i n das Eigent u m beheimatet. Es handelt sich u m die Fälle der sogenannten Gruppenenteignung, durch die eine bestimmte engere oder weitere Mehrheit von Inhabern gleichartiger Eigentumsrechte aus dem gleichen Motiv und i n der gleichen Weise i n ihrem Eigentum beeinträchtigt werden (ζ. B. Eigent u m an landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden, an städtischen Liegenschaften, an mineralhältigem Boden, an Kulturgütern, an Transportmitteln etc.) 109 . Hier muß jedoch die Einzelaktstheorie versagen 110 , wenn sie versucht, derartige Eingriffe entweder den Individualregelungen oder den generellen Normen zuzuordnen. Ob es sich hierbei u m einen Eingriff i n die Rechte einer „Mehrheit von Einzelnen" (als eng umgrenzter Personenkreis) handelt oder ob die Rechte einer „engeren oder weiteren Allgemeinheit" beeinträchtigt werden (generelle Regelung) kann nach rationalen Kriterien nicht entschieden werden 1 1 1 . Solche Eingriffe können als allgemeine Maßnahmen verstanden werden, weil 106

Vgl. RG 3.12.1929, RGZ 128, 165. Diesen Mangel hat auch bereits das D O G i n seiner E v o m 13. 4.1950 (NJW 1950, 540 = DVB1. 1950, S. 760 m. A n m . v. Stödter) erkannt, w e n n es gegen die Einzelaktstheorie ausführt, daß der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit nicht genüge, daß sie einerseits schwerwiegende Rechtseinbußen dann zulasse, w e n n sie i n generelle Vorschriften gekleidet seien, während umgekehrt die Entschädigungspflicht auch bei n u r geringfügigen Einzeleingriffen bejaht werde. los Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I 9 (1966) S. 315 f. 109 v g l . Kaiser i n : Staat und Privateigentum, S. 5 (31). 107

110 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I S. 316 f.; Forsthoff, JZ 1952, S. 6271; Kaiser i n : Staat u n d Privateigentum S. 5 (31 f.); Kimminich, Die öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten JuS 1969, S. 349 ff. (356).

il

Aicher

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

sie sich nicht an den einzelnen richten, sondern i h n — nach Gattungsmerkmalen bestimmt — als Mitglied einer Allgemeinheit erfassen 112 . Sie können aber auch als Summe von Einzelakten verstanden werden, weil sie nicht die Allgemeinheit der Rechtsunterworfenen erfassen (alle Eigentümer schlechthin), sondern nur bestimmte Betroffene individualisieren 11 3 . Ob ein Eingriff i n Gruppeneigentum als Einzelakt oder als allgemeine Maßnahme zu verstehen ist, hängt demnach davon ab, welchen Kreis von Subjekten und Objekten man als Vergleichsbasis heranzieht, u m das besondere Opfer der betroffenen Gruppe zu konkretisieren. Die Einzelaktstheorie kann dafür keine geeigneten Kriterien zur Verfügung stellen. Legt man sie dennoch der i n Frage stehenden Abgrenzung zugrunde, so sind — wie die Judikatur des RG gezeigt hat 1 1 4 — einander widersprechende Entscheidungen zu gleichen Sachverhalten und ein — wenn auch unter dem Mantel des Einzelakts verdecktes — A b stellen auf die Intensität des Eingriffs die notwendige Folge. Die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung m i t Hilfe der Einzelaktstheorie muß auch noch aus einem anderen Grund scheitern. Indem die Einzelaktstheorie den speziellen Eingriff m i t ungleicher und den generellen Eingriff m i t gleicher Belastung gleichsetzt 115 , vermengt sie das handlungsbezogene Begriffspaar „speziell-allgemein" m i t dem erfolgsbezogenen Begriffspaar „ungleichgleich". Das ist nun auf jeden Fall dogmatisch bedenklich. Es würde aber zu keinem sachfremden Ergebnis führen, wenn es zuträfe, daß das enteignungsrechtliche Entschädigungssystem allein von der staatlichen Maßnahme her, also handlungsbezogen aufgebaut wäre. Der Gedanke eines umfassenden Eigentumsschutzes verbietet es aber, ausschließlich auf die A r t der beeinträchtigenden Maßnahme abzustellen und den Erfolg der Maßnahme außer acht zu lassen. Dies ist jedoch die notwendige Konsequenz der Einzelaktstheorie, die das ungleiche Opfer ausschließlich nach der Qualität des Eingriffs als spezieller oder genereller Maßnahme mißt. Nun mag es zwar zutreffen, daß — wie schon Otto Mayer 116 — ausgeführt hat — die gesetzliche Regelung die Vermutung der Planmäßigkeit und der Gerechtigkeit für sich hat. I n vielen Fällen w i r d auch die 111 Z u r Unmöglichkeit der Abgrenzung zwischen „Gruppe" u n d „ A l l g e meinheit" vgl. insb. Leisner, Sozialbindung, S. 137 f. 112 Ζ. B. als Eigentümer von landwirtschaftlichen Boden, von Kunstgegenständen, von Aktien. 113 Vgl. dazu auch Wagner i n : FS Jahrreis, S. 441 ff. (446). 114 Siehe oben bei F N 87. 115 Was — w i e soeben gezeigt wurde — schon an sich verfehlt ist. 116 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I I 3(1924), S. 312.

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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Eigentumsbeeinträchtigung durch Gesetz lediglich eine Eigentumsbeschränkung, der individuelle A k t dagegen Enteignung sein. Das muß jedoch nicht so sein. Kann nun einerseits eine generelle Maßnahme, gemessen am Erfolg Enteignung sein und andererseits ein Einzelakt bloße Eigentumsbeschränkung, stellt sich die Frage, ob die Einzelaktstheorie auch nur einen geeigneten Ansatzpunkt für die i n Frage stehende Abgrenzung sein kann, da sie i n keinem Fall der Mühe enthebt, die das Eigentum beeinträchtigende Maßnahme nach materialen, erfolgsbezogenen Kriterien auf ihren Enteignungscharakter h i n zu überprüfen. c) Die Einzelaktstheorie

in der österreichischen Lehre

Deshalb sind auch die Versuche der österreichischen Lehre verfehlt, die das für die Enteignung charakteristische ungleiche Opfer nach der Qualität des Eingriffs als Einzelakt oder als allgemein treffende Maßnahme konkretisieren wollen 1 1 7 . Das gilt auch für den Abgrenzungsversuch Anderluhs 118. Auch er grenzt die Enteignung von der Eigentumsbeschränkung i m Sinne der Einzelaktstheorie danach ab, ob allgemeine Gesetze sämtliche Staatsbürger gleichermaßen treffen (oder treffen können) oder ob bestimmte Maßnahmen gegenüber einzelnen oder bestimmten Gruppen ergriffen werden. Dem Vorwurf, die i n Frage stehende Unterscheidung nach sachfremden formalen Kriterien zu treffen, w i l l er aber m i t einer Synthese von Einzelakts- und Je liine Jcscher Schutzwürdigkeitstheorie entgehen. Er glaubt eine Schwäche des Eigentums gegenüber Eingriffen durch oder aufgrund allgemein wirkender Gesetze insofern annehmen zu können, als derartige Eingriffe nach allgemeiner Anschauung nicht als Enteignung empfunden werden 1 1 8 3 . Daß dem Eigentum gegenüber generellen Anordnungen eine „Schwäche" eignet, ist eine unbewiesene Behauptung. Sie wäre überdies nur dann zutreffend, wenn allgemein wirkende eigentumsbeeinträchti117

Klang i n : Klang, K o m m e n t a r zum A B G B I I 2 , S. 190; Korn, Referat zum österreichischen Anwaltstag 1958, S. 29; Binder, Die Entschädigung f ü r F l ä chenwidmungsänderungen, ÖJZ 1956, S. 146 ff. (149); Gender , Die Grundabtretung f ü r öffentliche Verkehrsflächen, JB1. 1968, S. 131: aber auch BerG i n SZ 39,116; O G H 19. 9.1962, EvBl. 1963/89. 118 Anderluh, Die Wandlung des Enteignungsbegriffes, JB1. 1963, S. 603 ff. (611 f.). 1183 I n jüngster Zeit hat f ü r das deutsche Recht Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 142 ff.) unter dem Aspekt der unten zu besprechenden Pflichtigkeitstheorie des B G H die Ansicht vertreten, daß der „allgemeine" Eingriff durch ein Gesetz, das i m Hinblick auf das Regelungsziel alle gleichartigen Objekte erfaßt u n d der Behörde kein flexibles Vorgehen ermöglicht, als Sozialbindung erscheint. Jedoch weist Krumbiegel zu Recht darauf hin, daß selbst bei derartigen Eingriffen das Element der Schwere Beachtung zu finden hat, w e i l allgemeine Eingriffe dann ihren Charakter als Sozialbindung verlieren, w e n n sie die Eigentumssubstanz tangieren.

11·

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

gende M a ß n a h m e n — w a s i h r e F o l g e b e t r i f f t — i m m e r g e r i n g e E i g e n t u m s b e e i n t r ä c h t i g u n g e n m i t sich brächten. Dies i s t jedoch n i c h t d e r F a l l . E i n e a l l g e m e i n w i r k e n d e N o r m k a n n u n d w i r d h ä u f i g auch i n g e r i n g e r I n t e n s i t ä t auf das E i g e n t u m des e i n z e l n e n e i n w i r k e n . Das m u ß a b e r n i c h t sein. D e s h a l b f ü h r t auch Anderluhs Abgrenzungsversuch nicht weiter 119. Indessen bestehen gegen die A b g r e n z u n g s v e r s u c h e Gschnitzers 120 und Bydlinskis 121 k e i n e d e r a r t i g e n E i n w ä n d e . S o w o h l Gschnitzer als auch Bydlinski sehen i m E i n z e l a k t l e d i g l i c h e i n I n d i z f ü r das V o r l i e g e n e i n e r E n t e i g n u n g . Besondere Z u s t i m m u n g v e r d i e n t i n diesem Z u s a m m e n h a n g die L e h r e Bydlinskis d e r das besondere O p f e r i n e r s t e r L i n i e u n a b h ä n g i g v o m k l e i n e r e n oder g r ö ß e r e n K r e i s der B e t r o f f e n e n a n der Schwere des E i n g r i f f s m i ß t . E r s t b e i q u a n t i t a t i v g e r i n g e r e n E i n g r i f f e n schenkt er d e m C h a r a k t e r des E i n g r i f f s als E i n z e l a k t oder als a l l g e m e i n e r R e g e l u n g B e a c h t u n g , w e n n er a u s f ü h r t : „ J e g e r i n g e r aber der E i n g r i f f q u a n t i t a t i v ist, u m so s t ä r k e r t r i t t die F r a g e i n d e n V o r d e r g r u n d , ob m a n i m H i n b l i c k a u f d e n B e t r o f f e n e n v o n e i n e m S o n d e r o p f e r sprechen k a n n oder ob es sich n u r u m eine a l l g e m e i n e E i g e n t u m s beschränkung handelt122." 119 I m m e r h i n ist zu beachten, daß auch das deutsche B V e r w G i n einer freilich vereinzelt gebliebenen Entscheidung („Deich-Urteil" BVerwG 22. 6.1962, B V e r w G E 15, 1 = N J W 1962, 2171 [2172]), eine Synthese zwischen Einzelaktstheorie u n d Schweretheorie versucht hat. Das B V e r w G meint, daß die Schwere der Beanspruchung durch die allgemeine W i r k u n g der Maßnahme gemindert sei. Wenn sich „die Last der Heranziehung auf die Gesamtheit aller Rechtsgenossen verteilt, k a n n füglich auch gesagt werden, daß sie von allen gemeinsam getragen, überhaupt nicht mehr als spürbare Beschwer zu werten, nach Schwere u n d Tragweite ein enteignungsgleicher Eingriff also schlechthin auszuschließen ist". Es muß betont werden, daß m i t dieser Sehensweise der Eigentumsschutz bei generellen Eigentumsbeeinträchtigungen vollends aus den Angeln gehoben w i r d . N u n mag sich zwar der einzelne Betroffene getreu dem G r u n d satz „Geteiltes L e i d ist halbes L e i d " damit trösten, daß auch alle übrigen Eigentümer oder zumindest diejenigen, die sich i n ähnlicher Lage befinden, von der gleichen Maßnahme getroffen werden. Aber dadurch k a n n doch nicht die objektive Schwere des Eingriffs gemindert werden. Es ist deshalb bedenklich i n dieser Richtung eine Synthese zwischen Einzelakts- u n d Schweretheorie zu versuchen. Dabei n i m m t nämlich nicht die Einzelaktstheorie Elemente der Schweretheorie i n sich auf, sondern die Schweretheorie w i r d durch die Gleichsetzung allgemeiner Eingriff ist gleich „leichter" Eingriff, spezieller Eingriff ist gleich „intensiver" Eingriff zur reinen Einzelaktstheorie. Das mag n u n beim B V e r w G w e i t weniger bedenklich erscheinen, w e i l es diesen Gesichtspunkt i n dieser schon an sich vereinzelten Entscheidung n u r als einen unter vielen heranzieht. Dagegen f ü h r t die Ansicht Anderluhs zur Aufhebung des Eigentumsschutzes bei generellen Eigentumsbeeinträchtigungen, w e i l er nur auf die spezielle oder allgemeine W i r k u n g des Eingriffs abstellt u n d diese je nach dem m i t geringer u n d erheblicher Eingriffsintensität gleich setzt. 120 Siehe F N 44. 121 Siehe F N 45. 122 Freilich ist der Satz i n dieser Formulierung mißverständlich. Denn ob den Betroffenen ein ungleiches Sonderopfer trifft, muß immer überprüft

I I . Bisherige Lehre u n d J u d i k a t u r

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3. Die Sonderopfertheorie (modifizierte Einzelaktstheorie) des B G H Daß die E i n z e l a k t s t h e o r i e i n d e r österreichischen L e h r e m i t u n t e r v e r t r e t e n w i r d 1 2 3 , ist m . E. d a r a u f z u r ü c k z u f ü h r e n , daß aus e i n e r a l l z u u n b e d a c h t e n Ü b e r n a h m e d e r Ergebnisse d e r deutschen J u d i k a t u r geschlossen w i r d 1 2 4 , sie w e r d e auch heute noch v o m B G H v e r t r e t e n . I n der T a t h a t d e r B G H i n seiner f r ü h e r e n J u d i k a t u r a u f d e n d e r E i n z e l a k t s t h e o r i e i m m a n e n t e n G r u n d g e d a n k e n , daß die a l l g e m e i n e R e g e l u n g g l e i c h w i r k e u n d d a h e r k e i n e E n t e i g n u n g darstelle, r e k u r r i e r t ( B G H Z 6, 270 [280]). I n seiner w e i t e r e n J u d i k a t u r h a t jedoch d e r B G H e r k a n n t , daß die d e r E i n z e l a k t s t h e o r i e entsprechende B e s t i m m u n g des S o n d e r opfers nach d e r „ A l l g e m e i n h e i t " oder „ I n d i v i d u a l i t ä t " d e r R e g e l u n g die A b g r e n z u n g z w i s c h e n E n t e i g n u n g u n d E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g n i c h t l e i s t e n k a n n u n d e r h a t schon b a l d — j a sogar ansatzweise schon i n B G H Z 6, 270 selbst — w e n n auch u n t e r d e m D e c k m a n t e l e i n e r (erh e b l i c h m o d i f i z i e r t e n ) E i n z e l a k t s t h e o r i e i n W a h r h e i t a u f andere — m a t e r i a l e — K r i t e r i e n abgestellt. I m f o l g e n d e n s o l l d e r W e g , d e n die J u d i k a t u r dabei genommen hat, analysiert werden 125. werden, unabhängig davon, ob man die Eingriffsschwere oder den Charakter des Eingriffs als generelle oder spezielle Maßnahme heranzieht. Aus dem Konnex m i t den übrigen Ausführungen Bydlinskis w i r d jedoch deutlich, daß Bydlinski bei quantitativ geringeren Eingriffen darauf abstellt, ob sie alle Eigentümer oder doch eine nach sachlichen Gesichtspunkten zusammengefaßte Gruppe oder lediglich einzelne Eigentümer treffen. 123 Siehe oben I I , B, 2, c i n F N 117. 124 So v o r allem Binder, Die Entschädigungspflicht f ü r Flächenwidmungsänderungen, ÖJZ 1956, S. 146 ff. (149 F N 20), der überdies die v o m R G entwickelte Einzelaktstheorie fälschlicherweise als Zumutbarkeitstheorie bezeichnet, die jedoch von Stödter (öffentlich-rechtliche Entschädigung, insb. S. 209 ff.) gerade gegen die Einzelaktstheorie des R G entwickelt worden ist. 125 U m aber der vollen Dimension des Problems gerecht zu werden, ist zu berücksichtigen, daß der B G H i m Laufe seiner Judikatur die Enteignung zum zentralen Tatbestand des deutschen Staatshaftungsrechts ausgeweitet hat u n d m i t Hilfe der Rechtsfigur des „enteignungsgleichen Eingriffs" auch rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigungen nach Enteignungsgrundsätzen beurteilt. Der „enteignungsgleiche Eingriff" ist damit ein wesentliches Element der Enteignungsjudikatur des BGH. Ohne an dieser Rechtsfigur K r i t i k zu üben, soll die diesbezügliche J u d i k a t u r i n ihren Grundzügen n u r soweit dargestellt werden als es zum Verständnis der Abgrenzungsjudikatur des B G H erforderlich ist. A n anderer Stelle werde ich mich u m den Nachweis bemühen, daß die Rechtsfigur des „enteignungsgleichen Eingriffs" das System des deutschen Staatshaftungsrechts sprengt u n d durch ein systemkonformes Rechtsinstitut, das sich auch de lege lata begründen läßt, ersetzt werden soll. Herkömmlicherweise verbindet sich m i t dem Begriff der Enteignung die Vorstellung eines rechtmäßigen Eingriffs. Der B G H hat jedoch von B G H Z 6, 270 ausgehend i n ständiger J u d i k a t u r die Rechtsfigur des „enteignungsgleichen Eingriffs" entwickelt, m i t dessen Hilfe rechtswidrige Eingriffe den Grundsätzen des Enteignungsrechts insbesondere hinsichtlich der Entschädigung unterstellt werden. Nach dieser von der Judikatur vorgenommenen Ausweitung des E n t eignungstatbestandes muß sich jede Eigentumsbeeinträchtigung, gleichgültig, ob rechtmäßig oder rechtswidrig, ob schuldlos oder schuldhaft, am A r t . 14

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

G G messen lassen. A l l e Eigentumsbeeinträchtigungen durch hoheitlichen Eingriff, die nicht bloße (rechtmäßige) Eigentumsbeschränkungen (Bestimm u n g von I n h a l t u n d Schranken des Eigentums, Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit) darstellen, sind Enteignungen (im weiteren Sinn) u n d lösen eine Entschädigungspflicht nach A r t . 14 GG aus. Die Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs verdankt ihre Entstehung dem Bestreben, eine Lücke i m deutschen Staatshaftungsrecht zu schließen. Nach dem bisherigen System staatlicher Ersatzleistungen f ü r hoheitliche Eingriffe entstanden bei rechtmäßigen Eingriffen Ansprüche aus Enteignungen u n d Aufopferung. Rechtswidrige Beeinträchtigungen führten n u r bei schuldhafter Verursachung zum Schadenersatz nach den Bestimmungen der Beamtenhaftung (§ 839 BGB) u n d der Amtshaftung (Art. 34 GG). Danach blieben schuldlos-rechtswidrig e Beeinträchtigungen ohne Ausgleich. F ü r einen A m t s haftungsanspruch fehlte es am Verschulden, Enteignung u n d Aufopferung entfielen als Anspruchsgrundlage mangels Rechtmäßigkeit des Eingriffs. U m diese Lücke zu schließen u n d zu einer rechtspolitisch wünschenswerten E n t schädigung zu gelangen, hat der B G H f ü r Beeinträchtigungen dieser A r t die Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs entwickelt. D a m i t ist ein recht einfaches, dreigliedriges System staatlicher Ersatzleistungen aufgebaut worden: a) Enteignung liegt vor bei rechtmäßiger Beeinträchtigung vermögenswerter Rechte. b) E i n enteignungsgleicher Eingriff liegt vor bei rechtswidriger (schuldloser u n d schuldhafter) Beeinträchtigung vermögenswerter Rechte. c) Eine Aufopferung liegt v o r bei allen Beeinträchtigungen nicht vermögenswerter Rechte. I n der dogmatischen Begründung hat der B G H drei verschiedene Wege beschritten, wobei der Ausgangspunkt i m m e r der gleiche w a r : das die Enteignung charakterisierende besondere, ungleiche Opfer. Da der B G H das Charakteristikum der Enteignung i n B G H Z 6, 270 i m ungleich treffenden, anderen Rechtsträgern nicht zugemuteten Sonderopfer sah, das jedoch u r sprünglich der Begründung der Entschädigungspflicht bei rechtmäßigen E i n griffen u n d der Abgrenzung der entschädigungslos zu duldenden rechtmäßigen Staatseingriffe von den rechtmäßigen zum Ersatz verpflichtenden Eingriffen diente, mußte er die Lehre v o m „besonderen Opfer" auch auf rechtswidrige Staatseingriffe übertragen. U m dies zu bewerkstelligen, hat er i n B G H Z 13, 88 auf die Gleichheit der Opferlagen der Betroffenen abgestellt. Den tieferen G r u n d f ü r eine entschädigungsrechtliche Gleichbehandlung von rechtswidrigen u n d rechtmäßigen Eingriffen sah er darin, „daß beide Eingriffe den Betroffenen i n ganz der gleichen Weise m i t einem Sonderopfer belasten". Der entscheidende Grundgedanke, nämlich die Auferlegung eines besonderen Opfers, ist — so führte der B G H schon i n B G H Z 6, 270 aus — „bei einem unrechtmäßigen Staatseingriff, der i n seiner W i r k u n g f ü r den Betroffenen einer Enteignung gleichsteht, mindestens i n dem gleichen Maße gegeben, w i e bei einer rechtmäßigen, also gesetzlich zulässigen Enteignung". Während der B G H i n B G H Z 13, 88 die Übertragung der Lehre v o m Sonderopfer auf rechtswidrige Eingriffe erfolgsbezogen durch eine Gegenüberstellung gleicher Opferlagen der v o n einem rechtswidrigen u n d der von einem rechtmäßigen Eingriff Betroffenen begründet hat, stellte er bereits i n B G H Z 6, 270 darauf ab, ob sich der i n Frage stehende rechtswidrige Eingriff f ü r den F a l l seiner gesetzlichen Zulässigkeit sowohl nach seinem I n h a l t w i e nach seiner t a t sächlichen W i r k u n g als eine Enteignung darstellen würde u n d ob er i n seiner tatsächlichen W i r k u n g dem Betroffenen ein besonderes Opfer auferlegt hat. I n B G H Z 32, 208 hat der B G H diesen Weg wieder verworfen. Nach dieser Entscheidung darf der rechtswidrige m i t dem rechtmäßigen Eingriff nicht „derart verglichen werden, daß allein auf die Rechtswidrigkeit u n d Rechtmäßigkeit abgehoben u n d gefragt w i r d , ob der rechtswidrige A k t auch dann eine enteignende, dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegende Maßnahme

I I . Bisherige Lehre u n d J u d i k a t u r a) Die Sonderopfertheorie

des BGH und der

167 Gleichheitssatz

Das z e n t r a l e K r i t e r i u m , m i t d e m die „ S o n d e r o p f e r t h e o r i e " die i n F r a g e stehende A b g r e n z u n g t r e f f e n w i l l 1 2 6 , ist der Gleichheitssatz 127. „ B e i der E n t e i g n u n g " , so f ü h r t e d e r B G H i n s e i n e m g r u n d l e g e n d e n Beschluß B G H Z 6, 270 (279 f.) aus, „ h a n d e l t es sich n i c h t u m eine a l l g e m e i n e u n d g l e i c h w i r k e n d e , m i t d e m W e s e n des betroffenen Rechts v e r e i n b a r e i n h a l t l i c h e B e s t i m m u n g u n d B e g r e n z u n g des E i g e n t u m s r e c h t s , s o n d e r n u m e i n e n gesetzlich zulässigen z w a n g s w e i s e n s t a a t l i c h e n E i n g r i f f i n das E i g e n t u m , sei es i n d e r G e s t a l t d e r E n t z i e h u n g oder der B e l a s t u n g , d e r die b e t r o f f e n e n e i n z e l n e n oder G r u p p e n i m V e r g l e i c h z u a n d e r e n ungleich, besonders t r i f f t u n d sie z u e i n e m besonderen, d e n ü b r i g e n n i c h t z u g e m u t e t e n O p f e r , das gerade n i c h t d e n I n h a l t u n d die G r e n z e n d e r b e t r o f f e n e n R e c h t s g a t t u n g a l l g e m e i n u n d e i n h e i t l i c h festl e g t , s o n d e r n das aus d e m K r e i s e d e r Rechtsträger einzelne oder G r u p p e n v o n i h n e n u n t e r V e r l e t z u n g des Gleichheitssatzes besonders trifft". M i t d e r U m s c h r e i b u n g der E n t e i g n u n g als n i c h t a l l g e m e i n e u n d u n gleich w i r k e n d e M a ß n a h m e k n ü p f t d e r B G H z w a r a n d i e E i n z e l a k t s t h e o r i e des R G an. D a d e r B G H j e d o c h z u Recht d e n i n das E i g e n t u m e i n g r e i f e n d e n V e r w a l t u n g s a k t m i t dessen gesetzlicher E r m ä c h t i g u n g zu e i n e r E i n h e i t v e r k n ü p f t ( B G H Z 6, 270 [284]), k a n n n i c h t a l l e i n m i t d e r I n gewesen wäre, w e n n er rechtmäßig ergangen wäre". Vielmehr stehe gerade m i t der Feststellung, daß ein Eingriff rechtswidrig sei, „das dem enteignungsgleichen Eingriff Eigentümliche fest, daß das dem einzelnen durch den E i n griff auferlegte Opfer jenseits der gesetzlichen allgemeinen Opfergrenze liegt und damit ein entsprechend dem Gebot des Gleichheitssatzes zu entschädigendes Sonderopfer darstellt". M i t dieser Entscheidung w u r d e ein grundlegender Wandel i n den Versuchen, die Lehre v o m besonderen Opfer auf rechtswidrige Eingriffe auszudehnen, vollzogen. Hatte der B G H bisher versucht, die „Enteignungsgleichheit" eines rechtswidrigen Eingriffs dadurch zu begründen, daß er — w i e bei rechtmäßigen Eingriffen — auch bei rechtswidrigen zwischen der Auferlegung besonderer u n d allgemeiner Opfer unterschied u n d dazu entweder auf die Gleichheit der Opferlage des von einem rechtmäßigen u n d rechtswidrigen Eingriff Betroffenen oder darauf abstellte, was der rechtswidrige Eingriff i m Falle seiner Rechtmäßigkeit darstellen würde, so hat er i n B G H Z 32, 208 v o m „konkreten Opferlagen vergleich" zugunsten eines abstrakten K r i t e r i u m s A b stand genommen. Während es nach den von B G H Z 6, 270 u n d B G H Z 13, 88 entwickelten Formeln gerade nicht mehr auf das K r i t e r i u m der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit ankommen sollte, k o m m t der Rechtswidrigkeit i n B G H Z 32, 208 entscheidende Bedeutung zu: Jeder rechtswidrige Eingriff legt dem Betroffenen schon deshalb ein Sonderopfer auf, weil er rechtswidrig ist. M i t der Rechtswidrigkeit des Eingriffs ist automatisch das Sonderopfer gegeben. Die Rechtswidrigkeit indiziert das Sonderopfer. ΐ2β v g i # neuerdings zur Sonderopfertheorie des B G H : Leisner, Sozialbindung, S. 132 - 146; Krumbiegel, Der Sonderopferbegriff, insb. S. 23 - 86. 127 Vgl. dazu statt vieler Wagner i n : FS Jahrreis, S. 441 ff. (451), Kimminich, Die öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten, JuS 1969, S. 349 (356); Bender, Staatshaftungsrecht, S. 7 u n d die i n F N 129 angegebene Literatur.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

dividualität des Verwaltungsaktes das „besondere Opfer" gegeben sein. Vielmehr orientiert sich der B G H zur Bestimmung des Sonderopfers stärker als das RG am Gleichheitssatz, aus dem er unmittelbar einen inhaltlich bestimmten, materialen Maßstab für die Abgrenzung gewinnen w i l l 1 2 8 . Darin liegt die Modifizierung der Einzelaktstheorie und nach manchen Autoren auch der Fortschritt der Sonderopfertheorie 129 . A n dieser Judikatur hat der B G H lange Zeit festgehalten. Der Satz: „Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz kennzeichnet die Enteignung" ist zur immer wiederkehrenden Formel i n den Erkenntnissen des B G H geworden 130 . Indessen ist mit der Ausrichtung der Einzelaktstheorie am Gleichheitssatz i n Wahrheit nicht viel gewonnen. Daß dies auch — freilich ohne es zuzugeben — der B G H erkennt, zeigt ein Blick auf seine neuere Judikatur: Seit dem Jahre 1960 spricht der B G H nur noch vereinzelt davon, daß der Verstoß gegen den Gleichheitssatz die Enteignung kennzeichne und von 1965 -1973 hat es der B G H überhaupt vermieden, auf den Gleichheitssatz als Abgrenzungskriterium zu verweisen 131 . Es muß deshalb überraschen, wenn der B G H i n drei Entscheidungen 132 aus dem Jahr 1973 plötzlich wieder auf den Gleichheitssatz rekurriert. Jedoch ist die Berufung auf den Gleichheitssatz i n all diesen Erkenntnissen nicht mehr als eine irreführende Reminiszenz an eine längst überwunden geglaubte Judikaturphase, die keineswegs entscheidungserheblich ist, sondern die Erkenntnisse lediglich i n sich widersprüchlich macht 133 . 128

B G H Z 6, 270 (280, 285). Scheuner i n Reinhardt / Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S.79ff.; Diester, Enteignung u n d Entschädigung (1953); Weber i n : N e u m a n n / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 372 f. ; Giese, Enteignung ohne Ende, D R i Z 1953, S. 61; Forsthoff, JZ 1952, S. 627 f.; Battis , Erwerbsschutz durch Aufopferungsentschädigung, S. 45 f.; zustimmend auch Pathe, DVB1. 1954, S. 76; Schwamberger, D Ö V 1956, S. 235. 130 B G H Z 6, 270 (280); B G H 22.12.1952, B G H Z 8, 256, B G H 6.10.1952, B G H Z 9, 400; B G H 20. 5.1954, B G H Z 13, 265 (319); B G H 26.11.1954, B G H Z 15, 268 (271); B G H 20.12.1956, B G H Z 23, 30 (32); B G H 4. 2.1957, B G H Z 23, 235; B G H 25.3.1957 (Buchendom) L M A r t . 14 GG Nr. 60; B G H 9.12.1957, VerwRspr. 10, Nr. 121 = L M A r t . 14 GG Nr. 70; B G H 10.12.1957, L M A r t . 14 GG Nr. 71 = N J W 1958, 380; B G H 24. 2.1958, W M 1958, S. 847 (848), B G H 3. 3.1958, B G H Z 27, 15; B G H 16.3.1959, L M A r t . 14 (Cb) Nr. 5 = M D R 1959, S. 558; B G H 25. 6.1959, B G H Z 30, 338; B G H 9. 5.1960, N J W 1960, S. 1618 = L M A r t . 14 GG (Ce) Nr. 24; B G H 9. 5.1960; L M A r t . 14 (Ce) Nr. 25, B G H 11.12.1961, M D R 1962, S. 307; B G H 14. 7.1965, N J W 1965, S. 2101. Auch der Bayr. V e r f G H sieht das Wesensmerkmal der Enteignung i n der Verletzung des Gleichheitssatzes (Bayr. V e r f G H 23.1.1953, VerwRspr. 5, 714). Beachtlich auch BVerfGE 14, 105 (120); Β FH, BStB.l 1959 I I I , S. 126 (131 f.); B F H E 77, 258 (261 f.). 131 I n B G H Z 54, 293 ist die gleiche oder ungleiche W i r k u n g einer Maßnahme n u r mehr ein K r i t e r i u m unter mehreren. 132 B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 126 = BayVBl. 1973, 413 = DVB1. 1973, 627 = N J W 1973, 623; B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 145 = BayVBl. 1973, 414 = DVB1. 1973, 625 = N J W 1973, 628; B G H 15.11.1973, M D R 1974, 296 = JR 1974, 259. 129

