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German Pages [446] Year 2016
Arbeiten zur Religionspädagogik
Band 65
Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Gottfried Adam, Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Lachmann und Prof. Dr. Martin Rothgangel
Andrea Ingeborg Klimt
Gottesvorstellungen baptistischer Erwachsener im interkulturellen Vergleich
Mit 100 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-6177 ISBN 978-3-7370-0656-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Photographien: Die Rechte fþr alle abgebildeten Photographien liegen bei der Verfasserin. 2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Ausschnitt (A3) aus ›2 blue stripe‹, Farbpigment auf Leinwand, 100 x 120 cm, 2013, Renate Sander
in Liebe gewidmet meinen Söhnen Miles und Connie meinem Mann Walter meinen Müttern Christa und Ute und meinem Vater Heinrich
Zur Sprache: Sprache schafft Wirklichkeit! Daher habe ich mich bewusst bemüht, in meinen Formulierungen männliche und weibliche Formen parallel zu verwenden, wenn eine neutrale Formulierung (z. B. Teilnehmende) nicht zur Verfügung stand. Sollte an einer oder mehreren Stellen nur ein Geschlecht genannt sein, dann ist das ein Fehler meinerseits und ich bitte um Benachrichtigung, damit ich die Formulierung nachbessern kann. Ich bemühe mich hiermit um Geschlechtergerechtigkeit und nicht um Geschlechtsneutralität. Wo Frauen und Männer vorkommen, sollen sie auch ausdrücklich genannt sein.
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Durchführung der Untersuchung und Aufbau der Arbeit . . . 1.2 Interkulturalität in Kirchen und Gemeinden . . . . . . . . . . 1.3 Bezug zur Rostocker Langzeitstudie über die Gottesvorstellung von Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Leitfragen für die Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Auswahl der Untersuchungsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Persönlicher Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Rückfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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15 15 16
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18 18 19 19 21
2. Gottesvorstellungen Erwachsener : Perspektiven und Methoden . . . 2.1 Untersuchungen zu Gottesvorstellungen Erwachsener . . . . . . 2.1.1 Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Psychologische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Pastorale Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Die religionssoziologische Perspektive – Klaus Peter Jörns 2.1.5 Messbarkeit von Religiosität – religionspsychologisch bis religionssoziologisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Untersuchte Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Anfänge des Österreichischen Baptismus . . . . . . . 2.2.2 Die Situation der Baptisten in Österreich heute . . . . . . 2.2.3 Charakteristika und Selbstverständnis der Baptisten . . . 2.3 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Untersuchungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Forschungskontext der vorliegenden Untersuchung . . .
. . . . . .
25 25 26 27 41 53
. . . . . . . . .
55 60 60 61 64 66 74 74 76
8
Inhalt
. . . .
77 81 90 91
3. Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Baptistinnen und Baptisten aus farsisprachigen Gemeinden in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Leyla – Gott ist groß, Gott ist stark und Gott ist schön . . . 3.1.2 Amir – Gott ist wie ein Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Mara – Gott liebt uns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Fahir – Gottes Baum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Yara – Gott erschafft die Welt und mich . . . . . . . . . . . 3.1.6 Dian – Alles ist von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Baptistinnen und Baptisten aus rumänischsprachigen Gemeinden in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Melinda – Gott, die Rettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Tereza – Gott ist die größte Liebe im Universum . . . . . . 3.2.3 Eugen – Die Verbindung mit Gott . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Marius – Gottes Einwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Denisa – In Gott verbunden . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Corvin – How great is our God . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Baptistinnen und Baptisten aus spanischsprachigen Gemeinden in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Dorita – Gott ist Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Miguel – Ich bin Gottes Priorität . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Marco – Gnade über Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Elena – Ein lustiges Gesicht aus Natur . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Leon – Die Liebe Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Lydia – Vertrauen zu dem Herrn . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Baptistinnen und Baptisten aus deutschsprachigen Gemeinden in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Joachim – Der mich nicht fallen lässt . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Johannetta – Mein Weg hinauf . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Joseph – Jesus Christus, gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Valerie – Freude am Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Barbara – Vorfreude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6 Romi – Gott ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6
Das praktische Untersuchungsverfahren . . . . . . . . Konkretes Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilungskriterien für qualitative Untersuchungen
. . . .
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98 98 105 113 120 128 137 145 145 152 160 165 172 180 187 187 195 202 211 218 226 234 234 242 248 257 269 282
9
Inhalt
4. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples . 4.1 Allgemeine Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Methoden und Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Aspekte zur Gottesbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Positionierung zu den Gottessymbolen . . . . . . . . . . . 4.3 Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug . . . . . . 4.4 Schwerpunktthema Theodizee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Allgemeine Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Gemeinsamkeiten der Sprachsamples . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Unterschiede zwischen den Sprachsamples . . . . . . . . . 4.5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.5 Anschlussfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295 297 297 300 300 320 356 364 382 393 393 393 395 397 398
5. Religionspädagogisches Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Entwicklung der Gottesvorstellung und erwachsener Glaube . . 5.2 Religionspädagogische Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Impuls: Interkulturelle Sensibilisierung . . . . . . . . . . 5.2.2 Impuls: die eigene Biographie . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Impuls: der versöhnliche Blick zurück . . . . . . . . . . . 5.2.4 Impuls: emotionale Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . 5.2.5 Impuls: Krisenkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.6 Impuls: personale – apersonale Gottesvorstellungen und das Reden von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.7 Impuls: Theodizee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.8 Impuls: Gott der ganz Andere . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.9 Impuls: Religion als Unterbrechung . . . . . . . . . . . . 5.2.10 Impuls: kritische Reflexion der eigenen Tradition . . . . 5.3 Ausblick: Gottesvorstellungen baptistischer Erwachsener im interkulturellen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
399 399 405 405 408 409 409 410
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412 415 420 420 422
.
423
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
Abstract (deutsch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
439
Abstract (english) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Danksagung
Mein Dank gilt allen, die mich während dieser Arbeit ermutigt, unterstützt und begleitet oder mir den Freiraum zum Arbeiten ermöglicht haben. Vor allem danke ich Professor Dr.Dr.h.c. Gottfried Adam für seine fachliche Begleitung und Beratung und Professorin Dr.in Anna-Katharina Szagun für die Anregung zum Thema, die Einführung in das Rostocker Methodenrepertoire und die fachliche Unterstützung. Für Anregungen und wichtige Literaturhinweise danke ich: Professorin Dr.in Susanne Heine, Olaf Kormannshaus, Prof. Dr. Michael Kißkalt und Prof. Dr. Dr. Martin Rothkegel. Für das Feedback in einer Forschungsgruppe haben sich Mag.a Debora Däubel (Angewandte Kunst), Mag.a Patrizia Jagoditsch (Kunstgeschichte), Mag.a Susanne Kompast (Bildende Künstlerin), Martin Wagner (Psychotherapeut), Mag.a Claire Ulbricht (Theologie) zur Verfügung gestellt. Ihnen danke ich für die investierte Zeit, für aufmerksame Beobachtungen und hilfreiche Rückmeldungen. Den Teilnehmenden des religionspädagogischen Privatissimums danke ich für ihr Mitdenken und für hilfreiche Anregungen, vor allem Dr.in Susanne Lechner-Masser für gegenseitige Ermutigung und Unterstützung. Hilda Gönzci-Löscher, Doris Schwarzinger, Holger Gohla und meinen Eltern Ute und Heinrich Wormitt bin ich sehr dankbar für die sorgfältige Durchsicht des Skriptums und für fachliches Feedback und Jason Valdez für die Bearbeitung des englischen Abstracts. Mein Dank gilt Dr.in Claudia Andrea Spring, die mich mit viel Geduld im Prozess der Abfassung des Textes beraten und begleitet hat. Mein besonderer Dank gilt allen, die sich von mir haben interviewen lassen und deren Namen ich hier nicht nennen kann. Ohne sie wäre diese Forschungsarbeit nicht möglich gewesen. Für die gründliche Durchsicht der Druckfahnen danke ich meinen Assistentinnen Christiane Vachek und Laura Kohlhepp und für die sorgfältige Bearbeitung der Fotografien Valere Schramm.
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Danksagung
Der Druck dieser Dissertation wurde möglich durch die großzügige Unterstützung der Spar- und Kreditbank Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden eG Bad Homburg, der Gerhard Claas Stiftung und der Theologischen Hochschule Elstal. Andrea I. Klimt Wien im September 2016
Vorwort
Die Gottesfrage ist für den christlichen Glauben ein zentrales Thema. Traditionell stehen vor allem Kindheit und Jugendalter im Fokus empirischer Forschungen. Es besteht deshalb ein Bedarf und besonderes Interesse an Untersuchungen, die das Erwachsenenalter in den Blick nehmen. In ihrer Diplomarbeit hat Andrea I. Klimt das Gottesverständnis baptistischer Erwachsener untersucht. Dabei erwiesen sich die entwicklungspsychologischen Stufenmodelle religiöser Entwicklung als erweiterungsbedürftig. Für die vorliegende Untersuchung wurde daher als Gesamtrahmen ein Ansatz gewählt, bei dem die Person ihre Gottesvorstellungen in Interaktion mit ihrer Umwelt bildet und lebenslang im Rahmen ihrer Lebensspanne verändert. Es wird untersucht, welchen Einfluss die eigene Kultur auf die individuelle Gottesvorstellung von Menschen hat, die dem Protestantismus und speziell der baptistischen Denomination angehören. Es wird danach gefragt, welches die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede hinsichtlich der Gottesvorstellung sind, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen kommen. In der Forschungsmethodologie orientiert sich die Untersuchung an der entdeckenden Sozialforschung. Diese qualitativ-heuristische Forschungsmethode gibt Anleitung zu einem Entdeckungsprozess, der auf dem Dialog zwischen Forschungsperson und Forschungsgegenstand basiert. Durch den Dialog wird der Forschungsgegenstand »entdeckt«. Bei der Erforschung werden Methoden angewendet, die im Zusammenhang der »Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen« (Prof. Dr. Anna K. Szagun) entwickelt und erprobt wurden. Dieses Methodenrepertoire wird im Blick auf die erwachsenen Teilnehmenden modifiziert und weiterentwickelt. Ergänzend werden Fragebögen zum Thema Gebet, zur Einschätzung der eigenen Kultur und zur Selbsteinschätzung erarbeitet und verwendet. Die Durchführung der Untersuchung belegt die Qualität des Rostocker Methodenrepertoires auch im Blick auf das Erwachsenenalter. Es zeigte sich, dass die gestellten Aufgaben von den Erwachsenen zu bewältigen waren und in jeder
14
Vorwort
der vier kulturellen Gruppen (farsi-, rumänisch-, spanisch- und deutschsprachig) trotz einiger Sprachschwierigkeiten gut anzuwenden waren. Ein wichtiges Ergebnis der Untersuchung besteht darin, dass die »Entwicklung« der Gottesvorstellung nicht linear und zielgerichtet sein muss, wie das in den Stufenmodellen von Kohlberg, Oser und Fowler vorausgesetzt wird. Die Entwicklung beruht eher auf einer Interaktion von persönlicher Struktur und sozio-kultureller Umwelt. Im Forschungsdesign wird zwischen kognitiver (Gottesverständnis) und emotionaler Dimension (Gottesbeziehung) unterschieden. Das Ergebnis zeigt: Die Gottesbeziehung wird durch die befragten Personen durchgängig höher gewichtet als das Gottesverständnis. Es stellt sich die Frage: Ist dieser Befund Ausdruck eines speziell baptistischen Profils – oder spiegelt sich darin eine allgemein-protestantische Grundtendenz wider? Es wurden 24 Interviews von je sechs Personen mit farsischer, rumänischer, spanischer und deutscher Sprache dokumentiert und einzeln interpretiert. Die sich anschließende Zusammenschau der vier Sprachsamples erschließt weitere Einsichten. Der abschließende Vergleich der Sprachsamples zeigt viele Gemeinsamkeiten, aber auch mancherlei Unterschiede. Die Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund wächst weltweit. Dadurch begegnen sich in den Gemeinden vor Ort zunehmend Christen mit Migrationshintergrund und »einheimische« Christen, wie das Beispiel der österreichischen Baptistengemeinden zeigt. Aus dieser Entwicklung erwächst die Aufgabe für einen bewussten und verantworteten Umgang mit den kulturellen Unterschieden. Die Untersuchung schließt mit einem religionspädagogischen Fazit und der Formulierung von zehn Impulsen für die gemeindepädagogische Arbeit. Die Ergebnisse der Untersuchung erweitern unser Wissen zum Gottesverständnis Erwachsener. Der interkulturelle Vergleich bringt neue Einsichten im Blick auf die Zukunft und Aufgaben christlicher Gemeinden. In der Studie wird mehrfach auf mögliche Anschlussforschungen hingewiesen. Hannover, im Oktober 2016
Gottfried Adam
1.
Einleitung
Die vorliegende Untersuchung widmet sich der Gottesvorstellung baptistischer Erwachsener im interkulturellen Vergleich.
1.1
Durchführung der Untersuchung und Aufbau der Arbeit
In der »Einleitung« wird zunächst herausgestellt, welches das sachliche Interesse an dem Thema und der persönliche Zugang zu ihm sind, die zu diesem Forschungsvorhaben führten. Unter 1.3 sind die leitenden Fragestellungen für die Untersuchung formuliert. Wichtig ist es auch, das Verhältnis von Nähe zum Forschungsgegenstand und den interviewten Personen sowie der kritischen Distanz im Prozess der wissenschaftlichen Arbeit zu reflektieren (1.6). Im Teil 2 »Gottesvorstellungen Erwachsener : Perspektive und Methoden« gilt es zunächst, bisherige Forschungen zum Gegenstand der Dissertation zur Kenntnis zu nehmen und zu analysieren, um die Intention der eigenen Untersuchung zu präzisieren. Hier war eine Auswahl zu treffen. Es wurden neuere psychologische, pastorale und religionssoziologische Zugänge ausgewählt, die in der wissenschaftlichen Diskussion eine wichtige Rolle einnehmen. Unter 2.2 folgt eine genauere Darstellung der untersuchten Gruppe der Baptistinnen und Baptisten in Österreich. Neben ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer Situation in Österreich heute sind auch spezifische Charakteristika und das Selbstverständnis der Baptistinnen und Baptisten weltweit von Interesse, um sich der untersuchten Gruppe anzunähern. Schließlich werden in 2.3 die verwendeten Methoden des Rostocker Methodenrepertoires detailliert dargestellt und ihre Eignung im Hinblick auf die Forschungsfragen, auf die untersuchte Gruppe und für das Forschungsvorhaben reflektiert. Mit dem Hauptteil (Kapitel 3) schließen sich die Interpretationen der einzelnen Interviews an. Es wurden über 60 erwachsene Personen nach den Rostocker Methoden zu ihrer Gottesvorstellung befragt. In der vorliegenden Untersuchung ist die individuelle Auswertung von 24 Interviews vorgenommen
16
Einleitung
worden. Es handelt sich dabei um je sechs Interviews zu vier kulturellen Samples. Dabei handelt es sich um den rumänischen, lateinamerikanischen, afghanisch/iranischen und österreichischen kulturellen Kontext. Pro Sample sind 9– 10 Personen interviewt worden, deren Interviews dann insgesamt in die Untersuchung einfließen sollten. Leider ist es aus Gründen der Zeitökonomie nicht möglich gewesen, alle dokumentierten und transkribierten Gespräche hier auszuwerten. Die Auswahl der dargestellten sechs Interviews aus zehn folgt keinen bestimmten Kriterien. Die Veröffentlichung des restlichen Materials soll später erfolgen. Interviews mit Baptisten in Südafrika und Mosambik sind aus Gründen des Umfangs nicht mit in die Auswertung einbezogen worden. Die Auswertung zeichnet die individuelle Gottesvorstellung der einzelnen Personen nach. In der Analyse der Aussagen wird zwischen Gottesbeziehung (emotionale Anteile der Gottesvorstellung) und Gottesverständnis (kognitive Anteile der Gottesbeziehung) unterschieden. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Praxis des Glaubens im jeweiligen Alltag. Der eher deskriptiven Interpretation der einzelnen Interviews in Kapitel 3 folgt in Kapitel 4 ein Vergleich der einzelnen Kultursamples untereinander in Bezug auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die emotionalen und kognitiven Anteile der Gottesvorstellung (Gottesbeziehung und Gottesverständnis), die Funktion des Glaubens in besonderen Krisenzeiten und den Alltagsbezug betreffend. Abgeschlossen wird der Vergleich mit einem Eingehen auf die Relevanz der Theodizeeproblematik für die Befragten. In Teil 4 finden sich detaillierte Vergleichstabellen zu einzelnen Auswertungsschwerpunkten, die einen präziseren Vergleich ermöglichen. Die zusammenfassenden Ergebnisse des Vergleichs zwischen den Kultursamples sind in 4.5 in Gemeinsamkeiten und Unterschieden zusammengefasst dargestellt. Eine Reflexion der Beobachtungen und Vergleichsergebnisse rundet mit Kapitel 5 die Arbeit ab und zeigt den Ertrag der Untersuchung im Blick auf die Gemeindepädagogik auf. Nachdem die Frage nach einer Zielgestalt gemeindepädagogischer Bemühungen reflektiert wird, folgen religionspädagogische Impulse, die sich auf das Handlungsfeld Gemeinde beziehen, aber auch darüber hinaus von Relevanz für die religiöse Erwachsenenbildung sein können. Auch hier bilden die Themen persönliche Krisen, Theodizee und Glaube und Alltag besondere Schwerpunkte.
1.2
Interkulturalität in Kirchen und Gemeinden
Immer mehr Menschen in Europa haben einen so genannten »Migrationshintergrund«. Sie oder ihre Eltern sind erst vor einigen Jahren oder Jahrzehnten aus einem anderen Land, einer anderen Kultur nach Europa gekommen. Kulturelle
Interkulturalität in Kirchen und Gemeinden
17
Vielfalt gibt es inzwischen in vielen Gemeinden, Pfarren und Kirchenbünden, vor allem in Großstädten, aber auch in kleineren Städten und ländlichen Gebieten aufgrund der demographischen Veränderungen und der bleibenden (weltweiten) Migrationsbewegungen. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Bild der Kirchen und Gemeinden in Zentraleuropa verändert. Immer mehr Menschen verlassen aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat und siedeln sich in der EU an1. Die Öffnung der Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa nach 1989 hat für Bewegung gesorgt. Migration ist ein wichtiges Thema geworden2. Einzelne Personen oder Gruppen von Menschen mit Migrationshintergrund finden sich innerhalb einer Gemeinde oder auch als ethnische Gemeinden3 oder Kirchen in größeren Kirchengemeinschaften4. Sie sind durch den gemeinsamen christlichen Glauben mit einheimischen Christen verbunden, haben mit ihnen eine gemeinsame konfessionelle Identität, dennoch müssen alle mit menschlichen und theologischen Spannungen leben. Schlagen sich kulturelle Unterschiede auch in der Gottesvorstellung einzelner Personen nieder? Und: Was ist dabei aus religions- und gemeindepädagogischer Perspektive zu berücksichtigen? Die vorliegende Arbeit will zu einem bewussten und verantworteten Umgang mit kulturellen Unterschieden verhelfen (cultural awareness). Dabei liegt der Schwerpunkt auf Beobachten, Wahrnehmen und Beschreiben und der Überlegung, welche Relevanz das Beobachtete in der religions- oder gemeindepädagogischen Praxis hat.
1 Weller Paul, The Changing Face of Europe: The Nature and Role of Ethnic Minorities in European Societies, in: Penner Peter F. (Hrsg.), Ethnic Churches in Europe. A Baptist Response, Schwarzenfeld 2006, 17–63. 2 So hat z. B. der Fischer Weltalmanach, der weltweit Zahlen-Daten-Fakten sammelt und vermittelt, für 2011 Migration zu seinem Schwerpunktthema gemacht. Fischerverlag, Weltalmanach 2011 Zahlen-Daten-Fakten, Frankfurt 2010. 3 Vgl. Penner Peter F. (Hrsg.), Ethnic Churches in Europe. A Baptist Response, Schwarzenfeld 2006. 4 Allein in Wien gibt es neun verschiedene internationale evangelische Gemeinden: Schwedisch, Dänisch, Finnisch, Ungarisch, Koreanisch, Japanisch, Taiwanesisch, Ghanaisch, Afrikans. Ethnische Baptistengemeinden in Wien haben folgende kulturelle Hintergründe: Rumänisch, Farsi-Dari und Latino.
18
1.3
Einleitung
Bezug zur Rostocker Langzeitstudie über die Gottesvorstellung von Kindern
Einen wesentlichen Anstoß zum Entstehen dieser Arbeit gab der langjährige Kontakt mit der Verfasserin der Rostocker Studie5 Professorin Dr.in Anna-Katharina Szagun, die Gottesvorstellungen von Kindern in konfessionslosem Umfeld über viele Jahre untersucht hat. Hier wurde das Interesse der Autorin geweckt, auch anhand von Materialcollagen, qualitativen Interviews und anderen Beobachtungen, im Rahmen einer Diplomarbeit 2003 Untersuchungen zur Gottesvorstellung von Erwachsenen im eigenen konfessionellen Umfeld der Baptistengemeinden zu machen. Schon während dieser Untersuchung tauchte, durch Interviews mit Personen aus diversen kulturellen Hintergründen, die Frage danach auf, inwiefern die eigene Kultur Einfluss auf die Gottesvorstellung von Erwachsenen hat. Ein weiteres Projekt mit dem Focus auf einem interkulturellen Vergleich lag nahe und wird mit der vorliegenden Untersuchung umgesetzt. Auch für dieses Vorhaben bieten sich die in den Untersuchungen mit Kindern langjährig erprobten Verfahren des Rostocker Methodenrepertoires6 an. Diese Methoden haben im Laufe dieser Untersuchung vor allem dadurch überzeugt, dass die Aufgabenstellungen leicht zu bewältigen sind und die Methoden in jeder der kulturellen Gruppen, trotz Sprachschwierigkeiten, leicht anzuwenden waren.
1.4
Leitfragen für die Untersuchung
Im oben genannten Kontext stellt sich jetzt die Frage, welchen Einfluss hat die eigene Kultur auf die individuelle Gottesvorstellung von Menschen, die derselben protestantischen Konfession und darin derselben Denomination angehören? Was unterscheidet sich trotzdem hinsichtlich ihrer Gottesvorstellung, wenn sie aus verschiedenen Kulturen kommen? Kann man kulturelle Einflüsse überhaupt erkennen? Was ist den Befragten im Hinblick auf ihre Gottesvorstellung gemeinsam und worin unterscheiden sie sich? Ist die Gottesvorstellung transparent für den kulturellen Hintergrund oder ist die Unterschiedlichkeit allein aus der Biographie erklärbar? Sind Unterschiede individuell oder kulturell be5 Szagun Anna-Katharina, Zugänge zur Gottesfrage, in: Schulfach Religion 19 (2000), Nr. 1–2, 103–166, und Szagun Anna-Katharina, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006, und Szagun Anna-Katharina / Fiedler Michael, Religiöse Heimaten. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2008. 6 Vgl. 2.3 Methoden, 77.
Persönlicher Zugang
19
dingt? Welche Gemeinsamkeiten gibt es trotz kulturell verschiedener Hintergründe im Hinblick auf kognitive, emotionale oder affektive Aspekte von Gottesvorstellungen? Wie wirkt sich die Gottesvorstellung in verschiedenen Kulturen auf die Alltags- und Lebensgestaltung aus? Eine weitere Frage, die im Laufe der Untersuchung dazu kam, war die Frage nach der Theodizee. Unbefriedigende Antworten auf die Frage »Warum ein liebender Gott das Übel in der Welt zulassen kann« können unter anderem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum Ausstieg aus dem Glauben führen. Wie beantworten erwachsene Menschen aus unterschiedlichen Kulturen diese Frage für sich. Hat sie Relevanz? Welchen Beitrag können die Ergebnisse zur Gemeindepädagogik leisten? Welche Impulse kann Gemeindepädagogik geben, welche soll sie geben, welche (lieber) nicht? Was bedeutet das möglicherweise für ein Fortbildungsangebot für Religionspädagoginnen und -pädagogen?
1.5
Auswahl der Untersuchungsgruppe
Die Untersuchung auf ein einziges denominationales Umfeld zu begrenzen erscheint sinnvoll, in der Annahme, dass sich hier Gottesvorstellungen klarer konturiert vorfinden und sich zu den einzelnen kulturellen Hintergründen in Beziehung setzen lassen. Die eigene kirchliche Gruppe, die Baptisten, für die Untersuchung zu nehmen, erscheint deshalb sinnvoll7, da es sich ja auch vor allem um die Reflexion der eigenen Praxis handelt, die zu einer veränderten Praxis in der Gemeindepädagogik führen soll. Außerdem gibt es langjährige Kontakte zu verschiedenen ethnischen Baptistengemeinden, in denen sich sehr unkompliziert Teilnehmer und Teilnehmerinnen finden lassen.
1.6
Persönlicher Zugang
Das Thema entwächst meiner langjährigen pastoralen Praxis mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Zum einen sind da die Studienreisen der vergangenen Jahre in verschiedene Länder : in die USA, nach Südafrika und Mosambik, Nicaragua, Israel, Jordanien, in den Libanon und in einige europäische Länder. Immer wieder habe ich in den unterschiedlichen Ländern Baptistengemeinden besucht. Die Gemeindestrukturen, die gelebte Gemeinschaft der Baptisten vor Ort und die Gottesdienste wiesen nach meinen Beobachtungen große Ähnlichkeiten auf. Es waren 7 Vgl. 1.7 Rückfrage, 21.
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Einleitung
aber auch große Differenzen zu sehen. Das gilt vor allem hinsichtlich der Gottesvorstellung, des praktizierten Glaubens, sowie im Blick auf Gebet und Ethik. Zum anderen gibt es für mich eine langjährige Praxis internationaler Zusammenarbeit. Sei es meine mehrjährige Mitarbeit im Leitungsgremium der EBM-International, der europäisch baptistischen Entwicklungshilfeorganisation, die in partnerschaftlicher Weise in mehreren afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern und auch in Indien und der Türkei tätig ist, oder mein Engagement in der Ausbildung und Begleitung international arbeitender Volontäre eben dieser Organisation. Hier hatte ich vor allem die Möglichkeit, zwei Projekte mit ins Leben zu rufen, die auch eine starke pädagogische Komponente beinhalten. Mit dem Projekt Grenzenlos kamen über mehrere Jahre südafrikanische Baptistenpastorinnen und -pastoren nach Österreich, um hier jeweils für drei Monate in Baptistengemeinden zu arbeiten. Während ihrer Zeit in Österreich war vor allem ich ihre Ansprech- und Begleitperson, was mir zu viel informellem Wissen über eine afrikanische Art zu beten und zu glauben verholfen hat. Das zweite von mir mitgestaltete Projekt war ein mehrwöchiger Vorbereitungskurs für europäische Volontärinnen und Volontäre, die mit der EBM-International drei bis zwölf Monate in den Partnerländern in Afrika und Latein- oder Südamerika tätig waren. Hier habe ich vor allem bei der pädagogischen Konzeption interkulturellen Lernens mitgewirkt. Die Teilnehmenden kamen aus verschiedenen Ländern Europas, Lateinamerikas und Afrikas. Interessant war hier der Aspekt der interkulturellen Missverständnisse und der unterschiedlichen ethischen Haltungen, die zum Teil auf die jeweilige Kultur, zum Teil aber auch auf eine unterschiedliche Gottesvorstellung zurückzuführen sind. Ein wesentliches Arbeitsfeld ist für mich seit ungefähr zehn Jahren der Bereich der Gemeindediakonie. Es gehört unter anderem zu meinen Aufgaben, in den Baptistengemeinden in Österreich durch Innovation und Begleitung diakonischer Projekte die Gemeindediakonie zu fördern. Ein Hauptschwerpunkt der diakonischen Arbeit der Baptistengemeinden in Österreich liegt auf der Begleitung von Flüchtlingen und anerkannten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Auch hier sind mir immer wieder Menschen aus diversen kulturellem Hintergrund und dementsprechend mit einem unterschiedlichen Verständnis von praktiziertem Glauben begegnet. Nicht zuletzt waren die vergangenen Jahre meiner Arbeit als Gemeindepastorin in einer österreichischen Großstadt (Wien) auch von der interkulturellen Zusammensetzung meiner eigenen Gemeinde bestimmt. Die Gemeindeleitung setzte sich zeitweise aus mehreren Österreichern und Deutschen und je einer Person aus den USA, Mexiko, Iran und Afghanistan zusammen. In der Gemeinde selbst sind 15 verschiedene Nationen vertreten. Innerhalb der Gemeinde gibt es eine kleine Gruppe von Afghanen und Iranern, die als ethnische Gruppe neben
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den gemeinsamen Gottesdiensten mit der deutschsprachigen Gemeinde, auch ihre eigenen Gottesdienste in ihrer Heimatsprache Dari, bzw. Farsi feiern. Für mich ergeben sich dadurch als Gemeindepastorin vielfältige Herausforderungen. Ab und zu predige ich im farsisprachigen Gottesdienst. Der Unterricht im christlichen Glauben, die Katechese, muss auf die unterschiedlichen Voraussetzungen (in der Spannbreite von einer Sozialisation der einzelnen Personen im kulturkatholischen Österreich oder im moslemisch geprägten Afghanistan, in dem die Zugehörigkeit zu einzelnen Volksstämmen noch immense Bedeutung hat und Lesen und Schreiben nicht unbedingt zur Allgemeinbildung gehören) eingehen. In der Seelsorge sind minimale Kenntnisse über Lebenssituation und verschiedene ethische Standards gefordert. Fragen der Kindererziehung und Partnerschaft erscheinen plötzlich in einem ganz neuen Licht. Aufgrund dessen habe ich mich dann auch in meinen Zusatzqualifikationen als Wirtschaftstrainerin und Coach auf die Themen Diversity, Interkulturelle Kompetenz und Kommunikation und als Lebens- und Sozialberaterin auf die Beratung von Einzelpersonen und Paaren mit verschiedenen kulturellen Hintergründen spezialisiert. All diese verschiedenen Arbeitskontexte und die Begegnung mit Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft haben insbesondere meine Neugierde geweckt. Für mich verbindet sich hier das wissenschaftliche Interesse mit einem fachlichen und einem persönlichen Interesse. Wissenschaftlich interessant ist der Aspekt der Kultur innerhalb des Forschungsgegenstandes Gottesvorstellungen Erwachsener. Fachlich interessiert mich, wie verschieden oder ähnlich Gottesvorstellungen sind, und wie ich unterschiedlichen Menschen aus verschiedenen Kulturen in der professionellen Begegnung in der Gemeindepädagogik gerecht werden kann. Persönlich bin ich im Wesentlichen neugierig darauf, die Unterschiedlichkeit von Menschen auch im Hinblick auf ihre Gottesvorstellung kennen und wertschätzen zu lernen. Ich bin neugierig auf Menschen, ihre Geschichte(n), wie sie sich und die Welt sehen, und das, was für sie persönlich »Gott« bedeutet.
1.7
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Abschließend ist noch die Frage zu stellen, ob eine wissenschaftliche Untersuchung in der eigenen denominationalen Gruppe aufgrund der Nähe und der relativen Bekanntheit zwischen der forschenden Person und den Befragten sinnvoll ist. Hier sind Vor- und Nachteile erkennbar. Ein Vorteil besteht darin, dass durch die relative Nähe eine andere Qualität von Information möglich ist. Es fällt die Skepsis weg, dass da jemand von außen kommt und kritisch-analytisch über die eigene Gottesvorstellung schreibt. Im
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Rahmen der geführten Gespräche war es auch eher ein gemeinsames Entdecken und Anschauen. Durch die Art der Befragung, in der Haltung der personenzentrierten Interaktion nach Rogers und einem Vertrauensvorschuss (auch bei Personen, mit denen ich vorher nicht näher bekannt war), waren zum Teil sehr persönliche, manchmal seelsorgerliche Gesprächsphasen8 möglich. Ähnliches berichtet Wittrahm9 von seiner Untersuchung, in der die Interviews ebenfalls personenzentriert geführt wurden. Das heißt, dass die Nähe nicht nur auf die Bekanntheit vor dem Gespräch, sondern auf die Dynamik innerhalb des Gesprächs aufgrund der Gesprächshaltung zurückzuführen ist. Der Vorteil der Nähe zählt zugleich zu den Nachteilen. Die Identifikation der Forscherin mit den untersuchten Personen, den untersuchten Gruppen, kann zu einer Blindheit dem Forschungsgegenstand gegenüber führen: Sie sieht, was sie sehen will. Von Seiten der Teilnehmenden gibt es demgegenüber den Versuch, den Erwartungen der Forscherin zu entsprechen und die eigene Gottesvorstellung in ein »schönes« Licht zu rücken. In dieser Untersuchung wird versucht, dem Problem der relativen Blindheit mit Hilfe einer Forschungsgruppe10 entgegenzuwirken. Die Untersuchung des eigenen Umfelds hat weiter den Vorteil einer intimeren Kenntnis des Referenzrahmens der an der Untersuchung Beteiligten, die aber nur durch die enge Verbundenheit der Forschungsperson mit eben diesem religiösen Referenzrahmen möglich ist. Susanne Heine weist darauf hin, dass dies in der qualitativen Forschung häufig vorkommt und die Bewusstmachung dieser Verbindung und die Aufmerksamkeit dafür den wissenschaftlichen Zugang ausmachen11. Das Interesse an dem Forschungsgegenstand ist ja gerade durch den eigenen (in diesem Fall den gemeindepädagogisch-interkulturellen) Arbeitskontext geweckt worden. Dies trifft vermutlich auf viele Forscher zu. Eine weitere kritische Frage betrifft die Auswahl der befragten Personen. Abgesehen davon, dass eine so kleine Zahl von Beteiligten nicht repräsentativ für die jeweilige ethnische Gemeinde bzw. die größere Gruppe der Baptisten sein kann, ist hier anzumerken, dass die Einzelnen sich durchweg freiwillig auf 8 Soweit das, was mir dort anvertraut wurde, unter meine pastorale Schweigepflicht fällt, wurde es bei der Transkription zum Schutz der Beteiligten ausgelassen – eine Anonymisierung allein wäre nicht ausreichend, da die Personen von Menschen, die sie kennen und diese Arbeit lesen, trotz größter Sorgfalt im Umgang mit den Daten, über die Angaben von Altersgruppe und Familienstand identifiziert werden könnten. 9 Wittrahm Andreas / Hammerschmidt Mechthild, Der Herr kennt den Weg des Gerechten – Glaubensentwicklung und religiöse Erwachsenenbildung, 123–125, in: Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), »Selbst die Senioren sind nicht mehr die alten …« – Praktisch-theologische Beiträge zu einer Kultur des Alterns, Münster 2003, 109–126. 10 Vgl. 2.3.5 Auswertung, 90. 11 Heine Susanne, Grundlagen der Religionspsychologie, Göttingen 2005, 394.
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Anfrage12 zum Interview bereit erklärt haben. D. h. an der Untersuchung haben nur Menschen teilgenommen, die sich im Moment der Anfrage in der Lage sahen, über sich und ihre Gottesvorstellung Auskunft zu geben. Personen, die sich eher zurückhalten, die eine zweite und dritte Einladung gebraucht hätten, sind mit dieser Art der Auswahl nicht erreicht worden. Einerseits sind die Texte also auch unter dem Vorbehalt zu lesen, dass das Gesagte dem gemutmaßten Erwartetem entspricht: Wie reden Baptisten mit einer Baptistin, die von ihnen erwartet, dass sie etwas über ihre Gottesvorstellung sagen? Andererseits ist aufgrund der hohen emotionalen Beteiligung durch das Vorgehen nach dem Rostocker Methodenrepertoire oft eine Unmittelbarkeit im Gespräch entstanden, die verwertbare Informationen über Gottesvorstellungen erwarten lässt. Bei der Auswertung galt es, Distanz zur eigenen Gruppe und den interviewten Personen einzunehmen und kritisch zu analysieren. Durch diese Untersuchung ist eine gewisse Datenmenge erfasst worden, die durch die CD-Rom mit den Transkripten und vollständigen Verdichtungen auch anderen Interpreten zur Verfügung steht. Die Studie ist auf Ergänzung hin angelegt. Aus weiteren Perspektiven sind sicher noch weitere relevante Aussagen über Gottesvorstellungen baptistischer Erwachsener möglich.
12 Gottesdienste oder Gemeindeveranstaltungen der jeweiligen ethnischen Gemeinden wurden von mir besucht und im Anschluss daran wurde gefragt, wer an einem Interview mit mir teilnehmen möchte. Mit einigen Personen ist das Interview der erste nähere Kontakt gewesen, vor allem aus der Latinogruppe und dem rumänischen Sample. Zu den Personen aus dem Farsi- und dem deutschsprachigen Sample besteht zum Teil ein langjähriger Kontakt.
2.
Gottesvorstellungen Erwachsener: Perspektiven und Methoden
2.1
Untersuchungen zu Gottesvorstellungen Erwachsener
Zur Gottesvorstellung Erwachsener gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Fragestellungen. Einige psychologische Untersuchungen (Tausch13, Petersen14, Lawrence15) sind interessiert an dem Zusammenhang von Gottesbild und psychischer Gesundheit. Entwicklungspsychologisch stellt sich die Frage nach der überindividuellen Entwicklung von Glauben und Religiosität (Fowler16, Oser / Gmünder17). Religionspsychologisch wird unter anderem die Frage nach der Motivation von Religiosität (Allport18) gestellt oder aus praktisch-theologischer Perspektive die Frage danach, was einen »erwachsenen Glauben« ausmacht (Fürst, Wittrahm und andere19). Religionssoziologisch ist die Frage nach dem Zusammenhang des Glaubens einer Person und ihren Lebensbeziehungen interessant (Jörns20). In der Kombination verschiedener Perspektiven fragen Theologen, Psychologen, 13 Tausch Reinhard, Psychologische Einsichten zur Bedeutung persönlicher Gottesvorstellungen und zur christlichen Botschaft: Verbindungen, in: Flothkötter Hermann/Nacke Bernhard (Hrsg.), Zeichen der Zeit, Reihe: Wissenschaftliche Orientierungslinien und christlicher Glaube in heutiger Zeit, Bd. 3, Münster 1990, 201–229. 14 Petersen Kay, Persönliche Gottesvorstellungen, Empirische Untersuchungen / Entwicklung eines Klärungsverfahrens, Ammersbek bei Hamburg, 1993. 15 Lawrence Richard T., Measuring the Image of God: The God Image Inventory and the God Image Scales, in: Journal of Psychology and Theology 25/1997, No.2, 214–226. 16 Fowler James W., Stages of Faith, The Psychology of Human Development and the Quest for Meaning, New York, 1981. 17 Oser Fritz / Gmünder Paul, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung. Ein strukturgenetischer Ansatz, Gütersloh, 1992/3. 18 Allport Gordon W., The Individual and his Religion: a Psychological Interpretation, Oxford, 1950. 19 Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), »Selbst die Senioren sind nicht mehr die alten …« – Praktisch-theologische Beiträge zu einer Kultur des Alterns, Münster 2003. 20 Jörns Klaus-Peter, Die neuen Gesichter Gottes. Was die Menschen heute wirklich glauben, München 1999.
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Soziologen und Religionswissenschaftler nach der individuellen und strukturellen Religiosität weltweit und wollen somit die Realität von Religiosität abbilden (Huber21, Religionsmonitor von Bertelsmann22). Der Schwerpunkt dieser Arbeit ist ein religionspädagogischer, gleichwohl tragen einige der genannten Untersuchungen dazu bei, die Wahl der Methoden zu begründen und den Kontext der vorliegenden Untersuchung zu beschreiben, um eventuelle Vergleichspunkte zu finden23.
2.1.1 Begriffsklärung Innerhalb dieser Studien finden sich unterschiedliche Begriffe für den jeweiligen Untersuchungsgegenstand: Gottesbild, Gottesrepräsentanz, Gottesidee, Gotteskonzept, Gottesbegriff. Als Bezeichnung für den Untersuchungsgegenstand wurde für die vorliegende Untersuchung der Begriff ›Gottesvorstellung‹ gewählt. Er scheint geeigneter als die genannten Begriffe, da deren Referenzpunkte immer nur Teilaspekte des Untersuchungsgegenstandes berühren. Wenn von Gottesvorstellung (Singular) die Rede ist, dann ist die Gottesvorstellung einer einzelnen Person gemeint. Wird der Plural gebraucht, handelt es sich um die Gottesvorstellungen mehrerer Personen. Untersucht wird die Gottesvorstellung von erwachsenen Baptistinnen und Baptisten mit ihren kognitiven und emotionalen Anteilen. B. Grom folgend24 wird unter Gottesverständnis das zusammengefasst, was die kognitiven Aspekte der Gottesvorstellung und unter Gottesbeziehung das, was die emotionalen und
21 Huber Stefan, Dimensionen der Religiosität – Skalen, Messmodelle und Ergebnisse einer empirisch orientierten Religionspsychologie, Freiburg 1996. Und: Huber Stefan, Zentralität und Inhalt – Ein neues multidimensionales Messmodell der Religiosität, Opladen 2003. 22 Bertelsmann Stiftung(Hrsg.), Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007. Und: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt – Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2009. 23 Einen detaillierten Forschungsüberblick zu bieten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ein Überblick über die psychoanalytischen Studien zur Religion bis 1996 finden sich bei Beit-Hallahmi Benjamin, Psychoanalytic Studies of Religion – A Critical Assessment and Annotated Bibliography, Westport/USA 1996. Darstellungen der empirischen religionspsychologischen (teilweise an der Schnittstelle zur Religionssoziologie) Forschung der letzten Jahrzehnte vor allem bei Huber Stefan, Dimensionen der Religiosität – Skalen, Messmodelle und Ergebnisse einer empirisch orientierten Religionspsychologie, Freiburg 1996. 24 Grom Bernhard, Religionspädagogische Psychologie des Kleinkind-, Schul- und Jugendalters, Düsseldorf 20005, 115f.
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motivationalen Aspekte betrifft. Beide Seiten stehen zueinander in enger Wechselwirkung, sollen aber auch je in ihrer Eigenart betrachtet werden25.
2.1.2 Psychologische Perspektiven 2.1.2.1 Phasenmodelle – tiefenpsychologisch (1) Freud Sigmund Freud26 kam bei seinen Untersuchungen zu der Hypothese, dass die kindliche Entwicklung triebbestimmt sei, und machte so eine Entwicklung der Persönlichkeit in der Kindheit und Jugend in einer gewissen Stufenfolge fest. Er ging davon aus, dass die Persönlichkeitsstruktur des Menschen wesentlich in den ersten fünf Jahren seines Lebens geprägt wird. Freud bezeichnete die ersten drei Phasen der Entwicklung nach der vom Kind angestrebten Befriedigung: Orale Stufe, Anale Stufe, Phallische oder genitale Stufe. Worauf dann die sogenannte Latenzzeit und die Pubertät folgen. Seither sind mehrere Phasenmodelle entwickelt worden, die einerseits die menschliche Entwicklung verstehen und andererseits entwicklungsfördernde Impulse geben wollen. Auch in Hinblick auf die religiöse Entwicklung des Menschen hat man in Anlehnung an bekannte Phasenmodelle versucht, schematisch Stufen oder Phasen herauszuarbeiten. (2) Rizutto In Anknüpfung an Freuds psychoanalytischen Zugang zur Entwicklung des Individuums entstand die »Objektbeziehungstheorie«27. Diese geht weniger von der sexuellen Triebbestimmtheit des Menschen aus, sondern nimmt für die Ausbildung einer Persönlichkeitsstruktur eher die in frühster Kindheit erlebten Gefühle in den Blick: Selbstwertgefühl, Vertrauen, Liebe, Angst, Misstrauen, Ohnmacht, Wut. Der Mensch wird hier in seinen Beziehungen betrachtet. Seine Entwicklung geschieht in ständiger Interaktion mit der Umwelt und ist nur im Kontext mit seinen Beziehungen zu verstehen28. Ana-Maria Rizutto29 entwickelte eine Objektbeziehungstheorie des Religiösen. Nach dem englischen Kinder25 AaO., 116. 26 Freud Sigmund, Psychologie des Unbewussten, Studienausgabe Bd.III, Frankfurt am Main, 1978. 27 Grom, Religionspädagogische Psychologie, 32ff. 28 Santer Helmut, Persönlichkeit und Gottesbild – Religionspsychologische Impulse für eine praktische Theologie, Göttingen 2003, 194ff. 29 Rizzuto Ana-Maria, The Birth of The Living God – A Psychoanalytic Study, Chicago / London 1979.
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analytiker Winnicott30 entwickelt sich im ersten Lebensjahr eines Kindes ein »intermediärer Bereich«. Mit Hilfe von sogenannten »Übergangsobjekten« (Schnuller, Kuscheltier) befriedigt das Kind seine Bedürfnisse (saugen, kauen, aggressive Veränderung eines Gegenstandes). Die Übergangsobjekte ersetzen das primäre Bezugsobjekt (die Mutter bzw. die Mutterbrust). Der intermediäre Bereich erleichtert somit den Übergang von der subjektiven Innenwelt zur objektiven Außenwelt. Phantasie, Denken und Symbolbildung haben hier ihren Platz und ermöglichen einen »kreativen und wirklichkeitsgerechten Umgang mit der realen Außenwelt«31. Dem intermediären Bereich »erwachsen die außergewöhnlichen Erfahrungen im Bereich der Kunst, der Religion und der wissenschaftlichen Arbeit«32. Die Objektbeziehungstheorie nimmt der Religion gegenüber eine »prinzipiell positive« Haltung33 ein. Nach Rizutto bildet sich nun bei jedem Menschen in der westlichen Kultur34 im Alter von zwei bis drei Jahren die erste unbewusste Gottesrepräsentation als ein besonderes Übergangsobjekt. Im Titel ihres Buches »The Birth of the Living God«35 spiegelt sich das zentrale Anliegen ihres Untersuchungsansatzes: Wie kommt es dazu, dass sich so etwas wie eine lebendige, persönlich bedeutsam erlebte Gottesbeziehung herausbildet? Dieses Phänomen möchte sie mit ihren Überlegungen beschreibbar machen. So unterscheidet sie zwischen Gotteskonzepten als gedankliche Konstrukte, die keinen emotionalen Gehalt haben (z. B. durch Theologen vermittelte kognitive Inhalte von Religion), und Gottesbildern, die emotional gefüllt sind. Sie werden durch die Verknüpfung des Wortes »Gott« mit emotional bedeutsamen Eindrücken und Erfahrungen hervorgerufen36. Ohne emotional bedeutsame Bilder aus dieser frühen Phase lasse das Gotteskonzept den Menschen »kalt«37. Die Gottesrepräsentation ist über das ganze Leben hinweg veränderbar und entwickelt sich mit den Herausforderungen, die an den einzelnen Menschen in seiner Entwicklung gestellt werden38. Ihre Ergebnisse ordnet Rizzuto den Freudschen Stufen und den psychosozialen Krisen Erik H. Eriksons zu39 : 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39
Grom, Religionspädagogische Psychologie, 34f. AaO., 35. Ebd. und Übersetzung von Winnicott zitiert bei Rizutto, Living God, 177. Santer, Persönlichkeit, 197f. »It is a central thesis of this book that no child in the Western world brought up in ordinary circumstances completes the oedipal cycle without forming at least a rudimentary God representation, which he may use for belief or not.« (Rizzuto, Living God, 200.) Rizzuto Ana-Maria, The Birth of The Living God – A Psychoanalytic Study, Chicago / London 1979. Rizzuto, Living God, 47. Rizzuto, Living God, 48. Rizzuto, Living God, 180. Rizzuto, Living God, 206f. Erikson teilt den menschlichen Lebenszyklus in acht psychoso-
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– Orale Stufe – Geburt bis ca. 2 12 Jahre. In der erfahrenen Einheit mit der Mutter entwickelt sich die erste Grundlage für die Bildung einer Gottesvorstellung. Eine spätere Identifikation mit Gott, um eigene Wertlosigkeitsgefühle zu kompensieren, ist eine Folge eines unbefriedigenden Verlaufs dieser Stufe. – Anale Stufe – 2 12 bis 4 Jahre. Anfangs ist Gott eine faszinierende Gestalt, wie andere Helden oder Monster. Durch die Vermittlung der Eltern erscheint er jedoch als reale Person. Das Kind denkt anthropomorph und kausal von Gott und seinem Tun40. – Ödipale Stufe – 4 bis 6 Jahre. Gott wird zum Großen und Allmächtigen erhoben, so wie in dieser Phase auch die Eltern idealisiert werden. – Latenzzeit – zwischen 6 Jahren und der Pubertät. Gott wird nüchterner gesehen, vor allem als der, der immer da ist. – Pubertät – Durch die Fähigkeit zu formallogischem Denken kann das Gottesverständnis erweitert werden. Gott kann in der Identitätsfindung erfasst, aber auch abgelehnt werden. Weitere Entwicklungsphasen sowie kritische Ereignisse sind Möglichkeiten zur Revision der Gottesvorstellung. Wenn diese sich mit den Veränderungen des Selbstbildes nicht mitentwickelt, verliert sie ihre Bedeutung oder erscheint bedrohlich. Zu Rizzutos Ansatz ist kritisch zu bemerken, dass man heute zum einen nicht mehr davon ausgehen kann, dass jedes Kind in der westlichen Welt religiös sozialisiert aufwächst. Zum anderen ist die Untersuchung mit nur wenigen Erwachsenen durchgeführt worden, die sich zudem noch in psychotherapeutischer Behandlung befunden haben. Gerade die frühe Kindheit und die Elternbeziehung mögen bei diesen Personen besonders problematisch gewesen sein, ziale Krisen ein, von deren Bewältigung die Entwicklung einer gesunden Persönlichkeitsstruktur abhängt. Hoffnung, Treue, Fürsorge und andere sind nach Erikson psychosoziale Kräfte, die ihren Ursprung in der Bewältigung der syntonen und dystonen Tendenzen, die im Widerstreit miteinander stehen, haben. Die Phasen bauen aufeinander auf. Die Bewältigung einer Krise ist grundlegend für die Entfaltung in der nächsten Phase: – Säuglingsalter – 1. Jahr : Grundvertrauen gegen Grundmisstrauen – Hoffnung – Frühe Kindheit – 2–3 Jahre: Autonomie gegen Scham und Zweifel – Wille – Spielalter – 4–5 Jahre: Initiative gegen Schuldgefühl – Entschlusskraft – Schulalter – ab 6 Jahre: Fleiß gegen Inferiorität/Minderwertigkeitsgefühl – Kompetenz – Pubertät/Adoleszenz: Identität gegen Identitätsverwirrung – Treue – Frühes Erwachsenenalter : Intimität gegen Isolierung – Liebe – Erwachsenenalter : Generativität gegen Stagnation/Selbstabsorption – Fürsorge – Hohes Alter : Integrität gegen Verzweiflung und Lebensekel – Weisheit Erikson Erik H., Der vollständige Lebenszyklus, Frankfurt am Main, 1988, 70–110. 40 Das Kind fragt nach der Ursache (Warum ist das so? Wer hat das gemacht?) und bekommt von den Eltern oder anderen Bezugspersonen die Antwort der »prima causa« – Gott. Da es sich als handelnde Subjekte nichts anderes als Personen vorstellen kann, stellt es sich Gott anthropomorph vor. (Vgl. Rizutto, Living God, 195.)
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sodass die Ergebnisse nicht allgemein übertragbar sind41. Des Weiteren gibt es genügend Hinweise darauf, dass autobiographische Erinnerungen frühestens im Alter von 3 bis 4 Jahren nachweisbar sind. Auch sind die Ergebnisse Rizzutos erfahrungswissenschaftlich, z. B. durch Mitteilungen von Kleinkindern, nicht beleg- oder korrigierbar. Die Stärken dieses Ansatzes liegen im Bewusstmachen der Verknüpfung von Kognitionen und Emotionen. Wie kann es also gelingen, dass Glauben auch »erlebensbedeutsam«42 werden kann? Darüber hinaus wird auch auf die Wichtigkeit befriedigender sozial-emotionaler Beziehungen für die religiöse Entwicklung hingewiesen. Santer43 hebt in seiner kritischen Würdigung hervor, dass Rizzuto in Anknüpfung und Abgrenzung zu Freud neue Dialogmöglichkeit von Theologie und Psychologie geschaffen hat, indem sie den Zusammenhang von Persönlichkeit und Gottesbild aus einer völlig neuen Perspektive thematisierte. Sie hat die von gläubigen Menschen als personale Beziehung aufgefasste Gottesbeziehung als Phänomen ernst genommen und in ihrer Studie empirisch untersucht. Im theoretischen Rahmen der Objektbeziehungstheorie wird die menschliche Seite der Gottesbeziehung »verstehbar als zweckmäßige – wenn auch nicht notwendige – Funktion psychischer Entwicklung und Balance«44. Darüber hinaus macht der Ansatz deutlich, dass eine Vielfalt von Einflüssen zur Bildung einer Gottesrepräsentanz beiträgt und dass sie lebenslang entwickelt und überarbeitet wird. Phänomene der Veränderung von Gottesbildern werden aus Sicht der Objektbeziehungstheorie beschreibbar und verständlich45. Eine interessante Frage ergibt sich für ein besonderes Sample dieses Forschungsprojektes. Die Personen aus der farsisprachigen Gruppe46 geben überwiegend an, dass die gefühlte Nähe zu Gott für sie als Christen eine andere ist als die vorherige in Bezug auf die islamische Gottesvorstellung. Wenn die emotionalen Anteile der Gottesbeziehung aber vor allem in der frühen Kindheit geprägt werden, was sagt eine grundlegende Veränderung der Emotionen Gott gegenüber über den Einfluss der primären und der sekundären religiösen Sozialisation aus? Vgl. Grom, Religionspädagogische Psychologie, 39f. AaO., 40. Santer, Persönlichkeit, 247ff. Santer, Persönlichkeit, 248. »Gottesbilder werden nicht mehr als statische Momente aufgefasst, die einer definierten Persönlichkeitsstruktur zuzuordnen wären und mit ihren vielfältigen Ausgestaltungen, Ambivalenzen und Veränderungen doch jede Typologie sprengen, sondern in ihrer geschichtlich-dynamischen Dimension erkennbar, deren Bedeutsamkeit sich immer auf einen konkreten Menschen zu einem konkreten Zeitpunkt unter konkreten Umständen bezieht.« (Santer, Persönlichkeit, 250.) 46 Vgl. Kapitel 4.2.2 (2) Näheerlebnis – Schlüsselerlebnis, Löcher der Verzweiflung, 324ff.
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Darin, dass sich die psychologische Forschung immer wieder darauf bezieht, zeigt sich die bleibende Relevanz von Rizuttos Ansatz. Beispielsweise knüpft Richard T. Lawrence47 daran an, und trennt die Gottesrepräsentation in Gotteskonzept und Gottesbild. Er erstellt ein Gottesbildinventar und Gottesbildskalen (8 Skalen mit 156 Items). Das Inventar soll im klinischen und pastoralen Umfeld als eine Art diagnostisches Instrument dienen und basiert auf Daten, die unter einer großen Anzahl erwachsener Nordamerikaner, überwiegend Christen verschiedener Denominationen, erhoben wurden. Die 156 Items betreffen vor allem Aussagen bezüglich der Emotionen gegenüber Gott oder Aussagen über die Beziehung zu ihm. Basierend auf vorausgehenden religionspsychologischen Forschungen (Benson und Spilka 1973, Jolley 1983 u. a.) geht Lawrence davon aus, dass sich über das Gottesbild, das vor allem emotionale Anteile der Gottesvorstellung beinhaltet, auf das Selbstbild der Person Rückschlüsse ziehen lassen. Wesentliche Topoi in Bezug auf den Zusammenhang von Gottesbild und Selbstbild sind hier Zugehörigkeit, Güte und Kontrolle48. Dabei wird aufgeteilt : – Der Bereich der Zugehörigkeit in die Dimensionen Nähe (Ist Gott für mich da?) und Herausforderung (Will Gott, dass ich wachse?). – Der Bereich der Güte in die Dimensionen Akzeptanz (Genüge ich, bin ich liebeswert für Gott?) und des Wohlwollens (Würde Gott mich lieben wollen?). – Der Bereich Kontrolle in die Dimensionen Einfluss (Wie sehr kann ich Gott beeinflussen?) und Vorsehung (Wie sehr beeinflusst Gott mich?). Zwei weitere Bereiche runden die Skalen ab: – Glaube (Glaube ich, dass mein Gottesbild sich auf ein existentes Wesen bezieht?) – und Wichtigkeit (Wie wichtig ist mir meine Gottesbeziehung?). Lawrence selbst wendet das Gottesbildinventar als Analyseinstrument an und übernimmt die Ergebnisse als Grundlage für seelsorgerliche Gespräche. Für die vorliegende Untersuchung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass der Schwerpunkt ebenfalls auf den emotionalen Anteilen der Gottesvorstellung, eben der Gottesbeziehung, liegen soll. Für diesen Focus eignet sich das Rostocker Methodenrepertoire49, aufgrund der Möglichkeiten zu einer emotionalen Beteiligung der Befragten, daher besonders gut. 47 Lawrence Richard T., Measuring the Image of God: The God Image Inventory and the God Image Scales, in: Journal of Psychology and Theology 25(1997), No. 2, 214–226. 48 AaO., 215. 49 Vgl. 2.3 Methoden, 77.
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2.1.2.2 Strukturgenetische Stufenmodelle – entwicklungspsychologisch Seit den 1960ger Jahren ist die entwicklungspsychologische Perspektive für die Entstehung von Gottesvorstellungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wichtig geworden. Hier werden nach wie vor sogenannte Stufenmodelle verwendet, um die Entwicklung des Denkens bei Kindern und Jugendlichen zu verstehen und entsprechende Konzepte50 zu entwickeln. Sie sind aber im Hinblick auf die emotionale Dimension der Gottesvorstellung, die Gottesbeziehung und die Veränderung von Gottesvorstellungen bei Kindern und Erwachsenen unzureichend51. (1) Fritz Oser / Paul Gmünder Die strukturgenetischen52 Stufenmodelle der religiösen Entwicklung von Fritz Oser/Paul Gmünder53 und von James Fowler54 basieren auf den Untersuchungen Jean Piagets55die Entwicklung des Denkens stellt Piaget vier Phasen fest: – Das sensumotorische Begreifen – die ersten 18 bis 24 Monate; – Das voroperatorische, symbolische und anschauliche Denken – 18 Monate bis 6/7 Jahre; – Das konkret-operatorische Denken – 6/7 bis 11/12 Jahre; – Das formal-operatorische (hypothetisch-deduktive) Denken – 11/12 bis 15 Jahre. Diese Stufen bilden nach Piaget in allen Kulturen und bei allen Individuen die gleiche Abfolge56 Vier Faktoren sind an diesem Entwicklungsprozess beteiligt: Die neurophysiologische Reifung, Übung und Erfahrung, soziale Interaktion und Unterricht und die Äquilibration. Die Äquilibration, das Streben nach einem Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkommodation, ist für Piaget 50 Vgl. die 2011 erschienene Untersuchung über Friedhofspädagogik von Michael Wolf, in der er in seinen Perspektiven zu einer Didaktik der Friedhofsbegehung Rudolf Englerts religionspädagogischer Anthropologie und seiner Einteilung der Lebensphasen, die sich an den Stufenmodellen orientieren, folgt. Wolf Michael, Friedhofspädagogik,185–203. Vgl. Englert Rudolf, Anthropologische Voraussetzungen religiösen Lernens in: Dirscherl E. / Dohmen Ch. / Englert R. / Laux B., In Beziehung leben – Theologische Anthropologie, 131–189. 51 Vgl. 2.1.2.3 Stufenmodelle – kritisch hinterfragt, 37. 52 Piaget versteht unter Struktur einen Verbund von einzelnen Erkenntnisleistungen, anhand derer der Heranwachsende eine komplexe Situation adäquat (in Akkomodation oder Assimilation) bewältigen kann. Piaget Jean, Psychologie der Intelligenz, Stuttgart 1984/8 (Vgl. Grom, 42). 53 Oser Fritz / Gmünder Paul, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung, Ein strukturgenetischer Ansatz, Gütersloh, 1992/3. 54 Fowler James W., Stages of Faith. The Psychology of Human Development and the Quest for Meaning, New York 1981. 55 Grom, Religionspädagogische Psychologie, 42f. 56 AaO., 47.
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der entscheidende Motor der Entwicklung. Dabei geht es um den Abbau von Widersprüchen durch Dissonanzreduktion, indem der Mensch »seine Schemata und Strukturen so differenziert und seine Operationen so flexibel und logisch koordiniert …, dass er ohne Widersprüche immer neue Erfahrungen verstehen, assimilieren kann.«57 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass Piaget sich vor allem mit der Entwicklung und der Struktur von formalen logischen, d. h. kognitiven Prozessen befasst hat. Der Aspekt der Emotionen und der emotionalen Entwicklung ist bei ihm vernachlässigt58. Die Grundlage zu den Phasenmodellen Oser/Gmünders und Fowlers bilden Jean Piagets und Lawrence Kohlbergs Stufentheorien des moralischen Urteils. Kohlberg hat Piagets Theorien weiter entwickelt und zu einer Theorie der moralischen Entwicklung ausdifferenziert. Piaget59 nahm zwei Grundtypen moralischen Urteilens an, zwischen denen er noch eine Zwischenstufe sah: – Heteronome Pflichtmoral (bis ca. 7 Jahren) – Kooperativer Gerechtigkeitssinn – Autonome Gerechtigkeitsmoral (ab ca. 9 Jahren) Lawrence Kohlberg untersuchte Kinder und Jugendliche anhand von Dilemmageschichten, die zur Äquilibration herausfordern sollten. Kohlberg meinte bei der Zuordnung der Antworten zwischen Struktur (Woran orientiert sich die Entscheidung?) und Inhalt (Welche Werte liegen der Entscheidung zugrunde?) unterscheiden zu können und benannte sechs Stufen auf drei unterschiedlichen Niveaus: »A. Vorkonventionelle Ebene Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam Stufe 2: Die instrumentell-relativistische Orientierung B. Konventionelle Ebene Stufe 3: Orientierung an zwischenmenschlicher Übereinstimmung oder »guter Junge – nettes Mädchen« Stufe 4: Orientierung an »Gesetz und Ordnung«
57 Ebd. 58 »…doch klammert er die soziale, die emotionale, die ästhetische und die Persönlichkeitsentwicklung aus.« (Grom, ebd.) 59 Grom, Religionspädagogische Psychologie, 50, unter Bezug auf Piaget. Vgl. Piaget Jean, Das moralische Urteil beim Kinde, Frankfurt 1976.
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C. Nachkonventionelle, autonome oder auch prinzipielle Ebene Stufe 5: Die legalistische Orientierung am Gesellschaftsvertrag Stufe 6: Orientierung an universalen ethischen Prinzipien.«60 Diese Stufen bauen in einer unveränderlichen Abfolge aufeinander auf. Kohlberg setzt die genannten Stufen mit einer »moralischen Reife« gleich. Eine plausible Antwort auf eine Dilemmageschichte zu finden und moralisch reif zu handeln sind aber zwei sehr verschiedene Vorgänge. Die emotionalen Zusammenhänge werden bei Kohlberg zunächst nicht berücksichtigt. In späteren Veröffentlichungen bezieht er diese Einflüsse stärker ein61. Nach Fritz Oser und Paul Gmünder ergeben sich aus einer hypothetischen »Mutter-Struktur«62 des religiösen Beziehungsdenkens durch bestimmte Transformationsprozesse Stufen. Diese Stufen sind Tiefenstrukturen, die sich z. B. im Gebet oder im Verständnis von biblischen Texten zeigen. Oser legte Personen unterschiedlichen Alters Dilemmageschichten63 und dazu strukturierte Fragen vor. Anhand dessen untersuchte er, in welchem Maße Personen in der Lage waren, die Situation, unabhängig von sich selbst, objektiv zu betrachten und mit anderen Urteilen zu koordinieren. Dezentrierung und wachsende Autonomie sind für ihn Kriterien, nach denen er sechs Stufen des religiösen Bewusstseins in der Beziehung zum Ultimaten beschreibt64 Die Stufen 1 bis 3 beinhalten die Bewältigung von Angst und Ohnmacht, die Stufen 4 bis 6 beinhalten prosoziales Verhalten und Intersubjektivität. Stufe 1: Orientierung an absoluter Heteronomie (Deus ex machina) Orientierung an einem Letztgültigen: Gott greift direkt ein. Er belohnt und straft, er leitet und führt. Der Mensch muss richtig reagieren, ist aber eher passiv. Das Letztgültige ist aktiv und in der Lage, Artefakte hervorzubringen (Artifizialismus).
60 Kohlberg Lawrence, Kognitive Entwicklung und moralische Erziehung, 1975, in: Mauermann L. / Weber K. (Hrsg), Der Erziehungsauftrag der Schule, Donauwörth 1978, 108–110. 61 Vgl. Grom, Religionspädagogische Psychologie, 52. 62 So nannte Piaget die drei allgemeinsten Formen mathematischen Denkens, von denen alle anderen Formen abgeleitet werden können, die selbst aber nicht voneinander abgeleitet sind. »Mutter-Strukturen sind also nicht mehr hintergehbare kognitive Grundstrukturen.« Vgl. Oser Fritz / Gmünder Paul, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung, 61f. 63 Oser Fritz / Gmünder Paul, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung, 72. 64 Oser Fritz / Gmünder Paul, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung, 79ff.
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Stufe 2: Orientierung an »do ut des« Auf dieser Stufe ist es dem Menschen möglich, das Letztgültige für sich zu gewinnen, Gutes zu bewirken oder Strafen abzuwenden. Das Gutsein des Menschen bewirkt den Schutz oder Segen Gottes. Stufe 3: Orientierung an absoluter Autonomie (Deismus) Dem Letztgültigen und dem Menschen werden zwei unterschiedliche Bereiche zugeordnet. Der Mensch ist allein für sein Handeln verantwortlich. Gott wird ein eigener Handlungsbereich zugeordnet, in dem er unabhängig vom Handeln des Menschen agiert. Stufe 4: Orientierung an vermittelter Autonomie und Heilsplan Das Letztgültige ist der transzendentale Grund für die Freiheit des Menschen, für seine menschlichen Möglichkeiten. Es wird angenommen, dass es einen Plan (Heilsplan) gibt, nach dem sich der Mensch auf ein Besseres hin entwickelt. Stufe 5: Orientierung an religiöser Autonomie durch bedingte Intersubjektivität Der Ort des Letztgültigen wird in die zwischenmenschlichen Beziehungen hinein verlegt. Wo der Mensch verantwortlich an der Gemeinschaft teilnimmt, wird Transzendenz erfahren. Stufe 6: Orientierung an universaler Kommunikation und Solidarität Freiheit ist hier »immer schon in der Perspektive universaler Kommunikation und Solidarität sowie im Vertrauen auf das Aufgenommensein durch das Unbedingte, auch und gerade im Scheitern und im Schmerz.«65 Diese Stufe ist jedoch rein hypothetisch und wird durch Beispiele nicht belegt. (2) James Fowler In Anknüpfung an und Erweiterung von Piaget und Erikson versucht James Fowler für die gesamte Lebensspanne »Stufen des Glaubens« aufzuweisen. Er erstellt eine Theorie der Glaubensentwicklung, die deutlich macht, wie die Entwicklung des Sinnglaubens mit der gesamten Sozial- und Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen zusammenhängt. Jede Stufe des Glaubens beschreibt Fowler nach sieben Gesichtspunkten: – Form der Logik (nach Piaget) – Rollenübernahme (nach Selman) – Form des moralischen Urteils (nach Kohlberg) – Grenzen des sozialen Bewusstseins – Verortung von Autorität – Form des Weltzusammenhangs – Symbolfunktion 65 Grom, Religionspädagogische Psychologie, S. 69.
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Die Antworten, die Fowler während seiner 2 12 stündigen Interviews erhält, ordnet er nach Aspekten. Diese werden dann einer bestimmten Stufe zugeordnet. Aus den Ergebnissen wird der Endwert gemittelt. Fowler benennt für die Entwicklung des Glaubens folgende Stufen: Stufe 0: Undifferenzierter Glaube66 In dieser vorsprachlichen Phase wird der Glaube primär unter dem Aspekt der Vertrauensbildung als Voraussetzung für den späteren Glauben betrachtet. Stufe 1: Intuitiv-projektiver Glaube (3 bis 6/7 Jahre)67 Das Denken folgt eher der eigenen Vorstellungskraft als der unverzerrten Wahrnehmung der äußeren Wirklichkeit. Das Verstehen von »Stories« geschieht episodisch. Der Übergang zur nächsten Stufe wird durch das Bedürfnis, zwischen Wirklichkeit und Schein zu unterscheiden, gefördert. Stufe 2: Mythisch-wörtlicher Glaube (ab 7 Jahren)68 Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge werden erkannt. Geschichten werden auf dieser Stufe wörtlich genommen und können linear und narrativ verstanden werden. Das Gottesbild ist anthropomorph. Gott erscheint als der strenge Richter, der belohnt oder bestraft. Widersprüche in den Geschichten führen zur Reflexion und das Wörtlichnehmen wird zunehmend abgebaut. Darin liegt dann schon der Übergang zur nächsten Stufe. Stufe 3: Synthetisch-konventioneller Glaube (ab Pubertät)69 Auf dieser Stufe wird übernommen, was andere glauben. Der Glaube ist noch nicht persönlich angeeignet. Es besteht eine Bindung an unreflektierte Werte und Normen. Kritische Stellungnahmen zur eigenen kirchlichen bzw. religiösen Tradition fehlen. Der Glauben ist stark von den Werten und Glaubensinhalten der Bezugspersonen oder der Glaubensgemeinschaft abhängig. Auf dieser Stufe besteht ein Mangel an persönlicher Autonomie. Durch die Konfrontation mit den vielen verschiedenen Glaubensauffassungen und Wertvorstellungen ist ein reifender Mensch »gezwungen«, urteilsfähig zu werden, was dann zur nächsten Stufe führt.
66 67 68 69
Fowler James W., Stages of Faith, 119ff. AaO., 122ff. AaO., 135ff. AaO., 151ff.
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Stufe 4: Individuierend-reflektierender Glaube (ab ca. 20 Jahren, wenn überhaupt)70 Hier finden wir ein klares Bewusstsein der eigenen Individualität und Autonomie. Die Autorität wird im eigenen Ich verortet. Diese Stufe setzt ein hohes Maß an Selbstreflexion und traditionskritischem Bewusstsein voraus. Symbole und Riten werden radikal kritisiert und entmythologisiert. Es ist schwer, sich noch mit anderen verbunden zu fühlen. Stufe 5: Verbindender Glaube (ab ca. 40 Jahren, wenn überhaupt)71 Auf dieser Stufe findet Fowler eine dialogische Haltung der Welt und den Menschen gegenüber. Die begrenzte Geltung des eigenen Standpunktes wird wahrgenommen. Das Individuum ist in der Lage, sich trotz unterschiedlicher Wertehaltungen mit anderen zu verbinden. Der eigene Standpunkt muss nicht mehr nur verteidigt werden, sondern man kann sich zu anderen und zu anderem hin öffnen. Symbole erlangen in einer Art zweiten Naivität wieder Geltung. Stufe 6: Universalisierender Glaube (in seltenen Fällen)72 Die Paradoxien von Stufe 5 sind überwunden. Die eigene Selbsterhaltung tritt zurück. Gemeinschaft mit allen Menschen und allem Sein ist möglich. Absolute Liebe und absolute Gerechtigkeit werden ungeachtet der Folgen für die eigene Person gelebt. Fowler ordnet dieser Stufe besondere Persönlichkeiten wie Mutter Theresa, Mahatma Gandhi und Martin Luther King zu. 2.1.2.3 Stufenmodelle kritisch hinterfragt Aus theologischer, pädagogischer und auch psychologischer Perspektive gibt es umfassende Reaktionen und sehr differenzierte Kritiken zu den Stufenmodellen religiöser Entwicklung73. Grundsätzlich ist darauf zu verweisen, dass die lineare Entwicklung innerhalb der Stufenmodelle, bei der eine Stufe auf der folgenden aufbaut und eine vorhergehende Stufe in der folgenden aufgehoben ist, eine idealtypische Darstellung ist. Es ergibt sich die Frage nach der generellen Einordnung dieses Zugangs: Handelt es sich um ein deskriptives Modell, das die verschiedenen Möglichkeiten »zu glauben« aufzeigt oder um ein »normatives« Modell, das ein Ziel vorgibt, zu dem sich alle glaubenden Menschen hin entwickeln sollen. Des 70 71 72 73
AaO., 174ff. AaO., 184ff. AaO., 199ff. Vgl. z. B. Grom, Religionspädagogische Psychologie, 61ff. zu Fowler und 71ff. zu Oser/ Gmünder ; Schweitzer, Lebensgeschichte und Religion, 159ff. und Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, 28–33.
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Weiteren ist die Frage nach der Geltung zu stellen. Strukturgenetisch wird angenommen, dass dem Modell ein universaler, allgemeingültiger Anspruch inhärent ist. Es ist aber zu fragen: Wie sehr ist die Entwicklung einer Gottesvorstellung aber auch abhängig von der jeweiligen Kultur, aus der man kommt, den diversen Wertvorstellungen oder dem religiösen Kontext der eigenen Sozialisation? Sind nicht bestimmte Gottesvorstellungen (z. B. die personale Gottesvorstellung) schon von vornherein bestimmten Stufen zugeordnet? In einer Vorstudie zum Thema wurden die Aussagen von acht interviewten Personen mit den Stufenmodellen in Beziehung gesetzt. Daraus ergeben sich eine Reihe von Beobachtungen und Fragen74. (1) Die einzelnen Äußerungen, die eine Person innerhalb eines Interviews macht, lassen sich verschiedenen Stufen zuordnen. Hier stellt sich die Frage, ob die Stufen in sich geschlossen, d. h. kohärent sind. Ist es zulässig, eine Person einer Stufe zuzuordnen, wenn ihr Gottesverständnis in einem Aspekt in die Stufe drei gehört und in einem anderen in Stufe fünf ? Wenn Fowler in seiner Befragung nach sieben Gesichtspunkten kategorisiert, kann es doch sein, dass zum Beispiel das Gottesverständnis einer Person eher ein (evtl. sogar unhinterfragtes) synthetisch-konventionelles ist: Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt, der einen Menschen führt und leitet. Trotzdem könnte der Lebensvollzug der gleichen Person, nach Fowler, tendenziell zum universalisierenden Glauben gerechnet werden. Es wäre spannend, Martin Luther King und Mutter Theresa, die er ja in eine sehr selten vorkommende Stufe sechs einordnet, auf die kognitiven Anteile ihrer Gottesvorstellung hin zu befragen. Handelt es sich hier wirklich um verschiedene Stufen des Glaubens? Sind es nicht eher unterschiedliche Aspekte, die hier in den Blick genommen werden? Laufen die Persönlichkeitsentwicklung, die Entwicklung des logischen Denkens und die Entwicklung des Menschen in der Gemeinschaft wirklich so parallel, dass ein Mensch nur in eine Stufe eingeordnet werden kann, wenn nicht, darf dann ein Mittelwert errechnet werden? Ist es nicht sinnvoller, hier differenziert und deskriptiv zu bleiben, gerade um der Entwicklungsimpulse willen, die gesetzt werden können? (2) Die Einordnung einer Interviewaussage ist abhängig von der Person, die eine Äußerung interpretiert. Es gab bei der Interpretation der Interviews mehrere Möglichkeiten, eine Aussage einzuordnen. (3) Wenn man vor allem die kognitiven Aspekte in den Blick nimmt, wie das bei einer Anknüpfung an Piaget, der ja die Entwicklung des Denkens untersucht 74 In diesem Abschnitt finden sich einige überarbeitete Überlegungen zur Voruntersuchung im Rahmen meiner Diplomarbeit 2003 wieder. Klimt Andrea, Gottesvorstellungen bei baptistischen Erwachsenen. Analyse und Vergleich anhand ausgewählter Beispiele. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien 2003. Die vorliegende Untersuchung geht bei der Analyse der Interviews nicht mehr der Frage der Stufenmodelle nach.
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hat, geschieht, vernachlässigt man unter Umständen die Umsetzung des Gedachten ins Leben. Glaube ist unter Umständen kein rein kognitiver Akt, sondern im neutestamentlichen Jargon gesprochen auch »Nachfolge Christi«. Die Gottesvorstellung hat einen ganz konkreten Alltagsbezug und erfährt eine Umsetzung ins Leben der Einzelnen. Für Baptisten kann das ein zentraler Aspekt sein. In den Stufenmodellen kommt diese Perspektive der Umsetzung des Glaubens in das eigene alltägliche Leben, wenn überhaupt, nur am Rande vor. (4) In Baptistengemeinden ist die Voraussetzung zur Taufe die eigene Entscheidung zum Glauben, wobei Glaube als persönliche Beziehung zu Gott und Nachfolge Jesu Christi charakterisiert ist. Diese Entscheidung setzt die Autonomie der Person voraus. Es setzt eine eigene Urteilsbildung, die Überprüfung übernommener Werte und für manche auch einen Schritt aus dem Ursprungsmilieu voraus (vgl. Fowler Stufe vier – individuierend-reflektierender Glaube). Wie will man aber diese Gottesvorstellung inhaltlich von einem synthetisch-konventionellen Glauben derer unterscheiden, die schon in einer Baptistengemeinde aufgewachsen sind und ihre Gottesvorstellung nie inhaltlich hinterfragt haben? D. h. wie will man mit Fowler unterscheiden, ob ein Urteil das eigene ist oder ob es von der Autorität der Glaubensgemeinschaft abhängt? (5) »Auf Stufe 4 fällt es schwer, sich mit anderen verbunden zu fühlen oder sich im Rahmen einer (religiösen) Tradition zu verstehen.«75 Wie sind dann aber gerade Baptisten einzuordnen, die aus einer anderen kirchlichen Tradition kommen, sich kritisch von dieser distanziert haben und sich nun mit anderen Baptisten verbunden fühlen? Bedeutet Stufe vier bei Fowler immer, sich von der christlichen Tradition als solcher zu distanzieren? Wäre auch eine Abkehr vom Rationalismus und eine Hinkehr zu einer umfassenden Frömmigkeit eine Möglichkeit der auf Stufe vier angesiedelten Prozesse reflektierter eigener Entscheidung? (6) Ist es möglich, dass Personen eine Stufe fünf »erreichen« können, ohne dass es vorher zur kritischen Hinterfragung von Glaubensinhalten und Entmythologisierung von Symbolen gekommen ist. In manchen der Interviews scheint eine Kontinuität zwischen »erster« und »zweiter Naivität« im Hinblick auf die Gottesvorstellung und Symbole durch. Kann also eine Stufe bei der Entwicklung übersprungen werden? Wenn Stufe fünf Stufe vier voraussetzt, wie kann nach einer Phase der Entmythologisierung die »zweite Naivität« wieder gewonnen werden, so dass ein Mensch für sich authentisch bleibt? Längsschnittstudien, die zeigen, dass ein und derselbe Mensch diese Phasen so durchläuft, sind bisher nicht bekannt. 75 Schweitzer, Lebensgeschichte und Religion, S. 150.
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(7) Heißt Entmythologisierung von Symbolen immer, den biblischen Glauben zu rationalisieren? In baptistischer Tradition gibt es keine Sakramente. Weder Taufe noch Abendmahl oder das Amt haben hier einen sakramentalen Charakter. Kann auch das schon eine Art Entmythologisierung sein? Auch die Autonomie der einzelnen Gemeinde und der einzelnen Person, es wird gerne von dem »mündigen« Christen gesprochen, ist ein unverzichtbarer Wert. Dann könnte man Baptisten per se formal in die vierte Stufe einordnen, vom kognitiven Gehalt der Gottesvorstellung (evtl. mythisch-wörtlich) aber in die dritte Stufe. Jede Denomination, Konfession und Religion hat ihre Eigenheiten, die auch mit unterschiedlichen Stufen in Verbindung gebracht werden können. So müssten die Stufen eigentlich noch einmal System relevant überprüft werden. Wie entwickelt sich ein Mensch innerhalb eines bestimmten Umfeldes? Faktoren müssen nach individuellen Entwicklungsprozessen und äußeren Gegebenheiten unterschieden werden, wie das in der Rostocker Studie76 im konfessionslosen Umfeld geschieht. (8) Müssen bei einer normativen Sicht der Modelle alle Stufen durchlaufen werden, damit es zu einer reifen Gottesvorstellung kommt? Dann wäre es unter Umständen die Aufgabe der Gemeindepädagogik, zu dieser »Weiter«Entwicklung anzureizen? Damit wäre ein bestimmter »Glaube«, eine bestimmte Haltung dem Ultimaten gegenüber anzustreben. Hier muss es einen theologisch begründeten Einwand geben. Dies würde dem Wesen dessen, was eine Gottesvorstellung sein kann, nämlich der Ausdruck des religiösen Bewusstseins und damit eine Möglichkeit des Individuums, sich selbst in Beziehung zu setzen (hier zum Ultimaten), widersprechen. Religiöses Denken und Verhalten wären dann von außen steuerbare Prozesse, denen auf bestimmte Angebote ein bestimmtes koordiniertes Verhalten folgt. Glauben wäre dann kognitiv erlernbar, wie Rechnen und Schreiben. Das Wesen des Glaubens, als vom Menschen selbst bestimmtes Verhältnis zum Ultimaten, würde solch einer Auffassung von Stufenmodell der religiösen Entwicklung, bei der die letzte Stufe eine Zielvorstellung der Entwicklung darstellt, widersprechen. Zudem ist die Möglichkeit des Glaubens in protestantischer Tradition ja nicht nur die Fähigkeit des Menschen, sich zum Ultimaten zu verhalten, sondern immer auch von Gott eröffnete Möglichkeit, also Gnadengeschenk. Wie passt das mit einem zielgerichteten Stufendenken zusammen?
76 Szagun Anna-Katharina, Dem Sprachlosen Sprache verleihen. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006.
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Auch in der Rostocker Längsschnittuntersuchung wird die Ergänzungsbedürftigkeit der Forschung in Bezug auf die Entwicklung der Gottesvorstellung von Kindern gesehen. Es wird das »gesicherte Wissen« zu Kindern in Stufentheorien angefragt77. Da die obigen Stufenmodelle vornehmlich im christlichen Kontext entwickelt wurden, stellt sich nach Anna Katharina Szagun vor allem die Frage der Entwicklung von Gottesvorstellungen bei Kindern im konfessionslosen Umfeld. In ihren Interviews, die in großer Methodenvielfalt durchgeführt werden, entdeckt sie in den Befunden kaum »Schnittmengen zu Stufenmodellen«78. Wichtig ist auch die Frage nach dem Zusammenhang von Kultur und Gottesvorstellung. Strukturgenetische Stufenmodelle stellen den universellen Anspruch, in allen Kulturen gültig zu sein. Wie stellt es sich aber dar, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen auf ihre Gottesvorstellung hin befragt werden? Dieser Frage geht die vorliegende Untersuchung nach.
2.1.3 Pastorale Perspektiven 2.1.3.1 Die pastoraltheologische Perspektive – Der erwachsene Glaube Auch wenn die Stufenmodelle vielfach hinterfragt worden sind, stellt sich dennoch die Frage danach, was eine reife Religiosität ist. Hier tut sich die Spannung zwischen deskriptiver Wahrnehmung und normativer Zielvorgabe auf. Rudolf Englert79 weist darauf hin, dass weder Pastoraltheologie noch Religionspädagogik ohne eine gewisse normative Zielvorgabe auskommen. Er schlägt als Kriterien erwachsener Religiosität religiöse Selbstbestimmungsfähigkeit, interreligiöse Verständigungsfähigkeit, Gestalthaftigkeit, Korrelativität und Communiobezug80 vor. Dabei bezieht er sich sowohl auf die Stufenmodelle als auch auf die Bonner Studie von Andreas Wittrahm und Barbara M. Leicht zur Religiosität Erwachsener81 . »Was ist erwachsener Glaube?« so formulieren Wittrahm und Leicht die Fragestellung für ihre Untersuchung. Innerhalb eines pastoralpsychologischen Verstehensansatzes soll der Zusammenhang zwischen geschichtlichen und 77 Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, 31–33. 78 Szagun / Fiedler, Religiöse Heimaten, 404. 79 Englert Rudolf, Von der Deskription der Religiosität Erwachsener hin zu Kriterien erwachsener Religiosität, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 89–100. 80 AaO., 99. 81 Vgl. Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter – Anliegen und Anlage eines Forschungsprogramms, in: Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), »Selbst die Senioren sind nicht mehr die alten …« – Praktisch-theologische Beiträge zu einer Kultur des Alterns, Münster 2003, 41–65.
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biographischen Lebensbedingungen und personaler Entwicklung der Religiosität aufgeklärt werden. Die Untersuchung folgt pastoraltheologischen Erkenntnisinteressen. Pastorales Handeln beeinflusst, als Faktor neben der Interaktion mit sozialen und kulturellen Kontexten, die religiöse Entwicklung und muss biographische Voraussetzungen berücksichtigen. Was ergibt sich für pastorales Handeln in Verkündigung und Diakonie unter den Bedingungen von zunehmend schneller veränderten Gemeindestrukturen und radikaler Pluralität82 ? Diese Fragen sind natürlich auch für die Religions- und Gemeindepädagogik relevant. Wittrahm und Leicht83 weisen für ihr Forschungsvorhaben darauf hin, dass die Stufentheorien von Oser/Gmünder und Fowler deshalb defizitär sind, weil beide Ansätze, geleitet durch philosophisch erschlossene Konstrukte, mehr Stufen ausweisen, als sie in der Realität messen können. Bei der praktischen Überprüfung für das Alter – die Lebensphase, für die sich Wittrahm und Leicht interessieren – dominierten einfache mythische und konventionelle Glaubenskonzepte. Hier sehen sie einen Widerspruch zu der Grundannahme der Stufenkonzepte, die davon ausgeht, dass der Mensch sich in Hinblick auf sein Denken und Urteilen entwickelt, indem er an kognitiven Kompetenzen gewinnt. Ein Rückschritt, der aber im praktischen Befund offensichtlich vorliegt, soll somit nicht möglich sein. Einmal gewonnene Kompetenzen lassen sich laut Stufenrangfolge nicht verlieren. Wittrahm und Leicht stellen fest, dass sich die verschiedenartige Religiosität von Erwachsenen, da sie sich auch gerade auf dem Hintergrund von Säkularisation und postmodernen Denk- und Lebenskonzepten gegenüber früheren Zeiten stark gewandelt hat, mit den Stufenmodellen nicht adäquat abbilden lässt. Unbekannte Pluralität, das Nachlassen kirchlicher Autorität und damit korrespondierendes gewachsenes Selbstbewusstsein der Gläubigen kennzeichnen ihrer Meinung nach die gegenwärtige religiöse Landschaft84. Erlebte wachsende »Ungleichzeitigkeiten« zwischen verschiedenen Lebensbereichen führen bewusst oder unbewusst zu veränderten Werten und verändertem Verhalten. Auch hat sich gegenüber früheren Jahrhunderten bei Menschen in Mitteleuropa die Lebensspanne erheblich ausgedehnt. Die wechselseitige Beeinflussung von Mensch und Umwelt (Menschen reagieren einerseits auf die veränderte Umwelt und andererseits verändert der Mensch die Umwelt) dauert in allen menschlichen Lebensbereichen bis zum Lebensende an. Vor allem der Bereich der Religiosität ist immer mehr in die Eigenverantwortlichkeit 82 AaO., 64. 83 Wittrahm Andreas / Leicht Barbara, »…und wenn es hochkommt, sind es 80 Jahre…« – Gestalten und Gestaltwandel erwachsener Religiosität, in: Initiativkreis Religiöse Erwachsenenbildung (Hrsg.), Was ist erwachsene Religiosität?, Mönchengladbach 2000, 9–22. 84 Wittrahm / Leicht, Gestalten und Gestaltwandel erwachsener Religiosität, 9.
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der einzelnen Person gestellt. Glaube muss in der verlängerten und offenen Lebensgeschichte eigenständig verantwortet werden, und er muss sich im Lebensvollzug bewähren85. Hier stellen sich unter anderem die Fragen nach der Synchronisation von persönlicher Religiosität und Lebenserfahrung und dem Niederschlag von bedeutsamen Erfahrungen in der individuellen Glaubensgestalt. In den Stufenmodellen finden die Forscher diese differenzierte Entwicklung nicht eingefangen. Hier wird für Wittrahm und Leicht der Ansatz von Paul B. Baltes relevant. (1) Das Konzept des Life-span-development-approach – Paul B. Baltes Das Konzept der »Entwicklungspsychologie der Lebensspanne« wird im Folgenden nach Paul B. Baltes dargestellt86. Dieser Ansatz geht weg von einer einlinigen Entwicklung mit aufeinander aufbauenden Stufen, die nur in einer Richtung durchlaufen werden. »Entwicklung ist – psychologisch gesehen – die Antwort auf ein andauerndes ›Synchronisierungsproblem‹«87. Baltes geht ebenfalls von einer lebenslangen Entwicklung aus88. Sie umfasst die gesamte Lebensspanne eines Menschen vom Beginn des Lebens bis zu seinem Tod. Da jeder Entwicklungsprozess sich durch ein dynamisches Wechselspiel von Wachstum und Abbau kennzeichnen lässt, entwickelt sich der Mensch in verschiedene Richtungen (Multidirektionalität)89 und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, je nach Lebensbereich. Es gibt also nicht nur die Zunahme an Kompetenz, sondern auch den Abbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dieser Ansatz bietet einen Rahmen, Entwicklung nicht nur normativ zielgerichtet zu verstehen, sondern deskriptiv weitere Phänomene von Entwicklung (z. B. Kompetenzverlust) zu erfassen. Entwicklung wird als Gewinn und Verlust90 verstanden. Entwicklung bedeutet nicht nur Zuwachs von Kompetenzen und Fähigkeiten, sondern auch Veränderung und Abnahme von psychischer Kapazität oder Einschränkung von Möglichkeiten. Des Weiteren sind die Fähigkeiten eines Menschen nicht einfach nur dynamisch erworben und werden dann statisch erhalten. Sie sind unter bestimmten Umständen ausdehnbar (Plastizität), z. B. durch gezieltes Training. Plastizität wird an den Grenzen gemessen91. Ferner ist 85 AaO., 10. 86 Baltes Paul B., Entwicklungspsychologie der Lebensspanne: Theoretische Leitsätze, in: Psychologische Rundschau 41(1990), 1–24. 87 Wittrahm / Leicht, Gestalten und Gestaltwandel erwachsener Religiosität, 13. 88 Baltes, Lebensspanne, 2f. 89 Baltes, Lebensspanne, 4ff. 90 Baltes, Lebensspanne, 8ff. 91 Z. B. was ein Mensch jetzt kann (z. B. wie viele Worte er sich von 40 Wörtern auf Anhieb merken kann) und wozu er nach intensivem Training in der Lage ist (die Höchstzahl an
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die geschichtliche Einbindung wichtig, da Entwicklung immer auch abhängig ist von historischen Voraussetzungen (z. B. gesellschaftliche Rollenbilder, Langzeiteinflüsse wie Veränderung der Geschichte in Richtung Postmoderne oder Kurzzeiteinflüsse wie Kriege oder wichtige historische Ereignisse). Jeder individuelle Entwicklungsverlauf resultiert aus der Wechselwirkung von Entwicklungseinflüssen, wie altersbedingten, geschichtlich bedingten und nicht-normativen (Kontextualismus). Die Rolle des gesellschaftlichen Wandels muss als Entwicklungseinfluss stärker berücksichtigt werden92. Die Psychologie allein ist nicht in der Lage, das Phänomen der Entwicklung eines Menschen umfassend zu betrachten. Sie braucht Ergänzungen durch weitere Disziplinen wie z. B. Soziologie, Biologie oder Anthropologie (Multidisziplinäre Betrachtung). Lifespan-Forscher suchen nach komplexen und pluralistischen Erklärungen für die menschliche Entwicklung, die höchst variabel verläuft und immer in einen geschichtlichen Kontext eingebettet ist93. Die Erforschung kann nur im Zusammenspiel von verschiedenen Disziplinen geschehen. (2)
Gestalten und Gestaltwandel erwachsener Religiosität – die Untersuchung von Andreas Wittrahm und Barbara M. Leicht Nach Wittrahm und Leicht werden in der Stufentheorie mindestens drei Voraussetzungen der Lebensspannenperspektive verletzt: – Multidirektionalität: Es steht eine lineare Aufwärtsentwicklung gegen eine multidirektionale, vielschichtige und unter den heutigen Lebensbedingungen nicht immer in allen Lebensbereichen synchrone Entwicklung. – Geschichtliche Einbettung: Es steht weiter ein universaler Anspruch, dass Entwicklung in Stufen in allen Kulturen und zu allen Zeiten, unabhängig von inhaltlichen Füllungen des religiösen Urteils (Fowler), Gültigkeit haben, gegen die Einbettung in ein konkretes geschichtliches Umfeld. – Kontextualität: Die Maßstäbe einer »reifen« Religiosität sind vielen älteren Glaubenden in ihrer Kindheit und Jugend nicht als erstrebenswerte Ziele vermittelt worden, so können sie auch nicht daran gemessen werden94. Die Entwicklung durch wechselseitige Beeinflussung von Mensch und Umwelt in Hinblick auf die Religiosität wird für Wittrahm und Leicht in ihrem Forschungsprojekt zentral. Sie formulieren ihre leitende These: »Die Glaubensgestalt eines Menschen beeinflusst die Art und Weise, wie er die Welt um sich herum wahrnimmt und mit ihr umgeht. Ebenso beeinflussen die Erlebnisse des Wörtern, die dieser Mensch sich beim abschließenden Test merken konnte). Baltes, Lebensspanne, 11f. 92 Baltes, Lebensspanne, 14. 93 Baltes, Lebensspanne, 17. 94 Wittrahm / Leicht, Gestalten und Gestaltwandel erwachsener Religiosität, 14.
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Menschen seine Glaubensgestalt, d. h. sein Gottesbild, die Art und Weise, wie er den Glauben versteht, wie er diesen begründet und ausdrückt – und natürlich auch in welchem Verhältnis zur Kirche sich diese Glaubensgestalt niederschlägt.«95 Sie wählen den Gestaltbegriff, der deutlich macht, dass das Ganze, aus einzelnen Teilbereichen bestehend, eine eigene Qualität hat. Sie untersuchen die Gestalt und auch den Gestaltwandel des Glaubens in der zweiten Lebenshälfte durch sogenannte »verdichtete Herausforderungen«96. Sie konzipieren die Glaubensgestalt, im Sinne einer Mehrdimensionalität, aus fünf verschiedenen Elementen, die kognitive und existentielle Dimensionen von Religiosität widerspiegeln: Gottesbild – subjektives Religionsverständnis – religiöse Kenntnis – religiöse Praxis – Beziehung zur Kirche97. Zur Exploration wurden qualitative Interviews geführt. In der nicht repräsentativen Pilotstudie scheint auf, dass sich in den meisten Fällen »ein ein- oder mehrmaliger Wandel der Glaubensgestalt während des Erwachsenenalters«98 beobachten lässt. Generell war festzustellen, dass der Glaube für 80 % der Interviewpartnerinnen und -partner eine stabilisierende Funktion für ihre Lebenssituation eingenommen hatte und umgekehrt, dass Umbrüche im Leben auch Auswirkungen auf die Glaubensgestalt hatten. Dabei zeichneten sich Veränderungen einzelner Dimensionen der Glaubensgestalt ab: Ein verändertes Gottesbild, eher partnerschaftlich als autoritär-patriarchalisch, war aufzufinden. Die Veränderung geht von einem stark wertgebundenen Glauben und einer abstrakten Weltanschauung hin zu einer stärker persönlich orientierten Gottesbeziehung. Die persönliche Frömmigkeit dominiert gegenüber dem religiösgemeinschaftlichen Handeln. Die Kirchenbindung ist eher Überzeugung und weniger Gewohnheit. Nach der Pilotstudie wurde die Idee des Gestaltwandels durch Konfrontation mit einer verdichteten Herausforderung konkreter gefasst und in einer wesentlich weiter angelegten Studie99 untersucht. Hier wurden die 95 AaO., 15. 96 »Verdichtete Herausforderungen« steht als eine Art positiver Begriff für Lebenskrisen oder kritische Lebensereignisse. 97 Die Kategorien für das Gottesbild werden in patriachalisch, forensich, partnerschaftlich, deistisch, omnipotent und verborgen unterteilt, das subjektive Religionsverständnis in spirituell, wertorientiert, diffus transzendenz-orientiert, die religiöse Praxis in persönliche Frömmigkeit, religiös-gemeinschaftliches Handeln und Weltanschauung und die Beziehungen zur Kirche in Form, Motivation und Intensität der Partizipation. (Wittrahm / Leicht, aaO., 15.) 98 AaO., 17. 99 Vgl. Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter – Anliegen und Anlage eines Forschungsprogramms, in: Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), Senioren, 41–65 und Kläden Tobias, Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojektes »Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter« im Überblick, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 67–84.
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135 Teilnehmenden in zwei Alterskohorten unterteilt (Geburtsjahrgänge 1930 bis 1935 und 1950 bis 1955)100. Das Forschungsinteresse galt besonders den Fragestellungen101, wie sich eine Religiosität im höheren Erwachsenenalter erfassen und beschreiben lässt, ob sich die religiösen Biographien sinnvoll im Rahmen des Life-span-development Approach interpretieren lassen, welchen Einfluss Alter und Geschlecht auf die religiöse Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte haben und welche Zusammenhänge von den Teilnehmenden zwischen ihrer Religiosität der zweiten Lebenshälfte mit Entwicklungen in Kindheit und Jugend und kritischen Lebensereignissen gesehen werden. Das zugrunde liegende Konzept von Religion integriert ausdrücklich »materielle Essentials« aus dem jüdisch-christlichen Kontext (z. B. die Korrelativität zwischen Glauben und Leben, die Gemeinschaftsverwiesenheit und die Gestalthaftigkeit des Glaubens102). Bei dem phänomen-bezogenen Vorgehen sind die Forschungspartner als Expertinnen und Experten ihrer eigenen religiösen Biographie mit einbezogen103. 121 Interviews104 konnten ausgewertet werden. Bei einem Teil der Forschungspartnerinnen und -partner gab es eineinhalb Jahre später noch eine Nachuntersuchung. Das Ergebnis war, dass sich Religiosität Erwachsener sinnvoll im Rahmen des Life-span-development Approaches erfassen lässt. Individuelle Formen konnten in dem fünfdimensionalen Gestaltmodell gut abgebildet werden. Entgegen der Annahme der Stufenmodelle wurde eine Entwicklung in Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt über die gesamte Lebensspanne in multidirektionaler Weise nachgewiesen. Eine Verdichtung auf sieben verschiedene Typen religiöser Gestalten war möglich105. Nur ca. 40 % der Forschungspartner zeigten eine konstante religiöse Gestalt, bei ca. 60 % gab es
100 Fürst und andere, Detaillierter Ergebnisbericht des Forschungsprojektes »Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter«, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 217–257, 217. 101 Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung, 65. 102 Vgl. Englert Rudolf, Von der Deskription der Religiosität Erwachsener hin zu Kriterien erwachsener Religiosität, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 89–100, hier 95f. 103 Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung, 50f. 104 Kläden Tobias, Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojektes »Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter« im Überblick, in: Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), Senioren, 67–84, besonders 84. 105 Die Untersuchung führt zur Konstruktion von sieben verschiedenen Gestalttypen der Religiosität: traditional-kirchlich, communial-kirchlich, kultur-kirchlich, kultur-christlich, postmodern-religiös, indifferent-religiös und a-religiös. (Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung, 59.)
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mindestens einen Gestaltwandel106. Der traditional-kirchliche Typus verliert seine Dominanz, was in der jüngeren Kohorte beschleunigt erfolgt. Innerhalb der religiösen Gestalt weisen verhaltensrelevante Dimensionen gegenüber den kognitiven eine höhere Konstanz auf. Kritische Lebensereignisse können sich in unterschiedliche Richtungen auf die Entwicklung der Religiosität auswirken. Sie sind sensible Phasen, führen jedoch nicht notwendigerweise zu einem Gestaltwandel. Im Rahmen des Life-span-development Approaches gelingt es also, anders als im Duktus der Stufenmodelle, erwachsene Religiosität in ihrer Verschiedenheit und Wandelbarkeit zu beschreiben. Verdichteten Erfahrungen im Sinne von kritischen Ereignissen kommt darin eine besondere Rolle zu. Veränderung als Folge der Interaktion des Subjekts mit seiner Umwelt hebt den Kontext und auch die damit verbundene Kultur der einzelnen Personen gegenüber den Stufenmodellen und ihrem universalistischen Anspruch hervor. Der Vorteil des rein deskriptiven Ansatzes ist die große Nähe zu den Biographien der untersuchten Personen107. Im Hinblick auf die religiöse Entwicklung wird auf allgemeingültige Aussagen verzichtet. Bei den untersuchten Personen stellen Wittrahm und Hammerschmidt108 ein großes Interesse an der eigenen religiösen Gestalt und ihrem Entwicklungspotential fest. Durch die personenzentrierten Gespräche (in einer Gesprächshaltung nach Carl Rogers) war es den Teilnehmenden möglich, gegebenenfalls Asynchronizitäten zwischen Lebensrealität und Glaubensvorstellungen wahrzunehmen und so ihr eigenes religiöses Bewusstsein zu erweitern. Bei Nachgesprächen, eineinhalb Jahre nach der Untersuchung, wird deutlich, dass die Interviews bei vielen Teilnehmenden »umfassende Reflexionsprozesse« über die eigene Religiosität ausgelöst haben. In religionspädagogischer Perspektive bedeutet das für Wittrahm und Hammerschmidt für eine entwicklungsorientierte religiöse Erwachsenenbildung, dass vor allem durch einen offenen Dialog zwischen Bildnern, Bildnerinnen und Teilnehmenden Räume eröffnet werden sollen, die das Wahrnehmen von Ungleichzeitigkeiten, Asynchronizitäten ermöglichen und einen dialogischen Reflexionsprozess einleiten. Sie sprechen von einem Trialog zwischen Lernenden, Lehrenden und der Tradition109. Der deskriptive Ansatz enthält sich hiermit nicht nur konsequent konkreten normativen Zielvorgaben für die reli106 Wobei der traditional-kirchliche Typus und der a-religiöse Typus seltener einem Gestaltwandel unterliegen, als die anderen Typen. (Kläden Tobias, Zentrale Ergebnisse, 72.) 107 Wittrahm Andreas / Hammerschmidt Mechthild, Der Herr kennt den Weg des Gerechten – Glaubensentwicklung und religiöse Erwachsenenbildung, in: Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), Senioren, 109–126, 117. 108 AaO., 123. 109 AaO., 125.
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giöse Entwicklung, sondern stellt den Prozess der Entwicklung an sich in den Vordergrund und regt dazu an, Entwicklung durch Anregung zur Interaktion von Subjekt und Umwelt zu fordern und zu fördern. Das bildnerische Ziel ist dabei der Prozess selbst. Das Ziel für die einzelne Person ist Wahrnehmung (von Asynchronizitäten) und Reflexion und die daraus für das Subjekt folgende, angemessene Veränderung. 2.1.3.2 (Pastoral-)psychologische Perspektive – Diagnose in Therapie und Seelsorge Ein besonderes Interesse an den Zusammenhängen von Gottesvorstellungen und psychischer Gesundheit zeigt für den deutschsprachigen Raum die Forschungsgruppe um den Hamburger Psychologieprofessor Reinhard Tausch110. So stellt er bei einer Befragung von ca. 200 Personen, die sterbende Angehörige oder Patienten und Patientinnen begleitet hatten, fest, dass die Begleiterinnen und Begleiter, die an einen liebenden und behütenden Gott glaubten, weniger Ängste und mehr Geborgenheit spürten111. Auch im Hinblick auf den eigenen Tod zeigten diese Menschen weniger Ängste, während Menschen mit der Vorstellung eines strafenden Gottes deutlich mehr Ängste in Bezug auf die Zeit nach ihrem Tod aufwiesen. Tausch stellt fest, dass die meisten psychologischen Untersuchungen in Bezug auf die Relation von Lebenszufriedenheit und Gottesvorstellung oder psychischem Wohlergehen und Gottesvorstellungen in den USA gemacht worden sind und regt daher in einer Forschungsgruppe von mehreren Diplomanden und einem Doktoranden (Kay Uwe Petersen) an, diese Zusammenhänge für den deutschsprachigen Raum näher zu untersuchen. Eine nicht repräsentative Voruntersuchung von Jens Oberdick112 befasst sich vor allem mit den emotionalen Aspekten von Gottesvorstellungen. Für die untersuchten Personen konnte er feststellen, dass es einen Zusammenhang von Gottesvorstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen, Selbstbild und Elternbild gibt113. Personen, die ihre Gottesbeziehung als fürsorglich und nahe erlebten, gaben an, dass sie positive Folgen ihrer Gottesvorstellung auf ihr Denken, Fühlen und Verhalten wahrnahmen. Personen, die Gefühle wie Ablehnung, Furcht oder
110 Tausch Reinhard, Psychologische Einsichten zur Bedeutung persönlicher Gottesvorstellungen und zur christlichen Botschaft: Verbindungen, 209ff., in: Flothkötter Hermann/ Nacke Bernhard (Hrsg.), Zeichen der Zeit (Wissenschaftliche Orientierungslinien und christlicher Glaube in heutiger Zeit, Bd. 3), Münster 1990, 201–229. 111 AaO., 202. Vgl. Tausch, A. und Tausch R., Sanftes Sterben, Reinbek bei Hamburg, 1985. 112 AaO., 209. Vgl. Oberdick Jens, Gottesvorstellung und Selbstkonzept, eine empirische Untersuchung. Diplomarbeit Universität Hamburg, 1990. 113 AaO., 211–213.
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Einsamkeit als Gefühle Gott gegenüber angaben, stellen sich Gott eher lenkend und richtend vor. Diese Erkenntnisse und Überlegungen fließen in die Untersuchung von Kay Uwe Petersen zu persönlichen Gottesvorstellungen mit ein114. Zunächst stellt er maßgebliche psychologische Forschungen bezüglich der Gottesvorstellung Erwachsener dar. Diese umfassen ein weites Spektrum von Teilaspekten: Untersuchungen der Zusammenhänge von Gottesvorstellung mit dem Eltern-115 und/ oder Selbstkonzept116 und Untersuchungen zur Gottesbeziehung, zu den Gefühlen, die Personen Gott gegenüber haben117. Die untersuchten Personengruppen der einzelnen Forschungsprojekte sind recht unterschiedlich. Oft handelt es sich um Personen aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, oft aber auch um Personen, die der gleichen Konfession angehören. Petersens besonderes Interesse gilt dem möglichen Zusammenhang von Gottesvorstellungen und psychischer Gesundheit. Hinweise darauf findet er durch einige der aufgeführten Forschungsergebnisse118. Er selbst definiert Religion als Beziehungsgeschehen119 zwischen Mensch und »Gott«, wobei es für seine psychologische Untersuchung unerheblich ist, ob es sich um eine konkrete Beziehung (Kontakt mit »einem vermutlich außersinnlich realen Wesen Gott«) oder eine imaginäre Beziehung (»Der Mensch simuliert aufgrund von Informationen einer bereits vorhandenen kognitiven Repräsentation Gottes im Gehirn eine Person Gott und tritt in Kontakt mit dieser Simulation«) handelt120. Aufgrund seiner eigenen Untersuchung und statistisch gesicherter Fakten will Petersen ein Klärungsverfahren als eine Art diagnostisches Instrument entwickeln, das es Klienten ermöglichen soll, sich selbst ihrer eigenen Gottesvorstellung bewusst zu werden, um dann an den Anteilen der Gottesvorstellung, die negativ mit der eigenen psychischen Gesundheit zusammenhängen könnten,
114 Petersen Kay, Persönliche Gottesvorstellungen. Empirische Untersuchungen / Entwicklung eines Klärungsverfahrens, Ammersbek bei Hamburg 1993, 14–41. Petersen führt die wesentlichen psychologischen Forschungen bis 1993 an. 115 AaO., 15–21. 116 AaO., 21–34. 117 AaO., 35–39. 118 »Wie die Betrachtung des Forschungsstandes ergab, hat sich der positive Zusammenhang eines liebenden Gottes und der negative Zusammenhang eines strafenden Gottes mit Selbstwertschätzung in den meisten empirischen Untersuchungen mehr oder weniger deutlich gezeigt.« (AaO., 32.) Vgl. auch die Studie von Pollner 1989, der den Zusammenhang von Gottesbeziehung, Gotteskonzept und Lebenszufriedenheit untersucht. (Verweis bei Petersen, 37.) 119 AaO., 12. Vgl. aaO., 208. »Unter ›Beziehung‹ wird – mit Ausnahme theoretischer Überlegungen – jede Möglichkeit verstanden, die Gott in das Bewusstsein von Menschen rücken lässt.« (auch aaO., 13.) 120 Vgl. aaO., 213.
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zu arbeiten121. Petersens Vorhaben gründet auf der Annahme, dass nach den Konsistenztheorien122 kognitive Systeme möglichst spannungsfreie Zustände anstreben. Widerspruchsvolle Zustände werden als unangenehm erlebt. Eine Veränderung kognitiver Strukturen kann nach Petersen dann geschehen, wenn Menschen sich ihrer Gottesvorstellung bewusst werden. Gottesvorstellung123 ist nach Petersen das, was im Gedächtnis der einzelnen Person als gespeicherte Informationen dem sprachlichen Zeichen »Gott«, als einem höheren Wesen oder einer höheren Wirklichkeit124, zugeordnet wird. Das Ziel des Klärungsverfahrens besteht dann zum Beispiel darin, das eigene negative Gotteskonzept aufzuspüren und die Spannung wahrzunehmen. Dabei stellt Petersen heraus, dass »für einen persönlichen Klärungsprozess … zusätzlich die gefühlsmäßige Bewertung der Gottesvorstellung bedeutsam« ist125. Daher teilt er seine Untersuchung der Gottesvorstellung in vier Bereiche. Davon sind drei eher kognitiv und umfassen Begriffe der »Gefühle Gottes«126, des »Verhaltens Gottes« und der »Bedeutungen Gottes« und ein vierter emotionaler Bereich umfasst Begriffe der »Gefühle Gott gegenüber«. Für seine eigene Untersuchung entscheidet sich Petersen für ein konventionelles Arbeiten mit Begriffen (anstatt mit Bildern oder Bewegungen)127 und findet – gestützt auf einige der angeführten Forschungsprojekte und anhand eigener Voruntersuchungen128 – für all die oben genannten Bereiche zutreffende und für die Gottesvorstellung relevante Begriffe129. Diese fließen in zwei verschiedene Verfahren ein. Zum einen in eine Untersuchung mit Fragebögen (Rücklaufquote 74 % mit 254 verwendbaren Fragebögen)130 und zum anderen in ein Verfahren, das Petersen Konzeptlegetechnik (73 untersuchte Personen)131 nennt132. Auf einen DIN A3 Bogen Papier werden auf Karten vorgegebene Be121 AaO., 33 und 203. 122 Vgl. Herkner, W., Lehrbuch Sozialpsychologie, Bern 19915, 251f. – Verweis nach Petersen, 32 und 39. 123 Petersen, 4. 124 Petersen, 1. 125 AaO., 34. 126 Gefühle, die Gott zugeschrieben werden (Anmerkung der Verfasserin). 127 AaO., 33. 128 Tausch Reinhard, Psychologische Einsichten, 209ff., in: Flothkötter Hermann/Nacke Bernhard (Hrsg.), Zeichen der Zeit, 201–229. 129 Vollständige Liste bei Petersen, 61. – Es seien hier nur einige Beispiele genannt: Gefühle gegenüber Gott: Vertrauen – Furcht – Zuneigung – Enge – Schuld // Bedeutungen Gottes: Schützende Hand – Ordnung im Chaos – Quelle des Lebens – Natur – Licht im Licht – gerechter Richter – Schutzhülle // Verhaltensweisen Gottes: beobachtet – bestraft – leidet – herrscht – beschützt – begleitet // Gefühle Gottes: Zorn – Zuneigung – Sehnsucht – Güte – Geduld. 130 AaO., 45. 131 AaO., 58ff. 132 Die untersuchten Personen weisen sehr verschiedene Religionszugehörigkeiten auf. Fra-
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griffe nacheinander, getrennt nach den genannten Bereichen, in einer Rangfolge von 0–5 zu dem Begriff Gott, der sich oben auf dem Blatt befindet, gelegt. So ist es den einzelnen Personen möglich, ihre Gottesvorstellung als Ganzes zu betrachten. Auch wird durch das Legen der Begriffe eine höhere emotionale Beteiligung133 (als beim Beantworten von Fragen eines Fragebogens) erreicht. Die folgenden Ergebnisse sind auch für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung: (1) Petersen untersucht Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit und stellt fest, dass es eine Fülle von Möglichkeiten gibt, »wie Menschen sich ein höheres Wesen oder eine höhere Wirklichkeit, an das oder die sie glauben, vorstellen können«, und dass »die Variationsbreite innerhalb der Religionsgemeinschaften … dabei die Variationsbreite zwischen den Religionsgemeinschaften relativ deutlich zu übertreffen« scheint134. (2) Durch die qualitativen Ergebnisse zweier Zusatzfragen in den Fragebögen135und der frei ergänzten Begriffe in der Konzeptlegetechnik136 wird der Eindruck einer Komplexität von Gottesvorstellungen vermittelt137. (3) Persönliche Gottesvorstellungen enthalten Merkmale der Person, da sie aus persönlichem Erleben oder persönlicher Konstruktion entstanden sind138. (4) Die erhobenen und statistisch bearbeiteten Daten sind »nicht mehr als eine Momentaufnahme innerhalb eines Prozesses Religion«139 und auch nur ein »bestenfalls charakteristischer Ausschnitt aus dem subjektiven Wissen einer Person über ›Gott‹«140. (5) Die Faktoren und Skalenwerte der Analyse der Konzeptlegetechnik können die Differenziertheit der persönlichen Begriffswahl nur sehr wenig wiedergeben. Skalenwerte haben den Vorteil der Ökonomie, aber den erheblichen
133 134 135
136 137 138 139 140
gebögen wurden in Hamburg in einer katholischen Gemeinde, zwei evangelischen Gemeinden, einer Baptistengemeinde, einer Moschee und in Kursen der gymnasialen Oberstufe ausgeteilt. (aaO., 46.) Repräsentativität besteht hinsichtlich der Auswahl der untersuchten Personen nicht. (aaO., 48.) AaO., 58 und 191. AaO., 129 und 187. »Welche gedankliche oder bildliche Vorstellung haben sie von Gott/einer höheren Kraft?« und »Durch welche Erlebnisse oder Tätigkeiten sind Sie Gott näher gekommen?« (aaO., 55.) Beim Kontrollfragebogen zur Konzeptlegetechnik heißt es: »Beschreiben Sie bitte Ihre gedanklichen und bildlichen Vorstellungen von Gott oder einem höheren Wesen oder einer Höheren Wirklichkeit, an die Sie glauben, oder von der Sie annehmen, dass es sie gibt.« (aaO., 62; vgl. auch 96ff.) AaO., 112ff. AaO., 187 und 197. AaO., 21. AaO., 208. AaO., 130.
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Nachteil des Verlustes von wesentlicher Information, die für das Verständnis der persönlichen Gottesvorstellung wesentlich sind141. (6) Für Gottesvorstellungen sind wesentlich der Entstehungszeitpunkt und der Veränderungszeitpunkt142. (7) Petersen ergänzt in den Befragungsinhalten die kognitiven Anteile der Gottesvorstellung (Gefühle Gottes – Verhalten Gottes – Bedeutungen Gottes) um emotionale Anteile der Gottesvorstellung (Gefühle Gott gegenüber) und merkt an, dass ihnen eine Schlüsselfunktion zum Verständnis der Gottesvorstellung zukommt143. Darüber hinaus stellt er fest, dass eine Gottesbeziehung, die wenig intensive Gefühle auszulösen vermag, in der Auswirkung auf das Leben auch nur wenig bedeutsam sein dürfte144. Dazu entwickelt er ein Untersuchungsverfahren, das emotionale Beteiligung durch Visualisierung und haptische Elemente der Legetechnik besser ermöglicht und so die emotionalen Anteile der Gottesvorstellung besser darzustellen vermag145. (8) Petersen teilt die Art der Gottesvorstellung in die Kategorien »eher persönlich«, »eher unpersönlich« und »unbeschreiblich« ein. Er stellt (nicht repräsentativ) fest, dass Katholiken und Angehörige von Freikirchen eine »eher persönliche« Gottesvorstellung haben und Muslime eher zu »unbeschreiblich« tendieren, während sich Lutheraner auf alle drei Kategorien gleichmäßig verteilen mit einer leichten Präferenz zu »eher persönlich«146. Insgesamt zieht Petersen den Schluss, dass in jeder Gottesvorstellung persönliche und unpersönliche Elemente enthalten sind. Was die Dimension der Menschenähnlichkeit betrifft, seien »die Extreme ›radikal unpersönlicher Gott‹ und ›radikal persönlicher Gott‹ lediglich Ausgangs- und Endpunkt der Einordnung von Gottesvorstellungen«. Insgesamt wird durch die Untersuchung von Petersen zu persönlichen Gottesvorstellungen deutlich, dass eine reine Fragebogenbefragung und eine Einteilung von Mittelwerten in Skalen dem Untersuchungsgegenstand »persönliche Gottesvorstellung« nicht gerecht werden. Aufgrund der Bedeutung der emo141 142 143 144 145 146
AaO., 139. Ebd. AaO., 131 und 197. AaO., 197. AaO., 203. AaO., 123. Weiterhin stellt Petersen fest, dass 86 % der Gruppe Ev. Freikirchlich, 83 % der Muslime, 73 % der Katholiken, 58 % der Lutheraner und 51 % der Menschen ohne Religionsgemeinschaft annehmen, dass ein Gott existiert. Zweifel an einem Gott hatte nur ein Mitglied einer Freikirche (12 % der Lutheraner, 9 % der Menschen ohne Religionsgemeinschaft, ein Katholik und kein Muslim) und keine Existenz eines Gottes nahm kein Mitglied einer Freikirche an (17 % der Menschen ohne Religionsgemeinschaft, 8 % der Katholiken, 7 % der Lutheraner und ein Muslim). AaO., 122.
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tionalen Anteile der Gottesvorstellung, der Gottesbeziehung, ist eine Form der Untersuchung vorzuziehen, die eine emotionale Beteiligung der Befragten in Form von Visualisierung der Nähe und Distanz zu »Gott« (Legetechnik, Positionierungen im Rostocker Modell) und anderen Formen ganzheitlicher Beteiligung (Gestalten einer Materialcollage zu einer Metapher) einschließt. Wobei auch das personenzentrierte einfühlsame Gespräch die emotionale Beteiligung der Befragten ermöglicht.
2.1.4 Die religionssoziologische Perspektive – Klaus Peter Jörns In einer quantitativen Umfrage untersucht Klaus Peter Jörns aus einer religionssoziologischen Perspektive »Was die Menschen heute wirklich glauben«147. Für ihn ist der Glaube eng verbunden mit dem Lebensgefühl der Menschen, wobei er annimmt, dass das Verfahren der quantitativen Umfrage nur bedingt Äußerungen des Lebensgefühls einfangen kann148. Die theoretische Grundlage für Jörns Umfrage ist die »Quaternität der Lebensbeziehungen«. Durch die Benennung von vier Lebensbereichen will er Dimensionen ansprechen, die für das Lebensgefühl heute lebender Menschen von zentraler Bedeutung sind149. Er teilt die vier Bereiche in: I die personalen Lebensbeziehungen – II die Beziehungen zur Erde – III die Beziehungen zu Werten und Ordnungen – IV die Beziehungen zur Transzendenz (»Gott«). Die Annahme, dass Heil und bewahrtes Leben identisch sind und dass Unheil all das ist, was Leben gefährdet oder gar zerstört, ist für ihn zentral. Glaube und Religion zielen dann auf ein gutes Leben und seine Bewahrung: Dabei stellt sich dann die Frage, wie Leben gut gelebt werden und gegen seine Gefährdungen geschützt werden kann150. Da »Leben heißt: in Beziehung sein«151 fragt Jörns nach den Beziehungen der Menschen in den vier Lebensbereichen. Dabei geht er davon aus, dass die Gestalt des Bereiches IV die Bereiche I–III beeinflusst und 147 Jörns Klaus-Peter, Die neuen Gesichter Gottes. Was Menschen heute wirklich glauben, München 19992. 148 »›Qualitative Interviews‹, die zum Beispiel dem Erzählen Raum lassen, geben noch andere Dimensionen zu erkennen. Aber es ist wissenschaftlich keineswegs gesichert, ja, eher unwahrscheinlich, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse in ganz andere Richtungen als die quantitativ erhobenen Daten weisen.« (Jörns, Die neuen Gesichter Gottes, Vorwort zur zweiten Auflage, S. XVIII.) 149 Ebd. 150 AaO., 15. 151 AaO., 20.
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umgekehrt152. Diese These will er mit seiner Untersuchung belegen. Der wechselseitige Zusammenhang von Lebenssituation und Transzendenzbezug führt nach Jörns dazu, dass Gott als das transzendente Gegenüber ein mit der Lebenssituation verbundenes »Gesicht« hat, das sich im Laufe einer Biographie ändern kann und sich aufgrund verschiedener soziokultureller Bedingungen unterscheidet153. Jörns sieht diese Zusammenhänge durch seine Untersuchung »im wesentlichen bestätigt«154. Für die vorliegende Untersuchung sind seine Ergebnisse in Bezug auf die ›gottgläubigen‹155 Menschen von besonderem Interesse156. Zum Gottesverständnis ist aufgrund seiner Untersuchung zu sagen, dass die trinitarische Gottesidee »schwere Einbußung hat hinnehmen müssen«, ebenso wie der Gedanke der Allmacht Gottes. Dass sie im Gebet mit Gott Kontakt aufnehmen können, sagen fast drei Viertel der Gottgläubigen157. Auch das Gottvertrauen ist bei ihnen relativ groß: »68 % halten es nicht für möglich, dass sich Gott von der Welt abwenden könnte«158. Die Erwartungen der Gottgläubigen richten sich vor allem auf die Sinngebung in diesem Leben. Der Schöpfungsglaube findet sich bei ca. der Hälfte der Gottgläubigen. Er ist vermehrt auch mit dem Alter der Antwortenden gekoppelt. Jörns führt das auf den Weltbildwandel zurück. Darüber hinaus erkennt er eine Tendenz der theologisch Gebildeten, Glaube und naturwissenschaftliche Erkenntnis in Einklang zu bringen159. Im Hinblick auf das Menschenbild kommt es nach Jörns zu einem Traditionsbruch mit der Erbsündenlehre. Die meisten Antwortenden sehen die Sterblichkeit des Menschen als etwas Geschöpfliches an und nicht als Folge der Sündhaftigkeit des Menschen. Auch meiden die jüngeren Teilnehmenden der Befragung eher die Begriffe »Sünde« und »sündig«. Nur noch ein Viertel der Befragten bringt Gott mit dem Gericht in Verbindung. Jörns Kommentar dazu: »Da scheint eine ganze Dimension der Erlösungslehre wegzubrechen.« An die Stelle von ›Heil‹ tritt Geborgenheit. »Die klassische Eschatologie, repräsentiert durch die Bereiche Himmel und Hölle, ist offenbar kurz vor dem Verschwinden…«160. Die Bedrohung des Jüngsten Gerichts wird kaum noch akzeptiert, aber die Hälfte der Gottgläubigen meint, sich nach dem Tod vor Gott verantworten zu müssen161. 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161
AaO., 27. AaO., 27–28. AaO., 199. (Hervorhebung Jörns.) Jörns unterscheidet Gottgläubige, Transzendenzgläubige, Unentschiedene und Atheisten. AaO., 202–211. AaO., 204. AaO., 204. AaO., 205. AaO., S. 208. AaO., S. 209.
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In seinem Fazit betont Jörns162, dass die alten, dogmatischen Gottesvorstellungen zugunsten von neuen weichen. Diese sind vor allem durch die Beziehung zu Gott qualifiziert: »die Beziehung und gegenseitige Zuwendung, die sich nicht abstützt auf dogmatische Setzungen«163. Dazu gehören ein selbstkritisches Menschenbild und die Bereitschaft, verantwortlich zu leben. Dass das Wort »Heil« durch »Geborgenheit« ersetzt ist, entspricht dieser neu gewonnenen Beziehungsqualität gegenüber einer dogmatischen Gottesvorstellung. »Selbst im Gottesbild der eher traditionsbewussten Gottgläubigen zeigen sich also mehrere Gesichter Gottes.«164
2.1.5 Messbarkeit von Religiosität – religionspsychologisch bis religionssoziologisch165 Die bisherigen Ausführungen haben ausgewählte Forschungen zu verschiedenen Aspekten von Gottesvorstellungen Erwachsener behandelt, die auf unterschiedlichen Perspektiven beruhen. Das Folgende soll die Ausführungen unter dem Aspekt der Messbarkeit abrunden. Dabei zeigt sich ein breites Spektrum, das von individuellen Aspekten der Gottesvorstellung bis zum globalen Erfassen von Religiosität reicht. Die psychologische Forschung unterscheidet ein-, zwei- und mehrdimensionale Ansätze zur Messung von Religiosität. Die Erhebungen subjektiver Daten erfolgen fast immer mittels Fragebogentechnik. Dabei lassen sich sowohl die subjektive Einstellung einer Person, z. B. zur Kirche oder bestimmten religiösen Inhalten (Gott, Jesus …), auf linearen Skalen erfassen (eindimensionale Perspektive), als auch Phänomene, wie z. B. zunehmende Säkularisierung in großen gesellschaftlichen Zusammenhängen (mehrdimensionale Perspektiven), abbilden. Einige Untersuchungsansätze stehen jeweils paradigmatisch für die unterschiedlich dimensionalen Perspektiven – was an ihrer langen und umfangreichen Wirkungsgeschichte bis heute zu beobachten ist – und sind infolge exemplarisch zitiert. Eindimensionale Untersuchungen befassen sich vor allem mit Einstellungen gegenüber einem bestimmten Aspekt von Religiosität. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Einstellungen selbst mehrdimensional sind, weitere Aspekte aber aufgrund der Methodik – die nur eine Dimension in den Vordergrund stellt – ausgeklammert werden. Eindimensionale Messungen arbeiten im Wesentlichen 162 163 164 165
AaO., S. 210. AaO., S. 210. AaO., 204. Zum Folgenden vgl. Huber Stefan, Dimensionen der Religiosität – Skalen, Messmodelle und Ergebnisse einer empirisch orientierten Religionspsychologie, Freiburg 1996.
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mit Aussagen, zu denen bei den Teilnehmenden die Zustimmung oder Ablehnung erfragt wird. Aus den Ergebnissen mehrerer Fragen wird ein Mittelwert errechnet, der für die einzelne Person eine bestimmte Ausprägung auf einem linearen Kontinuum indiziert. Als ein klassischer eindimensionaler Ansatz gilt die Untersuchung der Psychologen Thurstone und Chave166 (1929), die die Einstellung einzelner Personen zur Kirche gemessen haben. Die Personen konnten zu ausgewählten Sätzen (z. B. Ich glaube an das, was die Kirche mich lehrt – Ich glaube an Gott, ohne in die Kirche zu gehen – …) ihre Zustimmung, bzw. Ablehnung mitteilen. Die »Attitude towards Church Scale« misst im weitesten Sinne die Wert- oder Geringschätzung, die der Kirche entgegengebracht wird. Im Anschluss an dieses Modell wurden viele verschiedene Skalen zu diversen religiösen Einstellungsobjekten konstruiert. Im deutschsprachigen Raum167 sind hier vor allem die Skalen von Deusinger und Deusinger (1974) zu nennen, die Skalen zu Einstellungen gegenüber Kirche, Gott und Jesus entwickelt haben. Ein Beispiel für einen zweidimensionalen Ansatz sind die umfangreichen persönlichkeitspsychologisch orientierten Untersuchungen des Psychologen Gordon W. Allport (1966)168. Er unterscheidet zwischen einer extrinsisch und einer intrinsisch motivierten religiösen Orientierung. Dieser Ansatz verzeichnet eine enorme Wirkungsgeschichte und ist Grundlage für viele weitere Forschungen gewesen169. Allport und Ross stellen 1967 durch ihre Skalierungen vier Untertypen (extrinsisch – intrinsisch – ununterscheidbar proreligiös und ununterscheidbar antireligiös) heraus170. Zweidimensionale Ansätze erlauben eine differenziertere Messung religiöser Einstellungen und richten ihr Augenmerk eher auf eine subjektive Form der Religiosität171. Mehrdimensionale Ansätze sind demgegenüber eher an einer objektiven Form der Religiosität interessiert. Die den Untersuchungen zugrunde liegenden Annahmen über die Struktur von Religiosität werden anhand faktoranalytischer Untersuchungen empirisch überprüft172. Hier ist vor allem der Ansatz des So166 AaO., 22–38. 167 AaO., 41–49. 168 Allport Gordon W., The Individual and his Religion: a Psychological Interpretation, Oxford, 19666. Dazu siehe Huber, Dimensionen, 59–71. Das Konzept wurde von Allport über mehrere Jahrzehnte durch verschiedene Untersuchungen entwickelt. Vor allem Allport und Ross (1967) beschreiben dann insbesondere die beiden Dimensionen (aaO, 65). Schon 1902 entwickelte William James ein zweidimensionales Konzept, indem er zwischen einer »healthy-minded« und einer »sick-souled religion« unterschied. Dewey unterscheidet 1934 zwischen »Being religious« und »observing a religion«. (aaO., 60). 169 AaO., 75. – Donahue greift bei einer Metaanalyse des E-I Modells von Allport 1985 auf ca. 34 weitere relevante Untersuchungen zurück. 170 AaO., 73. 171 AaO., 62. 172 AaO., 235.
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ziologen Glock (1962) zu nennen, dessen Interesse im Besonderen den verschiedenen Ausdrucksformen von Religiosität galt. Er unterscheidet fünf Dimensionen (Ideologie / Glaube, Ritual, Erfahrung, Wissen und Konsequenzen), die für ihn relativ unabhängige Ausdrucksformen religiöser Einstellungen darstellen. Ausgangspunkt seiner Forschung ist die »neuerliche Diskussion über die Lage der Religion in der Amerikanischen Gesellschaft«173. In dieser Untersuchung zeigt sich die Nähe von Religionspsychologie und Religionssoziologie. Glock wollte die Widersprüchlichkeit in den empirischen Befunden, deren Ursache in unzureichenden Skalen lag, aufklären. Sein Ansatz ist anthropologisch und religionsvergleichend fundiert. So kommt er zu Dimensionen, die seiner Meinung nach für alle Weltreligionen Gültigkeit haben. In Anlehnung an die obigen Ansätze entwirft Stefan Huber sein Modell der »subjektiven Urteilsräume«174. Der Theologe, Psychologe und Religionswissenschaftler untersucht anhand der subjektiven Repräsentation der Kategorien des christlichen Glaubensbekenntnisses kognitive Strukturen durch eine multidimensionale Skalierung von Ähnlichkeitsurteilen. Hier zeigt sich ein Bemühen um die inhaltliche Validität religionspsychologischer Messinstrumente. Huber fordert eine stärkere Einbindung von religionswissenschaftlichen und theologischen Überlegungen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit bei zukünftigen Forschungen175. Diese Forderung setzt er dann selbst, gemeinsam mit anderen Forschern, in einer sehr umfassend und interdisziplinär angelegten Untersuchung des Religionsmonitors176, in der sein Modell von »Zentralität und Inhalt«177 grundlegend ist, um. Die Kategorie der »Zentralität« entwickelt Huber nach Allport und Ross (1967) und bezieht sie auf die Stärke der Religiosität bzw. auf »die Intensität ihrer Präsenz in der Persönlichkeit«178 eines Menschen. Huber unterscheidet zwischen Hochreligiösen, bei denen religiöse Inhalte eine zentrale Rolle in der Persönlichkeit spielen, Religiösen, bei denen religiöse Inhalte und Praktiken vorkommen, aber in der Persönlichkeit nur eine untergeordnete Rolle spielen, und Nichtreligiösen, bei denen religiöse Inhalte, Praktiken und Erfahrungen kaum vorkommen. »Inhalt« bezieht sich als Kategorie auf »konkrete inhaltliche Gestalten und Ausrichtungen der Religiosität«.179 Die Unterscheidung zwischen 173 174 175 176 177
AaO., 86. Glock zitiert bei Huber. AaO., 213–231. AaO., 236. Bertelsmann Stiftung, Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007. Huber Stefan, Zentralität und Inhalt – Ein neues multidimensionales Messmodell der Religiosität, Opladen 2003. 178 Huber Stefan, Aufbau und strukturierende Prinzipien des Religionsmonitors, in: Bertelsmann Stiftung, Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2007, 19–29, besonders 20 und 25. 179 Ebd.
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Zentralität und Inhalt wird systematisch auf sechs Kerndimensionen bezogen. Dazu wurden die Dimensionen von Glock (1962) und Glock und Stark (1968) zugrunde gelegt (Intellekt – Ideologie/Glaube – Praxis – Erfahrung – Konsequenzen) und modifiziert, indem die Praxis in zwei Unterdimensionen (privat und öffentlich) aufgeteilt wurde. Des Weiteren wird nach der Abfrage der allgemeinen Intensität der Kerndimensionen noch nach der Intensität spezifischer religiöser Themen gefragt180. Der Religionsmonitor soll eine Bestandsaufnahme der religiösen Realität181 bieten und für alle Religionen und weltweit anwendbar sein. Daher wird z. B. sowohl nach Gebet als auch nach Meditation, Pflichtgebeten oder Hausaltären gefragt. Der Religionsmonitor berücksichtigt sowohl theistische als auch pantheistische Semantiken und Erfahrungen. Sein Ziel ist, ein umfassendes und differenziertes Bild der individuellen und gesellschaftlichen Rolle der Religiosität zu zeichnen. Weltweit wurden in 21 Ländern 21.000 Menschen repräsentativ befragt. Die Befragung erfolgte anhand eines Fragebogens einerseits telefonisch und andererseits persönlich, dort, wo dies die Repräsentativität (Indien) gefährdet hätte. In Deutschland wurde die quantitative Untersuchung durch qualitative Tiefeninterviews ergänzt.182 Individuell ist es möglich, per Internetabfrage in ca. 20 Minuten den Fragebogen zu beantworten und ein eigenes Religiositätsprofil zu ermitteln183. Die Ergebnisse fließen dann in die Gesamtuntersuchung ein. Es ist ebenso möglich, Länderergebnisse abzufragen. Einzelne Religionsgemeinschaften können Auskunft über die individuelle Religiosität ihrer Mitglieder, über die Akzentuierungen innerhalb ihrer Religiosität und die Konsequenzen, die sie daraus für ihren Alltag ziehen, erhalten184. Die Untersuchung des Religionsmonitors hat auf globaler Ebene eine Fülle von Daten geschaffen – und macht dies fortdauernd –, die in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und unter unterschiedlichen Perspektiven ausgewertet werden können. In der Veröffentlichung erster Ergebnisse zum Religionsmonitor185 finden sich unter anderem Fragestellungen zu einzelnen religiösen Bewegungen wie der Pfingstbewegung186 oder Auswertungen der Daten einer Altersgruppe
Vgl. Überblickstabelle aaO., 21. Bertelsmann Stiftung, Religionsmonitor 2008, 16. AaO, 13. http://religionsmonitor.com/ (Aufruf vom 08. 05. 2012). Rieger Martin in seiner Einleitung zum Religionsmonitor : Bertelsmann Stiftung, Religionsmonitor, 16. 185 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt – Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2009. 186 Schäfer Werner, Pfingstbewegung und sozialer Habitus, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt, 553–608. 180 181 182 183 184
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wie den jungen Erwachsenen187. Der Blick wandert auf das veränderte Verhalten gegenüber religiösen Traditionen und kirchlichen Bindungen188 oder die religiöse Situation in allen 22 teilnehmenden Ländern189. Kritisch anzumerken ist, dass der Religionsmonitor keine Spannungen innerhalb der Gottesvorstellung einer Person aufzeigt. Aus den Antworten auf die Fragen werden zum Teil Mittelwerte gebildet190. Auch wird den Teilnehmenden der Unterschied zwischen »religiös« und »spirituell« nicht deutlich, ebenso wenig zwischen einer »Du-Erfahrung« und einer »All-Erfahrung« oder zwischen Gebet und Meditation. Die Begriffe werden als bekannt vorausgesetzt, um dann für die Kategorien »theistisch« oder »pan-theistisch« zu stehen. Möglicherweise könnte sich aber jemand, der sich selbst hoch-religiös einschätzt, auch ebenso hoch spirituell einschätzen, weil er Spiritualität mit praktizierter Religion gleichsetzt, was dann die Kategorieunterscheidung hinfällig macht. Die Teilnehmenden können sich ihr Religionsprofil am Ende des Tests selbst ausdrucken oder sich registrieren, um zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal an der Umfrage teilzunehmen und Veränderungen verfolgen zu können. Sie erfahren aber nicht, wie die Antworten auf einzelne Fragen bewertet werden und wie die Ergebnisse im Detail zusammengesetzt sind. Interessant könnte für die Teilnehmenden allerdings der Vergleich mit den Mitbewohnern der eigenen Umgebung sein. Neben dem eigenen Profil ist das Durchschnittsprofil der Bevölkerung des eigenen Landes zu sehen. Man bekommt so ein Bild, wie sich die Einschätzung der eigenen Religiosität zu dem verhält, wie andere Bewohner des gleichen Landes sich selber sehen. Die Interpretation der Ergebnisse bleibt dem Teilnehmenden selbst überlassen. Der Religionsmonitor will nach eigenen Angaben191 zum Nachdenken anregen. Insgesamt stehen durch die umfangreiche Untersuchung des Religionsmonitors sehr viele repräsentative Daten zur perspektivenreichen Interpretation 187 Bucher Anton A., Religiosität und Spiritualität bei jungen Erwachsenen, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt, 633–654. 188 Pollak Detlef / Müller Olaf, Kirchlichkeit, Religiosität und Spiritualität: West- und osteuropäische Gesellschaften in Zeiten religiöser Vielfalt, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt, 411–430. 189 Meulemann Heiner, Säkularisierung oder religiöse Erneuerung, Weltanschauungen in 22 Gesellschaften: Befunde und Hinweise einer Querschnittserhebung, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt, 691–724. 190 Wer mit großer Überzeugung einen Sinn im Leben für sich gefunden hat, aber in geringerem Maße an das ewige Leben glaubt, erhält einen mittleren Wert. Es ist bei der Internetbefragung nicht ganz nachzuvollziehen, wie die Werte gemittelt werden und die Antworten auf die verschiedenen Fragen zusammengefasst werden. Der Nutzen der Internetbefragung scheint mehr im Sammeln von Daten zu liegen, um dann allgemeine, repräsentative bzw. länderspezifische Aussagen machen zu können, anstatt einzelnen Personen ein differenziertes Bild ihrer Gottesvorstellung zugänglich zu machen. 191 http://religionsmonitor.com/ (Aufruf vom 08. 05. 2012.)
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zur Verfügung. Im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung sind vor allem die Daten hilfreich, die aus den Ländern oder Kulturen stammen, aus denen die untersuchten Personen kommen. Leider sind nicht für alle Samples Daten des Religionsmonitors vorhanden.
2.1.6 Zusammenfassung Gottesvorstellungen Erwachsener sind im amerikanischen Sprachraum und später auch im deutschen Sprachraum aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven und mit unterschiedlichem Interesse gut untersucht. Aufgrund des universal humanistischen Anspruchs des psychoanalytischen Ansatzes und der Stufenmodelle wird einerseits der Einfluss der Kultur auf die Gottesvorstellung vernachlässigt. Andererseits wird in der Auswahl der Methoden (Fragebögen) oft die emotionale Beteiligung, das Ausloten der Gottesbeziehung, unzureichend berücksichtigt. Die vorliegende Untersuchung kann zum einen durch den Vergleich unterschiedlicher Kultursamples und zum anderen durch die Anwendung des Rostocker Methodenrepertoires, das durch Arbeit mit Metaphern, Visualisierungen und personenzentrierter Gesprächsführung eine größere emotionale Beteiligung ermöglicht, weitere Aspekte zu den Gottesvorstellungen Erwachsener einbringen. Innerhalb eines Ansatzes, in dem das Subjekt seine Gottesvorstellung in Interaktion mit seiner Umwelt bildet und lebenslang verändert, ist die Kultur ein wesentlicher Bestandteil eben dieser Umwelt und kann Auswirkungen auf die Entwicklung der Gottesvorstellung haben. Inwiefern drücken sich Kulturunterschiede in der individuellen Gottesvorstellung aus? Dieser Frage werden wir unter anderem192 im Folgenden nachgehen.
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Für die vorliegende Untersuchung wurden erwachsene Baptisten befragt. Die Baptisten sind eine protestantische Denomination und zählen mit ihren verschiedenen Gemeindebünden weltweit zu den großen Kirchen des historischen Protestantismus193. Die erste Baptistengemeinde wurde 1609 in Amsterdam 192 Vgl. 1.4 Leitfragen für die Untersuchung, 18. 193 Vgl. Baptist World Alliance: »We represent a fellowship of 228 Baptist conventions and unions comprising a membership of more than 42 million baptized believers and a community of 110 million.« URL: http://www.linkedin.com/company/baptist-world-alliance (Stand 28. 01. 2014) – im Vergleich dazu gibt der Lutherische Weltbund auf seiner Homepage an, weltweit über 70 Millionen Mitglieder mit 142 Mitgliedskirchen in 79 Ländern zu
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gegründet194. Im Folgenden wird kurz auf die Geschichte und Situation der Baptistengemeinden in Österreich sowie auf baptistische Charakteristika eingegangen.
2.2.1 Die Anfänge des Österreichischen Baptismus Betrachtet man den österreichischen Baptismus, ist eine enge Verknüpfung mit dem deutschen, aber auch mit dem englischen und amerikanischen Baptismus erkennbar. Ein Blick in die Geschichte kann die Zusammenhänge erhellen. 2.2.1.1 Die Entstehung des Baptismus auf dem Europäischen Festland195 Die erste Gemeinde »taufgesinnter Christen« wird 1834 in Hamburg durch Johann Gerhard Oncken, der als Bibelkolporteur für die Londoner Kontinentalgesellschaft arbeitet, gegründet. Seit 1823 ist Oncken zunächst für eine, dann für mehrere Bibelgesellschaften tätig. Er, der selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammt, erreicht mit seinen »Erbauungsstunden« vor allem die soziale Schicht der Arbeiter. Die Arbeit der Bibelkolporteure fördert die eigenständige Lektüre der Bibel. 1824 beginnt Oncken dann gemeinsam mit Johannes Rautenberg in der Evangelischen Kirche St. Georg196 den Aufbau einer Sonntagschularbeit, um dem Bildungsnotstand der Hamburger Arbeiterkinder zu begegnen. Einer der Lehrer dieser Arbeit wird später Johann Hinrich Wichern. Hier zeigt sich die Nähe zwischen den Ursprüngen des Baptismus auf dem europäischen Festland und den Anfängen der Inneren Mission der Evangelischen Kirche in Deutschland. Soziales Engagement findet hier unter anderem Ausdruck in der Bildungsarbeit unter den Kindern der Hamburger Arbeiter und Arbeiterinnen. Der Bibel kommt in dieser Bildungsarbeit eine zentrale Rolle zu, werden doch anhand von biblischen Texten Lesen und Schreiben gelehrt und anhand von biblischen Geschichten ethische Anweisungen für den Alltag vermittelt. haben, wobei hier alle getauften Mitglieder, egal welchen Alters, gezählt sind. URL: http:// www.dnk-lwb.de/ (Stand 28. 01. 2014). 194 Vgl. Briggs John H.Y., Die Ursprünge des Baptismus im separatistischen Puritanismus Englands, in Strübind Andrea / Rothkegel Martin (Hrsg.), Baptismus – Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, 3–22, hier 3f. 195 Zum Folgenden vgl.: Donat Rudolf, Wie das Werk begann. Entstehung der deutschen Baptistengemeinden, Kassel 1958; Donat Rudolf, Das wachsende Werk. Ausbreitung der deutschen Baptistengemeinden durch sechzig Jahre (1849 bis 1909), Kassel 1960; Balders Günther (Hrsg.), Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe – 150 Jahre Baptistengemeinden in Deutschland, Kassel 1984. 196 Balders, 150 Jahre Baptistengemeinden, 19.