I I . Bisherige Lehre u n d Judikatur

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O b w o h l i n B G H Z 60, 145 die E n t e i g n u n g d u r c h d e n V e r s t o ß gegen d e n Gleichheitssatz gekennzeichnet i s t (a. a. O. 147), i s t es f ü r d e n B G H d e n noch u n e r h e b l i c h , w e n n andere G r u n d s t ü c k e m i t ä h n l i c h e n V e r h ä l t nissen k e i n e n B e s c h r ä n k u n g e n (durch Festsetzung eines Wasserschutzgebietes) u n t e r w o r f e n w e r d e n (a. a. O. 148). Dieser W i d e r s p r u c h löst sich f r e i l i c h b a l d , w e i l der B G H k u r z d a r a u f h e r v o r h e b t , daß entscheidend ist, ob der K l ä g e r i n d e r b i s h e r a u s g e ü b t e n N u t z e n fühlbar behindert ist (a. a. O. 150). Das gleiche B i l d b i e t e t B G H Z 60, 126. Z w a r c h a r a k t e r i s i e r t die V e r l e t z u n g des Gleichheitssatzes die E n t e i g n u n g (a. a. O. 130), doch k a n n i n f o l g e d e r u n t e r s c h i e d l i c h e n „ S i t u a t i o n s g e b u n d e n h e i t e n " der G r u n d s t ü c k e die h o h e i t l i c h e M a ß n a h m e zu u n g l e i c h e n tatsächlichen B e l a s t u n g e n f ü r die b e t r o f f e n e n E i g e n t ü m e r f ü h r e n , w a s aber — nach der Rechtsprechung des Senats — f ü r das V o r l i e g e n e i n e r E n t e i g n u n g u n e r h e b l i c h ist (a. a. O. 131) — u n d auch u n e r h e b l i c h sein k a n n , w e i l es nach A n s i c h t des B G H f ü r die Frage, ob eine B e e i n t r ä c h t i g u n g noch k r a f t d e r S o z i a l b i n d u n g entschädigungslos h i n z u n e h m e n oder als S o n d e r o p f e r d u r c h eine E n t s c h ä d i g u n g a b z u g l e i c h e n ist, „ w e s e n t l i c h a u f i h r e S c h w e r e " a n k o m m t (a. a. Ο . 132) 1 3 4 . Diese E n t s c h e i d u n g e n zeigen ganz d e u t l i c h , daß der B G H die i n F r a g e stehende A b g r e n z u n g , w e n n auch m a n c h m a l u n t e r d e m D e c k m a n t e l des Gleichheitssatzes 1 3 4 3 , n a c h ganz a n d e r e n K r i t e r i e n t r i f f t . 133 v g l . dazu auch Riegel, Abschied von der Sonderopfertheorie, BayVBl. 1973, S. 403 ff. 134 Auch i n B G H 15.11.1973 (JR 1974, 259) ist der Verweis auf den Gleichheitssatz nicht entscheidungserheblich. Hier löst der B G H die Abgrenzungsfrage i m wesentlichen über die „Situationsgebundenheit" (siehe dazu ausführlich unten I I , B, 3, b, bb). 1343 I n der — vereinzelt gebliebenen — Entscheidung B G H Z 57, 278 hat der B G H expressis verbis gar noch auf die ursprüngliche Einzelaktstheorie abgestellt, als er die enteignende W i r k u n g der E r k l ä r u n g eines l a n d w i r t schaftlich genutzten Geländes zum militärischen Schutzbereich nach dem SchutzbereichsG verneinte, w e i l die dadurch hervorgerufene Eigentumsbeschränkung erst m i t dem „Einzelakt" (der Versagung der Genehmigung f ü r ein konkretes, v o m L a n d w i r t gewünschtes Vorhaben) „spürbar" sei. Hier hat der B G H das formale K r i t e r i u m des Einzeleingriffs unglücklicherweise m i t dem materialen K r i t e r i u m der „Spürbarkeit" des Eingriffs kombiniert. Es ist dem B G H dadurch entgangen, daß die den L a n d w i r t betreffenden Verfügungsbeschränkungen sich nicht erst bei der Versagung der Genehmigung realisieren, sondern ζ. B. schon dann, w e n n der L a n d w i r t die Aussichtslosigkeit der Genehmigung infolge der Einbeziehung i n den Schutzbereich erkannt u n d daher von vornherein auf ein f ü r i h n wirtschaftliches Vorhaben verzichtet hat, ohne sich auf ein aussichtsloses Genehmigungsverfahren einzulassen. Überdies zeigt diese Entscheidung m i t besonderer Deutlichkeit, daß der B G H bei aller Modifikation der alten Einzelaktstheorie durch den Gedanken des „gleichheitswidrigen" Sonderopfers auch heute die Fesseln der E i n zelaktstheorie noch nicht abgestreift hat. Als schon i n der Weimarer Zeit das RG den Begriff der klassischen Enteignung insofern umgestaltet hatte, als es auch Eigentumseingriffe durch Gesetz als Enteignungen qualifizierte, entfiel das griffige w e i l formale Abgrenzungskriterium „Verwaltungsakt oder Gesetz", u m die Enteignung von der Sozialbindung zu unterscheiden. Die

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

I n der T a t k a n n die m o d i f i z i e r t e E i n z e l a k t s t h e o r i e n i c h t das leisten, w a s sich d e r B G H v o n i h r i n B G H Z 6, 270 (280) v e r s p r o c h e n h a t , als er sie als „ d e n e i n z i g z u t r e f f e n d e n . . . M a ß s t a b " bezeichnete. D e n n aus d e m Gleichheitssatz k a n n n i c h t u n m i t t e l b a r abgeleitet w e r d e n , wann im E i n z e l f a l l eine ungleiche B e l a s t u n g des B e t r o f f e n e n gegeben ist. Das h a t e i n m a l seinen a l l g e m e i n e n G r u n d d a r i n , daß die A u f f a s s u n g e n ü b e r I n h a l t u n d T r a g w e i t e des a l l g e m e i n e n Gleichheitssatzes a u f f a l l e n d d i v e r g i e r e n 1 3 5 , so daß es n i c h t z i e l f ü h r e n d sein k a n n , die o h n e h i n s c h w i e r i g e A b g r e n z u n g zwischen E n t e i g n u n g u n d E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g auch noch m i t diesen U n k l a r h e i t e n z u belasten. Z u d e m h a t Scheuner 138 zut r e f f e n d e r k a n n t , daß die F r a g e der G l e i c h h e i t eine F r a g e d e r Gerecht i g k e i t sei u n d daß es w e d e r k l u g noch g u t sei, die G e r e c h t i g k e i t als l e t z t e gesetzliche V e r w e i s u n g e i n z u f ü h r e n . D a z u gesellt sich noch die w e i t e r e S c h w i e r i g k e i t , daß d e r Gleichheitssatz nach b i s h e r i g e m V e r s t ä n d n i s als W i l l k ü r - u n d D i s k r i m i n i e r u n g s v e r b o t 1 3 e a aufgefaßt w u r d e . D a ß aber das V e r b o t w i l l k ü r l i c h e r D i f f e r e n z i e r u n g e n f ü r die A b g r e n z u n g zwischen E n t e i g n u n g u n d E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g nichts h e r g i b t , l i e g t a u f der H a n d 1 3 7 : A u c h eine sachlich g e r e c h t f e r t i g t e E i g e n t u m s b e e i n Gleichstellung „Einzelakt ist (gesetzesausführender) Verwaltungsakt" wurde aufgegeben u n d durch die Umschreibung des Einzelaktes als Eingriff, der bestimmte Personen oder doch einen verhältnismäßig eng begrenzten Personenkreis betrifft, ersetzt, w o m i t aber wiederum n u r der Verwaltungsakt — materiell — definiert wurde, wobei es freilich auf die formale Erscheinungsform des Eingriffs (gesetzesausführender Verwaltungsakt oder Gesetz) nicht weiter ankam. Der darin liegende Gedanke, daß der enteignende Einzelakt n u r ein I n d i v i d u a l a k t sein konnte, hat die Vorstellung wach gehalten, daß letztlich erst der individuelle Verwaltungsakt enteignend w i r k e n kann. Als der B G H daran ging, das enteignende Sonderopfer aus dem Gleichheitssatz zu konkretisieren u n d dabei wiederum an das Begriffspaar „generelleindividuelle" W i r k u n g anknüpfte, mußte auch der (gesetzausführende) V e r waltungsakt seine I n d i z w i r k u n g f ü r die Enteignung beibehalten. Da der Gleichheitssatz nach der eigenen Aussage des B G H nicht n u r eine formale, sondern auch eine materiale Abgrenzung zwischen Enteignung u n d Eigentumsbeschränkung erlaubt, k a n n freilich nicht der Formalbegriff des Verwaltungsaktes die Abgrenzung leisten, sondern die Eingriffsform des Verwaltungsaktes w i r d i n das K l e i d der K r i t e r i e n gestellt, nach denen der B G H — u n d i n der Regel losgelöst v o m Gleichheitssatz — die Unterscheidung trifft, w o f ü r B G H 57, 278 ein gutes Beispiel ist: M i t Hilfe des Verwaltungsaktes w i r d die „Spürbarkeit" des Eingriffs konkretisiert. 135 v g l . dazu die instruktive Aufstellung bei Battis , Erwerbsschutz durch Aufopferungsentschädigung, S. 47 f. 136 Scheuner, Diskussionsbeitrag am 36. D J T i n : Verhandlungen des 36. D J T I I , S. 452 f. îaea Als solches w i l l i h n w o h l auch der B G H f ü r die i n Frage stehende Abgrenzung dienstbar machen, w e n n er nachweist, daß das Wohnungsgesetz zu keiner sachwidrigen Ungleichbehandlung f ü h r t u n d deshalb einen allgemein gehaltenen gesetzlichen Eingriff i n die Eigentumssphäre darstellt (BGHZ 6, 270, 286). 137 So schon Schäfer, Referat zum 41. D J T i n : Verhandlungen zum 41. D J T 1/2 C, S. 3 (10); vgl. auch Chlosta, Wesensgehalt, S. 71. Dies verkennt auch B G H 2.10.1956, B G H Z 22, 1 (9) u n d B G H 20.12.1956, B G H Z 23, 30; aber auch schon B G H Z 9, 390 (400).

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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trächtigung kann zu einem besonderen Opfer führen, das nach Entschädigung verlangt, ganz abgesehen davon, daß ein an unsachlicher Differenzierung anknüpfender Eingriff verfassungswidrig ist und daher nicht eine rechtmäßige Enteignung darstellen kann 1 3 7 a . Deshalb haben sich auch Wolff 138 und i m Anschluß an i h n Battis 139 u m die Unterscheidung zweier Gleichheitssätze bemüht. Das gesetzesimmanente Gleichheitsgebot entspreche dem W i l l k ü r - und Diskriminierungsverbot. Das gesetzestranszendente Gleichheitsgebot, als dessen Erscheinungsform der Opferausgleichsatz gesehen werden kann, liege der Lehre vom besonderen Opfer zugrunde. Damit haben Wolff und Battis den richtigen Ansatzpunkt für die i n Frage stehende Abgrenzung, der schon als zutreffender und deshalb beizubehaltender K e r n der Einzelaktsund Sonderopfertheorie zugrunde lag, wonach nämlich der Enteignung das besondere, ungleiche Opfer begriffsnotwendig ist, auf die feste dogmatische Basis des Opferausgleichsatzes gestellt. Indessen kann auch das gesetzestranszendente Gleichheitsgebot selbst keine A n t w o r t darauf geben, wann i m Einzelfall eine ungleiche Belastung gegeben ist 1 4 0 . Denn ob die staatliche Maßnahme an essentielle Merkmale des Interessengegenstandes anknüpft, womit nach Wolff die Qualifikation der Maßnahme mangels Sonderopfer als Eigentumsbeschränkung verbunden ist oder ob die staatliche Maßnahme nicht Sachverhalte wesentlich gleicher Beschaffenheit erfaßt, also an akzidentelle Momente anknüpft, womit die betreffende Maßnahme als Enteignung zu qualifizieren wäre, läßt sich — wie schon Battis 141 erkannt hat — wieder nur an der „Sozialpflichtigkeit", „funktionsgerechten Verwendung", „Privatnützigkeit", „Risikoverteilung", „Zweckentfremdung", „Schwere des Eingriffs", „geschichtlichen Lage", der „Situationsgebundenheit" und an der dem Eigentum schon von vornherein „als Pflichtigkeit" 1 4 1 * latent immanenten Eigentumsbindung messen. 187a

Siehe dazu schon oben unter I I , B, 1. Siehe oben I, A , 3 bei F N 100. 139 Siehe oben I, A , 3 bei u n d i n F N 104. 140 Das soll kein V o r w u r f gegen die Theorie Wolffs sein, die j a nicht i m Hinblick auf die Abgrenzungsfrage entwickelt worden ist. So ist ζ. B. oben (I, A , 3 bei F N 100) darauf hingewiesen worden, daß die Entschädigungspflicht bei Enteignungen n u r dann aus dem Gleichheitssatz begründet werden kann, w e n n man den Opferausgleichsatz i m Sinne Wolffs als dessen E r scheinungsform anerkennt. 141 Battis , Erwerbsschutz, S. 52. 141a Daher ist es auch zutreffend, w e n n Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 81 ff.) die „Pflichtigkeitsjudikatur" des B G H als Konkretisierungsm i t t e l f ü r das „Sonderopfer" i m Sinne einer Verletzung des Lastengleichheitsgrundsatzes ansieht. Es w i r d n u r zu zeigen sein (unten I I , B, 3, b, bb) daß der B G H i n vielen Fällen das „Pflichtigkeitskriterium" nicht so versteht, sondern vielmehr an den allgemeinen Gleichheitssatz des A r t . 3 Abs. 1 GG anknüpft, u n d zwar gerade i n den die Folgejudikatur prägenden Entscheidungen „Grünflächenverzeichnis" (BGHZ 23, 30) u n d „Buchendom" ( L M A r t . 14 GG, Nr. 60). 138

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Daß der Gleichheitssatz nur den Ansatzpunkt f ü r die Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung darstellt ohne daß aus i h m selbst ein Abgrenzungskriterium gewonnen werden kann, hat auch der B G H i n Wahrheit längst erkannt. Schon i m Erkenntnis B G H Z 6, 270, von dem die Judikatur des BGH, die Enteignung von der Eigentumsbeschränkung nach der Verletzung des Gleichheitssatzes zu unterscheiden, ihren Ausgang nahm, hat der B G H i n concreto auf die Einzelaktstheorie — wie sie schon vom RG vertreten wurde — abgestellt. Daneben hat er jedoch — und das ist i n der Diskussion u m B G H Z 6, 270 untergegangen — auf ein durchaus brauchbares materiales K r i t e r i u m abgehoben, wenn er ausführt, daß es sich bei der Enteignung „nicht u m eine allgemeine und gleichwirkende, mit dem Wesen des betroffenen Rechts vereinbare inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentumsrechts" handle 1 4 2 . Diese Formulierung zeigt eine auffallende Parallele zur Zweckentfremdungstheorie Kutschers 143 : Eine Enteignung mache das Eigentum Zwecken dienstbar, die i h m zunächst fremd seien; sie löse das Eigentum aus dem bisherigen Zusammenhang, entziehe es, ganz oder teilweise, dem Zweck, dem es diente und weise i h m eine neue und fremde Aufgabe zu 1 4 4 . I m Begriff der Eigentumsbindung liege es dagegen, Inhalt und Wesen des Eigentums zu bestimmen und zu entfalten, es also seinen eigenen Zwecken zuzuführen, auch wenn dabei Beschränkungen der Eigentümerposition nötig sein mögen 1 4 5 . Es scheint, daß sich der Große Senat damit einen Weg offen halten wollte, das besondere Opfer auch nach anderen als den von der Einzelaktstheorie entwickelten K r i t e r i e n bestimmen zu können. Unbestreitbar ist freilich, daß der Große Senat den dem Erkenntnis B G H Z 6, 270 zugrundeliegenden F a l l nach den überholten K r i t e r i e n der Einzelaktstheorie entschieden hat. D a r i n ist auch der Grund dafür zu sehen, daß sich der B G H i n seiner späteren Judikatur — zumindest nach außen h i n — stärker als unbedingt notwendig an der Einzelaktstheorie orientierte, w o h l deshalb, w e i l der Große Senat i n B G H Z 6, 270 m i t Hilfe der Einzelaktstheorie zu einem durchaus sachgerechten Ergebnis gelangt ist. Doch die Stunde der Wahrheit schlägt für die Sonderopfertheorie bei Eingriffen i n Gruppeneigentum 1 4 6 . I n B G H Z 15, 268 w a r der B G H erst142

B G H Z 6, 270 (279 f.). Hervorhebung von mir. Kutscher, Die Enteignung, S. 123 ff.; zustimmend Weber i n : N e u m a n n / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 374; Schäfer, i n : Verhandlungen des 41. DJT 1/2, S. 3 (14). 144 Ähnlich schon Weber, Das Problem der öffentlich-rechtlichen Entschädigung, i n : Deutsches Verwaltungsrecht (1937), S. 481 ff. 145 Weber i n : Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , S. 384. 146 Siehe oben I I , B, 2, b bei F N 109. 143

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m a i s m i t i h r k o n f r o n t i e r t 1 4 7 . E r h a t h i e r b e i z u r A b g r e n z u n g der E n t e i g n u n g v o n d e r E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g a u f d e n Zweck der M a ß n a h m e abgestellt. D a m i t h a t der B G H f r e i l i c h a u f e i n K r i t e r i u m abges t e l l t , das d e r E i n z e l a k t s t h e o r i e f r e m d i s t u n d das v i e l m e h r e i n e m A b g r e n z u n g s g e s i c h t s p u n k t e n t s p r i c h t , der h i n t e r Reinhardts Privatnütz i g k e i t s t h e o r i e s t e h t 1 4 8 . I n seiner K r i t i k a n dieser E n t s c h e i d u n g h a t d e n n auch Dittus 149 z u t r e f f e n d e r k a n n t daß d e r G e d a n k e des Sonderopfers offensichtlich a u f d e n K e r n des Z u m u t b a r k e i t s p r i n z i p s z u r ü c k f ü h r e , n ä m l i c h a u f das I n d i z des Maßes des E i n g r i f f s u n d daß s o m i t die F r a g e a u f k o m m e , ob e i n E r g e b n i s i n d e r B e s t i m m u n g des E n t e i g n u n g s b e g r i f fes n i c h t l e i c h t e r u n d h a n d h a b u n g s f ä h i g e r z u e r z i e l e n w ä r e , w e n n m a n sich m e h r a n das E i n g r i f f s m a ß h a l t e n w ü r d e , als sich m i t der m ü h Z u den Schwierigkeiten der Sonderopfertheorie bei Gruppenenteignungen vgl. neuerdings Leisner, Sozialbindung, S. 136 - 141: Krumbiegel, Der Sonderopferbegriff, S. 38; Leisner, Der Sozialisierungsartikel als Eigentumsgarantie JZ 1975, S. 272 ff. (273). I n s t r u k t i v zur B i l d u n g der Vergleichsgruppen unter dem Aspekt der die Enteignung charakterisierenden Gleichheitsverletzung: B G H Z 18, 81 ff. (96 f.); B G H N J W 1959, 1109; B G H Z 45, 150 (156). 147 Siehe oben I I , B, 1 bei F N 63. 148 Nämlich: Sicherung der funktionsgerechten privaten Nutzung durch lokale Sperre. Siehe dazu schon oben I I , B, 1 bei F N 65. A n dieser Entscheidung, die w i e k a u m eine andere glaubt, die Abgrenzung zwischen Enteignung u n d Eigentumsbeschränkung aus dem Gleichheitssatz ableiten zu können, hat Forsthoff (Verfassungsrechtliche Bemerkungen zum Bausperrenurteil des Bundesgerichtshofes D Ö V 1955, S. 193) scharfe K r i t i k geübt. Seiner K r i t i k ist uneingeschränkt zuzustimmen, soweit er der E n t scheidung zum V o r w u r f macht, sie habe das K r i t e r i u m der Eingriffsschwere unbeachtet gelassen. I n der Tat hat es der B G H unterlassen, zu prüfen, ob denn jede überörtliche Planung, die er als Enteignung qualifiziert, die „Opfergrenze" erreicht. Nach der D i k t i o n des B G H wäre nämlich jede überörtliche Planung schlechthin eine Enteignung. Indessen vermag ich Forsthoff s Bedenken, daß nach dieser Entscheidung die Enteignung i m Gleichheitssatz aufgehe, nicht zu teilen. Denn der B G H hat die örtliche Planung deshalb als Eigentumsbeschränkung qualifiziert, w e i l sie der Sicherung der funktionsgerechten Verwendung des Eigentums des Betroffenen diene, während er diesen Gesichtspunkt bei überörtlichen Planungen nicht gelten ließ u n d sie deshalb als Enteignung qualifizierte. F ü r den Gleichheitssatz als W i l l k ü r verbot — u n d i n dieser Bedeutung w i l l i h n Forsthoff offenbar verstanden wissen, (Forsthoff, a. a. O., S. 194) — k o m m t es jedoch darauf an, ob die Maßnahme sachlich gerechtfertigt ist oder nicht. A n der sachlichen Rechtfertigung der überörtlichen Planung konnte jedoch kein Zweifel bestehen. Dennoch hat der B G H diese als Enteignung qualifiziert, w e i l er das ungleiche Sonderopfer der überörtlichen Planung i n Wahrheit nach Reinhardts Privatnützigkeitstheorie bestimmt hat, die zum wesentlichen T e i l auf der Zweckentfremdungstheorie Kutschers aufbaut (dazu I I , B, 5). Kritisch zu B G H Z 15, 268: Ernst, Z u m Bausperrenurteil des Bundesgerichtshofs, BBauBl. 1955, S. 56 ff.; Grauvogel, Das Bausperrenproblem, Der Städtetag 1955, S. 117 ff.; Stich, E n t schädigung bei Bausperren, JuS 1961, S. 346 ff. (350); Evers, Bauleitplanung, Sanierung u n d Stadtentwicklung (1972) S. 68 f.; Breuer, Die Bodennutzung, S. 224 ff. Ablehnend auch die J u d i k a t u r des B V e r w G : B V e r w G E 4, 120 (122 f.). 149

(165).

Dittus, Z u m Problem der Bausperrenentschädigung (I) D Ö V 1955, S. 161

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

samen Theorie abzuquälen, deren Unsicherheitsfaktoren so hoch seien, daß auch ein annäherungsweise zutreffendes und eindeutiges Ergebnis der langwierigen Rechnungs- und Betrachtungsmethoden i n Frage gestellt sei. I n der Tat hat der B G H auch diesen Weg beschritten. Es w i r d i m folgenden zu zeigen sein, daß der B G H i n der überwiegenden Zahl seiner Entscheidungen versucht hat, oft m i t Hilfe dogmatisch gewagter Konstruktionen die engen Entscheidungmaßstäbe, die BGHZ 6, 270 gesetzt hat, zu überwinden und u m sachgerechter Ergebnisse willen auf die Intensität des Eingriffs 1 4 9 8 und dessen Zumutbarkeit abgestellt hat. b) Eingriffsschwere und Folgenschwere als Unterscheidungsmerkmal zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung in der Judikatur des BGH aa) Wirtschaftliche Betrachtungsweise, Opfergrenze und Fühlbarkeit des Eingriffs Die wirtschaftliche Betrachtungsweise, der nach Ansicht des B G H i m Enteignungsrecht besondere Bedeutung zukommt 1 5 0 , erfüllt i n der enteignungsrechtlichen Judikatur des B G H zwei Funktionen: Einmal dient sie dazu, die enteignungsfähige Rechtsposition von den bloßen Erwerbsmöglichkeiten, Chancen und Hoffnungen abzugrenzen 151 . Z u m anderen geht der B G H von ihr aus, wenn es gilt, die Enteignung von der Eigentumsbeschränkung zu unterscheiden. Nur diese Funktion interessiert i n diesem Zusammenhang. I n seiner Entscheidung vom 30.5. I960 152 hat der B G H i n „wirtschaftlicher Betrachtungweise" eine Maßnahme als Eigentumsbeschränkung qualifiziert, deren Enteignungscharakter gemessen an der Einzelaktstheorie kaum zu bezweifeln gewesen wäre. Die Kläger waren Eigentümer einer Ziegelei. Ihnen war auf Widerruf die Erlaubnis erteilt worden, 150 kg des zum Abbau von Rohstoffen 140a Dazu diente i h m schon f r ü h i n den Fällen der Eigentumsentziehung der Begriff der „klassischen Enteignung" (BGHZ 4, 10 [47 f.]), i n deren Rahmen er auch konzediert hat, daß zwar durch die Entnahme von Baustoffen aus beschädigten Grundstücken eine große Anzahl von Eigentümern betroffen werde, die dafür i m Vergleich zu anderen besonders schwer getroffen werden (BGHZ 10, 255 [260]). 150 B G H 24.10.1955, B G H Z 19, 1 (4); B G H 28.1.1957, B G H Z 23, 157 (163); B G H 11.7.1963, W M 1963, 1100 (1101); B G H 2.7.1959, B G H Z 30, 241 (243); B G H 25. 6.1959, B G H Z 30, 338 (350); B G H 14. 7.1965, N J W 1965, 2101 (2102). 151 B G H 28.1.1957, B G H Z 23, 157 (163); B G H 31.1.1963, L M A r t . 14 GG (Ea) Nr. 32; B G H 31.1.1966, B G H Z 45, 150 (154); B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 145 (147). 152 B G H 30. 5.1960, L M A r t . 14 (Cf) Nr. 17 = M D R 1960, 1000.

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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benötigten Sprengstoffes auf ihrem Grundstück i n einem Bunker zu lagern. Nachdem für die Nachbargrundstücke Siedlungs- und Baugenehmigungen erteilt worden waren, wurde die Genehmigung auf die Lagerung von 100 k g eingeschränkt. Die Kläger sahen darin einen enteignenden Eingriff. Sie waren dadurch gezwungen, i h r Spengstofflager zweimal i m Monat aufzufüllen, während dies bei einer Lagerungsmenge von 150 kg nur einmal i m Monat notwendig war. Es kann nicht bezweifelt werden, daß i n diesem Fall ein einzelner, bestimmter Eigentümer zum Wohl der Allgemeinheit einen Eingriff (Einschränkung der Lagergenehmigung) i n sein Eigentum (Gewerbebetrieb) dulden muß. Nach der Einzelaktstheorie wäre eine Enteignung vorgelegen. Indessen hat der B G H auf die wirtschaftliche Auswirkung des Eingriffs abgestellt. Daß die Kläger nunmehr zweimal i m Monat den benötigten Sprengstoff heranschaffen müßten, sei eine wirtschaftlich so geringfügige Beeinträchtigung, daß damit kein Entschädigungsanspruch verbunden sei. „Denn auch bei der Enteignung besteht eine gewisse Opfergrenze, die überschritten sein muß, bevor man bei wirtschaftlich vernünftiger Betrachtung die Folge einer behördlichen Maßnahme als Sonderopfer, nämlich als fühlbare Beeinträchtigung von Vermögenswerten bezeichnet". Dem Ergebnis der Entscheidung ist vollinhaltlich zuzustimmen. Nur hätte die Einzelaktstheorie nie zu diesem Ergebnis geführt, und das K r i t e r i u m der Auswirkung des Eingriffs w i r d auch nicht aus dem Gleichheitssatz gewonnen. Vielmehr w i r d — durchaus sachgerecht — gefragt, ob der staatliche Eingriff gemessen an der Intensität seiner Folge dem Eigentümer zumutbar war. Bemerkenswert ist, daß der B G H das Sonderopfer ausdrücklich als fühlbare Beeinträchtigung definiert. Auch i n den Niveauänderungsurteilen 153 war die Eingriffsschwere das die Entscheidung tragende Kriterium. Die dogmatische Rechtfertigung dafür entnahm der B G H wiederum dem Erfordernis wirtschaftlicher Betrachtungweise. Dies w i r d besonders i n BGHZ 30, 241 deutlich. Eine Zufahrtsverschlechterung zu einem Grundstück stelle — so führte der B G H aus — unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht i n jedem Fall eine Enteignung dar. Eine Enteignung liege nicht vor, wenn die Erhöhung der Straßendecke über ein angrenzendes Grundstück geringfügig sei und der Höhenunterschied m i t geringen M i t t e l n ausgeglichen werden könne 1 5 4 . Offenbar sind derartige Beeinträchtigungen dem 153 B G H 2. 7.1959, B G H Z 30, 241 = N J W 1959, 1776 = L M A r t . 14 GG (D) Nr. 28 m. A n m . v. Pagendarm = M D R 1959, 918 = B B 1959, 831; B G H 2. 7.1959, N J W 1959, 1916 = L M A r t . 14 GG (D) Nr. 22; B G H 31.1.1963, L M A r t . 14 GG (Ea) Nr. 32. Vgl. dazu auch Bender, Sozialbindung des Eigentums u n d Enteignung N J W 1965, S. 1297 ff. (1300). 154 So auch B G H 2. 7.1959, N J W 1959, 1916: „Hiernach k o m m t es f ü r die Entscheidung wesentlich auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigimg an."

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Eigentümer zumutbar. Diese Judikatur hat der B G H i n seiner Entscheidung vom 31.1.1963 bestätigt und insofern präzisiert, als er die Frage nach der Erheblichkeit des Eingriffs als Prüfung der „tatbestandlichen Voraussetzungen" der Enteignung bezeichnete 155 . Auch i n BGHZ 50, 93 (98) verlangt eine wirtschaftliche Betrachtungsweise für das Vorliegen einer Enteignung das Uberschreiten der Opfergrenze 156 . Dem B G H ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er für das Vorliegen einer Enteignung die Überschreitung der Opfergrenze fordert. Wie der B G H jedoch selbst unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Betrachtungsweise erkannt hat, läßt sich die Opfergrenze weder nach der Einzelaktstheorie noch nach dem Gleichheitssatz entnommenen Kriterien bestimmen, sondern nur danach, ob die Beeinträchtigung gemessen an der Eingriffs- und Folgenschwere dem Eigentümer zumutbar ist oder nicht. Dieses wesentliche Element des Enteignungsverständnisses hat der B G H verkannt, als er i n seinem Grundsatzbeschluß die Zumutbarkeitstheorie verworfen hat 1 5 7 . Die Rechtsprechung des B G H zur Überschreitung der Opfergrenze stellt infolge der Beachtung der Eingriffs- und Folgenschwere nicht nur — wie BGHZ 50, 93 (98) meint — eine Ergänzung, sondern eine — zutreffende — Korrektur 158 des Beschlusses BGHZ 6, 270 dar 1 5 9 . I n dieses B i l d paßt auch gut die „Spürbarkeitsjudikatur", die der B G H insbesondere bei Eigentumsbeeinträchtigungen durch Bausperren und Bauverbote entwickelt hat 1 6 0 . Während noch das Freiburger Bau155

L M A r t . 14 GG (Ea) Nr. 32 (Bl. 1072). So auch B G H Z 48, 58 (63); nunmehr ständige J u d i k a t u r : B G H 30. 9.1970, B G H Z 54, 292 (296); B G H 20.12.1971, B G H Z 57, 359 (366); B G H 25.11.1974, W M 1975, 697. Ohne ausdrücklich auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise abzustellen, k o m m t es auch i n B G H Z 48, 65 darauf an, ob m i t dem Eingriff eine wesentliche Beeinträchtigung verbunden ist. 157 B G H Z 6, 270 (282 f.). 158 So deutlich w i e i n B G H Z 8, 273 ist der B G H freilich selten v o m Beschluß seines Großen Senates abgegangen. Hier (276) findet sich der überraschende Satz: „Die Gewährung eines Ersatzanspruches w i r d i n der Regel von der Schwere des Eingriffs abhängen." 159 Allenfalls könnte man bei wohlwollender Auslegung von B G H Z 6, 270 annehmen, die Judikatur des B G H zur „Opfergrenze" sei insofern schon i n B G H Z 6, 270 dem Grunde nach angelegt, als eine Beeinträchtigung, die unter der Opfergrenze bleibt, eine „ m i t dem Wesen des betroffenen Rechts vereinbare inhaltliche Bestimmung" u n d damit — auch nach B G H Z 6, 270 (280) — n u r eine Eigentumsbeschränkung darstellt. Freilich muß betont werden, daß der tragende Grund der Entscheidung eine durch den Gleichheitssatz modifizierte Einzelaktstheorie war. ιβο v g l . dazu Hussla, Die Enteignungsentschädigung f ü r ein Bauverbot i n der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, FS Riese (1964), S. 329 ff.; Hussla, Entschädigungspflicht bei einem vorübergehenden Bauverbot, N J W 1968, S. 631; Pagendarm, Bemessung der Enteignungsentschädigung nach der Rechtsprechung des BGH, W M 1972, S. 1 ff. (12 f.); Kröner, Die Eigentumsgarantie i n der Rechtsprechung des B G H 2 , S. 66 ff., 95 ff. 156

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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sperren-Urteil (BGHZ 30, 338) 1β1 die enteignende Wirkung einer vorübergehenden Bausperre nicht erst i n der Verhinderung einer tatsächlich ausgeübten Nutzung sah, sondern schon die Verhinderung einer objektiv möglichen Nutzung genügen ließ, weil es die Enteignungsw i r k u n g einer Bausperre einerseits — i n Anknüpfung an das Stuttgarter Bausperrenurteil 162 — zweckorientiert danach bestimmte, ob die Bausperre unter dem Aspekt der örtlichen Erschließung des Grundstückes zeitlich gerechtfertigt war, andererseits aber jede drei Jahre überdauernde Bausperre als Enteignung qualifizierte, hat der B G H bereits i n seiner Entscheidung vom 14.7.1965 163 eine Umlegungssperre nur dann als Enteignung qualifiziert, wenn sie i n Überschreitung der Opfergrenze eine konkrete wirtschaftliche Beeinträchtigung mit sich bringt. Eine solche sah der B G H darin, daß der bauwillige Eigentümer i n seinem Vorhaben durch ein Bauverbot gestört oder i n der sonstigen Verwertung seines Grundbesitzes i n fühlbarer Weise beinträchtigt wurde. Danach fordert der Enteignungsbegriff nicht die Verhinderung einer objektiv möglichen, sondern den Entzug (oder die Verzögerung) einer subjektiv intendierten Nutzungsmöglichkeit. Damit kommt aber der B G H nicht umhin, für die Enteignungsqualifikation auf die Eingriffsund Folgenschwere der hoheitlichen Maßnahme abzustellen. Die Formel, daß der wirklich bauwillige Grundstückseigentümer i n seinem Vorhaben gestört oder i n der sonstigen Verwertung seines Grundbesitzes i n fühlbarer Weise beeinträchtigt sein muß, wurde i n der Folge zur ständigen Judikatur bei vorübergehenden Bauverboten 164 . I m Unterschied dazu hat der B G H bei dauernden Bauverboten lange Zeit bereits i n der Rechtsverbindlichkeit der bauplanmäßigen Herabzonung eine Enteignung gesehen, wenn dadurch eine objektiv mögliche Nutzung entzogen wird, ohne daß es darauf ankommt, ob der Betroffene diese Nutzung auch tatsächlich wahrnimmt oder doch wahrnehmen w i l l . Eine subjektive Spürbarkeit des Eingriffs wurde — anders als bei vorübergehenden Bauverboten — nicht gefordert. Schon der Entzug einer objektiv gegebenen Nutzungsmöglichkeit vermindert den Bodenwert i n entschädigungspflichtiger Weise 165 . 161

Vgl. dazu insb. Stich, Entschädigung bei Bausperre — B G H Z 30, 338, JuS 1961, S. 346 ff. 162 B G H Z 15, 268. 168 N J W 1965, 2101 (2102). 164 B G H 29.11.1965, N J W 1966, 497 (498); B G H 29.4.1968, N J W 1968, 1278 (1279) = B G H Z 50, 93 (96); B G H 26.6.1969, N J W 1969, 1897 (1898); B G H 20.9.1971, B G H Z 57, 278 = N J W 1972, 490 (491); B G H 10.2.1972, B G H Z 58, 125 (129) = N J W 1972, 727 (729); B G H 19. 6.1972, N J W 1972, 1946 (1947); B G H 29.5.1972, W M 1972, 1030; B G H 3.7.1972, W M 1972, 1160 (1161); B G H 12. 7.1973, W M 1973, 1215 (1217). Dazu Reisnecker, BayVBl. 1975, S. 157 ff. (158). 165 B G H 10.12.1957, N J W 1958, 380; B G H 30.6.1958, B B 1959, 469; B G H 4.6.1962, B G H Z 37, 269 (272); B G H 27.9.1962, W M 1962, 1325 (1326); B G H 14.11.1963, N J W 1964, 294; B G H 9. 5.1960, N J W 1960, 1618. 12 Aicher

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Eine Wende dieser Judikatur zeichnet sich i n BGHZ 50, 93 ab 166 . Hierin führt der B G H i m Anschluß an Schütz / Frohberg 167 aus, daß mit der Rechtsverbindlichkeit einer bauplanmäßigen Herabzonung nicht notwendig die i m Enteignungsrecht erforderliche konkrete wirtschaftliche Beeinträchtigung für den Betroffenen spürbar werden muß. Eine durch die Herabzonung bedingte Minderung des Grundstückswertes müsse für den Eigentümer, weil er das Grundstück weder baulich nutzen noch veräußern wollte, noch beliehen hat noch beleihen w i l l , nicht unbedingt spürbar werden 1 6 8 . Dieser Auffassung ist der B G H bis heute treu geblieben 169 . Er hat damit die subjektive Spürbarkeit des Eingriffs zur Tatbestandsvoraussetzung der Enteignung gemacht 170 . Meines Erachtens ist diese Judikatur verfehlt. Gewiß bleibt bei vorübergehenden Bauverboten kein anderer Weg als die die Enteignung charakterisierende Opfergrenze nach der Beeinträchtigung einer tatsächlich (subjektiv) gewollten objektiv möglichen Nutzungsart zu bestimmen, weil dem Eigentümer nach Aufhebung der Bausperre die nach Lage und Beschaffenheit mögliche Nutzbarkeit wieder offensteht. Anders verhält es sich freilich bei den auf Dauer angelegten Bauverboten. Wenn der B G H meint, daß auch bei diesen der Eingriff für den Eigentümer nur „spürbar" wird, wenn er das Grundstück selbst bebauen oder i m Wege der Veräußerung einer baulichen Nutzung hätte zuführen oder sonst (z.B. durch Beleihung) den Baulandwert hätte „aktualisieren" können und wollen, so verkennt er, daß das m i t einem dauernden Bauverbot belegte Grundstück — unabhängig von den subjektiven Nutzungsintentionen — eine objektive Werteinbuße erfährt, die das Vermögen des Eigentümers „spürbar" mindert. Bei aller „Dynamisierung" des Eigentums darf man nicht vergessen, daß auch das „statische Haben" eines Eigentumsobjekts von der Eigentumsgarantie umfaßt ist und daß es mit dem Verständnis des A r t . 14 GG als Eigentumswertgarantie 171 i n größtem Widerspruch stünde 172 , wenn man die Leistung einer Enteigne N J W 1968, 1278 (1279). Schütz / Frohberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz 3(1970), A n m . 4 zu §40. ice w a s — w i e i n der vorliegenden Entscheidung erörtert — zur Folge hat, daß der Betroffene mangels wirtschaftlich unzumutbarer Beeinträchtigung keinen Übernahmsanspruch nach § 40 Abs. 2 BBauG hat. 169 B G H 27.11.1969, VersR 1970, 253 (255); B G H 8. 6.1972, N J W 1972, 1666; B G H 19. 6.1972, N J W 1972, 1946 (1947); B G H 27. 9.1973, W M 1973, 1299 (1301); B G H 25.11.1974, W M 1975, 697 (700). 170 Zustimmend Müller, Spürbarkeit des Enteignungseingriffes bei Bauverboten, N J W 1973, S. 2177 ff.; ablehnend Rüttgers, Nochmals: Spürbarkeit des Enteignungseingriffes bei Bauverboten, N J W 1974, S. 731 f.; ablehnend auch O L G Stuttgart, N J W 1976, 1696. 171 Weber i n Neumann/ Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte I I 2 , 350; vgl. auch BVerfGE 24, 367 (397 f.). 172 Daß diese Judikatur auch nicht i m Einklang m i t den Entscheidungen steht, i n denen der B G H ausgesprochen hat, daß es f ü r den Entschädigungs167

I I . Bisherige Lehre u n d J u d i k a t u r

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n u n g s e n t s c h ä d i g u n g f ü r die M i n d e r u n g des G r u n d s t ü c k s w e r t e s v o n der Z u f ä l l i g k e i t a b h ä n g e n ließe, ob der E i g e n t ü m e r a u f g r u n d seiner V e r m ö g e n s v e r h ä l t n i s s e oder der d e r z e i t i g e n M a r k t l a g e i m s t a n d e w ä r e , das G r u n d s t ü c k auch b a u l i c h z u n ü t z e n 1 7 3 , 1 7 4 . S i e h t m a n v o n diesem M a n g e l ab, zeigt die J u d i k a t u r z u r E n t e i g n u n g s w i r k u n g v o n B a u v e r b o t e n m i t v o l l e r D e u t l i c h k e i t , daß d e r B G H m i t d e m K r i t e r i u m d e r „ S p ü r b a r k e i t " die E n t e i g n u n g s q u a l i t ä t e i n e r E i g e n t u m s b e e i n t r ä c h t i g u n g nach d e r Z u m u t b a r k e i t d e r Folgenschwere des E i n g r i f f s u n d n i c h t a n der V e r l e t z u n g des Gleichheitssatzes oder a n der f o r m a l e n T y p i k des E i n g r i f f s a k t e s ( E i n z e l a k t ) m i ß t 1 7 5 . bb) „ P f l i c h t i g k e i t " u n d „ S i t u a t i o n s g e b u n d e n h e i t " W ä h r e n d i n d e n b i s h e r besprochenen F ä l l e n das K r i t e r i u m der E i n griffs- u n d Folgenschwere m i t H i l f e d e r T o p o i „ w i r t s c h a f t l i c h e B e t r a c h t u n g s w e i s e " , „ O p f e r g r e n z e u n d F ü h l b a r k e i t " i n die Rechtsprechung des B G H E i n g a n g g e f u n d e n h a t , d i e n e n auch die K o n s t r u k t i o n e n d e r „ P f l i c h t i g k e i t " u n d d e r „ S i t u a t i o n s g e b u n d e n h e i t " dazu, die engen G r e n anspruch nicht auf die subjektiven Möglichkeiten und Absichten des Betroffenen ankommt (BGH 6.12.1965, N J W 1966, 493; B G H 27.4.1964, L M Nr. 9 zu LandbeschG) hat Rüttgers (NJW 1974, S. 731) hervorgehoben. 173 Davon ist jedoch die Frage scharf zu trennen, ob nach „Situationsgebundenheit" des Grundstücks und herrschender Bauauffassung dem Grundstück überhaupt die objektive Nutzbarkeit als Bauland anhaftet. A u f den W i l l e n des Eigentümers, sein Grundstück — w e i l diesem die objektive Bebauungsmöglichkeit fehlt — ortsunüblich zu nutzen, k o m m t es hierbei nicht an (vgl. etwa den F a l l i n W M 1973, 1217). 174

Die für die durch den dauernden Entzug der Bebaubarkeit bedingte Wertminderung zu leistende Entschädigung ist auf die i m Falle der (späteren) Vollenteignung zu zahlende Entschädigung anzurechnen (vgl. B G H Z 37, 269 [272] ff.; B G H 10. 7.1975, W M 1975, 1004 [1006]). 175 Der B G H hat das „ F ü h l b a r k e i t s k r i t e r i u m " auch bei Eigentumsbeeinträchtigungen herangezogen, die nicht durch planungsbedingte Bauverbote verursacht wurden; so z.B. B G H 20.9.1971 — Einbeziehung i n den m i l i t ä rischen Schutzbereich — B G H Z 57, 278 (285 f.); B G H 20.12.1971 — Beeinträchtigung durch Untergrundbahnbau — B G H Z 57, 359 (366); B G H 25.1.1973 — Festsetzung eines Wasserschutzgebietes — B G H Z 60, 145 (150). Letztere Entscheidung ist deshalb beachtenswert, w e i l der B G H das Fühlbarkeitsk r i t e r i u m insofern objektiviert, als er es f ü r den Enteignungscharakter einer Maßnahme genügen läßt, daß dem Eigentümer „ v o n der N a t u r der Sache her gegebene, greifbare Nutzungsmöglichkeiten genommen werden". Ebenso bestimmt die Entscheidung B G H Z 60, 126 (131), die die „spürbare Last" des enteignenden Eingriffs aus der „Situationsgebundenheit" entnimmt, die Spürbarkeit des Eingriffs nicht allein nach der bisher ausgeübten Nutzung u n d nicht nach den subjektiven Nutzungsintentionen des Eigentümers, sondern danach, ob eine Nutzungsmöglichkeit, die sich aus den Gegebenheiten der örtlichen Lage und Beschaffenheit des Grundstückes bei vernünftiger und wirtschaftlicher Betrachtungsweise anbietet, untersagt oder wesentlich eingeschränkt w i r d . Vgl. auch jüngst B G H 30.1.1975, W M 1975, 630 (632), B G H 12. 6.1975, N J W 1975, 1778 ff. = B G H Z 64, 382 (391). 1

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

zen der Einzelaktstheorie zugunsten einer Abgrenzung nach Zumutbarkeitskriterien zu sprengen. Das K r i t e r i u m findet sich erstmals i n entscheidungserheblicher Weise i m „Grünflädienverzeichnisfall" 178 : Ein bisher landwirtschaftlich genutztes Grundstück wurde rechtmäßig i n ein Grünflächenverzeichnis aufgenommen. Damit war ein Bauverbot verbunden. Verkaufsverhandlungen, i n die die Eigentümer m i t einem Käufer, der das Grundstück bebauen wollte, getreten sind, haben sich deshalb zerschlagen. Die Kläger verlangten deshalb Entschädigung i n der Höhe der Differenz zwischen dem ortsüblichen Kaufpreis für Bauland und dem Wert für Ackerland aus dem Titel der Enteignung. Der B G H hat ihnen jedoch keine Entschädigung zugesprochen. Vom Standpunkt der Einzelaktstheorie wäre dieses Ergebnis verfehlt. Denn durch die Aufnahme i n das Grünflächenverzeichnis (Eingriff) w i r d einem bestimmten einzelnen Eigentümer ein Bauverbot (ungleich treffendes Sonderopfer) auferlegt, u m i n einem Industriegebiet die letzten Grünflächen vor Verbauung zu schützen (Interesse der Allgemeinheit) 1 7 7 . Diese Konsequenz der Einzelaktstheorie, auf deren Boden sich der B G H auch i n der Begründung der Entscheidung stellt, hat er jedoch nicht gezogen. Den Ausweg wiesen die Kriterien der „Situationsgebundenheit" und „Pflichtigkeit" der Grundstücke, die der B G H zur Konkretisierung des Gleichheitssatzes, dessen Verletzung die Enteignung charakterisiere, heranzog. Der Gleichheitssatz schließe nicht aus, daß eine Differenzierung hinsichtlich verschiedener Gruppen von Personen entsprechend den tatsächlich verschiedenen konkreten Verhältnissen und der vorliegenden besonderen Situation möglich wäre. Da der Gleichheitssatz gegen ungleiche Behandlung bei i m wesentlichen gleicher tatsächlicher Lage schütze, seien der Gesetzgeber und die Verwaltungsbehörden nicht gehindert, verschiedene Personengruppen aus sachlichen Gründen, die sich aus der jeweiligen verschiedenen tatsächlichen Lage, aus der Situationsgebundenheit vernünftigerweise ergeben, differenziert zu behandeln. Da das betreffende Grundstück i n der Nähe einer Stadt i n einem hochindustrialisiertem Gebiet liege, folge aus seiner Situationsgebundenheit, daß es „seiner Natur nach" mit einer begrenzten Pflichtigkeit (im Rechtssinne) belastet sei, die sich nach näherer Bestimmung des Gesetzes zu einer Pflicht (im Rechtssinne) verdichten könne. Die Pflichtigkeit bestehe darin, eine von zahl176 B G H 20.12.1956, B G H Z 23, 30 = L M Verwaltungsrecht — Allgemeines (Allgemeines Enteignungsrecht) N r . 9. Siehe dazu insb. Dittus, Planung u n d Sozialgebundenheit des Grundeigentums DVB1. 1957, S. 329. 177 So schon Schneider, Eingriffsschwere oder Einzelakt, D Ö V 1965, S. 292 (294).

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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reichen denkbaren Einzelbefugnissen zu unterlassen. Werde demnach dem Eigentümer für die Zukunft eine bisher noch nicht verwirklichte Verwendungsart, die unvereinbar ist m i t jener Situationsgebundenheit untersagt, so werde die Dispositionsfreiheit hinsichtlich eines solchen Grundstücks — w e i l sie gar nicht soweit reiche — eigentlich nicht beeinträchtigt. Auch i m sogenannten „Buchendomfall" 1 7 8 arbeitet der B G H wiederum mit der Pflchtigkeitskonstruktion. Dem Kläger wurde durch die Eintragung einer auf seinem Acker stehenden markanten Baumgruppe (Buchendom) i n die Natiirdenkmalliste die Möglichkeit genommen, diese wirtschaftlich zu verwerten. Der Kläger sah darin eine Enteignung. Wieder ging der B G H vom Gleichheitssatz aus. Dieser verbiete nicht, daß Personengruppen aus sachlichen Gründen, die sich aus der jeweiligen verschiedenen tatsächlichen Lage, aus der Situationsgebundenheit, vernünftigerweise ergeben, unterschiedlich behandelt werden. Aus der naturgegebenen Lage eines Grundstücks i n der Landschaft oder aus der besonderen A r t der äußeren Gestaltung des Eigentums i m Blick auf Besonderheiten und Seltenheiten der Natur könne demnach das Eigentum kraft seiner besonderen Situation, also „seiner Natur nach" m i t einer begrenzten Pflichtigkeit belastet sein, die sich nach näherer Bestimmung des Gesetzes zu einer Pflicht i m Rechtssinne verdichten könne. Halte sich die Eigentumsbeeinträchtigung i m Rahmen dieser Pflichtigkeit, liege lediglich eine entschädigungslos hinzunehmende Sozialbindung des Eigentums vor. Beide Entscheidungen decken die verhängnisvolle Genesis des „Pflichtigkeitsarguments" auf. Wie i n der Grundsatzentscheidung BGHZ 6, 270 sieht der B G H den tragenden Grund der Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung i m Gleichheitssatz. Hatte aber der B G H i n BGHZ 6, 270 die Gleichheitsverletzung zumindest auch danach konkretisiert, ob die betreffende Maßnahme „eine mit dem Wesen des betroffenen Rechts vereinbare inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentumsrechts" sei und ob sie „den Inhalt und die Grenzen der betroffenen Rechtsgattung allgemein und einheitlich festlegt" — wodurch sich der B G H wohl unbewußt i n die Nähe der Zweckentfremdungstheorie Kutschers 179 stellte — haben sich bis zum Grünflächenverzeichnisfall die Kriterien für die Konkretisierung der Gleichheitsverletzung gewandelt. I n BGHZ 22, 1 (9 f.) findet sich nämlich als einzige Konkretisierungshilfe für die die Enteignung kennzeichnende Gleichheitsverletzung die Überlegung, „daß eine Gruppe von Einzelfällen, die aus der Natur der Sache heraus und gemäß den Forderungen der Gerechtigkeit unzweifelhaft rechtlich gleich geregelt werden müs178 179

B G H 25. 3.1957, L M A r t . 14 GG Nr. 60. Siehe oben I I , B, 3, a bei F N 143.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

sen, nicht willkürlich, d.h. ohne ausreichenden sachlichen Grund und entgegen den klaren Forderungen der Gerechtigkeit, ungleich behandelt werden dürfe. Der Gleichheitsgrundsatz schützt gegen ungleiche Behandlung bei i m wesentlichen gleicher tatsächlicher Lage". M i t solchen Überlegungen hatte der B G H i n BGHZ 13, 265 (313), aber auch das BVerfG i n BVerfGE 3, 58 (135) den Gleichheitssatz als Willkürverbot i n Art. 3 GG gekennzeichnet. Beide Entscheidungen werden in BGHZ 22, 1 (9 f.) denn auch zitiert. Damit w i r d der von BGHZ 6, 270 zur Unterscheidung der Eigentumsbeschränkung von der Enteignung herangezogene Gleichheitsgedanke m i t dem „Sachlichkeitsgebot" des Willkürverbotes aufgefüllt. Indem der B G H den Gleichheitssatz, dessen Verletzung die Enteignung kennzeichnen soll, als W i l l k ü r - und Diskriminierungsverbot begreift 1 8 0 , hat er nicht nur die Chance vertan, den Gleichheitssatz als gesetzestranszendentes Gleichheitsgebot i m Sinne Wolffs zur Grundlage der i n Frage stehenden Abgrenzung zu machen 181 , sondern er w i r d auch für die Konkretisierung des „besonderen Opfers" schon vom Ansatz her auf falsche Bahnen gelenkt. Das „Sachlichkeitserfordernis" w i r d zum Abgrenzungskriterium. Das zeigt sich besonders deutlich i m „Buchendomfall" 1 8 2 : Nachdem der B G H ausgeführt hat, daß — gemessen an der Situation des Grundstückes — die Eintragung der Baumgruppe i n die Naturdenkmalliste sachlich gerechtfertigt war, folgt der irrige Satz: „Dann aber kann die Bindung des Klägers, die i n der Liste der Naturdenkmäler eingetragenen sieben Buchen wie b i s h e r . . . stehen zu lassen und nicht durch Schlagen zu verwerten, nicht als Enteignung angesehen werden". Diese Schlußfolgerung ist aber gewiß unhaltbar 1 8 2 3 . Daß nämlich die „Situation", i n der sich derartige Grundstücke befinden, deren Aufnahme i n das Grünflächenverzeichnis sachlich zu rechtfertigen vermag und damit also „ W i l l k ü r " ausscheidet, kann wohl nicht ernsthaft bestritten werden. Damit ist jedoch für die Frage „Enteignung oder Eigentumsbeschränkung" nichts gewonnen. Denn daß der Eingriff sachlich gerechtfertigt ist — was ja nichts anderes heißen kann als daß die Beeinträchtigung des Grundstückes unter anderem auch durch dessen „Situation" gerechtfertigt ist —, ist ja insofern eine Voraussetzung seiner Verfassungsmäßigkeit, als nur ein sachlich gerechtfertigter Eingriff i n das Eigentum 180 v g l . neben den i n I, A , 3 F N 106 angegebenen Autoren auch Kreft, Wasserwirtschaft 17, S. 46, der ausdrücklich auf A r t . 3 GG verweist. 181

in:

Siehe oben I, A , 3 bei F N 100. L M 14 GG, Nr. 60, BI. 732. 1823 Den hier deutlich zum Ausdruck kommenden Konnex der Pflichtigkeitskonstruktion m i t dem Gleichheitssatz als W i l l k ü r v e r b o t mißachtet Krumbiegel (S. 72, 111) w e n n er meint, der B G H habe i n Wahrheit die Pflichtigkeitskonstruktion als allgemeine Leitlinie seiner enteignungsrechtlichen Rechtsprechung an dem materialen Gleichheitsverständnis des Lastengleichheitsgebotes angeknüpft. 182

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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dem Erfordernis des öffentlichen Interesses entspricht, unter dessen A n forderung sowohl die Enteignung als auch die Eigentumsbeschränkung steht 183 . Damit liegt aber das K r i t e r i u m der „Situationsgebundenheit" auf ganz anderer Ebene. Es gehört zur Uberprüfung der Verfassungsmäßigkeit des eigentumsbeeinträchtigenden Eingriffs und nicht zur A b grenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung. Denn es kann keine Rede davon sein, daß nur jede willkürliche Eigentumsbeeinträchtigung eine Enteignung darstellt 1 8 4 und ebenso verfehlt wäre es, anzunehmen, jede sachlich gerechtfertigte Eigentumsbeeinträchtigung stelle lediglich eine Eigentumsbeschränkung dar. Der BGH rekurriert auf die der „Situationsgebundenheit" immanenten deskriptiven Realfaktoren 185 (Lage, Beschaffenheit) am falschen dogmatischen Ort, wenn er aus der sachlichen Rechtfertigung der Maßnahme (Aufnahme des Grundstückes i n das Grünflächenverzeichnis) auf eine besondere, „aus der Natur der Sache" abgeleitete „Pflichtigkeit" des Grundstücks schließt, der zufolge die durch die Maßnahme entzogene Nutzungsbefugnis (Verkaufsbefugnis zu Zwecken der Bebauung) aus der Eigentumsfunktion herausfällt, von der Dispositionsfreiheit des Eigentümers nicht umfaßt ist und deshalb de iure durch die staatliche Maßnahme nicht getroffen werden kann 1 8 6 . Meines Erachtens steht hinter der gewundenen Konstruktion einer aus der „Situationsgebundenheit" geborenen „Pflichtigkeit, die sich zur Pflicht verdichtet" 1 8 7 die für die i n Frage stehende Abgrenzungsproble183

Siehe oben I, A , 4. Eine solche wäre verfassungswidrig u n d würde nach der — w i e an anderem Ort noch zu zeigen sein w i r d — verfehlten J u d i k a t u r des B G H allenfalls einen Ersatzanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff auslösen. 185 So Schmidt-Aßmann, DVB1. 1973, S. 633 ff. (633). 186 Ich vermag deshalb Schmidt-Aßmann (a.a.O.) nicht zuzustimmen, daß dieses Verständnis der „Situationsgebundenheit" die Abschichtung der entschädigungslos differenzierungsfähigen essentiellen von den n u r entschädigungspflichtig differenzierungsfähigen akzidentellen Grundstücksmerkmalen nach der Wolffschen Enteignungsterminologie ermöglicht. Dies w a r erst möglich, nachdem der B G H i n der Folgejudikatur davon abgegangen ist, die essentielle „Pflichtigkeit" aus der „Situationsgebundenheit" als SachlichkeitsVoraussetzung zu konkretisieren, sondern die „Situationsgebundenheit" zur K o n kretisierung der „Zweckentfremdung" herangezogen hat. 187 Kritisch zum Pflichtigkeitsargument, w e n n auch aus anderer Sicht: Badura, Eigentumsgarantie und Benutzungszwang, D Ö V 1964, S. 539 ff.; Reuß, Die öffentlich-rechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unter besonderer Berücksichtigung des Enteignungsrechts und des Aufopferungsanspruches, DÖV 1957, S. 653 ff. (658 f.); Reuß, Der „Wesenskern des Eigentums" i m Sinne der Rechtsprechung zu A r t . 14 GG, DVB1.1965, S. 384 ff.; Riegel, Abschied von der Sonderopfertheorie, BayVBl. 1973, S. 403 ff. (405); Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem (1975) S. 303 ff.; Börner, Die Abgrenzung der Enteignung v o m nicht entschädigungspflichtigen Eingriff beim Bau von Energieleitungen i n : Börner, Die Beschaffung von Grundstücken f ü r Energieanlagen (1974), S. 34 ff. (52 ff.). 184

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

matik allein entscheidende Frage, ob dem Eigentümer i n dem betreffenden Fall ein derartiger Eingriff entschädigungslos zumutbar war 1 8 8 . A u f der Ebene der Zumutbarkeitsprüfung liegt denn auch ein Argument des BGH, mit dem er seine „Pfüchtigkeitskonstruktion" abzustützen versucht: Daß der Eigentümer diesen Eingriff entschädigungslos zu dulden habe, stimme auch m i t der „schlichten Wertung" überein 1 8 9 . Denn der Eigentümer werde nur an einer Verwendungsweise gehindert, die der „vernünftige und einsichtige Eigentümer von sich aus m i t Rücksicht auf die gegebene Situation nicht ins Auge fassen würde". Indessen erscheint es fraglich ob der „vernünftige und einsichtige Eigentümer" ein taugliches K r i t e r i u m darstellt, m i t dessen Hilfe auf die Zumutbarkeit des Eingriffs geschlossen werden kann. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, daß der B G H bei der „schlichten Wertung" schon ein ganz bestimmtes, von seiner Pflichtigkeitstheorie geprägtes Vorverständnis hatte. Anders ist es nämlich nicht erklärbar, das die „schlichte Wertung" einen derart intensiven Eingriff (Entzug der Bebauungsbefugnis) i n die ortsübliche Nutzung (Verkauf eines Grundstückes zum Zweck der Verbauung i n bebautem Industriegebiet) mit derart weitreichenden Folgen (Unverkäuflichkeit des Grundstückes) für entschädigungslos 190 zumutbar hält 1 9 1 . Wenn der B G H jedoch mit dem Abstellen auf die „schlichte Wertung" dartun w i l l , daß auch der vernünftige Eigentümer einsieht, daß es dem Wohl der Allgemeinheit entspricht, das Grundstück unbebaut zu lassen, so ist dies schon deshalb verfehlt, weil das Wohl der Allgemeinheit Voraussetzung einer rechtmäßigen Enteignung ist 1 9 2 . Ungeachtet dieser Unzulänglichkeiten wurde die Formel von der sich aus der besonderen Situation des Grundstückes ergebenden „Pflichtigkeit" i n der weiteren Rechtsprechung des B G H zur ständig wiederholten Begründungs188 v g l dazu auch Bender, Sozialbindung des Eigentums u n d Enteignung, N J W 1965, S. 1297 ff. (1300 f.); Schneider, Eingriffsschwere oder Einzelakt? D Ö V 1965, S. 292 ff. (294 f.). 189 B G H Z 23, 30 (35). 190 I m „Buchendom" — F a l l dagegen ist das Ergebnis der Entscheidung zutreffend. N u r hätte es der gekünstelten u n d das Sachproblem eher verdeckenden K o n s t r u k t i o n der Pflichtigkeit nicht bedurft, w e n n der B G H zugegeben hätte, daß der Eingriff gemessen an der Schwere seiner Folge dem Eigentümer zumutbar w a r , w e i l das Stehenlassen der Bäume die bisherige Wirtschaftsart oder Wirtschaftsstruktur des betroffenen Grundstückes i n keiner Weise geändert hat. 191 Das falsche Verständnis von dem f ü r die Enteignung relevanten Gleichheitsgebot f ü h r t auch i n B G H 9.12.1957 L M A r t . 14 GG Nr. 70 (Kapellenfall) zur Pfüchtigkeitskonstruktion. Auch hier hätte es jedoch genügt, den enteignenden Charakter des Verbotes, neben einer Kapelle einen Schuppen zu errichten, unter dem Hinweis darauf zu verneinen, daß dadurch die landwirtschaftliche oder kleingärtnerische — ortsübliche — Nutzung des Grundstückes durch die Klägerin nicht wesentlich beeinträchtigt wurde. 192 So auch Bender, N J W 1965, S. 1297 ff. (1301).