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Oncken selbst beschäftigt sich durch den engen Kontakt mit englischen Baptisten und angelsächsischen Independentengemeinden mit der Frage der Taufe nach neutestamentlichem Vorbild und auch mit Fragen der Gemeindestruktur.197 Seine eigene Tochter, die 1829 geboren wird, lässt er nicht taufen. 1833 hat er bereits einige Gleichgesinnte um sich gesammelt und äußert dem baptistischen Theologieprofessor Bernhard Sears (Hamilton, New York) gegenüber, dass er und acht bis zehn weitere Personen getauft werden möchten. Sears beschließt mit der Taufe zu warten, um an einer Verfassung für die Gemeinde zu arbeiten. 1834 kommt es dann im April zu der Taufe Onckens und seiner Gruppe durch Sears und damit zur Gründung der ersten Baptistengemeinde auf dem europäischen Kontinent. In den Anfängen verbreitet sich der Baptismus vor allem unter Arbeitern und Handwerkern durch Bibel- und Traktatverteilung. In vielen Städten Deutschlands und den Nachbarländern, vor allem aber in Nord-, Nordwestdeutschland und Berlin entstehen kleine Gemeinden. Die Menschen, die sich in diesen »taufgesinnten« Gemeinden treffen, lesen Bibel und versuchen ihr eigenes Leben und das Miteinander in der Gemeinde so zu gestalten, wie sie es aus dem Neuen Testament heraus verstehen. So wachsen mit der Zeit kongregationalistisch strukturierte Gemeinden, die sich später in einem Bund föderalistisch zusammenfinden, um so auch gemeinsame Aufgaben wahrnehmen zu können198.
2.2.1.2 Die Entstehung des Baptismus in Österreich Nach dem Hamburger Brand 1842 finden Handwerker aus Österreich Arbeit beim Wiederaufbau der Stadt. Zwei von ihnen kommen in Kontakt mit der jungen Baptistenbewegung in Hamburg und beginnen nach ihrer Rückkehr in Wien mit dem Aufbau der ersten Baptistengemeinde in Österreich, u. a. auch unterstützt durch J.G. Oncken.199 Die Anfänge sind mühsam und geprägt von Versammlungsauflösungen durch die Polizei.200 Das Protestantenpatent 1861 ist dann später hilfreich bei der Verbreitung von Literatur, aber die öffentliche 197 Strübind Andrea, »Mission to Germany«, in: Strübind / Rothkegel (Hrsg.), Baptismus, 163– 200, hier 170. – Lange Zeit galt die Auffassung, dass der europäische Baptismus eigene, vom englischen und amerikanischen Baptismus unabhängige Wurzeln hat, die vor allem in der Bibellektüre Onckens und seiner Initiative zur Gründung einer »Gemeinde taufgesinnter Christen« wurzeln. Strübind weist hingegen die vielschichtige Vernetzung der Anfänge des Baptismus mit der englischen Erweckungsbewegung und dem Bestreben amerikanischer baptistischer Missionsgesellschaften, in Deutschland tätig zu werden, nach. 198 Balders, 150 Jahre Baptistengemeinden, 25. 199 Donat, Wie das Werk begann, 421f. Graf-Stuhlhofer Franz (Hrsg.), Frisches Wasser auf dürres Land – Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bundes der Baptistengemeinden in Österreich, Kassel 2005, 14f. 200 Graf-Stuhlhofer, Frisches Wasser auf dürres Land, 17f.
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Ausübung ihres Glaubens bleibt den Baptisten politisch verwehrt.201 Die Gründung der ersten Baptistengemeinde in Wien erfolgt 1869202, in dem Jahr, als per Gesetz zum ersten mal in Österreich der Übertritt von einer Glaubensgemeinschaft in eine andere erlaubt wird.203 Im Unterschied zu den deutschen Baptisten ist es in Österreich nicht erlaubt, schulpflichtige Kinder mit in die Gemeinde zu bringen, sodass sich in Österreich die für den Gemeindeaufbau so wichtige Sonntagsschularbeit zu Beginn erst gar nicht entwickeln kann. Auch versucht die katholische Kirche über behördlichen Druck die Zwangstaufe von Kindern baptistischer Eltern zu erreichen und die Ausbreitung der Bibel zu verhindern.204 1881 werden der Gemeinde in Wien (heute Baptistengemeinde Mollardgasse) dann gottesdienstliche Versammlungen und häusliche Religionsausübung gestattet. Sie bleibt lange Zeit die einzige Baptistengemeinde in Österreich. Von hier aus werden eine Predigtstation in Ternitz, Gemeinden in Agram, Triest, Prag, Pressburg und eine kleine Hausgemeinde in Graz betreut. Erst als amerikanische Baptisten in den 1930er Jahren mit finanziellen und personellen Mitteln den Gemeindeaufbau unterstützen, werden in Wien und Ternitz Gemeindehäuser gebaut und in anderen Teilen Österreichs Hausgemeinden gegründet205. In den 1950er Jahren kommen WienHütteldorf, Salzburg und Bad Ischl hinzu206. Beim Gemeindeaufbau helfen schwedische und amerikanische Baptisten und sogar der Ökumenische Rat der Kirchen, die Mennoniten und die Altkatholiken. Seit 1922 gibt es den »Hilfsverein der Baptisten Österreichs«, der als Rechtsträger für die diakonische Arbeit sowie zum Erwerb und zur Verwaltung von Immobilien dient, da der österreichische Staat den Baptisten bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft vorenthält. 1953 schließen sich die einzelnen Gemeinden zum »Bund der Baptistengemeinden in Österreich« zusammen. Die Baptisten sind seit 1998 staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft207. Die volle Anerkennung
201 AaO., 208. 202 Vgl. Freikirchen in Österreich, URL: http://www.freikirchen.at/baptisten/hintergruende/ (Stand 28. 01. 2014). 203 RGBI. Nr. 13/1869, URL: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundes normen& Gesetzesnummer=10009171& ShowPrintPreview=True (Stand 28. 01. 2014). 204 Donat, Wie das Werk begann, 432f. Vgl. Graf-Stuhlhofer, Frisches Wasser, 209: »Die Behörden hatten sogar den evangelischen Superintendenten damit beauftragt, Kinder aus Baptistenfamilien unter Zwang zu taufen (Missionsblatt 1860, S 68).« 205 Donat, Wie das Werk begann, 438. 206 AaO., 439. 207 In Österreich wird vom Gesetz her unterschieden zwischen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften (RGBl 1874/68, letzte Änderung BGBl 1998/19). Die Verfassung des Bundes der Baptistengemeinden findet sich in: Hirnsperger Johann / Wessely Christian (Hrsg.), Wege
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als Religionsgemeinschaft, die seit 1906 immer wieder angestrebt wurde, erlangen sie gemeinsam mit vier weiteren Freikirchen erst am 26. August 2013208.
2.2.2 Die Situation der Baptisten in Österreich heute Der Baptismus ist in Österreich eine relativ kleine Bewegung. Es gibt derzeit 2.983 Baptistinnen und Baptisten in 28 Gemeinden, Teilgemeinden und Gemeindegründungsprojekten209. Für den Focus dieser Untersuchung sind vor allem die internationale Vernetzung und die verschiedenen Herkunftsländer einzelner Mitglieder oder ganzer Gemeinden und Gemeindegruppen von Bedeutung.
2.2.2.1 Internationalität in den Baptistengemeinden in Österreich Von den 25 Baptistengemeinden in Österreich gibt es 8 Gemeinden mit ca. 860 rumänischsprachigen Baptistinnen und Baptisten und eine internationale Baptistengemeinde mit überwiegend englischsprachigen Mitgliedern, die aus verschiedenen Ländern kommen210. In vielen Gemeinden, gerade in den größeren Städten Salzburg, Linz, Graz und Wien, gibt es neben den österreichischen Mitgliedern auch etliche Mitglieder und Besucher verschiedener Nationalitäten. In einigen Gemeinden gibt es größere ethnische Gruppen (Baptisten aus Nigeria oder Angola, aus dem Iran und Afghanistan, aus Lateinamerika oder den Ländern der ehemaligen UdSSR), die eigene Gottesdienste feiern, sich als ethnische Gruppen treffen oder sogar Teilgemeinden mit eigenen Gemeindestrukturen bilden211. Die Österreichischen Baptisten haben, trotz ihrer geringen Anzahl von Mitgliedern, zahlreiche diakonische Aktivitäten, Initiativen und Vereine. Für unser Thema ist vor allem von Bedeutung, dass sich einzelne Gemeinden immer
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zum Heil? – Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich: Verfassungen und Statuten, Graz 2002. Bundesgesetzblatt der Republik Österreich, URL: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/ 25261/bgbla_2013_ii_250.pdf (Stand 28. 01. 2014). Dazu vgl. auch Zeitschrift öarr 57 (Österreichisches Archiv für recht und religion) Dokumentation zur Fachtagung Religionsfreiheit in Österreich – Zwischen Privilegierung und Diskriminierung, Freistadt 2000, 224–236 – mit Beiträgen von Klimt Walter, Prokschi Rudolf und Schwarz Karl. Stand Dezember 2012. Berichtsheft zur Bundeskonferenz des Bundes der Baptistengemeinden in Österreich 2013, Statistik, 122. Ebd. Klimt Walter, Diakonie, in: Graf-Stuhlhofer Franz (Hrsg.), Frisches Wasser auf dürres Land, 176–186, hier 183.
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wieder in der Arbeit mit Flüchtlingen stark engagiert haben; unter anderem 1950 nach dem Ungarnaufstand, in den 70er Jahren mit ersten Flüchtlingen aus Rumänien – was dann später ab 1989, als durch die Öffnung der Grenzen vermehrt Baptisten aus Rumänien nach Österreich kamen, zur Gründung von rumänischen Gemeinden führte – und ab Mitte der 90er Jahre vor allem mit Asylbewerberinnen und Asylbewerbern aus dem Iran und Afghanistan212. Die österreichischen Baptistengemeinden geben den einzelnen Personen, aber auch kleinen ethnischen Gruppen, Raum in ihren Gemeindestrukturen und leisten durch intensive Begleitung und Unterstützung einen wichtigen Beitrag zur Integration der einzelnen Migranten und Migrantinnen in Österreich213. 2.2.2.2 Internationale Vernetzung Da die Wurzeln des österreichischen Baptismus in der 1834 begonnenen Gemeindebewegung, die von Hamburg ausgehend ihr Netz über den ganzen europäischen Kontinent gespannt hat, liegen, besteht eine besonders große Nähe zum deutschen Bund der Baptisten, dem »Bund Evangelisch Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R.« (BEFG), zu dem neben den Baptistenauch manche Brüdergemeinden gehören214. Zwischen den deutschsprachigen Bünden (Deutschland – Österreich – Schweiz) gibt es einen ständigen Austausch auf mehreren Ebenen; z. B. jährliche Treffen auf Leitungsebene, gegenseitige Einladungen zu Konferenzen und Veranstaltungen215. Die Pastoren und Pastorinnen der deutschsprachigen Bünde sind wechselseitig anerkannt und können durch die Gemeinden aller drei Bünde in einen Dienst berufen werden. Die österreichischen Pastoren sind, da die österreichischen Baptisten über kein eigenes Ausbildungsinstitut verfügen, in Deutschland, der Schweiz, England, Schweden oder USA ausgebildet. Sie haben an Baptistisch Theologischen Seminaren und/oder Evangelischen Fakultäten studiert. Neben den Pastoren gab und gibt es eine breite Gruppe internationaler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind meist vollzeitlich arbeitende Theologinnen und Theologen, die von einer »Missionsgesellschaft« oder einem anderen Baptistenbund, überwiegend 212 AaO., 177. 213 AaO., 181. 214 In Deutschland sind die Brüdergemeinden (damals BfC – Bund freikirchlicher Christen) 1942 aufgrund von drohender Gleichschaltung und Versammlungsverbot in der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Bund der Baptistengemeinden zu einem Bund (BEFG – Bund Evangelisch Freikirchlicher Gemeinden) fusioniert. Vgl. Balders, 150 Jahre Baptistengemeinden, 106f. In Österreich dagegen haben sich die Brüdergemeinden in den letzten Jahrzehnten zum Teil dem BEG (Bund evangelikaler Gemeinden) angeschlossen. 215 Jährliche Treffen finden zwischen den Bundesleitungen Deutschland, Österreich, Schweiz (DACH) statt, um die grenzüberschreitenden Arbeiten zu koordinieren und sich gegenseitig zu unterstützen.
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aus Amerika, ausgesandt sind, um die dünne Personaldecke des Bundes der Baptistengemeinden in Österreich zu verstärken. Seit einigen Jahren gibt es ein wachsendes Engagement durch internationale ehrenamtliche Mitarbeiter, die sich neben einer Erwerbstätigkeit oder einem Studium in Österreich stark in den Gemeinden oder in der Bundesarbeit einbringen. Sie kommen unter anderem aus Deutschland, USA oder Mexiko. 2.2.2.3 Beziehung zu anderen Kirchen in Österreich Gute zwischenkirchliche Beziehungen zeigen sich dadurch, dass der Hilfsverein der Baptisten Mitglied in der Diakonie Österreich und der Bund der Baptistengemeinden im Ökumenischen Rat der Kirchen Mitglied mit beratender Stimme ist. Darüber hinaus gibt es ständige Gespräche innerhalb der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) zur Verbesserung der Kirchengemeinschaft mit den Evangelischen Kirchen Europas, die 2010 in einer gemeinsamen Vereinbarung zur Kooperation mündeten216.
2.2.3 Charakteristika und Selbstverständnis der Baptisten217 Als Teil des weltweiten Protestantismus sind Baptisten eingebunden in das theologische Denken, die theologischen Strömungen und Traditionen des gesamten Protestantismus, was sich regional verschieden zeigt und auswirken kann. Wie andere protestantische Kirchen berufen sie sich auf die Reformation und deren theologische Grundlagen, vor allem auf die Rechtfertigungslehre und das Schriftprinzip218. Der deutschsprachige Baptismus ist in seiner Anfangszeit verbunden mit der deutschen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts und geprägt von lutherischer Lehr- und Frömmigkeitstradition219. Die Baptisten 216 Vgl. dazu auch die zwischenkirchlichen Dialoge in Deutschland: Swarat Uwe, Baptisten im ökumenischen Gespräch – Die jüngsten zwischenkirchlichen Dialoge und ihre Ergebnisse, in: Strübind / Rothkegel (Hrsg.), Baptismus, 229–258, bes. 239–245. Der Dialog wird seit 1999/2000 auf europäischer Ebene zwischen der Europäisch Baptistischen Föderation (EBF) und der GEKE geführt und hat sein vorläufiges Ergebnis am 24. 09. 2010 mit einer Vereinbarung zwischen der GEKE und der EBF, »miteinander kooperierende Körperschaften« zu sein, gefunden (Swarat, 244.). 217 Zum Folgenden vor allem: Hughey J.D., Die Baptisten. Lehre – Praxis – Geschichte, Kassel 1959; Hughey J.D. (Hrsg.), Die Baptisten (Die Kirchen der Welt Band II), Stuttgart 1964 und Baptist Word Alliance, We Baptists, Tennessee 1999. 218 Rothkegel Martin, Freiheit als Kennzeichen der wahren Kirche – Zum baptistischen Grundsatz der Religionsfreiheit und seinen historischen Ursprüngen, in: Strübind / Rothkegel (Hrsg.), Baptismus, 201–225, hier 201. 219 AaO., 202.
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haben weltweit kein eigenes Glaubensbekenntnis220, welches für alle Gemeinden und (Kirchen-)Bünde verbindlich wäre. Dies liegt in ihrem basisdemokratischen Selbstverständnis und ihrer Geschichte begründet. Beim Gründungskongress der Baptist World Alliance (BWA) 1905 wurde lediglich das Apostolische Glaubensbekenntnis gesprochen, auch um keinen Zweifel an der Orthodoxie der baptistischen Gemeinschaft aufkommen zu lassen221. Auch die österreichischen Baptisten haben kein eigenes Glaubensbekenntnis, aber gemeinsam mit den Baptistenbünden der Schweiz und Deutschland einen Kurzkommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis verfasst, die »Rechenschaft vom Glauben«222. Dieser Kommentar dient »der gemeindlichen Unterweisung, der theologischen Besinnung und der Verantwortung des Glaubens nach außen«223. Wichtig ist den Verfassern zu betonen, dass »dieses Glaubensbekenntnis … Ausdruck und Zeugnis der Übereinstimmung der Gemeinden im Glauben« ist und daher »nicht selbst Gegenstand des Glaubens oder bindendes Glaubensgesetz sein« kann224. In ihrer Geschichte haben Baptisten Glaubensbekenntnisse oft exklusiv erlebt. Sie dienten den Kirchen dazu den »rechten« Glauben festzustellen und die, die ein anderes Bekenntnis hatten, auszuschließen225. So haben es Baptisten in verschiedenen Ländern (England, Holland, Deutschland und auch Österreich) in ihren Anfängen von Seiten anderer Kirchen oder des Staates erlebt. Verbindliche Glaubensbekenntnisse vertragen sich im baptistischen Kontext zu manchen Zeiten oder mancherorts schlecht mit dem Grundsatz der Autonomie der Ortsgemeinde oder dem Gedanken der Religionsfreiheit, nach dem 220 Es gibt allerdings eine Vielzahl schriftlicher Glaubensbekenntnisse einzelner Personen, Gemeinden oder Bünde. Vgl. dazu vor allem Rothkegel Martin, aaO. und Rothkegel Martin, Das Taufbekenntnis des Richard Overton von 1643. Ankündigung einer wissenschaftlichen Edition der baptistischen Glaubensbekenntnisse des 17. Jahrhunderts, in: Theologisches Gespräch – Freikirchliche Beiträge zur Theologie 36(2012), Heft 1, 3–20. Hier findet sich eine Fülle von Verweisen auf historische Glaubensbekenntnisse. 221 Purves James, Christology, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 89f. 222 »Diese ›Rechenschaft vom Glauben‹ wurde als gemeinsames deutschsprachiges Glaubensbekenntnis in den Jahren 1974–1977 von einer internationalen Kommission erarbeitet, der Mitglieder aus dem Bund der Baptistengemeinden in Österreich, dem Bund der Baptistengemeinden in der Schweiz, dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR und dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland angehörten.« URL: http://www.baptisten.de/fileadmin/user_upload/bgs/pdf/ Rechenschaft_vom_Glauben.pdf, 10 (Stand 28. 01. 2014). 223 AaO., 1. 224 Ebd. 225 Vgl. Briggs, Credalism, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 128f. Und Briggs, Creeds, Covenants and Confessions of Faith, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 129f.
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jeder und jede frei ist, ein eigenes Bekenntnis zu haben. So werden schriftliche Glaubensbekenntnisse von Baptisten verschiedener Gemeinden und Bünde unterschiedlich bewertet. Das geht von strikter Ablehnung bis hin zur Formulierung eigener persönlicher, gemeindeinterner oder bundesweiter Glaubensbekenntnisse. Während es daher schwierig ist, sich anhand von baptistischen Glaubensbekenntnissen zu informieren, kann man an sogenannten Grundsätzen (Baptist Principles) gut erkennen, was allgemein baptistische Identität ausmacht226. Martin Rothkegel nennt aus europäischer Sicht folgende »Konsenspunkte als Kernbestand baptistischer Identität«: »die Bibel als Richtschnur für Lehre und Leben der Kirche, die Taufe auf das Bekenntnis des Glaubens, das Priestertum aller Gläubigen, die Selbständigkeit der Ortsgemeinde, die Verpflichtung der Christen zu Mission und Evangelisation, Religionsfreiheit einschließlich der Trennung von Kirche und Staat«227.
2.2.3.1 Die Bibel als Richtschnur für Lehre und Leben der Kirche Theologisch knüpfen die Baptisten hier an Luthers Schriftprinzip228 an. Der Bibel kommt schon bei der Entstehung der Baptistengemeinden auf dem europäischen Festland eine bedeutende Rolle zu. Oncken ist in seinen Anfangsjahren als Bibelkolporteur selbst an der Verbreitung von zwei Millionen Bibelexemplaren aktiv beteiligt229. Schon damals wurden die einzelnen Gemeindemitglieder ermutigt, selbst in der Bibel zu lesen, was in anderen Kirchen unüblich war und auch auf offenen Widerspruch traf230. Wie Baptisten die Bibel verstehen, zeigt sich durch die Geschichte hindurch in ihrer Praxis231. Vom Neuen Testament her begründen sie ihre Gemeindeform, ihre Taufpraxis und die Notwendigkeit eines persönlichen Glaubens. Hier finden 226 »Diese Grundsätze, die sich als ein dynamischer, gelebter Konsens charakterisieren lassen, stellen eine spezifisch baptistische Ebene der Lehr- und Konsensbildung dar. Sie dienen zum einen der kurzgefassten Identität nach außen, zugleich ist der Rekurs auf die baptistischen Grundsätze, verbunden mit der jeweils auf die aktuelle Situation zugespitzten Auslegung, ein klassisches Mittel innerbaptistischer Rhetorik, das sich zur Konfliktlösung ebenso eignet, wie zu theologischen Kurskorrekturen und zur Durchsetzung von Innovationen.« (Rothkegel Martin, Freiheit als Kennzeichen der wahren Kirche – Zum baptistischen Grundsatz der Religionsfreiheit und seinen historischen Ursprüngen, in: Strübind Andrea / Rothkegel Martin (Hrsg.), Baptismus – Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, 201–225, 206f.) 227 Ebd. 228 Vgl. »Baptists have been a community of the book, upholding the authority of ›sola scriptura‹.« (Popkes Wiard, Baptist Understanding of the Bible, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 42–44, hier 42.) 229 Balders, 150 Jahre Baptistengemeinden, 19. 230 Donat, Wie das Werk begann, 425ff. 231 Popkes, aaO., 42.
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sie die Verpflichtung zur Mission und zur Umsetzung ethischer Maßstäbe.232 Die Bibel hat von daher auch im Leben der einzelnen Baptisten einen wichtigen Stellenwert. Zu ihrer Glaubenspraxis gehören vor allem auch persönliches Bibelstudium und Gebet. Vom Grundgedanken des »mündigen« Christen und des allgemeinen Priestertums aus versteht sich dann eine dialogische Grundhaltung dem biblischen Zeugnis gegenüber. Einzelne lesen in der Bibel und versuchen im Dialog miteinander (z. B. in kleinen Bibelkreisen), die Bibel zu verstehen und ihre Inhalte nach der Relevanz für ihr Leben abzuklopfen. Die sonntägliche Predigt ist als ein Teil dieses Dialoges zu verstehen. In einigen Baptistengemeinden ist es Tradition, dass die Gottesdienstbesucher ihre eigenen Bibeln mitbringen, um auch während der Predigt die angesprochenen Texte mitzulesen und mitzudenken. Das Gesagte ist immer auch Objekt der Überprüfung durch die Gemeinde. Oft gibt es im Anschluss an den Gottesdienst Predigtnachgespräche, in denen ein engagierter Austausch über die Predigt stattfindet. Die Überprüfung der Predigt durch die Gemeinde entspringt dem Gemeindeverständnis der Baptisten, dass nur miteinander die Wahrheit gefunden werden kann und nicht Eine oder Einer für alle sagen kann, was wahr ist. Das braucht die Aufmerksamkeit und Zustimmung der Adressaten einer Predigt. 2.2.3.2 Die Taufe auf das Bekenntnis des Glaubens233 Ein weiteres wesentliches Merkmal der Baptisten ist die Autonomie der Ortsgemeinde234 und auch die Autonomie der einzelnen Mitglieder in ihrer freien Glaubensentscheidung. Glaube wird hier verstanden und gelebt als eine persönliche Gottesbeziehung, in der die Nachfolge Christi im Leben des/der Einzelnen Gestalt gewinnt. Die Freiwilligkeit hat innerhalb von Baptistengemeinden einen sehr hohen Stellenwert. Jeder Mensch soll sich seinen eigenen Glauben und sein eigenes Glaubensbekenntnis frei wählen können235. Vom Neuen Testament her sehen die Baptisten einen engen Zusammenhang zwischen Buße, Bekenntnis des Glaubens und Taufe236. Es ist von daher üblich, 232 233 234 235 236
Ebd. Hughey, aaO., 28–40 und Baptist Word Alliance, We Baptists, 26f. Siehe dazu ausführlicher unter 2.2.3.4, 70. Hughey, aaO., 119. »Jesus Christus hat seine Gemeinde beauftragt, die an ihn Glaubenden zu taufen. Die Taufe bezeugt die Umkehr des Menschen zu Gott. Deshalb sind nur solche Menschen zu taufen, die aufgrund ihres Glaubens die Taufe fu¨ r sich selbst begehren. Die Taufe auf das Bekenntnis des Glaubens hin wird nur einmal empfangen. Nach der im Neuen Testament bezeugten Praxis wird der Täufling in Wasser untergetaucht. Die Taufe geschieht auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes: Der Täufling wird so der Herrschaft Gottes
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nur Menschen zu taufen, die zuvor ihren Glauben bewusst bekannt haben. Säuglinge und kleine Kinder werden in Baptistengemeinden nicht getauft. Zum einen spiegelt sich hier der Grundgedanke der Mündigkeit oder Autonomie der einzelnen Person wieder. Zum anderen dokumentiert sich hier auch das Verständnis von Gemeinde als eine Versammlung der an Christus Gläubigen. Gemeinde ist für Baptisten die reale, örtliche Versammlung derer, die sich für ein Leben in der Nachfolge Christi entschieden haben und durch die Taufe in diese Gemeinschaft eingegliedert werden. Getauft wird durch Untertauchen der ganzen Person ins Wasser, wie es das im Neuen Testament verwendete Verb baptizein bezeichnet, und was den Baptisten auch ihren Namen eingebracht hat. Taufe ist nach Auffassung der Baptisten nicht heilsnotwenig und hat keinen sakramentalen, sondern einen zeichenhaften Charakter. In der Symbolik des Untertauchens wird an den Tod und die Auferstehung Christi erinnert und ebenfalls symbolhaft verdeutlicht, dass den Getauften ein neues Leben in Christus geschenkt ist237.
2.2.3.3 Das Priestertum aller Gläubigen238 Ein wesentlicher Aspekt im Leben einer Baptistengemeinde ist das vom Neuen Testament her kommende sogenannte »allgemeine Priestertum«239. Angelehnt an die Theologie Luthers ist die Trennung zwischen Klerus und Laien aufgehoben. Da es nur einen Mittler zwischen Mensch und Gott gibt, nämlich Jesus Christus, sind Priester als Heilsvermittler nicht notwendig. Wohl haben aber alle Christen die Aufgabe, anderen Menschen das Evangelium mitzuteilen, und haben in diesem Sinne auch eine »vermittelnde«, priesterliche Aufgabe. Die Taufe kann dann als eine Art Ordination in dieses »Amt« angesehen werden. Außerhalb dieses priesterlichen »Amtes« aller Christen gibt es in einer Baptistengemeinde keine weiteren Ämter. Es gibt nur unterschiedliche Funktionen, die von Einzelnen entsprechend ihrer Begabungen und Fähigkeiten in der Gemeinde wahrgenommen werden. Dabei dient das Bild von der Gemeinde als Leib Christi als Leitgedanke. Alle arbeiten mit und niemand hat dabei einen besonderen Wert oder eine herausragende Stellung. Auch die Pastoren nehmen nur eine Funktion wahr. Jedes Gemeindemitglied kann predigen, taufen und Abendmahl austeilen, wenn es von der Gemeindeversammlung dazu beauftragt wird. Es gibt nichts, was ausschließlich Pastoren tun dürften. unterstellt.« URL: http://www.baptisten.de/fileadmin/user_upload/bgs/pdf/Rechenschaft_ vom_Glauben.pdf, 5 (Stand 28. 01. 2014). 237 Vgl. Römer 6, 3f. 238 Vgl. Priesthood of all believers, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 404f, Balders, 150 Jahre, 215–218. 239 Vgl. 1. Petrus 2,1–10.
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Dieses Konzept von Gemeinde setzt bei den Gemeindegliedern eine hohe Kompetenz und Eigenverantwortlichkeit voraus. Im Zusammenhang mit dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen und der besonderen Gemeindestruktur sprechen die Baptisten gerne vom »mündigen Christen«.
2.2.3.4 Die Selbständigkeit der Ortsgemeinde Die Autonomie der Ortsgemeinde ist in der basisdemokratisch strukturierten Gemeindebewegung der Baptisten ein unverzichtbarer Wert. Innerhalb der Baptistengemeinden eines Landes, Kontinents oder weltweit kann es einen gewissen Konsens in einem beliebigen Betreff geben, und trotzdem haben Gemeinden die Freiheit, gerade in diesem einen Punkt andere Meinungen zu vertreten oder eine andere Praxis zu haben. »Die Baptisten fühlen sich frei, getrennte Wege zu gehen, aber das Bewusstsein der gemeinsamen Aufgabe lässt sie Mittel und Wege zur Zusammenarbeit suchen und finden.«240 In der basisdemokratischen Struktur der Gemeinde ist das höchste Entscheidungsgremium die Gemeindeversammlung, die aus allen Gemeindemitgliedern besteht. Hier werden sowohl Verwaltungsfragen als auch theologische Fragen besprochen und entschieden. Jede Gemeinde ist für sich in allen Belangen selbstständig. Selbst in Lehrfragen ist die entscheidende Größe die Gemeindeversammlung. Baptisten kennen kein Lehramt und, wie oben schon erwähnt, auch kein grundlegendes Bekenntnis, auf das sie sich verpflichten241 Erstaunlicherweise gibt es – trotz der Autonomie der Ortsgemeinde in Lehrfragen – in den Hauptpunkten der Glaubensinhalte eine große Übereinstimmung in den Gemeinden, die der Baptist World Alliance (dem weltweiten Zusammenschluss der regionalen Baptistenbünde) angehören242. Die einzelnen selbstständigen Gemeinden haben sich innerhalb eines Landes in einer föderativen Struktur zu einem Bund zusammengeschlossen, um gemeinsame Aufgaben besser bewältigen und die Baptisten nach außen hin, z. B. im Ökumenischen Rat der Kirchen oder dem Staat gegenüber, vertreten zu können. Immer wieder stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Bund und Gemeinden zueinander stehen und ob der Zusammenschluss als Bund nicht doch die Autonomie der einzelnen Gemeinde in Frage stellt243. 240 Hughey J.D., Die Baptisten. Lehre – Praxis – Geschichte, Kassel 1959, 9. 241 Baptist Word Alliance, We Baptists, 20. 242 Vgl. das Nachwort von Denton Lotz in der Festschrift zum 100jährigen Bestehen der BWA (Baptist World Alliance) – Pierard, Richard V. (Hrsg.), Baptist together in Christ 1905–2005. A Hundred Year History of the Baptist World Alliance, Birmingham/Alabama 2005, 307ff. 243 Vgl. dazu besonders die Beiträge in: Swarat Uwe (Hrsg.), Theologisches Gespräch – Freikirchliche Beiträge zur Theologie, Beiheft 10: Die »Autonomie« der Ortsgemeinden und ihre Gemeinschaft, Kassel, 2009.
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2.2.3.5 Die Verpflichtung der Christen zu Mission und Evangelisation244 Als Konsequenz des allgemeinen Priestertums sind für die Baptisten Mission und Evangelisation Aufgaben eines jeden Christen. Johann Gerhard Oncken prägte schon in den Anfängen der Gemeindebewegung der Baptisten den Slogan »Jeder Baptist ein Missionar«245. Damit ist gemeint, dass Mission nicht an Spezialisten delegierbar ist, sondern jede einzelne Christin und jeder einzelne Christ in der Nachfolge Jesu verantwortlich ist, die Missio Dei, die martyria – diakonia – kerygma – koinonia – und leiturgia umfasst, zu leben. So sehen sich die einzelnen Baptisten von Jesus beauftragt, sein Evangelium in Wort und Tat, z. B. durch die Verkündigung im Gottesdienst und durch tätige Liebe in der Diakonie zu bekunden. Einsatz für Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden gehören genauso zur Mission, wie auch im persönlichen Leben und in privaten Beziehungen, Freunden und Nachbarn gegenüber den Glauben an Jesus Christus zu bezeugen. 2.2.3.6 Religionsfreiheit einschließlich der Trennung von Kirche und Staat246 Der Grundsatz der Religionsfreiheit hat eine Schlüsselbedeutung für das denominative Selbstverständnis der Baptisten247. Weil die Baptisten den eigenen, frei gewählten Glauben für so wesentlich für ihre Mitglieder und die Gestalt ihrer Gemeinden halten, und auch aufgrund der leidvollen eigenen Geschichte und der Erfahrung von Verfolgung und Intoleranz in den ersten Jahrzehnten der Entstehung des Baptismus, setzen sie sich überall für eine umfassende Glaubensund Gewissensfreiheit248 ein, was dann auf der Ebene der Gesetzgebung einen Einsatz für Religionsfreiheit bedeutet249 Auch die Sensibilität für die Verletzung von Menschenwürde und das Kämpfen für die Umsetzung von Menschenrechten sind integraler Bestandteil baptistischer Glaubenspraxis250. Das hat in den Anfängen des Baptismus in den 244 Baptist Word Alliance, We Baptists, 32f, Balders, 150 Jahre, 222–224. 245 Vgl. Priesthood of all Believers, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009,405 und Penner Peter F., Mission, Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 330f und Hughey, Baptisten, 57. 246 Vgl. Rothkegel Martin, Freiheit als Kennzeichen der wahren Kirche – Zum baptistischen Grundsatz der Religionsfreiheit und seinen historischen Ursprüngen, in: Strübind Andrea / Rothkegel Martin (Hrsg.), Baptismus – Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, 201– 225, vgl. auch Art. Religious Liberty, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 425f. 247 Rothkegel, Freiheit, 212. 248 Wood James E., Baptists and Human Rights, McLean/Virginia 1997, 5. 249 Hughey, Baptisten, 82ff. 250 »In our faith, our prayer and our live, we can no longer bypass those whose human dignity is
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USA seinen Niederschlag in der Verfassung Virginias und auch in der der USA gefunden. An der Abfassung waren Baptisten beteiligt, die von England nach Amerika aufgrund von eingeschränkter Religionsfreiheit ausgewandert waren. Weltweit gibt es auf allen politischen Ebenen ein großes Engagement von Baptisten für Menschenrechte, z. B. hat die Baptist World Alliance von Anfang an einen Sitz in der Menschenrechtskommission der UNO. Eine wesentliche Voraussetzung für umfassende Religionsfreiheit ist für Baptisten die strikte Trennung von Staat und Kirche251. »Der Staat darf die Kirche weder kontrollieren noch unterstützen; er darf auch ihre freie Wirksamkeit im Bereich des geistlichen Lebens und der religiösen Beziehungen nicht hindern; die Kirche schuldet dem Staat ethische und moralische Unterstützung, sie soll beitragen zu guter Staatsbürgerschaft, Kontrolle über den Staat jedoch weder suchen noch übernehmen.«252 Nur so kann, nach baptistischer Auffassung, die individuelle Freiheit, einen Glauben zu wählen und auch die Freiheit, die innere und äußere Gestalt der jeweiligen Kirche wachsen zu lassen, gewährleistet sein. Baptisten setzen sich deshalb nach ihren Möglichkeiten für diese Trennung von Staat und Kirche ein. Zusammenfassung Diese kurze Darstellung der Baptisten in Österreich zeigt, dass die Bewegung der Baptisten historisch aus dem klassischen Protestantismus erwachsen ist und zur Zeit der Erweckungsbewegung in England und später auch auf dem europäischen Festland Verbreitung fand. Heute sind die Baptisten weltweit eine der größten protestantischen Kirchen. Die Geschichte der Baptisten in Österreich ist geprägt durch Skepsis von Seiten des Staates und der daraus folgenden Verweigerung der Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Erst seit 1998 befinden sie sich zunächst im Status einer staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaft. Ab August 2013 wird ihnen endlich die volle Anerkennung als Religionsgemeinschaft gemeinsam mit vier weiteren Freikirchen zuteil. Zahlenmäßig sind die Baptisten in Österreich klein und geprägt von internationaler Vernetzung. Innerhalb der einzelnen Gemeinden, vor allem in größeren Städten, gibt es zahlreiche Personen mit Migrationshintergrund. Fast ein Viertel der österreichischen Baptisten haben rumänischen Hintergrund. Was Baptistengemeinden weltweit verbindet, lässt sich eher an den sogenannten Baptist Principles, den baptistischen Grundsätzen, als an einzelnen being denied. Our commitment to the struggle for the implementation of human rights becomes an essential part of our faith in the Trinitarian God.« (Baptist World Alliance, We Baptists, 86.) 251 Briggs, Seperation of Church and State, in: Briggs John H.Y. (Hrsg.), A Dictionary of European Baptist Life and Thought, London 2009, 457f. 252 W.O. Carver zitiert bei Hughey, Baptisten, 121f.
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Glaubensbekenntnissen erkennen. Wesentliche inhaltliche Punkte sind dabei die Bibel als Grundlage für Glauben und Leben, die freie Entscheidung der einzelnen Person, ihren Glauben zu wählen und die Freiheit ihn zu bezeugen, das allgemeine Priestertum aller Gläubigen, die Selbstständigkeit der Ortsgemeinde und der Einsatz für Religionsfreiheit und die damit verbundene Trennung von Kirche und Staat.
2.3
Methoden
2.3.1 Untersuchungsansatz Das Vorgehen im Rahmen dieser Untersuchung orientiert sich an der Methode der entdeckenden Sozialforschung253. Die qualitativ-heuristische Methodologie gibt Anleitung zu einem Entdeckungsprozess, der auf dem Dialog zwischen Forschungsperson und Forschungsgegenstand basiert. Der zu untersuchende Gegenstand ist zu Beginn der Forschung noch weitgehend unbekannt. Durch den Dialog wird der Gegenstand »entdeckt« und so erst im Laufe des Forschungsprozesses wirklich bekannt: Die Forschungsperson betrachtet den Gegenstand mit bewusstem Vorverständnis, erfährt in der Betrachtung Neues über den Gegenstand und ändert ihr Verständnis des Gegenstandes, dann überprüft sie die neue Information aus einer anderen Perspektive und erhält auf diesem Weg mehr Informationen. Dadurch geschieht eine größere Annäherung an den »nun veränderten« Gegenstand. So wird das Erkenntnispotential eines realen Dialogs durch ein regelgeleitetes Vorgehen in ein wissenschaftliches Entdeckungsverfahren verwandelt.254 Teil des Dialogprinzips sind folgende vier Regeln255, die »die methodologische Haltung der Forschungsperson beeinflussen und die Untersuchungsanlage optimieren sollen«256 : (1) Die Offenheit der Forschungsperson. Eine Bewusstmachung ihres eigenen Vorverständnisses ist für die Forschungsperson unbedingt notwendig. Die Bereitschaft zur Veränderung desselben, wenn die Daten ihm entgegenstehen, ist Voraussetzung für den Dialog. 253 Kleining Gerhard, Lehrbuch entdeckende Sozialforschung. Bd. 1. Von der Hermeneutik zur qualitativen Heuristik, Weinheim 1995, 225–326. 254 Vgl. Szagun, Anna-Katharina, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006, 45. 255 Kleining, Sozialforschung, 228. 256 Kleining, Sozialforschung, 263.
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(2) Die Offenheit des Forschungsgegenstandes. Der Gegenstand ist erst am Ende des Forschungsprozesses bekannt. Während des Dialoges geschieht eine Annäherung an den Forschungsgegenstand. (3) Eine maximale strukturelle Variation der Perspektiven. Der Gegenstand soll von möglichst vielen verschiedenen Seiten betrachtet werden. Hier z. B. durch persönliche Gespräche, Fragebögen zu verschiedenen Themen und Positionierungen. (4) Eine Analyse der Gemeinsamkeiten. Die Daten werden auf Ähnlichkeiten und Analogien hin untersucht und zusammengestellt. Vor allem in der Verschiedenheit wird nach Gemeinsamkeiten gesucht. Die Grundmethoden sind Experiment und Beobachtung. Ein Teil des Entdeckungsverfahrens sind Datenzusammenstellungen (Samples). Drei Entdeckungsstrategien sollen diesen zielgerichteten Prozess steuern. Sie sind als formale Anweisungen zu verstehen: (1) Maximierung / Minimierung. Diese Strategie folgt der dritten Regel. Durch Maximierung und Minimierung sollen die Grenzen des Forschungsgegenstandes herausgearbeitet werden. (2) Testen der Grenzen. Was ist das Gemeinsame im Anderen? Die Trennung von innen und außen dient hier der vierten Regel: Wie weit reichen die Gemeinsamkeiten, sind sie evtl. geschlechts-, alters-, schicht-, generationenspezifisch, national oder kulturell bezogen? (3) Anpassung der Gedanken an die Tatsachen. Hier finden die ersten beiden Regeln Anwendung. Die Forschungsperson soll ihre ›epistemische Struktur‹ an die beobachteten Besonderheiten des Gegenstandes annähern. Eine allgemeine Offenheit reicht nicht aus. Dieses heuristische Verfahren beginnt beim Konkreten, führt unter Anwendung der Regeln zum Abstrakten – die Ausgangsdaten sind in der Abstraktion »aufgehoben« – und geht wieder zurück zum Konkreten, das nun ein analysiertes, erkanntes, neu geordnetes Konkretes ist. Der Beginn des Forschungsprozesses ist beliebig, er endet, wenn durch weitere Variation keine neuen Ergebnisse mehr gewonnen werden können. Eine 100 % Regel stellt sicher, dass keine Daten ausgeschlossen werden.
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Die Prüfverfahren sind: (1) Prüfung nach Validität. Hier werden die angewandten Verfahren daraufhin überprüft, ob mit ihnen tatsächlich eine größere Annäherung der Forschungsperson an den Gegenstand ermöglicht wird. (2) Prüfung nach Reliabilität. Sind die Untersuchungsmethoden verlässlich? In dem heuristischen Verfahren sind sie durch die Anwendung der Regeln verlässlich, damit eine optimale Veränderung der Perspektiven immer mehr Information über den Gegenstand hervorbringt und so aus den anfänglich vielen verschiedenen Bildern ein geschlossenes Ganzes werden kann. (3) Prüfung nach Geltung. Die Geltung der Methoden wird erforscht, nicht gesetzt. Diese Verfahren sind in den Forschungsprozess integriert und ergeben sich bei regelgerechter Anwendung von selbst.
2.3.2 Forschungskontext der vorliegenden Untersuchung Die vorliegende Untersuchung steht in Verbindung mit einer größeren Untersuchung257, die ebenfalls nach dem entdeckenden Verfahren arbeitet. In einer Längsschnittuntersuchung wurde in Rostock seit 1999 die Gottesvorstellung von ca. 60 Kindern aus nicht religiös sozialisiertem Umfeld untersucht. Die Untersuchung beinhaltet Entwicklungsverläufe über 4 bis 9 Jahre von Kindern im Alter von 6 bis 19. Neben den Rostocker Kindern wurden an einer Hamburger Bekenntnisschule (als Querschnittsample) 15 Kinder untersucht, in Lettland 29 Kinder in Kinderheimen über 18 Monate wiederholt befragt und 15 evangelische Kinder in einer katholischen Konfessionsschule (ebenfalls als Querschnittsample) einmalig befragt258. Die Daten der vorliegenden Untersuchung von Erwachsenen – mit verschiedenem kulturellen Hintergrund in einem spezifischen kirchlichen Kontext – kann der maximalen Steigerung der Perspektiven zum Untersuchungs257 Szagun, Anna-Katharina, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2006; Szagun, Anna Katharina und Fiedler, Michael, Religiöse Heimaten, Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, Jena 2008 und Fiedler Michael, Strukturen und Freiräume religiöser Sozialisation – Religiöse Sozialisation und Entwicklung von Gotteskonzepten bei Kindern aus Familien im konfessionslosen Kontext Ostdeutschlands, Jena 2010. 258 Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, 40f.
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gegenstand »Gottesvorstellungen« im oben genannten Sinn der heuristischen Methodologie dienen.
2.3.3 Das praktische Untersuchungsverfahren In der vorliegenden Untersuchung an Erwachsenen werden zum großen Teil Untersuchungsmethoden der Rostocker Studie an Kindern – im Folgenden als »Rostocker Methodenrepertoire« bezeichnet – verwendet. Dadurch sind die Daten zum einen vergleichbar und zum anderen sind die Methoden durch die Rostocker Untersuchung in langjähriger Erfahrung erprobt. Zum Teil wurde das Rostocker Methodenrepertoire aber für die erwachsenen Teilnehmenden modifiziert. Solche Modifizierungen sind an entsprechender Stelle gekennzeichnet. Untersucht wurden das Gottesverständnis und die Gottesbeziehung von 36 erwachsenen Baptistinnen und Baptisten mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund. Es handelt sich um 4 Samples259 mit je 9 Personen, von denen je 6 Interviews in der vorliegenden Arbeit ausgewertet sind. – Sample 1: Baptisten aus einer Latinogemeinde in Österreich. Ihre Ursprungsländer sind u. a. Mexiko, Guatemala, Dominikanische Republik, Venezuela. – Sample 2: Rumänischsprachige Baptisten, die in Österreich leben. – Sample 3: Farsisprachige Baptisten, die in Österreich leben. Ihre Ursprungsländer sind Iran und Afghanistan. – Sample 4: Deutschsprachige Baptisten aus Österreich.260 2.3.3.1 Warum Visualisierungen? 1. Visualisierungen bringen innere Bilder nach außen. Die Gottesvorstellungen der untersuchten Personen wurden zum einen durch Materialcollagen261 zu einer Gottesmetapher262, zum anderen durch Positionie259 Es gibt noch ein weiteres Sample 5: Baptisten aus dem südlichen Afrika: Südafrika und Mosambik. Im Zuge der Bearbeitung stellte sich heraus, dass die vorliegende Arbeit zu umfangreich würde. Darum wird das Sample zu gegebener Zeit an anderer Stelle erscheinen. 260 Zu diesem Sample gibt es im Rahmen einer Diplomarbeit (Klimt Andrea, Gottesvorstellung baptistischer Erwachsener, Diplomarbeit an der Universität Wien, 2003) eine Voruntersuchung. Einige der Erwachsenen, die 2002 befragt wurden, wurden für die vorliegende Arbeit noch einmal interviewt. Ursprünglich sollte der Vergleich zwischen beiden Interviews in die Auswertung mit einfließen. Das wurde aufgrund der Fülle des Materials fallen gelassen. 261 Vgl. 2.3.4.1 Materialcollage zu einer Metapher, 81. 262 Vgl. 2.3.3.2 Warum Arbeit mit Metaphern?, 79.
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rungen263 der momentanen Distanz- bzw. Näheverhältnisse in unterschiedlichen Gefühlslagen zu Gottessymbolen visualisiert. Visualisierungen wurden vor allem deshalb verwendet, um diese Untersuchung analog zum Rostocker Methodenrepertoire zu gestalten. So werden die Daten der Kinder und die der Erwachsenen in gewisser Hinsicht vergleichbar. Für die Rostocker Untersuchung an Kindern gibt es eine Vielzahl von Gründen, die für das Arbeiten mit Visualisierungen sprechen.264 Unter anderem gelten »… visuelle Gestaltungen von Kindern als komplexes Produkt innerer und äußerer Strukturierungen«265. Deshalb werden Visualisierungen auch in Diagnose und Therapie verwendet266. Dies gilt auch für Erwachsene. Als Beispiel sei hier nur das Arbeiten in Methodenvielfalt in Gestaltberatung und -therapie genannt. Dort dienen Visualisierungen dazu »eine Struktur aus Phänomenen herauszukristallisieren, Vorhandenes prägnanter werden zu lassen. Das innere Thema soll aus den äußeren Themen aufsteigen«267. Innere Bilder werden durch kreative Medien nach außen gebracht und anschaulich gemacht. 2.
Visualisierungen erhellen die Tiefendimension der individuellen Gottesvorstellung. In der Reflexion über diese Visualisierungen können Aspekte bewusst werden, die bei der Gestaltung, z. B. einer Materialcollage vom »Produzenten« gar nicht bewusst intendiert waren. »Der Zugang zu unbewusstem Material ist meist viel direkter als bei der Arbeit mit sprachlichem Ausdruck.«268 Erinnert sei auch an das Arbeiten mit dem Systembrett im Coaching, das den hier verwendeten Positionierungen ähnlich ist. Das Familien- oder Systembrett wurde 1978 von Kurt Ludewig entworfen und dient als Kommunikationshilfe in der systemorientierten Beratungsarbeit. Visualisierungen helfen also einerseits dazu, die Tiefendimension der Gottesvorstellung zu erhellen, und andererseits als Kommunikationshilfe. Ein nachfolgendes Gespräch bezieht sich auf die jeweilige Collage oder Positionierung, so wird es den untersuchten Personen ermöglicht über ihre Gedanken und Gefühle zu sprechen269. 263 264 265 266 267 268 269
Vgl. 2.3.4.3 Positionierungen, 88. Vgl. Szagun, Sprache, 2006, 54–57. Szagun, Sprache, 2006, 54. Ebd. Schneewind, Kutschenbecker 1983, zitiert bei Rahm, Gestaltberatung, Paderborn 2004, 239. Rahm und andere, Einführung in die Integrative Therapie, Paderborn 1999, 417. Vgl. Szagun, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, 57. Hier wird vor allem auf die Unterstützung der Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit der Kinder durch das Gespräch über die konkrete Gestaltung hingewiesen. Auch im Gespräch mit Erwachsenen hilft eine anschaulich gemachte Metapher zu einem konzentrierten Gespräch, aber darüber hinaus ermöglicht die Visualisierung auch ein leichteres Ansprechen der emotionalen Dimension der Gottesvorstellung, der Gottesbeziehung.
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3.
Visualisierungen fördern den emotionalen Aspekt der Gottesvorstellung zu Tage. Im Falle der hier untersuchten Gruppen handelt es sich um Personen innerhalb eines spezifisch konfessionellen Umfeldes. In der Denomination der Baptisten hat weltweit das eigene Lesen der Bibel einen sehr hohen Stellenwert270. Hier liegt ein weiterer Vorteil des Einsatzes von Visualisierungen auf der Hand. Ein rein kognitives Gespräch über Gottesvorstellung hätte dazu führen können, dass die Antworten sich im Wortlaut sehr stark auf erlernte oder vertraute biblische Gottesvorstellungen beziehen. Wie zu sehen ist, sind Bibelzitate aber recht wenig verwendet worden. In den Antworten spiegelt sich eine eigene Denk- bzw. Fühlleistung der Befragten wider, die unter anderem dank der Visualisierungen und der Gespräche darüber möglich wurde. So hat sich die Arbeit mit Visualisierungen in einer Untersuchung mit Erwachsenen gerade im Hinblick auf die emotionale Dimension der Gottesvorstellung, die der Gottesbeziehung, als sinnvoll erwiesen.
2.3.3.2 Warum die Arbeit mit Metaphern? 1. Metaphern erschließen Aspekte von Wirklichkeit. Auf die Grundfrage, ob Metaphern die Erkenntnis der Wirklichkeit verstellen oder erschließen, antwortet Bernhard Debatin271, dass Metaphern, da sie eine reflexive und auch selbstreflexive Struktur haben, sehr wohl zum Erschließen von Wirklichkeitsaspekten beitragen können. Eine Metapher anzuwenden stellt schon eine eigene Reflexionsleistung dar. Metaphern stellen eine Verbindung her zwischen zwei »Gegenständen«, dem mit der Metapher bezeichneten Gegenstand und dem in der Metapher enthaltenen Bild. Zugleich schaffen sie aber auch eine Differenz. Es wird deutlich, der bezeichnete Gegenstand ist nicht der ausgesagte, der bezeichnete »ist wie…« der ausgesagte Gegenstand, »as if«272. Metaphern spiegeln verschiedene Aspekte der Wirklichkeit wieder und setzen eine rationale Auseinandersetzung mit der erfahrenen Wirklichkeit in Gang. Wenn Metaphern zu wörtlich genommen werden, besteht die Gefahr der Mythenbildung273. Wenn Metaphern aber hinterfragbar bleiben und mit ihnen 270 2.2.3.1 Die Bibel als Richtschnur für Lehre und Leben der Kirche, 68. 271 Debatin Bernhard, Metaphorical ikonoclasm and the reflective power of metaphor, in: Debatin Bernhard / Jackson Timothy J / Steuer Daniel (Hrsg.), Metaphor and rational Discourse, Tübingen 1997, 147–158. 272 Ebd. 273 Vergleiche auch die lange Geschichte der Metaphernkritik, die Debatin in seinem Aufsatz (Vgl. Anmerkung 271) kurz darstellt.
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selbst- und kontextbezogen umgegangen wird, dienen sie durchaus als rationale Mittel, Aspekte von Wirklichkeit sprachlich zu erschließen. Metaphern können kraftvolle Sprachbilder sein, deren Reflexion neue Perspektiven und Vergleichspunkte eröffnet274. 2. Metaphern sind die der Gottesvorstellung angemessene Sprache. Metaphern sind also das geeignete Mittel, um Gottesvorstellungen in Bild und zur Sprache zu bringen. Sie bezeichnen eine Gottesvorstellung, weisen aber zugleich darauf hin, dass der bezeichnete Gegenstand, in diesem Falle Gott, nicht genau so ist, sondern er »ist wie…« oder er »ist als…«. »Die Metapher markiert den Ort der Theologie im Spannungsfeld zwischen Mythos und Metaphysik. Metaphern sind unscharfe Bilder, die uns einen Sachverhalt gerade durch ihre Unschärfe präziser vermitteln können als die Sprache exakter Begriffe. Sie sagen nicht, was die Dinge sind, auch nicht wie sie sind, sondern als was sie sind; gerade auf diese schiefe Weise – so Paul Ricoeur – sagen sie, was sie tatsächlich sind.«275 In der späteren Reflexion über die Metapher bzw. über die aufgrund der Metapher erstellte Materialcollage, erschließen sich dann Teile der Gottesvorstellung aus unterschiedlichen Perspektiven. Die begriffliche Unschärfe bleibt, aber die Metapher hat durchaus eine hermeneutische Funktion. Sie verbindet die Seiten der Gotteserfahrung und der Rede darüber, sie »übersetzt«, »überträgt«, was ja auch der wörtlichen Bedeutung des griechischen metapherein entspricht276. Darüber hinaus weist Szagun277 darauf hin, dass sich bezüglich der Unverfügbarkeit der Wirklichkeit Gottes eine Sprache mit Verfügungsanspruch verbietet. Wilfried Härle stellt in seiner Dogmatik die Verwendung von Metaphern als angemessene Sprache der Gottes- und Welterkenntnis heraus. »Die Sprache, die der Gottes- und Welterkenntnis, also der Wirklichkeitserkenntnis des christlichen Glaubens allein angemessen ist, ist … die der Metaphern, also der Worte und anderer Zeichen in einer übertragenen Bedeutung, die über ihre wörtliche Bedeutung hinausreicht und gerade so neuen Erfahrungs- und Denkmöglichkeiten Ausdruck verleiht. Metaphern sind im Zusammenhang mit dem Reden von Gott und der Welt nicht (bloß) Elemente der ästhetischen 274 Ebd. 275 Körtner Ulrich, Die Kunst der Unterscheidung – Hermeneutik der Grenze und topisches Denken aus theologischer Sicht, in: Körtner Ulrich, Hermeneutische Theologie, Neukirchen-Vluyn 2008, 35–50, hier 43 mit dem Verweis auf: Ricoeur Paul, Stellung und Funktion der Metapher in der biblischen Sprache, in: Ricoeur Paul / Jüngel Eberhard, Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache, München, 1974, 45–70. 276 Körtner, aaO., 44. 277 Szagun, Sprache, 2006, 65 und Religiöse Heimaten, 2008, 15.
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Ausgestaltung und Verfeinerung der Sprache, sondern sie machen deren Substanz aus. Eine andere Sprache steht für die Wirklichkeitserkenntnis des christlichen Glaubens nicht zur Verfügung.«278 3.
Es ist eine Aufgabe der Religionspädagogik »Metaphernkompetenz« zu fördern. Im Laufe der Untersuchung ist während der einzelnen Gespräche und in Nachgesprächen deutlich geworden, dass die Arbeit mit Metaphern für die befragten Personen zunächst ungewohnt war, aber sehr positiv aufgenommen wurde. So wurde es ihnen möglich, eine eigene, individuelle und aktuelle Gottesvorstellung zu formulieren. Die untersuchten Erwachsenen haben eine Vielzahl an individuell verschiedenen Metaphern gebildet. Wenn nach Härle dies für den christlichen Glauben die angemessene Sprache der Welt- und Gotteserkenntnis ist, ist eine Aufgabe der Religionspädagogik in der Arbeit mit Kindern und Erwachsenen, Metaphernkompetenz zu fördern und zu erweitern. Die Rostocker Untersuchung an Kindern und auch diese Untersuchung an Erwachsenen erfüllt, quasi als Nebenprodukt, diesen Bildungsauftrag, indem sie nicht nur mit vorhandenen Gottesmetaphern arbeitet, sondern Kinder und Erwachsene dazu animiert, ihre je eigenen Metaphern zu finden.
2.3.4 Konkretes Untersuchungsdesign 2.3.4.1 Materialcollage zu einer Metapher Je nach Untersuchungsumfeld wurde mit einzelnen Personen oder in kleinen Gruppen gearbeitet. Begonnen wurde mit einer kurzen und schlichten Einführung in das Bilden von Metaphern. Einfache Fragen wie »Was kann ich zu einem geliebten Menschen sagen? Du bist wie ein/eine …?« oder »Ich fühle mich heute wie …?« sollten deutlich machen, was eine Metapher ist und wie sie gebildet wird. Anschließend wurden die Teilnehmenden aufgefordert, darüber nachzudenken, welcher Aspekt von Gott ihnen in diesem Moment der Untersuchung gerade wichtig ist. Es wurde sehr bewusst darauf eingegangen, dass es im Hier und Jetzt der Untersuchung nur um einen Aspekt gehen kann, der auch gerade jetzt in seiner Wichtigkeit für die einzelne Person Gültigkeit hat. Sobald die Einzelnen einen Aspekt, der ihnen an Gott wichtig ist, gefunden hatten und dies durch Kopfnicken bestätigten, wurden sie nun eingeladen, eine Metapher für diesen Aspekt zu finden. Zunächst schien diese Aufgabe ungewohnt, aber sie wurde gerne ent278 Härle Wilfried, Dogmatik, Berlin/New York 20002, 224f. – vgl. Szagun, Sprache, 65.
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gegengenommen und war von allen Teilnehmenden in relativ kurzer Zeit zu erfüllen. Nachdem die Einzelnen je für sich Metaphern zu einem Aspekt Gottes gebildet hatten, wurde das »Materialbuffet eröffnet«. (1) Was ist eine Materialcollage? Um die eigene Metapher zu gestalten, wurden die untersuchten Personen gebeten, eine Materialcollage zu erstellen. Auf einem Tisch oder am Boden waren zu Beginn der Untersuchung schon verschiedene Materialien vorbereitet, aber noch zugedeckt (das Materialbüffet). Nachdem alle »ihre« Metapher gefunden hatten, wurden die Materialien aufgedeckt: Schrott, Obstnetze, Scherben, Naturmaterialien, Stoffreste, verschiedene Bänder, Kabel, Ton, Draht und vieles mehr. Aus diesen Materialien sollte nun auf einer Unterlage die Metapher gestaltet werden. Die Teilnehmenden wurden auch dazu eingeladen, sich durchaus von diesen Materialien inspirieren zu lassen und ihre Metapher im Laufe des Gestaltungsprozesses so »wachsen« zu lassen. Um die Materialien miteinander zu verbinden, gab es nur Draht oder Ton. Nichts wurde geklebt oder fest verbunden. Damit ist deutlich, es handelt sich hier um eine Momentaufnahme und nicht um ein festzementiertes Gottesbild. Im Anschluss an das Gespräch wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Materialcollage wieder auseinander zu nehmen und die Materialien dem Buffet wieder zuzuführen. (2)
Warum Arbeiten mit Materialcollagen?
1. Das Arbeiten mit Materialcollagen ist prozessorientiert. Das Arbeiten mit Altmaterialien hat gegenüber dem Gestalten mit Ton oder dem Malen von Bildern mit Farben diverse Vorteile. Wenn Erwachsene dazu aufgefordert werden, etwas zu basteln, besteht stets die Gefahr, dass sie am Ende ein möglichst schönes Produkt, eine exakte Abbildung ihrer Vorstellung hergestellt haben möchten. Dies ist eine Erfahrung, die in Seidenmalkursen, Töpferkursen oder in der Gestaltarbeit mit Erwachsenen immer wieder gemacht werden kann. Es gibt eine konkrete Vorstellung davon, wie ein Bild aussehen soll. Der Produzent, die Produzentin schafft jedoch nicht die exakte Konstruktion und ist dann enttäuscht. Viel Energie fließt in den Gedanken an das Endprodukt. Mit Materialcollagen ist ein anderes Arbeiten möglich. Es ist prozessorientiert, nicht ergebnisorientiert. Zu Beginn schon ein konkretes Ergebnis vor Augen zu haben, ist zunächst, aufgrund der Unkenntnis der Materialien und dem fehlenden Vorstellungsvermögen, wie die Altmaterialien in Kombination zueinander am Ende aussehen könnten, nicht möglich.
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2.
Durch das Arbeiten an der Materialcollage beschäftigen sich die einzelnen Personen intensiv mit sich und ihrer Gottesvorstellung. Im Verlauf der Produktion verändert sich, auch durch das Entdecken neuer Materialien am Buffet, manches Mal noch etwas an der ursprünglichen Vorstellung. Zur Metapher »Gott ist wie ein Netz, das mich auffängt« kommen durch das Entdecken einer kleinen Blume und ein paar Scherben noch die Aspekte – »Gott macht etwas Neues aus den Scherben meines Lebens« und »ich darf wachsen wie eine schöne Blume« – hinzu279. Im Laufe des Erstellungsprozesses der Materialcollage erleben die einzelnen Produzenten eine Erweiterung und Veränderung ihrer Metapher. Ein wenig mehr ihrer eigenen Geschichte, ihrer Gottesbeziehung fließt in die Materialcollage mit ein. Von außen beobachtet ist das Gestalten einer Materialcollage ein kreativer Akt, in dem sich die Einzelnen intensiv mit sich und ihrer Gottesvorstellung auseinandersetzen. Nicht selten wird diese kreative Phase von kleinen AhaErlebnissen begleitet. Durch neue Einfälle, das Entdecken weiterer Materialien werden neue Aspekte der eigenen Gottesvorstellung bewusst. In der Kombination der gebildeten Metapher mit der Materialcollage werden vorgegebene oder eingeübte Denkmuster gesprengt. Einerseits ist unter den Metaphern selten ein vorgeprägtes biblisches Bild für Gott zu finden, aber selbst wenn, wird durch die Materialcollage dieses evtl. übernommene Bild im Gestaltungsprozess von der Produzentin, dem Produzenten individuell angeeignet, zur eigenen Metapher umgeformt. Nicht selten bezeichnen die Beteiligten im Nachgespräch den Akt des Gestaltens der Materialcollage selbst als ein »spirituelles« Erlebnis, eine Art Gottesbegegnung. Ähnlich einer Meditation, wird hier der Gedanke an den einen Aspekt, der gerade an Gott wichtig ist, immer und immer wieder bewegt und von mehreren Perspektiven aus betrachtet und gestaltet. Diese Betrachtung findet dann ihre Fortsetzung im halb strukturierten Nachgespräch. Dort werden weitere Aspekte und Ebenen der Darstellung »ent-deckt«, die vom Produzenten vielleicht gar nicht bewusst intendiert waren. In jeder Collage werden auch tiefere Schichten unbewusst ausgedrückt. Jede Collage enthält viel mehr, als der Person augenblicklich zugänglich ist, und auch mehr, als im nachfolgenden Prozess der Entdeckung durch das Gespräch aufgedeckt wird. 2.3.4.2 Nachgespräch zur Materialcollage Inghard Langer hat in der psychologischen Forschung die Methode des persönlichen Gesprächs etabliert280. Hier wird gerade die Subjektivität der For279 Vgl. 3.3.2 Miguel, 195. 280 Langer Inghard, Das persönliche Gespräch in der psychologischen Forschung, Köln 2000.
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schungsperson als Stärke mit in die Forschung eingebracht. Die Forschungsperson führt in verstehender Resonanz281 ein persönliches Gespräch mit den jeweiligen untersuchten Personen. Jedes Gespräch wird als eine Art Einzeluntersuchung verstanden282. Eine wesentliche Voraussetzung dieser Forschungsmethode ist die weitgehende Hypothesenfreiheit. Gerade weil es sich in dieser Art psychologischer Forschung um persönliches Wissen zu Lebensthemen handelt, sollte die Forschungsperson, um wirklich offen zuhören zu können, sich möglichst von vorgefassten Vorstellungen bzw. Hypothesen frei machen. Dies ist besonders zu beachten, da die Gefahr besteht, dass die Forschungsperson aufgrund ihrer Vorentscheidungen durch Mimik, Gestik, Anteilnahme oder eben nicht Anteilnahme dem Gegenüber zu verstehen gibt, welche Akzente, Aspekte und Antworten in die richtige Richtung gehen und welche eben nicht. Auch könnte der Eindruck entstehen, dass die Forschungsperson ihr Gegenüber von »oben herab behandelt«. »Wenn wir das, was uns anvertraut wird, nach einem festgelegten theoretischen Modell aufnehmen und bewerten, fühlen sich die Personen in ihrer Lebenswirklichkeit nicht gesehen, in ein Konzept gepresst…«283 Die Methode des persönlichen Gesprächs nach Langer korrespondiert mit der Offenheit der Forschungsperson in der heuristischen Sozialforschung, die ja Grundlage dieser Untersuchung ist284. (1) Warum persönliches Gespräch? Das eigene Gottesverständnis und die individuelle Gottesbeziehung gehören in den Bereich des inneren Erlebens und damit eher in den Bereich der Privatsphäre. Es handelt sich hier um sehr persönliche Details des eigenen Lebens und Erlebens mit »Gott«. Wer solches Wissen preisgibt, macht sich verletzlich. Zwar mag es im vertrauten Umfeld der eigenen Kirchengemeinde kein Problem sein, darüber zu reden, aber wie schaut das aus, wenn die Einzelnen wissen, dass alles, was sie sagen, Grundlage einer wissenschaftlichen Untersuchung ist? Wird das Gesagte den Ansprüchen der Wissenschaft, der Forschungsperson genügen? Drücke ich mich richtig aus? Kann jemand anderes überhaupt etwas mit meinem inneren Erleben anfangen? Soll ich alles sagen, was ich denke, oder muss ich es erst durch einen Filter lassen? Diese und ähnliche Fragen mögen die untersuchten Personen bewegt haben. Die Methode des persönlichen Gesprächs, wie Langer sie darstellt, ist für die Untersuchung der individuellen Gottesvorstellung angemessen. Sie wird dem 281 282 283 284
AaO., 46ff. AaO., 56. AaO., 18f. Vgl. 2.3.1 Untersuchungsansatz, 74.
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Bereich des inneren Erlebens durch ihre sensible Vorgehensweise und durch die persönliche Begegnung zwischen zwei Menschen, Forschungsperson und untersuchter Person, auf Augenhöhe, gerecht. Die verstehende, authentische Anteilnahme ermutigt die untersuchten Personen dazu, sich weiter mit persönlichen Details zu öffnen. Die untersuchten Personen sind Forschungssubjekte, nicht Forschungsobjekte. Sie selbst haben das Wissen, das dieser Untersuchung zugrunde liegt, offengelegt und somit zur Forschung beigetragen. Das Forschungsobjekt ist der untersuchte Gegenstand, in unserem Fall die Gottesvorstellung baptistischer Erwachsener. Als Forschungssubjekte tragen die Einzelnen ihr persönliches Wissen zur Forschung am Gegenstand bei. Die Personen selber werden nicht untersucht285, sondern helfen mit bei der Untersuchung des Gegenstandes. Dadurch motiviert öffnen sie sich und geben ihr eigenes, inneres Wissen preis. Die Forschungsperson bringt sich ihrerseits mit ihrer Anteilnahme und verstehenden Resonanz in das Gespräch ein. Sie bildet damit einen sicheren Rahmen, in dem sich das Gegenüber mit den persönlichen Themen öffnen kann286. Die Untersuchung entwickelt sich von Gespräch zu Gespräch weiter287. Durch die Erfahrungen und Mitteilungen individueller Lebenswirklichkeiten können sich die Fragen und Schwerpunkte während eines Gespräches verschieben. Den persönlichen Gesprächen dieser Untersuchung liegt ein Leitfaden von Fragen zu Grunde, der aber das eine oder andere Mal auch verändert oder verlassen wurde, weil sich das Gespräch von selbst in eine andere Richtung entwickelt hat. Zum Teil sind bei einigen Samples aufgrund der Erfahrung mit vorhergehenden Gesprächen neue Fragen oder Untersuchungen (Ergänzung von Positionierungen oder Fragebögen zu einem späteren Zeitpunkt) hinzugekommen. Dies entspricht dem erfahrungsgesteuerten Forschungsprozess, wie Langer ihn beschreibt288. Die einzelnen Gespräche sind mit Hilfe eines Aufnahmegerätes mitgeschnitten und transkribiert worden. Aus den Basistranskripten ist nach den Vorgaben von Langer ein Verdichtungsprotokoll289 erstellt worden, das Grundlage aller weiteren Erarbeitungen ist. Im Mittelpunkt des Verdichtungsprotokolls stehen die Informationen des Gesprächsgegenübers. Es handelt sich um eine »reine Dokumentation« des Gesprächs in verdichteter Form. »Sinn und Zweck ist eine lesbare, geraffte Wiedergabe der Substanz des Gespräches.«290 Im 285 Auch wenn es manchmal so klingt, wenn dann von »untersuchten Personen« gesprochen wird. 286 Langer, Persönliches Gespräch, 32f. 287 AaO., 53f. 288 Ebd. 289 AaO., 58f. 290 Ebd.
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Verdichtungsprotokoll selbst wird »keine Analyse oder Interpretation vorgenommen …, allenfalls Auslassungen, Akzentverlagerungen oder Missverständnisse als Abweichung von dem, was die Person gemeint hat«291, sind möglich. (2) Gesprächsleitfaden zu den Materialcollagen Den persönlichen Gesprächen liegt ein Leitfaden zugrunde, der sich an der Rostocker Untersuchung an Kindern orientiert.292 Hierbei handelt es sich um Gesprächsimpulse, die das Gespräch beleben und in Gang halten sowie möglichst unterschiedliche Aspekte des individuellen Gottesverständnisses zum Vorschein bringen sollen293. Wenn sich das Gespräch gut entwickelt, ist es auch möglich, den Leitfaden zu verlassen oder davon abweichenden Aspekten nachzugehen. Der Einstieg beginnt jeweils mit dem Betrachten der Materialcollage. Der Gesprächspartner, die Gesprächspartnerin wird aufgefordert zu erzählen, was er/sie gestaltet hat. »Kannst Du mir bitte etwas über die Collage erzählen, die du gestaltet hast.«294 Die Untersuchungsperson fragt gegebenenfalls nach, wenn Bereiche der Collage nicht oder nicht vertiefend genug angesprochen werden. Falls es nicht gleich im Austausch über die Materialcollage zur Sprache kommt, was aber meistens der Fall ist, wird nachgefragt, was an der Gestaltung mit Gott ähnlich ist. »Was von dem, was Du gestaltet hast, hat mit Gott zu tun. Wo kommt Gott in Deiner Gestaltung direkt oder indirekt vor?« Ein weiterer Aspekt ist die Frage, wo oder an welcher Stelle der Collage sich der Betreffende, die Betreffende selber sehen würde. »Wo bist Du oder wärst Du in dieser Gestaltung? Bist Du drinnen oder draußen, nah dran oder weit weg. Kannst du es mir bitte mit deinem Finger zeigen?«295 Oft kommt dieser Aspekt schon beim Austausch über die Collage vor (z. B. Gott ist wie eine Mutter und ich bin dieses Kind in ihren Armen). Danach wird dann, wenn es passt, die Frage nach der Alltagsgestaltung eingeschoben296. »Wie schaut das in deinem Alltag aus?« »Kannst Du ein Beispiel 291 292 293 294
Ebd. Szagun, Sprache, 71ff. In Folge sind die Fragen, die so oder ähnlich gestellt wurden, kursiv gedruckt. Die Untersuchungsperson ist mit den meisten untersuchten Personen bekannt, von daher ergibt sich die persönliche Umgangsform »du«. Außerdem ist es in den meisten Baptistengemeinden üblich, sich zu duzen. 295 Auf die Einführung einer Knetfigur, wie bei der Rostocker Untersuchung an Kindern, wurde hier verzichtet. Die Erwachsenen konnten sehr gut und schnell ihre Distanz oder Nähe zu ihrer Gottesvorstellung ausdrücken. 296 Hier unterscheidet sich die Untersuchung an baptistischen Erwachsenen von der der Kinder in der Annahme, dass die Gottesvorstellung der baptistischen Erwachsenen eng mit ihrem Alltagserleben verknüpft ist.
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dafür erzählen, wie Du das erlebst?« (z. B. Was heißt das im alltäglichen Leben, wenn Gott wie eine Mutter ist und du ihr Kind?) Anschließend werden je nach Gesprächsverlauf einige wesentliche Aspekte des Gottesverständnisses angesprochen: – Die Vorstellung davon, wo Gott räumlich verortet wird und welche Gestalt, welches Wesen Gottes damit verbunden ist: »Was denkst Du, wo ist Gott?« Bei sehr allgemeinen Angaben wird nachgefragt, wie der/die Betreffende sich das konkret vorstellt. (z. B. »Wenn Gott überall ist, ist er/sie dann auch hier? In uns? Als Kraft? Als Person, als Gefühl?«) Stellt sich der Erwachsene Gott eher anthropomorph vor oder nicht? Oder klingt trotz der anthropomorphen Wortwahl eine nicht anthropomorphe, transzendenzbewusste Vorstellung durch? – Wie stellt sich das Gesprächsgegenüber die Beziehung zwischen Gott und den Menschen vor. »Steht Gott in Verbindung mit den Menschen? Wie?« »Was will Gott? Und wie kann der Mensch es erfahren? Wie ist das für Gott, wenn der Mensch anders handelt, als Gott es sich wünscht?« Werden Gott Handlungen und/oder Gefühle zugeschrieben? – Vorstellung vom Wirken Gottes in der Welt. Wie stellt sich der Erwachsene das vor? »Handelt Gott in der Welt und mit/an den Menschen? Wie?« – Wird Not und Leid mit Gott in Verbindung gebracht, wenn ja, wie? Hier geht es einerseits um den Aspekt der Theodizeefrage, aber auch um die Frage der Freiheit und Verantwortung des Menschen. »Es gibt viel Schlimmes in dieser Welt. Hat Gott etwas damit zu tun?« »Was tut Gott mit denen, die Böses tun?« – Verbindung von Gottesvorstellung und Alltagsleben. Anders als oben, wo danach gefragt wurde, wie der in der Materialcollage dargestellte Aspekt im Alltag erlebbar ist, wird hier danach gefragt, ob und wann die Gottesvorstellung im Alltag relevant ist. Gibt es eine jahreszeitlich verortete Relevanz oder ein bestimmtes rituelles Verhalten? »Gibt es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen, in denen du im Alltag an Gott denkst?« – Erfahrung der Nähe oder Ferne Gottes. Hier wird an die Erzählung von Moses mit dem brennenden Dornbusch erinnert. Für Moses ein Erlebnis der besonderen Nähe Gottes. Es wird danach gefragt, ob der Erwachsene sagen kann, ob er oder sie solche Gefühle der besonderen Nähe Gottes kennt und vielleicht an dieser Stelle erzählen mag. »Hast Du auch schon einmal das Gefühl gehabt, dass Gott Dir besonders nahe war?« Daran anschließend wird auch, anders als bei der Untersuchung an Kindern, danach gefragt, ob dem Gesprächsgegenüber Gefühle von Gottesferne bekannt sind. »Kennst du auch das Gefühl, dass Gott besonders weit weg ist?« – Abschließend wird nach einer Überschrift für die Materialcollage gefragt. »Welchen Titel würdest du deiner Gestaltung geben?«
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2.3.4.3 Positionierungen Um den Dimensionen von Nähe und Distanz zu Gott noch mehr im Detail nachzuspüren, wurde im Anschluss an das Nachgespräch zur Materialcollage eine weitere Visualisierung aus dem Rostocker Methodenrepertoire297 vorgenommen. In zwei Stufen wurden in Einzelgesprächen Gefühlszustände zu Gottesaspekten positioniert. Verschiedene Gegenstände wurden als Gottessymbole eingeführt: Eine Holzfigur auf einem Holzklotz für Gott als Vaterfigur, eine Matrioschka als Repräsentantin der mütterlichen Seite Gottes, eine Walnuss als Quelle des Lebens, eine Batterie als Energie oder Kraft Gottes, eine Klangschale als innere Stimme, ein Teelicht als Licht/Wärme und ein Bronzeengel in einem roten Netz als Kraft der Verbundenheit und Liebe. Dann wurden verschiedenfarbige Knetfiguren eingeführt, die jeweils einen Gefühlszustand repräsentieren: Die rote Figur repräsentiert Wut, die gelbe Angst, die blaue Nachdenklichkeit, die braune Traurigkeit, die grüne Schuldgefühle und eine bunte Figur steht für Freude. Zunächst wurde die Gesprächspartnerin, der Gesprächspartner aufgefordert, sich unter den verschiedenen Gottesaspekten einen auszusuchen, der jetzt gerade wichtig für ihn/sie ist. Anschließend stellte er/sie die unterschiedlichen Knetfiguren in ihrer jeweiligen Nähe oder Distanz zu diesem Gottessymbol auf. Die Leitfrage dazu ist: »Wie nah oder fern bist du Gott als … (Liebe, Mutter, Vater etc…), wenn du … (wütend, traurig, fröhlich etc…) bist?« Dann wurde die Positionierung photographisch festgehalten. In einer weiteren Positionierung wurden dann alle Knetfiguren zugleich298 in ihrer jeweiligen Nähe und Distanz zu allen Gottessymbolen positioniert und ebenfalls auf einem Foto festgehalten. Die Positionierungen bieten für die einzelne Person eine weitere Perspektive auf den emotionalen Anteil der Gottesvorstellung, auf die Gottesbeziehung. Es handelt sich um eine Momentaufnahme, in der die Einzelnen sich ihrer unterschiedlichen Emotionen und deren Auswirkungen bezüglich ihrer Gottesbeziehung bewusst werden. Im deutschsprachigen Sample ist zusätzlich zu den genannten Visualisierungsmethoden noch eine Befragung zu besonderen Krisenzeiten im Leben – »Löcher der Verzweiflung« – eingeführt worden. Hier wurden die Gesprächsgegenüber gebeten, sich an besondere Krisenzeiten in ihrem Leben zu erinnern und dazu Löcher aus schwarzem Papier zu reißen. Die Größe der Löcher sollte dem entsprechen, wie groß die jeweilige Krise empfunden wird. Dazu wurde gefragt, wie Gott für die Einzelnen damals, in dieser Krisenzeit, war 297 Szagun, Sprache, 88. 298 Vgl. Szagun, Sprache, 90.
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und wie es ist, wenn sie jetzt (zum Interviewzeitpunkt) darauf schauen. Diese Gesprächsphase wurde beim zeitlich zuletzt untersuchten Sample (die Gruppe der Deutsch sprechenden Baptistinnen und Baptisten) ergänzt, um mit der Frage nach dem persönlichen Umgang mit Lebenskrisen noch einmal der Theodizeeproblematik in einer weiteren, persönlichen Perspektive nachzuspüren. 2.3.4.4 Fragebögen299 Im Anschluss an die Gespräche wurden die Teilnehmenden aufgefordert, zur Abrundung der Untersuchung verschiedene Fragebögen auszufüllen. (1) Fragebogen zum Thema Gebet Durch einen Fragebogen zum Thema Gebet, der in Anlehnung an die Untersuchungen von Kalevi Tamminen300 an Kindern entstanden ist und der ebenfalls in der Rostocker Untersuchung verwendet wird301, wird nach den für die Person wichtigen Charakteristika des Gebets (das Falten der Hände – still sein – Gott die eigenen Bitten und Wünsche sagen – mit Gott über alles sprechen und Gott auch danken – ein Gefühl von Sicherheit bekommen) gefragt. Weitere Fragen befassen sich mit der Gebetspraxis der einzelnen Person, dem Stellenwert des Gebets im persönlichen Alltag und inwiefern es an Orte, Zeiten oder Situationen gebunden ist. Auch die Vorstellung der Einzelnen zur Wirkung von Gebeten wird erhoben. Erwartet sich der- oder diejenige ein direktes Eingreifen Gottes oder wirkt Gott eher indirekt durch Lebensumstände oder andere Menschen? Wird eine Befreiung aus einer äußeren Notlage erwartet? Ist die Erwartungshaltung der Hilfe gegenüber eher materialistisch (z. B. Heilung aufgrund von Gebet) und eher spirituell (z. B. Trost in Krankheit)? (2) Fragebögen zur Selbsteinschätzung der eigenen Kultur Durch zwei weitere Fragebögen beschäftigen sich die Teilnehmenden mit unterschiedlichen Kulturdimensionen302. Da in dieser Untersuchung vier Samples aus fünf unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zusammengestellt sind303,
299 Die Fragebögen zu Gebet, Kultur und Selbsteinschätzung finden sich im Anhang. 300 Tamminen Kalevi, Religiöse Entwicklung in Kindheit und Jugend, Frankfurt am Main 1993, 223–258. 301 Vgl. Szagun Anna-Katharina, Dem Sprachlosen Sprache verleihen, 93–94. Der Fragebogen wurde für die hier befragten Erwachsenen an einigen wenigen Stellen umformuliert. 302 Die Fragebögen stammen aus dem umfangreichen Werk von Podsiadlowski Astrid, Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit, München 2004. 303 Sample 1: Baptisten aus einer Latinogemeinde in Österreich. Ihre Ursprungsländer sind u. a. Mexiko, Guatemala, Dominikanische Republik, Venezuela. – Sample 2: Rumänischsprachige Baptisten, die in Österreich leben. – Sample 3: Farsisprachige Baptisten, die in
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ist es sinnvoll, die unterschiedlichen Kulturdimensionen zu berücksichtigen. Wie schätzen die Teilnehmenden ihre eigene Kultur ein? Stimmen alle in ihrer Einschätzung überein oder gibt es signifikante Unterschiede? Dazu gibt es zum einen einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung von vier Kulturdimensionen: Arbeitseinstellungen, soziale Beziehungen, Zeitorientierung und Kommunikation304. Zum anderen wird ein Polaritätenprofil erstellt. »Das Polaritätenprofil (nach Osgood/Suci/Tannenbaum, 1957) ist eine Methode zur Messung des emotionalen Gehalts von Begriffen in Form von Eigenschaftspaaren, so dass sich Fremd- und Eigenbilder gut abfragen lassen.«305 Diese Befragung soll dazu dienen zu sehen, ob innerhalb der Samples aufgrund der Selbsteinschätzung der Personen einerseits eine kulturelle Zusammengehörigkeit erkennbar ist und ob sie sich andererseits von den Personen der weiteren Samples unterscheiden. Gibt es Relationen zwischen den Kulturdimensionen und den Aussagen über Gottesvorstellungen? Gibt es signifikante Gemeinsamkeiten innerhalb der einzelnen Kultursamples und wie ist das im Vergleich mit den anderen befragten Kulturgruppen? Was ist das Gemeinsame im Anderen? Diesen Fragen wird in der Auswertung nachgegangen. (3)
Fragebogen zur Selbsteinschätzung und weiteren Dimensionen christlichen Lebens in Gemeinde und Gesellschaft In einem vierten Fragebogen wird nach Dimensionen gefragt, die für Baptisten wichtig sind306. So wird unter anderem nach der Wichtigkeit von Glauben, Bibel und Gottesdienst gefragt. Wie wichtig ist das Engagement in der Gemeinde oder das soziale Engagement für Mitmenschen?
2.3.5 Auswertung Zunächst wurden alle Visualisierungen gemeinsam mit der Produzentin, dem Produzenten entdeckt und besprochen. Die Gespräche sind auf Datenträger aufgenommen und transkribiert worden. Im einem nächsten Schritt wurden die Visualisierungen der einzelnen Personen einer interdisziplinären Forschungsgruppe307 (Psychotherapie/Gestalt – Kunstpädagogik – Theologie) gezeigt. Die teilnehmenden Personen wurden zunächst um ihre formalen und inhaltlichen
304 305 306 307
Österreich leben. Ihre Ursprungsländer sind Iran und Afghanistan. – Sample 4: Deutschsprachige Baptisten aus Österreich. Podsiadlowski, Interkulturelle Kommunikation, 63f. Podsiadlowski, Interkulturelle Kommunikation, 65f. Vgl. 2.2.3 Charakteristika und Selbstverständnis der Baptisten, 66. Teilnehmende der Forschungsgruppe waren ein Gestalttherapeut, eine Kunstpädagogin, ein Religionspädagoge und eine evangelische Theologin.
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Beobachtungen (Raumaufteilung, Leerstellen, Material, Farben – was wird dargestellt, was weggelassen) gebeten und anschließend nach ihren Assoziationen und eigenen Gefühlen zur jeweiligen Visualisierung gefragt308. Über die Äußerungen der einzelnen Personen sind Mitschriften verfasst worden. Alle erfassten Daten fließen nun in die Auswertung der Einzelfallstudie ein: In einem ersten Durchgang wird jede Person erst einmal für sich betrachtet. Die transkribierten und verdichteten Interviews werden auf kognitive (Gottesverständnis) und emotionale (Gottesbeziehung) Anteile der Gottesvorstellung hin untersucht. Indem Gebetsfragebogen und Positionierungen mit einbezogen werden, wird ein Bild der individuellen und im Moment der Befragung aktuellen Gottesvorstellung der einzelnen Person nachgezeichnet. Darauf folgt die Auswertung der Kultursamples/Clusteranalysen: In einem zweiten Schritt werden die einzelnen Kultursamples betrachtet. Was ist den Menschen mit gleichem kulturellem Hintergrund im Hinblick auf ihre individuelle Gottesvorstellung gemeinsam? Dann werden die Kultursamples untereinander in Beziehung gesetzt. Welche Gemeinsamkeiten gibt es im Hinblick auf die Gottesvorstellung und wo liegen Unterschiede?
2.3.6 Beurteilungskriterien für qualitative Untersuchungen Zum Abschluss der Darstellung und Begründung der Methoden soll noch einmal auf einen Kriterienkatalog zur Evaluation von qualitativen Forschungen Bezug genommen werden309. Die in diesem Kapitel vorgestellte Vorgehensweise der vorliegenden Untersuchung orientiert sich an der heuristischen Sozialforschung, insbesondere an den Methoden des oben dargestellten Rostocker Methodenrepertoires. Folgt man Ulrike Popp-Baier in ihrer Darstellung der qualitativen Methoden in der Religionspsychologie, so handelt es sich bei der vorliegenden Untersuchung um einen Forschungsansatz, der mit einer konkreten Aufgabenstellung verbunden ist310. Diese Untersuchung stellt sich die Aufgabe, sich der Gottesvorstellung von Erwachsenen eines spezifischen konfessionellen Umfeldes zu nähern. Im Grunde setzt sie sich aus mehreren Einzelfallstudien zusammen. Einzelne Erwachsene werden separat befragt. Die Interviewart orientiert sich an dem per-
308 Vgl. Szagun, Sprache, 107. 309 Popp-Baier Ulrike, Qualitative Methoden in der Religionspsychologie, in: Henning Christian / Murken Sebastian / Nestler Erich, Einführung in die Religionspsychologie, Paderborn, 2003, 184–229, hier 223. 310 AaO., 216.
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sönlichen Gespräch nach Langer311, wobei zur Unterstützung des Gesprächsverlaufes ein Gesprächsleitfaden zugrunde liegt. Fragebögen dienen dann der Perspektivenergänzung. Sie werden nicht quantitativ ausgewertet, sondern nur im Blick auf das, was sie inhaltlich zur Gottesvorstellung der einzelnen Person oder Gruppe beitragen können, also qualitativ. Primär steht das Ergebnis der Befragung durch Interview und Fragebogen zunächst einmal für die Gottesvorstellung der einzelnen Person. Sekundär werden die einzelnen Studien aber auch als Kultursample (je 6 der hier dargestellten Untersuchungen stammen aus einer Kultur) angeschaut. Danach werden alle Studien gemeinsam unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte (z. B. Ähnlichkeiten und Unterschiede) untersucht. Nach Popp-Baier wäre das eine Art kollektiver Fallstudie. Dadurch wird neben anderem die Bandbreite von Phänomenen sichtbar312. Eine Theoriebildung im Sinne einer Grounded Theory, die auf Verallgemeinerungen und Typisierungen abzielt, ist nicht beabsichtigt. Im Nachzeichnen einzelner Gottesvorstellungen und der Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven mögen sich Ähnlichkeiten und Unterschiede zeigen, aber ob sich daraus Theorien ableiten lassen, die für einen Kreis von Personen gültig sind, der über den Kreis der befragten Personen hinausgeht, wird zu fragen sein. Entspricht die vorliegende Forschung den Kriterien des von Popp-Baier zitierten Katalogs313 ? »Entsprechen die Forschungsmethoden der Frage, die untersucht werden soll?« Die Materialcollage zu einer Metapher »Welcher Aspekt Gottes mir heute am Wichtigsten ist« mit dem anschließenden persönlichen Gespräch anhand des dargelegten Leitfadens dient zur Untersuchung der individuellen Gottesvorstellung einzelner Personen. Positionierungen und Fragebögen ergänzen die individuelle Gottesvorstellung aus weiteren Perspektiven. Die Auswertung in Kultursamples dient der Fragestellung, die Gottesvorstellung im interkulturellen Vergleich anzuschauen. »Ist die Beziehung zu einem existierenden Wissenstand oder einer Theorie deutlich?« Diese Untersuchung bezieht sich auf die in Absatz 2.1. dargestellten Untersuchungen von Gottesvorstellungen Erwachsener aus verschiedenen Perspektiven (psychologisch – religionspsychologisch – praktisch-theologisch – religions311 Zum persönlichen Gespräch nach Langer siehe 2.3.4.2 Nachgespräch zur Materialcollage, 83. 312 AaO., 217. 313 Die Kriterien wurden von der »British Association Medical Sociology Group« formuliert und finden sich bei Popp-Baier, Das Heilige, 223. Die in Anführungszeichen gesetzten Überschriften der einzelnen Punkte entsprechen dem Katalog.
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soziologisch) und mit unterschiedlichen Fragestellungen. Sie knüpft methodisch an die Rostocker Untersuchung an Kindern an. »Wurden die Kriterien deutlich formuliert, die für die Auswahl der untersuchten Fälle und für die Datenerhebung und Datenanalyse verwandt wurden?« Zunächst wurde versucht, die Kulturen möglichst weit zu fächern. Personen aus vier sehr unterschiedlichen Kulturen wurden gesucht. Es handelt sich jeweils um erwachsene Personen aus verschiedenen österreichischen Baptistengemeinden, die sich für die Gespräche zur Verfügung gestellt haben. Dabei wurde versucht, eine ausgewogene Gruppe von Frauen und Männern zusammenzustellen, die unterschiedlichen Alters- und Berufsgruppen angehören. Die Datenerhebung und -analyse orientiert sich an der Rostocker Studie, wobei in dieser Querschnittstudie aus Zeit- und Umfangsgründen leider nicht alle einzelnen Untersuchungen der Langzeitstudie übernommen werden konnten. Zunächst werden die verdichteten Interviews auf emotionale und kognitive Aspekte hin analysiert. Dann wird innerhalb der fünf Kultursamples nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden gefragt. Anschließend werden alle Einzeluntersuchungen gemeinsam betrachtet und nach bestimmten Fragestellungen analysiert. »Entspricht die Sensibilität der Methoden dem Anspruch der Forschungsfrage?« Durch die Arbeit mit Metaphern, Materialcollagen, Positionierungen und persönlichen Gesprächen zeigt sich, wie oben ausführlich erörtert, die Sensibilität im Umgang mit dem Untersuchungsgegenstand »Gottesvorstellungen Erwachsener«, da durch die emotionale Beteiligung der Aspekt der Gottesbeziehung besonders zur Geltung kommt. »Erfolgte die Datensammlung und Datenaufbereitung systematisch?« Die Daten bestehen aus vier Kultursamples mit je 6 befragten Personen. Die Interviews sind mit einem Audiomedium (Minidisc Player) aufgenommen und die Materialcollagen und Positionierungen mit einer Digitalkamera fotografiert. Die Fragebögen wurden ausgefüllt und archiviert. Die Interviews sind transkribiert und verdichtet worden. Diese erhobenen Daten wurden systematisch ausgewertet, indem zunächst jede einzelne Person untersucht wurde und dann die verschiedenen Samples. »Wird auf anerkannte Analysemethoden Bezug genommen?« Die vorliegende Untersuchung orientiert sich an den Analysemethoden der Rostocker Studie. Die einzelnen Metaphern (Materialcollage) und Positionie-
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rungen wurden gemeinsam mit einer interdisziplinären Forschungsgruppe314 reflektiert. »Wie systematisch wurde die Analyse durchgeführt?« In einem ersten Schritt wurden alle Visualisierungen mit der Produzentin, dem Produzenten besprochen. Darauf folgte die gemeinsame Analyse in der Forschungsgruppe. Abschließend wurden die Interviews und Fragebögen im Hinblick auf Gottesbeziehung und Gottesverständnis analysiert. »Wird deutlich beschrieben, wie Themen, Konzepte oder Kategorien aus den Daten entwickelt wurden?« In der Gesamtschau der einzelnen Interviews und im Vergleich der Kultursamples untereinander sind die erhobenen Daten Grundlage für die entwickelten Kategorien und Themen. »Gibt es eine angemessene Diskussion dessen, was für und gegen die Argumente der Forscherin spricht?« Die vorliegende Arbeit ist eher deskriptiv, wobei das Beobachtete und Wahrgenommene subjektiv interpretiert wird. Diese Subjektivität wird bewusst benannt und damit stehen die Interpretationen offen zur Diskussion. »Wird eine deutliche Unterscheidung zwischen einer »Datenbasis« und deren Interpretation gemacht?« Die Datenbasis besteht im Wesentlichen aus den verdichteten Interviews mit Ergänzungen durch die Positionierungen und Fragebögen. Die Interpretationen sind davon deutlich abgehoben und unterschieden, was vor allem am Schriftbild erkennbar ist. Durch den Bezug zum Kriterienkatalog wird gezeigt, dass es sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine systematische Datenerhebung handelt, die in der Methode der Datenerhebung und deren Analyse und Interpretation den gängigen Standards für qualitative Untersuchungen entspricht.
314 Vgl. Absatz 2.3.5, 90.
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(1) Vorbemerkung Die Untersuchung über die Gottesvorstellung von erwachsenen Baptisten im interkulturellen Vergleich ist hier in vier verschiedenen Sprachsamples, in denen sich je sechs Einzelgespräche und darauf folgend deren Analyse finden, zusammengestellt315. – Sample 1: Farsisprachige Baptisten, die in Österreich leben. Ihre Ursprungsländer sind Iran und Afghanistan. – Sample 2: Rumänischsprachige Baptisten, die in Österreich leben. – Sample 3: Baptisten einer Latinogemeinde in Österreich. Ihre Ursprungsländer sind u. a. Mexiko, Guatemala, Dominikanische Republik und Venezuela. – Sample 4: Deutschsprachige Baptisten aus Österreich. Die Interviewpartnerinnen und -partner kommen aus verschiedenen ethnischen Baptistengemeinden, die sich in den letzten Jahrzehnten in Österreich gebildet haben, und aus verschiedenen österreichischen Baptistengemeinden. Seit Beginn der 1980er Jahre bildete sich in Wien die erste rumänische Baptistengemeinde316 durch rumänische Baptisten, die nach Österreich geflohen waren. Nach dem Ende des Ceausescu-Regimes 1989 vervielfachte sich die Zahl der Rumänen in Österreich und auch die Anzahl der Gemeinden. Heute gibt es in ganz Österreich sieben rumänischsprachige Baptistengemeinden mit insgesamt ca. 330 Mitgliedern317. Farsi sprechende Gruppen gibt es innerhalb der Österreichischen Baptistengemeinden seit 1998, zunächst in Salzburg, heute auch in Graz und Wien. Die meisten Personen dieser Gruppen kommen aus dem Iran 315 Insgesamt fanden ca. 70 Interviews über acht Jahre statt. Davon 47 für diese Untersuchung im interkulturellen Kontext. Im Folgenden werden aus zeitökonomischen Gründen nur sechs Interviews pro Sprachsample analysiert. 316 Vgl. Graf-Stuhlhofer Franz (Hrsg.), Frisches Wasser, 108–116. 317 Stand Dezember 2012. Bund der Baptistengemeinden in Österreich, Berichtsheft zur Bundeskonferenz 2013, Wien 2013, 122.
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und nehmen an den Gottesdiensten der deutschsprachigen Gemeinden teil. Daneben treffen sie sich in Farsi sprechenden Kleingruppen. In Wien gibt es seit 2003 eine kleine afghanische Gruppe, die auch eigene Gottesdienste feiert. 2008 hat sich aus Baptisten aus verschiedenen lateinamerikanischen Ländern (Mexiko, Guatemala, Dominikanische Republik, Venezuela, Peru) eine Latinobaptistengemeinde in Wien gebildet. (2) Lesehilfe Zum besseren Verständnis findet sich hier eine Zusammenfassung dessen, was in den Einzeldarstellungen zu finden ist. Die einzelnen Interviews sind aus Gründen der Lesbarkeit zum Teil sehr stark gekürzt.318 Das vollständige Interview findet sich als Transkript bei der Autorin. Es wurde in der schriftlichen Darstellung versucht, möglichst den »Originalton« zu treffen. Dialekt und Umgangssprache sind so mit eingeflossen. Allerdings war es aus Gründen der Lesbarkeit bei den Interviewpartnerinnen und -partnern, bei denen Deutsch keine Muttersprache ist, nicht immer möglich, die ursprünglichen Aussagen zu übernehmen. Hier wurden die Inhalte in indirekter Rede, möglichst nahe an den ursprünglichen Aussagen, wiedergegeben. Ergänzungen durch die Verfasserin sind in Klammern wiedergegeben. Besonders betonte Aussagen oder Worte sind unterstrichen. Wurde eine Aussage im Interview wiederholt, wird das durch die Angabe »(2x)« gekennzeichnet. In Klammern finden sich auch im Verlauf des Interviews besondere Gesten, Lachen, Weinen oder Ähnliches. Zu Beginn der Darstellung finden sich nur wenige Angaben zur Person: Name (geändert), Alter, Berufstätigkeit (oder Ähnliches: Studium / Ruhestand) und Ursprungsland. Diese Angaben sind zu Beginn bewusst knapp gehalten, um zunächst vor allem den Interviewtext auf den Leser, die Leserin wirken zu lassen. Nach der Darstellung der erfassten Daten folgt dann eine genauere Beschreibung der interviewten Person. Das Interview319 beginnt mit dem gemeinsamen Entdecken der Gottesmetapher (die Materialcollage dazu wird dem Interview als Fotografie vorangestellt) mit der Produzentin, dem Produzenten. Darauf folgen einige Fragen zum Gottesverständnis, die Frage nach bestimmten Orten, Zeiten und Situationen, die für die Gottesbeziehung von Bedeutung sind, und die Frage nach besonderen Gotteserfahrungen. Es wird danach gefragt, wo die Person sich selbst im Hin318 Ein Kriterium für die Kürzung war, bei den Fragen zum Gottesverständnis nur jene Antworten darzustellen, bei denen die Interviewpartnerinnen und – partner nicht nur allgemein über ihr Gottesverständnis sprechen, sondern von sich persönlich, und damit etwas von ihrer Gottesbeziehung spürbar wird, oder wenn sie etwas Originelles sagten, was so noch nicht gesagt wurde. Zudem sind auch die Antworten, die die Theodizeethematik berühren, angeführt. 319 Zum Vorgehen im Interview vgl. 2.3.4.2(2) Gesprächsleitfaden zu den Materialcollagen, 86.
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blick auf ihre Gottesmetapher positioniert und abschließend nach einem Titel für die Collage. Im Anschluss an das verdichtete Interview werden die Gespräche zu zwei Positionierungen320, einmal mit einem Gottessymbol und dann mit mehreren Gottessymbolen, dargestellt und Fotografien dazu abgebildet. Gottessymbole sind: Gott-Vater (Figur auf Podest), Symbol für die mütterliche Seite Gottes (Matrioschka), Quelle des Lebens (Nuss), Energie/Kraft (Batterie), Innere Stimme (Klangschale), Netz der Liebe und Verbundenheit (rotes Netz mit Bronzeengel), Licht (Kerze). Symbole für emotionale Verfassungen der Interviewperson sind: fröhlich (bunt), traurig (braun), ängstlich (gelb), schuldbeladen (grün), wütend (rot), nachdenklich (blau). Darauf folgt die Darstellung der Antworten zum Gebetsfragebogen321. Im Sample der deutschsprachigen Baptisten folgt dann das Gespräch zu der Bedeutung der Gottesvorstellung in Krisenzeiten des Lebens (Löcher der Verzweiflung)322. Zu Beginn der Auswertung stehen einige wenige biographische Informationen über die interviewte Person, ihre religiöse Sozialisation, ihre Gemeindezugehörigkeit und Nähe zur jeweiligen Baptistengemeinde in Österreich (besucht die betreffende Person die Gemeinde, arbeitet sie mit oder gehört sie in einer leitenden Funktion dazu?). Anschließend finden sich die Angaben des Selbsteinschätzungsfragebogens323. Auch die Reaktion auf die Frage nach einem Interview (ist die Person gerne bereit zum Interview oder stimmt sie nur zögerlich zu), die Interviewsprache, der Ort des Interviews (kam die Person zum Interview in die jeweiligen Gemeinderäumlichkeiten oder fand das Interview bei ihr zuhause statt) und wie die Person auf das Materialbuffet zugeht und an der Collage arbeitet, findet sich hier. Es folgt eine kurze Beschreibung der Materialcollage (wie wurde der Raum genutzt, gibt es Leerstellen, welche Farben und Materialen wurden verwendet?). Die Wirkungen der Collage auf die BetrachterInnen (Forschungsgruppe) sind dann in kursiver Schrift eingefügt. Danach wird kurz zusammengefasst, wie die Person selber ihre Collage interpretiert. Eine umfangreiche Analyse der einzelnen Aussagen aus dem Interview im Hinblick auf Gottesbeziehung (vor allem Metapher, Positionierungen) Gottesverständnis und Alltagserleben bildet den Hauptteil der Darstellung der Gottesvorstellung der befragten Person.
320 321 322 323
Vgl. 2.3.4.3 Positionierungen, 88. Vgl. Fragebogen zum Thema Gebet, 433. Vgl. 2.3.4.3 Positionierungen, 88. Vgl. Fragebogen zur Selbsteinschätzung und zu weiteren Dimensionen christlichen Lebens in Gemeinde und Gesellschaft, 436.
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3.1.1 Leyla – Gott ist groß, Gott ist stark und Gott ist schön Leyla ist zwischen 20 und 30 Jahre alt und Hausfrau und Mutter von drei Kindern. Sie kommt ursprünglich aus Afghanistan. Gottesmetapher
Leyla gestaltet aus Obstnetzen und Bastfäden ein Nest mit buntem Inhalt aus Perlen und Kugeln. Um das Nest liegen Naturmaterialien und einige bunte Bänder. Leyla kommentiert dazu, Gott sei für sie groß und schön, Gott sei stark und hier sei er wie ein Nest. Die Größe und Stärke Gottes wird durch die Baumrinde, seine Schönheit durch die bunten Bänder, die neben dem Nest dekorativ zusammengelegt sind, symbolisiert. Der Tannenzapfen stehe für die Natur. Das Nest sei das Geschenk Gottes für sie. Im Nest seien fünf Personen (fünf Kugeln), wie ihre Familie, und das sei ein Geschenk von Gott. Das seien alles »viele Sachen« (Leyla zeigt auf die Gegenstände rund um das Nest) und sie könne nur wenig über Gott sagen. Ob in dem Nest noch mehr Geschenke seien? Da seien viele Geschenke, »viele Sachen«, aber dargestellt habe sie nur ihre Familie, ihren Mann und die drei Kinder und sich selbst, wobei sie lacht. Ob sie noch ein paar Geschenke nennen könne? Als erstes seien da eben ihr Mann und ihre Kinder, aber dann auch »Gott sei Dank, mein(en) Glauben von den Christen«. Auch das sei ein Geschenk. Ob da noch etwas sei? Nein, das sei erst einmal genug. Ob sie dann noch etwas zu der Schönheit sagen könne? Die Schönheit, dargestellt durch die bunten Bänder, das sei das Leben. Das Leben sei schön und auch die Gesundheit und die Natur. Ob sie selbst auch in ihrer Gestaltung sei? Sie selbst sei bei diesen fünf Personen im Nest. Es sei alles so viel, und sie könne nur wenig darüber sagen, das wiederholt sie und beschreibt damit eine gewisse Sprachlosigkeit, angesichts der vielen
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Dinge, die ihr geschenkt worden sind. Eine Überschrift, einen Titel für ihre Gestaltung? Gott ist groß, Gott ist stark, Gott ist schön. Wo Gott sei? Seit sie klein gewesen sei bis jetzt habe sie immer gesagt: Gott sei oben im Himmel. Jetzt wisse sie, dass er in »unserem Herzen« sei. »Vielleicht haben wir [ihn] gehört und dann machen wir etwas Gutes. Gott ist immer mit uns.« Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? Die Natur und alles gehöre Gott, er habe alles gemacht. Ob Gott etwas mit den Menschen zu tun habe? Ja. Ob er mit den Menschen in Verbindung stehe? Als sie klein gewesen sei, habe sie das nicht geglaubt, aber jetzt habe sie in der Bibel gelesen, dass Gott mit Jesus eine Verbindung, eine Beziehung gemacht habe, und Jesus sei ja Mensch gewesen. Also mit Jesus habe er eine Beziehung gehabt, aber nicht mit anderen Menschen. Ob Gott sich etwas vom Menschen wünsche, wie Menschen miteinander oder mit der Natur umgehen sollen? Der »Wunsch von Gott« sei gewesen, dass er Menschen gemacht habe. Er wolle »alles Gute« für die Menschen, »wie eine Mama und Papa«, wenn sie Kinder haben, dann würden sie immer wünschen, dass die Kinder alles Gute bekommen sollten. Für Gott sei das auch so. Ob sich Gott etwas wünsche, wie der Mensch sein oder handeln solle? Ja, der Mensch solle tun, was in der Bibel stehe, er solle gut sein und immer zu Gott beten und Gott loben. Ob sich Gott wünsche, dass der Mensch immer gut sei? Nein, der Mensch könne nicht sagen, dass er immer gut sei, das könne nicht sein. Gott wünsche sich das auch nicht vom Menschen? Nein und ja. Der Mensch sei gut, wenn er tue, was in der Bibel stehe, und manchmal seien die Leute gut und würden dem Guten gehören, aber mit dem Menschen sei auch immer Satan. Das sei nicht gut, und dann sei der Mensch nicht gut. Ob der Mensch wissen könne, was Gott sich wünsche? Ja, der Mensch wisse manchmal, was Gott wolle, aber Satan sei immer mit dem Menschen. Die Leute müssten immer beten. Was Gott mit Menschen tue, die nicht tun, was er sich wünsche? Man wisse nicht, was Gott tue, das sei Gottes »Arbeit«. Ob Gott etwas fühle, wenn Menschen nicht tun würden, was er sich wünsche? Diese Frage ist für Leyla schwierig, und sie zögert mit einer schnellen Antwort. Einerseits meint sie, Gott fühle schon etwas, aber sie könne nicht sagen, was Gott fühle. Gott wisse alles. Als sie klein gewesen sei, habe sie gesagt, dass Gott »große, große Augen« habe. Was sie richtig oder falsch machen würde, Gott wisse es. Gott sei lieb, aber sie könne nicht sagen, was er fühle oder mache. Wenn sie sage, Gott sei lieb, ob sie denke, dass er vergeben werde, wenn jemand etwas tue, was Gott nicht gefalle? Ja, das könne er schon: »Ja, schon, ja, ja, kann schon«. Ob Gott zu den Menschen rede? Durch die Bibel könne er zu den Menschen reden. Andere Wege hält Leyla nicht für möglich. Ob Gott sonst noch Dinge in dieser Welt tue? Im Herzen der Menschen könne er schon Dinge tun, aber das könne man nicht sehen. Dass jemand Gott sehen könne oder dass er mit jemandem spreche, das glaube sie nicht. Vielleicht tue Gott böse Sachen. Leyla
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wisse nicht, ob das richtig sei. In Afghanistan seien die Menschen nicht gut zueinander, weil sie tun würden, was im Koran stehe und glauben würden, dass Gott das so von ihnen wolle. Für diese Menschen sei Gott dann böse. Manchmal denke sie, dass die Menschen in Afghanistan arm seien, weil sie Moslems sein müssten und einfach machen müssten, was im Koran stehe und deshalb viele Menschen sterben würden. Grundsätzlich denke sie, Gott sei immer lieb, aber vielleicht sei er auch manchmal böse auf diese Leute, weil sie einander töten würden. Ob sie denke, dass Gott böse auf diese Menschen sei, weil sie ihn nicht richtig erkannt hätten? Ja, so habe sie es gemeint. Ja, aber auch die Christen könnten ja nicht sagen, dass sie immer machen würden, was Gott wolle und sie perfekt oder gut vor Gott seien. Aber manche würden es genau so sagen. Ob Gott verantwortlich sei für schlimme Dinge? Nein, sie denke, Gott sei dafür nicht verantwortlich. Das sei die Schuld der Menschen. Eventuell sogar deshalb, weil sie aus religiösen Motiven falsch handeln würden. Gott sei Liebe, und sie könne nicht sagen, dass Gott etwas Schlechtes tue, weil sie ihren Gott liebe. »Ich kann [das] nicht über Gott sagen, weißt du, ich liebe meinen Gott, aber ich kann nicht böse Sachen über meinen Gott sagen.« Wie Gott mit bösen Menschen umgehe? Sie könne es nicht richtig sagen, aber das sei eine gute Frage. Als sie klein gewesen sei, habe sie immer gedacht, dass der Mensch, der das Gute mache, mit Gott sei und der, der das Schlechte tue, der sei immer »bei diesem warmen [Ort]«. Ob sie die Hölle meine? Ja, auch jetzt würde sie noch so denken. Die guten Leute würden mit Christus und die Schlechten würden dorthin gehen. Ob das richtig sei, frage sie sich. Ob es bestimmt Zeiten oder Orte gebe, in oder an denen ihr Gott öfter mal einfalle? Sie denke in guten und schlechten Zeiten immer an Gott, aber in schlechten Zeiten sehr viel mehr, wobei sie herzlich lacht. Der Mensch denke, wenn er sich allein fühle, immer an Gott und sage: »Oh Gott, hilf mir«. Und in der guten Zeit bete sie immer und sage »Gott, Dankeschön«. Ob sie Situationen der besonderen Nähe Gottes aus ihrem Leben kenne? Nein, noch nicht. Die Frage ob das Geschenk Gottes, das Nest, welches sie gestaltet hat, für sie so eine Nähe Gottes symbolisiere, verneint Leyla.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Leyla sucht sich als aktuelles Gottessymbol das Netz der Liebe und Verbundenheit aus. Die fröhliche, die nachdenkliche und die schuldbeladene Figur stehen ganz nah am Gottessymbol. Die traurige Figur steht etwas weiter weg. Mit dem größten Abstand positioniert Leyla die zornige und die ängstliche Figur gemeinsam. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der zweiten Positionierung stellt Leyla die Matrioschka, als Symbol für den mütterlichen Aspekt Gottes, zur Seite. Das habe für sie im Moment keine Bedeutung. Die nachdenkliche Figur bleibt beim Netz der Liebe und Verbundenheit stehen. Dazu positioniert Leyla noch das Symbol für die Quelle des Lebens. Die traurige und die schuldbeladene Figur stellt Leyla zu dem Symbol für GottVater. Die Gottessymbole für Kraft, Licht und innere Stimme stellt sie gemeinsam auf und positioniert dazu die fröhliche Figur. Weit entfernt von allen Gottessymbolen stehen die zornige und die ängstliche Figur nebeneinander.
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Gebetsfragebogen Im Gebet ist es ihr wichtig, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen und mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken. Sie betet vor dem Essen, wenn sie sich freut, wenn sie vom Leiden anderer Menschen hört und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Für ihr Gebet gibt es, außer vor dem Essen, wenig rituelle oder kultische Anlässe. Gebet hat hier eher die Funktion eines Dialoges mit Gott und kann ihr unter anderem zur Bewältigung von Belastungssituationen dienen. Leyla hält sowohl ein direktes Eingreifen Gottes (Heilung) als auch ein indirektes Eingreifen durch Ärzte und Medikamente für möglich, wobei sie eine kooperativ-vertrauende Haltung einnimmt und ihr der Aspekt der Souveränität Gottes wichtig ist. Leyla ist eine junge, fröhliche Frau, die durch die Flucht aus ihrem Heimatland Afghanistan mit Ehemann und Kleinkind schon große Strapazen hinter sich hat, die sich nun in einem fremden Land erst einmal neu orientieren muss und mit drei Kindern bereits viel Verantwortung trägt. Mehrere Jahre hat sie in einem anderen EU-Land im Flüchtlingscamp gelebt, wo sie Kontakt zu einer baptistischen Familie bekommen hat, die ihr dann auch in Österreich Kontakt zu einer Baptistengemeinde vermittelt hat. Ihre Muttersprache ist Dari. Das Interview wurde auf Deutsch geführt, mit ein wenig Übersetzungshilfe durch den Ehemann. Leyla besucht die Veranstaltungen der Gemeinde, so oft sie kann, und arbeitet auch dort mit, wo es ihr aufgrund ihrer Familiensituation möglich ist. Der Glaube an Gott und auch die Bibel sind für sie sehr wichtig. Unterstützend erlebt sie ihren Glauben weniger. Praktische Nächstenliebe ist ihr wichtig, und sie engagiert sich aufgrund ihres Glaubens häufig nachbarschaftlich, weniger sozial für ihre Mitmenschen. Der Bitte, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen, kommt sie nur sehr zögernd nach. Nach dem Interview erwähnt sie, inzwischen sichtlich erleichtert, dass sie große Angst vor dem Interview gehabt habe, weil sie gedacht hätte, dass es eine ähnliche Funktion erfüllen sollte wie die Interviews während ihres Asylverfahrens. Die Traumatisierung nicht nur durch die Flucht, sondern auch durch den psychisch sehr belastenden Prozess des Asylverfahrens und die damit verbundenen Ängste sind immer noch spürbar. Der Aufgabe, eine Metapher zu gestalten, kommt Leyla dann gerne nach und auch das anschließende Gespräch ist locker und entspannt, wenn auch aufgrund von Sprachproblemen nicht immer einfach. Sie verwendet vor allem natürliche Materialien, aber auch Obstnetze und Plastikfolie. Die voluminöse, runde Form des Nestes findet sich außerhalb des Nestes noch einmal in einer kleinen nestähnlichen Gestaltung. Die Farbkomposition blau-braun spiegelt sich außen und innen. Das Nest geht über die Unterlage in den Raum hinaus und wirkt sehr voll. Leyla stellt das, was sie von Gott geschenkt bekommen hat, ins Zentrum ihrer Metapher : Gott ist für sie wie ein Nest, in dem sie mit ihrer Familie geborgen sein kann. Außerhalb des Nestes stellt sie die Größe, Stärke und Schönheit Gottes, die sie empfindet, dar. Es fällt ihr schwer, Worte zu finden, um diese Qualitäten Gottes zu beschreiben324. 324 Das Interview mit Leyla ist durch Sprachschwierigkeiten beeinträchtigt. Der Partner, der auch anwesend war, hat zum Teil übersetzt. Es ist unklar, ob Leyla die Fragen gut verstehen
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Im weiteren Gespräch scheint Leylas Gottesverständnis fragmentarisch. Entscheidende christliche Inhalte wie Gnade und Vergebung fehlen. Eine Verbindung zwischen Gott und Menschen zu sehen, fällt ihr schwer. Sie weiß durch die Bibel von einer Verbindung von Gott und Christus, aber zu anderen Menschen hat Gott ihrer Meinung nach keine Verbindung. Gott ist für sie wie ein Vater, der für seine Kinder das Gute will, und daher sollen die Menschen auch gut handeln, werden aber durch Satan davon abgehalten. Eine dualistische Weltsicht scheint bei Leyla durch. Was für Gott gilt, scheint auch für Satan zu gelten: er ist immer mit dem Menschen. Der Mensch muss ständig beten, damit er noch auf der Seite des Guten sein kann. Er ist der machtlose Spielball zwischen zwei gleichstarken Größen. Schlechte Menschen kommen in die Hölle. Leyla kennt für ein Reden Gottes allein den Weg des Buches, der Bibel. Leyla hält es für unmöglich, dass Gott oder sein Handeln für den Menschen sichtbar sind. Gott kann aber unsichtbar in den Herzen der Menschen etwas verändern. Leylas Gottesvorstellung scheint widersprüchlich: Gott kann von Menschen nicht wahrgenommen werden, aber durch die Bibel zu ihnen reden. Er ist in den Herzen der Menschen, hat aber keine Verbindung325 zu ihnen. Auf die Theodizeefrage reagiert Leyla mit unsicherem: »ich kann nichts dazu sagen, weil ich über meinen lieben Gott nichts Schlechtes sagen möchte«. Möglicherweise traut sie ihm zu, dass in ihm auch die Ursache für schlimme Dinge in dieser Welt zu finden ist, will das aber bewusst nicht so sagen und grenzt sich damit von einem Gottesbild ab, das in ihrer Heimat Afghanistan dazu geführt hat, dass Menschen einander Böses antun und Gott dafür verantwortlich machen. Ihr neues Gottesverständnis grenzt sich hier von einem leidvoll erfahrenen Missverständnis ab, dass Gott will, dass Menschen sterben. Auf dem Hintergrund des Erlebten hält sie an einem Gott der Liebe fest, von dem sie nicht sagen kann, dass er etwas Schlechtes tue. Leylas Annäherung an den christlichen Glauben scheint zunächst auf der Erfahrungsebene stattzufinden: Geborgenheit im Nest (gerade nach einer anstrengenden Zeit der Angst und Gefährdung?). Orientiert sich ihr Gottesverständnis auf der kognitiven Ebene noch sehr an Altbekanntem? Ihre Offenheit für neue kognitive Zugänge zu Gott zeigt sich in ihren Unsicherheiten und Fragen. Sie fragt sich z. B., ob die Vorstellung einer Hölle richtig sei. Leylas Gottesverständnis ist im Umbruch und ihre Gottesbeziehung inmitten einer neuen Entwicklung. Staunen und Dankbarkeit sind die Merkmale, die Leyla in ihrer Metapher im Hinblick auf ihre Gottesbeziehung in den Vordergrund stellt. Dabei setzt sie bei ihrer Lebenssituation an: Ihre Familie, ihr Familiennest, mit ihr selbst, ihrem Mann und ihren drei Kindern, ist für sie ein Geschenk Gottes. Um dieses Geschenk herum platziert Leyla Symbole für die Größe, Stärke und Schönheit Gottes. Einerseits ist Gott derjenige, der Leyla dieses Nest, ihre Familie, schenkt, andererseits sagt sie, dass Gott selbst wie ein Nest sei. Ein Bild für Geborgenheit durch einen großen und starken Gott inmitten schwieriger und unsicherer Lebensumstände? Leyla macht im Gespräch deutlich, dass es ihr schwer fällt, mit Worten Gottes Größe und Stärke und auch die Vielfalt dessen zu beschreiben, was sie von ihm geschenkt konnte und ob die Interviewerin ihrerseits Leyla richtig verstanden hat. Die Verdichtung des Transkriptes stellt einen Versuch bestmöglichen Verstehens dar. Es gibt Lücken im Ausfüllen des Gebetsfragebogens und der weiteren Fragebögen. 325 Eventuell handelt es sich hier auch um ein Sprachproblem, was den Begriff »Verbindung« angeht.
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bekommen hat. Es sind für sie viele Geschenke, die sie nicht wirklich benennen kann. Ein weiteres Geschenk, das sie dann doch noch nennen kann, ist ihr christlicher Glaube. Weitere Geschenke sind das Leben selbst, die Gesundheit und die Natur. Von allen dreien sagt sie, dass sie schön sind und sie diese daher mit der Schönheit Gottes verbindet. Ihre eigene Position findet sie mitten drin im Nest, also in ihrer Familie und in Gott selbst. Das spricht für eine gewisse Gottesnähe, aber konkret nach einem Erlebnis der Nähe Gottes befragt, sagt sie, dass sie das noch nicht erlebt hat. In der Frage wird von Moses erzählt, der Gott im Feuer sehr anschaulich, wenn auch nicht direkt, begegnet ist. Nach ihrem Verständnis können Menschen Gott aber weder hören noch sehen. Vielleicht fällt ihr Grundgefühl von Dankbarkeit, Beschenkt-sein und Geborgenheit im Gottes-Nest daher für sie nicht unter die Kategorie einer erlebten Nähe Gottes? In der Beantwortung der Frage, wo Gott sei, finden wir eine Entwicklung in Leylas Gottesbeziehung: Von einem eher distanzierten Verhältnis zu einem »Gott im Himmel«, hin zu einem »Gott, der immer mit den Menschen ist«, bis zu einem Naheverhältnis als »Gott in den Herzen der Menschen«. Mehr Aufschluss über Leylas Nähe und Distanz Gott gegenüber geben die Positionierungen zu den Gottessymbolen. Das Symbol für Gott als Netz der Liebe und Verbundenheit ist Leyla wichtig. Es erinnert auch ein wenig an ihre Darstellung vom Nest. Trauer, Angst und Zorn stehen zunächst unverbunden. Freude, Schuld und Nachdenklichkeit haben einen Bezug zum Gottessymbol. Bei der zweiten Positionierung findet Leyla auch für die Trauer einen Platz in der Nähe eines Gottessymbols, während Angst und Zorn weiter unverbunden bleiben. Bei der Freude sind besonders viele Gottessymbole versammelt. Im Alltagsleben ist Leyla ihr Familienleben sehr wichtig, und da nimmt der Gottesbezug eine zentrale Stelle ein. Sonst gibt es für sie keine bestimmten Zeiten, an denen sie an Gott denkt. In guten und schlechten Zeiten denkt sie an Gott. Wobei sie in schlechten Zeiten mehr an Gott denkt; dann betet sie darum, dass Gott ihr hilft, und in guten Zeiten dankt sie Gott. Das, was Leyla im Moment »unbedingt angeht«, ist ihre Familie, die sie nach Jahren der Flucht, Aufenthalt in einem anderen EU-Land und der Unsicherheit, ob in Österreich Asyl gewährt wird, endlich in Sicherheit weiß. Was durch Leylas Gottesmetapher des Nestes hindurchscheint und auch durch ihre Gebetspraxis sichtbar wird, ist die Bewältigung schwieriger Lebensereignisse oder eines erschwerten Alltags mit Hilfe ihrer Gottesbeziehung. Drückt sich in dem Nest eine Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit oder auch Vertrautheit inmitten einer fremden und manchmal fremdenfeindlichen Umwelt aus? Dient ihr die vertraute Familie als von Gott geschenkter Rückzugsort und Ressource, um ein anstrengendes Leben – Erlernen einer fremden Sprache, vielfältige kulturelle Missverständnisse, Schwierigkeiten mit Ämtern, Nachbarn, Arbeitskollegen, Verantwortung für die erfolgreiche Bildung der eigenen Kinder und viele andere Herausforderungen – zu bewältigen? Zu fragen wäre abschließend, wie gewissensängstlich Leyla ist, wenn ihr das Gute, das sie tun möchte, nicht gelingt. Wenn der Rückschluss aus ihrem Gottesverständnis ist, dass die Menschen, die Böses tun, in die Hölle kommen, dann wäre hier ein guter Ansatz, Impulse im Hinblick auf ein – um die vergebende Gnade Gottes in Christus – erweitertes Gottesverständnis zu geben.
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3.1.2 Amir – Gott ist wie ein Licht Amir kommt ursprünglich aus Afghanistan, ist zwischen 20 und 30 Jahre alt und arbeitet im sozialen Bereich. Gottesmetapher
Amir gestaltet aus einer Pappe, einer Radioplatine und einem Teelicht ein Leuchtobjekt. Die Pappe versieht er mit 15 Löchern, die im Rechteck in drei Reihen zu je fünf Löchern angeordnet sind. Durch diese Löcher kann das Licht der Kerze scheinen. Die mittleren Löcher sind so miteinander durch Schnitte verbunden, dass sie sich zu einer kleinen Türe öffnen lassen. Alle Löcher sind mit einem Zeichenstift durch Striche verbunden worden. Die Platine befindet sich hinter der Pappe, auf der Platine steht ein angezündetes Teelicht. Amir sagt, dass Gott für ihn wie ein Licht sei. Wenn es dunkel sei, dann sei kein Licht und man könne nichts sehen. Gott sei wie ein Licht, und wenn man im Licht sei, dann könne man »alles sehen, was passiert, was los ist«. Als er im Dunkeln gewesen sei, da habe es ein kleines Licht gegeben, das sei wie die Gemeinde, die geleuchtet habe. Dabei zeigt Amir auf die kleinen Löcher, die er in die Pappe gestanzt hat
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und durch die ein wenig Licht fällt. Das seien die Christen, die leuchten würden. So sei das Bild für ihn: Gott sei das Licht, das durch die Leute, die an Jesus Christus glauben würden, für ihn leuchte. Wenn er nicht wisse, wo Gott sei, gebe es die Gemeinde. Er habe Gott durch die Gemeinde kennen gelernt und die Gestaltung sei wie eine Gemeinde, die leuchtet, und dann komme er selbst in das Licht. Dann wisse er, was da drin passiere, wie das sei und wo das Licht her komme. Jetzt öffnet er die Klappe und das brennende Teelicht wird voll sichtbar. Das sei die Tür und jetzt sehe er das Licht und wo es her komme und was da drinnen sei. Jetzt beschreibt Amir, was da drinnen ist, indem er die einzelnen Teile der Platine benennt: Das sei zum Beispiel »Leben, Liebe, Stärke oder Kraft, Heilung«. Das seien Beispiele für all das, was »unter Gott« sei. Auch Gnade und das, was im Galaterbrief stehe, dass man den Heiligen Geist habe und damit die Früchte des Geistes: Liebe, Treue, Sanftmut, Demut, »Geduld und alles zusammen«. Das hier, er zeigt auf eine Rolle auf der Platine, sei »wie eine Quelle von allen Sachen. Und das Große ist (zeigt auf die große Spule vorne links), das ist Liebe, das ist Liebe«. Und wenn da Licht sei, dann könne man das alles sehen und kennen lernen und von diesem allen nehmen. Wenn kein Licht da sei, dann könne man nicht sehen, was da wirklich drin sei. Und für ihn sei Gott das Licht, und er leuchte und Amir könne so alles sehen. Und von daher käme alle diese Frucht, deshalb habe er so kleine Löcher in den Karton gemacht. Weil er früher in der Dunkelheit gewesen sei, habe er nicht sehen können, was in dieser Welt passiere. Und dann habe er diese kleinen Löcher – die Gemeinde oder Kirche oder eigentlich jeden einzelnen Menschen, der an Gott und Jesus Christus glaubt – gesehen. Durch diese Menschen habe er das Licht gesehen und sei da reingekommen und alles war da. Die Menschen seien selbst nicht das Licht, aber durch sie könne das Licht scheinen, wie Jesus sage: Eine Stadt, die auf dem Berg leuchte. Wo er selbst sei? Amir zeigt auf das kleine Loch in der Mitte, er sei da drin, vielleicht irgendwo hier. Er zeigt auf eine Stelle mitten auf der Platine und bewegt seinen Finger in verschiedene Richtungen. Er suche noch und versuche alles, was da sei, gut kennen zu lernen. Alles, was da »unter Gott«, also unter dem Teelicht, sei. Er wolle es kennen lernen und dann weitergeben. Er könne davon nehmen, denn wenn er nicht davon nehme, dann könne er es auch nicht weitergeben. Er müsse alles nehmen, dann sei er wie diese Menschen (zeigt auf die Löcher) und könne das weitergeben. Ein wenig später entdeckt die Interviewerin noch eine orange Plastelinfigur. Was das sei? Das sei für Amir ein Bild für Gott. Das habe er einfach so (was er besonders betont) dazu gestaltet, weil Gott immer die Liebe sei und seine Arme weit ausbreite – Amir zeigt das und breitet seine Arme weit aus – und immer sage: ›kommt her‹. Zum Beispiel sei Jesus so gewesen, als er hier auf der Erde
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gelebt habe: »Er war so: ›komm zu mir, komm zu mir‹. Amir zeigt noch einmal auf die ausgebreiteten Arme der Figur. Eine Überschrift für die Gestaltung? Gott ist wie ein Licht. Wo Gott sei? Gott sei unter uns. In den Psalmen stehe, Gott sei da oben und sehe, was die Menschen machen würden. Das stehe in den Psalmen, sagt Amir, aber für ihn ist Gott genau in seinem Herzen. Zum Beispiel sei Gott der Vater im Himmel, Jesus wohne unter uns oder zwischen uns und der Heilige Geist sei in unseren Herzen. Das sei für ihn ein Bild. Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? Die Natur erinnere Amir an Gott. Sie sei für ihn Gottes Werk. Alles, was da sei, »die Schönheit der Natur, die Sterne, die Sonne, der Himmel und alles«, was er sehe, das komme von Gott. Es sei sein Werk. Ob Gott auch etwas mit den Menschen zu tun habe? Gott habe den Menschen geschaffen, und er liebe den Menschen und sage: ›Komm zu mir zurück!‹ Amir zeigt wieder auf die Figur mit den ausgestreckten Armen. Der Mensch habe einen Fehler oder etwas Böses getan, wie zum Beispiel Adam und Eva oder zu Zeiten Noahs, und Gott habe gesagt: ›Oh, warum ich hab das alles gemacht?‹ Aber Gott in seiner Liebe sei so, dass er sagt: ›Egal, was ihr gemacht habt, kommt zu mir zurück‹. Gott habe viel mit den Menschen zu tun gehabt und habe es noch. Zum Beispiel denke er, zwischen Gott und Satan, der in dieser Welt sei und »so Böses« mache, sei es so, dass Gott den Menschen gemacht habe, um Satan zu zeigen, dass der Mensch ihm widerstehen könne. Natürlich sei Gott sehr stark und könne alles gegen Satan machen, aber er habe nur eine sehr kleine, kleine Sache gemacht. Er habe den Menschen geschaffen, um Satan zu zeigen: »Schau mal, das ist mein Handwerk, das kann dir widerstehen. Ich mache nichts gegen dich, aber ich habe hier etwas, das gegen dich alles macht. … Das ist mein Handwerk. Ich sitze nur hier und schaue, aber dieser kleine Mensch macht [etwas] gegen dich, steht gegen dich. … Mein Handwerk ist zwar sehr klein, aber es macht etwas gegen dich. Meine Kraft kommt durch diese kleinen, kleinen Menschen.« So sehe er die Verbindung zwischen Gott und Mensch: Gott habe den Menschen geschaffen, damit er auf dieser Erde etwas gegen den Satan tue. Wie das für Gott sei, wenn Menschen etwas Böses tun würden? Es sei Gott nicht egal. Gott warte noch. Gott sage: ›Okay, diesmal hast Du [etwas] Böses gemacht, aber komm zu mir (das sage Gott immer) und ich zeige dir, was du machen musst‹. Vielleicht handle der Mensch dieses Mal böse, ein anderes Mal nicht. Amir verstehe von der Bibel, dass Gott nicht so schnell böse, nicht schnell zornig werde. Ein-, zwei- vielleicht hundertmal sei Gott nicht böse. Gott sage es mit Liebe. Er, Amir, glaube, Gott sei nicht böse. Für ihn sei es nicht egal, aber er tue alles mit Liebe und warte, dass ein Mensch zu ihm zurückkomme. Ob Gott noch andere Dinge tue in dieser Welt? Gott denke an uns, Gott liebe uns, Gott gebe uns Kraft, Licht und alles, was er habe. Das Beispiel, das er vorhin gebracht habe, dass Gott sitze und zuschaue und warte, habe er nur im Hinblick auf Satan so
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beschrieben. Aber Gott sitze nicht nur und warte, er tue auch etwas. Er gebe alles mit Liebe und ein »neues Leben, Kraft, Weisheit … und alles, was [er] hat, glaube ich«. Weil Jesus Christus gekommen sei, und sein Leben gegeben habe. Ob Gott zum Beispiel in konkreten Notsituationen eingreifen könne? Gott helfe uns zu seiner Zeit und an seinem Ort. Amir glaube, wenn er eine sehr starke Krankheit habe, könne Gott ihn direkt oder auch indirekt heilen. Vielleicht werde die Krankheit nach ein oder zwei Jahren aufhören, und am Ende sei das eine Heilung. Als Antwort auf diese Frage erzählt Amir eine Geschichte von jemandem, der in einem See ertrinkt und Gott um Rettung bittet. Dieser Mann habe gehört, Gott helfe immer direkt und so schreie er um Hilfe. Ein Boot komme und ein Mensch sage: ›Komm in mein Boot‹, aber der Ertrinkende lehne ab mit den Worten: ›Nein, nein – ich warte auf Gott‹. Das passiere dreimal, aber der Ertrinkende warte weiter auf Gott, lehne jede menschliche Hilfe ab, sterbe (Amir lacht) und sage: ›Gott, in deinem Wort, sagst du: ich helfe, aber du hast mir nicht geholfen‹. Dann sage Gott: ›Ich hab’ dir Leute gegeben … aber du wolltest sie nicht‹. Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen ihm Gott einfalle? Er, Amir, denke immer an Gott. Irgendwann besonders? Besonders denke er an Gott, wenn er etwas bekomme, was er sich wünsche. Wenn ihm ein Wunsch erfüllt werde, dann bekomme er zusätzlich noch Ruhe und Freude, Zufriedenheit und das sei dann eine sehr gute Zeit, um an Gott zu denken, aber eigentlich denke er immer an Gott. Vielleicht nicht an jedem Moment innerhalb von 24 Stunden, weil er auch mit anderen Dingen beschäftigt sei, aber eigentlich immer. Ob er schon einmal das besondere Gefühl der Nähe Gottes gehabt habe? Das sei so schwierig zu sagen, aber Gott sei immer nah, weil er in unserem Herzen sei. Gottes besondere Nähe habe er gespürt, als er Christ geworden sei. Das erste Mal, als er in die Gemeinde gekommen sei, habe er das so gefühlt. Für ihn sei Gott früher im Himmel gewesen und nicht immer nah, aber als er in die Gemeinde gekommen sei, in dieser Zeit war es für ihn die einzige Zeit, in der er Gott so nahe gefühlt habe. Aber jetzt sei er in seinem Herzen und mehr als nah. Vor dreieinhalb Jahren sei er Christ geworden. Was da anders geworden sei? Er habe sich verändert, sein Leben und alles. Es sei jetzt ganz anders. Er habe jetzt mehr Liebe und Geduld für andere Menschen. Vielleicht sei er manchmal böse, aber dann denke er : »Oh nein, ich muss Geduld haben«.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Für die erste Positionierung sucht sich Amir entsprechend seiner Gottesmetapher als Gottessymbol das Licht aus. Ganz nah stellt er den Nachdenklichen und den Fröhlichen zum Licht. Etwas weiter entfernt stellt er den Traurigen, den Ängstlichen und den Schuldbeladenen im Halbkreis den anderen Figuren gegenüber. Weiter entfernt steht der Wütende. Alle Figuren sind dem Gottessymbol zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der zweiten Positionierung stellt Amir die verschiedenen Gottessymbole in einer Reihe auf und ordnet ihnen die verschiedenen Emotionen zu. Zum Licht stellt er den Schuldbeladenen und den Fröhlichen, zu Gott-Vater den Nachdenklichen, zu der Quelle des Lebens und dem Symbol für den mütterlichen Aspekt Gottes stellt er den Ängstlichen, den Traurigen setzt er ins Netz der Liebe und Verbundenheit, der Wütende steht vor der Kraft und der inneren Stimme. Hier stehen alle Figuren sehr nah an den Gottessymbolen, wobei sie die Gottessymbole im Rücken haben.
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Gebetsfragebogen Beim Gebet ist es Amir wichtig, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Etwas anderes, was ihm beim Gebet wichtig ist, nennt er nicht. Amir hält sowohl ein direktes Eingreifen Gottes (Heilung) als auch ein indirektes Eingreifen durch Ärzte und Medikamente für möglich, wobei er eine kooperativ-vertrauende Haltung einnimmt und ihm der Aspekt der Souveränität Gottes wichtig ist. Er gibt an, dass er vor dem Essen betet und weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Amir ist ein aufgeschlossener, fröhlicher junger Mann. Er ist Mitte 20 und arbeitet hart. Er hat zwei Jobs, um für seine fünfköpfige Familie zu sorgen. Er kam vor vier Jahren ohne Ausbildung nach Österreich und musste sich hier beruflich und sprachlich völlig neu orientieren, nachdem auch er sich schon in einem anderen EU-Land länger mit seiner Frau Leyla326 und einem Kleinkind aufgehalten und eingelebt hatte. Sein Ursprungsland ist Afghanistan, seine Muttersprache Dari. Die Interviewsprache ist deutsch. Er ist mit seinem Leben zufrieden und der Glaube an Gott und seine Gemeinde sind für ihn sehr wichtig. Er erlebt seinen Glauben unterstützend. Die Bibel und praktische Nächstenliebe sind für ihn sehr wichtig. Er engagiert sich aufgrund seines Glaubens sozial und häufig auch nachbarschaftlich für seine Mitmenschen und arbeitet sehr engagiert in seiner ethnischen Gemeinde mit. In der österreichischen Gemeinde hat er Leitungsverantwortung und auch außerhalb der Gemeinde oft Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Amir hat sich gerne zu einem Interview bereit erklärt und hat sichtlich Freude bei der Gestaltung seiner Materialcollage. Er geht sehr kreativ vor, indem er die Unterlage gleich in die Gestaltung integriert. Mit einfachen Mitteln gestaltet er eine sehr geometrische Konstruktion. Die runden Punkte und eckigen Linien außen spiegeln sich im ebenfalls runden und eckigen Innenleben. Das brennende Licht gibt dem Ganzen einen funktionalen Charakter, wie eine Laterne, die man ins Fenster stellen könnte. Die Draufsicht von vorne macht neugierig, was sich wohl dahinter verbirgt, ist transparent für das Wesentliche. Mit seiner Gestaltung zur Gottesvorstellung erzählt Amir zugleich seine Geschichte, wie er zum christlichen Glauben gefunden hat und stellt eine Beziehung zwischen Gott und Gemeinde her : Gott ist wie ein Licht, zu dem er durch die Menschen in der Gemeinde gefunden hat. Die Löcher im Leuchtobjekt stellen die Menschen dar, die Gemeinde, durch die Amir den christlichen Glauben kennen gelernt hat. Durch das Licht, das er durch diese Menschen sehen konnte, ist er selbst zu »Gott als dem Licht« gekommen. Nun befindet er sich auf der anderen Seite, der Lichtseite, und kann Gott und seine Qualitäten besser kennen lernen, um sie dann anderen Menschen zu vermitteln. Amirs Gottesverständnis beinhaltet sowohl strukturelle als auch personale Kategorien: Gott ist das Licht und als dieses ist er immanent im Menschen und kann dort von anderen Menschen wahrgenommen werden. Gott partizipiert an diesem Leben. Gott ist für ihn aber auch handelndes Subjekt. Er greift ein, meistens indirekt durch Menschen und im Besonderen im Christusgeschehen. In Amirs Gottesverständnis ist Gott dem Menschen 326 Vgl. 3.1.1 Leyla – Gott ist groß, Gott ist stark und Gott ist schön, 98.
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grundsätzlich zugewandt. Er wartet mit offenen Armen auf den Menschen, selbst wenn dieser etwas falsch macht. Gott sagt grundsätzlich zum Menschen »komm her«, oder wenn der Mensch sich von ihm entfernt »komm zurück«. Für Amir ist Gott unter uns Menschen, dabei setzt er trinitarisch an: Gott ist der Vater im Himmel, in Jesus zwischen den Menschen und als Heiliger Geist in den Herzen der Menschen. Gott ist der Schöpfer der Welt und des Menschen und er handelt dadurch, dass er dem Menschen alles, was er hat, mit Liebe gibt: Licht, Leben, Kraft und Weisheit. Das begründet Amir christologisch: Gott tut das, weil Christus gekommen ist und sein Leben gegeben hat. Nach Amirs Anschauung kann Gott sehr wohl Gefühle haben, weil Gott das Handeln des Menschen nicht egal ist, aber Gott wartet und liebt und ist nicht schnell zornig. Die hier anklingenden Anthropomorphismen sind bei Amir transzendenzbewusst. In dem Warten Gottes ist die Autonomie des Menschen gewährleistet, der Mensch ist frei, seine eigenen Wege zu gehen. Allerdings hat Gott den Menschen unter anderem zu einem bestimmten Zweck geschaffen, er soll nämlich dem Bösen (Amir nennt es hier Satan) zeigen, dass seine Macht begrenzt ist327. Der Autonomie des Menschen kommt hier ein besonderer Stellenwert zu. Gerade dadurch, dass der Mensch sich frei gegen das Böse entscheiden und tun kann, was Gott will, wird gezeigt: Die Macht des Bösen ist begrenzt. Ein »posse non peccare« – die Freiheit nicht sündigen zu müssen – klingt hier durch. Offen ist, ob dies für alle Menschen gilt oder nur für die, die nach dem Willen Gottes leben wollen. Nach Amirs Ansicht kann Gott direkt und indirekt handeln. In der Geschichte, die er vom ertrinkenden Mann erzählt, legt er selbst den Schwerpunkt auf ein eher indirektes Handeln Gottes durch die Menschen. Was auch durch die Ergebnisse des Gebetsfragebogens unterstützt wird, wobei er eine kooperativ-vertrauende Haltung einnimmt. Durch seine Gestaltung erfahren wir, dass Amirs Gottesbeziehung sich im Laufe der letzten Jahre verändert hat. Sie hat sich von einem distanzierten Gottesverhältnis zu einem Gott im Himmel, der für Amir keine weitere Bedeutung hatte – er beschreibt die Zeit vorher sogar als ein »Leben in Dunkelheit« – zu einer Gottesbeziehung, von der er sagt: »Gott ist in meinem Herzen und jetzt ist er näher als nah«, entwickelt. Menschen spielen für Amir als Vermittler der Liebe Gottes eine wichtige Rolle. Durch andere Christen in seiner späteren Gemeinde findet er zum christlichen Glauben, und er will jetzt auch selbst solch ein Mensch sein. Mit seiner Metapher gesprochen, hat sich die »Tür zu Gott« für ihn geöffnet und er ist hindurchgegangen. Auf der Lichtseite bewegt er sich nun neugierig und entdeckt alles, was für ihn zu Gott gehört. Bei Gott findet er die Quelle von allem, Liebe, Leben, Kraft und Heilung, Treue, Sanftmut, Demut, Geduld und noch viel mehr. Nun hat er sogar einen inneren Zugang zu vielen Dingen, die er vorher nicht einmal sehen konnte. Amir beschreibt, wie er durch seine Gottesbeziehung eine ganz neue Lebensqualität gewinnt. Sein Leben hat sich für ihn komplett verändert, von Dunkelheit zu Licht. Durch Gott, der für ihn das Licht ist, ist es ihm möglich, die Liebe und all das andere zu erkennen und daran teilzuhaben. Er kann davon nehmen und anderen weitergeben. Er gibt an, keine bestimmten Orte, Situationen oder Zeiten zu haben, zu denen er an Gott denkt. Er denkt immer an Gott, besonders dann, wenn Wünsche erfüllt werden. Dann spürt er Ruhe, Freude und Zufriedenheit. Ein Gefühl der Nähe Gottes hat er immer, da Gott in seinem 327 Ganz im Gegenteil zu seiner Frau Leyla, bei der der Mensch ein machtloser Spielball zwischen Gut und Böse ist, betont Amir hier die Autonomie des Menschen als Zeichen der Entmachtung des Bösen durch Gott.