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Bisherige Lehre und Judikatur

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floskel . Nur hat sich i m Laufe der Judikatur der Bedeutungsinhalt der „Situationsgebundenheit" geändert. Hatte der B G H die Situationsgebundenheit anfänglich aus der konkreten besonderen Lage bestimmt, wurde i n der späteren Judikatur der normative Gesichtspunkt der Auffassung des „vernünftigen und einsichtigen Eigentümers", der — wie gezeigt — ursprünglich nur unterstützende Funktion hatte, zum tragenden K r i t e r i u m der „Situationsgebundenheit" 194 . Der „vernünftige Eigentümer" sieht nun nach Meinung des B G H freilich nicht nur auf die i n seinem Grundstück objektiv gelegenen Nutzungsmöglichkeiten, sondern er berücksichtigt auch die mittlerweile gewandelte Bauauffassung 195 , ja sogar die „gesamten Umweltverhältnisse" des Grundstückes 196 , so daß er entgegenstehende Nutzungsmöglichkeiten gar nicht ergreifen würde, m i t der Folge, daß diese nicht zum Eigentumsinhalt gehören, und i h m deshalb durch hoheitliche Maßnahmen, die sie für die Zukunft entziehen, gar nichts „genommen" wird, was zum Eigentumsinhalt gehört 197 . Verzichtet man jedoch auf die „konkrete, lagebedingte Situationsgebundenheit", um die Pflichtigkeit zu konkretisieren, w i r d es unmöglich, die entschädigungslos hinzunehmende Sozialbindung inhaltlich zu bestimmen, weil der „vernünftige und einsichtige Eigentümer" der richterlichen Sozialgestaltung des Eigentums einen allzu großen unkontrollierbaren Bereich überläßt. Daß dieser Maßstab i n Wahrheit nichts taugt, macht die Judikatur des B G H deutlich. I n BGHZ 60, 126 (130) 197a ist der B G H der Meinung, daß die Unterlassung einer Nutzungsmöglichkeit von einem vernünftigen und einsichtsvollen 193 B G H 10.12.1957, L M A r t . 14 GG Nr. 71; B G H 3. 3.1958, B G H Z 27, 15 (23 f.); B G H 16. 3.1959, L M A r t . 14 GG (Cb) Nr. 5; B G H 25. 6.1959, B G H Z 30, 338 (343); B G H 12.10.1959, B G H Z 31, 49 (57); B G H 9. 5.1960, L M A r t . 14 (Ce) GG Nr. 24; B G H 9. 5.1960, L M A r t . 14 GG (Ce) Nr. 25; B G H 8.11.1962, B G H Z 39, 198 (213 f.); B G H 30.9.1963, B G H Z 40, 355 (365); B G H 30. 9.1963, N J W 1964, 202 (203); B G H 13.7.1967, B G H Z 48, 193 (196 f.); B G H 1.7.1968, W a r n Rspr. 1968, 328; B G H 9. 6.1969, L M A r t . 14 (A) Nr. 44; B G H 28.10.1971, B G H Z 57, 178 (182); B G H 10. 2.1972, B G H Z 58, 124 (127); B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 126 (130if.); B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 145 (147); B G H 15.11.1973, JR 1974, 259 (260); B G H 25.11.1974, W M 1975, 697; B G H 30.1.1975, W M 1975, 630 f. (631 f.). 194 Vgl. insb. B G H 9. 5.1960, L M A r t . 14 (Ce) Nr. 25; B G H 13. 7.1967, B G H Z 48, 193 (196); B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 126 (131); B G H 25.1.1973, B G H Z 60, 145 (147); B G H 15.11.1973, JR 1974, 259 (260); B G H 24.11.1974, W M 1975, 697 (698); B G H 30.1.1975, W M 1975, 630 (631). Die Terminologie wechselt. Anstelle des „vernünftigen" Eigentümers t r i t t bisweilen eine „vernünftige u n d w i r t schaftliche Betrachtungsweise". Inhaltlich ändert sich dadurch nichts. 195 B G H Z 48, 193 (196). 196 B G H 25.11.1974, W M 1975, 697 (698). 197 So schon B G H Z 23, 30 (33); B G H Z 30, 338 (343) (wo aber die Situationsgebundenheit noch aus der konkreten Lage bestimmt w i r d ) ; B G H Z 48, 193 (196); B G H Z 60, 126 (131); B G H Z 60, 145 (148). 197a Kritisch dazu auch Salzwedel, Neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Rechtsfragen der Kiesgewinnung, Z f W 1973, S. 131 if.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Eigentümer da zu erwarten ist, „wo es sich u m die intensive Kollision der Interessen des Eigentums mit den jedermann einleuchtenden zwingenden Erfordernissen einer sinnvollen dem Wohle der Allgemeinheit dienenden Ordnung handelt". Damit ist die Kategorienvermengung perfekt. Denn aus dieser Kollisionssituation bezieht der eigentumsbeeinträchtigende hoheitliche Eingriff überhaupt erst seine Rechtmäßigkeitsqualifikation. Daraus folgt jedoch keineswegs, daß der Eigentümer den Eingriff auch schon entschädigungslos zu dulden hat. Schon i n BGHZ 60, 145 (147)198 hat aber der B G H die Anforderungen an den „vernünftigen" Eigentümer erheblich zurückgenommen, da der „vernünftige Eigentümer" jede „von der Natur der Sache her" gegebene wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsmöglichkeit ergreifen wird. Völlig klar gesehen hat der B G H dann i n seiner Entscheidung vom 12.6. 1975 199 : Auch vom „vernünftigen Eigentümer" w i r d man nicht erwarten können, daß er seine Nutzungsfreiheit allzuweit unterhalb der Grenze zur Polizeigefahr ansetzt 200 . Diese Einschätzung des „vernünftigen Eigentümers" ist gewiß realistischer als noch i n BGHZ 48, 193 (196) — Kölner-Hinterhaus —, doch zeigt die Entscheidung ganz deutlich, daß die Grenze zwischen Enteignung und Sozialbindung nach dem Grad der Anforderung variiert, die der erkennende Senat an den „vernünftigen Eigentümer" stellt. Daß dieser variable Maßstab zu einem Abgrenzungsdilemma i m Einzelfall führen muß, liegt auf der Hand. Das hat der B G H wohl auch gespürt und er hat — und dieses Phänomen zeigt sich öfters i n der Enteignungsdiskussion 201 — die Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigem und entschädigungslos hinzunehmenden Eingriff auf eine andere Ebene verschoben: „Pflichtigkeit" und „Situationsgebundenheit" dienen i n Wahrheit nicht mehr der A b grenzung zwischen Enteignung und Sozialbindung, sondern zur Bestimmung der zu „Eigentum" verfestigten Rechtsposition. Gehört eine Nutzungsmöglichkeit zum „geschützten" Eigentumsinhalt, ist der Entzug oder ihre wesentliche Beschränkung entschädigungspflichtig. Eine „situationsfremde", also eine vom vernünftigen Eigentümer nicht ausgeübte Nutzungsmöglichkeit, w i r d von der Dispositionsfreiheit des Eigentümers nicht mehr umfaßt und muß als nicht mehr zum Eigentumsinhalt gehörende Nutzungsmöglichkeit auch nicht entschädigt werden, wenn sie durch eine hoheitliche Maßnahme entzogen oder 198

199 200

Vgl. auch B G H 15.11.1973, JR 1974, 259 (260). B G H Z 64, 366 (381). M 1 9 7 5 ) 9 5 1 (956) =

W

Was dazu führt, daß ein vernünftiger Eigentümer i m Mischgebiet nicht unter allen Umständen v o m Wiederaufbau eines abgebrannten Sägewerkes Abstand genommen hätte. 201 So ζ. B. bei der Frage der „ U n m i t t e l b a r k e i t " des enteignenden Eingriffs (siehe dazu unten I I I , F, 1, c). 202 B G H 20.12.1956, B G H Z 23, 30 (33); B G H 25. 3.1957, L M zu A r t . 14 GG Nr. 60.

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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schwer beschränkt wird. Es mag sein, daß diese Entwicklung bereits i n den ersten „Pflichtigkeits"urteilen angelegt war, wenn es dort heißt, daß die Dispositionsfreiheit des Eigentümers eines Grundstückes nur soweit reicht, als sie mit der Situationsgebundenheit vereinbar ist 2 0 2 . Aus dem Kontext der Entscheidungsbegründungen geht jedoch hervor, daß der B G H damals noch der Ansicht war, daß auch die situationsfremde Nutzung noch des verfassungsrechtlichen Schutzes teilhaftig w i r d und nur deren Ausübung als konkrete Ausgestaltung der sozialen Gebundenheit des Eigentums entschädigungslos beschränkt werden kann 2 0 3 . Dieses Verständnis ist aber i m Laufe der Zeit verlorengegangen. Heute dient die „Situationsgebundenheit" dazu, gewisse Nutzungsbefugnisse überhaupt aus dem verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsinhalt auszuklammern. Das w i r d besonders deutlich i n BGHZ 60, 145 (148), wenn dort die Situationsgebundenheit herangezogen wird, um zu entscheiden, inwieweit „eine verfassungsrechtlich als ,Eigentum* geschützte Rechtsposition anzuerkennen" 204 ist 2 0 5 . Der Funktionswandel, den das K r i t e r i u m der Situationsgebundenheit erfahren hat, erleichtert jedoch keineswegs die Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslos zu duldenden Eingriffen. Ganz i m Gegenteil verkürzt er i n unzulässiger Weise die Unterscheidungsproblematik und er relativiert den Verfassungsschutz des Eigentums i n bedenklicher Weise. W i r d die „Situationsgebundenheit" auf der Ebene der „geschützten Rechtsposition" ins Spiel gebracht, w i r d das Abgrenzungsdilemma keineswegs geringer, weil ja die — unscharfen — Kriterien gleichbleiben. Ob man den konkreten Eingriff für entschädigungslos zumutbar hält, weil infolge der Situationsgebundenheit des Grundstückes der Eingriff das Ausmaß der zulässigen Sozialbindung nicht übersteigt oder weil infolge der Situationsgebundenheit die betroffene Nutzungsart aus dem verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsinhalt herausfällt, so bleiben doch die Kriterien, mit denen die Situationsgebundenheit konkretisiert wird, die gleichen: entweder deskriptiv-faktisch — nach Lage und Beschaffenheit des Grundstücks — oder normativ — nach 203 w e i l — u n d das macht der Konnex m i t dem Gleichheitssatz deutlich — die Situationsgebundenheit des Grundstücks dies sachlich zu rechtfertigen vermag. 204 Daran ändert auch die Beteuerung des B G H nichts, damit n u r die Grenzen der Sozialbindung zu ziehen (BGHZ 60, 145 [149]). Denn i n Wahrheit stellt sich die Frage nach der Sozialbindung nicht mehr, w e n n die konkrete N u t zungsmöglichkeit schon von vornherein aus dem Eigentumsinhalt eliminiert wird. 205 A n die ursprüngliche — freilich auch verfehlte — F u n k t i o n der „Situationsgebundenheit", den V o r w u r f des enteignungswesentlichen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz m i t dem Hinweis auf die i n der Situationsgebundenheit gelegene sachliche Rechtfertigung des Eingriffs zu entkräften, erinnert freilich noch deutlich die Formulierung i n B G H 15.11.1973, JR 1974, 259 (260).

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

der Auffassung des vernünftigen Eigentümers. Erleichtert w i r d dadurch die Einzelfallentscheidung gewiß nicht; ja sie w i r d sogar schwieriger, weil die ohnedies schon komplizierte Frage, ob der hoheitliche Eingriff eine konkrete Nutzungsmöglichkeit (als eigentumsähnlich verfestigte Hechtsposition) oder nur eine entfernt gegebene Nutzungschance betrifft, noch durch die weitere Frage erschwert wird, ob der vernünftige Eigentümer von der Nutzungsmöglichkeit überhaupt Gebrauch machen würde. Und weil eben diese Frage an Hand rationeller K r i t e rien kaum entschieden werden kann, begnügt sich der B G H m i t dem Standard des wirtschaftlich vernünftigen Eigentümers, der jede w i r t schaftlich sinnvolle Nutzungsmöglichkeit, die i n greifbare Nähe gerückt ist, ausüben würde. Damit w i r d jede den Grundstückswert erhöhende Nutzungsmöglichkeit — wogegen nichts einzuwenden wäre — zum verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsinhalt, woraus aber — und darin liegt der Fehlschluß — die Entschädigungspflicht für darauf einwirkende hoheitliche Eingriffe folgt. Weil eben der B G H m i t der „Situationsgebundenheit" i n Wahrheit die Entschädigungsfrage nicht mehr über die Konkretisierung der Sozialbindung, sondern über die Bestimmung des verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsinhaltes löst, orientiert er sich ausschließlich am Wertfaktor „objektive Nutzungsmöglichkeit" und verstellt sich dabei den Blick dafür, daß es für die Frage der Entschädigungspflicht auch auf die Qualifikation des Eingriffsaktes ankommt, und zwar insofern, als der Eingriffsakt der Versagung einer zwar wirtschaftlich sinnvollen, aber polizeilich-konkret gefährdenden Nutzung dienen kann. Diese Verkürzung der Entschädigungsproblematik hat i n BGHZ 60, 127 („Auskiesungs-Fall") zur Entschädigung bei Versagung wirtschaftlich sinnvoller Kiesgewinnung geführt, obwohl diese Nutzung wasserpolizeilich konkret gefährdend war und wie Schmidt-Aßmann 206 zutreffend gezeigt hat, nach polizeilichen Grundsätzen an sich keine Entschädigung zu leisten gewesen wäre 2 0 6 a . Der Gefahr, daß sich der B G H bei der Frage der Entschädigungspflicht ausschließlich daran orientiert, ob ein Eingriff i n eine einen wirtschaftlichen Wertfaktor darstellende Nutzungsmöglichkeit erfolgt, könnte freilich dadurch gesteuert werden, daß bei der Konkretisierung der „Situationsgebundenheit", die ja die Ausgrenzung des verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsinhaltes leisten soll, nicht allein auf den wirtschaftlich vernünftigen, sondern auch auf den „umweltbewußten" vernünftigen Eigentümer abgestellt wird, der eine zwar w i r t schaftlich sinnvolle Nutzung nicht ausüben würde, weil sie einer ge208

DVB1. 1973, 633 (634). 2oea D i e s e n Aspekt hat der B G H i n anderen Fällen der Ablehnung von Entschädigungsansprüchen des polizeilichen Störers durchaus Beachtung geschenkt (vgl. dazu B G H Z 43, 196; B G H Z 45, 23; B G H Z 55, 366).

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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wandelten Baugesinnung oder einer gewandelten wasserwirtschaftlichen Auffassung nicht mehr entspricht. Das würde indessen eine gefährliche Relativierung des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes bedeuten. Denn wenn eine nicht mehr situationsgerechte (im Sinne von nicht mehr umweltgerechte) Nutzungsart schon von vornherein aus dem verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsinhalt herausfällt, ist nicht nur jeder diesbezügliche Eingriff entschädigungslos hinzunehmen, sondern die betreffende Nutzungsart verliert überhaupt den Verfassungsschutz des A r t . 14 GG, so daß jeder diese Nutzungsart betreffende Eingriff an A r t . 14 GG nicht mehr meßbar ist, w e i l eben diese Nutzungsart gar nicht „Eigentum" i m Sinne des A r t . 14 GG ist 2 o e b . Das heißt aber nichts anderes, als daß diesbezügliche Eingriffe nicht einmal der Legitimation durch das öffentliche Interesse bedürften. Die Gefahr, die damit dem Eigentumsschutz droht, liegt auf der Hand. Solange eine zwar wirtschaftlich sinnvolle, aber der normativ verstandenen Situationsgebundenheit (im Sinne von Sozialgebundenheit) widersprechende Nutzungsmöglichkeit zum Eigentumsinhalt gehörte, konnte zwar, solange sich der Eingriff i m Rahmen der Konkretisierung der Pflichtigkeit bewegte, die Entschädigung versagt werden, jedoch blieb i m übrigen auch ein solcher Eingriff an A r t . 14 GG (ζ. B. hinsichtlich des öffentlichen Interesses) 207 meßbar. Die große Gefahr dieser Entwicklung liegt i n der Reduzierung des Schutzgehaltes des A r t . 14 GG auf die Entschädigungsgarantie, wobei außer acht gelassen wird, daß A r t . 14 GG Verfassungsschranken gegen Eigentumsbeeinträchtigungen enthält, die auch gegenüber Eingriffen ihre Wirksamkeit entfalten, denen gegenüber die Entschädigungsgarantie versagt. Wenn auch die Kriterien „Pflichtigkeit" und „Situationsgebundenheit" von allem Anfang an die Abgrenzungsjudikatur des B G H auf falsche Bahnen lenkte, weil sie der Konkretisierung eines Gleichheitsgebotes dienten, das die Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumbeschränkung nicht leisten konnte und das „normative" Verständnis der „Situationsgebundenheit" nur zu einer den Eigentumsschutz relativierenden Verschiebung der Abgrenzungsfrage geführt hat, ohne sie einer Lösung näher zu bringen, hinderte diese dogmatisch fragwürdige Konstruktion den B G H indessen nicht, i m Ergebnis zutreffende Entscheidungen zu fällen 2 0 7 8 . Das hat, was sich insbesondere 2oeb Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob eine bestimmte Nutzung deshalb keine geschützte Rechtsposition darstellt, w e i l sie sich unter dem Aspekt der existenten Raumverhältnisse als ortsunüblich darstellt (siehe dazu unten I I I , F, 1, b, cc nach F N 548). 207 Siehe oben I, A , 4 zu den insoweit gleichgelàgerten Verfassungsfragen bei A r t . 5 StGG. Diese Gefahr unterschätzt Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 84), w e n n er die strikte Trennung der Tatbestandsmerkmale „Eigentum" und „Sonderopfer" als unzutreffend ansieht. 207a So auch Bender, N J W 1975,1813 ff. (1815).

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

i n der neueren Judikatur zeigt, seinen Grund darin, daß der B G H unter dem Deckmantel der Situationsgebundenheit schlicht auf die Schwere des Eingriffs abstellt, indem er fragt, ob die bisherige oder zu erwartende Nutzung durch die hoheitliche Maßnahme „ i n einer ins Gewicht fallenden Weise erschwert" wird 2 0 8 . Ansätze, die enteignende Schwere zu konkretisieren, finden sich schon zu Beginn der PflichtigkeitsJudikatur: Beginnend mit seiner Entscheidung von 10.12.1957 209 hat der B G H konsequent den richtigen Kern, der seinem Abstellen auf die „Situationsgebundenheit" zugrunde liegt, zum tragenden Grund der Entscheidung gemacht: Der B G H hatte die Frage zu entscheiden, ob die Änderung des Grundstückes des Klägers durch einen neuen Bebauungsplan, nach dem nunmehr auf diesem Grundstück keine gewerblichen Anlagen mehr errichtet werden durften, eine Enteignung darstellt. Der Kläger hatte vor dem Krieg sowohl Wohnbauten als auch gewerbliche Gebäude errichtet. Letztere wurden durch Kriegseinwirkungen zerstört. Der B G H stellte darauf ab, daß der Kläger vor dem Krieg diese Baulandeigenschaft nach beiden Richtungen hin genützt habe und sie auch ohne Berücksichtigung des neuen Bebauungsplanes wieder hätte ausnutzen können. Durch den neuen Bauplan werde nun der Grundbesitz, wenn er nicht mehr mit gewerblichen Anlagen besetzt werden dürfe, teilweise seinem Zweck, den er durch die weitgehende Zerstörung der auf i h m errichteten gewerblichen Gebäude noch nicht verloren hatte, entfremdet 209*. Ausdrücklich verweist er auf das „Grünflächenverzeichnis-Urteil" 210 und das „Buchendom-Urteil" 2 1 1 , bei denen keine Enteignung anzunehmen war, da es an einer derartigen Zweckentfremdung fehlte. Das ist für das „Grünflächenverzeichnis-Urteil" freilich nur dann richtig, wenn man für die durch den staatlichen Eingriff „entfremdete" Nutzung auf die durch den Eigentümer bisher subjektiv ausgeübte Nutzungsart (hier: Nutzung als Ackerland) abstellt und gerade davon abstrahiert, ob die bisherige Nutzung der „Situation" des Grundstückes, also der Ortsüblichkeit entsprach. Denn i m „Grünflächenverzeichnis-Fall" lag die Veräußerung zu Zwecken der Verbauung, die durch die staatliche Maßnahme untersagt wurde, durchaus innerhalb der i n einem bebauten Industriegebiet ortsüblichen Nutzung. Diese Nutzung wurde aber durch die Aufnahme des Grundstücks i n das Grünflächenverzeichnis entzogen und — bemißt man die Nutzung 208 Vgl. B G H 30.9.1970, B G H Z 54, 293 (296); B G H 25.1.1970, B G H Z 60, 145 (148). 209 L M A r t . 14 GG Nr. 71 = W M 1958, 359 = N J W 1958, 380. 20öa Daß der Zweckentfremdungsgedanke der richtige K e r n der Pflichtigkeitstheorie ist, i n den sich die Gesichtspunkte des Existenz- und Vertrauensschutzes und des Bestandschutzes einbinden lassen, hat die Untersuchung von Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 77 ff.) jüngst bestätigt. 210 Siehe oben bei F N 176. 211 Siehe oben bei F N 178.

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nach der Ortsüblichkeit — der „objektiven" Nutzung entfremdet. A n ders verhält es sich jedoch, wenn man für die Frage der Zweckentfremdung auf die bisher vom Eigentümer subjektiv gewählte ortsunübliche Nutzung abstellt. Dann stellt die Aufnahme des bisher ortsunüblich genützten Grundstückes (Ackerland i n Industriegebiet) i n das Grünflächenverzeichnis keine Zweckentfremdung, sondern eine „Bestätigung" der bisherigen Nutzung und damit keine Enteignung dar. Es ist jedoch m. E. verfehlt, die Frage, ob durch den staatlichen A k t eine Zweckentfremdung und damit eine Enteignung bewirkt wird, nach der bisher vom Eigentümer bevorzugten Nutzung zu beantworten. Denn dann würde die Versagung jeder ortsunüblichen Nutzung auch dann eine Zweckentfremdung darstellen, wenn der Eigentümer nunmehr nur mehr ortsüblich nutzen dürfte 2 1 1 3 . Dem Eigentümer dafür eine Enteignungsentschädigung zuzusprechen, widerspricht jedoch dem i m Nachbarrecht positivierten Prinzip 2 1 2 , daß der ortsunüblich nützende Eigentümer die dadurch bedingte besondere Risikolage selbst zu tragen hat 2 1 3 . M i t diesem Erkenntnis bat der B G H zur Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung abermals die Zweckentfremdungstheorie Kutschers aufgegriffen 214 , auf die schon — wenn auch nicht ausdrücklich — i m Beschluß des Großen Senates 215 Bezug genommen wurde. Dabei hat er allerdings den Gedanken der Zweckentfremdung noch nicht mit dem Kriterium der „situationsgebundenen" Nutzung -gekoppelt, sondern für die Zweckentfremdaing auf die vom betroffenen Eigentümer bisher subjektiv bevorzugte Nutzungsart abgestellt. Aber auch diesen Mangel hat der B G H bereits i n einer zwei Monate später ergehenden Entscheidung behoben 216 . Danach „kommt es für die Abgrenzung der entschädigungslosen Eigentumsbeschränkung von der 2113 Dies übersieht auch Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 101), w e n n er dem B G H w o h l darin zustimmt, daß der Umstand, daß der Eigentümer die Nutzung ungestört ausgeübt hat, zum Ausdruck bringe, daß diese A r t der Verwertung dem Recht eigentümlich sei u n d sie nich unter Berufung auf eine vorgegebene Pflichtigkeit entschädigungslos untersagt werden könne. 212 §906 Abs. 2 B G B ; §364 Abs. 2 A B G B . 213 Davon ist jedoch die Frage scharf zu trennen, ob dem Eigentümer durch die an der ortsüblichen und situationsgebundenen Nutzungsmöglichkeit zu messenden Zweckentfremdung ein besonderes Opfer auferlegt w i r d , d.h. ob der Eingriff für den Eigentümer spürbar w i r d . Daß das Spürbarkeitskriter i u m unterschiedlich zu konkretisieren ist, je nachdem, ob de Zweckentfemdung n u r vorübergehend oder auf Dauer erfolgt, ist unter I I , B, 3, b, aa bei F N 160 (Bausperrenproblematik) dargelegt worden. 214 Daß der B G H f ü r die Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung auf die Zweckentfremdung abstellt, vermutet auch Stich, Entschädigung bei Bausperren — B G H Z 30, 338, JuS 1961, S. 346 (348). 215 B G H Z 6, 270. Siehe oben I I , B, 3, a bei F N 144. 218 B G H 24. 2.1958, W M 1958, S. 847 (849).

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

entschädigungspflichtigen Enteignung darauf an, ob der Bebauungsplan nur für die Zukunft eine bisher nicht verwirklichte bestimmte Verwendungsart untersagt, die i n Anbetracht der Lage dieses Grundstückes (Situationsgebundenheit) bei einer vernünftigen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ohnehin nicht ins Auge gefaßt wird, die 'also die Dispositionsfreiheit des Eigentümers nicht eigentlich beschränkt, oder ob er alle oder eine der verschiedenem nur möglichen wirtschaftlich vernünftigen Verwendungen, zu denen sich das Grundstück nach seiner örtlichen Belegenheit eignet oder bisher schon herangezogen war, beeinträchtigt oder unmöglich macht". Die Frage der Zweckentfremdung w i r d i n dieser Entscheidung durchaus zutreffend nach dem objektiven K r i t e r i u m der Situationsgebundenheit und der „örtlichen Belegenheit" des Grundstückes gemessen. I n der Folgezeit wurde diese Judikatur zur ständigen Rechtsprechung. So führte der B G H i n seiner Entscheidung vom 9. 5. I960 217 aus, daß eine Enteignung 'dann vorliege, wenn das Grundstück mit den Augen eines einsichtigen Eigentümers gesehen, „zur Zeit des Eingriffs objektiv (auch) i n der Weise nutzbar war (nicht bedingt genutzt wurde), i n der es der Eigentümer künftig nicht soll nutzen dürfen" 2 1 8 und i n den Entscheidungsgründen seines Erkenntnisses vom 16.3.1959 219 findet sich der Satz, daß bei der i n Frage stehenden Abgrenzung besonders die „Situationsgebundenheit" und eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zu berücksichtigen sei. Werde durch einen hoheitlichen A k t die von der Natur der Sache her gegebene und bisher stets ungestört «ausgeübte Benutzungsart untersagt oder wesentlich eingeschränkt, so liege eine Enteignung vor 2 2 0 . I n seinem Erkenntnis vom 29.10.1959 221 sah der B G H i n einer generellen Bausperre eine Enteignung, w e i l dem Kläger die Nutzung, die ortsüblicherweise i n der Bebauung und dem Ziehen von Erträgnissen »aus einem Bauwerk bestehe, unmöglich gemacht worden ist. Die Analyse älterer Entscheidungen, i n denen der B G H für die betreffende Abgrenzungsfrage die Konstruktion der „Pflichtigkeit" und das K r i t e r i u m der „Situationsgebundenheit" i n einem konkret-objektiven Verständnis 222 herangezogen hat, zeigt, daß sich der B G H damals — bei aller dogmatischen Problematik der Konstruktion — an eine für die Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung wesentliche Frage der Zumutbarkeit 217

L M A r t . 14 GG (Ce) Nr. 25. So auch B G H 30. 9.1963, N J W 1964, S. 202 (203). Dieser J u d i k a t u r zustimmend Franz Mayer, Privateigentum u n d Recht auf Naturgenuß, DVB1. 1964, S. 302 ff. (305). 219 L M A r t . 14 GG (Cb) Nr. 5. 220 So auch B G H 9. 5.1960, L M A r t . 14 GG (Ce) Nr. 24. 221 W M 1960, S. 408. 222 Vgl. zur Konkretisierung der „Situationsgebundenheit" i n diesem Sinn B G H Z 39, 198 (209 ff.). 218

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des Eingriffs herangetastet hat: Ein Eingriff, der dem Eigentümer eine objektiv situationsgerechte und ortsübliche Nutzungsart untersagt oder diese wesentlich beschränkt, ist dem Eigentümer nicht entschädigungslos zumutbar, weil er diesen Eingriff nicht vorhersehen konnte und er auch nicht durch eine ortsunübliche Nutzung dazu beigetragen hat, daß sein Eigentum durch den Eingriff besonders schwer getroffen wird. Freilich kann hier keine Rede mehr davon sein, daß der B G H das die Enteignung kennzeichnende besondere Opfer nach der am Gleichheitssatz orientierten Sonderopfertheorie bestimmt. I n Wahrheit entscheidet die Eingriffs- und Folgenschwere der staatlichen Maßnahme und damit die Zumutbarkeit, ob ein hoheitlicher A k t eine Enteignung oder eine bloße Eigentumsbeschränkung darstellt. cc) Die Dauer der Bausperre als Zumutbarkeitskriterium Daß der B G H das Sonderopfer nach der Zumutbarkeit der Eingriffsschwere mißt, w i r d auch aus dem „Freiburger Bausperren"-Urteil deutlich 2 2 3 . Eine Bausperre, so führte der B G H aus, sei dann als Konkretisierung der sich aus der Situationsgebundenheit ergebenden Pflichtigkeit des Grundstücks anzusehen, wenn sie, was ihre Dauer anbelangt, zur Sicherung eine sinnvollen Bauplanung des betreffenden örtlichen Gebietes notwendig sei. Jede nicht sachgerechte Verzögerung der Bauplanung und jede darauf beruhende Verlängerung der Bausperre lasse auch die zunächst als Eigentumsbeschränkung zu beurteilende Bausperre zur Enteignung werden 2 2 4 . Aber auch unabhängig davon, ob die Bauplanung unsachgemäß verzögert wurde oder nicht, stellt jede Bausperre, die länger als drei Jahre aufrecht erhalten wird, eine Enteignung dar 2 2 5 . Die unwiderlegliche Vermutung für das Vorliegen einer Enteignung bei einer länger als drei Jahre währenden Bausperre rechtfertigt der B G H zwar damit, daß es nach den vorliegenden Erfahrungen der Behörde möglich sein müsse, binnen drei Jahren die Planung für die Aufschließung eines bestimmten örtlichen Bereiches zu bewerkstelligen 226 . I n Wahrheit 223 B G H 25. 6.1959, B G H Z 30, 338 = L M A r t . 14 GG (Ce) Nr. 26 = N J W 1959, 2156 = M D R 1959, 992 = DVB1. 1960, 27 = VerwRspr. 13 Nr. 146 = B B 1959, 1118 = D B 1959, 1223 = W M 1959, 1337; vgl. dazu insb. Stich, Entschädigung bei Bausperren, JuS 1961, S. 346 ff.; ebenso „ K ö l n e r Bausperrenurteil": B G H 28. 6.1962 L M A r t . 14 GG (Ce) Nr. 28 = N J W 1962, 1673 = M D R 1962, 981 = B B 1962, 906. 224 Ständige Jud. seit B G H Z 30, 338 (347); vgl. etwa B G H 19. 6.1972, DVB1. 1973, 141 f. = N J W 1972, 1946 = W M 1972, 1226; B G H 12.7.1973, W M 1973, 1215 (1217); B G H 10. 7.1975, W M 1975,1004 (1005). Vgl. auch Deinhardt, BayVBl. 1974, S. 300 ff. (302 f.). 225 Ständige Jud. seit B G H Z 30, 338 (348); vgl. etwa B G H Z 58, 124 (130); B G H W M 1975, 1005. 226 Das BBauG hat freilich eine andere Regelung getroffen. Gemäß § 18 BBauG t r i t t eine Entschädigungspflicht erst dann ein, w e n n die Verände-

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Aicher

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

steht jedoch dahinter der Gedanke, daß es dem Eigentümer nicht zumutbar list, entschädigungslos durch länger als drei Jahre m i t der Bebauung seines Grundstückes zuzuwarten 227 . dd) Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs als Zumutbarkeitskriterium Aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ergibt sich die Amtspflicht der Verwaltungsbehörden bei ihrem Verwaltungsbandeln das Prinzip der Mindestintervention 2 2 8 und der Verhältnismäßigkeit 2 2 9 zu beachten 230 . rungssperre länger als 4 Jahre dauert. Neben der rechtmäßigen Veränderungssperre (§ 14 ff. BBauG) ist jedoch noch Raum f ü r eine „faktische Bausperre" i n dem Sinn, daß auch außer durch eine förmliche Veränderungssperre i n der Weise i n das Grundeigentum eingegriffen werden kann, daß die Behörde trotz Nichtvorliegens einer förmlichen Veränderungssperre eine nach allgemeinem Baurecht zulässige Bebauung verhindert u n d damit einen Enteignungstatbestand schafft. Eine faktische Bausperre liegt ζ. B. vor, w e n n auf G r u n d innerdienstlicher Weisungen f ü r ein bestimmtes Gebiet Bauanträge generell abgelehnt oder nicht bearbeitet werden. H i e r f ü r hat der B G H (28. 2.1966 L M § 14 B B a u G Nr. 1 = N J W 1966, 884) ausgesprochen, daß die Vier Jahresfrist nicht ohne weiteres gilt. Das gleiche gilt auch (so der F a l l i n B G H Z 58, 124 [130]), wenn der Hinweis des Bauamtes, daß eine Bauerlaubnis wahrscheinlich nicht erteilt werden w i r d , nicht einen Hinweis auf eine rechtmäßige Rechtsfolge darstellt u n d der Bauwerber infolge dieser Auskunft von der Bebauung absieht. Vgl. dazu auch B G H 3. 7.1972, N J W 1972, 1713 = W M 1972, 1160. Daß f ü r die neben der Veränderungssperre stehende faktische B a u sperre der A b l a u f von drei Jahren genügt, u m sie zur Enteignung zu machen (und nicht die vierjährige Frist des § 18), begründet der B G H damit, daß die rechtmäßige Veränderungssperre nach § 18 die Aufstellung eines Bebauungsplanes verlangt (§ 14 BBauG) u n d dazu erhebliche Planungsvorarbeiten notwendig sind, was eine längere Frist rechtfertigt (vgl. dazu auch Meyer / Stich / Tittel, Bundesbaurecht, A n m . 1 zu § 18). Vgl. zu dieser J u d i k a t u r auch jüngst Hussla, FS 25 Jahre B G H (1975), S.33ff. (36); Reisnecker, BayVBl. 1975, S. 157 ff. Z u r Verfassungsmäßigkeit des §18 B B a u G ; vgl. Haas, DVB1. 1961, S. 368; Zinkahn i n : Ernst / Bonczek / Halstenberg / Zinkahn, V e r w a l t u n g u n d W i r t schaft, Heft 25, Grundgedanken des Bundesbaugesetzes, S. 75; Schütz I Frohberg, Kommentar zum B B a u G 3(1970) A n m . 1 zu § 18. Z u m Anwendungsbereich des §18: Ziegler, DVB1. 1973, S.93ff.; Ziegler, D Ö V 1976, S. 232 ff. Z u m V e r hältnis der Veränderungssperre nach § 14 BBauG zur Umlegungssperre nach § 51: Trauten-Krier, DVB1.1971, S. 302 ff. (304 ff.). 227 Daß das B V e r f G i n BVerfGE 11, 294 (298) i n einer vorübergehenden Bausperre, an die sich ein Umlegungsverfahren anschloß, keine Enteignung sah, hat seinen G r u n d w o h l darin, daß die Kürze der Bausperre aufgrund der ohne Verzug eingeleiteten Umlegung zu einer dem Eigentümer entschädigungslos zumutbaren Beeinträchtigung führte. Anders wäre es nicht verständlich, w a r u m sich der dem BVerfG vorliegende F a l l v o n B G H Z 30, 338 unterscheiden soll. Die bloße Tatsache, daß es sich i n B G H Z 30, 338 u m eine selbständige Bausperre gehandelt hat, während sich i m vorliegenden F a l l an die Bausperre ein weiterer Verfahrensabschnitt anschloß, k a n n für sich allein nicht der tragende G r u n d sein. 228 Die V e r w a l t u n g hat i m Rahmen des Zumutbaren das ihrige zu tun, u m die nachteiligen Folgen des Eingriffs f ü r den Betroffenen herabzumindern. (Vgl. dazu statt vieler Bender, Staatshaftungsrecht S. 140 f.). 229 Die V e r w a l t u n g hat bei unvermeidbarer Gefahr drohender Nachteile von der beabsichtigten Amtsausübung dann abzusehen, w e n n diese Nach-