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Herzen ist, und das ist für ihn mehr als nah. Er erinnert sich auch daran, als er Christ geworden ist, beziehungsweise als er in die Gemeinde gekommen ist, ein besonderes Gefühl der Nähe Gottes verspürt zu haben. Über Amirs Alltags- und Lebensgestaltung erfahren wir generell von dem beschriebenen Wechsel von Dunkelheit ins Licht. Konkret spricht er an, dass er jetzt mehr Liebe und Geduld für seine Mitmenschen hat und dass er immer an Gott denkt. Er selbst arbeitet sehr engagiert in seiner Gemeinde und hat inzwischen eine leitende Funktion. Ihm ist es wichtig, für andere solch ein Mensch zu sein, durch den das Licht Gottes scheinen kann. Er will von den oben genannten Qualitäten (Liebe, Geduld, Kraft, Sanftmut u. a.) nehmen und an andere Menschen weitergeben. Auch wenn das im Interview nicht ausführlich besprochen wird, können wir davon ausgehen, dass das weitere Konsequenzen für die Gestaltung seines Lebens und Alltags und seinen Umgang mit seinen Mitmenschen hat. Insgesamt ist der christliche Glaube für Amir essentiell wichtig. Er hat, so wie er es selbst beschreibt, dadurch Teil an Qualitäten, die er neu kennen gelernt hat: Liebe, Leben, Kraft, Heilung, Demut, Geduld und andere. Erkennbar ist die Ich-Ausdehnung Amirs in Richtung auf ein Mitwirken mit der Liebe Gottes zugunsten anderer Menschen. Das, was er selbst an »Heil« oder guten Gaben Gottes erfahren hat, das will er auch anderen zugutekommen lassen. Von daher engagiert er sich auch prosozial in seiner Gemeinde und in seinem Alltag. Er zeigt eine hohe Bereitschaft zu moralischer Selbstkontrolle, wobei Amir im Gespräch sehr natürlich und ohne Gewissensängstlichkeit über seine eigenen Grenzen (Wut und Ungeduld) und die Erweiterung dieser Grenzen durch die neuen Qualitäten in seinem Leben spricht. Er will schädigenden Impulsen nicht nachgeben – »ich muss Geduld haben«. Zu fragen ist, wie sich Innen- und Außenwelt, also die Bereiche hinter der transparenten Fassade und davor, für Amir in Zukunft verbinden lassen. Im Moment entdeckt er neugierig, was um das Licht herum zum Vorschein kommt, aber wie verbindet sich das mit der Welt, aus der er kommt und die mit dem jetzt Erlebten in so starkem Widerspruch zu sein scheint? Hat es Liebe, Geduld und anderes vorher nicht in seinem Leben gegeben?
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3.1.3 Mara – Gott liebt uns Mara ist zwischen 30 und 40 Jahre alt und kommt aus dem Iran. Sie arbeitet im medizinischen Bereich. Gottesmetapher
Mara hat aus Draht und Holzperlen zwei Figuren unterschiedlicher Größe gestaltet. Die große Figur hält die kleine fest in ihren Armen. Auf die Frage, was ihr gerade an Gott wichtig sei, habe sie gedacht, dass – als sie noch Muslima war – Gott immer weit von ihr entfernt war. Sie habe nach Gott gesucht, aber sie habe nicht gefühlt, dass Gott bei ihr oder in ihr sei. Sie habe nicht fühlen können, dass sie in der Nähe Gottes sei. Aber nachdem sie Jesus Christus erkannt habe, habe sie gefühlt, dass Gott in der Nähe sei und dass sie mit ihm sprechen könne. Sie habe ein Gefühl, dass er sehr schön sei und dass sie mit ihm Freude haben könne. Sie fühle immer, dass Gott mit ihr sei und dass sie ihm vertrauen könne. So sehr habe sie das vorher nicht empfunden. Und es sei schön gewesen, (beim Konstruktionsauftrag zur Gottesmetapher) danach gefragt zu werden, was das Wichtigste sei. Da habe sie gedacht, dass Gott sie in seinen Händen halte, dass er sie in den Arm nehme. Er habe sie gerettet und gebe ihr Freude und Kraft, die Sicherheit zu fühlen. Die große Figur sei Gott, so groß und stark. Ob die goldene Farbe des Kopfes eine Bedeutung habe? Sie liebe diese Farbe, aber eigentlich habe sie die Kugel aufgrund ihrer Größe ausgewählt, aber über die Farbe der Hände habe sie sich Gedanken gemacht. Die Hände seien rot, und da habe sie daran gedacht, dass Gott sie gerettet und sie in den Arm genommen habe, und die rote Farbe könne vom Blut Jesu sein, das sie gerettet und »eigentlich von den Sünden … abgewaschen« habe und sie ein bisschen »weiß« gemacht habe, dabei lacht Mara herzlich und zeigt auf die kleine Figur, die aus
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einem weißen Draht gefertigt ist. Die Arme der großen Figur sind mit rotem Draht und der Körper mit schwarzem Draht gefertigt. Ob sie den roten Draht bewusst ausgewählt habe? Ja, sie wolle, dass die Farben zueinander passten. Und sie sei jetzt weiß? Ob sie vorher eine andere Farbe gehabt habe? Ja, vielleicht eine dunklere. Gott liebe und beschütze uns, das wolle sie mit ihrer Gestaltung ausdrücken, und er gebe uns die Kraft, gut und richtig zu leben und auch zu lieben. Ob sie genauer beschreiben könne, was es heißt, dass Gott sie gerettet habe? Jesus sei am Kreuz gestorben und habe sich geopfert. Was das für sie selbst heißen würde? Jesus habe sein Leben geopfert und dieses Leben sei für sie so wichtig. Und diese Liebe gebe ihr nicht einfach die Erlaubnis, Sünden zu begehen. Für sie als Mensch käme die Sünde manchmal »einfach«, aber sie versuche immer, Jesus am Kreuz zu sehen. Jesus habe auch gesagt, dass er uns geliebt habe und uns immer noch liebe und er wolle, dass wir wüssten, dass Gott dieses Opfer für uns gegeben habe und was dieses Opfer für uns bedeute. Sie »versuche immer, so wie Jesus (zu) sein«. Sie könne es nicht, aber sie versuche es immer. Was das heiße, sie könne es nicht? Für sie als Mensch sei es schwer zu sagen, dass sie »komplett« so wie Jesus sei. Aber man könne es einfach versuchen und »mehr und mehr in Jesus wachsen«. Sie glaube, es sei wichtig für Gott, dass Menschen es einfach versuchen würden, mehr und mehr wie Gott zu sein. Gott habe ihr einfach in dieser Zeit gezeigt, wie sie wachsen könne, und sie glaube, dass man nicht auf einmal alles haben und machen könne, man müsse in Gott wachsen. Man müsse »wissen, was Gott für uns vorhat«. Wie sie das wissen könne? Es sei ein Gefühl. Sie fühle, dass sie gegenüber früher mehr gewachsen sei. Wenn man »gut nach Gott« suche, wenn man mehr und mehr über Gott wissen wolle, dann zeige Gott einem das, und sie glaube, man könne das auch fühlen. Es sei ein starkes Gefühl! Sie fühle, dass sie in Gott gewachsen sei. Sie fühle es in »Gemeinschaft« und »in der Gesellschaft auch und überall, in (der) Familie …«. Sie wolle auch mehr und mehr über Gott wissen, weil sie Gott nicht gekannt habe, aber jetzt kenne sie Gott mehr als früher, »nicht completely, aber …«. Wie sie mehr über Gott wissen könne? Sie habe in der Bibel gelesen und dann Jesus erkannt und Jesus habe ihr dann gezeigt, was Gott für uns getan habe und wie Gott einfach ist (sie lacht), existiert. Wie Jesus ihr das zeige? Er habe drei Jahre lang mit den Aposteln gelebt und er habe uns, er habe sie unterrichtet und wir hätten die »Handschrift von den Aposteln« und dann könnten wir auch lernen und wir müssten auch bemerken, dass wir den Heiligen Geist hätten und der unterrichte uns mehr und mehr, und Gott sei der lebendige Gott. Ob das heiße, dass sie durch das, was sie vom Leben Jesu weiß, etwas über Gott und Jesus erfahre? Das könne man so sagen, aber das sei nicht alles. Das geschehe auch durch den Heiligen Geist. Wenn sie mehr über Jesus und Gott wissen wolle, dann
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öffne sie einfach ihr Herz. Sie glaube, Gott habe ihr den Heiligen Geist gegeben, um »Gott besser zu kennen und zu wachsen«. Wie die Kommunikation mit dem Heiligen Geist ausschaue? Das sei sehr schwierig zu erklären, aber es sei ein Gefühl, dass sie in Frieden sei und einfach Sicherheit fühle. Obwohl es schwierig sei, anderen zu sagen, dass sie Christ sei, sage sie es, weil sie denke, es sei eine Freude. Für sie sei es einfach eine Freude, wenn sie sage »Ich bin Christin«, und dabei lacht sie herzlich. Und wenn sie bete, dann sei da so ein schönes Gefühl. Das sei anders und sie habe dieses Gefühl früher nie so erfahren. Sie würde es mit Freude und Frieden beschreiben, auch mit Sicherheit und Vertrauen, mehr Liebe von Gott und »alles eigentlich«. Als sie das erste Mal gesagt habe: »Vater, du bist mein Gott«, sei das ein schönes Gefühl gewesen. Dass sie Gottes Kind sei, ja, das sei sehr schön und sie habe alles von Gott bekommen. Ob sie das so mit in ihrer Gestaltung dargestellt habe? Ja! Eine Überschrift für ihre Gestaltung? Gott liebt uns. Wie das im Alltag ausschaue? Egal was sie mache, sie habe immer ein Sicherheitsgefühl. Sie wisse, Gott liebe sie und sie könne auf ihn zählen, egal was passiere. Gerade jetzt, wo sie ein Baby habe, gebe es ihr Kraft und Energie auch in schwierigen Zeiten. Als sie noch kein Baby hatte, da sei es für sie einfacher gewesen, die meiste Zeit an Gott zu denken. Jetzt sei es für sie schwierig, mit Gott in Verbindung zu kommen, aber sie habe trotzdem die Sicherheit, dass Gott sie liebe. Gott sei immer bei ihr, egal ob sie an ihn denke oder nicht, da müsse sie sich keine Sorgen machen. Und weil mit Gott alles in Ordnung sei, müsse sie sich auch sonst keine Sorgen machen. Auch wenn sie sich manchmal Sorgen um ihre Tochter machen müsse, habe sie das Vertrauen, dass am Ende alles gut würde. Darum gehe es überhaupt: mit Gott in Verbindung zu kommen. Man müsse immer Glauben haben und die Hoffnung, dass am Ende alles gut würde, weil Gott bei uns sei. Ob sie schon einmal ein Gefühl der besonderen Nähe Gottes gehabt habe? Mara ist nicht sicher, wie sie diese Frage verstehen soll. Sie fühle immer, dass Gott nahe sei. An ein besonderes Gefühl der Nähe Gottes könne sie sich nicht erinnern. Vielleicht habe sie es vergessen. Sie sei sich aber sicher, dass viel passiert sei. Auf ihrem Weg vom Iran nach Österreich habe sie wirklich Gottes Hilfe erfahren. Sie hätte tot sein können. Sie sei unterwegs sehr schwer erkrankt. Und als sie in Sicherheit gewesen sei, da habe sie gesagt, das sei Gottes Hilfe, Gottes Hand gewesen. Ohne Gott hätten sie das nicht geschafft, meint Mara. Ob sie das eher im Nachhinein so gesehen habe? Das bestätigt Mara. Als sie unterwegs gewesen seien, habe sie das nicht gedacht. Sie sei damals auch noch nicht richtig Christin gewesen. Sie hätte Gott noch nicht richtig kennen gelernt. Aber wenn es um das Gefühl gehe, wisse sie, sie habe diese Gefühle sehr oft im Nachhinein gehabt. Dass sie nachher gewusst habe, okay, das sei Gott gewesen: »Ich weiß, ich hab’ diese Gefühle sehr oft gehabt. Dass (ich) nachher weiß, okay ja, das war Gott.
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Richtig eine Wärme, eine Sicherheit, ein richtig gutes Gefühl, Glücklichkeit und so. Aber ich kann mich nicht erinnern, an was. … Ja, kleine, einfache Sachen vom Alltag. Es ist mir viel passiert, aber jetzt weiß ich nicht.« Positionierung mit einem Gottessymbol
Für die erste Positionierung sucht sich Mara das Netz der Liebe und Verbundenheit aus. Die nachdenkliche, die ängstliche, die traurige und die schuldbeladene Figur platziert sie direkt in das Netz. Ganz nah am Gottessymbol steht die nachdenkliche Figur. Dazu kommentiert sie, dass sie Gott ganz nahe komme, wenn sie nachdenklich sei, dann komme sie mit ihm ins Gespräch. Wenn sie ängstlich oder traurig sei, dann sei das auch so. Wenn sie schuldbeladen sei, müsse sie auch mit Gott ins Gespräch kommen. Die fröhliche Figur steht außerhalb des Netzes. Wenn sie fröhlich sei, dann komme sie vielleicht nicht richtig zu Gott, aber sie werde sich bedanken, dass das alles geklappt habe. Die zornige Figur steht etwas weiter weg, außerhalb des Blattes, auf dem sich das Gottessymbol und die Figuren befinden. Wenn sie zornig sei, versuche sie, mit Gott ins Gespräch zu kommen, aber meistens klappe das nicht. Sie werde nicht von Gott weggehen, aber vielleicht ein bisschen auf Distanz. Positionierung mit zwei Gottessymbolen
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Bei der zweiten Positionierung bleiben die Figuren auf ihrem Platz, Mara platziert nur die Gottessymbole dazu. Zur Nachdenklichen positioniert sie die innere Stimme. Wenn sie nachdenklich sei, gebe es immer Fragen und Antworten, ob sie das machen solle oder nicht, ob das richtig sei oder nicht, und dann wolle sie auch von Gott immer Antworten bekommen. Die Ängstliche sitzt im Netz der Liebe. Wenn sie Ängste habe, dann bleibe sie bei Gottes Liebe. Die Traurige positioniert sie zwischen innerer Stimme und Gottes Liebe. Dazu stellt sie das Licht. Das bedeute für sie Hoffnung. Wenn sie traurig sei, dann brauche und suche sie die Hoffnung. Die Fröhliche stehe gut da. Wenn sie fröhlich sei, dann komme sie und danke Gott. Dazu stellt sie jetzt den Vater im Himmel ins Netz. Daneben steht die Schuldbeladene. Wenn sie schuldbeladen sei, dann komme sie ins Gespräch mit Gott. Zur Zornigen stellt sie die Matrioschka. Wenn ihr Baby zornig sei, dann komme sie als Mutter und frage, was das solle, was passiert sei und warum ihr Baby zornig sei. Vielleicht sei das einfach die mütterliche Seite von Gott. Die Kraft stellt sie hinter die Schuldbeladene. Wenn sie dieses Gefühl habe, dann brauche sie Kraft und auch wenn sie müde sei, aber dafür gebe es hier keine Symbolfigur. Die Quelle des Lebens stellt sie zum Abschluss zu Gott-Vater, die sei immer mit Gott verbunden, das würden wir immer brauchen.
Gebetsfragebogen Beim Beten ist für sie eine dialogische Haltung am Wichtigsten: mit Gott über alles zu sprechen und Gott zu danken. Wichtig ist ihr, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Sie ergänzt dazu noch: »Für mich ist außerdem noch wichtig, dass ich in ein beidseitiges Gespräch komme« und »von Gott Einiges zu bekommen«. Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen, hat für sie auch Bedeutung. Weniger wichtig ist Mara die äußere Haltung: das Still-sein und das Falten der Hände. Mit einem Handeln Gottes rechnet Mara eher indirekt durch andere Menschen, aber auch direkt. Sie hält Wunder für selten, aber möglich, wobei sie eine passiv-vertrauende (passiv-materielle) Erwartungshaltung einnimmt. Sie ergänzt noch ein eigenes Gebet: »Oder : Gott, ich glaube an Wunder und weiß, dass alles für dich möglich ist, ich bitte dich um ein Wunder«, woraus noch einmal ersichtlich wird, dass sie ein direktes Eingreifen Gottes für möglich hält. Mara betet oft und zu vielen verschiedenen Gelegenheiten. Sie gibt an, dass sie manchmal vor dem Essen betet, aber häufig am Morgen und am Abend, in Veranstaltungen, wenn sie sich freut, Angst, Kummer oder Sorgen hat, wenn sie sich einsam fühlt oder sich etwas wünscht, wenn sie vom Leiden anderer Menschen hört und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Dazu ergänzt sie noch von sich aus, dass sie häufig betet, wenn sie etwas anfangen will und wenn sie sich bei Gott bedanken will.
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Mara ist vor über fünf Jahren aus einem anderen europäischen Staat, in dem sie mit ihrem Mann schon einige Monate im Flüchtlingscamp war, nach Österreich gekommen. Ihre Muttersprache ist Farsi. Das Interview wurde auf Deutsch geführt. In Mara begegnet uns eine sehr resolute, junge Frau, die weiß, was sie will, und sich in ihrer neuen Heimat Österreich auch schon sehr gut und zielstrebig eingelebt hat. Innerhalb kürzester Zeit ist es ihr gelungen, Deutsch zu lernen und sich ihre Studien- und Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen328. Sie führt mit Freude Gespräche über ihr Christsein mit Verwandten und Freunden, was für sie nicht ungefährlich ist. Laut Fragebogen ist sie mit ihrem Leben zufrieden. Der Glaube an Gott ist für sie sehr wichtig und sie erlebt ihn als sehr unterstützend. Gemeinde, Bibel und praktische Nächstenliebe sind für sie sehr wichtig. Fragen zu Gottesdienst- und Veranstaltungsbesuch, Gemeindemitarbeit und Engagement beantwortet Mara nicht. Aufgrund ihrer familiären Situation ist sie im Moment kaum in der Lage, engagiert am Gemeindeleben teilzunehmen, was vorher, als sie noch kein Baby hatte, anders war. Sie hat zum Interview sehr gerne zugesagt und hat Freude bei der Gestaltung ihrer Metapher. Die Fragen beantwortet sie engagiert329. Zunächst wirkt Maras Materialcollage sehr harmonisch. Es ist ihr gelungen, aus den angebotenen Materialien etwas Figürliches herzustellen. Die Materialien (Perlen und Draht) und Farben (rot, braun, golden und weiß) sind mit Bedacht gewählt und sehr stimmig kombiniert. Bei näherem Hinschauen wirkt die Haltung der beiden Figuren aber etwas verkrampft. Die Ambivalenz von wohltuendem Gehalten-sein und einengendem Festgehalten-werden kommt den Betrachtenden in den Sinn. Mara stellt in ihrer Metapher sich selbst in den Armen Gottes dar und drückt damit eine für sie neue, veränderte Gottesvorstellung aus, mit der für sie ganz neue Gefühle verbunden sind (schönes Gefühl, als sie das erste Mal gesagt hat: »Vater, Du bist mein Gott«). Sie betont sehr, dass sich etwas verändert hat, seitdem sie Christin geworden ist. Für sie ist Nähe ein zentrales Thema. Sie hat für sich entdeckt, dass Gott ihr nah ist und spricht davon, dass sie seine Nähe immer fühlen kann. Dieses neue Verständnis – Gott ist nah – führt zu einer dialogischen Beziehung, die in Gebet und Bibellesen (Mara kann Gott alles sagen – er spricht durch den Heiligen Geist in ihren eigenen Gedanken und Gefühlen) ihren Ausdruck findet und neue Gefühle hervorbringt (Beten erzeugt schöne Gefühle: Frieden, Freude, Kraft, Liebe von Gott, Vertrauen und vor allem Sicherheit). Aus einem weit entfernten Gott ist »mein« Gott geworden, eine sehr persönliche Ich-Du-Beziehung. Dargestellt als eine enge Verbindung von Vater und Kind. Mit dieser Metapher drückt sie Liebe und Schutz durch Gott aus und die Erfahrung, gerettet und nun in Sicherheit zu sein. »Gerettet« fühlt Mara sich in doppelter Hinsicht: Zum Einen ist da die Rettung vor den Sünden durch die Liebe Christi. Es geht Mara hier weniger um den Aspekt der Vergebung, sondern eher um ihre Lebensgestaltung. Hier zeigt sie eine starke Bereitschaft zu moralischer Selbstkontrolle. Die Liebe Christi verändert ihre persönliche Haltung: Sie kann jetzt nicht mehr »einfach sündigen«. Sie versucht, so zu sein wie Jesus, erkennt da aber 328 Ihr Weg nach Österreich ist beim Interview mit ihrem Mann, Fahir beschrieben. Vgl. 3.1.4 Fahir – Gottes Baum, 120. 329 Zwischen der Gestaltung der Metapher mit anschließendem Gespräch und den Positionierungen mit den ergänzenden Fragen zum Gottesverständnis liegen zwei Jahre. Als Mara ihre Metapher baut, ist sie weder schwanger noch hat sie Kinder. Zwei Jahre später ist dann beim zweiten Gespräch schon ihre kleine Tochter anwesend.
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auch die Grenzen ihres Menschseins. Sie spricht dann davon, dass sie versucht, immer mehr in Jesus zu wachsen, bleibt dabei aber realistisch. Im Rückblick fühlt sie sich darin sehr gewachsen. Sie beschreibt das als ein starkes Gefühl, dass sie in Gemeinschaft spürt. Auch in einer zweiten Hinsicht fühlt sich Mara gerettet: Die Rettungserfahrung auf ihrer Flucht aus dem Iran wird im Nachhinein für sie zur Gotteserfahrung. Nach einer schwierigen Flucht, deren positiver Ausgang auch noch durch Maras Krankheit gefährdet war, ist sie endlich in Sicherheit. Erst im Rückblick erkennt sie den Schutz und die Begleitung Gottes und es wird für sie zu einer Gotteserfahrung: Gott hat sie »gerettet«. Durch ihren neuen, christlichen Deutungsrahmen erscheinen für sie die Dinge in einem anderen Licht. Gottes Handeln im Nachhinein (auch im Alltag) zu erkennen, löst in ihr Gefühle von Wärme und Sicherheit aus. Sie beschreibt es als ein »richtig gutes Gefühl«, als »Glücklichkeit«. Ihre Erfahrung ist, Gott liebt und beschützt sie und ihre Familie, und er gibt die Kraft, gut und richtig zu leben. Sie hat ein grundsätzliches Vertrauen, dass das, was Gott tut, gut ist und auch am Ende alles gut wird. Sie ist überzeugt davon, dass Gott durch den Heiligen Geist in ihr ist, und erlebt das auch so. Für Mara ist die dialogische Beziehung zu Gott das, worin das Menschsein zur Erfüllung kommt: Darum geht es für den Menschen überhaupt, mit Gott in Verbindung zu kommen und Glauben und Hoffnung zu haben. Im Gebetsfragebogen äußert sie den starken Wunsch nach einer Beidseitigkeit. Hier kommt für sie dem heiligen Geist, mit dem sie kommunizieren kann, eine wichtige Rolle zu. Die Kommunikation beschreibt sie als Gefühl von Sicherheit und Frieden. Zu fragen wäre hier, inwieweit Mara »Gottes Reden« – in ihren eigenen Gefühlen und Gedanken – daraufhin reflektiert, dass es sich auch um eine Spiegelung eigener Wünsche und Sehnsüchte handeln kann. Mara hat keine legalistische Gottesvorstellung. Gott straft nicht, sondern versucht, Menschen durch Liebe zur Umkehr zu bewegen. Hier sieht Mara eine Differenz zu ihrer früheren Gottesvorstellung. Dort hatte sie eher eine legalistische Vorstellung von einem Gott, der straft und tötet. Mara erkennt eine Spannung von ihrer Vorstellung eines guten, liebenden Gottes und dem, der die Natur geschaffen hat, die sehr wohl den Menschen bedrohen und zerstören kann. Sie traut Gott nichts Böses zu und weiß diese Spannung daher intellektuell nicht aufzulösen. In ihren Positionierungen wird deutlich, dass sie in den verschiedenen emotionalen Lagen den Kontakt zu Gott sucht. Die Figuren sind fast immer, bis auf die Zornige, in enger Berührung mit den Gottessymbolen. Auch wenn sie zornig ist, sucht Mara das Gespräch mit Gott, es gelingt ihr nur nicht so, und sie meint, sie brauche dann Distanz. Bereitschaft zu Dank und Verehrung zeigt sie, wenn sie sagt, dass sie als die fröhliche Figur kommt, um Gott zu danken. In Maras Alltags- und Lebensgestaltung ist deutlich erkennbar, dass sie viel Zeit mit Bibellesen und im Gebet verbringt. Dabei gibt es keine besonderen Zeiten, sie versucht eigentlich, immer Kontakt zu Gott zu haben, wobei ihre Lebenssituation mit einem Kleinkind ihr das jetzt weniger ermöglicht. In ihrer Lebensgestaltung versucht sie, schädigendes Verhalten zu vermeiden und sich an der Person Jesu und an seinem Leben zu orientieren. Sie beobachtet an sich selbst, dass sie sich dabei verändert hat (gewachsen ist). Maras Verständnis vom Menschen, der in einer dialogischen Beziehung mit Gott zur Erfüllung seiner Bestimmung kommt, spiegelt sich in ihrer persönlichen Gottesbeziehung und in ihrer Alltags- und Lebensgestaltung wieder. Kognitive Aspekte ihrer Gottesvor-
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stellung sind für sie emotional bedeutsam. Wichtige, von ihr genannte Gefühle sind Sicherheit, Vertrauen und Glück(lichkeit). Mara hat Gott gegenüber eine sehr kommunikative Haltung, wobei sie in ihrer Bewältigungsstrategie sowohl eine kooperativ-spirituelle (die Kommunikation mit Gott verursacht in ihr positive Gefühle) als auch eine passivmaterielle (sie betet um Gottes Eingreifen durch Wunder) Grundhaltung einnehmen kann. Ihre positive Grundhaltung ist aber nicht abhängig von der Erfüllung ihrer Erwartung. Sie hat das Vertrauen, dass das, was Gott tut, gut ist. Der Glaube ist für sie eine positive Bewältigungsressource für ihr Leben und auch eine Entlastung im Alltag, weil sie sich in allen Belangen an Gott wenden kann. Ihr Versuch, nicht zu sündigen, weil sie um die Liebe Gottes weiß, weist auf die Bereitschaft zu moralischer Selbstkontrolle hin. Wobei sie da positiv (ich bin gewachsen), realistisch (sieht ihre menschlichen Grenzen) und nicht gewissensängstlich vorgeht. Zu fragen wäre hier, ob Maras Gottesvorstellung offen ist für Ambivalenzen. Die Metapher vom gehaltenen Kind ist eine Momentaufnahme. Ist sie offen für Entwicklungen? Kann das »Kind« auch alleine stehen und selbständig gehen? Ist für Mara eine tragfähige Beziehung zu Gott möglich, auch wenn positive Gefühle über lange Zeiträume ausbleiben?
3.1.4 Fahir – Gottes Baum Fahir ist zwischen 30 und 40 Jahre alt und kommt aus dem Iran. Er ist Angestellter in einem sozialen Unternehmen. Gottesmetapher
Fahir hat aus einem Stück Baumrinde und grünen Bändern einen Baum gestaltet. Das sei ein schöner, großer Baum, sagt er dazu. Er habe hier Gott und sein Leben dargestellt. Manchmal würden in sein Leben Luft (die Streifen am linken Rand) und andere Tiere (links oben ist ein Vogel dargestellt) kommen und er habe Angst. Wasser (unterhalb des Baumes) strömt und auch das mache ihm Angst.
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Er glaube aber an Gott und daran, dass Gott die Kontrolle darüber habe und ihn am Leben erhalte. Er selbst sei der Vogel auf dem Baum (ein weißer Vogel, der in einem Nest sitzt) und das sei sein Leben, seine Wohnung330 (zeigt auf das Nest). Im Nest gebe es auch ein Ei. Das Nest mit dem Ei symbolisiere für ihn, Fahir, dass er in Gottes Hand sei. Rechts oben sei die Sonne, die manchmal sehr heiß sei und ihn bedrohen könne, aber der Baum gebe ihm Schatten und beschütze ihn vor der Sonne. Auch andere Tiere, wie der Vogel links, würden eine Bedrohung oder Kämpfe in seinem Leben darstellen. Gott beschütze ihn dann. Die weißen Streifen, die die Luft darstellten, würden für Probleme in seinem Leben stehen, zum Beispiel Probleme mit anderen Menschen. Es gebe Menschen, die ihn nicht akzeptieren würden, weil er Christ sei. Andere Leute, aus muslimischen Hintergrund, würden ihn aufgrund seines Christseins hassen. Für ihn sei das eine Bedrohung, und Gott schütze ihn davor. Dieser Baum sei eine Insel im Wasser, das auch eine Bedrohung sei, da es manchmal ganz ruhig sei und manchmal gebe es sehr starke Strömungen, die der Vogel von oben sehen könne. Aber das sei kein Problem, weil Gott da sei. Er glaube immer an Gott und denke nicht über andere Probleme nach. Der Vogel könne ganz ruhig auf dem Baum sitzen und leben. Wie das in seinem Alltag ausschaue? Er gehe in einen Deutschkurs und spreche gerne mit anderen Menschen über sein Glück, dass Gott immer bei ihm sei. Er wolle mit den anderen Leuten über das Evangelium sprechen, aber die Anderen würden das nicht wollen. Er glaube an Gott und er könne den anderen Menschen sagen, dass er Christ sei, »Gott sei Dank«. Ob Gott zu den Menschen sprechen könne, ob Menschen wissen können, was Gott wolle? Er denke schon und erzählt, dass er nach Hause gegangen sei und über eine Person nachgedacht habe, und Gott habe ihm gesagt, er, Fahir, könne mit dieser Person sprechen. Er oder andere Menschen könnten für diese Person beten. Was er meine, wenn er sagt »Gott hat mir gesagt«? Ob es ein Gefühl oder eine innere Stimme sei? Gott habe in seinem Herzen gesprochen oder in seinem Kopf, er habe verstanden, was Gott sagen wolle, aber er könne nicht genau sagen, was passiert sei. Manchmal verstehe er, was Gott wolle, manchmal nicht. Gott habe einen großen Plan. Wenn er bete, dann beginne er mit Danksagung und Anbetung und dann bitte er um den Beistand des Heiligen Geistes und dann erst könne er Gott fragen. Wie Gott sonst noch mit den Menschen kommunizieren könne? Für ihn sei das durch Jesus einfach. Jesus sei eine Art Brücke. Man könne also mit Gott sprechen und gehen und zurückkommen. Manchmal sei er müde oder er habe keine Lust, 330 In der persischen Sprache heißt wohnen = Leben machen. Wenn er hier sagt, dass das Nest sein Leben auf dem Baum sei, dann ist wohl in erster Linie an die Wohnung, eben an ein Nest als Wohnung für den Vogel gedacht.
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aber Gott sei immer nah und diese Beziehung sei so wichtig. Fahir spricht davon, dass er manchmal ein Lied singe oder in der Bibel lese und dabei den Heiligen Geist spüre. Er habe dafür ein Bild und wolle es mit seiner Beziehung zu seiner Tochter vergleichen. Wenn seine Tochter Schmerzen habe, dann fühle er mit. Wir seien Gottes Kinder, und er glaube, wenn wir Schmerzen haben, dann fühle Gott mit und reagiere. Manchmal rede er im Traum mit den Menschen. Er rede auch so mit den Menschen. Er selbst höre das in seinem Herzen. Er fühle etwas und fühle: Aha! Gott will das. Er höre Gottes Stimme nicht so (dabei hebt er seine Stimme und den Zeigefinger zur Drohgeste und lacht), dass Gott sagt, was er tun müsse. Ob Gott auch mit Menschen spreche, die nicht an ihn glauben? Ob auch die wissen könnten, was Gott wolle? Er glaube, dass Gott die Menschen liebe. Er habe früher, wenn er Probleme hatte, auch Gott angerufen. Vielleicht sei der Weg nicht richtig gewesen, aber Gott sei voller Liebe und habe ihm geholfen. Jetzt verstehe und fühle er mehr davon. Sein Glaube sei mehr geworden. Vorher habe er keinen Glauben gehabt. Er habe gesagt, er kenne Gott, aber es gebe einen Unterschied. Was anders geworden sei? Jeden Tag sehe er Gott und er höre Gottes Stimme. Er sehe den Segen, der in sein Leben komme. Es gebe auch Krankheiten und Probleme, aber er sehe sein Leben immer in Gottes Hand und das sei so wichtig. Er lebe so und gehe so weiter und weiter. Er liebe diesen Weg. Wo Gott sei? Fahir sagt lachend, dass Gott »drinnen« in seinem Herzen sei. Nur in seinem Herzen oder auch woanders? Er oder sie – Fahir lacht – sei bei ihm. Er rede mit Gott oder singe ein Lied, auf der Straße oder irgendwo. Sie (Gott und er) würden zusammenleben, sagt Fahir, wobei er wieder lacht. Ob Gott auch bei anderen Menschen sei? Das glaube er schon. Seine Vorstellung sei, dass Gott Jesus sei und auf die Erde gekommen sei. Andere Menschen würden vielleicht von Gott wissen und fragen: »Wo ist dieser Gott?«, und denken, Gott sei überall, aber er denke, Gott sei auf die Erde gekommen und habe auf der Erde gefühlt, wie er selber, und mit Problemen gelebt. Ob Gott auch in den Herzen sei von Menschen, die Jesus nicht kennen würden? Er, Fahir, glaube, dass Gott diese Menschen kenne, aber die Menschen würden keine Beziehung zu Gott haben. Früher habe er selbst auch gedacht, er kenne Gott und danach gefragt, wo er sei. Wenn er Probleme hatte, habe er Gott angerufen, aber eine Nähe zu ihm habe er nicht gefühlt. Wie das für Gott sei, wenn Menschen etwas Böses tun würden? Gott sei nicht böse, meint Fahir. Gott sei wie ein Vater zu uns. Er werde mit Ratschlägen und guter Kommunikation reagieren und den Menschen nicht strafen. Allerdings würden die Menschen manchmal so denken, dass Gott böse sei. Ob Gott traurig sei, ob er Gefühle habe? Er, Fahir, glaube schon, dass Gott Gefühle habe. Das könne er sehen, wenn er in der Bibel lese, wenn er lese, was Gott mit Jesus gemacht habe, und Gott habe das gefühlt, das sei sein Plan gewesen. Wenn er das
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so vergleiche, könne er schon sagen, dass Gott Gefühle habe. Ob Gott nur zu den Menschen spreche oder ob er noch andere Dinge in dieser Welt oder mit dem Menschen tue? Manchmal würden seine Mitarbeiter sagen, dass Gott Erdbeben mache, aber er selbst glaube, das sei die Natur, weil Gott nicht böse sein könne. Ob Gott an schlimmen Dingen schuld sei? Fahir meint dazu: Nein, aber wenn er sehe, wie Menschen in die Gebiete gehen, in denen etwas Schlimmes passiert sei, denke er, es sei Gottes Plan, dass die Menschen einander in solchen Katastrophen helfen. Gott helfe den Menschen, aber Gott verursache Katastrophen nicht, damit er Menschen helfen könne, sondern das passiere in der Natur. Aber er könne sich erinnern, dass im Alten Testament stehe, dass Gott das schlechte Handeln der Menschen satt gehabt habe und Strafe auf die Erde geschickt habe. Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen Gott ihm öfter mal einfalle? Wenn er aufwache, dann sage er »guten Morgen« zu Gott. »Ich gehe raus und sage zu Gott: Ja, heute ist ein neuer Tag, und ich will Neues lernen, und ich brauche Deine Liebe«. Er, Fahir, könne dann mit dieser Liebe mit den Menschen »sprechen und arbeiten«. Wenn er arbeite, sei Gott auch bei ihm und wenn es stressig sei, sage er : »Bitte Gott, hilf mir«. Wenn er müde sei, sage er »Ja Gott, ich bin müde«. Manchmal sage er, »ich hab’ keine Lust« oder manchmal gehe er am Sonntag nicht in die Gemeinde, dann sage er, »okay Gott, ich will zuhause bleiben«, aber trotzdem schaue er einen Gottesdienst im Fernsehen. Er wolle jeden Tag Neues lernen und neuen Segen bekommen. Ob er auch schon mal ein ganz besonderes Gefühl der Nähe Gottes gehabt habe? Wenn er ein Lied singe oder Gitarre spiele, sagt Fahir, fühle er so etwas. Wenn er in einem großen Gottesdienst Gitarre spielen solle und er Stress habe, dann sage er, »Gott, ich gebe allen Lobpreis zu dir und bitte hilf mir mit Heiligem Geist«. Und dann sehe er nicht Gott mit Feuer, dabei lacht Fahir, sondern in sein Herz komme Friede und Freude. Er würde aber nicht die Schuhe ausziehen, wie Moses das gemacht habe. Wieder lacht Fahir. Aber in seinem Herzen mache er so etwas Ähnliches. Er sage: »Gott, ich will also, dass du wieder kommst in mein Herz und bring’ Neues und mach’ sauber«. Gott habe sich das gewünscht, dass er ein neues Herz bekomme und sein Steinherz weggebe. Weil »unser Gott« lebendig sei, würden wir immer einen neuen Puls und neuen Atem, Gottes Atem, bekommen. Jetzt singt Fahir : »Ja, wir singen immer Gottes Atem«. Was er damit meine, dass das jeden Tag neu werde? Er vergleicht das mit dem Abendmahl. Wir würden uns an Gott erinnern und Gott um Vergebung bitten. Wir würden anderen Menschen vergeben und Wein trinken und Brot essen und wir würden daran denken, was Gott für uns getan habe. Er sei für uns gestorben und trotzdem sei er lebendig und sei auferstanden. Wir würden uns daran erinnern und das in der Gemeinde zusammen feiern, das sei wie eine Erfrischung oder Erneuerung.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Bei der ersten Positionierung sucht sich Fahir das Symbol für Gott-Vater aus. Und platziert alle Figuren im gleichen Abstand darum herum. Gott sei durch Jesus immer in der Mitte seines Lebens in allen Lebenslagen. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der zweiten Positionierung stellt Fahir die Gottessymbole zwischen die Figuren, die er im Kreis um Gott-Vater aufgestellt hat. Zwischen den Traurigen und den Wütenden legt er das Symbol für die Quelle des Lebens, die könne überall sein und komme überall durch. Gott habe die Quelle des Lebens und er sei immer in der Mitte mit Jesus. Die innere Stimme passe für ihn, Fahir, ganz gut zum Nachdenklichen und zum Schuldbeladenen. Das Netz der Liebe und Verbundenheit möchte Fahir gerne um alles herum legen, nur sei es leider zu kurz. Mit diesem Netz könne er die Sicherheit fühlen. Dieses Netz sei flexibel und manchmal gehe er zurück, aber das Netz halte ihn fest. Jetzt stellt er das Licht zwischen den Fröhlichen und den Ängstlichen und die Kraft zwischen den Nachdenklichen und den Zornigen. Das Licht habe mit dem Evangelium zu tun und die Kraft sei so klar und die Stimme Gottes, er zeigt auf die innere Stimme, könnten wir in jeder Situation hören. Die mütterliche Seite Gottes, die er zwischen den Schuldbeladenen und den Ängstlichen gestellt hat, könne er jetzt
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verstehen, wo er selbst eine Tochter habe. Seine Tochter brauche Hilfe und er gebe sie ihr.
Gebetsfragebogen Fahir lässt im Gebetsfragebogen offen, was ihm am Gebet am Wichtigsten ist. Er fügt nur hinzu, dass der Heilige Geist für ihn wichtig sei. Die weiteren Antworten zeigen, dass Fahir ein indirektes Handeln Gottes für möglich hält. Er kann sich aber auch vorstellen, Gott um ein direktes Handeln zu bitten, wobei er eine passiv-materielle Erwartungshaltung einnimmt. Es wird zudem ersichtlich, dass Fahir zu verschiedenen Tageszeiten und Gelegenheiten häufig betet: am Morgen und Abend, vor dem Essen, wenn er sich freut, wenn er Angst hat und weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Manchmal betet er im Gottesdienst und anderen Gemeindeveranstaltungen, wenn er Kummer und Sorgen hat, sich einsam fühlt, sich etwas wünscht oder vom Leiden anderer Menschen hört. Fahir ist ein sehr fröhlicher junger Mann, der gerne scherzt und auf eine humorvolle Art und Weise Kontakt zu anderen Menschen sucht. Fahir ist vor über fünf Jahren nach Österreich gekommen. Seine Muttersprache ist Farsi. Das Interview wurde auf Deutsch geführt. Sein im Iran absolviertes Studium wurde in Österreich nicht anerkannt und er musste sich beruflich neu orientieren. Er musste sein Heimatland Iran mit seiner Frau Mara gemeinsam sehr plötzlich verlassen und ist zunächst in ein anderes europäischen Land geflohen. Dort bekam das Ehepaar im Flüchtlingscamp Kontakt zur örtlichen Baptistengemeinde. Sie nahmen nach einiger Zeit den christlichen Glauben an und ließen sich in dieser Gemeinde taufen. Durch eine wesentliche Gesetzesänderung mussten seine Frau und er das Land verlassen und ihr Asylverfahren in Österreich fortsetzen. Hier nahmen sie sofort Kontakt zur örtlichen Baptistengemeinde auf und sind dort seitdem aktive Mitglieder. Fahir hat inzwischen auch Leitungsverantwortung übernommen. Vor seiner eigenen Familie im Iran muss er, um sich und andere nicht in Schwierigkeiten zu bringen, seinen christlichen Glauben verbergen. Im Gespräch wird deutlich, dass das alltägliche Leben als Christ für Fahir nicht einfach ist. Er möchte gerne darüber reden, was er erlebt hat und was ihm der Glaube bedeutet, dabei stößt er immer wieder auf Unverständnis und Ablehnung und als ehemaliger Muslim ist es für ihn zum Teil sogar gefährlich. Trotzdem spricht er zum Beispiel im Deutschkurs mit anderen Menschen über seinen Glauben. Er denkt über andere Menschen nach und betet für sie. Er liest in der Bibel, um mehr von Gott zu verstehen, der Dialog mit anderen Gemeindemitglieder hilft ihm dabei. Fahir ist, laut Selbsteinschätzungsfragebogen, mit seinem Leben zufrieden. Sein Glaube, seine Gemeinde, die Bibel und die praktische Nächstenliebe sind für ihn sehr wichtig. Fahir erlebt seinen Glauben unterstützend. Den Gottesdienst besucht er häufig, andere Veranstaltungen regelmäßig. Bei seiner Mitarbeit in der Gemeinde und bei Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern außerhalb der Veranstaltungen gibt Fahir einen mittleren Wert an. Keine Angabe macht er beim Engagement für seine Mitmenschen aufgrund seines Glaubens.
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Fahir legt in seiner Materialcollage mit verschiedenen Materialien im Rahmen der vorgegebenen Unterlage einen Baum. Der gewaltige Stamm steht in ungleichem Verhältnis zu den wenigen, aber wirren Zweigen. Auf einem nach unten geneigten Ast befindet sich ein – im Verhältnis zum Ast – relativ großes Nest, das gut sichtbar ist und um das herum recht wenig Grün platziert ist. Der Baum selbst ist nicht in der Erde verwurzelt, sondern steht in einer quadratisch begrenzten Wasserfläche. Im rechten oberen Eck scheint eine im Bezug auf den Baum verhältnismäßig kleine Sonne. Demgegenüber erscheint der Vogel im linken oberen Eck groß (fast gleich groß wie die Sonne). In seiner Metapher hat Fahir Gott und sein Leben symbolisch dargestellt. Gott ist für ihn wie ein Baum, der Fahir wie einen Vogel vor den drohenden Gefahren und Alltagsproblemen schützt. Trotz seiner Angst kann der Vogel dort in Sicherheit und Ruhe wohnen. In Fahirs Gottesbeziehung sind vor allem Nähe und Schutz wichtig. In seiner Gestaltung ist er ein kleiner Vogel im Nest auf einem großen Baum. Der Baum schützt den Vogel vor Gefahren wie Wind, Wasser, Sonne und anderen Vögeln. Das kleine Tier ist einer vielfachen und von allen Seiten kommenden Bedrohung ausgesetzt. Es fällt auf, dass der Baum direkt im Wasser steht. Kein nährender Boden, in dem die Wurzeln Halt finden könnten. Ein von allen vorhandenen Elementen (Wasser, Wind und Sonne) bedrohter Baum. Fehlt hier so etwas wie Erdung? Drückt sich in der Metapher Fahirs heimatliche und vielleicht auch religiöse Entwurzelung aus? Trotz des starken Stammes schauen die Äste eher verspielt aus. Wo sie dem Nest Schutz bieten sollen, sind sie nicht besonders dicht. Ist der etwas stärkere Ast stabil genug, um das große Nest zu halten? Fahir selbst vergleicht sich mit dem Vogel und sagt, dass inmitten von Angst und Bedrohung Gott die Kontrolle hat. Er fühlt sich sicher, weil er sich in der Hand Gottes weiß. Fahir spricht gerne von dem Glück, dass Gott bei ihm ist. Er freut sich über die für ihn neue Art, mit Gott zu leben. Im Gespräch ist viel Fröhlichkeit und Humor zu spüren, wenn Fahir darüber spricht, wie er singt und sich freut, dass Gott immer bei ihm ist, dass sie »zusammen leben«. Er berichtet auch von seiner früheren Gottesbeziehung, die aus seiner jetztigen Sicht eher einseitig war. Drückt er hier eine kritische Distanz aus, zu einer Gottesvorstellung, aus der er sich heraus entwickelt hat, oder fühlt er sich verpflichtet, seinen früheren Glauben zu entwerten. Fahir führt über Dinge, die ihn beschäftigen oder belasten, einen inneren Dialog mit Gott. Fahir sagt, dass er nachdenke und dann verstehe oder in seinem Herzen fühle, was Gott sagen wolle. Bei Problemen sieht er, dass sein Leben in Gottes Hand ist. Er fühlt sich jetzt geschützt und geborgen in Gott trotz der Schwierigkeiten. Seine Haltung Gott gegenüber hat sich von einer materialistischen Hilfeerwartung zu einer spirituellen Haltung verändert. Fahir spürt Gottes Nähe besonders, wenn er singt oder musiziert. Ein besonderes Erlebnis der Nähe Gottes ist für ihn, wenn er bei Lampenfieber vor einem Auftritt in einem Gottesdienst Frieden und Freude spürt. Fahir drückt am Ende des Gesprächs seinen Wunsch danach aus, dass seine Gottesbeziehung immer lebendig bleibt und erneuert wird. Fahirs Gottesverständnis ist bestimmt von einem dem Menschen zugewandten, nahen Gott. Die Nähe Gottes begründet Fahir christologisch: Durch Jesus hat Gott die Gefühle der Menschen besser kennengelernt und durch Jesus kann der Mensch Gott nahe kommen (Bild der Brücke). Gott ist für Fahir in seinem Herzen, aber auch überall, wo er selbst ist, weil er mit Gott zusammenlebt. Fahirs Gottesverständnis hat sich verändert. Fahir macht einen Unterschied zwischen »Gott kennen« und »Glauben an Gott haben«. Früher hat er an
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die Existenz Gottes geglaubt, sich aber fragen müssen, wo Gott denn sei. Er hat bei Problemen sogar gebetet, aber erst jetzt als Christ weiß er um einen Gott, der fühlbar nah ist. Fahir sieht jetzt in seinem Leben den Segen Gottes. Fahir entfaltet seine Gottesvorstellung trinitarisch. Gott ist der Schöpfer der Welt und des Menschen und auch der, der auf die Schuld des Menschen väterlich kommunikativ reagiert. Jesus ist die Brücke zu Gott, auf der der Mensch hin und zurückgehen kann. Der Heilige Geist ist für Fahir vor allem beim Bibellesen und Beten wichtig. Um seinen Beistand bittet er, wenn er die Bibel oder Gottes Willen besser verstehen möchte. Dass Gott die Welt für den Menschen geschaffen habe, meint Fahir nicht im Sinne eines anthropozentrischen Finalismus, sondern der Mensch ist Mitgestalter der Welt. Der Mensch ist zum Mitwirken mit Gott geschaffen. Das zeigt sich auch, indem er anderen Menschen nach Katastrophen oder in Notsituationen hilft. Der mitwirkende, helfende Mensch ist laut Fahir für Gott wichtig. Gott handelt hier und generell indirekt durch den Menschen. Im Fall von Katastrophen sieht Fahir Gott nicht als den Verursacher, sondern als den, der durch Menschen hilft. Allerdings tut sich hier für ihn eine Spannung zu alttestamentlichen Überlieferungen auf, nach denen Gott das Tun der Menschen durch Katastrophen straft. Nach Fahirs Verständnis kann Gott auch Gefühle haben, was er nicht im Sinne einer anthropomorphen Gottesvorstellung meint. Fahirs Beziehung zu seiner Tochter fließt in sein Gottesverständnis mit ein. Aus seinen Gefühlen als Vater schließt er, wie Gott den Menschen gegenüber fühlt oder handelt. Die Gefühle Gottes kommen einerseits aus seiner Liebe zu den Menschen, denn aufgrund seiner Gefühle für den Menschen sendet Gott Jesus in diese Welt. Andererseits fühlt Gott mit dem Menschen mit und ist so solidarisch mit dem Menschen. Fahir hat keine legalistische Gottesvorstellung. Gott bestraft den Menschen nicht, wenn er etwas Böses tut, sondern er reagiert mit »guter Kommunikation«. Im Gespräch betont Fahir sehr stark den spürbar nahen Gott, der sich wünscht, dass Menschen mit ihm in Beziehung treten. Das Thema des spürbar nahen Gottes spiegelt sich auch in Fahirs Positionierungen wider. Fahir stellt für jede seiner Gefühlslagen einen Gottesbezug her. Dabei differenziert er kaum: Weder ist er in einer Situation Gott näher oder ferner noch bezieht er bestimmte Gottessymbole konkret auf bestimmte Gefühle. Gott-Vater ist in der Mitte mit der gleichen Nähe zu allen, das Netz der Liebe sollte eigentlich alle umschließen. Die Gottessymbole befinden sich immer zwischen zwei Gefühlslagen, aber bei der Quelle des Lebens und bei der inneren Stimme betont Fahir noch extra, dass sie eigentlich immer da seien. Die Alles umfassende Liebe ist für ihn wie ein Sicherheitsnetz, das ihn in der Nähe Gottes hält, wenn er zurückweicht. In der Beziehung zu seiner Tochter identifiziert er sich mit der mütterlichen Seite Gottes. Das zentrale Thema in Fahirs Metapher ist Schutz und Geborgenheit durch Gott inmitten starker Bedrohungen, wobei die Bildsprache eher den Aspekt der noch vorhandenen Unsicherheit unterstreichen mag und eine Diskrepanz zwischen der Gestaltung und dem, was Fahir sagt (Sicherheit, die er durch seinen Glauben spürt) unübersehbar ist. Der Glaube scheint für Fahir trotzdem eine Bewältigungsressource angesichts der vielfältigen Probleme und Bedrohungen in seinem Leben zu sein. Der Glaube hilft ihm zur Angstreduktion und dadurch sind ihm Gefühle wie Friede und Freude möglich. Im weiteren Gespräch und in den Positionierungen findet sich immer wieder »Nähe zu Gott« als wichtiger Akzent. Weiterhin scheint eine Dankbarkeit, Christ sein zu dürfen und Gott ganz anders zu kennen, als das bis dahin der Fall war, überall im Gespräch durch. Auch der
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Wunsch, jeden Tag Neues zu erleben, in diesem (neuen) Glauben mehr zu wachsen, Gott besser kennen zu lernen, und der Wunsch nach fortdauernder Lebendigkeit klingt an. In seiner Bitte um Vergebung für seine menschlichen Schwächen seinen Kollegen gegenüber zeigt Fahir Bereitschaft zu moralischer Selbstkontrolle. Dabei ist seine Haltung von Vergebungsgewissheit geprägt. Insgesamt fällt in Fahirs Schilderungen das Vorher – Nachher in Gottesverständnis und Gottesbeziehung auf. Bevor er Christ wurde, glaubte er an eine Existenz Gottes. Er hat bei Problemen gebetet und sich gefragt, wo Gott sei. Sein Gottesverständnis war legalistisch und seine Erwartungshaltung Gott gegenüber materiell-direkt. Jetzt als Christ spricht er davon, dass er die Nähe Gottes spüren kann. Auf Fehler reagiert Gott vergebend und, wie er sagt, »mit guter Kommunikation«. Das Handeln Gottes in dieser Welt erwartet Fahir nun vor allem indirekt durch Menschen und er rechnet mit spiritueller Hilfe. Insgesamt nimmt er nun eher eine kooperativ-vertrauende Haltung Gott gegenüber ein.
3.1.5 Yara – Gott erschafft die Welt und mich Sie ist zwischen 50 und 60 Jahre alt, arbeitet als Kindergartenpädagogin und kommt ursprünglich aus Afghanistan. Gottesmetapher
Yara legt aus verschiedenen Natur- und anderen Materialen ein Landschaftsbild mit Baum, Bergen und Wasser. Rechts neben diesem Landschaftsbild legt sie eine Figur aus Knöpfen. In dem Bild habe sie zeigen wollen, dass der »liebe Gott« an uns, an »Menschen und Tiere und Pflanzen und alles gedacht hat«. Es gebe Sonnenschein – sie zeigt auf die Sonne aus Bastfäden links oben. Die Sonne scheine, und das sei gut für uns und alle. Und dann gebe es das Wasser (links unten im Bild). Wasser sei sehr wichtig für das Leben. Dann gebe es die Wiese und die Bäume, verschiedene Bäume. Von einigen Bäumen könne man Obst bekommen, andere Bäume seien einfache Bäume. Am Himmel sei noch eine Wolke zu sehen, die es manchmal gebe. Und auf dem Wasser sei ein Schiff. Mit dem Schiff (was sie jetzt besonders betont) könne man hin und her fahren. Es
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gebe auch einen kleinen See und in dem See gebe es Fische, mehrere Fische, aber gebastelt habe sie nur einen, dabei lacht sie. Am Baum könne man sehen, dass Herbst sei, die Blätter seien hinunter gefallen und auch die Kastanien. Neben dem See gebe es Sand und auch Muscheln, die aus dem See auf den Sand gekommen seien. »Aber wichtig ist, sehr, sehr wichtig ist für das Leben Sonne, Wasser und das Licht«. Die Figur rechts neben dem Landschaftsbild sei sie, Yara, selbst und sie habe eine Reise gemacht. Das sei eine gute, aber auch eine schlechte Erinnerung. Das Gute sei, dass sie jetzt hier sei, und die schlechte Erinnerung sei die Art und Weise der Reise. Wie sie die Reise mit dem Schiff gemacht hätten, und wie sie durch das Wasser hierher gekommen seien, das sei sehr wichtig. Was das alles mit Gott zu tun habe? Der »liebe Gott« habe uns in die Welt gebracht, erschaffen und habe »uns Sonne, Wasser, Wiesen, Bäume, Wolken und alles gegeben«. Ob Gott auch etwas mit der Reise zu tun habe, die sie gemacht habe? Das sei »die Planung von liebe Gott«, Gottes Plan gewesen. In ihrem Heimatland hätten sie ein anderes, sehr schwieriges Leben gehabt und der »liebe Gott« habe sie gesucht, ausgesucht und hierher gebracht. Sie denke immer, wenn sie jetzt noch in ihrem Heimatland wäre, dann sei sie vielleicht schon gestorben oder ein Teil ihrer Familie vielleicht. »Aber ich bin lieber dankbar, dass die liebe Gott hat meine Familie … ausgesucht und von da hierher gebracht. Das ist die Planung von [der] Liebe Gottes.« In ihrem Heimatland hätten sie so viele Schwierigkeiten bekommen und sie habe gedacht, wie kann ich aus diesen Schwierigkeiten rauskommen, aber das sei Gottes Plan gewesen (das raus und den Plan betont sie besonders). Ob sie das schon in ihrem Heimatland gewusst habe, dass das Gottes Plan sei? Nein, erst später. Sie habe in ihrem früheren Glauben als Muslima schlechte Erfahrungen gemacht, »deswegen habe ich … von langer Zeit … gedacht, wenn ich Christ werde, dann wäre es sehr schön«. Aber es habe keine Gelegenheit und keine Möglichkeiten gegeben, und als sie diese Möglichkeiten bekommen habe, Gott kennen zu lernen, dann habe sie gehört, »das ist die Planung von liebe Gott, liebe Gott hat Planung gemacht und dann nach dieser Planung sind wir hier«. Ob Gott mit Menschen rede? Wenn man glaube, rede man immer mit Gott. Ob Gott auch zurück rede? Wenn wir Antworten bekommen, dann rede Gott mit uns. Wie diese Antworten ausschauen würden? Es gebe zwei verschiedene Antworten, »positiv und negativ und das liegt wieder an dem Plan vom lieben Gott«: Was er für einen Plan habe und was es für eine Situation sei. Möglicherweise bekomme man keine schnelle Antwort, es brauche Zeit. Wie man sich eine Antwort vorstellen könne, ob man etwas höre oder fühle? Fühlen. Wie? Wenn man sich zum Beispiel entscheiden müsse und mit »liebe Gott« darüber rede, wenn man dann eine Lösung bekomme, dann bekomme man Freude, und das sei
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ein gutes Gefühl. Ob die Freude von Gott komme und zeige, dass die Lösung richtig sei? Ja, aber sie wisse nicht, ob das richtig sei. Ob Gott sich etwas vom Menschen wünsche? Wenn der Mensch mit Gott rede, dann spreche Gott zum Menschen. Wenn der Mensch dann nicht so richtig höre, was Gott sage, gehe er nicht den richtigen Weg. Wenn ein Mensch den richtigen Weg nehme, dann wisse der liebe Gott, dass das, was er selbst gesagt hatte, beim Menschen angekommen sei, aber wenn ein Mensch den falschen Weg nehme, dann wisse Gott das auch. Ob Gott sich etwas wünsche, wie wir mit der Welt und miteinander umgehen sollen? Ja, Gott wünsche sich vom Menschen, »dass wir miteinander freundlich« seien »und eh nicht anderen Leute wehtun und armen Leute helfen, was man kann«. Der große Wunsch von Gott sei, »dass die Menschen nicht so o l/ l/ seien«, sie sollten richtige Menschen sein, das Rechte tun. Wenn Menschen Böses tun, wie das für Gott sei? Der liebe Gott warte und gebe Zeit und er beobachte immer, ob der Mensch etwas falsch mache oder ob er den richtigen Weg nehme oder nicht. Gott helfe uns und gebe uns immer Zeit. Ob Gott traurig sei, wenn der Mensch etwas falsch mache? Nein, der liebe Gott werde nicht böse, sondern er komme immer nach einiger Zeit und bestimmt sei er »traurig, warum der Mensch ist so ein Mensch«. Aber ob er wirklich traurig werde oder nicht, wisse sie nicht. Ob Gott noch andere Dinge in dieser Welt tue? Er antworte den Menschen, das könne man fühlen. Er habe die Welt erschaffen und habe alles für die Menschen gegeben und jetzt schaue er und warte, was die Menschen machen. Ob Gott in konkreten Notsituationen eingreife? Das sei schwer zu sagen. Gott selbst würde durch Menschen eingreifen, aber man selbst wisse nicht, dass es Gott sei. »Weil wir haben gesagt, Gott ist mit uns zusammen und wir sehen nicht, aber dann fühlen wir, er ist überall und dann, wenn so was passiert« helfe Gott. Wie seine Hilfe ausschaue? Durch andere Menschen, zum Beispiel dass die Polizei käme, wenn zwei Menschen streiten würden. Die Polizei könne auch von Gott kommen. Es gibt viel Schlimmes in dieser Welt. Ob Gott daran schuld sei? Nein, die Menschen seien schuld. Wie das mit Naturkatastrophen sei? Das sei schwierig zu beantworten. Das passiere in der Natur. Die vier Jahreszeiten, das könne sie sagen, seien in der »Planung vom lieben Gott«. Yara denkt nach, zögert und entscheidet sich: »Ach, das ist alles von Gott«. Auch wenn Schlimmes passiere? Ja. Weil Gott die Natur gemacht habe? Ja. Und weil sie so sei? Ja. Wie Gott mit Menschen umgehe, die Böses tun? Gott warte immer noch. Ob es bestimmte Zeiten oder Orte oder Situationen gebe, in denen sie besonders an Gott denke? Zu keiner bestimmten Zeit, sie denke immer an Gott. An bestimmten Orten? Nein immer, wo sie auch sei: »Im Kindergarten, zuhause, beim Gottesdienst, beim Einkaufen, wo ich bin. Ich denke immer und manchmal, wenn ich allein bin, dann singe ich ganz, ganz laut«. Ob sie Situationen in ihrem Leben kenne, wo sie Gott ganz besonders gespürt habe? Sie habe eine DVD
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angeschaut, da sei die Geschichte gewesen, wo Gott zu Jesus sage: »Du bist mein Sohn«. Da habe sie sich Gott besonders nahe gefühlt. Und sonst so im alltäglichen Leben? Sie habe sich ein paarmal ein wenig traurig gefühlt. Dann habe sie sich so gefühlt, als streiche ihr jemand über den Hinterkopf. »Komisch, habe ich mir gedacht. Dann habe ich mir gedacht, liebe Gott hat mich getröstet; hat mir gesagt: ›Sei doch nicht so traurig. Ich bin bei dir!‹« Das sei sehr schön gewesen. Gott sei bei ihr. Das sei ihr zwei-, dreimal passiert, aber sie habe es niemandem erzählt. Dann habe sie gewusst, wenn das so ist, dann könne sie sich an ihn wenden, das sei ein schönes Gefühl. Eine Überschrift, ein Titel für das Bild? Gott erschafft die Welt und mich. Positionierung mit einem Gottessymbol
Bei der ersten Positionierung sucht sich Yara das Symbol für Gott als Kraft aus und positioniert alle Figuren im Kreis gleichmäßig darum. Dazu kommentiert sie: »Wenn ich traurig bin, denke ich mir, dann habe ich keine Kraft mehr.« Sie sei dann hilflos, brauche Hilfe und wolle in Gottes Nähe sein. Wenn sie nachdenklich sei, frage sie sich, wie sie einen Weg finden könne, deshalb suche sie auch die Nähe. Wenn sie ängstlich sei – sie habe unter anderem aufgrund fehlender Sprachkenntnisse Angst vor ihren Kolleginnen – komme sie in die Nähe Gottes, damit sie keine Angst habe. Wenn sie schuldbeladen sei, dann komme sie zu Gott, weil sie Hilfe brauche. Jeder Mensch mache Fehler. Sie fühle sich auf ihrer Arbeitsstelle oft schuldig aufgrund ihrer Sprache. Manchmal sei sie zornig auf die Kinder, dann brauche sie Kraft. Gott gebe ihr Kraft. »Ich will ganz in Ruhe schlafen, ich gebe meine Sorgen Gott.« Über die fröhliche Figur sagt sie: »Wenn ich zufrieden bin, brauche ich Kraft. – Juhu, sage ich (sie spricht damit auf die Körperhaltung der Plastilinfigur an), wenn ich zufrieden bin.«
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Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der zweiten Positionierung setzt Yara die Traurige ins Netz der Liebe: »Wenn ich traurig bin, dann brauche ich Liebe.« Die Nachdenkliche und die Zornige stellt sie zum Symbol für den Vater im Himmel. Wenn sie nachdenklich sei, dann komme sie zu »Gott-Vater« und wenn sie zornig sei, dann komme sie zu »liebe Gott«. Die Schuldbeladene und die Ängstliche stellt sie zur Matrioschka, dem Symbol für die mütterliche Seite Gottes. Wenn sie sich schuldig fühle, dann komme sie zur Mama und sage: »Betest Du, dass ich frei bin von meiner Schuld!« Wenn sie ängstlich sei, komme sie auch zur Mutter, sie könne helfen. In ihrem Leben habe sie viel Angst, wegen ihrer Ehe, ihren Kindern und wegen ihrer Arbeit, weil sie da Angst habe, Fehler zu machen. Die Fröhliche stellt sie zur Quelle des Lebens. Wenn sie »Juhu-fröhlich« sei, dann habe sie alles, habe nie mehr Angst, sei zufrieden, dass die Kinder zur Schule gehen. Sie könne arbeiten und essen. Gebetsfragebogen Beim Beten ist es Yara besonders wichtig, mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken331. Sie ergänzt dazu, was ihr außerdem noch wichtig sei: »Ich bete, wenn ich ein Ziel habe, um das Ziel zu erreichen. Wenn ich das Ziel erreicht habe, freue ich mich auch und bete.« Das Handeln Gottes stellt Yara sich indirekt durch Ärzte und Medikamente vor, wobei sie eine kooperativ-vertrauende Haltung einnimmt und eher spirituelle Hilfeleistung erwartet. Bei der Frage, wann und warum sie betet, kreuzt sie alle Gelegenheiten pauschal an332. 331 Sie hat bei der ersten Frage nur D (mit Gott über alles sprechen und Gott auch danken) angekreuzt. Möglicherweise hat sie die Aufgabenstellung falsch verstanden. 332 Auch hier hat sie die Aufgabenstellung nicht ganz verstanden.
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Sie gibt damit an, dass sie bei all diesen Gelegenheiten betet: morgens und abends, vor dem Essen, in Gottesdiensten und Veranstaltungen, in verschiedenen Gemütsverfassungen und Situationen, weil sie ihr Leben mit Gott besprechen möchte. Auch wenn sie hier nicht gemäß der Aufgabenstellung geantwortet hat, kann man doch daraus schließen, dass sie ein reichhaltiges Gebetsleben hat und ihr Glauben für sie in vielen verschiedenen Situationen und Lagen relevant ist. Vor mehr als fünf Jahren ist Yara mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Österreich gekommen. Deutschkenntnisse sind aus einem früheren mehrjährigen Aufenthalt in Deutschland vorhanden. Yara ist eine sich eher zurückhaltende Frau Ende 50. Sie ist schon vor Jahren bei ihrem ersten Aufenthalt in Deutschland mit dem Christentum in Kontakt gekommen und hat schon länger, wie sie es im Interview ausdrückt, auf die Gelegenheit gewartet, den christlichen Glauben anzunehmen. Ihren vorherigen Glauben, mit dem sie nach ihren Aussagen schlechte Erfahrungen gemacht hat, zu verlassen und nicht zu glauben, war für sie keine Alternative. Sie wollte bewusst den Glauben des neuen Kulturkreises333 annehmen, auch wenn sie über recht wenig »Wissen« bezüglich der neuen Religion verfügte. Der Kontakt zur örtlichen Baptistengemeinde ist dann durch einen Verwandten, der schon länger dieser Gemeinde angehörte, entstanden. Nach einem Glaubenskurs, in dem wesentliche Inhalte des christlichen Glaubens anhand von »Vater unser« und Apostolischem Glaubensbekenntnis in ihrer Heimatsprache Dari vermittelt wurden, hat sie sich dann taufen lassen. In ihrem Alltag hat Yara durch ihre Lebenssituation bedingt – sie ist fremd in Österreich und beherrscht die deutsche Sprache nicht perfekt – viel Angst. Sie hat Angst, Fehler zu machen, schuldig zu werden, Angst vor den Kolleginnen. Sie betet, um Kraft und Ruhe zu bekommen und ihre Sorgen abzugeben. Auch ist sie in ihrem Alltag beruflich stark gefordert. Immer wieder muss sie schriftliche Ausarbeitungen zur Dokumentation in der ihr doch noch fremden Sprache machen. Als Kindergartenpädagogin muss sie viel Geduld haben und darf nicht zornig reagieren. Mit ihren Gefühlen der Wut den Kindern gegenüber kommt sie zu Gott und bittet um Kraft. Mit ihrem Leben ist Yara laut Fragebogen mittelmäßig zufrieden. Ihr Glaube ist für sie sehr wichtig und sie erlebt ihn als unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie, sooft sie kann, andere Veranstaltungen eher selten. Ihre Gemeinde ist für sie sehr wichtig, auch wenn sie eher selten mitarbeitet und wenig Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern hat. Auch die Bibel ist für Yara sehr wichtig. Die praktische Nächstenliebe ist ihr wichtig, wobei sie sich aber – laut Antwort im Fragebogen – nie aufgrund ihres Glaubens für ihre Mitmenschen engagiert. Zu dem Interview hat Yara gerne zugesagt. Sie freut sich auf das Gespräch und arbeitet gerne an ihrer Materialcollage. Yara gestaltet aus den Materialien ein auf den ersten Blick ausgewogenes, stimmiges Bild, das aus zwei Teilen besteht. Auf der Unterlage gestaltet sie mit Naturmaterialien und einigen wenigen Obstnetzen ein Landschaftsbild mit einem See. Sie setzt ein dreidimensionales Papierboot auf das ansonsten zweidimensional flächige Bild. Der zweite Teil des 333 Diese Informationen stammen aus einem Vorgespräch, dass die Verfasserin mit Yara geführt hat.
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Bildes ist eine Figur rechts neben der Unterlage, die aus 12 Knöpfen besteht. Die Betrachter erinnert das Bild zunächst an ein friedliches Paradies, in dem selbst die Wolke glänzt und glitzert und den Regen bringt, der zum Wachsen nötig ist. Auf den zweiten Blick wird der außerhalb dieses Paradieses stehende Mensch wahrgenommen. Er wirkt fragmentarisch, unbeholfen, unsicher, wie jemand, der gerade gehen lernt. Seine einzelnen Teile sind nicht durch einen Faden des Lebens verbunden und gehalten. Außen stehend wirkt die Figur eher als unbeteiligt, beobachtend. Der Baum wirkt sehr kahl. In der rechten oberen Bildecke scheint etwas zu fehlen. Demgegenüber sind die drei Kastanien sehr wuchtig und dominant. Für Yara selbst stellt es die Schöpfung und sie selbst dar, was sie auch mit dem Titel »Gott erschafft die Welt und mich« ausdrückt. Sie steht einerseits neben dem Bild, andererseits kommt sie mit ihrer Geschichte indirekt auch im Bild vor. Das Schiff weist auf ihre individuelle Geschichte, in der sie im Nachhinein Gottes Handeln sieht, hin. Für sie ist Gott der Schöpfer, der sie geschaffen hat und der ihr alles gibt, was sie zum Leben braucht, darüber hinaus ist er auch der, der sie am Leben erhält. Sie spricht davon, dass sie und die Mitglieder ihrer Familie ohne diesen Plan Gottes schon tot sein könnten. Das Schiff deutet auf die Reise hin, die Yara von Afghanistan nach Österreich gemacht hat und die für sie eine Rettungserfahrung geworden ist. Sie spricht von ihrer Dankbarkeit und davon, dass Gott ihre Familie »ausgesucht« und nach Österreich gebracht hat. Die Reise wird für sie zu einer Erfahrung von Erwählung und Herausführung aus einer Situation, in der der Tod droht. Dahinter erkennt sie einen Plan Gottes. Das ist ihr erst im Rückblick möglich, nachdem sie zum christlichen Glauben gekommen ist. Sie hat gehört, dass es einen Plan Gottes gibt, in dieser Aussage hat sie die für sie passende Interpretation ihrer Erfahrung gefunden. Dogmatische Aussagen (Gott ist Schöpfer, Erhalter und Retter) bezieht Yara auf sich: Gott hat mich geschaffen – gibt mir, was ich zum Leben brauche – hat mich und meine Familie herausgeführt und gerettet. Und auch die Aussage über einen Plan Gottes nimmt sie persönlich. Die Darstellung ihrer Flucht aus Afghanistan erinnert an den Exodus: Aus Todesnot durch das Wasser in ein neues Leben. Ob sie selbst auch diese Parallele sieht? Über ihren Alltag sagt Yara im Interview, dass sie keine bestimmten Orte und Zeiten hat, an denen sie an Gott denkt. Sie denkt immer an Gott, beim Einkaufen, bei der Arbeit, zuhause, wo immer sie auch ist, und wenn sie alleine ist, singt sie. Ihre Gottesbeziehung drückt sich nicht in rituellem Verhalten aus, sondern in Gedanken an Gott, die ihren Alltag begleiten. Ein zentrales emotional geladenes Thema ist für Yara ihre Angst. Mit der »Rettung« hat die Angst nicht aufgehört. Auch in ihrem neuen Leben in Österreich ist der Alltag für sie, wenn auch sicherer, nicht immer einfach. In den Positionierungen wird davon Einiges deutlich. Zunächst positioniert sie, wie sie Gott »braucht«, anders als die Aufgabenstellung, nach der sie zeigen soll, wie nah sie sich Gott in bestimmten Gefühlslagen fühlt. In allen Lagen braucht sie Kraft, und es scheint eher sehr konkret als symbolisch gemeint zu sein. Yara zeigt in ihren Positionierungen, dass ihr Glaube für sie in den unterschiedlichen Gemütsverfassungen Relevanz hat. Für verschiedene Lagen, wie Angst und Schuld, drückt sie den Wunsch aus, die Nähe Gottes zu fühlen. Sie erhofft sich Hilfe in Form von Angstreduktion oder Emotionskontrolle. Dies trifft bei ihr auf fünf von sechs Emotionen zu. Ihrem Glauben kommt hier eine stark unterstützende Funktion zu, wobei auch die unterschiedlichen Aspekte Gottes für sie wichtig sind. Bei der zweiten Positionierung sind alle Figuren den Gottessymbolen zugewandt, haben aber bis auf den Traurigen, der direkt
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im Netz sitzt, keinen direkten Kontakt. Yara scheint sich, wenn sie traurig ist, Gott besonders nahe zu fühlen. Das entspricht auch dem von ihr erwähnten Erlebnis einer Nähe Gottes, die sie meint sogar körperlich gespürt zu haben. Interessant ist die Fürbitten-Funktion der Mutter (wie Yara die Figur bezeichnet). Findet sich hier ein katholisches Versatzstück? In einem Gefühl von Zufriedenheit und Dankbarkeit, was durch die fröhliche Figur verkörpert wird, spiegelt sich noch einmal der Kern ihrer Gottesvorstellung: Gott gibt ihr alles, was sie zum Leben braucht, Arbeit und Essen, inklusive der Bewältigung von schwierigen Alltagssituationen oder negativen Gefühlslagen. Eine starke Wunschvorstellung, die an die paradiesischen Züge in ihrer Metapher erinnert, scheint in starkem Widerspruch zu ihrer Realität zu stehen. In ihrem Leben kennt sie Beides: Hilflosigkeit und Angst, Traurigkeit und Kraftlosigkeit, aber auch die Rettung aus großer Not und ein Herausgeführt-werden aus bedrohlichen Situationen. Die Deutung ihrer Vergangenheit als Plan Gottes, scheint sie in der Gegenwart zu unterstützen und ihr Hoffnung für die Zukunft zu geben. In ihrem Gottesverständnis setzt Yara bei Gott als Schöpfer und Erhalter an. Wenn Yara über Gott spricht, spricht sie immer vom »lieben Gott«. Es klingt so wie ein Eigenname oder Hoheitstitel, vielleicht auch ein Kosename? Die Liebe Gottes zeigt sich für sie darin, dass Gott für seine Schöpfung sorgt und alles gibt, was dazu notwendig ist, damit Leben sein kann. Gott ist dem Menschen zugewandt und daher immer mit allen Menschen zusammen. Für Yara steht Gott in Verbindung mit den Menschen. Jesus sei eine gute Verbindung. Sie erwähnt Jesus und Gott dann als Vater, spricht aber nicht vom Heiligen Geist. Nach Yaras Verständnis gibt es für die Menschen, die glauben, die Möglichkeit, mit Gott zu reden. Es handelt sich hierbei aber nicht um einen echten Dialog. Der Mensch redet und er kann von Gott durch Gefühle, wie zum Beispiel durch Freude, Ja-NeinAntworten bekommen. Hier bezieht Yara sich auf einen Plan, den Gott nach ihrem Verständnis hat. Es scheint so, als ob der Mensch in einer Entscheidungssituation hinsichtlich dieses Planes Fragen stellen kann und dann von Gott die Antwort Ja oder Nein bekommt. Auf Nachfragen ist Yara sich nicht sicher, ob es wirklich so ist, dass man an der Freude zum Beispiel erkennen könnte, ob eine Antwort richtig ist. Yaras Gottesverständnis ist noch nicht fixiert. Es ist noch in Entwicklung. Sie beschreibt, dass sie vom »Plan« Gottes erst erfahren hat, nachdem sie Christin geworden ist. Sie selbst hat so etwas wie Freude erlebt, als sie eine Entscheidung getroffen und mit Gott darüber geredet hat. Das sei ein gutes Gefühl, sagt sie von sich selbst. Aber sie verallgemeinert ihre Erfahrung nicht, sondern zeigt im Gespräch Offenheit, ihr Gottesverständnis zu hinterfragen. Nach Yaras Sicht wünscht Gott sich vom Menschen, dass er das Rechte tut. Gott weiß, ob die Menschen den richtigen oder den falschen Weg nehmen. Es ist schwer für den Menschen, den richtigen Weg zu nehmen, wenn er nicht auf Gott hört. Der Plan Gottes scheint für den Menschen einen richtigen Weg festzulegen. Der Mensch bewegt sich dann in einem Richtig-Falsch-Dualismus und kann – wenn er Gott fragt – den richtigen Weg finden und gehen. Gott scheint hier ein etwas entfernter Beobachter des Menschen zu sein, der zuschaut, sich fragen lässt und durch Antworten unterstützt und leitet. Er greift eher nicht ein, sondern wartet, was der Mensch macht und lässt ihm Zeit. Yara hat kein legalistisches Gottesverständnis. Auch wenn der Mensch nicht so handelt, wie Gott es sich wünscht, straft Gott ihn nicht. Er ist eher traurig, dass der Mensch so handelt. Dabei ist Yara sich nicht sicher, ob Gott wirklich traurig sein kann. Das Handeln
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Gottes stellt Yara sich nur indirekt vor. Gott redet indirekt durch das Gefühl der Menschen und er handelt indirekt durch andere Menschen. Auch der Gebetsfragebogen bestätigt das. Yaras Gottesverständnis ist konsequent transzendenzbewusst. Selbst nach der Frage, ob Gott traurig sei, zögert sie, diese konkret anthropomorphe Sprachweise zu verwenden. Dass Gott Gefühle hat, scheint für sie nicht ganz zu passen. Die schlimmen Geschehnisse in der Welt führt Yara auf den Menschen zurück. Naturkatastrophen hält sie zunächst durch das Wesen der Natur bedingt, aber da Gott die Natur geschaffen hat, sieht sie ihn letztlich doch als Verursacher. Auch hier führt sie das wieder auf Gottes Plan zurück. Yaras Gottesvorstellung ist durchwegs unterstützend und akzeptierend, daher kann sie auch, wenn sie mit ihren eigenen Gefühlen Schwierigkeiten hat, in die Nähe Gottes kommen. Dieser liebende, unterstützende Gott fördert ihr eigenes Selbstwertgefühl. Von ihm wird sie geliebt und akzeptiert, auch wenn die Menschen um sie herum sie aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht akzeptieren können. In dem Umgang mit ihrer Wut zeigt sie eine Bereitschaft zu moralischer Selbstkontrolle. Eine Gewissensängstlichkeit ist dabei nicht zu beobachten. In den Positionierungen zögert sie nicht, ihre Figuren auch bei Schuld nahe zu den Gottessymbolen zu stellen. Im Alltag erfährt Yara ihre Gottesvorstellung als Unterstützung, vor allem im Hinblick auf Angstreduktion, Emotionskontrolle, Bewältigung von Traurigkeit und Einsamkeit. Bezeichnend für ihre Gottesvorstellung ist auch ihr Name für Gott »liebe Gott«. Hier fließen das von Gott bedingungslos Geliebt- und Akzeptiert-werden, die Erfahrung der Rettung des eigenen Lebens und der Ausdruck von Dankbarkeit und Verehrungsbereitschaft ineinander : In Yaras Vorstellung ist Gott einer, der sie liebt und akzeptiert, der sie nach seinem Plan aus der Todesbedrängnis herausgeführt hat und dem sie daher in Liebe verbunden ist. Bei all den positiven Schilderungen, wer Gott für Yara ist, scheint doch vor allem ihre schwierige Alltagssituation durch, die sich möglicherweise in der Metapher im fragmentarischen der menschlichen Figur oder im leeren Baum spiegelt. Zu fragen ist, ob sich hinter den Gebeten nicht auch der Wunsch nach der Akzeptanz und Zuwendung durch Menschen zeigt?
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3.1.6 Dian – Alles ist von Gott Dian kommt aus dem Iran, ist zwischen 20 und 30 Jahre alt und studiert ein technisches Fach. Gottesmetapher
In seiner Gestaltung stellt Dian mehrere Gegenstände auf einer Unterlage zusammen. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Kraft Gottes. Durch diese Kraft habe Gott die Welt geschaffen. Der Tannenzapfen und die Muschel würden die Natur als Schöpfung Gottes symbolisieren. Der Tannenzapfen symbolisiere die hohen Berge und die Muschel das tiefe Meer. Neben beidem fühle er sich, Dian, als Mensch »klein wie ein Punkt« und bewundere die Größe und Kraft Gottes. Das glitzernde Glas stehe für das Schöne und das zusammengedrückte Teelicht für das, was nicht schön sei. Er nehme das, was schön und das, was nicht schön sei, was gut oder nicht gut sei in dieser Welt und sage: »Das gehört Gott«. Gottes Kraft zeige sich für ihn in der Natur, aber auch in der Technik, dargestellt durch die Platine, da Gott dem Menschen die Fähigkeiten gegeben habe, Technik zu entwickeln und zu nutzen. Manchmal würden die Menschen denken, was sie haben, hätten sie selbst (was er besonders betont) gemacht. Das sei zwar richtig, aber nicht zu hundert Prozent. Was wir Menschen tun würden, täten wir durch Gottes Kraft und unsere Gedanken, unsere Kraft sei durch Gottes Kraft entwickelt. Auch das Geld, symbolisiert durch eine kleine Münze in der linken unteren Ecke der Gestaltung, weise auf die Kraft Gottes hin. Die Meinung, wer Geld habe, der habe auch Kraft, sei nicht zutreffend, da es für ihn, Dian, allein von der Kraft Gottes abhängig sei, wie Menschen ihr Geld nutzen. Geld sei ein Äquivalent für Kraft, alle Menschen würden denken, wenn jemand Geld habe, habe er genug Kraft, ohne Geld sei der Mensch nichts. Es hänge aber auch von der Kraft Gottes ab, wozu wir dieses Geld nutzen könnten. Es könne eine positive Kraft sein, das komme dann von Gott, glaubt Dian. Er betont zudem die positive Dimension der
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Technologie. Er meint, man könne die Technologie dazu nutzen, die Existenz Gottes zu beweisen, z. B. indem man durch Technologie den Urknall beweisen könne, der für ihn ein Beweis der Kraft Gottes sei. Weiter helfe die Technologie, die Botschaft von Gott einfach über E-Mail weiter zu sagen. Wir bräuchten keine großen Reisen machen, wie damals Petrus und andere. Petrus, Johannes und andere hätten viele Reisen machen müssen, wir könnten »einfach« mit einer »EMail die Botschaft von Gott zu den Leuten schicken«. Auch seien wir über die technischen Medien schnell über alles informiert und könnten dann entsprechend beten, wenn wir sehen würden, »was die Leute machen, können wir einfach darüber beten. Wir können einfach sehen, was in dieser Welt passiert, und das ist sehr schön, und ich glaub’, das ist auch Kraft von Gott«. Dadurch werde mehr entwickelt als das, was es jetzt gebe. Was Kraft Gottes für ihn in seinem Alltag bedeute? Dian sagt, dass seine Kraft Kraft von Gott sei, wenn er atme oder gehe, sitze oder denke. Selbst wenn jemand an Gott glaube, geschehe das durch Gottes Kraft. Glaube an Gott sei alles. Wir hätten in dieser Welt drei Dinge, die jetzt wichtig seien: unser Gehirn, Herz und Geld. Menschen, die an Gott glaubten, müssten Gehirn, Herz und Geld Gott anvertrauen. Er wisse, was damit zu tun sei. Wenn jemand Gott vertraue, vertraue er einer Kraft. Es gebe keine Kraft, die Gottes Kraft übersteige. Gott wisse, was mit unserem Herzen und Gehirn sei; und was wichtig sei, gehöre Gott. Auch sei für die Menschen das Leben mit Gott einfacher als ohne ihn. Er, Dian, habe versucht, ohne ihn zu leben, drei Monate lang, aber das sei »sehr schlimm« gewesen, das könne »man nicht machen ohne Gott«. Nach einem Beispiel dafür gefragt, was es denn heiße, Gott Gehirn, Herz und Geld zu geben, erzählt Dian von seinem Weg nach Österreich. Er habe in seiner Heimat Familie und Geld verlassen und in Österreich, auf der Suche nach der Wahrheit, Gott gefunden. Man müsse das, was man habe, Gott geben. Er, Dian, habe alles gehabt: sein Leben, Geld, eine gute Familie. Er habe das alles verlassen, um Gott zu finden. Er habe versucht herauszufinden, von welcher Religion wirklich Wahrheit komme. Er habe die Wurzel der Wahrheit finden wollen. Dian selbst sieht sich außerhalb seiner Gestaltung auf einem höheren Platz, von dem aus er alles gut sehen kann. Auf die Frage, wo Gott sei antwortet Dian, dass Gott überall sei, da, wo wir seien, und da, wo wir nicht seien. Aber vor allem sei er im Menschen und wer Gott besser kennen lernen wolle, brauche nur sich selbst besser kennen zu lernen. Wenn wir gut schauen würden, dann würden wir sehen, dass Gott in uns sei. »Wenn … jeder sich selbst gut kennen lernt, [dann] hat er Gott kennen gelernt.« Ob Gott mit den Menschen in Verbindung stehe? Dian erzählt von einem aktuellen Problem, das er sehe. Manchmal könne er mit Gott reden, wie mit einem Menschen. Er spüre, jetzt sei es Zeit, das zu tun, und dann tue er es. Manchmal sei es aber schwierig für ihn, mit Gott in Kontakt zu sein. Dann spüre und höre er ihn nicht. Er erkläre sich das so, dass Gott nicht immer hundert-
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prozentig für ihn da sein könne, weil er auch mit anderen Dingen beschäftig sei. Er brauche ihn nicht immer hundertprozentig für sich. Er sage dann, wenn er keine Antwort bekomme, dass Gott vielleicht an einem anderen Ort beschäftigt sei, aber er warte auch noch, wenn nicht gleich eine Antwort kommt. Auf die Frage, ob Gott auch mit Menschen in Kontakt stehe, die keinen Glauben haben würden?, hat Dian eine originelle Antwort. Für den Kontakt Gottes zum Menschen verwendet er das Bild der Autobahn oder einer zweispurigen Straße. Gott sei überall und auch um die Menschen, von denen er vorher gesagt habe, dass sie Gott kennen lernen, wenn sie sich selbst kennen lernen wollen. Er sehe das als »eine Autobahn, eine Linie (Spur), die geht, und eine, die zurück kommt«. Gott komme und wenn sie wollten, kämen sie auch zu Gott, wenn es einen Gott gebe. Wenn sie keinen Kontakt wollten, dann hätten sie keinen Kontakt. Gott sei da. Wenn sie klopften oder riefen, bekämen sie Antwort, aber wenn sie nicht wollten, sei Gott nicht da. Ob Gott in dieser Welt etwas tue? Die Antwort darauf fällt Dian nicht leicht. Er stelle sich diese Frage auch. Was sei mit den vielen Menschen, die sterben, oder wenn eine Mutter ein Kind verliere? Könne man angesichts solcher Situationen vom Eingreifen Gottes sprechen? Dian lässt die Antwort auf diese Frage offen, sagt aber, dass Gott eingreifen könne, aber es anscheinend nicht sofort tue. Gott warte ab. Wenn Menschen an ihrer Situation selbst schuld seien, dann könne man Gott nicht dafür verantwortlich machen und man solle solche Situationen auch nicht dazu verwenden, etwas von Gott zu beweisen. Auf der einen Seite würden alle Gebete nichts nützen, wenn für jemanden die Zeit gekommen sei zu sterben, dann werde er sterben. Auf der anderen Seite sei es Gott jederzeit möglich einzugreifen, wie ein reicher Mann, der, wenn er darum gebeten werde, jederzeit ein wenig Geld geben könne. Er, Dian, wolle Gott aber nicht sagen, was er zu tun habe. Er könne einen Menschen durch ein Wunder heilen oder auch durch Ärzte. Ob Gott für Naturkatastrophen verantwortlich sei? Auch darauf hat Dian keine Antwort. Es könne die Natur sein, die dafür verantwortlich sei oder vielleicht auch nicht. Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, wo er, Dian, besonders an Gott denke? Wenn es ihm schlecht gehe, denke er eher an Gott, aber auch wenn es ihm gut gehe, wenn er eine Prüfung bestanden habe oder einen guten Tag habe, dann danke er Gott dafür. Ob er Erfahrungen der besonderen Nähe Gottes kenne? Dian erzäht von einem Traum, den er hatte, bevor er Christ geworden sei. Gott habe vor dem letzten Tag des Ramadan im Traum zu ihm gesprochen, dass er aufstehen und fasten solle. Für ihn, einen leidenschaftlichen Langschläfer, sei das etwas Besonders gewesen. Auch habe er damals nichts vom Fasten gehalten, aber er sei aufgestanden und habe gefastet. Gott habe ihm außerdem gesagt, dass er, Dian, nicht das tue, was er immer verspreche. Er habe während des Fastens dann Gott gesehen. Er habe direkt mit ihm gesprochen. Er, Dian, habe gesagt,
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dass er mit Gott sprechen wolle und mit ihm sein wolle: »Wenn du mein Herz nimmst, vertraue ich dir, ich lasse deine Hand nicht los.« Auf die spätere Rückfrage, wie das sei, Gott zu sehen und mit ihm zu sprechen, sagt Dian, dass Gott ihm näher sei als das Blut, das in seiner Hauptschlagader fließt. Gott sei ein Teil von ihm. Wie ein Samenkorn sei Gott in jedem Menschen und wenn der Mensch das wolle, dann könne die Pflanze wachsen. Es gebe einen Zustand zwischen Wachen und Träumen, für den es keinen Begriff gebe. In solch einem Zustand sei er gewesen, und er habe Gottes Stimme gehört. Ob das Reden Gottes so sei wie die eigenen Gedanken, aber er habe die Gewissheit, dass diese Gedanken von Gott kommen würden? Dem stimmt Dian zu. Eine Überschrift für die Gestaltung? Alles ist von Gott. Positionierung mit einem Gottessymbol
In seiner ersten Positionierung wählt Dian die Quelle des Lebens als das Gottessymbol, das ihn im Moment am meisten anspricht. Er positioniert alle Figuren in einer graden Linie hintereinander. Alle Figuren haben ungefähr den gleichen Abstand zueinander und sind dem Gottessymbol zugewandt. Als erste Figur stellt er den Zornigen in großem Abstand zum Gottessymbol auf. »Wenn ich angry bin, ist Gott ganz weit von mir.« Danach positioniert er den Nachdenklichen ganz nah zum Gottessymbol: »Wenn ich denke, kommt [Gott] näher zu mir.« Dann stellt er den Ängstlichen vor den Zornigen: »Wenn ich Angst habe, ist Gott weit von mir.« Davor positioniert er den Glücklichen: »Wenn ich happy bin, Gott ist hier.« Den Traurigen und den Schuldbeladenen stellt er zum Schluss ohne Worte dazwischen.
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Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der Positionierung mit allen Gottessymbolen stellt Dian die Figuren alle in die Mitte und die Gottessymbole im Kreis darum herum. Als Begründung für diese Art der Aufstellung sagt er, dass er die Figuren nicht so platziert habe, um es sich einfach zu machen, sondern es würde für ihn darstellen, dass Gott in jeder Situation alle Aspekte bedeute. Wenn er zum Beispiel froh sei, dann fühle er Gottes Kraft. Aber mehr noch: Er, Dian, sei in der Mitte, und in jeder Situation sei Gott mit Kraft, mit Licht, mit seiner mütterlichen und väterlichen Art, mit seiner Liebe, seiner Stimme da. Er »ist immer bei mir oder ich bin immer in seiner Hand«. Gebetsfragebogen Beim Gebet ist Dian das Wichtigste, mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken. Wichtig ist ihm auch, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen, danach kommt für ihn, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen. Die äußere Haltung still sein, ist ihm weniger und das Falten der Hände gar nicht wichtig. Dian hält ein indirektes Eingreifen Gottes für möglich, wobei er eine kooperativ-vertrauende Haltung einnimmt, und ihm die Souveränität Gottes wichtig ist. Häufig betet Dian vor dem Essen und wenn er Angst, Kummer oder Sorgen hat. Manchmal betet er am Abend vor dem Einschlafen, wenn er sich freut, wenn er sich etwas wünscht und weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Selten betet er am Morgen, wenn der Tag beginnt, im Gottesdienst und bei Gemeindeveranstaltungen und wenn er vom Leid anderer Menschen hört. Dian ist ein eher ruhiger junger Mann, der nur sehr selten den Gottesdienst seiner Baptistengemeinde besucht. Er kam vor fünf Jahren zum Studium nach Österreich. Dort bekam er Kontakt mit einer baptistischen Familie. Er interessierte sich für den christlichen Glauben und ließ sich vor drei Jahren taufen. An Gemeindeveranstaltungen nimmt er kaum teil. Er war trotzdem gerne bereit, sich zu seiner Gottesvorstellung interviewen zu lassen. Die Interviewsprache ist Deutsch (mit englischen Verständnishilfen), seine Mut-
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tersprache ist Farsi (persisch). Laut Selbsteinschätzungsfragebogen sind Dian sein Glaube, seine Gemeinde und die praktische Nächstenliebe, hier vor allem die nachbarschaftliche Hilfe, wichtig. Mittlere Werte gibt Dian an bei seiner Lebenszufriedenheit, beim Gottesdienstbesuch, bei der Wichtigkeit der Bibel für ihn, beim Kontakt mit Gemeindemitgliedern außerhalb des Gottesdienstes und beim politischen Engagement für seine Mitmenschen. Seltener besucht er andere Gemeindeveranstaltungen, er arbeitet selten in der Gemeinde mit und engagiert sich seltener sozial für seine Mitmenschen. Zur Frage, ob er seinen Glauben unterstützend empfindet, macht er keine Angaben. Für seine Collage sucht er sehr verschiedene Materialien (Muschel und Zapfen als Naturmaterialien, ein kaputtes Schmuckstück, ein leeres zerdrücktes Teelicht, eine Münze und eine Elektroplatine) aus und legt sie locker auf die Unterlage. Die Technik scheint zu dominieren, während die Natur ins Eck gestellt ist. Es entsteht ein Ungleichgewicht in der Raumaufteilung. Die rechte obere Ecke ist fast bis über den Rand belegt, während alle anderen Ecken frei bleiben. Das Ganze scheint nach rechts oben zu streben. Insgesamt wirkt die Collage sehr fragmentarisch, unbelebt. Die Gegenstände sind unverbunden, wenig gestaltet, eher gesammelt (Kollekte statt Collage). Für Dian selbst stellt dies vor allem die große Kraft Gottes dar. Durch diese Kraft hat Gott Welt und Menschen – mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten – erschaffen, und sie ist auch im Alltag von Dian wirksam. Dass Gott der Ursprung aller Dinge ist, ist ein Grundgedanke, der sich im Titel »Alles ist von Gott« findet und auch das Gespräch durchzieht. In Dians Gottesbeziehung spiegelt sich ein einerseits – andererseits. Zunächst ist eine Gottesbeziehung für Dian überhaupt nicht selbstverständlich. Nachdem er seine Heimat und seine Kultur verlassen hat, ist er auf der Suche nach der für ihn wahren Religion gewesen. Er hat sogar versucht, eine Zeit lang ohne Gott zu leben, was ihm nicht gelungen ist. Nach einer Gottesbegegnung im Traum hat er sich entschieden, Gott zu vertrauen. Zum einen fühlt Dian sich neben der Größe und Kraft Gottes klein wie ein Punkt. Hier ist er ein distanzierter Beobachter, der die große Kraft Gottes bewundert, wie seine Positionierung zu seiner Gestaltung deutlich macht. Zum anderen ist für Dian Gott näher als das Blut in seinen Adern. Er spricht davon, dass Gott ein Teil von ihm ist und dass er Gott sehen und hören kann, wobei ihm das nicht immer möglich ist. Dian spricht davon, dass er alles (Leben – Geld – eine gute Familie) verlassen hat, damit er Gott finden konnte und dass er Gott alles (Gehirn – Herz – Geld) anvertraut hat. Er betet häufig, aber manchmal gelingt es ihm nicht, Gott zu hören oder zu spüren. Das erklärt er sich dann damit, dass Gott gerade mit etwas anderem beschäftigt ist. Ist Gott doch nicht immer für die Menschen da, die sich an ihn wenden, wie in seinem Beispiel mit der zweispurigen Straße? Gegenüber der Dominanz der Technik in der Metapher fällt bei der ersten Positionierung auf, dass Dian sich die Quelle des Lebens, die Nuss, aussucht. Es passt aber sehr stimmig zu seiner Metapher, dass für ihn Gott Ursprung allen Lebens ist. Er stellt die Figuren exakt im gleichen Abstand zueinander auf. Alles wirkt sehr geordnet, gradlinig. Stimmig ist auch, dass der Nachdenkliche dem Gottessymbol am Nächsten steht, hier ist der Abstand sogar geringer als zwischen den Figuren, was die Ordnung ein wenig unterbricht. Seine Äußerung, dass Gott näher zu ihm komme, wenn er denke, entspricht seinem eher kognitiven Zugang zu seiner Gottesvorstellung. Auch in der zweiten Positionierung gibt es eine klare Ordnung: Die Figuren stehen alle gemeinsam im Kreis in der Mitte, von einem zweiten Kreis der Gottessymbole, wie von
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einer Schutzmauer, umgeben. Die Figuren haben den Gottessymbolen den Rücken zugewandt. Für Dian stellt das ein »in Gottes Hand sein« dar. Auf der Beziehungsebene werden hier Vertrauen und ein Gefühl der Nähe Gottes in jeder Situation deutlich. Aus Gespräch und Positionierungen wird ersichtlich, dass die emotionale Grundtendenz in Dians Gottesbeziehung positiv-akzeptierend ist, geprägt von den Ambivalenzen seines Gottesverständnisses. Ein großer, etwas entfernter Gott, der bewundert wird, ein Gott, der mit anderem beschäftigt ist, aber auch ein naher Gott, der mit Dian spricht und dem er sich anvertrauen kann. Ein Gott, der die Autonomie des Menschen respektiert und wartet, aber ohne den der Mensch nichts tun kann. An Dian ist, durch seinen Versuch auch ohne Gott zu leben, fast ein Ringen zu erkennen, aus einem Gefühl von Abhängigkeit doch eine im Vertrauen geführte Gottesbeziehung zu machen. In Dians Gottesverständnis ist Gott vor allem der kraftvolle Schöpfer, dessen Kraft sich in allem zeigt, in der Natur, aber auch in der Fähigkeit des Menschen, technisch zu wirken. Dian führt Gutes und Schlechtes, was in dieser Welt schön ist und was nicht so schön ist, auf Gott zurück. Das beinhaltet zwei Aspekte: Ein Aspekt, wie im Titel ausgedrückt »Alles ist von Gott«, besagt, dass Gott der Ursprung aller Dinge ist. Ein anderer Aspekt ist die Macht und Kraft Gottes in ihrer gegenwärtigen Wirksamkeit in dieser Welt, wie Dian im Interview sagt: »Alles gehört Gott«. Technik und Geld sind nach Dians Verständnis letztlich auf Gott zurückzuführen, weil Gott dem Menschen die Fähigkeit gibt, Technik zu entwickeln und zu nutzen. Auch der Umgang mit Geld als Kraft, die etwas Positives in dieser Welt bewirkt, hängt für den Menschen von der Kraft Gottes ab. Gott handelt hier indirekt durch den Umgang des Menschen mit Technik und Geld. Dian verortet Gott, von dem er meint, dass er überall sei, vor allem im Menschen selbst. Nach seinem Verständnis ist es nicht möglich, ohne Gott zu leben, und ein Mensch kann Gott kennen lernen, wenn er sich selbst gut kennen lernt. Gott ist ein Teil von jedem Menschen. Ein Samenkorn, das in ihm wächst, wenn der Mensch das will. Gott ist immer bereit, auf das Suchen der Menschen zu reagieren, aber für die Menschen, die Gott nicht suchen, ist er auch nicht da. Gott ist den Menschen hier zwar zugewandt, aber eher in einer abwartenden Haltung. Er reagiert auf den Menschen, scheint aber nicht von sich aus die Initiative zu ergreifen. Hier wirkt Gott in den Aussagen Dians sehr menschlich, anthropomorph, vor allem, wenn Dian sagt, Gott sei vielleicht gerade beschäftigt, wenn er das Gefühl hat, dass Gott seine Gebete nicht hört. Auch wenn diese Aussage metaphorisch, vielleicht im Sinne der Verborgenheit Gottes, interpretiert werden kann, bleibt die Frage, wo Gott ist: im Menschen, überall oder gerade beschäftigt? Dians Gottesverständnis ist voller Spannungen. Einerseits scheint hier die Autonomie des Menschen voll gewährleistet, Gott greift erst ein, wenn er darum gebeten wird, wenn überhaupt. Andererseits ist der Mensch völlig von Gott abhängig: Der Mensch denkt, er selbst gestaltet sein Leben und seine Umwelt, dabei kann er es letztlich nur durch die Kraft Gottes. Auch sein Geschick, mit Geld umzugehen, wird im Endeffekt von Gott bestimmt. Zudem ergibt sich eine Spannung zwischen dem Gott, der dem Menschen sehr nahe ist, ein Teil von ihm ist, und dem Gott, der auf den Menschen wartet. Einerseits ist Gott dem Menschen näher als das Blut, das in ihm fließt und wie eine Pflanze, die im Menschen wachsen kann. Die Kraft dieses Gottes zeigt sich durch das Wirken des Menschen im Gestalten dieser Welt durch Technik und Geld. Andererseits ist Gott distanziert, abwartend, wenig initiativ. Einerseits fühlt Gott wie ein Vater, der alles für seine Kinder tun würde und traurig ist, wenn sie etwas Schlechtes tun. Andererseits hat Gott keine Er-
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wartungen an den Menschen, weil der Mensch an sich schlecht ist. Ein Grund, warum Gott Menschen geschaffen hat, ist für Dian nicht ersichtlich. Auch das Böse hat nach Dian seinen Ursprung in Gott, aber wenn Menschen böse handeln, ist das ein Zeichen der Abwesenheit Gottes. Ein Zeichen dafür, dass sie nicht mit Gott sind. Nach Dians Verständnis kann Gott eingreifen, tut es aber oft nicht. Er wartet. Dian möchte nichts dazu sagen, ob Gott eingreift oder was er mit Menschen tut, die Böses tun. Er will »Gott hier nichts vorschreiben«. Ihm ist hier der Aspekt der Souveränität Gottes wichtig. Dians Gottesverständnis ist gekennzeichnet von Spannungen, die nicht nur auf biblische Dialektik zurückzuführen sind. Wesentliche Aspekte biblischer Aussagen über Gott, wie z. B. die Liebe und interessierte Zugewandtheit Gottes oder seine Solidarität im Leiden, seine vergebende Gnade, fehlen hier völlig. Auch scheint im Gespräch eine materialistische Haltung durch. Gottes Kraft hat eher konkrete, denn spirituelle Auswirkungen. Man könnte den Rückschluss ziehen, wer Geld hat, hat es mit Gottes Hilfe richtig eingesetzt. Es fehlt alles »Christliche«. Die starke Betonung des Schöpfergottes erinnert eher an islamische Gottesvorstellungen, in denen Gott als Schöpfer zentral ist, aber grundsätzlich von der Welt unterschieden und getrennt. Die Auffassung, dass Gott in jedem Menschen ist, hat eher pantheistische, esoterische Anklänge. Gott scheint hier in der Welt aufzugehen. Dian hat viele eigene Erklärungsmodelle, Konstruktionen über Gott, die weder auf biblische Tradition – oder nur fragmentarisch darauf – noch auf baptistisches »Sonderlehrgut« zurückzuführen wären. Auch von seiner Lebensgestaltung, was sein Glaube für ihn – außerhalb seiner Dialoge mit Gott im Gebet – im Alltag bedeutet, im Sinne von Ethik, praktizierter Nächstenliebe oder ähnlichem, wird im Gespräch wenig deutlich. Seine Gottesvorstellung scheint fragmentarisch zu sein, ähnlich wie auch seine Gottesmetapher, die aus einzelnen, unverbundenen Teilen besteht. Erkennbar ist die Bereitschaft zu Dank und Verehrung – eine freudige Anerkennung der Größe Gottes ist durchwegs erkennbar. Allerdings erschöpft sich diese Größe zunächst im Bereich des Materiellen. Die Güte Gottes, die sich vielfältig in spiritueller Zuwendung zeigen kann, scheint kaum durch. Vielleicht klingt doch die Verlusterfahrung materieller Güter oder des eigenen sozialen Status noch stark nach und ist durch das Finden der »Wahrheit« noch nicht ausgeglichen. Drückt sich in Dians »Alles kommt von Gott« auch die materielle Hoffnung für die Zukunft aus, wieder zurück zu bekommen, was er aufgegeben hat? Oder ist es Ausdruck dafür, es gut sein lassen zu können und Gott zu vertrauen, dass es so passt, wie es ist? Dian ist seit wenigen Jahren Christ. Der christliche Glaube ist für ihn noch sehr fremd und er wächst erst langsam in ein Gottesverständnis, das im Dialog mit der Bibel und der christlichen Lehre entstehen kann, da er, wie im Selbsteinschätzungsfragebogen erkennbar, nicht so häufig am Gemeindeleben teilnimmt oder zur Kerngemeinde gehört. Zu fragen wäre hier, wie Dians Gottesverständnis um ein Verständnis von Gnade und Rechtfertigung erweitert werden kann und welche Auswirkungen das auf seine Gottesbeziehung oder seine Alltagsgestaltung hätte. Es wäre interessant, gezielte religionspädagogische Angebote zu machen und durch Nachfolgeuntersuchungen Veränderungen zu überprüfen, ähnlich, wie es in der Rostocker Untersuchung an Kindern geschieht.
Baptistinnen und Baptisten aus rumänischsprachigen Gemeinden in Österreich
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Baptistinnen und Baptisten aus rumänischsprachigen Gemeinden in Österreich
3.2.1 Melinda – Gott, die Rettung Melinda ist zwischen 30 und 40 Jahre alt und arbeitet im Einzelhandel. Gottesmetapher
Aus einem Stück Bastelgoldfolie hat Melinda ein Boot gestaltet. Unter dem Boot befindet sich ein blaues Netz. Am Boot ist ein Ring aus einem Kabel befestigt. Melinda sagt dazu, dass dies »ein Schiff mit ein(em) Rettungsring auf Lebenswellen« sei. Was daran mit Gott vergleichbar sei? »Also das Schiff würde ich mit Gott vergleichen und auch den Rettungsring eigentlich, … weil momentan geht’s mir nicht so gut.« Sie erzählt davon, dass sie sich schnell Sorgen mache, obwohl sie wisse, dass sie das eigentlich nicht brauche. Andererseits versuche sie, trotz der schwierigen Situation Hoffnung zu schöpfen und Gottes Wirken darin zu sehen. »Im Moment also versuche ich den Plan Gottes … in meinem Leben zu sehen. Nicht nur in meinem Leben, sondern in dem Leben meiner Familie. Ja, auf der anderen Seite kann ich hoffen, ich versuche also zu beten und abzuwarten, was der liebe Gott so von uns will.« Sie erzählt zu ihrer Situation, dass beide Partner von Arbeitslosigkeit bedroht seien und dass dadurch der Verlust ihres Hauses, das noch nicht schuldenfrei sei, drohe. »Okay, wie gesagt, ein(e) Rettung ist schon da. Ich denke mir, okay, wenn der liebe Gott das will (dass sie das Haus verlieren), dann nehm’ ich das so an. Aber auf der anderen Seite denke ich mir, der liebe Gott hat uns nicht diese(s) Grundstück fast geschenkt …, dass wir ein Haus bauen, dass wir nach ein paar Jahren umziehen müssen oder alles weggeben müssen. Ich weiß nicht, welches der Plan Gottes ist.« Wo sie sich selbst sehen würde? »Auf jeden Fall in dem Boot drinnen, weil … ich werde jeden Plan Gottes akzeptieren. Es wird zwar nicht einfach sein, aber
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ich werde das akzeptieren, weil ich sehe auch durch jede Kleinigkeit, dass der liebe Gott uns liebt und dass er einen Plan für mich besonders … hat.« Melinda betont noch einmal, dass sie eigentlich nicht gerne über ihre Sorgen spreche, weil sie an sich ein fröhlicher Mensch sei, aber es gebe eben diese Wellen im Leben und dann weine sie auch gerne, weil »dadurch kommt auch sehr viel raus«. Wo Gott sei? Für Melinda ist Gott überall und für alle Menschen, die klug seien und verstehen wollten, in kleinen und großen Dingen erkennbar (2x). Es sei außerdem eine »viel größere Kraft als [der] Zufall« da und Menschen könnten Gott darin sehen, wenn sie wollten. Auch in dem, was heute geschehe, könnten Menschen Gott erkennen. Melinda denkt auch, dass vieles, was Gott in der Bibel gesagt habe, jetzt passiere. Ihrer Meinung nach habe Gott einen Plan mit der Welt, auch » wenn viele Sachen nicht seinem Charakter entsprechen. Er lässt sie trotzdem zu, damit« sein Plan mit dieser Welt zu seinem Ziel komme. Gott sei auch in ihrem »… Herzen, was das Wichtigste ist.« Durch die Bibel oder Lebensumstände teile Gott dem Menschen mit, was er sich von ihm wünsche, aber er lasse dem Menschen die Freiheit zu entscheiden. »Er lässt uns entscheiden, was wir machen wollen.« Das finde sie, Melinda, nicht immer gut. Sie wünsche sich eher, nicht immer diese Freiheit zu haben. »Er stellt mich vor die Wahl, das kannst du machen oder das kannst du machen, und es hängt ganz von mir ab, ob ich das mach’, was er will, oder nicht … ich würd’ mir wünschen, nicht gezwungen zu werden, sondern ein bisschen motiviert, aber der liebe Gott macht das nicht unbedingt.« Ob es auch mehrere richtige Wege geben könne? »…aber nicht sehr viele.« Wenn es nur einen richtigen und einen falschen gäbe, dann wäre es nicht so schwierig zu entscheiden, aber die Freiheit bringe auch die »Qual der Wahl«. »Es gibt Gutes und Schlechtes in diese[r] Entscheidung Gottes. Ja also, weil ich manchmal doch Motivation brauchen würde, vielleicht für mein Leben jetzt. Auf der anderen Seite, der liebe Gott hat so viel Vertrauen zu mir, dass er sagt, okay, du kannst entscheiden.« Was Gott tue oder fühle, wenn Menschen nicht nach seinem Willen handeln? »Enttäuschend, weil er uns Vertrauen geschenkt hat.« Melinda vergleicht das mit der Enttäuschung der Mutter, die ihrem Kind vertraue. Wenn das Kind nicht tue, »was richtig ist, dann sind die Eltern oder die Mutter schon enttäuscht«. Ob Gott in dieser Welt handeln würde? Melinda hält ein direktes Eingreifen Gottes für weniger wahrscheinlich, einem indirekten stimmt sie zu. Sie glaube an ein Eingreifen Gottes, nur das »Wie« sei für uns Menschen »rätselhaft«. »Wir denken wie Menschen, also wir sind eher begrenzt in unseren Gedanken und unserer Intelligenz. Wie er handelt, ist eigentlich verschieden und manchmal denke ich mir, wir können auch nicht im Moment sagen: ›Oh, das war der liebe Gott, der uns geholfen hat‹, sondern im Nachhinein.« Sie erzählt von einem Erlebnis an einer Tankstelle. Kurz vor Ladenschluss,
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gegen 24 Uhr, hätten sie Benzin statt Diesel getankt. Die Kinder seien im Auto schon sehr müde gewesen. Sie, Melinda, habe sich über die Situation sehr geärgert, weil sie auch die Mitschuld bei einer nicht funktionierenden Zapfanlage gesehen habe. So sei sie ziemlich verärgert gewesen und habe der Kassiererin gegenüber sauer reagiert. Diese sei aber ganz ruhig geblieben, rief den ÖAMTC (Österreichischer Automobilclub), wartete geduldig eine weitere Stunde, obwohl sie schon Dienstschluss gehabt habe und gab den Kindern etwas Süßes. Sie, Melinda, sehe darin das indirekte Wirken Gottes, der ihr sozusagen eine Lektion erteilt habe, indem ein Mensch ihr so geduldig begegnet sei. Sie als Christin habe wütend und sauer reagiert, während eine fremde Frau, von der sie meine, dass sie Gott wahrscheinlich nicht kenne, ihr gegenüber so freundlich gewesen sei. Ob Gott für das Schlechte in dieser Welt verantwortlich sei? »Nein, allein der Mensch, glaub ich.« Gott wollte nur Gutes für uns, als er den Garten Eden geschaffen habe, »… dass wir Menschen in Frieden leben und alles gut haben«. Doch Gott habe sich einen Plan für die Rettung des Menschen ausgedacht, weil »er uns so liebt«. Bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen, an denen Melinda besonders an Gott denkt, gibt es für sie eher nicht. »Es gibt viele Situationen, wo ich mir im Nachhinein denke, in dieser Situation hat der liebe Gott gehandelt.« Ob sie schon mal ein Erlebnis der besonderen Nähe Gottes gehabt habe? Melinda erzählt von einer Predigt, in der sie sich ganz direkt angesprochen gefühlt habe. »Also der liebe Gott hat nur zu mir gesprochen. Also, das glaub ich, ist die einzige Situation…« Er habe also durch einen Menschen zu ihr persönlich gesprochen? »Ja! Da kann ich mich erinnern, ich war total happy, auf die andere Seite weinend, aber ich glaub vor Freude. Da bin ich nach Hause gegangen und hab zu meinen Eltern gesagt, also heute, Silvester, gibt es kein Fernsehen. Nein, wir beten und singen, also es war brutal.« Ob die Eltern das verstanden hätten? »Ja, also ich hab’ ihnen gesagt, ich hab’ mich entschieden.« Sie erzählt, dass sie in einer großen Baptistengemeinde in Rumänien aufgewachsen sei und dass sie als Jugendliche mit den Eltern nach 1989 nach Wien gekommen sei. Der Anfang sei sehr schwer gewesen, gerade für sie als Jugendliche. Am Anfang habe sie nur geweint. Die Gemeinde und die Jugendgruppe seien viel kleiner gewesen, aber nach einiger Zeit habe sie sich auch hier zuhause gefühlt. Sie habe schnell wieder Freunde gefunden, weil sie ein sozialer Mensch sei. Jetzt erinnere sie sich gerne an die Anfänge in der neuen Jugendgruppe in Österreich zurück. »Es waren doch tolle Zeiten.« Eine Überschrift über die Gestaltung? »Gott – die Rettung!«
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Melinda sucht sich für ihre erste Positionierung das Netz der Liebe und Verbundenheit als Gottessymbol aus. Ganz nah stellt sie die Fröhliche ans Netz. Wenn sie fröhlich sei, fühle sie Gottes Nähe besonders. Auch die Nachdenkliche und die Ängstliche stellt sie nah ans Netz. Weiter weg stellt sie jetzt die Schuldbeladene. Zum Schluss positioniert sie gleichzeitig die Wütende und die Traurige. »Wenn ich wütend und traurig bin, fühle ich mich Gott nicht so nah«, kommentiert sie dazu. Alle Figuren sind dem Gottessymbol zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei ihrer zweiten Positionierung wird jeder Figur ein Gottessymbol zugeordnet, wobei sie das Licht außen vor lässt. Die Nachdenkliche wird zur inneren Stimme gestellt. Dann die Ängstliche zur Matrioschka. Das Symbol für Gott Vater wird dem Symbol für die mütterliche Seite Gottes gegenüber platziert und dazu stellt Melinda die Wütende. Die Traurige stellt sie neben das Symbol für Energie. Die Fröhliche wird wieder zum Netz der Liebe und Verbundenheit gestellt. Die Schuldbeladene kommt zur Quelle des Lebens. Alle Figuren stehen sehr nah, aber neben dem jeweiligen Gottessymbol. Sie sind den jeweiligen Gottessymbolen nicht zugewandt.
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Gebetsfragebogen Melinda gibt an, dass für sie das Wichtigste am Beten ist, mit Gott über alles zu sprechen und ihm auch zu danken. Ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen ist ihr auch wichtig. Still-sein bekommt einen mittleren Wert, weniger wichtig ist ihr, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen und das Falten der Hände. Sie hält ein indirektes Eingreifen Gottes als Folge eines Gebetes für möglich. In der Antwort der nächsten Frage drückt sie ihren Wunsch aus, dass die erkrankte Person wieder gesund wird, mit der Ergänzung »dein Wille geschehe« und zeigt damit eine kooperativ-vertrauende Haltung. Melinda betet häufig vor dem Essen, im Gottesdienst und in anderen Gemeindeveranstaltungen und wenn sie Angst, Kummer oder Sorgen hat. Sie betet manchmal am Morgen und am Abend, wenn sie sich freut, wenn sie sich einsam fühlt oder sich etwas wünscht. Sie betet selten, wenn sie vom Leid anderer Menschen hört, und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Melinda hat ihre Kindheit und den größten Teil ihrer Schulzeit in Rumänien verbracht, bevor sie dann mit ihren Eltern, die ebenfalls Baptisten sind, als Jugendliche nach der Revolution (nach 1989) nach Österreich ausgewandert ist. Sie lebt hier seit über 15 Jahren. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Melinda und ihr Mann Eugen334 besuchen zur Zeit des Interviews eine rumänische Baptistengemeinde. Dort wurden sie auch auf die Teilnahme am Interview angesprochen und haben sich beide sofort dazu bereit erklärt. Die Gespräche fanden bei ihnen zuhause in einer angenehmen und offenen Atmosphäre statt. Melinda war auch gleich bereit, ein wenig mehr Einblick in ihre momentane Situation zu gewähren. Sie wirkte recht fröhlich, zufrieden und zuversichtlich. Die Fragebögen wurden zu einem späteren Zeitpunkt ausgefüllt. Melinda und Eugen haben inzwischen die Gemeinde gewechselt. Vorher waren sie sehr aktiv in ihrer Gemeinde. Jetzt zeigen die Fragebögen ein anderes Bild. Melinda gibt an, dass sie mit ihrem Leben nicht zufrieden ist. Der Glaube an Gott und die Bibel sind für sie sehr wichtig. Ihren Glauben erlebt sie selten unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie manchmal, andere Veranstaltungen selten. Die Wichtigkeit ihrer Gemeinde für sie bekommt einen mittleren Wert. Sie gibt an, in ihrer Gemeinde nicht mitzuarbeiten und auch keinen Kontakt zu Gemeindemitgliedern außerhalb der Gemeinde zu haben. Die praktische Nächstenliebe ist für sie wichtig und sie engagiert sich aufgrund ihres Glaubens nie politisch, selten sozial und nachbarschaftlich für ihre Mitmenschen. Melinda arbeitet sichtlich gern an ihrer Materialcollage und präsentiert das Ergebnis erleichtert und stolz. Beim Betrachten fällt auf, dass die Gestaltung über die Unterlage hinaus geht. Boot, Wasser und Rettungsring sind leicht zu erkennen. Das Boot scheint wesentlich größer als das Wasser zu sein, wirkt sehr leicht und einfach. Durch die goldene Folie erscheint es aber besonders und erinnert die Betrachtenden an »heilige« Gegenstände. Im Verhältnis zum Boot scheint der Rettungsring sehr groß, ist aber dennoch sehr schmal. Es scheint, als könnte ein Mensch dort auch schnell einmal durchrutschen. Ist dieses Boot wirklich sicher, wenn die Wellen hochgehen? 334 Vgl. 3.2.3 Eugen – Die Verbindung mit Gott, 160.
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In Melindas Gottesmetapher spiegelt sich ihre momentane Lebenssituation. Gott ist für sie wie ein rettendes Boot auf den Wellen ihres Lebens und sie gibt ihrer Gestaltung den Titel »Gott, die Rettung«. Sie selbst sieht sich schon in diesem Boot. Als sie von ihrer Lebenssituation erzählt, weint sie ein wenig und der Druck, unter dem diese Familie steht, ist spürbar. Durch die drohende Arbeitslosigkeit ihres Mannes, der zwei Wochen nach dem Interview seinen Arbeitsplatz verliert, ist der Besitz des Einfamilienhauses bedroht, das noch nicht schuldenfrei ist. Sich Sorgen zu machen, entspricht nach Melindas Aussage gar nicht ihrem Naturell, da sie ein fröhlicher Mensch sei. Doch die Situation gibt Melinda Anlass zur Sorge, allerdings nicht zur Verzweiflung. Dabei hilft ihr ihre Überzeugung, dass Gott sie erstens liebt und zweitens einen besonderen Plan für sie hat. Sie äußert damit ihr Vertrauen zu Gott. Sie sieht sich jetzt schon im Boot drin und muss nicht erst noch aus den Lebenswellen gerettet werden, sondern sie fühlt sich schon in Sicherheit, auch wenn die Wellen noch hochgehen. Gott ist für Melinda der, der in schwierigen Situationen ihres Lebens die Rettung ist. Ihr Glaube hilft ihr, diese schwierige Situation zu akzeptieren. Egal wie es für sie ausgeht, Melinda will die Situation als »Plan Gottes« annehmen. Rettung besteht hier für sie nicht in der Erfüllung eigener Wünsche (Haus behalten), sondern in ihrer Deutung der Situation als Gottes Plan. Sie sieht in ihrer schwierigen Situation nicht ein zufälliges Schicksal, sondern einen von Gott gelenkten, geplanten Lebensweg. Sie äußert hier ihr Vertrauen in Gott, dass die Situation ihr und ihrer Familie zum Guten dienen wird, egal was geschieht. Dieses Vertrauen ist für ihre Gottesbeziehung kennzeichnend. Es scheint sich um eine wechselseitige Vertrauensbeziehung zu handeln, da Gott auch ihr vertraut. Gott vertraut dem Menschen, indem er ihm die Freiheit gibt, Gottes Willen zu tun oder auch nicht. Für Melinda bedeutet das Vertrauen, aber auch die Qual der Wahl, selbst entscheiden zu müssen. So löst Melinda die logische Spannung, die hier zwischen dem zielführenden Plan Gottes und der Freiheit des Menschen entsteht, für sich auf. Der Plan Gottes ist der Rahmen, in dem der Mensch frei entscheiden kann. Die Frage, ob das wirklich Freiheit sein kann, stellt sie sich nicht. Dass Gott einen Plan für die Menschen allgemein und auch für jeden einzelnen Menschen hat, gehört zu ihrem Gottesverständnis. Für sie ist Gott dem Menschen stets zugewandt und akzeptiert jeden Menschen, selbst »Kriminelle«. Generell ist für Melinda erkennbar, dass hinter allem viel mehr steht als nur ein Zufall. Auch schlimme Dinge in dieser Welt dienen Gott letztlich dazu, mit seinem Plan zum Ziel zu kommen. Sein Plan ist nach Melindas Verständnis generell die Rettung der Menschen aus Liebe. Neben der Spannung zwischen einem Plan Gottes und der menschlicher Freiheit, gibt es bei Melinda auch eine Spannung im Hinblick auf die Erkennbarkeit Gottes. Zunächst behauptet sie, dass Gott von jedem Menschen, der klug ist, erkannt werden kann. Dann ist sie aber, sich selbst betreffend, vorsichtig und meint, das Handeln Gottes erst im Rückblick erkennen zu können. Diese logischen Inkonsistenzen scheinen von ihr nicht wahrgenommen zu werden. Genauso wenig wie die Diskrepanz zwischen ihrer Betonung der praktischen Nächstenliebe und ihrem Mangel an sozialem oder nachbarschaftlichem Engagement für ihre Mitmenschen. Zu fragen wäre hier, was sie unter praktischer Nächstenliebe versteht. Melinda hält ein direktes (Heilung – Gebetsfragebogen) und indirektes (Hilfe durch Menschen) Handeln Gottes für möglich. Oft ist das für Melinda aber erst im Nachhinein erkennbar. Ein Beispiel für ein indirektes Eingreifen Gottes ist für sie die am Tag zuvor geschehene Begegnung mit einer Tankwartin, die geduldig und freundlich geblieben ist,
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obwohl Melinda ihr gegenüber verärgert und sauer reagiert hat. Gott habe ihr dadurch eine Lektion erteilt, meint Melinda. Sie fühlt hier pädagogisches Interesse an ihrer Persönlichkeitsentwicklung. In ihrer Gottesbeziehung zeigt Melinda ein großes Näheverhältnis zu Gott (sieht sich selbst in dem Boot, das für sie Gott symbolisiert), vor allem wenn sie fröhlich ist, so wie sie auch ihr Naturell beschreibt und wie sie in der ersten Positionierung betont. Gott wird von ihr vornehmlich als liebender, akzeptierender und rettender Gott erlebt. Aber auch Gefühle, die erst mit einer Distanz zu Gott verbunden sind, wie Wut und Traurigkeit, finden in der zweiten Positionierung einen Platz in der Nähe bestimmter Aspekte Gottes, wie Energie (Traurigkeit) und Gott Vater (Wut). Ein besonderes Näheerlebnis war für Melinda, als sie sich durch eine Predigt persönlich angesprochen fühlte. Ein besonderer Moment, der für sie mit sehr unterschiedlichen Emotionen verbunden war. In ihrer prekären Situation ist ihre Gottesbeziehung für Melinda eine Ressource, auf die sie zurückgreifen kann und die ihr Vertrauen stärkt und sie hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Ihr Gottesverständnis eröffnet ihr einen Sinn dafür, dass auch in schwierigen Zeiten Gottes Wirken verborgen ist, manchmal erst im Nachhinein erkennbar. Offen ist, ob das rettende Boot stabil genug ist. Ist in Melindas Gottesvorstellung genügend Raum für ambivalente Gotteserfahrungen und dunkle Zeiten in ihrem Leben? Ist Melindas Vertrauen in Gottes Plan ausreichend und ihre Gottesbeziehung tragend genug, wenn es lange schwierig bleibt? Oder ist die behauptete Gewissheit, dass Gottes Plan letztlich trägt, vielleicht nur ein dringender Wunsch, mit dem sie sich selber gerade über Wasser hält? Gerade aufgrund dessen, was in der Zeit zwischen dem Interview und dem Ausfüllen des Fragebogens offensichtlich an Veränderung geschehen ist, wäre es spannend, noch einmal ein Nachfolgegespräch mit Melinda über ihre Gottesvorstellung zu führen. Wenn sie später ihren Glauben nur wenig unterstützend empfindet, was ist dann aus der Vorstellung von einem rettenden Gott, der mit seinem Plan zum Ziel kommt, geworden?
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3.2.2 Tereza – Gott ist die größte Liebe im Universum Tereza ist über 60 Jahre alt und pensioniert. Davor hat sie als Angestellte gearbeitet. Gottesmetapher
Neben einige Naturmaterialien legt Tereza eine Elektroplatine auf den Tisch, darüber eine kleine rote Knetfigur und ganz oben ein Herz aus einem roten Band auf einer weißen Unterlage. Was sie dort gestaltet habe? Das rote Herz stehe für »die große Liebe von Herrgott für seine Kreation«. Diese Liebe gelte zuerst dem Menschen, dem die ganze Schöpfung »unterstellt« wurde. Deshalb habe sie auch die Knetfigur über die Naturmaterialien gelegt. Die Muschel, die Baumrinde und der Glasstein stünden für »alle Mineralien und alle Vermögen, die in (und) unter (der) Erde Herrgott gebaut hat«, und der Zapfen, die andere Rinde und die Kastanie stünden für »Tiere und Pflanzen und alles das, was Herrgott auch gemacht hat und« den Menschen »zur Verfügung … gegeben hat«. Die Platine stünde für »diese physischen und chemischen Gesetze, die im Universum sind«. All das sei dem Menschen »unterstellt«, wegen der großen Liebe Gottes zu den Menschen. Sie habe gespürt, dass Gott sie immer geschützt habe. Zudem bemerke sie in letzter Zeit, wenn sie an ihr Leben zurückdenke, dass Gott »eine große Gnade« für sie habe. Sie habe »eine sehr wichtige Position in Gottes Herz und in Gottes Augen«, obwohl sie es nicht wert sei. Nur aufgrund seiner Liebe habe er sie ihr ganzes Leben so begleitet, wie sie es nicht denken konnte (das betont Thereza besonders). Sie habe das früher nicht bemerkt, dass Gott ihr »so viele gute Sache(n) zu(r) Verfügung« stelle und sie »so beschützt«. Erst seit 20 Jahren sei sie sich dessen bewusst, vorher habe sie Gottes Schutz und Gottes Gnade nicht so
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wahrgenommen. Vorher sei es für sie selbstverständlich gewesen, wenn sie z. B. etwas lernen konnte. Als sie mit 45 Jahren nach Österreich kam, habe sie alles, was ihr möglich war oder was sie bekommen hatte, als spezielle Gnade Gottes erlebt, z. B. die deutsche Sprache zu erlernen. »Ich hab’ gewusst, dass ich schwach bin, dass ich schwer diese Sprache lernen kann mit 45 Jahren. Ich hab’ immer bemerkt, dass Herrgott mir nur eine spezielle Gnade zur Verfügung stellt, dass ich das schaffen kann.« Erst nach der Flucht nach Österreich sei ihr bewusst geworden, dass sie alles aus Gottes Händen bekomme. Ob sie vorher schon an Gott geglaubt habe? Bis zu ihrem 35ten Lebensjahr sei sie orthodox gewesen. Ihr Glaube sei keine »permanente Beziehung zu Herrgott gewesen«. Sie habe immer gewusst, dass es einen Gott gebe, dass er gut zu ihr sei, sie liebe und schütze. In schwierigen Situationen habe sie aber nicht unbedingt an seine Gnade »appelliert«. Sie habe dann mehr gebetet, ihm mehr vertraut und mehr von ihm verlangt, aber weniger »Danke« gesagt. Sie habe weniger anerkennen können, dass das, was sie habe, von Gott komme und nicht von ihr selbst, durch ihre eigene Kraft. So sei es gewesen, bis sie ungefähr 35 Jahre alt gewesen sei. Danach habe sie eine »permanente Gottesbeziehung mit Bibellesen und mit täglicher Beziehung zu Herrgott durch Gebet, durch Gemeinschaft« mit Brüdern und Schwestern. Sozusagen »eine lebendige Beziehung … mit Herrgott«. Bis zum Alter von 35 Jahren sei ihre Gottesbeziehung nicht »lebendig« gewesen. »Erst nach dem, wie ich dann Jesus Christus in mein Leben angerufen habe, habe ich gebetet und ich habe anerkannt, dass ich sündig bin und (er) meine einzige Lösung ist. Durch (den) Herr(n) Jesus Christus und sein Opfer bin ich erlöst und meine Sünden sind erlöst. Erst dann habe ich eine lebendige Beziehung zu Herrgott.« Im Alter von 45 Jahren habe sich dann durch die Flucht aus Rumänien noch einmal etwas verändert. Das sei die komplette Abhängigkeit von Gottes Hilfe gewesen. In Rumänien habe sie durch ihre Beziehungen zu vielen anderen Menschen diese immer um Hilfe bitten können. In Österreich sei sie vor der Revolution mit zwei leeren Händen und zwei Garnituren Unterwäsche angekommen. Sie sei komplett abhängig von Gott, seiner Gnade und seiner Hilfe gewesen. Wie sie diese Gnade und Hilfe erlebt habe? Zunächst habe sich ihr Glaube verstärkt. Sie habe gewusst, dass Gott gut zu ihr sei, und dass ihr alles Notwendige, was sie für ihr Leben hier brauche, zur Verfügung stehe. Auch wenn ihr das durch Menschen zuteil wurde, wusste sie, dass nicht Menschen diese Sachen für sie »erledigen«, sondern dass Gott ihr durch die Menschen »zur Verfügung steht«. Die Flucht selbst sei für sie auch ein Gotteserlebnis gewesen. Sie selbst sah damals keinen Grund zu flüchten. »Herrgott« habe das so für sie »organisiert«, dass sie gezwungen war zu flüchten. Deshalb sage sie jetzt mit großer Sicherheit: »Alles, was ich habe und bin, habe ich alles von seine(n)
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Hände(n) gekriegt, das mir nicht die Menschen … und ich selbst nicht gemacht haben. Wir waren nur Werkzeuge in Gottes Hände«. Ob der Mensch wissen könne, was Gott wolle? Er rede zum Menschen durch Bibellesen und Gebet, aber auch durch das Gewissen, das Gott dem Menschen, seiner »höchsten Kreation« gegeben habe. Daher wisse der Mensch auch, was gut und böse sei. Sie selbst bekomme in ihren Gedanken »eine Idee« und merke, dass es ähnlich sei, wie es in der Bibel geschrieben stehe. Sie wisse in ihren Gedanken, ob ein Gedanke vom Herrgott oder vom Teufel sei. Wenn ein Gedanke vom Teufel sei, dann habe sie »keine Ruhe hier drinnen (zeigt auf die Herzgegend). Ich lebe nicht mehr in Ruhe.« Wenn der Gedanke von Gott sei, dann habe sie Ruhe oder sie gerate in Schwierigkeiten. Wo Tereza sich selbst in der Gestaltung sehe? »Ja, ich bin der Mensch.« Dem die Liebe Gottes sich zuwendet? »Ja.« Es geschehe viel Schlechtes in dieser Welt, ob Gott dafür verantwortlich sei? Das Schlechte in dieser Welt würden die Menschen machen und dahinter stecke der Satan. »Der Herrgott ist perfekt, ist Liebe, er kann nichts Böses machen.« Wie das mit Naturkatastrophen oder Krankheiten sei? Auch sie seien vom Satan gemacht. Der Herrgott erlaube solche Sachen, um den Menschen zu zeigen, dass sie nicht allmächtig seien und alles kontrollieren könnten. Durch Naturkatastrophen wolle Gott den Menschen zeigen, dass er der allmächtige Schöpfer sei … »nur er kann solche Sachen unter Kontrolle haben und nicht die Menschen.« Ob Gott dann Verursacher der Katastrophe sei? »Nein, Satan. Nur der Herrgott erlaubt aber alles, ich meine alles, was böse ist in dieser Welt, ist von Satan gekommen. Vom Herrgott kommt nichts Böses.« Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, an denen sie besonders an Gott denke? Dazu fallen Tereza mehrere Situationen ein: Wenn sie aufstehe, sei sie Gott dankbar, dass sie nicht krank sei. Wenn sie esse, dann denke sie daran, dass sie alles durch Gottes Gnade bekommen habe, »inklusive der Gesundheit zu arbeiten, dem Arbeitsplatz, einer Pension, dass ich leben kann … unabhängig von meinem Sohn oder von jemandem.« Das sei alles Gottes Gnade und jedes Mal, wenn sie etwas von allem, was Gott ihr gegeben habe, benutze, erinnere sie der Herrgott, dass sie dankbar sei, das alles durch seine Gnade bekommen zu haben, »inklusive der Möglichkeit zu kochen oder … spazieren (zu) gehen, alles«. Ob sie auch schon einmal ein Erlebnis der Nähe Gottes gehabt habe? Thereza erzählt von ihrer Flucht aus Rumänien. Sie sei illegal geflüchtet. Ursprünglich habe sie nicht flüchten wollen. Ihr Sohn habe das gemeinsam mit einem Freund tun wollen. Dann habe »Herrgott seine Möglichkeit zu flüchten natürlich arrangiert, schwarz ohne Papier(e), sofort durch (die) Grenze, dass (er) den Freund … nicht mitnehmen konnte«. Sie, Tereza, habe dann diese »Pflicht« auf sich genommen, sich um die Flucht des Freundes zu kümmern. Sie habe »ge-
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spürt, dass Herrgott mit mir ist und ich habe zu mein(em) Sohn gesagt, du verlierst nicht die Gelegenheit, ich werde auf mich diese Pflicht nehmen und mich kümmern«. Sie betont noch einmal, dass sie selbst nicht habe flüchten wollen. Dann habe sie drei Monate keine offene Türe gefunden. Sie habe in dieser Zeit »gebetet und gefastet. Zehn Kilo habe ich abgenommen durch Fasten und kein offenes Tor. Einen Sonntag bevor ich in die Kirche fahre, in der Gemeinde, durch mein Gebet, ist mir ein Gedanke gekommen und ich hab gespürt, dass Herrgott näher mir ist und in mir. Und ist mir ein Gedanke gekommen: ›Flüchtest du auch mit ihm‹, und ich war so erschrocken.« Sie habe plötzlich große Angst gehabt. »Ich habe gesagt: Herrgott, du weißt, dass ich von Angst sterbe jetzt.« Sie habe »eine große Angst gehabt und Ruhe hier drinnen (zeigt auf ihr Herz), das hab ich damals bis da nicht« erlebt. »Und ich habe weiter gebeten und ich habe gesagt: ›Herrgott, wenn das von dir ist, ich suche alle offenen Türen und ich nehme diesen Burschen mit, aber wenn (das) vom Satan ist, mach du mit meinem Leben, was du willst. Wenn (ich) ins Gefängnis kommen soll, (dann) weiß ich, dass du mich dort brauchst. Jemand will dich dort kennen lernen durch mich. Mir ist egal, wenn ich sterben soll, (dann werde ich) sterben, aber ich habe große, große Angst, aber ich versuche es. … Ich nehme an, das ist von dir, weil ich spüre drinnen eine so große Ruhe, obwohl draußen so eine große Angst (ist)‹«. Eine Woche später sei sie dann mit dem Freund ihres Sohnes geflüchtet. »In dieser Periode und der Flucht, effektiv, Herrgott hat mich immer begleitet und ich habe draußen ein(e) große Angst, aber drinnen eine Ruhe und Kraft. Das war meine größte Erlebnis mit Herrgott. … das war auf Leben und Tod, aber auf (der) rumänischen Grenze habe ich keine Polizei gesehen, kein Militär, niemand. Niemand, wie ist das möglich? Ich weiß auch nicht? Herrgott war das, Herrgott war das.« Er habe das so gemacht, weil er gewusst habe, dass sie vor Angst sterben würde, wenn sie rumänische Polizei sehen würde. Sie habe gedacht, dass sie dann zurückgeschickt würden und ins Gefängnis müssten, aber trotzdem sei sie nach dem ersten Gespräch mit der ungarischen Polizei ganz ruhig und von ihrer Angst befreit gewesen und habe auch schon wieder essen können. Eine Überschrift über die Gestaltung? Tereza denkt nach: Gott ist die größte Liebe im Universum.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Tereza sucht für ihre erste Positionierung die Matrioschka als Symbol für die mütterliche Seite Gottes aus. Zunächst positioniert sie die Wütende. Wenn sie wütend sei, dann sei sie am Weitesten von Gott entfernt. Darauf folgt die Fröhliche, die sie nah zum Gottessymbol stellt. »Wenn ich froh bin, bin ich in der Nähe.« Die Ängstliche stellt sie jetzt noch näher zur Matrioschka auf deren rechte Seite. Wenn sie ängstlich sei, sei sie noch mehr in der Nähe, als wenn sie froh sei. Gegenüber auf die linke Seite kommt jetzt die Traurige. Wenn sie traurig sei, sei sie noch in der Nähe. Dann stellt sie die Schuldbeladene vor die Matrioschka und abschließend die Nachdenkliche weiter entfernt vor die Fröhliche. Alle Figuren haben das Gottessymbol neben oder hinter sich, sind also dem Gottessymbol nicht zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Für die zweite Positionierung lässt Tereza die Figuren aufgestellt, rückt sie nur ein wenig auseinander, damit genügend Platz da ist und stellt nun die Gottessymbole dazu. Sie stellt die Innere Stimme zur Nachdenklichen. Die sei auch bei der Nachdenklichen. Das Symbol für Energie wird zur Fröhlichen platziert. Wenn sie froh sei, dann sei die Kraft in der Nähe. Die Quelle des Lebens legt sie zwischen die Figuren, die solle im Kreis bei allen sein, weil Quelle des Lebens, das
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sei in jeder Situation. Das Gleiche gelte auch für Gottes Licht. Sie nimmt das Symbol für Gott als Licht und stellt es so, dass es sich auf alle Figuren bezieht. Das Netz der Liebe und Verbundenheit legt sie zwischen die Wütende und die Nachdenkliche. Da gehöre es hin. Dann stellt sie das Symbol für Gott-Vater neben die Matrioschka und platziert dazu die Ängstliche: »Ich appelliere immer an Herrgott, weil ich weiß, dass er allmächtig ist und ich vertraue mich dieser Allmacht an.« Gebetsfragebogen Das Wichtigste ist für Tereza, mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken. Danach ist ihr wichtig, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen und still zu sein. Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen, ist im mittleren Bereich, und das Falten der Hände ist ihr unwichtig. Sie ergänzt noch dazu, was ihr außerdem noch wichtig ist: »Ich weiß, dass der Heilige Geist mich im Gebet begleitet.« Im Hinblick auf die Gesundung einer Person hält sie sowohl eine direkte Heilung als Folge von Gebeten als auch die indirekte Hilfe Gottes durch Ärzte und Medikamente für möglich. Bei der Frage, welches Gebet sie selbst sprechen würde, wenn es um einen schwer erkrankten Menschen gehe, kreuzt Thereza gleich drei Antworten an. Priorität hat dabei der Wunsch, dass die Person gesund werde, mit dem Zusatz »dein Wille geschehe«. Dann das Gebet um direkte sowie das Gebet um indirekte Heilung durch Ärzte und Medikamente. Tereza betet häufig am Morgen und am Abend, vor dem Essen, im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen, wenn sie Kummer oder Sorgen hat und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Sie betet manchmal, wenn sie sich freut, wenn sie Angst hat, wenn sie sich einsam fühlt, wenn sie sich etwas wünscht und wenn sie vom Leiden anderer Menschen hört. Tereza ist vor der Revolution 1989 illegal aus Rumänien geflüchtet. Sie hat sich sprachlich und beruflich neu orientieren müssen. Sie stammt ursprünglich aus der orthodoxen Kirche, hat dann aber als Erwachsene in Österreich Kontakt zu einer Baptistengemeinde bekommen. Die Interviewsprache ist deutsch. Sie besucht zur Zeit des Interviews eine rumänische Gemeinde, ist aber auch in anderen Gemeinden unterwegs. Sie arbeitet ehrenamtlich in einem Verein mit, der sich übergemeindlich diakonisch engagiert. Sie hat sich sehr gerne für das Interview bereit erklärt. Laut Selbsteinschätzungsfragebogen ist sie mit ihrem Leben sehr zufrieden. Der Glaube an Gott ist ihr sehr wichtig, sie erlebt ihn aber als wenig unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie, so oft sie kann, andere Veranstaltungen (Gebetsstunden für Evangelisation) regelmäßig. Ihre Gemeinde ist für sie sehr wichtig, und sie arbeitet in ihrer Gemeinde regelmäßig mit. Auch außerhalb der Gemeindeveranstaltungen hat sie regelmäßig Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Die Bibel und praktische Nächstenliebe sind ihr sehr wichtig. Sie engagiert sich aufgrund ihres Glaubens nie politisch, aber regelmäßig sozial und nachbarschaftlich für ihre Mitmenschen. Sie fügt zum Engagement noch hinzu, dass sie
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sich regelmäßig aufgrund ihres Glaubens für ihre Mitmenschen engagiert, indem sie die gute Botschaft vom Evangelium an Bekannte und andere Menschen weitergibt. Tereza arbeitet gerne an ihrer Materialcollage. Sie sucht sich aus dem Materialbüffet die Elektroplatine, Naturmaterialien, eine kleine orange Figur, die noch von einem der letzten Interviews unverändert in die Materialkiste gewandert war, und ein rotes Band. Die Gegenstände legt sie locker und unverbunden auf den Tisch. Das rote Band formt sie auf der Unterlage zu einem Herzen, unterhalb der Unterlage gibt es zwei Felder. Ein linkes Feld, in dem die Naturmaterialien (Rinde, Tannenzapfen, Kastanie, Muschel) versammelt sind, und ein rechtes Feld, in dem die Elektroplatine liegt. Zwischen der Unterlage und den beiden Felder platziert sie die kleine Knetfigur. Die obere Hälfte der Gestaltung wird ganz vom Herzen dominiert. Die Knetfigur wirkt demgegenüber sehr klein. Auch gegenüber den weiteren Gegenständen wirkt sie etwas verloren und aufgrund ihrer kindlichen Proportionen ungeborgen. Für Tereza selbst stellt ihre Gestaltung die Liebe Gottes für seine Schöpfung dar, wobei dem Menschen eine zentrale Rolle zukommt. Für Tereza sind sowohl die Natur, als auch die Naturgesetze dem Menschen »unterstellt«. Bei näherem Hinsehen scheint sie nicht zu meinen, dass der Mensch über all das herrscht (z. B. Naturgesetze), sondern dass all dies dem Menschen zum Guten dient, weil Gott Gutes (gute Sachen) für den Menschen bereit hält (zur Verfügung). Tereza hat das in ihrem eigenen Leben im Rückblick erkannt. Sie selbst identifiziert sich mit diesem Menschen, dem alles dient und sie interpretiert Erlebnisse aus ihrem Leben vor diesem Hintergrund. Ein zentraler Punkt, der ihr Leben verändert hat, war ihre Flucht aus Rumänien. Die Umstände dieser Flucht deutet sie jetzt rückblickend aufgrund ihrer Gottesbeziehung als Gotteserlebnis. Sie sieht sich als Werkzeug in Gottes Händen. Da sie in Österreich ohne alle materielle Versorgung und ohne Sprachkenntnis neu anfangen musste, sagt sie jetzt, dass sie alles, was sie sei oder habe, von Gottes Hand bekommen habe. Dabei meint sie einerseits ein indirektes Wirken Gottes durch Menschen, die ihr geholfen haben, und andererseits die für sie überraschende Fähigkeit, doch so gut mit der neuen Sprache zurechtzukommen. Ihre Gottesbeziehung teilt sie im Rückblick auf ihr Leben in verschiedene Phasen ein: Sie ist in Rumänien orthodox sozialisiert. Bis zum Alter von 35 Jahren beschreibt sie ihre Gottesbeziehung als eine »nicht permanente« Beziehung. Darunter versteht sie, dass sie an die Existenz Gottes geglaubt hat, an seine Güte und seine Liebe zu ihr und an seinen Schutz. In schwierigen Situationen hat sie gebetet und Gott mehr vertraut. Was sie im Rückblick in dieser Phase vermisst, ist ein Wissen um das Wirken seiner Gnade in ihrem Leben und ihre Dankbarkeit Gott gegenüber dafür. Darauf folgt eine nächste Phase: eine aus ihrer Sicht »lebendige« Beziehung zu Gott. Eine eher dialogische Beziehung, die durch tägliches Bibellesen und Gebet gekennzeichnet ist. Die Flucht von Rumänien nach Österreich verändert ihre Gottesbeziehung noch einmal, indem Tereza sich von Gott vollkommen abhängig fühlt und erlebt, dass sie mit allem versorgt wird, was sie braucht, und dieses als Gottes Hilfe für sie persönlich deutet. Dadurch ist es ihr möglich, im Rückblick auch Situationen in vorhergehenden Lebensphasen als unter Gottes Gnade stehend zu deuten. Ein Erlebnis von Gottes Nähe ist für sie die Flucht selbst und die Begleitumstände. Vor allem ihre Emotionen (draußen Angst und innen Ruhe) sind für sie Hinweis auf Gottes Handeln. Daran meint sie auch erkannt zu haben, dass es Gott ist, der sie diesen Weg führt.
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Zunächst ist sie sich unsicher, ob es richtig ist zu fliehen. Nach ihrem Weltbild hat auch der »Satan« einen großen Einfluss in dieser Welt, auch wenn er Gott, der nach Terezas Meinung alles unter Kontrolle hat, untergeordnet ist. Sie weiß nicht, ob die Idee, mit dem Freund des Bruders zu fliehen, von Gott oder vom Satan kommt. Interessant ist ihre Entscheidung, sich davon nicht in ihrer Aktion aufhalten zu lassen, sondern beherzt die Flucht zu beginnen und darauf zu vertrauen, dass, selbst wenn die Idee nicht von Gott kommt und demzufolge nicht erfolgreich verläuft, sondern in ein Gefängnis führt, Gott diese Situation dann zum Guten nutzt (jemand im Gefängnis braucht Tereza dort, um Gott kennen zu lernen). Trotz ihres dualistischen Weltbildes vertraut sie darauf, dass Gott alles zum Guten wenden wird. Sie hat offensichtlich keine Angst, etwas »Falsches« (etwas, das nicht von Gott, sondern von »Satan« kommt) zu tun, weil nach ihrem Verständnis Gott die Kontrolle über alles hat. So wie sie es auch in ihrer Metapher darstellen möchte: Alle Dinge dienen den Menschen zum Guten, anscheinend selbst Fehlentscheidungen. Gerade hierin zeigt sich ihr Vertrauen in Gott. Ihre Gottesbeziehung wird nicht bestimmt von ihrem richtigen Handeln, sondern von der Gnade Gottes, der aus menschlichen Fehlern (oder trotz menschlicher Fehler) Gutes hervorbringen kann. Zwischen Terezas Gottesverständnis und der von ihr erlebten Gottesbeziehung ist eine interessante Spannung erkennbar. Tereza hat ein dualistisches Weltbild. Ihrer Meinung nach lebt der Mensch unter zwei Einflüssen, dem des Satans und dem Einfluss Gottes. Der Mensch hat allerdings die Freiheit zu entscheiden. Er ist in gewisser Weise autonom. Entscheidet er sich falsch, macht Gott es letztlich aber wieder gut. Das Böse in der Welt kommt nach Terezas Verständnis nicht durch Gott, der ihrer Meinung nach perfekt ist, sondern durch den Satan, der gegebenenfalls Menschen dafür verwendet. Letztlich untersteht aber auch das der Kontrolle Gottes. Auch Naturkatastrophen und Krankheiten kommen ihrer Meinung nach vom Satan, sind aber von Gott zugelassen. Dies hat den pädagogischen Zweck, den Menschen zu zeigen, dass sie nicht alles kontrollieren können. Gott hat durch seine Allmacht alles unter Kontrolle. In Terezas Verständnis ringen zwei gegenläufige Kräfte um den Menschen. Sie greifen aber beide nicht wirklich ins Geschehen ein, sie brauchen den Menschen. Er kann Werkzeug für beides (gut und böse) sein. In ihrer Erfahrung hat sie indirektes Eingreifen Gottes durch Menschen erlebt und erlebt sich selbst als einen Menschen, durch den Gott wirkt. Sie glaubt aber auch an direktes Eingreifen Gottes durch Wunder (Gott kann alles tun). In ihrer ersten Positionierung wählt Tereza die mütterliche Seite Gottes, zu der sie besonders in Angst, Schuld,Traurigkeit und Freude Nähe sucht. In der Positionierung wirkt die Mutter fast schützend und ist stimmig zu der Aussage Terezas, dass Gott sie schon immer geschützt habe. In der zweiten Positionierung wird dann im Symbol für Gott-Vater die Allmacht Gottes thematisiert, was sehr stimmig zu Terezas Anrede für Gott »Herrgott« passt. Mit dieser etwas eigentümlichen, aber eigenständigen Bezeichnung, die auf die Zuhörer und Leser zunächst distanziert wirkt, drückt sie zugleich Respekt und Vertrauen aus. Besonders bei Angst kann sie sich (dem) »Herrgott« anvertrauen.
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3.2.3 Eugen – Die Verbindung mit Gott Eugen ist zwischen 30 und 40 Jahre alt und arbeitet als Angestellter im technischen Bereich. Gottesmetapher
Auf eine Elekronikschaltplatine hat Eugen einen blauen Draht gestellt, der durch einen Schlauch führt und die Schaltplatte mit einem Stück Goldpapier, das sich oben am Draht befindet, verbindet. Auf der Schaltplatte liegt noch ein Stück Film. Was er hier gestaltet habe? Eugen erzählt, dass die Schaltplatte und der Film sein Leben darstellen würden, weil er in Rumänien ein technisches Studium absolviert habe. Der blaue Draht stehe für den Heiligen Geist, der ihn immer durch die Bibel (der graue Schlauch solle das Wort Gottes sein) zu Gott (dargestellt durch das Goldpapier) geführt habe. Das Leben sei wie ein Film, weil es viele unerwartete Sachen gebe und man den nächsten Schritt nicht kenne. »Deswegen es ist am besten, wenn du durch das Wort Gottes Unterstützung hast.« Die Schaltplatine stelle dar, was früher im Leben von Eugen eine große Rolle gespielt habe, nämlich sein Technikstudium. In Österreich sei es ihm nicht möglich, in diesem studierten Beruf eine Arbeit zu finden, aber er fühle sich auch hierin von Gott geführt: »… aber ich hab’s verstanden, Gott kann dich immer führen, wo er will, egal, was für Arbeit du hast, egal, was für eine Ausbildung du hast.« Das bedeute für Eugen, dass er sich mehr auf Gott verlassen könne als auf sein absolviertes Studium. »Gott hat immer den ersten Platz in unserem Leben … aber ich hab mir gedacht, wenn ich eine richtige Ausbildung hab, kann ich in meinem Leben machen, was ich will.« Gott habe ihm gezeigt, dass nicht unbedingt die Ausbildung wichtig sei, sondern ganz in ihn zu vertrauen. Der blaue Draht sei der Heilige Geist, der zu Gott führe. Wie das denn im Alltag ausschaue? Für Eugen heiße das, auf Gott mehr zu vertrauen als auf seine eigenen Kräfte. Er wisse, dass auch sein nächster Job etwas mit Technik zu tun
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haben werde, aber er wisse nicht genau, was es sein werde, da könne er nur Gott vertrauen. Wo Gott sei? Gott »ist immer in der Nähe, ist immer bei mir … jeden Tag und jede Sekunde, ist jeden Tag neben mir.« Was Gott mit der Welt zu tun habe? Gott habe » von Anfang an bis zum Ende« einen »Plan für die ganze Welt« und er mache »alle Sachen genau, wie er geplant hat«. Ob er in besonderer Verbindung zu den Menschen stehe? Gott stehe durch das Gebet mit den Menschen in Verbindung und durch die Erfahrungen, die die Menschen machen. Eugen erzählt von einem Erlebnis mit einer Tankwartin335, durch die er gelernt habe, was Gnade heiße. »… sie hat uns geholfen, also sie hat(te) effektiv Gnade für uns, es war Mitternacht, also mit drei Kindern unterwegs, wir haben kein Diesel gehabt und trotzdem sie hat gesagt, okay, bleib ich noch (eine) dreiviertel Stunde mit euch.« Statt Diesel habe die Familie in der vergangenen Nacht Benzin getankt, und es sei kurz vor Geschäftsschluss gewesen, und die Tankwartin sei geduldig und freundlich noch eine Stunde geblieben. Bis jetzt habe er die Gnade anders gesehen, aber durch diese unangenehme Erfahrung sehe er, was Gott in die Menschen reingelegt habe. Ob Menschen wissen könnten, was Gott sich wünsche? Solange Menschen die Bibel lesen würden und versuchten zu verstehen, was Gott wirklich wolle, könnten sie es erfahren. Und Menschen, die die Bibel nicht kennen würden? Die können einen Teil von dem, was Gott wolle, durch ihr Gewissen erkennen, aber für sie sei es schwierig zu erkennen, was Gott wirklich wolle. Was Gott tue oder fühle, wenn Menschen nicht nach seinem Willen handeln würden? »Ich glaub’, der liebe Gott ist traurig, wenn du nichts mit ihm zu tun haben willst.« Gott halte dann auch Abstand vom Menschen, wenn der nicht mit ihm in Verbindung bleiben wolle. Wie Gott mit Menschen umgehe, die Böses tun würden? Er, Eugen, glaube, dass Gott das absichtlich zulasse, dass Menschen Böses täten, aber wenn sie dann irgendwann einmal Gott »treffen« würden, könne er sie »aufwecken«, und sie könnten dann in ihm Sinn finden. Ob Gott in dieser Welt eingreife? »Ja sicher, er bleibt immer in Beziehung mit uns durch die ganzen Sachen, durch die Kriege und durch alles, was uns passiert.« Durch alles, was passiere, wolle Gott seinen Plan mit uns zum Ziel bringen. Es geschehe viel Schlechtes in dieser Welt, ob Gott dafür verantwortlich sei? Erdbeben und alles, was in dieser Welt passiere, sei von Gott zugelassen. Wo er, Eugen, sich selbst in der Gestaltung sehe? »Irgendwo in dem Kanal drin.« Ob er schon mal ein Erlebnis der besonderen Nähe Gottes gehabt habe? Als er ungefähr 18 Jahre alt gewesen sei, habe er mit seiner Freundin eine Diskothek besucht und eine Stimme gehört, die ihm gesagt habe, dass sein Platz nicht hier sei. Diese
335 Vgl. das Interview mit Eugens Frau: 3.2.1 Melinda – Gott, die Rettung, 145.
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Stimme sei ihm dann immer gefolgt. Eine Überschrift über die Gestaltung? »Die Verbindung mit Gott.« Positionierung mit einem Gottessymbol
Eugen sucht sich als Gottessymbol die Energie aus. Eugen positioniert schnell und ohne Kommentare. Ganz nah stellt er den Fröhlichen, dann folgt der Ängstliche. Relativ nah steht der Nachdenkliche am Symbol. Etwas weiter weg der Schuldbeladene, dann der Traurige. Am weitesten ist der Wütende entfernt. Eugen kommentiert nur knapp: So würde das für ihn passen. Alle Figuren sind dem Gottessymbol zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
In seiner zweiten Positionierung, bei der Eugen auch wieder schnell und ohne Worte arbeitet, steht die Figur für Gott-Vater zentral, aber ohne einen Gemütszustand. Alle anderen Gottessymbole sind locker aufgestellt und bekommen von Eugen jeweils einen Gemütszustand zugeordnet. Der Ängstliche steht beim Symbol für die mütterliche Seite Gottes, der Fröhliche beim Licht, der Wütende bei der Quelle des Lebens, der Schuldbeladene bei der Inneren Stimme, der Traurige bei der Energie und der Nachdenkliche im Netz der Liebe und
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Verbundenheit. Alle Figuren sind den jeweiligen Gottessymbolen zugewandt und stehen sehr nah, der Nachdenkliche sogar im Netz. Gebetsfragebogen Für Eugen ist das Wichtigste am Gebet, mit Gott über alles zu sprechen und ihm auch zu danken, danach ist für ihn wichtig, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen, dann Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen. Weniger wichtig ist ihm das Still-sein und das Falten der Hände. Er hält ein indirektes Eingreifen Gottes durch Ärzte und Medikamente für möglich. Beim eigenen Gebet äußert er den Wunsch nach Gesundung einer Person mit dem Zusatz »dein Wille geschehe« und nimmt damit eine kooperativ-vertrauende Haltung ein, und er zeigt, dass ihm die Souveränität Gottes wichtig ist. Eugen betet häufig am Morgen, wenn der Tag beginnt, am Abend vor dem Einschlafen, vor dem Essen, im Gottesdienst oder in anderen Gemeindeveranstaltungen, wenn er sich freut, wenn er Angst hat, wenn er Kummer oder Sorgen hat, wenn er sich einsam fühlt und weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Manchmal betet er, wenn er vom Leiden anderer Menschen hört, und selten, wenn er sich etwas wünscht. Eugen ist in Rumänien aufgewachsen und als junger Erwachsener nach der Revolution mit seinen Eltern nach Österreich gekommen. Er musste sich sprachlich und beruflich neu orientieren. Das Technikstudium, das er in Rumänien absolviert hatte, ist in Österreich nicht anerkannt worden. Zur Zeit des Interviews ist Eugen in seiner Gemeinde stark ehrenamtlich engagiert und hat für das Interview gerne zugesagt. Allerdings findet es dann unter etwas Zeitdruck statt, da er spontan zu einer dringenden Besprechung seiner Gemeinde muss. Anschließend an das Gespräch mit ihm wurde ein Interview mit seiner Frau geführt, aus dem die prekäre wirtschaftliche Situation der Familie deutlich wird. Eugen wird zwei Wochen nach dem Interview arbeitslos sein und die Schulden für das gemeinsame Haus sind noch nicht abgezahlt. Aus dem Selbsteinschätzungsfragebogen336 wird ersichtlich, dass ihm der Glaube an Gott, seine Gemeinde, die Bibel und die praktische Nächstenliebe sehr wichtig sind. Er erlebt seinen Glauben relativ unterstützend und besucht den Gottesdienst regelmäßig, andere Gemeindeveranstaltungen eher selten. Er engagiert sich aufgrund seines Glaubens häufig sozial, aber auch nachbarschaftlich für seine Mitmenschen. Mit seinem Leben ist er mittelmäßig zufrieden. Eugen arbeitet sichtlich gern an seiner Materialcollage, vor allem freut er sich über die Technikteile am Materialbüffet. Eugen stellt auf eine sehr technische Basis einen Draht, der nicht fixiert ist und von ihm gehalten werden muss. Für die Betrachter wirkt das Ganze unter anderem wie ein Rettungsfloß, auf dem eine Fahne als Hilferuf gehisst wird. Für Eugen selbst zeigt die Darstellung seine Verbindung mit Gott, wie auch der Titel sagt, den Eugen seiner Gestaltung gibt. Zentrales Thema ist für Eugen sein technischer 336 Die Fragebögen wurden einige Zeit nach dem Interview ausgefüllt.
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Beruf. Er hat in Rumänien ein Technikstudium absolviert, ein relativ hohes Ausbildungsniveau, das ihm in Österreich nicht anerkannt wird. Seitdem er in Österreich lebt, hat er beruflich in verschiedenen Technikbereichen gearbeitet. Hinsichtlich der nahenden Arbeitslosigkeit entsteht nun wieder eine sehr unsichere Situation für ihn. Hier ist ihm sein Vertrauen zu Gott eine besondere Unterstützung. Er vertraut Gott, dass er wieder eine Arbeitsstelle, die seinen Fähigkeiten entspricht, nämlich im technischen Bereich, bekommt. Seine ungewisse Zukunft zeigt sich in seiner Metapher im »Lebensfilm«, von dem er sagt, dass es im Leben viele unerwartete Sachen gebe und man den nächsten Schritt nicht kenne. Hierin ist es ihm wichtig, mit Gott verbunden zu sein, von dem er meint, dass er einen Plan habe, was Eugen im Interview mehrfach erwähnt. So gewinnt er Sicherheit für einen unsicheren Weg. Der Bibel kommt hier eine wichtige Funktion zu. Sie wird in der Metapher als Kanal für den Heiligen Geist dargestellt. Die Verbindung zu Gott selbst ist für ihn der Heilige Geist, der ihn durch die Bibel, die für ihn das Wort Gottes enthält, führt. Das bedeutet für Eugen Unterstützung. Meint er damit vielleicht, dass sich für ihn durch das Lesen der Bibel die Prioritäten (Vertrauen in Gott ist wichtiger als Vertrauen in eigene Fähigkeiten) verschoben haben? Wenn das so ist, hat er durch seine Gottesbeziehung ein Stück mehr innere Souveränität in einer sehr ungewissen und wirtschaftlich engen Lage gefunden, was ihm zu wesentlich mehr Lebenszufriedenheit verhilft. Der Bibel kommt nach Eugens Verständnis auch eine Rolle darin zu, wenn Menschen wissen wollen, was Gott will. Gott (die Goldfolie) erscheint im Verhältnis zum Rest der Collage eher klein, wirkt wie ein kleines Fähnchen am Mast. Ihm kommt in der Collage keine wirklich tragende Qualität zu. Die Verbindung zwischen Gott und Mensch wird für Eugen auch im Gebet und in den Erfahrungen, die der Mensch macht, deutlich. So lernt er durch die Freundlichkeit und Hilfe der Tankwartin im geschilderten Erlebnis, was Gnade sein kann. Ein überraschendes Erlebnis mit einem fremden Menschen wird für ihn zum Gleichnis für die Gnade Gottes. Alltagserfahrungen werden von Eugen unter Gottesbezug gedeutet. Nach Eugens Verständnis ist Gott ein liebender und akzeptierender Gott, der dem Menschen seine Autonomie lässt (hält Abstand vom Menschen, wenn der Mensch nicht will), ihn aber begleitet und durch seinen Geist und sein Wort, aber auch durch alltägliche Erfahrungen unterstützt. Trotzdem er den Menschen ihre Freiheit lässt, hat Gott nach Eugens Überzeugung einen Plan für diese Welt, den er »genau« verfolgt und den er »durch alles, was passiert«, zum Ziel bringt. Gott benutzt »Sachen«, um seinen Plan zu erreichen, er handelt also indirekt. Die Souveränität Gottes und die Autonomie des Menschen bilden für Eugen im Hinblick auf Gottes Plan keinen Widerspruch, weil Gott Handlungen des Menschen im Sinne seines Planes (z. B. Kriege) verwenden kann. Die Antworten im Gebetsfragebogen unterstreichen noch einmal, dass Eugen eher ein indirektes Handeln Gottes für möglich hält und dass ihm dabei der Aspekt der Souveränität Gottes wichtig erscheint. Hier ist zu fragen, ob die Spannung zwischen Souveränität Gottes und Autonomie des Menschen von Eugen überhaupt wahrgenommen werden kann. In seinem engen Rahmen von der Vorstellung, dass Gottes Plan auf jeden Fall zum Ziel kommt, liegt ein starker Akzent auf Vorherbestimmung. Vielleicht funktioniert eine Selbstsuggestion, dass Gott alles zum Guten wendet, egal wie Menschen sich entscheiden (mögliche zukünftige Arbeitgeber), in solch einem Rahmen besser? Eugen scheint einen starken Wunsch danach auszusprechen, dass Gott doch das unter Kontrolle haben solle, was er selber nicht kontrollieren kann. Das Gebet scheint für ihn, laut Gebetsfragebogen, kein Ort
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zu sein, an dem er seine Wünsche äußern kann. Eugen selbst sieht sich »in dem Kanal«. Er hat also schon Distanz von der Technik und seinem ungewissen Lebensfilm genommen und bewegt sich durch die Verbindung mit Gott, im Bild gesprochen, mehr »nach oben«. Die Frage ist, ob er damit nicht auch ein wenig die Bodenhaftung verliert und damit Stabilität. Die Gestaltung selbst ist ja nur stabil, weil sie von außen gehalten wird. Einerseits hilft Eugen jetzt im Moment sein Vertrauen zu Gott, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen. Fraglich ist, ob in seiner Gottesvorstellung genügend Ambivalenz für gegenläufige Erfahrungen vorhanden ist oder ob sein Leben bzw. seine Gottesbeziehung dann aus dem Gleichgewicht gerät? Ist Gott für ihn der tragende Grund in seinem Leben, wie Eugen es im Hinblick auf seine unsichere Situation beschreibt, oder eher ein Fluchtpunkt (kleines Fähnchen), zu dem er sich hingezogen fühlt, um die Alltagssorgen zu vergessen?
3.2.4 Marius – Gottes Einwirken Marius ist Angestellter und zwischen 30 und 40 Jahre alt. Gottesmetapher
Marius verbindet einen abgebrochenen Scherengriff, ein Stück Baumrinde und eine blaue Glasscherbe mit einem Faden. Was ihm jetzt gerade wichtig sei an Gott? »Ja, ich hab’ alle diese Teile miteinander verbunden, und das soll so ein Leitfaden sein. Als erstes habe ich diesen Teil (zeigt auf den abgebrochenen Scherengriff) da raus genommen, einen Scherengriff. Gott hat da so einen Schnitt durch die Menschheit gemacht, zugleich auch einen Schnitt in meinem Leben. Das zweite Teil (zeigt auf die Baumrinde) ist eigentlich ein Schutz für den Baum, es kommt aus der Natur … Gleichzeitig wirkt Gott wie auch ein Schutzschild, der mich von Einflüssen dieser Welt eigentlich bewahren möchte, aber jedoch habe ich die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob ich das wahrnehmen möchte oder nicht. Also ich werde nicht dazu gezwungen von Gott, der freie Wille ist doch geblieben, und dann das letzte Stück, (die) Glasscherbe (zeigt
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auf die Scherbe) spricht eigentlich für (das Leben) von jedem Mann, (von) jeder Frau, für mein Leben persönlich. Ja, Gott hat meine Glasscherben genommen und ja, vorsichtig und mit Liebe wieder zusammengebaut … und ja mich dann als Ganzes gesehen.« Wie das im Alltag ausschaue? Er, Marius, sehe in seinem vor kurzem vollzogenen Gemeindewechsel ein gutes Beispiel für einen Schnitt. In der Gemeinde, in der er jetzt sei, habe er mehr Verantwortung übernommen und sehe hier seinen Platz. In der vorhergehenden Gemeinde habe er sich nicht so gut einbringen können, weil da schon viele andere Mitarbeiter gewesen seien. Von dieser Gemeinde sagt er jetzt »er (Gott) möchte mich da gebrauchen«. Den Gemeindewechsel sehe er als Beispiel dafür, dass Gott da einen Schnitt gemacht habe. »Also ich glaub schon, dass er Schnitte macht, so wie im besagten Beispiel, nur es bleibt doch meine Entscheidung, ob ich dann diesen Schnitt erkenne.« Nun spricht Marius über den Aspekt Gottes, den er mit der Baumrinde dargestellt habe: Schutz. In der neuen Gemeinde erlebe er, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Gemeinde, auch Gottes Führung und Schutz. Dieser Schutz bestehe darin, dass die junge, neu gegründete Gemeinde von anderen Baptistengemeinden der Stadt unterstützt werde, sei es durch beratende Gespräche oder durch Angebote von Raumnutzung. »Wir haben … ziemlich großen Schutz durch Gott erfahren können, sei’s jetzt von Yoder von X und auch natürlich am Anfang von Z (XYZ = Namen von Baptistengemeinden in der Stadt von Marius).« Er habe erfahren, »wenn wir unser Teil machen, dass Gott dann arbeitet, und bis jetzt im Gemeindeleben war, war eigentlich Gott ein starker Schutzschild für uns.« So habe er Schutz gemeinsam mit anderen erlebt. Persönlich habe er sich schon immer geschützt gefühlt, weil er vieles, was andere erlebt hätten, durch sein Aufwachsen in einer christlichen Familie nicht so erlebt habe. Dafür sei er Gott sehr dankbar. Der Glaube von Menschen, die ungeschützter aufgewachsen seien, scheine ihm »um a Spur vielleicht größer oder gefestigter.« Wenn er sich mit anderen Menschen vergleiche, z. B. Verbrechern, dann sehe er sich »vielleicht um eine Stufe … nicht so tief hinunter«. Aber für Gott sei das egal. »Es ist eigentlich vor Gott egal, ob ich das gemacht habe oder nicht. Ich bin trotzdem genauso schuldig, Sünder.« Später ergänzt Marius noch, dass er den Schutz Gottes auch als Schutz vor Arbeitslosigkeit oder Krankheit erlebe. Was die Scherben zu bedeuten hätten? Die Scherben würden für die Sachen stehen, die man als Christ nicht tun sollte: »Vielleicht für einen Christ(en) zu viel Zeit vorm Fernseher verbringen, Internet, zu viel Zeit verstreichen lassen, ungenützt. Als Kind (hab’ ich) natürlich auch in der Schule irgendwelche Sachen gemacht, die nicht so für einen Christen so leicht anzunehmen sind oder für die Kinder, für die Mitschüler, nicht leicht erkennen lassen, der ist anders.« Die Scherben würden auch symbolisieren, dass »man … alleine für sich bewusst
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Gott wählen, Jesus in sein Leben einladen (muss)«. Jesus habe die Scherben seines Lebens wieder zusammengefügt. Diese seien nicht so zahlreich wie die anderer Personen. »Wenn ich jetzt mein Leben mit eine(r) Tasse vergleichen möchte (nimmt eine Tasse in die Hand), ist die Tasse nicht in hundert Scherben gebrochen sondern nur in 30 oder in 50 Scherben. Aber die Scherben hat, ich spreche jetzt für mein Leben, hat trotzdem Jesus zusammengebaut, wieder zusammengeklebt und mich dann als ein Ganzes, dann wieder dargestellt vor Gott.« Was der Faden darstelle? Dieser Faden stelle die Führung Gottes in der Gemeinde und auch in seinem persönlichen Leben dar. »Dieser Leitfaden … ist eigentlich Gottes Führung …, natürlich auch in meinem Leben persönlich. Dieser Leitfaden zieht sich auch durch mein Leben, weil Gott hat (denkt kurz nach) auch in meinem Leben von klein auf Einfluss genommen, … (auch) wenn man als Jugendlicher vielleicht nicht so von Gott angezogen war. Trotzdem hat er seine Linie verfolgt und … sein Wort gehalten und mich wieder auf den richtigen Pfad zurück gebracht.« Wo Gott sei? »Jetzt zurzeit kann Gott in meinem Herzen, in deinem Herzen sein, Gott kann sicher in einer Wohnung sein, wo eine Familie betet, natürlich in der Gemeinde. Ja, eigentlich ist Gott überall. Man kann eigentlich überall die Herrlichkeit Gottes sehen, auch in der Natur und eigentlich alles, was der Mensch selbst erschaffen hat, sprich, gebaut hat. Ja, das hat er gebaut, aber die Weisheit und alles, hat er eigentlich von Gott.« Was Gott mit der Welt zu tun habe? »Ja! (denkt kurz nach) Er ist überall. Er hat die Welt erschaffen und er möchte sich … überall einmischen, ist vielleicht a bisserl zu hart gesagt, aber er möchte überall mitwirken, wenn er Platz hat, wenn Räume freigegeben werden und so wie mit dem Blinden in Johannes 9. Er ist dort … nicht blind, weil er oder die Eltern böse waren, sondern nur, dass Gott seine Herrlichkeit zeigt.« Wie so ein Mitwirken heute ausschauen könne? Marius nennt dafür ein Beispiel: Sein Vater habe eine Familie in Moldavien besucht. Die Familie sei ziemlich arm und der Vater der Familie habe schon lange für einen Anzug und für Kleidung gebetet. Der Vater von Marius habe dann seinen Anzug, seine Kleidung einfach da gelassen. Marius meint, dass das für diese Familie sicher das Eingreifen Gottes gewesen sei. Marius ist davon überzeugt, dass Gott durch Menschen eingreife. Ob Gott auch anders eingreife, wenn z. B. ein älterer Mensch durch Jugendliche bedroht sei? Man sei natürlich zunächst verleitet zu fragen, wo Gott jetzt sei und dass er einen Blitz vom Himmel schicken solle, »dass er herunter donnert, aber er ist auch für jene Menschen (in diesem Fall die Jugendlichen) gestorben und er hat sie natürlich alle lieb und möchte, dass jeder seine Liebe erfährt. Ich denke mir, er … vielleicht würde er durch … vorbeigehende Passanten eingreifen oder ja, dass zufällig Polizei vorbeikommt. Was
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für uns natürlich (wie ein) Zufall ausschaut, aber wenn ich in der Situation wäre, würde ich (das) dann sicher als Zeichen Gottes sehen.« Es geschehe viel Schlechtes in dieser Welt, ob Gott dafür verantwortlich sei? »Ich glaube, dass die Menschen und das Böse in Menschen, die Gott nicht kennen, so stark eingreift und Einfluss nimmt in unserer Welt, dass viele dadurch leiden. Gott lässt das zu bis zu einem gewisse(n) Grad, … wo er dann eingreifen wird.« Er lasse eigentlich nur Sachen zu, aber er sei nicht daran Schuld. Wie das bei Naturkatastrophen sei? Er denke an die Tsunami Katastrophe. Er habe von Personen, die in Thailand waren, gehört, dass dort viel Sünde sei, Prostitution und Götzendienst. Es könne da einen Zusammenhang geben. Gott könne auch durch Naturkatastrophen eingreifen um Menschen aufzurütteln. Gott könne damit ein Zeichen setzen. Auch wenn dann unschuldige Menschen leiden würden? Marius stellt die Unschuld der Menschen in Frage, die betroffen sind. Sie wären unschuldig in dem Sinne, dass sie nicht Böses getan hätten, aber wenn sie sich entschieden haben ohne Gott zu leben oder eigene Götter haben, dann mögen sie für sich fromm sein, Gott hätten sie dann aber den Rücken gekehrt. Wo Marius sich selbst in der Gestaltung sehen würde? Er selbst sieht sich ganz nah beim Schutz: »Von Gott fühle ich mich ziemlich geschützt und geborgen.« Ob er schon mal ein Erlebnis der besonderen Nähe Gottes gehabt habe? Im Nachhinein sehe er seine Hauptschulabschlussprüfung als ein Gotteserlebnis. Er sei erst mit 13 nach Österreich gekommen und habe die ganze Prüfung in deutscher Sprache ablegen müssen. Er habe sich anfänglich mit der deutschen Sprache sehr schwer getan. Er habe die Prüfung bestanden, nicht weil er so gut gewesen sei, sondern das sei für ihn eine Art Gotteserlebnis gewesen. Aber das sei ihm erst im Nachhinein bewusst geworden. Eine Überschrift über die Gestaltung? »Gottes Einwirken.«
Positionierung mit einem Gottessymbol
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Bei seiner ersten Positionierung sucht Marius sich das Symbol Licht337 aus. Als erste Figuren stellt er gleichzeitig den Fröhlichen und den Wütenden auf. Der Fröhliche dürfe ganz nah kommen, der Wütende stehe weiter weg. Dann stellt er den Schuldbeladenen auf, der sei auch weiter weg. Den Nachdenklichen stellt er etwas näher, der sei da. Den Traurigen setzt er neben den Nachdenklichen und den Ängstlichen ein wenig dahinter, der sei ein bisschen weiter weg. Alle Figuren sind dem Gottessymbol zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei seiner zweiten Positionierung stellt Marius die verschiedenen Gottessymbole im Kreis auf und ordnet ihnen Gemütslagen zu. Den Wütenden stellt er zur Energie, der habe viel Energie, aber eher negative. Der Nachdenkliche wird von ihm zur Quelle des Lebens positioniert. Der »sieht eher Gott, der irgendwie klein ist und was Großes sein kann«. Das Symbol für Gott-Vater und die Matrioschka rückt er enger zueinander und stellt den »Fröhlichen als Familie Gottes zu Mutter und Vater«. Der Ängstliche komme eher zu Gott als Mutter. Jetzt platziert er den Traurigen zum Netz der Liebe und Verbundenheit. Der Traurige »wird von Gottes Liebe umworben«. Abschließend stellt er den Schuldbeladenen zu GottVater. Er komme mit seiner Schuld zu Gott. Das Licht und die innere Stimme bleiben ohne Figuren. Gebetsfragebogen Das Wichtigste am Beten ist für Marius, still zu sein und mit Gott über alles zu sprechen und ihm auch zu danken. Dann ist es ihm auch wichtig, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen. Wenig wichtig ist für ihn, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen und das Falten der Hände. Er hält eine indirekte Heilung durch Ärzte und Medikamente für möglich. Marius drückt den Wunsch 337 Das Symbol für Gott als Licht, die Kerze ist hier im Foto hinter dem Fröhlichen »versteckt«.
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nach Gesundung einer Person aus, mit dem Zusatz »dein Wille geschehe«. Marius betet häufig am Morgen, wenn der Tag beginnt, vor dem Essen, im Gottesdienst oder in anderen Gemeindeveranstaltungen und wenn er Kummer oder Sorgen hat. Er betet manchmal, wenn er sich freut und wenn er vom Leiden anderer Menschen hört, selten am Abend und wenn er Angst hat. Marius betet nie, wenn er sich einsam fühlt, wenn er sich etwas wünscht oder weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Marius ist als Kind baptistischer Eltern in Rumänien aufgewachsen. Dort gehörten sie zu einer großen Baptistengemeinde. Im Alter von 13 Jahren kam er nach der Revolution (1989) nach Österreich und musste sich sprachlich neu orientieren. Seine Eltern und er waren in Österreich zunächst viele Jahre Mitglieder einer neu entstandenen rumänischen Gemeinde. Parallel besuchten sie eine deutschsprachige Gemeinde. Marius war Mitglied in der Jugendgruppe der rumänischen Gemeinde. Als junger Erwachsener gehörte er lange Jahre der deutschsprachigen Gemeinde an. Ca. ein Jahr, bevor das Interview stattfand, beschloss er mit einigen anderen Erwachsenen aus einer rumänischen Gemeinde, eine weitere rumänische Gemeinde zu gründen. Hier hat Marius von Anfang an sehr viel Verantwortung übernommen. Marius ist mit seinem Leben zufrieden. Der Glaube an Gott ist ihm sehr wichtig und er erlebt ihn überwiegend unterstützend. Den Gottesdienst besucht er, so oft er kann, andere Veranstaltungen (Hauskreise, Gottesdienste in anderen Kirchen) relativ häufig. Seine Gemeinde ist für ihn sehr wichtig, und er arbeitet häufig in seiner Gemeinde mit. Außerhalb der Veranstaltungen hat er sehr häufig Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern. Die Bibel ist für ihn sehr wichtig. Auch praktische Nächstenliebe ist für ihn sehr wichtig. Er engagiert sich aufgrund seines Glaubens für seine Mitmenschen nie politisch und sozial, aber regelmäßig nachbarschaftlich. Marius hat sich sehr gerne zum Interview bereit erklärt. Aus dem Materialbüffet sucht er sich drei Gegenstände aus, die er mit einem Faden verbindet. Die Gegenstände legt er auf die Unterlage. Der Faden weist über die Unterlage hinaus, wodurch das Ganze lebendig wirkt. Die ausgesuchten Gegenstände bestehen aus sehr unterschiedlichen Materialen: ein abgebrochener Scherengriff (Plastik), ein Stück Baumrinde (Naturmaterial) und eine blaue Scherbe (Glas). Die Scherbe wirkt wie ein Schmetterling, der locker an einen Faden gebunden und im Begriff ist, sich zu lösen und davon zu fliegen. Die Rinde mit dem Scherengriff wirken wie Boot und Anker, wobei durch die Rinde den Betrachtern Leichtigkeit vermittelt wird. Die drei Gegenstände scheinen eine Geschichte erzählen zu wollen, die entlang des Fadens dann in einen offenen Bereich weiter führt. Für Marius ist dieser »Leitfaden« wie die Führung Gottes, die er in seinem Leben zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Bereichen erlebt hat. Er gibt seiner Metapher den Titel »Gottes Einwirken« und fasst damit, fast programmatisch, seine Gottesvorstellung zusammen. Gott ist für ihn der, der in seinem Leben (ein-)wirkt, indem er trennt, schützt und Zerbrochenes wieder verbindet. Marius reflektiert mit seiner Metapher ein Stück seine eigene Lebenssituation der vergangenen Monate und Jahre. Zum einen denkt er an seine Gemeinde, zum anderen an seine persönliche Entwicklung. In seiner eigenen Entscheidung, mit anderen gemeinsam eine neue Gemeinde zu gründen, sieht er Gottes Handeln. Er empfindet das als einen »Schnitt«. Meint er damit eventuell
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eine auch schmerzhafte Trennung von dem, was vorher war? Gott arbeitet hier nach seinem Verständnis synergetisch mit dem Menschen zusammen. Gott macht diesen »Schnitt« und Marius hat dies erkannt und ist dann mit anderen gemeinsam aktiv geworden. Auf dem weiteren Weg dieser jungen Gemeinde erlebt er die Bereitstellung von Räumlichkeiten und Begleitung durch beratende Personen als Gottes Schutz. Marius deutet hier menschliches Handeln als Wirken Gottes. Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass er davon überzeugt ist, dass Gott indirekt durch Menschen handelt (Gebetsfragebogen) und dass menschliches Handeln offen ist für die Interpretation, dass Gott hierin wirkt (Anzug des Vaters für moldavische Familie). Was seine persönliche Entwicklung betrifft, sieht Marius sich durch seine christliche Sozialisation »geschützt«. Er sieht, dass er in seiner Kindheit und Jugendzeit im Vergleich mit anderen weniger »gesündigt« hat. Trotzdem erlebt auch er seine »Sündhaftigkeit« (Scherben) und die Annahme und Wiederherstellung der Ganzheit seiner Person (Zusammenfügen der Scherben) vor Gott. Interessant ist, dass er schon als Jugendlicher unter dem Anspruch gestanden hat, »anders« sein zu sollen. Andere Menschen sollten erkennen, dass er anders ist. So empfindet er auch, dass er vom Weg abgekommen ist und Gott ihn wieder zurückgeführt hat (Leitfaden). Er sieht im Rückblick, dass Gott von »klein auf« in seinem Leben gewirkt hat. Immer wieder ist es ihm dabei wichtig, seine eigene Freiheit herauszustellen. Gott ist für ihn der, der mitwirken will, wo Menschen ihm Raum geben. Dem entspricht die lockere Wirkung des Fadens in der Metapher. Aber wie viel Freiheit ist wirklich da für einen jungen Menschen, der unter dem Anspruch steht, anders sein zu sollen, wenn sich dieses »anders sein« nicht aus einem inneren Streben nach Einzigartigkeit ergibt, sondern an äußeren, vorgegebenen Maßstäben orientiert? Für Marius haben diese äußeren Erwartungen auch eine Art Schutzfunktion vor gröberem Fehlverhalten, was er positiv bewertet. Allerdings scheint ihm der Glaube derer, die diesen Schutz nicht hatten, gefestigter. Sieht er selber auch die oben angesprochene Diskrepanz zwischen intrinsisch und extrinsisch motivierter Gottesbeziehung? Schutz durch und Geborgenheit bei Gott sind für Marius auch gegenwärtig zentrale Themen, so sieht er sich selbst in der Nähe der Rinde. Aktuell bedeutet für ihn Schutz, dass er sich vor Arbeitslosigkeit und Krankheit geschützt fühlt. Gott kommt in der Sicherung seiner Existenz eine wesentliche Rolle zu, so ist für ihn auch das Bestehen seiner Abschlussprüfung im Nachhinein ein Gotteserlebnis. Aber was wäre, wenn die Situation sich plötzlich ändern würde? Wie sehr ist die Dankbarkeit über den Schutz in der Vergangenheit auch ein intensiver Wunsch, dass es in Zukunft so bleiben möge? Wie tragfähig wäre Marius Gottesbeziehung, wenn er sich durch Lebenskrisen einmal ungeschützt erleben würde? Ist in seiner Gottesvorstellung genügend Raum für einen verborgenen Gott, dessen »Einwirken« sehnsüchtig gewünscht, aber nicht ent-deckt wird? Die Theodizeefrage stellt sich für Marius nicht wirklich. Für ihn ist klar, dass die Ursache für das Übel in der Welt beim Menschen liegt. Er geht sogar so weit, dass er einen Zusammenhang zwischen der Sünde des Menschen und Naturkatastrophen sieht, weil Gott dadurch ein pädagogisches Ziel (Menschen aufrütteln) verfolgt. Er fragt sich, ob die Menschen die dort leben wo es Naturkatastrophen gibt, sich von Gott abgewendet haben. Es wird deutlich, dass Marius diese Fragen nicht bis zum Ende durchdacht hat und sich der Schlussfolgerungen für sein Verständnis von Gott und Mensch nicht zur Gänze bewusst
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ist. Hier kann es u. a. eine Aufgabe der Gemeindepädagogik sein, die Theodizeeproblematik zu bearbeiten. Marius’ Verständnis von einem Gott, der durch Menschen wirkt, wenn man ihm Raum gibt, nimmt in seinem Leben dadurch Gestalt an, dass er wiederum mit Gott mitwirken will. Er selbst will solch ein Mensch sein, durch den Gott dann wirkt. Dabei unterliegt dieses Wirken einer gewissen Unverfügbarkeit. Es kann als Wirken Gottes gedeutet werden, muss es aber nicht. Vielleicht kommt der Gedanke an ein Wirken Gottes auch erst im Nachhinein auf. Marius Gottesvorstellung wirkt sich auf sein Selbstverständnis aus, indem er formuliert: »Gott möchte mich da gebrauchen« und das lässt ihn aktiv werden. Aus der Bequemlichkeit einer Gemeindezugehörigkeit, die sich im Besuch von Gottesdiensten und Veranstaltungen erschöpft, tritt er heraus in eine neue größere Verantwortung für eine neue Gemeinde. Von einem Christen erwartet er, dass er seine Zeit nicht vergeudet, sondern nützt. Muss er selbst dann aber immer im Dienst sein? Als Jugendlicher hat er sich die Freiheit genommen, von der vermuteten richtigen Linie abzuweichen. Wie wäre es jetzt für ihn, wenn er als Schmetterling (Scherbe), als der von Gott trotz seiner Schuld in seiner Ganzheit angenommene Mensch, den lockeren Faden nutzen würde und sich die Freiheit nähme, auch ganz anderes zu erkunden? Ist die Leichtigkeit, Lockerheit, die der Faden vermittelt, für ihn Wunsch oder Realität?
3.2.5 Denisa – In Gott verbunden Denisa ist zwischen 40 und 50 Jahre alt und übt einen Pflegeberuf aus. Gottesmetapher
Auf die Frage, was ihr im Moment an Gott am Wichtigsten sei, gestaltet Denisa eine Perlenkette, bei der die unterschiedlichsten Holzperlen auf einen roten Draht gezogen sind. Ihrer Metapher gibt sie den Titel »in Gott verbunden« und erklärt, dass diese Perlen die verschiedenen Menschen darstellten, die durch Gottes Liebe, den roten Draht, miteinander verbunden seien. Sie selbst sei auch eine der Perlen auf der Kette. » … das ist Gottes Liebe, wir sind zusammengebunden, jede [Perle] ist anders, aber Gott liebt uns alle und er akzeptiert uns alle,
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so wie wir sind. Ganz allein, … als einzige Person, bin ich … nicht so wichtig, aber zusammen, verbunden in Jesus, sind wir stark.« Denisa betont noch einmal, dass wir alle anders seien, aber in unserer Einzigartigkeit seien wir von Jesus akzeptiert. Aufgrund dieser Verbindung durch Jesus gelinge es sogar in einer Gemeinschaft, einander zu akzeptieren. »Es ist so schwer, mit den anderen zu leben, jede(r) hat eigene Vorstellungen und so, aber wenn Jesus uns verbindet, wird alles leicht.« Zusammengebunden würden die einzelnen Perlen eine schöne Kette ergeben. Die Liebe Gottes verbinde die Menschen aber nicht nur, sie sei auch der Motor der Menschheit, auch wenn die Menschen es nicht merken würden. Gott habe die Menschen so geschaffen, dass sie miteinander leben, einander brauchen und einander helfen könnten. »Und es ist immer schön, wenn man geben kann, wenn man helfen kann. Nicht nur, dass man bekommt, sondern dass (man) auch gibt. Für mich persönlich ist das eine besondere Freude, wenn ich jemanden glücklich machen kann oder wenn ich jemandem helfen kann.« Es sei nicht nur wichtig, untereinander verbunden zu sein, sondern auch die Verbindung mit Gott (durch den roten Draht) sei wichtig. Wenn diese Verbindung abgebrochen werde, dann würden die Menschen nicht mehr leben können. Das sei so, auch wenn die Menschen Gott nicht persönlich kennen würden. Wo Gott sei? Sie selbst entdecke Gott in den Kleinigkeiten des Alltags, wie z. B. in Blumen oder Sonnenaufgängen. Dass Gott überall sei, merke sie daran, dass sie Gott spüren und immer mit ihm reden könne. Was sie auf ihren alltäglichen Wegen von Patient zu Patient auch praktiziere. Über Gott sagt Denisa weiter, dass er die Welt für den Menschen geschaffen habe, damit der Mensch wisse, dass er Gott gehöre. Gott habe alles unter Kontrolle. Was er zulasse, sei gut, auch wenn der Mensch es anders (z. B. als Strafe) empfinde (2x). Gott beherrsche diese Welt: »Er mischt sich überall rein.« Verantwortlich für das Schlechte in der Welt sei die Boshaftigkeit des Menschen. Ob Gott sich etwas vom Menschen wünsche? Gott wünsche sich »etwas sehr Persönliches« von den einzelnen Menschen, nämlich eine persönliche Beziehung zum Menschen. Er habe dem Menschen selbst eine Sehnsucht nach Gott eingepflanzt. Nach Denisas Auffassung ist jeder Mensch auf der Suche nach Gott und wenn »die Menschen in Kontakt mit Gott … kommen, dann können sie auch erkennen«, dass es einen Gott gebe, der diese Welt geschaffen habe und der uns liebe. Denisa erzählt von ihrer Nachbarin und deren Schwierigkeit zu verstehen, dass Gott an einer persönlichen Beziehung zu jedem Menschen interessiert sei. Die Nachbarin nehme Gott eher als eine »außergewöhnliche Kraft« wahr, die in dieser Welt herrsche. Die Nachbarin habe schon bemerkt, dass Denisa und ihre Familie »anders« seien. Sie, Denisa, habe ihr daraufhin gesagt, »das ist Gottes Liebe in jedem von uns«. Aufgrund der »fremden Sprache« sei es aber schwierig, der Nachbarin das zu sagen, was sie ihr gerne sagen würde.
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Wie das für Gott sei, wenn die Menschen nicht tun würden, was er sich wünsche? Denisa ist sich hier sicher : Gott werde nicht strafen, sondern »sehr liebevoll« mit der Situation umgehen. Von sich sagt sie, dass sie selbst das Schlimmste, was ihr passieren könnte, nicht als Strafe Gottes empfinden würde. Gott warte, dass der Mensch umkehre und zurückkomme: »Der will uns haben, drum hat er Jesus kreuzigen lassen für uns, ja es ist einfach.« Ob Gott mit den Menschen spreche? Gott könne auf viele verschiedene Arten mit den Menschen kommunizieren, durch Predigten, die Bibel, andere Menschen, aber auch durch die Natur, aber nicht jeder Mensch sei in der Lage zu erkennen, dass Gott gerade mit ihm rede. Sie selbst spüre, was Gott von ihr wolle und sie sei auch der Meinung, dass jeder Mensch mehr oder weniger wisse, was Gott sich von ihm wünsche. Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, an denen sie besonders an Gott denke? Sie denke sehr oft und überall an Gott, aber es gebe bestimmt Orte, da denke sie besonders intensiv an ihn. Denisa berichtet von einem Unfall, den ihr jüngster Sohn vor einiger Zeit hatte. Er sei von einer Straßenbahn angefahren worden und sie sei davon benachrichtigt worden. Weil die Straßenbahn nun nicht mehr gefahren sei, sei sie nur zu Fuß zur Unfallstelle gelangt. Sie schildert, dass sie die Nähe und Hilfe Gottes gespürt habe: »Ich hab’ diese(s) Erlebnis mit Petres338 Unfall. (Es) ist ein sehr komisches Gefühl, man fühlt sich so von allen verlassen und da spürst du so intensiv, dass Gott bei dir ist. Du bist ja so einsam, niemand kann dir helfen, aber er ist da, du spürst ihn so nah.« Die Nähe Gottes zu spüren sei sogar ein positiver Aspekt in solch einer schlimmen Situation. Ohne die Hilfe Gottes sei es für sie nicht möglich, solch eine Situation zu überstehen. Zunächst habe sie gedacht, ihr jüngster Sohn sei tot, doch dann habe es einen Anruf gegeben, dass er lebe und sie habe ihn schreien gehört. Auf dem Weg zu ihm hätten ihre Kräfte beinahe versagt. »Da war ich fertig. In solchen Momenten spürt man, also wie Gott in dem Moment dir Kraft gibt, und das war nur Gottes Kraft, ich konnte nicht mehr, wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich zusammengebrochen, mitten auf der Straße, aber ich hab’s geschafft und das war für uns ein Erlebnis, das uns stark gemacht hat.« Denisa betont noch einmal, dass man in solchen Situationen ganz besonders die Liebe Gottes und die Beziehung, die man zu Gott habe, spüre. Ob es auch andere Zeiten gegeben habe? Es habe auch Zeiten gegeben, in denen sie Gottes Nähe nicht so gespürt habe, z. B. während eines Konfliktes mit ihrer Schwester, aus dem sie keinen Ausweg gefunden habe, obwohl sie sich eine gute Beziehung zu ihrer Schwester wünsche: » … in diesen Momenten hab’ ich oft das Gefühl gehabt, er hat mich verlassen, nicht direkt verlassen, aber irgendwie, dass ich keinen direkten Kontakt mehr mit ihm habe.« Ob sich ihr 338 Name geändert.
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Christsein in Österreich verändert habe? »Nein, auch wenn die Gemeinde sich entwickelt, irgendwie. Ich glaube, (die) Beziehung zu Gott ist dieselbe geblieben oder in manche(n) Situationen haben wir intensiver erlebt, dass wir zu Gott gehören und dass wir eine persönliche Beziehung zu Gott haben. Es war für uns gut, dass wir immer in Gemeinschaft waren, wir waren nicht verwirrt.« Sie fühle sich hier auch nicht mehr als Ausländerin und habe gute Kontakte gewonnen. In Rumänien hätten sie durch ihre äußere Erscheinung zeigen müssen, dass sie Christen seien, z. B. dadurch, dass die Frauen im Gottesdienst hätten Kopftücher tragen müssen. Das habe sich verändert, jetzt wisse sie, dass es auf das Innere ankomme. Sie verweist noch einmal auf die Nachbarin, die auch ohne Kopftuch erkannt habe, dass sie anders seien. Positionierung mit einem Gottessymbol
Denisa sucht sich die Quelle des Lebens als Gottessymbol, zu dem sie im Moment den größten Bezug hat, aus. Sie gruppiert die Traurige, die Ängstliche und die Fröhliche sehr nah um das Symbol. Die Nachdenkliche ist etwas weiter entfernt. Das Symbol befindet sich in der Mitte der vier Figuren, alle sind dem Symbol zugewandt, als hätten sie sich darum versammelt. Weiter entfernt steht die Schuldbeladene und abseits der Szene stellt Denisa die Zornige auf.
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Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der Positionierung mit allen Gottessymbolen ordnet Denisa jeder Figur eines oder mehrere Symbole zu. Während in der ersten Positionierung die Zornige ganz außen vor war, wird sie jetzt direkt in das Netz der Liebe und Verbundenheit gestellt. Allerdings mit dem Symbol ein wenig von allen anderen Figuren und Symbolen entfernt, die in einer Art Kreis aufgestellt sind. Hier wird die Nachdenkliche zum Licht gestellt, die Schuldbeladene zur mütterlichen Seite Gottes, die Fröhliche und die Traurige zu Gott-Vater und der Ängstlichen werden Energie und Quelle des Lebens zugeordnet. Die innere Stimme bleibt ohne direkte Positionierung einer Figur, ist aber durch ihre Platzierung indirekt auf die Schuldbeladene und die Fröhliche bezogen. Gebetsfragebogen Das Wichtigste am Beten ist für Denisa, mit Gott über alles zu sprechen und ihm auch zu danken. Offensichtlich interpretiert sie die Aufgabenstellung anders und kreuzt nur das für sie Wichtigste an. Sie ergänzt dazu noch, dass es ihr außerdem noch wichtig ist, mit Gott verbunden zu sein. Sie erwartet eher ein indirektes Eingreifen Gottes, wobei sie eine Aufgeschlossenheit für spirituelle Hilfe zeigt und ihr der Aspekt der Souveränität Gottes wichtig ist. Denisa gibt bei fast allen Gelegenheiten an, häufig zu beten. Im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen gibt sie an, manchmal zu beten. Folgende Fragen hat sie zum Gebet, die sie gerne mit jemandem besprechen möchte: »Wie empfindest du Gottes Liebe? Wie spürst du Gottes Hilfe, wenn du betest? Wie hat Gott in deinem Leben gewirkt?« Denisa lebt seit über 15 Jahren mit ihrer Familie in Österreich. Sie hat ihre Kindheit und Jugendzeit in Rumänien erlebt, ist nach der Revolution (1989) mit ihrem Mann nach Österreich gekommen und musste sich beruflich und sprachlich neu orientieren. Sie stammt aus einer baptistischen Familie. Ihre Großeltern sind Baptisten geworden, als ihre Eltern klein waren. In Rumänien hat sie es als Jugendliche erlebt, dass es ein Problem war, sich öffentlich als Baptistin zu zeigen. Es war ihr dort nicht möglich, an allem teilzu-
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nehmen oder den Beruf ihrer Wahl zu ergreifen. In Österreich besucht sie eine rumänische Baptistengemeinde. Als sie von der Möglichkeit des Interviews erfuhr, war sie sofort bereit und meldete sich freiwillig. Das Interview wurde bei ihr zuhause auf Deutsch geführt. Denisa ist mit ihrem Leben sehr zufrieden. Der Glaube ist für sie sehr wichtig und sie erlebt ihn als unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie, so oft sie kann, andere Veranstaltungen regelmäßig. Ihre Gemeinde ist für sie sehr wichtig und sie arbeitet öfter in ihrer Gemeinde mit. Außerhalb der Gemeindeveranstaltungen hat sie sehr häufig Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern. Die Bibel ist für sie sehr wichtig. Sie engagiert sich aufgrund ihres Glaubens selten politisch, aber häufig sozial und nachbarschaftlich für ihre Mitmenschen. Denisa macht sich mit sehr viel Begeisterung an das Gestalten ihrer Materialcollage. Sie sucht sich verschiedene bunte Perlen aus dem Materialbuffet und steckt sie auf einen dünnen roten Draht, dessen Enden sie verbindet. Der Kreis wirkt dadurch einerseits geschlossen, kann aber auch wieder geöffnet werden, da der Draht nur locker verbunden ist. Es ist noch Raum für weitere Perlen. Die Perlen sind von der Farbe und der Form sehr verschieden, bilden jedoch durch das Auffädeln auf den Draht ein harmonisches Ganzes. Die Frage kommt auf, ob der dünne Draht in der Lage ist, die im Verhältnis zum Draht großen und aufgrund ihrer Menge schweren Perlen zu halten. Würde die Verbindung sich lösen, wenn man versuchen würde, die Kette hochzuheben und anzulegen? Für Denisa stellen die Perlen die unterschiedlichen Menschen dar, die durch die Liebe Gottes (roter Draht) verbunden sind. Der soziale Aspekt, die durch Gottes Liebe ermöglichte Gemeinschaft von Menschen, ist für Denisas Gottesvorstellung zentral. Für sie ist Gott der, der Menschen akzeptiert und liebt, wie sie sind, und dessen Liebe Menschen dazu befähigt, sich ebenfalls zu akzeptieren und zu lieben. Im mitmenschlichen Miteinander spiegelt sich für sie die Liebe Gottes. Ein wichtiges Stichwort ist für Denisa die »Verbundenheit«. Es geht in zweifacher Hinsicht um Verbundenheit. Einmal die Verbundenheit der Menschen untereinander durch Gottes Liebe und dann auch ihre Verbundenheit mit Gott. Ersteres zeigt sich in der Gestalt der Metapher und auch im Titel »in Gott verbunden«. Gott ist in Denisas Gottesverständnis der, der Menschen verbindet. Dabei denkt Denisa inklusiv an alle Menschen: Sie spricht von Gott als Motor der Menschheit, er sorgt dafür, dass Menschen einander brauchen und einander helfen. Gott ist hier der Antrieb dafür, dass Menschen sich selbst untereinander verbinden. Dass Gott sie dazu bringt, das scheint den Menschen nicht bewusst zu sein. So sind sie also durch Gott untereinander verbunden.Sie verortet Gott interkommunikativ, allerdings geht Gott nicht in der menschlichen Gemeinschaft auf. Der andere Aspekt ist die Verbundenheit des Menschen mit Gott, der hier eher als Gegenüber des Menschen erscheint. Durch diese Verbundenheit hat der Mensch das Leben. Gott ist für Denisa Schöpfer und Erhalter der Welt und des Menschen. Dabei formuliert Denisa im Sinne eines anthropozentrischen Finalismus. Die Verbindung zwischen Gott und Mensch zeigt sich für sie auch, indem Gott die Welt weiter beherrscht und kontrolliert. Gott kontrolliert aber nicht so, dass er Schlimmes verhindert, sondern er lässt auch Dinge zu, die in der Bewertung der Menschen wie eine Strafe sind, aber letztlich (im Endeffekt) ist für Denisa doch gut, was Gott zulässt. Es bleibt offen, ob sich in Denisas Umwertung von schlimmen Ereignissen in letztlich gute Sachen ihr Vertrauen in Gott ausdrückt, oder ob es sich hier um übernommene Glaubenssätze (Gott hat alles unter
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Kontrolle – Gott ist gut, also die Allmacht und die Liebe Gottes) handelt. Die schlimmen Ereignisse selbst führt sie auf die Boshaftigkeit des Menschen zurück. Gott ist dem Menschen zugewandt, will also diese Verbundenheit mit dem Menschen. Er selbst gibt dem Menschen eine Sehnsucht danach. Auch hier ist Gott der Motor, sich mit ihm zu verbinden. Denisa hat kein legalistisches Gottesverständnis. Christus ist hier für Denisa wichtig, um die Verbindung zwischen Gott und Mensch trotz der Schuld des Menschen zu ermöglichen. Denisas Gottesmetapher beinhaltet einerseits eine soziale (die Liebe Gottes verbindet die Menschen untereinander) und andererseits eine existentielle (der Mensch lebt nur durch die Verbindung zu Gott) Komponente. Dies erinnert sehr stark an die nontheistischen Symbole Netz der Liebe und Verbundenheit und Quelle des Lebens. Daneben formuliert Denisa traditionell theistisch, unter anderem indem sie Jesus sprachlich als Äquivalent für Gott verwendet. Gott ist für Denisa immanent in menschlicher Gemeinschaft und auch helfendem menschlichen Handeln. Hierin sieht Denisa sich auch mit Gott verbunden. Sie sieht sich selbst inmitten dieser Gemeinschaft von verschiedenen Menschen und sie hilft gerne. Ihre Gottesbeziehung drückt sich so in ihrem alltäglichen Handeln, in ihrem Pflegeberuf aus. Menschliche Gemeinschaft wird für Denisa durch Gottes Liebe erst ermöglicht. Andererseits ist Gott durch menschliche Gemeinschaft für Denisa indirekt erfahrbar. So ist die Verbundenheit mit Gott auch für Denisas Gottesbeziehung zentral, was durch ihre eigene Positionierung, als eine der Perlen, die durch Gottes Liebe mit Gott und anderen verbunden ist, deutlich wird. Das Thema Verbundenheit zeigt sich unter anderem auch im Gebetsfragebogen. Dort ergänzt sie unter Frage eins, was ihr sonst noch wichtig sei, »mit Gott verbunden zu sein«. Als sie nach Erfahrung von Zeiten der Abwesenheit Gottes gefragt wird, beschreibt sie das mit dem Gegenteil von Verbunden-Sein: Sie hat sich gefühlt, als hätte sie keinen direkten Kontakt mehr zu Gott. In ihrer Gottesbeziehung ist Denisa vor allem im Gebet mit Gott verbunden. Sie spricht von einem ständigen Dialog, den sie mit Gott im Alltag führt, wenn sie auf dem Weg von Patient zu Patient ist. Nach ihrem Verständnis werden Menschen durch Gottes Liebe motiviert (Motor), einander zu helfen. Auch hier ist sie mit Gott verbunden, indem sie gerne anderen Menschen hilft und so mit Gott mitwirkt. Auffällig ist bei Denisa hier die Nähe zwischen Aussagen über sich und Aussagen über »Gott«. Gott ist der, der die Menschen motiviert, einander zu helfen – sie hilft gerne und es macht sie glücklich, anderen zu helfen. Das ist ein wesentlicher Aspekt ihrer Alltagsgestaltung und auch ihrer Persönlichkeit. Sie hilft gerne und arbeitet in einem helfenden Beruf und stellt in diesem immer wieder einen Gottesbezug her (Gebet und Mitwirken). Denisa sagt über Gott, dass er alle Menschen liebt und akzeptiert. Sie sagt über sich, dass sie allein nicht so wichtig ist, aber gemeinsam mit anderen Menschen, verbunden in Jesus, stark ist. Welche Erlebnisse mit der christlichen oder menschlichen Gemeinschaft spiegeln sich hier wieder? Ist es wirklich so leicht, mit Jesus einander zu akzeptieren, oder handelt es sich hier um einen starken Wunsch, dass das geschehen möge? Die Kette wirkt eher fragil. Ist sie in der Lage, die einzelnen Perlen gut zu halten? Wird durch die Verbindung durch und zu Gott wirklich alles leicht in einer menschlichen Gemeinschaft? Wenn nicht, fehlt es dann an göttlicher Verbundenheit? Denisa reiht sich in die Perlenkette ein. Sie ist eine unter anderen Perlen. Im Interview leuchtet immer wieder eine Art Fremdheitserfahrung
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durch. Damals in Rumänien wurde sie als Baptistin beschimpft339, in Österreich unterschieden sich die Rumäninnen zu Beginn ihrer Ankunft, indem sie lange in den Gottesdiensten Kopftücher trugen, nun ist es ihr wichtig, dass die Nachbarin sie als »anders«, im Sinne der inneren Werte, wahrnimmt. Drückt sich in der Metapher der Wunsch aus, anders sein zu dürfen, aber trotzdem als Gleiche akzeptiert zu sein? Die christliche Gemeinschaft war im Anfang auf jeden Fall eine Hilfe im neuen Land, so wie Denisa es ausdrückt: »Wir waren nicht verwirrt.« Es scheint in Denisas Leben beides gegeben zu haben: die Erfahrung von Ablehnung und Fremdsein und die von Annahme und Zugehörigkeit. Erfahrungen von Annahme und Zugehörigkeit deutet Denisa als indirektes Wirken Gottes. Eine besondere Näheerfahrung, die ihre Gottesbeziehung prägt, ist für Denisa die »Rettung« ihres Sohnes beim Straßenbahnunfall. Ihre Gotteserfahrung besteht in der Bewahrung des Sohnes vor dem Tod, aber auch in der Kraft, die Denisa ermöglicht hat, trotz großer Angst und Sorge um ihr Kind den weiten Weg zum Unfallort zu Fuß zurückzulegen. Angesichts dieser Erfahrung scheint es verständlich, wenn Denisas Vertrauen in Gott gestärkt ist und sie meint, dass er alles unter Kontrolle hat. Andererseits scheint ihre Aussage, dass alles, was Gott zulässt, im Endeffekt gut ist, doch etwas vorschnell. Könnte eine Mutter, die ihr Kind verliert, das auch noch so sagen? In den Positionierungen wird deutlich, dass die Schuldbeladene und die Zornige zunächst für Denisa nicht gleich in die Nähe Gottes passen. Das Angebot, verschiedene Aspekte Gottes zu berücksichtigen, nutzt sie dann sehr stimmig, indem sie die Zornige im Netz der Liebe und Verbundenheit, was ja ihrer eigenen Metapher entspricht, aufgefangen weiß und die Schuldbeladene zum weiblichen Aspekt Gottes positioniert. Aus dem Gebetsfragebogen erfahren wir noch, dass Denisa viel und zu unterschiedlichen Gelegenheiten betet. Die Fragen, die sie im Anschluss an den Gebetsfragebogen formuliert, sind weniger inhaltlicher als vielmehr persönlicher Natur. Denisa zeigt hier, dass sie mit anderen Menschen über ihren Glauben ins Gespräch kommen möchte. Denisa ist durch ihre christliche Sozialisation in einem sozialistischen System Fremdheitserfahrungen gewohnt. Auch durch ihre Migration nach Österreich im jungen Erwachsenenalter macht sie die Erfahrung, fremd zu sein. In ihrer Metapher spiegelt sich die Vorstellung von einem Gott, der Menschen verbindet, und die Vorstellung von Menschen, die gleichwertig sind, obwohl sie verschieden sind. Gott kommt die Funktion zu zu verbinden, was schmerzhaft getrennt erlebt wird. Denisa selbst findet sich in diesem Geschehen wieder, indem sie mit Gott und seiner Liebe durch ihre Tätigkeit im Beruf und auch privat mitwirkt. Durch den Glauben ist es Denisa möglich, eine positive Einstellung zu den Menschen in ihrem Umfeld und zu ihren (vielleicht auch manchmal anstrengenden) Alltagstätigkeiten zu gewinnen.
339 Dazu wurde das rumänische Wort pocait (bereuen) als Schimpfwort mit der Bedeutung »Büßer« verwandt.
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3.2.6 Corvin – How great is our God Corvin ist Anfang 20 und studiert. Gottesmetapher
Für seine Gottesmetapher verbirgt Corvin ein zerbrochenes Schmuckstück unter einer blauen Glasscherbe, um die er ein weißes Netz legt. Was er da gestaltet habe? »Ja, also dieses Weiße drumherum ist Gott. Es soll darstellen, dass er überall ist, also allgegenwärtig in Form vom Heiligen Geist. Es soll auch darstellen …, wie groß Gott ist und … wie klein wir eigentlich sind. Es ist das, was hier drin ist (zeigt auf das verborgene zerbrochene Schmuckstück). Es ist so ein Glitzerding. Das soll darstellen, … dass wir für ihn sehr wertvoll sind und dass wir für ihn sehr wichtig sind und deswegen legt er seine schützende Hand über uns.« Das sei durch die blaue Scherbe dargestellt. Wo er selbst sei? »Ich bin in der Mitte drin.« Ob nur er das sei ? »Ich glaube, das sind alle Menschen. Ich glaube, Gott macht da keinen Unterschied, also Gott bewertet die Menschen nicht nach dem, ob sie gläubig sind, ob sie katholisch sind oder baptistisch. Ich glaube, dass für ihn alle Menschen gleich wichtig sind und deswegen sind alle Menschen dort in der Mitte.«
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Wo Gott sei? »So wie das Bild auch hier darstellt, dass Gott überall ist. Er ist in den Räumen anwesend, wenn wir uns wo befinden. Er ist, also er umgibt uns einfach und er ist auch in uns drinnen.« Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? »Auf jeden Fall, schließlich hat er die Welt gemacht. Also so [wenn] wir etwas bauen, haben wir auch etwas damit zu tun, die Welt gehört ihm. Es läuft alles danach ab, wie er es will, und es gibt nichts, was ihm entgeht, was auf der Welt passiert und er greift auch ein in das Geschehen, von daher hat er auf jeden Fall was mit der Welt zu tun.« Wie er sich so ein Eingreifen Gottes vorstelle? »Es kommt immer drauf an, es gibt Situationen, wo er, wo er durch andere Menschen arbeitet. … Wenn ich mit jemandem geredet habe, wenn’s mir schlecht gegangen ist, und das war für mich sehr gut, sehr wohltuend das Gespräch. Da denk ich schon, dass …, dass Gott da mitgearbeitet hat. … In dem Fall hat Gott eingegriffen in mein Leben und so passiert das ziemlich oft, glaub’ ich, und es gibt auch Sachen, wo ich mir denke, das war offensichtlich, dass das von Gott gekommen ist, weil es einfach anders nicht passieren kann, es ist einfach zu groß für die Menschen, zu gigantisch.« Was das sein könne? Corvin fällt dazu die intrauterinäre Entwicklung des Menschen ein. »Ich denk’ oft daran …, wenn ein Embryo … im Laufe seiner Entwicklung … sein Kopf ist überzogen von einem Stück Haut. Und nachdem die Augen ausgebildet sind, läuft die Haut drüber, über die Augen. Und irgendwann, spontan, einfach so, setzt es ein, dass sich ein Schlitz bildet und die Augen gehen auf und hey, ich weiß nicht, wie sich das die Biologen erklären, aber für mich ist das Gott.« Ob es eine Beziehung zwischen Gott und Menschen gebe? »Ich glaube, Gott will mit jedem Menschen auch kommunizieren und will auf jeden Menschen eingehen, es ist jetzt halt die Frage, ob der Mensch das will, aber ich glaub’, wenn man darauf eingeht, dann kann man eine sehr starke Beziehung zu Gott haben.« Ob Gott sich etwas wünsche, wie Menschen leben oder handeln sollten? »Auf jeden Fall. Ich glaub’, das oberste Gebot ist, also, was Gott von uns erwartet, dass wir liebevoll mit unserem Nächsten umgehen, und es ist auch sehr wichtig … für ihn, dass wir seine Botschaft verkünden.« Ob der Mensch das wissen könne? »Ich glaub’, da ist das verankert, z. B. die Nächstenliebe. Ich weiß nicht, wie das bei anderen ist, aber für mich ist das so, dass z. B. auch mein Leben und mein Wohlbefinden, das wird alles besser, wenn ich meinem Nächsten helfe, wenn ich meinen Nächsten liebe, wenn ich für meinen Nächsten was mach’ und so weiter, und ich glaub’, das ist, auch wenn wir keine Christen sind, ist das irgendwie in unserem Gewissen verankert.« Was Gott tue oder fühle, wenn Menschen nicht nach seinem Willen handeln würden? »Wenn Menschen Böses tun, das ist eine sehr schwierige Frage, find’ ich, ich hab’ oft drüber nachgedacht. Und immer wieder komm’ ich zum Schluss, dass ich zu keinem Schluss komme.« Ob Gott Gefühle habe, wenn Menschen nicht
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nach seinem Willen handeln? »Auf jeden Fall. Ich glaub’ schon, dass er dann enttäuscht ist. … Die Gefühle des Menschen [sind] nicht gleich wie die Gefühle Gottes, und wir können nicht wirklich wissen, wie sie sind, aber ich glaub’ schon, dass es eine Art von Enttäuschung ist, wenn jemand was Böses macht. Was dann passiert … mit dem Menschen, ich weiß jetzt nicht, ob Gott straft oder ob Gott sich abwendet, aber ich glaub’, dass was passiert. Spätestens nachdem sein Leben auf der Erde beendet ist, wird er gerichtet, nach dem …, was er gemacht hat. Und spätestens dann wird ihm klar, dass er was falsch gemacht hat, auch für ihn.« Wie Gott mit Menschen umgehe, die nicht tun, was er sich wünsche? »Ich denke, dass das Ergebnis von bösen Taten ist eine Leere. Das Leben kann … keine vollkommene Zufriedenheit sein, bei einem selbst, wenn man Böses tut. Und das zweite ist dann das Leben nach dem Tod, … wo man dann seine Taten rechtfertigen muss. … Es ist jetzt natürlich so, dass die Bibel sagt, wer an Jesus glaubt, der hat das ewige Leben, aber wenn man an seinen Namen glaubt, dann ist man auch davon überzeugt, dass man seinem Nächsten Gutes tun muss und daraus resultiert, dass man keine bösen Taten macht. Hauptsächlich glaub’ ich, wer Böses tut, dass der keine volle Zufriedenheit haben kann.« Es geschehe viel Schlechtes in dieser Welt, ob Gott daran schuld sei? »Nein, nicht an allem. … Ich bin überzeugt davon, dass an Sachen, wie Erdbeben oder Tsunamis oder was es alles gibt, Gott nicht schuld ist. Und der Grund dafür ist, dass ich überzeugt bin, dass Gott nur das Beste für uns will, und diese Sachen sind auf den Menschen zurückzuführen, auf jeden Fall.« Ob es auch etwas gebe, was nicht auf den Menschen zurückzuführen ist, z. B. Naturkatastrophen? Ob Gott dann daran schuld sei? »Es kann schon sein, dass Gott damit was sagen will. (stockt) Es ist möglich, dass Gott durch das Leid, also durch das Leid von Menschen, was ausdrücken will, so seh’ ich das.« Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, an denen er, Corvin, besonders an Gott denke? »Ja, wenn gute Sachen passieren. Wenn erfreuliche Sachen passieren, dann fällt mir Gott ein, weil ich so dankbar bin, dass ich das bekommen hab’. Wenn Schlechtes passiert, dann fällt mir Gott ein. Ich denke, dass es einen Plan gibt für jeden Menschen und das ist beruhigend.« Ob er ein Gefühl der besonderen Nähe Gottes kenne? » … diese Jugendversammlungen, man kann das nicht wirklich erklären, was da ist, aber es ist diese Atmosphäre. Es ist einfach anders. In dem Moment fühlt man sich einfach so wohl und … man ist davon überzeugt, dass alles im Lot ist. Und das ist die Anwesenheit Gottes, davon bin ich überzeugt.« Eine Überschrift über die Gestaltung? »Ich hab’ mal eine Predigt gesehen von einem ziemlich berühmten Prediger aus den USA und der hat darüber geredet, wie groß Gott ist. Er hat Sachen aufgelistet, damit man sich ca. vorstellen kann, wie groß Gott ist. Z. B. hat er einen Stern genommen, der ist so groß, dass, wenn
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man die Erde in der Größe eines Golfballs packen würde, dann könnte man das Ernst Happel-Stadion 4000mal füllen mit Golfbällen, so groß wäre dieser Stern und in der Bibel steht, dass Gott nicht mal einen Finger gerührt hat, um das Universum zu erschaffen, sondern durch Gottes Wort ist es entstanden. Im Laufe dieser Predigt fühlt man sich immer kleiner und dann an einem bestimmten Zeitpunkt fängt er an darüber zu reden, obwohl wir so klein sind und so wertlos eigentlich, dass Gott sich trotzdem für jeden einzelnen von uns interessiert und dass er uns will und der Titel dieser Predigt … »how great is our god«. Wie groß ist unser Gott und so würd’ ich das Bild nennen.« Positionierung mit einem Gottessymbol
Corvin sucht sich als Symbol für Gott das Netz der Liebe und Verbundenheit aus. Er stellt den Fröhlichen, den Ängstlichen und den Nachdenklichen ganz nahe ans Netz. Den Traurigen positioniert er ebenfalls ganz nah an das Netz, allerdings den anderen drei Figuren gegenüber. Der Zornige steht etwas weiter entfernt. Den größten Abstand hat der Schuldbeladene. Alle Figuren sind dem Gottessymbol zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
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Corvin positioniert die anderen Gottessymbole um das zuerst Gewählte, das Netz der Liebe und Verbundenheit, herum und stellt dann die Figuren dazu. Den Ängstlichen stellt er zwischen Gott-Vater und die Kraft. Den Traurigen setzt er zum Symbol für die mütterliche Seite Gottes. Der Fröhliche wird von ihm zum Licht und der Nachdenkliche zur inneren Stimme gestellt. Dabei stehen alle Figuren sehr nah bei den jeweiligen Gottessymbolen. Den Zornigen stellt Corvin jetzt näher als bei der ersten Positionierung an das Netz der Liebe und Verbundenheit, aber nicht so, dass er mit dem Netz in Berührung ist. Der Schuldbeladene steht nach wie vor weit ab von der ganzen Szene, aber den Gottessymbolen zugewandt. Gebetsfragebogen Das Wichtigste ist für Corvin beim Beten, mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken. Wichtig ist für ihn, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen, und er ergänzt dazu noch: »Gott um Vergebung (zu) bitten«. Corvin rechnet sowohl mit direkter Heilung durch Gott als auch mit indirektem Eingreifen Gottes durch Ärzte und Medikamente. Er ergänzt dazu seinen Kommentar : »ich glaube, dass Gott sowohl selbst eingreifen kann als auch durch andere Menschen wirken kann.« Bei seinen eigenen Gebeten für eine kranke Person wählt er nicht das Gebet um direkte Heilung, sondern gleich drei Gebete. Er erwartet eine Befreiung aus der äußeren Notlage durch Gottes indirektes Handeln und ihm ist die Souveränität Gottes dabei wichtig. Er zeigt aber auch eine Aufgeschlossenheit für spirituelle Hilfeleistung. Corvin betet häufig am Morgen, vor dem Essen, wenn er Angst, Kummer oder Sorgen hat, wenn er sich einsam fühlt oder sich etwas wünscht, wenn er vom Leid anderer Menschen hört und weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Er betet manchmal am Abend, im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen oder wenn er sich freut. Corvin ist als Kind rumänischer Eltern in Österreich geboren und in einer Baptistenfamilie aufgewachsen. Schon seine Großeltern waren Baptisten. Die Eltern sind als junge Erwachsene nach 1989 von Rumänien nach Österreich gekommen. Er gehört zur zweiten Generation von Migranten. Corvin geht in Österreich in ein Gymnasium und macht gerade Matura (Abitur). Er besucht die Jugendgruppe einer rumänischen Baptistengemeinde und gemeinsam mit anderen Jugendlichen aus rumänischen Familien gemeindeübergreifende Jugendveranstaltungen, die von rumänischen Gemeinden in Österreich veranstaltet werden und in rumänischer Sprache stattfinden340. Corvin ist laut Selbsteinschätzungsfragebogen mit seinem Leben sehr zufrieden. Der 340 Baptistische Jugendliche rumänischer Herkunft nehmen in der Regel nicht an den Jugendtreffen österreichischer Jugendgruppen teil, sondern haben gemeinsam mit anderen rumänischen Freikirchen jährlich stattfindende österreichweite Jugendveranstaltungen.
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Glaube ist für ihn sehr wichtig und er erlebt seinen Glauben als sehr unterstützend. Den Gottesdienst besucht Corvin, so oft er kann und andere Veranstaltungen (Gebetstunden, Jugendabende und andere) häufig. Seine Gemeinde ist für ihn sehr wichtig und er arbeitet häufig mit. Auch außerhalb der Gemeindeveranstaltungen hat Corvin oft Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Die Bibel ist für ihn sehr wichtig. Die praktische Nächstenliebe ist für ihn wichtig. Er engagiert sich aufgrund seines Glaubens häufig sozial, oft nachbarschaftlich und manchmal politisch für seine Mitmenschen. Corvin war sehr gerne zum Interview bereit und kommt mit seinem Bruder gemeinsam zum Gespräch. Die Interviews finden anschließend an die gemeinsame Erklärungs- und Gestaltungsphase im Einzelgespräch statt. Corvin braucht nicht lange, um seine Metapher zu gestalten. Er sucht aus dem Materialbuffet ein zerbrochenes Schmuckstück, eine große blaue Scherbe und ein weißes Netz aus und legt alles auf seine Unterlage. Im Zentrum liegt das Schmuckstück, das von der blauen Scherbe zugedeckt wird, aber durchscheint. Um die Scherbe herum legt Corvin locker das weiße Netz wie einen Ring. Die Scherbe liegt nicht ganz mittig und der Ring, der teilweise über die Unterlage hinaus geht, umschließt sie nicht ganz. Der Ring wirkt durch sein lockeres Volumen einerseits wie ein Schutz, ein Puffer für die zerbrechliche Scherbe. Andererseits lässt er durch seine glänzende und schimmernde Struktur an etwas Wertvolles denken. Es entsteht eine Spannung zwischen der scharfkantigen, festen, aber doch zerbrechlichen Scherbe und dem leicht zu zerschneidenden Netz. Unter der Glasscherbe ist nur schwer das Schmuckstück erkennbar. Es wirkt eher versteckt als geschützt. Für Corvin selbst stellt seine Metapher die Größe Gottes dar, was er auch mit dem Titel »How great is our God« ausdrückt. In der Mitte ist der »kleine« Mensch (das zerbrochene Schmuckstück), durch Gottes Hand (Scherbe) geschützt und vom »großen« Gott selbst, durch den Heiligen Geist (das Netz) immer umgeben. Interessant ist die groß-klein Ambivalenz innerhalb der Metapher. Der Mensch, eigentlich angesichts des Universums klein und wertlos, ist für Gott wichtig, wertvoll und schützenswert. In der Metapher findet sich ein doppelter Schutz: Die Scherbe (Gottes Hand) schützt das Schmuckstück, indem sie es bedeckt, und das Ganze wird von dem umgebenden Netz gepuffert und geschützt. Der Schutz Gottes erscheint hier ambivalent. Wie kann ein zerbrechliches Stück Glas ein Schmuckstück schützen? Auch wirkt die Scherbe eher gefährlich und es scheint, als ob das Netz die Außenwelt vor der Scherbe schützt. Teilt Corvin hier unbewusst etwas über die Zerbrechlichkeit seiner Gottesvorstellung mit? Corvin selbst identifiziert sich mit dem Schmuckstück, dem wertvollen Menschen, der von Gottes Hand geschützt ist. Das Schmuckstück selbst ist zerbrochen, was in gewisser Weise mit der Aussage, dass der Mensch klein und eigentlich wertlos ist, korrespondiert. Corvin erwähnt, als er nach besonderen Erfahrungen der Nähe Gottes gefragt wird, dass er die »Anwesenheit« Gottes bei einer Jugendveranstaltung gespürt habe, indem er gefühlt habe, dass »alles im Lot« sei und er sich einfach wohlgefühlt habe. Möglicherweise ist bei ihm nicht immer alles im Lot? Fühlt er sich möglicherweise oft »klein und wertlos«? Hilft ihm seine Gottesbeziehung, sein Selbstwertgefühl ins Lot zu bringen? In seinen Positionierungen zeigt er, dass er sich Gott, wenn er schuldbeladen ist, nicht so nahe fühlt. In beiden Positionierungen ist der Schuldbeladene weit weg von den Gottessymbolen, aber auch von den anderen emotionalen Zuständen. Im Gebetsfragebogen taucht die Schuldthematik ebenfalls auf, wenn er zu dem Punkt »Gott die eigenen Bitten und Wünsche sagen« noch »Gott um Vergebung bitten« ergänzt. Weist eventuell auch das zerbrochene
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Schmuckstück auf Corvins Schuldgefühle hin? Will er mit der Metapher ausdrücken, dass er sich trotz seiner »Schuld« in Gottes Hand geschützt fühlt und mit sich und Gott im Lot sein kann? Oder zeigen die Positionierungen, dass Corvin, wenn er mit sich selbst nicht im Reinen ist, er sich nicht in die Nähe Gottes »traut«. Eine ausgesprochene Gewissensängstlichkeit ist aber sonst bei Corvin weniger zu finden, da die Schuld des Menschen sich seiner Meinung nach weniger in einer Bestrafung durch Gott auswirkt, sondern eher in einer Rückwirkung auf den Menschen selbst in Form von Leere und Unzufriedenheit, also eine Art Tat-Ergehen-Zusammenhang. Gute Gespräche mit anderen Menschen deutet Corvin als Eingreifen Gottes in seinem Leben. Er staunt über die biologische, intrauterinäre Entwicklung des Menschen und auch das ist für ihn ein Beispiel für Gottes Wirken in dieser Welt. Weitere Gefühle, die Corvin mit Gott verbindet, sind Dankbarkeit, wenn ihm etwas Erfreuliches passiert, und Beruhigung, wenn etwas Schlechtes geschieht. Er kann negative Ereignisse akzeptieren, weil er überzeugt ist, dass Gott einen Plan mit jedem Menschen hat. Corvin kann auch in schlimmen Situationen Gott vertrauen, weil er sich, wie auch in der Gestaltung dargestellt, in allen Lebenslagen von Gott umgeben und geschützt fühlt. Abgesehen vom Schuldbeladenen zeigt Corvin in den Positionierungen, dass er in allen Gefühlslagen einen Gottesbezug verspürt. Der Zornige steht zunächst etwas weiter entfernt vom Gottessymbol dem Netz der Liebe und Verbundenheit, wird aber in der zweiten Positionierung gerade diesem Symbol zugeordnet. Nach Corvins Gottesverständnis ist Gott der Schöpfer, der immanent in der Welt und dem Menschen ist und indirekt in dieser Welt handelt. Alles, was geschieht, führt Corvin auf den Willen Gottes zurück. Gott ist dem Menschen zugewandt. Ob der Mensch eine Beziehung zu Gott hat, liegt am Menschen. Der Wille Gottes, das Menschen einander lieben, ist im Gewissen des Menschen verankert. Corvin meint, dass Gott vom Menschen enttäuscht sein kann, sieht aber eine andere Qualität im »Fühlen« Gottes. Corvin hat kein legalistisches Gottesverständnis. Gott straft nicht, aber für Corvin ist wichtig, dass der Mensch Einsicht in sein böses Handeln bekommt (z. B. durch ein Gericht nach dem Lebensende). Christen sind nach Corvin zu einem guten Handeln aus dem Glauben an Jesus verpflichtet. Auf die Problematik, dass auch Christen in ihrem Handeln scheitern, geht Corvin nicht ein. Die Schuldfrage lässt er bei sich und anderen offen. Vergebung und Gnade werden (im Interview) nicht thematisiert. Gebetsfragebogen und Positionierung weisen aber auf eine Relevanz für Corvin hin. Wie geht er wirklich damit um, wenn er sich schuldig fühlt? Muss Schuld abgespalten werden, weil ein Christ ja gut handelt? Im Hinblick auf die Theodizeefrage weist Corvin dem Menschen die Schuld am Übel zu. Gott will das Beste, ist aber mit dem Leid dadurch verbunden, dass er durch das Leid eventuell etwas ausdrücken möchte. Von der Struktur her ist Corvins Gottesvorstellung theistisch, mit wenig Ambivalenzen. Gott ist dem Menschen gegenüber gut, liebevoll, zugewandt, beschützend. Corvin spiegelt sich selbst in seiner Gottesvorstellung, indem er sich im Gegenüber zu Gott als kleiner, aber wertvoller Mensch erlebt. Er kann sich Gott anvertrauen und auch schwierige Situationen annehmen. Was Corvin erzählt, lässt wenig »Eigenes« erkennen. Zu fragen ist, wie sehr er sich im von den Eltern und der Gemeinde übernommenen Deutungsrahmen bewegt und wie tragfähig seine Gottesbeziehung aufgrund der wenig vorhandenen Ambivalenzen im Krisenfall ist. Zu fragen ist auch, ob Corvin sich klein fühlen muss, oder ob ihm nicht im Rahmen seiner Gottesbeziehung auch eine andere
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Selbstsicht zuwachsen kann. Nämlich auch mit der eigenen Schuld angenommen zu sein und nicht nur ein kleiner, schützenswerter Mensch, sondern auch ein begabter und befähigter Mensch, der mit Gott mitwirkt in der Gestaltung dieser Welt? Muss man sich klein fühlen, um die Größe Gottes zu erkennen, oder zeugt diese Einstellung von geringem Selbstwertgefühl und der Gottesbeziehung kommt dann die Funktion zu, diese Gefühle auszugleichen? Interessant ist abschließend noch die Frage, wie sehr es eine Rolle spielt, dass Corvin sich auf einem Jugendtreffen mit rumänischen Jugendlichen so sehr im Lot fühlt. Welche Rolle spielt die Muttersprache für die religiöse Beheimatung? Wie sehr lebt Corvin spirituell in zwei Welten? Ist es ein Zufall, dass er als ein Beispiel für das »gigantische« Eingreifen Gottes die »Evolution« des Fötus anführt. Versucht er hier eine eher kreationistische, konservative Theologie und einen Biologieunterricht mit heutigem Wissenschaftsbezug zusammenzubringen. Wie erlebt er sich selbst als Kind rumänischer Eltern in Österreich? Spannende Fragen, denen man in weiteren Untersuchungen nachgehen könnte.
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3.3.1 Dorita – Gott ist Kraft Dorita ist zwischen 40 und 50 Jahre alt und im Sozialbereich tätig. Gottesmetapher
Dorita legt in ihrer Materialcollage einige Rindenstücke und viele naturfarbene Bastfäden auf blaues und grünes Seidenpapier. Dies stelle für sie den Heiligen Geist dar. Sie habe sich einen Wasserfall an einem wunderschönen Tag vorgestellt. Die Farben des Seidenpapiers stünden für »Licht und Leben«, das Blau insbesondere für »Kraft«. Sie wünsche sich, »Gottes Persönlichkeit zu fühlen«, »ihn heute so nah zu spüren«. Das »Wildwasser« (symbolisiert durch die Bastfäden) gehe in alle Richtungen; man könne es nicht beherrschen oder zü-
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geln. »Es ist einfach das Wasser, die Kraft, und ich denke, das ist einfach der Heilige Geist, der kommt, und du weißt nicht, von wo er kommt und wohin er geht, das ist da und du kannst ihn nicht erfassen, du kannst ihn nicht in eine Form … stecken, sondern er ist einfach da und Kraft und Macht und ja, für mich war das heute mein Wunsch von Gott.« Dorita streicht später heraus, dass es schwer sei, die Kraft und das Licht Gottes mit diesen Materialien zu repräsentieren. Das hier sei nur ein kleines Bild für etwas »Übernatürliches«. Die Rinde symbolisiere die Felsen, über die das Wasser falle und stehe für die Felsen, über die wir Menschen viele Male gehen müssen. Der Heilige Geist komme auch durch diese Felsen. Dorita vergleicht ihr persönliches Leben mit dem Bergsteigen: »Ich möchte immer hinauf, es gibt immer auch Hindernisse, es gibt immer Felsen, die ich überwinden muss mit (der) Hilfe Gottes. Und das sind die (Felsen), die sind auch präsent, aber das Drumherum … ist Gott.« Wenn das die Felsen seien, was Gott dann für sie sei? »Gott ist die Kraft, die mir da hilft, rauf zu kommen, Stück für Stück. Manchmal bleibe ich ein bissi stecken und denke ein bissi nach, und schau mich um und dann gehe ich ein bisschen weiter, … manchmal, ja, bleib’ ich sogar (ein) paar Tage stecken, dann hilft Gott mir wieder hinaus und [ich] steige ein kleines Stücki.« Felsen seien für sie, Dorita, eine Herausforderung: »… und ich weiß, ab und zu bin ich nicht bereit. Ab und zu bin ich sprachlos und ich denke: ›Oh Jesus, was jetzt noch‹, ja. Und dann warte ich ein paar Tage, bis es still ist in mir und dann denk’ ich: ›Hej, irgendwas stimmt nicht. Ich habe nichts. Ich bin wieder blind und ich brauche das Licht und der Herr hat gesagt, er ist das Licht‹. Dann komm’ ich zu Jesus und er macht mir wieder die Augen auf und er gibt mir diese – ich bin da – diese Sicherheit und dann – es geht wieder.« Dann fühle sie sich »gleich anders« und leichter. »Alles … scheint wieder in Ordnung zu sein, auch wenn die Probleme noch da sind. Diese Erfahrung hab’ ich mit Gott gemacht, ja.« Ab und zu frage sie sich aber noch, warum sie tagelang nicht aus einem Loch herauskomme und woher das komme. Ob es Erfahrungen in ihrem Leben gebe, wo sie das Gefühl habe, Gott sei nicht da? Eigentlich nicht, Gott sei für sie schon immer da gewesen, weil sie aus einer katholischen Familie komme und so geprägt sei, dass es einen Gott gebe, aber sie habe » den Herrn nicht persönlich kennen gelernt«. Vielleicht habe sie viele Jahre Gott nicht gesucht und es habe in ihrem Leben vielleicht fünf Minuten gegeben, »wo ein Wort da hinter meinen Ohren [war], das gesagt hat: ›es gibt keinen Gott‹, und ich habe gewusst sofort, dieses Wort, also diese Stimme kommt nicht von mir, [sie] ist von jemand anderem und ich habe gesagt: ›nein, im Namen Jesus Christus, ich weiß, es gibt einen Gott und ich weiß, dass er mich liebt‹. Und seitdem zweifel ich nicht, dass [es] einen Gott gibt. Vielleicht zweifel ich, dass ich das nicht mehr kann, dass ich … herumschaue und denke: ›Oh weh, hej, wie weit noch‹ und im Moment gibt Gott mir die Antwort und es geht dann
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langsam bergauf, also ich fühle mich leichter, es geht einfacher.« Sie könne Gott nicht immer leicht spüren, aber wenn man an einen Gott glaube, dann müsse man ihn immer wieder rufen. Gott wolle, dass wir »auch hundertprozentig« an ihn glauben würden, auch in den Schwierigkeiten, wenn der Mut weggehe. Besonders dort sollten wir Gott vertrauen. Wo sie selber in der Gestaltung sei? Sich selbst sieht Dorita noch außerhalb der Gestaltung, weil sie ja den Wunsch danach habe, in dieses Wasser einzutauchen. Sie wünsche sich, vom Heiligen Geist geleitet zu werden, und stelle sich vor, dass es dann leichter für sie sei, mit schwierigen Situationen umzugehen. Sie müsse dann nicht mehr menschlich, sondern könne geistlich reagieren. Was denn der Unterschied zwischen einem geistlichen und einem menschlichen Reagieren sei? Menschlich sei für sie nur, das Problem zu sehen und nach einer natürlichen Lösung zu suchen. Geistlich sei, mit Geduld zu warten und zu schauen, was Gott machen möchte. Sie, Dorita, sei aber oft ungeduldig und möchte so schnell wie möglich etwas erreichen. Sie sei dann »ungemütlich« für sich und andere. Sie bete, dass Gott ihr helfe, ihre Schwäche zu kontrollieren. Ihr Charakter gehöre gezähmt. Sie sei ab und zu »sehr, sehr zu emotional«, aber der Herr sei allmächtig. Sie habe Gott gebeten:« Bitte, lass mich nicht nur … für meine Emotionen leben«, weil die Emotionen sie in eine falsche Richtung weisen könnten. Das könne sie jetzt nicht brauchen, vielleicht wenn sie 60 sei. Jetzt brauche sie einen klaren Kopf für ihre Kinder und dafür, ihr Leben mit Gott zu verbringen. Durch die Kraft Gottes (Materialcollage) wolle sie, Dorita, sich verändern. Es gehe ihr dabei eher um die Beziehung zu Gott, als um die Beziehung zu anderen Menschen: »Ja, ja genau durch die Kraft Gottes möchte [ich] mich verändern. Eigentlich nicht nur für meine Mitmenschen, sondern dass ich auch die Stimme Gottes hören kann, dass ich mit ihm mehr Gemeinsames habe. Es geht mir nicht um den anderen Menschen.« Sie könne auch still sein und ihren Mund halten, aber das sei auch nicht das, was Gott von ihr wolle. Es gehe ihr um die Beziehung zu Gott und das, was er von ihr erwarte. »Also, ich möchte nicht nur ein Leben führen, dass ich sage: ›Ja, ich bin Christin‹, aber ich bin so halb, halbhalb. Also nein, ich möchte mich entwickeln. Ich möchte, dass der Herr dort arbeitet, und ich weiß nur, dass der Heilige Geist [das] machen kann.« Wie das ausschaue, wenn Gott zu den Menschen rede? Wenn sie sage, sie möchte Gottes Stimme hören, wie das für sie selbst ausschaue? Für sie selbst sei das so, wenn sie bete, dann lese sie in der Bibel und wisse, was sie zu tun habe. Sie wisse, das sei okay und das nicht; oder wenn sie etwas zu bereuen habe oder verzeihen solle. So habe sie der Herr geleitet, aber sie wisse, dass der Heilige Geist mehr machen könne »in uns«. Was dieses mehr sein könne? Zum Beispiel, wenn sie selbst in Gefahr sei oder wenn sie in ihrem Inneren wisse, dass ein anderer Mensch Hilfe brauche: »Wenn ich die Bedürfnisse von anderen Menschen nicht [kenne], aber trotzdem der Geist in meinem Inneren sagt, dieser
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Mensch braucht Hilfe, dass ich das erkennen kann, dass ich nicht einfach vorbeigehe.« So etwas wünsche sie sich. Wie Gott sonst noch zu Menschen reden könne? Dorita meint, dass Gott durch Situationen, Katastrophen, Gefühle, die Schöpfung und andere Menschen auch zu denen spreche, die nicht an ihn glauben und damit noch nicht aufgehört habe. Der Herr habe zu ihr geredet, auch als sie noch nicht Christin war. »Wenn ich zurückdenke, denke [ich]: ›Herr, … Du möchtest uns was sagen, wir sind ein bisschen taub und blind und wir können dich nicht sehen und wir können dich nicht hören, weil … wir mit dir keine Verbindung haben, keine richtige Verbindung, aber der Herr möchte mit uns reden.‹« Gott helfe den Menschen und auch ihr, dass nichts passiere. Und wenn die Situation vorüber sei, dann wisse sie, dass Gott hinter dem gewesen sei, was ihr geschehen sei. Ob Gott in dieser Welt handle? Sie, Dorita, glaube an ein Handeln Gottes in dieser Welt, sei es durch Wunder, wenn jemand um Gottes Hilfe bitte, wie sie es in Mexiko gehört habe, oder auch dadurch, dass Menschen leiden müssten (Naturkatastrophen). Der Heilige Geist handle auch durch Menschen, die Gott kennen. Gott handle auch durch seine Liebe; auch an Menschen, die ihn nicht so gut kennen würden. Sie glaube, dass Gott aus Liebe und Gnade noch zu den Menschen rede. Er rede auch durch Krankheiten, indem er Menschen wieder aufhelfe und ihnen noch eine Chance gebe. Wie Gott mit Menschen umgehe, die Böses tun? Gott hebe »die Menschen wirklich jederzeit auf« und gebe ihnen noch eine Chance. Es gebe viel Schlimmes auf der Welt. Ob Gott daran schuld sei? Nein, natürlich sei Gott nicht daran schuld. Das Schlimme komme durch die Sünde in die Welt. Durch die Sünde hätten die Menschen sich »noch verschlechtert« und vieles passiere, weil wir Menschen böse oder sündhaft seien. Vieles, was passiere, sei Konsequenz menschlichen Handelns. Das Böse bringe Böses. Sie, Dorita, denke nicht, dass Gott daran schuld sei, »sondern im Gegenteil, er würde uns von diese(n) Sachen abhalten wollen«. Ob es bestimmte Orte oder Zeiten gebe, wo Gott ihr besonders nahe sei? Sie habe einen Lieblingsort, an dem sie denke »… da ist der Herr mir nah, weil es ist leise, es ist schön, und ich kann mich am besten dort treffen, mit ihm treffen«. Ob sie das Erlebnis der besonderen Nähe Gottes kenne? So ein Erlebnis, wie Mose, habe sie nicht gehabt, aber in ihrem Leben habe sie zwei oder dreimal Gottes Anwesenheit, Kraft und Allmacht erlebt. (2x) »Wo er mich einmal befreit hat von sehr, sehr vielen Sachen, und da hab’ ich gesehen, der ist allmächtig.« Wie sie Gott im Alltag erlebe? Das sei sehr unterschiedlich und liege an ihrer Stimmung. Sie versuche, zweimal am Tag zu beten. Manchmal sei sie sehr müde, aber sie »versuche, trotzdem zu sagen: ›Danke für den Tag‹ und einen Bibelvers zu lesen und damit so einzuschlafen, weil das ist das beste Schlafmittel«, das sie kenne. Sie versuche mit dem Herrn eine tägliche Kommunikation aufrechtzu-
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erhalten, unabhängig von ihrer Stimmung. Ihre Emotionen seien sehr unterschiedlich. Manchmal sei ihr Alltag grau und manchmal könne sie vor Freude springen. Sie achte nicht auf ihre Emotionen, sondern bitte Gott um Weisheit, wohin sie gehen solle, und darum, zu sehen, was dahinter stecke, was nicht in Ordnung sei. Manchmal fühle sie sich eingeengt und dann denke sie daran, dass Gott sie schon befreit habe und dass dieses Gefühl nicht von Gott sei. Diese tägliche Kommunikation mit Gott sei morgens und abends. Zwischendurch, während ihrer Arbeit, denke sie nicht so an Gott, aber wenn sie Situationen erlebe, in denen sie sich angegriffen fühle, dann bete sie schnell und kurz: ›Herr, hilf mir!‹. Eine Überschrift für das Bild? Gott ist Kraft. Positionierung mit einem Gottessymbol
Dorita wählt in der ersten Positionierung als Gottessymbol den Vater im Himmel. Zu diesem Symbol hat sie zurzeit den meisten Bezug. Ganz nah darf die traurige Figur dem Vater im Himmel kommen. Sie lehnt am Gottessymbol. Die fröhliche, die nachdenkliche und die schuldbeladene Figur sind auch sehr nah und bilden quasi mit der traurigen Figur gemeinsam eine kleine Gruppe. Weiter weg sind die ängstliche und die zornige Figur. Beide haben aber den Blick auf das Gottessymbol gerichtet.
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Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Weitere Gottessymbole positioniert Dorita im nächsten Schritt dann in einem offenen Kreis. Hier bleibt die Nachdenkliche beim »Vater im Himmel« stehen. Die Fröhliche ordnet Dorita dem mütterlichen Aspekt Gottes zu. Die schuldbeladene Figur steht neben der Kraft. An die »innere Stimme« ist die traurige Figur gelehnt. Die Zornige steht beim Licht. Im »Netz der Liebe und Verbundenheit« steht die Ängstliche. Die Figuren stehen den einzelnen Gottessymbolen jeweils sehr nahe, sind damit in Berührung. Das Symbol für die Quelle des Lebens findet bei Dorita keine Verwendung. Gebetsfragebogen Dorita ist der Dialog mit Gott und die Dankbarkeit Gott gegenüber am wichtigsten. Auch ist es ihr wichtig, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen und ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Die äußere Form, still sein und Händefalten, ist ihr weniger wichtig. Sie ergänzt noch, dass es ihr wichtig sei, eine innere Ruhe zu spüren. Dorita erwartet ein indirektes Eingreifen Gottes und seine konkrete Hilfe in einer passiv-vertrauenden Haltung. Sie formuliert dazu auch ein eigenes Gebet: »Gott, du bist allmächtig und in deinen Händen ist alles, sogar die Gesundheit von Anna. Ich bitte Dich, Herr, gib’ ihr ihre Gesundheit wieder zurück! Im Namen Jesu, Amen!« Hier finden wir eine dringliche Bitte um ein direktes Eingreifen Gottes, ebenfalls in passiv vertrauender Weise und materieller Erwartungshaltung. Durch die Formel am Schluss klingt fast etwas Magisches an. Mit ihren Antworten bietet Dorita hier ein kleines Spektrum von Möglichkeiten und ist damit nicht so einfach einzuordnen. Auf jeden Fall spiegelt sich hier wieder, was auch im Gespräch deutlich wird. In Notsituationen hält Dorita ein intensives Gebet um Gottes (in-)direktes Eingreifen für angebracht. Ihre Gebetspraxis besteht aus morgendlichen und abendlichen Gebeten. Zum Abschluss des Fragebogens nennt sie Fragen zum Gebet, die sie gerne mit jemandem besprechen möchte: »Hört Gott mein Gebet, wenn ich in Verwirrung gerate? Wird Gott mir helfen, wenn ich selbst nicht weiß, was ich will?«
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Dorita kommt ursprünglich aus Mexiko und ist in einer katholischen Familie aufgewachsen. Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist Anfang vierzig und lebt seit mehr als fünf Jahren in Österreich. Sie musste sich hier sprachlich und beruflich neu orientieren und ist nun im sozialen Bereich tätig. Sie besucht seit ihrem Bestehen die Latinobaptistengemeinde. Vorher hatte sie Kontakt zu einer anderen Freikirche. Zum Interview hat sie gerne zugesagt und sie arbeitet engagiert und mit Leichtigkeit an ihrer Materialcollage. Sie legt mit blauem und grünem Seidenpapier eine Art Landschaft, wobei das grüne Papier über die Unterlage hinausgeht. Auf das blaue Papier legt sie Rindenstücke und über das Ganze dünne Bastfäden. Insgesamt wirkt die Gestaltung sehr bewegt und lebendig, vielleicht auch etwas unruhig und wirr. Für Dorita selbst stellt das einen Wasserfall dar und sie gibt ihrer Metapher den Titel: Gott ist Kraft. Gottes Kraft ist für sie mächtig und unbändig (Wildwasser, was in alle Richtungen geht und sich nicht kontrollieren lässt). Diese Kraft hilft ihr, ihr Leben zu bewältigen, und bietet ihr eine Ressource zur Veränderung ihrer Persönlichkeit. Sie verbindet hier zwei Bilder miteinander. Zum einen das Bild des Wasserfalls und zum anderen das Bild vom Bergsteigen. Hier stehen die Felsen (Rindenstücke) für Hindernisse, die schwer zu überwinden sind. Die unbändige Kraft (Wasserfall) hilft ihr, Hindernisse (Bergsteigen) zu überwinden. Eigentlich zwei gegenläufige Bewegungen. Im Wasserfall fällt das Wasser ohne Anstrengung von oben nach unten. Beim Bergsteigen bewegt der Mensch sich unter viel Anstrengung von unten hinauf. Dorita verbindet mit ihrer Gestaltung den Wunsch, Gott in einer Art und Weise zu spüren, wie sie es vor einigen Tagen in einem Vortrag gehört hat. Klingt hier ein Wunsch nach mehr Leichtigkeit (Wasserfallkraft) in ihrem anstrengenden Leben (Bergsteigen), in dem es immer nur ein kleines »Stücki« weitergeht, durch? Mit ihrem Bild vom unbändigen Wasser zeigt Dorita eine große Nähe zu nontheistischer Symbolik, zu dem aber ihr ständiges Sprechen vom »Herrn« in einer starken Spannung steht. Sie stellt Gott als Kraft (Wildwasser), Licht und Leben (die Farben blau und grün) dar. Für sie symbolisiert das den Heiligen Geist und ist ein Hinweis auf die Unverfügbarkeit Gottes. Im Symbolgehalt des Bildes ist das Wasser eine ambivalente Macht. Der Wasserfall kann mitreißend und zerstörerisch sein, aber das Wasser selbst ist Leben spendend und erhaltend. Diese Ambivalenz spiegelt sich sehr wohl in Doritas Alltagserfahrung (ein schwieriges, anstrengendes Leben), aber nicht in ihrer Gottesvorstellung. Hier ist Gott nur der zugewandte, unterstützende, der in Alltagsproblemen und bei Lebensschwierigkeiten hilft. Er ist die Kraft und er gibt ihr die Kraft, um Schwierigkeiten zu überwinden und weiterzugehen. Ihre Gottesbeziehung bekommt hier von ihr einen zentralen Stellenwert, was ihre Motivation angeht, den Schwierigkeiten ihres Lebens zu begegnen. Dorita will unabhängig von ihrem Gefühl an Gott glauben. Zweifel an Gottes Existenz meint sie nicht zu kennen. Aber sie kennt Selbstzweifel, die darin bestehen, ihre Schwierigkeiten zu meistern. Nicht immer ist Gott für sie spürbar, daher kommt dem Gebet, das sich eng an die ihr bekannte kirchliche Sprache anlehnt, eine zentrale Rolle zu: Sie weiß, dass sie Gott »rufen« kann und dass gerade in den Schwierigkeiten ihr Vertrauen in ihn gefordert ist. Durch das Gebet erlangt sie Sicherheit und (die gewünschte) Leichtigkeit, trotz der Probleme, die immer noch da sind. Doritas Gottesbeziehung dient nicht zur Veränderung der Umstände, wohl aber verändert sich die Haltung, die Dorita den Schwierigkeiten gegenüber einnimmt. Anstelle der Selbstzweifel, ob sie es überhaupt
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schafft, kommt das Vertrauen in Gott und das Gefühl, mit den Problemen nicht allein zu sein. Leid wird von Dorita ursächlich nicht auf Gott zurückgeführt. Gott ist eher der, der die Menschen davon abhalten will, Schlimmes zu tun. Die Verantwortung für das Böse in dieser Welt sieht Dorita beim Menschen aufgrund seiner Sündhaftigkeit. Gott ist letztlich nicht verantwortlich für das Leid, aber er handelt aus Liebe und Gnade auch durch schlimme Umstände, Krankheit und Leid, indem er dem Menschen neue Chancen gibt. Doritas Interpretation ihrer Metapher zeigt keine Ansätze, die Macht des Wassers als eine zerstörerische zu sehen. Ihr Gottesverständnis ist geleitet von einem Gott, der durchweg das Gute für den Menschen will und seine Kraft zum Guten einsetzt, wenn auch manchmal durch schwierige Lebensumstände (Katastrophen, Krankheiten, menschliche Schuld). Dorita erwartet sich durch ihre Gottesbeziehung eine Veränderung ihrer Persönlichkeit. Sich selbst beschreibt Dorita als einen sehr emotionalen Menschen und meint, ihr Charakter gehöre »gezähmt«. Sie möchte »geistlich« und nicht »menschlich« reagieren, nicht übereilt und zwanghaft nach einer Lösung suchen, sondern auf Gott hören. Hilfe erwartet Dorita sich hier durch den Heiligen Geist. Sie will mit Gottes Hilfe daran arbeiten, ihre Gefühle zu kontrollieren, weil sie gut für ihre Kinder da sein und ihr Leben gut verbringen will. Ihr Wunsch nach Veränderung geht auch in Richtung eines synergetischen Mitwirkens mit Gott. So wünscht sie sich z. B. ein inneres Wissen darüber, wann ein Mensch Hilfe braucht. Während im Gebetsfragebogen eher Gottes direktes Eingreifen, um das Dorita in passiv-vertrauender Haltung bittet, betont ist, findet sich im Gespräch, neben der passiven Haltung (geistlich reagieren = geduldig warten und auf Gott hören) durchaus eine kooperativ–synergetische Haltung: Dorita sieht sich im Hinblick auf das Verhalten dem Nächsten gegenüber als eine mit Gott mitwirkende Person, und ihren Selbstentwicklungsprozess gestaltet sie synergetisch mit Gott. In den Positionierungen sind die ängstliche und die zornige Figur entfernter vom Gottessymbol aufgestellt. Beide haben aber den Blick auf das Gottessymbol gerichtet. Es mag dem im Interview ausgedrückten Wunsch entsprechen, dass Dorita hier noch, was diese Emotionen betrifft, an ihrer Persönlichkeit arbeiten will, um da »mehr Gemeinsamkeit« mit Gott zu haben. In der zweiten Positionierung zeigt es sich schon anders: Die Zornige steht beim Licht. Im »Netz der Liebe und Verbundenheit« steht die Ängstliche. Die Figuren stehen den einzelnen Gottessymbolen jeweils sehr nahe, sind damit in Berührung. Innerhalb der beiden Positionierungen findet eine kleine Entwicklung statt: Die Zornige darf jetzt nah zum Licht und die Ängstliche ist ganz im Netz der Liebe aufgefangen. In Doritas Gottesvorstellung spiegeln sich einerseits ihre Erfahrungen (Gott ist Hilfe in Belastung; gibt Kraft, Alltagsschwierigkeiten zu bewältigen) und andererseits ihre Wünsche (Kontrolle bedeutsamer Lebensereignisse und Emotionsregulation/ Wunsch, dass durch die Kraft mehr Leichtigkeit in den Alltag kommt). Dorita hat ihren Glauben als Ressource zur Alltagsbewältigung erlebt, weiß aber auch um die Unverfügbarkeit dieser »wilden« Kraft und drückt mit ihrer Metapher ihre starke Sehnsucht danach aus.
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3.3.2 Miguel – Ich bin Gottes Priorität Miguel ist zwischen 30 und 40 Jahren alt und im Bildungsbereich tätig. Gottesmetapher
Auf einer Unterlage befestigt Miguel Scherben, die in ein Netz fallen. Auch im Netz befinden sich schon einige aufgefangene Scherben. Über den Scherben hängt eine Kerze, darunter befindet sich eine kleine Rose, die mit einer Schleife an die Unterlage gebunden ist. Dahinter sind Aufkleber, mehrere »Treuepunkte« und ein Postkleber (Priority) angebracht. Miguel berichtet dazu, dass die blauen, gebrochenen Glasscherben ihn selbst symbolisieren würden. Das sei er, wenn er ein Problem habe. Vielleicht sei er dann gebrochen, aber Gott schütze ihn, wie das Netz die Scherben schütze. Das Netz sei wie Gott. Er selbst sei immer abhängig von Gott, der auch das Licht sei (er zeigt auf die Kerze). Gott sei immer treu, was die Treuepunktaufkleber zeigten; dass er selber Gottes Priorität sei, mache der Postaufkleber deutlich. Er selbst sei unten im Netz. Miguel klimpert mit den Scherben unten im Netz. Er sei gefallen und Gott habe ihn aufgefangen. Er sei in seinen Händen, in seinem Schutz. Auch vergleicht Miguel sich selbst mit der Blume. Er sei wie eine Blume und Gott sei ein Gärtner. Was das für ihn bedeute? Blumen seien schön und der Gärtner müsse die Blumen beschützen und gießen und der Boden müsse fertilisiert werden. Gott wolle, dass er wachse. Ob Gott ihn auffange, wenn er gebrochen sei, ihn schütze und wolle, dass er wachse? Miguel meint dazu, vielleicht wolle Gott nicht, dass er »gebrochen« bleibe. Er wolle, dass er »renoviert«, erneuert werde, vielleicht so wie diese Blume, die etwas Neues sei. Er sei etwas Neues, wie eine Blume. Was das Licht für ihn bedeute? Gott sei das Licht und mit dem Licht würden wir nicht in der Dunkelheit wohnen. Die Schleife, die die ganze Unterlage umfasst, vergleicht
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Miguel mit etwas, das schütze und bedecke. Er macht die Geste einer Umarmung. Wer wen umarme? Wenn er traurig sei oder gesündigt habe, dann brauche er »seine Gnade«, und sogar wenn er gesündigt habe, dann sei Gott treu und wolle ihn umarmen. Was es für Miguel bedeute, gebrochen zu sein? Gebrochen sein sei, wenn er gesündigt habe oder durch eine Situation verletzt sei, aber Gott sei treu und immer dort und sein Netz sei immer bereit. Seine Gestaltung sei sein Masterpiece. Miguel scheint begeistert von seiner Gestaltung und dem, was er selbst bei der Besprechung darin entdeckt. Ob er einen Titel für seine Gestaltung habe? Nach kurzem Nachdenken meint Miguel: »Ich bin Gottes Priorität«. Ob ihm dazu ein Alltagsbeispiel einfalle? Wenn er gesündigt habe oder verletzt sei, sei Gott immer bereit. Miguel zögert ein konkretes Beispiel zu nennen; es sei schwer, darüber zu reden. Ob Gott in dieser Welt handle? Gott tue etwas und er rede auch – Beides. Gott rede mit dem Menschen und Gott sei geduldig. Es gebe auch Wunder in der Welt, aber das sei nicht wichtig; wichtig sei der Glaube (faith). Ob er damit den Glauben oder das Vertrauen meine? »Ja, Vertrauen, Glaube und Gott ist Gott.« Was das bedeute »Gott ist Gott«? Miguel lacht und sagt, Gott müsse nicht etwas tun, damit die Menschen glauben würden. Gott sei Gott und werde sich in der Zukunft offenbaren. Wie das jetzt sei? Jetzt gebe Gott »uns durch den Heiligen Geist Frieden und Liebe. Friede, Geduld, das ist super-, supernatural«. Vielleicht sei bei einem Menschen ein Angehöriger verstorben, aber er vertraue Christus und könne in dieser Situation Frieden haben. Frieden, obwohl seine Familie tot sei, das sei vielleicht »supernatural«. Gott gebe »uns Frieden und Geduld und … Kraft und Stärke und Liebe und wir können alles … vergeben und das ist Gott. Und wir können besser sein und Gott gibt uns auch die … Freiheit.« Wenn eine Person Probleme habe mit Gewohnheiten (Süßigkeiten) oder Süchten (Drogenprobleme), da könne Gott helfen. Ob Gott sich etwas wünsche, wie der Mensch eigentlich sein solle? Gott wolle eine Beziehung mit den Menschen haben. Woher der Mensch das wissen könne, was Gott wolle? Durch die Bibel oder durch andere Christen. Wenn der Mensch sich nicht so verhalte, wie Gott es sich wünsche, wie das für Gott sei? Miguel glaube, Gott sei dann traurig, wenn die Menschen keine Beziehung mit Gott haben wollen, aber Gott liebe die Menschen und versuche es weiter. … Gott finde und suche die Menschen, weil die Menschen verloren seien, aber Gott sei nicht verloren. Miguel glaube, dass die Menschen etwas Großes, Besseres, Großartiges suchen, aber die Dinge hier auf der Erde sind es nicht. Die Menschen fühlen sich weiterhin leer. Es gebe viel Schlimmes auf der Welt. Was das mit Gott zu tun habe? Gott habe es in seinem Wort gesagt. Es gebe Prophetien, dass es in den letzten Tagen viele Naturkatastrophen geben würde. Das seien Zeichen, dass Gott, das Christus zurückkommen werde. Ob Miguel denke, dass Gott etwas damit zu tun habe und
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das mache? Da gebe es das Problem mit dem »Fall«. Dadurch, dass Adam und Eva die Sünde in die Welt brachten, würden wir in einer gefallenen Welt leben. Ob das, was jetzt passiert, Folgen des Sündenfalls seien? Das und auch das, dass die Welt lebt und nicht tot sei. Wasser und Erde seien in Bewegung und dann sei das Problem, dass Menschen dort wohnen, wo dies geschehe (Naturkatastrophen). Viele Dinge seien »mysteriös«, wir können nichts darüber sagen. Wie Gott mit den Menschen umgehe, die Böses tun? Wenn die böse Person erkenne, dass sie böse sei und an Jesus glaube, dass könne Gott dieser Person vergeben. Wenn diese Personen Jesus Christus nicht erkennen, seien diese Personen »schon tot«, »spirituell tot«, und sie seien »sehr weit weg von Gott«. Wenn diese Personen sterben, seien sie sehr weit weg von Gott, an einem sehr dunklen Ort. Ob er das Gefühl der Nähe Gottes kenne? Miguel deutet an, dass er etwas erzählen möchte, aber es fällt ihm sichtlich schwer. Er könne es verschlüsselt erzählen, wenn es zu privat sei. Er sei auf der Suche nach Jesus gewesen, und bevor Jesus sein »Retter wurde«, sei er dabei gewesen, etwas Falsches zu tun. Er habe vorgehabt, mit jemandem gemeinsam zu sündigen. Er sei in einem Auto gesessen und jemand anderer in einem anderen Auto und sie wollten etwas Falsches tun. Die andere Person habe einen Autounfall gehabt und so habe er nichts Falsches machen können. Er wolle nichts Genaueres erzählen, aber er habe gewusst, dass es Gott gewesen sei, der den Unfall provoziert habe341. Um ihn davon abzuhalten zu sündigen? Um ihn davon abzuhalten! Miguel lacht sehr, als er davon erzählt. Es sei hoffentlich kein schwerer Unfall für die andere Person gewesen? Nein, es sei kein schwerer Unfall gewesen. Gott sei Dank, sei er beschützt gewesen. Ob ihm noch etwas anderes zum Gefühl der Nähe Gottes einfalle? Sein Plan sei gewesen, nicht in dieser Stadt zu bleiben. Er habe in das Land zurückgehen wollen, in dem er zuerst in Europa gearbeitet habe, aber jemand habe ihm hier eine Arbeit angeboten. So sei er hier mit den »Latinos« zusammen und habe etwas Besonderes. Er denke, das sei Gottes Ziel und Gottes Wille gewesen, und daher sei er hier geblieben. Er wohne in einem Gemeindehaus und habe nur geringe Kosten und eine gute Arbeitsstelle. Er denke, das sei Gottes Wille; und wenn es nicht Gottes Wille sei, dann sei es vielleicht schwierig. Es wäre dann ein schwieriges Leben.
341 Wörtlich: I’m not being specific, but, but so I, I knew that it was God (lacht), that has provoke this accident. To prevent you from doing the sin (lacht)? To prevent me (lacht)!
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Positionierung mit einem Gottessymbol
In seiner Positionierung sucht sich Miguel als aktuelles Gottessymbol die Kraft (Batterie) aus und stellt sie wortlos auf. Alle Figuren stehen allein in einer lockeren Reihe geordnet. Am nächsten ist die traurige Figur dem Symbol, darauf folgt die ängstliche. Die fröhliche Figur steht in der Mitte, ein wenig weiter die nachdenkliche. Weiter weg die schuldbeladene Figur. Am weitesten entfernt ist die zornige Figur. Alle Figuren sind dem Gottessymbol zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Ein etwas anderes Bild zeigt Miguel bei der Positionierung der Figuren mit allen Gottessymbolen. Hier stehen die einzelnen Figuren sehr nah an den Gottessymbolen, bis auf die zornige Figur, die ganz allein den im Halbkreis aufgestellten Symbolen und Figuren gegenüber steht, weit entfernt, aber bezogen auf das Symbol für Gott-Vater, das zentral in der Mitte des Halbkreises steht. Der Nachdenkliche lehnt an der inneren Stimme, der Ängstliche an der Kraft. Der Schuldbeladene befindet sich im Netz der Liebe und Verbundenheit. Das Symbol für den weiblichen Aspekt Gottes (Matrioschka) stellt Miguel mit dem Licht zusammen. Der Fröhliche steht vor der Matrioschka, der Traurige lehnt hinten an ihr.
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Gebetsfragebogen Beim Beten ist Miguel der Dialog mit Gott und der Dank an ihn wichtig. Es ist ihm auch wichtig, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Er ergänzt zudem noch, dass ihm auch »ein Gefühl von Frieden« wichtig ist. Gott die eigenen Bitten und Wünsche sagen ist auch wichtig, während die äußere Haltung, das Still-sein und das Falten der Hände unwichtig für ihn sind. Miguel rechnet mit Gottes indirekter Hilfe durch Ärzte und Medizin. Er nimmt eine kooperativ-vertrauende Haltung ein. Die Souveränität Gottes ist ihm wichtig. Miguel betet häufig, wenn der Tag beginnt, vor dem Essen, in Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen und wenn er sich freut. Manchmal betet Miguel am Abend vor dem Einschlafen, wenn er Angst, Kummer oder Sorgen hat, wenn er sich einsam fühlt, wenn er sich etwas wünscht, wenn er vom Leiden anderer Menschen hört und weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Miguel ist ein engagierter, junger Mann. Er wirkt fröhlich und hat Humor. Er kam vor weniger als fünf Jahren aus Kuba und Puerto Rico aus beruflichen Gründen nach Österreich. Hier ist er im Bildungsbereich tätig. Das Interview wurde in deutscher Sprache geführt, ab und zu fließen zum besseren Verständnis englische Bruchstücke ein. Miguel ist in Kuba durch ein Schlüsselerlebnis, den leichten Unfall eines Freundes, von dem er im Interview auch erzählt, Christ geworden. In Österreich hat er gleich Anschluss an eine Latinobaptistengemeinde gesucht, in der er inzwischen ehrenamtlich in leitender Funktion tätig ist und auch öfter predigt. Der Glaube ist Miguel sehr wichtig und er erlebt ihn eher unterstützend. Den Gottesdienst besucht Miguel, so oft er kann, und auch an anderen Gemeindeveranstaltungen, wie z. B. Bibelgruppen, nimmt er häufig teil. Seine Gemeinde ist ihm sehr wichtig und er arbeitet häufig in der Gemeinde mit. Sehr häufig hat er Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern. Die Bibel und die praktische Nächstenliebe sind für Miguel sehr wichtig. Er engagiert sich aufgrund seines Glaubens öfter sozial und nachbarschaftlich für seine Mitmenschen, weniger engagiert er sich politisch. Mit seinem Leben ist Miguel einigermaßen zufrieden (mittlerer Wert zwischen sehr zufrieden und überhaupt nicht zufrieden), was angesichts des Gesprächs und der Schilderung über seine positiven Lebensumstände (Arbeit und Wohnung) überrascht. Zu einem Interview hat Miguel sich gerne einladen lassen. Die Gestaltung der Metapher und der Umgang mit den Materialien aus dem Materialbuffet macht ihm sichtlich Spaß. Er arbeitet engagiert und präsentiert stolz das Ergebnis. Miguel integriert die Unterlage in die Gestaltung und stellt sie aufrecht. Eine Schleife umfasst die Unterlage mittig. An ihr ist eine kleine Rose befestigt. Die Schleife teilt die Gestaltung deutlich in eine obere und eine untere Bildhälfte. Mit einer großen Klammer ist oben in der Mitte ein, an einem Faden mit Schleife hängendes, Teelicht befestigt. Es ist von vielen blauen Scherben umgeben, die mit Klebeband an der Unterlage befestigt sind. Weitere blaue Scherben und eine zerbrochene Gummikugel (Flummi) befinden sich in einem Netz, das ebenfalls mit Klebeband an der Unterlage befestigt ist. Oberhalb des Netzes sind Aufkleber mit der Aufschrift »Treuepunkt« im Halbkreis auf der Unterlage befestigt. Sie verbinden somit, gemeinsam mit der kleinen Seidenrose, beide Bildhälften.
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Rechts darüber befindet sich noch ein »Priority«-Postaufkleber. Zum Fotografieren hält Miguel die Gestaltung aufrecht. Es macht den Eindruck, als ob die Scherben in das Netz fallen und dort aufgefangen werden. Miguel vermittelt mit seiner Gestaltung auch einen akustischen Eindruck, indem er die Scherben im Netz bewegt und sie klimpern. Durch das Geschenkband und den Priority-Sticker wirkt die Gestaltung wichtig und besonders. Assoziationen von Erfahrungen von Zerbrechen und Aufgefangen-sein kommen unwillkürlich sofort bei denen, die das Bild anschauen. Die noch nicht angezündete Kerze wirkt wie ein Wunsch, in Situationen wie diesen Licht zu erfahren. Die geklebten Scherben in der oberen Bildhälfte bilden einen Widerspruch zu denen, die sich locker im Netz bewegen und klimpern können. Wenn auch durch ein Netz gehalten, scheint es hier eine ganz neue (Bewegungs-)Freiheit zu geben. Aufgefangen sein durch Gott und Neuanfang sind für Miguel zentrale Themen. Dahinter wird seine Vorstellung von einem (ihm) zugewandten, gnädigen und treuen Gott deutlich. Mit der Überschrift beschreibt er seinen Wert vor Gott: »Ich bin Gottes Priorität«. In seiner Gestaltung erzählt Miguel fast eine kleine Geschichte davon, wie er seine Gottesbeziehung erlebt. Er erfährt sich selbst in seiner menschlichen Verletzlichkeit oder Sündhaftigkeit. So fühlt er sich gebrochen und erlebt, dass Gott ihn jederzeit auffängt. Er erlebt Annahme, Schutz und Erneuerung durch Gott. Er erlebt in diesem Aufgefangen-sein Gottes Zuwendung und Treue. Da, wo er sich selbst als »gebrochen« erfährt, erlebt er, wie Gott ihn wieder zusammenfügt, heilt und erneuert. Aus den Scherben wird etwas ganz Neues: eine Blume. Aus dem zerbrechlichen, kalten Material entsteht lebendiges, organisches Leben. Miguel erlebt sich so als Gottes Priorität. Er beschreibt hier einen Prozess der Heilung und Erneuerung. Mehrmals spricht Miguel von Sünde oder deutet es an und kann dann nicht weiter sprechen, weil es zu persönlich werden würde. Seine Betroffenheit ist im Gespräch spürbar. Aber gerade da, wo ihm vielleicht seine eigene Schattenseite vor Augen geführt wird, erscheint Gott im Gespräch als der, für den er sehr wichtig ist und der ihm wieder neue Möglichkeiten schenkt. Ein gnädiger und barmherziger Gott, der den Sünder nicht verdammt, sondern annimmt, heilt und neue Chancen gibt. Die emotionale Grundtendenz in Miguels Gottesbeziehung ist geprägt von diesem positiven, akzeptierenden Gott. Auffällig ist aber doch, dass Miguel sehr häufig von seiner eigenen Gebrochenheit und Sünde redet. Welche inneren Konflikte mögen sich wohl dahinter verbergen? Wie steht es mit seiner Selbstannahme? Hilft ihm seine Gottesbeziehung, seine Schattenseiten auch selbst zu akzeptieren und zu integrieren? Welchen Anteil übernimmt er selber, wenn es um (vielleicht notwendige) Veränderung seiner Persönlichkeit geht oder ist Heilung und Erneuerung allein an Gott delegiert? Nach Miguels Schilderung hilft ihm sein Glaube, an seinen Schattenseiten nicht zu verzweifeln. Dem Glauben scheint hier eine Art psychohygienischer Funktion zu zukommen: Hilfe zur Selbstannahme über den Umweg der Annahme durch Gott und Hoffnung auf Veränderung. Der Glaube an einen Gott, der nicht verurteilt, sondern annimmt und erneuert, kann hier eine selbstwertstützende Funktion einnehmen. Erkennbar ist in Miguels Reden über Sünde auf jeden Fall auch eine Bereitschaft zur moralischen Selbstkontrolle. In einer emotional ausgeglichenen Art zeigt Miguel, dass er sich selbst in seinen Handlungen und in seinem Wesen beobachtet und bewertet. Wobei er nicht gewissensängstlich ist, sondern Gott ihm in seiner Vorstellung durchgehend akzeptierend und ermutigend begegnet. So erlebt Miguel Gott auch in seinem Alltag. Wenn er sich als sündig oder verletzlich
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erlebt, weiß er um Gottes Bereitschaft, ihn aufzufangen. Miguel beschreibt das als eine Umarmung. Gott erscheint hier als ein realistisches Du, das sich durch menschliches Fehlverhalten nicht von einer liebenden Beziehung abhalten lässt. Sein Beziehungswille ist ungebrochen und für Miguel trotz der Brüche in seinem Leben spürbar. Gottes Nähe hat er dort indirekt erfahren, wo Gott ihn durch einen leichten Unfall einer anderen Person davor bewahrt hat, etwas Falsches zu tun. Miguel meint, Gott habe den Unfall »provoziert«; und durch dieses Ereignis hat Miguel den Glauben an Gott für sich entdeckt. Auch die Fügung der Umstände, was seinen Arbeitsplatz und seine Wohnung betrifft, erfährt Miguel als Nähe Gottes. Er interpretiert diese Umstände als Willen Gottes. Miguels Gottesvorstellung findet im Alltag ihren Niederschlag in einem aktiven Gebets- und Gemeindeleben. In der ersten Positionierung zeigt Miguel, dass für ihn ein Gefühl der Nähe zu Gott in unterschiedlichen Gemütslagen sehr verschieden sein kann. In der zweiten Positionierung stellt er hingegen eine große Nähe zu einzelnen Aspekten Gottes in verschiedenen Emotionslagen dar. Während der Schuldbeladene bei der ersten Positionierung weit weg von dem Symbol für die Kraft Gottes steht, findet er sich bei der zweiten Positionierung im Netz der Liebe und Verbundenheit, was stimmig zur gestalteten Metapher ist. Der Zornige bleibt weiterhin weit entfernt und steht in der zweiten Positionierung nicht nur von den Gottessymbolen, sondern auch von den anderen Figuren isoliert, aber in einer deutlichen Bezogenheit auf den väterlichen Aspekt Gottes, der ebenfalls alleine steht. Von außen beobachtet schaut das sehr mutig aus, wie sich die zornige Figur hier »aufbaut«. Hat Miguels Gottesbeziehung möglicherweise noch eine andere, für ihn noch nicht sichtbare Seite? Ist neben dem Aufgefangen-sein durch einen guten, wohlwollenden Gott auch Raum für eine kraftvolle Auseinandersetzung aufgrund von erlebter Distanz? Wie viel Raum ist in Miguels Gottesvorstellung für Ambivalenzen? Für Miguels Gottesverständnis ist grundlegend, dass Gott eine Beziehung mit den Menschen will. Das Verhältnis zwischen Gott und Menschen ist geprägt von einer gegenseitigen Suchbewegung. Findet der Mensch Gott nicht, bleibt er ständig auf der Suche und versucht, die bleibende Lücke mit Dingen, Aktivitäten oder Beziehungen zu füllen. Wenn ein Mensch die Beziehung zu Gott nicht will, dann ist der Mensch verloren und Gott ist traurig. Miguel benutzt diese Vorstellung symbolisch analog zu dem Gefühl eines Menschen, der in einer unerfüllten Beziehung leidet, und nicht im Sinne eines konkreten Anthropomorphismus. Worauf auch Miguels Aussage »Gott ist Gott« hinweist. Beim Glauben ist es Miguel nämlich wichtig, dass hier nicht übernatürliche Dinge, wie z. B. Wunder, im Vordergrund stehen. Es geht um das Vertrauen und darum, dass Gott Gott ist. Gott muss sich dem Menschen gegenüber nicht durch Wunder selbst erweisen, sondern unterstützt den Menschen eher durch spirituelle Hilfe: Trauer in Frieden – die Fähigkeit zu vergeben – die Freiheit von Süchten. Der Glaube an Gott hilft, das Leben in schwierigen Situationen zu bewältigen. Miguels Gottesverständnis ist trinitarisch. Jesus ist für Miguel die Verbindung zwischen Gott und Mensch. Und durch den Heiligen Geist gibt Gott dem Menschen Stärke, Geduld, Frieden und Freiheit. Miguel rechnet mit Gottes indirektem Eingreifen. Für das Böse in der Welt macht Miguel Gott nicht direkt verantwortlich. Naturkatastrophen sind für ihn Zeichen für ein nahendes Weltende oder Folgen des Sündenfalls. Sie können aber auch ganz natürliche Ursachen haben, zum Beispiel durch Verschiebung von Erdplatten entstehen. Manches ist für Miguel »mysteriös«, nicht erklärbar. Insgesamt ist die Vorstellung von einem gnädigen Gott, der annimmt und erneuert, für
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Miguel emotional bedeutsam und grundlegend für seinen Glauben. In dem Titel »ich bin Gottes Priorität« leuchtet noch einmal die selbstwertstützende Funktion der Gottesvorstellung durch. Hier spiegelt sich die im Glauben sehr persönlich erfahrene Gnade Gottes für einen Menschen, der auch die Brüche in seinem Leben offen betrachten kann.
3.3.3 Marco – Gnade über Gnade Marco ist zwischen 20 und 30 Jahre alt und im sozialen Bereich tätig. Gottesmetapher
Aus verschiedenen Materialen gestaltet Marco in mehreren Schichten einen Weg. Auf einen breiten Streifen roter Folie legt er einen Filmstreifen und darüber blaue Glasscherben. Darüber breitet er einen schmalen Streifen blauer Folie. Den Abschluss bildet ein roter Draht. Der Weg reiche »von Ewigkeit zu Ewigkeit«. Marco zeigt dabei von links nach rechts auf seiner Gestaltung. Er habe dabei an Gottes Gnade gedacht. Die rote Farbe der unteren Schicht symbolisiere das Blut Jesu, das voll »Gnade und Heilung und Liebe« sei, und das, was er (Jesus) für Marco gemacht habe. Die blauen Scherben würden für ihn selbst, sein Leben stehen. Der Film sei seine Geschichte und die blauen Scherben würden zeigen, dass seine Geschichte, sein Körper, seine Seele gebrochen gewesen seien. Dann
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habe das Blut von Jesus alles in eine andere Richtung gebracht und geheilt. Die Scherben würden bleiben, aber seien nicht mehr so gefährlich. Das Bild bleibe so, damit er anderen sagen könne, dass das Blut Jesu ihn gerettet oder ihm geholfen habe, sodass das Glas, obwohl es gebrochen sei, anderen keinen Schmerz mehr machen oder jemanden verletzen könne. Das sei ein Bild dafür, dass das Blut Jesu heilen, vergeben und retten könne. Die blaue Linie sei »wie eine Straße«, aber sei auch sein Leben. Gott habe schon von »Anfang bis Ende« »geschrieben«, was in seinem Leben passieren solle. Trotzdem sei er auf diesem Weg. Dieser »kleine Weg« (gemeint ist jetzt der blaue Streifen gemeinsam mit dem roten Draht), den er jeden Tag gehe, gebe Sicherheit, wofür die Punkte auf der blauen Folie stehen würden. Hier sei für ihn, Marco, in alle Richtungen Sicherheit gegeben. (Das Material, mit dem der blaue Weg gestaltet ist, ist Rest einer rutschfesten Gummimatte mit Erhöhungspunkten, die das Rutschen verhindern.) Er sei in dieser Geschichte, die Gott schon geschrieben habe, auf diesem Weg von Ewigkeit zu Ewigkeit unterwegs. Der rote Draht symbolisiere, dass sein Weg nicht so sicher sei. Er müsse immer vorsichtig sein und aufpassen, dass er nicht runter falle. Der Weg beschreibe sein Leben, aber auch seinen Dienst; und da gebe es Unsicherheiten: Zum Beispiel arbeite er immer mit Menschen aus verschiedenen Denominationen oder verschiedenen Kulturen zusammen. Das sei immer auch gefährlich, »wie eine dünne Linie« (der rote Draht), und er müsse vorsichtig sein. Aber trotzdem sei er auf dem »Sicherheitsweg« (die blaue rutschfeste Folie). Das sei Gottes Weg, den er schon geschrieben habe. Auch seine Frau sei auf diesem Weg und er sage auch ihr, dass sie beide vorsichtig sein sollten, was sie in ihrem Leben, ihrem Dienst, ihrer Arbeit machen. Trotzdem sei der Weg von Gott sehr sicher. Und das Blut (untere rote Folie) sei wie ein Fluss. Da komme »immer Gnade, jeden Tag«. Wenn er nicht vorsichtig sei? Dann könne er Leute verletzen, so wie er es früher getan habe. Er sei auch bemüht zu lernen, was für sein Leben gut sei und andere nicht verletze, sodass er trotz unterschiedlicher Meinungen mit anderen Menschen zusammenarbeiten könne, anstatt sie zu verletzen. Wie diese Gnade im Alltag ausschaue? Die Scherben seien für andere Leute nicht gefährlich, aber für ihn schon. Er sei ein starker Charakter und könne aggressiv sein, zum Beispiel auf der Suche nach Gerechtigkeit. Auch die Erinnerung an die Zeit, in der die Flasche gebrochen sei und in der er anderen Menschen nicht geholfen habe und was damals passiert sei, tue ihm weh. Aber trotzdem sehe er die Gnade und bleibe sicher. Ob die Gnade ihm helfe, mit seiner Aggressivität umzugehen? So sei es, antwortet Marco, das könne in seinem Alltag sein, in seiner Arbeit, im Alltag in der Gemeinde, auch im Alltag seiner Ehe. Ob wir schon über alles in seiner Gestaltung geredet hätten oder ob noch etwas wichtig sei? Der kleine Film sei für ihn noch wichtig. Der Film bleibe immer da und könne nicht weg. Aber wenn er direkt im Blut Jesu sei, dann sei das sein
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Zeugnis und bedeute ihm ganz viel, vergleichbar mit Gold, weil ihm das helfe, sich an die Gnade zu erinnern und auch anderen Menschen zu erzählen, wie groß die Gnade Gottes sei. Wo er selbst in seiner Gestaltung sei? Er habe am Anfang gesagt, dass die Gestaltung wie ein Fluss sei und er gehe oben auf dem Sicherheitsweg, »so wie ein kleines Schiff«. Oder er laufe wie auf einer Brücke über sein Leben. Und seine Geschichte (symbolisiert durch den Filmstreifen) gehe weiter in dem Fluss von dem Blut Jesu oder der Gnade Gottes. Er selbst sei aber oben auf der Brücke. Seine Füße seien in Sicherheit (durch das rutschfeste Material) und seine Hände hielten das rote Kabel wie ein Geländer, weil er vorsichtig sei. Es sei so etwas wie eine doppelte Sicherheit, der Weg und das Geländer. Einerseits seien seine Füße auf dem richtigen Weg, das sei eine Sicherheit von Gott. Und andererseits gebe ihm das Geländer Sicherheit, das sei für ihn: die Lehre der Bibel, die ihm in seinem Leben helfe – sein Dienst mit den Menschen anderer Kulturen – seine Ehe – dieses christliche Leben. Der Weg sei dünn, und es sei für ihn mehr oder weniger sicher auf dem Weg zu sein, aber er sei vorsichtig, dass er nicht andere Menschen oder sich selbst verletze. Wo Gott in der Gestaltung sei? Gott sei in dem ganzen Bild und mache alles sicher. Seine Gnade, das Blut, sei von Ewigkeit. Da sei »kein Anfang und kein Ende«. Von Ewigkeit zu Ewigkeit sei seine Gnade und das sei der Weg, den Gott ihm gebe. Wo Gott sei? Marco sagt, dass Gott omnipräsent, aber durch seinen Heiligen Geist auch in ihm sei. Und das gebe ihm auch diese Sicherheit, weil er trotzdem wisse, dass Gott da sei. Er glaube und er fühle es. Ob Gott auch bei Menschen sei, die nicht glauben würden? Marco meint, dass Gott nicht in Menschen sein könne, die nicht an Jesus glauben, aber er könne durchaus bei diesen Menschen sein. Ob Gott mit den Menschen in Verbindung stehe? Ja, Gott stehe durch seine Gnade immer in Verbindung mit den Menschen. Er spreche mit den Menschen, er schütze sie. Ob Gott nur zu den Menschen rede oder ob er noch andere Dinge tue mit der Welt oder mit den Menschen? Ob und wie Gott z. B. eingreife, wenn ein älterer Mensch in einer Großstadt von Jugendlichen bedroht werde? Marco kann sich ein Eingreifen Gottes auf verschiedene Weisen vorstellen. Gott könne durch Engel, durch seine Kraft eingreifen, er könne die Jugendlichen verwirren und er könne andere Menschen schicken, die helfen könnten. Wie das mit den Engeln ausschauen könne? Das sei so, dass wir die Engel nicht sehen würden, aber es gebe Situationen, wo Menschen, die jemanden verletzen wollten, Engel oder große, starke Menschen gesehen hätten. Es sei Marco selbst auch schon mehrmals passiert. Jemand habe ihn geschützt und er habe nichts gesehen. Er erzählt anschließend von einigen Situationen342, in denen er diesen Eindruck hatte. 342 Eine ausführliche Schilderung der einzelnen Situationen findet sich in der Verdichtung des Interviews.