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Beeinträchtigt demnach ein Eingriff eine bestimmte Hechtsposition i n der Weise, daß er nach A r t u n d Dauer über das hinausgeht, was bei ordnungsgemäßer Durchführung der Verwaltungsagenden m i t möglichen und zumutbaren Mitteln sachlicher und persönlicher A r t notwendig ist, ist er infolge Amtspflichtverletzung rechtswidrig. Die Beachtung oder Überschreitung des Übermaßverbotes ist demgemäß eine Frage der Rechtmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit des Eingriffs 231 . Der BGH hat jedoch das Überschreiten des Übermaßverbotes zu einem K r i t e r i u m der Enteignung gemacht. I n all den Fällen, i n denen der B G H diese Rechtsansicht entwickelt hat, ging es u m diie Frage, ob eine Beeinträchtigung des „gesteigerten" Gemeingebrauches eines Unternehmens, das i n seinem Gewerbebetrieb vom „Kontakt nach außen" abhängig ist, an der Straße, die notwendig werden, u m die Straße i n ordnungsmäßigem Zustand zu erhalten oder den Bedürfnissen eines veränderten Verkehrs anzupassen 232 . Jedoch müsse die Verwaltung — wie bei -allen hoheitlichen Eingriffen — den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Jede Behörde habe -die Pflicht, bei Eingriffen von hoher Hand sich 'an die Grenzen des unumgänglich Notwendigen zu halten u n d die nachteiligen Folgen möglichst gering zu halten. Die Verkehrsbeschränkungen bleiben nach Ansicht des B G H nur dann lin den entschädigungslos hinzunehmenden Grenzen, wenn die Verwaltung auf die Interessen der Betroffenen insofern die gebotene Rücksicht nimmt, als derartige Maßnahmen „nach A r t und Dauer nicht über das hinausgehen, was bei ordnungsmäßiger Durchteile schwerer wiegen, als der m i t der Amtsausübung verfolgte Zweck (vgl. statt vieler Bender, Staatshaftungsrecht, S. 141). 230 Diese beiden Prinzipien werden terminologisch nicht immer unterschieden. Auch der B G H spricht i n den i m folgenden darzustellenden Entscheidungen v o m Verhältnismäßigkeitsprinzip, obwohl er streng genommen das Prinzip der Mindestintervention meint. Indessen k a n n diese terminologische Frage f ü r unsere Zwecke auf sich beruhen. Vgl. zum Gesamtproblem insb. v. Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1955); Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht (1961). 231 So auch Bender, Sozialbindung des Eigentums u n d Enteignung N J W 1965, S. 1297 ff. (1300); w o h l auch Köhler, Straßenbau u n d Eigentumsschutz, DVB1. 1963, S. 618 ff. (621). So auch B V e r f G i n : BVerfGE 18, 121 (132); 21, 150 (155); 25, 112 (117); 26, 215 (222); 31, 275 (290). 232 Siehe dazu die Zusammenstellung der Entscheidungen i n E. L M A r t . 14 (Ea) Nr. 32 (Bl. 4) u n d die i n den F N 233 u n d 234 angegebenen Entscheidungen. 1

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führung der Arbeiten m i t möglichen und zumutbaren Mitteln sachlicher und persönlicher A r t notwendig ist". Nach dieser Formulierung i m „Bärenbaude"-Fall 2 3 3 hat die Judikatur des BGH, für die Frage der Enteignung auch auf die Einhaltung des Verhältnismäßgkeitsprinzips abzustellen, ihren Abschluß erreicht 234 . Staatliche Maßnahmen, die gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen, sind rechtswidrig. Das hat auch der B G H erkannt, wenn er für den Fall, daß eine staatliche Maßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, einen Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gewähren w i l l 2 3 5 . Gleichwohl ist diese Judikatur nicht unproblematisch. Es ist bereits oben 236 dargestellt worden, daß der BGH seit seiner Entscheidung BGHZ 32,208 das für die Enteignung und damit auch für den enteignungsgleichen Eingriff charakteristische Sonderopfer gerade i n der Rechtswidrigkeit des Eingriffs sieht. Die Rechtswidrigkeit indiziert das Sonderopfer. A u f die Eingriffs- und Folgenschwere kommt es offenbar nicht an. Ist jedoch der staatliche Eingriff infolge der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips rechtswidrig, ist damit nach der Formel von BGHZ 32,208 das Sonderopfer und demgemäß die Enteignungsgleichheit gegeben, ohne daß es auf die Eingriffsfolge und Folgenschwere ankäme. Gegen den Satz: „Der Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip indiziert das Sonderopfer" bestünden aber ebenso Bedenken wie gegen die Ansicht, daß die Rechtswidrigkeit das Sonderopfer automatisch bedinge. Denn danach stellte schon jede noch so geringe Abweichung vom Gebot der Verhältnismäßigkeit einen entschädigungspflichtigen enteignungsgleichen Eingriff dar, ohne daß überhaupt geprüft werden würde, ob der Eingriff gemessen an seiner Intensität und seiner Folgenschwere die Opfergrenze zur entschädigungspflichtigen Enteignung erreicht. Indessen hat der B G H — spätestens i m „Bärenbaude"-Fall 2 3 7 — derartige Bedenken zerstreut, indem er ausdrücklich angeführt hat, daß nur „aus nicht unerheblichen" Abweichungen vom Gebot der Verhältnismäßigkeit ein Anspruch aus enteignungs233 So B G H 30. 4.1964, L M A r t . 14 G G (Cf) Nr. 24 = M D R 1964, 656 = B B 1964, 660 = D B 1964, 840 = W M 1964, 654; bestätigt i m „Buschkrug-BrückeF a l l " B G H 5. 7.1965, N J W 1965, 1907 m i t A n m . v. Schneider, = L M A r t . 14 GG (Cf) Nr. 27 = DVB1. 1965, 908 = D Ö V 1966, 135 = VerwRspr. 17 Nr. 214 = D B 1965, 1623 = W M 1965, 1023; vgl. zu diesem auch Battis , JuS 1971, 519 ff. 234 Ansätze dazu bereits i n B G H Z 23, 157; weiterführende Vertiefung i n den Entscheidungen des B G H v o m 25.6.1959 (BGHZ 30, 338); 7.7.1960 ( L M A r t . 14 GG [Cf] Nr. 16); 25.6.1962 (NJW 1962, 1816 = L M A r t . 14 GG [Ba] Nr. 25 = M D R 1962, 891 = D Ö V 1962, 905 = B B 1962, 906 = D B 1962, 1141 = W M 1962, 1087); 31.1.1963 ( L M A r t . 14 GG [Ea], Nr. 32); 11.6.1963 ( W M 1963, 1100); 10.10.1963 (NJW 1964, 198). 235 So auch B G H Z 55, 261 (266). 238 Siehe oben I I , B, 3 i n F N 125. 237 Siehe F N 233. Bestätigend B G H Z 57, 359 (362).

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gleichem Eingriff entsteht. Dahinter steht der durchaus zutreffende Gedanke, daß geringfügige Abweichungen vom Verhältnismäßigkeitsprinzip an sich i n «aller Regel zu Beeinträchtigungen führen, die die Opfergrenzen nicht überschreiten und deshalb dem Eigentümer zugemutet werden können. Erhebliche Abweichungen von den durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gesetzten Grenzen staatlichen Handelns führen i n aller Regel zur Auferlegung besonders schwerwiegender Opfer (Betriebsstillegung), die dem Betroffenen nicht entschädigungslos zugemutet werden können. Es zeigt sich also, daß auch hinter der Judikatur des BGH, nach der die Einhaltung oder Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und die Differenzierung zwischen der Erheblichkeit und der Unerheblichkeit der Abweichung von diesem darüber entscheidet, ob die staatliche Maßnahme lediglich eine Eigentumsbeschränkung oder eine Enteignung darstellt, i n Wahrheit die Frage der Zumutbarkeit des Eingriffs und damit ein an der Schwere des Eingriffs orientiertes materiales Abgrenzungskriterium steht 238 . ee) Die „Antastung des Wesenskerns" des Eigentumsrechts als K r i t e r i u m der Enteignung Es ist schon oben28® ausgeführt worden, daß die Verletzung des Wesensgehaltes des Eigentumsrechts kein K r i t e r i u m der Enteignung darstellt. Das hat auch der B G H i n seinem Grundsatzbeschluß BGHZ 6,270 (279) durchaus erkannt. I m Sinne seiner „relativen Theorie" 2 4 0 sah er das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums als verletzt an, wenn eine allgemein angeordnete gesetzliche innerliche Begrenzung es i n seiner wesensmäßigen Geltung und Entfaltung stärker und i n weiterem Umfang einschränkt, als dies der sachliche Grund, der zu der Begrenzung führt, zwingend erfordert. Ausdrücklich hat er darauf hingewiesen, daß eine derartige Begrenzung, wenn sie die verfassungsmäßigen oder übergesetzlichen Grenzen der Bindung überschreitet, deswegen keine Enteignung darstellt. Das Überschreiten der gezogenen Grenzen mache vielmehr den gesetzgeberischen A k t nichtig. Erst der rechtswidrige Einzelvollzug des nichtigen gesetzgeberischen Aktes könne enteignungsgleich 238 So auch Bender, Sozialbindung des Eigentums u n d Enteignung, N J W 1965, 1297 (1300): „Die Beachtung oder Überschreitung des Übermaßverbots . . . ist n u n hier nach dem B G H offenbar zu einer Frage der Zumutbarkeit geworden." 239 Siehe oben unter I, B, 3, f bei F N 405. H i e r sei n u r darauf verwiesen, daß A r t . 19 Abs. 2 GG sich deshalb nicht heranziehen läßt, da er n u r das Eigentum als I n s t i t u t i o n u n d nicht das konkrete Eigentum i m Einzelfall schützt (so auch Schack, Die Enteignungstheorie des Bundesverwaltungsgerichts, N J W 1963, S. 750 ff.). 240 Siehe dazu oben unter I , Β , 1 i n F N 203 u n d kritisch oben unter I, B, 3, d bei F N 300.

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wirken. Sieht man von der problematischen „relativen Theorie" des B G H und von (allfälligen Einwänden gegen die Rechtsfigur des „enteignungsgleichen Eingriffs" 'ab, ist die Ansicht des B G H konsequent und verfassungsrechtlich zutreffend. Diese richtige Erkenntnis w i r d jedoch i n der Folgezeit durch die Judikatur des B G H verwischt. Schon i n seiner Entscheidung vom 20.12.1956 241 ist unklar, ob eine generelle Norm, die den Wesensgehalt des Eigentumsrechtes antastet, einen enteignenden oder einen nichtigen Staatsakt darstellt. Liest man den Satz: „Jedoch darf auch eine so zulässige allgemeine Eigentumsbeschränkung den Wesenskern des Eigentums, . . . nicht antasten (Art. 19 Abs. 2 GrundG)" i m Kontext m i t den vorher stehenden Sätzen, i n denen der B G H ausführt, daß eiine sachlich differenzierte Behandlung von Personengruppen keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und deshalb auch keine Enteignung darstellt, so gewinnt man 'den Eindruck, daß der B G H die Verletzung der Wesensgehaltssperre als Enteignungskriterium ansieht 242 . Endgültige Klarheit bringt die Entscheidung des B G H vom 11.12.1961 243 , i n der er ausdrücklich die Verletzung des Wesenskernes des Eigentums als ein K r i t e r i u m der Enteignung qualifiziert: Ob eine Enteignung oder eine Eigentumsbeschränkung vorliegt, „beurteilt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, ob der hoheitliche Eingriff unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz dem betroffenen Einzelnen oder einer einzelnen Gruppe ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer i m Interesse der Allgemeinheit auferlegt oder nicht, wobei allerdings nach Art. 19 Abs. 2 GG auch eine mit dem Gleichheitssatz vereinbare allgemeine Eigentumsbeschränkung, wenn sie keine Enteignung sein soll, nicht den Wesenskern des Eigentums antasten dar/" 2 4 4 . Daß diese Ansicht verf ehlt ist, ist schon oben dargelegt worden 245 und kann 'hier auf sich beruhen. Hier ist es wichtiger darauf hin241

B G H Z 23, 30 (32). Diese Vermutung legen auch die weiteren Entscheidungen des B G H nahe: B G H 25. 3.1957, L M A r t . 14 GG, Nr. 60; B G H 9.12.1957, L M A r t . 14 GG, Nr. 70; B G H 10.12.1957, L M A r t . 14 GG, Nr. 71; B G H 9. 5.1960, L M A r t . 14 GG (Ce), Nr. 25; B G H 25. 6.1959, B G H Z 30, 338. 243 W M 1962, 307. 244 So auch noch die neuere J u d i k a t u r : B G H Z 48, 46 (51), B G H Z 60, 126 (130); B G H Z 60, 145 (147); B G H 15.11.1973, JR 1974, 259 (260). Dagegen erörtern B G H Z 43, 196 (205); B G H Z 53, 226 (242); B G H Z 54, 293 (296); B G H Z 56, 40 (42) und B G H Z 57, 375 (388) die Wesensgehaltssperre als Verfassungsgebot an den einfachen Gesetzgeber am dogmatisch richtigen Ort. 245 Siehe dazu oben I, B, 3, f bei F N 405. Zustimmend allerdings Kreft, Eigentumsinhalt u n d Enteignung bei der Festsetzung von Wasserschutzgebieten, i n : Wasserwirtschaft 17, S. 35 ff.: Kreft, Grenzfragen des Enteignungsrechts i n der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs u n d des Bundesverwaltungsgerichtshofs, FS Heusinger (1968), 167 ff. (177). A n der Wesensgehaltsverletzung orientiert sich offenbar auch Riegel, BayVbl. 1973, S. 403 ff. (405). Kritisch dagegen allerdings jüngst Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 138 ff.). 242

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zuweisen, daß der B G H auf das materielle K r i t e r i u m der Eingriffs- und Folgenschwere abstellt, wenn er — was dogmatisch bedenklich ist — d i e Verletzung der Wesensgehaltssperre als ein Enteignungskriterium anerkennt. Denn ohne eine substantielle Vorstellung vom Eigentum und ohne Beachtung der Eingriffsintensität ist die i n A r t . 19 Abs. 2 GG enthaltene Eingriffsbegrenzung nicht realisierbar 246 . Von besonderem Interesse sind i n diesem Zusammenhang die Entscheidungen des B G H vom 30.4.1964 („Bärenbaude") 247 und vom 5. 7.1965 („Buschkrugbrücke") 248 , w e i l der B G H m. E. (in diesen Entscheidungen den Begriff der Wesensgehaltsverletzung m i t einem anderen Bedeutungsinhalt verwendet, wodurch sich noch deutlicher »als i n den bisherigen Entscheidungen zur Wesensgehaltsverletzung zeigt, daß der B G H i n Wahrheit die Frage, ob eine Enteignung oder eine Eigentumsbeschränkung vorliegt, nach der Schwere des Eingriffs beantwortet. I m „Bärenbaude"-Fall finden sich die ersten Ansätze dazu. Nachdem der B G H ausgeführt hat, daß für die Frage, ob ein entschädigungspflichtiger staatlicher Eingriff vorliegt, überprüft werden müsse, ob die Behörde das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt habe, fügte er noch hinzu, daß auch hier der Grundsatz zu igelten habe, daß eine entschädigungslos hinzunehmende Sozialbindung dann nicht mehr vorliegt, „wenn die Maßnahme das Eigentumsrecht i n seinem Wesensgéhalt antastet (Art. 19 GG)". Diese Aussage überrascht. Denn wenn festgestellt ist, daß bei der Ausübung der eigentumsbeeinträchtigenden staatlichen Tätigkeit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, kann für den BGH, der die Wesensgehaltsverletzung i m Sinne der relativen Theorie danach mißt, ob das Grundrecht stärker eingeschränkt wurde, als dies der sachliche Anlaß und Grund, der zu diesem Eingriff geführt hat, unbedingt und zwingend gebietet, kein Raum für eine Wesensgehaltsverletzung sein. Allerdings hat der B G H — ohne auf seine relative Theorie Bedacht zu nehmen — eine Wesensgehaltsverletzung dann angenommen, wenn der staatliche Eingriff „die völlige Vernichtung oder Entziehung des Eigentums oder eines sonstigen rechtlich geschützten Vermögensgutes u n d alles, was wirtschaftlich betrachtet einer solchen Vernichtung oder Entziehung gleichsteht", zur Folge hat. Ob ein derartiger Eingriff rechtswidrig ist, hat der B G H off engelassen. Wenn der B G H m i t der soeben zitierten Formel den Wesenskern des Eigentums i m technischen Sinn des A r t . 19 Abs. 2 GG umschrieben hat, kann an der Rechtswidrigkeit einer den Wesenskern verletzenden staatlichen Maßnahme kaum ein Zweifel bestehen. Vorsichtig hat der B G H i n diesem Fall von einer Entschädigungspflicht „nach Enteignungsgrundsätzen" gesprochen. 246 So auch Forsthoff, Verfassungsrechtliche Bemerkungen sperren-Urteil des Bundesgerichtshofes D Ö V 1955, S. 193 ff. (194). 247 L M A r t . 14 GG (Cf) Nr. 24. 248 N J W 1965, 1907.

zum

Bau-

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2. Teil : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

I m „Buschkrugbrücke"-Fall hat der B G H die tragenden Entscheidungsgründe des „Bärenbau de "-Falles nochmals zusammengestellt. Wiederum überprüft der BGH, ob der staatliche Eingriff die Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips überschreitet. I n diesem Fall w i r d eine Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff wegen Rechtswidrigkeit des Eingriffs gewährt. Unmittelbar darauf folgt der entscheidende Satz: „Trotz Einhaltung dieser Grenzen muß die Behörde eine Entschädigung wegen (rechtmäßigen) enteignenden Eingriffs leisten, wenn i h r Vorgehen den Wesenskern eines geschützten Rechtsgutes angetastet hat". Der Wesensgehalt des Eigentums ist wie i m „Bärenbaude"-Fall umschrieben. Demnach ist ein Eingriff, der den Wesensgehalt des Eigentums verletzt, ein rechtmäßiger A k t , der eine Enteignung und nicht einen enteignungsgleichen Eingriff darstellt. Zwei Möglichkeiten bieten sich an, diesen Satz zu deuten: Entweder man qualifiziert i h n einfach als falsch. Denn ein staatlicher A k t , der den Wesensgehalt des Grundrechts verletzt (Art. 19 Abs. 2 GG) ist verfassungs- und damit rechtswidrig und könnte allenfalls Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff auslösen. Oder man hält den Satz für richtig, indem man annimmt, daß der B G H den Begriff „Wesenskern" nicht i n dem technischen Sinn des A r t . 19 Abs. 2 GG verstanden wissen wollte. Es wäre nämlich denkbar, daß der B G H unter „Antastung des Wesenskernes" des Eigentums einen Eingriff i n die „Substanz" des Eigentumsrechtes i m Sinne von Scheichers Substanzminderungstheorie verstanden hat 2 4 9 , wonach eine Enteignung dann vorliegt, wenn durch einen staatlichen Eingriff das Eigentum völlig entzogen oder wenn dessen Gegenstand i n seiner Substanz insofern vernichtet wird, als dessen objektiver wirtschaftlicher Wert durch den staatlichen Eingriff erheblich beeinträchtigt w i r d 2 5 0 . I n einem solchen Fall läge — sofern der Eingriff den formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen und dem allgemeinen Besten entspricht — ein rechtmäßiger enteignender Eingriff vor. Dann wäre freilich auch die Ansicht des BGH, ein Eingriff i n den Wesensgehalt stelle einen rechtmäßigen Eingriff dar, zutreffend. Die Annahme, daß der B G H den „Wesenskern" des Eigentums i m Sinne der „Eigentumssubstanz" verstanden wissen wollte, w i r d auch dadurch gestützt, daß er den (enteignenden) Eingriff i n den Wesenskern der Sache nach genauso umschreibt, wie die Substanzminderungstheorie enteig249 Scheicher, Gesetzliche Eigentumsbeschränkung u n d Enteignung, AöR 18, S. 321 ff. (insb. 350). 250 Stödter, öffentlich-rechtliche Entschädigung (1933), S. 209. Zustimmend zur Substanzminderungstheorie: Schäfer, Referat zum 41. DJT, Verhandlungen 1/2 (1955) C, S. 12 f. Beachte allerdings Scheicher, Eigentum u n d Enteignung nach der Reichsverfassung (FischersZ f. V e r w a l t u n g 60, S. 137 ff. [162]), w o er die Enteignung von der Eigentumsbeschränkung ganz i m Sinne der Einzelaktstheorie trennt.

I I . Bisherige Lehre u n d J u d i k a t u r

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nende E i n g r i f f e i n die „ S u b s t a n z " des E i g e n t u m s . „ D i e v o l l s t ä n d i g e E n t z i e h u n g oder V e r n i c h t u n g e i n e r Sache oder eines sonstigen geschützten Rechtsgutes sowie a l l e E i n g r i f f e , d i e w i r t s c h a f t l i c h b e t r a c h t e t einer V e r n i c h t u n g oder E n t z i e h u n g gleichstehen", v e r p f l i c h t e n z u r E n t s c h ä d i gung250*. D a f ü r s p r i c h t auch, daß der B G H anders als i n d e n b i s h e r i g e n E n t scheidungen n i c h t a u s d r ü c k l i c h a u f A r t . 19 A b s . 2 G G B e z u g n i m m t u n d daß er auch i n a n d e r e n F ä l l e n das V o r l i e g e n e i n e r E n t e i g n u n g a n n i m m t , w e n n e i n E i n g r i f f so e r h e b l i c h ist, daß eine W e r t m i n d e r u n g u n d d a m i t e i n Substanzverlust des E i n g r i f f s o b j e k t s v e r b u n d e n i s t 2 5 1 . W e n n der B G H i n diesen F ä l l e n d i e Grenze zwischen E n t e i g n u n g u n d E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g nach der S u b s t a n z m i n d e r u n g s t h e o r i e gezogen 25oa versteht m a n das „Wesensgehaltsargument" des B G H i n dem Sinn, daß die Substanz des Eigentums betreffende Eingriffe, also solche, die das Eigentumsrecht entziehen oder zumindest eine ökonomisch sinnvolle V e r w e r t u n g verhindern, Enteignungen darstellen, läßt sich das „Wesensgehaltsk r i t e r i u m " — w i e schon jüngst Krumbiegel (Der Sonderopferbegriff, S. 93 f.) erkannt hat — m i t der „Pflichtigkeitsjudikatur" des B G H i n Einklang b r i n gen. Wenn sich der B G H — trotz verfehltem Ausgangspunkt — dabei an das zutreffende K r i t e r i u m der Zweckentfremdung als Charakteristikum der E n t eignung herangetastet hat, so liegt i m Entzug der Rechtsinhaberschaft oder i n der Verhinderung einer ökonomisch sinnvollen Verwertung gewiß eine enteignende Zweckentfremdung oder w i e Krumbiegel die Pflichtigkeit versteht: niemals eine der betroffenen Eigentumskategorie ihrer N a t u r nach wesensmäßig eigentümlichen Beschränkimg. D a n n ist freilich Krefts Aussage (FS Heusinger, S. 166 ff. [177]), daß eine Enteignung auch dann vorliegen kann, w e n n der Gleichheitssatz gewahrt, aber der Wesenskern des Eigentums angetastet w i r d , problematisch. Krefts Satz wäre n u r dann zutreffend, w e n n er den Gleichheitssatz als W i l l k ü r v e r b o t i m Sinne des A r t . 3 Abs. 1 GG v e r stünde. Eine w i l l k ü r f r e i e Eigentumsbeeinträchtigung könnte i m m e r noch den Wesensgehalt verletzen. Diese Deutung entspräche auch dem Ausgangspunkt der Pflichtigkeitsjudikatur. Freilich wäre dadurch die Grundtendenz der A r b e i t Krumbiegels, wonach der B G H bei aller Unschärfe den Gleichheitssatz i n Wahrheit als Lastengleichheitsgrundsatz angewandt habe, erschüttert, da Kreft i m m e r h i n als Bundesrichter die Enteignungsjudikatur wesentlich mitgestaltet hat. Oder m a n versteht Krefts Bezugnahme auf den Gleichheitssatz als Bezugnahme auf den Lastengleichheitssatz. Dann ist Krefts Aussage aber falsch, w e i l sich durch die „objektsbezogene" Wesensgehaltsverletzung die Verletzung des Lastengleichheitsprinzips konkretisiert. 251 B G H 2. 9.1967, B G H Z 48, 58 (63); B G H 30. 5.1960, L M A r t . 14 GG (Cf), Nr. 17. I n B G H Z 48, 65 (67) hat der B G H die i m Buschkrug-Brücke-Fall geäußerte Rechtsansicht bestätigt. H i e r w i r d nunmehr auf die Substanzminder u n g abgestellt. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die „Antastung des Wesenskernes" fehlt gänzlich: „ . . . dabei hat jedoch die öffentliche H a n d nicht n u r den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, sondern darf auch nicht, w e n n anders sie eine Entschädigung wegen (rechtmäßigen) enteignenden Eingriffs leisten muß, das geschützte Rechtsgut des Anliegers gänzlich entziehen oder vernichten oder eine dem wirtschaftlich gleichstehende Maßnahme treffen." I n der neuesten J u d i k a t u r (FN 244) kehrt die Wesensgehaltsverletzung als Charakteristikum der Enteignung unter Verweis auf A r t . 19 Abs. 2 GG w i e der. Entscheidungserhebliche Folgerungen werden daraus freilich nicht gezogen.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

hat, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der tragende Grund dieser Entscheidungen i n der Schwere und Tragweite des Eingriffs zu sehen ist. Eingriffe, die die Substanz des Eigentumsrechts beeinträchtigen, sind dem Eigentümer nicht entschädigungslos zumutbar 2 5 2 . ff) Anliegerschäden durch Straßenarbeiten und Zumutbarkeit Daß der B G H für die Frage, ob ein staatlicher Eingriff als Enteignung oder als bloße Eigentumsbeschränkung zu qualifizieren sei, i n weit höherem Maße auf die Zumutbarkeit des Eingriffs als auf dessen generelle oder spezielle Wirkung i m Sinne der Einzelaktstheorie abstellt, w i r d vor allem i n den Fällen deutlich, i n denen der B G H zu entscheiden hatte, ob Beeinträchtigungen von gewerbetreibenden Straßenanliegern durch Arbeiten an der Straße zu entschädigen sind 2 5 3 . I n ständiger Judikatur hat hierzu der B G H ausgeführt, daß die besondere Lage an einer Straße, der sogenannte „Kontakt nach außen", der dem Inhaber eine Einwirkung auf den vorbeifließenden Verkehr und die Laufkundschaft oder dem Betrieb einen Zugang von der Straße ermöglicht, zum geschützten Bestand des „eingerichteten Gewerbebetriebes" gehört 254 . Indessen bedeutet der Zugang von und zu der Straße nach der Judikatur des B G H nur dann einen eigenen Wert, wenn sich der Betriebsinhaber darauf verlassen kann, daß dieser Zustand auf «die Dauer erhalten bleiben w i r d 2 5 5 . Der Straßenanlieger könne seine Erwartungen, die sich aus der Lage des Unternehmens an der Straße ergeben, nur auf den (Anlieger-) Gemeingebrauch an der Straße stützen25®. Der Rechtstitel des Gemeingebrauches, d. h. die bestimmungsgemäße Benutzung der öffentlichen Straße durch die Allgemeinheit, auf den der Straßenanlieger allein bauen könne, erhalte seinen Inhalt durch A r t u n d Zweck der Straße, 252 A u f die enge Verbindung der „Substanzgarantie" m i t der Frage der Zumutbarkeit des Eingriffs weist auch Schulte, Eigentum u n d öffentliches Interesse (1969) S. 139 f. hin. So auch Stödter, öffentlich-rechtliche Entschädigung, S.208 ff. 253 Vgl. dazu insb. Arndt, Anliegerschäden durch Straßenarbeiten, W M 1972, S. 1018 ff.; Schneider, D R i Z 1968, S. 190 ff.; Kröner, Die Eigentumsgarantie i n der Rechtsprechung des B G H 2 , S. 45 ff.; Gather , Dogmatische Bemerkungen u n d ausgewählte Rechtsprechung zum Enteignungsrecht, D W W 1973, S. 132 ff. (140 f.) ; Beckmann, Der Anliegergebrauch i m Straßenrecht von B u n d u n d Ländern, W R P 1975, S. 588 ff. (592 ff.). 254 Vgl. dazu statt vieler: B G H 28.1.1957, B G H Z 23, 157 (163); B G H 31.1.1963, L M A r t . 14 GG (Ea), Nr. 32; B G H 5.7.1965, N J W 1965, S. 1907 (1908); B G H 29. 5.1967, B G H Z 48, 65 (66); B G H 2.10.1967, D B 1968, 258 = W M 1968, 335; B G H 8.2.1971, B G H Z 55, 261 = W M 1971, 423; B G H 20.12.1971, B G H Z 57, 359 (361). 255 Vgl. dazu B G H 28.1.1957, B G H Z 23, 157 (165); B G H 24.4.1958, L M A r t . 14 GG Nr. 76; B G H 30. 4.1964, L M A r t . 14 GG (Cf) Nr. 24; B G H 5. 7.1965, N J W 1965, 1907; B G H 31.1.1966, 45, 150 (158 f.); B G H 29.5.1967, B G H Z 48, 65 (66); B G H 2.10.1967, D B 1968, 258. 258 So statt vieler B G H 2.10.1967, D B 1968, 258.