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Es gebe viel Schlimmes in der Welt. Ob Gott daran Schuld sei? Marco denkt, dass Gott nicht daran Schuld sei. Menschen seien Schuld, Menschen würden die »Ungerechtigkeit, Armut, Krankheit und mehr, und mehr« machen. Auch an Naturkatastrophen sei zum einen der Mensch durch sein Umweltverhalten Schuld und zum anderen gebe es generell die »Bewegung von Erde und Meer und was passiert…, dass die Welt sich bewegt, Vulkanos und so«. Und er könne auch sagen, dass Gott helfen könne, dass nicht mehr so Schlimmes passiere. Wie Gott mit Menschen umgehe, die Böses tun würden? Das sei schwierig. Er selbst sei eine Person, die die Ungerechtigkeit hasse. Er könne nichts über andere Menschen sagen, aber über sich selbst könne er sagen, dass Gott ihm danach helfe, wieder »Gerechtigkeit zu haben«. Er helfe den Menschen trotzdem. Er, Marco, glaube auch, dass, wenn Menschen Böses tun, nicht nur Gott, sondern auch Satan dabei sei. Gott sei dabei, uns zu helfen und zu retten, und der Satan mache viel gegen die Menschen, die Gott liebt. Ob der Mensch selber verantwortlich sei für das, was er tue? Der Mensch sei selber verantwortlich, weil es seine eigene Entscheidung sei, wem er folge oder was er tue. Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen ihm Gott öfter mal einfalle? Marco sagt, dass er den ganzen Tag an Gott denke. Wenn er Dinge tue, die für ihn gefährlich seien (wie oben beschrieben). In seiner Beziehung, in der Beziehung mit Menschen, wenn er aus dem Bett aufstehe, wenn er »in die Arbeit gehe, im Gebet auch, in Gedanken, so in [der] U-Bahn«. Er wolle jeden Tag mit Gott sein und er könne nicht sagen, dass er nicht an Gott denke; vielleicht, wenn er einen Film sähe. Ob er schon mal ein Erlebnis der besonderen Nähe Gottes gehabt habe? Manchmal fühle er, Marco, »dass Gott da ist«, seinen Heiligen Geist. Manchmal fühle er nichts, aber manchmal fühle er wirklich seine Gnade, seine Gegenwart, auch manchmal, dass Gott ihn heile. Auch wenn es schwierig sei und er Gott nicht fühlen könne, dann habe er das Gefühl, dass seine Liebe da gewesen sei. Ob er auch das Gefühl kenne, dass Gott nicht da sei? Er kenne das Gefühl und es sei schlimm. Und obwohl er das Gefühl habe, dass Gott nicht da sei, sage er sich, dass Gott immer da sei und er glaube ja, dass Gott omnipräsent sei. Er denke dann, Gott sei still (»ruhig«). Eine Überschrift für das Bild? Gnade über Gnade.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Marco wählt für die erste Positionierung als Gottessymbol, zu dem er im Moment den größten Bezug hat, das Symbol für den Vater im Himmel (Figur auf Holzklotz) aus. Den Ängstlichen (gelb) platziert er gemeinsam mit dem Fröhlichen (bunt) nahe beim Symbol. Wenn er ängstlich sei, sei er Gott näher, weil er sich dann seiner Schwäche und Angst bewusst sei. Gott sei aber voller Kraft, daher sei er, Marco, dann glücklich, weil er in ihm, in Gott sei. Er versuche immer, glücklich zu sein. In Gott sei er glücklich und froh. Der Zornige (rot), der Schuldbeladene (grün) und der Traurige (braun) stehen gemeinsam im Halbkreis etwas weiter entfernt. Die Ungerechtigkeit im Alltag mache ihn wütend und schicke ihn weit weg von Gott. »Ich bin dann in diesen ›Warum ist das so?‹Fragen.« Er wolle Gerechtigkeit von Gott, aber er wolle auch selbst etwas gegen Ungerechtigkeit machen. Wenn er traurig sei, dann sei er nicht weg von Gott. Er suche Gottes Gegenwart. Er denke dann, er könne auch weiter gehen, weil er Vertrauen in Gott habe. Wenn er sich schuldbeladen fühle, dann suche er Gott, aber er sehe, dass er auch verantwortlich sei. Er suche Gottes Gnade und sei sich bewusst, warum. Die Distanz drücke hier das »Gott suchen« aus. Der Nachdenkliche (blau) steht viel weiter weg. Hier meint Marco, dass er zu wenig Zeit und Raum habe, an Gott zu denken, weil er zu viel daran denke, woher die »Sachen kommen«. Alle Figuren sind dem Gottessymbol zugewandt.
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Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
In seiner zweiten Positionierung stellt Marco zunächst den mütterlichen Aspekt von Gott auf und wickelt dann den Schuldbeladenen in das Netz der Liebe und Verbundenheit. Dazu sagt er, dass er kulturell bei Schuld den mütterlichen Schutz gesucht habe, aber dass er Nichts gehabt habe, bis er mit ca. 18 Jahren in der Liebe Gottes gewesen sei. Das Netz symbolisiere, dass er in Gottes Nähe, Liebe und Gnade bleibe und nicht weg könne. Er habe keine andere Chance. Die Liebe bringe ihn wieder zu Gott. Auch den Traurigen stellt er ganz nah zur Mutter. Wenn er traurig sei, dann sei er in Gottes Liebe und Gegenwart. Seine Mutter habe seit seiner Kindheit für ihn gebetet. Der mütterliche Schutz habe ihn begleitet, bis er Christ geworden sei. Der Fröhliche steht mit der Kraft Gottes vor dem Vater-Symbol. Von Gott komme Kraft und Fröhlichkeit. Auf die andere Seite des Vater-Symbols stellt Marco den Ängstlichen mit der Quelle des Lebens, wobei die ängstliche Figur auch im Netz der Liebe und Verbundenheit steht. Er habe keine Angst, außer wenn jemand auf ihn angewiesen sei. Seit er verheiratet sei, habe er ein Gefühl von finanzieller Verantwortung. Die Quelle des Lebens sei die Quelle von allem. Gott versorge und schicke alles, was er brauche. Alle genannten Figuren bilden miteinander eine Gruppe. Etwas weiter entfernt steht der Wütende bei dem Symbol für die innere Stimme und der Nachdenkliche mit dem Licht. Der Wütende sei nicht so nah am Netz, weil er aufgrund von Ungerechtigkeit wütend sei. Durch die innere Stimme suche er den Weg, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. Dass bringe ihn näher zu Gott, wenn es der Glaube sei, aber auch ein wenig weg von Gott, wenn es sich um seinen Charakter handle. Wenn es der Glaube sei, dann sehe er Gottes Gerechtigkeit. Wenn es nach seinem Charakter gehe, dann versuche er, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. Der Nachdenkliche brauche immer Licht. Er sei doppelt so weit weg von den anderen, weil Marco manchmal zu viel denke. Er suche das Licht und das Licht sei da und er sehe es. Die Augen Gottes (Vater-Symbol) würden in diese Richtung blicken und das Licht schicken.
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Gebetsfragebogen Im Hinblick auf das Gebet ist Marco der Dialog mit Gott und der Dank sehr wichtig. Er ergänzt dazu, was ihm auch noch wichtig ist: »In ständiger Kommunikation mit Gott sein und ihn gleichzeitig anbeten«. Weniger wichtig ist ihm das Still-sein, Gott die eigenen Bitten und Wünsche sagen und ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Unwichtig ist ihm das Falten der Hände. Marco kann sich direktes, aber auch indirektes Handeln Gottes vorstellen. Dabei nimmt er eine passiv-vertrauende Haltung ein und erwartet materielle Hilfe von Gott. Alle im Gebetsfragebogen angegebenen Gelegenheiten für das Gebet bewertet Marco mit 4 Punkten, das heißt, dass er zu all diesen Gelegenheiten häufig betet. Hinter »wenn ich Kummer und Sorgen habe« schreibt er sogar eine fünf. Marco ist ein sehr engagierter junger Mexikaner, der vor ca. fünf Jahren nach Österreich gekommen ist und sich ehrenamtlich stark engagiert. Er arbeitet in der Latinobaptistengemeinde mit, gehört zudem dem Leitungsteam einer deutschsprachigen Gemeinde an und ist darüber hinaus auch übergemeindlich tätig. In seinem Beruf und auch in seiner ehrenamtlichen Arbeit hat er sehr viel mit Menschen, die aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen kommen, zu tun. Er ist in einer christlichen Familie (evangelische Freikirche) aufgewachsen, hat sich aber im Teenageralter stark von dieser Prägung abgewandt. Als junger Erwachsener hat er dann wieder einen neuen Zugang zum Glauben gefunden. Marco gibt an, dass er mit seinem Leben sehr zufrieden und der Glaube an Gott für ihn sehr wichtig ist. Er erlebt seinen Glauben unterstützend. Den Gottesdienst und andere Gemeindeveranstaltungen besucht er, so oft er kann. Seine Gemeinde ist für ihn sehr wichtig und er arbeitet häufig mit. Auch die Bibel und die praktische Nächstenliebe sind für ihn sehr wichtig. Er engagiert sich aufgrund seines Glaubens relativ häufig politisch, sozial und nachbarschaftlich für seine Mitmenschen. Marco hat sich sehr gerne zu einem Interview bereit erklärt. Es macht ihm sichtlich Freude, seine Gottesmetapher zu gestalten. Er arbeitet intensiv an den Details und präsentiert das Ergebnis sehr zufrieden. Er arbeitet von links nach rechts in der Mitte der Unterlage und integriert diese mit in die Gestaltung, dabei begrenzt er sich farblich auf rot und blau (der dunkle Filmstreifen passt sich gut dem dunkelblauen Glas an, auch wenn er selbst nicht blau ist). Der dunkelrote Streifen Folie, der zuunterst liegt, wiederholt sich in dem dünnen obersten dunkelroten Draht. Die blauen Glasscherben, die in der Mitte über dem Filmstreifen platziert sind, finden ein Gegenstück in dem blauen Plastikstreifen, der von links nach rechts gespannt ist. Die Materialien Plastik (verschiedene Folien und ein Filmstreifen), Glas und Draht und Farben passen einerseits gut zusammen, fast harmonisch, andererseits entsteht eine Spannung zwischen rot als warmer und blau als kalter Farbe. Es entsteht der Eindruck von einer erfolgten oder einer möglichen Verletzung durch die blauen, kalten Scherben und von fließendem rotem Blut. Die Metapher signalisiert den Betrachtenden »Vorsicht!«. Marco selbst sieht in seiner Metapher sein Leben (blaue Scherben) und seine Geschichte (Filmstreifen) dargestellt. In Marcos Gottesvorstellung ist Gott der, der durch seine Gnade Zerbrochenes heilt und Sicherheit gibt. Im Entdecken der Metapher spricht Marco über sich und sein Leben. Was nicht gelungen ist, sieht er in Gottes Gnade aufge-
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hoben, und auf seinem jetzigen Weg kann er trotz Unsicherheiten sicher gehen, weil Gott ihn davor schützt, andere Menschen zu verletzen. In seiner Gottesbeziehung sind Marco vor allem zwei Aspekte wichtig: die Gnade und die Sicherheit, die Gott ihm durch diese Gnade gibt. Auffällig ist seine Befürchtung, dass er jemanden verletzen könnte. Für Marco ist zwar auch einiges heil geworden, dennoch meint er, dass durch die Scherben weiterhin Gefahr für ihn besteht. Sein jetziges Leben beschreibt Marco wie ein Gehen auf einem gefährlichen Weg, der aber doppelt abgesichert ist. Ein rutschfester Belag und ein Geländer helfen ihm, einerseits auf diesem Weg zu bleiben, stehen aber andererseits dafür, dass dieser Weg gefährlich ist und dass Marco vorsichtig sein muss. Er will vorsichtig sein, um andersdenkende Menschen (Klienten, Ehefrau, Freunde) nicht zu verletzen. Er kann schnell aggressiv werden, wenn es um (Un-)Gerechtigkeit geht. Das ist schon passiert. Er hat Menschen verletzt und das tut ihm weh. Hier zeigt er die Bereitschaft zu moralischer Selbstkontrolle. Die Annahme seiner Person durch Gott (Gnade) hilft ihm, jetzt im Alltag besser mit seiner Aggressivität umzugehen, allerdings scheint es für Marco immer noch ein Balanceakt zu sein. Die Bibel ist ihm dabei Orientierung. Sie ist das Geländer, an dem Marco sich auf seinem Weg festhält und durch das Gott ihm Sicherheit gibt. Er hat aber erlebt, dass auch Scheitern durch die Gnade Gottes angenommen und geheilt wird. So kann er auch selbst die Brüche seines Lebens annehmen und sagen, dass das, wie er war und wie er jetzt ist, anderen Menschen in ihrem Glauben an diese Gnade hilft. Sein Glaube hat hier für Marco eine selbstwertstützende Funktion. Er muss nicht an seinem eigenen Scheitern verzweifeln, sondern findet im Hinblick auf die Gnade Gottes einen positiven Sinn darin. Gottes Nähe und seine Gnade sind für Marco manchmal spürbar, auch seine Gegenwart oder dass Gott ihn heilt. Nach schwierigen Zeiten, in denen er Gott nicht fühlen konnte, hat er im Nachhinein das Gefühl, dass Gottes Liebe doch da war. Marco kennt auch das Gefühl von Gottes Abwesenheit, was für ihn schlimm ist; dann denkt er sich, Gott ist jetzt gerade still, er schweigt. Marco glaubt dann, dass Gott trotzdem da ist. An dieser Stelle ist es ihm wichtig, sich auf seinen Glauben zu berufen und das Da-sein Gottes nicht von seinem Gefühl abhängig zu machen. In den Positionierungen beschreibt Marco, wie er mit Hilfe seiner Gottesbeziehung mit seinen eigenen Emotionen umgeht. Bei negativen Gefühlen sucht er Gottes Nähe. So kann aus Angst wieder Freude werden. Wenn er sich schwach fühlt, kommt Kraft von Gott. Er vergleicht Gott auch mit seiner eigenen Mutter, bei der er als Kind Trost und Schutz gefunden hat. Dabei gestaltet er ein sehr berührendes Bild: Der Schuldbeladene wird in die Liebe eingewickelt und bleibt so in der Nähe Gottes. Wenn Marco aufgrund von Ungerechtigkeit wütend ist, spürt er zu Gott ein ambivalentes Verhältnis. Er steht hier inmitten einer Spannung von Nähe und Distanz. Er will die Sache gerne selbst in die Hand nehmen, damit distanziert er sich von Gott. Er fühlt sich Gott näher, wenn er daran denkt, dass Gott gerecht ist. Marco bemüht sich, mithilfe seines Glaubens seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Sein übergeordnetes Ziel ist dabei, möglichst immer fröhlich zu sein. Marco strebt nach emotionaler Ausgeglichenheit. Wobei für Marco der Ausgleich eindeutig bei positiven Gefühlen liegt. Er möchte gerne fröhlich sein. Er zeigt dabei eine kooperativ-spirituelle Haltung zur Bewältigung seines (Gefühls-)Alltags. Er weiß sich von Gott unbedingt angenommen. Hier hat der Glaube dann auch durchaus eine selbstwertstützende Funktion. Marco muss an seinem Temperament nicht verzweifeln. Seine Emotionen bringt er in seine Gottesbeziehung mit ein und gewinnt dadurch »sicheren«
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Boden für seine Persönlichkeit. Hier geht Marco im Dialog mit einem positiv-akzeptierenden Gott als realem Gegenüber wichtige Schritte in seiner Persönlichkeitsentwicklung. In seiner Bereitschaft zur moralischen Selbstkontrolle sind die Schritte Selbstbeobachtung, Selbstbewertung und Selbstverstärkung gut erkennbar. Marco hat ein trinitarisches Gottesverständnis. Gott ist durch den Heiligen Geist auch (für ihn oft spürbar) in ihm. Durch seine Gnade ist Gott mit den Menschen verbunden. Gott wünscht sich von den Menschen, die seine Kinder sind, dass sie miteinander in Liebe Beziehungen haben, so wie zum Beispiel in einer Gemeinde, die die Gemeinschaft in seiner Gnade und auf seinem (Gottes) Weg ist (hier klingt noch einmal die Metapher durch). Marco schreibt Gott Gefühle zu und bezieht sich dabei auf biblische Texte: Gott hat ein Herz und kann daher verletzt werden. Marco kann sich ein direktes, wie auch ein indirektes Eingreifen Gottes in Notsituationen vorstellen. Marco zieht aus dem eigenen Erleben, von Bewahrung in gefährlichen Situationen, den Rückschluss, dass Gott durch Engel eingreifen kann. Für ihn selbst waren die »Engel« nicht sichtbar, aber zweimal hat er erlebt, dass Menschen, die ihm etwas antun wollten, vor Schreck geflüchtet sind. Er selbst hat nichts gesehen, hat sich aber beschützt gefühlt und die Sicherheit gehabt, dass Gott da gewesen sei. Intellektuell hat er keine Probleme mit Engelsvorstellungen. Sie scheinen für ihn weder mystisch noch symbolisch zu sein, sondern sehr konkret und real. Auch im Gebetsfragebogen gibt Marco an, dass er sich direktes, aber auch indirektes Handeln Gottes vorstellen kann. An Ungerechtigkeit, Armut und Krankheit in der Welt ist für Marco der Mensch schuld. Auch an Naturkatastrophen ist einerseits der Mensch durch sein Umweltverhalten schuld, andererseits liegt es in der Natur selbst, z. B. durch Erdbewegungen. Gott ist eher der, der das Schlimmere verhindert. Gott hilft auch den Menschen, die Böses tun, wieder »Gerechtigkeit zu haben«, das hat er selbst so erlebt. Der Mensch ist für sein böses Tun selbst verantwortlich, aber »Satan« versucht, etwas gegen die Menschen zu tun, die Gott liebt. Gott selbst hilft den Menschen und rettet sie. Marco stellt hier die Autonomie des Menschen nicht in Frage, aber bei der Frage nach dem Bösen sieht er auch, dass der Mensch versucht wird. Zu fragen wäre hier, welche Vorstellung Marco wirklich von dem von ihm so genannten Satan hat. Marcos Gottesverständnis weist Ambivalenzen auf. Gott ist nicht immer spürbar nah, sondern es gibt auch Phasen, in denen er »schweigt« und Marco ihn nicht spürt. Im Alltag zeigt Marco mit dieser Bewusstheit eine hohe Sensibilität im Umgang mit anderen Menschen und Kulturen. Er weiß um das »Ausrutschen«, das er in seinem Leben wohl auch schon öfter erlebt hat, aber er weiß sich jetzt mit Gott auf einem sicheren Weg. Dabei übernimmt er die volle Verantwortung für das, was er getan hat und was er tut. Er delegiert sein Wohlverhalten nicht an Gott, aber er weiß um die Sicherheit, die ihm die Gnade Gottes gibt. Er selbst bleibt aufmerksam und vorsichtig. Das ist in seinem Alltag wichtig in allen Bereichen (Ehe, Mitarbeit in seiner Gemeinde, Arbeitsstelle). Seine Gottesvorstellung und Lebens- und Alltagsgestaltung beeinflussen sich wechselseitig. Bestimmte Orte, Situationen oder Zeiten, in denen Marco an Gott denkt, nennt er nicht. Er denkt den ganzen Tag an Gott, in der Arbeit, im Gebet und auch in Gedanken. Marcos Gottesvorstellung weist ein weites Spektrum auf: Hier ist Raum für das eigene Scheitern und auch für einen schweigenden Gott, aber auch für Bewahrung durch Engel und direktes Eingreifen Gottes z. B. durch Heilung.
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3.3.4 Elena – Ein lustiges Gesicht aus Natur Elena ist zwischen 30 und 40 Jahren alt und Angestellte im sozialen Bereich. Gottesmetapher
Elena verwendet ausschließlich Naturmaterialien für ihre Collage. Sie legt Holz, Baumrinde, Kastanien, Holzperlen, Sisal und Bast in Form eines Gesichtes auf. Dazu erzählt sie, es seien alles Naturmaterialien, die Gott gemacht habe. Gott habe die Welt mit all diesen Sachen, die wir brauchen würden, gemacht. Da sei noch mehr, was Gott gemacht habe, zum Beispiel das Meer und das Wasser. Eine Muschel im Materialbuffet habe sie daran erinnert, dass Gott das Wasser gemacht habe, »weil wir Wasser brauchen, ohne Wasser können wir nicht leben. Das ist sehr, sehr wichtig.« Gott habe mit der Natur Dinge gegeben, die im Leben sehr, sehr wichtig seien. Zum Beispiel sei es mit dem Holz möglich, ein Haus zu bauen. Andere Dinge, die am Materialbuffet zur Auswahl gestanden hätten, Plastik oder Computer, würden wir nicht wirklich zum Leben brauchen. Elena habe aus dem Buffet Sachen rausgesucht, von denen sie denke, dass Gott sie uns gebe und sie für uns wichtig zum Leben seien. Weil Gott gewusst habe, dass wir das brauchen würden, habe er uns genau das gegeben. Welche Bedeutung das in ihrem Alltag habe? Für Elena könne ihr Tag nicht ohne Gott beginnen. In der Früh bete sie, dass »Gott meine Kinder auf dem Weg … wo sie in die Schule gehen … schützt. Ich bete zu Gott, dass er mir diese Kraft gibt, also ich beginne jeden Tag in der Früh mit einem Gebet und dann abends sag ich Gott: ›Danke, … du hast uns geschützt, … du hast uns was zu essen gegeben, (du) hast meine Kinder in der Schule begleitet‹, ja, und so weiter«. Welche Bedeutung Gott für sie und ihr Leben habe? Elena sagt, dass Gott für sie an erster Stelle sei und dann ihre Kinder. Gott habe sie gemacht und ihre Kinder. »Er hat uns alles gegeben. … Ich atme, weil der Gott das will. … Ich lebe, weil er das will. Ich bin hier, weil Gott das will … Gott bedeutet mir alles, also es ist für mich alles.« Wo sie selbst in ihrer Gestaltung vorkomme? Elena denke, sie sei
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»auch mittendrinnen«, weil sie lebe. Das (Elena zeigt auf die Gestaltung) sei für sie. Die Erde habe Gott gemacht und dieses Holz. Das alles sei Natur und das lebe. Zum Beispiel der Tisch, sie klopft auf die Tischplatte und sagt dazu: »Ich brauche diesen Tisch, und das hat Gott alles für uns gemacht«. Sie selbst sei mittendrin. Ob Gott mit den Menschen in Verbindung stehe? Sie denke schon. Und wie? Elena erzählt von sich. Sie bete zu Gott. Sie habe sich entschieden, für Gott da zu sein, weil sie sich einmal gedacht habe, wenn sie das nicht mache, sei sie kein guter Mensch, da sie sehr viel Positives erlebt habe. Zum Beispiel nach ihrer Scheidung sei sie mit ihren drei Kindern allein gewesen und habe keine Ahnung gehabt, was sie jetzt machen solle. Sie habe eine Bibel gehabt und allein »wirklich sehr viel« die Bibel gelesen. Sie habe gelernt und jeden Tag die Bibel mehr verstanden. Sie habe sehr viel geweint und habe dann in der Bibel irgendetwas343 gefunden, das wirklich gepasst habe. Das habe sie beruhigt. Sie erinnere sich, als sie zum Beispiel zu Gott sagte, sie brauche eine neue Wohnung, das sei für sie ein Wunder gewesen. Elena erzählt länger, wie es mit Hilfe einer Beamtin möglich war, eine neue Gemeindewohnung344 zu bekommen, als sie nach ihrer Scheidung zunächst in ihre Heimat ausgewandert war, dann aber aufgrund der Sorge um ihre Kinder doch wieder nach Österreich zurückkehrte und ohne Wohnung da stand. »Und ich habe in zwei Monaten diese Wohnung gehabt. … Ich denke, wer war dahinter, das war Gott, ich habe zu Gott gebetet, ich habe geweint, ich habe gesagt, Gott, wir sind auf der Straße, bitte hilf uns. Und wir haben diese Wohnung bekommen.« Die Beamtin, aber auch Freunde hätten sie sehr unterstützt. »Mein Leben war wieder gebaut. Ich denke, das war Gott und … (es) war so viel, wo ich mir denke, wie kann das möglich sein. Ich habe in meiner Heimat ein tolles Haus gebaut und habe keine Ahnung, wo jetzt Geld (her)kommt. Ich weiß es nicht, es war einfach da. … Ich weiß es nicht, ich bete zu Gott und er hört immer mein Gebet.« Ob das ein Beispiel sei für das, was sie da gestaltet habe, dass Gott sie mit dem versorge, was sie brauche? Dem stimmt Elena zu. Sie sei so dankbar und denke sich, sie mache das, »was der Gott will«. Sie lese in der Bibel und schaue, was dort stehe, und versuche, das zu machen. Sie versuche zum Beispiel, Menschen in ihrer Heimat zu helfen. Als sie ihr Leben in den Griff bekommen habe, seien ihr viele Dinge nicht mehr so wichtig gewesen. Sie kaufe sich zum Beispiel die Designertasche, die ihr so gut gefalle, nicht, weil so viele Menschen in ihrer Heimat verhungern würden. Sie kaufe sich lieber etwas Billigeres, und wenn sie 343 Gemeint ist wahrscheinlich eine bestimmte Bibelstelle, ein Bibelvers oder eine biblische Geschichte. 344 Eine Gemeindewohnung ist eine geförderte Wohnung, bei der ein Teil der Mietkosten, je nach Einkommen, von der Stadt Wien (Gemeinde Wien) übernommen wird.
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nach Hause komme, dann helfe sie den Menschen, indem sie ihnen Lebensmittel kaufe und schenke. »Das bring’ ich zu dieser Frau und diese Frau regelt (das). Das ist so schön, sie betet für mich, sie sagt: ›Gott segne dich, mein Kind!‹« Und sie sehe dann die Freude im Gesicht der Menschen und sie denke sich, da gehe »was Tolles aus der Hand«. Sie versuche einfach, etwas Gutes zu geben. Was das mit Gott zu tun habe? Weil sie das so in der Bibel gelesen habe. Ob das auch aus Dankbarkeit sei, dass sie etwas bekomme und auch etwas weitergebe? Ja, sie gebe weiter, Gott habe ihr so viel gegeben. Jetzt sei sie schon fast vier Jahre mit ihrem Freund zusammen. Ihm gehe es finanziell sehr gut und er unterstütze sie sehr. Das habe sie nicht erwartet und so helfe sie »einfach weiter«. Wenn Gott sich etwas wünsche vom Menschen und der Mensch anders handle, wie das für Gott sei? So viel habe Elena gelernt von der Bibel, Gott sei nicht böse. Er könne nicht böse sein zum Menschen, aber er sei einfach traurig, und sie wisse nicht, was Gott mit diesen Leuten mache. »Ihnen noch eine Chance geben, vielleicht.« (2x) Sie selber versuche keine bösen Sachen zu machen. Sie versuche, gute Sachen zu tun, und sie bitte Gott immer um Verzeihung. Aber sie denke, Gott wolle, dass wir alle was Gutes machen. Ob Gott in dieser Welt auch eingreife? Elena ist unsicher. Sie denke sich, es passieren so viele Sachen, »wo viele Leute sagen: ›Wo ist Gott? Warum er ist nicht da?‹ Aber Gott wisse vielleicht, was er tue, und er warte auf den richtigen Moment, um was zu tun. Sie denke, er lasse jetzt »diese ganzen Erdbeben, diese ganzen Tsunami, diese ganzen Flugzeugkatastrophen (zu)«. Vielleicht sei das ein Zeichen, dass diese Welt irgendwann nicht mehr existieren werde. Es komme noch eine andere. Es gebe viel Schlimmes in der Welt. Ob Gott daran schuld sei? Nein, sie denke sich, dass Gott wolle, dass die Welt anders sei, aber das sei so nicht geworden. Sie denke, der Mensch, also wir, würden diese Welt kaputt machen. »Die Leute experimentieren (mit) so vielen Sachen und der Mensch ist daran schuld, dass die Welt so ist. Und manchmal denke ich mir, Gott lässt das vielleicht alles, dass wir selber sehen, was wir gemacht haben.« Er lasse es zu und dann erst später komme er und sage: ›Das ist Schluss und aus.‹ Aber Gott wolle sicher nicht, dass wir leiden. Auch an Naturkatastrophen sei der Mensch schuld, weil er die Natur einfach kaputt mache. Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen sie öfter mal an Gott denke? Sie denke so viel. Immer denke sie an Gott. Vielleicht habe sie schon so viel erlebt, aber sie denke sich, jeden Moment könne es gefährlich sein. Elena erzählt davon, wie sie selbst oder ihre Kinder in der Großstadt gefährdet seien. Sie bete um Schutz für sich selbst und darum, dass Gott mit ihren Kindern sei. Dadurch fühle sie sich sicher. Sie habe sogar durch Gebet ihre große Flugangst überwunden. Sie wisse, ihr werde nichts passieren, und sie habe diese Sicherheit, weil sie wisse »Gott ist bei mir«. Ob sie auch schon einmal ein besonderes Gefühl von Gottes Nähe gehabt habe?
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Es passiere ihr selten, aber es passiere doch. Ob sie ein Beispiel dafür erzählen könne und möge? Elena erzählt, dass sie dieses Jahr zu Silvester in ihrer Heimat während eines Gebetes um Mitternacht Gottes Anwesenheit gespürt habe: »und das war [ein] Moment, wo wirklich so ein leichter Wind reingekommen [ist], meine Augen waren zu, wir haben gebetet und ich habe jetzt wirklich gespürt, Gott ist bei mir. Er ist wirklich da.« In einer anderen Situation, die sie nur ihrem Bruder erzählt habe und sonst niemandem – was sie ganz besonders betont – sei sie in ihrem Zimmer gewesen und habe gebetet. Ihr Sohn sei zuvor krank gewesen, aber in dieser Nacht schon wieder genesen. Diese Nacht habe sie vor dem Bett, in dem ihr Sohn lag, gebetet und habe ein Gefühl gehabt, als würde sie 20 cm über dem Boden schweben. »… Ich war irgendwie wie eine Feder so leicht in der Luft. … Ich habe dieses Gefühl gehabt und da hab’ ich gespürt, Gott hat mein Gebet gehört.« Eine Überschrift für ihre Gestaltung? Elena sagt, sie habe ein lustiges Gesicht gestaltet aus den Sachen, die Gott in der Natur gemacht habe. Der Titel sei also »ein lustiges Gesicht aus Natur«. Ob das »lustig« auch etwas mit Gott zu tun habe? Sie glaube nicht. Positionierung mit einem Gottessymbol
In der ersten Positionierung sucht sich Elena das Symbol für Gott als Licht aus. Als erste Figur stellt sie die Nachdenkliche nah zum Licht. »Wenn ich nachdenklich bin, also das passiert mir sehr oft, dann brauch’ ich Gott, dann ist er mir sehr nah.« Danach folgt die fröhliche Figur : »Wenn ich glücklich bin, da ist Gott auch sehr nah bei mir. Aber das passiert mir jetzt, früher nicht. Früher war ich auch glücklich, aber da war Gott weit weg, aber jetzt denke ich, ich sollte, gerade in der Zeit, in der es mir gut geht, danke sagen«. Die Wütende stellt sie weiter entfernt auf. »Da ist Gott nicht wirklich so bei mir. …Wenn ich böse bin, ich will einfach alleine, und ganz wirklich, ganz alleine sein.« Die Ängstliche stellt Elena zur Seite. Sie habe nie Angst. Auch nicht vorm Fliegen? Nein, auch da habe sie keine Angst mehr. Auch nicht um ihre Kinder? Elena schüttelt mit dem Kopf. Sie habe nicht wirklich Angst. Dann stellt sie die Traurige nah zum Licht. Sie sei sehr
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oft traurig, dann brauche sie Gott bei sich. Neben der Ängstlichen stellt Elena auch die Schuldbeladene nicht auf. So fühle sie sich nicht. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der zweiten Positionierung stellt Elena zuerst die Matrioschka auf und setzt die Traurige direkt davor, so dass sie an dem Gottessymbol anlehnt: »Wenn ich traurig bin, dann suche ich diesen Schutz, den mir Gott gibt, dann fühle ich mich sicher, dann fühle ich mich anders, es geht mir besser«. Dann stellt sie die Nachdenkliche zur Kraft: »Dann brauche ich Kraft, dann bitte ich Gott, dass er mir Kraft gibt, dass ich das bekämpfen kann«. Dann stellt sie zu der fröhlichen Figur die Quelle des Lebens, die innere Stimme und den Vater im Himmel. Alle diese Symbole verbinde sie mit der Fröhlichen. Die Wütende kommt jetzt ganz nah an die Kraft. Das brauche Kraft, wenn man wütend sei, meint Elena dazu. Zum Abschluss legt sie das Netz der Liebe und Verbundenheit zwischen die Symbole für Gott-Vater und den mütterlichen Aspekt Gottes. »Ich denke, das gehört hierhin«, sagt sie dazu. Gebetsfragebogen Das Wichtigste am Beten ist für Elena, still zu sein, mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken und ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Das Falten der Hände und Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen, ist für sie überhaupt nicht wichtig. Elena hält sowohl ein direktes als auch ein indirektes Eingreifen Gottes für möglich. Wenn ein Mensch geheilt wird, dann kann das für sie die direkte Folge des Gebets um Heilung, aber auch das indirekte Wirken Gottes durch einen Arzt oder durch Medizin sein. In der Frage, welches Gebet sie selbst sprechen möchte, wenn es um einen kranken Menschen geht, nimmt sie einerseits eine passiv-vertrauende Haltung ein und erwartet ein indirektes Handeln Gottes, andererseits aber auch eine kooperativ-vertrauende Haltung, die die Souveränität Gottes betont. Elena betet häufig am Morgen und
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am Abend, im Gottesdienst, wenn sie Angst, Kummer oder Sorgen hat, wenn sie sich einsam fühlt und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Sie betet manchmal, wenn sie sich freut, wenn sie sich etwas wünscht oder wenn sie vom Leiden anderer Menschen hört. Selten betet sie vor dem Essen. Mit Elena begegnet uns eine selbstbewusste Frau, die ihr Leben als alleinerziehende Mutter von drei heranwachsenden Kindern gut im Griff hat. Sie lebt seit mehr als 10 Jahren in Österreich, hat aber nach ihrer Scheidung wieder versucht, in ihre Heimat, die Dominikanische Republik, zurückzukehren. Dafür hatte sie in Österreich Arbeit, Wohnung und Hausrat aufgegeben. Um ihrer Kinder willen (z. B. weniger gute Gesundheitsversorgung in ihrer Heimat) änderte sie ihre Pläne und hat vor einigen Jahren ohne Wohnung und Arbeit noch einmal ganz neu in Österreich angefangen. Sie kommt ursprünglich aus einer katholischen Familie und besucht hier in Österreich eine Latino-Baptistengemeinde. Elena ist mit ihrem Leben sehr zufrieden und der Glaube an Gott ist für sie sehr wichtig. Sie erlebt ihren Glauben als unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie, so oft sie kann, andere Veranstaltungen (Seminare) eher selten. Ihre Gemeinde ist für sie sehr wichtig und sie hat häufig Kontakt zu Gemeindemitgliedern, wobei sie selten in der Gemeinde mitarbeitet. Auch die Bibel und die praktische Nächstenliebe sind sehr wichtig für Elena. Aufgrund ihres Glaubens engagiert sie sich für ihre Mitmenschen häufig sozial, nie politisch oder nachbarschaftlich. Elena war gerne bereit, an dieser Untersuchung teilzunehmen. Das Interview fand bei ihr zuhause statt. Elena sucht sich sehr gezielt nur Naturmaterialien aus dem angebotenen Materialbüffet und legt damit ein Gesicht mittig auf die Unterlage. Es erinnert an afrikanische Masken, der Gedanke an animistische Götterbilder liegt nah. Der Gesichtsausdruck könnte neutral bis ernst, unter Umständen auch bedrohlich wirken. Für Elena ist es ein lustiges Gesicht und so gibt sie der Gestaltung auch diesen Titel. Ein bestimmendes Thema ist hier bei Elena die Verbindung von Gott und Natur. In Elenas Gottesvorstellung steht im Vordergrund, dass Gott ihr alles gibt, was sie braucht. Gott ist ihr Versorger und Beschützer. Im Gespräch erwähnt sie immer wieder Situationen, in denen sie das so erlebt hat. Vor allem ist ihr wichtig, dass Gott ihre Kinder beschützt. Dass Gott für sie sorgt, hat sie besonders erlebt, als sie nach einer Scheidung in ihre Heimat zurückgekehrt war und sich dann der Kinder wegen entschieden hat, doch wieder nach Österreich zu kommen. Hier hatte sie weder Wohnung noch Arbeit. Darin, wie sie Schritt für Schritt mit der Hilfe anderer Menschen ein neues Leben angefangen hat, hat sie erlebt: Gott gibt mir, was ich zum Leben brauche. Für Elenas Gottesbeziehung ist ihr Vertrauen in einen Gott, der ihr das gibt, was sie selbst braucht, bezeichnend. Hier decken sich bei ihr die kognitiven und die emotionalen Anteile ihrer Gottesvorstellung: Aus einem unpersönlichen oder überpersönlichen »Gott erschafft die Natur und darin ist all das, was die Menschen brauchen, vorhanden« wird ein persönlich erlebtes »ich bekomme, was ich brauche«. Elena sieht sich selbst in ihrer Gestaltung mittendrin, das heißt inmitten der Dinge, die Gott durch die Natur gibt. Gott steht für sie an erster Stelle und dann kommen ihre Kinder. Gott bedeutet ihr alles. Sie sagt, dass sie lebt und atmet, weil Gott das will. Und aus einer Art Dankbarkeit hat Elena sich entschieden, jetzt für Gott da zu sein. Sie hat viel Positives erlebt und meint, sie sei kein guter Mensch, wenn sie dann nicht auch für Gott da sei. Eine Art »ich gebe, weil ich empfangen habe« – zu unterscheiden von einer »do ut des«- Haltung, in der gegeben wird,
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um zu empfangen. Sie berichtet von der Beruhigung und dem Trost, den sie nach ihrer Scheidung durch das Lesen der Bibel bekommen habe. Dass sie entgegen allen Möglichkeiten schnell eine Sozialwohnung für sich und ihre Kinder erhielt, und auch dass das Geld, was dafür nötig war, spontan vorhanden war, führt Elena auf Gott zurück. Es waren konkret Menschen, die ihr hier in außergewöhnlicher Weise geholfen haben, das weiß sie, aber »dahinter« ist für sie Gott. Erlebnisse der besonderen Nähe Gottes hatte Elena in einer Kirche in einem Silvestergottesdienst und beim Gebet für ihr krankes Kind. Über die zweite Situation sagt sie, dass sie sich ganz leicht gefühlt habe, als habe sie geschwebt. Durch dieses Gefühl der Leichtigkeit – möglicherweise eine Art meditativer Trance – hat sie gespürt, dass Gott ihr Gebet für ihr krankes Kind erhört hat. Bei den Positionierungen ist auffallend, dass Elena die ängstliche und die schuldbeladene Figur außen vor lässt und nicht aufstellt. Sie behauptet, diese Gefühle nicht zu haben, wobei sie vorher sehr ausführlich über ihre Angst um die Kinder und ihre Flugangst erzählt hat. Möglicherweise möchte sie hier deutlich machen, dass sie mithilfe des Glaubens gerade das Gefühl der Angst bewältigt hat bzw. es zu bewältigen versucht. Hier spielt das Gebet eine wichtige Rolle für sie. Das Gefühl von Schuld scheint ihr gänzlich fremd zu sein. Bei der zweiten Positionierung fällt auf, dass nun auch die wütende Figur nah bei Gott sein darf, weil sie dann Kraft braucht. Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt und des Menschen ist zentral für Elenas Gottesverständnis. Gott ist der Schöpfung und den Menschen immanent und gleichzeitig auch ihnen gegenüber. Gott erhört die Gebete der Menschen und gibt ihnen, was sie brauchen, indem Menschen sich gegenseitig helfen. In Elenas Antworten im Gebetsfragebogen zeigt sich, dass sie sowohl direktes als auch indirektes Eingreifen Gottes für möglich hält. Dabei nimmt sie sowohl eine passiv-vertrauende als auch eine kooperativvertrauende Haltung ein. Elena lässt sich hier schwer auf bestimmte Haltungen oder Inhalte festlegen. Nach Elenas Verständnis ist Gott dem Menschen zugewandt. Er versucht, mit den Menschen in Verbindung zu kommen. Es gibt für Elena eine Art natürliche Gotteserkenntnis. Für Elena hat Gott Gefühle. Er ist traurig, wenn der Mensch böse agiert, aber Gott selbst ist nicht böse auf den Menschen. Er gibt dem Menschen noch eine zweite Chance. Das Gottesverständnis dahinter deutet auf einen Gott, der den Menschen generell positiv-akzeptierend begegnet. Gott kann in dieser Welt handeln, tut es aber oft nicht. Elena meint, vielleicht warte er auf den richtigen Zeitpunkt, es zu tun. Dass so viel Schlimmes in der Welt passiert, daran ist der Mensch schuld. In Elenas Sicht macht der Mensch diese Welt kaputt. Elena denkt sich, dass Gott das vielleicht alles zulasse, damit die Menschen erkennen, was sie da machen. Elena löst die Spannung zwischen Autonomie des Menschen und Souveränität Gottes dahingehend auf, dass der Mensch jetzt frei ist zu tun und zu walten, und dass Gott vieles aus pädagogischen Gründen zulässt, damit der Mensch zur Einsicht kommt. Elena hat kein legalistisches Gottesverständnis. Für Elena ist Gott dem Menschen zugewandt, sucht Kontakt mit ihm, begrenzt seine Autonomie nicht und ist auch dann noch für den Menschen da, wenn er Böses tut. Was für Elena existenziell wichtig ist, fließt in ihre Gottesvorstellung mit ein: Elena sorgt sich um ihre Existenz und die ihrer Kinder. Sie richtet sich mit diesen Anliegen im Gebet an Gott und macht die Erfahrung, dass sie versorgt und geschützt ist. Diese Versorgung, dass sie alles zum Leben hat, was sie braucht, erlebt sie vermittelt durch Menschen, führt es aber auf Gott zurück, der »dahinter« steht. Auch die Sorge um ihre Kinder
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kann sie im Gebet an Gott richten, worauf für sie daraus ein Gefühl der Sicherheit folgt. Für Versorgung und Schutz ist sie dankbar. Diese Dankbarkeit drückt sich wiederum im Gebet aus, aber auch im wohltätigen Handeln am Mitmenschen (prosoziales Verhalten). So ist sie selbst eingebunden in die menschliche »Versorgungskette«, hinter der für sie letztlich Gott steht. Menschliches Handeln und Verhalten wird zur indirekten Zuwendung Gottes. Dem Gebet kommt bei Elena ein zentraler Stellenwert zu: Das Gebet begleitet ihren Tag. Es hilft Elena bei der Bewältigung bedeutsamer Lebensereignisse (Neuanfang nach Scheidung, Krankheit des Kindes) und Alltagssituationen (Schutz der Kinder, Flugangst). Dabei überwiegt bei Elena eine passiv-vertrauende Haltung. Ihre Gottesbeziehung verhilft Elena hier sehr stark über das Gebet zur Angstreduktion – so sehr, dass sie selbst bei der Positionierung sogar meint, sie kenne dieses Gefühl gar nicht, obwohl es vorher im Gespräch über die Metapher zentrales Thema war. Elenas Gottesvorstellung ist sehr harmonisch. In ihr dominiert das Vertrauen zu einem fürsorglichen, schützenden Gott. Ist ihre Gottesvorstellung auch offen für eine andere Seite Gottes, die nicht »lustig« ist? Von der Bildsprache der Metapher, der Maske, die auch er- und abschrecken kann, ist diese Offenheit durchaus gegeben.
3.3.5 Leon – Die Liebe Gottes Leon ist zwischen 40 und 50 Jahren alt und arbeitet im medizinischen Bereich. Gottesmetapher
Auf eine weiße Unterlage legt Leon eine große blaue Scherbe, eine Kastanie und ein Seil. Diese drei Gegenstände bedeuten für Leon das, was »Gott für uns macht«. Er stelle sich vor, er sei so ein Stück Stein und dabei zeigt Leon auf die Kastanie. Gott bewahre ihn vor der Witterung und dem Wasser. Nichts, keine Probleme könnten eindringen und ihm schaden. Wir hätten als Menschen viele Zweifel, er habe sich z. B. heute Sorgen gemacht und geweint, aber er habe auch gebetet und gesagt: »Gott hilf mir, du bist die einzige Rettung, und warum soll ich mir Sorgen machen«. Und genau das sei ihm jetzt wichtig in diesem Augenblick. Gott schütze ihn vor Schwierigkeiten und Problemen, wie diese Kas-
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tanie vor Wasser und Witterung geschützt sei: »Drinnen … passiert nichts«. Gott bewahre uns einerseits vor »solchen Sachen«, andererseits lasse er sie aber zu, damit er sehe, wie tief unser Glauben an ihn sei. Er erlaube »viele Sachen« und konfrontiere uns damit, um zu sehen, ob wir »depressiv« würden und alles »wegschmeißen« oder ob wir zu ihm halten würden. Es sei so wie das Wasser oder die Witterung oder die Probleme, die nicht eindringen könnten, um uns kaputt zu machen. Manchmal seien wir aber wie dieses blaue Glasstück: gebrochen. Unser ganzes Leben habe diese Splitter überall, aber Gott halte uns zusammen. Er habe sich in Zeiten großer emotionaler und psychischer Belastung so gefühlt, wie ein Glas oder eine Flasche, die geworfen werde und zerbreche: »dass es zerbricht, hier überall, dein Leben«. Aber Gott halte »irgendwie, irgendwie alles zusammen.« Nach einiger Zeit erkenne man, dass »diese Sachen« vorübergehen würden und dass es wichtig sei, an Gott festzuhalten und nicht loszulassen oder depressiv zu werden. Der Teufel könne auch viele Ängste und Depressionen machen und sei froh, wenn wir dem nachgeben würden. Obwohl wir Christen seien, würden Schwierigkeiten immer wieder kommen. Die Schnur sei die Verbindung zu Gott. Das sei zum Einen Jesus, der die Verbindung zu Gott sei (2x), zum Anderen sei diese Schnur auch ein Ausdruck von Leons Gefühl für seine Verbindung zu Gott. Am Anfang seiner Lehre als Maurer habe er viel mit der Schnur gearbeitet. Die Schnur gebe unseren Wegen eine Richtung. Und bei Gott sei es wichtig, sich für ihn zu entscheiden (2x). Entweder man liebe Gott oder nicht. Man könne nur kalt oder warm sein, eine Mitte – lauwarm – gäbe es nicht, das gehe für Gott nicht. Deshalb seien unsere Wege gerade, gerade zu ihm. Das habe er mit dieser Schnur zeigen wollen. Die Schnur bedeute für ihn auch die Treue Gottes. Er lasse uns nicht im Stich, er sei immer bei uns. Es sei nicht so einfach mit den »Sachen, die in der Welt passieren«. Weil wir uns fragen würden, warum Gott das zulasse. Auch der Mensch sei durch seinen Egoismus daran schuld. Aber Gott habe uns diese Gewissheit gegeben, dass »wir ihn annehmen dürfen, so wie er ist, um weiter zu leben«. Wir könnten »immer, jeden Tag zu ihm kommen«, mit allem, was unser Herz bewege oder uns beglücke. Man könne mit Freude kommen, indem man Psalmen singe oder mit Freude tanze. Die Schnur symbolisiere unsere Verbindung zu Gott, die unseren Weg gerade halte, wie eine Schiene. Gott zeige uns so: »Das ist unser Weg«. Wie das im Alltag ausschaue? Leons Arbeitskollegen seien nicht alle gläubig. Sie würden immer Bier trinken oder ins Casino gehen. Manchmal sage er : ›wieso nicht?‹, aber Gott gebe ihm die »Gewissheit«, mit Freundlichkeit den richtigen Abstand zu halten. Er gehe vielleicht ein paarmal mit und dann wieder nicht. Gott zeige ihm diesen Weg. Er könne sich nicht »von der Gesellschaft abtrennen«, er habe den Kontakt mit diesen Menschen, auch wenn sie nicht gläubig
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seien. Er komme immer froh in die Arbeit und grüße alle Leute, und alle hätten ihn gern und so zeige Gott ihm den Weg. Die Schnur sei der richtige Weg. Er könne nicht sagen, dass er alles richtig mache, manchmal gehe etwas schief, aber er komme wieder zurück, weil er Gottes Stimme höre. So wie Gott in seinem Wort sage: ›Meine Schafe hören meine Stimme‹. Wie er die Stimme Gottes höre? Es sei eine innere Gewissheit, er wisse, dass dies nicht richtig sei. Was nicht richtig sei? Wenn er zum Beispiel ins Casino gehe oder trinke oder mit Frauen mitgehe. Er wisse schon, dass das nicht richtig sei, weil er in seine Frau verliebt sei. Er brauche das nicht und Gott gebe ihm das innere Gespür, dass das nicht nur in Taten, sondern auch in Gedanken nicht richtig sei. Leon erzählt von einer hübschen Arbeitskollegin, die immer sehr »lieb mit« ihm sei. Er bete, dass Gott ihm helfe, Anstand zu halten. Er habe »immer Anfechtungen und Versuchungen in der Arbeit«. Aber Gott habe ihn, obwohl seine »Gedanken irgendwo anders waren«, noch einmal in die richtige Linie gebracht. Dieses Gespür komme von innen und es komme von Gott (2x). Es sei wie sein »zweites Ego drinnen«, das ihm sage, was nicht richtig sei. Ob ihm noch etwas zu seiner Gestaltung einfalle? Leon fällt ein weiterer Vergleich zu Gott ein: Gott sei wie Verbundglas. Gott halte uns auch zusammen. In der Gemeinde könne es schon viele Probleme geben. Man schmeiße Steine, »aber da fällt nicht alles zusammen. Gott hält. Gott ist so, wie dieser Kleber da drinnen ist, er hält uns zusammen, obwohl … wir andere Meinungen haben«: Wir dürfen verschiedener Meinung sein, aber Gott halte uns zusammen. Wo er selbst in seiner Gestaltung sei? Er sei in allen drei Aspekten seiner Gestaltung involviert: Er könne jederzeit in schwierige Situationen kommen (Glas), aber er fühle sich ruhig und geschützt von Gott (Kastanie-Stein) und er brauche sich keine Sorgen machen. Gott halte uns zusammen (Richtschnur bzw. Verbundglas). Wo Gott sei? Gott sei überall: Leon »spüre« Gott in dem ganz kleinen Gemeindehaus, dem »Zuhause Gottes«. Gott sei überall, auch an seiner Arbeitsstelle. Er berichtet von seiner Anfangszeit in Europa. Damals habe er in seiner Firma keine schöne Zeit gehabt. Er »habe Gott immer gebeten«, er habe geweint, er habe seine Bibel gehabt und Texte von der Bibel geschrieben und Gott habe ihn »wieder hinaufgebracht«. Es sei nicht so einfach gewesen. Und Gott sei »in jedem Augenblick« bei ihm gewesen, auf der Baustelle, auf der Dachterrasse, in der Kirche, in der katholischen Kirche, auf dem Zentralfriedhof, überall sei Gott bei ihm gewesen. Es gebe nichts Schöneres zu erleben, als mit Gott zu leben. Ob Gott auch bei Menschen sei, die nicht an ihn glauben? Gott sei sicher auch bei den Menschen, die ihn nicht kennen, die einfach anders seien, eine andere Lebensweise hätten oder anderswo seien. Gott sei immer da. »Gott läutet immer« – wobei Leon dreimal auf die gläserne Tischplatte klopft – »wir müssen nur die Tür unserer Herzen aufmachen und Gott kann reinkommen«.
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Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen Gott ihm öfter einfalle? Es gebe für ihn keine bestimmten Zeiten und Orte. Er könne zu jeder Zeit und überall mit Gott sein. Ob er schon mal ein Erlebnis der besonderen Nähe Gottes gehabt habe? Er habe öfter schon besondere Erlebnisse der Nähe Gottes gehabt, vor allem wenn es um Entscheidungen gegangen sei. Leon erzählt ein Beispiel: Er sei wie ein Latino und »manchmal so explosiv«. Und früher sei ein »gewisser Charakter« noch schlimmer gewesen. Am Anfang habe er in Österreich große Schwierigkeiten gehabt. Er sei nach Europa gekommen und habe Gott dafür gedankt, sei aber nicht gläubig gewesen. Er habe schon von seiner Mutter vom Glauben gehört und sei ab und zu Gast in einer Baptistengemeinde gewesen, aber zum Glauben sei er hier in Österreich gekommen. Er habe gespürt, dass Gott bei ihm sei, weil er ihn in dieser schwierigen Zeit bewahrt habe. Gott sei immer bei ihm gewesen und habe ihm den richtigen Weg gezeigt. In der Zeit der Trennung von seiner Frau habe er angefangen, stark zu rauchen. Da habe er stark abgenommen und sogar auch schon an Selbstmord gedacht, weil er dachte, er könne so nicht weiterleben. Aber Gott habe ihm die Gewissheit gegeben, dass das nichts bringe. Dann habe er selbst gesagt: ›Schluss mit dem‹. Er habe mit dem Rauchen aufgehört und sein Leben wieder ins Lot gebracht. Es habe eine Weile gedauert, aber er habe Leute hinter sich gehabt. Er sei nicht allein gewesen und sei zu dem Pastor und seiner Frau gegangen und habe bitterlich geweint. Und die hätten ihn an die Hand genommen und mit ihm geredet. Das habe ihm wieder aufgeholfen, er sei ruhiger geworden und habe auch seine zweite Frau kennen gelernt. Die Probleme von früher habe er jetzt nicht mehr. Er sei reif in Gottes Wort. In seinem ganzen Leben hier habe er Gott mehr gespürt. In seinem Heimatland habe seine Mutter ihn vielleicht zu sehr geschützt, sie habe immer für ihn gebetet, wenn er Auto oder Motorrad gefahren sei. Seitdem er hier sei, habe sie immer weiter für ihn gebetet, so dass seine Familie und Gott immer bei ihm gewesen seien, in vielen Fällen, jederzeit. Eine Überschrift für die Gestaltung? Die Liebe Gottes. Positionierung mit einem Gottessymbol
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Als im Moment passendes Gottessymbol sucht Leon das Netz der Liebe und Verbundenheit aus. Die fröhliche Figur platziert Leon ins Netz. »Es ist klar, wenn wir froh sind, sind wir immer nah bei Gott.« Die anderen Figuren stehen außerhalb des Netzes, sind aber dem Gottessymbol (und der fröhlichen Figur) zugewandt. Relativ nah steht der Nachdenkliche, dann der Ängstliche und der Traurige, die ungefähr den gleichen Abstand zum Netz haben. Dahinter steht der Schuldbeladene. Der Zornige hat den größten Abstand. Dazu meint Leon, wenn wir böse seien oder mit Sorgen beladen oder wenn wir schlechte Laune oder einen schlechten Charakter hätten, dann würden wir manche Sachen tun oder sagen, die Gott nicht gefallen. Wir würden dann unseren Mitmenschen Sachen sagen oder Dinge antun, die Gott nicht gefallen. Dann nimmt er den Zornigen in die Hand und sagt, dass der am Rande der Gemeinde stehe, entfernt von Gott. Das sei gefährlich, weil er allein sei. Da könne er jederzeit »runterfallen«. Die Mitte der Gemeinde sei Gott, da könne er nicht runterfallen, weil die anderen Gemeindemitglieder ihn da beschützen würden. Sie würden einen Rückhalt bilden. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
In der zweiten Positionierung gruppiert Leon die Gottessymbole gegenüber der Figurengruppe. Das Netz der Liebe und Verbundenheit steht im Zentrum. Dazu stellt Leon den väterlichen und den mütterlichen Aspekt. Gott, symbolisiert durch das Netz der Liebe und Verbundenheit, stehe im Zentrum. Leon unterscheidet hier zwischen Sachen, die von Gott kommen, die spirituell seien: Die Familie, symbolisiert durch Matrioschka und Gott-Vater und auch Licht und innere Stimme. Die Kraft (Batterie) werde von Menschen gemacht, das sei materiell. Daher stellt er, wie er sagt, die »spirituellen« Gottessymbole auf die eine Seite und das materielle Symbol auf die andere Seite: das hätten Menschen produziert, aber mit Gott, der ihnen den Verstand dazu gegeben habe. Die fröhliche Figur platziert Leon jetzt genau in der Mitte. Dazu sagt er : »Ich möchte
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immer froh sein, in verschiedenen Situationen, dann spürst du die Nähe Gottes besonders. … Bei den Anderen nicht, nur, wenn ich froh bin…« Gebetsfragebogen Das Wichtigste am Beten ist für Leon, mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken. Weniger wichtig ist für ihn, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Unwichtig ist für ihn das Still-sein und Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen. Das Falten der Hände wird von Leon erst gar nicht bewertet. Leon hält sowohl ein direktes als auch ein indirektes Eingreifen Gottes für möglich. Wenn ein Mensch geheilt wird, dann kann das für ihn die direkte Folge des Gebets um Heilung, aber auch das indirekte Wirken Gottes durch Arzt oder Medizin sein. Dabei ist Leon der Aspekt der Souveränität Gottes wichtig. Er betet häufig am Morgen, am Abend, vor dem Essen, im Gottesdienst und anderen Gemeindeveranstaltungen und weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Manchmal betet Leon, wenn er Kummer oder Sorgen hat. Dazu, ob Freude, Angst, Einsamkeit, Wünsche oder das Leid anderer Menschen für ihn Anlass zu beten sind, macht er keine Angaben. Leon ist als junger Erwachsener vor über 15 Jahren von Peru nach Österreich gekommen. Seine Mutter ist Baptistin, und er hat ab und zu die Baptistengemeinde in Peru besucht, war aber dort kein aktives Mitglied. Eine durch die Migration verursachte Lebenskrise führte dazu, dass er in Österreich eine deutschsprachige Baptistengemeinde, zu der er immer noch gehört, besuchte. Dort fand er Unterstützung in seiner schwierigen Situation. Dadurch fand er auch wieder zum Glauben. Er ist in der österreichischen Gemeinde aktiv und hilft auch beim Aufbau der Latinobaptistengemeinde mit. Insgesamt ist er mit seinem Leben sehr zufrieden. Der Glaube an Gott ist ihm sehr wichtig. Er macht keine Angaben dazu, ob er seinen Glauben unterstützend empfindet. Den Gottesdienst besucht er, sooft er kann, andere Veranstaltungen eher selten. Seine Gemeinde ist für ihn sehr wichtig und er arbeitet häufig in seiner Gemeinde mit. Außerhalb der Veranstaltungen hat er selten Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Die Bibel ist für ihn sehr wichtig. Die praktische Nächstenliebe ist ihm wichtig, und er engagiert sich aufgrund seines Glaubens häufig politisch, manchmal sozial und selten nachbarschaftlich für seine Mitmenschen. Der Einladung zu einem Interview zu seiner Gottesvorstellung ist er sehr gerne nachgekommen. Er ist im Gespräch sehr offen und manchmal, wenn er über seine überwundenen Schwierigkeiten spricht, auch sehr berührt. Ab und zu kommen ihm Tränen. Es fällt ihm leicht, aus dem Materialbuffet Gegenstände für seine Collage auszuwählen. Er wählt eine größere Scherbe, eine Kastanie und eine aufgewickelte Drachenschnur. Die Gegenstände bastelt er nicht zusammen, sondern legt sie nur locker auf eine Unterlage, die er dabei aber nicht voll ausnutzt. In die linke untere Ecke legt er die Schnur, rechts ins Eck die Glasscherbe, dazwischen über beide legt er die Kastanie. Darüber gibt es einen größeren Freiraum. An einer Stelle ragt die Schnur über die Unterlage. Sie verbindet auch ein wenig die Scherbe und die Kastanie, indem sie an beiden Gegenständen vorbeiführt. Das Ganze wirkt von der Platzierung einerseits ausgewogen, andererseits frag-
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mentarisch, offen. Es ist noch Platz. Für Leon stellen die Gegenstände das dar, was Gott für ihn »macht« und wie er selbst in seinem Leben Gott erlebt. Gott ist für ihn ein ständiger Begleiter und Beschützer. Leon vergleicht sich mit einem Stein, in den nichts eindringen kann. So fühlt er sich von Gott geschützt. Hier ist eine Spannung zwischen den Symbolen, die Leon verwendet, spürbar : Auf der einen Seite ist da der Stein, in den nichts eindringen kann und auf der anderen Seite das zerbrochene Glas, das für Leons massive Probleme steht. Leon hat in seinem Leben nicht immer die Erfahrung gemacht, von Problemen verschont zu sein, aber er hat die Erfahrung gemacht, dass er trotz seiner massiven Probleme nicht zugrunde gegangen ist. Das deutet er letztlich als Gottes Wirken: Die Probleme sind zwar da, können ihm aber nicht wirklich schaden, und er weiß jetzt, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, weil Gott ihn hält. Im Gegenzug ist es für ihn wichtig, im Glauben an Gott festzuhalten. Es mag ihm in Rückblick auf die schwere Zeit auch Halt geben, Gott als denjenigen zu sehen, der durch die Probleme seinen Glauben prüfen möchte. Obwohl er auch eine andere Deutung parat hat: Der Teufel versucht den Menschen durch Ängste und Depressionen. Handelt es sich hier um eine dualistische Weltsicht oder fällt es Leon schwer, seine eigenen Ängste und negativen Gefühle anzunehmen? Nimmt er sie vielleicht als fremd, von außen kommend wahr und fürchtet sich, ihnen nachzugeben? Oder hilft ihm diese dualistische Sicht, mit den Anteilen einer Krise, die den Menschen gefährden, fertig zu werden? Gott ist für Leon der, der es gut meint und der für ein gutes Ende sorgt. Ambivalente Vorstellungen scheinen mit seinem Gottesbild nicht zusammenzupassen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Positionierung seiner Gefühlszustände zu Gottessymbolen. Nur die Emotion der Freude scheint für Leon stimmig in die Nähe Gottes zu passen. Obwohl er den verschiedenen Gottessymbolen in der zweiten Positionierung Bedeutung zumisst, im Sinne von spirituellen Zuwendungen Gottes oder durch den Menschen indirekt materielle Zuwendung Gottes, bezieht er die einzelnen Gefühle nicht darauf. Sie stehen verloren ohne Gottesbezug auf der anderen Seite von der – in der Liebe aufgefangenen – Freude. Wer oder was war Gott wirklich für ihn in seinen Krisen? War Gott für ihn vielleicht tatsächlich nicht spürbar und nur über die Menschen und die wiedergewonnene Freude konnte für Leon wieder ein Gottesbezug entstehen? Daher vielleicht auch sein Ringen, an Gott festzuhalten? Andererseits wird im Gespräch mit Leon deutlich, dass er sich vor allem in den schwierigen Zeiten seines Lebens an Gott wendet. Er erzählt von Zweifeln und Sorgen und dass er auch am Tag des Interviews viel geweint und gebetet habe. Das Gebet hilft ihm und entlastet ihn in dieser Situation. Er fühlt sich wieder sicher : ruhig und geschützt. Wie passt das zusammen, dass Leon sich immer wieder in seinen Schwierigkeiten an Gott wendet, Hilfe erfährt, aber offenbar meint, dass nur die Freude zu Gott passt? Im Interview wird deutlich, dass vor allem die Anfangszeit in dem neuen Land Österreich sehr schwierig war. Hier deutet Leon die Zuwendung von Menschen, aber auch Bibellesen und Gebet als Hilfe Gottes. Auch in der Zeit großer emotionaler und psychischer Belastung, als sein Leben und seine Ehe zerbrochen sind (zerbrochenes Glas), erlebt er, dass Gott alles zusammenhält (Verbundglas) und dass es für ihn wichtig ist, an Gott festzuhalten (Schnur). Die Schnur steht für Leon darüber hinaus für die Verbindung mit Gott, seine Treue und die richtige ethische Richtung im Alltag, eine Art innere Gewissheit, die richtigen Entscheidungen zu treffen und Versuchungen zu widerstehen. Er beschreibt
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diese innere Stimme wie ein zweites Ich (»zweites Ego«) in ihm, was ihm sagt, was richtig und was falsch ist, und das für Leon gleichbedeutend mit der Stimme Gottes ist. Nach einem besonderen Erlebnis der Nähe Gottes befragt, erzählt Leon von einer Lebenssituation, in der er sehr verzweifelt war, bis hin zu Selbstmordgedanken. Eine plötzliche Gewissheit, dass Selbstmord keine Lösung ist, deutet Leon als von Gott gegeben. Auch das Pastorenehepaar seiner Gemeinde hat ihm damals sehr geholfen, indem sie ihm sehr offen gesagt haben, er müsse an seinen Problemen arbeiten. In dieser schweren Lebenslage die richtigen Entscheidungen zu treffen und nicht seinen Impulsen zu folgen, ist für Leon zum Erlebnis der Nähe Gottes geworden. Seine Gottesbeziehung und andere Menschen haben dazu beigetragen, dass er seine persönlichen Probleme bewältigen konnte. Leons Gottesverständnis ist geleitet von einem Gott, der immer und überall da ist; dabei geht es jedoch weniger um den Ort, an dem Gott sich befindet. Es ist vielmehr ein Beziehungsverhältnis: Gott ist immer für ihn da. Gottes Handeln in dieser Welt stellt Leon sich indirekt durch die Menschen vor, durch ihren Verstand, ihre Entscheidungen, ihre Liebe, ihre Gefühle und ihr Interesse. Hilfe durch Menschen, die indirekt von Gott kommt, kann sehr konkret (z. B. finanzielle Hilfe durch andere Menschen), aber auch spirituell sein (Bibeltexte, die einen traurigen Menschen aufrichten). Leon meint, dass Gott seine Liebe nicht direkt zeigen könne, aber durch andere Menschen könne man sie spüren, wie er es z. B. in seiner Anfangszeit in Österreich erfahren hat. Auch durch die Mächtigen dieser Welt – die laut Leon ihre Macht von Gott bekommen haben – kann Gott indirekt handeln, indem er als eine Art spiritueller Ressource zur Verfügung steht, an die man sich im Gebet wenden kann, um dann Weisheit für die eigenen Entscheidungen zu bekommen. An schlimmen Sachen in der Welt ist der Mensch durch seinen Egoismus schuld. Leon hat kein legalistisches Gottesverständnis. Noch bevor der Mensch das Rechte tut oder sich gegen das Böse entscheidet, hat Gott sich ihm zugewandt und ihm trotzdem die Freiheit gegeben zu wählen. Gott ist für Leon eher der, der die Menschen schützt und das Böse zum Guten wendet. Gott hat den Menschen die Freiheit gegeben, zwischen gut und böse zu wählen. Die Souveränität Gottes scheint vorübergehend zu Gunsten der Autonomie der Menschen eingeschränkt (»Gott hat einen Schritt zurück gemacht«). Wenn der Mensch sich dafür entscheidet, Böses zu tun, dann ist Gott traurig. Gott ist auch traurig, wenn Beziehungen zerbrechen. Trotz dieses psychischen Anthropomorphismus ist Leons Gottesvorstellung durchaus transzendenzbewusst. Gottes Traurigkeit erscheint hier als Ausdruck der Liebe zu den Menschen. Ein Gott, der mitfühlt, wenn Beziehungen zerbrechen oder Menschen sich selbst zerstören. Man kann bei Leon dahinter einen Gott erkennen, der durch diese »Gefühle« im Leiden solidarisch ist. Gerade diese Aussagen sind aber auch besonders transparent für Leons Geschichte (zerbrochene Beziehung, Krise bis zur Selbstzerstörung). Für Leon ist das Gebet zur Bewältigung wichtiger Lebensereignisse von grundlegender Bedeutung. Er ist dadurch in der Lage, seine Emotionen zu regulieren. Dabei nimmt er selbst eine kooperativ-vertrauende Haltung ein und erwartet von Gott spirituelle Hilfe zur Selbsthilfe. Aber auch die konkrete Hilfe, die er durch Menschen erlebt, erfährt er als Hilfe bzw. Nähe Gottes. Für Leon ist sein Glaube eine wichtige Ressource zur Bewältigung seines Alltags und auch besonderer Lebenssituationen. Bei ihm ist eine große Bereitschaft zur moralischen Selbstkontrolle zu erkennen. Er folgt seinem Impuls, antisoziales oder (selbst-)schädigendes Verhalten zu unterlassen. Der Dreischritt Selbstbeobachtung,
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Selbstbewertung und Selbstverstärkung ist in der Schilderung von der symbolischen Bedeutung der Schnur gut erkennbar. Dabei ist Leon keineswegs gewissensängstlich, sondern ist sich der Vergebung Gottes gewiss. In dem, wie er über die Liebe spricht, die er durch Menschen erfahren hat, und dass er diese Liebe und Bereitschaft jetzt auch für ihn fremde Menschen empfindet, zeigt sich seine Tendenz zur Ich-Ausdehnung in der Teilnahme an der Liebe Gottes im prosozialen Engagement. Insgesamt zeigt Leon eine emotional bedeutsame Gottesvorstellung, die sich auch in seinem Denken und Handeln widerspiegelt. Den Gott, der immer bei den Menschen ist und sie schützt, erfährt Leon (besonders durch andere Menschen) in seinem Leben und auch in seinem Alltag als begleitend und schützend. Im Glauben an ihn gestaltet er sein Leben, richtet er sein Verhalten aus. Schwierigkeiten im Leben und die Hilfe Gottes darin machen einen Hauptteil des Interviews aus. In den Positionierungen stehen allerdings Angst, Traurigkeit, Schuldgefühle, Nachdenklichkeit und Zorn – Gefühle, die im Interview durchaus mit Gott in Verbindung gebracht werden – weit weg von Gott. Blendet Leon hier einen wesentlichen Teil seines Erlebens aus oder handelt es sich hier um ein Wunschbild, in dem, vielleicht aufgrund der vielen Schwierigkeiten, nur die Freude dominieren soll?
3.3.6 Lydia – Vertrauen zu dem Herrn Lydia ist zwischen 30 und 40 Jahre alt und in der Pflege älterer Menschen tätig. Gottesmetapher
Lydia gestaltet aus einem Kabel, einer Elektroplatine und einer CD einen Weg. Der Weg beginnt mit dem Stecker, läuft in mehreren Windungen und endet in der Platine. Es beginne mit einem »Sinn«, dafür stehe das Kabel, aber dann »verteilt [es] sich komplett drinnen (in der Platine)« und das »Ergebnis (die CD) ist etwas Schönes, komplett Komprimiertes«. Für sie, Lydia, stehe das für Gott, als »der Anfang von einem Vertrauen«. Das Vertrauen beginne mit dem Stecker und gehe dann durch das Kabel. Die vielen Windungen stünden für die Schwierigkeiten, da zeige der Herr uns viele Möglichkeiten, wohin der Weg gehen könne, »aber am Ende haben wir das Vertrauen auf Gott, erreichen wir
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etwas Schönes«: das Vertrauen. Sie, Lydia, selbst wisse nicht, wie sie aus der Situation herauskomme, aber Gott bringe uns am Ende ein Ergebnis, das uns staunen lasse, dafür stehe die CD. Sie denke da an gute Musik. So seien wir manchmal über das Ergebnis erstaunt, was trotz Schwierigkeiten am Ende herauskomme: »Am Ende ein schönes Ergebnis, mit Frieden und allem.« Also ein komplizierter Weg, der das Leben symbolisiere, mit Möglichkeiten und Schwierigkeiten, aber am Ende stehe ein schönes und gutes Ergebnis. Wo das Vertrauen sei? Das Vertrauen sei, dass »du dich in Gottes Hand lässt, dass er dich führt«. Wo Gott in ihrer Gestaltung sei? Gott sei am Anfang. Lydia zeigt auf den Stecker. Weil man sich mit ihm verbinde und er gehe auch mit uns, so wie der Strom in dem Kabel fließe. Gott gehe mit uns durch unser Leben. Das Leben präsentiere uns verschiedene Wege und auch Lösungen, wir müssten mit Weisheit entscheiden und Gottes Begleitung bestehe darin, dass etwas Schönes herauskomme, darin könnten wir ihm vertrauen und würden am Ende staunen. Wie das im Alltag ausschauen könne? Wenn sie aufstehe, dann wisse sie sich in Gottes Hand. Sie stecke den Stecker in die Dose, von Anfang an, und wisse, dass nichts zufällig sei und dass »Gott etwas erreichen möchte«. Als Beispiel nennt Lydia ihren Umgang mit ihren Patienten. Sie möchte es sich nicht leicht machen und sich ausreichend Zeit für einzelne Personen nehmen. Sie, Lydia, denke, wenn sie nicht den Herrn hätte, dann könne sie es nicht schaffen und sei vielleicht eine von den anderen, die es sich leicht machen würden. Sie bitte Gott dann darum, dass für die Zeit, die sie an diesen Stellen investiere, bei anderer Gelegenheit ein Ausgleich komme, weil sie eine bestimmte Zeit habe, in der sie fertig sein solle. Mit ihrer Gestaltung könne sie vergleichen, dass das schöne Ergebnis dann sei, »dass der Herr mir am Ende zum Beispiel durch die Person Lachen gibt oder ein Danke«, aber mit Tränen der Freude, nicht nur einen einfachen Dank. Ob diese Begleitung Gottes ihren Alltag verändere? »Oh ja, oh ja, weil dann hat mein Tag einen Sinn.« Lydia gehe es hier nicht um die finanzielle Seite ihrer Arbeit, weil sie damit nicht viel verdienen könne, es gehe ihr um die Menschen, da brauche sie Gottes Hilfe. Ob ihr noch eine andere Alltagssituation einfalle? Lydia spricht von ihrem Alltag als alleinerziehende Mutter. Was oft passiere, sei, dass sie wie jede Mutter ein bisschen streng sein möchte, aber es gebe Situationen, die gerieten außer Kontrolle, da wisse sie nicht, was sie tun solle. Dann gebe sie das in Gottes Hand, damit er ihr Weisheit gebe, dass sie wisse, wie sie entscheiden solle, nicht nach ihrem Wollen und Wünschen, sondern so, wie es für ihren Sohn gut sei, was »der Herr erreichen möchte«. Weil sie gesehen habe, dass manche ihrer eigenen Wünsche ihrem Kind auch schaden könnten. Das seien die Sachen, die Gott ihr ans Licht bringe. Sie könne das nicht allein entscheiden. Das sage sie auch manchmal ihrem Sohn: »Ich kann nicht entscheiden, wir müssen zusammen beten, dass der Herr uns zeigt, wie soll[en wir] … weitermachen«. Wie es ihr
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möglich sei zu hören? Wie sie dann erfahre, wie es weiter gehe? Lydia erzählt von einer Situation, in der sie nicht sicher gewesen sei, ob sie ihrem Sohn einen Skianzug kaufen solle. Sie bete dann in solchen Situationen. Sie rede mit Gott über die Situation. Wenn dann später, trotz Kauf, das Budget wieder ausgeglichen sei, dann wisse sie, es sei richtig gewesen. Vielleicht sei es so, weil sie Alleinerziehende sei. Vielleicht hätte ihr sonst ihr Mann die Entscheidung abgenommen. Aber so begleite sie der Herr die ganze Zeit und zwar so, dass sie für sich sagen könne, dass »er sehr lebendig ist in solchen Situationen«. Sie wolle immer das, was Gott ihr gibt, gut investieren. Sie wisse, ihr Geld sei nicht ihres, das habe sie »in Gottes Hand gelassen«: Und wenn ihr etwas fehle, dann sage sie: »Herr, hier sind die Rechnungen, nimmst du das auch? Ja, wenn ich nicht mehr kann, dann kann ich nicht mehr, aber der Herr hat mir wirklich immer gesagt, dass er wirklich da ist und so, bis jetzt komm’ ich ganz gut zurecht.« Ob es auch Situationen gebe, in denen sie das Gefühl habe, dass Gott nicht da sei? Das könne Lydia nicht sagen. Seit ihrer Scheidung sei ihr Vertrauen in Gott gewachsen. Sie sei früher auch gläubig gewesen, aber sie glaube, ihre Bekehrung habe »ganz komplett« seit ihrer Scheidung angefangen. Mit ihrer Collage wolle sie zeigen, dass ihr Vertrauen in Gott so groß geworden sei, dass sie sich auf Gott »komplett verlassen« könne. Also, es gäbe nichts, keine Zweifel, von denen sie sage könne, »dass der Herr nicht mit ihr sei«. Vielleicht hätte sie das früher so gesagt, aber jetzt sei ihr Vertrauen zu ihm »komplett«, sie habe eine lebendige Beziehung mit ihm. Es seien gute Jahre gewesen. Am Anfang seien viele Fragen gekommen. Es sei auch schwierig gewesen, aber auf der anderen Seite sei, wie es in Gottes Wort stehe, nichts in unserem Leben ohne Sinn. In unserem Leben passiere nichts zufällig. Sie denke, der Herr habe mit ihr erreicht, was er wolle. Das Schönste sei für sie: Am Anfang habe sie gefragt, warum Gott das zugelassen habe, aber jetzt sehe sie, dass Gott sie mit den Jahren stärker gemacht habe und durch seine Gnade sei sie geworden, was sie jetzt ist. Ob Gott mit den Menschen in Verbindung stehe? Gott stehe mit den Menschen durch die Natur und auch durch zwischenmenschliche Beziehungen in Verbindung. Auch durch ihr eigenes Selbstbewusstsein, »wenn die Menschen selbst entdecken, dass sie etwas erreichen, dieses Gefühl, dass sie [etwas] wert sind, darin steckt … Gott auch«: Vielleicht würden das die Menschen, wenn sie Gott nicht kennen würden, nicht sehen, dass es Gott sei, aber »du fühlst dich [als] Mensch, und Gott hat dich geschaffen als Mensch und das bist du. … Ich denke, Gott zeigt sich dort selbst«. … Gott könne auch durch das eigene Gespür, die eigenen Gefühle der Menschen selber etwas tun. Wenn die Menschen zum Beispiel etwas Gutes tun würden, würden sie sich wohlfühlen. Ob Gott sich etwas vom Menschen wünsche? Gott wünsche sich, von uns geliebt zu werden, so wie ein Vater sich das von seinen Kindern wünsche. Ob Gott sich etwas wünsche, wie die Menschen miteinander oder mit der Natur umgehen sollen? Die Menschen
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sollten auf die Schöpfung, die Natur aufpassen. Eigentlich sollten wir auf alles aufpassen, es gehöre uns nicht: »So wie wenn ich in ein fremdes Haus gehe, muss ich komplett aufpassen, dass nicht etwas kaputt wird«. Und wir seien in einem Haus, dass uns nicht gehöre, und das sei die Welt. Gott wünsche sich am meisten, dass wir das, was er uns gegeben habe, »gut zurückgeben«. Es gebe viel Schlimmes auf der Welt. Ob Gott daran schuld sei? Lydia glaubt nicht, dass Gott daran Schuld sei, die Sünde der Menschen mache das selber. Es gäbe »keine Grenze, keine Abgrenzung von der Sache und wir machen uns selber kaputt«. … Es gäbe keinen richtigen Weg mehr. Die Familien würden auseinanderbrechen, nicht dass das Gott gemacht habe, aber diese Wege würden den Menschen in Nöte bringen und nur in der Not würden die Menschen Gott suchen. In der dritten Welt würden die Menschen verhungern, aber sie wüssten, es gebe einen Gott. Daher müsse es in Europa so kommen, und Gott werde das nicht ohne Sinn lassen. Die Moral und alle Parameter hätten den Menschen blockiert, eine Hoffnung zu sehen, und durch die Not würden sie kommen oder sie würden entscheiden zu sterben. Aber sie selbst denke, sie würden das »Licht, auch wenn sie nicht möchten, sehen«. Ob die Not durch Gott einen Sinn mache, weil die Menschen anfangen, Gott zu suchen? Genau! Ob Gott die Not gemacht habe? Sie selbst sage nicht, dass Gott die Not gemacht habe. Er ließe sie zu, er »bremse« nicht, aber der Mensch mache »selbst kaputt«. Gott könne natürlich die Not stoppen, aber er lasse sie zu, weil er auch wisse, dass Menschen durch die Not zu ihm kommen. Er selber aber mache sie auf »keinen Fall«. Wenn Menschen etwas Schlechtes machen, wie das für Gott sei? Es sei auch für Gott schlecht. Lydia denke nicht, dass Gott ein Richter sei, aber Sünde sei Sünde auch vor Gott. Und trotzdem habe Gott diese Person lieb und gebe ihr eine neue Chance. Was Gott mit bösen Menschen mache? Gott liebe auch sie, weil er auch uns bis zum Ende geliebt habe. Er würde da nicht trennen, »er teilt nicht auseinander«. Aber da sei auch der Feind in dieser Welt, der könne die Menschen »komplett« von Gottes Weg entfernen. Weil sie es vorher schon erwähnt habe, ob sie auch hier meine, dass Gott diesen Menschen auch neue Chancen gebe, wenn sie gesündigt hätten? Dem stimmt Lydia sehr zu, weil sie habe das ja selber so erlebt. Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, wo sie sich Gott besonders nahe fühle? Sie selbst fühle sich Gott nahe, wenn sie im Gebet sei, wenn sie für jemand anderen bete. Sie habe entdeckt, dass Beten Macht sei. Vorher habe sie das so nicht erlebt, aber jetzt wisse sie, wenn sie bete, dass der Herr mit ihr sei, und so fühle sie sich ihm nahe. Ob sie schon mal ein Erlebnis der besonderen Nähe Gottes gehabt habe? Besonders stark habe sie Gottes Nähe gespürt, als die Situationen in ihrem Leben »so hoch eskaliert« seien. In solchen Zeiten spüre sie, dass der Herr ihr »trotzdem komplett« sage: »Lydia, jetzt bist du bei mir«. Und wenn es so sei und sie sich manchmal nicht auskenne, gebe der Herr ihr die
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Sicht, dass sie sich zurücklehnen und sagen könne »Super Herr, jetzt bist du da, jetzt greifst du [ein] … ». Durch solche Notsituationen habe sie ja den Herrn besonders kennen gelernt. Nicht dass sie das brauche, um den Herrn zu spüren, ansonsten spüre sie in Notsituationen, dass der Herr sie umarme. Wo sie sich selbst in ihrer Gestaltung sehe? Sie sehe sich am Ende des Weges und zeigt auf die Stelle, wo das Kabel in die Platine mündet. An dem Punkt, wo der schwierige Weg quasi zu Ende sei und wo dann das Schöne schon ganz nahe sei? Genau. Eine Überschrift für ihre Gestaltung? Vertrauen zu dem Herrn. Positionierung mit einem Gottessymbol
In der ersten Positionierung sucht Lydia sich intuitiv das Symbol für Gott als Kraft heraus. Die traurige, die ängstliche und die schuldbeladene Figur stehen in einem geringen Abstand um das Symbol herum. Die nachdenkliche und die wütende Figur sind etwas weiter entfernt. Alle Figuren sind auf das Symbol ausgerichtet. Die fröhliche Figur steht am Weitesten entfernt und ist dem Symbol auch nur halb zugewandt. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei der Positionierung der Figuren mit mehreren Gottessymbolen fällt auf, dass keine Figur wirklich nahe an einem Gottessymbol steht. Sie stehen oft zwischen
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den Gottessymbolen oder auf mehr als ein Symbol bezogen: Die Traurige sitzt zwischen dem väterlichen und dem mütterlichen Aspekt Gottes, die Nachdenkliche zwischen der Quelle des Lebens und der Kraft. Die Fröhliche ist auf das Licht und die Quelle des Lebens bezogen. Die Schuldbeladene befindet sich nahe an der inneren Stimme, aber auch bezogen auf die Kraft und die Quelle des Lebens. Die Wütende ist zwischen der Kraft und dem Netz der Liebe und Verbundenheit. Die Ängstliche steht zwischen Gott-Vater und dem Netz der Liebe und Verbundenheit. Alle haben ungefähr die gleiche Nähe und den gleichen Abstand zueinander. Es ergibt sich ein ausgewogenes Bild, in dem keine der Figuren oder keines der Symbole einen besonderen Platz einnimmt. Gebetsfragebogen Beim Gebet ist Lydia die Stille besonders wichtig. Auch mit Gott über alles sprechen und Gott danken und ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen, ist wichtig für Lydia. Sie ergänzt noch, dass ihr Loben und Danken und ein Gefühl von Liebe und Loslassen wichtig sind. Gott die eigenen Bitten und Wünsche sagen und das Falten der Hände ist ihr nicht so wichtig. Lydia rechnet mit Gottes indirektem Handeln durch Ärzte und Medikamente, dabei nimmt sie eine kooperativ-vertrauende Haltung ein, in der ihr auch die Souveränität Gottes wichtig ist. Lydia betet manchmal am Abend vor dem Einschlafen, im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen, und wenn sie sich freut. Bei allen anderen Gelegenheiten, am Morgen, vor dem Essen, bei Angst, Kummer, Sorgen und Einsamkeit, wenn sie sich etwas wünscht, wenn sie vom Leiden anderer Menschen hört und wenn sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte, betet sie häufig. Lydia ergänzt noch, dass sie auch häufig betet, wenn jemand in Not ist, wenn ihr die Weisheit fehlt, Entscheidungen zu treffen, und wenn sie jemanden kennen gelernt hat, dann betet sie, dass dieser Mensch Gott kennen lernt. Lydia ergänzt folgende Fragen, die sie gerne mit jemandem besprechen möchte: »Wie schwer ist [es] manchmal, Gottes Plan zu … akzeptieren? Wie schwer ist [es], treu im Gebet zu bleiben (wegen Person, Sache, Situationen)? Das Gebet hat ›Macht‹?« Lydia ist eine selbstbewusste, aktive Frau, die nach ihrer Scheidung allein mit ihrem Sohn in Österreich lebt. Sie ist vor über 15 Jahren aus Peru nach Österreich gekommen. In ihrem Heimatland hatte sie ursprünglich ein akademisches Studium begonnen, das sie hier nicht fortsetzen konnte. In Österreich musste sie sich beruflich und sprachlich neu orientieren. Sie war schon in Peru Mitglied einer Freikirche und besucht nun eine Latinobaptistengemeinde. Dort gehört sie zum Leitungsteam. Mit ihrem Leben ist Lydia zufrieden. Der Glaube an Gott ist ihr sehr wichtig, und sie erlebt ihren Glauben unterstützend. Den Gottesdienst besucht Lydia relativ häufig, andere Gemeindeveranstaltungen selten. Ihre Gemeinde ist sehr wichtig für sie, und sie arbeitet häufig mit. Sie hat auch außerhalb der
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Veranstaltungen Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Die Bibel und praktische Nächstenliebe bewertet sie mit einem mittleren Wert. Sie engagiert sich aufgrund ihres Glaubens häufig sozial, manchmal politisch und nachbarschaftlich für ihre Mitmenschen. Auf die Anfrage, an einem Interview teilzunehmen, hat Lydia gleich begeistert reagiert. Sie kam gerne mit einigen anderen Frauen gemeinsam zum Gespräch. Die drei Frauen bastelten gleichzeitig. Das Einzelgespräch fand nacheinander statt. Lydia sucht sich vor allem eher technische Materialen (Kabel, Elektroplatine, CD) sehr schnell und zielsicher aus dem Materialbüffet aus und gestaltet ihre Collage zügig, indem sie die Einzelteile, ohne Unterlage, locker vor sich auf den Tisch legt. Der Anfang des Kabels ist mit der Platine verbunden, das Ende, der Stecker, ragt in die Luft, ohne mit einer (Strom-)quelle verbunden zu sein. Die CD liegt offen vor der Elektroplatine. Das Ganze wirkt etwas wirr und unfertig. Für Lydia selbst stellt die CD ein »schönes Ergebnis« eines langen und nicht immer einfachen Prozesses dar, symbolisiert durch das verworrene Kabel und die Platine. Sie beschreibt damit Schwierigkeiten in ihrem Leben. Das verworrene Kabel steht für einen Lebensweg, der nicht immer gerade ist und auf dem es manchmal in verschiedene Richtungen geht. Hier ist oft ihre eigene Entscheidung gefordert. Gott ist für Lydia der, der sie durch ihre Lebensschwierigkeiten begleitet, ihr verschiedene Möglichkeiten eröffnet und dafür sorgt, dass am Ende ein schönes Ergebnis, über das sie dann staunen kann, herauskommt. Das zentrale Thema Lydias Gottesbeziehung betreffend ist Vertrauen. Vertrauen, so beschreibt Lydia sowohl den Weg (Kabel) als auch das »schöne« Ergebnis (CD), und sie gibt ihrer Gestaltung den Titel »Vertrauen zu dem Herrn«. Innerhalb ihrer Gestaltung sieht sie sich selbst ganz in der Nähe des schönen Ergebnisses (symbolisiert durch die CD). Sie hat den schwierigen Weg quasi hinter sich. Sie gibt an, dass ihr Vertrauen zu Gott und auch sie selbst durch die Schwierigkeiten in ihrem Leben (ihre Scheidung) gewachsen seien. Das bezeichnet sie als Gnade Gottes. An Zeiten der Abwesenheit Gottes erinnert Lydia sich nicht. Ihre Gottesbeziehung beschreibt sie als lebendig. Im Gebet und in Notsituationen fühlt sich Lydia Gott besonders nahe. Sie drückt das mit dem körperlichen Gefühl einer Umarmung aus. Sie spürt dann, dass Gott da ist und eingreift und sie sich zurücklehnen kann. Lydia bezieht das Gebet bewusst in die Gestaltung ihres Alltags ein. Sie bittet Gott darum, dass sie in knapper Zeit jedem Menschen die für ihn nötige Aufmerksamkeit zukommen lassen kann. Gott ist hier sehr konkret die Instanz, die garantieren soll, dass jedem Menschen das zukommt, was er oder sie braucht. Eine Art Gerechtigkeit, die nicht darin besteht, dass jede Person exakt die gleiche Zeit bekommt, sondern darin, dass alle genug haben und zufrieden sind. So stellt sich Lydia auch das Ergebnis vor : zufriedene und besonders dankbare Patientinnen und Patienten. Lydia sieht hier ein synergetisches Mitwirken mit Gott: Sie tut, was sie kann, und sie bittet Gott, das zu tun, was nicht in ihrer Macht liegt. Durch ihren Glauben und ihre Gebete erlebt Lydia ihre Arbeit als sinnvoll. Sie fühlt durch ihren eigenen Selbstwert, dass sie von Gott geschaffen und akzeptiert ist, dass auch sie trotz ihrer Schuld bejaht ist, und dass sie in ihrem Alltag mit Gott mitliebt. In einer weiteren Konkretion im Alltag ähnelt ihre Gottesbeziehung der Beziehung zu einem Partner. Bei schwierigen Entscheidungen wendet sie sich im Gespräch an Gott. Gott reagiert dann eher indirekt, indem er Lydias Entscheidung – im geschilderten Fall im Nachhinein – bestätigt. Im Endeffekt ist es Lydias eigene Entscheidung, die sie trifft, aber ihr scheint es wichtig zu sein, dass Gott die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestätigt. Gott
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kommt hier die Rolle einer Art Ersatzpartner zu. Lydia betont besonders, dass ihre Gottesbeziehung nach ihrer Scheidung intensiver geworden ist. Ist hier genügend Raum für Ambivalenzen? Was ist, wenn die Bestätigung ausbleibt? Spiegelt sich an dieser Stelle Lydias Gottesvertrauen oder doch eher der Wunsch nach einem Partner, mit dem sie die Verantwortung für Alltagsentscheidungen teilen kann? Welche Rolle käme Gott zu, wenn sie in einer erfüllenden Partnerschaft leben würde? Lydias Gottesverständnis ist geprägt von einem akzeptierenden, ermutigenden Gott, der jedem Menschen eine Chance gibt. Der Mensch erkennt, nach Lydias Verständnis, Gott und seinen Willen eher auf natürlichem Wege: durch die Natur, zwischenmenschliche Beziehungen, die Not oder das eigene Gewissen. Interessant ist Lydias Betonung des Selbstwertes für den Menschen. Hier ist für sie ein Ort der Kontaktaufnahme mit Gott. Wenn der Mensch seinen Wert spürt und sich als Schöpfung Gottes begreift, dann erkennt er auch Gott. In Lydias Gottesverständnis ist Gott der, der die Schöpfung und die Menschen sehr liebt. Gott wünscht sich, ebenfalls vom Menschen geliebt zu werden, und auf die Natur soll der Mensch wie auf ein anvertrautes Gut aufpassen, damit er es einmal »gut zurückgeben« kann. Auch durch die Bibel kann der Mensch das erfahren, aber der Weg über das Gewissen ist, laut Lydia, leichter, weil die Menschen nicht unbedingt in der Bibel lesen oder sie nicht verstehen. Dadurch, dass die Menschen durch ihr Gewissen Gut und Böse unterscheiden können, weiß Lydia, dass Gott jedem einzelnen Menschen noch Gnade gibt. Der Mensch hat hier die Freiheit zu entscheiden. Er ist autonom und trägt die Verantwortung für sein Handeln. Schlimme Dinge gibt es durch die Sündhaftigkeit des Menschen. Lydia gibt Gott nicht die Schuld daran. Gott hat die Not nicht gemacht, er lässt sie zu, damit den Menschen ihre Lage bewusst wird. Die Not ist für sie eine Möglichkeit zur Gotteserkenntnis. Bei Lydia ist ein symbolisch-analoger Anthropomorphismus erkennbar, wenn sie darüber spricht, dass Gott die Menschen liebt oder er über das Verhalten des Menschen traurig ist. Sie schreibt Gott keine Gefühle im direkten Sinne zu. Auch ein legalistisches Verständnis ist nicht erkennbar. Gott trennt nicht zwischen bösen und guten Menschen und gibt jedem eine neue Chance. Lydia hat ein durchaus transzendenzbewusstes Gottesverständnis, auch wenn Gott ihr in ihrem Alltag manchmal sehr konkret hilft. Wenn ein Budgetloch dann doch wieder gefüllt wird, steht dahinter kein magisches Verständnis im Sinne eines Artifizialismus oder Automatismus, sondern eine Bestätigung, dass die Entscheidung richtig war und Lydia Gott auch in diesen Kleinigkeiten (die für sie ja gar nicht so klein sind) ihres Lebens vertrauen kann. Lydia rechnet mit Gottes indirektem Handeln, vor allem durch Menschen, die an Gott glauben, aber auch durch die Gefühle der Menschen selbst: Wenn ein Mensch etwas Gutes tut und sich danach wohl fühlt, dann sieht sie darin Gottes Handeln. Auch im Gebetsfragebogen wird sichtbar, dass Lydia mit Gottes indirektem Handeln rechnet. Aus den Fragen, die sie im Gebetsfragebogen ergänzt, sehen wir, wie sie der Widerspruch, den es zwischen den eigenen, vielleicht im Gebet formulierten, Wünschen und der Realität (sie nennt es Gottes Plan) gibt, beschäftigt: »Wie schwer ist [es] manchmal, Gottes Plan zu … akzeptieren?« Mit der Frage »Das Gebet hat ›Macht‹?« fragt sie nach der Wirkung von Gebet überhaupt, vielleicht auch nach möglichen magischen Zusammenhängen zwischen Gebet und Wirkung. Hiermit setzt sie sich aktiv mit ihrer Erfahrung und ihrem Gottesverständnis auseinander und reflektiert Widersprüche. Für Lydia ist ihr Glaube eine wichtige Ressource zur Bewältigung ihres anstrengenden Alltags als Arbeitnehmerin in der Pflege und als alleinerziehende Mutter. Gott ist für sie
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eine Art Gesprächspartner, mit dem sie auch Alltagsprobleme wie die Zeiteinteilung bei den Patientinnen und Patienten oder das Haushaltsbudget besprechen kann. Insgesamt ist Lydias Gottesbeziehung geprägt von einem großen Vertrauen zu einem zugewandten, akzeptierenden Gott, der im Gespräch über Sorgen und Alltagsprobleme für sie ein echtes Gegenüber, ein reales DU ist. Das Vertrauen ist über die Jahre gewachsen und hält auch Belastungsproben stand. Not ist für sie keine Situation der Abwesenheit Gottes, sondern gerade der besonderen Nähe. Besonders nach ihrer Scheidung wird ihr der Glaube an Gott wichtig. Damit zeigt sich hier für sie der Glaube auch als Ressource zur Bewältigung nicht nur des Alltags, sondern auch bedeutsamer Lebensereignisse. Sie selbst ist dank- und verehrungsbereit und hat eine positive Lebenseinstellung. Sie ist prosozial engagiert und wirkt in ihrer Arbeit synergetisch mit Gott mit. Es bleibt die Frage, ob in Lydias Gottesvorstellung genügend Raum für Ambivalenzen vorhanden ist. Gott ist für sie letztlich der vertraute, bekannte Gott, zu dem durch Krisen ein festes Vertrauen gewachsen ist. Was ist aber, wenn das erwartete schöne Ergebnis ausbleibt? Der Überschritt von der Deutung, dass es hier Gott ist, der eine nachträgliche Bestätigung für eine Entscheidung durch den Ausgleich des Budget vornimmt, und die Erwartung einer konkreten materiellen Hilfeleistung ist sehr naheliegend. Mit dem Vertrauen als einem »schönen Ergebnis« am Ende des Weges wird im Moment deutlich, dass Lydia vor allem spirituelle und nicht materielle Hilfe von Gott erwartet.
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3.4.1 Joachim – Der mich nicht fallen lässt Joachim ist Wissenschaftler und gehört zur Altersgruppe 50 bis 60 Jahre. Gottesmetapher
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Joachim hat für seine Gestaltung einen Knopf an einer Sicherheitsnadel befestigt. »Also ich dachte, Gott lässt mich nicht fallen und daher die Sicherheitsnadel. … Gott hält mich!« Was das für ihn bedeute? »Ja, wenn ich so denke, meine Beziehung zu Gott, was ich mir vornehme, wo ich mir denk’, dass Gott es von mir möchte, manchmal klappt es und manchmal nicht so ganz. Oder ich werde nachlässig. Also, es schaut dann ein bisschen so aus wie ein Auf und Ab. Da denk ich mir, es ist eigentlich schon toll, dass Gott nicht sagt: Na ja, so mit dem Joachim ist eh nichts zu machen. Das ist viel zu mühsam, den lass ich fallen. Er sagt das eben nicht, sondern (Joachim atmet tief durch) ja, hält fest an mir. Ich hab’ auch so den Eindruck gehabt mal, wo ich selbst gesagt hab’: ›Ich bin ein Versager‹, dass Gott mir sagen will: ›Sag nicht, du bist ein Versager, sondern wir gemeinsam schaffen es!‹« Wie Gott ihm das mitgeteilt habe? »Ein Gedanke, der mir kam. Wo ich doch ziemlich sicher war, dass Gott irgendwie sich so sträubt dagegen, das so stehen zu lassen, wenn ich sage, ich bin ein Versager. Also er will schon, dass ich realistisch bin, aber diese Sichtweise bejaht er eigentlich nicht oder will nicht, dass ich’s so angehe oder dass ich’s so sehe.« Wo er selbst in der Gestaltung sei? »Also, der Knopf bin ich und Gott ist – ja, vielleicht ist Gott noch viel mehr, das weiß ich nicht, aber das ist eben ein Teil oder eine Aktion von Gott, die ich eben merke, dass er mich hält so wie die Sicherheitsnadel (den Knopf hält).« Auf die Frage hin, wo Gott sei, betont Joachim, dass Gott Geist sei und keinesfalls räumlich zu verorten. »Also, ich seh’s so: Gott ist Geist und der Geist des Menschen, also mein Geist, hat die Aufgabe und die Fähigkeit, zu Gott Kontakt zu haben und das ist eben ein geistliches Geschehen.« Wie man sich das vorstellen könne? Es sei nicht sichtbar, es sei ein geistlicher Vorgang. Es sei etwas, was der Mensch könne, aber doch auch üben müsse, weil es unterentwickelt sei. Joachim vergleicht es mit einer Antenne: Der Mensch habe eine Antenne. Er könne da auf Empfang stellen, aber wenn die Antenne schlecht eingestellt sei, höre er Gott trotzdem nicht. Joachim überlegt noch einmal kurz aufgrund der Frage: Gott habe das Räumliche geschaffen, sei aber selbst nicht Teil des Räumlichen, könne aber in das Räumliche hineingehen, »so wie Jesus Mensch wurde, und dann auch gesehen werden. Aber das, was jemand dann sieht, wenn er dem Menschen Jesus begegnet damals vor 2000 Jahren, was er da sieht, ist ja nicht so sehr Gott, sondern eben eine Gestalt, die Gott annahm.« Ob es für andere wahrnehmbar sei, wenn ein Mensch mit Gott Kontakt habe? »Das ist eine gute Frage, das weiß ich nicht, weil so den engen Kontakt mit Gott such’ ich ja vor allem, wenn ich alleine bete, dann bin ich alleine. Aber grundsätzlich wär’s natürlich denkbar, in der Gemeinde in einem Gottesdienst, dass das auch geschieht, dann könnte dann wer anderer das auch mitbekommen, aber eben auch durch seinen Geist, nicht (durch) das, was er an mir sieht.« Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? Joachim denkt nach. »Ja, er hat sie geschaffen
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und er ist weiterhin interessiert an ihr. Er ist nicht identisch mit ihr. Er lässt auch Vieles geschehen in der Welt, wo er nicht so glücklich ist drüber, aber er hat das eben so eingeordnet, dass ein gewisser Freiraum da ist, für Persönlichkeiten, wie zum Beispiel für Menschen, die Manches tun können, was Gott nicht so gut findet, aber er hat diesen Freiraum vorgesehen und respektiert ihn auch.« Ob er auch etwas mit den Menschen zu tun habe? »Er ist sehr interessiert an ihnen. Wie weit er im Leben des einzelnen Menschen mit dabei ist, hängt auch vom Menschen selbst ab.« Ob Gott in Verbindung mit den Menschen sei? »Er ist interessiert daran, und das hängt doch auf jeden Fall auch von den Menschen selbst ab, wie weit sie die Verbindung wollen und sich öffnen dafür.« Ob Gott mit den Menschen spreche? »Ja, von Geist zu Geist. … Also im Allgemeinen keine akustisch hörbare Stimme, die alle im Raum hören würden. Obwohl das auch möglich ist. Aber im Allgemeinen eher nicht, sondern von Geist zu Geist und da ist die sichtbare Welt, also eben auch die Schallwellen, eben nicht nötig. Wobei der einzelne Mensch, der das dann eben aufnimmt, was Gott da sagt, vielleicht auch nicht einmal so genau unterscheiden kann, ob das jetzt Schallwellen waren oder nicht waren, denn das, was beim Menschen selbst dann ausgelöst wird, so die Worte, die er meint zu hören, die könnten ähnlich sein.« Ob Gott andere Möglichkeiten habe, zu den Menschen zu sprechen? »Ja, Gott verwendet andere Menschen, mitunter auch sehr punktuell. Dass ein Mensch in mein Leben hineintritt, mit dem ich vorher kaum zu tun hatte und nachher auch kaum, und doch das war irgendwie sehr wichtig für mich. … Ähnlich, wie wenn da ein Engel in mein Leben hineintritt, obwohl’s ein realer Mensch war.« Gott könne auch durch »geschlossene Türen« deutlich machen, dass etwas derzeit nicht möglich sei. Ob Gott sich etwas vom Menschen wünsche? »Ja, Gott möchte vor allem Kontakt und intensiveren Kontakt, also Gemeinschaft mit den Menschen haben. Und Gott möchte, dass der Mensch ihm vertraut.« Gedanken, wie die Menschen untereinander oder mit der Natur umgehen sollten, habe Gott auch. Die wolle er ihm vor allem durch die Bibel nahebringen, »aber das Ganze sollte aufgebaut sein auf einer Gottesbeziehung, auf Gottvertrauen«. Jeder Mensch habe auch ein Gewissen, das auch zu tun habe mit diesem Geiste eines jeden Menschen. Das könne der Mensch entwickeln oder vernachlässigen. Wie das für Gott sei, wenn der Mensch anders handle, als Gott es sich wünsche? »Ja, Gott ist traurig darüber.« Ob Gott in dieser Welt handle? Nach kurzem Nachdenken meint Joachim, dass Gott in seinem Plan manche Dinge mitverwende (2x) oder zulasse. Somit würde Gott indirekt handeln, aber auch direktes Eingreifen Gottes hält Joachim für möglich. Jedes Wunder sei so etwas. Ob Gott etwas durch Menschen bewirken könne? Das hält Joachim für möglich, aber in seinen Augen sei das dann eigentlich auch ein direktes Eingreifen Gottes, wenn Gott einem Menschen einen Impuls gebe, etwas zu tun, was er so nicht tun
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würde. Es gebe viel Schlimmes in dieser Welt, ob Gott daran schuld sei? Gott habe »Persönlichkeiten, also Engeln und Menschen, einen gewissen Freiraum eingeräumt«. Damit habe er auch diese Möglichkeit eingeräumt und »deswegen könne man sagen, ist Gott ein Stück weit verantwortlich, dass es dazu kommen konnte. Aber dass es dann dazu kam, das waren eben Entscheidungen von wahrscheinlich Engeln auch und Menschen«. Auch Engel seien beteiligt? »Ja, die Frage, wie kamen die Menschen zum Bösen, wurden sie da von Engeln oder von einem Engel verführt? Wahrscheinlich.« Wie Gott mit Menschen umgehe, die Böses tun würden? »Wie man sieht, lässt Gott viel Böses zu. Wie weit oder wann er eingreift, derzeit manchmal und manchmal nicht, in der Zukunft hoffe ich, dass er sehr wohl radikal eingreifen wird und eben dem Bösen ein Ende machen wird. Wie er mit den Menschen umgehe? »Also, das erste ist sicher, dass Gott zu diesen Menschen reden will, was manchmal gelingt und oft nicht. Was er dann genau machen wird in Zukunft, das weiß ich nicht. In irgendeiner Weise wird er dem Bösen ein Ende machen, aber was er genau mit den Menschen macht, das weiß ich nicht.« Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, an denen er besonders an Gott denke? »Orte könnt’ ich eigentlich nicht sagen, Zeiten auch nicht, Situationen, also Gottesdienst in der Gemeinde ist sicherlich so eine Situation, wo ich fallweise an Gott denke … jahreszeitlich Ostern und Weihnachten ist schon auch etwas intensiver, dass da eben Gedanken an das Wirken Gottes stärker noch da sind.« Wie er Gott im Alltag erlebe? Vor allem erlebe er, Joachim, Gott in seinen persönlichen Gebetszeiten. Alles weitere sei ein Stück weit Deutung. Er könne nicht sagen, ob bei dem, was er im Alltag erlebe, Gott dahinter sei. Ob er ein Gefühl der Nähe Gottes kenne? Im Alter von 16 Jahren habe ihn plötzlich das Bewusstsein »überfallen«, wie Gott sein Leben sehe. »Nämlich, dass obwohl ich religiös war und Gott irgendwo einen Platz in meinem Leben hatte, aber trotzdem ich selbst irgendwo im Mittelpunkt war. Mir wurde bewusst, dass es eigentlich anders sein sollte, dass Gott im Mittelpunkt sein soll. Und das ist mir sehr plötzlich bewusst geworden und da hat ich so den Eindruck, dass Gott da ist und eben sehr massiv zu mir redet.« Was er gesagt habe? »Na, es war diese Erkenntnis, diese Einsicht, die ich bekommen habe. Formulierungen, die Gott da gesagt hat, waren wahrscheinlich gar keine. Eher so ein Reden durch die Situation, durch dieses Bewusstsein. So wie Schuppen von den Augen fallen, dass ich’s auf einmal klarer seh’.« Vorher sei er katholisch gewesen und habe eher eine geschäftliche Beziehung zu Gott gehabt. »Ich betete zu Gott, wo ich Hilfe wollte. Mein Bild in Bezug auf Gott war aber eher etwas kaufmännisch. So im Sinne, na ja, wenn ich etwas tu für Gott, also in die Kirche gehe oder wenn ich bete, dann quasi als Gegenleistung hilft mir Gott.« Eine Überschrift für die Gestaltung? »Der mich nicht fallen lässt.«
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Joachim sucht sich den mütterlichen Aspekt Gottes als das Symbol heraus, was ihm gerade am Nächsten ist. »Wobei ich nicht so sehr das Weibliche sehe, doch aber eine Persönlichkeit, die fürsorglich ist.« Gott sei »irgendwo da in der Mitte«. Er positioniert den Ängstlichen ganz nah zur Mutter. Wenn er ängstlich sei, dann sei er sich stark bewusst, dass er Gott brauche. Bei den anderen Figuren sei für ihn nicht gleich so der Bezug zu Gott da, dass er sich jetzt zu Gott wenden oder mit ihm reden müsse. Die Figuren würden eher neutral stehen, weder zu- noch weggewandt. Der Traurige sei auf Gott ausgerichtet, aber doch nicht ganz so nahe. »Der Ängstliche treibt mich dann also doch intensiver zu Gott hin.« Bei dem Wütenden habe er nicht so den Bezug, dass er damit zu Gott komme. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Für Joachim ist es bei der zweiten Positionierung eine schwere Aufgabe, den einzelnen Gemütslagen Gottessymbole zuzuordnen. Er habe sich darüber noch nicht so viele Gedanken gemacht, fände die Fragestellung aber gut. Der Ängstliche bleibt nah bei der Mutter. Dann positioniert er wortlos den Schuldbeladenen in das Netz der Liebe und Verbundenheit. Den Wütenden stellt er neu auf die Unterlage, während er bei der ersten Positionierung außen vor war, und stellt
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das Symbol Licht zu ihm. Die anderen Symbole hätten im Moment keine Bedeutung für ihn und werden weggeräumt. Gebetsfragebogen Am Gebet ist für Joachim sehr wichtig, mit Gott über alles zu sprechen und ihm zu danken, dann Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen. Still zu sein bekommt für ihn einen mittleren Wert. Weniger wichtig sind ihm, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen und das Falten der Hände. Joachim erwartet einerseits eher ein indirektes Eingreifen Gottes durch Ärzte und Medikamente, bittet aber für eine konkrete Befreiung aus der äußeren Notlage mit einer passiv-materialistischen Erwartungshaltung. Joachim betet selten am Abend vor dem Einschlafen. Er betet manchmal am Morgen, wenn der Tag beginnt, vor dem Essen, wenn er sich freut, wenn er sich einsam fühlt, wenn er vom Leiden anderer Menschen hört. Joachim betet häufig im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen, wenn er Angst hat, wenn er Kummer oder Sorgen hat, wenn er sich etwas wünscht, weil er sein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Joachim stellt im Gebetsfragebogen die zusätzliche Frage »Bewirkt (konkretes) Bittgebet Ungerechtigkeit?« Was bewirkt ein Gebet, wenn die Interessen Gottes den Interessen der Menschen gegenüberstehen? Löcher der Verzweiflung Joachim legt keine einzelnen Löcher der Verzweiflung, kommentiert aber die Fragestellung. In solchen Situationen sei Gott normalerweise dann ein Rätsel für ihn oder die Situation sei ein Rätsel, und er wisse dann nicht, was Gott da grad tue oder denke. Das sei in der Situation so, und wenn er jetzt drauf schaue? Dann sei Gott immer noch ein Rätsel oder es sei anders. Er denkt kurz nach. »Ja, es ist anders, ich denk’, dass ich teilweise Gottes Sicht verstehe oder erkenne oder nachvollziehen kann.« Er habe eine Ahnung davon, warum diese Krise da gewesen sei. Warum Gott das so zugelassen habe. Beispiele dafür mag Joachim nicht auflegen. In der Situation selbst gehe es ihm vor allem darum, dass er verstehe, was Gott darüber denke. Da sei Gott ein Rätsel. Im Rückblick scheine das Rätsel teilweise gelöst, aber auch nicht überall. Joachim ist in Österreich in einer katholischen Familie aufgewachsen. Im Alter von 16 Jahren ist er mit einer Freikirche in Kontakt gekommen. Er ist Wissenschaftler und gehört zur Altersgruppe 50 bis 60 Jahre. Zur Zeit des Interviews ist er Mitglied einer Baptistengemeinde in Wien und engagiert sich dort ehrenamtlich. Sein Glaube an Gott und die Bibel sind für ihn sehr wichtig. Er erlebt seinen Glauben einigermaßen unterstützend. Den Gottesdienst besucht er, sooft er kann, andere Veranstaltungen seltener. Seine Lebenszufriedenheit bekommt von ihm einen mittleren Wert. Seine Gemeinde ist für ihn wichtig,
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und er arbeitet relativ häufig in seiner Gemeinde mit. Er hat auch außerhalb von Gemeindeveranstaltungen Kontakt zu Mitgliedern seiner Gemeinde. Praktische Nächstenliebe ist für ihn wichtig, und er engagiert sich politisch und nachbarschaftlich, seltener sozial für seine Mitmenschen. Joachim war gerne zu einem Interview bereit345 und geht sehr bedacht auf die Fragen ein. Er braucht nicht lange, um seine Gottesmetapher fertigzustellen. Er befestigt einen Knopf an einer Sicherheitsnadel. Damit findet er eine sehr einfache und klare Formensprache, um seine Gottesvorstellung zu symbolisieren: Gott hält ihn so, wie die Sicherheitsnadel den Knopf hält. Gott ist für ihn der, der ihn nicht fallen lässt. So nennt er auch seine Gestaltung: »Der mich nicht fallen lässt«. Sowohl in der dargestellten Metapher als auch im anschließenden Gespräch ist für Joachim die Gottesbeziehung das zentrale Thema. Er weist auf die Veränderung der eigenen Gottesbeziehung in seinem Leben hin. Bis zum Alter von 16 Jahren hatte er eine eher geschäftliche Beziehung zu Gott. Er hatte gemeint, etwas für Gott tun zu müssen, damit Gott auch etwas für ihn tun kann. Diese »do ut des« Haltung, in der er selbst und seine Gebete um Hilfe im Mittelpunkt seines Interesses standen, wird dann von einer Beziehung zu Gott abgelöst, von der er sagt, »dass Gott im Mittelpunkt sein soll«. Ausgelöst wird dieser Wandel durch ein »plötzliches« neues Bewusstsein über sein Leben, das mit einem Gefühl der Nähe Gottes zusammenfällt. Die in der Zeit entstandene Gottesbeziehung unterliegt für Joachim konkreten Ansprüchen, denen er gerne nachkommen möchte. Dies gelingt ihm aber nicht immer. Er schafft es nicht, das zu tun, was er selbst sich vorgenommen hat und fühlt sich als Versager. Als er darüber spricht, dass Gott ihn trotzdem hält, ist er sichtbar berührt. Nach seiner Überzeugung kann Gott das nicht so stehen lassen, dass er sich wie ein Versager fühlt. Die Ansprüche, die Joachim hat, werden von Gott aber nicht infrage gestellt oder zurückgenommen. Er hilft ihm vielmehr, sie zu erfüllen. Gott erscheint hier wie ein Unterstützer oder Motivator, damit Joachim sein Vorhaben umsetzen kann. Der Inhalt der Botschaft ist klar : Ein Angenommen-sein, trotz der eigenen Schwächen. Doch kann die Gottesbeziehung so letztlich selbstwertstützend sein, wenn die unerfüllbaren Ansprüche bleiben und damit auch das Gefühl des Versagens? Auch in Joachims Gottesverständnis spielt der Beziehungsaspekt eine große Rolle. Auf die Frage, was Gott sich vom Menschen wünscht, antwortet Joachim nicht mit einem konkreten sozial-ethischen Verhalten des Menschen. Seiner Ansicht nach wünscht Gott sich primär eine Beziehung zum Menschen. Er wünscht sich »intensiven Kontakt« mit dem Menschen und dessen Vertrauen, und alles weitere, z. B. sozial-ethisches oder ökologisches Verhalten, basiert dann auf dieser Beziehung, soll auf Gottvertrauen aufgebaut sein. In diesem Sinne ist auch seine Enttäuschung über sich selbst zu verstehen. Es geht hier nicht um falsches Handeln, sondern um ein Nachlassen in der Gottesbeziehung, so wie es Joachim sich eigentlich vorgenommen hat, wie es seinen Vorstellungen entspricht. Inwieweit der Mensch sich für diesen Kontakt mit Gott öffnet, ist ihm überlassen. In seinem Alltag pflegt Joachim diesen intensiven Kontakt vor allem in seinen persönlichen Gebetszeiten. Joachim scheint einerseits zwischen Momenten zu unterscheiden, in denen er Kontakt mit Gott direkt erlebt und auch ein Wissen darum hat, was Gott von
345 Joachim hat auch schon bei den Voruntersuchungen 2002 teilgenommen.
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ihm möchte. Er erfährt dann »Gottes Reden« durch Erkenntnisse, eigene Gedanken oder verändertes Bewusstsein. Andererseits enthält er sich selbst jeder Aussage, was sonst noch Gotteserfahrung in seinem Alltag sein könnte. Das sei Deutung. In seiner persönlichen Begegnung im Gebet scheint ihm Gott gewiss, im übrigen Alltag dagegen ist Gott nicht greifbar. Dem entspricht auch, dass es sich nach Joachims Verständnis beim Kontakt zwischen Gott und Mensch um ein geistiges Geschehen handelt, das von außen nicht erkennbar ist. Joachim denkt hier sehr differenziert. Insgesamt wägt Joachim seine Antworten sorgfältig ab. Er denkt zunächst über die Fragen nach und versucht anschließend, sie sehr genau zu beantworten. Die Frage ›Wo Gott sei?‹ nimmt er als eine räumliche Frage wahr und betont, dass das nicht zu Gott passe, der für ihn räumlich nicht zu verorten sei. Jesus, als eine Gestalt, die Gott annahm, konnte zu Lebzeiten allerdings räumlich verortet werden. Joachim betont sehr, dass Gott Geist sei und der Kontakt zu ihm ein geistliches Geschehen. Joachim geht hier sehr rational vor. Auch in der im Anschluss an den Gebetsfragebogen gestellten Frage zeigt sich sein Interesse an intellektueller Auseinandersetzung mit Glaubensfragen. Auf die Frage nach dem Bösen greift er auf die biblische Vorstellung von Engeln zurück. Engel und Menschen haben seiner Ansicht nach Entscheidungsspielraum zum Guten und Bösen. Er überlegt kurz und hält es für wahrscheinlich, dass Menschen durch Engel oder einen Engel zum Bösen verführt würden. Das genaue, fast wissenschaftliche Analysieren der Interviewfragen und die sehr bedachten Antworten stehen für Joachim in keinem Widerspruch zur mythischen Vorstellung von Engeln. An einer anderen Stelle nehmen bei ihm Menschen die Aufgabe von Engeln wahr, indem sie (vorübergehend) wichtig für ihn sind. Joachim deckt hier mit seinem Denken eine interessante Spannbreite ab: Sein analytisches Vermögen hält ihn nicht davon ab, in seinem Glauben der biblischen Vorstellungswelt zu folgen. Für ihn ist das kein Widerspruch. Er hat ein sowohl symbolisches (Gott als geistiges Geschehen; Gott, der indirekt durch Menschen oder Situationen wirkt) als auch konkretes (Gott, der traurig ist, wenn Menschen nicht nach seinem Willen handeln; Gott, der eingreift und dem Bösen ein Ende macht; Engel, die den Menschen zum Bösen verführen) Gottesverständnis. Bei seiner ersten Positionierung stellt Joachim zu nur zwei seiner Gefühlslagen eine Beziehung zu einem fürsorglichen Gott her : Mit Wut kommt er nicht zu Gott und bei Angst zieht es ihn in die Nähe Gottes. Alle weiteren Emotionen sind in Bezug auf Gott eher neutral. Ein verändertes Bild zeigt sich bei der zweiten Positionierung. Dort bleibt der Wütende nicht unbezogen, sondern bekommt einen Bezug zum Symbol Licht und der Schuldbeladene ist nicht mehr neutral, sondern wird vom Netz der Liebe und Verbundenheit umfangen, was gut mit Joachims Gefühl von Gehaltensein durch Gott trotz seines Versagens (Materialcollage) korrespondiert. In Krisen ist Gott für Joachim ein Rätsel. Die Theodizeefrage wird von ihm hier sehr persönlich gestellt, lässt sich aber nicht beantworten. Für Joachim scheint es nicht wichtig, ob Gott in der Krise nah oder fern ist. Es wäre für ihn wichtig, von Gott her eine Deutung seiner Krise zu erfahren. Gott scheint sich ihm hier vorzuenthalten. Das Gefühl des Gehaltenwerdens oder der Fürsorglichkeit scheint sich für Joachim (im Moment) nicht auch auf die Krisen seines Lebens anwenden zu lassen, aber es hindert Joachim nicht daran, seine Gottesbeziehung trotz Krisen und Nicht- Verstehen aufrecht zu halten. Beide, Knopf und Sicherheitsnadel, halten normalerweise jeweils andere Dinge zusammen. Ist hier starker, doppelter Zusammenhalt dargestellt? Eine feste Verbindung zwischen den beiden Gegenständen, aus der ein Herausfallen gar nicht möglich ist? Die
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Sicherheitsnadel ist geschlossen. Ob Joachim hier unbewusst ein dauerhaftes Gehaltensein durch Gott unabhängig von seinem Tun (Versagen) und Befinden oder der jeweiligen Situation ausdrücken möchte? Weiß er sich unbewusst auch in den Krisen von Gott gehalten, auch wenn ein Sinn der Krise sich ihm nicht erschließt und Gott ein Rätsel bleibt? Oder hat er seinerseits beschlossen unabhängig von Krisen und einem Gott, der ein Rätsel ist, an seiner Gottesbeziehung festzuhalten?
3.4.2 Johannetta – Mein Weg hinauf Johannetta gehört zur Altersgruppe 80+ und ist im Ruhestand. Sie war viele Jahrzehnte im medizinischen Bereich tätig. Gottesmetapher
Johannetta gestaltet mit einem vierkantigen Plastikrohr ihr Leben. »Das bin ich, mein Leben und (es) strebt nach oben, nach Gold.« Wofür das Gold stehe? Johannetta macht eine bedeutsame Pause und dann sagt sie »für Gott, von dem man sich kein Bildnis machen soll«. Was ihr das Wichtigste an Gott sei? »Dass ich bis zum Ende geführt werde, weil mich meine Kräfte verlassen.« Wie sie die Führung Gottes erlebe? Johannetta denkt nach: »Dass es ein Stückerl hinuntergeht, aber dann doch wieder hinauf. Dass, … wenn ich mich ein bisserl erholt hab’, dass (es) doch wieder weitergeht, nicht nur physisch, sondern auch geistig. Wie das sei? »Dass ich bete, meistens auf Englisch, ›My Lord to thee‹.« Warum englisch? »Weil ich so gut englisch wie deutsch kann. Ich denke in zwei Sprachen eigentlich.« Sie habe Teile ihrer Schulzeit und ihre Ausbildung in England absolviert. Ob es noch weitere Aspekte von Gottes Führung gebe? »Das mir immer die richtigen Menschen gezeigt (werden) oder in den Weg laufen, die mir weiterhelfen. Dass mich die Tochter abholt und der Sohn mir die Bankgeschäfte macht.« Sie habe sich und ihr Leben, das nach Gott strebe, gestaltet. Was die Lücke sei? Johannetta legt die Stange so, dass die Lücke nicht mehr da ist: »Man könnt’s auch so machen.« Ob das egal sei? Es passe schon,
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meint Johannetta. Wofür das Goldene stehe? Hier macht Johannetta wieder eine Pause, schaut der Interviewerin direkt in die Augen und macht eine bedeutsame Geste: Sie verschließt den Mund mit der rechten Hand, wie mit einem Reißverschluss. Das Goldene steht für Gott. Warum golden? Gold sei ein Edelmetall, es sei das Beste. Ob Gott das Beste sei? »Ja.« Ob die Geste, die sie vorher gemacht habe, bedeute, dass Gott unbeschreiblich sei? »Ja, weil er allgegenwärtig ist.« Was das für sie heiße? »Na, immer da.« Gott sei überall »und auch dort, wo’s mir schlecht geht«. Wie sie Gott erlebe, wenn’s ihr schlecht gehe? »Na, dass doch immer wieder ein Stückerl weitergeht, um meinen Lebenskreislauf zu vollenden.« Was das für ein Gefühl sei? »Das sei ein Gefühl von Geborgenheit und Vertrauen, keine Angst vor der Zukunft.« Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? Johannetta zögert, da seien jetzt zwei Meinungen gegeneinander, der Darwinismus, Charles Darwin und … eben, dass Gott die Welt geschaffen habe. Wie es für sie sei? Sie mache sich da am liebsten keine Meinung drüber. Was ihr Glaube sage? Gott habe die Welt geschaffen und er führe sie auch weiter. Ob Gott mit den Menschen in Verbindung stehe? Johannetta ist sich sicher, dass Gott mit den Menschen in Verbindung steht, aber sie wisse nicht, wie sie ihren Weg geführt werden würden, wo sie sich ja eh alle untereinander umbringen würden. Wer für dieses Böse verantwortlich sei, wenn sie sage, Gott führe die Menschen? Menschen hätten ihren freien Willen und damit sei ihnen ein Spielraum gelassen. Die Führung Gottes bestehe eben in diesem Freiraum. Gott führe die Menschen auch durch seine Allgegenwärtigkeit, dadurch, dass er da sei. Ob der Mensch zu Gott Verbindung aufnehmen könne? Die, die das wollen, meint Johannetta, könnten das im Gebet tun. Ob der Mensch wissen könne, was Gott wolle? Zunächst sagt sie, dass sie das nicht glaube, aber durchs Gewissen sei das möglich. Wenn sie jemanden umbringen würde, dann wüsste sie auch, dass sie das nicht solle. Ob der Mensch ein Gespür dafür habe, was Gott wolle? »Ja.« Wie das für Gott sei, wenn der Mensch anders handle, als er sich das wünsche? »Na ja, er denkt ja nicht so wie wir, nicht. Wenn ein Mensch was macht, was mir nicht gefällt, dann kränk’ ich mich vielleicht, aber Gott ist ja viel höher, und seine Gedanken sind viel höher als unsere Gedanken.« Ob wir nicht sagen könnten, was Gott fühle oder tue? Johannetta nickt. Wie Gott mit Menschen umgehe, die etwas Böses tun würden? Johannetta überlegt: »… das weiß ich nicht und geht mich auch nichts an.« Ob Gott in diese Welt eingreife? Johannetta denkt besonders lange nach und sagt dann, dass sie das nicht sagen könne, weil Gottes Gedanken höher seien als ihre oder die Gedanken der Menschen. Sie könne nur von ihrem physischen Befinden berichten. Ob das Gottes Sache sei? Ja. Wenn jetzt jemand sagen würde, Gott habe gehandelt und seine Gebete seien erhört worden. Wie das für sie sei? Wieder denkt Johannetta nach und sagt dann zögerlich: »… na, das ist mir… zu konkret.«
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Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen sie an Gott denke? »Na, ich hab’ meine stille Zeit in der Früh, nicht. Da les’ ich der Reihe nach … und am Abend, na, da les’ ich nimmer mehr viel, nicht. Da bet’ ich nur kurz.« Das sei für sie eine bestimmte gewisse Disziplin. Ob es noch andere Situationen gebe? »Na, wenn ich durch irgendetwas erschrecke oder so wenn mir jemand am Telefon sagt, du der und der ist … ist überfahren worden, oder so. Na, dann ruf ’ ich auch aus: ›Oh, Gott!‹ Ein besonderes Gefühl der Nähe Gottes kenne Johannetta nicht. Nach einer Überschrift gefragt, nennt Johannetta ihre Gestaltung »… mein Weg hinauf«. Positionierung mit einem Gottessymbol
Johannetta positioniert alle Figuren gleichmäßig um die leere Schale. Sie sucht bewusst nicht den Klang, sondern die leere Schale als ihr Symbol für Gott aus. Sie wolle es nicht so konkret fassen. Sie nimmt zuerst die Nachdenkliche und stellt sie kommentarlos auf. Dann nimmt sie die anderen Figuren und stellt sie im offenen Kreis um die leere Schale. Sie sagt dazu, dass Gott ja immer da sei, in jeder Gefühlslage gleich und dass sie daher alle Emotionen gleich nah aufstellen wolle. Positionierung mit mehreren Gottessymbolen Der Bitte, die Figuren zu weiteren Gottessymbolen zu positionieren, kann Johannetta nicht folgen. Sie brauche das nicht. Die Symbole würden für sie so nicht passen. Ob ihr das zu konkret sei? »Ja, ja.« Gebetsfragebogen Johannetta hat auf die Frage, was ihr am Beten das Wichtigste sei, nur »still sein« angekreuzt, anstatt Punkte für Wichtigkeit zu vergeben. Außerdem sei ihr noch wichtig, die Zeit in der Früh und am Abend einzuhalten. Bei der zweiten Frage ist
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sie unsicher und kann nicht angeben, worauf die Gesundung einer Person zurückzuführen ist. Bei der dritten Frage kreuzt sie an »Gott, du weißt, dass wir Anna sehr lieb haben und wünschen, dass sie wieder gesund wird« und unterstreicht dann » aber Dein Wille geschehe«. Dazu hat sie noch ein eigenes Gebet formuliert, mit dem sie auf die Krankheit einer nahestehenden Person reagieren würde: »Lord, we call to Thee, we cry to Thee, hear us for Thy names sake.« Interessant ist hier die sehr alte Gebetssprache, in der »Thee« und »Thy« als Respektausdrücke für Gott verwendet werden. Bei Frage vier gibt Johannetta nur an, dass sie am Morgen, wenn der Tag beginnt und am Abend vor dem Einschlafen betet. Auch hier folgt sie nicht der Fragestellung, anzugeben, wie häufig sie zu welcher Gelegenheit betet, sondern kreuzt nur diese beiden Gelegenheiten an. Löcher der Verzweiflung
Johannetta legt vier Löcher der Verzweiflung. Das erste sei für sie ein riesengroßes Loch gewesen, als sie mit 15 … mit den Quäkern nach England emigriert sei. In der schwierigen Situation habe ihr geholfen, weiter in der Bibel zu lesen. Das sei eine Unterstützung gewesen. In der Situation habe ihr auch ein Buch geholfen – Jesus unser Schicksal346 –, das ihr ihre Mutter mitgegeben hatte. Sie legt ein weiteres, wesentlich kleineres Loch (viertes Loch von links auf dem Foto – alle vier wurden während des Gesprächs chronologisch geordnet) der Verzweiflung. Sie habe nicht gewusst, ob sie die britische Staatsbürgerschaft annehmen sollte oder nicht. Da habe sie Gott gebeten, ihr den Weg zu zeigen. Sie habe die Staatsbürgerschaft nicht angenommen. Gott habe ihr diesen Weg durch den Tod ihres Bruders gezeigt. Sie habe dann gewusst, sie müsse zu ihren Eltern nach Österreich zurück. Damals sei sie 40 Jahre alt gewesen. Sie sei dann aber immer wieder nach England geflogen, um weitere Ausbildungen zu machen. Ein nächstes Verzweiflungsloch kennzeichnet für Johannetta die Jungen-Erwach346 Busch, Wilhelm – Jesus unser Schicksal, Neukirchen-Vlyn, 201045 (Erstauflage: Schriftenmissionsverlag Gladbeck, 1967).
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senen-Phase (zweites Loch von links). Sie habe so viel wie möglich lernen wollen, soweit ihr Geist noch reiche. Es sei unklar gewesen, ob sie das, worin sie in Großbritannien ausgebildet wurde, auch in Österreich hätte anwenden können. Sie habe das einfach gemacht und im Nachhinein sehe sie das als Führung Gottes, dass das alles gut geklappt habe. Ende Dreißig habe sie dann heiraten wollen, um Kinder zu bekommen. Das sei ein größeres schwarzes Loch gewesen (drittes Loch von links auf dem Foto). Sie erzählt von den Schmerzen bei der Entbindung und, dass sie nicht denken konnte, weil sie gedacht habe, sie sterbe. Sie habe dann auch nicht an Gott denken können. Wenn sie jetzt auf die Situation schaue, sei sie Gott dankbar, dass sie zwei Kinder haben durfte, obwohl ihr Ehemann sich eigentlich schon zu alt dafür gefühlt hätte. Gott sei Dank, sei es gut gegangen. Johannetta ist in Österreich in einer evangelischen Familie aufgewachsen, evangelisch getauft und konfirmiert. Während ihrer Ausbildungszeit in England hat sie mit ca. 25 Jahren Kontakt zu Quäkern und Baptisten bekommen und sich in Österreich mit Anfang 30 in einer Baptistengemeinde noch einmal taufen lassen. Sie ist aktives Gemeindemitglied einer österreichischen Baptistengemeinde. Johannetta ist trotz ihres fortgeschrittenen Alters mit weit über 80 Jahren noch sehr aktiv und geistig rege. Sie zeigt eine mittlere Zufriedenheit mit ihrem Leben. Ihr Glaube ist sehr wichtig für sie und sie erlebt ihn unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie, so oft sie kann, andere Veranstaltungen (Frauenstunde) häufig. Ihre Gemeinde ist ihr sehr wichtig und sie arbeitet auch noch häufig in unterschiedlichen Bereichen mit. Außerhalb der Gemeindeveranstaltungen hat sie häufig Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern. Die Bibel und praktische Nächstenliebe sind ihr sehr wichtig. Aufgrund ihres Glaubens engagiert sie sich sozial und nachbarschaftlich, nicht politisch für ihre Mitmenschen. Aus dem Interview erfahren wir, dass England für sie eine wichtige Rolle spielt. Dort hat sie ihre Ausbildungszeit verbracht und ist über Quäker und Baptisten intensiver mit dem christlichen Glauben in Kontakt gekommen. Ihre Gebetssprache ist Englisch, wie sich im Gespräch, aber auch im Gebetsfragebogen zeigt. Sie hat sich sehr gerne zum Interview bereit erklärt und war auch schon bei den Voruntersuchungen 2002 dabei. Ihre Metapher besteht aus drei sehr schlichten Gegenständen (weiße Unterlage, weißes Plastikrohr, ein Stück Goldpapier) und wirkt sowohl von den Farben (weiß und golden) als auch von der Gestaltung (unverarbeitet, unverbunden, gelegt) puristisch. Das Plastikrohr weist weit über die Unterlage hinaus ins rechte obere Eck zur Goldfolie, ist aber nicht mit ihr verbunden, möglicherweise ein bedeutsamer Abstand? Aus Johannettas Perspektive ragt das Plastikrohr direkt vor ihr über eine leichte Diagonale nach rechts oben hinauf. Sie gibt ihrer Gestaltung den Titel »Mein Weg hinauf«. Das rechte obere Eck, die Goldfolie, steht für sie für Gott. »Von dem man sich kein Bildnis machen soll«, fügt sie hinzu. Dieses Bilderverbot, die Unmöglichkeit, Gott abzubilden oder über Gott zu sprechen, zieht sich durch das Gespräch hindurch: Als sie danach gefragt wird, wofür das Goldene stehe, verschließt Johannetta ihren Mund mit einer Reißverschlussgeste (sie zieht mit Daumen und Zeigefinger symbolisch einen Reißverschluss zwischen ihren Lippen von links nach rechts zu) zum Schweigen und schaut der Interviewerin bedeutsam direkt in die Augen. Ein spannungsvoller Moment der Stille: ein Platzhalter für etwas Unaussprechliches.
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Zweimal weist sie darauf hin, dass Gottes Gedanken höher seien als ihre eigenen, und dass sie daher nichts darüber sagen könne, ob Gott handle oder wie er mit Menschen umgehe, die nicht tun würden, was er wünsche. Johannetta enthält sich jeder konkreten Vorstellung oder Aussage über Gott. Es ist ihr zu konkret, über ein Handeln Gottes in dieser Welt oder über von Gott erhörte Gebete zu sprechen. Auch in ihrem Umgang mit der Positionierungsaufgabe wird dies deutlich: Sie nimmt bewusst die leere Schale (die Klangschale ohne Klöppel) als Gottessymbol und möchte keine Positionierung mit weiteren Gottessymbolen durchführen. Dies ist ihr zu konkret. Sie reduziert hier auf das Wesentliche, wie auch schon in der Materialcollage. Auch im Umgang mit dem Gebetsfragebogen ist eine Reduktion erkennbar. Johannetta will und kann keine konkreten Aussagen über Gott machen, aber sie kann darüber sprechen, wie sie Gott erlebt. Sie ist sich ihrer eigenen Schwäche aufgrund ihres Alters sehr bewusst und erlebt Gott darin, dass ihr Leben immer noch ein »Stückerl« weitergeht. Das Wichtigste ist ihr, dass sie bis zum Ende geführt wird, weil ihre Kräfte sie verlassen. Hier spiegelt sich sehr deutlich ihre Lebenssituation. Gottes Führung erlebt sie alltäglich, indem andere Menschen, auf die sie in manchen Situationen angewiesen ist, für sie da sind; dann durch die noch vorhandenen physischen Kräfte, aber auch durch die geistige Verbindung mit Gott, die sich in ihrem Gebet »My Lord to Thee« ausdrückt. In diesem altenglischen Gebet spiegelt sich auch ihre Metapher. Man könnte beides als den Ausdruck einer Lebenspilgerschaft zu Gott hin verstehen, auf der es immer noch ein Stück weiter geht, aber bei der das letzte Stück noch offen ist. Das, was noch offen ist, macht ihr keine Angst. Für Johannetta bedeutet ihre Gottesbeziehung »ein Gefühl von Geborgenheit und Vertrauen, keine Angst vor der Zukunft«. Im Blick auf die Krisen in ihrem Leben kommen ihrer Gottesbeziehung verschiedene Funktionen zu. In zwei ihrer Krisen ist ihre Gottesbeziehung während der Krise von Bedeutung: In jungen Jahren, mit 15, ist es ihr in ihrer größten Krise (sie legt ein ganzes DinA4 Blatt) eine Hilfe, in der Bibel und in christlichen Büchern zu lesen. Im mittleren Alter von 40 Jahren bittet sie Gott um Führung im Hinblick auf die Lebensentscheidung, welche Staatsbürgerschaft sie annehmen soll. Den Umstand des Todes ihres Bruders deutet sie als Hinweis, da es ihr nun nicht mehr möglich ist, in England zu bleiben, weil ihre Eltern sie brauchen. In zwei weiteren Krisen sieht sie im Nachhinein die Führung Gottes. Sie ist dankbar für ihre Ausbildungen und ihre Kinder. Johannetta findet für jede der genannten Krisen einen Gottesbezug, der ihr entweder in der Lebenskrise hilft oder dazu hilft, der Lebenskrise im Nachhinein eine positive Bewertung in ihrer Lebensgeschichte zu geben und dafür dankbar zu sein. Johannetta ist im Rückblick für ihr Leben dankbar. Im Hier und Jetzt äußert sie das Gefühl der Geborgenheit und des Vertrauens und im Blick auf die Zukunft hat sie keine Angst. All diese Gefühle gründen sich für sie in ihrer Gottesbeziehung, gegenüber der ihr Gottesverständnis in den Hintergrund rückt. Hier lässt sie bewusst einiges offen und grenzt das »Unaussagbare« nicht durch konkrete Aussagen ein.