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wobei Ort und Zeit mitsprächen 257 . Deshalb müsse der Anlieger gewisse den Gemeingebrauch einschränkende Maßnahmen entschädigungslos hinnehmen, insbesondere den Gemeingebrauch anderer, oder die notwendigen und üblichen Verkehrsbeschränkungen zur Aufrechterhaltung des Verkehrs sowie die Behinderungen durch Ausbesserungsarbeiten an der Straße, die notwendig werden, u m die Straße i n ordnungsmäßigem Zustand zu erhalten oder den Bedürfnissen eines veränderten Verkehrs anzupassen, soweit die Straße als Verkehrsmittler (Kommunikationsmittel) überhaupt erhalten bleibt 2 5 8 . Für diese Ansicht gab der B G H auch eine dogmatisch überzeugende Begründung 2 5 9 : Derartige Beeinträchtigungen müsse der Anlieger entschädigungslos i n Kauf nehmen, weil er m i t solchen Beeinträchtigungen, die das Zusammenleben der Menschen m i t sich bringe, rechnen müsse. Beeinträchtigungen dieser Intensität sind dem Anlieger zumutbar, weil sie für ihn voraussehbar und für den gewerbetreibenden Anlieger deshalb auch kalkulierbar sind. Darauf, daß die Straße als Verbindung zum öffentlichen Wegenetz erhalten bleibt, darf der Anlieger vertrauen. Da er nicht damit rechnen muß, daß i h m die Straße als Kommunikationsmittel gänzlich entzogen wird, sind i h m derartige Eingriffe auch nicht entschädigungslos zumutbar. Es ist offenkundig, daß der B G H i n diesen Fällen das für die Enteignung charakteristische Sonderopfer nach dem K r i t e r i u m der Eingriffsund Folgenschwere ganz i m Sinne der Zumutbarkeitstheorie Städters 2™ und der darauf aufbauenden Schweretheorie des BVerwG 2 8 1 bestimmt hat. I n einer der neuesten Entscheidungen 262 zu dieser Frage hat der B G H denn auch offen die Schweretheorie zur Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung herangezogen, wenn er ausdrücklich ausführt, daß eine Entschädigung nach Enteiignungsgrundsätzen geleistet werden muß, wenn „die Folgen des Eingriffs . . . nach Dauer, A r t , Intensität und Auswirkung so erheblich sind, daß eine entschädigungslose Hinnahme i h m nicht mehr zumutbar ist". Deutlicher und präziser kann man die von BGHZ 6,270 ehedem ausdrücklich verworfene Zumutbarkeitstheorie kaum formulieren. 257

So B G H a.a.O. 258 v g l . d a z u dig F N 233 u n d 234 angegebenen Entscheidungen; an neuerer Jud.: vgl. B G H 31.1.1966, B G H Z 45, 150 (159); B G H 29. 5.1967, B G H Z 48, 65 (67); B G H 2.10.1967, D B 1968, 258 (259); B G H 5. 7.1971, W M 1971, 1389; B G H 20.12.1971, B G H Z 57, 359 (361). 259 So ζ. B. i n : D B 1968, 258 (259); B G H Z 57, 359 (361). 260 Stödter, öffentlich-rechtliche Entschädigung, insb. 208. Vgl. dazu auch unten I I , B, 4 i n u n d bei F N 312. 261 Siehe dazu sogleich unten unter I I , B, 4. 262 B G H 20.12.1971, B G H Z 57, 359 = W M 1972, 77 = JR 1972, 214; bestätigt durch B G H 11.3.1976, W M 1976, 588 = D B 1976, 1151; ebenso B G H 3.3. 1977, D B 1977,1359.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe gg) Das private Nachbarrecht als Bestimmungskriterium für die Enteignungsschwere

Störungen seines Eigentums muß der Eigentümer grundsätzlich nicht dulden. Er kann gemäß § 903 BGB gegenüber jedweder Störung m i t dem Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB vorgehen. Die umfassende Ausschließungsbefugnis ist jedoch i m Nachbarschaftsverhältnis eingeschränkt. Da Nachbargrundstücke Teile eines Raumes sind, kollidiert die i n § 903 BGB verbürgte Ausübung der Nutzungsfreiheit durch den einen Eigentümer infolge oft unvermeidbarer Außenwirkung m i t der ebenfalls i n § 903 BGB verbürgten Störungsfreiheit des anderen i m Nachbarschaftsverhältnis besonders intensiv. Das Nachbarrecht der §§ 906 ff BGB sucht diesen Interessenkonflikt dadurch auszureichen, daß es einerseits den Anspruch des Eigentümers nach § 1004 BGB dort beschränkt, wo i h m die Hinnahme der Beeinträchtigung als zumutbar erscheint, wobei § 906 BGB zwischen entschädigungsloser und entschädigungspflichtiger Duldung unterscheidet, daß es aber andererseits den Unterlassungsanspruch bei überwiegendem Abwehrinteresse des Eigentümers betont (§§ 906 Abs. 3, 907,908, 909). Für den Immissionsschutz nimmt § 906 BGB folgende Interessenabwägung vor: Einwirkungen, die die Benützung des Grundstückes nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen, muß der Eigentümer hinnehmen (§ 906 Abs. 1 BGB). Wesentliche, aber ortsübliche Einwirkungen müssen geduldet werden, wenn sie nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden können (§ 906 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Prävalenz des damit vom Gesetzgeber abstrakt vorgegebenen Einwirkungsinteresses, dem der Verlust des an sich nach § 903 BGB gegebenen Abwehranspruches korrespondiert, verlangt aber für den Fall, daß die Einwirkung zu einer über das zumutbare Maß hinausgehenden Nutzungsbeeinträchtigung führt, als Ausgleich für die Störung des Äquivalenzprinzips i m nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis 2 ® 3 eine Geldentschädigung2®4 (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB)2®5. Eine über das Ausmaß des 268 Vgl. Mühl, Grundlage u n d Grenzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, N J W 1960, S. 1133 ff. (insb. 1136); Mühl, N J W 1960, S. 2324 f.; Mühl, Die Ausgestaltung des Nachbarrechtsverhältnisses i n privatrechtlicher u n d öffentlich-rechtlicher Hinsicht, FS Raiser (1974), S. 159 ff. (insb. 162 f.); Westermann, Sachenrecht 5(1966), S. 304 f.; Meisner / Stern / Hodes, Bundesnachbarrecht 5(1970), S. 735 ff.; Baur, Lehrbuch des Sachenrechts 8(1975), S. 223; Westermann, Die F u n k t i o n des Nachbarrechts, FS Larenz (1973), S. 1003 ff. (insb. 1010 ff.). 264 Vgl. zum Konzept des § 906 B G B insb. Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 B G B (1964); zu seiner F u n k t i o n i n der J u d i k a t u r : Westermann, Sachenrecht 5(1966), S. 306 ff. u n d Nachtrag „Das Sachenrecht i n der Fortentwicklung" (1973), S. 21 ff.; Glaser, Das Nachbarrecht i n der Rechtsprechung 2(1973), S. 29 ff.; kritisch zu §906 als M i t t e l einer marktrationalen Lösung der Umweltschutzfrage jüngst Walz, Marktbezogener Umweltschutz u n d privatrechtlicher Immissionsschutz, FS Raiser (1974), S. 185 ff. (insb. 213 ff.); kritisch auch Lang, Grundfragen des privatrechtlichen Immissions-

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schutzes i n rechtsvergleichender Sicht, A c P 174 (1974), S. 381 ff. (insb. S. 392 ff.). 285 Nach dieser Regelung hat der beeinträchtigte Eigentümer den A b wehranspruch nach § 1004 B G B n u r gegenüber wesentlichen, nicht ortsüblichen Beeinträchtigungen u n d gegenüber wesentlichen, ortsüblichen, durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen zwar zu verhindernde, aber tatsächlich nicht verhinderte Beeinträchtigungen. Selbst dieser „ a n sich" gegebene Abwehranspruch ist jedoch i n den Fällen des § 14 BImSchG (vormals § 26 GewO) genommen, w e n n die Immissionen von genehmigten Betriebsanlagen ausgehen. Dann k a n n i m ersten F a l l n u r auf Errichtung schützender V o r kehrungen bzw. auf Schadenersatz geklagt werden, i m zweiten F a l l lediglich auf die Errichtung von Vorkehrungen, die die benachteiligenden W i r k u n gen ausschließen. Den dogmatischen G r u n d des Ausgleichsanspruches nach § 14 BImSchG sieht die h. L. i n der Versagung der an sich zustehenden, aber aus besonderen Gründen (Privilegierung des I m m i t t e n t e n aus öffentlichem Interesse) entzogenen Abwehrklage nach §1004 B G B (i.V. m i t §906 BGB); vgl. dazu statt vieler — noch zu §26 GewO — Konzen, Aufopferung i m Zivilrecht (1969), insb. S. 33 ff. u n d die dort dargestellte J u d i k a t u r des RG, die gestützt auf den Rechtsgedanken des §75 E i n l A L R u n d des §26 GewO die Rechtsfigur des bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruches entwickelt h a t ; vgl. auch Meisner / Stern / Hodes, Bundesnachbarrecht 5 , S. 865 ff. und zu § 14 BImSchG jüngst Baur, Die privatrechtlichen Auswirkungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes, JZ 1974, S. 657 ff. (659). Der Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 S. 2 B G B bei wesentlichen, aber ortsüblichen u n d auch nicht zu verhindernden Beeinträchtigungen w i r d dagegen nicht i m Verlust des an sich zustehenden Abwehranspruches gesehen, sondern auf die Äquivalenzstörung i m nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis gestützt. D a m i t beruht der Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 B G B auf einem Haftungsgrund, den die J u d i k a t u r entwickelt hat, u m bei ortsüblichen Immissionen, die nach § 906 (a. F.) B G B entschädigungslos hinzunehmen waren, i m Falle dadurch hervorgerufener Existenzvernichtung oder schwerer Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens (BGHZ 30, 273 [280] i n Fortführung der reichsgerichtlichen Judikatur) Geldersatz zusprechen zu können u n d den der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 906 durch das Gesetz v. 22.12.1959 (BGBl. I, 781) rezipiert hat (BGHZ 38, 61 [64]; vgl. dazu auch Konzen, a.a.O., S. 53ff.; Meisner/ Stern / Hodes, Bundesnachbarrecht 5 , S. 735 f.). Daß die i n ihren Haftungsvoraussetzungen aufeinander abgestimmten Ausgleichsansprüche nach § 14 BImSchG u n d nach § 906 Abs. 2 S. 2 B G B (vgl. dazu Baur, Sachenrecht 8 , S. 229; Konzen, a.a.O., S. 57 f.) auf unterschiedlichen Haftungsgründen beruhen, ist indessen zwar eine historisch e r k l ä r bare, i n ihrer scharfen Gegenüberstellung jedoch m. E. nicht aufrecht zu erhaltende Unterscheidung. Gewiß hat § 906 a. F. dem beeinträchtigten Eigentümer die entschädigungslose D u l d u n g auch von wesentlichen Immissionen dann zugemutet, w e n n sie ortsüblich waren. Offenbar ging der Gesetzgeber des B G B noch davon aus, daß sich die V o r - u n d Nachteile der i n § 906 zugelassenen „ortsüblichen" Immissionen f ü r die betroffenen Eigentümer von selbst ausgleichen würden, sei es, w e i l diese auch ihrerseits i m m i t t i e r e n d u r f ten, sei es, w e i l die Industrialisierung m i t dem „bösen Tropfen" der I m m i s sion über die Steigerung der Nachfrage nach G r u n d u n d Boden auch den „guten Tropfen" der Wertsteigerung der Nachbargrundstücke u n d über das Ansteigen der Bevölkerungsdichte den (landwirtschaftlich genutzten) Nachbargrundstücken erhöhte Absatzchancen bringen sollte. Dahinter stand jedenfalls auch der Gedanke — was aus der A n k n ü p f u n g der Duldungspflicht an die Ortsüblichkeit erhellt — daß es sich hierbei u m eine bloße Inhaltsbestimmung des Eigentums „ v o m Raum her" handelt, die deshalb entschädigungslos zu dulden ist. Infolge der industriellen Entwicklung hat sich die Vorstellung des Gesetzgebers als Fehleinschätzung erwiesen. Ortsüblich ge-

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

wordene Industrieimmissionen führten zur Existenzvernichtung des sein Grundstück erwerbswirtschaftlich nutzenden Eigentümers oder zumindest zur schweren Beeinträchtigimg seines wirtschaftlichen Fortkommens. Dieser Entwicklung hat das HG nicht tatenlos zugesehen u n d i m F a l l „Gutehoffnungshütte" (RGZ 154, 161) durch eine restriktive Interpretation des § 906 B G B aus dem Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auch die ortsüblichen u n d nicht vermeidbaren Immissionen, w e n n sie die ortsübliche Grundstücksnutzung des Nachbarn unmöglich machen, als rechtswidrig qualifiziert (so auch Pleyer, JZ 1959, S. 305 ff. [305]) u n d dann der A b w e h r klage des § 1004 B G B Raum geschaffen, die jedoch — w i e bei nicht ortsüblichen E i n w i r k u n g e n gegenüber genehmigten oder i m öffentlichen Interesse stehenden Betrieben — nach §26 GewO ausgeschlossen war, wodurch auch f ü r den Ausgleichsgedanken des §26 GewO Platz geschaffen wurde. Z u m gleichen Ergebnis, aber m i t anderer Begründung, gelangt das RG i n RGZ 159, 129 („Reichsautobahn"). M i t Hilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses w i r d die Ortsüblichkeit von Immissionen geleugnet, w e n n die Immission „zu einer Zerstörung oder einer dem nahekommenden Beeinträchtigung solcher wirtschaftlichen Lebensbedingnugen des Nachbarn führen, wie dieser sie sonst i n der allgemeinen örtlichen Beschaffenheit findet" (RGZ 159, 129 [140]). Obwohl m i t dieser Argumentation der Rechtsgedanke des §26 GewO ungehindert hätte angewendet werden können: m i t der Ortsunüblichkeit des Eingriffs wäre dessen Rechtswidrigkeit u n d Abwehrbarkeit an sich gegeben gewesen, die Abwehrbarkeit wäre indessen wegen der öffentlich-rechtlichen Stellung des Unternehmens „Reichsautobahn" — w i e das RG auch hervorhebt — entsprechend § 26 GewO genommen, so daß an deren Stelle der Ausgleichsanspruch des § 26 GewO hätte treten können, hat das RG aus einer erweiterten Interpretation des § 906 eine Teilentschädigung nach B i l l i g k e i t (a. a. O., 140) abgeleitet. Der Schritt des B G H , m i t Hilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht n u r die restriktive Interpretation des § 906 a. F. zu begründen, u m einer extensiven Interpretation des § 26 GewO Raum zu schaffen, sondern i m nachbarlichen Gemeinschafts Verhältnis schlechthin die Basis f ü r den Ausgleichsanspruch bei ortsüblichen, aber besonders schweren Immissionen zu sehen (BGHZ 30, 273 und die Folgeentscheidungen B G H N J W 1962, 1342; B G H Z 38, 61 [64]; B G H Z 41, 157 [165]; B G H W M 1966, 33 [35]), ist deshalb keineswegs so groß, w i e Konzen (a. a. O., S. 56 f.) anzunehmen scheint. Nachdem der Gesetzgeber bei der Regelung des Ausgleichsanspruches nach § 906 Abs. 2 S. 2 n. F. die reichsgerichtliche u n d v o m B G H modifizierte Judikat u r des nachbarlichen Ausgleichsanspruches zum Ausgangspunkt genommen hatte (so Mühl, N J W 1960, 1136; Baur, Sachenrecht 8 , 223), ging der f u n k tionale Konnex, den das RG i m Gutehoffnungshütte-Fall noch zwischen dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis u n d dem Aufopferungsanspruch des §26 GewO gesehen hatte, verloren. Der Haftungsgrund des Ausgleichsanspruches nach § 906 Abs. 2 S. 2 w i r d als Folge des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses aufgefaßt und dem Aufopferungsanspruch aus § 26 GewO, der auf der Versagung der an sich zulässigen Abwehrklage beruht, gegenübergestellt (vgl. dazu auch Konzen, a. a. O., insb. 145 ff.). I n der Tat verleitet eine oberflächliche Betrachtungsweise zu dieser Gegenüberstellung. Da nach der Umschreibung des Eigentumsinhaltes durch die alte Fassung des § 906 B G B ein Abwehranspruch bei ortsüblichen wesentlichen Immissionen schon bisher nicht bestand, konnte offenbar der durch die Novelle des § 906 B G B positivierte Ausgleichsanspruch nicht als Korrelat f ü r ein entzogenes Abwehrrecht begriffen werden, während der Aufopferungsanspruch nach §26 GewO tatbestandlich gerade dort einsetzte, w o der i n § 906 a. F. umschriebene Eigentumsinhalt einen Abwehranspruch zuließ. Eine solche Sicht bleibt i n Wahrheit freilich n u r an der Oberfläche. Denn die Judikatur des RG u n d des B G H vor der Novelle des § 906 B G B hat überdeutlich gezeigt, daß die Pflicht, ortsübliche E i n w i r k u n g e n entschädigungslos

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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zu dulden, dann nicht mehr als eine „raumorientierte" Inhaltsbindung des Eigentums gerechtfertigt werden kann, w e n n die Grundstücksnutzung des betroffenen Eigentümers wesentlich beeinträchtigt w i r d , w e i l eine solche Regelung nicht zur gegenseitigen Anpassung der Nutzungsarten, sondern u. U. zu einer weitgehenden Entleerung des Eigentums zugunsten einer Nutzungsart führt. Die Störung des nachbarlichen Äquivalenzverhältnisses, die der Geldanspruch des §906 Abs. 2 S. 2 B G B ausgleichen soll, w i r d i n dessen gerade erst dadurch möglich, w e i l dem von einer ortsüblichen, aber wesentlich beeinträchtigenden Immission Betroffenen das Abwehrrecht genommen ist, das i h m gemäß § 903 u n d 1004 B G B — eingeschränkt durch die einleuchtende „BasisWertung" des § 906 Abs. 1 S. 1 B G B bei unwesentlichen Beeinträchtigungen — an sich zustehen würde. M a n bleibt an der Oberfläche, w e n n man den Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 S. 2 auf die Störung des nachbarlichen Äquivalenzverhältnisses stützt u n d dabei verkennt, daß dies n u r eine Folge des Verlustes eines Abwehrrechtes ist, das der Eigentümer nach dem i n § 903 umschriebenen Eigentumsinhalt hätte. Daran ändert sich auch nichts durch die Tatsache, daß dieser f ü r das Nachbarschaftsverhältnis durch § 906 B G B modifiziert ist. Diese Modifizierung f ü h r t n u r dazu, daß die E i n schränkung der Ausschließungsbefugnis i n § 906 Abs. 2 S. 1 den Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 zum Korrelat hat. Unter diesem Aspekt w e r den auch die Parallelen zum Ausgleichsanspruch nach § 26 GewO deutlich. Er ist gegenüber dem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 k e i n aliud, sondern lediglich die Reaktion auf eine quantitativ verstärkte Duldungspflicht, woraus sich aus die h. M. rechtfertigt, daß der Schadloshaltungsanspruch nach § 26 GewO (§ 14 BImSchG spricht sogar von einem Schadenersatzanspruch) auf vollen Ersatz, während der Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 auf angemessenen Ausgleich gerichtet ist (vgl. etwa Mühl, N J W 1960, 2324 f.; Westermann, Welche gesetzlichen Maßnahmen zur Luftreinhaltung u n d V e r besserung des Nachbarrechts sind erforderlich [1958], S. 55). §906 Abs. 2 S. 2 gibt einen Ausgleich f ü r unvermeidliche wesentliche Beeinträchtigungen, die durch eine raumadäquate Nutzung einer anderen — ebenfalls raumadäquaten — Nutzung zugefügt werden u n d die der betroffene Eigentümer nicht abwehren kann, w e i l der Gesetzgeber i m Interesse voller Raumausnutzung dem raumtypischen Einwirkungsinteresse höheren Wert zugesprochen hat, als der Unverletzlichkeit bestehender Nutzungen. §26 GewO ( = §14 BImSchG) gew ä h r t einen Ersatzanspruch dafür, daß der Abwehranspruch selbst dort genommen ist, wo die Raumbezogenheit der E i n w i r k u n g die Beeinträchtigung nicht mehr zu rechtfertigen vermag, also bei ortsunüblichen Beeinträchtigungen, die aber hinzunehmen sind, w e i l an der Betriebsanlage ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Gewiß zeigt es sich beim Ersatzanspruch nach § 26 GewO besonders deutlich, daß der „ a n sich" zustehende A b w e h r anspruch aus öffentlichem Interesse an der genehmigten Betriebsanlage entzogen ist. Es ist jedoch verfehlt, w e n n Mühl (FS Raiser, S. 159 ff. [162]) meint, daß beim Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 öffentliche Interessen überhaupt keine Rolle spielen. Das öffentliche Interesse, das den A b w e h r anspruch gegen wesentliche, aber ortsübliche E i n w i r k u n g e n n i m m t , ist das Allgemeininteresse an voller Raumausnutzung (Westermann, a. a. O., S. 55), während das öffentliche Interesse, das den Abwehranspruch gegenüber wesentlichen, aber ortsunüblichen Einwirkungen n i m m t , das volkswirtschaftliche Interesse an dem selbst ortsunüblich immittierenden Betrieb ist. Von einer „WesensVerschiedenheit" des Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 S. 2 und des Ersatzanspruchs nach § 26 GewO (so aber Westermann, a. a. O., S. 55; Mühl, N J W 1960, S. 2325) k a n n daher keine Rede sein. N u r das öffentliche Interesse, das den Ausschluß des Abwehranspruches rechtfertigt, ist verschieden strukturiert u n d die Duldungspflicht ist durch § 26 GewO (§ 14 BImSchG) gegenüber § 906 Abs. 2 S. 1 erweitert, was sowohl die besondere Berücksichtigung der Nachbarinteressen i m Betriebsanlagengenehmigungsverfahren rechtfertigt (§14 BImSchG ist nicht auf solche Anlagen anwendbar, die i n einem vereinfachten Verfahren genehmigt werden; vgl. dazu Vie,

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

§ 906 A b s . 2 S. 1 hinausgehende D u l d u n g s p f l i c h t w i r d d e m E i g e n t ü m e r gem. § 14 B I m S c h G 2 e 5 a (ehemals § 26 G e w O ) selbst gegenüber o r t s u n ü b l i chen w e s e n t l i c h b e e i n t r ä c h t i g e n d e n I m m i s s i o n e n a u f e r l e g t , w e n n sie v o n einer g e n e h m i g t e n B e t r i e b s a n l a g e ausgehen, w o f ü r d e m betroffenen E i g e n t ü m e r Ersatz aus d e m T i t e l des b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e n A u f o p f erungsanspruches ( w e g e n V e r s a g u n g der A b w e h r k l a g e ) g e w ä h r t w i r d . Dieser Rechtsgedanke r e c h t f e r t i g t a n e r k a n n t e r m a ß e n e i n e n A u f o p f e r u n g s a n s p r u c h auch d o r t , w o d e m betroffenen E i g e n t ü m e r aus a n d e r e m ü b e r w i e g e n d e m ( A l l g e m e i n - ) I n t e r e s s e sein A b w e h r r e c h t g e n o m m e n i s t 2 6 6 . D i e i m n a c h b a r r e c h t l i c h e n A u s g l e i c h s a n s p r u c h n a c h § 906 A b s . 2 S. 2 u n d i m b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e n A u f o p f e r u n g s a n s p r u c h v e r k ö r p e r t e n Rechtsgedank e n t r a g e n e i n e n E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h auch d a n n , w e n n d e m E i g e n t ü m e r eine D u l d u n g s p f l i c h t z u g u n s t e n eines e i n w i r k u n g s b e f u g t e n H o h e i t s trägers a u f e r l e g t ist. D e r A u s g l e i c h s a n s p r u c h n a c h § 906 A b s . 2 S. 2 u n d der b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e A u f opferungsanspruch 2 ® 7 erscheinen d a n n i n Ges t a l t des ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n Enteignungsentschädigungsanspruches. D a ß die E n t e i g n u n g s s c h w e l l e ( m i t d e r F o l g e der Entschädigungspflicht) BImSchG [1974], A n m . 2 zu § 14), als auch den gegenüber § 906 Abs. 2 S. 2 erweiterten Umfang des Schadloshaltungsanspruches. I n der Sache sind jedoch beide Ansprüche, was schon von Kleindienst (a. a. O., S. 44 f.) hervorgehoben wurde, dem Anspruch auf Enteignungsentschädigung ähnlich. 265a y gL ^azu et w a Mittelstaedt, Schutz v o r schädlichen U m w e l t e i n w i r k u n gen gewerblicher Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz B B 1975, S. 1460 ff. 266 Vgl. dazu Bassenge i n Palandt, B G B 35(1976), A n m . 5 b, dd zu § 906 u n d die Ausführungen u n d Literaturangaben i n F N 265. Daß das überwiegende Allgemeininteresse von Verfassungswegen bei Immissionen von öffentlicher H a n d rechtssatzmäßig anerkannt sein muß, hat Papier (NJW 1974, S. 1797 ff.) überzeugend dargelegt. Dies hat der B G H z.B. i n W M 1976, 571 (572) verkannt. Hier hat er f ü r eine als ortsunüblich u n d daher von der Duldungspflicht des §906 Abs. 2 S. 2 B G B nicht gedeckte Geruchsimmission einer gemeindlichen Kläranlage eine Enteignungsentschädigung zugesprochen, ohne zu prüfen, woraus sich denn überhaupt die Duldungspflicht ergibt. W e i l dem B G H f ü r die Duldungspflicht eine „ i m Allgemeininteresse liegende öffentliche Aufgabe" genügt, übersieht er m i t u n t e r auch die konkrete Rechtsgrundlage f ü r die Duldungspflicht. Vgl. dazu Kimminich, N J W 1973, S. 1479 ff. 267 Daß dieser Anspruch i n B G H Z 48, 98 (100) „ w o h l zutreffender" als nachbarlicher Ausgleichsanspruch bezeichnet w i r d , entspricht entgegen der Ansicht v o n Schwabe (DVB1. 1973, S. 103 ff. [104]) nicht mehr der heute überwiegenden Terminologie. Die Entscheidung B G H Z 48, 98 n a h m noch die alte Fassung des §906 B G B zum Ausgangspunkt, der selbst noch keinen Ausgleichsanspruch vorgesehen hatte, so daß der aus dem Rechtsgedanken des §26 GewO entwickelte Ausgleichsanspruch f ü r wesentliche, ortsunübliche Immissionen noch als „nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch" bezeichnet werden konnte (vgl. auch B G H Z 16, 366 [370]). Nach der Neufassung des § 906, die den Ausgleichsanspruch nach Abs. 2 S. 2 brachte, w i r d n u n dieser überwiegend als „nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch" bezeichnet, w ä h rend der bei wesentlicher, ortsunüblicher Immission eingreifende Schadlosbzw. Schadenersatzanspruch (§ 26, § 14 BImSchG) als bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch (wegen Versagung der Abwehrklage) bezeichnet w i r d . Vgl. auch B G H Z 60,119.

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dort überschritten ist, wo die entschädigungslos hinzunehmende Immissionsbelastung nach § 906 BGB endet, hat der B G H erstmals m i t besonderer Deutlichkeit i n BGHZ 48,98 268 «ausgesprochen: I n 'diesem Fall waren die Felder eines Landwirtes durch Bauarbeiten auf dem benachbarten Autobahnbauabschnitt durch die erhebliche Staubentwicklung beeinträchtigt worden, wodurch eine erhebliche Verteuerung der Pflege- und Erntearbeiten eingetreten war. Der B G H erwägt zwei Rechtsgrundlagen für den Entschädigungsanspruch des Landwirtes: Den bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch, „der dann gegeben ist, wenn von einem Grundstück i m Rahmen privatwirtschaftlicher Benützung desselben Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die — weil nicht unwesentlich und nicht auf ortsüblicher Benützung des störenden Grundstückes beruhend — über das Maß dessen hinausgehen, was ein Grundstückseigentümer nach der Bestimmung des § 906 BGB 2 6 9 entschädigungslos hinzunehmen hat, gegen die gemäß § 1004 BGB vorzugehen, dem betroffenen Eigentümer jedoch aus besonderen Gründen versagt ist". I n Fällen wie dem vorliegenden k o m m t jedoch nach Ansicht des B G H ein öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch i n Betracht, „wenn durch — rechtmäßige oder rechtswidrige — Eingriff e von hdher Hand Eigentum beeinträchtigt und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt w i r d " 2 7 0 . Ganz auf dem Boden der Sonderopfertheorie stehend schlägt der B G H die Brücke zu § 906 BGB: „Damit hat auch dieser Anspruch zur Voraussetzung, daß die Immissionen nach A r t u n d Ausmaß über die Grenzen dessen hinausgehen, was dem Eigentümer gemäß § 906 BGB entschädigungslos zugemutet wird. Denn von einem besonderen dem Berechtigten abverlangten Opfer kann auch bei auf Eingriffen von hoher Hand beruhenden Beeinträchtigungen nicht gesprochen wer den, wenn der Betroff ene «die nach A r t und Maß gleichen Beeinträchtigungen, von einer Grundstücksbenutzung i m privatwirtschaftlichen Rahmen ausgehend, nach § 906 BGB dulden muß, ohne eine Entschädigung verlangen zu können". Da die Voraussetzungen für beide Ansprüche insoweit gleich sind, als „die Einwirkungen (Immissionen) das nach § 906 (aF) zu duldende Maß überschritten" haben müssen, konnte es der B G H letztlich unentschieden 268 DVB1. 1967, 883 m i t A n m . v. Schack = JZ 1968, 64 m i t A n m . v. Hubmann = L M Nr. 24 zu § 906 m i t A n m . v. Kreft 289 Hier noch i n der bis zum 31. 5.1960 gültigen Fassung. 270 B G H Z 48, 98 (101) unter Berufung auf den „Kirschfruchtfliegenfall" B G H Z 16, 366 (368, 344) u n d auf Hemsen, Der allgemeine bürgerlich-rechtliche A u f opferungsanspruch (1961) S. 12 ff. u n d Schach, Die Entschädigungsansprüche ohne Rücksicht auf Verschulden i m Immissionsbereich, B B 1965, S. 341 ff. (343). Zustimmend Schach, Bürgerlich-rechtlicher u n d öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch bei Immissionen, N J W 1968, S. 1914ff.; Döbereiner, Der „enteignende" Eingriff bei Immissionen, N J W 1968, S. 1916 ff.; kritisch Faber, A n m . zu B G H 15. 6.1967, N J W 1968, S. 47 f.; Kleindienst, Geldausgleich für Beeinträchtigungen durch Verkehrslärm, N J W 1968, S. 1953 f. (1953).

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lassen, ob die Staubentwicklung durch eine privatwirtschaftliche oder hoheitliche Nutzung des Autobahngeländes hervorgerufen wurde, woran sich entscheide, ob der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch (wegen Versagung der Abwehrklage) oder 'der öffentlich-rechtliche Enteignungsentschäddgungsanspruch eingreife 271 . Die „Bergnase"-Entschei271

I m konkreten F a l l hat der B G H f ü r den privatrechtlichen oder hoheitlichen Charakter der Immission erwogen, daß i m Bereich der schlichten Hoheitsverwaltung, zu der der Autobahnbau zu rechnen sei, zwar einerseits die öffentliche H a n d die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben auf die Ebene des Privatrechts verlegen könne (Ausführung der Bauarbeiten durch beauftragten Unternehmer), was f ü r den privatwirtschaftlichen Charakter der Immission spreche, andererseits aber die Aufsicht über den Autobahnbau einer Dienststelle des Landes obliege, die möglicherweise auf die Durchführung der Arbeiten so starken Einfluß nehmen könne, daß die private Baufirma lediglich als Werkzeug der öffentlichen H a n d bei der Durchführung ihrer hoheitlichen Aufgabe tätig geworden wäre, was f ü r den hoheitlichen Charakter der Immission spreche (a. a. O. 103). Noch i n den insoweit einschlägigen Vorentscheidungen B G H Z 9, 373 (369), B G H Z 21, 48 (50), B G H 5. 2.1962, N J W 1962, 796 — i n der Sache ging es u m die Abgrenzung der bürgerlich-rechtlichen Haftung aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zur Amtshaftung nach §839 — hat der B G H freilich die Herstellung u n d Erhaltung der Verkehrswege ohne jegliche Differenzierung als hoheitliche Tätigkeit bezeichnet. Vgl. auch O L G H a m m 9. 3.1965, M D R 1968, 321 f. Die i n B G H Z 48, 98 (103) gelegte L i n i e verfolgt der B G H noch i n seiner Ε ν. 23. 2.1968 ( L M Nr. 27 zu § 906 BGB), i n der die Staubimmission beim Autobahnbau als privatrechtlich zu beurteilende Immission angesehen w i r d , w e i l die schlicht hoheitliche Tätigkeit des Autobahnbaus auch auf die Ebene des Privatrechts verlagert werden könne. Eine den b ü r gerlich-rechtlichen A u f opferungsanspruch begründende „Verlagerung" sieht der B G H offenbar i n der Vergabe der Bauarbeiten an private Unternehmen, w e i l sich die Bauarbeiten dem betroffenen Eigentümer gegenüber jedenfalls nicht unmittelbar als „Eingriff von hoher Hand" darstellen. Ohne auf diese Frage einzugehen, hat der B G H i n L M Nr. 29 zu § 906 („Bitumenmischanlage") gegenüber den den Autobahnbau durchführenden Unternehmer als Störer einen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch gewährt. Schon früher hatte der B G H keine Bedenken, die Lärmentwicklung beim Bau der Moselstaustufe, obwohl der Ausbau einer völkerrechtlichen Verpflichtung entsprach, als p r i vatrechtliche Immission zu qualifizieren ( L M Nr. 22 zu § 906). Zivilrechtlich beurteilt wurde auch der von der Autobahn ausgehende Verkehrslärm (BGHZ 49, 148 — N J W 1968, 549 = W M 1968, 228 = JZ 1968, 269 m i t A n m . v. Hubmann) w o h l deshalb, w e i l die Beeinträchtigung nicht unmittelbar durch Eingriffe von hoher Hand hervorgerufen wurde (BGHZ 49, 148 [150]). Dies dürfte auch der G r u n d gewesen sein, daß der B G H i n B G H Z 29, 314 den Wasserabfluß von einer Autobahn als privatrechtliche Immission betrachtet hat. Ebenso hat der B G H Geräuschimmissionen einer Fontänenanlage i m öffentlichen Stadtpark zivilrechtlich beurteilt ( L M Nr. 25 zu § 906 BGB). Einen Umschwung i n der Qualifikation der Straßenbau- u n d Straßenverkehrsimmissionen b r i n g t B G H Z 54, 384 ( = DVB1. 1971, 264 = D Ö V 1971, 95 = N J W 1971, 94 = W M 1970, 1468 = M D R 1971, 118 = D B 1970, 2316). I n diesem F a l l waren der K l ä g e r i n beim Bau der benachbarten Fernstraße durch den Einsatz schwerster Baumaschinen u n d durch den späteren Verkehr erhebliche Beeinträchtigungen durch L ä r m - u n d Staubimmissionen entstanden. Obwohl der B G H zuerst — i n Übereinstimmung m i t seiner bisherigen Judik a t u r — einen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 A B G B i n Erwägung zieht, verknüpft er die zu duldende Bauimmission m i t dem Planfeststellungsbeschluß u n d die zu duldende Verkehrsimmission m i t der W i d m u n g der

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Straße f ü r den Fernverkehr (a. a. O., S. 388), so daß er auf S. 391 zu dem E r gebnis gelangt, daß bei Verkehrsimmissionen als Eingriffen von hoher H a n d ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch begründet sein könnte, w e n n die Eingriffsintensität das Ausmaß des § 906 Abs. 2 S. 2 B G B erreicht, was er i m konkreten F a l l f ü r die Verkehrsbelästigungen verneint, f ü r die Bauimmissionen aber bejaht. Dieser Judikaturwandel ist u m so beachtlicher, als auch i n der Entscheidung L M Nr. 22 zu § 906 B G B („Moselstaustufe") ein Planfeststellungsverfahren „Grundlage" der Lärmimmissionen w a r (a. a. O., BI. 182) u n d ebenso i n B G H Z 48, 98 eine Planfeststellung vorausgegangen sein muß, der B G H jedoch i n beiden Fällen die Immissionen privatrechtlich beurteilt hat. I n diesen Fällen diente jedoch die Planfeststellung als hoheitlicher A k t n u r dazu, u m den Verlust des Abwehranspruches nach § 1004 u n d die daraus resultierende Duldungspflicht zu begründen (insoweit ist deshalb die Ansicht Schwabes (DVB1. 1973, S. 103 ff. [107]), der B G H stelle erstmals i n B G H Z 54, 384 auf den staatlichen Duldungsbefehl ab, unzutreffend). Nicht jedoch diente sie auch dazu, die Immission quasi als Annex der schon selbst i n das Eigentum eingreifenden Planfeststellung u n d W i d m u n g als hoheitliche Emanation zu qualifizieren, die unter den Voraussetzungen des § 906 B G B einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch auslöst. Das U r t e i l ist u m so beachtlicher, als der B G H noch kurz vorher i n dem insoweit gleichgelagerten „Bergschädenurteil" (BGHZ 53, 326 ff. = DVB1. 1970, S. 385 ff.) die Verleihung des Bergwerkseigentums (die dem betroffenen Grundeigentümer das Abwehrrecht gegenüber Beeinträchtigungen durch den Bergbauberechtigten nimmt) nicht als „unmittelbaren" Eingriff von hoher Hand qualifiziert hat, w e i l der Bergschaden erst durch den privaten Bergbaubetrieb hervorgerufen w i r d (so schon die i n B G H Z 53, 226 [228] mitgeteilten Gründe des BerG, aber auch der B G H selbst [a.a.O., S.241, 243; so auch die bisher h. L. Heinemann, Subsidiäre Staatshaftimg f ü r Bergschäden, N J W 1967, S. 1306 ff.; Turner, Die Haftung des Staates f ü r Bergschäden nach Aufhebung von Bergbaurechten oder bei Zahlungsunfähigkeit von Berechtigten, N J W 1968, S. 85 ff. u n d dort i n F N 1 angegebene Literatur]). Der B G H hat demgemäß den auf A r t . 14 GG gestützten Entschädigungsanspruch gegenüber dem beklagten L a n d auch nicht auf die die Beeinträchtigungen ermöglichende Verleihung des Bergwerkseigentums gestützt, sondern auf den Umstand, daß durch die Verleihung des Bergwerkseigentums dem Berechtigten zwangsläufig die Erlaubnis zur Verursachung von Bergschäden erteilt w i r d , die beim Grundeigentümer zu einer Opferlage führen könne, die als Enteignung zu qualifizieren wäre, w e n n der Eingriff unmittelbar von hoher Hand erfolgen würde. Da die Regelung des A l l g . Pr. BergG f ü r den von der Opferlage her enteignungsähnlichen Sachverhalt insofern keine entschädigungsrechtliche Vorsorge treffe, als sie es an einer Sicherung des Grundstückseigentümers f ü r den F a l l fehlen lasse, daß dieser v o m Bergwerksbenutzer i m Falle dessen Zahlungsunfähigkeit oder der Aufhebung der Bergbauberechtigung von den p r i m ä r entschädigungspflichtigen Bergwerksbenützer keine Entschädigung erhalten könne, sei sie unter dem Aspekt des A r t . 14 GG verfassungswidrig. F ü r den Vollzug dieses verfassungswidrigen Gesetzes sei aber das L a n d aus dem T i t e l des enteignungsgleichen Eingriffes entschädigungspflichtig, w e n n dadurch beim Grundeigentümer eine Opferlage entstehe, die nicht ohne E n t schädigung bleiben würde, w e n n sie unmittelbare Folge eines hoheitlichen Eingriffes wäre. Der mühsame Umweg, auf dem der B G H zu einer Entschädigungspflicht nach Enteignungsgrundsätzen gelangt, resultiert aus einem verengten Verständnis der „ U n m i t t e l b a r k e i t " , an der Schwabe (DVB1. 1973, S. 103 ff. [108]) berechtigte K r i t i k geübt hat. Der B G H hat auch auf dieses V e r ständnis der „ U n m i t t e l b a r k e i t " nicht mehr Bezug genommen, als er i n seiner weiteren J u d i k a t u r die Entschädigungsfrage bei Verkehrs- bzw. Bauimmissionen zu beurteilen hatte, sondern er hat vielmehr wieder auf die i n B G H Z 54, 384 vertretene Verknüpfung der staatlichen Genehmigung m i t der daraus unmittelbar resultierenden Beeinträchtigung durch die zu duldende Immission 14*

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

dung (BGHZ 49,148) bat sich bereits «auf 'die Neufassung des § 906 BGB gestützt. Obzwar der B G H -die Verkehrslärmimmissiion zivilrechtlich beurteilt, weist er zu Beginn der Entscheidungsgründe darauf hin, daß bei Immissionen, die unmittelbar von hoher Hand ausgehen, ein öffentlichrechtlicher Ausgleichsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs eingreife, der i n seinen wesentlichen Voraussetzungen m i t dem privatrechtlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 übereinstimme 272 . Als der B G H i n BGHZ 54, 384 erstmals zwischen der hoheitlichen Planfeststellung und Widmung und den dadurch ermöglichten Bau- u n d Verkehrsimmissionen eine untrennbare Einheit sah und dementsprechend die zu duldenden Immissionen unter dem Aspekt des hoheitlichen Eingriffs betrachtete, mußte er sich erstmals m i t den Voraussetzungen und der Rechtsnatur des bereits i n den Vorentscheidungen erwogenen öffentlichrechtlichen Entschädigungsanspruches auseinandersetzen. Zutreffend hat der B G H gesehen, daß sich unter dem begrifflichen Mantel des bei hoheitlichen Immissionen gewährten „öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruches" i n Wahrheit zwei Ansprüche verbergen, die sich i n ihren Anspruchsvoraussetzungen wesentlich unterscheiden: Das öffentlichrechtliche Pendant zum bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch (wegen Versagung der Abwehrklage) 2 7 3 , den der B G H als „Anspruch auf rekurriert u n d staatlichen Duldungsbefehl u n d Immission zu einem u n m i t t e l baren (hoheitlichen) Eingriff verschmolzen. Sieht m a n v o n der E. 5. 7.1971 (DVB1. 1972, 115 = W M 1971, 1389) ab, i n der der B G H den hoheitlichen oder privatrechtlichen Charakter ausdrücklich offen gelassen hat, hat er Beeinträchtigungen durch den U - B a h n b a u als hoheitliche qualifiziert (BGHZ 57, 359 ff.). Das gleiche gilt f ü r gemeindliche Kanalisationsarbeiten nach B G H Z 57, 370, die die Standfestigkeit eines Hauses beeinträchtigen, w o f ü r der B G H einen aus dem Rechtsgedanken des § 909 B G B konkretisierten Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gewährt hat. I n der E. 16. 3. 1972 ( W M 1972, 620 [622]) hat der B G H wiederum auf den engen Zusammenhang zwischen der W i d m u n g der fertiggestellten neuen Straße f ü r den Schnellverkehr u n d den daraus resultierenden Immissionen verwiesen u n d zum Ausgleich dafür eine aus §906 B G B konkretisierte Enteignungsentschädigung wegen hoheitlichen Eingriffs i n das Grundeigentum durch Verkehrseröffnung gewährt. (So auch B G H i n W M 1973, S. 1421, w o allerdings der erwogene E n t schädigungsanspruch mangels der von § 906 Abs. 2 S. 2 B G B geforderten E i n griffsintensität nicht gewährt wurde. Vgl. auch B G H Z 61, 253 [ = W M 1973,1338 = N J W 1973, 2283]). A n der hoheitlichen Qualifikation der Immission läßt der B G H auch i n D B 1975, 1360 keinen Zweifel: „Die Beeinträchtigung des G r u n d stücks durch Verkehrsimmissionen von der Reuterstraße ist die unmittelbare Folge der Eröffnung der Straße f ü r den durchfließenden Verkehr. Diese Zweckbestimmung beruht auf der W i d m u n g der Straße f ü r diesen Gebrauch, w o durch zugleich die Pflicht der Anlieger begründet worden ist, die Verkehrsimmissionen zu dulden. Die L ä r m e i n w i r k u n g e n stellen sich daher als u n m i t t e l barer hoheitlicher Eingriff i n das Anliegereigentum dar." N u r der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß der B G H auch von einem Militärflugplatz ausgehende Fluglärmimmissionen als hoheitliche Immissionen betrachtet (BGHZ 59, 379). 272 Zustimmend auch Speiser, Entschädigungsansprüche wegen Verkehrslärms, N J W 1975, S. 1101 ff. (1102); vgl. auch Börner, Die Benutzung l a n d w i r t schaftlicher Grundstücke durch Energieleitungen BayVBl. 1976, 33 ff. (37).

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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Entschädigung wegen enteignenden Eingriffs" (a. a. O. S. 389) bezeichnet und das öffentlich-rechtliche Pendant zum nachbarlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, das der B G H — wenig glücklich — „öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch" nennt (a. a. O. S. 391). Dementsprechend prüft der B G H auch zuerst, ob die Bau- und Verkehrsimmissionen dergestalt die Nutzung des Nachbargrundstückes beeinträchtigen, daß sie »gem. § 906 BGB nicht hingenommen werden müßten, ob sie also wesentlich sind und durch eine nicht ortsübliche Nutzung hervorgerufen wurden (a. a. O. S. 387). Die nach § 906 an sich gegebene Abwehrbefugnis könne aber ausgeschlossen sein, wenn die Immission zu dulden ist, weil sie infolge staatlicher Genehmigung erlaubt ist, so daß lediglich ein Anspruch auf Schadloshaltung zusteht. Der B G H sieht die Privilegierung der Immission i n dem obrigkeitlichen A k t der Planfeststellung und der Widmung, die einen staatlichen Duldungsbefehl enthalten, der rechtsgestaltend i n das Privateigentum eingreift. Damit wäre die Voraussetzung für einen bei nicht hoheitlicher Immission eingreifenden Aufopferungsanspruch (wegen Versagung der Abwehrklage) gegeben. Da aber der B G H die Immission i m Kontext m i t Planfeststellung und Widmung offenbar als unmittelbar i n das Eigentum eingreifenden Hoheitsakt qualifiziert, w i r d die vom B G H herausgearbeitete Anspruchsvoraussetzung i n enteignungsrechtliche Terminologie gekleidet: Ein A n spruch auf Enteignungsentschädigung komme i n Betracht, wenn durch diesen Eingriff ein besonderes, anderen nicht zugemutetes besonderes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt w i r d (a. a. O. S. 385). Aus dem Kontext der Entscheidungsbegründung läßt sich präzisieren: Das besondere Opfer sieht der B G H i m Entzug des Abwehrrechts gegenüber wesentlichen ortsunüblichen Immissionen. Konsequent prüft der B G H i m Anschluß daran, ob die Bau- und Verkehrslärmimmission ortsüblich oder ortsunüblich ist. Aufgrund des Sachverhaltes gelangt er zu dem Ergebnis, daß zwar die Baulärmimmission ortsunüblich, die Verkehrslärmimmdssion dagegen durch eine ortsübliche Benutzung des Nachbargrundstückes hervorgerufen w i r d (a. a. O. S. 389 ff). Bezüglich der Baulärmimmission wäre daher nach Ansicht des B G H ein Enteignungsentschädigungsanspruch zu erwägen (a. a. O. ß. 392). Damit ist aber noch nicht gesagt, daß der beeinträchtigte Eigentümer gegenüber der ortsüblichen Verkehrslärmbeeinträchtigung keinen Entschädigungsanspruch hat. Er h>at nur keinen Enteignungsentschädigungsanspruch, w e i l dieser i n Entsprechung zum bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch tatbestandlich ortsunübliche Immissionen voraussetzt. Aber immerhin könnten noch die Voraussetzungen für einen nachbarlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gegeben sein, der voraussetzt, daß durch ortsübliche nicht zu verhindernde Eingriffe das Eigentum des Nachbarn über das zumutbare 273

Entwickelt aus dem Rechtsgedanken des § 26 GewO.

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Maß hinaus beeinträchtigt w i r d und dem bei hoheitlicher Immission der „öffentlich-rechtliche Entschädigungsanspruch" entspricht (a. a. O. S. 391). Völlig zutreffend stellt hier der B G H nicht mehr auf den i n der Planfeststellung und Widmung gelegenen staatlichen Duldungsbefehl ab, weil ortsübliche, nicht zu verhindernde Immissionen, auch wenn sie wesentlich sind, schon nach § 906 Abs. 1 S. 1 BGB geduldet werden müssen und nur einen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 nach sich ziehen. I m vorliegenden Fall verneint der B G H freilich einen dem nachbarlichen Ausgleichsanspruch entsprechenden öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch, w e i l die Verkehrsimmission nicht zu einer „besonders schweren" Beeinträchtigung geführt hat, die für die „Unzumutbarkeit" der Beeinträchtigung nach § 906 Abs. 2 S. 2 gefordert werden müsse (a.a. O. S. 391). A n diesem i n sich konsistenten Erkenntnis ist vor allem bemerkenswert, daß der B G H das öffentlich-rechtliche Pendant zum nachbarlichen Ausgleichsanspruch nach §906 Abs. 2 S. 2 nicht als Enteignungsentschädigungsanspruch betrachtet, sondern nur den Aufopferungsanspruch wegen Versagung der Abwehrklage. Dahinter dürfte der Gedanke stehen, daß das die Enteignung charakterisierende Sonderopfer nur i m Duldenmüssen ortsunüblicher Eingriffe gelegen sein kann 2 7 4 . Schon kurze Zeit später hat der B G H diese Differenzierung freilich aufgegeben. In söiner Entscheidung vom 5. 7.1971 275 führt der B G H aus, daß dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ein öffentlich-rechtlicher Enteignungsentschädigungsanspruch entspricht, wenn die die ortsübliche Benutzung des Grundstücks i n unzumutbarer Weise beeinträchtigenden Immissionen auf hoheitlichen Maßnahmen beruhen und als Eingriff i n das Eigentum zu beurteilen sind 276 . Offenbar hat der B G H erkannt, daß die Wertungsgrundlage für den Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB m i t dem Enteignungscharakteristikum des „besonderen Opfers" i n Einklang zu bringen ist. Das w i r d besonders deutlich, wenn der B G H ausführt, daß ein Enteignungsentschädigungsanspruch ausscheide, soweit ein Eigentümer Einwirkungen nach § 906 BGB i n den durch diese Bestimmung gezogenen Grenzen hinnehmen müsse, „weil dem Eigentümer eben ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer nicht abverlangt w i r d " 2 7 7 . Andererseits sei für i h n dann Raum, wenn die Immissionen über die Grenzen dessen hinausgehen, was dem Eigen274 So auch Menger / Erichsen, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht VerwArch. 59 (1968), S. 366 ff. (385). 275 W M 1971, 1389 = DVB1. 1972, 115 = L M Nr. 40 zu §906; vgl. jüngst auch B G H W M 1976, 1064 (1065). 276 Da der B G H i n dieser Entscheidung sich ausdrücklich auf B G H Z 54, 384 beruft, w i l l er offenbar die dort vertretene begriffliche Zweiteilung des öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruches nicht mehr aufrecht erhalten. 277 DVB1. 1972, 115 (116).

I I . Bisherige Lehre u n d J u d i k a t u r

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t ü m e r gemäß § 906 B G B entschädigungslos z u g e m u t e t w i r d . D i e i n § 906 A b s . 1 S. 1 B G B p o s i t i v i e r t e P r ä v a l e n z des E i n w i r k u n g s i n t e r e s s e s u n d die daraus r e s u l t i e r e n d e D u l d u n g s p f l i c h t lastet d e m betroffenen E i g e n t ü m e r e i n O p f e r auf, das n o r m a l e r w e i s e m i t der o r t s ü b l i c h e n N u t z u n g des i m m i t t i e r e n d e n G r u n d s t ü c k e s n i c h t v e r b u n d e n i s t : eine — gemessen a n d e r E i n g r i f f s i n t e n s i t ä t 2 7 8 — u n z u m u t b a r e 2 7 9 B e e i n t r ä c h t i g u n g 2 8 0 . I n diesem E r k e n n t n i s b r i n g t d e r B G H d e u t l i c h z u m A u s d r u c k , daß der E n t e i g n u n g s entschädigungsanspruch n i c h t n u r d e n B e r e i c h des A u f o p f e r u n g s a n spruches (wegen V e r s a g u n g der A b w e h r k l a g e ) u m f a ß t 2 8 1 , s o n d e r n auch d e n n a c h b a r l i c h e n A u s g l e i c h s a n s p r u c h n a c h § 906 A b s . 2 S. 2 B G B . Dieser J u d i k a t u r i s t der B G H bis h e u t e t r e u g e b l i e b e n 2 8 2 . I n B G H Z 59, 378 2 8 3 h a t d e r B G H b e i o r t s ü b l i c h e n Geräuschimmissionen, die v o n e i n e m M i l i t ä r flugplatz ausgingen, e i n e n a u f d i e W e r t u n g des § 906 A b s . 2 S. 2 .gestützten E n t e i g n u n g s e n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h g e w ä h r t (386), w e i l er das f ü r die 278 Dies verkennen Menger / Erichsen (FN 274), w e n n sie infolge der Ortsüblichkeit der i n § 906 Abs. 2 S. 2 angesprochenen Immissionen i n der D u l dungspflicht kein Sonderopfer sehen. 279 Da seit B G H 19.10.1965 ( W M 1966, 33 ff. [35]) f ü r die Unzumutbarkeit nach § 906 Abs. 2 S. 2 nicht mehr drohende Existenzvernichtung oder unbedingt eine schwere Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens erforderlich ist (so noch B G H Z 30, 273 [280], B G H Z 38, 61 [64]), w i l l der B G H n u r auf das „zumutbare Maß" (DVB1. 1972, 115 [116]) abstellen. D a m i t ist freilich nicht i n Zweifel gezogen, daß f ü r die „Unzumutbarkeit" die Eingriffsintensität ein entscheidendes Konkretisierungskriterium ist. Insofern steht diese Entscheidung auch nicht i n Widerspruch zu B G H Z 54, 384 (391), die f ü r den Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 eine i m Einzelfall besonders schwere Beeinträchtigung verlangt hat. Der B G H wollte damit lediglich zum Ausdruck bringen, daß es f ü r die „Zumutbarkeitsprüfung" nicht n u r auf die Schwere der Beeinträchtigung ankommt, sondern daß darüber hinaus auch zu berücksichtigen ist, ob der beeinträchtigte Eigentümer auch seinerseits alles veranlaßt hat, u m die Schäden gering zu halten oder ob er die Beeinträchtigungen voraussehen konnte (so auch der B G H i n seinen Erwägungen i n DVB1. 1972, 115 [117]). 280 v ö l l i g zutreffend stellt der B G H bei ortsüblichen Eingriffen nicht auf einen speziellen staatlichen Duldungsbefehl ab, der dem Eigentümer den Unterlassungsanspruch gegenüber dem Träger des Straßenbaues n i m m t . E i n solcher w i r d — am dogmatisch richtigen Ort — n u r bei ortsunüblichen E i n griffen diskutiert (DVB1. 1972,115). 281

Was der B G H i n DVB1. 1972, 115 nicht besonders hervorhebt. I n B G H Z 57, 359 („Frankfurter U-Bahnbau") sah der B G H i n §906 B G B die Regelung einer Konfliktsituation zwischen Privatpersonen, die der Entschädigungsproblematik bei Beeinträchtigungen des Straßenanliegers ähnlich ist, w e n n dort Einwirkungen, die die Benützung des Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigen, eine E n t schädigung auslösen. A u f diese Wertung stützt der B G H die Enteignungsentschädigung, w e n n er i m Anschluß daran ausführt, daß „entsprechend dem i n der Rechtsprechung entwickelten Begriff der Enteignung deshalb hier zu prüfen ist, ob die Folgen des Eingriffs f ü r den Anlieger nach Dauer, A r t , I n tensität u n d A u s w i r k u n g so erheblich sind, daß eine entschädigungslose H i n nahme i h m nicht mehr zuzumuten ist". Vgl. auch B G H W M 1974, 901 (904) = DVB1. 1975, 39 m. A n m . v. Schwabe; B G H D B 1977, 1359; B G H W M 1976, 1116. 283 = N J W 1 9 7 3 i 326. 282

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Enteignung charakteristische Sonderopfer (379) und das für den Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 notwendige Tatbestandsmerkmal der „Unzumutbarkeit" durch die besondere Schwere (384) der Immission (Unbenützbarkeit der Hofstelle zu Wohnzwecken) erfüllt sah 284 . Eine wichtige Ergänzung dieser Judikatur hat der B G H i n seiner Entscheidung vom 20.3.1975 vorgenommen 285 . Wie bisher geht der B G H davon aus, daß der i n § 906 Abs. 2 S. 2 BGB geregelte nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nur -eingreift, wenn die dort erfaßten Auswirkungen auf das Nachbargrundstück die Folgen einer privatrechtlichen Tätigkeit sind, während bei Einwirkungen von hoher Hand dem Betroffenen ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Enteignungsentschädigung zusteht, wenn diese die Grenzen dessen überschreiten, was der Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muß 2 8 6 . I n Übereinstimmung m i t BGHZ 54, 384 u n d der Folgejudikatur hält er die Lärmeinwirkung als notwendige Folge der Eröffnung der Straße für den durchfließenden Verkehr für einen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff i n das Anliegereigentum. Daher kommt nach Ansicht des B G H auch nur ein Enteignungsentschädigungsanspruch i n Frage, wobei er diesen offensichtlich an § 906 Abs. 2 S. 2 BGB anknüpft 2 8 7 . Damit muß sich das die Enteignung charakterisierende Sonderopfer aus der Zumutbarkeitsprüfung nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ergeben. Hier ist auch der dogmatische Ort, an dem der B G H eine bisher noch nicht bekannte Aufspaltung i n zwei nach Voraussetzungen und Umfang unterschiedliche Enteignungsentschädigungsansprüche vornimmt. Hatte der B G H bisher für die Unzumutbarkeit nach § 906 Abs. 2 S. 2 — und daher auch für die enteignungsrechtliche — eine i m Einzelfall 284 I n seiner Entscheidung v o m 16. 3.1972 ( W M 1972, 620 [622]) spricht der B G H n u r von einer Entschädigung wegen hoheitlichen Eingriffs, w e n n der Eigentümer E i n w i r k u n g e n (Verkehrslärm) hinnehmen muß, die über das Maß dessen hinausgehen, was ein Eigentümer nachbarrechtlich nach § 906 hinnehmen muß; genauer müßte es heißen: entschädigungslos hinnehmen muß. I n B G H 11.10.1973 ( W M 1973, 1421 = M D R 1974, 127) k l i n g t die Terminologie von B G H Z 54, 384 an, w e n n der B G H bei Eingriffen von hoher Hand, die ausnahmsweise über das Maß dessen hinausgehen, was der Grundeigentümer nach § 906 B G B entschädigungslos hinzunehmen hat, eine E n t eignungsentschädigung i n Betracht zieht, bei ortsüblicher Benutzung des Grundstücks eine Entschädigung auch i n entsprechender Anwendung des §906 Abs. 2 S. 2 B G B erwägt. Vgl. auch B G H Z 61, 253 (255) = W M 1973, 1338 = N J W 1973, 2283. 285 D B 1975, 1360 ff. = B G H Z 64, 220; vgl. dazu Kloepfer, JuS 1976, 436 ff. 286 Daß sich die Pflicht der Anlieger, die Verkehrsimmissionen zu dulden, nach Ansicht des B G H aus der W i d m u n g der Straße ergibt, ist zumindest ungenau. Soferne es sich nicht u m ortsunübliche Verkehrsimmissionen handelt, ergibt sich die Duldungspflicht bei nicht verhinderbaren Immissionen schon aus § 906 Abs. 1 S. 1 BGB. Da der B G H i n weiterer Folge aber die Frage der „entschädigungslosen Z u m u t b a r k e i t " nach § 906 Abs. 2 S. 2 prüft, ist anzunehmen, daß er m i t dem BerG die Verkehrsimmission als ortsüblich qualifiziert. 287 D B 1975, 1360.

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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„besondere schwere Beeinträchtigung" gefordert 288 , muß diese Ansicht nach Auffassung des B G H unter dem Aspekt der Wertentscheidung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 289 , das die Schaffung gesunder, von schädlichen Umwelteinwirkungen möglichst frei zu haltender Wohnverhältnisse bezweckt 290 , korrigiert werden. Die Verstärkung des Umweltschutzes durch das BImSchG wirke sich auch i m Bereich der Verkehrsimmissionen aus, «da der Maßstab, an dem der Inhalt und die sozialen Schranken des Wohnungseigentums -auszurichten sind, insofern eine Änderung erfahre, als das dem Eigentümer zumutbare Maß von Einwirkungen (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB) sich i n dem Umfang verringere, i n dem die Wohnfunktion des Eigentums rechtliche Anerkennung erfahre. Daraus folge, daß Verkehrsimmissionen schon dann enteignende Eingriffe darstellen, wenn sie die nach dem BImSchG festzusetzenden Immissionsgrenzwerte, die den Bereich der entschädigungslosen Sozialbindung — und damit die nach § 906 Abs. 2 S. 2 zu duldende Beeinträchtigung allgemein abstecken — überschreiten 291 . Die i n § 42 BImSchG zum Ausdruck kommende Wertentscheidung, bei Überschreitung der Immissionsgrenzwerte eine Entschädigung zu gewähren, bringe zum Ausdruck, daß bei entsprechender Schwere der Beeinträchtigung die Berechtigung zu einer Entschädigung grundsätzlich nicht mehr durch Erwägungen der Zumutbarkeit i n Zweifel gezogen werden soll. Die allein schon durch die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte konkretisierte „enteignende Schwere" der Immission führt freilich nicht zu einem Entschädigungsanspruch, der die immissionsbedingte Minderung des Grundstückswertes ausgleichen, sondern den Eigentümer i n die Lage versetzen soll, — entsprechend der Wertung des § 42 BImSchG — durch Schallschutzmaßnahmen 2 9 2 den fortdauernden hoheitlichen Eingriff 2 9 2 3 i m Rahmen der bestehenden technischen Möglichkeiten abzuwehren 293 . 288

B G H Z 49, 148 (152); B G H Z 54, 384 (391); siehe auch F N 279. B G B l . 1974 I, S. 721. Vgl. dazu Schüttler, Grundzüge des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, D B 1974, S. 1513ff.; zu den Zielen des BImSchG vgl. insb. Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht I 2 (1974) I I zu § 1 BImSchG; Feldhaus, Konturen eines modernen Umweltschutzrechts, D Ö V 1974, S. 613 ff.; Schwerdtfeger, Das Bundes-Immissionsschutzgesetz, N J W 1974, S. 777 ff. 290 v g l . zu den beim Bau von Bundesfernstraßen vorzukehrenden L ä r m schutzmaßnahmen Rüdiger Reinhardt, Lärmschutzmaßnahmen bei Planung u n d Bau von Bundesfernstraßen, N J W 1974, S. 1226 ff. 291 Dieses Ergebnis konnte der B G H f ü r den Anlaßfall freilich n u r m i t t e l bar aus der Wertentscheidung des BImSchG ableiten, w e i l die die I m m i s sionsgrenzwerte festlegenden Verordnungen noch nicht erlassen waren u n d von §42 BImSchG n u r solche Straßenbauvorhaben umfaßt werden, die erst nach Inkrafttreten des BImSchG durchgeführt werden, während es sich i m Anlaßfall u m einen Straßenausbau vor I n k r a f t t r e t e n des BImSchG gehandelt hat. Zustimmend Nedden, DVB1.1977, S. 265 ff. 292 v g l . zur Erstattung der Aufwendungen f ü r Schallschutzmaßnahmen nach dem FluglärmG insb. Lorenz, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche bei Beeinträchtigung durch Fluglärm, D B 1973, Beil. 6 zu Heft 12; Martin, Fluglärmgesetz u n d Fluglärmhaftung, N J W 1972, S. 558 ff. 289

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

B r i n g e n L ä r m s c h u t z e i n r i c h t u n g e n k e i n e w i r k s a m e A b h i l f e oder e r f o r d e r n èie u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e A u f w e n d u n g e n , k o m m t nach A n s i c h t des B G H eine E n t e i g n u n g s e n t s c h ä d i g u n g i n B e t r a c h t , die sich a m M i n d e r w e r t des betroffenen G r u n d s t ü c k e s ausrichtet. Dieser Entschädigungsanspruch setze voraus, daß die zugelassene N u t z u n g des S t r a ß e n g r u n d s t ü c k e s die vorgegebene G r u n d s t ü c k s s i t u a t i o n n a c h h a l t i g v e r ä n d e r e u n d d a d u r c h das benachbarte E i g e n t u m s c h w e r u n d u n e r t r ä g l i c h t r e f f e 2 9 4 . F ü r d e n a m M i n d e r w e r t des betroffenen G r u n d s t ü c k s o r i e n t i e r t e n E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h f o l g t d i e U n z u m u t b a r k e i t d e r B e e i n t r ä c h t i g u n g erst — w i e i n B G H Z 49,148 u n d B G H Z 54, 384 noch a l l g e m e i n ausgesprochen — aus der besonderen Schwere der B e e i n t r ä c h t i g u n g 2 9 5 . D i e A n a l y s e d e r J u d i k a t u r h a t gezeigt, daß d i e A n k n ü p f u n g des als A u s g l e i c h f ü r I m m i s s i o n e n d e r öffentlichen H a n d g e w ä h r t e n E n t e i g nungsentschädigungsanspruches a n §906 A b s . 2 S . 2 B G B (bzw. a n die W e r t e n t s c h e i d u n g des § 14 B I m S c h G ) , d e n B G H das d i e E n t e i g n u n g 292a Gegen die Qualifikation dieser Geldentschädigung als Enteignungsentschädigung Kastner, N J W 1975, S. 2319 ff. (2321). Gegen Kastner aber Battis, N J W 1976, S. 936 f., der zutreffend darauf hinweist, daß sich aus der V e r b i n dung des Sonderopferbegriffes m i t dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Vorsorgezahlung nach Enteignungsgrundsätzen rechtfertigen läßt. 293 j ) e r enteignende Charakter der Verkehrsimmission w i r d hier eindeutig aus der Schwere der Beeinträchtigung bestimmt. Gleichwohl enthält die Entscheidung noch eine Reminiszenz an die Konkretisierung des besonderen Opfers aus dem Gleichheitssatz, w e n n der B G H ausführt, daß Fernstraßen n u r wenig f ü r die Erschließung der von ihnen berührten Wohngebiete leisten, so daß die Vorteile der Anlage f ü r den Anlieger i m wesentlichen i n denen aufgehen, die der Allgemeinheit zufließen. Demgegenüber werde dem Anlieger durch die von solchen Verkehrswegen ausgehenden Umweltbeeinträchtigungen einseitig eine Last aufgebürdet, die sich insoweit als „Sonderopfer" darstellt, als sie spürbar über das hinausgeht, was den Straßenanliegern bei gebührender Berücksichtigung des insgesamt erheblich angewachsenen Verkehrs allgemein an Nachteilen und Belästigungen zugemutet w i r d . Die hier anklingende Differenzierung zwischen überörtlichen u n d örtlichen Verkehrswegen erinnert stark an die Bausperrenjudikatur, i n der der B G H ursprünglich auch f ü r den enteignenden Charakter einer Bausperre darauf abgestellt hat, ob sie der überörtlichen Planung oder der lokalen T e i l planung dient (BGHZ 15, 268 [283 f.], B G H Z 30, 338 [346]). 294 H i e r f ü r stützt sich der B G H auf die Judikatur des B V e r w G B V e r w G E 32, 173; B V e r w G D Ö V 1972, 825; D Ö V 1974, 381; D Ö V 1975, 92; D Ö V 1975, 101. 295 Es ist daher zumindest ungenau, w e n n Baur (JZ 1974, S. 657 ff. [658]) meint, daß k ü n f t i g bei Beeinträchtigungen durch Verkehrslärm zwei — sich w o h l ausschließende — Ansprüche i n Betracht kommen: der gewissermaßen rückwärts gewandte nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch bei extremen Lärmbeeinträchtigungen u n d der öffentlich-rechtliche Entschädigungsanspruch bei künftigen „Pannen" i n der Anlage der Verkehrswege. Vielmehr w i r d auch bei neu zu errichtenden Verkehrswegen ein am M i n d e r w e r t des Grundstückes orientierter Enteignungsentschädigungsanspruch eingreifen, w e n n die besonders schweren Beeinträchtigungen durch Schallschutzmaßnahmen nicht verhindert werden können. 296 So auch Leisner, Sozialbindung des Eigentums nach privatem und öffentlichem Recht, N J W 1975, S. 233 ff.