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3.4.3 Joseph – Jesus Christus, gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit Joseph ist weit über 80 Jahre alt, hat seine Berufstätigkeit als Beamter verbracht und ist im Ruhestand. Gottesmetapher
Joseph sucht sich aus dem Materialbüffet einen Knopf, zwei Elektroplatinen, eine ganze Packung Plastelin, Goldpapier und ein wenig rote Folie und legt alles der Reihe nach auf den Tisch. Bei den Platinen habe er »an und für sich über die Funktechnik gleich an den Geist Gottes gedacht. Man weiß nicht, woher er kommt und wohin er geht, und es sind eben Strahlen, die uns treffen. Und das hat irgend a Ähnlichkeit mit den heutigen Techniken. Wir wissen auch nicht, wie und woher die Strahlen kommen, aber sie sind da. Der Geist Gottes ist überall, er strahlt uns überall an.« Später ergänzt Joseph noch: Der »Heilige Geist, der mit uns ist und in uns und um uns und uns bewahrt und behütet und leitet und unserem Geist mitteilt, dass wir Gottes Kinder sind und, und, und, und«. Das Plastelin stehe für den »Fels, auf dem ich steh, wir stehen. (Das) ist Christus und seine Gemeinde. Auf den können wir auch fest drauf vertrauen, weil Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten! Und die Majestät Gottes in Gold, Weihrauch (Joseph deutet auf das Goldpapier und die rote Folie) fehlt noch dazu und vor allem die Liebe Gottes. Gott ist die Liebe. Er ist nicht nur ein allmächtiger und ein allgegenwärtiger, sondern auch ein liebender Gott, der allerdings auch geduldig ist mit uns. Ich habe heute gerade einen Vortrag gehört in der Früh auch über diese Geduld Gottes. Man soll sie nicht ausnützen. Denn Gott hat mit uns wirklich Geduld, dass er nicht den Sünder sofort – . Er könnt’ ja den Sünder sofort abberufen, weil wir alle Sünder sind. Und wir sollen das nicht ausnutzen, sondern sollen die Chance nutzen, auf ihn zu hören und ihn anzubeten.« Der Knopf stehe für Kontakt knüpfen. »Auch mit der Bibel und mit Gott, dass wir versuchen, Kontakt zu halten. Das ist ganz wichtig meiner Meinung nach,
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dass wir versuchen, seine Gebote zu halten. Das schaffen wir sowieso nicht, weil wir auch des Ruhms mangeln, den wir bei Gott haben. Trotzdem ist er barmherzig und geduldig mit uns, ja.« Was ihm im Moment das Wichtigste sei? »Das Wichtigste ist, dass er ein Gott der Liebe ist, dass er uns Jesus gesandt hat, und er hat für mich die Sünden ans Kreuz getragen, das ist die Basis ja auch für meine Errettung und für mein Hindurch-getragen-werden auch zum Gericht, das kommen wird.« Wie das im Alltag ausschaue? »Im Alltag schaut das aus, dass wir eben Menschen sind, die in diesem Fleisch, in dieser Welt noch leben und daher Sünder sind. Und wir die Vergebung daher ganz dringend benötigen, weil wir sonst verloren sind.« Wie er Gott in seinem Alltag erlebe? »Ich erleb’ ihn insofern, dass er mir jeden Tag einen Tag schenkt. … Jeder Tag, den ich leben darf, ist ein Geschenk, denn an und für sich gibt es viele in meinem Alter nicht mehr. … Jeder Tag, wir sind alle ein Geschenk Gottes. Er hat uns hier hereingebracht und er wird uns wieder holen, wenn es Zeit ist, denn meine Zeit steht in seinen Händen.« Ob er das den ganzen Tag so erlebe? »Nein, nein, man hat schon so tägliche Sachen, die man erledigen muss und wo man dann sicher mit den Gedanken auch dann anderswo ist. … Wir leben ja in dieser Welt und in dieser Zeit. Wir müssen unsere Bedürfnisse befriedigen und wir müssen an der Zeit uns orientieren. Und wenn wir im Beruf sind, müssen wir eben die Zeit auch ausnützen und arbeiten und vor allem, man hat immer etwas zu tun, Langeweile gibt es eigentlich auch nicht, wenn man alt ist. Im Garten und in der Wohnung und irgendwas reparieren und in der Gemeinde laufend, im Archiv bin ich ständig beschäftigt und, es gibt immer was zu tun.« Ob noch etwas anderes an Gott wichtig sei? »Ich hab’ jetzt vor kurzem so zurückgedacht, wie oft ich schon eigentlich bewahrt worden bin. Nicht, das hat angefangen während der Kriegszeit, dass ich ja sehr jung eingerückt wurde und dann bei der Flak in Toulouse war. Und dort ein Bombenteppich auf mich zugekommen ist. Ich hab’ die Flugzeuge gesehen, wie sie kommen, der Pulk. Und i war bei der Flak und … ich seh’, wie da die Bombenschächte aufgehen. Dann hört man das Rauschen von den Bomben und sieht, wie sie einschlagen und immer näherkommen. Und 100 Meter vor uns hört’s auf. Ist das so selbstverständlich, nicht? Das ist sicher nicht selbstverständlich und so geht das weiter : Ob ich jetzt a schwere Operation gehabt habe – . Ich hab’ vier Operationen eigentlich schon. Ich hab’ immer gewusst, ich bin in Gottes Hand. Ich wer’ wieder aufwachen, wenn er will. Wenn nicht, ist meine Zeit eben um. Nur eben, man kommt dann später drauf, dass man eigentlich viel Zeit vergeudet hat, wenn man das so beurteilen darf. Wenn man Sachen getan hat, die eigentlich ja gar nicht notwendig sind. Aber das da geht’s um Ordnungsfragen und um Kontaktnahmen, da kann man vieles aufzählen, also. Aber es hat keinen Sinn, es ist vorüber. Na, wie gesagt, ich bin zufrieden jeden Tag und mit meiner Situation. Ich bin auch beruflich gut durchgekommen und auch in der Gemeinde, ich hab’
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immer meinen Arbeitsplatz gehabt… und wie gesagt, die Gemeinde is ma zweite Heimat.« Joseph lacht. Wo er selber sei in seiner Gestaltung? »Ich kann weder die Majestät mir nehmen. Ich kann weder den Felsen behaupten, noch den Geist Gottes behaupten. Ich kann mich nur konzentrieren auf die Liebe, die ich auch nicht schaffe. Ich kann nur sagen, Herr sei mir gnädig, ich bin ein sündiger Mensch. Ich weiß, dass Jesus der Felsen ist, aber ich bin nicht der Felsen.« Er sei nicht der Felsen, aber ob er auf dem Felsen stehe? »Auf dem Felsen steht das Kreuz von Golgatha mit Christus, Fels, auf dem ich steh’. Ich steh’ dort. Ja, ich fühl’ mich zumindestens dorthin gezogen. So als Basis, man soll ja auf einem festen Fundament stehen und nicht auf Sand.« Und der Knopf ? »Von dem Geist hab’ ich ja gesagt, ich bin also überzeugt, dass der Geist Gottes unserem Geist Zeugnis gibt und Instruktionen gibt, damit wir es verstehen und in den Verstand umsetzen. Denn das ist ja die Antenne direkt, die wir haben. Gott sei Dank mit dem Heiligen Geist und mit Gott.« Ob er da durch den Heiligen Geist mit Gott verbunden sei? »Ja, durch den Heiligen Geist sind wir eigentlich in Verbindung mit ihm, mit seinem Geist, den er ja eingesetzt hat, den Tröster für uns. … Die Verbindung kann man meiner Meinung nach durch die Bibel herstellen. Indem man versucht, das Wort zu lesen und auch, soweit es geht, zu halten. Die Majestät kann man – scheint mir unwürdig. Wir sind keine Majestäten, wir sind Menschen.« Und die Liebe? »Die Liebe hört nimmer auf steht in der Bibel, aber bei den Menschen. … Sicher, wir müssen doch ehrlich sein, wir schaffen es doch nicht. Und die Frage, was versteht man unter Liebe, da gibt’s ja verschiedene Meinungen darüber. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Wer macht denn des heute noch? Wer ist denn noch so weit, dass er an andere denkt. Da fangt’s schon an, heute gibt’s nur mehr Sexualität und Wechsel von Partnern. Das ist viel aktueller, net? Aber sonst, wir haben ka leichte Zeit, in der wir leben.« Und die Liebe Gottes und er selbst? »Die Liebe Gottes ist gewaltig, weil, wenn er mich nicht lieben würde, würd’ i nimmer da sein. Gott ist die Liebe, lässt mich erlösen. Er liebt auch mich, das haben wir schon als Kinder g’sungen. Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? »Sicher, … das merken wir gar nicht, aber er setzt ja Regierungen ein und setzt den Menschen Grenzen. Wo sie wohnen dürfen und wo sie leben dürfen und wenn wir jetzt Katastrophen haben, sollten wir hinterfragen, was ist da los. Das ist nicht witterungsbedingt, sondern hier hat Gott seine Hand im Spiel auch. Nur die Menschen werden meistens erst aufwachen wenn’s ihnen schlecht geht. Oder wenn’s Katastrophen gibt oder Kriege gibt, dann werden sie munter, aber wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten, sagt ein anderer Spruch, nicht? Und Gott verwendet sicher viele Situationen um die Menschen wachzurütteln und ihm zu sagen: ›Du es ist Zeit, denk nach!‹ Aber dann ist oft zu spät.« Ob Gott schuld sei an schlimmen Sachen
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auf der Welt? »Nein, nicht schuld. Er lässt’s zu. Er lässt es zu. Schuld kann auch der Mensch sein, wenn er die Erde versaut und verschmutzt … wenn er das Erdöl da unten anbohrt und das Meer ist doch eh schmutzig und vollkommen vermiest und verdreckt. Sicher, gibt viele Situationen, ob das schwere Gewitter sind, oder ob etwas Unruhen sind. Man soll nicht immer glauben das ist Schicksal. Das Wort Schicksal wird oft missbraucht. Wenn man unter Schicksal vielleicht Gott versteht, der seine Hand da nicht zurückzieht oder es zulässt, dann müssen wir auch damit leben können.« Ob es bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen er öfter mal an Gott denke? »Ja, die Gemeinde, die Gottesdienste und sogar die Fernsehübertragung. Ich hör’ mir also jeden Sonntag in der Früh die Predigt aus Hamburg an. … Da sitz’ ich mit meiner Frau, die ja nicht mehr weggehen kann, weil sie ja knieund hüftoperiert ist, da hör’n wir uns die Übertragung an. Jeden Sonntag in der Früh und am Dienstag noch einmal ist die Wiederholung und Samstag hör’n mers a no amal. Auch so die Kirchen haben einen gewissen Anziehungspunkt, wenn ich sonst ka andere Möglichkeit hab’, Stille irgendwie zu finden. Dann das hab’ ich oft auch im Urlaub gemacht, oder wenn ich irgendwo unterwegs bin, dass ich versuch’, in irgendeinem Lokal unterzukommen, wo’s still ist.« Ob er ein Gefühl der Nähe Gottes kenne? »Ja, dieses Gefühl hab’ ich eigentlich so konkret nicht. Also wie gesagt, bei Bewahrungen, sei das ’ne Operation oder bei dem Bombardement oder im Krieg überhaupt, beim Rückzug, in der Gefangenschaft. Da hat’s viele Situationen gegeben, wo man gedacht hat, das ist ein Wunder, was da jetzt eigentlich geschehen ist. Das gibt’s schon. Bei schweren Krankheiten, ich hab’ vier Operationen –. … aber das sind alles Sachen, die eben menschlich sind, die herankommen.« Eine Überschrift für die Gestaltung. Joseph fallen gleich zwei passende Zitate als Überschrift ein: »Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte oder Jesus Christus derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit.« Er selbst könne nichts über Gottes Art sagen, nur das, was Jesus selbst gesagt habe. Weil niemand Gott gesehen habe, außer der Sohn selbst. Daher finde er ein Bibelzitat als Überschrift passend. Joseph entscheidet sich dann für die zweite Überschrift und erinnert sich daran, dass dieser Spruch in dem Gottesdienstraum seiner Gemeinde lange an der Vorderseite gestanden habe und die Predigt, die er heute gehört habe, danach gewesen sei.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Als Gottessymbol sucht Joseph sich Gott als Kraft aus. Er platziert alle Gefühle in gleichem Abstand in einem Halbkreis darum herum. Zunächst greift er nach dem Nachdenklichen: »Wenn ich nachdenke, dann kann ich ja in Kontakt kommen.« Dann nimmt er den Wütenden in die Hand: »Wenn ich böse bin, wenn ich schreie, dann bin ich weiter weg, dann würde der ja weiter weg stehen?« Jetzt ist er sich unsicher, wie er platzieren soll, und denkt weiter nach: »Wenn ich fröhlich bin, naja, ich mein’, das kann man jetzt umgekehrt auch bewerten. Grad wenn ich zornig bin, ist Gott mir am Nächsten. Es ist die Frage, nicht, wie ich ihn sehe, nicht? Das ist schwer, na das ist schwer zu unterscheiden.« Er könne es nach seinem Gefühl aufstellen. »Na, Gott ist immer da. Ich würd’ sagen, er ist immer da, ganz egal, ob ich grüble, ob ich zornig bin, er ist immer da. Wenn ich zornig bin, hilft er. Wenn ich fröhlich bin, freut er sich mit mir. Na, ich kann das nicht, ich kann das nicht so. Ich würde sagen, Gott ist immer da, in jeder Situation. Und zwar wenn ich mit ihm verbunden bin im Glauben, dann ist er meiner Meinung nach sogar relativ nah. Ganz egal, wie es mir persönlich geht. Na, da würd’ ich ja sagen können, weil Gott nicht nah ist, deswegen geht’s mir so? Na, er ist die Kraft und er strahlt aus, auch seine Liebe für uns. Wart, das stell’n wir in die Mitte von uns.« Joseph nimmt das Gottessymbol und platziert alle Gemütszustände im gleichen Abstand dazu.
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Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Bei seiner zweiten Positionierung ordnet Joseph die weiteren Gottessymbole einfach den Emotionen oder einander zu, ohne die erste Positionierung zu verstellen. In die Öffnung des Halbkreises stellt er Gott-Vater und den mütterlichen Aspekt Gottes stellt er gleich dazu: »Na, das gehört ja dazu, er ist ja beides.« An und für sich könne man jetzt alles so dazustellen. Das sei ja alles Gott: Licht und Kraft, Quelle des Lebens und innere Stimme. Hier denkt Joseph noch einmal nach: »Die innere Stimme ist ja praktisch der Heilige Geist, irgendwie. Dann kann ich das ja daher stellen, dazu, zum Grübelnden.« Das Netz der Liebe und Verbundenheit gehöre ja auch ihm, das seien ja alles Gottes Eigenschaften, das sei ja alles seine Kraft. Das sei jetzt nicht speziellen Emotionen zugeordnet. »Na, das sind Gottes Eigenschaften. Das ist Gottes Art, muss ich so lassen.« Gebetsfragebogen Am Gebet ist für Joseph das Wichtigste, mit Gott über alles zu sprechen und Gott auch zu danken. Wichtig ist ihm auch, still zu sein. Weniger wichtig ist es für ihn, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen. Das Falten der Hände und ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen, ist am wenigsten wichtig für ihn. Bei den weiteren Fragen rechnet Joseph eher mit dem indirekten Eingreifen Gottes, wobei er eine kooperativ-vertrauende Haltung einnimmt und ihm der Aspekt der Souveränität Gottes wichtig ist. Joseph betet häufig am Abend vor dem Einschlafen, manchmal vor dem Essen und im Gottesdienst oder bei anderen Gemeindeveranstaltungen, selten zu allen anderen Gelegenheiten. Löcher der Verzweiflung Auf die Frage nach Löchern der Verzweiflung erzählt Joseph, dass es das in seinem Leben so nicht gegeben habe und dass daher die Übung nicht passe. Er erzählt aus seinem Leben: Seine Eltern seien früh gestorben. Er sei 10 Jahre alt
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gewesen, als sein Vater starb. Da sei er so klein gewesen. Das sei keine »wesentliche Erschütterung« für ihn gewesen. Auch nicht, als er mit 25 Jahren seine Mutter verlor, weil die Trennung vom Elternhaus schon geschehen war. Es sei seine innere Überzeugung, dass das nicht so schwerwiegend sei, wenn so etwas passiere. Ob es sonst wesentliche Erschütterungen gegeben habe? »Das Eingerückte, das Bombardieren, das waren eigentlich Wunder, diese Bewahrungen. Das sind keine Erschütterungen. Ich kann eigentlich sagen, wirklich, ich war nicht erschüttert in irgendeiner Form, soweit ich zurückdenken kann. Das waren Bewahrungen, aber es war keine Erschütterung.« Ob es Zeiten gegeben habe, in denen es ihm nicht gut gegangen sei? »Das sind eben so Tiefen im Leben. … Ob man in Gefangenschaft ist oder nicht. Wie Gott für ihn in den Tiefen seines Lebens gewesen sei? »Da hab’ ich gar kein Kontakt gehabt, weil da denkt man gar nicht dran, wenn man in so eine Situation kommt. Man ist dann hinterher überrascht, dass es so gut gegangen ist, und dann kommen die Fragen erst: ›War das jetzt eine Bewahrung? War’s das jetzt?‹ Da könnt’ man lange Vermutungen anstellen, warum da die Granate nicht explodiert ist oder warum da die Bomben nicht getroffen haben. Warum man nicht erschossen wurde in der Gefangenschaft, bei der Gefangennahme. In dem Zeitpunkt, wo das passiert ist, da ist der Körper irgendwie angespannt und auch der ganze Geist. Da denkt man nur: ›Passiert’s oder passiert’s nicht‹.« Wenn er jetzt darauf schaue, wie Gott da gewesen sei? »Erstens einmal war ich damals noch nicht so weit in Bibelkenntnissen, wie ich heute bin. Ich war ja gar nicht so vertieft über Sünde und Schuld und Kreuz von Golgatha und so. Ich war zwar im Kindergottesdienst, mit meiner Mutter, die hat mich immer in die -. Damals waren wir in der Evangelischen. … Aber ein tief gläubiger Mensch kann man noch nicht sein in dem Alter.« Das sei später erst gekommen? »… Das ist eine Erfahrungssache, eine Lernsache – ich lern’ in jeder Predigt noch etwas dazu. Wenn einer sagt, er weiß eh alles mit dem oder dem Jahr, dann ist das ein Unsinn. Das gibt’s nicht, das gibt’s nicht – also dann muss ich aber.« Joseph ist in Österreich geboren und in einer evangelischen Familie aufgewachsen. Als Kind hat er die evangelische Kirche besucht und ist konfirmiert worden. Als Erwachsener hat er dann Kontakt zu einer Baptistengemeinde bekommen und ist dort schon seit vielen Jahrzehnten Mitglied. Er nimmt immer noch aktiv am Gemeindeleben teil und engagiert sich ehrenamtlich. Er gehört zur Altersgruppe 80+. Joseph ist mit seinem Leben zufrieden. Sein Glaube an Gott ist ihm sehr wichtig, er erlebt ihn mittelmäßig unterstützend. Seine Gemeinde und die Bibel sind für ihn sehr wichtig. Den Gottesdienst besucht Joseph sooft er kann, andere Veranstaltungen eher selten. Er arbeitet in seiner Gemeinde mit. Außerhalb der Veranstaltungen hat er kaum Kontakt mit anderen Gemeindemitgliedern. Die Wichtigkeit der praktischen Nächstenliebe bekommt bei ihm einen mittleren Wert. Genauso wie sein politisches, soziales und nachbarschaftliches Engagement aufgrund seines Glaubens.
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Es ist das zweite Interview, das mit Joseph geführt wurde347. Er hat sich auf die Bitte der Interviewerin hin zum Gespräch unter dem Vorbehalt, dass es zeitlich begrenzt sei, bereit erklärt. Das Interview fand unmittelbar nach einem Gottesdienst statt. Joseph wählt spontan, aber überlegt, einige Gegenstände aus dem Materialbüffet aus und legt sie auf den Tisch. Dabei nimmt er sogar die Packung mit dem Plastelin, die eigentlich nur zum Verbinden der Gegenstände ins Materialbüffet eingebracht wurde, und legt sie mit für seine Gestaltung auf. Die einzelnen Elemente sind relativ unverarbeitet und unverbunden. Sie sind nur locker auf den Tisch gelegt und gehen über die angebotene Unterlage hinaus. Beim Betrachten ist kein Aufbau, kein Mittelpunkt oder Fokus oder eine bestimmte Struktur erkennbar. Die Gestaltung wirkt ein wenig wie eine unfertige Baustelle. In seiner Gestaltung stellt Joseph vier Aspekte Gottes dar : Den Geist Gottes, Jesus als den Felsen, die Majestät und die Liebe Gottes. Als fünftes Element liegt, ebenfalls unverbunden, ein Knopf auf der Unterlage. Dieser symbolisiert, dass man mit Gott Kontakt aufnehmen kann. Mit seiner Darstellung setzt Joseph trinitarisch an. Die Platinen stehen für den Heiligen Geist, das unbearbeitete Plastilin für Jesus, der ein Fels ist, auf dem man gut stehen kann, und die Folien für die Majestät und Liebe Gottes selbst. Beim Sprechen über seine Collage und bei den weiteren Fragen verwendet Joseph zahlreiche Lied- und Bibelzitate. Auch dogmatische Anklänge wie »allgegenwärtig« und »allmächtig« sind für ihn wichtig, um Gott zu beschreiben. Auf die Frage, was für ihn im Moment das Wichtigste an Gott sei, antwortet er zunächst ebenfalls unter Verwendung liturgischer Sprachstücke, aber mit persönlichem Bezug: Das Wichtigste sei, dass Gott Liebe sei, Jesus seine Sünden ans Kreuz getragen habe und er damit eine Basis habe für seine Errettung und sein Hindurch-getragen-werden zum Gericht. Einerseits spiegelt sich hier fast die gesamte christliche Dogmatik in Kurzform. Andererseits verbindet Joseph, was auch in der Art und Weise seines Redens deutlich wird, seine eigene Gottesbeziehung sehr eng mit diesen dogmatischen Elementen. Aufgrund seines Menschenbildes, dass der Mensch Sünder ist, was er auch im Alltag für sich so erlebt, ist ihm die »Errettung« durch die Vergebung seiner Sünden wichtig. Ist ihm gerade jetzt in seinem fortgeschrittenen Alter – im Wahrnehmen der eigenen Ambivalenz und im Hinblick auf eine eigene Bewertung seines Lebens – die Gnade und die Vergebung Gottes wichtig geworden? Die adäquate Sprache, über Gott zu reden, scheint für Joseph die Sprache der Bibel oder der christlichen Lieder zu sein. Ins Gespräch fließen sehr viele Zitate mit ein. Er meint, dass er nichts über Gott sagen könne außer dem, was Jesus selbst über Gott sagt. Von daher mag ihm die Aufgabenstellung, eine Metapher zu finden, auch schwer fallen348. Seine gesammelten Stücke dienen eher zur Illustration seiner dogmatischen Erklärungen über Gott, als dass sie miteinander eine Metapher dafür bilden, wie Gott für ihn gerade ist. Auch mit dem Titel, den er für seine Metapher findet »Jesus Christus, gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit« enthält er sich eigener Worte. Ebenfalls fällt es ihm schwer, sich selbst in der Gestaltung zu verorten. Auf Nachfragen stellt er aber zu einzelnen Teilen Beziehung her. Dabei betont er immer wieder den qualitativen Unterschied zwischen Gott und ihm. Nicht zur Majestät, nicht zum Felsen, nicht zum Geist, aber zur Liebe Gottes kann er sich, wenn auch unter dem Vorbehalt der eigenen Sündhaftigkeit, beziehen: Er weiß sich 347 Das erste Interview wurde im Oktober 2002 geführt. 348 2002 gestaltet er einen »Wolkenwagen« auf dem Gott daherkommt, um die Majestät und Größe Gottes darzustellen.
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von Gott geliebt, aber er selbst ist in seinen Augen nicht fähig, dem Anspruch dieser Liebe gerecht zu werden. Auf Nachfragen ist der Fels dann doch noch eine gute Basis für ihn und sein Leben. Für Joseph ist Gott ein Gott, der ihm zugewandt ist und ihn liebt, aber ihm auch immer ein qualitativ anderes Gegenüber ist. Gott geht nicht in ihm auf. Der qualitative Abstand zwischen Gott und Mensch bleibt bestehen, aber der Mensch hat die Möglichkeit »anzuknüpfen« (Knopf), Kontakt aufzunehmen, und Gott ist durch den Heiligen Geist sowieso auf Sendung (Platine). Joseph benennt auch Gottesferne, ohne sich dafür zu schämen. In tiefen Krisen seines Lebens (Angriffssituation im Krieg) ist Gott für ihn nicht spürbar, erst im Nachhinein kann er diese Situation und auch viele andere als »Bewahrung« deuten. Er beschreibt dies als ein »in Gottes Hand sein«. Dadurch wird Josephs Gottesbeziehung von einem Gefühl des Getragen-Seins und der daraus resultierenden Dankbarkeit bestimmt. Er ist demzufolge dankbar für jeden Tag in seinem Leben, aber auch dankbar für die vielfältigen Bewahrungen. Sein Vertrauen drückt er darin aus, dass er sagt, dass er, wenn Gott es will, wieder aufwachen wird (nach Operationen) und wenn er es nicht will, seine Zeit zu Ende sei. Ein Gefühl von Gottes Nähe kennt Joseph so nicht. Generell redet er sehr nüchtern und zeigt im Gespräch wenig Emotionen. Auch das oben erwähnte »Gefühl« von Getragen-Sein ist für ihn eher ein Wissen als ein Fühlen, dass er in Gottes Hand ist. Im Gegenteil: Joseph ist es wichtig, dass sein Glaube vom Gefühl unabhängig ist. So dreht er auch bei den Positionierungen die Aufgabenstellung um. Er positioniert nicht, wie nah er sich Gott in einzelnen Gemütslagen fühlt, sondern wie nah er denkt, dass Gott ihm ist, und da kommt er zu dem Ergebnis, dass das immer gleich sei. Gott ist nach seinem Verständnis immer da und immer gleich nah. Die einzelnen Symbole deutet er als Gottes Eigenschaften, die irgendwie alle zusammengehören. Auch im Blick auf Krisenzeiten reagiert Joseph sehr nüchtern und überlegt. In der Krise selbst gibt es für ihn keinen Gedanken an Gott und kein Gespür für ihn, da der Körper und die Gedanken mit reinem Überleben beschäftigt sind. Im Nachhinein sieht er aber in diesen schwierigen Zeiten seines Lebens Bewahrung oder Wunder. Grundlegend für Josephs Verbindung mit Gott ist der Heilige Geist. Ausdruck dieser Verbindung ist für ihn regelmäßiges Gebet und Bibellesen und der Versuch, das »Wort« im eigenen Leben umzusetzen. Joseph spricht davon, dass er mit seinem Leben zufrieden ist. Er ist im Rückblick dankbar für das, was er erlebt hat, und das, wovor er bewahrt wurde. Er ist in der Gegenwart dankbar für jeden einzelnen geschenkten Tag, angesichts dessen, dass viele andere in seinem Alter schon verstorben sind. Und er ist voll Vertrauen im Hinblick auf die Zukunft. Die Erfahrung von »hindurch getragen worden sein«, die retrospektiv auftaucht, wird zum gelassenen »ich werde hindurch getragen werden«. Diese vertrauensvolle, dankbare Grundhaltung ist eng mit Josephs Glauben, seiner Gottesvorstellung, verbunden.
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3.4.4 Valerie – Freude am Leben Valerie gehört zur Altersgruppe 20+ und studiert. Gottesmetapher
Valerie legt aus Naturmaterialien, Metallgegenständen (rote Drahtkringeln, bunte Goldpapierschnipsel, ein Schlüsselbart, Münzen) und einer roten Plastikscheibe mit Loch ein Landschaftsbild. Das Wichtigste an Gott sei für sie momentan diese Begeisterung am Leben. Sie habe sich Naturmaterialien ausgesucht, weil sie Gott in der Natur am meisten begegnen könne. Das Bild habe zwei verschiedene Perspektiven: Einmal ein Bergrücken in der Ansicht und zum anderen einen Weg in der Draufsicht. Die vielen bunten Goldpapierschnipsel und die Drahtkringel stünden für Blumen, für Geschenke, die am Rand des Weges versteckt seien, und für die Treue, mit der sie beschenkt werde. Auch wenn sie selbst nicht so viel tue, werde sie einfach so (das betont Valerie besonders) beschenkt. Die Geschenke seien sehr verschieden (auch der rote Kreis gehöre dazu) und manche seien schwer zu finden (die violetten Schnipsel), da müsse man näher rangehen. Und an manchen Stellen sei noch etwas verborgen. Man komme darauf, dass da noch etwas rauskomme, da sei etwas »dahinter«. Sie zeigt auf die Rindenstücke, hinter dem rechten kommt ein wenig Bast hervor. Die Naturmaterialien seien auch Geschenke? Beides ein bisschen: ein bisschen Geschenk, ein bisschen Weg und ein bisschen halt Hindernis. Sie würden einen erst zu etwas führen, so wie das Leben halt, der Alltag. Die Münzen seien fremdländische Münzen. Sie stünden für die Fülle an Leben, die sich ihr, Valerie, in zweierlei Hinsicht zeige. Zum einen für die Reisen in fremde Länder, die sie gerne unternehme, sie sei begeistert, all das zu sehen oder neue Sachen kennen zu lernen. Zum anderen stünden die Münzen dafür, dass es ihr so gut gehe, auch finanziell, dass sie ihre Münzen in fremdländische Münzen umwechseln könne und diese Reisen unternehmen. Wenn man durch die Landschaft gehe, dann sei sie voll »mit schönen kleinen Sachen«, die man oft gar nicht sehe, weil man zu
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blind dafür sei. Man könne diese Wege einfach gehen und oft sehe man auch nicht, welchen Weg Gott gerade für einen habe, bis man darauf kommt, dass das »voll der coole Weg« gewesen sei. Ob der abgebrochene Schlüsselbart etwas zu bedeuten habe? Das sei dieses Ziel, wo man langsam hinkomme. Sie habe das cool gefunden, dass das dann ein Schlüssel sei, womit man dann (et)was aufsperren könne. Zum Ziel könne man aber nur »Schrittchen für Schrittchen« (Valerie deutet auf die Wege, die aus vielen einzelnen Teilen bestehen) kommen. Man sei nicht sofort dort. Der Weg brauche Geduld und Vertrauen, bis man am Ziel sei. Was das mit Gott zu tun habe? »Das ist einfach, also mein Ziel ist irgendwie, immer mehr von diesen Geschenken zu entdecken. Oder immer mehr Gott in meinem Leben zu entdecken, dass das mein Ziel ist. Oder dass es immer mehr raussprudelt und einfach da ist in meinem Leben. Und dass ich da eben diese Türen, die ich auch zugesperrt hab’ oder wo ich Gott noch nicht rein lasse, dass man die auch aufsperren kann.« Wo sie selbst in ihrer Gestaltung sei? Valerie positioniert sich mit einer Kastanie inmitten der Geschenke am Rande des Weges.
Wie das im Alltag ausschaue? »Ja, momentan gibt’s total viele Beispiele (Valerie lacht). Ja, deshalb bin ich ja so begeistert grade. Diese großen und kleinen Wunder. Also das letzte Wochenende, da war einfach das ganze Wochenende ein Geschenk, weil wir eben Skifahrn waren und wir im Tiefschnee waren. … Und dann auch Leute einfach um mich herum, die ich total gern hab’, die mir wichtig sind und denen ich wichtig bin. Wo ich merk’, wenn’s mir nicht so gut geht, die bemühen sich um mich. Mit denen kann ich interessante Gespräche führen, die mich dann weiter bringen. Oder die mir auch mal was kritisch reflektieren. Oder wo einfach was passiert in meinem Leben, aber auf eine liebevolle Art. Wo man gerne dabei ist, wo man Spaß hat und ja Spiele spielt, und es ist einfach lustig. Oder dass ich einfach Freude krieg’ für Sachen. Wo ich mir denk, boa, ich hab’ da keine Freude dafür, das macht mir keinen Spaß. Und dann schenkt mir Gott die Freude. … Wo ich mir denk’, ihm ist so wichtig, dass ich mein Leben gern leb’. Er hat sich das ausgedacht für mich. Und es ist ein gutes Leben und er will, dass ich
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das voll genieß’ und voll auskoste. Das sind eben so kleine Geschenke, die da sind. Im Alltag ist es dann eben so, dass man sich in irgendwelche Sackgassen und so verrennt, wo man dann nur hin- und hergeht und nicht rauskommt und gar nicht den Zusammenhang von dem Ganzen sieht.« Valerie deutet auf die beiden Enden der Wege am rechten Bildrand. Das seien Sackgassen? Da gehe es nicht weiter und das passiere auch im Alltag? Ja! Wie sie Gott in der Sackgasse erlebe? Sehr geduldig und was sie so fasziniere, dass man immer noch Gott oder Wunder finde, obwohl man sich verrannt habe. Eigentlich müsse man eines von den kleinen Geschenken in dem Bild nehmen und auch noch zu den beiden Sackgasse legen, meint Valerie. Ob ihr noch etwas einfalle? »Es sind voll viele Geschenke noch, was ich alles haben kann, was ich alles machen kann. … Wo ich aufgewachsen bin, und lauter so Sachen. Wo ich denk’, Wahnsinn, es könnt’ mir so viel anders gehen, nur wenn ich woanders leben würde. Oder wenn ich andere Leute um mich herum hätte. Das sind so Sachen, da geht man dann halt so durch und merkt es oft grad nicht.« Sie sei so froh, dass Gott das so gemacht habe in ihrem Leben, besonders wenn sie z. B. in einem Buch von ganz anderen menschlichen Schicksalen lese. Ob es in ihrem Leben Zeiten gegeben habe, in denen sie Gott nicht so nahe gewesen sei? »Auf jeden Fall, es gibt Zeiten, wo ich einfach so in meinem Ding rumwurschtl. Wo sich das dann so im Kreis dreht. Ich niemanden, also Gott nicht machen lasse und deswegen dreh’ ich mich nur irgendwie in einem Kreis herum oder renn’ da drin auf und ab und komm’ nicht raus.« Es gebe schon auch so Zeiten, wo sie nicht oben auf dem Weg zwischen den Geschenken unterwegs sei, sondern eher so unten, irgendwo weg oder in der Sackgasse drinnen. Durch dieses Drehen um sich selbst schiebe sie Gott halt quasi raus. Wo Gott sei? Gott sei überall, das bedeute für sie, dass er neben ihr sitze. Er sei also einerseits immer bei ihr, egal, wo sie sei. Und andererseits sei es auch so, dass sie ihn überall entdecken könne, wenn sie die Augen aufmache. »Also dass er überall zu sehen ist, dass er überall wirkt, wenn man ihn machen lässt. … Nicht einmal, er wirkt auch, wenn man ihn nicht machen lässt, (Valerie lacht) nur manchmal will man’s halt nicht wahrhaben.« Wie sie das erlebe? Sie erlebe Gott viel in der Natur : »Also wenn ich seh’, wie sich die Sonne am Wasser spiegelt. Wenn ich über die Donau fahr’ oder so. Oder wenn ich einen Regenbogen seh’, … oder einen schönen Stein oder Blätter oder so, da seh’ ich ihn sehr viel. Und ich seh’ ihn viel in Menschen, wenn sie eben, ja, lachen, in Gesprächen, Gesten. Da seh’ ich ihn viel.« In allen Menschen, oder gebe es da Unterschiede? Zunächst meint Valerie, dass es Unterschiede gebe. Sie sehe Gott in allen Menschen, vor allem in Christen. Aber in anderen Menschen auch, nur da auf eine »ein bisschen zurückgezogenere Weise«. Man sehe ihn aber auch nicht immer in Christen. Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? Klar habe Gott etwas mit der Welt zu
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tun: »Eben dieses, … dass es ihm eben nicht wurscht ist, was passiert, oder dass es ihm eben wichtig ist. Und dass er so gern dabei ist, würd’ ich sagen, und dass ihm das auch viel Spaß macht. Ich glaub’, dass er über viele Sachen, die hier auf der Welt passieren, sehr traurig ist. Aber ich glaub’, dass er auch wahnsinnig viel Freude hat, eben kleine große Sachen hier zu gestalten und zu machen.« Ob Gott mit den Menschen in Verbindung sei? Gott versuche es zumindest. Sie glaube, dass er wirklich für jeden Menschen eine eigene Art und Weise habe, wie er ihn treffen könne. Ob das Musik sei oder in der Natur ist, ob das mit anderen Menschen sei, ob in irgendwelchen Büchern oder in Träumen: »Wo er zeigt: ›Hey, schau mal, wie toll ich die Welt gemacht hab’ für dich‹. Und ich glaub’ aber, dass er eben wirklich drauf wartet, dass der Mensch die Tür aufsperrt und sagt: ›Okay, ich lass’ dich rein‹. Wo er voll geduldig einfach vor der Tür sitzt und wartet und nicht das Haus eintritt.« Gott nehme die Sache mit dem freien Willen wirklich sehr, sehr ernst. Ob Gott sich etwas vom Menschen wünsche? Einerseits wünsche er sich auf jeden Fall, »dass man die Tür aufmacht und ihn machen lässt, weil er einfach so viel hat, was er einem so gern zeigen würde. Und ich glaub’ auch, dass er sich wünscht, dass man sich sehr wohl seinen Umgang da mit der Welt und den Mitmenschen, dass man sich da gut überlegt, wie man das macht.« Woher der Mensch wissen könne, was Gott sich wünsche? Weil Gott den Menschen gemacht habe, sei er auch in jedem Menschen »drinne« und sie, Valerie, glaube, wenn man voll ehrlich zu sich selbst sei, dann könne man Gott in sich selbst finden und dann wisse man sehr wohl, was Gott sich wünsche. Die Bibel helfe einem sicher auch viel, aber die brauche man gar nicht dafür. Das Problem der Menschen sei, dass sie oft nicht ehrlich zu sich selbst seien und daher Gott nicht in sich selbst finden könnten, da helfe ihnen dann die Bibel. Man könne Gott eben auch in anderen Menschen oder in der Natur finden. Gott könne auch andere Menschen benutzen, zu Menschen zu reden. Es sei auch einfach zu erkennen, was Gott sich wünsche, weil ihm die Menschen wichtig seien. Gott wünsche sich nicht, dass jemand umgebracht würde. Wenn sich Gott etwas wünsche vom Menschen, und der anders handle, wie das für Gott sei? »Ich glaub’, dass er wirklich traurig ist und nicht sonderlich überrascht, weil er’s eh schon vorher weiß, aber wirklich traurig. Und er hätte sicher auch was anderes gehofft oder so. Aber ich glaub’, dass Gott also eben nicht dann irgendwann sagt: ›Okay, wurscht, funktioniert halt nicht‹.« Wenn man etwas falsch mache, sage Gott auch immer wieder : ›Okay, mach’s besser‹ »oder ›ist egal, die Konsequenzen sind da, aber schau, wir machen’s noch mal‹ oder ›du hast eine zweite Chance oder eine soundsovielte Chance‹«. Ob Gott nur zu den Menschen spreche oder noch andere Dinge in der Welt tue? »Wohl, es sind so diese ganzen Zufälle, die dann passieren, wo er dann bestimmte Menschen zusammenführt oder eben nicht. Oder jemandem einfach
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Sachen passieren, die so zufällig erscheinen oder die halt so alltäglich erscheinen. Ich glaub’, … dass er alles ganz genau sich überlegt hat, wie’s funktioniert, ja.« Sie glaube auch, dass es da noch mehr gebe als Sprechen und Tun, was sie jetzt so gar nicht beschreiben könne. Gott könne zum Beispiel »mit Gefühlen arbeiten«. Was das sei? »Eben dieses, … wenn man ehrlich zu sich selbst ist, dass man sehr genau spürt, … was er einerseits dazu sagt und was seine Idee wäre von dem, wie man lebt oder wie man mit seinen Mitmenschen umgeht oder was einem gut tun würde.« Es gehe auch darum, dass Gefühle von anderen (et)was bei ihr auslösen könnten, die dann (et)was bewirken könnten. Ob Gott eingreife, zum Beispiel wenn ein älterer Mensch durch Jugendliche bedroht werde, und wie? »Also ich glaub’ schon, dass er eingreift. Also er kann eingreifen, muss aber nicht. Und dass das halt voll unterschiedlich ist. Ob da jetzt grad jemand anderer über den Weg läuft, der da dem Mann helfen kann, weil er eben grad zufällig da ist und den Mut hat dazu, was zu sagen. Oder ob dann einer von den Jugendlichen doch einen Gedanken kriegt von Gott einfach hinein – und das ist nicht (okay) – und das dann eben auch sagt. Oder dass er dem alten Mann, wie soll man das sagen, dass er’s auch einfach zulässt, aber ihm trotzdem die Kraft gibt, das auszuhalten. Also ich glaub’, dass er da voll viele verschiedene Möglichkeiten hat, wie er eingreifen kann.« Valerie hält auch ein direktes Eingreifen Gottes (durch Blitz) für möglich, aber eher unwahrscheinlich. Das indirekte Eingreifen Gottes durch Menschen fällt ihr eher ein. Es gebe viel Schlimmes in der Welt. Ob Gott daran schuld sei? Valerie denkt nach: Nein, sie glaube, dass die Menschen mit schuld seien, weil sie so handeln würden, wie sie handeln. Aber im Endeffekt sei wirklich der Teufel daran schuld. Wie? »Ganz bewusst, dass er die Menschen – einfach, ihnen das einreden will, dass Gott daran schuld ist und dass das ein großes Druckmittel von ihm ist. Ich glaub’, … dass er eben das probiert, dass man durch Leid oder so, dass man wegkommt von Gott, oder dass er die Leute wegzieht von Gott.« Auch Menschen würden da, indem sie bewusst nichts Gutes machen würden, mitspielen. Gott würde manche Sachen, wie bei Hiob, dann bewusst zulassen. »Weil sein Plan einfach ein anderer ist, als das es den Menschen immer gut geht. Dann würden sie Gott auch nicht kennen, weil sie dann in ihrem ›Hach, es ist so toll‹- Leben sind und Gott gar nicht mehr sehen. Also ich glaub’, dass Gott schon bewusst auch Sachen zulässt. Dass man nicht automatisch sagen kann, da ist irgendwas passiert und deswegen, ja, schaut Gott nicht zu oder ist Gott nicht da.« Wie sie zum Beispiel Naturkatastrophen sehe? Das habe für sie viel mit dem zu tun, wie die Menschen mit der Erde umgehen würden. »Sicher sind Sachen auch von Gott, also weiß er das ganz genau, dass da jetzt die Lawine runterkommt, und dann ist jemand verschüttet. Also ich glaub’ schon, dass das auch geplant war. Obwohl das ist auch schwierig, es ist schwierig.« Valerie lacht. Wenn es geplant gewesen sei, was stehe dahinter? Wahrscheinlich stehe im Endeffekt wirklich
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Gott dahinter, weil er ja von Anfang an gewusst habe, was mit der Welt passiere. Er habe sich trotzdem entschieden, das so zu machen, weil er hätte es ja auch anders machen können. »Also wusste er von den ganzen Naturkatastrophen und den Sachen, die passieren, und hat trotzdem empfunden, dass es gut so ist. Und deswegen steht wahrscheinlich im Endeffekt, also steht im Endeffekt sicher Gott dahinter. Aber ich glaub’ nicht, dass die Rechnung so einfach aufzumachen ist: Gott hat das gemacht, er ist schuld. Also es ist jemand gestorben, er ist der Böse. Ich glaub’, dass da einfach eine Ebene noch dazwischen ist, die wir gar nicht checken, weil wir zu blöd dafür sind.« Wie Gott mit Menschen umgehe, die Böses tun würden? Er gehe mit ihnen um wie mit allen anderen auch. Generell gehe er mit jedem Menschen anders um, weil jeder Mensch ein eigener Mensch sei. Gott ärgere sich und sei auch traurig, aber sie glaube, dass er »trotzdem einfach wahnsinnig geduldig« sei. Gott kenne den Menschen einfach gut und sehe in ihm auch die guten Seiten. Sie, Valerie, glaube nicht, dass ein Mensch hundertprozentig schlecht sei, weil ja auch etwas von Gott in jedem Menschen drin sein müsse. Aber ein Mensch könne das Gute in ihm »sehr vertuschen«. Man müsse aber auch die Konsequenzen für sein Handeln tragen. Wenn man das »Gott gegeben« habe, dann könne Gott helfen, die Konsequenzen zu tragen oder etwas Gutes daraus zu machen. Ob es bestimmte Orte, Zeiten, oder Situationen gebe, in denen sie öfter mal an Gott denke? Es gebe Phasen im Leben, in denen sie einfach generell Gott mehr sehe. Es gebe sicher Orte, an denen sie schneller an Gott denke als an anderen. In den Bergen denke sie öfter an Gott als in geschlossenen Räumen. Es komme auch auf die Leute an, mit denen sie zusammen sei. Wenn sie mit Leuten zusammen sei, die nicht an Gott glauben, denke sie auch nicht so viel an Gott. Wenn sie mit Leuten zu tun habe, die selbst öfter mal sagen: ›Hey schau mal, da ist ja Gott, oder da könnte man dafür beten‹, dann denke sie auch öfter daran. Ob sie ein Gefühl der Nähe Gottes kenne? »Also zum Beispiel, als wir in Petra (Jordanien) waren, hab’ ich Gott gespürt. Einfach von diesen Farben und Formen und diese Ruhe und diese Sachen, da spür’ ich Gott. Wenn man sich das anschaut, weil ich mir denk’, das hat er alles sich genau überlegt. Wie er die Steine übereinander legt oder wie die sich übereinander schieben. Wenn der Wind kommt und das weg tut, dass genau das rauskommt, dass ich das dann sehen kann, diese eine Farbe. Also da seh’ ich Gott schon sehr drin oder eben, also, hauptsächlich in Natur oder in Menschen eben. Wenn ich jemanden total lachen sehe, da sieht man Gott so, diese Freude, diese Begeisterung. Ich glaub’, da sieht man Gott sehr stark. Man sieht ihn einfach, wenn Leute anderen was Gutes tun oder einfach Geschenke machen, da sieht man Gott auch. Wenn was von Herzen kommt, dann seh’ ich Gott auch sehr.« Ob das für sie dann auch so ein Gefühl der Nähe Gottes sei? »Ja, da ist so richtig so: Woah.« Eine Überschrift für die Gestaltung? Freude am Leben.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Valerie schwankt zwischen dem Symbol für Kraft und der Quelle des Lebens. Zu beiden Symbolen sagt sie, dass das in ihrem Leben zu kurz komme. »Eigentlich sollte ich Gott ein bisschen mehr auch Respekt geben, den er verdient, weil er einfach Gott ist und er ist einfach auch der König, und dass ich das manchmal vergess’. Ich glaub’, dass das manchmal, grad bei uns in der Gemeinde, viele vergessen und dass es andere Gemeinden gibt, die das voll im Vordergrund haben, was auch nicht gut ist.« Sie entscheidet sich dann letztlich für die Quelle des Lebens. Das mit der Kraft seien eher so »diese Automaten«. Als erstes positioniert sie die Fröhliche: »Das mal klar – also wenn ich fröhlich bin, dann ist das immer für mich, dass ich ganz nah bei Gott bin. Ob das jetzt direkt was mit ihm zu tun hat, das ist schwierig zu sagen. Ich glaub’, Freude ist immer (etwas), was mit ihm zu tun hat, und da bin ich immer bei ihm.« Jetzt stellt sie die Schuldbeladene etwas von der Nuss entfernt und von der Körperhaltung her abgewandt auf: »Wenn ich mich schuldig fühl’, dann brauch’ ich zwar Gott bzw. bräucht’ ich ihn mehr, aber ich glaub’, dass ich grad dann weglauf ’ von ihm oder eben mich dann da drin dreh’ und Gott gar nicht wirklich reinlasse, um mir zu zeigen, ob das jetzt wirklich meine Schuld ist oder dass er mir die Schuld vergibt, oder so.« Die Traurige wird etwas entfernt der Nuss gegenüber gesetzt: »Die Traurige, dann bin ich so nah bei Gott, aber nicht ganz so nah, weil ich manchmal in diesem Traurigsein stecken bleib’ und mich dann gar nicht so trösten lasse. Aber doch, ich glaub’, wenn ich traurig bin, dass ich dann doch eigentlich immer Gottes Nähe such’. Dann lauf ich nicht weg vor ihm oder so. Deswegen bin ich doch eher nah bei ihm.« Nun stellt Valerie die Zornige mit Blick auf die Quelle des Lebens in ungefähr gleichem Abstand wie die Traurige: »Wenn ich zornig bin? Huh, dann hüpf ’ ich rum und schrei’ Gott an so: ›Hallo, ich will nicht!‹ … Ich glaub’, ich bin kurzzeitig weg von Gott, aber dann doch wieder nah da.« Am weitesten entfernt wird jetzt die Nachdenkliche platziert: »Ich glaub’, wenn ich nachdenk’, dann vergess’ ich manchmal auf Gott, weil ich mich zu sehr in meinem Nachdenken dreh’ und zu wenig auf Gott schau’.« Zum Schluss stellt
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Valerie die Ängstliche nah zur Quelle des Lebens: »Wenn ich Angst hab’? Oh, wenn ich Angst hab’, dann bin ich auch nah bei Gott.« Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Valerie positioniert zu den unterschiedlichen Gottessymbolen. Sie beginnt mit der Ängstlichen, die sie zur Kraft stellt: »Wenn ich Angst hab’, dann brauch’ ich viel Kraft, weil ich dann oft vor Dingen Angst hab’, die ich tun sollte, oder so, oder die auf mich zukommen und dann brauch’ man da halt die Kraft.« Die Nachdenkliche stellt sie der inneren Stimme gegenüber, aber mit einiger Entfernung: »Die innere Stimme, die sollte da eigentlich in der Nähe sein. Ist sie aber nicht. Der Nachdenkliche sollte da eigentlich auf den hören. Tut er aber nicht immer. Also ich tu’s nicht immer.« Nun stellt sie die Symbole für Licht, Quelle des Lebens und das Netz der Liebe und Verbundenheit zueinander : »Ich geb’ das Licht in die Nähe von der Kraft, weil das oft zusammenhängt. Wenn ich fröhlich bin, dann seh’ ich auch oft diese Größe Gottes und diese Macht, die er einfach hat. Das begeistert mich dann eben. Deshalb stehen die beieinander und da gehört das mit der Liebe auch noch dazu.« Die Matrioschka stellt sie mit der Ängstlichen gemeinsam auf: »Das gehört hier zu dem Ängstlichen, der dann tröstet.« Zum Abschluss positioniert sie die Schuldbeladene, die Zornige und die Traurige: »Der Schuldbeladene, der rennt da immer noch ein bisschen davon. Der Zornige, ich glaub’, dass der dann meistens auch bei dem Mütterlichen rumhüpft, weil er sich da am ehesten traut, mal rumzuschreien. Die Traurige, die gibt’s häufig. Die hat damit was zu tun (stellt sie zur Schuldbeladenen). Die ist bei der Schuld oft dabei.« Gebetsfragebogen Das Wichtigste am Beten ist für Valerie, Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen und mit Gott über alles zu sprechen und ihm auch zu danken. Ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen, erhält bei ihr einen mittleren Wert. Wenig wichtig
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ist ihr, still zu sein, unwichtig das Falten der Hände. In Bezug auf die Gesundung eines Menschen hält sie ein direktes sowie auch ein indirektes Eingreifen Gottes für möglich. Beim Bittgebet für eine Kranke nimmt Valerie eine passiv-materielle Erwartungshaltung ein. Valerie betet häufig, am Morgen und am Abend, im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen, wenn sie sich freut, wenn sie Angst hat, wenn sie sich etwas wünscht, wenn sie vom Leiden anderer Menschen hört und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Sie betet manchmal vor dem Essen, wenn sie Kummer und Sorgen hat und wenn sie sich einsam fühlt. Löcher der Verzweiflung
Valerie legt drei größere Löcher der Verzweiflung und noch einige kleinere. Dann legt sie noch ein Loch dazu, das gegenüber den anderen riesig ist. Das sei eine Krise, vor der sie »Urangst« hätte, die aber nicht eingetreten sei und auch nicht eintreten müsse. Von rechts nach links liegen jetzt die Löcher »von Kindheit so bis in die Zukunft«. Valerie beginnt mit dem großen Loch, das auf der linken Seite liegt: »Das ist eine Krise, wovor ich Angst hätt’, aber die muss ja nicht eintreffen. Das wär’ so die Angst, wenn meine Schwester oder so sterben würd’. … Da würd’ für mich ziemlich viel zusammenbrechen.« Das andere seien so kleine Krisen (sie zeigt auf die kleinen Punkte links), wenn sie selbst mit sich und ihrem Handeln nicht zufrieden sei. Da würden dann ein paar Dinge zusammenkommen, die sie dann ins Strudeln bringen würden. Die größeren Löcher würden für zerbrochene bzw. nicht so gelungene Freundschaften stehen. In der Kindheit sei eine Krise (das ganz rechte Loch) gewesen, wo ihre Eltern sich viel gestritten hätten. »Gott ist für mich ganz unterschiedlich, da kann ich mich gar nicht so an Gott erinnern (Kindheit – das rechte Loch). Also das wüsst’ ich jetzt gar nicht, dass er viel für mich, also dass ich da viel zu ihm gekommen wär’, oder auch nicht, dass ich ihm Schuld daran gegeben hätte. Also da kann ich mich gar nicht so gut erinnern. Da (Jugendzeit – das kleine Loch unten) hab’ ich Gott nicht dran lassen, an die Krise.
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Da hab’ ich mir gedacht, das war meine eigene Schuld.« Sie sei damals 15 gewesen. Die kleineren Krisen (rechte kleine Punkte) seien nicht so wichtig gewesen. Sie zeigt jetzt auf das mittlere Loch – eine Krise, die sich bis in die Gegenwart ziehe. »Da ist Gott voll nah da eigentlich. Oder immer wieder voll nah da, weil ich glaub’, ich sonst keine Lösung für die Krise fände. Weil ich da einfach so stark merk’, dass ich ihn brauch’. Weil ich da allein nicht durchkomm’, weil ich da keine Lösung find’ oder keinen Ausweg.« Jetzt zeigt sie noch einmal auf die linken kleinen Kreise: »Da ist Gott wahrscheinlich nicht so oft da, weil mir das zu unwichtig vorkommt.« Eigentlich müsse sie da etwas verändern an diesen kleinen Krisen, die sich so schon seit längerem durch ihr Leben ziehen. Aber sie habe die Hoffnung schon aufgegeben, dass sich etwas verändern könne. »Wahrscheinlich lass’ ich Gott deswegen nicht so ganz dran machen.« Bei den kleineren Krisen lasse sie Gott nicht dran, aber bei den größeren spüre sie seine Nähe? »Schon. Ja, da lass’ ich ihn halt manchmal so ran, aber nicht so ganz, würd’ ich so sagen, ja.« Mit Valerie begegnet uns eine lebenslustige, junge österreichische Frau, die schon als Kind in einer baptistischen Familie, in dritter Generation, mit intensivem Gemeindekontakt aufgewachsen ist. Beide Eltern und auch die Großmutter sind aktive Gemeindemitglieder. Sie ist mit ihrem Leben zufrieden. Der Glaube an Gott ist für sie sehr wichtig, und sie erlebt ihn unterstützend. Viele ihrer Freunde sind ebenfalls Mitglieder in Baptistengemeinden. Ihre Gemeinde ist ihr sehr wichtig. Sie besucht häufig Gottesdienste und andere, auch für ihre Altersgruppe angebotene Veranstaltungen ihrer Gemeinde. Sie selbst arbeitet in der Kinder- und Jugendarbeit und anderen Arbeitsbereichen ihrer Gemeinde mit. Sie hat außerhalb der Veranstaltungen häufig Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Die Bibel und auch die praktische Nächstenliebe sind für sie wichtig. Valerie engagiert sich aufgrund ihres Glaubens häufig sozial, oft nachbarschaftlich und manchmal politisch für ihre Mitmenschen. Sie ist Studentin in einem sozialen Fach und reist gerne. Sie hat sich sehr gerne zu dem Interview bereit erklärt und kommt neugierig und positiv gespannt zu dem Termin. Valerie arbeitet fröhlich und mit Eifer an ihrer Collage. Es macht ihr sichtlich Spaß, ihre Gedanken und Ideen umzusetzen. Als Ergebnis präsentiert sie ein buntes Landschaftsbild auf schwarzem Untergrund349. Mit klaren, aber leichten Linien hat sie den Raum voll ausgenutzt, es gibt viel zu entdecken. Valerie verwendet vor allem Naturmaterialien und metallische, glänzende Materialien. Dominiert wird das Bild von flachen Holzscheiben in der linken oberen Ecke. Mit dem abgebrochenen Schlüssel als »Fahne« wirken sie wie ein Ziel, auf das sich verschiedene Wege zu bewegen. Eine rote Plastikscheibe hebt sich sowohl materialmäßig als auch optisch von den anderen Gegenständen ab. Die durch die gestrichelten Linien vermittelte Leichtigkeit steht in Spannung zu dem schwarzen Hintergrund, der wie Wasser wirkt. Für Valerie zeigt das Bild 349 Valerie benutzt die angebotene quadratische, weiße Unterlage nicht, sondern legt ihre Gegenstände direkt auf den Glastisch. Zum besseren Arbeiten besorgt sie sich dann die schwarzen A4 Blätter als Unterlage.
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Bergrücken und Wege, an deren Rand Geschenke auf sie als die Gehende und Entdeckende warten. Begeisterung am Leben ist für Valerie in Bezug auf Gott das zentrale Thema. Gott ist für Valerie der, der sie mit Leben und auch in ihrem Leben mit »vielen Sachen« beschenkt. Ihrem Bild gibt sie daher den Titel »Freude am Leben«. Diese Freude am Leben ist im Gespräch mit Valerie, wenn sie z. B. über ihr vergangenes Wochenende, die Natur oder die Begegnung mit Menschen spricht, spürbar. Valeries Gottesverständnis beinhaltet sowohl strukturelle als auch personale Kategorien: Er ist die Quelle des Lebens (er will das Leben und schenkt Leben in Fülle) und ist immanent in jedem Menschen, kann dort vom Menschen entdeckt und auch im Gewissen wahrgenommen werden. Gott partizipiert an diesem Leben. Gott ist für sie aber auch handelndes Subjekt mit Plan und Gefühlen. Valeries Reden über Gott ist hier stark geprägt von psychischen Antropomorphismen (Gott kann sich ärgern, aber auch geduldig sein). Gott ist traurig über manches, was passiert, kann sich aber auch selbst am Leben freuen und daran teilhaben. Er lässt zu und greift ein, meistens indirekt durch Menschen, aber möglicherweise auch direkt, wie auch ihre Antworten im Gebetsfragebogen unterstreichen. Nach Valeries Verständnis hat Gott für jeden Menschen eine eigene Weise, um mit ihm zu reden. Er wirkt sehr gegenwärtig (in der umgebenden Natur, in den Menschen), nahe (im Menschen selbst, man muss nur in sich selbst reinschauen) und unterstützend (Gott gibt immer eine zweite Chance). Wie Gott und das Leid der Menschen zusammenpassen, das hat Valerie noch nicht abschließend durchdacht. Sie wirkt unsicher und meint, dass Menschen das letztlich nicht verstehen können. In den übrigen Bereichen partizipiert Gott so sehr an der Welt und dem Menschen, dass es fast überrascht, dass Valerie als Reaktion auf die Theodizeefrage den Teufel als Schuldigen am Leid der Welt einführt. Sie bezieht sich hier auf das Buch Hiob, in dem der Teufel den Menschen von Gott wegbringen will, es ihm aber nicht gelingt, Gott es aber sehr wohl zulässt. Verbirgt sich dahinter ein dualistisches Weltbild oder eine fehlende tiefgehende Auseinandersetzung mit diesen Fragen? Zu fragen ist hier, ob Valeries Gottesverständnis genügend Ambivalenz zulässt, um auf die Dauer tragfähig zu sein. Als sie nach Erfahrungen von Gottesferne gefragt wird, beschreibt sie Situationen, in denen sie sich Gott entzieht (drehe mich um mich selbst, lasse Gott nicht machen). Das Gefühl, dass Gott fern ist und er sich ihr entzieht, scheint sie nicht zu kennen. Auch in den Sackgassen ihres Lebens entdeckt sie den Gott, der sie beschenkt. Im Vordergrund von Valeries Gottesbeziehung steht die »Freude am Leben«, wie sie auch ihre Gestaltung bezeichnet. Sie selbst positioniert sich in ihrer Gestaltung inmitten der Geschenke am Rande des Weges. Sie erlebt sich als ein von Gott beschenkter Mensch. Gott beschenkt sie durch die Natur und durch die Begegnung mit anderen Menschen. Er beschenkt sie mit Freude am Leben und auch mit Freude, wo vorher Lustlosigkeit war. Es warten auch noch weitere Geschenke auf sie, die sie noch entdecken wird. Ein wesentlicher Aspekt des Beschenkt-Seins ist für Valerie, dass sie nichts leisten muss: Sein statt tun! Sie sieht sich selbst auf einem Weg, dessen Ziel noch lange nicht erreicht ist. Dazu sind Geduld und Vertrauen nötig. Am Ziel wartet ein Schlüssel, mit dem Valerie aufschließen kann, um Gott in weiteren Bereichen ihres Lebens »machen« zu lassen. Später, nach Krisen in ihrem Leben gefragt, erwähnt Valerie noch einmal, dass sie in manchen Krisen Gott nicht reinlasse und dass sie versuche, selbst etwas in die Hand zu nehmen. Es scheint zunächst ein Widerspruch zu sein zwischen dem Gott, der mit Geschenken überrascht, und dem,
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der sich aus Lebensbereichen »rausschieben« lässt. Valerie löst den Widerspruch dahingehend auf, indem sie zugesteht, dass Gott überall wirkt, es nur nicht immer (von ihr) wahrgenommen wird. Ein Gefühl der Nähe Gottes hat Valerie vor allem in der Natur. Auch Menschen, die sich freuen oder sich von Herzen beschenken, erzeugen in ihr ein Gefühl der Nähe Gottes (»da ist so richtig: Woaw«). Ein Grundgefühl, das sich implizit durch das Interview zieht, ist neben der Freude über das, was Gott ihr schenkt, ihre Dankbarkeit Gott gegenüber für ihr Leben und die damit verbundenen »Geschenke«. Ihre Freude am Leben selbst sieht sie als eine Art Mitwirken mit Gott, weil ihr Menschsein hier seine Bestimmung erfüllt: Damit erfüllt sie seinen Willen, weil es Gott wichtig ist, dass sie ihr Leben gerne lebt und es voll genießt und auskostet. Auch in ihrer Positionierung entscheidet sich Valerie für die Quelle des Lebens, verbindet damit aber zunächst, dass Gott mehr Respekt gegeben werden sollte. Sie sieht hier eine notwendige Ergänzung zu ihren vorhergehenden Ausführungen über Gott. Nur eine Seite, Nähe oder Distanz, zu betonen, sei nicht gut (ihr Beispiel der verschiedenen Gemeinden). Die Fröhliche steht ganz nah bei der Quelle. Also ist doch auch die machtvolle, königliche Quelle des Lebens für sie durchaus ein Gottessymbol, das Nähe zulässt. Der Schuldbeladenen fehlt dagegen der Gottesbezug. Sie steht abgewandt, und Valerie sagt, dass sie dann weglaufe von Gott. Möglicherweise ist hier einer der Bereiche, in dem Valerie sich die Veränderung wünscht, die sie mit dem Schlüssel im Ziel ihrer Metapher bewirken kann: sich auch hier für so etwas wie die vergebende Qualität ihrer Gottesbeziehung zu öffnen. Keine Berührungsängste hat die Zornige. Sie ist sogar in der Lage, Gott mit ihrem Zorn zu konfrontieren, ihn »anzuschreien«. In Valeries zweiter Positionierung steht die Nachdenkliche von der inneren Stimme etwas weiter entfernt. Valerie, die davon überzeugt ist, dass der Mensch nur ehrlich zu sich selbst sein muss, in sich reinhören muss, um Gott zu hören, erlebt sich selbst an dieser Stelle nicht hörbereit, fordert es aber von sich (die sollte eigentlich in der Nähe sein, die sollte hören). Freude, Angst und Zorn weisen einen Gottesbezug auf, während die Traurige und die Schuldbeladene nun gemeinsam im Abseits stehen. Traurigkeit und Schuld gehören für Valerie zusammen. Sie kann sie nicht wirklich mit Gott in Beziehung bringen. Ist ihre Gottesbeziehung zu einseitig auf Begeisterung und Freude ausgerichtet, so dass sie ihr in Zeiten der Trauer und bei Schuldgefühlen keine Ressource bietet? Wie tragfähig ist dann ihre Gottesbeziehung, oder gehört das zu den noch offenen Entwicklungsaufgaben, damit ihre Gottesbeziehung nicht an Enttäuschungserfahrungen zerbricht? Eine wesentliche Entwicklungsaufgabe könnte sein, auch Schuld, Leid und Trauer mit Gott zu verbinden. Valeries Löcher der Verzweiflung wirken relativ klein. Sie selbst sagt, dass sie nicht so wichtig seien, abgesehen von einer noch aktuellen Krise. Da sie selbst keine Lösung für diese Krise hat, spürt sie Gottes Nähe, weil sie ihn braucht. Die anderen kleinen Krisen scheinen für sie bewältigbar, sodass die Frage nach Gott für sie so gar nicht aufgetaucht war. Hier scheint in der Erfahrung von Verzweiflung für Valerie der Glaube doch eine gute Ressource zu bilden, anscheinend aber erst dann, wenn sie an ihre eigenen Grenzen kommt.
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3.4.5 Barbara – Vorfreude Barbara gehört zu der Altersgruppe 70+. Gottesmetapher
Barbaras Gottesmetapher besteht aus einer großen blauen Glasscherbe, die sie auf den linken unteren Bereich ihrer Unterlage gelegt hat. Rechts oben befindet sich ein Klumpen aus Goldpapier. Oben auf die Glasscherbe hat sie mit Plastelin eine kleine Figur, an der ein paar wenige Bastfäden befestigt sind, gelegt. »Ich habe … versucht, mich selbst zu kneten.« Barbara zeigt auf die kleine Figur. »Und ist ganz gut, dass keine schwarzen Haare mehr dabei waren.« Sie lacht, »sind inzwischen so grau geworden (lacht), und das ist der schöne Himmel«. Sie zeigt auf das Goldpapier. »Wo Gott eine Wohnung für mich bereit hält, und wo ich gerne landen möchte. Und auch ziemlich sicher bin, dass ich dort hinkomme. Das zeigt ein bisschen, wie nun alles zerbricht hier, wenn man älter ist. Manches, Leute sterben und, tja, Beziehungen zerbrechen und auch Sachen zerbrechen. Und vielleicht, dass ich dann auch liege, aber dass diese Hoffnung bleibt: Da möcht’ ich hin.« Was der »schöne Himmel« für sie sei? »Das bedeutet, dass es ein Ort ist, wo alles, was hier jetzt in der Welt unangenehm ist und nicht so schön ist, dass das alles weg ist, kein Leid, keine Trauer, kein alter Körper, keine Schmerzen, dass das Licht ist. Man ist bei Gott, und Jesus liebt mich, und es ist nur mehr schön dort.« Ob sie das blaue Glas und sich selbst darin noch genauer beschreiben könne? »Also ich empfinde, je älter ich werde, dass sehr viele Menschen rechts und links von mir die Welt verlassen, und da bin ich so traurig drüber.« Barbara kommen die Tränen, »…und da zerbricht so viel .« Sie meint, dass die Tränen beim Interview schlecht seien. Das mache es sehr authentisch, wenn es für sie selbst okay sei. Sie lacht, »ja, macht ja nichts, ich denke, geht jedem Menschen so, wenn man wen verliert. Es geht mir oft so, dass ich denke, ach, das erzähl’ ich jetzt dem oder das muss ich dem mitteilen, und dann denk ich auf einmal, der
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lebt ja gar nicht mehr. Das find’ ich so schlimm, wenn das so abbröckelt. Es ist nicht, weil ich dann denke, jetzt rück’ ich voran und ich bin dran. Ich vermisse die so sehr.« Sie habe ja auch immer sehr viele lebendige Beziehungen zu Menschen gepflegt. »Ja, und es werden so viele jetzt, und an dem merke ich, dass ich älter werde. Also man muss sich mit dem Alter jetzt sehr auseinandersetzen, auch wenn ich mich wohl fühle, weil ich rechts und links sehe, sie gehen von uns weg. Oder auch dass ich so traurig bin, dass ich mit vielen nichts mehr unternehmen kann. Mit vielen Menschen, die können einfach nimmer, die können nicht mehr lang gehen, oder die werden so vergesslich, dass man sich kaum mehr unterhalten kann.« Sie vermisse viele der Menschen, ob sie da seien oder nicht. Sie selbst liege in diesem Zerbrechlichen drin, so auf der Kante, ob das eine Bedeutung habe? »Vielleicht ist das wirklich die Bedeutung, dass der Blick jetzt nach der anderen Seite geht. Wenn ich jung war oder in der Lebensmitte, hab’ ich mich nicht sehr damit beschäftigt, was mal sein wird. Aber das ist ja so, bei jeder Reise überlegt man sich, wohin geht sie, und das wird jetzt sehr relevant und vordergründig. Darum bin ich schon ein bisschen auf der Kante, so Anfang.« Da sei noch ein Abstand dazwischen? »Ja, vor einem Abgrund oder Abstand fürchtet man sich, denn das weiß man, dass das sehr unangenehm ist. … Es ist so wie ein weißes Blatt, man weiß nicht, wie es sich gestalten wird. Bei anderen Dingen, die man angeht, weiß man, so und so wird’s sein. Aber das ist ein Blick in die Zukunft mit carte blanche. Da weiß ich überhaupt nicht, wie wird’s sich gestalten. Und dann fürchtet man sich davor. Oder man hat seine Wünsche: Ich wünschte, hier einzuschlafen und dort aufzuwachen, (Barbara lacht), aber das passiert sehr selten.« Wie sie das, was sie dargestellt habe, im Alltag erlebe? Barbara denkt kurz nach. Weil ihr bewusst sei, dass die Tage gezählt seien, wolle sie nicht einen Tag verschleudern, sondern ihre Tage gut nützen. »Bewusst nützen, (ich) möchte nicht vergessen, Losung350 lesen oder Bibel lesen, wenn auch nur ganz kurz, dass ich diesen Tag mit Gottes Wort lebe.« Beim Lesen falle es ihr besonders auf. Als sie jung gewesen sei, habe sie unbegrenzt Zeit gehabt und hätte beim Lesen in andere Welten versinken können. Das gönne sie sich jetzt kaum oder nur ganz selten. »Das ist eben, weil man nicht weiß, wie lang’s dauert.« Ob von dem schönen Himmel etwas in diese zerbrochene Welt mit reinkomme oder ob das nur ein Warten auf das Schöne sei? »Vielleicht ist es ein Stück Himmel, wenn man am Sonntag den Gottesdienst sehr bewusst erlebt. Wenn ich ins Gemeindehaus so rein geh’, dann denk’ ich, ist so ein geschützter Raum. Ist so wie ein Stück Himmel, dem ich jetzt ein bisschen nahe komme. Oder wo ich hingehe, so ›wenn du zum Hause Gottes gehst, dann komme, um zu hören‹, steht, glaub’ ich, im 350 Gemeint sind die Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine, die für jeden Tag alt- und neutestamentliche Bibelverse enthalten. Vgl. www.losungen.de.
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Prediger, und dann denk’ ich, jetzt höre ich ein Stück vom Himmel. Also Sonntag ist schon schön, weil da kommt mir der Himmel etwas nahe. Oder beim Abendmahl denk’ ich, jetzt ist es nicht mehr lang und dann sitz’ ich da am Tisch, mit Jesus. In der Chemotherapie jetzt, die war so jedes Monat und die war so unangenehm. Und man wird so ungeduldig und denkt, das halt’ ich nicht mehr aus. Aber dann wusste ich, ich hab’ acht Chemos, das ist achtmal Abendmahl, ich hab’s an dem festgesetzt und hab’ nach jedem Abendmahl gewusst, wieder eine abhaken.« Sie lacht. »Aber sonst, so kleine Aufmerksamkeiten, die einem Gott zuteil werden lässt, (darüber) freu’ ich mich richtig.« Was das sei? »Ich war ja jetzt mit der Sybille so fünf Tage unterwegs, jetzt da im Salzkammergut, alles abzufahren und abzusuchen, und am letzten Tag hat uns der Übermut getrieben und wir sind eine Bergstrasse gefahren. Die war so schmal und da war der Abhang. Und da hab’ ich gedacht, ›Sybille, was treibst du, hoffentlich kannst du gut fahren‹. Es war aber ein langer Weg, würd’ sagen, eine halbe Stunde gut, und sie hat immer gesagt, wenn mir jetzt etwas entgegenkommt, dann weiß ich nicht, was wir tun. … Und was soll ich dir sagen, drin wo wir sind, auf dieser wirklich gefährlichen Strecke, kommen zwei Lastwagen, beladen mit dicken Baumstämmen, ganz was Schweres, entgegen, und es war exakt die einzige Stelle, wo eine Ausweiche war. Auf dem ganzen Weg war keine Ausweiche und genau da. Wir sehen die und schauen – ist da eine Ausweiche. Also wirklich, da haben wir gesagt, jetzt müssten wir beten. Da haben wir uns hingestellt und die vorbeigelassen. Und die haben uns gewunken und gelacht, diese Landarbeiter. Da dachte ich, also dass Gott in solchen Kleinigkeiten an uns denkt. Es wird mir unvergesslich sein, es war so toll. Wir haben gelacht und wir hätten eigentlich weinen wollen und beten. Was ihr noch zu ihrer Collage einfalle? Die Strohhaare stünden für nicht mehr schwarze Haare, also für das Alter. Dazu falle ihr ein, sie wünsche sich, dass sie anderen alten Menschen, die sie besuche, so ein Stück vom Himmel vermitteln könne. Sie erzählt von einem Krankenhausbesuch gemeinsam mit einer Freundin bei einer älteren Frau. Sie hätte nur »so ein Häufchen Elend vorgefunden. So alt, dass wir sie fast nicht wiedererkannt hätten und so ohne Lebensmut«. Sie hätten nicht gewusst, was sie tun sollten, aber dann hätten sie ein Lied aus ihrer gemeinsamen Jugend gesungen und den 23. Psalm gebetet. Die kranke Frau habe mitgebetet. »Am Schluss hat sie gesagt: ›und jetzt segnest du mich‹, und dann hab’ ich sie gesegnet und dann sind wir auch bald gegangen. Und das war mir so, als hätt’ ich ein Stück Himmel auf die Erde gebracht, was ich nicht erwartet hätte. Ich, wir war’n genau so beschenkt wie hoffentlich sie auch. So ein Stück Himmel, was man so auf Erden noch erlebt, und ich hoffe, sie hat’s im Ohr. Ich hoffe.« So ein Stück Hoffnung sei wichtig in solch einer Situation. »Oh ja, glaube ich auch und auch der Zuspruch ist wichtig, man kann es sich nicht selbst zusprechen, sondern ein anderer muss es einem zusprechen, man kann es
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fast nicht sich selbst sagen oder nicht so gut sagen, man benötigt den Bruder, die Schwester, es einem zuzusprechen.« Wo Gott sei? »So spontan würde ich sagen, überall, auf jeden Fall in meiner Nähe.« Da, wo Menschen seien, oder auch da, wo keine Menschen seien? »Vielleicht auch, wo keine Menschen sind. Ich denke, er lässt auch Pflanzen blühen und Tiere leben und da, wo Menschen sind, ist er bei allen Menschen. Ich glaube ja, nur bei manchen ist er wohl traurig, wie sie sich verhalten. Ich denke, es tut Gott leid, was so passiert, was ganz schrecklich ist, was Menschen machen können, was einem Menschen antun können oder wenn sie von ihm nichts wissen wollen. Aber er wäre bereit, denke ich. Es ist sein Geschöpf, aber er ist bei allen Menschen.« Ob sich Gott etwas vom Menschen wünsche, wie Menschen miteinander oder mit der Natur umgehen sollen? »Ich denke, Gott wünscht, dass wir uns gut behandeln gegenseitig, dass wir gut sind zueinander mit Respekt, fördern vielleicht, helfen. … jedenfalls schonend, die Umwelt schonen, aber auch uns dran freuen, so schöne Blumen, ist toll, nicht? Gieß’ ich sie jeden Tag, die erhalten, schützen.« Woher der Mensch eigentlich wissen könne, was Gott sich wünsche? »Ja, ich weiß es, weil ich in der Bibel lese oder es in der Predigt höre.« Ob auch Menschen, die keine Bibel haben, wissen können, was Gott sich wünsche? »Ja, ich denke schon, dass in den Menschen ein Gewissen ist, falls man’s noch nicht umgebracht hat oder erschlagen hat.« Nicht jeder sehe es so, dass das ein Wunsch von Gott sei. Sie erwähnt ihre Schwägerin, die nichts von Gott wissen wolle und trotzdem in ihren Handlungen hilfsbereit und gut sei. Barbara meint, dass in der Schwägerin der Wunsch sei, gut zu sein, aber sie nicht sehen könne, dass das auch Gottes Wunsch sei. Wenn Gott sich etwas wünsche vom Menschen und sie anders handeln würden, wie das für Gott sei? »Es tut ihm leid, er ist richtig traurig drüber.« Wie Gott mit Menschen umgehe, die Böses tun würden? Er ist geduldig mit uns. Er schlägt nicht gleich drein. Im Alten Testament liest man das manchmal, dass Gott straft. Ich denke nicht, dass das so ist. Ich denke einfach, die Folgen trägt man und nicht unbedingt, dass Gott einen schlägt.« Ob Gott nur mit den Menschen rede oder noch andere Dinge tue? »Er handelt schon, aber es ist nicht berechenbar. Denn es ist einmal so und einmal so. Manchmal kommt niemand oder Gott schickt keinen Engel. Manchmal beschützt einen niemand, aber es kommt auch anders vor, es ist kein Schema, auf was man sich verlassen kann. Er greift schon ein, aber ich kann ihn nicht berechnen, warum er es einmal tut und einmal nicht. Wie sie sich das Eingreifen Gottes vorstelle, durch Menschen oder anders? »Es ist beides möglich, also man kann ihn nicht festlegen, bei der Türkenbelagerung sind die Türken abgezogen, weil’s Wetter schlecht war. Ja, haben wir gelernt, der Sultan Süleman ist gegangen, nicht weil wir ihn besiegt hätten. Na, das Wetter war schlecht und darum haben wir nun keinen Halbmond am Stefansdom oben.« Ob
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sie sagen würde, das war das Eingreifen Gottes, oder war nur das Wetter schlecht? »Ja, Gott ist es, der das Wetter macht. Steht auch in der Bibel.« Barbara lacht. »Es könnte so sein, also man kann Gott nicht berechnen, dazu ist wohl unser Verstand zu klein.« Es gebe sehr viel Schlimmes in der Welt, ob Gott daran schuld sei? »Nein, das auf keinen Fall, nein.« Wie sie Naturkatastrophen sehe? »Da bin ich überfragt, ich weiß es nicht.« Ob sie sagen würde, Gott sei daran schuld? »Ich weiß es nicht. Es ist mir unmöglich, es jetzt so zu beantworten.« Ob es bestimmte Zeiten, Orte oder Situationen gebe, in denen ihr Gott öfter mal einfalle? »Es ist sicher diese rhythmische Sache, dass wir eben morgens Losungen351 lesen, der G. und ich. Oder dass wir in den Gottesdienst gehen. Oder ich geh’ in die Bibelstunde, das sind so fixe Zeiten. Da geh’ ich hin, um von Gott zu hören und Gott zu begegnen.« Manchmal falle er ihr »dazwischen« ein, aber man müsse sich bei der Arbeit ja auch konzentrieren auf das, was man tue. »Man kann nicht nur an Gott denken.« Ob sie ein Gefühl der besonderen Nähe Gottes kenne? Nach längerem Nachdenken bejaht Barbara das sehr zögerlich: »Schon manche Situationen, wie eben jetzt der Weg mit der Sybille. Da hab’ ich gedacht: ›Ja, Gott ist da‹. …. in letzter Zeit …, als ich meine erste Nachuntersuchung jetzt hatte beim Krebs … da hat der Arzt zu mir gesagt, er beglückwünscht mich zu einem großartigen Befund. Da hab’ ich gedacht: ›Gott kann mich noch brauchen. Gott hat das jetzt mit mir gemacht, dass ich wieder gesund werden darf.‹ Das fand ich ganz toll.« Ob das für sie dann auch so ein Gefühl der Nähe Gottes sei? Barbara bejaht das sehr freudig. Ob sie dann spüre, dass Gott da sei? »Ja, ja, schon. Das ist auch schön. Das hat der Arzt aber auch nett gesagt, das ist aber auch eine Riesenerleichterung, weil man ja doch im Hintergrund so die Angst hat, es könnte wiederkommen, weil das ja sehr oft ist.« Ob sie auch Situationen in ihrem Leben kenne, wo Gott ganz weit weg gewesen sei? »Das sind einfach ganz schwere Zeiten, wo man ausweglos ist. Dass man überhaupt keinen Ausweg mehr sieht, wie’s weitergehen kann. Das habe es auch gegeben? »Ja, das gibt es auch, schon.« Eine Überschrift für die Gestaltung? Barbara denkt nach. Im Moment sei sie phantasielos. In letzter Zeit denke sie öfter an das Deckengemälde, wo Gott dem Adam die Finger hinhalte, aber das sei kein Titel. Aber sie könne dem einen Titel geben. »Vorfreude.«
351 Vgl. Anmerkung 350.
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Positionierung mit einem Gottessymbol
Bei ihrer ersten Positionierung sucht Barbara sich das Symbol Licht aus und stellt die Figuren zunächst kommentarlos auf. Anschließend erklärt sie dazu: »Ich bin generell recht glücklich und fröhlich und ich denke, das kommt von Gott.« Da sei sie schon nahe. »Der Ängstliche, ich bin auch ein Angsthase und bin immer froh, wenn ich von Gott weiß, denn ich fürcht’ mich, wenn ich in den Keller gehe und wenn ich am Abend heimgeh’ im Finstern. Furcht ist weiblich. … schuldbeladen: ja, da wird mir bewusst, wie sehr ich Jesus benötige. Ich denke oft dran, was man wohl früher alles falsch gemacht hat. Ich schlag’ mich damit herum, dass mir das hochkommt: Das hätt’ ich vielleicht nicht tun sollen und dieses. Und dann tut’s mir so leid. Und dann möcht’ ich ganz nah bei Gott sein, dass er mir das nicht anrechnet. Am besten, dass er’s auslöschen würde. Und das kann man nicht. Man kann seine Vergangenheit nicht auslöschen. Sie ist da, und es tut mir sehr leid. … nachdenklich: Ja, über manches muss ich nachdenken. Traurig bin ich eigentlich nicht sehr. Gott sei Dank. Und zornig wenig, aber wenn, dann heftig oder folgenschwer. Das gehört zu dieser Palette dazu.« Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Barbara stellt in der zweiten Positionierung die Figuren im Halbkreis um das Symbol für den Vater im Himmel auf. Die Fröhliche positioniert sie zur Quelle
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des Lebens: »Quelle des Lebens ist mir eine Freude, weil wir so viele Kinder haben und kriegen. Das ist mir eine solche Freude, dass Gott so viel Leben schafft um mich herum.« Kinder, Enkel und Urenkel »und da ist wirklich Quelle des Lebens, eine solche Freude, wenn man die so gesund in den Arm nimmt – großartig.« Dann stellt sie die Traurige zur Matrioschka: »Die Traurige braucht wohl die Mutter, (die) mütterliche Seite, und der Nachdenkliche, der braucht das Licht, die Erleuchtung.« Sie stellt die Nachdenkliche zum Licht. Das Symbol für Kraft stellt sie nun zum Vater im Himmel, »weil’s im Vaterunser heißt: Dein ist die Kraft. Da hab’ ich gedacht, das ist die Kraftquelle, vielleicht Kraft, die man von Gott bekommt, er hat genug.« Ob das eine Kraftquelle für alle Figuren sei? Barbara bejaht das. Die Ängstliche wird zur Matrioschka gestellt. »Mit dem Zornigen weiß ich nicht, was ich machen soll. Der Schuldbeladene muss im Netz der Liebe aufgefangen sein. Die Innere Stimme, weiß ich jetzt nicht, wo die hingehört. Vielleicht ist die Innere Stimme zum Zorn nicht schlecht, als Regulator vielleicht.« Auch wenn man vielleicht die innere Stimme lange unterdrücke, sei sie irgendwann da. Gebetsfragebogen Das Wichtigste ist für Barbara am Beten, mit Gott über alles zu sprechen und ihm auch zu danken. Weniger wichtig ist es für sie, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen und still zu sein, bekommen nur zwei von fünf Punkten, und unwichtig (1 Punkt) ist für Barbara das Falten der Hände. Dazu, ob es sich bei der Genesung einer Person um eine Gebetserhörung handelt, fällt es Barbara schwer, irgendetwas zu sagen. Sie ist sich unsicher. Bei einem eigenen Gebet für eine kranke Person drückt sie im Gebet ihren Wunsch nach Genesung aus und betont dabei den Aspekt der Souveränität Gottes. Barbara betet häufig vor dem Essen, im Gottesdienst und in anderen Gemeindeveranstaltungen, wenn sie sich freut, wenn sie Angst hat und wenn sie Kummer und Sorgen hat. Sie betet manchmal am Morgen und am Abend, wenn sie vom Leid anderer Menschen hört und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Nie betet sie, wenn sie sich etwas wünscht oder wenn sie sich einsam fühlt.
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Löcher der Verzweiflung
Barbara reißt zwei Löcher und meint, dass sie die Größe eigentlich gar nicht so beurteilen könne. Das zweite Loch habe sich dann später wieder zugemacht (zweites Foto). Mit dem ersten Loch beschreibt sie ihre größte Lebenskrise. Sie habe das überhaupt nicht verstehen können. »Ich habe mir gedacht, wenn Gott wirklich mein Vater ist, dann geht ein Vater mit einem Kind nicht so um, dass er einen jahrelang an der Nase herumführt. So bin ich mir vorgekommen, aber habe dann auch aus der Lebenskrise auch ein Resümee ziehen müssen.« Sie habe dadurch etwas gelernt, habe sich an der Krise verändert. Wenn sie jetzt darauf schaue, ob sich etwas verändert habe? Im Nachhinein erkenne sie, dass Gott sie durch ihre eigene Ahnungslosigkeit auch geschützt habe. Sie habe sich im Prinzip geborgen gefühlt und sich auf etwas verlassen, was so nicht war. Sie habe so einen großen Teil ihrer Lebensaufgabe gut ausfüllen können. Das »war auch noch irgendwo eine Güte«. Mit dem anderen Loch der Verzweiflung beschreibt sie eine schwierige Situation mit einem ihrer Kinder. Ein Kind sei schwer krank gewesen und habe immer »fast am Rande des Todes« gestanden. Diese Situation habe sie über Jahre schwer belastet. » … aber dann irgendwann war’s mir einmal zu viel und dann kam ich in das Loch und habe wirklich gesagt: Lieber Gott, dich gibt es nicht! Das gibt es nicht, … dass du einfach 12 Jahre nicht auf mich hörst und keine Besserung eintritt. … (Barbara weint) Da hab’ ich dann gesagt: Ich kann nicht mit ansehen des Knaben Sterben, wie die Hagar gesagt hat, und genau zu dieser Zeit läutet’s an der Tür und kommt eine Freundin zu mir. … Da hat die erst mitgekriegt, wie’s mir wirklich geht. Was ich da habe, das hat die nicht gewusst. Die Freundin habe von einer Frau aus der Gemeinde gewusst, die ein Haus an einem Ort hatte, wo sich das Kind gut erholen konnte. »Und zwei Tage später hat sie gesagt, ihr könnt losfahr’n.« Sie selbst habe aber aufgrund ihrer familiären Situation keine Zeit gehabt wegzufahren. Eine ältere Schwester aus der Gemeinde, die auch noch Krankenschwester gewesen sei, habe ihr Kind dann zwei Monate dorthin begleitet. Seitdem habe sich die Lage erheblich gebessert gehabt. Barbara weint, als sie davon erzählt. »Da hab’ ich gedacht, das war ein
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schreckliches Loch. Aber sofort am selben Tag, wie ich wirklich dann alles hingeschmissen hab’, dann läutet’s an der Tür, ist irre, nicht?« Als sie dann ein Jahr später selbst mit zwei ihrer Kinder an diesen Ort gefahren sei, habe sie dort die Baptistengemeinde besucht. Dort hätten sie zu Beginn des Gottesdienstes ein Lied gesungen: »Oh, dass ich 1000 Zungen hätte, und was Gott an mir getan (Barbara flüstert). Da hab’ ich gedacht: ›Is ja irre, Gott ist überall. Gott ist da mitgegangen.‹« Als sie vom weiteren Weg der Besserung erzählt, fällt ihr das Sprechen immer leichter. Sie habe im Weiteren Gottes Güte erlebt. Ihr Sohn sei, obwohl er nur die Hälfte der Zeit am Unterricht teilnehmen konnte, immer gut in der Schule gewesen und habe später eine akademische Karriere gemacht. Jetzt habe er eine gute Stelle, genau in der geographischen Gegend, in der er aufgrund seiner Krankheit leben muss. »(Er) hat wirklich so gut lernen können, und ich denke immer : ›Das vergönn’ ich ihm so.‹ Gott schenkt ihm für eine schreckliche Kindheit ein großartiges Leben. … und das ist mir irre, dieses Kind. Ja, da bin ich Gott begegnet immer wieder und bis jetzt. Dass ich mich von Gott verlassen gefühlt habe und Gott zeigt mir : ›Gar net, war immer da‹. Ja, das war auch so’n Loch, wo man wirklich drüber heulen könnte, weil’s so irre war.« Vor Traurigkeit und vor Glück? »Ja.« Barbara ist seit vielen Jahren Mitglied einer österreichischen Baptistengemeinde. Sie arbeitet dort an vielen Stellen mit. Sie war als Hausfrau und Mutter mehrerer Kinder in Familienarbeit tätig. Dadurch, dass sie nicht berufstätig war, konnte sie sehr viel ihrer Zeit aktiv in die örtliche Baptistengemeinde einbringen. Vor allem die Verbindung zu anderen, besonders den älteren Mitgliedern hat sie durch Besuche und Kontakte gepflegt. Barbara ist mit ihrem Leben zufrieden. Der Glaube an Gott ist für sie sehr wichtig, und sie erlebt ihn als einigermaßen unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie, so oft sie kann, andere Veranstaltungen (z. B. die Bibelstunde und die Frauenstunde) häufig. Ihre Gemeinde ist ihr sehr wichtig. Sie arbeitet oft in ihrer Gemeinde mit und hat oft auch außerhalb der Gemeindeveranstaltungen Kontakt zu Gemeindemitgliedern. Die Bibel und auch die praktische Nächstenliebe sind für sie sehr wichtig. Sie engagiert sich auf Grund ihres Glaubens oft für ihre Mitmenschen, wobei sie sich selten politisch und sozial, mehr nachbarschaftlich und durch anderes Engagement, zu dem sie keine näheren Angaben macht, einsetzt. Barbara war schon bei der ersten Untersuchung 2002 mit dabei und war auch dieses Mal wieder gerne bereit, an einem Interview teilzunehmen. Das Interview fand bei ihr zuhause in einer sehr angenehmen und offenen Atmosphäre statt. Barbara sucht aus dem Materialbuffet eine blaue Scherbe, zusammengeknülltes Goldpapier und ein wenig Plastelin aus. Aus dem Plastelin formt sie eine kleine Figur, an der sie etwas Bast befestigt und die sie auf den Rand der Scherbe legt. Sie platziert die Scherbe mit der Figur und den Goldpapierklumpen, den sie selbst noch ein wenig neu zusammendrückt, einander gegenüber auf der Unterlage, wobei die Figur in Richtung Goldkumpen zeigt, aber dazwischen ein größerer Abstand ist. Wenn man die Unterlage in vier gleiche Quadranten einteilt, liegt die Scherbe im linken unteren Quadranten, einige Zentimeter vom unteren Rand entfernt. Sie ragt ein wenig über die Unterlage hinaus. Das Goldpapier befindet sich im rechten oberen Quadranten, den es fast ganz ausfüllt. Die
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beiden anderen Ecken sind leer. Es entsteht eine Dynamik über die Diagonale von links unten nach rechts oben. Der Abstand zwischen den Gegenständen erzeugt eine Spannung, die anziehend, aber auch auseinanderstrebend wirken kann, da die Scherbe mit ihrer Spitze über den Unterlagenrand nach außen weist. Es gibt starke Kontraste, aber auch Ähnlichkeiten zwischen den beiden Teilen der Collage: Das »wertvolle« Goldstück kontrastiert mit der »wertlosen«, zerbrochenen Scherbe. Ähnlichkeiten liegen darin, dass Gold und Blau beide royale Farben sind und dass das Goldpapier zerknüllt und die Scherbe zerbrochen ist. Beide Symbole wirken ambivalent: Das (vordergründig wertvolle) Goldpapier ist zerdrückt und zerknüllt; die (vordergründig wertlose) zerbrochene Scherbe ist königsblau. Durch das Goldpapier entstehen einige Lichtreflexe auf der Unterlage. Es strahlt, wirkt anziehend und erinnert an etwas Göttliches. In ihrer Metapher hat Barbara sich selbst in ihrer menschlichen Vergänglichkeit und ihre Hoffnung auf einen Himmel dargestellt. Damit beschreibt sie einen Teil ihrer momentanen Lebenssituation. Sie erlebt sich selbst aufgrund einer Krankheit als sehr zerbrechlich/verletzlich, ihre Kraft schwindet (es sind nur noch wenige und graue Haare vorhanden). Sie sieht sich in der liegenden, dahin gestreckten Position der Plastelinfigur. Es macht ihr zu schaffen, dass viele Menschen, zu denen Barbara guten Kontakt gepflegt hat, in ihrem Leben nicht mehr da sind. Der abbrechende Kontakt schmerzt sie. Sie vermisst diese Menschen und merkt daran, dass sie älter wird und sich mit ihrem eigenen Tod auseinandersetzen muss. Das verursacht ambivalente Gefühle in ihr. Zum einen macht ihr das Angst, zum anderen taucht für sie so etwas wie »Vorfreude« auf, wie sie ihre Metapher auch betitelt. Die Angst besteht im weiteren Schwinden der Kräfte bis zur Regungslosigkeit (»dass ich dann da so liege«), aber auch in der Angst vor dem Sterben selbst. Der Abstand wird von ihr als Abgrund gedeutet, und daran macht ihr vor allem das Unbekannte, das auf sie zukommen wird, Angst. Barbara verwendet dabei den Begriff carte blanche, und spricht damit auf die weiße Farbe des Abstandes an. Sie beschreibt damit das Unbekannte. Ursprünglich hat der Begriff carte blanche die Bedeutung einer Vollmacht oder wird im Sinne eines Blanco Checks verwendet. Der Bedeutungsschwerpunkt liegt hier auf dem Vertrauen seitens des Ausstellers an den Begünstigten. Für Barbara wahrscheinlich nicht bewusst, taucht hier am unbekannten Abgrund über den Begriff carte blanche Vertrauen auf. Barbara äußert neben dem Gefühl der Angst auch das Gefühl von Vorfreude. Es bleibt offen, ob es sich bei der Vorfreude um gefühlte oder eher gedachte Freude handelt. Barbara äußert aber die Hoffnung auf Hoffnung: Sie hofft, dass ihr, selbst wenn sie am Boden ist, die Hoffnung auf den »schönen Himmel« bleibt. Gott ist für sie innerhalb der Metapher der, der auf sie wartet und ihr Raum schafft, was sie in einer biblischen Metapher (er hält eine Wohnung für mich bereit) ausdrückt. Gott ist der, der sie annimmt und liebt (Jesus liebt mich) und für die Auflösung aller Ambivalenz sorgt (es ist nur mehr schön dort). Sie hofft darauf, trotz ihrer menschlichen Schuld – unter der sie im Rückblick auf ihr Leben noch leidet (vgl. Positionierungen) – angenommen zu sein. Auch in ihrer jetzigen Lebenssituation hat der »schöne Himmel« Bedeutung: Etwas Schönes gibt es auch hier und jetzt für sie in ihrer Ambivalenz. Sie nennt da den Gottesdienst. Das Gemeindehaus beschreibt sie als einen geschützten Raum. Sie hebt das Abendmahl, das in Baptistengemeinden in der Regel einmal im Monat stattfindet, hervor. Es weist sie auf die zukünftige Tischgemeinschaft mit Jesus Christus hin, stärkt ihre Hoffnung auf den Himmel und es wird für sie zur Maßeinheit, das Ende ihres besonderen Leidens durch die Chemotherapie zu messen. Mit jedem Abendmahl kam das Ende der
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achtmonatigen Chemotherapie näher. Und mit jedem Monat kommt für sie jetzt die »himmlische« Tischgemeinschaft näher. Das Abendmahl ist für sie persönlich zu einem eschatologischen Vorzeichen geworden. Als wiederkehrendes Ereignis gibt es Barbara in ihrer Notsituation Halt und Struktur. Es ist deutlich zu spüren, dass Barbaras Glaube für sie eine ganz wesentliche Ressource zur Bewältigung ihrer Lebenssituation ist. Ferner wünscht sie sich, anderen Menschen ein Stück Himmel auf Erden zu vermitteln. Sie selbst erlebt einen Krankenbesuch so. Das Stück Himmel steht hier für erlebtes menschliches Miteinander in einer Leidenssituation und für Hoffnung, die Menschen im Glauben einander zusprechen können. Vielleicht verbirgt sich für Barbara auch ein Wunsch dahinter, Leiden zu mindern, weil sie selbst viel Leid erlebt hat. Gemeinschaft mit anderen Christen ist für Barbara ein ganz wesentlicher Aspekt ihrer Gottesbeziehung. Sie erlebt sich als Vermittlerin (Krankenbesuch) von Hoffnung, und auch andere werden das für sie (die Frauen, die ihr in der Notsituation mit dem kranken Kind helfen). Nach ihrem eigenen Verständnis werden Segen, Hoffnung und Glauben durch andere vermittelt, zugesprochen. Gott handelt für sie mittelbar durch Menschen. In Krisen ist Gott für Barbara ambivalent. Barbara fühlt sich in der Situation mit ihrem kranken Kind zunächst auch von Gott verlassen, kann sich nur in der Klage an Gott wenden. In ihrer Verzweiflung, wo sie ihr Kind schon sterben sieht, betet sie offen und kritisch: »Lieber Gott, dich gibt es nicht!« Selbst mit ihrem »Unglauben« bleibt sie noch in Beziehung mit Gott und wendet sich im Gebet an ihn. Sie deutet dann den Besuch einer Freundin aus der Gemeinde mit den problemlösenden Folgen als rechtzeitiges Eingreifen Gottes (nach 12 Jahren Leiden mit ihrem Sohn). Letztlich kann sie im Rückblick sagen: Gott ist da mitgegangen. Diese Erkenntnis kommt ihr im Singen bestimmter Lieder, mit denen sie etwas verbindet, im Gottesdienst. Sie beschreibt in ihrer Loch-Collage, dass sich dieses Loch in ihrem Leben wieder geschlossen hat. Den jetzigen Wohnort ihres Sohnes und die Karriere, trotz schwieriger Kindheit, deutet sie als ein indirektes Wirken Gottes. In einer anderen Krise, in der sie von Menschen hintergangen wird, fühlt sie sich auch von Gott betrogen. Erst mit viel Abstand kann sie auch in wenigen Aspekten dieser Krise positive Anteile sehen. Hier bleibt das Loch offen. Die durch diese Krise verursachten Verletzungen sind nicht geheilt. Ob es für Barbara da auch noch ein paar offene Fragen in Bezug auf ihre Gottesbeziehung gibt? In Barbaras Gottesbeziehung ist Raum für Ambivalenzen. Gott ist für sie nicht der Berechenbare, durch Gebete zu Beeinflussende, was auch durch die Zurückhaltung in ihren Antworten im Gebetsfragebogen unterstrichen wird. Gott ist hier der, der auf sich warten lässt und erst am Tiefpunkt indirekt eingreift. Barbara sieht eine Spannung zwischen dem Gott, der für sie Vater ist, und dem, wie sie Gott in Krisen erlebt. Trotz ausbleibender Unterstützung und dem Gefühl, »an der Nase herum geführt« worden zu sein, bleibt Barbara in Beziehung mit Gott. Sie hält diese Spannung (über Jahre) aus. Ein Erlebnis Gottes besonderer Nähe ist für sie die Bewahrung in einer gefährlichen Situation auf einer Bergfahrt mit dem Auto, was sie sehr humorvoll schildert. Sie deutet eine Ausweichstelle, die genau zur richtigen Zeit auf der Autofahrt vorhanden ist, als »Aufmerksamkeit«, die Gott ihr zuteil werden lässt. Dieses Ereignis berührt sie emotional und sie hat den inneren Impuls zu beten (»Wir hätten eigentlich weinen wollen und beten.«). Auch die Genesung nach schwerer Krankheit bringt Barbara mit Gott in Verbindung. Sie spricht dabei nicht von Heilung, aber von Erleichterung und Dankbarkeit nach dem positiven Befund und der Gratulation des Arztes. Sie spricht nicht über-
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schwänglich (z. B. Gott hat mich geheilt), sondern eher zögerlich (Gott hat gemacht, dass ich wieder gesund werden darf). Auch hier wird Gott nicht vereinnahmt, sondern Barbara deutet das Ereignis durch ihren Glauben auf Gott hin und gibt ihm eine Art Sinn: »Gott kann mich noch brauchen«. Was beiden Ereignissen (Ausweichstelle bei Autofahrt und Mitteilung vom Befund) gemeinsam ist, ist die Erleichterung nach großer Angst. Bei Barbaras Positionierungen fällt zunächst die Ordnung ins Auge: Eine Linie mit gleichen Abständen in der ersten Positionierung und in der zweiten Positionierung ein fast geschlossener Kreis der Gottessymbole, bei dem nur Gott-Vater ein wenig aus der Ordnung herausfällt, indem er keine Figur, sondern ein zweites Gottessymbol beigestellt bekommt. Weisen diese geordneten Gefühle auf einen Wunsch nach Kontrolle hin? Die Emotionen positioniert Barbara sehr stimmig zu dem, was sie sonst ausdrückt. Zu denken gibt, dass sie im Rückblick auf gemachte Fehler in ihrem Leben noch Schuld thematisiert. Auch hier hält sie eine gewisse Spannung aus. Die Aufhebung – oder Integration – auch dieser Ambivalenz steht für sie noch unter dem eschatologischen Vorbehalt. Letztlich findet sie ja laut ihrer Metapher Annahme auch mit und trotz ihrer Schuld. In der zweiten Positionierung wird die Schuld dann auch durch die Liebe »aufgefangen«. Interessant ist, dass Barbara die Traurige und die Zornige ans Ende der Reihe stellt, aber nicht wegen einer Entfernung zu Gott, die sie dann empfindet, sondern weil diese Gefühle seltener vorkommen, was verwunderlich ist, wenn man den Berichten über ihre Lebenssituation folgt. Vielleicht gelingt es ihr, auch durch eine Art ausgleichender Funktion ihrer Gottesbeziehung eher positiv gestimmt zu sein und Freude und Dankbarkeit überwiegen zu lassen. Die Freude steht ja auch sehr stimmig dazu am Anfang der Reihe. In der zweiten Positionierung findet sich die Freude dann auch sehr stimmig an der Quelle des Lebens wieder. Schon im Interview wird Barbaras Liebe zur Schöpfung deutlich, indem Blumengießen fast wie Gottesdienst wirkt. (Barbara ist der Ansicht, dass Gott will, dass die Umwelt geschont wird. Barbara will ihre Blumen durch tägliches Gießen erhalten und sie schützen.) Hier erwähnt sie ihre Familiensituation und die besondere Freude über Kinder und Enkel, die sie als von Gott geschaffen sieht. Interessant ist weiter, dass die Ängstliche und die Traurige zum mütterlichen Gottessymbol gestellt werden. Während Gott-Vater, was die Emotionen angeht, leer ausgeht. Dafür bekommt er die Energie an die Seite und ist damit auf die Figuren bezogen. Sie bekommen ihre Kraft von Gott-Vater. (Barbara zitiert hier das Vaterunser.) Der seltene Zorn bekommt die innere Stimme als Regulator. Es scheint doch wichtig zu sein, diese Emotion zu kontrollieren? Barbara bringt ihr Erleben Gottes stark mit anderen Menschen in Verbindung. Es geht aber nicht darin auf. Die Gemeinschaft mit anderen Personen aus ihrer Gemeinde ist ihr wichtig, und sie leidet unter deren Abwesenheit durch Tod oder körperliche Schwäche. Sie besucht weiterhin alte und kranke Gemeindegeschwister, um ihnen ein Stück Himmel (oder auch ein Stück menschlicher Gemeinschaft, an der sie so von sich aus nicht mehr teilhaben) zu bringen. Auch erlebt sie Gottes Zu- und auch Abwendung indirekt durch andere Menschen. Darüber hinaus wird ein stark ritualisierter, durch die Gottesbeziehung strukturierter Alltag erkennbar : Tägliches Losungen lesen mit dem Ehemann, tägliche Gebete, wöchentliche Besuche des Gottesdienstes, in dem sie Gott »hört«, mit der monatlichen Abendmahlfeier, die ihr in Zeiten ihrer Chemotherapie besonders wichtig war. Ihre Lebenssituation betreffend taucht im Gespräch über den Alltag das »carpe-diemMotiv« auf. Sie möchte die knappe, ihr verbleibende Zeit nicht mehr verschwenden, sondern gut nutzen. Allerdings führt das für sie nicht zu einer Art Leistungsdruck unter
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Torschlusspanik oder einem Leben in Genuss und Vergnügen (hedonistisch), sondern zu vermehrtem Bibellesen und Gebet (epikureisch). Dabei ist sie aber so realistisch, dass sie betont, dass man nicht immer an Gott denken kann, sondern sich auch um die Dinge des Alltags kümmern muss. Barbaras Gottesverständnis ist untrennbar mit ihrer Gottesbeziehung verbunden. Sie verortet Gott bei sich, Gott ist auf jeden Fall da, wo sie ist. Gott ist zugewandt, ist keine anonyme Größe, sondern stets in Beziehung zum Menschen gedacht. Gott ist für Barbara der Schöpfer, mit dem sie, indem sie sich um Blumen kümmert, mitwirken darf. Ihr gefällt das Symbol für Gott als Quelle des Lebens besonders, weil sie sich über das von Gott geschaffene Leben, was für sie in ihren Kindern und Enkelkindern sichtbar wird, sehr freut. In ihren Formulierungen tauchen immer wieder starke psychische Anthropomorphismen (z. B.: Gott leidet darunter, wie der Mensch ist.) auf, allerdings ist Barbaras Gottesverständnis durchweg transzendenzbewusst. Zur Theodizeefrage hält sie sich zurück, ist überfragt, aber Gott ist für sie auf keinen Fall schuld am Leid in dieser Welt. Sie hat kein legalistisches Gottesbild, rechnet aber damit, dass die Schuld des Menschen auf ihn selbst, wie in einer Art Tun-Ergehen-Zusammenhang, zurückfällt. Gott will von den Menschen, dass sie gut zueinander und zur Natur sind. Seinen Willen können Christen durch Lesen der Bibel oder Hören der Predigt erkennen. Der Mensch hat aber auch eine natürliche Erkenntnis von Gut und Böse durch sein Gewissen. Zum Handeln Gottes äußert Barbara sich nur sehr zögerlich. Sie hält direktes oder auch indirektes Eingreifen Gottes für möglich (z. B. durch das Wetter bei der Türkenbelagerung). In diesem Beispiel schwingt aber schon humorvoll mit, dass es Interpretationssache ist, wie ein Ereignis beurteilt wird, und dass sie Gott dafür nicht vereinnahmen möchte. Auch ihre zurückhaltenden Antworten im Gebetsfragebogen unterstreichen diese Haltung. Sie äußert keine konkrete Erwartungshaltung bezüglich des Gebets. Insgesamt ist Barbaras Gottesvorstellung, so wie sie sich in ihrer Metapher ausdrückt, geprägt von ihrer Lebenssituation und ihrer ambivalenten Gottesbeziehung. Es gibt für sie einen bleibenden Abstand zu Gott. Die Spannung dieses Abstandes vergleicht sie mit dem Bild der Erschaffung Adams von Michelangelo. Für sie selbst geht diese Spannung klar in Richtung auf mehr Nähe, die aber unter dem eschatologischen Vorbehalt steht. Die Aufhebung aller Ambivalenzen bleibt dem »schönen Himmel« vorbehalten, aber schon jetzt strahlt von dort Licht in den Alltag, was im Wesentlichen durch Menschen zu Menschen in Form von geteilter Hoffnung kommt. So wird die bleibende Ambivalenz menschlichen Seins durch gelungene menschliche Gemeinschaft »erhellt«, aber auch immer wieder durch kleine Ereignisse, veränderte Lebenssituationen, gelöste Probleme, deren (nachträgliche) Deutung für ein Wirken Gottes offen ist. Durch ihren Glauben wandelt sich der Abstand zu Gott in eine Vorfreude auf die Überwindung dieses Abstandes.
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3.4.6 Romi – Gott ist Romi gehört zur Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren und ist Angestellte im sozialen Bereich. Gottesmetapher
Romi gestaltet ihre Metapher dreidimensional. Die Gestaltung hat eine eher flache Vorder- und eine plastische Rückseite. Das Wichtigste an Gott sei für sie im Moment »einfach das Da-sein, dass Gott vorhanden ist ohne was irgendwas dazu.« Was sie von Gott mitbekomme, sei diese Vorderseite – sie zeigt auf die Platine – diese Schaltfläche, mit der sie nichts anfangen könne, die aber sehr klar sei und wo sie wisse, dass das irgendeinen Sinn und Nutzen habe. Aber sie sei ihr halt nicht erschließbar. Romi lacht. Jetzt deutet sie auf das weiße Säckchen, das hinter der Platine verborgen ist und in das sie einige Gegenstände eingepackt hat: In dem »Sackerl« sei alles mögliche Zeugs drinnen, ganz bunt. Das sei, was sie glaube, dass ganz viele Aspekte und Facetten dahinter seien, von denen man keine Ahnung habe und nichts mitbekomme, da sie einfach »verborgener« seien. Sie zeigt auf die bunte Schleife: Durch die Schleife könne man vielleicht eine Ahnung haben, dass etwas Buntes in dem weißen Papier verpackt sei. Das Holz sei zur Abschirmung, dass
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das »Packerl« wirklich versteckt sei, aber man sehe es auch ein bisserl. Ob sie eine Ahnung habe, was da drin sein könne? Romi zögert an dieser Stelle, »Ja« zu sagen. Es sei schwierig. Es sei nicht wirklich eine Ahnung. Sie könne es nicht konkretisieren. Man könne Facetten erahnen, aber die seien dann doch ganz anders und viel vielfältiger. Was sie selbst glauben oder denken könne, das sei ihr zu wenig, das könne es nicht sein. Menschen würden nur mit dem arbeiten, was sie haben und kennen. Es sei mehr, man könne auf die Idee dahinter gar nicht kommen, weil das einfach nicht im Menschlichen sei. Sie glaube, dass es gut sei, und wenn man eine Wertung reinbringen wolle, dann sei es etwas Positives. Es sei nicht nur anders, sondern besser und vor allem da und klar. Klar sei es, weil es so eingepackt sei. Wenn das ganze bunte Zeug rumliegen würde, dann sei es zu wirr. Ob es durch das Verborgene eine Klarheit bekomme? Romi stimmt dem zu: »Ja«. Wie sie das im Alltag erlebe? Vielleicht dadurch, dass sie selbst immer wieder auf die gleichen Sachen zurückkomme. Die seien eigentlich sehr klare, einfache Sachen. Und jetzt sei sie mehr so bei diesem ›es ist‹. Da gebe es dann nicht viel zu sagen oder zu diskutieren. Das sei einfach so und es passe einfach so. … Momentan sei ihr Thema irgendwie Suche nach der Wahrheit. Das sei für sie gleichbedeutend mit Klarheit. »Und dafür reichen mir die Antworten oft nicht, die man heut’ so kriegt. Weil die Standardantworten mit Jesus Christus ist die Wahrheit und der Weg und überhaupt, damit fang’ ich genau gar nix an.« Das reiche nicht, da sei »keine Klarheit d’rin«. Es sei vielleicht mehr die Beschäftigung mit Gott und nicht mit Jesus und dafür nutze ihr die obige Antwort dann nichts. Früher habe sie mehr diskutiert, wie man was verstehen könne. Jetzt sei das mehr das Ahnen oder das Gefühl für sie. Was sie da fühle? »Dieses ›Da-sein‹ … und auch, dass es mir bis zum gewissen Grad reicht.« Ob sie das Gefühl beschreiben könne? »Vielleicht am ehesten mit so’m Grundvertrauen.« Egal wie es ihr grade gehe, egal ob es grade lustig sei oder nicht, es passe einfach, auch wenn es grad nicht passe. Andere würden sagen, sie sei resigniert. Es wirke wahrscheinlich so, aber das sei es für sie nicht. Es sei die gewisse Akzeptanz mit dem »Einfach sein«. Es sei dann aber schwierig, etwas gegen das Negative zu unternehmen, weil es im Endeffekt eh so passe. Später ergänzt sie noch, dass für sie im Alltag langfristig der gewisse »Verzweiflungsaspekt« wegfalle. Da, wo man etwas gegen die Sachen machen könne, sei es wichtig, es zu tun, aber mit dem Grundvertrauen, dass es okay sei. Romi deutet noch einmal auf ihre Gestaltung und fasst zusammen: »Des is’, ja!« Das sei schon viel: Das ist da und das ist gut. Romi ergänzt: »Und i versteh’s net … und es stört recht wenig.« Romi geht noch mal auf das Computerteil ein: Im Prinzip sei das sehr einfach. Es seien ja nur Einsen und Nullen. Es gebe Menschen, die sich damit befassen würden und für die sei das einfach. Gott sei demnach einfach zu verstehen? »Ja, ich glaub’, er selbst is’ für sich einfach. Und das Gefühl hab’ ich von mir auch, also ich find’
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mich auch nicht kompliziert. I glaub’ alle Leut’, die mich kennen, sag’n das anders.« Dabei lacht sie. Also Gott sei an sich einfach und könne sich selbst verstehen? »Ich glaub’, das gehört dazu, weil sonst könnt’ ich da nicht sagen, dass das gut ist, wenn ich da das Gefühl hätt’, das is’ jemand, der mit sich selbst nicht wirklich klar kommt und sich selbst nicht versteht.« Wo sie selbst da drin sei? »Also in dem jetzt, so wie i das da gebastelt hab’, da bin i außen.« Wo? »Rundherum, also schon, das is eben da eindeutig Vorderseite, aber i kann 240 rundherum gehen und seh’, dass noch was drinnen ist.« Sie könne sich das anschauen? »Aber i kum net rein – lacht – es is wirklich nur von außen.« Wie denn die Beziehung zwischen Gott und ihr sei? Ob Gott denn bei ihr reinkomme? »I glaub’ net«, sagt Romi und lacht. »Für mich reicht das an Beziehung, weil ich denk’ dadurch, dass ich diese Ahnung hab’ oder dieses ›Dasein‹, dass ich weiß, dass er da ist. … Da war die Kontaktaufnahme ja schon und das reicht mir eigentlich, also.« Sie wolle da auch gar nicht rein. Wo Gott sei? Auf diese Frage wisse sie keine Antwort. Ob er da sei, wo Menschen seien? Sie glaube, dass das sehr vielfältig sei, weil Menschen unterschiedliche Zugänge hätten. »Bei manchen ist es dann in der Natur und manche übertreiben es dann vielleicht und sehen in jeder Handlung von einem Menschen das Wirken Gottes.« Wie es für sie sei? »So teils teils, denk’ i mer, ich möcht’ durchaus noch unterscheiden, ob’s jetzt a Zufall is’ oder tatsächlich Gottes Eingreifen. Woran ma des festmacht, is’ natürlich wieder schwierig. I denk’ ma, des is’ eher dann das persönliche Empfinden. … Also für mich persönlich is’ es oft zu viel, wenn die Leut’ glei sag’n, das war alles Gott, und des is’ alles, also i glaub’ net, dass er in jedes Minidetail eingreift, des glaub’ i net. In welchem Rahmen jetzt, des kann i schwer sag’n, vielleicht bei Leuten, wo’s wichtig is’, greift er a in Minidetails ein.« Sie glaube nicht, dass Gottes Anwesenheit sich von irgendetwas abhängig mache. Ob Gott etwas mit der Welt zu tun habe? »Schon ja, eben dieses Eingreifen und dieses Da-sein im Grunde. Also i glaub’ schon, dass er diese, die – also Kontrolle nicht -, den Überblick, er hat den Überblick. Er schaut halt, wie’s so rennt.« Sie lacht. Ob Gott etwas mit den Menschen zu tun habe? Das sei im Grund’ dasselbe. Ob Gott in Verbindung mit den Menschen stehe? »Manche behaupten es, ja.« Wie es für sie sei? »Subtil, ja. Für mich is’ was subtil.« Wo es für andere schon klar sei, bräuchte sie so etwas wie konkrete Beweise. Sie macht einen Scherz: Z. B. einen grünen Zwerg vor der Türe. Es gebe eine Geschichte von jemandem, der gebetet habe: Wenn’s dich gibt oder wenn das und das ist, dann hätte ich gern am nächsten Tag einen grünen Zwerg vor der Tür stehen. »Also, so was würde ich eigentlich ganz okay finden.« Auf der anderen Seite denke sie sich, dass es bei ihr eh mit den »subtilen« Sachen funktioniere, vielleicht nicht so bewusst. Aber sie denke schon, dass sie auf irgendeine Art und Weise Kontakt habe mit Gott, am ehesten durch Träume. Ab und zu habe sie sehr eigene Träume, nicht sehr häufig.
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Ob sie dann das Gefühl habe, dass Gott ihr etwas sagen wolle? Dem stimmt Romi zu. Aber das fände sie auch wieder fies, weil im Traum sei es wieder sehr subtil, es sei nicht greifbar. Ob sie dann doch lieber einen grünen Zwerg haben wolle? Romi stimmt zu und lacht. Vielleicht würden dann plötzlich 1000 grüne Zwerge vor ihrer Türe stehen? Sie lacht und meint, dass sie sich das schon öfter gedacht habe, dass Humor auch ein wichtiger Aspekt sei. Sie glaube, dass Gott ziemlich lustig sein könne. Ob Gott sich etwas vom Menschen wünsche? Romi glaube schon, dass Gott sich einige Sachen anders gedacht habe, grade im Zusammenhang mit der Natur und im Umgang miteinander. Die Menschen würden selbst merken, dass sie nicht so glücklich seien mit dem, wie es jetzt sei. Von dem her glaube sie, dass Gott auch nicht wirklich glücklich damit sei. Woher der Mensch wissen könne, was Gott sich wünsche? »Also, in meiner Theorie geh’ i schon davon aus, des Menschen das irgendwie in sich haben. … Wenn sie’s net schon gelernt haben, zu sehr zu verdrängen, dass sie merken, was sie eigentlich wollen, und des is dann auch, was sie als richtig empfinden.« Eine Art Intuition oder so was wie ein Gewissen? Ein Gewissen sei es nicht, es sei eher eine Art von Intuition. Es sei einfach das Innere, das man mit der Zeit lerne zu verstecken bzw. das durch Sozialisation und Kultur unterdrückt werde. Ob man nur in sich reinzuhören brauche? Bei Kinder würde das vielleicht gehen, aber im Laufe der Zeit würde man verlernen, diese Intuition, die man eigentlich habe, zu verstehen. Wenn Gott sich etwas wünsche vom Menschen und er anders handle, wie das für Gott sei? Ob Gott Gefühle habe? Sie glaube auf eine andere Art und Weise, weil sie nicht verstehe, wie er das aushalten könne. Es sei ein bisschen viel. Es gehöre wohl zu diesen verpackten Sachen in ihrer Metapher. Sie denke sich, er müsse andere Möglichkeiten haben, damit umzugehen. Er sei in irgendeiner Form berührt, aber anders als wir mit unseren menschlichen Gefühlen? Dem stimmt Romi zu. Ob Gott zu den Menschen spreche? Sie glaube schon, dass Bibellesen und Beten eine Form sei, wie Gott Kontakt aufnehmen könne. Ihr selbst sei die Natur sehr wichtig. Dort fühle sie sich Gott am nächsten. Jeder habe da andere Möglichkeiten und sie selbst müsse da vom Christentum weggehen. Es gebe mehrere Gottesoffenbarungen. Sie könne nicht sagen, dass das Christentum das Einzige sei, was zu Gott führt. Sie denke, dass es viele Wege gebe, wie Gott sich den Menschen zeige. Ob Gott in dieser Welt eingreife und wie, z. B. wenn ein älterer Mensch von Jugendlichen bedroht werde? Sie selbst habe das noch nicht erlebt, dass Gott direkt, z. B. durch einen Blitz, eingreife. Daher wäre sie skeptisch, wenn ihr das jemand so erzählen würde. Wenn Gott eingreife, dann würde er es wohl eher durch Menschen tun, dass jemand die Richtung wechsle oder jemand dazwischen gehe. Sie sei sich nicht sicher, ob sie wirklich glaube, dass Gott eingreife. Sie würde es sich wünschen. Es sei weniger die Frage für sie, ob Gott das könne, das glaube sie schon, sondern ob er es wolle. Da sei sie sich
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unsicher. Und welchen Grund es dann für sein Eingreifen gebe, warum er wollen sollte. Es gebe sehr viel Schlimmes in dieser Welt. Ob Gott daran schuld sei? Das sei einfach die freie Willensfrage. Gott habe die Menschen so gemacht, dass sie sich nicht bevormunden lassen und gewisse Sachen ausprobieren, wenn sie sie nicht machen dürften. Es gehöre auch dazu, dass der Mensch seine Freiheit zum Bösen nutzen würde, aber sonst würde es nicht funktionieren. Wie das mit Naturkatastrophen sei? Das sei einfach diese Welt. Romi habe keine Ahnung, warum das so sei, aber sie sei halt so und »da passieren die Sachen«. Viele Sachen seien auch vom Menschen selbst verschuldet, auch Naturkatastrophen, die in letzter Zeit besonders durch das Eingreifen des Menschen vermehrt auftreten würden. Trotzdem würde sie gerne mal fragen, warum Gott die Welt so gemacht habe, dass Naturkatastrophen dazu gehören würden. Vielleicht bewirke das Veränderung bei den Menschen. »Das ist die Frage, ich mein’, das ist bei all diesen Fragen: Wenn man’s als Ganzes von außen betrachtet, kann man eh einen Sinn oder Zweck dahinter erkennen. Aber wenn dann grad eine Mutter ihr Kind verloren hat, wird ihr des wurscht sein. Des ist so des, des einzelne Leid, des ist so das, global betrachtet kann man schon irgendein’ Nutzen und Sinn d’rin sehen.« Dann würde sie aber auch danach fragen, was Leid überhaupt sei. Z. B. hätten jetzt sehr viele Menschen Depressionen, denen es an und für sich gut gehe und andere seien sehr krank und könnten sehr gut damit umgehen. Wie sie das mit Gott in Beziehung setzen würde? Romi ist sich unsicher, ob sie das überhaupt mit Gott in Beziehung setzen könne. Vielleicht sei das bei einigen Menschen eine Einstellungssache oder bei anderen ihre Gottesbeziehung. Sie selbst habe vorher davon gesprochen, dass sie Grundvertrauen habe. Ob ihr das persönlich in so einer Situation helfen würde? Dem stimmt Romi zu. Dass Gott da sei, ob das eine Hilfe sei, anders mit dem Leid umzugehen, egal wer jetzt schuld sei am Leiden? Den Verzweiflungsaspekt raus zu lassen, wie sie vorher gesagt habe? Romi stimmt zu: »Ja, genau!« Ob es für sie bestimmte Orte, Zeiten oder Situationen gebe, in denen ihr Gott öfter mal einfalle? »Am ehesten würd’ ich sagen, wenn’s mir schlecht geht. Also das ist immer wieder das, wo i dann vielleicht wieder dann a bissi abbremse und mir Gedanken drüber mach’. Es is was, was i überhaupt net mog, weil i find’, das wär’ anders irgendwie besser. Aber, pff, ja, das scheint bei mir so zu funktionieren. (Romi lacht) Es ist einfach nur vielleicht a bisserl so an Umdenken, dass man ein bisschen einen anderen Aspekt so irgendwie kriegt. Dass man nicht in dem normalen Trott, wo ma halt so drinnen is’, wo man dann schnell mal drauf vergisst. Und dann einfach das wieder ein Bruch is’ und dann kommt man auch wieder auf andere Gedanken und Ideen.« Ob sie ein Gefühl der Nähe Gottes kenne? »Einmal. (Es) is’ schon lang her. Es war ziemlich spannend eigentlich, also das war vom Gefühl her … am ehesten
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würd’ ich es jetzt mit Liebe beschreiben oder so ein Gefühl, aber echt so steigernd und so stark, dass ich wirklich irgendwann ›Aus‹ geschrieen hab, weil’s zu viel war und es war a sehr eigene Erfahrung. (Weil) ich wirklich gemerkt hab’, es war ein Bruchteil, wirklich ein Miniminiminiteil davon und dass dahinter noch ganz viel mehr is’. Das war wirklich, und es war aber so, ich hab’ wirklich das Gefühl gehabt, i platz’ glei. Noch wirklich ein Miliding mehr und i halts gar net mehr aus. Also das war dann nicht subtil.« Hier lacht Romi. Ob es einen äußeren Anlass dazu gegeben habe? »Nein, eigentlich nicht. Das Spannende dabei war vor allem, dass das mir jetzt schon soviel zu viel war und dass i wirklich gemerkt hab’, wie viel noch dahinter is’, wie viel mehr das es eigentlich is’.« Sie habe damals ›Aus‹ geschrieen, ob sie es jetzt doch wieder spüren wolle? »Ja, i glaub’, das mach i eh immer wieder. Es is wirklich immer so ein Nähe-, Distanz- irgendwie Ding. Aber das is halt so, es wird halt ziemlich schnell zu viel immer und dann ist es wieder ein ziemlicher Schritt nach hinten. Eine Überschrift für die Gestaltung? »Gott ist.« Positionierung mit einem Gottessymbol
Für ihre erste Positionierung sucht Romi sich »des Männchen ohne Podest« als Symbol für Gott aus. Was das bedeute? »Einfach das Nackte, weil da ist mir schon wieder zu viel oben.« Zuerst stellt sie die Schuldbeladene ganz an den Rand der Positionierung. Das sei am leichtesten, die zu stellen: »ganz weit weg«. Danach stellt sie die Traurige, die Ängstliche und die Wütende etwas näher zum Symbol, die Nachdenkliche etwas weiter entfernt. Ob sie etwas dazu sagen wolle? »Krank fehlt mir, weil ich so dann näher bei Gott bin.« Aus rosa und weißem Plastilin wird schnell eine »Kranke« gebaut. Romi stellt die Fröhliche und die Kranke ganz nah zu Gott. »Fröhlich und krank – also die Extreme sind’s bei mir.« Über die Fröhlichen sagt sie noch: »Der lehnt sich an.« Und: Wenn sie krank sei, dann sei sie sauer auf Gott. Sie brauche Gott dann besonders.
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Positionierung mit mehreren Gottessymbolen
Mit der Aufgabe der weiteren Positionierung mit mehreren Gottessymbolen geht Romi kreativ um. Zunächst stellt sie die Matrioschka weg. »Mit der kann ich gar net.« Dann stellt sie die Schuldige auf das Podest, von dem sie das Gottessymbol vorher, in ihrer ersten Positionierung, entfernt hatte: »Ich find’ so, zu dem Schuldding passt einfach der Gott auf dem Podest und der Richter und Zack-zack!« Ob das so dieser verurteilende Gott sei, der dann da sei? »Ja, ja genau.« Sie stellt das Licht zur Fröhlichen und zur Traurigen, das passe für beide. Die Nachdenkliche stellt sie ganz nah zur Quelle des Lebens. Und der Kranken ordnet sie die Kraft zu. Das Symbol für Gott stellt sie neben das Podest: »Der kann daneben stehen, wenn man selbst auf dem Podest ist.« Die Verbundenheit sei irgendwo dazwischen. Sie legt das Netz mit Figur zwischen die Quelle des Lebens, das Licht und die Kraft. Mit dem Wütenden könne sie sehr wenig anfangen. Sie könne ihn ja dann auch wegtun. »Nein, wenn dann bin ich auf Gott wütend, dann ist er nicht weit weg. Das ist dann dieses Unverständnis, wenn er schon wieder Dinge macht, von denen ich find’, dass die anders gehören, wenn er nicht auf mich hört.« Romi lacht: »Vielleicht gehört es ja da irgendwo an den Rand.« Sie stellt die Wütende an die Spitze des Netzes. Zum Schluss stellt sie die Ängstliche allein zwischen das Gottessymbol ohne Podest (mit der Schuldigen auf dem Podest) und die übrigen Figuren und Symbole. Zuletzt stellt sie die innere Stimme, »die innere Stimme bleibt mir über – die gehört irgendwie dazu«, auf das Netz der Liebe und Verbundenheit und gibt die Engelfigur vom Netz in die Klangschale. Gebetsfragebogen Wichtig ist für Romi am Gebet, mit Gott über alles zu sprechen und ihm auch zu danken. Danach ist ihr wichtig, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen. Wenig wichtig ist ihr, still zu sein und Gott die eigenen Bitten und Wünsche zu sagen. Das Falten der Hände ist für sie unwichtig. Sie ergänzt etwas, was ihr beim Beten am wichtigsten ist: Gott kennen/verstehen zu lernen. Sie hält ein indirektes
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Eingreifen Gottes durch Ärzte und Medikamente für möglich. In ihrer Erwartung beim Bittgebet für eine Kranke zeigt sie vor allem Aufgeschlossenheit für spirituelle Hilfe. Romi betet häufig, wenn sie sich freut und wenn sie vom Leid anderer Menschen hört, manchmal am Morgen und am Abend, selten im Gottesdienst und anderen Gemeindeveranstaltungen, und wenn sie Angst hat oder sich einsam fühlt, nie vor dem Essen, wenn sie sich etwas wünscht und weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. Löcher der Verzweiflung
Romi legt drei Löcher der Verzweiflung in ihrer zeitlichen Abfolge. »Das erste, das war eigentlich, das so mit drei-vierundzwanzig herum, das war so, ich glaub’, das war die erste oder zweite Knieoperation bei mir. Das war wirklich extrem heftig. Das war dieses erste Mal hilflos sein. Ja, das war aber irgendwie, das war, glaub’ ich, mein Startschuss mit Gott.« Nach der OP habe sie sich nicht bewegen dürfen und nur im Bett liegen, im Einzelzimmer. Sie sei »extrem emotionslos« gewesen. Da sei nichts mehr gewesen, nicht einmal ein Aus, nur ein Nichts. Sie atmet tief durch: »Das war mir schon wurscht, ob I tot bin oder net.« Wie sie Gott da wahrgenommen habe? »Also in der Situation eigentlich gar net. Es war dann eigentlich nur im Nachhinein. Wo ich mir eigentlich denk’, das war vielleicht das erste Mal, wo ich danach gefragt hab’. … Das war, weil’s eben dieses Nichts war, nicht unbedingt das erste Mal, aber vielleicht das erste Mal mit Verzweiflung, oder mit Nachdruck. … Vielleicht war’s a bisserl so an Hilfeschrei oder am ehesten wahrscheinlich. … Na, das war wirklich unlustig.« Zum zweiten Loch sagt sie: »Das ist meine Depression, die ist auch noch größer, weil’s übern längeren Zeitraum war. Insgesamt waren das so vier, fünf Jahre, auch wenn die Kernzeit kürzer war. Ich weiß gar nicht, ob ich mich viel erinnern will oder kann, wie’s mir wirklich schlecht gegangen ist, da war Gott nicht da, rein gefühlsmäßig eigentlich. Da war niemand da. Das ging auch nicht. Also selbst vielleicht war er da, aber ich hätte ihn nicht bemerkt.« Angefangen habe das Ganze gleich nach ihrer Taufe (im Alter von 29 Jahren). Sie sehe da
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keinen inhaltlichen Zusammenhang, nur einen zeitlichen. Vorher sei ihr Gott schon ziemlich nahe gewesen, das habe sich durch die Depression natürlich verändert. Wie das sei, wenn sie jetzt auf diese Zeit schaue? Wo Gott da gewesen sei, für sie? »Einfach genauso vorhanden wie immer. Also ich glaube nicht, dass Gott mal mehr, mal weniger vorhanden ist. Man spürt ihn halt weniger.« Die Depression habe an ihrem Grundvertrauen, von dem sie im Zusammenhang mit ihrer Metapher gesprochen habe, nichts verändert? »Ich würde sogar so weit gehen, dass das geholfen hat dafür. Einfach irgendwie auch durch das Wissen, dass Gott trotzdem da ist. Es ist eben dieses: Egal wie’s mir geht, dass er da ist.« Ob dieses Wissen in der Depression auch schon da gewesen sei? Nicht wirklich, aber es sei auch nicht so dieses »Nichts« gewesen, wie im ersten Loch. Es sei vom Gefühl her ein »Weit-weg« gewesen und ein »Unnahbar und ein Nicht-Hinkommen, aber so eine Mischung zwischen Hinwollen und schon aus Protest dann nicht mehr Hinwollen, weil es eh nicht funktioniere«. Das kleine Loch sei jetzt grade ihre aktuelle Krise. In den vergangenen Monaten sei es ihr nicht so gut gegangen. »wo’s mir jetzt aber, wo ich massive Probleme mit dem Knie wieder hab’, geht’s mir wieder viel besser«. Romi lacht. »Das ist ganz leicht zu erklären, weil ich ganz einfach reale Probleme hab’.« Wie Gott dann für sie sei? Sie sei zuerst sauer gewesen, weil sie gerade dabei war, für sich neue berufliche Perspektiven zu entwickeln. Da sei ihr »quasi dazwischen gepfuscht« worden. Da sei sie kurz sauer gewesen, aber inzwischen nur kurz, weil sie auch denke, dass sie etwas davon habe. Ob wütend sein auf Gott auch ein Gefühl von Nähe Gottes sei, laut der vorherigen Übung? Romi stimmt dem zu. Ob das Ganze so etwas wie ein Reifungsprozess sein könne? Romi meint abschließend, dass es sowieso immer ein Erfahrungen sammeln sei. Romi ist in einer katholischen Familie aufgewachsen, aber ohne konkreten Gottesbezug. Durch eine Freundin bekommt sie als junge Erwachsene Kontakt zu baptistischen Studierenden und lässt sich nach einigen Jahren taufen. Zur Zeit des Interviews ist sie aktives Mitglied einer Baptistengemeinde in Wien. Mit ihrem Leben ist sie einigermaßen zufrieden. Der Glaube an Gott ist für sie sehr wichtig und sie erlebt ihn unterstützend. Den Gottesdienst besucht sie häufig, andere Veranstaltungen (einen Hauskreis) so oft sie kann. Ihre Gemeinde ist für sie wichtig, und sie hat sehr häufig auch außerhalb der Veranstaltungen Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern. Die Bibel ist für sie einigermaßen wichtig. Die praktische Nächstenliebe ist für sie sehr wichtig, und sie engagiert sich aufgrund ihres Glaubens selten politisch, manchmal sozial und öfter nachbarschaftlich für ihre Mitmenschen. Romi hat sich sehr gerne zum Interview bereit erklärt. Sie ist in den vergangenen Jahren schon mehrfach interviewt worden352. Romi macht sich mit Freude ans Werk und bastelt hingebungsvoll an ihrer dreidimensionalen Collage. Die Gestalt ist vielseitig und vielschichtig. Nicht alles ist dem Blick offen zugänglich und man muss um die Figur her352 Insgesamt ist Romi dreimal interviewt worden.
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umgehen, um sie von allen Seiten betrachten zu können. Die Collage besteht aus vielen, sehr verschiedenen Materialien, die in einer gewissen Spannung zueinander stehen. Die Vorderseite besteht aus metallisch-elektronischen Materialien, die plastische Rückseite aus natürlich gewachsenen. Die Figur erinnert durch die Holzrinde an ein aufgeschichtetes Lagerfeuer. Im inneren Kern, den man nur erahnen kann, sind verschiedene Plastik- und Naturgegenstände verpackt. Sie scheinen zum Teil durch die weiße Verpackung hindurch. Über dem weißen Kern ist eine Schicht bunter Papier-, Netz- und Stoffteile. Umgeben ist das Ganze dann von der Baumrinde und der Platine. Dies wirkt auf die Betrachtenden ambivalent, einerseits wie ein Schutz, andererseits erdrückend. Das versteckte Innere macht neugierig und lädt zum Erforschen ein. Man spürt Romi im Gespräch den Versuch an, etwas Unaussagbares auszudrücken. In der Metapher gelingt es ihr, sprachlich gibt es da für sie Grenzen. Sie stellt etwas dar, was eben nicht rational zu begreifen ist, und daher ist es ihr nicht möglich, es verbal zu beschreiben. Sie drückt hier den qualitativen Unterschied zwischen Göttlichem und Menschlichem aus. Sie kann nur sagen, dass »Es« existiert und dass »Es« gut ist. Es ist nicht nur anders, sondern besser. »Gott« hat für sie eine Vorderseite, eine ihr zugewandte Seite, die in sich einfach und verständlich ist, für sie selbst aber trotzdem nicht (rational) »erschließbar«, weil sich dahinter viel mehr verbirgt, als das menschliche Denken oder Glauben (er)fassen kann. Romi grenzt sich im Gespräch deutlich ab von der christlichen Tradition, die ihr zu unklar ist. Ihre Gottesvorstellung ist eher nontheistisch, auch verwendet sie das Wort Gott kaum, sie spricht eher vom neutralen »Es« oder »Da-sein«. Auf der Emotionsebene bedeutet das für sie Grundvertrauen. Romi nimmt hier eine Art subjektiver Komplexitätsreduktion vor. Gott scheint ihr zu komplex, als dass sie ihn fassen könnte. Sie begnügt sich damit, dass »Es« ist und dass »Es« gut ist. Sie hat sich über lange Zeit mit der Suche nach »Wahrheit« beschäftigt und dabei auch mit der christlichen Tradition auseinandergesetzt, an die sie aber nicht wirklich anknüpfen kann oder will. Romi geht davon aus, dass »Gott« durch sein Da-sein mit der Welt und den Menschen verbunden ist und auch eingreift, aber eher beobachtet, als dass er kontrolliert. Gottes Eingreifen ist unverfügbar. Sie grenzt sich auch von den Menschen ab, die in allem Gottes Handeln sehen (vielleicht sogar andere Gemeindemitglieder). Romis Antworten im Gebetsfragenbogen unterstreichen diese Haltung Gott gegenüber. Sie äußert kaum Bitten und Wünsche und nimmt keine konkrete, materielle Erwartungshaltung ein. Sie rechnet mit der Möglichkeit des indirekten Eingreifen Gottes und eher spiritueller Unterstützung für die Betroffenen in einer Notsituation. Gebet bedeutet für Romi vor allem Gott kennen und verstehen zu lernen353 und danach erst, mit Gott über alles zu sprechen und ihm zu danken. Sie führt hier eine originäre Bedeutung des Gebets ein: Gott verstehen und kennen zu lernen. Darunter könnte man eine eher partnerschaftlich orientierte Dialogbeziehung verstehen, so wie die Kommunikation in einer Beziehung auch zum gegenseitigen Kennenlernen und Verständnis dient. Kennen lernen und verstehen wollen: Das ist kongruent zu ihrer Metapher, die aussagt, dass es da noch Vieles zu entdecken gibt. Hier wird Romi zur Beobachterin und Entdeckerin, die um das Göttliche herumgehen kann und schauen kann, was da noch alles ist, und so mit dem Göttlichen in Kontakt kommt und »Es« kennen lernt. Das Göttliche hält sich aber bedeckt, gibt nur Hinweise auf ein Mehr 353 Romi ergänzt in ihrem Fragebogen, dass ihr das Wichtigste sei: Gott kennen/verstehen zu lernen.
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preis (bunte Stoffteile). Die Bibel scheint für Romi bei diesem Entdeckungsprozess weniger eine Rolle zu spielen. Sie bekommt nur einen mittleren Wert im Fragebogen, und Romi bezieht sich im Gespräch weder direkt noch indirekt auf biblisches Gedankengut. Ihre eigene Verbindung mit Gott bezeichnet Romi als subtil und betont damit noch einmal die Unverfügbarkeit. In Träumen könne Gott zwar zu ihr sprechen, aber greifbar, also beweisbar (kleiner grüner Zwerg), ist das nicht. Menschliche Züge finden sich in Romis Gottesverständnis nur an einer Stelle: Romi nimmt an, dass Gott Humor hat. Sie selbst zeigt auf jeden Fall im Gespräch eine Menge Humor und lacht gerne. Obwohl Romi sehr sparsam mit jüdisch-christlicher Tradition ist, sagt sie doch, dass Gott die Welt und die Menschen geschaffen hat. Die Menschen sind so geschaffen, dass sie die Freiheit haben müssen auszuprobieren. Der Mensch hat laut Romi eine Intuition, mit der er wissen kann, was Gott von ihm in Bezug auf Umgang mit Natur und Mitmenschen möchte, allerdings verlernt er mit zunehmendem Alter durch Umwelt und Kultur, diese Intuition zu nutzen. Manches Leid in der Welt, auch Katastrophen der jüngeren Zeit führt Romi auf menschliches Handeln zurück, aber von Schuld oder Sünde redet sie nicht. Interessant ist dann, wie das Thema Schuld von Romi in den Positionierungen bearbeitet wird. In ihrer ersten Positionierung stellt sie die Schuldbeladene auffällig weit weg vom Gottessymbol und in der zweiten Positionierung kommt diese an Stelle des Gottessymbols auf das Podest und das Gottessymbol kann dann wieder daneben stehen, so ist wieder Nähe möglich. Weist das auf ein ambivalentes Verhältnis zu dem Thema Schuld hin? Entweder ist der Schuldigen keine Nähe zu Gott möglich (erste Positionierung) oder sie macht sich selbst zum Richter-Gott (zweite Positionierung). Gott selbst ist hier jetzt nicht mehr der Richter über den schuldigen Menschen. Ist dann eine neue Nähe zwischen Gott und Mensch möglich, wenn der Mensch selbst Verantwortung für sein Handeln übernimmt und sich selbst zum Richter (seiner selbst) macht? Vom christlichen Standpunkt aus fehlt hier der Begriff der Gnade, die Annahme des Menschen trotz seiner Schuld (Rechtfertigung). Bei Romi findet sich diese Annahme dann aber doch in ihrem Gefühl des Grundvertrauens. Mit der Aufgabe der Positionierung geht Romi sehr souverän um. Sie holt zunächst einmal die Figur für Gott-Vater von ihrem Podest und verwendet die »nackte« Figur als Gottessymbol. Später fordert sie noch einen weiteren »Gemütszustand« ein: die Kranke. Hier wird noch einmal deutlich, Krankheit ist ein wichtiges Thema in Romis Leben und ein Zustand, in dem sie sich Gott näher fühlt als im normalen Alltag. Gott ist dann für sie ein (partnerschaftliches) Gegenüber, auf das sie emotional reagieren und »sauer« sein kann. Später ergänzt sie, dass sie selten wütend ist, aber wenn, dann auf Gott, weil »er Dinge macht«, die sie sich anders wünscht. Hier scheint Romi einen »theistischen« Ausrutscher zu haben. Während sie mit ihrer Metapher konsequent beim »Es« bleibt, wird Gott in der Wut zum »Du« oder »Er«. Gott erscheint hier als handelndes Subjekt, der in seinem Nicht-Tun dann doch nicht mehr so subtil erscheint, wie Romi es oben beschreibt, sondern für sein falsches Handeln »haftbar« gemacht werden kann. Auf alle Fälle ist Wut ein wesentlicher Bestandteil von Romis »dialogischer« Gottesbeziehung, die vor allem auch in Zeiten der Krankheit (dann bin ich auf Gott sauer) eine wichtige Rolle einnimmt. Unterstrichen wird das später von der Bemerkung, dass Romi eher an Gott denkt, wenn es ihr schlecht geht. Im Zusammenhang mit den Löchern der Verzweiflung merkt Romi später an, dass sie in der Zeit einer schweren Krankheit, durch die Erfahrung von »Nichts« (unter anderem in Form von Hilflosigkeit, Einsamkeit und Emotionslosigkeit) begonnen
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hat, nach Gott zu fragen bzw. einen Hilfeschrei auszudrücken. Während in der ersten Positionierung dann auch nur die Fröhliche und die Kranke nah beim Gottessymbol stehen, findet Romi in der zweiten Positionierung für jede Emotion ein Gottessymbol, abgesehen von der Ängstlichen, die allein zwischen dem Schuldensemble und dem Netz der Liebe und Verbundenheit steht. Der kleine Engel ist von Romi aus dem Netz entfernt und in die Schale der inneren Stimme gestellt worden. Romi nimmt die Gottessymbole nicht so, wie sie angeboten werden, sondern interpretiert sie individuell neu. Ein besonderes Gefühl der Nähe Gottes, das Romi erlebt hat, beschreibt sie als Liebe, die ihr dann aber auch zu viel geworden ist. Drückt sie hier eine Angst vor zu viel Nähe und Geliebt-werden aus? Romis Metapher und ihre Interpretation erinnern optisch (Feuerstelle) und inhaltlich an die Begegnung des Mose mit dem »Unaussagbaren« im Dornbusch. Einerseits macht das lodernde Feuer neugierig auf das, was sich darin oder dahinter verbirgt. Es lädt ein zum Kennen lernen. Aber es ist aufgrund seiner »Feuerqualität« auch eine deutliche Warnung, zu nah zu kommen. Gott, das Göttliche, scheint auch bei Romi als faszinosum et tremendum durch. Sie weiß um die verborgene Seite Gottes, schaut sie sich aber lieber aus einer gewissen (sicheren) Distanz an und meint, dass das Verborgene auch besser verborgen bleiben soll. Auch emotional versucht sie, auf Distanz zu bleiben und nur so viel Liebe zu zulassen, wie sie aushalten kann. Romi hat schon einige tiefe Krisen (Krankheit, Operationen, Depressionen) und auch Verzweiflung erlebt. Das Gefühl, dass »Es« ist und das damit verbundene Grundvertrauen haben inzwischen dazu geführt, dass sie Krisen annehmen kann und der »Verzweiflungsaspekt« für sie weg fällt. Ihre Gottesbeziehung steht ihr in Krisen inzwischen als Ressource zur Verfügung.
In einem ersten Durchgang durch die Interviews wurde die individuelle Gottesvorstellung der untersuchten Personen im Hinblick auf ihre emotionalen (Gottesbeziehung) und kognitiven (Gottesverständnis) Anteile und auf die Alltags- und Lebensgestaltung hin nachgezeichnet354. Um der Leitfrage nachzugehen, ob die eigene Kultur Einfluss auf die Gottesvorstellung hat, wenden wir uns nun den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Sprachsamples zu.
354 Kapitel 3, 95ff.
4.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Im Folgenden werden Beobachtungen im Hinblick auf die jeweiligen Sprachsamples zusammengestellt unter folgenden Fragestellungen: Was lässt sich innerhalb der einzelnen Sprachsamples beobachten, wahrnehmen und beschreiben? Was ist den Befragten mit gleichem kulturellen Hintergrund im Hinblick auf ihre individuelle Gottesvorstellung gemeinsam? Zum besseren Vergleich sind alle Interviews in einer Tabelle355 zusammengefasst worden. Pro Sprachsample gibt es eine Tabelle, um die Besonderheiten innerhalb einer Sprachgruppe zu erfassen und sie anschließend mit denen der anderen Sprachsamples vergleichen zu können. Die Kategorien der Tabelle ergaben sich zunächst allein aus dem Gesagten, dem durch die Positionierungen Gezeigten und den ausgefüllten Fragebögen. Mit jedem Interview kamen durch neu auftauchende Aspekte weitere Kategorien hinzu. Die schon bearbeiteten Interviews wurden noch einmal dahingehend untersucht, ob in ihnen etwas zu den hinzu- gekommenen Kategorien zu finden war. Dadurch wird sichtbar, welche Kategorien häufig, weniger häufig oder gar nicht vorkommen. Das nicht Genannte wurde in weiteren Kategorien ergänzt356. Die Tabelle umfasst Kategorien zur Gottesbeziehung357, zum Gottesver355 Die Tabelle umfasst pro Sprachsample 11 Din-A4-Seiten quer, insgesamt 44 Seiten – es sind im Folgenden nur wesentliche Kategorien in Einzeltabellen dargestellt, d. h. Kategorien, an denen sich Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede zwischen den Samples finden lassen. 356 Die leitende Frage ist hier: Was kommt in den Antworten eines Samples nicht vor oder auch generell nicht vor? Z. B. Gott, der ganz andere oder der verborgene Gott. 357 Kategorien zur in der Materialcollage dargestellten Gottesmetapher : Was spiegelt sich in der Metapher von der Alltags- und /oder Lebenssituation der befragten Person wider? Was darüber hinaus? Der Titel der Metapher : Nennt sich die Person selber schon direkt oder indirekt im Titel? Wie positioniert sich die Person zur Metapher? Zusammenfassung (Paraphrasierung) was für die Person im Moment das Wichtigste an Gott ist. Wie würde eine Aussage mit »ich bin« lauten – wenn nicht selber gesagt, dann paraphrasiert – wie ein Satz mit »Gott ist … ich bin«? Wie fühlt sich die Person (paraphrasiert)? Welche Gefühle werden im Interview, in der Beschreibung der Metapher und darüber hinaus, bezüglich der Gottesbeziehung geäußert? Was stellt sich durch die Metapher und das Interview als zentrales Thema heraus? Was sagt die Person darüber wie ihre Gottesbeziehung früher für sie
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
ständnis358, zur Alltags- und Lebensgestaltung359 und zum Gebet360. Die Liste der Kategorien ist nicht vollständig. Es lassen sich sicher mehr Kategorien finden, vor allem, wenn noch weitere Interviews zu den einzelnen Sprachgruppen dazukommen. Es handelt sich hier um einen ersten perspektivischen Zugang, um einen Vergleich zwischen den einzelnen Sprachsamples aufgrund der Aussagen der Interviewpartner und -partnerinnen und den darin angesprochenen Themen zu ziehen. Unter 4.1. finden sich die allgemeinen Beobachtungen, in denen der Blick auf die angewandten Methoden und die geführten Gespräche gerichtet ist. Darauf folgen die Beobachtungen zur Gottesbeziehung (4.2.). Hier ist vor allem die in der Materialcollage gestaltete Gottesmetapher von Interesse. Wie haben sich die verschiedenen Personen zu ihrer eigenen Metapher positioniert? Welche Überschrift finden sie dafür? Kommen sie selber in der Gestaltung und Überschrift vor? Wie beschreiben sie Gott und sich selbst symbolisch und die Beziehung zwischen beiden? Welche Gefühle äußern die Befragten Gott gegenüber? Was beschreiben sie war und wie sie jetzt zur Zeit des Interviews für sie ist? Welche Erlebnisse von Gottes Nähe oder auch der Abwesenheit Gottes werden genannt? 358 Die Kategorien sind einerseits durch die Fragen im Interview bedingt, aber die Gesprächspartner und -partnerinnen haben darüber hinaus verschiedene Themen angesprochen und eingebracht, die andere nicht erwähnt haben. Diese Themen sollen so erfasst werden. Kategorien gibt es zur Sprache: Wie wird von Gott gesprochen – konkret oder abstrakt? Welche biblischen Bezüge kommen vor? Was wird zu den folgenden Bereichen gesagt: Gott – Jesus – Heiliger Geist – Souveränität Gottes und Autonomie des Menschen? Wird Gott ein direktes oder indirektes Handeln zugeschrieben? Wird eine Situation im Nachhinein als Wirken Gottes gedeutet? – Welche Gefühle werden Gott zugeschrieben? – Spricht Gott zu Menschen? – Wenn Ja, wie? – Was will Gott? – Wie ist dem Menschen Erkenntnis vom Willen Gottes möglich? Weitere Themen sind: Plan Gottes – Führung – Kontrolle – Lebensumstände, als von Gott gegeben annehmen – Kontingenzbewältigung – Wert des Menschen – Gebrochenheit – Sünde – Folgen von bösem Handeln – Dualismus – Das Böse – Endgericht – Theodizee – Naturkatastrophen – als Christ anders sein – Gott ist anders – der verborgene Gott. Die gesamte Liste bezüglich des Gottesverständnisses darzustellen und auszuwerten, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es wird hier nur exemplarisch, z. B. zur Theodizeefrage (vgl. Schwerpunktthema Theodizee 4.4), Stellung genommen. 359 Kategorien zur Alltags- und Lebensgestaltung: Gibt es bestimmte Zeiten oder bestimmte Orte, die für die Gottesbeziehung relevant sind? Warum und zu welchen Zeiten oder Gelegenheiten wird gebetet? Wird der Glaube als unterstützend erlebt? Häufigkeit von Gottesdienst-, Veranstaltungsbesuch und Kontakt zu anderen Gemeindemitgliedern? Intensität der Mitarbeit in einer Gemeinde? Wie wichtig ist die Bibel? Wie wichtig ist Nächstenliebe für den eigenen Glauben und in welchem Rahmen wird sie praktiziert (politisch – sozial – nachbarschaftlich – sonstiges)? 360 Was ist der befragten Person beim Gebet wichtig (die äußere Form – Dialog und Dank – Bitten – Sicherheitsgefühl)? Wird mit einem direkten oder indirekten Eingreifen Gottes gerechnet? Welche Art ist die Hilfeerwartung beim Bittgebet? Häufigkeit und Anlässe des Gebets? Welche Fragen gibt es zum Gebet?