I I . Bisherige Lehre und J u d i k a t u r

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charakterisierende S o n d e r o p f e r aus d e r Schwere d e r B e e i n t r ä c h t i g u n g , aus d e m A u s m a ß der E i n w i r k u n g auf die Schwere und Tragweite des Eingriffs abgestellt 305 , u m die Enteignung von der bloßen Eigentumsbeschränkung zu unterscheiden 306 . 304 Daß die Grenzziehung zwischen Sozialbindung und Enteignung ausschließlich nach materiellen Gesichtspunkten, namentlich dem der Schwere des Eingriffs zu erfolgen habe, ist auch die Meinung des Gesetzgebers des BBauG (vgl. dazu Stellungnahme des B R v o m 14. 3.1958, B R - D r . 47/58, S. 19; Bericht des 24. Ausschusses des BT, zu B T - D r . III/1974, 312). Vgl. dazu auch die Entschädigungsregelung des A r t . 3 § 10 Abs. 2 BBauG 1976, der bei A u f hebung od. Änderung eines bisherigen Bebauungsanspruches durch die Neufassung des § 34 B B a u G n u r bei wesentlicher Änderung der bisher zulässigen Nutzung einen Entschädigungsanspruch vorsieht. Vgl. dazu auch Vogel, W, BauR 1977, S. 6 ff. Vgl. zur Bedeutung des Schwereelements i n der amerikanischen Enteignungsdiskussion Lücke, Amerikanische Enteignungsrechtsprechung u n d deutsche Parallelen, VerwArch. 1976, S. 48 ff. 305 v g l zur „Schweretheorie" des B V e r w G : Baring, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, JöR N F 9, S. 93 (128- 132); Schack, Die Enteignungstheorie des Bundesverwaltungsgerichts, N J W 1963, S. 750 ff.; Bender, Sozialbindung des Eigentums u n d Enteignung, N J W 1965, S. 1297 ff.; kritisch dazu Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht i n der Rechtsprechung des

222

2. T e i l : Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

I n seiner g r u n d l e g e n d e n E n t s c h e i d u n g v o m 2 7 . 6 . 1 9 5 7 3 0 7 h a t das B V e r w G die „ S o n d e r o p f e r t h e o r i e " des B G H a u s d r ü c k l i c h v e r w o r f e n u n d d i e eigene „ S c h w e r e t h e o r i e " b e g r ü n d e t 3 0 8 . Z u t r e f f e n d h a t das B V e r w G e r k a n n t , daß d e r Versuch, d i e E n t e i g n u n g «als S o n d e r o p f e r z u c h a r a k t e r i sieren, das e i n z e l n e n oder e i n e r G r u p p e v o n e i n z e l n e n a u f e r l e g t w i r d , deshalb k e i n e sachgerechte L ö s u n g des P r o b l e m s e r l a u b t , w e i l e r b e i a l l e n Regelungen, d i e sich n i c h t s c h l e c h t h i n a n «die A l l g e m e i n h e i t w e n d e n oder e i n e n e i n z e l n e n betreffen — u n d das i s t b e i der g r o ß e n M e h r z a h l der m o d e r n e n Gesetze der F a l l — , k e i n K r i t e r i u m l i e f e r t , nach d e m b e s t i m m t w e r d e n könnte, w a n n e i n ungleich treffender Sondereingriff u n d w a n n eine a l l g e m e i n e B e g r e n z u n g des i n B e t r a c h t k o m m e n d e n G r u p p e n e i g e n t u m s v o r l i e g t . D e s h a l b s i e h t das B V e r w G „das M e r k m a l der e n t schädigungspflichtigen E n t e i g n u n g i n seiner A b g r e n z u n g z u r entschädigungslosen I n h a l t s b e s t i m m u n g des E i g e n t u m s n i c h t i n d e m e r w ä h n t e n M e r k m a l des besonderen Opfers, s o n d e r n i n d e m m a t e r i e l l e n M o m e n t der Schwere u n d T r a g w e i t e des E i n g r i f f s " 3 0 9 . I n s o w e i t b a u t die „ S c h w e r e t h e o r i e " des B V e r w G a u f der „ Z u m u t b a r k e i t s t h e o r i e " Stödters 310 auf 311, Bundesverwaltungsgerichts I 3 , S. 157 ff.; Krüger, Verfassungsänderung u n d Verfassungsauslegung, D Ö V 1961, S. 721 (725 f.); Köhler, Fragen des Eigentums i m Verwaltungsrecht, DVB1. 1958, S. 191 ff. (194). 308 Es ist hier nicht der Ort, u m i n eine E i n z e l k r i t i k der Judikatur des B V e r w G einzutreten. Hier sollen n u r die f ü r die „Schweretheorie" m a r k a n ten Entscheidungen herausgegriffen werden. 307 B V e r w G E 5, 143 = J Z 1958, 208 m. A n m . v. Schach. 308 V o r dieser Entscheidung hat das B V e r w G i n zwei Erkenntnissen — w o h l unter dem Eindruck von B G H Z 6, 270 — deutlich auf die Einzelaktstheorie abgestellt, w e n n es die Vorschrift der ReichsgaragenO, der zufolge der Bauwillige verpflichtet wurde, eine gewisse A n z a h l von Garagen zu errichten, als Eigentumsbeschränkung ansah, w e i l diese „nicht einzelne oder bestimmte Gruppen von ihnen m i t einem besonderen Opfer" belastet (BVerwG 26.5.1955, B V e r w G E 2, 122 [124]) und w e n n es i n seiner E. v. 18. 2.1955 (BVerwGE 1, 321) den Enteignungscharakter eines Eingriffes verneinte, w e i l der i n Frage stehende Eingriff, „alle Grundstückseigentümer gleichmäßig" traf. I n anderen Erkenntnissen hat der B V e r w G bereits v o r seiner Entscheidung B V e r w G E 5, 143 deutlich ein materiales Abgrenzungskriterium i m Sinne der Zweckentfremdungstheorie (zu dieser oben unter I I , B, 3, a bei F N 143) herangezogen: B V e r w G 21.6.1956, B V e r w G E 3, 335 (337); B V e r w G 12. 7.1956, B V e r w G E 4, 57 (60); auf die Schwere des Eingriffs stellt bereits ab: B V e r w G 6.10.1954, DVB1. 1955, 60. 309 Diese Rechtsansicht wurde bestätigt von: B V e r w G 30.10.1958, B V e r w G E 7, 297 (299); B V e r w G DVB1. 1960, 396; B V e r w G 8. 7.1960, B V e r w G E 11, 68 (75); B V e r w G 22. 6.1962, N J W 1962, 2171; B V e r w G 8. 7.1964, B V e r w G E 19, 94 (98 f.); auf die Schwere des Eingriffs abstellend noch i n jüngster Zeit: B V e r w G 14. 6.1968, DVB1. 1969, 213 (214); 13. 6.1969, B V e r w G E 32, 173 (179); B V e r w G 8. 3.1974, D Ö V 1974, 390 (391); B V e r w G 1.11.1974, B V e r w G E 47, 144 (154). 310 Städter, öffentlich-rechtliche Entschädigung, insb. S. 208 ff. 311 Das B V e r w G bezeichnet seine Schweretheorie m i t u n t e r als Z u m u t b a r keitstheorie: DVB1. 1960, 396.

II. Bisherige Lehre und Judikatur

223

wonach für die Charakterisierung der Enteignung als ungleiches Opfer die Schwere, Tragweite, Wesentlichkeit und Intensität des hoheitlichen Eingriffs maßgeblich sind 312 . Wie Stödter bemüht sich auch das BVerwG die an der Schwere und Tragweite des Eingriffs orientierte Zumutbarkeit nach objektiven Gesichtspunkten ziu konkretisieren 313 . Dabei finden sich 312 Die Schwere u n d Tragweite des Eingriffs bemißt sich bei Stödter vor allem nach dem Ausmaß des Eingriffs i n die Substanz des Rechts gemessen am dadurch bedingten wirtschaftlichen Wertverlust des Eingriffsobjekts (Stödter, a. a. O. 209). Das zeigt, daß die Substanzminderungstheorie Schei chers i n Stödters Zumutbarkeitslehre aufgeht. Des weiteren beurteilt sich nach Stödter (a. a. O. 214) die Frage, ob ein „substanzieller" Eingriff vorliegt, „nach den allgemeinen Zeitanschauungen u n d Wertauffassungen der Volksgemeinschaft u n d nach den i n der Rechtsordnung zum Ausdruck gebrachten allgemeingültigen Wertungen". Derartige K r i t e r i e n sind nach Stödter (a. a. O. 214) objektive Beurteilungsmaßstäbe. 313 Freilich hat das B V e r w G i m sogen. „Deichurteil" (BVerwG 22. 6.1962, N J W 1962, 2171; vgl. dazu insb. Schack, N J W 1963, S.750f.; Bachof, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts B V e r w G E 13-19, JZ 1966, S. 224 ff. [225]) einmal versucht, die enteignende W i r k u n g eines staatlichen Eingriffs nach subjektiven K r i t e r i e n zu messen. Diese Entscheidung ist zu Recht ein kurioser Einzelfall geblieben. I n diesem F a l l ging es darum, daß ein Deich verb and auf dem gewerblich genutzten Grundstück der K l ä g e r i n den Deich erhöht u n d verbreitert hatte. Die K l ä g e r i n verlangte Entschädigung. Wegen der Frage der Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges w a r zu p r ü fen, ob die von der K l ä g e r i n verlangte Entschädigung eine Enteignungsentschädigung darstellte. Entsprechend seiner ständigen J u d i k a t u r stellte das B V e r w G auf die Schwere und Tragweite des Eingriffs ab. Z u Recht hat es zunächst eine Reihe von objektiven K r i t e r i e n entwickelt, an Hand derer die wesentlichen von den unwesentlichen Beeinträchtigungen geschieden w e r den sollten (siehe dazu sogleich). Aber auch subjektive K r i t e r i e n sollten maßgebend sein. Dazu zählte das B V e r w G den Umstand, daß neben dem einen Betroffenen noch andere Eigentümer der gleichen Maßnahme unterworfen worden waren. „ T r i f f t nämlich die gleiche Maßnahme entweder die Allgemeinheit schlechthin oder andere Eigentümer i n ähnlicher Lage, ist also die Last zur Heranziehung auf die Gesamtheit aller Rechtsgenossen verteilt, k a n n füglich auch gesagt werden, daß sie gemeinsam von allen getragen, überhaupt nicht mehr als spürbare Beschwer zu werten, nach Schwere u n d Tragweite ein enteignungsgleicher Eingriff also schlechthin auszuschließen ist." Die Anregung Hamanns (Kommentar zum GG, S. 167): „Die richtige Lösung liegt i n der K o a l i t i o n des Einzeleingriffs — u n d der materiellen Lehre", hat das B V e r w G offenbar bewogen, eine derartige „Theorienkoalition" einzugehen. Sie ist der Schweretheorie des B V e r w G nicht gut bekommen. Der V e r such, die Schweretheorie m i t der Einzelaktstheorie derart zu koppeln, daß die generelle oder spezielle W i r k u n g des Eingriffs dessen Schwere als unwesentlich oder wesentlich qualifiziert, f ü h r t zu einer völligen Überlagerung des materiellen Schwerekriteriums durch die formellen K r i t e r i e n „generellspeziell". Z u Recht hat Bender (NJW 1965, S. 1297 [1304]) gegen das „Deichu r t e i l " eingewendet, daß „derartige subjektive Gesichtspunkte u n d psychologisierende Erwägungen" sehr bedenklich sind. Denn damit zerstört das B V e r w G gerade den bei Gruppenenteignungen weiterführenden Ansatz von B V e r w G E 5, 143, auf die Schwere u n d Tragweite des Eingriffs abzustellen, wenn gerade bei Gruppenenteignungen getreu dem Sprichwort „Geteiltes Leid ist halbes L e i d " eben w e i l die Allgemeinheit oder eine Gruppe u n d nicht ein einzelner getroffen wurde, die Schwere des Eingriffs als unwesentlich qualifiziert werden würde. Aus demselben G r u n d müssen auch gegen die Schutzwürdigkeitstheorie

224

2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

K r i t e r i e n , die denen des B G H d u r c h a u s gleichen, w a s a u c h e i n l e u c h t e n d ist, w e n n m a n b e d e n k t , daß 'der B G H seine S o n d e r o p f e r t h e o r i e m i t m a t e rialen „Schwerekriterien" ausfüllt. W i e d e r B G H 'hat d e m n a c h auch das B V e r w G f ü r die F r a g e des E n t eignungscharakters einer B a u s p e r r e a u f die D a u e r der M a ß n a h m e a b gestellt314. Z u Recht s i e h t das B V e r w G e i n p r a k t i k a b l e s A b g r e n z u n g s k r i t e r i u m d a r i n , ob die h o h e i t l i c h e M a ß n a h m e , d e n o b j e k t i v e n W e r t e i n e r Sache m i n d e r n d , i n die S u b s t a n z des Rechts e i n g r e i f t 3 1 5 . D a b e i k o m m t es d a r a u f an, w a s v o n d e m u r s p r ü n g l i c h e n Recht nach d e m E i n g r i f f noch ü b r i g bleibt316. W. Jellineks Bedenken erhoben werden, der das v o m B V e r w G verwendete subjektive K r i t e r i u m auch entnommen ist. Jellinek (Entschädigung f ü r baurechtliche Eigentumsbeschränkungen 2 [1929] S. 12 ff.; Gutachten f ü r den 36. D J T Verhandlungen I [1931], S. 292 ff. [304 ff.]; Verwaltungsrecht 3 [1931] S. 413) geht davon aus, daß das Eigentum eine gewisse Schwäche dem Gesetz gegenüber i n dem Sinne habe, daß nicht alle Eingriffe des Gesetzgebers als Enteignungen empfunden werden. Geschichte, allgemeine Anschauungen, Sprachgebrauch, Andeutungen der Gesetze ermöglichten die Abgrenzung des schutzwürdigen v o m schutzunwürdigen Eigentum. Die Grenze zwischen Enteignung u n d Eigentumsbeschränk u n g lasse sich an einer „Unlustskala" bestimmen. Derjenige, der auf seinem Grundstück bauen dürfe sei befriedigter als der, der dies nicht dürfte, der, der sein Grundstück veräußern dürfe sei befriedigter als der, dem diese Möglichkeit fehle. Das Höchstmaß der Befriedigungsgefühle sei erreicht, w e n n dem Eigentümer das unbeschränkte Eigentum an einer Sache zustehe. Sie sei m i t der Z a h l 100 i n der Skala angesetzt; die unterste Grenze wäre 0 (kein Eigentum). Bei der Z a h l 40 wäre etwa die Grenze zwischen Eigentumsbeschränkung u n d Enteignung. Die 40 Grade seien dem Gesetz gegenüber schutzwürdig, die 60 Grade schutzunwürdig. Dringe das Gesetz i n den Bereich der 40 Grade vor, enteigne es. Bestimmend f ü r den Grad des Unlustgefühles sei die Intensität des Eingriffs, der Zweck des Eingriffs, der m i t dem Eingriff verbundene Gegenwert u n d — was f ü r Jellinek „sehr wesentlich" ist — ob die Beschränkung einem einzelnen auferlegt w i r d oder rechts atzmäßig einer unbestimmten Vielheit von Personen. M i t dem Abstellen auf den Topos „Geteilter Schmerz ist halber Schmerz" (so ausdrücklich Jellinek, Entschädigung f ü r baurechtliche Eigentumsbeschränkungen, S. 14) erreicht Jellinek — worauf er selbst hinweist (a. a. O. 15) — eine Eingliederung der Einzelaktstheorie m i t ihrer Unterscheidung zwischen Einzeleingriffen u n d allgemeinen Eingriffen i n die Schutzwürdigkeitstheorie (zustimmend zur Schutzwürdigkeitstheorie Hensel, A r t . 150 der Weimarer Verfassung u n d seine A u s w i r k u n g i m preußischen Recht AöR N F 14 (1928) S. 321 ff. (418 f.). Sie ist jedoch m i t Recht v o m B G H (BGHZ 6, 270 [283]) u n d jüngst von Leisner (Sozialbindung, S. 31 - 33) m i t guten Gründen abgelehnt worden. Eine derartige Synthese versucht i m österreichischen Recht Anderluh. Vgl. dazu die K r i t i k oben unter I I , B, 2, c bei F N 118. 314 B V e r w G 25.10.1956, B V e r w G E 4, 120 = DVB1. 1957, 241 unter A b lehnung von B G H Z 15, 268 m i t A n m . v. Dittus. Dennoch hat der B G H i n B G H Z 30, 338 wieder nach der ö r t l i c h k e i t oder Überörtlichkeit der Planung differenziert; so auch i n jüngster Rechtsprechung B G H 3. 7.1972, W M 1972, 1160. 315 B V e r w G 30.10.1958, B V e r w G E 7, 297 (299); B V e r w G 22.6.1962, N J W 1962, 2171 (2172); so auch BSG 14. 2. 64, BSGE 20, 169 (179). 316 B V e r w G 8. 7.1960, B V e r w G E 11, 68 (75).

I I . Bisherige Lehre u n d J u d i k a t u r

225

Des w e i t e r e n w i r d v o m B V e r w G d e r G e s i c h t s p u n k t d e r f r e m d u n g heran/gezogen 3 1 7 .

Zweckent-

I n a n d e r e n E n t s c h e i d u n g e n m i ß t das B V e r w G die Schwere u n d d a m i t die Z u m u t b a r k e i t des (hoheitlichen E i n g r i f f s daran, ob die f u n k t i o n s gerechte N u t z u n g wird3183.

des

Eingriffsobjekts

wesentlich

beeinträchtigt318

Z u r A b g r e n z u n g der E n t e i g n u n g v o n d e r E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g z i e h t das B V e r w G auch die v o m B G H e n t w i c k e l t e n K r i t e r i e n der „ P f l i c h t i g k e i t " 3 1 9 u n d der „ S i t u a t i o n s g e b u n d e n h e i t " 3 2 0 h e r a n . Schärfer als der B G H e r k e n n t das B V e r w G d e n z u t r e f f e n d e n K e r n der „ P f l i c h t i g k e i t s t h e o r i e " : D i e S c h w e r e des E i n g r i f f s i s t b e i G r u n d s t ü c k e n , die schon n a c h i h r e r L a g e d e r a r t i g e n E i n g r i f f e n i n besonderem M a ß e ausgesetzt s i n d , deshalb g e m i n d e r t , w e i l sie auch d e m E i g e n t ü m e r e r k e n n b a r s i n d u n d er sie i m a l l g e m e i n e n v o n v o r n h e r e i n i n B e t r a c h t ziehen u n d sich d a r a u f v e r n ü n f t i g e r w e i s e e i n r i c h t e n k a n n 3 2 1 . Z u Recht w i r d i n B V e r w G 26, I I I 3 2 2 die „ S i t u a t i o n s g e b u n d e n h e i t " des G r u n d s t ü c k s z u m t r a g e n d e n G r u n d d e r 317 B V e r w G 9.11.1954, B V e r w G E 1, 225 (227); B V e r w G 20.2.1956, R d L 1956, S. 157; B V e r w G 12.7.1956, B V e r w G E 4, 57 (60); B V e r w G 21.6.1956, B V e r w G E 3, 335 (337); B V e r w G 3.9.1963, D Ö V 1964, 489 (490); B V e r w G 25. 5.1965, DVB1. 1965, 766. 318 B V e r w G 21.6.1956 (Pappelanbauverbot), B V e r w G E 3, 335 (337); B V e r w G 3. 9.1963, B V e r w G E 16, 301 (305); B V e r w G 6.10.1967, B V e r w G E 28, 29 (31). 3i8a Auch das Wesensgehaltsargument findet sich i n der J u d i k a t u r des B V e r w G : B V e r w G E 8, 226 (227). 319 B V e r w G 28. 2.1961, B V e r w G E 12, 87 (96) m i t freilich bedenklicher Begründung; B V e r w G 3.9.1963, B V e r w G E 16, 301 (305); B V e r w G 19.12.1963, B V e r w G E 17, 315 (318 f.); B V e r w G 22.6.1962, N J W 1962, S. 2171 (2172); B V e r w G 16.12.1971, B V e r w G E 39, 190 (194). 320 B V e r w G 21. 6.1956, B V e r w G E 4, 57 (60); B V e r w G 22. 6.1962, N J W 1962, 217; B V e r w G 22.4.1966, B V e r w G E 24, 60 (62): Ortsbezogenheit als Anzeichen der Sozialbindung; B V e r w G 25.10.1967, DVB1. 1968, 342 (343); B V e r w G 14. 6.1968, DVB1. 1969, 213 (214) m i t k r i t . A n m . v. Kühling: aus der Situationsgebundenheit k a n n eine Vertrauensposition entstehen, die als eigentumsrechtlich verfestigte Anspruchsposition nicht ohne Entschädigung entzogen werden kann. A u f die Situationsgebundenheit stellt das B V e r w G auch i m Rahmen des § 35 B B a u G ab, w e n n aus der Situationsbedingtheit des Grundstücks eine bestimmte Bebauungsmöglichkeit zu einer eigentumskräftig verfestigten A n spruchsposition w i r d , die ein Bauvorhaben i m Außenbereich auch dann als zulässig erscheinen läßt, w e n n es nicht zu den privilegierten Bauvorhaben i. S. des §35 B B a u G zählt: vgl. dazu statt vieler B V e r w G 18.10.1974, B V e r w G E 47, 126 (131 f.). Daß die Situationsgebundenheit das Grundeigentum nicht n u r m i t einer immanenten Beschränkung belastet, sondern auch u m Nutzungsmöglichkeiten erweitert, i n die bei entsprechender Schwere der hoheitlichen Maßnahme enteignend eingegriffen w i r d , hat das B V e r w G i n B V e r w G E 32, 173 (178) ausgesprochen. 321 B V e r w G 22.6.1962, N J W 1962, 2171 (insoweit abgedruckt auch i n B V e r w G E 15, 1). Vgl. dazu auch unter dem Aspekt des Nachbarschutzes aus A r t . 14 GG jüngst B V e r w G 5.7.1974, D Ö V 1975, 92 (98). 322 Ε. v. 27.1.1967; vgl. auch B V e r w G 9. 5.1972, DVB1. 1972, 685 (86).

15

Aicher

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung gemacht: Wenn dem Eigentümer eines i n unerschlossenem Gebiet liegenden Grundstückes 'die Baugenehmigung versagt wird, liegt darin eine bloße Inhaltbestimmung des Eigentums, weil -der Eigentümer entsprechend der Ortsbezogenheit (Situationsgebundenheit) des Grundstücks, nicht m i t der Erteilung der Baugenehmigung rechnen konnte 3 2 2 3 . Endlich hat das BVerwG auch darauf abgestellt, ob dem Eingriff nach der Verkehrsauffassung „enteignende" Schwere zukommt 3 2 3 . Freilich hat die Verkehrsauffassung als Abgrenzungskriterium keine eigenständige Bedeutung, w e i l das BVerwG i n dem betreffenden Fall die „Verkehrsauffassung" insofern m i t der „Situationsgebundenheit" 'gleich-gesetzt hat, als nach der Verkehrsauffassung der Erschließungszustand eines Grundstückes für dessen Charakter als „Bauland" maßgeblich sei und dessen Fehlen auch die besondere „Situationsgebundenheit" des Grundstücks bedinge. Das methodische Vorgehen des BVerwG, die Enteignung von der Eigentumsbeschränkung nach der Schwere und Tragweite des Eingriffs abzugrenzen und die relevante Eingriffsschwere für verschiedene Fallgruppen nach objektiven Kriterien zu konkretisieren, ist zutreffend und sachgerecht, zu mal sich auch der B G H der Modifizierung seiner Sonderaktslehre durch materielle Zumutbarkeitökriterien nicht verschließen konnte. So gesehen ergeben sich auch i n der Judikatur dieser beiden Gerichte kaum praktische Unterschiede, obgleich der unterschiedliche Ansatz nicht übersehen werden darf 3 2 4 . Es ist jedoch offenkundig, daß die Theorie des BVerwG die Grenze zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung an der Zumutbarkeit zu finden und deshalb den materialen Gesichtspunkt der Schwere und Tragweite des Eingriffs für verschiedene Eingriffstypen an den ebenfalls materialen objektiven Kriterien der Dauer des Eingriffs, der Zweckentfremdung, der Substanzminderung, der Situationsgebundenheit und der Pflichtigkeit zu konkretisieren, die dogmatische Folgerichtigkeit für sich hat, während die selben materialen Kriterien, vom B G H verwendet, i m Hinblick auf die der Abgrenzung als Ansatzpunkt dienende Einzelakts322a Anders verhält es sich freilich, w e n n ein Grundstück, das i n m i t t e n eines Baulandes liegt, durch Unterstellung unter den Landschaftsschutz seine Baulandqualität verliert. H i e r i n kann, w e i l der Betroffene m i t der Bebaubarkeit rechnen konnte, eine Enteignung liegen (so zutreffend B V e r w G 27. 6.1957, B V e r w G E 5, 143). Vgl. dazu auch B G H 8.2.1962, B G H Z 39, 198 (212); B G H 13.12.1962, DVB1. 1963, 625 (626); B G H 10. 2.1972, D B 1972, 574 = N J W 1972, 127 = W M 1972, 421; B G H 29. 5.1972, W M 1972, 1030. 323 B V e r w G 27.1.1967, B V e r w G E 26, 111 (119). 324 So auch Bender, N J W 1965, S. 1297 ff. (1304); Schack, N J W 1963, S. 750 ff. (751); Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht 3 I (1966) S. 157; Krumbiegel, Der Sonderopferbegriff, S. 104.

II. Bisherige Lehre und Judikatur

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theorie, m i t dem Makel einer inkonsequenten Überdeckung einer i m Grunde formalen Unterscheidung durch materiale Kriterien behaftet ist. Dies w i r d vor allem dann deutlich, wenn man erkennt, daß die vom B G H vorgenommene Ausrichtung der Einzelaktstheorie am Gleichheitssatz als Willkürverbot von Grund auf verfehlt ist und deshalb 'auch nicht die dogmatische Basis für die Übernahme der vom Gleichheitssatz vorgeprägten materialen Sachlichkeitskriterien zur Abgrenzung der Enteignung von der Eigentumsbeschränkung bilden kann 8 8 5 . Deshalb ist die Heranziehung materialer Kriterien für die i n Frage stehende Abgrenzung durch den BGH, so sehr sie auch u m sachgerechter Entscheidungen w i l l e n zu begrüßen ist, für diesen dogmatisch nicht schlüssig zu begründen, so daß Wagner 326 zu Recht konstatiert, daß die Erklärung des Kriteriums des Einzelaktes zu einem materiellen K r i t e r i u m 3 2 7 durch den BGH, die „Verwirrung voll" mache. Dieser dogmatischen Inkonsequenz, die auch die Berechenbarkeit des Rechts erheblich beeinträchtigt, ist die Schweretheorie des BVerwG nicht ausgesetzt. Gleichwohl sind gegenüber der „Schweretheorie" des BVerwG k r i tische Einwände erhoben worden. Vor allem Schack 328 hat die rigorose Ablehnung der „Sonderopfertheorie" durch das BVerwG bedauert und vorgeschlagen, die Fälle der generellen Enteignungen und der Gruppenenteignung, für die die „Sonder opfertheorie" kein geeignetes K r i t e r i u m bereit halte, nach der Schweretheorie zu beurteilen, während i n den übrigen Fällen, i n denen sich der Eingriff nach seiner speziellen oder allgemeinen Wirkung unterscheiden lasse, die Einzelaktslehre beizubehalten sei 329 . Der K r i t i k Schachs kann nur insoweit zugestimmt werden, als es i n der Tat auch die Konzeption des BVerwG nicht erforderlich macht, den Gedanken des „besonderen Opfers" völlig aufzugeben. Auch die „materiellen Enteignumgstheorien" sehen i n der Auferlegung eines „besonderen Opfers" das Charakteristikum der Enteignung 3 3 0 , dessen Ausgleich der Opferausgleichssatz (Lastengleichheitssatz) erfordert. Nur bestimmen die „materiellen Enteignungstheorien" das entschädigungspflichtige besondere Opfer nach materialen Kriterien (Zumutbarkeit, Eingriffsintensität, Schutzwürdigkeit, Zweckentfremdung, Substanzminderung etc.), wäh325 So aber Forsthoff, J Z 1952, S. 622 ff. (627); Forsthoff, D Ö V 1955, S. 193 ff. (194); Schach, N J W 1963, S. 750 (251 F N 9). 328 Wagner i n : FS Jahrreis (1964) S. 441 ff. (447). 327 B G H Z 6, 270 (280). 328 Schach, N J W 1963, S. 750. 329 So auch Schach, JZ 1958, S. 208 ff. (210). 330 Vgl. dazu Stödter, öffentlich-rechtliche Entschädigung insb. S. 190 ff. u n d oben unter I I , B, 1 u. I I , B, 3 a.

1*

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2. Teil: Beeinträchtigung d. Eigentums durch rechtmäßige Eingriffe

rend die Sonderopfertheorie des B G H auf idem formalen K r i t e r i u m der speziellen oder generellen Wirbung des Eingriffs «aufbaut. So gesehen ist der Gedanke des „besonderen Opfers" auch für -die „Schweretheorie" des BVerwG durchaus fruchtbar. Indessen kann der Ansicht Schachs 331 nicht zugestimmt werden, daß an der Bestimmung des Sonderopfers durch die Einzelaktstheorie grundsätzlich festgehalten werden soll, da bei der Belastung eines einzelnen unabhängig von der Schwere des Eingriffs Entschädigung zu leisten sei. Selbst wenn man m i t Schach 332 der Auffassung ist, daß der auf die §§ 74, 75 Einl.ALR zurückgehende Aufopferungsanspruch noch Bestandteil der deutschen Verfassungsordnung ist 3 3 3 , folgt daraus m. E. nicht zwingend, daß das „besondere Opfer" des Aufopferungsgedankens nach dem formalen K r i t e r i u m der generellen oder speziellen W i r k u n g des Eingriffs zu bestimmen ist u n d daß dies auch für das Sonderopfer i m Rahmen des A r t . 14 GG zu gelten habe. Das kann auch nicht durch die Ansicht Krügers 3 3 4 gestützt werden, daß die Einzelaktstheorie i m Jahre 1949 herrschend w a r und insofern vom A r t . 14 GG „rezipiert" wurde. Angesichts der zahlreichen Versuche, noch unter der Geltung der WRV das „besondere Opfer" nach materiellen Kriterien zu bestimmen 335 , ist die Schlußfolgerunig Krügers kaum überzeugend. Überdies schließt auch Schach, obwohl er i n Fällen der Einzelbelastung auch bei „leichteren" Eingriffen eine Enteignungsentschädigung zusprechen w i l l , absolut geringfügige Eingriffe von der Entschädigungspflicht aus, so daß es letztlich wiederum entscheidend auf die Schwere und Tragweite des Eingriffs ankommt. Bedenkt man, daß die Fälle, i n denen ein „zweifelloser Sondereingriff" i m Sinne Schachs vorliegt, eher selten sind, und daß es sich i n der überwiegenden Zahl u m Eingriffe i n Gruppeneigentum handelt, i n denen die Entscheidung, ob ein besonderer oder allgemeiner Eingriff vorliegt, nicht m i t Sicherheit getroffen werden kann und für die deshalb auch Schack auf die Schweretheorie abstellt, und bedenkt man weiter, daß auch bei „zweifellosen Sondereingriffen" für das Überschreiten der „Opfergrenze" die Schwere und Tragweite des Eingriffs maßgeblich ist, erscheint es sachgerechter, nur auf die Schwere und Tragweite des Eingriffs abzu331 332 333

S. 19.

Schach, JZ 1958, S. 208 (210). Schach, a. a. O., 210; Schach, Gutachten zum 41. D J T 1/1, S. 23 f. Α. A. Haas, System der öffentlich-rechtlichen Entschädigungspflichten,

334 Krüger, Verfassungsänderung u n d Verfassungsauslegung, D Ö V 1961, S. 721 (726). 335 Siehe die zahlreichen Nachweise bei Stödter, öffentlich-rechtliche E n t schädigung, insb. S. 190 ff.

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stellen und deren enteignungsrechtliche Relevanz nach objektiven K r i terien zu konkretisieren. Das Vorliegen eines Einzeleingriffs oder einer generellen Beeinträchtigung mag durchaus ein Indiz dafür sein, ob eine Enteignung oder eine Eigentumsbeschränkung gegeben ist. Gleichwohl erübrigt sich dadurch nicht die Frage nach der Schwere des Eingriffs 335 * 1 , so daß der tragende Grund der Unterscheidung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung i n der Schwere und Tragweite des Eingriffs zu sehen ist 3 3 6 . Dem kann m. E. auch nicht entgegengehalten werden, daß i n all den Fällen, i n denen die Beeinträchtigung nicht durch einen gezielten Eingriff 337 erfolgt, sondern lediglich die Auswirkung eines nicht gegen den Geschädigten gerichteten Eingriffs darstellt, eine auf die Schwere des Eingriffs abstellende Theorie zu keiner Lösung gelangen kann, so daß auch für diese Fallgruppen die Einzelaktslehre unentbehrlich sei 338 . Dem läßt sich m. E. schon m i t dem Hinweis darauf begegnen, daß das BVerwG nicht nur auf die Schwere des Eingriffs, sondern auch erfolgsbezogen auf dessen Tragweite abstellt. Dazu kommt noch folgendes. Wenn nicht nur eigentumsfinale Eingriffe 339 , sondern schon unmittelbare 8 4 0 oder überhaupt bloß tatsächliche „Eingriffe" eine Enteignungsentschädigung auslösen sollen — was einzig und allein eine Frage der Qualifikation des Eingriffs hinsichtlich seiner entschädigungsrechtlichen Relevanz darstellt —, hindert m. E. nichts, den Terminus „Eingriff" durch „Einwirkung" zu ersetzen u n d die Zumutbarkeit an der Schwere der Einwirkung zu messen. 5. Die „Privatnützigkeitstheorie" Reinhardts

Auch Reinhardt 841 geht davon aus, daß zur Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbeschränkung nicht die formalen Gesichtspunkte der Einzelaktstheorie, sondern die materialen Kriterien der Zumutbarkeits- u n d Schutzwürdigkeitstheorie heranzuziehen sind. Diesen Theorien sind jedoch ein zu großes Maß