Allgemeine Beobachtungen
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als ein Erlebnis der Nähe Gottes, als Schlüssel- oder auch Krisenerlebnis? Was sagen sie über die Veränderung der eigenen Gottesbeziehung? Daran schließen Beobachtungen zu Gottesvorstellung und Alltagsbezug (4.3) an und abschließend exemplarisch für den Bereich Gottesverständnis das Schwerpunktthema Theodizee (4.4). Anschließend an die jeweiligen Beobachtungen werden die Kultursamples miteinander in Beziehung gesetzt. Sind zwischen den einzelnen Sprachgruppen bezüglich der Gottesvorstellung Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten erkennbar?
4.1
Allgemeine Beobachtungen
Was fällt bei einer Zusammenschau aller kulturellen Samples »auf den ersten Blick« auf ?
4.1.1 Methoden und Interview 4.1.1.1 Wie gehen die einzelnen Interviewpartner und -partnerinnen mit den angebotenen Methoden um? Wie bereits mehrfach erwähnt, ist das Rostocker Methodenrepertoire361 von den Interviewpartnerinnen und -partnern sehr gut angenommen worden. Die Aufgabenstellungen waren leicht zu bewältigen. Die verschiedenen Methoden waren in den einzelnen kulturellen Gruppen, trotz Sprachschwierigkeiten, leicht anzuwenden. Es gab kaum Widerstände. Die erwachsenen Personen haben sich gerne der Herausforderung gestellt, eine Materialcollage zu der Frage »Was ist mir an Gott im Moment am Wichtigsten?« zu produzieren. Hier wurde von Seiten der Verfasserin zunächst damit gerechnet, dass der ein oder andere Widerstand gegen ein »Basteln« geäußert wird, was de facto aber nie der Fall war. Die Positionierungen mit den verschiedenen Knetfiguren wurden ohne Widerstände durchgeführt. Die einzelnen Personen gingen ohne Zögern auf die Aufgabenstellung ein und identifizierten sich mit den kleinen Knetfiguren, die ihre eigenen Gemütslagen darstellen sollten. Nur zwei Personen stellten Figuren zur Seite. Joachim (deutschsprachig) stellt bei der zweiten Positionierung den Fröhlichen, den Nachdenklichen und den Traurigen zur Seite. Elena (spanischsprachig) lässt bei beiden Positionierungen die Schuldige und die Ängstliche außen vor. Romi ergänzt noch eine Figur : »die Kranke«. Auch fiel es den Interviewten leicht, ein Symbol für einen Aspekt Gottes 361 Vgl. 2.3 Methoden, 77.
298
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
herauszusuchen, der sie gerade ansprach. Johannetta und Romi, beide aus der deutschsprachigen Gruppe, gehen kreativ mit der Aufgabenstellung um und verändern die Symbole. Johannetta nimmt den Schlägel aus der Klangschale, weil ihr das Symbol sonst zu konkret ist. Die offene Schale ist für sie ein Platzhalter für Gott und nicht der Aspekt der Inneren Stimme. Romi nimmt die Symbolfigur für Gott Vater vom Sockel mit dem Kommentar, dass sie das »Männchen ohne Podest« wählt, »einfach das Nackte, weil da ist mir schon wieder zu viel oben«. Das Angebot, den einen oder anderen Aspekt zur Seite zu stellen362, wurde selten in Anspruch genommen. Im farsisprachigen Sample stellt niemand ein Gottessymbol zur Seite, im rumänischsprachigen nur Melinda das Licht. Im spanischsprachigen Sample wird die Quelle des Lebens von Dorita, Leon und Marco beiseite gelassen. Im deutschsprachigen Sample werden die Gottessymbole Gott-Vater, Energie, Quelle des Lebens und Innere Stimme von Joachim nicht verwendet. Romi stellt das Gottessymbol für die mütterliche Seite Gottes beiseite. Johannetta führt die zweite Positionierung nicht durch, da ihr die Symbole für die verschiedenen Aspekte Gottes zu konkret sind. Das Legen der »Löcher der Verzweiflung« fand allein in der deutschsprachigen Gruppe statt. Hier fällt auf, dass die Frauen der Gruppe die Löcher legen, während die Männer die Übung für sich nicht passend empfinden, wohl aber dann zum Thema explizit Stellung nehmen. Allerdings handelt es sich hier um eine viel zu kleine Zahl von Personen innerhalb der Untersuchung (2 Männer – 4 Frauen), um daraus genderspezifische Schlüsse zu ziehen. Bei den angebotenen Fragebögen fällt auf, dass die farsisprachige Gruppe leichte Schwierigkeiten beim Ausfüllen hatte, was auf die etwas geringere Sprachkenntnis zurückzuführen ist. Die Personen aus diesem Sample befinden sich noch nicht so lange in Österreich wie die der anderen Sprachsamples. Hier muss bei weiteren Forschungen die Methode angepasst werden. Es wäre eine Möglichkeit, die Personen anhand der Fragebögen im Gespräch zu befragen, damit Fragen zu einzelnen Aspekten geklärt werden können. Im Fall dieser Untersuchung wurden die Personen beim Ausfüllen der Fragebögen allein gelassen, konnten allerdings später Rückfragen stellen. 4.1.1.2 Was lässt sich über die geführten Gespräche sagen? Zum einen sind die Gespräche überwiegend geprägt von einer großen Offenheit über die eigene Gottesvorstellung, aber auch über die persönliche Alltags- und Lebenssituation zum Teil mit persönlicher Tiefe, vor allem lebensbedeutende 362 Anders als im Rostocker Verfahren – dort wurde angeboten, die Figuren unter ein Tuch zu stellen.
Allgemeine Beobachtungen
299
Ereignisse und Krisen betreffend, zu sprechen. Einige Gesprächspartner bzw. -partnerinnen zeigten emotionale Berührtheit im Gespräch durch Lachen (Romi, Fahir) oder Weinen (Barbara, Leon, Melinda). Zum anderen fällt auf, dass die Fragen zum Gottesverständnis (kognitiver Schwerpunkt) fast immer »brav« beantwortet wurden. Kaum eine Frage wurde kritisch hinterfragt, offen gelassen oder blieb unbeantwortet. Hier ist zu fragen, welche Motivation zu den Antworten geführt hat. Impliziert die Art zu fragen, dass es auf alle Fragen eine (vielleicht sogar richtige) Antwort geben muss? Führte die »Autorität« der Forschungsperson (baptistische Pastorin) zu einer unreflektierten Beantwortung der Fragen? Für die vorliegende Untersuchung muss es also unbedingt einen Vorbehalt gegenüber den Ergebnissen bezüglich des Gottesverständnisses geben. Die Antworten sind nicht unbedingt verkehrt, aber keinesfalls erschöpfend. Es ist zu fragen, ob es für die Interviewpartnerinnen und -partner möglicherweise zu wenig Raum in Bezug auf das Gottesverständnis gab, eigene oder kritische Gedanken einzubringen. Mit der Frage nach dem abwesenden Gott, die nach und nach in das Forschungsvorhaben eingeführt wurde, eröffnete sich eine Möglichkeit, auch über alternative Gotteserfahrungen zu sprechen. Für weitere Interviews mit Erwachsenen könnten in Zukunft auch Provokationen eingebaut werden. Zum Beispiel: »Welchen Vers würde ich gerne aus meiner Bibel streichen363 ?« Ein Sample, das deutschsprachige, unterscheidet sich deutlich von den gerade erwähnten Feststellungen. Hier finden wir an der ein oder anderen Stelle eine Zurückhaltung bezüglich der Fragen über Gott. Joachim denkt oft kurz über die Fragen nach, bevor er sie beantwortet. Die Frage »wo Gott sei?« reflektiert er darauf hin, dass man Gott nicht verorten könne. Johannetta schweigt bewusst an manchen Stellen und lässt Lücken, weil sie, was Gott betrifft, nicht konkret werden möchte. Wie oben schon geschildert, gehen Johannetta und Romi kreativ mit der Aufgabe der Positionierungen um. Joachim und Joseph führen die Übung »Löcher der Verzweiflung« nicht durch, weil die für sie nicht passt. Sie gehen aber auf die Fragestellung dahinter ein. Man kann die Frage stellen, ob der deutschsprachigen Gruppe eher eine kritische Auseinandersetzung mit den angebotenen Themen möglich ist. In weiteren Untersuchungen kann dieser Aspekt weiter beobachtet werden. Für Schlussfolgerungen ist die Datenbasis sicher nicht ausreichend, aber einige vorsichtige Fragen können gestellt und weiter verfolgt werden. Sind die Angehörigen der fremdsprachigen Gruppen aus Respekt und/oder Höflichkeit der untersuchenden Person gegenüber unkritisch im Beantworten der Fragen oder ist es Teil ihrer Gottesvorstellung? Kommt darin Respekt gegenüber Gott zum Ausdruck? Leyla deutet das vorsichtig an, 363 Anregung von Prof.in Susanne Heine bei einem Gespräch über die Forschungsarbeit während eines Privatissimums zur Praktischen Theologie.
300
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
indem sie auf die Theodizeeproblematik hin befragt die Antwort gibt, dass sie über ihren Gott nichts Schlechtes sagen möchte. Darf bei Fragen über Gott nicht kritisch nachgehakt werden? Hier tut sich ein interessantes Fragenfeld auf, das, wenn man ihm nachgeht, weiter Aufschluss über die Differenz in der Gottesvorstellung von Personen unterschiedlicher Kulturen geben kann.
4.2
Aspekte zur Gottesbeziehung
Durch die Arbeit mit Metaphern, Visualisierungen und personenzentrierter Gesprächsführung wird der Aspekt der Gottesbeziehung (emotionaler Anteil der Gottesvorstellung) gegenüber dem kognitiven Gottesverständnis besonders hervorgehoben. Im Folgenden finden sich Beobachtungen dazu, wie sich die einzelnen Personen zu ihrer Gottesmetapher positioniert haben (4.2.1.1) und ob sie sich selber schon direkt oder indirekt im Titel zur Metapher (mit)genannt haben (4.2.1.2). Wie beschreiben die Interviewten sich selber direkt oder indirekt in Bezug auf Gott? Welche Symbole (4.2.1.3) werden für die Gottesmetapher gewählt und welche Gefühle Gott gegenüber im Gespräch geäußert (4.2.2)? Wird von besonderen Erlebnissen berichtet, die für die Gottesvorstellung bedeutsam sind (4.2.3)? Was sagen die Einzelnen über Veränderungen die Gottesbeziehung betreffend (4.2.4)? Wie werden eigene emotionale Verfassungen zu Gottessymbolen positioniert (4.2.5)?
4.2.1 Metapher 4.2.1.1 Positionierung zur Metapher Bei einer ersten allgemeinen Betrachtung aller Samples fällt vor allem die eigene Positionierung der untersuchten Personen zur jeweiligen Metapher auf. Die Befragten werden gebeten, sich selbst zu ihrer Metapher zu positionieren. Abgesehen von Dian, Romi und Joseph platzieren sich alle Interviewpartnerinnen und -partner direkt innerhalb ihrer Metapher. Dian sieht sich als Beobachter auf einem höheren Platz außen vor, wo er alles gut sehen kann. Romi kann ihre Metapher von allen Seiten betrachten, aber sie kommt »nicht rein« und Joseph hat Schwierigkeiten, einen Platz für sich zu finden. Einige der befragten Personen haben sich sogar schon direkt (als Figur aus Knöpfen – Yara; als Figur aus Perlen – Mara; als kleine Knetfigur mit Strohhaaren – Barbara) oder symbolisch (als Perle im Nest – Leyla; als Vogel im Nest – Fahir ; als Perle auf einer Kette – Denisa; als Schmuckstück – Corvin; als kleine Blume und Scherben im Netz –
Aspekte zur Gottesbeziehung
301
Miguel; als Knopf auf einer Sicherheitsnadel – Joachim) in die Metapher eingebaut. Bei den folgenden Personen ist zu beobachten, dass die befragte Person selber ein Teil der Metapher ist: Farsisprachiges Sample: Leyla findet sich wie eine Perle mit anderen Geschenken Gottes an sich selbst in einem schützenden Nest wieder. Amir sieht sich auf der Platine gehend als Entdecker der guten Gaben Gottes. Mara fühlt sich von Gott umarmt. Fahir sieht sich auf dem Baum wie ein Vogel im Nest. Yara gestaltet sich selbst aus Knöpfen, als ein von Gott geschaffener Mensch und sie platziert sich im Boot, das über den See fährt. Rumänischsprachiges Sample: Melinda positioniert sich selbst in dem rettenden Boot inmitten der hohen Wellen. Thereza sieht sich als der von Gott geliebte Mensch im Zentrum der Schöpfung – immer geliebt, begleitet und beschützt. Eugen fühlt sich mit Gott verbunden und sieht sich in dem Kanal, der die Verbindung zu Gott darstellt. Marius positioniert sich nah beim Schutz, der Baumrinde in der Mitte seiner Materialcollage. Denisa fühlt sich wie eine Perle auf einer Kette in Gott mit anderen verbunden. Corvin sieht sich in dem wertvollen Schmuckstück, das von Gott beschützt wird. Spanischsprachiges Sample: Miguel sieht sich in der Blume, die aus den von Gott aufgefangenen Scherben wächst. Dorita möchte einerseits eintauchen in die Kraft Gottes, die sie mit dem Wildwasser dargestellt hat – andererseits sieht sie sich als Kletterin mitten in der Metapher (wobei sie die Metapher hier auf ihre schwierige Alltagssituation und die Hilfe Gottes darin bezieht). Lydia hat sich selbst und ihren Lebensweg, auf dem Gott sie begleitet, dargestellt. Marco stellt ebenfalls sein eigenes Leben dar und den unsicheren Weg, auf dem er durch Gottes Gnade sicher geht. Leon identifiziert sich vor allem mit dem Stein in seiner Metapher, fühlt sich aber in alle drei Aspekte (Stein – Scherbe – Faden) involviert: Er ist wie der Stein von Gott vor der Witterung geschützt, wie das Verbundglas von Gott zusammengehalten und wie mit einer Schnur durch Jesus mit Gott verbunden. Elena sieht sich mitten in dem lustigen Gesicht, das sie als Gottesmetapher gestaltet hat. Schöpfungsbezogen sagt sie: Gott versorgt mich mit allem, was ich brauche. Deutschsprachiges Sample: Joachim stellt sich selbst als Knopf dar, der von der Sicherheitsnadel (Gott) gehalten wird. Valerie sieht sich inmitten der Geschenke am Rande des Weges. Johannetta stellt ihre eigene Lebenssituation als einen Weg zu Gott dar und Barbara legt sich selbst als kleine Knetfigur auf die Scherbe, die das brüchige Leben darstellt.
302
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
4.2.1.2 Überschriften und Beschreibungen der Metaphern Auch in den Überschriften364 nennen sich die einzelnen Personen zum Teil direkt (Yara: Gott erschafft die Welt und mich. Miguel: Ich bin Gottes Priorität. Joachim: Der mich nicht fallen lässt. Johannetta: Mein Weg hinauf.) oder indirekt (Mara: Gott liebt uns. Eugen: Die Verbindung mit Gott. Denisa: In Gott verbunden. Lydia: Vertrauen zu dem Herrn. Valerie: Freude am Leben. Barbara: Vorfreude). Einige beschreiben die Metapher mit den Worten: Da habe ich mich (Mara), meine Situation (Barbara) oder mein Leben (Eugen, Marco) dargestellt. Um dem auf die Spur zu kommen, was sich in den einzelnen Metaphern widerspiegelt und was sie im Hinblick auf die Gottesbeziehung der einzelnen Personen aussagen, wurde die Beschreibung, die der einzelne Produzent, die einzelne Produzentin ausführlich gegeben hat, von der Verfasserin nachträglich knapp zusammengefasst und in einem Satz, der mit Gott ist (wie) beginnt und mit und ich bin (wie) fortgesetzt wird, paraphrasiert365. Dazu wurden sowohl die Wort- als auch die Bildsprache (Metapher und Beschreibung der Metapher) berücksichtigt. Nach der Paraphrase des Inhalts, die in kursiver Schrift wiedergegeben ist, wird versucht zusammenzufassen, auf welche Aspekte des Lebens der einzelnen Person (Lebens- und/oder Alltagssituation, Fluchterfahrung u. ä.) oder auf welche Themen sich die Aussagen beziehen366. Es handelt sich hier um die Interpretation der Verfasserin und es dient allein dem besseren Vergleich zwischen den Samples. Andere Interpretationen sind möglich und führen evtl. zu weiteren Schlussfolgerungen.
364 Linke Spalte der Tabellen 1.1–1.4. 365 Mittlere Spalten der Tabellen 1.1–1.4. 366 Rechte Spalte der Tabellen 1.1–1.4.
303
Aspekte zur Gottesbeziehung
Tabelle 1.1 Farsi
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
… und ich bin … Es spiegelt sich in der Metapher … … und ich bin Lebens- und AllGott ist groß, tagssituation: stark und schön von ihm beschenkt und wie Familie … in einem Nest implizit das geborgen. Thema Schutz (Nestsymbolik) – Familie und christlicher Glaube werden als Geschenk Gottes erfahren Gott ist wie ein … und ich kann Neue Erfahrung Licht … durch das Licht mit christlichem Neues über Gott Glauben entdecken. Gott ist wie Neues Gottes… und ich bin eine(r), die (der) von Gott gehal- verständnis und umarmt … ten. neue GottesbeGott ist nah, liebt ziehung und beschützt … Themen: (fühlbare) Nähe Gottes – Schutz – Vertrauen – Sicherheit Gott ist wie ein … und ich bin Lebenssituation: schützender wie ein Vogel, der Bedrohung Baum … vor von allen durch andere Seiten drohenMenschen aufden Gefahren grund seines geschützt wird, Christseins in Gottes Hand. Alltagserfahrung: Angst – Probleme – verschiedene Bedrohungen Thema: Angst – Schutz
Leyla
Gott ist groß Gott ist stark Gott ist schön
Amir
Gott ist wie ein Licht
Mara
Gott liebt uns
Fahir
Gottes Baum
304
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Farsi
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
Yara
Gott erschafft die Welt und mich
Dian
Alles ist von Gott Alles ist und geschieht durch Gottes Kraft …
Gott ist der Schöpfer des Lebens, er hat den Menschen in die Welt gebracht und er sorgt für ihn …
… und ich bin … Es spiegelt sich in der Metapher … Lebenssituation: … und ich bin Flucht von Gott geAlltagserfahschaffen und rung: Versornach seinem gung Plan gerettet. Themen: Freude an der Schöpfung – Gott als Schöpfer und Erhalter – Bedrohung – Rettung – Schutz … und ich habe Lebenssituation: alles verlasFlucht sen,Gott gefunAlltagserfahden und beobrung: Staunen achte, was geüber die Schöpschieht, aus der fung und Kraft Ferne. Gottes Themen: Größe und Kraft Gottes – Vertrauen – implizit: die eigene Ohnmacht
Tabelle 1.2 Rumänisch Titel der Gottes- Gott ist … metapher Melinda
… ich bin …
Es spiegelt sich in der Metapher … Gott die Rettung Gott ist wie ein … und ich bin Lebenssituation: Rettungsboot, getragen und ge- drohende Ardas auf bewegten halten, ich bin im beitslosigkeit (Lebens-)Wellen Boot, ich bin ge- Themen: Angst trägt und hält … rettet. und Sorgen – Hoffnung auf Rettung durch Gott
305
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Rumänisch Titel der Gottes- Gott ist … metapher Thereza
Eugen
Marius
Denisa
Corvin
… ich bin …
Es spiegelt sich in der Metapher … Lebenssituation: Gottes Liebe gibt … und ich bin Gott ist die wertvoll, geliebt Alter – Rückgrößte Liebe im dem Menschen blick auf Leben – und immer beseinen Platz in Universum Fluchterfahrung der Schöpfung … gleitet und beAlltagserfahschützt. rung: Liebe – Begleitung – Hilfe Themen: Gnade – Selbstwert – Schutz Die Verbindung Gott ist mit dem … und ich verLebenssituation: mit Gott Menschen vertraue auf Gott(es drohende Arbunden und Plan) und nicht beitslosigkeit führt ihn (durch auf meine FäThemen: Angst – den heiligen higkeiten. Vertrauen auf Gott – Hoffnung Geist und die auf Gottes FühBibel) … rung Gottes EinwirGott wirkt (ein): … und ich bin Lebenssituation: ken schneidet, trotz einem Veränderung schützt und Schnitt, den ich durch Gemeinmacht ganz … hinter mir habe, dewechsel ganz und geAlltagserfahschützt. rung: Unterstützung durch andere Menschen – Führung Gottes Thema: Schutz Lebenssituation: In Gott verbun- Gott ist wie ein … und ich bin Fremdsein den Draht, der durch durch ihn mit Liebe Menschen anderen verbun- Thema: Wunsch verbindet … den wie eine nach Akzeptanz Perle auf der und VerbundenKette. heit How great is our Gott ist wie eine … und ich bin Themen: SelbstGod schützende wertvoll und be- wert (ich bin Hand über dem schützt. klein, aber wertMenschen … voll) – Schutz
306
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Tabelle 1.3 Spanisch
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
… ich bin …
Miguel
Ich bin Gottes Priorität
Gott ist wie ein Netz, dass mich auffängt …
… und ich bin trotz meiner Schuld aufgefangen und geschützt. Gott ist wie ein Gärtner, der sich um mein Wachstum kümmert – ich kann aufblühen.
Dorita
Gott ist Kraft
Gott ist wie eine Kraft, die mir über schwierige Situationen hinweghilft …
… und ich wünsche mir da einzutauchen und das mehr so zu erleben.
Lydia
Vertrauen zu dem Herrn
Gott begleitet mich durch Schwierigkeiten und am Ende wird alles gut …
… und ich werde begleitet und vertraue Gott, dass alles gut wird und ich am Ende staunen werde.
Es spiegelt sich in der Metapher … Lebenssituation: Möglicherweise eine ungelöste Schuldfrage Themen: Annahme trotz Versagen– Aufgefangensein – Schutz – persönliche Förderung Lebenssituation: alleinerziehende Mutter – fremd in Österreich Alltagserfahrung: Probleme – Hindernisse – Depression Themen: Wunsch nach Veränderung und (Persönlichkeits-)Entwicklung – will »mehr« – Emotions-kontrolle – Sicherheit – Hilfe Lebenssituation: alleinerziehende Mutter Alltagserfahrung: Druck im Pflegeberuf – finanzieller Druck Thema: Vertrauen
307
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Spanisch
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
… ich bin …
Marco
Gnade über Gnade
… und ich kann sicher gehen, ohne andere zu verletzen.
Leon
Die Liebe Gottes Gott ist mein Schutz und meine Orientierung …
Gott gibt mir Sicherheit auf einem unsicheren Weg …
… und ich bin ruhig und geschützt.
Es spiegelt sich in der Metapher … Lebenssituation: schwierige Vergangenheit, erfahrene Verletzungen Alltagserfahrung: Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen (auch Fürsorge) Themen: Annahme – Emotionskontrolle – Persönlichkeitsentwicklung – Sicherheit – Schutz Lebenssituation: Erfahrung von Krisen (»Zerbruch«) in der Vergangenheit – Erfahrung von Hilfe in schweren Krisen Alltagserfahrung: Herausforderungen im Alltag – Sorgen – Depressionen Themen: Bewahrung – Schutz – Zusammenhalt von Menschen durch Gott
308
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Spanisch
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
Elena
Ein lustiges Gesicht aus Natur
… ich bin …
Es spiegelt sich in der Metapher … Lebenssituation: … und ich beGott gibt, was der Mensch zum komme von Gott, Dankbarkeit für Leben braucht … was ich brauche. überwundene Krisen Alltagserfahrung: Sorge um Kinder – Angst Themen: Gott als Schöpfer und Erhalter – Schutz – Vertrauen
Tabelle 1.4 Deutsch Joachim
Joseph
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
… und ich bin … Es spiegelt sich in der Metapher… Der mich nicht Gott hält an mir … und ich bin Alltagserfahfallen lässt fest … trotz Gefühlen rung: Versagen Themen: Unzudes Versagens gehalten. friedenheit mit sich selbst? Selbstwert – Annahme trotz Versagen Jesus Christus – Gott ist majestä- … und ich bin Lebenssituation: gestern, heute tisch, kontaktgeliebt, bewahrt, Lebenszufrieund derselbe denheit im freudig, liebevoll, begleitet. auch in Ewigkeit ein gutes Fundahohen Alter Alltagserfahment … rung: Jeder Tag ist ein Geschenk Themen: Annahme (geliebt trotz Sünde) – Bewahrung – viel Lied- und Bibelkenntnis
309
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Deutsch
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
Valerie
Freude am Leben Gott will, dass ich mich freue und mein Leben voll genieße, deshalb beschenkt er mich …
Johannetta Mein Weg hinauf Gott ist unaussprechlich, Gott ist das Beste …
Romi
Gott ist
Gott ist einfach da …
… und ich bin … Es spiegelt sich in der Metapher… Lebenssituation: … ich bin beJugend – Leben geistert vom genießen – ReiLeben. sen Alltagserfahrung: Lebensfreude – Freude an Natur und Menschen Themen: Weg – Ziel – Ambivalenz von Freude und Schwierigkeiten – Vertrauen … und ich bin Lebenssituation: auf dem Weg zu letzter Lebensihm. »Mein abschnitt Leben strebt Alltagserfahnach Gold.« rung: Unterstützung durch Menschen Themen: Gott ist unaussprechlich anders – Geborgenheit – Vertrauen … und ich bin Alltagserfahvon einem rung: MöglichGrundvertrauen keit, schwierige getragen. Alltagssituationen zu akzeptieren – Verzweiflung und Grundvertrauen Themen: Vielschichtigkeit Gottes – Verborgenheit Gottes – Vertrauen
310
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Deutsch
Titel der Gottes- Gott ist … metapher
… und ich bin … Es spiegelt sich in der Metapher… Lebenssituation: … dort bin ich Gott hat einen schönen Himmel trotz der Brüche schwere, überin meinem Leben wundene Krankfür mich … gut aufgehoben. heit und Alter Alltagserfahrung: Brüchigkeit von Leben und Beziehungen Themen: Hinfälligkeit des Menschen – Ewigkeitshoffnung
Barbara
Vorfreude
Durch die Zusammenstellung in den Tabellen 1.1–1.4 wird gezeigt, dass für die Befragten ihre Gottesbeziehung kein Randthema ist, sondern unmittelbar verbunden mit ihrer konkreten Lebens- und/oder Alltagssituation. In den Metaphern spiegeln sich sowohl besondere Lebenssituationen (Johannetta und Barbara – letzter Lebensabschnitt Alter), Krisenerfahrungen (Eugen und Melinda – Angst vor Arbeitslosigkeit und Hausverlust; Yara – Fluchterlebnis; Leon – Scheidung), Lebensgefühle (Joachim – trotz Versagen gehalten; Valerie – Freude an der Natur) als auch Alltagssituationen (Denisa und Lydia – Arbeit in der Pflege; Lydia und Dorita – Herausforderung als alleinerziehende Mutter) und Defiziterleben (Denisa – Erfahrung von Fremdsein – Wunsch der Verbundenheit mit anderen Menschen). Die Befragten stellen nicht nur distanziert dar, wer oder was Gott ist, für sie ist oder ihnen im Moment bedeutet. Sie stellen sich selber und ihre Lebenssituation dar, ihre Ängste, Unsicherheiten, Hoffnungen, Alltagssituationen, Erfahrungen. Wobei sie, bis auf wenige Ausnahmen (Dian und Romi), immer mittendrin sind, voll involviert, beteiligt. Ihre Gottesbeziehung ist demnach für alle Befragten (auch bei Romy und Dian) emotional bedeutsam und mit Lebens- und/oder Alltagssituationen verbunden. Lebens- und Alltagserfahrungen werden als Gotteserfahrungen gedeutet. Unterschiede zwischen den Sprachsamples Es fällt auf, dass das Thema Schutz (Gott schützt mich, Gott hat mich geschützt) verhältnismäßig oft anklingt, allerdings fast nicht im deutschen Sample. Dort spricht nur Joseph von erfahrener Bewahrung. Weiter sticht heraus, dass im Farsisample häufig die »neue Gottesvorstellung« mit den Gottesmetaphern thematisiert wird. Leyla ist der christliche Glaube als Geschenk Gottes ins Nest
311
Aspekte zur Gottesbeziehung
gelegt worden. Amir entdeckt durch andere Christen neue Qualitäten Gottes. Mara spürt die Nähe Gottes wie eine Umarmung, was ihr vorher so nicht möglich war. Fahir erlebt durch den christlichen Glauben eine persönliche Bedrängnis. Yara sieht im Nachhinein durch den christlichen Glauben ihre Reise (Flucht) als Plan Gottes. 4.2.1.3 In der Metapher verwendete Symbole für Gott und die eigene Person Eine weitere Beobachtung beschäftigt sich mit den Symbolen, die für die Gottesmetapher gewählt wurden und der Sprache, die beim Beschreiben der Gottesmetapher verwendet wurde367. Welche Symbole wurden zur Darstellung der aktuellen Gottesvorstellung in einer Metapher verwendet? Beziehen sich die Symbole direkt auf die Vorstellung von Gott oder indirekt auf etwas, das Gott tut oder wirkt? Welche Symbole verwenden die befragten Personen für sich selbst? Die weiteren Kategorien beziehen sich auf die Interpretation der eigenen Gottesmetapher : Wie spricht die Person über ihre Gottesvorstellung. Verwendet sie eher abstrakte Begriffe oder spricht sie konkret vom Sein und/oder Handeln Gottes? Wird Gott eher als Prinzip oder Struktur verstanden oder als handelndes Wesen? Tabelle 1.5 Farsi
Symbole für Gott
Leyla
Nest
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt Perlen im Nest: Gott beschenkt (Familie und Glauben) und liebt
Symbole für die eigene Person Perle im Nest
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Größe – Schönheit – Stärke – Leben
Gott ist groß, schön und stark
Wie eine Person, die beschenkt und liebt – die groß, schön und stark ist
367 In den Tabellen 1.5–1.8 wird allein die Gottesmetapher der Materialcollage und ihre Interpretation angeschaut. Es wird nicht berücksichtigt, wie die einzelnen Personen später die Fragen des halbstrukturierten Interviews beantworten.
312
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt
Symbole für die eigene Person
Farsi
Symbole für Gott
Amir
Licht, das durch Menschen leuchtet
Mara
Umarmen- Gott umUmarmte de Figur armt, liebt Figur und beschützt - gibt die Kraft, gut und richtig zu leben und auch zu lieben
Fahir
Schützender Baum
Schatten Vogel im des BauNest mes schützt vor Sonne – Gott erhält das Leben des Vogels
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Licht unter dem Licht: Leben – Liebe – Kraft – Heilung – Gnade – Quelle von allem
Jesus als Bild der Liebe Gottes – breitet die Arme aus und sagt »komm« Seit sie Christin ist, fühlt sie die Nähe Gottes – Er hat sie gerettet und gibt ihr Freude und Kraft, die Sicherheit zu fühlen
Schutz
Anthropomorphe Aspekte
Wie eine Person, die umarmt, deren Nähe man fühlen kann, mit der man reden kann
313
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Farsi
Symbole für Gott
Yara
Dian
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt Schöpfungsbild – Gott hat den Menschen geschaffen und ihm Sonne, Wasser, Wiesen, Bäume, Wolken, alles gegeben Gott plant, wählt aus, rettet Schöpfungsbild (mit Technik und auch dem, was nicht gut ist) als Bild für die Kraft Gottes
Symbole für die eigene Person Knopffigur
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt
Symbole für die eigene Person
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Gott schafft den Menschen und erhält ihn
Wie eine planende, handelnde Person
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Gott hat einen Plan und einen Willen
Wie eine Person, die etwas will und etwas plant und dies auch vermittelt
Kraft, Kraft Gottes auch in der Technik (durch den Menschen vermittelte Kraft Gottes)
Tabelle 1.6 Rumänisch
Symbole für Gott
Melinda
Rettungsboot
Abstrakte Wortwahl
314
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt TheGroßes Schöpreza Herz: Liebe fungsbild Gottes für mit Techseine nik und Schöpfung dem Menschen über der Schöpfung Eugen GoldBlauer papier Draht – heiliger Geist, der durch das Wort Gottes (grauer Schlauch) zu Gott führt MaSchere – rius Gott macht einen Schnitt Rinde – Gott wirkt wie ein Schutzschild Scherbe – Gott baut Glasscherben mit Liebe zusammen Faden – Gott führt DeRoter Gott vernisa Draht bindet und akzeptiert Menschen Rumänisch
Symbole für Gott
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Der Herrgott hat … gebaut und dem Menschen unterstellt
Wie eine Person, die baut und delegiert und liebt
Schaltplat- Goldpapier Gott führt te und Film Gott zeigt etwas durch Geist und Wort
Wie eine Person, die jemanden führt und ihm etwas zeigt
Glasscherbe steht für das Leben einer jeden Frau, eines jeden Mannes
Gott schützt und führt – Schutz Gottes vermittelt durch Unterstützung von Menschen
Wie eine Person, die schneidet – schützt – in Liebe etwas zusammenfügt – jemanden führt
Vermischung von Gott und Jesus: Gott liebt – verbindet – akzeptiert
Wie eine Person, die liebt und akzeptiert
Symbole für die eigene Person Knetfigur
Perle auf Kette
Abstrakte Wortwahl
Liebe Gottes: Motor der Menschheit
315
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Rumänisch
Symbole für Gott
Corvin
Weißes Netz: Allgegenwart Gottes im Heiligen Geist
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt Blaue Scherbe: Gott legt seine schützende Hand über den Menschen
Symbole für die eigene Person Schmuckstück
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt Gott, wie ein Netz, das auffängt, wie ein Gärtner, der düngt Gott ist die Kraft, die mir hilft (Heiliger Geist) Gott führt und begleitet
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Geist Gottes Allgegenwart
Gott Wie eine schützt die Person, die Menschen schützt
Symbole für die eigene Person Scherben Blume
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Netz Licht
Gott schützt – ist treu – fängt auf – fördert Wachstum – umarmt
Wie eine Person, die schützt, treu ist, auffängt, fördert, umarmt
Kletterin im Wasserfall (verbal)
Licht – Leben – Kraft – Macht
Kabel = (eigener) Lebensweg
Möglicherweise: Wie eine Kraft, die begleitend da ist Vertrauen
Gott hat verschiedene Möglichkeiten, wo er gehen kann, Gott führt, begleitet
Möglicherweise: Wie eine Person, die Wege auswählt, führt und begleitet
Tabelle 1.7 Spanisch
Symbole für Gott
Miguel
Netz Licht
Dorita Wildwasser
Lydia
Strom Begleitung
316
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Spanisch
Symbole für Gott
Marco Roter Plastikstreifen (= Blut Jesu) als Symbol für Gnade Gottes
Leon
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt
Symbole für die eigene Person Scherbe Filmstreifen
Schutz: Stein Gott bewahrt und schützt den – Stein vor der Witte- Scherbe rung – Zusammenhalt: Gott hält Menschen trotz und in der Brüchigkeit von Leben und Beziehungen zusammen – Schnur : Verbindung zu Gott – Treue Gottes
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Gnade Gottes möglicherweise wie eine Kraft, die für die Geschichte (einer einzelnen Person) bestimmend ist Schutz
Blut Jesu – heilt, rettet Gott schreibt Geschichte Gott schreibt Wege
Möglicherweise: Wie eine Person, die historisch wirksam plant und handelt
Gott schützt
Wie eine Person, die schützt, mit der man in Verbindung treten kann und die treu ist
– Zusammenhalt
– Verbindung
– Gott hält zusammen
– Gott ist treu
317
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Spanisch
Symbole für Gott
Elena
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt Naturmaterialien stehen für das, was Gott erschaffen hat und mit dem er die Menschen versorgt
Symbole für die eigene Person
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt
Symbole für die eigene Person Knopf
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Gott erschafft – Gott versorgt – Gott will – Gott gibt
Wie eine Person, die erschafft, versorgt, gibt und einen Willen hat
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Gott hält fest an mir ermutigt
Wie eine Person, die an einer anderen Person festhält und diese ermutigt
Tabelle 1.8 Deutsch
Symbole für Gott
Joachim
Sicherheitsnadel
Joseph
Elekroplatinen: Geist Gottes Plastelin: Jesus als Fels Goldpapier : Majestät Gottes rote Folie: Liebe Gottes
Abstrakte Wortwahl
Geist Gottes strahlt überall hin Majestät Gottes Liebe Gottes
318
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Deutsch
Symbole für Gott
Valerie
Johannetta Romi
Barbara
Goldfolie Weißes Säckchen mit buntem Inhalt Platine als Vorderseite
Symbol für etwas, das Gott tut oder wirkt Naturmaterialien: Gott in der Natur begegnen Schnipsel: Geschenke von Gott, die entdeckt werden können
Symbole für die eigene Person
Abstrakte Wortwahl
Konkrete Wortwahl
Anthropomorphe Aspekte
Gott wartet und hält eine Wohnung bereit
Wie eine Person, die wartet und eine Wohnung bereit hält
Gott und seine Geschenke können entdeckt werden – Gott ist einfach da
PlastikSchweigen rohr : mein Kein BildLeben nis Einfach Da-Sein Grundvertrauen Goldfolie – Knetfigur Symbol für auf Scherden schö- be nen Himmel, wo Gott wartet
Gemeinsamkeiten der Sprachsamples Sampleübergreifend werden sehr verschiedene Symbole für Gott gewählt: Gott ist wie: ein schützendes Nest – einer, der beschenkt (2x) – Licht – ein liebender Vater/eine liebende Mutter – ein schützender Baum – ein Schöpfer – Retter – Tröster – Kraft, die in allem wirkt – ein Rettungsboot – ein Begleiter und Beschützer – einer, der Menschen durch sein Wort führt – einer, der schneidet, schützt und ganz macht – wie ein Draht, der Menschen verbindet – eine schützende Hand – ein Netz, das auffängt – ein Gärtner, der Blumen aufblühen lässt – Wildwasser – eine Begleitung auf dem Lebensweg – einer, der Sicherheit gibt auf unsicherem Weg – Schutz – Orientierung – einer, der Menschen gibt, was sie zum Leben brauchen – einer, der am Menschen trotz seines Versagens festhält
Aspekte zur Gottesbeziehung
319
– einer, der liebt, bewahrt, begleitet – Gold – etwas, das einfach da ist – einer, der »im schönen Himmel« auf den Menschen wartet. Die Symbole lassen sich einteilen in: Personen (Vater/Mutter – Begleiter – Beschützer – Gärtner), Gegenstände (Nest – Baum – Rettungsboot – verbindender Draht – Wildwasser – Gold – Sicherheitsnadel), Abstrakta (Licht – Kraft – Schutz – Orientierung – Da-Sein), und theologische Begriffe (Schöpfer – Retter – Tröster – Erhalter). Ein Handeln Gottes wird beschrieben als: beschenken – lieben – retten – trösten – begleiten – beschützen – durch eigene Worte (das Wort / sein Wort) führen – schneiden – schützen – ganz machen – Menschen verbinden – kultivieren/ fördern – Sicherheit geben – versorgen – (am) Menschen festhalten – bewahren – auf den Menschen (warten). Hier fällt auf, dass die Verben auf der Sachebene (nicht auf der Bild und Symbolebene) fast immer auf ein menschliches Objekt bezogen sind (abgesehen von schneiden). Unterschiede zwischen den Sprachsamples Im Vergleich der Sprachsamples ist zu sehen, dass im rumänischsprachigen Sample die Sprachwahl überwiegend konkret und die Gottesvorstellung immer mit anthropomorphen Aspekten verbunden ist. Bei näherer Betrachtung wird damit immer ein Handeln Gottes am und für den Menschen (meistens die eigene Person) beschrieben: Gott schützt, liebt, plant, führt und mehr. Auch im spanischsprachigen Sample findet sich eine überwiegend konkrete Sprachwahl, die sich neben anthropomorphen Aspekten einer Gottesvorstellung, aber auch auf die Vorstellung einer Wirksamkeit (Kraft – Lydia, Marco) beziehen kann. Einzig Dorita bleibt im Abstrakten (Kraft). Im farsisprachigen Sample ist die Wortwahl bei drei Personen abstrakt, bei zwei Personen konkret und bei einer Person sowohl abstrakt als auch konkret (Leyla). Wo Amir konkret davon spricht, dass Gott die Arme ausbreitet, redet er von Jesus. Im deutschsprachigen Sample fällt eine größere Zurückhaltung bezüglich einer konkreten Sprache auf. Vier Personen bleiben eher im Abstrakten, zwei Personen verwenden eine sehr konkrete Redeweise (Joachim und Barbara). Insgesamt finden sich in den unterschiedlichen Sprachgruppen sowohl konkrete als auch abstrakte Formulierungen in Bezug auf die Gottesvorstellung. Gott wird überwiegend als handelndes Wesen (theistisch) gedacht, was aber auch abstrakte Elemente (Gott als Prinzip oder Struktur) einschließen kann.
320
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Symbole für die eigene Person: Farsisprachiges Sample: Zwei Personen stellen sich im geschützten Nest dar – zwei Personen stellen sich selber sehr figürlich dar – zwei Personen stellen sich selber nicht innerhalb der Gottesmetapher dar. Rumänischsprachiges Sample: Vier Personen stellen sich mit sehr unterschiedlichen Symbolen dar : Schaltplatte und Film für das eigene Leben – eine Perle auf einer Kette gemeinsam mit anderen Perlen – als Schmuckstück – als Glasscherbe. Eine Person stellt sich figürlich als Knetfigur dar. Wobei mit dem Schmuckstück, der Glasscherbe und der Knetfigur gleichzeitig auch alle anderen Menschen dargestellt werden. Die eigene Person steht quasi repräsentativ für den Menschen und vice versa. Eine Person stellt sich selber in der Gottesmetapher nicht dar. Spanischsprachiges Sample: Hier fällt auf, dass nur drei Personen sich selber direkt darstellen. Zwei Personen sind indirekt in ihrer Gottesmetapher zu finden (Dorita spricht über sich als eine Kletterin im Wasserfall, und Lydia sieht in dem Kabel ihren Lebensweg). Elena kommt in ihrer Metapher zunächst selbst nicht vor368. Auffallend ist, dass alle drei Personen, die sich selber darstellen, als Symbole die blauen Scherben verwenden. Marco sieht darin frühere verletzende Erfahrungen. Für Leon sind sie ein Symbol für die Brüchigkeit von Leben und Beziehungen. Für Miguel, der sich daneben noch mit der kleinen Blume identifiziert, symbolisieren sie den Aspekt der eigenen Schuld. Deutschsprachiges Sample: Hier symbolisieren nur zwei Personen sich selbst direkt. Joachim stellt sich mit einem Knopf dar, Barbara figürlich in einer kleinen Knetfigur. Johannetta legt mit dem Plastikrohr ihr Leben. Alle anderen haben kein Symbol für sich in die Metapher eingebaut.
4.2.2 Interview Nachdem zunächst der Vergleich der einzelnen Gottesmetaphern in den Blick genommen wurde, steht hier das weitere Interview, insofern es die Gottesbeziehung (emotionale Aspekte der Gottesvorstellung) betrifft, im Focus.
368 Als sie später danach gefragt wird, wo sie sich positionieren würde, positioniert sie sich allerdings mitten in dem von ihr konstruierten lustigen Gesicht.
321
Aspekte zur Gottesbeziehung
4.2.2.1 Geäußerte Gefühle Ein wesentlicher Hinweis, der Aufschluss über die Gottesbeziehung geben kann, sind die Gefühle Gott gegenüber und die emotionalen Aspekte, die im Gespräch geäußert werden. In der ersten Spalte wird versucht, sich den im Hinblick auf die Gottesmetapher geäußerten Gefühlen über den Weg der Paraphrase369 – mit dem Satz »… fühlt sich …« – anzunähern. In der rechten Spalte sind die im weiteren halbstrukturierten Interview genannten emotionalen Aspekte in Bezug auf die Gottesbeziehung zusammenfassend aufgelistet. Tabelle 2.1 Farsi
… fühlt sich … (Gottesmetapher)
Leyla
… beschenkt – geborgen.
Amir
… neugierig – entdeckerfreudig – geliebt.
Mara
… gehalten – sicher.
Fahir
… geschützt – sicher.
Yara
… gerettet.
Dian
… nach Suche angekommen – ermächtigt – klein im Gegenüber zu Gottes Kraft.
Geäußerte Gefühle / emotionale Aspekte (Interview) Vertrauen – Sicherheit (Gott ist groß und stark) – Geborgenheit – Dankbarkeit Erfahrung/Entdeckung von Liebe als Quelle von – Leben – Stärke – Kraft – Heilung – Gnade – Treue – Sanftmut – Demut – Geduld – Staunen – Dankbarkeit Emotionskontrolle: Wenn er böse sei, denke er : »Oh nein, ich muss Geduld haben«. Sicherheitsgefühl – Freude – Frieden – Sicherheit – Vertrauen – Liebe von Gott – »Vater, du bist mein Gott« = schönes Gefühl – Hoffnung, dass am Ende alles gut wird – keine Sorgen Angst vor drohenden Gefahren – Freude und Friede – Vertrauen (in Gottes Hand) – Glück, dass Gott bei ihm ist – Erfrischung, Erneuerung (Abendmahl) – Dankbarkeit Trost in Traurigkeit – Dankbarkeit – Freude von Gott als Antwort auf eine Frage an ihn – schönes Gefühl, sich an Gott wenden zu können – Vertrauen Vertrauen (Wenn du mein Herz nimmst, vertraue ich dir – ich lasse deine Hand nicht los) – Staunen
369 Die paraphrasierte Zusammenfassung ist kursiv gedruckt.
322
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Tabelle 2.2 Rumänisch … fühlt sich … (Gottesmetapher) Melinda Thereza Eugen Marius
Denisa
Corvin
Geäußerte Gefühle / emotionale Aspekte (Interview) … gerettet. Vertrauen – Hoffnung … geschützt – geführt – geborgen. Dankbarkeit … mit Gott verbunden – von Gott Vertrauen – kann sich auf Gott vergeführt. lassen … geschützt – geborgen – gebraucht. Schutz – Geborgenheit – Mitwirken – Dankbarkeit, durch religiöse Sozialisation geschützter aufgewachsen zu sein … verbunden (mit Gott und durch Verbundenheit – bzw.: Wunsch/ ihn mit anderen Menschen). Sehnsucht nach Verbundenheit Freude, jemandem helfen zu können – Dankbarkeit … wertvoll – geschützt. Schutz – Dankbarkeit – Vertrauen
Tabelle 2.3 Spanisch Miguel Dorita
Lydia Marco
Leon
… fühlt sich … (Gottesmetapher)
Geäußerte Gefühle / emotionale Aspekte (Interview) … aufgefangen – geschützt – erSchutz – Angenommen – Wertneuert. schätzung (Priorität) – Vertrauen … unterstützt – begleitet – erleich- Zweifel, nicht an Gottes Existenz, tert (wenn sie sich an Jesus wendet). sondern an eigenem Vermögen Vertrauen Emotionskontrolle wichtig: Schnell ungeduldig – ihr Charakter gehöre gezähmt – will sich nicht von Emotionen leiten lassen. … begleitet – in Gottes Hand. Vertrauen – positive Erwartung auf gutes Ergebnis – Hoffnung … sicher. Dankbarkeit – Sicherheit – Erinnerung an früher tut weh – Vertrauen Emotionskontrolle: Will mit eigener Aggressivität umgehen lernen. … geschützt – (be-)ruhig(t) – (zu- Keine Angst und keine Sorgen = sammen)gehalten. Sicherheit Vertrauen – Dankbarkeit – Halt – Orientierung Emotionskontrolle: Er sei manchmal so explosiv (wie ein Latino).
Aspekte zur Gottesbeziehung
323
((Fortsetzung)) Spanisch
… fühlt sich … (Gottesmetapher)
Elena
… versorgt – geschützt – sicher – »angstfrei«.
Geäußerte Gefühle / emotionale Aspekte (Interview) Keine Angst – keine Sorgen – Sicherheit – Vertrauen – Dankbarkeit Emotionskontrolle: Vermeidung von Angst.
Tabelle 2.4 Geäußerte Gefühle / emotionale Aspekte (Interview) Joachim … gehalten. Angst zu versagen – Vertrauen Joseph … hindurch getragen – geliebt – Dankbarkeit – Vertrauen – Zufriebewahrt. denheit Valerie … beschenkt – fröhlich – begeistert. Begeisterung – Freude Johannetta … unterstützt – geführt. Geborgenheit – Vertrauen – Sicherheit (keine Angst vor der Zukunft) Romi Es passt! Grundvertrauen – der Verzweiflungsaspekt fällt weg – Akzeptanz, so wie es ist Barbara … gelassen – erwartet. Freude (über »Kleinigkeiten« von Gott) – Trauer (über Menschen, die sie vermisst) – Angst (vor dem Tod) – Vorfreude (auf den »schönen« Himmel) – Hoffnung Deutsch
… fühlt sich … (Gottesmetapher)
Gemeinsamkeiten der Sprachsamples Generell fällt wiederum370 in den ersten drei Sprachsamples auf, dass es für die interviewten Personen zum Zeitpunkt des Interviews wichtig ist, dass sie sich von Gott geschützt und demzufolge sicher (in Sicherheit) fühlen. Die paraphrasierten Gefühle aus der Interpretation der Gottesmetapher : gerettet – geschützt – sicher – geborgen – (zusammen)gehalten – aufgefangen – geführt – begleitet – bewahrt – unterstützt und versorgt, korrelieren in hohem Maße mit dem Begriff bzw. dem Gefühl der Sicherheit. Schwerpunkte bei den im Interview genannten Gefühlen gegenüber Gott sind vor allem Vertrauen (im farsisprachigen Sample 5x, im rumänischsprachigen Sample 3x, im spanischsprachigen Sample 6x und im deutschsprachigen Sample 3x genannt) und Dankbarkeit (im farsisprachigen Sample 4x, im rumänisch370 Vgl. 4.2.1.2 Beschreibungen der Metaphern, 302.
324
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
sprachigen Sample 4x, im spanischsprachigen Sample 3x und im deutschsprachigen Sample 1x genannt). Unterschiede zwischen den Sprachsamples Deutschsprachiges Sample: Auch hier ist das Thema Sicherheit wichtig, steht aber nicht bei allen Personen im Vordergrund. Joachim fühlt sich gehalten, Joseph bewahrt und Johannetta unterstützt und geführt. Valerie betont ihre Freude am Leben, Romi begnügt sich mit dem wie »es ist« und Barbara fühlt sich gelassen und von Gott erwartet. Dankbarkeit wird nur von Joseph explizit thematisiert. Spanischsprachiges Sample: Hier sticht das Thema Emotionskontrolle, das sonst nur von Amir (farsisprachiges Sample – er nennt es im Hinblick auf seine eigenen Geduld) explizit genannt wird, hervor : Dorita meint, ihr Charakter gehöre gezähmt. Sie will sich nicht von ihren Emotionen leiten lassen und ist schnell ungeduldig. Marco will lernen, mit seiner Aggressivität umzugehen. Leon betont, dass er manchmal – wie ein Latino – so explosiv sei. Elena bemüht sich, ihre Flugangst (und wohl auch andere Ängste) mit Hilfe des Gebets in den Griff zu bekommen. Alle sagen, dass sie mit Gottes Hilfe an ihrer Persönlichkeit arbeiten möchten, um ihre Emotionen besser zu kontrollieren. 4.2.2.2 Näheerlebnis – Schlüsselerlebnis – Löcher der Verzweiflung Eine weitere Fragestellung, die Aufschluss über den Aspekt der Gottesbeziehung geben kann, ist die Frage nach einem Erlebnis der Nähe Gottes. Ferner ist beim Lesen der Interviews aufgefallen, dass fast alle Personen von einer Art Schlüsselerlebnis berichten, das die Gottesvorstellung verändert hat. Diesen Kategorien widmen sich die folgenden Tabellen: Welche Erlebnisse erzählen die Befragten als eine Erfahrung der Nähe Gottes? Was berichten sie möglicherweise über Schlüsselerlebnisse, die eine Veränderung der Gottesvorstellung bewirkt haben? Welche lebensbedeutenden Ereignisse werden angesprochen? Wird das Erlebnis der Nähe Gottes als eine direkte oder indirekte Gotteserfahrung geschildert bzw. wird das Erlebnis erst im Nachhinein als Gotteserfahrung gedeutet? Nach und nach ist in die Untersuchung auch die Frage nach der Abwesenheit Gottes mit eingeführt worden, oder es finden sich in den Interviews Aussagen oder Anklänge dazu, ohne dass danach gefragt wurde. Die Aussagen dazu finden sich in der rechten Spalte. In die Untersuchung der deutschsprachigen Gruppe wurde die Übung »Löcher der Verzweiflung« eingeführt, was im Kontext der internationalen Samples besonderen Sinn macht. Fast alle fremdsprachigen Interviewteilnehmerinnen
325
Aspekte zur Gottesbeziehung
und -teilnehmer erzählen von sich aus von Krisen und schwierigen Zeiten, die vor allem auch durch den Landeswechsel (Flucht – Migration – Fremdsein – Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Ausbildungen, beim Sprachen lernen und bei der Arbeitssuche) bedingt sind. Durch das Legen der »Löcher der Verzweiflung« werden auch im deutschsprachigen Sample lebensbedeutende Ereignisse und Krisen thematisiert. Daher ist dieser Zusammenstellung auch die Tabelle 2.9 angehängt. Neben dem, was die deutschsprachigen Gesprächspartnerinnen und – partner zu der Übung Löcher der Verzweiflung (Linke Spalte) und auf die Frage »wo war Gott in dieser Situation der Verzweiflung?« (2. Spalte) gesagt haben, finden sich Aussagen dazu, was sich durch diese Situation geändert hat (mittlere Spalte) und ob die Gotteserfahrung wiederum eher als direkte oder indirekte Erfahrung (4. Spalte) oder als Erfahrung der Abwesenheit Gottes (rechte Spalte) geschildert wird. Tabelle 2.5 Farsi
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Flucht / bedeutsames Ereignis
Leyla
Noch kein Erlebnis der Nähe Gottes.
Spricht kein Schlüsselerlebnis an.
Wird im Interview nicht erwähnt.
Amir
Die Nähe Gottes habe er besonders gespürt, als er Christ geworden sei, in der Gemeinde. Früher sei das anders gewesen, aber jetzt sei Gott immer nah, mehr als nah, er sei in unseren Herzen.
Gott durch Wird nicht andere Chris- thematisiert. ten (neu) kennen zu lernen.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der »Abweindirekt senheit« Gottes Indirekte Früher war Gotteserfah- Gott für sie rung durch »oben im geschenktes Himmel«. (Familien-) Leben und geschenkten Glauben Indirekte Früher sei Gotteserfah- Gott für ihn rung durch im Himmel die Mengewesen und schen, die an nicht immer Jesus und nah. Gott glauben.
326
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Farsi
Nähe Gottes
Mara
Kein Gefühl der besonderen Nähe Gottes, sie fühle immer Gottes Nähe. Im Nachhinein erkenne sie sehr oft, »das war Gott«; einfach in kleinen Alltagssachen. Sie spüre Gottes Nähe, wenn sie bete. Die Nähe Gottes erfahre er, wenn er Gitarre spiele oder singe. Auch wenn er nach Lampenfieber durch Gebet Freude und Frieden habe.
Fahir
Schlüsselerlebnis
Flucht / bedeutsames Ereignis
Erzählt von keinem besonderen Erlebnis.
Wird nicht thematisiert.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der »Abwesenheit« Gotindirekt tes Als sie noch Erzählt kein Im Nachhin- Indirekte konkretes ein deutet sie Gotteserfah- Muslima ge»Erlebnis«, ihre Fluchter- rung beson- wesen sei, aber berichtet fahrung als ders im habe sie gevon ihrem Erfahrung Gebet, aber dacht, dass ersten Mal, der besonde- auch im All- Gott weit von als sie gebetet ren Hilfe tag durch die ihr entfernt habe »Vater, Gottes. eigenen Gesei. Sie habe Du bist mein fühle (Sicher- seine Nähe Gott«, dass heit im Alltag nicht fühlen das ein sehr – Freude, können. schönes GeFrieden, fühl gewesen Liebe, Versei. trauen im Gebet). Durch die Nicht themaBibel könne tisiert. man Gott »mehr sehen«. Jeden Tag sehe er Gott und er höre Gottes Stimme. Er sehe den Segen, der in sein Leben komme.
327
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Farsi
Nähe Gottes
Yara
Beim Schauen einer Jesus-DVD habe sie sich Gott besonders nahe gefühlt, als Gott zu Jesus sagt: »Du bist mein Sohn«. Sie habe Trost in Traurigkeit als ein körperliches Gefühl erlebt: Als ob jemand über den Hinterkopf streiche und Gott zu ihr sage: »Sei doch nicht so traurig, ich bin bei Dir«. Sie wisse, sie könne sich an ihn wenden, das sei ein schönes Gefühl. Zwischen Traum und Wachen habe er »direkt« mit Gott gesprochen, kurz bevor er Christ geworden sei. Gott sei näher gewesen als das eigene Blut.
Dian
Schlüsselerlebnis
Flucht / bedeutsames Ereignis
Alles (Heimat – Familie – Geld) zu verlassen.
Flucht als Gotteserfahrung: Er habe alles verlassen (Heimat – Familie – Geld) und in Österreich, auf der Suche nach der Wahrheit, Gott gefunden.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der »Abwesenheit« Gotindirekt tes Im Nachhin- Indirekt Ihre Flucht Nicht themaein deutet sie durch nach- tisiert aus Afghanistan stellt ihre Fluchter- trägliche sie in der fahrung als Deutung. Materialcol- Erfahrung Indirekt lage als Reise der besonde- durch die eidar, die Gott ren Hilfe genen Gefühgeplant habe. Gottes. le: Trost in Traurigkeit. Wird als körperliches Gefühl erlebt.
Er sagt, er habe Gott »gesehen« und Gott habe mit ihm »gesprochen«. Durch seine eigenen Gedanken, die – nach seiner Interpretation – von Gott kamen.
Es sei ihm nicht immer möglich, mit Gott in Kontakt zu sein, dann denke er, dass Gott vielleicht an einem anderen Ort beschäftigt sei.
328
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Tabelle 2.6 Rumänisch
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Melinda
Sie habe sich durch eine Predigt direkt von Gott angesprochen gefühlt.
Trifft durch eine Predigt, die sie anspricht, eine Entscheidung für ihren Glauben, in dem sie schon aufgewachsen ist.
Thereza Sie deutet ihre illegale Flucht aus Rumänien im Rückblick als Gotteserfahrung.
Ihre Flucht ist ein Schlüsselerlebnis, das ihren Glauben noch einmal verändert: Völliges Angewiesensein auf Gott – neues Erleben von Gnade.
Flucht (vor 1989) Landeswechsel (nach 1989) Melinda und ihre Familie sind nach 1989 von Rumänien nach Österreich gekommen. Der Anfang sei schwer gewesen. Sie habe nur geweint. Die neue Gemeinde und Jugendgruppe haben geholfen, hier anzukommen. Ihre illegale Flucht aus Rumänien ist für sie ein bedeutendes Ereignis, das ihr Leben und ihren Glauben grundlegend verändert.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der Abwesenheit Gottes indirekt Indirekt – Nicht themadurch Predigt tisiert.
Indirekt durch eigene Gedanken und das Gefühl von innerer Ruhe und Kraft.
Nicht thematisiert.
329
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Rumänisch
Eugen
Marius
Denisa
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Flucht (vor 1989) Landeswechsel (nach 1989) Er habe bei Erfahrung Durch Landem Besuch mit Tankwar- deswechsel einer Disko- tin. Er habe ergeben sich thek mit sei- durch diese Schwierigkeiner Freundin unangenehten, den eigeeine Stimme me Erfahrung nen Beruf gehört, die etwas über auszuüben. ihm gesagt Gottes Gnade Hier wird habe, dass gelernt. Gottvertrausein Platz en für ihn nicht dort sei. wichtig. Diese Stimme sei ihm dann immer gefolgt. Deutet es im Der Schritt, LandeswechNachhinein mit anderen sel wird indials Erfahrung gemeinsam rekt dort der Nähe eine neue Ge- Thema, wo Gottes, dass meinde zu Marius erst er seine gründen. Er im Alter von Hauptschul- deutet seine 13 Jahren abschlusseigene EntDeutsch lernt prüfung in scheidung als und sich zuder für ihn einen Schnitt, nächst schwierigen den Gott ge- schwer tut. Sprache macht hat. Deutsch bestanden hat. Sie habe beim Der Unfall Wechsel von Unfall ihres des Sohnes ist Rumänien Sohnes Got- ein Schlüssel- nach Östertes Nähe und erlebnis, das reich nach Hilfe gespürt. die Familie 1989: IntenDas sei sogar stark gesiveres Erleein positiver macht habe, ben von und wo sie Glaube und Aspekt in einer solch Gottes Liebe Gemeinschaft schlimmen und die Bedurch den Situation. ziehung zu Landeswechihm besonsel. Gemeinders stark ge- schaft hilft, spürt habe. nicht verwirrt zu sein.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der Abwesenheit Gottes indirekt Direkt Gottes Nicht themaStimme »ge- tisiert. hört«. – Indirekte Gotteserfahrung durch Erlebnis mit einem anderen Menschen.
Deutung im Nachhinein. Indirekt durch Hilfe von anderen Menschen, z. B. bei Gemeindegründung.
Nicht thematisiert.
Indirekt dadurch, dass sie die Kraft hatte, die Situation mit dem Unfall ihres Sohnes durchzustehen.
Im ungelösten Konflikt mit der eigenen Schwester erlebe sie, dass sie keinen direkten Kontakt mehr zu Gott habe.
330
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Rumänisch
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Corvin
Er erlebt die Atmosphäre auf Jugendveranstaltungen als Nähe Gottes. Er fühle sich wohl, alles sei im Lot.
Corvin erwähnt kein besonderes Schlüsselerlebnis.
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Flucht (vor 1989) Landeswechsel (nach 1989) Landeswechsel wird nicht thematisiert. Corvin ist in Österreich geboren.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der Abwesenheit Gottes indirekt
Landeswechsel / bedeutsames Ereignis Der Unfall Ein weiteres Ein Unfall eines Freun- des Freundes. Gotteserlebdes bewahrt nis ist für ihn, ihn davor, eine Wohetwas Falnung und sches zu tun. eine ArbeitsDas interprestelle zu tiert er als haben und so Gotteserlebin Österreich nis. bleiben zu können.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der Abwesenindirekt heit Gottes
Eher indirekt Nicht themadurch gute tisiert. Atmosphäre.
Tabelle 2.7 Spanisch Miguel
Äußere Umstände werden als Gotteserfahrung gedeutet.
Nicht erfragt
331
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Spanisch
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Dorita
Sie habe Gott nicht so direkt wie Moses erlebt, aber 2–3mal Gottes Anwesenheit gespürt. Habe Befreiung von »vielen Sachen« erlebt und erkenne dadurch die Allmacht Gottes.
Sie erzählt von keinem besonderen Schlüsselerlebnis.
Lydia
Sie spüre Gottes Nähe, wenn Situationen im Leben eskalieren würden. In Notsituationen spüre sie, dass der Herr sie umarme.
Sie erzählt, dass durch ihre Scheidung ihr Glaube gewachsen sei. Am Anfang habe sie gefragt, warum Gott das zugelassen habe – jetzt sehe sie, dass Gott sie mit den Jahren stärker gemacht habe.
Landeswechsel / bedeutsames Ereignis Landeswechsel wird nicht thematisiert. Bedeutendes Ereignis: Scheidung.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der Abwesenheit Gottes indirekt
Landeswechsel wird nicht thematisiert. Bedeutendes Ereignis: Scheidung.
Äußere Umstände, positive Reaktionen anderer Menschen werden als Gotteserfahrung gedeutet.
Veränderungen im Leben werden als Gotteserfahrung gedeutet. Fähigkeit, mit den Herausforderungen des Alltags fertig zu werden, wird als Gotteserfahrung gesehen.
Keine Erfahrung der Abwesenheit Gottes, da sie in einer katholischer Familie aufgewachsen sei. Gott sei für sie schon immer da gewesen. Sie zweifle nicht. Gott wolle auch, dass wir 100 % an ihn glauben würden. Sie habe keine Zweifel, dass Gott irgendwann nicht bei ihr sei.
332
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Spanisch Marco
Leon
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Landeswechsel / bedeutsames Ereignis Manchmal Er erzählt von Wird nicht fühle er, dass keinem bethematisiert. Spricht von Gott da sei. Er sonderen fühle seine Schlüsselereiner ArGnade und lebnis. Seine beitsstelle mit Gegenwart Angst, andere vielen verund dass er Menschen zu schiedenen ihn heile. verletzen, Kulturen und Wenn er Gott lässt aber Denominationen. nicht fühlen nach einem könne, habe Schlüsselerer trotzdem lebnis fragen. das Gefühl, Was mag dass seine passiert sein, Liebe da ge- dass er jetzt wesen sei. so vorsichtig vorgehen will? Er berichtet NäheerlebSchwierige nisse in Ent- von zwei Anfangszeit scheidungs- Schlüsselerin Europa. situationen. lebnissen: Die Sprache In seiner Le- Der Landes- nicht zu bebenskrise wechsel von herrschen, sei habe er durch Lateinameri- schwer gewesen. Er habe Hilfe von ka nach seine eigene Menschen er- Österreich fahren, dass und die Tren- Familie sehr Gott immer nung von sei- vermisst. bei ihm gener ersten Bedeutendes wesen sei und Frau. Ereignis: ihm den Weg Scheidung. gezeigt habe.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der Abwesenheit Gottes indirekt Gotteserfahrung durch das eigene Gefühl, dass Gott da sei oder seine Liebe da gewesen sei.
Er kenne das Gefühl der Abwesenheit Gottes. Es sei schlimm. Trotzdem er es nicht fühlen könne, glaube er, dass Gott da sei. Er denke dann, Gott sei »still«.
Gotteserfah- Nicht erfragt rung durch Menschen, die da waren, begleitet und geholfen haben. Gotteserfahrung durch innere Gewissheit, dass Selbstmord kein Ausweg sei.
333
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Spanisch Elena
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Landeswechsel / bedeutsames Ereignis Sie habe sel- Sie sei nach Elena hat ten das Geihrer Scheinach ihrer fühl der Nähe dung mit Scheidung Gottes. Sie ihren drei überlegt, habe wähKindern alwieder in ihr rend des Ge- lein gewesen. Heimatland bets das Ge- Sie habe dann zurückzufühl gehabt, viel geweint, kehren, hat sich dann dass Gott bei gebetet und ihr sei – ein- in der Bibel aber entmal in einer gelesen. Das schieden, Kirche zu Sil- habe sie sehr wieder nach vester – ein- beruhigt. Sie Österreich zu mal bei der habe die Er- kommen und Krankheit fahrung gehier neu anihres Sohnes. macht, dass zufangen. Da sogar als Gott sie ver- Praktische körperliches sorge, z. B. Hilfe, die sie durch eine Gefühl von hier durch neue WohLeichtigkeit Menschen ernung, was ein fährt, deutet und SchweWunder für ben. sie als Versie gewesen sorgung sei. durch Gott.
Gotteserfah- Erfahrung rung / direkt- der Abwesenheit Gottes indirekt Hilfe durch Nicht erfragt Menschen wird als Hilfe Gottes gedeutet. Körpergefühle (Luftzug zu Silvester – Leichtigkeit / Gefühl zu schweben) werden mit der Anwesenheit Gottes verbunden.
Tabelle 2.8 Deutsch Joachim
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Gotteserfahrung / direktindirekt Im Alter von 16 Im Alter von 16 Indirekt durch Jahren habe ihn Jahren habe ihn ein Bewusstsein plötzlich ein plötzlich ein über eine für Bewusstsein Bewusstsein ihn notwendige »überfallen«, »überfallen«, Veränderung in wie Gott sein wie Gott sein seiner GottesLeben sehe. Leben sehe. beziehung. GotEindruck, dass teserfahrung im Gott da gewesen Alltag im Gebet. sei und sehr Alles andere sei massiv zu ihm eher »Deugeredet habe. tung«.
Erfahrung der Abwesenheit Gottes In Zeiten der Verzweiflung sei Gott ein Rätsel.
334
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Deutsch Joseph
Valerie
Johannetta
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Gotteserfahrung / direktindirekt Er erwähnt viele Er wurde sehr Im Nachhinein werden SituaSituationen der jung zum tionen der BeBewahrung im Kriegsdienst Krieg, während eingezogen und wahrung als der Gefangenhat bei der Flak »Wunder« schaft und bei in Toulouse er- wahrgenomseinen vier lebt, wie ein men. Operationen. Bombenteppich Ein konkretes auf ihn zu kam Gefühl der Nähe und 100 m vor Gottes habe er ihm stoppte. nicht gehabt. Sie spüre die Von einem be- NaturbegegNähe Gottes be- sonderen nungen und sonders in der Schlüsselerleb- Begegnungen Natur, in Men- nis erzählt Va- mit Menschen schen, die lasind für sie belerie nicht. chen oder sich sondere Situavon Herzen betionen, die sie schenken, im mit Gott verErlebnis der bindet. Sie fühlt Formen, Farben sich dann von und Ruhe Gott beschenkt. (Petra/Jordanien). Das Gefühl sei für sie so richtig: Woah! (Lautmalerei) Sie gibt an, ein Ein bedeutsaHilfe im Alltag besonderes Ge- mes Ereignis ist durch Menfühl der Nähe schen wird als für sie ihre Gottes nicht zu Emigration mit Führung Gottes kennen. den Quäkern gedeutet. nach England Mehrmaliger im Alter von 15 Länderwechsel Jahren. Ihre Ge- zwischen Engbetssprache ist land und Österbis heute, neben reich wird im der deutschen Nachhinein als Sprache, die Führung Gottes (alt-)englische gedeutet. Sprache
Erfahrung der Abwesenheit Gottes Er berichtet, dass er in den Situationen der Gefahr keinen Kontakt zu Gott hatte, weil er dazu zu angespannt gewesen sei.
Wenn sie in ihrem Ding »rumwurschtle«, wenn sie in den Sackgassen unterwegs sei, dann sei Gott nicht so nah. Durch Drehen um sich selbst schiebe sie Gott raus.
Während der starken Schmerzen bei der Geburt ihrer Kinder habe sie nicht an Gott denken können.
335
Aspekte zur Gottesbeziehung
((Fortsetzung)) Deutsch
Nähe Gottes
Schlüsselerlebnis
Romi
Einmal habe sie ein starkes Gefühl von Liebe empfunden. Es sei ihr zu viel gewesen und sie habe »Aus« geschrien. Sie würde das immer wieder mal so spüren. Es sei so ein »Nähe-DistanzDing«.
Sie bezeichnet die Zeit ihrer Hilflosigkeit nach einer Knieoperation als »Startschuss mit Gott«.
Barbara
Sie berichtet nur zögerlich von einem »Gefühl« der Nähe Gottes. In besonderen Situationen (Autofahrt) denke sie sich, Gott sei da. Zum guten Befund bei einer Krebsnachuntersuchung habe sie sich gedacht, dass Gott das gemacht habe, dass sie wieder gesund sein dürfe.
Sie beschreibt kein besonderes Schlüsselerlebnis. Sie erzählt von zwei Situationen, die noch nicht lange zurückliegen. Eine Autofahrt mit einer Freundin und ihre Diagnose zu einer Krebsnachuntersuchung.
Gotteserfahrung / direktindirekt Sie deutet ein starkes Gefühl von Liebe als Gottesnähe. Gleichzeitig ist dies für sie eine Erfahrung von »zu viel« (Nähe?) und ein Ahnen von »noch mehr«. Ansonsten ist für sie ihr Grundvertrauen, das alles so passe, auch wenn nicht immer alles gut sei, eine Gotteserfahrung. Sie deutet besondere Situationen in ihrem Leben vorsichtig mit Gottesbezug. Sie denke sich, Gott sei da, er habe etwas gemacht. Auf Nachfrage gibt sie an, dass sie das auch gefühlt habe – aber das Gefühl könne auch durch die Situation bedingt sein (Erleichterung nach guter Diagnose).
Erfahrung der Abwesenheit Gottes In Zeiten der Depression habe sie Gott nicht gespürt.
In schweren Zeiten, wo sie keinen Ausweg mehr gesehen habe.
336
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Tabelle 2.9 Deutsch
Joachim
Löcher der Verzweiflung
Wo war Gott Was hat sich Gotteserfah- Erfahrung dadurch ge- rung/ direkt- der »Abwein dieser senheit« indirekt Situation? ändert? Gottes in der Krise Er schildert In solchen Im Nachhin- Gott(-es Gott sei ihm keine konSituationen ein könne er Handeln) dann ein kreten Situa- sei Gott für teilweise entzieht sich Rätsel. tionen. der eigenen ihn ein Rät- Gottes sel. Er wisse »Sicht« ver- Erkenntnis. dann nicht, stehen, erwas Gott kennen oder grad tue nachvollzieoder denke. hen. Er habe dann eine Ahnung davon, warum Gott das so zugelassen habe.
Aspekte zur Gottesbeziehung
337
((Fortsetzung)) Deutsch
Joseph
Löcher der Verzweiflung
Wo war Gott Was hat sich Gotteserfah- Erfahrung dadurch ge- rung/ direkt- der »Abwein dieser senheit« indirekt ändert? Situation? Gottes in der Krise Krisenerfah- Kein Kontakt Er erzählt, Er kann den Wird nicht dass er eiGottesbezug thematisiert. rungen wer- zu Gott in gentlich »nie zu seinen den erst im den »Tiefen erschüttert« Krisen nicht Nachhinein des Lebens«. gewesen sei. herstellen. durch die Als er Er meint zuerlebte Be10 Jahre ist, nächst sei er wahrung zu Gotteserfahstirbt der zu jung rungen. Vater, als er (daher noch 25 Jahre ist, nicht »tief die Mutter. gläubig«) Im Krieg gewesen. überwiegen Später im im RückKrieg oder in blick die Er- der Gefaneignisse der genschaft Bewahrung. war er mit Die Gefander Frage des genschaft Überlebens gehört für beschäftigt. ihn eher zu Sein Körper den »Tiefen und sein des Lebens«. Geist seien angespannt gewesen – zu Gott habe er in diesen Situationen keinen Kontakt gehabt.
338
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Deutsch
Löcher der Verzweiflung
Valerie
Kindheit: Streit der Eltern. – Jugendzeit: zerbrochene, nicht gelungene Freundschaften. – Eine größere gegenwärtige Krise. – Kleine, nicht so wichtige Krisen, die sich durch ihr Leben ziehen. – (Ur-)Angst vor dem Tod ihrer Schwester.
Wo war Gott Was hat sich Gotteserfah- Erfahrung dadurch ge- rung/ direkt- der »Abwein dieser senheit« indirekt ändert? Situation? Gottes in der Krise Keine Erin- Wird nicht Gott hat in In Krisen nerung, was thematisiert. erinnerten meint sie, Gott da für Krisen eher Gott nicht sie bedeutet keine Be»ranzulashabe. deutung, in sen«. Sie – einer gegen- schreibt sich Da habe sie wärtigen selbst hier Gott nicht Krise hat das eine aktive Rolle zu. rangelassen, Gefühl der weil sie geNähe Gottes dacht habe, eine unterdass sie selstützende ber schuld Funktion. sei. – Da sei Gott ganz nah, weil sie sonst alleine nicht durchkäme. – Da habe sie die Hoffnung verloren, dass sich etwas ändern könne, daher lasse sie Gott nichts dran machen. – Da würde Vieles zusammenbrechen.
Aspekte zur Gottesbeziehung
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((Fortsetzung)) Deutsch
Johannetta
Löcher der Verzweiflung
Wo war Gott Was hat sich Gotteserfah- Erfahrung dadurch ge- rung/ direkt- der »Abwein dieser senheit« indirekt ändert? Situation? Gottes in der Krise Emigration Hilfe und Ihre Gebets- Äußere Um- Unter Gemit den Unterstütsprache ist stände wer- burtsQuäkern zung in die- vor allem den (im schmerzen nach Engser Situation Englisch. Nachhinein) nicht an Gott land im Alter sei gewesen, – als Führung gedacht – von 15 Jah- in der Bibel Das Erleben Gottes geansonsten ren (riesen- und einem der Führung deutet. »Abwesengroßes christl. Buch Gottes im heit Gottes« nicht themaLoch). zu lesen. Leben lässt tisiert. – – sie darauf Rückkehr Gott habe ihr hoffen und nach Öster- durch den vertrauen, reich aufTod des Bru- dass Gott sie grund des ders gezeigt, bis zum Todes des dass sie nach Ende führt. Bruders. Österreich – – zurückkeh- Im NachhinUngewissren müsse. ein sei sie heit, ob sie – dankbar für ihre engliEs sei eine ihre zwei schen AusFührung Kinder, obbildungen in Gottes, das wohl ihr alles gut ge- Ehemann Österreich anwenden klappt habe. sich dafür dürfe. – schon zu alt – Bei der Ge- gefühlt habe. Sie habe im burt habe sie Alter von 30 vor lauter Jahren geSchmerzen heiratet, um nicht an Gott Kinder zu denken könbekommen. nen.
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Deutsch
Löcher der Verzweiflung
Romi
Zeit der Hilflosigkeit und Emotionslosigkeit nach einer Knieoperation im Alter von 23/24. – Zeit einer ca. vierjährigen Depression. – Eine aktuelle Krise. Im Moment gehe es ihr nicht so gut.
Barbara
Ihre größte Lebenskrise (inhaltlich nicht genau definiert). – Die schwere Krankheit ihres Kindes. Es habe jahrelang immer wieder am Rande des Todes gestanden.
Wo war Gott Was hat sich Gotteserfah- Erfahrung dadurch ge- rung/ direkt- der »Abwein dieser senheit« indirekt ändert? Situation? Gottes in der Krise Eine tiefe Da sei ein Sie habe das Das sei ihr erste Mal mit Startschuss Krise ist der »Nichts« geVerzweifmit Gott ge- Anlass, ver- wesen. lung nach wesen. zweifelt nach – Gott gefragt. – Gott zu fra- Da sei ein – Es habe ihr gen und in »weit weg« Da sei Gott für ihr Folge erste gewesen. gefühlsmäGotteserfahGrundverrungen zu ßig nicht für trauen gemachen. Im sie da gewe- holfen zu sen, da sei wissen, dass Laufe der Zeit wächst niemand da Gott da ist, gewesen. egal wie es durch die – ihr geht. Krisen ein Sie sei wü– Grundvertrauen, dass tend auf Gott Sie denke, (wobei Gott dass sie Gott da sei etwas davon und dass das dann eher nah sei). habe. ausreiche. Hier habe sie Sie habe Indirekte Sie habe sich sich von Gott etwas gelernt Gotteserfah- in der Krise jahrelang an und sich rung: Hilfe von Gott der Nase durch diese durch ande- verlassen geherum geKrise verän- re Menschen fühlt und im führt gedert. Im und RückNachhinein fühlt. Nachhinein schau auf gemerkt: Er – sehe sie, dass überwunde- sei immer da In dem Mo- Gott sie ne Krisen. In gewesen. ment, wo sie durch ihre der Krise gedacht Ahnungslo- Gefühl der habe: »Liesigkeit geAbwesenheit ber Gott, schützt Gottes. dich gibt es habe. nicht!«, sei – die notwen- Im Nachhindige Hilfe ein (ein Jahr gekommen. später) habe sie gedacht, dass Gott ja überall sei und dass er da mitgegangen sei.
Aspekte zur Gottesbeziehung
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Gemeinsamkeiten Von einem Erlebnis der Nähe Gottes wird in den einzelnen Sprachsamples sehr unterschiedlich berichtet. Es gibt Personen, die von sich sagen, dass sie noch kein Erlebnis oder Gefühl der Nähe Gottes hatten (Leyla, Joseph, Johannetta). Einige erleben die Nähe Gottes eher im Alltag (Amir, Mara) oder im Gebet (Mara, Fahir), andere bei besonderen Gelegenheiten, wie in Notsituationen (Denisa, Lydia, Elena), durch besondere Ereignisse (Miguel), als sie zum christlichen Glauben gefunden haben (Amir, Mara) oder kurz davor (Dian, Melinda, Miguel, Joachim, Romi). Gottes Nähe wird durch die eigenen Gedanken (Dian, Joachim) oder Gefühle (Fahir, Mara), durch die Unterstützung von Menschen (Amir, Marius, Leon, Valerie) oder die Natur (Valerie) erlebt. Von körperlichen Gefühlen berichten Yara (Trost in Traurigkeit, als ob jemand über den Hinterkopf streichelt), Dorita (2–3mal Gottes Anwesenheit gespürt), Lydia (wie eine Umarmung), Marco (fühlt Gottes Gegenwart), Elena (Gefühl von Leichtigkeit) und Romi (zu starkes Gefühl von Liebe). Einige der Interviewten berichten, dass Gott zu ihnen indirekt (Dian, Melinda, Joachim) oder direkt (Eugen) gesprochen hat oder sie mit Gott (Dian). Im Nachhinein als Erlebnis der Nähe Gottes deutet Tereza ihre Fluchterfahrung, Marius seinen gelungenen Hauptschulabschluss, Joseph die Bewahrung im Krieg und bei Operationen und Barbara ihre postoperative Diagnose und das Erlebnis bei einer besonderen Autofahrt. Von den im Interview erzählten Schlüsselerlebnissen, die unter Umständen nicht deckungsgleich sind mit den Antworten auf die Frage nach einem Erlebnis der Nähe Gottes, sind die Erlebnisse von Amir, Mara, Melinda, Miguel, Joachim und Romi mit dem Christ bzw. Christin Werden verbunden, mit besonderen Lebensereignissen die Berichte von Mara, Yara, Dian, Thereza (Flucht) – Leon, Johannetta (Landeswechsel) – Lydia, Leon, Elena (Scheidung) – Denisa, Barbara, Elena (Unfall oder Krankheit des eigenen Kindes) – Joseph (Bewahrung im Krieg) – Marius (Gründung einer neuen Gemeinde) oder einer besonderen Alltagsbegegnung (Eugen). In den Interviews mit Leyla, Fahir, Corvin, Dorita, Marco und Valerie kommen keine besonderen Schlüsselerlebnisse vor. Nimmt man die Schlüsselerlebnisse, die Erlebnisse, in denen Gottes Nähe erlebt wurde, und weitere Aussagen aus den Interviews zusammen, berichten die Einzelnen eher von indirekten Gotteserfahrungen: durch die Situation, das eigene Leben, den Alltag, die Natur (Leyla, Fahir, Dorita, Valerie) durch äußere Umstände (Miguel, Lydia) durch andere Menschen (Amir, Melinda, Eugen, Marius, Lydia, Leon, Elena, Johannetta)
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
durch eigene Gefühle (Mara, Yara, Thereza, Marco, Elena, Romi) durch das Gefühl, von Gott beschenkt zu sein (Leyla, Valerie) durch eigene Gedanken (Dian, Thereza, Joachim) durch die Bibel (Fahir) durch eine Predigt (Melinda) durch Gebet (Mara, Fahir, Joachim) durch Erleben von ungewöhnlicher Durchhalte-Kraft beim Unfall des eigenen Sohnes (Denisa) durch die Atmosphäre einer Veranstaltung (Corvin). Eine Aussage über eine »direkte« Gottesbegegnung findet sich nur bei Eugen (hören). Eine nachträgliche Deutung von Ereignissen als Gotteserfahrung findet sich bei Mara, Yara, Dian, Thereza (Flucht), Johannetta (Landeswechsel als Führung Gottes), Marius (Prüfung), Joseph (Bewahrungen) und Barbara (besondere Situationen) Unterschiede Farsisprachiges Sample: Besonders hervorstechende Themen sind hier die eigene Flucht, die auch im Nachhinein als Gotteserfahrung gedeutet wird (Mara, Yara und Dian), und der »neue Glaube von den Christen«, so wie Leyla es formuliert. Leyla, Amir, Mara, Fahir, Yara und Dian machen dies in der ein oder anderen Form zum Thema: Leyla erlebt ihren Glauben als eines der Geschenke von Gott. Für Amir ist der neue Glaube verbunden mit einem Erleben der Nähe Gottes durch andere Menschen. Seine Metapher bezieht sich ausschließlich auf das Entdecken neuer Qualitäten Gottes, was ihm durch die Begegnung mit anderen Christen in seiner Gemeinde ermöglicht wurde. Mara beschreibt, wie sie das erste Mal zu Gott als einem Vater gebetet habe und dass es ein sehr schönes Gefühl gewesen sei. Ihre Metapher spiegelt insgesamt ein Erleben der Nähe Gottes wider. Fahir erlebt die Nähe Gottes in einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Gitarre Spielen und Singen. Später371 erzählt er etwas mehr über den Unterschied zu seiner Gottesvorstellung in früheren Zeiten. Yara deutet von ihrer neuen Gottesvorstellung her, dass Gott mit Menschen Pläne hat, dass sich diese »Planung« Gottes in ihrer Flucht zeigt. Dian formuliert so, dass er alles verlassen und dadurch Gott und die Wahrheit erst gefunden habe. Er spricht davon, dass Gott ihm näher ist als das eigene Blut. Auffällig oft wird von den Einzelnen betont, dass sie Gott nun spüren können, gegenüber einer vorhergehenden Gottesvorstellung von einem distanzierten 371 Vgl. 4.2.2 (3)Früher < > Jetzt, 346.
Aspekte zur Gottesbeziehung
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Gott, »im Himmel«, weit weg. Im Vergleich mit dem, was vorher war, scheint das Spüren der Nähe Gottes für die einzelnen Befragten eine ganz besondere Bedeutung zu haben – mehr als für die Personen der weiteren Sprachsamples. Rumänischsprachiges Sample: Auch in diesem Sample werden Flucht bzw. Landeswechsel thematisiert. Thereza erzählt von ihrer dramatischen Flucht und wie sie im Nachhinein sieht, dass Gott ihr geholfen hat, nicht zuletzt auch durch eigene ungeahnte Fähigkeiten (Sprache lernen) und andere Menschen, die ihr geholfen haben, eine neue Existenz aufzubauen. Alle anderen Personen haben keine Flucht hinter sich, sondern sind nach 1989, nach der Öffnung der Grenzen, legal nach Österreich gekommen. Aber auch sie thematisieren Gottes- bzw. Schlüsselerlebnisse, die mit dem Landeswechsel verbunden sind. Melinda spricht von einem sehr schwierigen Anfang in Österreich, bei dem sie vor allem die Gemeinde und die Jugendgruppe als Unterstützung erlebt hat. Auch Denisa spricht von einem intensiveren Erleben von Glaube und Gemeinschaft. Die Gemeinschaft habe ihr beim Neuanfang in Österreich geholfen, nicht verwirrt zu sein. Eine neue Sprache zu lernen, kann auch zu einem Erlebnis der Hilfe Gottes werden (Marius, Thereza), ebenso wie ein erfolgreicher Hauptschulabschluss. Gott scheint hier durchweg eine unterstützende, helfende Funktion zuzukommen. Und auch die Gemeinschaft mit anderen Christen hat eine wesentliche Bedeutung. Corvin, der in Österreich geboren ist, betont auch die Atmosphäre in der Gemeinschaft mit anderen rumänischen Jugendlichen. Dies ist der Platz für ihn, wo er in einer Atmosphäre, in der für ihn alles passt, Gottes Nähe spüren kann. Eugens Gotteserlebnis ist eher mahnender Natur. Darüber hinaus ist es für ihn wichtig, dass er ihm Hinblick auf seine durch den Landeswechsel erschwerte Berufssituation auf Gott vertrauen kann. Spanischsprachiges Sample: Gegenüber dem rumänischsprachigen und dem farsisprachigen Sample tritt im spanischsprachigen das Thema Landeswechsel zurück. Für Miguel und Elena ist es eher positiv besetzt, und sie sind dankbar für die (von Gott gegebenen) Möglichkeiten von Arbeit, Wohnung, Krankenversorgung. Leon betont die Schwierigkeiten, die er in der ersten Zeit in Österreich hatte und wie er dort Gottes Hilfe erfahren hat. Ein weiteres Schwerpunktthema ist das Thema Scheidung und in Folge davon die schwierige Situation der Alleinerziehenden. Dorita, Lydia, Leon und Elena erwähnen ihre eigene Scheidung als ein für sie lebensbedeutendes Ereignis, das auch verändernden Charakter für ihren Glauben hatte. Mehrere Personen (Dorita, Lydia, Marco, Elena) sprechen von einem körperlichen Fühlen der Nähe Gottes. Leon spürt die Nähe Gottes eher durch die Unterstützung von Menschen. Ähnlich wie bei Eugen hat auch das Näheerlebnis
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
von Miguel eher einen mahnenden Charakter. Der Gedanke der Abwesenheit Gottes scheint für Dorita und Lydia eine Art unerlaubter Zweifel zu sein, während Marco das Gefühl kennt, aber davon überzeugt scheint, dass Gott auch da ist, wenn er ihn nicht fühlt. Hier finden wir eher eine Gefühlsskepsis. Der eigene Glaube soll nicht vom Gefühl abhängig gemacht werden. Im deutschsprachigen Sample: Eine deutliche Zurückhaltung im Blick auf Erlebnisse der Nähe Gottes ist im deutschsprachigen Sample erkennbar. Joseph und Johannetta sagen, dass sie ein Erlebnis der Nähe Gottes nicht kennen, erzählen dann aber doch von Situationen in ihrem Leben, die sie im Nachhinein mit Gottesbezug als Führung oder Wunder deuten. Barbara spricht nur zögerlich von einem »Gefühl« der Nähe Gottes und hinterfragt dann gleich wieder, ob es nicht doch nur die eigene Erleichterung gewesen sei, die sie aufgrund der guten Diagnose nach ihrer Krebstherapie gespürt habe. Joachim beschreibt sein Näheerlebnis als ein plötzliches Bewusstsein darüber, was sich in seinem Leben ändern sollte, und sieht darin ein indirektes »Reden Gottes«. In alldem spiegelt sich, ähnlich wie im spanischsprachigen Sample, eine Art Gefühlsskepsis wider. Es scheint wichtig, den eigenen Glauben nicht vom Gefühl abhängig zu machen. Valerie erlebt, wie sie es auch in ihrer Materialcollage darstellt, Vieles, was ihr begegnet als Geschenk Gottes, besonders die Natur und andere Menschen, und damit ist für sie auch ein Gefühl der Nähe Gottes verbunden. Von einer emotional besonderen Situation berichtet Romi, die ein Gefühl, was sie mit Liebe beschreibt, erlebt hat, dass ihr selber zu viel war. Ansonsten wird, verglichen mit dem farsisprachigen Sample, im deutschsprachigen Sample eher selten von einem »Spüren« der Nähe Gottes gesprochen. Löcher der Verzweiflung: Um Krisenzeiten noch einmal besonders zu thematisieren, ist im deutschsprachigen Sample die Übung Löcher der Verzweiflung ergänzt worden. Gott wird von den einzelnen Personen in ihren, auch verschiedenen, Krisen sehr unterschiedlich erlebt. Krisen, in denen Gott für sie nicht spürbar oder auch kein Thema war, schildern Joseph (war mit Überleben beschäftigt), Valerie (wobei sie sich selbst die aktive Rolle zuschreibt – sie dränge Gott da raus), Johannetta (hat unter Geburtsschmerzen nicht an Gott denken können), Romi (Depression) und Barbara (hat sich in ihrer größten Krise von Gott verlassen gefühlt). Von einer eher kognitiven Auseinandersetzung mit Gott während persönlicher Krisenzeiten spricht Joachim (Gott sei ihm ein Rätsel und er würde gerne verstehen), von einer eher emotionalen Auseinandersetzung sprechen Romi (sie sei wütend auf Gott gewesen) und Barbara (spricht indirekt auch von Wut: Gott habe sie an der Nase herumgeführt). Eine Unterstützung in der Krise ist ihre Gottesbezie-
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hung für Johannetta (Unterstützung durch Lesen der Bibel und christlicher Bücher), Valerie (Gott sei ganz nah, weil sie es alleine nicht schaffen würde) und Barbara (Hilfe, die gerade noch rechtzeitig kommt). Romi spricht davon, dass eine große Krise nach einer Operation für sie der Beginn ihrer Gottesbeziehung war (Startschuss mit Gott), weil sie das erste Mal nach Gott gefragt habe. Wenn die einzelnen Personen jetzt auf ihre Krisenzeiten – auch auf die, in denen Gott für sie nicht relevant gewesen schien – schauen, können einige sagen, dass sie Gott mehr verstehen (habe eine Ahnung davon, warum … – Joachim) – sie in Krisen bewahrt (Joseph, Barbara), unterstützt (Valerie), geführt (Johannetta), begleitet (Barbara), verändert (Barbara) worden sind – etwas gelernt haben (Barbara) oder das (Grund-) Vertrauen gewachsen ist (Romi). Abwesenheit Gottes Die Frage nach der Abwesenheit Gottes ist erst nach und nach in die Untersuchung eingeführt worden, daher sind die Angaben dazu nicht vollständig. Auffällig ist, dass im farsisprachigen Sample – ohne, dass die Frage gestellt wurde – oft angesprochen wurde, dass Gott früher »weit weg« gewesen sei. Das führte während der Analyse der Interviews dazu, dass die Kategorie »Früher – Jetzt« eine besondere Beachtung bekam und auch geschaut wurde, was die Interviewten aus den weiteren Sprachsamples dazu sagen: 4.2.2(3). Im rumänischsprachigen Sample ist es nur Denisa, die nach einem Gefühl der Abwesenheit Gottes gefragt wurde. Sie hat in einem ungelösten Konflikt mit ihrer Schwester erlebt, dass ihr ein direkter Kontakt zu Gott nicht möglich war. Im spanischsprachigen Sample fällt auf, dass Dorita und Lydia ein Gefühl von Abwesenheit Gottes als unerlaubten Zweifel deuten. Auch Marco besteht darauf, dass Gott eigentlich nicht abwesend sein kann, wenn er ihn subjektiv nicht wahrnimmt. Er ist seinem Gefühl gegenüber skeptisch und deutet, dass Gott da ist, aber still. Im deutschsprachigen Sample wird das Gefühl der Abwesenheit Gottes mehrfach thematisiert. Als Gründe, Gott im Alltag oder in besonderen Lebenssituationen nicht wahrzunehmen, werden oft Ursachen, die beim Menschen selbst liegen, angegeben: Angespanntheit aufgrund von lebensbedrohlichen Situationen oder Schmerzen (Joseph, Johannetta), sich um sich selbst Drehen (Valerie), Depression (Romi), subjektives Gefühl der Verlassenheit (Barbara). Gott selber wird in seinem »Da-Sein« nicht in Frage gestellt. Insgesamt wird durch die Frage nach dem Erlebnis der Nähe (und der Abwesenheit) Gottes und dem Mitteilen von Schlüsselerlebnissen in den Interviews die Bedeutung von kritischen Lebensereignissen als verändernde Impulse für die Gottesvorstellung deutlich. In den fremdsprachigen Samples wird häufig die Flucht (vor allem im farsisprachigen Sample) oder auch der Landeswechsel (im rumänischsprachigen und spanischsprachigen Sample) thematisiert, auch das Thema Scheidung kommt häufig vor (ausschließlich im spanischsprachigen
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Sample). Weitere lebensbedeutende Ereignisse sind Krieg, Krankheiten, Operationen und Krankheiten oder Unfälle der eigenen Kinder, die im deutschsprachigen Sample unter anderem durch die Übung »Löcher der Verzweiflung« thematisiert wurden. Nach einem Eingehen auf den Aspekt »Früher – Jetzt« wird noch einmal die Frage gestellt, was sich in Bezug auf die Gottesvorstellung der Einzelnen verändert hat und was das im Vergleich der Sprachsamples untereinander bedeutet. 4.2.2.3 Früher – Jetzt Beim Betrachten des Farsi Samples fällt auf, dass die Interviewpartnerinnen und -partner ihre jetzige Gottesbeziehung oft mit dem vergleichen, wie ihre Gottesbeziehung früher für sie war, bzw. jetzt in ihrer Erinnerung im Rückblick erscheint. Hier handelt es sich um eine Kategorie, die so in den Fragen des halbstrukturierten Interviews nicht vorgesehen war. Auch in den anderen Interviews finden sich bei näherem Hinsehen Aussagen dazu oder es kann aus dem Gesagten auf diese Kategorien »Früher – Jetzt« geschlossen werden, wie hier in den folgenden Tabellen 3.1–3.4. dargestellt ist. Tabelle 3.1 Farsi Früher Leyla Seit sie klein gewesen sei, habe sie immer gesagt, Gott sei oben, im Himmel. Als sie klein gewesen sei, habe sie nicht geglaubt, dass Gott eine Verbindung mit den Menschen habe. Als sie klein gewesen sei, habe sie gesagt, das Gott »große, große Augen« habe, was sie richtig oder falsch machen würde, Gott wisse es. Als sie klein gewesen sei, habe sie gedacht, dass der Mensch, der das Gute mache, bei Gott sei, und der das Schlechte tue, immer bei diesem warmen Ort sei. Amir Früher sei er in der Dunkelheit gewesen und habe nicht sehen können, was in dieser Welt passiere. – Früher sei Gott für ihn im Himmel gewesen und nicht immer nah.
Jetzt Jetzt wisse sie, dass er auch bei uns Menschen und in unserem Herzen sei. Jetzt wisse sie durch die Bibel, dass Gott mit Jesus eine Verbindung gehabt habe. Jetzt wisse sie, dass Gott auch vergeben könne. Sie denkt das immer noch und fragt sich, ob das so richtig ist.
Als er in die Gemeinde gekommen sei, sei es für ihn das erste Mal gewesen, dass er Gott so nahe gefühlt habe. – Jetzt sei Gott in seinem Herzen und mehr als nah. Jetzt habe er mehr Liebe und Geduld für andere Menschen.
Aspekte zur Gottesbeziehung
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((Fortsetzung)) Farsi Früher Mara Früher sei Gott für sie weit entfernt gewesen. Sie habe ihn nicht gefühlt. Sie habe nach Gott gesucht, aber nicht gefühlt, dass Gott bei ihr oder in ihr sei.
Jetzt Jetzt fühle sie, dass Gott in der Nähe sei. Mit ihm zu sprechen, sei ein schönes Gefühl. Sie fühle immer, dass Gott mit ihr sei und sie ihm vertrauen könne. Fahir Er habe gedacht, er kenne Gott und Er fühle und verstehe jetzt mehr davon. habe gefragt, wo er sei, und auch geSein Glaube sei gewachsen. Er sehe jetzt betet. Er habe auch Gottes Hilfe erfah- den Segen Gottes in seinem Leben. Er ren, weil Gott liebe. Aber er habe kei- sehe sich in Gottes Hand. nen Glauben gehabt. Einige Situationen habe er als Strafe Gottes auf eigene Fehler interpretiert und keine Nähe Gottes gefühlt. Yara Früher habe sie schlechte Erfahrungen Jetzt fühle sie Gottes Nähe und Trost. Es mit ihrem Glauben gemacht und habe sei ein schönes Gefühl zu wissen, dass dann den Wunsch, Christin zu sein, sie sich an Gott wenden könne. gehabt. Dian Früher habe er Leben, Geld und eine Er habe in Österreich Gott gefunden. gute Familie gehabt. Er habe das alles Er suche die wahre Religion, die verlassen, um Gott zu finden. Wahrheit und ihre Wurzel. Gott sei ihm näher als das eigene Blut. Tabelle 3.2 Rumänisch Früher Melinda Nicht thematisiert. Tereza Bis zum Alter von 35 Jahren sei sie orthodoxe Christin gewesen: Da habe sie keine permanente Beziehung zu Gott gehabt und nicht gemerkt, wie Gott sie beschütze und ihr gute Sachen zur Verfügung stelle. Früher habe sie ein Wissen um Gott gehabt. Es habe das Bittgebet gegeben, aber wenig Dank . Eugen Marius
Früher habe in seinem Leben das Technikstudium eine große Rolle gespielt. Er habe Sachen gemacht, wo man ihn nicht habe als Christ erkennen können (»Gebrochen Sein«). Er sehe sich durch religiöse Sozialisation geschützter als Gleichaltrige.
Jetzt Nicht thematisiert. Im Alter von 35 bis 45 Jahren habe sie durch Sündenerkenntnis eine lebendige Beziehung zu Gott gehabt. Nach ihrer Flucht aus Rumänien im Alter von 45 Jahren habe sie Gottes Gnade ganz neu erfahren: als Hilfe und Versorgung Gottes (durch Menschen und eigene Fähigkeiten, zum Beispiel eine neue Sprache zu lernen). Jetzt sei es für ihn wichtiger, auf Gott zu vertrauen als sich auf die richtige Ausbildung zu verlassen. Jetzt fühle er sich »ganz vor Gott«.
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Rumänisch Früher Denisa Früher habe sie sich als Christin in Rumänien äußerlich unterscheiden müssen – durch Kopftuch tragen. Corvin Nicht thematisiert.
Jetzt Jetzt wisse sie, dass es auf das Innere ankomme. Nicht thematisiert.
Tabelle 3.3 Spanisch Früher Miguel Früher habe er sich mit seinem Freund bewusst vorgenommen, etwas »Unerlaubtes« zu tun. Dorita
Lydia
Früher sei sie katholisch gewesen und habe den Herrn nicht persönlich kennen gelernt. Sie habe an die Existenz Gottes geglaubt. Gott habe schon mit ihr geredet, nur sei das Hören schwierig, da sie keine richtige Verbindung gehabt habe. Früher sei sie auch gläubig gewesen.
Marco
Früher habe er Menschen verletzt. Er sei auch selber verletzt worden: Der Film und die Scherben würden sein früheres Leben symbolisieren, bevor er Christ geworden sei.
Leon
Früher habe seine Mutter für ihn gebetet. Er selber habe da noch keinen Gottesbezug gehabt.
Jetzt Jetzt wisse er um Gottes Bereitschaft für ihn, wenn er verletzt sei oder schuldig werde. Jetzt habe sie den Wunsch, Gott mehr im Alltag zu erleben. Sie wolle sich nicht von Emotionen leiten lassen, sondern geduldig auf Gottes Handeln warten. Das Gebet zu Jesus schaffe ihr Erleichterung. Seit ihrer Scheidung habe ihre »Bekehrung ganz komplett angefangen«. Ihr Vertrauen in Gott sei gewachsen. Sie habe eine lebendige Beziehung mit Gott und sei durch ihre Situation persönlich gewachsen. Jetzt müsse er immer noch vorsichtig sein, sei aber durch die Gnade Gottes auf einem sicheren Weg, trotz seiner Aggressivität, die ihn, wenn er Ungerechtigkeit erlebt, immer wieder einholt. Jetzt habe er durch seine Krisenerfahrungen (Wechsel nach Österreich und Scheidung) eine Verbindung zu Gott.
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((Fortsetzung)) Spanisch Früher Elena Früher sei sie auch glücklich gewesen, aber Gott sei für sie weit weg gewesen.
– Früher habe sie sich Gedanken gemacht, was mit ihren Kindern geschehen würde, wenn ihr etwas passiere.
Jetzt Jetzt sei ihr Gott besonders nah, wenn sie glücklich sei, daher sei sie sehr dankbar. Nach ihrer Scheidung habe sie sich entschieden für Gott da zu sein, sonst sei sie kein guter Mensch, weil sie ja von Gott so viel bekommen habe. Jetzt habe Gott die erste Stelle in ihrem Leben. – Jetzt habe sie die Gewissheit, dass Gott bei ihr sei und ihr nichts passiere.
Tabelle 3.4 Deutsch Joachim
früher Früher sei er religiös gewesen (katholisch) und Gott habe irgendwo einen Platz in seinem Leben gehabt. Er selber sei der Mittelpunkt seines Lebens gewesen und habe eher eine geschäftliche Beziehung zu Gott gehabt (do ut des). Er sei früher (als Kind) noch nicht so »tief gläubig« gewesen.
jetzt Jetzt sei er getragen vom Vertrauen, dass Gott ihn hält.
Jetzt sei er dankbar für jeden Tag, den Gott ihm schenke. Jetzt sei die Gemeinde sein zweites Zuhause. Valerie Wird nicht thematisiert. Jetzt fühle sie sich durch Begegnungen mit Menschen und Natur von Gott beschenkt. Johannetta Schon in ihrer Jugend, während Jetzt vertraue sie auf Gottes Führung ihrer Schul- und Ausbildungszeit in bis zum Ende. England habe sie in der Bibel gelesen – das habe sie unterstützt. Romi Früher habe sie versucht zu verste- Jetzt sei es nur ein Ahnen, aber das hen und zu diskutieren. reiche. Grundvertrauen, dass Gott da sei. Barbara Als sie jung gewesen sei oder in der Jetzt gehe der Blick auf die »andere Lebensmitte, habe sie sich nicht so Seite«. Es werde relevant und vorinteressiert für das, was mal sein dergründig, wohin die Reise gehe. werde. Joseph
Fast alle Interviewpartnerinnen und -partner sprechen von sich aus an, dass ihre Gottesvorstellung (bzw. ihre Glaubenspraxis) früher einmal anders war, abgesehen von Valerie und Corvin, die jüngsten Personen und Melinda, die sehr mit einer gegenwärtigen Krise beschäftigt ist. Johannetta sagt etwas über ihre frü-
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
here Gottesbeziehung, allerdings ohne eine Veränderung zu konstatieren. Barbaras Aussagen, die in die Kategorie früher und jetzt einzuordnen sind, beziehen sich weniger auf ihre Gottesvorstellung, als vielmehr auf ihre Lebenssituation. Oft ist ein spezifischer religiöser oder konfessioneller (bzw. denominationeller) Hintergrund erkennbar, auf den sich die Einzelnen bei ihren Aussagen über »früher« beziehen. Farsisprachiges Sample: Rumänischsprachiges Sample: Spanischsprachiges Sample: Deutschsprachiges Sample:
Islam: Alle Interviewten Orthodoxe Kirche: Tereza Baptistengemeinde: Melinda, Eugen, Marius, Denisa, Corvin Katholische Kirche: Dorita, Elena Freikirche: Marco Baptistengemeinde: Leon Katholische Kirche: Joachim, Romi Evangelische Kirche: Joseph, Johannetta Baptistengemeinde: Valerie, Barbara
Miguel und Lydia geben nicht an, welches ihr früherer konfessioneller Hintergrund war. Da alle Interviewpartner und -partnerinnen nun Mitglieder in Baptistengemeinden sind, ist deutlich, dass bei den Teilnehmenden aus dem farsisprachigen Sample eine Konversion vom Islam zum Christentum stattgefunden hat und bei einigen Teilnehmenden aus den anderen Sprachsamples eine innerchristliche Konversion von der Mitgliedschaft einer christlichen Kirche (orthodox – katholisch – evangelisch – freikirchlich) zur Mitgliedschaft in einer Baptistengemeinde. Für einige der Teilnehmenden geht mit ihrem Religions- oder Konfessionswechsel auch eine Veränderung der Gottesvorstellung einher bzw. mit der veränderten Gottesvorstellung ein Religions- oder Konfessionswechsel. Farsisprachiges Sample: Besonders auffällig ist vor allem im farsisprachigen Sample die Betonung des Fühlens der Nähe Gottes, die durch eine veränderte Gottesvorstellung möglich geworden ist. Früher sei Gott weit weg gewesen (Leyla – Amir – Mara – Elena) und trotz Gebeten keine Nähe spürbar und kein Glaube vorhanden (Fahir). Jetzt gebe es ein Wissen um die Nähe Gottes (Leyla) oder ein Spüren derselben (Amir – Mara – Fahir – Yara – Dian). Rumänischsprachiges Sample: Thereza beschreibt es ähnlich: Sie habe keine »permanente« Beziehung zu Gott gehabt und nicht gemerkt, wie er in ihrem Leben handle. Nun habe sie eine lebendige Beziehung zu Gott und ein erweitertes Verständnis von seiner Gnade.
Aspekte zur Gottesbeziehung
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Spanischsprachiges Sample: Dorita spricht davon, dass sie keine richtige Verbindung zu Gott gehabt habe. Lydia erwähnt eine neue Qualität von Beziehung: Nachdem sie früher auch gläubig gewesen sei, habe sie nun eine »lebendige« Beziehung mit Gott. Elena berichtet, dass Gott für sie weit weg gewesen sei, aber jetzt besonders nah sei. Miguels und Marcos Aussagen über »früher« betreffen eher ihre Glaubenspraxis. Beide beschreiben ein früheres Fehlverhalten und dass sie jetzt um die Gnade Gottes (Bereitschaft Gottes für mich–Miguel) wissen. Deutschsprachiges Sample: Joachim stellt eine frühere Geschäftsbeziehung zu Gott einem Vertrauen, das er jetzt hat, gegenüber. Joseph meint, er sei früher nicht so tief gläubig gewesen. Romi habe früher versucht zu verstehen und zu diskutieren, aber nicht an eine Existenz Gottes geglaubt. Jetzt habe sie ein Grundvertrauen, dass Gott da sei. Auch die Personen, die in einer baptistischen Familie aufgewachsen sind, sprechen von Veränderungen. Im rumänischsprachigen Sample beziehen sich Eugen, Marius und Denisa auf ihre frühere Glaubenspraxis. Wobei Eugen von falschen Prioritäten, Marius von Fehlverhalten (Gefühl von Gebrochen-Sein) und Denisa von der Bedeutung von Äußerlichkeiten spricht. Ihre Gottesbeziehungen sind nun geprägt von Vertrauen (Eugen), Gefühl von Ganz-Sein (Marius) und Betonung des Inneren (Denisa). Es scheint nicht mehr wesentlich, sich »richtig« zu verhalten. Im spanischsprachigen Sample erwähnt Leon, dass er, obwohl er in einer baptistischen Familie groß geworden sei und seine Mutter für ihn gebetet habe, keinen Gottesbezug gehabt habe. Jetzt habe er durch seine Krisenerfahrungen eine Verbindung zu Gott. Alle oben genannten Personen beschreiben ihre Gottesbeziehung im Rückblick als defizitär : Es gab ein Wissen um die Existenz Gottes, aber die Beziehung war entweder nicht vorhanden oder aus ihrer heutigen Perspektive nicht ausreichend. Anders bei Johannetta, die auch über ihre Jugendjahre sagt, dass sie ihre Gottesbeziehung als unterstützend erlebt hat. Was hat sich geändert und wodurch hat es sich geändert? Veränderungen die Gottesbeziehung (emotionaler Anteil der Gottesvorstellung) betreffend Veränderung liegt im Beginn einer Gottesbeziehung Von dem Beginn einer Gottesbeziehung gegenüber einem bloßen Wissen um die Existenz Gottes berichten Leyla, Amir, Mara, Yara, Dian. Leon erzählt, dass bei ihm eine Gottesbeziehung trotz Aufwachsen in einer Baptistenfamilie auch erst im Erwachsenenalter begonnen hat. Von dem Beginn einer Gottesbeziehung
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
gegenüber dem Annehmen einer Nichtexistenz Gottes berichtet Romi. Die Veränderungen wurden nach den Aussagen der Befragten unter anderem durch die Bibel (Leyla), durch andere Christen (Amir), durch die eigene Flucht (Dian), durch den Landeswechsel und schwere Krisen (Leon), durch Krankheit und Erfahrung von eigener Hilflosigkeit (Romi) ausgelöst.
Veränderung liegt in einer neuen Qualität der Gottesbeziehung Bei Mara hat sich ihre Gottesvorstellung von einem Gott, den sie weit weg dachte, zu einer vertrauensvollen Gottesbeziehung verändert, in der sie Gott als »Vater« anspricht – was für sie beim ersten Mal ein besonders schönes Gefühl gewesen sei – und als »umarmende Mutter« (ihre Metapher) gestaltet. Fahir spricht davon, dass er jetzt mehr von Gott verstehe und fühle. Früher habe er Gott zwar gekannt, aber nicht (an ihn) geglaubt. Sein Glaube sei mehr geworden. Er kann nun den Segen Gottes in seinem Leben erkennen und sieht sein Leben in Gottes Hand. Hier ist eine vertrauensvolle Beziehung gewachsen. Yaras Fluchterlebnis führt in der nachträglichen Deutung dazu, dass sie darin eine »Planung« Gottes sehen kann. Nach einem eher schwierigen Erleben mit der praktizierten Religion in ihrem Heimatland wächst nun eine vertrauensvolle Gottesbeziehung, in der sie Trost erlebt und von der sie selber sagt, dass sie sich jederzeit an Gott wenden könne. Durch den Neuanfang in Österreich meint Tereza, Gottes Gnade (durch andere Menschen und eigene Fähigkeiten) ganz neu erfahren zu haben. Von einer »lebendigen« Gottesbeziehung gegenüber einer zuvor kaum spürbaren sprechen Tereza und Lydia. Letztere spricht auch davon, dass durch die schwierige Zeit um ihre Scheidung herum ihr Glaube gewachsen sei, Gott habe sie stärker gemacht. Eine besondere Qualität ist das oben schon erwähnte Spüren der Nähe Gottes für Leyla, Amir, Mara, Fahir, Yara, Dian und Elena. Elena erwähnt, dass sich die Veränderung besonders nach ihrer Scheidung eingestellt habe. Joachim berichtet davon, dass sich seine »Geschäftsbeziehung« zu Gott in eine vertrauensvolle Beziehung gewandelt hat. Joseph spricht von Dankbarkeit, die seine jetzige Gottesbeziehung kennzeichnet. Im farsisprachigen Sample ist erkennbar, dass die Veränderung durch ein Kennenlernen einer neuen, eben der christlichen Gottesvorstellung bewirkt wird. Durch das eigene Lesen der Bibel oder durch andere Christen entsteht ein neuer Zugang, der neue Erfahrungen bzw. eine neue Deutung von Erfahrungen ermöglicht. Es wird möglich, anders zu beten, Gott anders anzusprechen (»Vater« – Mara) oder z. B. im Rückblick die eigene Flucht als eine von Gott gewollte und bewirkte zu deuten (Yara). Im spanischsprachigen Sample berichten Lydia, Leon und Elena, dass sich die Qualität ihrer Gottesbeziehung (gewachsenes Vertrauen, lebendige Beziehung,
Aspekte zur Gottesbeziehung
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Verbindung zu Gott, besondere Nähe Gottes) vor allem durch Krisenerfahrungen verändert hat. Veränderungen das Gottesverständnis betreffend Im farsisprachigen Sample wird in Bezug auf eine frühere Gottesvorstellung häufig die räumliche Distanz zwischen Mensch und Gott betont, die so beschrieben wird, dass Gott im Himmel verortet (Leyla, Amir) oder als weit entfernt gedacht wird (Mara) und keine Verbindung mit den Menschen hat (Leyla). Auch im spanischsprachigen Sample spricht Dorita davon, dass Gott für sie weit weg gewesen sei. Die Aussagen, dass Gott früher weit weg oder im Himmel verortet wurde, betreffen eher den kognitiven Anteil der ehemaligen Gottesvorstellung, das Gottesverständnis, während die Aussagen über die jetzige Gottesvorstellung eher den emotionalen Anteil, die Gottesbeziehung betreffen. Das wird dann so ausgedrückt, dass Gott jetzt spürbar nahe sei (vgl. Veränderungen die Gottesbeziehung betreffend). Leyla hatte früher die Vorstellung davon, dass Gott Fehlverhalten beobachtet und Menschen, die Schlechtes getan haben, in die Hölle gehen. Jetzt fragt sie sich, ob diese legalistische Vorstellung richtig sei. Aufgrund des neuen Gottesverständnisses, möglicherweise von einem gnädigen Gott, wird jetzt die gewohnte Gottesvorstellung in Frage gestellt. Fahir hat früher eigene Lebenssituationen als Strafe Gottes für ihn interpretiert. Jetzt hat er eine andere Perspektive auf sein eigenes Leben und sieht darin den Segen Gottes. Einige geben an, dass sie auf der Suche nach Gott waren (Mara, Dian) oder nach Gott gefragt haben (Fahir). Von einem früheren Glauben an die Existenz Gottes sprechen Thereza (Wissen um Gott), Dorita und Lydia (sie sei früher auch gläubig gewesen). Romi spricht davon, dass sie früher versucht habe zu verstehen und zu diskutieren. Auch hier scheint ein Wandel vom Kognitiven (Fragen, intellektuell Suchen, Versuchen zu verstehen) zum Emotionalen (Spüren) vorzuliegen. Veränderungen die Glaubenspraxis betreffend Von einer Veränderung der Prioritäten in ihrem Leben berichten Dian (früher : Leben, Geld, eine gute Familie – heute: all das zurück gelassen, aber Gott gefunden) und Eugen (früher : Orientierung an den eigenen Fähigkeiten – heute: Vertrauen in Gott). Elenas Alltag war geprägt von Sorgen um ihre Kinder, heute von der Gewissheit, dass ihr nichts passieren werde. Joachim sieht sich früher selbst als Priorität (Mittelpunkt) in seinem Leben, was zu einer Geschäftsbeziehung mit Gott geführt habe. Heute trägt ihn sein Vertrauen zu Gott. Von früherem Fehlverhalten erzählen Miguel (falsche Sachen gemacht) und Marco (früher habe er andere Menschen verletzt – heute sei er immer noch vorsichtig). Marco kämpft nach wie vor mit seiner Aggressivität, hat aber durch
354
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
das Entdecken der Gnade Gottes einen neuen Zugang dazu. Er ist sicherer geworden. Von einer Differenz zwischen ideellem Anspruch und konkretem Verhalten spricht Marius (früher nicht als Christ erkennbar gelebt). Demgegenüber fühlt er sich jetzt »ganz«. Denisa war es früher ebenfalls wichtig, sich als Christin erkennbar zu machen und äußerlich von anderen Menschen zu unterscheiden. Jetzt brauche sie das nicht mehr. Es komme jetzt auf das Innere an. Von mehr Dankbarkeit sprechen Tereza (früher eher mehr Bittgebet und wenig Dank) und Joseph. Zusammenfassung: Veränderung der Gottesvorstellung Betrachtet man die Aussagen über die Erlebnisse von Gottes Nähe, Schlüsselerlebnisse, Krisenerlebnisse und den Aspekt »Früher – Jetzt« gemeinsam, kann noch einmal die Frage gestellt werden, was sich in Bezug auf die Gottesvorstellung der Einzelnen verändert hat und was das im Vergleich der Sprachsamples untereinander bedeutet. 1. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass fast alle Befragten372 unabhängig von ihrer Kultur und des religiösen Hintergrundes ihrer Sozialisation angeben, dass ihre Gottesvorstellung sich verändert hat. In der Erinnerung erscheint die frühere Gottesvorstellung defizitär373. 2. Bei der erinnerten Veränderung ist eine Entwicklung vom Betonen der kognitiven Anteile (früher) hin zu emotionalen Anteilen (jetzt) der Gottesvorstellung zu beobachten, vom Gottesverständnis hin zur Gottesbeziehung. Gegenüber einem Glauben oder Nichtglauben an die Existenz Gottes steht nun eine Beziehung zu einem oft »spürbar« nahen Gott. Gefühle, die diesem Gott gegenüber empfunden werden, sind neben anderem vor allem Vertrauen und Dankbarkeit. 3. Zudem ist bei der erinnerten Veränderung eine Entwicklung vom Vorrang des richtigen Verhaltens, des richtigen Handelns als Christ hin zum Vertrauen in die Gnade Gottes zu beobachten, also eine Entwicklung von einer eher normativen Glaubenspraxis ebenfalls hin zur emotional bedeutsamen Gottesbeziehung. 4. Es gibt eine hohe Korrelation zwischen kritischen Lebensereignissen und dem Erleben von Gottes Nähe. Kritische Lebensereignisse (Flucht374, Landeswechsel375, Scheidung376, Krankheit377 und Krieg378) werden als Auslöser 372 373 374 375 376 377 378
Außer Corvin und Valerie, den jüngsten untersuchten Personen. Anders Johannetta. Vgl. Mara, Yara, Dian, Tereza. Vgl. Melinda, Eugen, Marius, Leon. Vgl. Lydia, Leon, Elena. Eigene Krankheit: Romi. Krankheit des eigenen Kindes: Barbara und Elena. Vgl. Joseph.
Aspekte zur Gottesbeziehung
355
für die Veränderung der Gottesvorstellung genannt. Ebenso kann die Konfrontation mit einer fremden Gottesvorstellung im neuen kulturellen Kontext eine Veränderung der Gottesvorstellung hervorrufen379. Eine Veränderung ist sowohl durch Erfahrung von Nähe als auch durch Abwesenheit Gottes möglich380. 5. Dabei sind folgende Schwerpunkte in den Sprachsamples zu beobachten: Im farsisprachigen Sample wird oft erwähnt, dass sich die Gottesvorstellung der einzelnen Personen von den eher kognitiven hin zu den eher emotionalen Anteilen hin verändert. Im Hinblick auf die veränderte Gottesvorstellung wird vor allem die spürbare Nähe Gottes betont. Auch die metaphorisch räumliche Verortung Gottes scheint in diesem Zusammenhang interessant: Gott ist in unserem Herzen (Leyla), in meinem Herzen (Amir, Mara, Fahir), näher als nah (Amir), näher als das eigene Blut (Dian), überall mit uns (Yara), im Menschen (Dian). Ferner wandelt sich die Gottesvorstellung nach den Aussagen einzelner Personen von einem legalistischen Gottesverständnis381, einer materialistischen Hilfeerwartung382 oder einem magischen Denken383 zu einer dialogischen, kommunikativen Gottesbeziehung. Aus einem Gott im Himmel wird ein Gott, mit dem man sprechen kann, der begleitet, beschenkt, tröstet und umarmt. Im rumänischsprachigen Sample erinnern sich einige der Befragten an eine Veränderung im Hinblick auf ihre Glaubenspraxis hin zu einer vertrauensvollen Gottesbeziehung. Die Veränderung geht weg von richtigem Verhalten und Handeln als Christ bzw. Christin hin zum Vertrauen in Gottes Gnade384. Im spanischsprachigen und deutschsprachigen Sample ist beides zu beobachten, sowohl eine Veränderung vom Vorrang der kognitiven Anteile hin zu den emotionalen385 als auch eine Veränderung von der Glaubenspraxis386 hin zur Gottesbeziehung. 6. Insgesamt stehen aber in der Beschreibung der Einzelnen im Hinblick auf ihre jetzige Gottesvorstellung die emotionalen Anteile im Vordergrund387. Es scheint weniger wichtig, was geglaubt wird (Gottesverständnis), sondern wie
379 380 381 382 383 384 385 386 387
Vgl. besonders farsisprachiges Sample. Vgl. Romi und Barbara. Vgl. Leyla und Fahir. Vgl. Fahir. Vgl. Leyla, Mara, Fahir und Dian. Vgl. besonders Marius, Eugen und Denisa. Vgl. Dorita, Lydia, Elena, Joseph, Romi und Barbara. Vgl. Miguel, Marco und Joachim. Vgl. Gefühle die gegenüber Gott geäußert werden 4.2.2.1, 321.
356
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
die Gottesbeziehung Gestalt gewinnt: Im Krisenfall – im Alltag – als Unterstützung in der Persönlichkeitsentwicklung. 7. Aus der Sicht der Betroffenen ist offenbar eine Zunahme an Vertrauen, selbst durch Krisenerlebnisse bzw. gerade durch Krisenerlebnisse, möglich388.
4.2.3 Positionierung zu den Gottessymbolen Eine weitere Übung, die Aufschluss über die Gottesbeziehung der einzelnen Personen gibt und sich auch für einen Kulturvergleich eignet, ist die Übung der Positionierung eigener Gemütsverfassungen zu einem Gottessymbol389. Es handelt sich hier keineswegs um repräsentative Aussagen, sondern nur um einen Versuch, einem möglichen Kulturunterschied auf die Spur zu kommen. Die aufgezeigten »Trends« können aber wertvolle Hinweise für weitere Fragestellungen liefern. Zum besseren Vergleich werden den einzelnen Positionen Nummern zugeordnet. Die Figur, die zum jeweiligen Gottessymbol am nächsten positioniert wurde, bekommt eine 1, die die am weitesten entfernt steht, eine 6. Sind zwei Symbole gleich weit entfernt, bekommen sie die gleiche Positionsnummer, die nachfolgenden Positionen bleiben dann unbesetzt (z. B. stehen die Fröhliche, die Traurige und die Ängstliche bei Denisa vom Gottessymbol Leben gleich weit entfernt, daher bekommen alle drei Figuren die Positionsnummer 1. Die beiden nachfolgenden Positionen 2 und 3 bleiben unbesetzt. Es werden erst wieder die Nummern 5–6 vergeben). Wenn eine Figur direkt auf oder in das Gottessymbol positioniert wird, erhält sie die Ziffer 0, da hier gar kein Abstand vorhanden ist. Die nachfolgende Position ist dann die 2. Haben alle Figuren den gleichen nahen Abstand, bekommen alle die Ziffer 1. Wird eine Figur nicht positioniert, wird das mit einem x gekennzeichnet. Dann werden die für das Sample spezifischen Durchschnittswerte für die einzelnen Gemütsverfassungen errechnet (jeweils letzte Zeile der Tabellen 4.1–4.4) und die Ergebnisse in eine Tabelle (Tabelle 4.5) eingetragen. Die Emotionen sind in den Farben der Figuren der Positionierung gekennzeichnet.
388 Vgl. ebd. 389 Vgl. 2.3.4.3 Positionierungen, 88.
357
Aspekte zur Gottesbeziehung
Tabelle 4.1 Farsisprachig Leyla Amir Mara Fahir Yara Dian
fröhlich
traurig
1 1 2 1 1 4 10 1,7
4 3 0 1 1 3 12 2
fröhlich
wütend
ängstlich Gottessymbol 5 Liebe 3 Licht 6 Liebe 1 Vater 1 Energie 5 Leben 21 3,5
schuldbeladen 1 3 0 1 1 2 8 1,3
nachdenklich 1 1 0 1 1 1 5 0,8
traurig
schuldbeladen
nachwütend denklich
ängstlich Gottessymbol
1 4 1 1 1 1 9 1,5
5 1 5 3 1 1 16 2,7
4 1 4 5 5 6 25 4,2
2 5 3 2 4 1 17 2,8
2 1 2 4 1 1 11 1,8
fröhlich
traurig
schuldbeladen
nachwütend denklich
ängstlich Gottessymbol
3 3 6 1 0 1 14 2,3
1 1 1 3 4 1 11 1,8
5 2 1 3 5 x 16 2,7
4 3 4 6 2 1 20 3,3
2 5 1 1 3 x 12 2
5 6 0 1 1 6 19 3,2
Tabelle 4.2 Rumänischsprachig Melinda Tereza Eugen Marius Denisa Corvin
6 6 6 6 6 5 35 5,8
Liebe Mutter Energie Licht Leben Liebe
Tabelle 4.3 Spanischsprachig Miguel Dorita Lydia Marco Leon Elena
6 6 5 3 6 4 30 5
Energie Vater Energie Vater Liebe Licht
358
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Tabelle 4.4 Deutschsprachig Joachim Joseph Valerie Johannetta Romi Barbara
fröhlich
traurig
2 1 1 1 1 1 7 1,2
wütend
2 1 3 1
schuldbeladen 2 1 5 1
nachdenklich 2 1 5 1
6 1 3 1
3 5 15 2,5
6 3 18 3
5 4 18 3
2 6 19 3,2
ängstlich Gottessymbol 1 Mutter 1 Energie 2 Leben 1 Innere Stimme 4 Vater 2 Licht 11 1,8
In Tabelle 4.5 (S. 359) sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Sprachsamples zu erkennen: Im deutschsprachigen Sample findet sich die geringste Spannweite von 1,5 bis 3,5. Die Emotion Freude wird zum Gottessymbol mit der geringsten Distanz platziert, etwas weiter entfernt Angst und dann Trauer. Nachdenklichkeit, Schuld und Wut, die sich im Abstand kaum unterscheiden, sind dann am weitesten entfernt, verglichen mit den anderen Samples aber immer noch recht nah. Es fällt keine Emotion »aus dem Rahmen«, außer dass die Freude mit Abstand (0,7 Positionspunkte) am nächsten zum Gottessymbol positioniert wird. Eine etwas weitere Spannbreite umfasst das farsisprachige Sample (0,8–3,5). Hier fällt auf, dass verglichen mit den anderen Sprachsamples die nachdenkliche Figur sehr nah gestellt wird (0,8). Alle Personen stellen sie am nächsten zum Gottessymbol, Mara platziert sie sogar in das Gottessymbol (Netz der Liebe und Verbundenheit). Gegenüber den anderen Samples befindet sich die nachdenkliche Figur um 2 Punkte näher. Auch die Figur, die dafür steht, wenn sich die befragte Person schuldbeladen fühlt, befindet sich im farsisprachigen Sample wesentlich näher (1,4 Positionspunkte gegenüber dem spanischsprachigen, 1,9 gegenüber dem deutschsprachigen und sogar 2,9 Punkte gegenüber dem rumänischsprachigen Sample). Insgesamt wird diese Figur noch näher zum jeweiligen Gottessymbol positioniert als die erste Figur (Freude oder Trauer) in den anderen Samples. Die fröhliche und die traurige Figur stehen dann ähnlich nah wie in den weiteren Samples. Weiter entfernt (mit 1,2 Punkte Abstand zur Trauer) stehen dann Wut und Angst. Die wütende Figur steht ähnlich weit entfernt wie im deutschsprachigen Sample. Auffällig ist, dass die Figur, die die Emotion Angst repräsentiert, gegenüber den Positionierungen der anderen Samples am weitesten vom Gottessymbol entfernt aufgestellt wird (3,5 Punkte gegenüber 2,2 im deutschsprachigen, 2 im spanischsprachigen und 1,8 im rumänischsprachigen Sample).
359
Aspekte zur Gottesbeziehung
Tabelle 4.5 Position zum Gottessymbol 0 0,25 0,5 0.75 1 1,25 1,5 1,75 2 2,25 2,5 2,75
farsisprachig
spanischsprachig
deutschsprachig
Nachdenklich 0,8 Schuldbeladen 1,3 Fröhlich 1,7 Traurig 2
Fröhlich 1,5 Ängstlich 1,8
Traurig 2,7
3
Fröhlich 1,5 Traurig 1,8 Ängstlich 2 Fröhlich 2,3
Ängstlich 2,2
Schuldbeladen 2,7
Traurig 2,8
Nachdenklich 3,3
Nachdenklich + Schuldbeladen 3,2 Wütend 3,5
Nachdenklich 2,8
3,25
Wütend 3,2
3,5 3,75 4 4,25
Ängstlich 3,5
4,5 4,75 5 5,25 5,5 5,75 6
rumänischsprachig
Schuldbeladen 4,2
Wütend 5
Wütend 5,8
Im spanischsprachigen Sample ist die Spannweite der Positionierungen ähnlich wie im deutschsprachigen Sample, (1,8–3,3), nur die Figur, die den Gemütszustand Wut repräsentiert, ist gegenüber allen anderen Figuren weit weg positioniert (Position 5 mit dem Abstand von 1,7 zu Nachdenklich). Die Reihenfolge der Positionierungen ist etwas anders als im deutschsprachigen und rumänischsprachigen Sample. Die traurige Figur steht am nächsten zum Gottessymbol, dann kommen die ängstliche und danach erst die fröhliche Figur. Bei
360
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
den beiden anderen Samples steht erst die fröhliche, dann die ängstliche und danach die traurige Figur. Die nachdenkliche Figur ist ähnlich wie in den beiden anderen Samples platziert. Die schuldbeladene Figur steht gegenüber dem rumänischsprachigen um 1,5 Punkte und gegenüber dem deutschsprachigen um 0,5 Punkte näher am Gottessymbol. Im rumänischsprachigen Sample ist die Spannweite am größten (1,5–5,8). Zwischen den Positionen 1,5 und 2,8 sind die fröhliche, die ängstliche, die traurige und die nachdenkliche Figur platziert, in einer ähnlichen Spannweite und Reihenfolge wie im deutschsprachigen Sample. Die schuldbeladene und die wütende Figur sind demgegenüber weit entfernt (schuldbeladen mit einem Abstand von 1,4, zu nachdenklich und wütend wiederum mit einem Abstand von 1,6 zu schuldbeladen). Fast alle Befragten haben die wütende Figur am weitesten entfernt platziert. Fazit Wie oben schon erwähnt wurde, kann diese Gegenüberstellung und Analyse nur zu weiteren Fragen anregen und keine Grundlage für Schlussfolgerungen über die jeweilige Kultur bzw. der Gottesvorstellung innerhalb verschiedener Kulturen sein. Aufgrund der Daten wären aber folgende Fragen möglich: 1. Welchen Einfluss haben Schuldgefühle in den verschiedenen Kulturen auf die Gottesbeziehung? Gibt es in den verschiedenen Kulturen ein unterschiedliches Verständnis von Schuld? Hier wäre es zum Beispiel interessant, im Hinblick auf den rumänischen Hintergrund zu fragen, wie wichtig das rechte Verhalten als Christ (Glaubenspraxis), das in den Interviews öfter erwähnt wird, immer noch ist. Zwischen dem Ergebnis der Positionierung und den Resultaten der Aspekte »Früher – Jetzt«390, die darauf hinwiesen, dass die Glaubenspraxis zugunsten der Gottesbeziehung in den Hintergrund tritt besteht eine Spannung, der nachgegangen werden kann. In Ergänzung dazu wäre zu fragen, ob in der farsisprachigen Kultur Schuld in der Beziehung zu Gott nicht als ein Hindernis gesehen wird, sich Gott zu nähern. 2. Auffällig ist die unterschiedliche Platzierung der Emotion Wut gegenüber dem Gottessymbol in den verschiedenen Sprachsamples. Besonders die Positionen im spanischsprachigen (5) und rumänischsprachigen (5,8) Sample fallen auf. Hier wäre noch einmal genauer zu fragen, wie sich die eigene Wut auf die Gottesbeziehung auswirkt. Handelt es sich hier für die Befragten etwa um »unerlaubte« Aggressionen, die nicht in die Gottesbeziehung mit eingebracht werden dürfen, da Christen ja friedvoll leben und handeln sollen? Im 390 Vgl. 4.2.2 FrüherJetzt, 346.
361
Aspekte zur Gottesbeziehung
spanischsprachigen Sample wurde des öfteren von gewünschter Emotionskontrolle gesprochen, bei der die Gottesbeziehung helfen soll. Wie wirkt sich die Nichterfüllung dieses Wunsches (offen zutage tretende Aggressionen) auf die Gottesbeziehung aus? Die Frage könnte auch danach sein, wie Aggression oder andere unkontrollierte Gefühle generell in dieser Kultur bewertet werden, völlig unabhängig von Religion und Gottesvorstellung. 3. Nimmt man im rumänischsprachigen Sample bezüglich des schuldbeladenen Gemütszustandes die zweite Positionierungsübung dazu, ergibt sich folgendes Bild: Tabelle 4.6 Rumänischsprachig Positionierung »Schuld« mit einem Gottessymbol 4,2 Positionierung »Schuld« mit mehreren Gottessymbolen 1,8
Melinda
Tereza
Eugen
Liebe 4
Mutter 1
Leben 1
Mutter 1
Marius
Denisa
Corvin
Energie 4 Licht 5
Leben 5
Liebe 6
Innere Vater 1 Stimme 1
Mutter 1
bleibt ohne Gottessymbol 6
Bis auf Corvin finden alle Befragten ein Gottessymbol, zu dem sie die Figur, die sie selbst repräsentiert wenn sie sich schuldig fühlen, in die unmittelbare Nähe (Position 1) stellen können. Auch im Hinblick auf die Emotion Wut ist die zweite Positionierungsübung aufschlussreich. In der tabellarischen Übersicht (Tabellen 4.7–4.10) ist zu sehen, dass selbst Personen, die die wütende Figur auf die äußerste Position gestellt haben, jetzt einen Platz in der Nähe eines Gottessymboles aussuchen, bis auf Leyla, Miguel und Leon. Das Ergebnis im rumänischen Sample überrascht. Gegenüber dem vorherigen Wert mit einer Position von 5,8 ist das Durchschnittsergebnis jetzt 0,75.
362
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Tabelle 4.7 Farsisprachig Positionierung »Wut« mit einem Gottessymbol 3,2 Positionierung »Wut« mit mehreren Gottessymbolen 2,2
Leyla Liebe 5
Amir Licht 6
Mara Liebe 0
Fahir Vater 1
Yara Dian Energie 1 Leben 6
Kein spe- Stimme 1 Mutter 2 zifisches Symbol 5
Energie 1 Vater 2 Leben 1
Kein spezifisches Symbol 2
Melinda
Tereza
Eugen
Marius
Denisa
Corvin
Liebe 6
Mutter 6
Energie 6 Licht 6
Leben 6
Liebe 5
Vater 1
Liebe 0
Leben 1
Energie 1 Liebe 0 Licht 2
Liebe 1
Miguel
Dorita
Lydia
Marco
Leon
Elena
Liebe 6
Licht 4
Tabelle 4.8 Rumänischsprachig Positionierung »Wut« mit einem Gottessymbol 5,8 Positionierung »Wut« mit mehreren Gottessymbolen 0,75
Tabelle 4.9 Spanischsprachig Positionierung »Wut« mit einem Gottessymbol 5 Positionierung »Wut« mit mehreren Gottessymbolen 2,75
Energie 6 Vater 6
Energie 5 Vater 3
Weit von Licht 1 Vater entfernt 6
Liebe 1 Stimme 1 Weit weg Energie 2 von allen Symbolen 6
Energie 1
363
Aspekte zur Gottesbeziehung
Tabelle 4.10 Deutschsprachig Positionierung »Wut« mit einem Gottessymbol 3,5 Positionierung »Wut« mit mehreren Gottessymbolen 1,6
Joachim
Joseph
Valerie
Mutter 6
Energie 1 Leben 3
Licht 1
Liebe 1 Mutter2 Vater 2
Mutter 2
Johannet- Romi ta Innere Vater 2 Stimme 1
Übung nicht gemacht
Barbara Licht 6
Liebe 1 Innere Stimme 2 innere Stimme 2
Hier ist dann zu fragen, worin für die Befragten der Unterschied zwischen der Positionierung zu einem oder zu mehreren Gottessymbolen liegt. Ist eine »vielfältige« Gottesvorstellung hilfreich, die Vielfalt der eigenen Gefühle annehmen und in die Gottesbeziehung einbringen zu können? Was sind die Gründe, dass es einigen Personen nicht möglich ist, die Positionen von »Schuld« und »Wut« in der zweiten Positionierung zu verändern (Schuld: Corvin, Wut: Leyla, Miguel, Leon)? 4. Auch der genderspezifischen Frage »Welche Symbole wählen Männer, welche Frauen?« wurde nachgegangen, wie folgende Tabelle zeigt. Tabelle 4.11 Gottessymbole Gott-Vater Mütterliche Seite Gottes Liebe Energie Innere Stimme Quelle des Lebens Licht
Frauen Dorita – Romi Tereza Leyla – Mara – Melinda Yara – Lydia – Johannetta Denisa – Valerie Elena – Barbara
Männer Fahir – Marco Joachim Corvin – Leon Eugen – Miguel – Joseph Dian Amir – Marius
Um aus der obigen Auflistung genderspezifische Schlussfolgerungen zu ziehen, ist die Datenlage zu gering. Diese Frage muss zunächst auch innerhalb der Sprachsamples verfolgt werden und nicht sofort kulturübergreifend.
364
4.3
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
Unter 4.2.1 (2) konnte schon gezeigt werden, dass sich in den Gottesmetaphern der einzelnen Interviewpartnerinnen und -partner auch ihre eigene Alltagsund/oder Lebenssituation widerspiegelt. An dieser Stelle des interkulturellen Vergleichs ist von besonderem Interesse, welche Bezüge die Befragten von ihrer Gottesvorstellung her zu ihrem eigenen Alltag aufzeigen. In Ergänzung zu den halboffenen Fragen der Rostocker Studie wurde im Anschluss an die gemeinsame Exploration der Gottesmetapher die Frage »Wie schaut das im Alltag für dich aus?« oder »Welches Alltagsbeispiel fällt dir dazu ein?« eingeführt. In den Tabellen 5.1–5.4 finden sich die Antworten dazu oder auch die Aussagen, die von den Betroffenen während des weiteren Interviews über ihren jeweiligen Alltag gemacht werden. Die Antworten auf die Fragen, zu welchen Gelegenheiten (Zeit, Ort und/oder Situation) an Gott gedacht und wann und zu welchen Gelegenheiten gebetet wird (die letzte Frage im Gebetsfragebogen), werden ebenfalls herangezogen, um die Beziehung zwischen Gottesvorstellung und Alltag zu untersuchen. Tabelle 5.1 Farsisprachig Leyla
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen Sie erlebe ihre Sie denke Familie und immer an ihren GlauGott: in guten ben als Geund schlechschenk Got- ten Zeiten (da tes. mehr). Gute Zeiten: Dank. Schlechte Zeiten (Einsamkeit): Hilfegebete (öfter).
Bestimmte Orte
Gebet wann
Keine Angabe.
Vor dem Essen.
Gebet zu welcher Gelegenheit Wenn ich mich freue – wenn ich vom Leid anderer Menschen höre – weil ich mein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte.
365
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
((Fortsetzung)) Farsisprachig Amir
Alltag Er habe als Christ mehr Liebe und Geduld für andere Menschen, wenn nicht, dann bete er darum.
Bestimmte Zeiten / Situationen Er denke immer an Gott nicht in jedem Moment in 24 Stunden, wegen anderer Beschäftigungen, aber eigentlich immer! Besonders wenn sich Wünsche erfüllen, bekomme er Ruhe-Freude-Zufriedenheit, das sei eine gute Zeit, an Gott zu denken.
Bestimmte Orte
Gebet wann
Keine Angabe.
Vor dem Essen.
Gebet zu welcher Gelegenheit Weil ich mein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte.
366
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Farsisprachig Mara
Alltag Sie habe immer ein Sicherheitsgefühl. Ihr Glaube gebe ihr Kraft und Energie in schwierigen Zeiten. Sie habe das Vertrauen in Gott, dass am Ende alles gut werde und müsse sich keine Sorgen machen. Sie versuche gut und richtig zu leben, versuche zu sein wie Jesus. »Kleine Alltagssachen« erlebe sie als Erfahrung von Gottes Nähe. Es sei ihr wichtig, anderen vom eigenen Christsein zu erzählen.
Bestimmte Zeiten / Situationen Als sie noch kein Baby gehabt habe, habe sie immer /die meiste Zeit an Gott gedacht. Jetzt wenn das Baby schlafe. Es sei schwieriger, mit Gott in Verbindung zu kommen, trotzdem habe sie die Sicherheit, dass mit Gott alles in Ordnung sei.
Bestimmte Orte Keine Angabe.
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit Am Morgen 4 Freude am Abend 4 Angst vor dem Kummer/ Essen 3 Sorgen im GottesEinsamkeit dienst und in Wünsche Veranstaltun- Leid anderer gen 4 Leben mit Gott besprechen, je 4 Zusatz: wenn ich etwas anfangen will wenn ich mich bei Gott bedanken will je 4
367
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
((Fortsetzung)) Farsisprachig Fahir
Yara
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen Er spreche Morgens – gerne mit an- innerer Diaderen Menlog – auch schen über während des sein Glück, Tages – dass Gott bei der Arbeit immer bei – ihm sei. Er bei Müdigkeit sage anderen – Menschen, Sonntags entdass er Christ weder Gesei. Er bete meinde oder für andere FernsehgotMenschen. Er tesdienst. rede mit Gott über die alltäglichen Begegnungen mit schwierigen Menschen oder singe ein Lied. Ihre Arbeits- Zu keiner besituation gibt stimmten ihr des Öfte- Zeit, sie denke immer ren Anlass an Gott zum Gebet: Sie habe und manchAngst, aufmal, wenn sie grund fehlen- alleine sei, der Sprachsinge sie ganz kenntnisse laut. Fehler zu machen. Ihre Sorgen gebe sie Gott.
Bestimmte Orte Keine Angabe.
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit Am Morgen 4 Freude am Abend 4 Angst vor dem je 4 Kummer/ Essen 4 Sorgen im Gottesdienst und in Einsamkeit Veranstaltun- Wünsche gen 3 Leid anderer je 3 Leben mit Gott besprechen 4
Wo immer sie Alles angegerade sei: im kreuzt ohne Kindergarten Gewichtung – zuhause – beim Gottesdienst – beim Einkaufen.
Alles angekreuzt ohne Gewichtung.
368
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Farsisprachig Dian
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen Seine Kraft, Wenn es ihm ob er atme, schlecht gehe, sitze, gehe, denke er an denke, sei von Gott und Gott. Glaube wenn es ihm an Gott sei gut gehe: eine alles. Menbestandene schen, die Prüfung, glauben, ein guter Tag, müssten Gott danke er Gott alles anverdafür. trauen, Gott alles geben (Gehirn-HerzGeld).
Bestimmte Orte
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit Angst 4 Kummer/ Sorgen 4 Freude Wünsche Leben mit Gott besprechen 3 Leid anderer 2 Einsamkeit ohne Angabe
Keine Angabe.
Vor dem Essen 4 Abend 3 Morgen 2 Gottesdienst und Veranstaltungen 2
Bestimmte Orte
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit
vor dem Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4 am Morgen 3 am Abend 3
Freude 3 Angst 4 Kummer/ Sorgen 4 Einsamkeit 3 Wünsche 3 Leid anderer 2 Leben mit Gott besprechen 2
Tabelle 5.2 Rumänischsprachig Melinda
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen
Sie mache sich viele Sorgen, versuche aber den Plan Gottes für sich und ihre Familie zu akzeptieren. Alltagserfahrung (Begegnung an Tankstelle) wird mit Gottesbezug gedeutet.
Es gebe viele Keine AngaSituationen, be. wo sie sich im Nachhinein denke, hier habe Gott gehandelt.
369
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
((Fortsetzung)) Rumänischsprachig Tereza
Eugen
Marius
Alltag
Sie habe im Alltag gespürt, dass Gott sie immer geschützt habe. Gott habe eine große Gnade für sie und die sie ihr ganzes Leben lang begleitet.
Bestimmte Zeiten / Situationen
Bestimmte Orte
Sie sei am Keine Angabe. Morgen dankbar, dass sie nicht krank sei. Dankbarkeit für Gottes Gnade, für alles, was sie bekommen habe oder benutzen könne (Materiell und immateriell – Sprache) Er wolle mehr Nicht erfragt. Nicht erfragt. auf Gott vertrauen, als auf seine eigenen Kräfte. Alltagserfahrung (Begegnung an Tankstelle) wird mit Gottesbezug gedeutet. Alltagserfah- Nicht erfragt. Nicht erfragt. rungen sind stark geprägt vom Erleben der Gründung einer neuen Gemeinde. Seine Alltagsdeutung: Gott tut etwas.
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit
Am Morgen 4 am Abend 4 vor dem Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4
Kummer/ Sorgen 4 Leben mit Gott besprechen 4 Freude 3 Angst 3 Einsamkeit 3 Wünsche 3 Leid anderer 3
Am Morgen 4 am Abend 4 vor dem Essen 3 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4
Freude 4 Angst 4 Kummer/ Sorgen 4 Einsamkeit 4 Wünsche 2 Leid anderer 3 Leben mit Gott besprechen 4
Am Morgen 4 am Abend 2 vor dem Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4
Kummer/ Sorgen 4 Freude 3 Leid anderer 3 Angst 2 Einsamkeit 1 Wünsche 1 Leben mit Gott besprechen 1
370
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Rumänischsprachig Denisa
Corvin
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit
Sie denke oft … und überan Gott … all. – ganz besonders bei dem Unfall ihres Sohnes.
Am Morgen 4 am Abend 4 vor dem Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 3
Freude 4 Angst 4 Kummer/ Sorgen 4 Einsamkeit 4 Wünsche 4 Leid anderer 4 Leben mit Gott besprechen 4
Ihm falle Gott Keine Angaein, wenn er- be. freuliche Sachen passieren würden, dann sei er dankbar. Wenn etwas Schlechtes passiere sei er beruhigt, weil Gott einen Plan für jeden Menschen habe.
Am Morgen 4 am Abend 3 vor dem Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 3
Angst 4 Kummer und Sorgen 4 Einsamkeit 4 Wünsche 4 Leid anderer 4 Leben mit Gott besprechen 4 Freude 3
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen
Helfender Beruf Gebet bei der Arbeit auf dem Weg von einem Patienten zum nächsten. Helfen = Mitwirken Staunen und Bewunderung: »Sonnenaufgang« Deutung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Horizont seines Weltbildes (Auseinandersetzungshorizont: Schule). Deutung von Alltagserfahrung im Horizont des Glaubens: gute Gespräche = Gott greift ein, wirkt mit.
Bestimmte Orte
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Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
Tabelle 5.3 Spanischsprachig Miguel
Dorita
Bestimmte Orte
Gebet wann
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen
Gott sei immer für ihn bereit, wenn er gesündigt oder sich verletzt habe. Erfahrung von menschlichen Grenzen: Probleme / Schuld Auf und Ab von Emotionen: sie frage sich, warum sie oft tagelang nicht aus einem Loch herauskomme – versuche tägliche Kommunikation mit Gott, unabhängig von ihrer Stimmung.
Nicht erfragt. Nicht erfragt. Am Morgen 4 am Abend 3 vor dem Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4
Sie versuche zweimal am Tag zu beten (morgens und abends). Zwischendurch während der Arbeit denke sie nicht so an Gott. Wenn sie sich angegriffen fühle, bete sie kurz »Herr, hilf mir.«
Sie habe eine Lieblingsstelle, an der es leise und schön sei.
Gebet zu welcher Gelegenheit Freude 4 Angst 3 Kummer/ Sorgen 3 Einsamkeit 3 Wünsche 3 Leid anderer 3 Leben mit Gott besprechen 3
Am Morgen Keine Angaam Abend be. je 1 (Aufgabe nicht verstanden)
372
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Spanischsprachig Lydia
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen
Bestimmte Orte
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit
Umgang mit schwierigen Situationen und Patientinnen und Patienten: Gebet – Dialog mit Gott Umgang mit wenig Geld, allein mit Kind: Gebet – Dialog mit Gott über Budget. Gott als Hilfe bei der Bewältigung des Alltags.
Wenn sie bete, besonders für andere Menschen, dann fühle sie sich Gott nah.
Keine Angabe.
Am Morgen 4 am Abend 3 vor dem Essen 4 im Gottesdienst und Veranstaltungen 3
Freude 3 Angst 4 Kummer/ Sorgen 4 Einsamkeit 4 Wünsche 4 Leid anderer 4 Leben mit Gott besprechen 4 ergänzt: Wenn jemand in Not ist 4 wenn mir Weisheit fehlt bei Entscheidungen wenn ich jemand kennen gelernt habe (Bekehrung)
373
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
((Fortsetzung)) Spanischsprachig Marco
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen
Bestimmte Orte
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit
In seinem Alltag helfe ihm die Gnade, mit seiner Aggressivität umzugehen: in seiner Arbeit, seiner Gemeinde und seiner Ehe. Andere Menschen sind ihm wichtig. Es ist ihm wichtig, sie nicht zu verletzen.
Er denke den ganzen Tag an Gott, wenn er Dinge tue, die für ihn gefährlich seien, in seiner Beziehung, in Beziehung mit anderen Menschen, wenn er aus dem Bett aufstehe, in die Arbeit gehe, im Gebet, in Gedanken, in der U-Bahn. Er wolle jeden Tag mit Gott sein und er könne nicht sagen, dass er nicht an Gott denke, vielleicht wenn er einen Film schaue.
Nennt keine bestimmten Orte – Arbeit – U-Bahn – im Gebet – in Gedanken … überall.
Am Morgen 4 am Abend 4 vor dem Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4
Freude 4 Angst 4 Kummer/ Sorgen 4 (5 :)) Einsamkeit 4 Wünsche 4 Leid anderer 4 Leben mit Gott besprechen 4
374
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Spanischsprachig Leon
Elena
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen
Bestimmte Orte
Gott schütze ihn auch im Alltag und gebe seinem Leben eine Richtung: Bewahrung in Versuchung. Gott zeige ihm den richtigen Weg. Er könne jeden Tag mit allem zu Gott kommen – mit allem, was das Herz bewegt und beglückt – Freude. Sie bete am Morgen um Schutz für die Kinder auf dem Schulweg und um Kraft für sich selbst. Am Abend bedanke sie sich für den Schutz und die Versorgung durch Gott. Gott gebe uns die Dinge, die wir zum Leben brauchen würden.
Es gebe für ihn keine bestimmten Zeiten … Er könne zu jeder Zeit …
Am Morgen 4 … und Orte. am Abend 4 … und überall vor dem mit Gott sein Essen 4 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4
Sie denke so Z.B. U-Bahn – viel, immer als gefährlidenke sie an cher Ort. Gott. Weil es immer gefährlich sein könne, bete sie immer um Schutz. In jeder Situation denke sie an Gott.
Gebet wann
Am Morgen 4 am Abend 4 vor dem Essen 2 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 4
Gebet zu welcher Gelegenheit Kummer/ Sorgen 3 Leben mit Gott besprechen 4
Freude 3 Angst 4 Kummer/ Sorgen 4 Einsamkeit 4 Wünsche 3 Leid anderer 3 Leben mit Gott besprechen 4
375
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
Tabelle 5.4 Deutschsprachig
Alltag
Joachim
Er erlebe Gott in seinen persönlichen Gebetszeiten. Er könne nicht sagen, dass Gott sonst hinter dem sei, was er in seinem Alltag erlebe. Das sei ein Stück weit Deutung.
Joseph
Als Sünder brauche er jeden Tag die Vergebung Gottes. Jeder Tag sei für ihn ein Geschenk. Er sei zufrieden jeden Tag und mit seiner Situation. Die Gemeinde sei seine zweite Heimat.
Bestimmte Zeiten / Situationen Bestimmte Zeiten könne er nicht sagen. Situationen: sicherlich im Gottesdienst in der Gemeinde denke er an Gott und auch jahreszeitlich an Ostern und Weihnachten denke er intensiver an das Wirken Gottes. Er denke in der Gemeinde, bei Gottesdiensten, auch bei Fernsehgottesdiensten (Sonntag – Dienstag und Samstag). Er könne nicht den ganzen Tag an Gott denken. Er kümmert sich ja auch um alltägliche Aufgaben.
Bestimmte Orte Bestimmte Orte könne er nicht sagen.
Kirchenräume hätten für ihn eine gewisse Anziehungskraft, wenn er sonst keine Möglichkeit habe, Stille zu finden, besonders im Urlaub.
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit Am Morgen 3 Freude 3 am Abend 2 Angst 3 vor dem Kummer/ Essen 3 Sorgen 4 im GottesEinsamkeit 3 dienst und in Wünsche 4 VeranstalLeid anderer tungen 4 3 Leben mit Gott besprechen 4
Am Morgen 2 am Abend 4 vor dem Essen 3 im Gottesdienst und in Veranstaltungen 3
Freude 2 Angst 2 Kummer/ Sorgen 2 Einsamkeit 2 Wünsche 2 Leid anderer 2 Leben mit Gott besprechen 2
376
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Deutschsprachig Valerie
Johannetta
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen Einerseits er- Es gebe Phalebe sie »Ge- sen im schenke« von Leben, wo sie Gott: Natur, Gott mehr liebe Mensehe, z. B. schen, gute wenn sie mit Gespräche, Menschen Freude. zusammen Andererseits sei, die über verrenne sie Gott reden sich im Alltag würden oder oft in Sacksagen, wofür gassen, aber man beten auch da bekönne. komme sie Geschenke. Die Hilfe, die Morgens lese sie durch sie fortlauMenschen, fend in der die ihr helBibel und fen, den All- abends bete tag zu bewäl- sie kurz. Das tigen, besei für sie kommt, wird eine gewisse als Hilfe von Disziplin. Gott gedeu- Wenn sie ertet. schrecke oder etwas Schlimmes passiert sei, rufe sie aus: »Oh, Gott!«
Bestimmte Orte
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit Am Morgen 4 Freude 4 In den Bergen denke sie am Abend 4 Angst 4 Kummer/ häufiger an vor dem Sorgen 3 Gott als in Essen 3 geschlosseim GottesEinsamkeit 3 nen Räumen. dienst und in Wünsche 4 VeranstalLeid anderer tungen 4 4 Leben mit Gott besprechen 4
Keine Angabe.
Nur : am Morgen und am Abend angekreuzt
Keine Angabe.
377
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
((Fortsetzung)) Deutschsprachig Romi
Alltag
Bestimmte Zeiten / Situationen GrundverWenn es ihr trauen statt schlecht Verzweiflung gehe. Solche – einfach sein Situationen genügt (was würden Umaufgrund der denken vervielen Situa- anlassen. tionen mit Durch einen Krankheit Bruch bedeutsam komme man ist). auf andere Im (AllGedanken tags-)Trott und Ideen. vergesse man Gott leicht.
Bestimmte Orte Keine Angabe.
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit Am Morgen 3 Freude 4 am Abend 3 Angst 2 vor dem Kummer/ Essen 1 Sorgen 3 Einsamkeit 2 im Gottesdienst und in Wünsche 1 VeranstalLeid anderer tungen 2 4 Leben mit Gott besprechen 1
378
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Deutschsprachig
Alltag
Barbara
Sie wolle ihre begrenzten Tage gut nützen. Sie erlebt, dass Menschen sehr krank sind und sterben. Abschied und Vermissen von lieben Menschen. Alles zerbreche. Angst, selber noch zerbrechlicher zu werden (bettlägerig). Hoffnung, dass Leid, Trauer und Schmerzen enden. Eigene schwere Krankheit überstanden.
Bestimmte Zeiten / Situationen Es sei sicher diese rhythmische Sache: Losungen am Morgen lesen, Gottesdienst am Sonntag, Bibelstunde in der Woche. Das seien fixe Zeiten. Da gehe sie hin, um von Gott zu hören und Gott zu begegnen. Manchmal falle er ihr dazwischen ein, aber man könne ja nicht immer an Gott denken. Man müsse sich bei der Arbeit ja auch auf das konzentrieren, was man tue.
Bestimmte Orte Keine Angabe.
Gebet wann
Gebet zu welcher Gelegenheit Am Morgen 3 Freude 4 am Abend 3 Angst 4 vor dem Kummer/ Sorgen 4 Essen 4 Einsamkeit 1 im Gottesdienst und in Wünsche 1 VeranstalLeid anderer tungen 4 3 Leben mit Gott besprechen 3
Im Hinblick auf den Zusammenhang von Gottesvorstellung und Alltag zeigen sich zwischen den Sprachsamples relativ wenig Unterschiede, aber viele Gemeinsamkeiten. Viele der Befragten deuten ihre Alltagserfahrungen unter der Perspektive des Glaubens: Leyla erlebt ihre Familie, Joseph jeden Tag als Geschenk Gottes. Auch Valerie sagt, dass sie jeden Tag von Gott beschenkt wird, selbst wenn sie sich in Sackgassen verläuft. Mara meint, in kleinen Alltagssachen Gottes Nähe zu erleben. Dian sagt, dass seine Kraft zu atmen, sitzen, gehen, denken von Gott sei. Denisa sieht ihre Arbeit als eine Art »Mitwirken« mit Gott. Für Melinda und Eugen ist
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
379
eine Alltagsbegegnung mit einer freundlichen Frau in einer schwierigen Situation eine Lektion, die Gott ihnen erteilt. Tereza spürt Gottes Schutz und seine Gnade im Alltag (auch im Rückblick). Leon fühlt sich in alltäglichen Versuchungen von Gott bewahrt. Auch Elena erlebt in ihrem Alltag den Schutz und die Versorgung Gottes. Marius sagt über positive Erlebnisse im Hinblick auf die Gründung einer neuen Gemeinde, »Gott tut was«. Corvin interpretiert gute Gespräche als Wirken Gottes. Leon fühlt sich in alltäglichen Versuchungen von Gott bewahrt. Johannetta deutet die Hilfe, die sie durch andere Menschen erfährt, als Hilfe durch Gott. Einige der Befragten sehen in ihrem Glauben eine Hilfe zur Bewältigung ihres Alltags: Mara meint, sie bekomme Kraft und Energie in schwierigen Zeiten. Yara kann ihre Sorgen an Gott abgeben. Marco versucht mit Hilfe seines Glaubens seine Aggressionen zu kontrollieren. Wenn er an seine menschlichen Grenzen kommt, weiß Miguel um Gottes Vergebung. Auch Joseph sagt, dass er jeden Tag die Vergebung Gottes braucht. Barbara kann trotz vieler Abschiede und ihrer eigener Krankheit Hoffnung haben. Einige erzählen, dass ihr Alltagsleben sich durch ihren Glauben verändert hat: Amirs Glauben wirkt sich auf seine Persönlichkeit aus. Er meint, er habe mehr Geduld für andere Menschen. Mara versucht, gut und richtig zu leben und sich dabei am Leben Jesu zu orientieren. Zudem hat sie ein Gefühl von Sicherheit. Sie kann im Hinblick auf ihr Kind Gott vertrauen, statt sich Sorgen zu machen. Das trifft auch auf Elena zu. Ähnlich versuchen Melinda und Eugen, in ihrer schwierigen Alltagssituation Gott zu vertrauen. Bei Romi ist der »Verzweiflungsaspekt« einem gewissen alltäglichen Grundvertrauen gewichen. Dian spricht davon, dass er Gott alles anvertraut hat. Mara und Fahir ist es wichtig, in ihrem Alltag anderen Menschen von ihrem Christsein zu erzählen. Vielen der Interviewpartnerinnen und -partner gibt ihre Alltagssituation Anlass zum Beten: Amir betet um Geduld, wenn sie ihm fehlt. Fahir betet für andere Menschen. Yara betet, weil sie in ihrer Arbeit aufgrund von fehlenden Sprachkenntnissen Angst hat, Fehler zu machen. Denisa betet auf dem Weg von einem Patienten zum nächsten und Lydia, wenn es um schwierige Patientinnen geht. Elena betet um Schutz für die Kinder auf ihrem Schulweg und um Kraft für den Tag und bedankt sich am Abend für die Versorgung durch Gott. Einige nehmen eine alltägliche kommunikative Grundhaltung Gott gegenüber ein: Fahir redet mit Gott über die alltäglichen Begegnungen mit schwierigen Menschen. Melinda macht sich Sorgen und versucht, Gottes Plan in ihrer gegenwärtigen Lebenslage zu entdecken. Eugen übt sich im Vertrauen auf Gott. Dorita versucht, eine tägliche Kommunikation mit Gott unabhängig von ihrer Stimmung aufrecht zu erhalten. Für Lydia ist Gott eine Art Gesprächspartner, an den sie ihre Sorgen als alleinerziehende Mutter abgeben kann. Leon ist überzeugt davon, dass Gott ihm den richtigen Weg zeigt und dass er mit allem, was
380
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
das Herz bewegt und beglückt, zu Gott kommen kann. Für Yara und Fahir ist ihre Gottesbeziehung des öfteren Grund zum Singen, für Denisa und Valerie Grund zum Staunen. Thereza und Elena zeigen Gott täglich (morgens bzw. abends) ihre Dankbarkeit. Auf die Frage, ob es bestimmte Zeiten gebe, an denen die Befragten öfter an Gott denken, antworten Leyla, Amir, Mara, Yara und Elena spontan mit »immer«. Ähnlich antworten Leon (zu jeder Zeit), Marco (den ganzen Tag – bzw. er könne nicht sagen, dass er nicht an Gott denke), Fahir (immer mal wieder tagsüber) und Denisa (oft). Zu bestimmten Tageszeiten (morgens und/oder abends) denken Fahir, Thereza, Dorita, Johannetta und Barbara öfter an Gott, Barbara auch manchmal zwischendurch. Zu bestimmten Jahreszeiten (Weihnachten, Ostern) denkt Joachim intensiver an Gott. Joseph und Barbara merken an, dass man nicht den ganzen Tag bzw. immer an Gott denken könne. Die meisten Personen nennen keine bestimmten Orte, an denen sie besonders an Gott denken. Denisa, Marco und Leon können »überall« an Gott denken, ähnlich wie Yara, die da, wo immer sie selber gerade ist, an Gott denkt. Eine Lieblingsstelle, an der es schön leise ist, hat Dorita. Elena denkt in der U-Bahn an Gott, weil es ein gefährlicher Ort ist. Für Joseph haben Kirchenräume, besonders in seinem Urlaub eine Attraktion, weil er dort Stille finden kann, und in den Bergen denkt Valerie häufiger an Gott als in geschlossenen Räumen. Als bestimmte Situationen, in denen die Interviewten öfter an Gott denken, werden Gottesdienste (Fahir, Joachim, Joseph und Barbara), das Gebet (Dorita, Lydia und Joachim) und Situationen, in denen Menschen über Gott reden oder sagen, wofür man beten könne (Valerie), genannt. In guten und schlechten Zeiten denken Leyla, Dian und Corvin vermehrt an Gott. Gute Zeiten sind Anlass zu Dank (Leyla, Dian, Corvin), schlechte Zeiten veranlassen zum Gebet um Hilfe (Leyla) oder zu dem beruhigenden Gedanken, dass Gott einen Plan für jeden Menschen habe (Corvin). Auch Romi denkt öfter an Gott, wenn es ihr schlecht geht. Wenn sie erschrecke oder etwas Schlimmes passiert sei, denkt Johannetta an Gott. Als eine besondere Situation, in der sie an Gott gedacht hat, nennt Denisa den Unfall ihres Sohnes. Elena meint, dass sie in jeder Situation an Gott denke und Melinda denkt sich im Nachhinein, dass Gott in verschiedenen Situationen gehandelt habe. Bei der Frage nach der Häufigkeit und den Anlässen zum Gebet391 ist für viele 391 Wann und warum betest du? Bitte schreibe hinter die Angaben, ob du bei den Gelegenheiten häufig(4), manchmal(3), selten(2) oder nie (1) betest am Morgen, wenn der Tag beginnt am Abend vor dem Einschlafen vor dem Essen im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen
Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug
381
der Befragten eine dialogische Grundhaltung wichtig. Sie geben an, häufig zu beten, weil sie ihr ganzes Leben mit Gott besprechen möchten392 (anders: Dian, Miguel und Barbara manchmal. Melinda und Joseph selten. Marius und Romi nie). Im rumänischsprachigen Sample erhalten fast alle anderen Gelegenheiten bis auf Ausnahmen393 einen hohen Wert (entweder 3 manchmal oder 4 häufig). Ebenso im spanischsprachigen Sample394. Ähnlich im farsisprachigen Sample bei denen, die den Fragebogen vollständig ausgefüllt haben (außer Dian, der angibt, dass er selten am Morgen, bei Veranstaltungen und aufgrund des Leides anderer Menschen betet). Auch im deutschsprachigen Sample befinden sich die Werte meistens zwischen 3 und 4. Allerdings gibt es hier mehr Differenzierungen (Joachim betet selten am Abend, Joseph selten am Morgen. Außerdem gibt Joseph an, selten bei Freude, Angst, Kummer und Sorgen, Einsamkeit, eigenen Wünschen und Leid anderer zu beten. Johannetta hat nur am Morgen und am Abend angekreuzt. Romi gibt an, dass sie vor dem Essen und bei eigenen Wünschen nie betet und selten bei Angst und Einsamkeit. Barbara betet nie bei Einsamkeit und eigenen Wünschen.). Insgesamt ist zu sagen, dass es im Vergleich zwischen den Samples keine bedeutenden Unterschiede gibt. Bei allen befragten Personen ist eine Relevanz ihrer Gottesvorstellung für ihren Alltag zu erkennen. Zunächst waren alle Personen in der Lage, einen Bezug von ihrer Gottesmetapher zu ihrem Alltag herzustellen. Die Antworten auf die Frage, ob es besondere Zeiten, Orte oder Situationen gibt, an denen öfter mal an Gott gedacht wird, und die Frage, bei welchen Gelegenheiten gebetet wird, unterstreichen den Alltagsbezug. Was in der Gesamtsicht im Hinblick auf die Frage, wann, wo und warum öfter an Gott gedacht wird, als Antwort im Raum steht, ist eine Art »immer und wenn ich mich freue wenn ich Angst habe wenn ich Kummer oder Sorgen habe wenn ich mich einsam fühle wenn ich mir etwas wünsche wenn ich vom Leiden anderer Menschen höre weil ich mein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte. 392 Leyla, Amir und Yara haben keine Angaben zur Häufigkeit gemacht. Allerdings haben Leyla und Amir diesen Punkt besonders herausgestrichen, und Yara kreuzt nur an und macht keine Gewichtungen. Es wird davon ausgegangen, dass ihr die angekreuzten Aspekte wichtig sind. Dorita hat die Aufgabe offensichtlich nicht verstanden, da sie nur morgens und abends mit je einem Punkt bewertet, was so viel heißt, dass sie morgens und abends nie betet, was ihrer Angabe zu der Frage nach bestimmten Zeiten widerspricht. Dort sagt sie, dass sie vor allem morgens und abends versucht zu beten (ähnlich Johannetta). 393 Melinda: Leid anderer 2/selten – Eugen: eigene Wünsche 2/selten – Marius: abends und bei Angst 2/selten, 1/nie bei Einsamkeit und eigenen Wünschen. 394 Abgesehen von Dorita, die die Frage nicht verstanden hat, und Leon, der einige Gelegenheiten – Freude, Angst, Einsamkeit, eigene Wünsche und Leid anderer – auslässt.
382
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
überall«. Zunächst werden relativ wenig bestimmte Zeiten und Orte genannt. Verhältnismäßig viele der Befragten geben aber in der einen oder anderen Weise an, »immer« oder oft an Gott zu denken, wobei vor allem im deutschsprachigen Sample von Joseph und Barbara darauf hingewiesen wird, dass man ja nicht immer an Gott denken könne, weil man ja auch arbeiten oder sich auf etwas anderes konzentrieren müsse. Ebenfalls bemerken Amir und Mara, dass es nicht gehen kann, ununterbrochen an Gott zu denken. Auch hier scheint eine Art Anspruch, »immer« an Gott denken zu sollen, im Raum zu stehen, und es wird erklärt, dass das in der Realität ja so nicht geht. Vor allem morgens und abends wird vermehrt an Gott gedacht, was manchmal durch persönliche Bibellese oder Gebetszeiten auch einen rituellen Charakter haben kann. Zeiten wie Gottesdienste, Gemeindeveranstaltungen und Jahresfeste werden vor allem im deutschsprachigen Sample genannt. Gottesdienst auch im farsisprachigen Sample bei Fahir und Yara. Als bestimmten Ort erwähnt nur Joseph Kirchenräume als einen Ort, an dem er Stille finden kann. Andere Orte, die erwähnt werden, sind ohne kultisch religiösen Bezug. Es sind Orte, an denen sich die Betreffenden gerade befinden, ihre Alltagsorte: U-Bahn, Supermarkt, Kindergarten. Davon heben sich als besondere, nicht alltägliche Orte die »Lieblingsstelle« von Dorita und Valeries »Berge« ab. In den Antworten ist insgesamt wenig Kultisch-Rituelles zu finden (das deutschsprachige Sample hebt sich dabei ein wenig von den weiteren Sprachsamples ab). Die Gebetszeiten (Tageszeiten – morgens und abends, alltägliche Gelegenheiten – vor dem Essen) können durchaus auch rituellen Charakter haben, aber die Gottesbeziehung erschöpft sich nicht darin, sondern kann »immer und überall« relevant sein. Vor allem auch in emotionalen Belastungssituationen395, in denen häufig gebetet wird.
4.4
Schwerpunktthema Theodizee
Aus den vielen Fragen zum Gottesverständnis soll im Folgenden die Frage »Es gibt so viel Schlimmes in dieser Welt. Meinst du, Gott hat etwas damit zu tun?« im interkulturellen Vergleich gesondert betrachtet werden. Diese Frage wurde ausgesucht, weil die so genannte Theodizeefrage, in der die Spannung zwischen der Vorstellung von einem liebenden Gott, der diese Welt geschaffen hat, und einer Welterfahrung von menschlichem Leid formuliert wird, wenn sie nicht entsprechend befriedigend beantwortet werden kann, besonders für Jugendliche 395 Ausnahmen: Melinda – Marius – Joseph – Romi – Barbara, die angeben in manchen emotional belastenden Situationen selten oder nie zu beten.
383
Schwerpunktthema Theodizee
aufgrund von Enttäuschungserfahrungen den Ausstieg aus dem Glauben bedeuten kann. Hier wird danach gefragt, wie erwachsene Baptistinnen und Baptisten aus unterschiedlichen Kulturen damit umgehen. Das Interesse daran wurde vor allem dadurch geweckt, dass die Verfasserin den Eindruck hatte, dass diese Frage oft zu schnell und zu eindeutig beantwortet wurde. Bis hin zu einem entrüsteten: »Nein, das auf keinen Fall, nein!«. Die Antworten auf die obige Frage und auf die Nachfrage, wie es denn mit Naturkatastrophen sei, finden sich in den Tabellen 6.1–6.4. Tabelle 6.1 FarsiTheodizee sprachig Leyla Schlimme Dinge seien die Schuld des Menschen, evtl. handle der sogar aus religiösen Motiven. Gott sei Liebe und sie könne nichts Schlechtes über ihn sagen. Amir Gott mache kein Böses, weil er Liebe sei. Am Krieg sei der Mensch schuld. Mara Sie glaube nicht, dass Gott etwas Böses wolle und dass das Böse von Gott komme – nur er könne die Frage beantworten, warum die Welt so sei. Fahir
Yara
Dian
Naturkatastrophe Nicht erfragt.
Das sei die Natur, die Gott so geschaffen habe.
Die Natur sei so geschaffen. Sie frage sich, warum Gott die Welt so geschaffen habe. Sie habe keine Antwort auf diese Frage. Gott könne nicht böse sein und sei Das passiere in der Natur – Gott verdaher nicht schuld. Aber es sei Gottes ursache das nicht. Plan, dass Menschen in Katastrophen einander helfen würden. Er erinnere sich aber an das AT, dass Gott böses Handeln der Menschen mit einer Katastrophe (Flut) bestraft habe. Nein, die Menschen seien schuld. Das sei schwierig zu beantworten. Es passiere in der Natur. Die vier Jahreszeiten seien in der Planung vom »lieben Gott«. Nach kurzem Zögern: »Ach, das ist alles von Gott.« Gott könne eingreifen, tue es aber oft Es könne die Natur sein oder auch nicht. Gott warte. Wenn der Mensch nicht. Er habe keine Antwort. selbst schuld sei, könne man Gott nicht dafür verantwortlich machen.
384
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Tabelle 6.2 Rumänisch- Theodizee sprachig Melinda Allein der Mensch sei für das Schlechte in der Welt verantwortlich. Gott wolle nur Gutes für uns Menschen. Er habe sich einen Plan für die Rettung des Menschen ausgedacht, weil er uns so liebe. Gott lasse Sachen, die nicht seinem Charakter entsprechen, zu, damit sein Plan mit dieser Welt zum Ziel komme. Tereza Das Schlechte in dieser Welt würden die Menschen machen und dahinter steckt Satan. Der Herrgott sei perfekt, sei Liebe und könne nichts Böses machen.
Eugen Marius
Denisa
Naturkatastrophe Nicht thematisiert.
Naturkatastrophen seien auch von Satan gemacht, aber von Gott erlaubt, um den Menschen zu zeigen, dass sie nicht allmächtig seien. Damit wolle Gott den Menschen zeigen, dass er der allmächtige Schöpfer sei. Nur er könne solche Sachen unter Kontrolle haben, nicht die Menschen. Alles, was passiere, sei von Gott Erdbeben seien von Gott zugelaszugelassen. Damit wolle Gott seinen sen. Plan zum Ziel bringen. Die Menschen und das Böse in den Naturkatastrophen könnten ZeiMenschen, die Gott nicht kennen chen Gottes sein (aufgrund von würden, nehme Einfluss, dass viele Sünde oder Ablehnung von Gott). Menschen dadurch leiden würden. Gott könne durch NaturkatastroGott lasse das bis zu einem gewissen phen eingreifen, um Menschen Grad zu, wo er dann eingreifen aufzurütteln. werde, aber er sei nicht schuld. Unschuld der betroffenen Menschen wird infrage gestellt, da sie sich gegen Gott entschieden hätten. Das Schlimme in der Welt geschehe Nicht thematisiert. durch die Boshaftigkeit des Menschen. Gott lasse das zu. Im Endeffekt sei alles gut, was Gott auf unserer Welt zulasse (es entziehe sich nicht seiner Kontrolle), auch wenn wir es zunächst für schlecht empfinden würden.
385
Schwerpunktthema Theodizee
((Fortsetzung)) Rumänisch- Theodizee sprachig Corvin Gott sei nicht (an allem) schuld – er wolle nur das Beste, daher seien diese Sachen auf Menschen zurückzuführen. Wenn es nicht auf Menschen zurückzuführen sei, könne es schon sein, dass Gott damit etwas sagen wolle. Vielleicht wolle Gott durch das Leid von Menschen etwas ausdrücken.
Naturkatastrophe Er sei überzeugt, dass an Sachen wie Erdbeben oder Tsunamis Gott nicht schuld sei. Das sei auf Menschen zurückzuführen.
Tabelle 6.3 Spanisch- Theodizee sprachig Miguel Das Böse in der Welt sei Folge des Sündenfalls.
Dorita
Lydia
Marco
Naturkatastrophe
Zeichen der nahen Wiederkunft Christi, aber auch natürliche Erdbewegungen. Dann sei das Problem, dass dort Menschen leben würden. Viele Dinge seien mysteriös, wir könnten nichts darüber sagen. Natürlich sei Gott nicht schuld! Das Gott handle durch Katastrophen. Böse komme durch die Sünde in die Gott rede auch durch Katastrophen. Welt. Der Mensch sei bösartig und sündhaft. Vieles seien die Konsequenzen menschlichen Handelns. Böses bringe Böses. Gott sei nicht schuld, im Gegenteil, er würde uns davon abhalten wollen. Sie glaube nicht, dass Gott daran Nicht thematisiert. schuld sei, es sei die Sünde der Menschen. Der Mensch mache sich selber kaputt. Gott mache die Not nicht, aber er lasse sie zu, weil dadurch die Menschen zu ihm kämen. Er denke, Gott sei nicht schuld. Daran sei der Mensch durch sein Menschen seien schuld, sie würden Umweltverhalten schuld. Ungerechtigkeit, Armut, Krankheit Zum anderen gebe es die normalen und mehr machen. Bewegungen von Erde und Meer, Gott könne helfen, dass nicht noch Vulkane und so. Schlimmeres passiere.
386
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
((Fortsetzung)) Spanisch- Theodizee sprachig Leon Es sei nicht einfach mit den Sachen, die in der Welt passieren würden, weil wir uns fragen würden, warum Gott das zulasse. Aber auch der Mensch sei durch seinen Egoismus daran schuld. Elena Gott wolle, dass die Welt anders sei, aber das sei so nicht geworden. Der Mensch (also wir) mache die Welt kaputt (durch seine Experimente). Er sei schuld, dass die Welt so sei. Gott lasse das zu, damit wir selber sehen würden, was wir gemacht haben. Später komme er dann und sage: »Das ist Schluss und aus«. Gott wolle sicher nicht, dass wir leiden.
Naturkatastrophe Nicht thematisiert.
Auch daran sei der Mensch schuld, weil er die Natur einfach kaputt mache. Gott warte vielleicht auf den rechten Moment, um etwas zu tun. Er lasse Erdbeben, Tsunami, Flugzeugabstürze etc. zu, als Zeichen, dass eine neue Welt komme.
Tabelle 6.4 Deutschsprachig Joachim
Joseph
Theodizee
Naturkatastrophe
Gott habe Persönlichkeiten, also Engeln und Menschen einen Freiraum eingeräumt. Gott ist daher indirekt verantwortlich. Die Entscheidung dazu liegt aber bei Menschen und Engeln. Die Frage ist, ob die Menschen von Engeln zum Bösen verführt worden sind. Gott sei nicht schuld, er lasse es zu. Schuld könne auch der Mensch sein, wenn er z. B. die Umwelt versaut. Man solle nicht glauben, schwere Unwetter oder Unruhen seien Schicksal. Es könne Gott sein, der da seine Hand nicht zurückziehe und es zulasse – dann sollten wir damit leben können.
Nicht thematisiert.
Katastrophen seien nicht witterungsbedingt. Gott habe da seine Hand im Spiel, z. B. um den Menschen wachzurütteln. Aber manchmal sei es dann zu spät. Wo die Not am größten sei, sei Gott am nächsten. Es gebe auch von Gott gesetzte Grenzen, wo Menschen leben dürfen.
387
Schwerpunktthema Theodizee
((Fortsetzung)) Deutschsprachig Valerie
Theodizee
Sie glaube, dass im Endeffekt der Teufel schuld sei. Der Mensch sei durch sein Handeln mit schuld. Der Teufel wolle Menschen durch Leid von Gott wegbringen, indem Menschen glauben würden, dass Gott am Leid schuld sei. Gott lasse das Leid zu. Leid heiße nicht, dass Gott nicht da sei. Sonst würden Menschen, die nur ein tolles Leben hätten, Gott vergessen. Johannetta Die Menschen hätten einen freien Willen und damit sei ihnen ein Spielraum gelassen Die Führung Gottes bestehe in diesem Freiraum. Romi Das sei eine Folge der Handlungsfreiheit des Menschen. Der Mensch sei so gemacht, dass er sich nicht bevormunden lasse, sondern ausprobiere, was man ihm verbiete. Es gehöre dazu, dass der Mensch die Freiheit zum Bösen nutze, sonst funktioniere es nicht. Persönlich kann sie sagen, dass ihr Gott nahe sei, wenn es ihr schlecht gehe. Der Verzweiflungsaspekt falle weg.
Barbara
Naturkatastrophe Das habe damit zu tun, wie die Menschen mit der Erde umgehen würden. Im Endeffekt stehe Gott dahinter, weil er die Erde so geschaffen habe. Gott habe davon gewusst und trotzdem entschieden, dass es gut so sei. Die Rechnung sei nicht so einfach zu machen: Gott hat das gemacht = er ist schuld. Da sei noch eine Ebene dazwischen, die wir nicht checken würden. Nicht thematisiert.
Die Welt sei halt so. Viele Sachen seien vom Menschen selbst verschuldet. Naturkatastrophen würden durch das Eingreifen des Menschen in letzter Zeit vermehrt auftreten. Sie stelle sich die Frage, warum Gott die Welt dann so gemacht habe. Vielleicht weil Leid bei den Menschen Veränderung bewirke? Global gesehen könne man einen Sinn im Leid sehen, aber das einzelne Leid könne dennoch sinnlos erscheinen. Generell sei die Frage, was Leid sei, wenn es uns eigentlich gut gehe und trotzdem viele Menschen Depressionen hätten. Nein, das auf keinen Fall, nein! Da sei sie überfragt, sie wisse es (Vehemente Reaktion auf die Frage, nicht. Es sei ihr unmöglich, es jetzt ob Gott verantwortlich sei für das so zu beantworten. Schlimme in dieser Welt.)
Im farsisprachigen Sample sehen Leyla, Amir, Yara und in gewisser Weise auch Dian die schlimmen Dinge, die in dieser Welt passieren, in der Verantwortung des Menschen (möglicherweise sogar aus religiösen Motiven – Leyla). Gott sei Liebe und könne (Amir und Fahir) oder wolle (Mara) nichts Böses. Und weil Gott Liebe sei, möchte Leyla nichts Schlechtes über ihn sagen. Nach Fahir will Gott, dass die Menschen in Not einander helfen. Dian meint, Gott könne eingreifen, tue es aber nicht, er warte. Fahir entdeckt während seiner Antwort offensichtlich eine Spannung zwischen seiner Auffassung, dass Gott nichts Böses
388
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
tue und der alttestamentlichen Fluterzählung, in der die Naturkatastrophe ursächlich auf Gott zurückgeführt und als Strafe Gottes dargestellt wird. Im Hinblick auf Naturkatastrophen kommt mehrmals die Antwort, dass die Natur so sei. Obwohl Gott in der Vorstellung der Befragten der Schöpfer ist, wird er nicht als Verursacher von Naturereignissen »haftbar« gemacht (Fahir, Amir und zunächst Yara). Die hier offensichtliche Spannung wird von Mara mit ihrer Frage »Warum Gott die Welt so geschaffen habe« angesprochen und Yara entscheidet sich im Gespräch, nach einer kleinen Phase der Irritation, dass das alles von Gott sei. Keine Antwort darauf haben Dian und letztlich auch Mara, die die Antwort auf die Frage, warum die Welt so ist, allein von Gott selbst erwartet. In der Regel wird Gott auf die eine oder andere Weise sofort entschuldigt. Die Ursache liegt entweder beim Menschen oder es bleibt offen, wer »zuständig« ist (Mara, Fahir). Gegenüber den anderen Sprachsamples ist hier besonders, dass nicht zur Sprache kommt, dass Gott das Übel »zulässt«. Weiter wird die Natur hier als eine eigene Größe akzeptiert, so wie sie ist. Allein Mara sieht hier eine Spannung und fragt, warum Gott diese Welt so geschaffen habe. Auch wird zwischen dem Handeln des Menschen und den Naturkatastrophen keine Verbindungen hergestellt und der Begriff Sünde kommt nicht vor. Solidarität im Leiden zwischen Menschen taucht als eine positive Perspektive dessen, was Gott wolle, auf. Im rumänischsprachigen Sample ist für Melinda, Tereza, Marius, Denisa und Corvin allein der Mensch für das Übel in der Welt verantwortlich. Tereza sieht dahinter das Handeln des »Satan«. Denisa betont die Boshaftigkeit des Menschen allgemein, Marius sieht die Verantwortlichkeit vor allem bei Menschen, die Gott nicht kennen. Über Gott sagt Melinda, dass er nur Gutes und Corvin, dass er nur das Beste für den Menschen wolle. In Terezas Augen ist Gott perfekt und kann daher nichts Böses machen. Melinda, Eugen, Marius und Denisa meinen, dass Gott das Leid zulasse, Tereza, dass Gott es erlaube. Melinda und Eugen sehen dahinter auch eine Absicht Gottes: damit er mit seinem Plan mit dieser Welt zum Ziel komme. Tereza meint, Gott erlaube die von Satan gemachten Naturkatastrophen, um den Menschen zu zeigen, dass sie nicht allmächtig seien. Marius ist überzeugt, dass Gott nicht schuld sei, aber »dann« eingreifen werde. Denisa nimmt eine Umdeutung vor : Was Gott zulässt, ist dann im Endeffekt gut. Naturkatastrophen sind nach Corvin auf den Menschen zurückzuführen, und Marius hält es für möglich, dass es sich um ein Zeichen Gottes handle, durch das er den sündigen Menschen aufrütteln wolle. Auch Corvin meint, dass Gott durch das Leid möglicherweise etwas ausdrücken wolle. Im Vergleich zum farsisprachigen Sample fällt hier auf – es gibt einen weiteren möglichen Verursacher des Übels, den Satan. Dem Menschen wird hier Boshaftigkeit zugeschrieben. Marius stellt einen Zusammenhang von Naturkatastrophen und der Sünde der dort lebenden Menschen her. Es wird unterschieden
Schwerpunktthema Theodizee
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zwischen Menschen, die Gott kennen und denen, die Gott nicht kennen. Es ist die Rede davon, dass Gott das Leid nicht verursacht, aber zulässt, und dass damit einerseits eine heilsgeschichtliche, andererseits eine pädagogische Absicht verbunden sein könne. Gottes Plan soll so zum Ziel kommen oder der Mensch aufwachen. Die Spannung, die hier zwischen dem »Plan« eines guten Gottes und dem erfahrenen Leid entsteht, wird kaum wahrgenommen. Denisa sieht diese Spannung und löst sie mit ihrer Umdeutung auf: Von Gott zugelassenes Übel ist gut. Insgesamt finden wir hier ein sehr negatives Menschenbild, von dem sich die Christen abzuheben scheinen. Das wäre noch zu überprüfen, aber es ist immer die sich selbst distanzierende Rede von »die Menschen« und nicht von »wir Menschen«. Gott erscheint hier in dieser auf die Theodizeefrage begrenzten Perspektive eher als ein strafender bzw. unbarmherziger Gott, der das Leiden der Menschen in Kauf nimmt, um mit der Welt zu seinem Ziel zu kommen. Ein Handeln Gottes besteht nicht darin, das Leid abzuwenden, sondern mit und durch das Leid zu handeln. Im spanischsprachigen Sample wird die Ursache für das Übel in der Welt ebenfalls beim Menschen (Marco, Elena) verortet, konkreter in seiner Sündhaftigkeit (Miguel, Dorita und Lydia) bzw. seinem Egoismus (Leon). Gott sei (natürlich!) nicht schuld (Dorita, Lydia und Marco). Dorita meint sogar, dass Gott uns (sie inkludiert sich also) vom falschen Handeln würde abhalten wollen. Marco ist überzeugt, dass Gott helfen könne, dass nicht noch Schlimmeres passiere. Gott lasse das Übel zu, weil durch die Not Menschen zu ihm kommen würden (Lydia), bzw. damit wir sehen, was wir gemacht hätten (Elena). Elena ist überzeugt davon, dass Gott wolle, dass die Welt anders sei und dass er nicht wolle, dass wir leiden. Leon stellt sich die Frage, warum das so sei und lässt die Antwort im Prinzip – neben dem, dass er dem Menschen eine gewisse Mitschuld gibt – offen. Für Miguel und Elena sind Naturkatastrophen endzeitliche Zeichen. Ebenfalls für Miguel, aber auch für Marco entstehen sie durch natürliche Erdbewegungen. Dann sind für Marco und Elena auch Menschen durch ihr Umweltverhalten Mitverursacher von Katastrophen. Für Dorita handelt und redet Gott auch durch Katastrophen, obwohl sie generell von der »Unschuld« Gottes überzeugt ist. Elena meint, dass Gott vielleicht auf den rechten Moment warte, etwas zu tun. Insgesamt wird hier die Verantwortung am Übel dieser Welt dem Menschen zugeschrieben. Es wird die Sündhaftigkeit des Menschen betont, wobei sich die Befragten zum Teil miteinbeziehen (»die Menschen« – Lydia, Marco; »uns/wir Menschen« – Dorita, Elena). Wenn Gott Übel zulässt, verfolgt er damit eine Absicht, einerseits eine pädagogische: Wir sollen sehen, was wir gemacht haben – andererseits kommen Menschen durch die Not zu ihm. Es taucht eine positive Perspektive des Handelns Gottes auf: Er könne Schlimmeres verhindern. Naturkatastrophen werden in einen heilsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt,
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
aber auch der Mensch rückt durch sein falsches Umweltverhalten stärker als Verursacher in den Mittelpunkt. Im deutschsprachigen Sample wird die Ursache für das Übel in der Welt von Joachim, Johannetta und Romi in der Freiheit des Menschen gesehen. Romi ergänzt dazu, dass der Mensch so gemacht sei, dass er seine Freiheit zum Bösen nutze, weil er einfach genau das ausprobiert, was verboten sei. Joachim hält es für möglich, dass der Mensch durch Engel verführt wurde. Für Joseph und Valerie trägt der Mensch z. B. durch sein Umweltverhalten eine Mitschuld. Valerie sieht aber auch im »Teufel« einen Schuldigen, weil er versucht, durch das Leid Menschen von Gott zu entfernen. Gott sei nicht schuld am Leid (Joseph, Barbara – sehr vehement!), er lasse es zu (Joseph, Valerie). Joseph meint, wenn Gott das Leid zulasse, müsse der Mensch es akzeptieren. Valerie sieht einen positiven Aspekt im Leiden. Menschen, die nur ein gutes Leben hätten, könnten Gott vergessen, und Gott sei auch im Leid da. Romi unterstreicht dies, indem sie persönlich antwortet: »Gott ist nah, wenn es mir schlecht geht«. Naturkatastrophen werden mit der Beschaffenheit der Welt (Romi), dem falschen Umweltverhalten des Menschen (Valerie und Romi), aber auch mit dem Handeln Gottes (Joseph: Gott hat die Hand im Spiel, will wachrütteln) in Zusammenhang gebracht. Valerie meint, dass im Endeffekt aber Gott dahinter stehe, weil er die Welt so geschaffen habe. Valerie meint zudem, es sei nicht ganz zu verstehen, und Barbara fühlt sich überfragt. Romi sieht die Spannung und fragt sich, »warum Gott die Welt so gemacht habe«. Leid könne ihrer Meinung nach durchaus auch einen Sinn haben, indem dadurch die Veränderung des Menschen bewirkt wird. Auch will sie die Frage nach dem Leid differenzierter betrachten. Sie fragt, was denn Leid sei, angesichts dessen, dass es uns so gut gehe. Warum haben dann trotzdem so viele Menschen Depressione? Im deutschsprachigen Sample erhält die Schuld des Menschen eine andere Bewertung. Sie hat ihren Ursprung nicht in der Boshaftigkeit (vgl. spanisch- und rumänischsprachiges Sample), sondern in der schöpfungsgemäßen Freiheit des Menschen. Der Grund der Freiheit des Menschen wird in Gottes Entschluss gesehen, dennoch wird Gott nicht die Verantwortung für das Übel in der Welt gegeben, allerdings wird die Spannung zwischen Welterfahrung und Glauben an einen guten Schöpfergott vermehrt wahrgenommen. Gott verursacht das Übel nicht, aber er lässt es zu. Auch hier verbindet sich damit eine Absicht, nämlich die Menschen wachzurütteln. Ein Grund, warum Gott nicht für das Übel in der Welt verantwortlich sein kann, wird in diesem Sample nicht angeführt. Es kommt nicht zur Sprache, dass Gott Liebe sei, nur gut oder nur das Beste wolle. Fragen werden von Valerie und Romi gestellt, und sie ziehen in Betracht, wenn Gott die Welt so geschaffen habe, dass er auch der Verursacher von Leid sein könne und dass im Leid auch ein Sinn liegen könne. In Romis Antwort taucht
Schwerpunktthema Theodizee
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auch zum ersten Mal die persönliche Perspektive auf, dass Gott ihr nah ist, wenn es ihr schlecht geht. Fasst man die unterschiedlichen Aspekte396 zusammen, ergeben sich im Hinblick auf die Theodizeefrage für das Gottesverständnis baptistischer Erwachsener aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen folgende Perspektiven: – Allen gemeinsam ist, dass Gott zunächst nicht für das Leid in der Welt verantwortlich gemacht wird397. – Gott lässt das Leid jedoch zu398. – Die Verantwortung wird häufig in der Schuld des Menschen399 und – eher selten beim Teufel bzw. Satan gesehen, bei Naturkatastrophen auch in der Beschaffenheit der Natur. – Zögerlich taucht die Perspektive auf, wenn Gott den Menschen und die Natur so geschaffen habe, dass er dann doch etwas mit dem Leid in dieser Welt zu tun haben könnte. – Im Zuge dessen wird dann auch festgestellt, dass es nicht einfach zu beantworten bzw. schwer zu verstehen sei. – Wo gedacht wird, dass Gott das Leid zulässt, wird dann in Folge versucht, das Leid positiv zu bewerten oder einen Sinn im Leiden zu sehen, z. B. dass das Leid für den Menschen wichtig sei, um sich zu verändern, und dass Gott trotz Leid da sei und Menschen in Not ihm begegnen könnten. – Es kommt zur Sprache, dass Gott sehr wohl eingreifen könne, aber warte. Aspekte, die nicht zur Sprache kommen, sind unter anderem: – Ohnmacht oder Selbstbeschränkung Gottes – der im Leid verborgene Gott 396 Diese Zusammenfassung erfolgt nicht, um eine Art baptistisches »Theodizeeverständnis« darzustellen, sondern um sehen zu können, welche Aspekte insgesamt fehlen, was nicht genannt wird. 397 Die Gründe, die dafür angegeben werden, sind: Gott ist gut. Gott ist perfekt. Gott ist Liebe. Gott kann nichts Böses tun. Gott will nur das Beste für den Menschen. Gott will nicht, dass Menschen leiden. 398 (abgesehen vom farsisprachigen Sample) … damit die Menschen wachgerüttelt werden, damit die Menschen sehen, was sie getan haben, damit Menschen sich verändern, oder als endzeitliches Zeichen. 399 … aufgrund seiner Boshaftigkeit – aufgrund seiner Sündhaftigkeit – aufgrund seiner Freiheit. Er wurde von Engeln dazu verführt.
392 – – – – – – –
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Solidarität Gottes mit leidenden Menschen Gott, der selber leidet dass Gott Leid (ab)-wenden kann dass Gott Leid bewirken kann die dunkle Seite Gottes das Leiden Jesu wird ebenfalls nicht erwähnt und damit auch nicht: Gott, der in Christus selbst leidet
Versteht man unter Theodizee die »Rechtfertigung Gottes«400 angesichts des Leides in der Welt, so muss festgestellt werden, dass die Befragten diese Frage so nicht stellen. Gott muss nicht gerechtfertigt werden, da er gar nicht erst angeklagt, sondern sofort entschuldigt wird. Der Widerspruch, der sich daraus ergibt, dass Gott einerseits als der Schöpfer dieser Welt gilt, andererseits als allmächtig und liebend, und dass das angesichts des erfahrenen Leids in dieser Welt nicht einfach zusammenpasst, wird nicht thematisiert. Demzufolge gibt es auch nur unzureichende und unbefriedigende Antwortansätze, was die befragten Personen im Gespräch zum Teil selber gemerkt haben (vgl. Yara, Valerie, Mara und Romi). Ambivalenzen im Gottesverständnis werden nicht wahrgenommen bzw. aufgelöst, z. B. zugunsten eines dualistischen Weltbildes, eines sehr negativen Menschenbildes, einer Vorstellung von einer autonom wirkenden Natur oder von Anklängen einer eher deistischen Gottesvorstellung, nach der der Schöpfergott sich zunächst zurückgezogen hat und nicht weiter eingreift. Es stellt sich u. a. die Frage, ob sich die Einzelnen mit der Möglichkeit der Anklage nicht auch zugleich die Möglichkeit der Klage nehmen und ob damit nicht eine wesentliche Äußerungsform des jüdisch-christlichen Glaubens verloren geht. Die Verbindung zwischen Gott und dem Leid herzustellen, scheint auf der kognitiven Ebene nicht einfach. Andererseits hat fast jede der befragten Personen persönliche Gotteserfahrungen durch und in eigenen Krisen und Leidenssituationen gemacht401. Romi bestätigt auf Nachfrage, dass sie für sich selber eine Verbindung sieht, was ihr eigenes Leiden angeht, und das kommt in ihrem Interview immer wieder vor: Eine längere Krankheit war für sie der Startschuss mit Gott. Im Alltag fällt der Verzweiflungsaspekt, der durch ihre depressiven Verstimmungen immer wieder da ist, weg. Bei den Positionierungen führt sie die »Kranke« als besondere »Gemütsverfassung« ein und macht 400 »Wer dem Gott der Bibel folgen will, kommt an der Theodizeefrage nicht vorbei. Von Leibniz als Kunstwort eingeführt, meint Theodizee die ›Rechtfertigung Gottes‹ angesichts der Leiden der Welt vor dem Forum der Vernunft.« Petzel Paul, Leiden – Theodizee, in: Bitter Gottfried / Englert Rudolf / Miller Gabriele / Nipkow Karl Ernst, Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, München 20092, 98–101, 99. 401 Vgl. 4.2.2.2 Näheerlebnis – Schlüsselerlebnis – Löcher der Verzweiflung, 324.
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Fazit
deutlich, dass sie sich dann Gott besonders nahe fühlt. Oder Leon, der in seinen leidvollen Erfahrungen durch Landeswechsel und Scheidung Gottes Nähe erlebt. Die Perspektive der Hoffnung auf Gottes Wirken in einer sehr schwierigen Situation haben Melinda und Eugen entwickelt. De facto rechnen sie mit Gottes (entweder materiellem oder spirituellem) Handeln. Es wurde zudem schon zusammenfassend festgestellt, dass aus Sicht der Betroffenen offenbar eine Zunahme an Vertrauen durch Krisenerlebnisse möglich ist. Die Frage ist nun, ob in dieser offensichtlichen Spannung zwischen Gottesbeziehung und Gottesverständnis eine konsistente Gottesvorstellung möglich ist. Im folgenden Kapitel wird dieser Frage noch einmal von religionspädagogischer Perspektive nachgegangen.
4.5
Fazit
Abschließend werden hier die im Vergleich der Sprachsamples erfassten Gemeinsamkeiten und auch die Unterschiede der Sprachsamples zusammengefasst:
4.5.1 Allgemeine Beobachtungen In allen Gesprächen haben sich die befragten Personen gut auf die Methoden und Fragestellungen einlassen können. Es konnte allgemein festgestellt werden, dass die Befragten gerne über ihren Glauben sprechen. Unmittelbar nach dem Gespräch, aber auch nach einigen Wochen und Monaten gab die eine oder andere Person das Feedback, dass es gut getan habe, sich selber einmal Gedanken darüber zu machen. Es konnte weiterhin festgestellt werden, dass sich die Untersuchungsmethoden leicht in verschiedenen Sprachgruppen anwenden lassen.
4.5.2 Gemeinsamkeiten der Sprachsamples 4.5.2.1 Die Gottesbeziehung (emotionale Anteile der Gottesvorstellung) betreffend Die Gottesvorstellung ist für alle Befragten emotional bedeutsam. Es konnte gezeigt werden, dass fast alle befragten Personen402 sich selber direkt oder in402 Nicht Dian, Joseph und Romi.
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
direkt in der Gestaltung darstellen und/oder auch im Titel selber mitnennen403. Gefühle, die Gott gegenüber empfunden werden, sind neben anderem vor allem Vertrauen und Dankbarkeit404. Die Gottesbeziehung ist unmittelbar mit zentralen Lebens- und/oder Alltagssituationen verbunden. In den einzelnen Metaphern spiegeln sich u. a. Alltags- und Lebenssituationen, Krisenerfahrungen, Lebensgefühle und auch Defiziterleben405. Lebens- und Alltagserfahrungen werden als Gotteserfahrungen gedeutet. Es konnte weiterhin festgestellt werden, dass in der zweiten Positionierungsübung einzelne Interviewpartnerinnen und -partner die Figuren, die ihre unterschiedlichen Gemütsverfassungen repräsentiert haben, oft in die Nähe der verschiedenen Gottessymbole platzierten, auch die, die in der ersten Positionierung eher entfernt von dem einen Gottessymbol standen. Hier kann gefragt werden, ob eine »vielfältige« Gottesvorstellung hilfreich ist, die Vielgestalt der eigenen Gefühle anzunehmen und in die Gottesbeziehung einbringen zu können? 4.5.2.2 Das Gottesverständnis (kognitive Anteile der Gottesvorstellung) betreffend In den unterschiedlichen Sprachgruppen finden sich sowohl konkrete als auch abstrakte Formulierungen in Bezug auf die Gottesvorstellung. Gott wird überwiegend als handelndes Wesen (theistisch) gedacht, was aber auch abstrakte Elemente (Gott als Prinzip oder Struktur) einschließen kann. Im Hinblick auf die Theodizeefrage konnte gezeigt werden, dass die untersuchten Personen die Frage so nicht stellen, daher gibt es auch nur unzureichende und unbefriedigende Antwortansätze, was die befragten Personen im Gespräch zum Teil selber gemerkt haben. Ambivalenzen im Gottesverständnis werden nicht wahrgenommen bzw. aufgelöst. Exemplarisch wurde im Hinblick auf die Theodizeefrage eine Spannung zwischen Gottesverständnis und persönlicher Gotteserfahrungen festgestellt406. Die Frage ist, ob so eine konsistente Gottesvorstellung möglich ist.
403 404 405 406
4.2.1.1 Positionierung zur Metapher, und 4.2.1.2 Überschrift zur Metapher, 300f. Vgl. Gefühle die gegenüber Gott geäußert werden 4.2.2.1, 321. Tabellen 1.1–1.4, 303ff. Vgl. 4.2.2.2 Näheerlebnis – Schlüsselerlebnis – Löcher der Verzweiflung, 324.
Fazit
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4.5.2.3 Die Glaubenspraxis betreffend Eine Relevanz der Gottesvorstellung der befragten Personen für ihren Alltag ist zu erkennen. Dabei ist insgesamt wenig Kultisch-Rituelles zu finden (das deutschsprachige Sample hebt sich dabei ein wenig von den weiteren Sprachsamples ab). Die Befragten geben an, zu unterschiedlichen Gelegenheiten und häufig zu beten, vor allem auch in emotionalen Belastungssituationen407. 4.5.2.4 Die Veränderung der Gottesvorstellung (kognitive und emotionale Anteile) betreffend Die Mehrheit der Befragten408 gibt an, dass ihre Gottesvorstellung sich verändert hat. In der Erinnerung, im persönlichen Rückblick durch die Interviewarbeiten, erscheint die frühere Gottesvorstellung defizitär. In den Interviews wird die Bedeutung von kritischen Lebensereignissen als verändernde Impulse für die Gottesvorstellung deutlich. Es gibt eine hohe Korrelation zwischen kritischen Lebensereignissen und dem Erleben von Gottes Nähe. Aus der Sicht der Betroffenen ist offenbar eine Zunahme an Vertrauen, selbst durch Krisenerlebnisse bzw. gerade durch Krisenerlebnisse, möglich. Auch die Konfrontation mit einer fremden Gottesvorstellung im neuen kulturellen Kontext kann eine Veränderung der Gottesvorstellung hervorrufen409. In der Erinnerung der Befragten ist eine Entwicklung vom Betonen der kognitiven Anteile oder einer normativen Glaubenspraxis (früher) hin zu emotionalen Anteilen (jetzt) der Gottesvorstellung zu beobachten. Insgesamt stehen in der Beschreibung der Einzelnen im Hinblick auf ihre jetzige Gottesvorstellung die emotionalen Anteile im Vordergrund410. Es scheint weniger wichtig, was geglaubt wird (Gottesverständnis), sondern wie die Gottesbeziehung Gestalt gewinnt: Im Krisenfall – im Alltag – als Unterstützung in der Persönlichkeitsentwicklung.
4.5.3 Unterschiede zwischen den Sprachsamples Verschiedene Alltags – und Lebenssituationen In den Gottesmetaphern (Materialcollagen) spiegeln sich die unterschiedlichen Alltags- und Lebenssituationen. Neben anderem sind das im farsisprachigen 407 Ausnahmen: Melinda – Marius – Joseph – Romi – Barbara, die angeben in manchen emotional belastenden Situationen selten oder nie zu beten. 408 Außer Corvin und Valerie, den jüngsten untersuchten Personen. 409 Vgl. besonders das farsisprachige Sample, 98ff. 410 Vgl. Gefühle, die gegenüber Gott geäußert werden 4.2.2.1, 321.
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
Sample die – manchmal traumatisch – erlebte Flucht und die neu entdeckte christliche Gottesvorstellung. Im rumänischsprachigen Sample ebenfalls die – manchmal traumatisch – erlebte Flucht oder der Landeswechsel, verbunden mit allen Schwierigkeiten des Neuanfangs und des Fremdseins. Im spanischsprachigen Sample sind es der Landeswechsel, mit den damit verbundenen Schwierigkeiten und oft die Krisensituation während und nach einer Scheidung und in Folge die Verantwortung als Alleinerzieherin. Verhältnismäßig häufig klingt das Thema Schutz an (Gott schützt mich, Gott hat mich geschützt), allerdings fast nicht im deutschen Sample. Konkrete oder abstrakte Sprachwahl in Bezug auf die Gottesmetapher Im rumänischsprachigen Sample ist die Sprachwahl überwiegend konkret, und die Gottesvorstellung ist immer mit anthropomorphen Aspekten verbunden. Im spanischsprachigen Sample findet sich eine überwiegend konkrete Sprachwahl, die sich neben anthropomorphen Aspekten einer Gottesvorstellung auch auf die Vorstellung einer Wirksamkeit beziehen kann. Eine Person bleibt im Abstrakten. Im farsisprachigen Sample ist die Wortwahl bei drei Personen abstrakt, bei zwei Personen konkret und bei einer Person sowohl abstrakt als auch konkret. Im deutschsprachigen Sample fällt eine größere Zurückhaltung bezüglich einer konkreten Sprache auf. Vier Personen bleiben eher im Abstrakten, zwei Personen verwenden eine sehr konkrete Redeweise. Im Hinblick auf die erinnerte Veränderung der Gottesvorstellung sind folgende Schwerpunkte in den einzelnen Sprachsamples zu beobachten: Oben wurde schon festgestellt, dass in der Beschreibung der einzelnen Personen im Hinblick auf ihre jetzige Gottesvorstellung die emotionalen Anteile im Vordergrund stehen411. Dabei geht die erinnerte Veränderung im farsisprachigen Sample von den eher kognitiven hin zu den eher emotionalen Anteilen, von einem legalistischen Gottesverständnis, einer materialistischen Hilfeerwartung oder einem magischen Denken hin zu einer dialogischen, kommunikativen Gottesbeziehung. Im Hinblick auf die veränderte Gottesvorstellung wird vor allem die spürbare Nähe Gottes betont. Im rumänischsprachigen Sample geht die Veränderung von der Glaubenspraxis hin zu einer vertrauensvollen Gottesbeziehung, vom richtigem Verhalten und Handeln hin zum Vertrauen in Gottes Gnade, im spanisch- und deutschsprachigen Sample, sowohl vom Vorrang der kognitiven Anteile hin zu den emotionalen, als auch von der Glaubenspraxis hin zur Gottesbeziehung.
411 Vgl. ebd.
Fazit
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Schuld und Wut In der Auswertung der ersten Positionierungsübung wurde die unterschiedliche Bewertung der eigenen Emotionen, insbesondere bei Schuldgefühlen und Wut, im Hinblick auf die Gottesbeziehung in den verschiedenen Sprachsamples deutlich. Weiterhin zu fragen wäre, welchen Einfluss Gefühle wie Schuld und/ oder Wut in den verschiedenen Kulturen auf die Gottesbeziehung haben können und ob es in ihnen generell ein unterschiedliches Verständnis bzw. eine unterschiedliche Bewertung von Schuld und/oder Wut gibt? Emotionskontrolle Im spanischsprachigen Sample sticht das Thema Emotionskontrolle hervor. Mehrere Personen sagen, dass sie mit Gottes Hilfe an ihrer Persönlichkeit arbeiten möchten, um ihre Emotionen besser zu kontrollieren. Fühlen der Nähe Gottes Besonders auffällig ist vor allem im farsisprachigen Sample die Betonung des Fühlens der Nähe Gottes, die durch eine veränderte Gottesvorstellung möglich geworden ist.
4.5.4 Zusammenfassung Insgesamt ist zu sagen, dass es im Hinblick auf die Gottesvorstellung zwischen den Sprachsamples viele Gemeinsamkeiten und einige Unterschiede gibt. Gemeinsam ist die Betonung der Gottesbeziehung, hinter die das Gottesverständnis zurücktritt. Gemeinsam ist die Relevanz der Gottesbeziehung für den Alltag und eine alltägliche Glaubenspraxis. Die einzelnen Personen sehen im Rückblick, dass ihre Gottesvorstellung sich verändert hat, wobei kritische Lebensereignisse einen wichtigen Stellenwert haben. Wichtige Gefühle Gott gegenüber sind Vertrauen und Dankbarkeit, wobei durch erlebte Krisen eine Zunahme an Vertrauen möglich ist. Das Gottesverständnis betreffend wird wenig reflektiert, Ambivalenzen werden nicht wahrgenommen bzw. aufgelöst. Die Sprachsamples unterscheiden sich bezüglich der Lebenssituationen der Befragten, ihrer Sprachwahl und der damit verbundenen Gottesvorstellung (Gott als Person oder Prinzip), der Schwerpunkte ihrer früheren Gottesvorstellung (eher kognitiv – eher normativ) und der emotionalen Aspekte: Schuld, Wut, Gefühl der Nähe Gottes. Die Unterschiede zeigen, dass es sich lohnt, sich im Hinblick auf die Gottesvorstellung Erwachsener mit der Frage der kulturellen Differenz auseinanderzusetzen.
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Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Sprachsamples
4.5.5 Anschlussfragen Die Beobachtungen aus den einzelnen Samples können zu verschiedenen Fragestellungen anregen, die in dieser Arbeit so nicht weiter verfolgt werden können: Angeregt durch die Betonung im farsisprachigen Sample, Gottes Nähe jetzt spüren zu können, gegenüber einem Verständnis von einem weit entfernten Gott, lässt fragen, ob die Gottesbeziehung aus dem Gottesverständnis kommt – anders als bei bisher (religions-)psychologischen Untersuchungen, in denen der Grundtenor vorherrscht, dass das Vertrauen zu »Gott« in Korrelation mit den Erfahrungen der bedeutenden Bezugspersonen der Kindheit steht412. Aus der Sicht der Betroffenen ist eine Zunahme an Vertrauen – selbst durch Krisenerlebnisse – bzw. gerade durch Krisenerlebnisse – möglich. Was kann das zur Frage nach erwachsenem Glauben beitragen? Die Frage nach dem Stellenwert von Schuld und Wut in anderen Kulturen, sowohl gesellschaftlich, individuell als auch theologisch und ethisch. Welche inneren wie äußeren Einflussfaktoren spielen eine Rolle bei der Veränderung der Gottesvorstellungen von den kognitiven Anteilen oder einer normativen Glaubenspraxis hin zu den emotionalen Anteilen, die bei der Beschreibung der Einzelnen im Hinblick auf ihre jetzige Gottesvorstellung aktuell im Vordergrund stehen? Wie wird dieser Wechsel vollzogen? Was bedeutet das für religionspädagogisches wie für theologisches Arbeiten?
412 Vgl. z. B. Rizutto, die in der Objektbeziehungstheorie die Bildung einer emotional bedeutsamen Gottesbeziehung in den Beziehungen der frühen Kindheit begründet sieht, 27ff.
5.
Religionspädagogisches Fazit
Welchen Beitrag können die in dieser Untersuchung gemachten Beobachtungen zur Gemeindepädagogik leisten? Welche Impulse kann Gemeindepädagogik geben, welche soll sie geben, welche (lieber) nicht? Was bedeutet das möglicherweise für ein Fortbildungsangebot für Religionspädagoginnen und -pädagogen?
5.1
Entwicklung der Gottesvorstellung und erwachsener Glaube
Im Folgenden wird vor allem ein Bezug von der vorliegenden Untersuchung zu dem Forschungsprojekt von Wittrahm, Leicht und anderen (Bonner Studie)413 hergestellt, da das Bonner Team, auf dessen Forschungsarbeit – in Kapitel 2.1.3.1 Die pastoraltheologische Perspektive – Der erwachsene Glaube – ausführlich eingegangen wird, insbesondere an der pastoraltheologischen Fragestellung, was »erwachsener Glaube« ist, interessiert ist und aus den Ergebnissen ihrer Forschung gemeindepädagogische Folgerungen für die Erwachsenenbildung zieht. Ein Befund, dass eine »Entwicklung« der Gottesvorstellung nicht linear und zielgerichtet sein muss414, sondern eher auf einer Interaktion von »persönlicher Struktur und (historisch sich wandelnder) sozio-kultureller Umwelt«415 beruht
413 Wittrahm Andreas / Leicht Barbara, »…und wenn es hochkommt, sind es 80 Jahre…« – Gestalten und Gestaltwandel erwachsener Religiosität, In: Initiativkreis Religiöse Erwachsenenbildung (Hrsg.), Was ist erwachsene Religiosität?, Mönchengladbach 2000, 9–22. Wittrahm Andreas / Leicht Barbara, Gestalten und Gestaltwandel erwachsener Religiosität. Von der Pilotstudie zum Forschungsprojekt »Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter«, In: Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), »Selbst die Senioren sind nicht mehr die alten …« – Praktisch-theologische Beiträge zu einer Kultur des Alterns, Münster 2003, 21–39. 414 Wie in den zuvor diskutierten Stufenmodellen angenommen, 32ff. 415 Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter – Anliegen und Anlage
400
Religionspädagogisches Fazit
und sich so sinnvoll im Rahmen des Life-span-development Approach interpretieren lässt416, findet sich in der vorliegenden Untersuchung vor allem in den Beobachtungen zum farsisprachigen Sample. Hier stellen die befragten Personen heraus, dass es ihnen möglich ist, Gottes Nähe zu spüren, seitdem sie zum christlichen Glauben gekommen sind. Dem gegenüber steht ein früheres Verständnis von einem weit entfernten Gott417. Dies lässt zudem auch fragen, ob die Gottesbeziehung aus dem Gottesverständnis kommt – anders als bei bisherigen (religions-)psychologischen Untersuchungen, in denen der Grundtenor vorherrscht, dass das Vertrauen zu »Gott« in Korrelation mit den Erfahrungen der bedeutenden Bezugspersonen der Kindheit steht418. Daraus folgt, dass pastorales bzw. religionspädagogisches Handeln »als ein Faktor unter anderen die religiöse Entwicklung (beeinflusst) und seinerseits die biographischen Voraussetzungen der Adressaten berücksichtigen« muss419. Vergleicht man die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung mit der Bonner Studie420, kann man einige Übereinstimmungen feststellen421. Dort wird unter anderem bemerkt, dass die Veränderung von einem stark wertgebundenen Glauben und einer abstrakten Weltanschauung hin zu einer stärker persönlich orientierten Gottesbeziehung geht422. Es wird Ähnliches beobachtet, wie für die vorliegende Untersuchung in 4.2.2.3 mit der Auswertung der Kategorie »Früher – Jetzt«423 beschrieben wird. Hier ist eine Entwicklung vom Betonen der kognitiven Anteile (früher) hin zu emotionalen Anteilen (jetzt) der Gottesvorstellung zu beobachten, vom Gottesverständnis hin zur Gottesbeziehung und
416 417 418 419 420 421
422 423
eines Forschungsprogramms, in: Fürst Walter / Wittrahm Andreas / Feeser-Lichtenfelder Ulrich / Kläden Thomas (Hrsg.), Senioren, 41–65, 64. Baltes Paul B., Entwicklungspsychologie der Lebensspanne: Theoretische Leitsätze, in Zeitschrift: Psychologische Rundschau 1990/41, 1–24, Göttingen 1990. Vgl. 4.2.2.2 Näheerlebnisse …, 324ff. Z. B. Rizutto, die in der Objektbeziehungstheorie die Bildung einer emotional bedeutsamen Gottesbeziehung in den Beziehungen der früher Kindheit begründet sieht, 27ff. Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung, 64. Vgl. Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung, und Kläden Tobias, Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojektes »Religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter« im Überblick, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 67–84. Wobei zu berücksichtigen ist, dass die vorliegende Untersuchung nicht repräsentativ ist, da der Fokus dieser Arbeit eher auf dem interkulturellen Vergleich liegt und ein anderes Untersuchungsdesign mit Untersuchungsfragen vorliegt, die sich von der oben genannten Untersuchung im Hinblick auf »Gestalten erwachsener Religiosität« von Wittrahm und Leicht unterscheiden. Dennoch gibt es einige Berührungspunkte und vor allem die nachfolgenden gemeindepädagogischen Überlegungen von Wittrahm und Hammerschmidt sind auch für die vorliegende Arbeit relevant. Vgl. Wittrahm Andreas / Hammerschmidt Mechthild, Der Herr kennt den Weg des Gerechten – Glaubensentwicklung und religiöse Erwachsenenbildung, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 109–126. Wittrahm / Leicht, Von der Pilotstudie zum Forschungsprojekt, 38. Vgl. 4.2.2.3 Früher – Jetzt, 346ff.
Entwicklung der Gottesvorstellung und erwachsener Glaube
401
zudem vom Vorrang des richtigen Verhaltens, des richtigen Handelns als Christ hin zum Vertrauen in die Gnade Gottes, also eine Entwicklung von einer eher normativen Glaubenspraxis ebenfalls hin zur emotional bedeutsamen Gottesbeziehung. Ferner stellen Wittrahm und Leicht für die Bestätigung ihrer Hypothesen durch ihre Untersuchung fest, dass die aktuelle Lebenssituation die Glaubensgestalt beeinflusst424 und dass die »lebensgeschichtlich entwickelte Glaubensgestalt« Einfluss darauf hat, wie die Befragten in ihrer Lebensgeschichte mit Herausforderungen umgehen. Sie zeigen einen engen Zusammenhang zwischen Glaubensgestalt und Herausforderungen auf, und dass von kritischen Herausforderungen in der zweiten Lebenshälfte Anstöße zur Veränderung der Glaubensgestalt ausgehen, die sich für die eigene religiöse Entwicklung produktiv erweisen425. Ähnliches berichten die Interviewpartnerinnen und -partner der vorliegenden Untersuchung, wenn sie im erinnernden Rückblick wahrnehmen, dass gerade durch Krisenerlebnisse eine Zunahme an Vertrauen möglich ist. Entwicklung wird in der Bonner Studie verstanden als »Antwort auf ein andauerndes ›Synchronisierungsproblem‹ …, das die persönliche Religiosität einschließt«426. Im Erwachsenenalter kommt sie »weder von selbst bzw. aus sich selbst heraus in Gang noch automatisch zum Stillstand; es ist keine eindeutige und einheitliche Entwicklungsrichtung vorgegeben, und religiöse Entwicklung kann im Wesentlichen als Reaktion (als Synchronisierungsversuch) auf Erfahrungen, auf Begegnungen, auf Diskontinuitäten in den bisherigen biographischen Plausibilitäten begriffen werden«427. Konsequenzen, die sich daraus nach Ansicht der Bonner Forscherinnen und Forscher für eine entwicklungsorientierte religiöse Erwachsenenbildung ergeben, sind interaktive Bildungsangebote, bei denen die Teilnehmenden über ihre Glaubensvorstellungen und Lebensrealitäten ins Gespräch kommen können. An dieser Stelle taucht die Frage auf, ob die Perspektive einer multidirektionalen Entwicklungsoffenheit den Abschied von einer »Zielgestalt« voraussetzt. Rudolf Englert428 befasst sich eingehend mit der Frage, inwiefern aus der Bonner Studie Kriterien für eine erwachsene Religiosität gewonnen werden können. Er stellt fest, dass es schwierig sei, aufgrund von empirischen Studien, 424 Wittrahm, Leicht, Von der Pilotstudie zum Forschungsprojekt, 38. 425 AaO. 39. 426 Fürst Walter / Wittrahm Andreas, Artikel: Gestalten erwachsener Religiosität, in: Bitter Gottfried / Englert Rudolf / Miller Gabriele / Nipkow Karl Ernst, Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, München 20092, 204–208, 206. 427 Wittrahm / Hammerschmidt, Glaubensentwicklung und religiöse Erwachsenenbildung, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 109–126, 122. 428 Englert Rudolf, Von der Deskription der Religiosität Erwachsener hin zu Kriterien erwachsener Religiosität, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 89–100.
402
Religionspädagogisches Fazit
in die immer schon gewisse normative Implikationen des untersuchten Umfeldes (hier die jüdisch-christliche Tradition) einfließen, allgemeingültige Kriterien für eine erwachsene Religiosität, die über den christlichen Kontext hinaus Geltung haben, zu finden. Andererseits sei es innerhalb handlungsorientierter Wissenschaften die Aufgabe, mit »normativ aufgeladenen Empfehlungen, Kriterien und Zielperspektiven« zu arbeiten. Wichtig sei, dass der Begründungsweg nachvollziehbar ist. Dennoch besteht für Englert durchaus eine Möglichkeit, aufgrund von empirischen Studien Kriterien einer erwachsenen Religiosität zu gewinnen, die dann gegebenenfalls kontrastiert werden, um so zu Zielperspektiven zu gelangen. Er kommt zu folgenden fünf Kriterien, die eine erwachsene Religiosität ausmachen: religiöse Selbstbestimmung, interreligiöse Verständigungsfähigkeit, Gestalthaftigkeit, Korrelativität und Communiobezug, die er einerseits den Endstufen der Stufenmodelle429 und andererseits den Untersuchungsergebnissen von Wittrahm und Leicht entnimmt. An anderer Stelle430 nennt Englert als Entwicklungsaufgaben für eine Religiosität im Erwachsenenalter Transformation, Bewährung (bzw. Treue) und Berufung. Der religiöse erwachsene Mensch ist durch biographische Krisen herausgefordert, seine Gottesvorstellung zu entwickeln, mit der eigenen biographischen Erfahrung in Übereinstimmung zu bringen. In der Begrifflichkeit der vorliegenden Untersuchung könnte das z. B. heißen, dort wo Gottesverständnis, Gottesbeziehung oder gewohnte Glaubenspraxis und reale Erfahrung auseinanderklaffen, ist der glaubende Erwachsene herausgefordert, seine Gottesvorstellung zu verändern um wieder subjektiv »stimmig« glauben zu können. In den Interviews sind einige dieser Transformationsprozesse erkennbar, wenn z. B. im rumänischen Sprachsample einzelne Personen bemerken, dass es für sie jetzt mehr auf das Innere ankomme und nicht so sehr auf die rechte Glaubenspraxis431. Die zweite Kategorie der Treue stellt für Englert in der Reflexion über anthropologische Voraussetzungen religiösen Lernens eine wesentliche Kompetenz des Erwachsenenalters dar432. »In der Erfahrung des Erwachsenenalters 429 Religiöse Selbstbestimmung und interreligiöse Verständigungsfähigkeit entsprechen jeweils den letzten beiden Stufen der Stufentheorien von Oser/Gmünder und Fowler’s, vgl. Kap. 2.1.2.2, 32ff. 430 Englert Rudolf, Grundkategorien erwachsener Religiosität. In: Initiativkreis Religiöse Erwachsenenbildung (Hrsg.), Was ist erwachsene Religiosität?, Mönchengladbach, 2000, 57– 62. 431 Vgl. Denisa trägt in Österreich kein Kopftuch mehr, um sich als Christin von anderen zu unterscheiden. Sie sagt jetzt, dass es mehr auf das Innere ankomme, 172ff. 432 Englert Rudolf, Anthropologische Voraussetzungen religiösen Lernens in: Dirscherl E. / Dohmen Ch. / Englert R. / Laux B. In Beziehung leben – Theologische Anthropologie, Freiburg, 2008, 131–189, 176.
Entwicklung der Gottesvorstellung und erwachsener Glaube
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zeigt sich der Glaube als eine Form schöpferischer Beziehungsarbeit an einer religiösen Tradition. Der man sich in TREUE verpflichtet fühlt.«433 Treue versteht er als die Fähigkeit, auch über Krisen hinweg an etwas festzuhalten434. Dazu bedarf es einer »hermeneutischen Fähigkeit: die eigene religiöse Beziehungsgeschichte auch in schwierigen Zeiten so zu lesen, dass dabei sowohl vergangene Bewährungen als auch zukünftig mögliche Erfüllungen im Blick bleiben«435. Eine »zweite Naivität«436 erlaubt es, »sich im vollen Bewusstsein letztlich nie ganz zu schließender Begründungs- und Identifikationslücken auf eine religiöse Tradition doch so einzulassen, dass man sich in ihr und mit ihr weiterzuentwickeln vermag«437. Treue bedeutet demnach nicht Stagnation oder Starrheit, sondern schöpferische Transformation, was durchaus auch, aus Treue zu sich selber, einen Bruch mit der Tradition bedeuten kann. Die religiöse Entwicklung Erwachsener scheint nach Englert aber auch in einer Spannung zwischen Aufbrechen und Treue zu stehen, wenn er in der Perspektive postmoderner Lebensläufe438 mit dem Verweis auf die religionswissenschaftliche Perspektive von DaniHle Hervieu-L8ger für die Religiosität Erwachsener unter den Bedingungen säkularer Gesellschaften feststellt, dass Religion nur noch eine Relevanz hat, wenn Menschen einen existentiellen Zugang zu ihr finden und die Gestalt von Religiosität eher einem offenen Suchprozess gleicht, der mit einer Pilgerschaft vergleichbar ist. Aufbrechen, unterwegs sein, Liebgewordenes zurücklassen, das wird zur wesentlichen Existenzform religiös suchender Menschen. Bei religiösen Menschen vermutet Englert in den meisten Fällen aber eine weniger hohe Intensität der Religiosität als bei den »Pilgern«. Da lassen sich zwei Möglichkeiten der Verknüpfung zwischen Biographie und Religion unterscheiden. Zum einen die »ordnende Kraft religiöser Prägung biographischer Entwicklungen« und zum anderen eine »Biographisierung des Religiösen«. Gehören zu den religiösen Entwicklungsaufgaben des Erwachsenenalters demnach einerseits Transformation, Treue und Berufung und andererseits Aufbrechen und Suchen, so ist die Religionspädagogik ihrerseits herausgefordert, ein weites Spektrum von Aufgaben nach innen und nach außen abzudecken, in einer größtmöglichen Offenheit für multidirektionale Entwicklungen und doch nicht ohne Zielvorgabe. Die Aufgaben nach außen in die Gesellschaft 433 434 435 436 437 438
AaO., 178. AaO., 176. AaO., 177. Englert verweist mit diesem Begriff auf den Philosophen Paul Ricoeur, AaO., 177. Ebd. Im Folgenden wird Bezug genommen auf: Englert Rudolf, Lebenslauf und religiöse Entwicklung, in: Adam Gottfried / Lachmann Rainer (Hrsg.), Neues Gemeindepädagogisches Kompendium, Göttingen 2008, 85–110.
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beschreibt Englert folgendermaßen: »Ein Christentum, das religiös suchenden Menschen einen persönlichen Zugang eröffnen will, muss aus der Enge kerngemeindlichen Milieus heraus und neue Formen gesellschaftlicher Präsenz entwickeln: einladende, animierende, unverbindliche Formen eines Christentums zum Kennenlernen. Ein zukünftiges Christentum braucht Initiativen, Foren und Netzwerke, die von der Gestaltungskraft des Glaubens für das individuelle und gesellschaftliche Leben unaufdringlich Zeugnis ablegen.«439 So muss auch die Religionspädagogik, als Gemeindepädagogik nicht nur die gegenwärtige christliche Gemeinde in den Blick nehmen, sondern zugleich die zukünftige, in der sich die Traditionschristen und die »neuen Christen«, die z. B. aus interkulturellen Kontexten stammen bzw. aus anderen Religionen oder einer atheistischen Vorstellung heraus zum Christentum konvertieren. Sie muss ebenso die Menschen in den Blick nehmen, die noch auf der Suche sind und die, die meinen, schon gefunden zu haben. In diesem Kontext der gegenwärtigen und der zukünftigen Gemeinde vor allem in größeren Städten ist die Frage dieser Untersuchung nach den interkulturellen Differenzen in den Gottesvorstellung verschiedener Menschen relevant440. Die Entwicklungsaufgaben sind für den säkularen Menschen, sich auf die Suche zu begeben bzw. auf der Suche zu bleiben (Pilgerschaft) und für ein Finden bzw. Gefunden werden (Konversion) offen zu sein. Für den schon auf eine Tradition bezogenen Menschen bedeutet es, ein Konzept erwachsener Religiosität, dass »biographische Stimmigkeit (Synchronizität) und Bewährung in herausfordernden Lebenssituationen (Funktionalität)«441 integriert – dies erfordert die Kompetenz zur Transformation und zur Treue, aber auch die Offenheit (in Treue zu sich selbst) sich über den eigenen konfessionellen, gemeindlichen, kirchlichen bzw. religiösen Kontext hinaus zu entwickeln. Die Frage nach der Zielgestalt stellt sich im Rahmen einer verantworteten Erwachsenenbildung. Woraufhin sollen Bildungsprozesse ausgerichtet sein, was ist das Ziel? Die Stufenmodelle geben mit ihren fortgeschrittenen Stufen eindeutige Zielgestalten vor, zu denen eine lineare Entwicklung möglich scheint. 439 AaO., 109–110. 440 Während des vergangenen Jahres (2013) haben sich in meiner eigenen Großstadtgemeinde 2 neue Gruppen gebildet. Eine Latinogruppe, die speziell Menschen aus bikulturellen Partnerschaften anspricht (latino/deutschsprachig), bei denen ein Partner sich als Christ bezeichnet und der andere sich dieser Tradition nicht zugehörig fühlt. Eine zweite Gruppe sind Baptisten aus der Mongolei, die in Wien leben und hier andere Mongolen, die säkular sozialisiert sind, zum christlichen Glauben einladen wollen. In einer weiteren Baptistengemeinde in Wien hat im vergangenen Jahr eine russischsprachige Gruppe von Baptisten mit Gottesdiensten begonnen. Alle Personen aus den verschiedenen Kulturgruppen nehmen auch an den jeweiligen deutschsprachigen Gottesdiensten und Veranstaltungen teil. 441 Fürst Walter / Wittrahm Andreas, Artikel: Gestalten erwachsener Religiosität, in: Bitter / Englert / Miller / Nipkow, Handbuch, 207.
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Erwachsene sollen durch Bildungsprozesse stimuliert werden, sich dahingehend zu entwickeln. Der deskriptive Ansatz der Bonner Studie enthält sich konsequent konkreten normativen Zielvorgaben für die religiöse Entwicklung442. Wittrahm und Hammerschmidt stellen den Prozess der Entwicklung an sich in den Vordergrund und schlagen vor, Entwicklung durch Anregung zur Interaktion von Subjekt und Umwelt zu fordern und zu fördern. Das bildnerische Ziel ist dabei der Prozess selbst. »Ziele der religiösen Bildung müssen im ›Trialog‹ der Lernenden untereinander, mit den Lehrenden und mit der Tradition des Glaubens entworfen und erarbeitet werden.«443 Das Ziel für die individuelle Person ist Wahrnehmung (von Asynchronizitäten), Reflexion und die daraus für das Subjekt folgende, angemessene Veränderung. So muss »religiöse Bildung über neue Zielgestalten erwachsener Religiosität nachdenken, die der je eigenen individuellen Erfahrung (im Sinn von Gottesbegegnung in bestimmten Lebenslagen) und ihrer Herausforderung entsprechen (Berufung)«444. Dabei sind keine linearen Entwicklungen, sondern eher unstetige Verläufe zu erwarten445.
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Können die Bildungsziele demnach zwar nur individuell und dialogisch entworfen werden, so ist zum Abschluss der vorliegenden Untersuchung dennoch zu fragen, welche Impulse eine Gemeindepädagogik geben kann, um ihre Aufgabe in diesem dialogischen Geschehen zu erfüllen.
5.2.1 Impuls: Interkulturelle Sensibilisierung Die vorliegende Arbeit will zu einem bewussten und verantworteten Umgang mit kulturellen Unterschieden verhelfen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Beobachten, Wahrnehmen und Beschreiben und der Überlegung, welche Relevanz das Beobachtete in der religions- oder gemeindepädagogischen Praxis hat. Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist, kulturellen Unterschieden unter erwachsenen Christen derselben protestantischen Denomination nachzuspüren. Psychologische Untersuchungen setzen oft bei »dem Menschen« an und bean442 Wittrahm / Hammerschmidt, Glaubensentwicklung und religiöse Erwachsenenbildung, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 109–126. 443 AaO., 125. 444 Fürst / Wittrahm , Artikel: Gestalten erwachsener Religiosität, in: Bitter / Englert / Miller / Nipkow, Handbuch, 207. 445 Englert Rudolf, Anthropologische Voraussetzungen, 186.
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spruchen universale Geltung446. Ein möglicher Unterschied zwischen verschiedenen Kulturen wird zu wenig berücksichtigt. Eine Forschung, die Kulturunterschiede miteinbezieht wie zum Beispiel der Religionsmonitor, erweitert zugleich das Spektrum auch auf die Sammlung von Daten zu Personen aus anderen Religionen und auch zu so genannten Nichtreligiösen447. Die vorliegende Untersuchung von vier verschiedenen Sprachsamples erwachsener Personen einer bestimmten protestantischen Denomination kann als Extremsample zu anderen Untersuchungen die Religiosität Erwachsener betreffend gelesen werden. In der Auswertung der Daten wird bewusst von »Sprach«-Samples und nicht von »Kultur«-Samples gesprochen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Personen im spanischsprachigen Sample und im farsisprachigen Sample sprechen zwar je die gleiche Sprache (Spanisch, bzw. Farsi), doch kommen sie aus sehr verschiedenen Ländern (Spanisch: Mexiko, Peru, Cuba, Puerto Rico, Dominikanische Republik – Farsi: Afghanistan und Iran). In Österreich gehören sie jeweils einer Gemeinde an (Spanisch: Latino-Baptistengemeinde Iclea – Farsi: Projekt-Angoman). Die Personen aus dem spanischsprachigen Sample bezeichnen sich selber als Latinos und bezeichnen damit den Kulturkreis, zu dem sie sich zugehörig fühlen. Iraner würden sich dem persischen Kulturkreis zugehörig fühlen, Afghanen eher ihrer jeweiligen Stammeskultur448 (z. B. Paschtunen, Hazara, Tadschiken). Von daher kann bei dieser Auswertung nicht von verschiedenen »Kultur«Samples gesprochen werden. In der gröberen Differenz der einzelnen Sprachsample (Deutsch, Rumänisch, Spanisch und Farsi) kann jedoch das Entdecken der Unterschiede ein Hinweis auf »kulturelle« Unterschiede sein. Ein weiterer Grund für den vorsichtigeren Ausdruck »Sprach«-Sample gegenüber »Kultur«-Sample ist der des voreiligen Rückschlusses auf »Kulturen«. Den genaueren kulturellen Hintergrund der einzelnen befragten Personen kennenzulernen, bedürfte weiterer Untersuchungen, die den Rahmen dieser Arbeit weit übersteigen würden. So darf auch von den quantitativ wenigen Daten in dieser qualitativen Untersuchung nicht auf die Kultur der jeweiligen Person zurückgeschlossen werden, es bestünde sonst die Gefahr, in Stereotypen zu verfallen oder Klischees zu bedienen449. In dieser Untersuchung wird vor allem 446 Vgl. die zuvor genannten Einwände bezüglich des Ansatzes von Rizutto, 29. 447 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt – Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2009. Vgl. Auch Pollack Detlef / Müller Olaf , Religionsmonitor – verstehen was verbindet, Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland, http://www.religionsmonitor.de/pdf/Religionsmonitor_Deutschland.pdf aufgerufen am 06. 12. 2013. 448 Ich beziehe mich hier auf viele informelle Gespräche, die ich während der vergangenen Jahre mit Angehörigen beider Volksgruppen geführt habe. 449 Das für die befragten Personen des spanischsprachigen Samples »Emotionskontrolle« im Hinblick auf ihre Glaubenspraxis ein wichtiges Stichwort war, muss nicht zwangsläufig heißen, dass »alle Latinos« ein Problem damit haben, ihre Emotionen zu zügeln, selbst
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Wert gelegt auf den Unterschied zwischen den einzelnen Sprachsamples und vermutet, dass es sich, wenn Unterschiede festzustellen sind, um kulturelle Unterschiede handeln kann. Wie oben schon erwähnt wird von Wittrahm aufgrund der Ergebnisse der Bonner Studie gefordert, dass pastorales bzw. religionspädagogisches Handeln »die biographischen Voraussetzungen der Adressaten berücksichtigen« muss450. Das setzt neben anderem eine Kenntnis von den jeweiligen kulturellen Hintergründen und gegebenenfalls von relevanten kulturellen Unterschieden voraus. Wenn die Gottesvorstellung sich in der Interaktion von Subjekt und Umwelt entwickelt, dann ist es von wesentlicher Bedeutung, dass auch die Herkunft, die Ursprungskultur mit ihren religiösen Denkmustern und Ausdrucksformen mit einfließen. Daraus folgt, dass sich die Verantwortlichen für Gemeindepädagogik in dem ihnen möglichen Ausmaß über das Herkunftsland, die dortige Kultur und Religion, mit einem gegebenenfalls anderen Verständnis von christlichem Glauben und Lebenspraxis, informieren. Im besten Fall kann diese Information durch interaktive und dialogische Angebote direkt aus der Zielgruppe heraus generiert werden. Zu denken wäre auch ein interkultureller Austausch in einer gemischt kulturellen Gruppe mit Fragen und Themen wie: »So leben in unserem Herkunftsland, in unserer Heimat, christliche Gemeinden.« »So feiern wir bei uns Gottesdienst.« »Christsein bedeutet in unserer Kultur …«. Zu wünschen wäre, dass die Bereiche Interkulturelle Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz in die Ausbildungen von Theologinnen und Theologen, Religionspädagogen und -pädagoginnen einfließen im Hinblick auf das eigene gemeindepädagogische und pastorale Arbeitsfeld, aber auch im Hinblick auf eine wachsende kulturelle Vielfalt aufgrund des demographischen Wandels. Instrumente wie der Religionsmonitor451 und die Ergebnisse seiner Auswertungen können die interkulturellen Themen um die religiöse Dimension verschiedener Kulturen erweitern. Fortbildungen zu interkulturellen Perspektiven auf verschiedene religiöse, theologische oder auch praktische Themen sind wünschenswert, z. B. zum Thema: »Gott und das Leid in verschiedenen Religionen und Kulturen«. Ferner sind die Methoden des Rostocker Methodenensembles, besonders die Materialcollage, geeignet, zu einer Art Statuserhebung, d. h. der Ermittlung der Lernausgangslage, um dort anzusetzen, wo die Menschen sind. Es ist heutzutage auch in christlichen Gemeinden nicht mehr von einem einheitlichen christlichen Hintergrund auszugehen, da die religiöse Sozialisation sehr vielfältig sein wenn es von den Betroffenen so ausgedrückt wird. Leon: »Ich bin wie ein Latino und manchmal so explosiv.« 450 Wittrahm Andreas, Religiöse Entwicklung, 64. 451 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Woran glaubt die Welt – Analysen und Kommentare zum Religionsmonitor 2008, Gütersloh 2009.
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kann. Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs oder in kleinen Gruppen können die einzelnen Personen unter Verwendung des Rostocker Methodenensembles von sich und ihrer persönlichen Gottesbeziehung erzählen, einiges ihrer eigenen Biographie und auch ihrer Kultur fließt mit ein und kann im nachfolgenden Gespräch thematisiert werden. Auch Defizite werden deutlich452. Die Arbeit mit Materialcollagen zu Gottesmetaphern kann auch sehr fruchtbar in den Dialog unter den Teilnehmenden einer Veranstaltung einfließen. Interkulturelle Sensibilität kann hier in der Gruppe eingeübt werden. Die produzierten Objekte können methodisch im Feed-back-Verfahren betrachtet werden. Eine Person stellt ihre Collage in die Mitte, die anderen sagen, was sie sehen oder was ihnen dazu einfällt. Anschließend spricht die Produzentin, der Produzent der Materialcollage über ihre bzw. seine eigene Gottesvorstellung. So hört auch jede und jeder von den Gottesvorstellungen der anderen. Wichtig ist es hierbei, die eigene Wahrnehmung zu schulen und Interpretationen zu vermeiden. Ein achtsamer Umgang miteinander und der Respekt vor der möglichen Verschiedenheit der Gottesvorstellung der anderen Person werden eingeübt. Sind die Gruppen interkulturell gemischt, bietet sich hier eine wichtige interkulturelle Lernchance. Die Beschäftigung mit der eigenen Gottesmetapher kann ein Verständnis für Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Gottesvorstellung wecken. Im miteinander Entdecken der Metaphern anderer kann das Verständnis für die Gottesvorstellung anderer wachsen. Das Wahrnehmen und Gelten Lassen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden bezüglich der Gottesvorstellungen von Angehörigen der eigenen Konfession kann eine Vorbereitung für den interkulturellen oder sogar interreligiösen Dialog sein.
5.2.2 Impuls: die eigene Biographie Schon im Zusammenhang mit der Bonner Studie wurde festgestellt, dass die Beteiligten gerne in einem personenzentrierten und wertschätzenden Rahmen über ihre eigene Gottesvorstellung sprechen453. Direkt nach einigen Interviews sprachen die Interviewten davon, dass das Interview selber für sie eine Art »Gotteserlebnis« war. Auch noch nach vielen Monaten bewertete eine Teilnehmerin in einem informellen Gespräch das Interviewgeschehen als ein sehr positives Erlebnis. Eine der Personen, die die Interviews für diese Veröffentlichung Korrektur gelesen hat, bemerkte, wie spannend es sei, diese Interviews zu lesen, 452 Bei manch einem Gespräch dieser Untersuchung kam die Frage auf, was das Christliche an dieser Gottesvorstellung sei. Vgl. z. B. das Interview mit Dian, 137. 453 Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 252.
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weil das so in der Gemeinde gar nicht vorkomme. Wann werde man denn einmal nach dem eigenen Glauben gefragt454. Das Reden über die eigene Gotteserfahrung im Laufe des eigenen Lebenslaufes kann dann, ähnlich wie im Bibliodrama, zu einer »Predigt der Vielen« werden, manches relativieren und über die Begegnung mit den anderen Beteiligten in Zustimmung und Unterscheidung zur Reflexion der eigenen Gottesvorstellung führen. In einem geschützten Raum – vielleicht eher im wertschätzenden, personenzentrierten Zweiergespräch – können dann auch sogenannte Asynchronien in der eigenen Biographie in den Blick genommen werden.
5.2.3 Impuls: der versöhnliche Blick zurück Die Feststellung, dass die frühere Gottesbeziehung von fast allen interviewten Personen im Rückblick als defizitär empfunden wird, regt besonders zum Nachdenken an. Gerade wenn es um Konversionen aus anderen Religionen oder einen innerchristlichen Wechsel von einer Kirchengemeinschaft zu anderen geht, liegt darin auch die Gefahr, die eigene religiöse Herkunft gering zu schätzen und damit Angehörige anderer Kirchen oder Religionen zu diskriminieren. Hier ist es wichtig, durch gemeindepädagogische Angebote z. B. ehemaligen Moslems, ehemaligen Angehörigen anderer christlicher Kirchen dazu zu verhelfen, auch das Positive ihrer früheren Gottesvorstellung zu entdecken. Ein Ziel wäre hier die Integration der eigenen religiösen Sozialisation statt Diskriminierung anderer, die sich in der Herkunftskonfession oder Religion beheimatet fühlen.
5.2.4 Impuls: emotionale Beteiligung Für die Gemeindepädagogik zeigt unsere Untersuchung, dass der emotionale Aspekt der Gottesvorstellung, die Gottesbeziehung, stärker Beachtung finden muss. Grom weist darauf hin, dass die Inhalte des Gottesverständnisses oft unter großen didaktischem Aufwand vermittelt werden und dann doch »kalte Kognitionen« bleiben und schnell vergessen werden455. Er plädiert deshalb dafür, bei Heranwachsenden eine »Erlebens- und verhaltensbedeutsame Gottesbeziehung« zu fördern. Dies gilt auch für die emotionale Beteiligung Erwachsener im Rahmen der Gemeindepädagogik. Demnach ist es unzureichend, in Predigten, Bibelgesprächen und ähnlichen Veranstaltungen allein auf die kognitive Dimension zu achten. Die emotionale 454 Aussage von Hilda Gönczi-Löscher nach dem Lesen von 36 Interviews. 455 Grom Bernhard, Religionspädagogische Psychologie, Düsseldorf 2000, 145.
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Seite der Gottesvorstellung, die Gottesbeziehung muss in gemeindepädagogischen Angeboten stärker Beachtung finden. In der Arbeit mit den Gottesmetaphern als Materialcollage und anderen Methoden des Rostocker Methodenensembles (Positionierungen, Löcher der Verzweiflung und mehr), oder z. B. in Bibliodrama oder bibliodramatischen Elementen in Predigt, Gottesdienst und Formen von Gemeindeunterricht wird dieser emotionale Aspekt betont. Dazu muss die Ausbildung der Theologinnen und Theologen, der Gemeindepädagogen und -pädagoginnen entsprechend ergänzt werden. Ohne psychologische Grundkenntnisse und ein spezielles Training, z. B. eine Ausbildung im Bereich Bibliodrama, wäre das nicht zu verantworten. Für Predigten bietet sich dann vor allem auch das erzählerische Element an, wie es in narrativen Predigten vorkommt, um eine stärkere emotionale Beteiligung der Zuhörer und Zuhörerinnen zu bewirken. Oft ist eine Predigt inhaltlich damit beschäftigt, plausibel zu machen, dass Glaube angesichts und trotz der widersprüchlichen Realität möglich und sinnvoll ist. Solch eine Predigt geht eventuell, ungeachtet ihrer vielleicht hervorragenden Kognitionsleistung, an den wirklichen Bedürfnissen der Zuhörerinnen und Zuhörer vorbei. Ähnliches gilt auch für andere Bereiche der Gemeindepädagogik, wenn eine emotionale Beteiligung der Zielgruppe nicht gefördert wird.
5.2.5 Impuls: Krisenkompetenz Es konnte in der vorliegenden Untersuchung festgestellt werden, dass es eine hohe Korrelation zwischen kritischen Lebensereignissen und dem Erleben der Nähe Gottes gibt, dass kritische Lebensereignisse (Flucht456, Landeswechsel457, Scheidung458, Krankheit459 und Krieg460) als Auslöser für die Veränderung der Gottesvorstellung genannt werden und dass eine Veränderung sowohl durch Erfahrung von Nähe als auch durch Abwesenheit Gottes möglich ist461. Zudem gaben die Befragten an, dass ihr Vertrauen selbst durch Krisenerlebnisse bzw. gerade durch Krisenerlebnisse zugenommen habe462. Was kann das zur Frage nach einem erwachsenen Glauben beitragen? Kritische Ereignisse stellen sich von selber ein, sind nicht kontrollierbar, daher auch schwer gemeindepädagogisch als Veränderungsimpulse einzupla456 457 458 459 460 461 462
Vgl. Mara, Yara, Dian, Tereza. Vgl. Melinda, Eugen, Marius, Leon. Vgl. Lydia, Leon, Elena. Eigene Krankheit: Romi. Krankheit des eigenen Kindes: Barbara und Elena. Vgl. Joseph. Vgl. Romi und Barbara. Vgl. Gefühle, die gegenüber Gott geäußert werden 4.2.2.1, 321ff.
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nen. Kritische Lebensereignisse können Impulse zum Wandel der Gottesvorstellung sein, aber die Richtung der Veränderung ist offen. Krisen können Vertrauen stärken, aber auch Enttäuschungen hervorrufen. Sie eröffnen die Möglichkeit zur »Ent-täuschung« alter Glaubensmuster, das birgt in sich eine Chance zur Verwandlung, aber auch die Gefahr einer »Abkehr« vom christlichen Glauben. Die obige positive Bewertung von Krisen im Rückblick wird von Personen vorgenommen, die sich aus Baptistengemeinden freiwillig zur Teilnahme an dieser Untersuchung gemeldet haben. Personen, die sich aus Enttäuschungsgründen von Gemeinde oder Glauben abgekehrt haben, sind nicht erfasst. Auch letztere haben einen Gestaltwandel erlebt, der für die gemeindepädagogische Perspektive relevant ist. Muss es nicht auch Aufgabe der Gemeindepädagogik sein, einem Gestaltwandel in diese Richtung vorzubeugen, bei aller Freiheit, die für individuelle Entscheidungen wünschenswert ist und zu der auch gehört, Gemeinde und christlichen Glauben zu verlassen? Wie kann man aber einem Ereignis (Krise) vorbeugen, dem man nicht wirklich präventiv begegnen kann? Das macht ja eine Krise unter anderem aus, dass sie überraschend kommt, die betroffenen Personen nicht gewappnet sind und gewohnte, vorher eingeübte Strategien versagen. Oft geht mit einer Krise, gerade wenn es sich auch um eine Glaubenskrise handelt, eine Isolation der betroffenen Person und damit eine Distanznahme von der Gemeinschaft einher. Krise bedeutet oft Rückzug. Ein Blick auf die Krise ist selten in der Krise selbst oder vor einer Krise, sondern erst im Rückblick möglich. Trotzdem sind hier einige Anmerkungen zu den gemeindepädagogischen bzw. pastoraltheologischen Möglichkeiten vor, während und nach (Glaubens-)krisen aufzuführen. Ein generelles Klima der Wertschätzung von Krisen für die persönliche Entwicklung und auch für die Entwicklung des eigenen Glaubens ist zu fördern. Es gilt zu vermitteln, dass Krisen Entwicklungschancen sein können, die zu einem (reifen) Leben dazugehören. Menschen sollen spüren können, dass sie mit allem, was sie ausmacht und ihnen Mühe macht, angenommen sind. Im Hinblick auf die Interviews ist das vor allem bezüglich der sich verändernden Lebenssituationen von einzelnen Personen (Gefühl von Fremdsein für Personen mit Migrationshintergrund – Scheitern von bedeutenden Beziehungen/Scheidung – in deren Folge die Situation als Alleinerzieher oder Alleinerzieherin – berufliche Herausforderungen und Überforderungen) zu bedenken. Über angemessene Unterstützungsangebote ist nachzudenken. Was brauchen Menschen, die sich in einer Krise befinden, abgesehen von einem Angebot qualifizierter Seelsorge, von einer christlichen Gemeinschaft? Oft ist dies Akzeptanz und Annahme, aber auch vor allem Freiraum. Freiraum, Zweifel zu äußern und Fragen zu stellen und auch Freiraum, sich von überkommenen Glaubensmustern zu distanzieren und die eigene Gottesvorstellung als solche in
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Frage zu stellen. Es erfordert Schutzräume, in denen die Betroffenen sich öffnen können, ohne zusätzlich noch durch einen »Heräsieverdacht« verletzt zu werden. Dies kann eine lohnende Möglichkeit für Gemeindepädagogik sein, hier solche Schutz- und Denkräume zu eröffnen, in denen vermittelt werden kann, dass auch eine Erfahrung der Abwesenheit Gottes eine Gotteserfahrung sein kann. Auch ist es eine gute Möglichkeit, überstandene und bewältigte Krisen in Einzel- oder Gruppengesprächen zu thematisieren, wie es z. B. das Rostocker Methodenensemble mit der Übung »Löcher der Verzweiflung« vorsieht. Auf diese Weise werden auch, wie Wittrahm es fordert, Asynchronien463 in den Blick genommen. Der Blick auf die eigenen Krisen kann auch ein Bewusstsein für kommende verändernde Entwicklungsimpulse in Form von kritischen Ereignissen wecken. Im gemeinsamen Gespräch kann die Vielfalt davon deutlich werden, was Gott Einzelnen in ihren verschiedenen Krisenzeiten bedeutet hat. Da tut sich dann möglicherweise ein breites Spektrum von Erfahrung von Abwesenheit Gottes, Unverständnis, tiefen Glaubenszweifeln, aber auch Erfahrungen von Unterstützung durch den Glauben auf.
5.2.6 Impuls: personale – apersonale Gottesvorstellungen und das Reden von Gott Eine wichtige Aufgabe religiöser Bildung ist eine verantwortete Rede von Gott464. In der vorliegenden Untersuchung wurde die für die Gottesmetapher465 verwendete Sprache im Hinblick auf ihren konkreten oder abstrakten Gebrauch untersucht466, um zu klären, ob Gott von der befragten Person eher als Prinzip oder Struktur oder als handelndes Wesen verstanden wird. Dabei wurde beobachtet, dass es zwischen den einzelnen Sprachgruppen Unterschiede467 gibt. Während im rumänischsprachigen Sample die Verwendung der Sprache immer konkret ist und anthropomorphe Konnotationen hat, fällt im deutschsprachigen Sample bei einigen Personen eine Zurückhaltung gegenüber einer konkreten Sprache auf. In den unterschiedlichen Sprachgruppen finden sich sowohl kon463 Vgl. Wittrahm Andreas / Hammerschmidt Mechthild, Glaubensentwicklung, in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 125. 464 Adam Gottfried, E-Mails zur Gottesfrage. Bausteine zur Behandlung der Gottesthematik in der Oberstufe, in: Schulfach Religion, 2010/29, Nr. 1–2, Wien 2010, 79–88, 81. 465 Gottesmetapher meint die Materialcollage, die zum Thema »Was mir heute an Gott am Wichtigsten ist« gestaltet und anschließend beschrieben wurde. 466 Vgl. Kap. 4.2.1.3, 311ff. 467 Dies gilt nur für den Vergleich innerhalb dieser Untersuchung. Hier ist keine repräsentative Signifikanz gemeint.
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krete als auch abstrakte Formulierungen in Bezug auf die Gottesvorstellung. Gott wird überwiegend als handelndes Wesen (theistisch) gedacht, was aber auch abstrakte Elemente (Gott als Prinzip oder Struktur) einschließen kann. Es stellt sich einerseits die Frage, ob die Befragten sich der Verwendung ihrer Symbole und Bilder und ihrer Konnotationen bewusst sind, und andererseits muss gefragt werden, wie anschlussfähig die verwendete Sprache für Personen ist, die nicht innerhalb der christlichen Tradition zuhause sind. Die Aufgabe von Gott zu sprechen, stellt sich ja nicht nur im Rahmen einer Kerngemeinde mit der ihr vertrauten Sprache, sondern ist gerade gegenüber denen zu verantworten, die wie oben schon erwähnt auf der Suche sind. Zudem ist auch innerhalb des christlichen Traditionsfeldes der Glaube an einen persönlichen Gott nicht selbstverständlich468. Eine zunehmende Anzahl von Personen glaubt eher an eine höhere Kraft als an einen persönlichen Gott469. Auch um hier dialogfähig zu sein, muss die eigene religiöse Sprache Gegenstand kritischer Reflexion sein. Hier ist eine Aufgabe gemeindepädagogischer Arbeit, den einzelnen Personen zu einem bewussten Umgang mit religiösen Sprachformen zu verhelfen, dazu gehört zum einen die Reflexion auf den Symbolgehalt der Sprache und auch auf die personale bzw. apersonale Redeweise von Gott und dem Gottesverständnis, auf das sich diese Aussagen beziehen470 und zum andern das Einüben einer Fähigkeit, angemessen von Gott zu sprechen. Dass mit zunehmendem Alter auch das symbolische Verständnis religiöser Aussagen zunimmt471, bedeutet noch lange nicht, dass damit auch veränderte Sprachformen einhergehen. Selbst wenn das Verständnis symbolisch ist, kann die Sprache doch recht konkret sein und damit uneindeutig, was vor allem immer wieder im Vorwurf des Anthropomorphismus deutlich wird. Gemeindepädagogische Überlegungen müssen sich demnach mit der Reflexionsfähigkeit und der Sprachfähigkeit ihrer Zielgruppen befassen. Reflexionskompetenz: Eine Möglichkeit religiöse Sprachformen zu reflektieren ist, sich erst einmal der Vielfalt der Symbole und Bilder der Bibel oder der christlichen Tradition, wie sie sich in Liturgie oder Poesie versprachlicht, bewusst zu werden. Diese können auf ihre personalen oder apersonalen Gottesvorstellungen hin befragt werden. Dabei sollten auch die unterschiedlichen religiösen Sprachformen bewusst werden: das »Reden von Gott (Erzählen aus
468 Vgl. Feiter Reinhard, Das »apersonale Gottesbild« als Herausforderung (der Pastoral), in: Fürst / Wittrahm / Feeser-Lichtenfelder / Kläden (Hrsg.), Senioren, 127–136. 469 Vgl. Jörns Klaus-Peter, Die neuen Gesichter Gottes, Was die Menschen heute wirklich glauben, München 1999, 41. 470 Vgl. Adam Gottfried, Emails, 88. 471 AaO., 87.
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Betroffenheit)«, das »Reden über Gott (denkende Aneignung in der theologischen Reflexion)« und das »Reden zu Gott (beim Beten)«472. Eine weitere Option ist es, so wie es hier in den Materialcollagen geschieht, sich mit der eigenen Gottesvorstellung zu beschäftigen und diese auf ihren (a-)personalen Gehalt zu befragen. Geschieht dies in einer – evtl. sogar sprachlich bzw. kulturell gemischten – Gruppe, ist anzunehmen, dass die Vorstellungen recht vielfältig sind, und der Lerneffekt könnte unter anderem auch darin bestehen, die Vorstellung des anderen, der anderen gelten zu lassen, auch wenn sie fremd und ungewöhnlich erscheint. Einen weiteren Vorschlag, sich dieser Fragestellung anzunähern, macht Gottfried Adam für den Religionsunterricht der Oberstufe mit den E-Mails von Gottfried Schleinitz473. In seinen E-Mails an einen guten Freund zum Thema Gott berührt Schleinitz wesentliche Aspekte unserer Fragestellung. Er lädt dazu ein, »Gott weiter zu denken«474, und beschreibt den erwachsen werdenden Glauben als eine Bewegung »von der liebevoll begegnenden Gestalt« gefasst in konkreten Sprachformen der Kindheit »hin zur liebevoll begleitenden Kraft«, von der der Erwachsene abstrakt reden kann475. Schleinitz beschreibt vorsichtig, dass eine persönliche Beziehung auch zu nichtpersönlichen Bereichen, wie zum Beispiel einer Ur-Kraft vorstellbar ist476. Bei Übergängen gebe es Rückgriffe auf alte Grundmuster477. Das bedeutet für ihn, dass das Bewährte bleibt, also eine Gleichzeitigkeit von konkret und abstrakt. Das Abstrakte kommt dazu, löst das Konkrete nicht ab. Mit Englert gesprochen nimmt der Erwachsene, um von Gott zu reden, aus seiner Kindheit die Phantasie mit478. Anhand dieser E-Mails von Schleinitz lassen sich personale und apersonale Gottesvorstellung auch gut mit Erwachsenen im gemeindepädagogischen Rahmen thematisieren. Sprachkompetenz: Mithilfe dieser eben angesprochenen Phantasie ist es dem erwachsenen Glaubenden auch weiterhin möglich, in (Sprach-)Bildern von Gott zu reden. Eine Aufgabe der Gemeindepädagogik ist es, religiöse Sprachfähigkeit und somit »Metaphernkompetenz« zu fördern, was unter anderem durch die Methodik der vorliegenden Untersuchung geschieht. Szagun479 betont, wie zuvor schon erwähnt480, dass sich bezüglich der Unverfügbarkeit der Wirklichkeit 472 AaO., 80. 473 Ein Vorschlag für Unterrichtsmaterial zum Thema in der Oberstufe. Schleinitz Gottfried, »Du sollst Dir ein Bild machen« – E-Mails zum Thema Gott, in: Schulfach Religion, 2010/29, Nr. 1–2, Wien 2010, 89–109. 474 AaO., 94. 475 AaO., 109. 476 AaO., 96f. 477 AaO., 108. 478 Englert, Anthropologie, 179. 479 Szagun, Sprache, 2006, 65 und Religiöse Heimaten, 2008, 15. 480 Vgl. Kapitel 2.3.3.2 Warum die Arbeit mit Metaphern?, 79.
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Gottes eine Sprache mit Verfügungsanspruch verbietet und nach Härle ist die Verwendung von Metaphern der Sprache der Gottes- und Welterkenntnis angemessen481. Die Arbeit mit Metaphern in der vorliegenden Untersuchung war für die befragten Personen zunächst ungewohnt, wurde aber sehr positiv aufgenommen. Die untersuchten Erwachsenen haben eine Vielzahl an individuell verschiedenen und für sie im Moment aktuellen Metaphern gebildet und konnten so ihre individuelle Gottesvorstellung formulieren. Für die Gemeindepädagogik findet sich hier eine angemessene Methodik, Erwachsene bei der Suche nach ihrer individuellen Rede von Gott zu unterstützen. Ferner kann im Rahmen von gemeindepädagogischen Angeboten auch über die Verwendung von Sprache, Bildern und Metaphern in Gottesdienst und Liturgie nachgedacht werden. Hier könnte die Frage sein, ob die Fülle der biblischen Bilder in liturgischer Sprache vorkommt oder personale Bilder bevorzugt werden, dann könnte eine lohnenswerte Aufgabe sein, apersonale Bilder bzw. (Bibel-)Texte, in denen apersonale Bilder für Gott verwendet werden, zu finden und deren Gebrauch zu fördern.
5.2.7 Impuls: Theodizee Im Hinblick auf das Gottesverständnis wurden den Interviewpartnerinnen und -partnern verschiedene Fragen gestellt und in der vorliegenden Untersuchung exemplarisch die Antworten auf die Frage nach dem Zusammenhang von Gott und Leid ausgewertet482, was Anlass zu besonderen Überlegungen gibt, da hier Spannungen zwischen der jüdisch-christlichen Tradition und dem vorfindlichen Befund zu erkennen sind. Es lassen sich im Zusammenhang dieser Untersuchung sicher noch mehr Spannungen finden, wenn weitere Aspekte des Gottesverständnisses ausgewertet werden würden, allerdings würde eine Detailanalyse den Rahmen dieser Arbeit sprengen, daher an dieser Stelle die Beschränkung auf die Theodizeefrage. Zunächst ist zu sagen, dass aus der Frage nach dem Zusammenhang von Gott und Leid: »Es gibt viel Schlimmes in dieser Welt. Meinst du, Gott hat etwas damit zu tun?« im Laufe der Untersuchung die eher provokative Frage »Es gibt viel Schlimmes in dieser Welt. Meinst du, Gott ist daran schuld?« wurde. Aus der offenen Frage nach einem Zusammenhang zwischen Gott und Leid wurde die provokative Frage nach der Anklage Gottes angesichts des Leids der Welt. Was
481 Härle Wilfried, Dogmatik, Berlin/New York 20002, 224f. – vgl. Szagun, Sprache, 65. 482 Vgl. Kapitel 4.4, 382ff.
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zunächst nicht intendiert war und daher hinterfragt werden muss483, ist im Rückblick als Pointierung der Frage durchaus willkommen. Gerade durch diese Pointierung wird deutlich, dass die befragten Personen keinerlei Grund haben, Gott auf die Anklagebank484 zu bringen. Wenn man die Theodizeefrage theologisch durchbuchstabiert, gibt es verschiedene Möglichkeiten, Gott freizusprechen: z.B durch Nichtexistenz oder durch Teilnahmslosigkeit bzw. Apathie (z. B. in deistischen Gotteskonzepten). Im jüdisch-christlichen Kontext muss Gott sich der Anklage stellen, wenn einerseits an seiner Liebe und seiner Gerechtigkeit und andererseits an seinem Schöpfer-Sein und seiner Allmacht festgehalten wird. Somit ist die Theodizeefrage keine Randfrage, sondern eine zentrale Frage des christlichen Glaubens. Christlicher Glaube findet sich in dieser Spannung vor : Der Glaube an den Gott, der alles geschaffen hat und die Menschen liebt, steht in Spannung zur leidvollen Erfahrung des eigenen Seins und der Welt an sich. D. h. Christen stellen sich mit ihrem Glauben in diese Spannung. Daraus folgt zum einen die Klage als Dialog mit Gott und zum anderen die Forderung nach Gerechtigkeit: menschliches Elend kann nicht (z. B. als Schicksal) akzeptiert werden. Christen müssen aufbegehren gegen menschliches Leid und sich einerseits selber gegen Ungerechtigkeit einsetzen und andererseits politische Forderungen stellen, menschliches Leid, wo immer es möglich ist, zu beenden. Wenn die Theodizeefrage als christliche Kernfrage ignoriert wird, kann es zu sehr »unchristlichen« Denkmöglichkeiten kommen. Eine Möglichkeit geht in die Richtung eines Fatalismus. Es muss alles so kommen485. Die praktische Folge davon ist dann Passivität. Es lohnt sich, weder aufzubegehren noch sich gegen Unrecht einzusetzen. Eine weitere Denkmöglichkeit endet in einer Art » Anthropodizee«. Der Mensch allein ist Schuld am Übel in dieser Welt. Dies führt im Endeffekt zum Verlust der Gnade486. Mit dem Tragen dieser Schuld ist der
483 Unmerklich bekam die Frage im Untersuchungsverlauf einen anderen Charakter. In den nicht deutschsprachigen Samples wurde die Frage nach dem Zusammenhang von Gott und Leid nicht auf Anhieb verstanden. In der Erklärung wurde dann danach gefragt, ob die Befragten eine Art Verantwortung für das Leid in der Welt bei Gott sehen. Die Beteiligten antworteten dazu schon mit »Entschuldigungen«. Darüber kam es zur Schuldfrage. Es handelt sich hier quasi um eine degenerierte Frage vom Zusammenhang zwischen Gott und Leid, über die Verantwortung Gottes für das Leid, bis hin zur Schuldfrage. Im Rückblick ist dies als pointierte Frage nach einer Schuld Gottes im Hinblick auf seine »Anklage« eher zielführend. 484 Vgl. im Folgenden Härle Wilfried, Dogmatik, 450–467, hier 451f. 485 Hier wären u. a. auch die Aussagen von Eugen und Melinda einzuordnen, die im Leid eine Möglichkeit sehen, wie Gott zu seinem Ziel kommen kann. 486 Vgl. die Aussagen von Marius, der gnadenlos die Menschen verurteilt, die Gott nicht kennen und den Tsunami als Strafe Gottes für diese Menschen interpretiert.
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Mensch hoffnungslos überfordert487. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Theodizeefrage muss stattfinden. Hier ist einerseits eine kritische Reflexion des eigenen Standpunkts gefordert und andererseits eine Ambivalenztoleranz, weil der Ausgang des Theodizeeproblems offen ist und auch offen bleiben muss. Die Frage nach dem Zusammenhang von Gott und Leid lässt sich stellen, aber nicht einfach beantworten. Wilfried Härle meint, dass ein Freispruch Gottes allenfalls aus Mangel an Beweisen stattfinden könne, aber nicht aus erwiesener Unschuld488. Dagegen muss sich aber das Gefühl empören. Auf der emotionalen Ebene liegt für Härle dann das eigentliche Problem, und er weist darauf hin, dass die Eröffnung der Möglichkeit der Klage der angemessene Umgang mit dem Theodizeeproblem ist489. Nach Härle ist das Theodizeeproblem »unabweisbar, weil an ihm die Spannung zwischen Glaube und Erfahrung ausgehalten und ausgetragen wird, die für den christlichen Glauben unter irdischen Bedingungen konstitutiv ist«490. Ferner löst »die theologische Arbeit am Theodizeeproblem diesen Widerstreit … nicht auf, aber sie hält ihn offen, und darum ist sie unverzichtbar«491.
Das Theodizeeproblem als wesentliche Aufgabe von Gemeindepädagogik Die Theodizeefrage zur Kernfrage machen Demzufolge ist die Arbeit am und mit dem Theodizeeproblem auch ein wesentlicher Bestandteil der gemeindepädagogischen Aufgabe492. Zunächst ist es wichtig, die Theodizeefrage zu einer Kernfrage in gemeindepädagogischen Bemühungen zu machen. Die Verantwortlichen der Gemeindepädagogik müssen sich zuerst einmal selber mit dieser Problematik eingehend auseinandergesetzt haben. Theodizee kann auch ein spannendes Thema für eine Fortbildung von Gemeindepädagogen und – pädagoginnen sein. Möglicherweise sogar die Re487 488 489 490 491 492
Vgl. Härle, Dogmatik, 464f. AaO., 463. Ebd. AaO., 466. Ebd. Aus eigener Erfahrung habe ich den Eindruck, dass dies oft vernachlässigt wird – zumindest in Baptistengemeinden. Durch die Beschäftigung mit diesem Thema für die vorliegende Arbeit habe ich mehrmals über das Thema Theodizee gepredigt. Das Feedback auf diese Predigten war unerwartet. Einige Personen haben mir zurückgemeldet, dass sie zu diesem Thema noch keine Predigten gehört hatten. Daraufhin wurde auch auf einem österreichweiten Camp für Junge Erwachsene (Burning Church) bewusst ein Abend zum Thema Theodizee gestaltet, wieder mit einer Predigt von mir. Die jungen Menschen waren zum Teil sehr betroffen und berührt und auch hier bekam ich das Feedback, dass einige noch nie eine Predigt zu diesem Thema gehört hatten und sich schon lange mit der Frage auseinandersetzen, aber für sich noch keine befriedigende Antwort gefunden hatten.
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flexion darüber, auf welchen Ebenen sich diese Frage in unterschiedlichen Lebensaltern stellt oder in anderen Kulturen bzw. Religionen und anderes. Das Thema sollte theologisch, aber auch seelsorgerlich betrachtet werden. Das Theodizeeproblem in der Gemeinde reflektieren Interaktive gemeindepädagogische Angebote sollen den Teilnehmenden helfen, die Theodizeeproblematik zu reflektieren. Hier können neben verschiedenen theoretischen Denkmodellen und Lösungsansätzen auch ganz persönliche Betroffenheiten und Fragen zur Sprache kommen. Spannungen zwischen der eigenen Erfahrung z. B. in Krisenzeiten und dem Verständnis von einem »guten, liebenden Gott« können entdeckt und besprochen werden. Befähigen Spannungen auszuhalten Im gemeinsamen Gespräch können Ambivalenzen »entdeckt« werden. Es kann danach gefragt werden, wie es möglich ist, nicht trotz, sondern angesichts dieser Ambivalenzen weiterhin zu glauben. Das Ziel in der Arbeit mit der Theodizeefrage ist es, diese Frage zu stellen, um sie und mit ihr zu ringen und die entdeckten Ambivalenzen auszuhalten. »Stärkung von Ambivalenztoleranz« nennt dies Paul Petzel493. Zur Klage einladen Wie oben schon erwähnt ist die Klage ein adäquater Umgang auf die Frage nach dem Leid. Diese kann sehr persönlich, bei persönlicher Betroffenheit, aber auch stellvertretend geschehen, wo andere Menschen oder auch die Natur von Leid betroffen sind. Die Bibel ermutigt geradezu dazu, Gott anzuklagen bzw. vor ihm zu klagen494. Eine Hilfe zur Klage können vorformulierte Texte und Gebete oder auch Bibeltexte sein, die nachgesprochen werden können. Klagen kann therapeutische Funktion haben und in dem Prozess, Leid zu verarbeiten, ein wichtiger Schritt sein. Hier ist pädagogisches und seelsorgerisches Feingefühl gefragt. Zum Aufbegehren ermutigen »In der Klage vor Gott wird eine Kraft gewonnen zur Kritik, zum Protest gegen das Leid und zu Veränderungsversuchen.«495 In interaktiven gemeindepädagogischen Angeboten kann unterschiedliches Leid thematisiert werden. Hier kann überlegt werden, was zu tun ist, welche Möglichkeiten zur Veränderung es gibt und wie »Aufbegehren« gestaltet werden kann. Hier können Impulse für das Starten von Initiativen und Projekten Raum gewinnen. Hier können Beispiele 493 Petzel Paul, Leiden – Theodizee, in: Bitter/Englert/Miller/Nipkow, Neues Handbuch, 101. 494 Härle, Dogmatik, 451. 495 Petzel, Leiden, 101.
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aus der Gegenwart und der Geschichte (Menschenrechtsbewegung, Widerstand im Dritten Reich, Initiativen gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel und anderes) bekannt gemacht und reflektiert werden. Hoffnung begründen Nach Härle sind Antworten auf die Theodizeefrage unverfügbar, es gäbe dennoch Hoffnung darauf496. Die Aufgabe von Philosophie und Theologie sei es, solche Gründe zur Hoffnung theoretisch herauszuarbeiten. Gemeindepädagogik könnte hier eine Brückenfunktion einnehmen und einerseits selbst in diesem Zusammenhang zum theoretischen Begründen von Hoffnung anleiten, andererseits aber auch den einzelnen Personen zu persönlichen Antworten auf die von ihnen subjektiv verschieden gestellte Theodizeefrage verhelfen. Den Rückblick wagen Einen Sinn im erfahrenen Leid zu finden, ist nur der leidenden Person selbst möglich. Sinnzuschreibungen durch andere gehen oft an dem vorbei, was die betroffene Person gerade braucht. Oft ist es nur der betroffenen Person, den betroffenen Personen möglich, einen Sinn in ihrem Leiden zu erkennen und auch dies oft nur im Rückblick. In den Interviews taucht hier und da diese Perspektive auf. In einer kritischen Situation oder Phase selbst scheint Gott weit weg. Im Rückblick, oft erst nach bewältigter Krise, erschließt sich ein Sinn und manchmal stellt sich so etwas (Unverfügbares) wie Dankbarkeit ein. In gemeindepädagogischem Kontext würde es Sinn machen, ab und an solch einen Rückblick zu wagen. Gerade so, wie es im Rostocker Methodenrepertoire mit der Übung Löcher der Verzweiflung vorgenommen wird. Aus dem versöhnten Blick auf vergangene Krisen kann Hoffnung für kommende gewonnen werden. Theodizeekompetenz Das Ziel gemeindepädagogischer Bemühungen wäre eine Art Theodizeekompetenz, die kognitive Fähigkeit, Fragen zu stellen, die die Zusammenhänge von Gott und Leid betreffen, das Ausbleiben von Antworten auszuhalten und dennoch versuchen zu begründen, dass es Hoffnung auf Antworten gibt, die kognitive und emotionale Fähigkeit, Ambivalenzen zu tolerieren und Spannungen auszuhalten, die praktische Fähigkeit zu klagen und aufzubegehren. Zuvor wurde die Frage gestellt, ob in dieser offensichtlichen Spannung zwischen Gottesbeziehung und Gottesverständnis, wie sie in den Interviews zum Teil beobachtet wurde, eine konsistente Gottesvorstellung möglich ist. Die ist m. E. nur möglich, wenn Spannungen nicht voreilig aufgelöst werden und Ambivalenzen wahrgenommen werden (dürfen). 496 Härle, Dogmatik, 467.
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5.2.8 Impuls: Gott der ganz Andere In den einzelnen Interviews folgen der Entdeckung der Materialcollage ein paar halbstrukturierte Fragen zum Gottesverständnis. Abgesehen vom deutschsprachigen Sample sind diese Fragen alle schnell und für die befragte Person meist stimmig und plausibel beantwortet worden. Es gab kaum Rückfragen oder ein in Frage stellen einer Frage, sondern klare passende Antworten497: So ist Gott zu verstehen. Es entsteht der Eindruck, die Befragten kennen sich aus mit »Gott«, seinen Motiven, seinem Handeln, seinen Plänen – dies wirkt in gewissem Sinne vereinnahmend. Wie schon bei der Theodizeefrage erwähnt, fehlen einige Aspekte komplett, wie z.B ein ohnmächtiger Gott, ein verborgener Gott oder eine dunkle Seite Gottes. Hier wäre »Mut zur Lücke« gefragt. Religionspädagogisch wären hier Angebote zu machen, Zweifel und Fragen in einem geschützten Raum einzubringen oder gegebenenfalls auch Fragen zu provozieren. Die Unverfügbarkeit Gottes, die Ambivalenz eines Gottes, der nahe ist und zugleich doch fern und immer ganz anders, als Menschen es sich vorstellen, der sich zugleich offenbart und verbirgt, Gott, der mir vertraut ist und doch zugleich fremd – diesen Themen soll Raum gegeben werden, damit Gott auch das DU bleiben kann, das dem ICH ein Gegenüber ist und an dem es wachsen und reifen kann. Das DU, zu dem das ICH eine Beziehung aufbauen kann und das es sich nicht einfach nur einverleibt. Interkulturell ist hier zu fragen, wie diese Aspekte einer Gottesvorstellung von Gott als dem ganz anderen in theologischen Reflexionen anderer Kulturen zur Geltung kommen, oder ob das das mitteleuropäische Erbe einer dialektischen Theologie ist.
5.2.9 Impuls: Religion als Unterbrechung Auffallend ist durchgängig durch alle Sprachsamples die Alltagsrelevanz des Glaubens für die Befragten498. Glaube gewinnt im Alltag Gestalt, kann den Alltag verändern. Alltagserfahrungen werden unter der Perspektive des Glaubens gedeutet oder sind Anlass zum Gebet. Der eigene Glaube hilft, den Alltag zu bewältigen. Viele geben an, »immer und überall« bzw. zu jeder Zeit und an jedem Ort an Gott zu denken. Kultisch-Rituelles ist kaum zu finden. 497 Es wurde an anderer Stelle schon vermutet, dass die Fragen vielleicht auch aus Respekt der fragenden Person gegenüber so »vollständig« und »brav« beantwortet und nicht in Frage gestellt wurden. Vielleicht wurde auch durch die Art der Fragestellung suggeriert, dass es auf jede Frage eine (richtige) Antwort geben könne. Für weitere Untersuchungen wäre zu überlegen, wie im Gespräch Räume geschaffen werden können Fragen und Zweifel einzubringen. 498 Vgl. Kap. 4.3 Schwerpunktthema Gottesvorstellung und Alltagsbezug, 364ff.
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Kurz: Der christliche Glaube, die Gottesbeziehung und die Praxis des Glaubens erscheinen hier als ein Ständiges, ein Kontinuum. Ein Zitat von Johann Baptist Metz taucht immer wieder in verschiedenen, vor allem katholischen aber auch evangelischen Veröffentlichungen499 auf »Die kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung«500. Abgesehen davon, dass Metz hier meist funktional interpretiert wird und die Frage gestellt werden muss, ob er »Unterbrechung« nicht eher geschichtstheologisch gemeint hat, wird er doch gerne so zitiert und die Unterbrechung als eine Unterbrechung des Alltags verstanden. Der Sonntag unterbricht den Alltag. Das Gebet unterbricht den Tagesablauf. Die besondere religionspädagogisch zu verantwortende Veranstaltung unterbricht das Gewöhnliche. In den vorliegenden Interviews erscheint Religion, in diesem Fall der christliche Glaube (baptistischer Ausprägung), keinesfalls Unterbrechung in dem eben genannten Sinne zu sein. Die Praxis des Glaubens ist der Alltag, nicht besondere Tage, Momente, Rituale. Für ein Gebet muss man keinen bestimmten Ort aufsuchen, keine bestimmten Zeiten wählen, keine Rituale praktizieren. Die Frage ist hier, ob die Gottesbeziehung dann im Alltag aufgeht, alltäglichselbstverständlich, gewöhnlich wird. Ein religionspädagogischer Impuls könnte hier sein, die Betroffenen mit der Definition »Religion = Unterbrechung« zu konfrontieren, um dann gemeinsam danach zu suchen, was dies bedeutet und welcher Gewinn auch in einer rituell vollzogenen Glaubenspraxis liegen kann. Was können bestimmte Zeiten und Orte sein, an denen Zeit und Raum für die eigene Gottesbeziehung ist? Wo tut es gut, den Alltag zu unterbrechen, sich bewusst Zeit zu nehmen und Gott nicht 499 Vgl. Albin Krämer »Kennen Sie die ku¨ rzeste Beschreibung von Religion? »Unterbrechung« – mit diesem Wort beschreibt oder besser definiert der Theologe Johannes Baptist Metz Religion. Ich »unterbreche« mein Tun, meinen Alltag und nehme Abstand zu den alltäglichen Verpflichtungen, zu den routinemäßigen Gewohnheiten meines Lebens.« http:// www.kab.de/mm/mm001/distanz.pdf aufgerufen am 06. 12. 2013 oder Hermann-Josef Silberberg »Religion ist Unterbrechung, sagen Theologen (J.B. Metz) und wissen die Frommen, die sich ausdrücklich Gott zuwenden. Räume, Gebete, Lieder, heilige Texte nehmen uns kurzzeitig aus unserm Alltagsdreh und erheben uns zu Gott. Kleine, Bedrohte und Verletzte »stören« wohlige Selbstumkreisung.« http://kirchensite.de/index.php?myELE MENT=85906 aufgerufen am 06. 12. 2013 oder Mentorat für Studierende der katholisch theologischen Fakultät Köln »Unterbrechung – Gottesdienst, Imbiss, Programm – »Unterbrechung« ist nach Johann Baptist Metz die kürzeste Definition von Religion. Religion unterbricht den Alltag und will dadurch auf Gott verweisen. Das Mentorat lädt herzlich zu seinen Unterbrechungsabenden ein, um sich Zeit für die Feier eines Gottesdienstes, einen Imbiss und ein theologisches oder religionspädagogisches Thema zu nehmen.« http:// gemeinden.erzbistum-koeln.de/hochschulgemeinde-koeln/mentorat-koeln/Angebote/Un terbrechung/ aufgerufen am 06. 12. 2013. Es ist erstaunlich wie häufig Metz auf Webseiten mit seiner Definition vorkommt. Religion als Unterbrechung, verstanden als Unterbrechung des Alltags, findet eine starke Resonanz. 500 Metz Johann Baptist, Glaube in Geschichte und Gesellschaft, Mainz, 1977, 150.
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einfach nur »mitlaufen« zu lassen? Wie üben andere Christen ihren Glauben aus? Hier könnten auch Ansätze aus klösterlichem Leben, Kirchenraum- oder Friedhofspädagogik mit einfließen. An dieser Stelle kann ein Verständnis und eine Wertschätzung für die Glaubenspraxis anderer Kirchen und christlicher Gemeinschaften wachsen und auch über diesen Horizont hinaus im interreligiösen Kontext501.
5.2.10 Impuls: kritische Reflexion der eigenen Tradition Ein kurzer Impuls zum Ende: Betrachtet man die Interviews überblicksartig, fällt auf, dass kaum Kritik an der eigenen Religion oder Konfession vorkommt. Im Rückblick auf frühere Gottesvorstellungen wird schon einmal geäußert, dass sie als nicht ausreichend, defizitär erlebt oder schlechte Erfahrungen gemacht wurden. Leyla äußert leichte Kritik an Angehörigen des Islam und wendet dieselbe Kritik dann auch auf Christen an. Natürlich ist hier festzuhalten, dass nicht ausdrücklich um Kritik gebeten wurde, doch bot das offene Gespräch durchaus die Möglichkeit, eigene Fragen und Kritik einzubringen. Für weitere Untersuchungen ist an dieser Stelle Entwicklungspotential, durch gezielte Fragen oder kleine Provokationen auch den Bereich der Unzufriedenheiten, der offenen Fragen oder der verborgenen Zweifel zu eröffnen. Für die Gemeindepädagogik ist die kritische Reflexion der eigenen christlichen Tradition als eine weitere Aufgabe festzuhalten. Was im Hinblick auf die verwendete Sprache und die Theodizeefrage schon erwähnt wurde, gilt auch für weitere Bereiche christlichen Glaubens und christlicher Glaubenspraxis. Gemeindepädagogische Angebote können helfen, im Sinne einer Aneignung oder Vergewisserung, die eigene Gottesvorstellung, die eigene Glaubenspraxis und die eigene Glaubenstradition von einer Metaebene aus zu betrachten. Hier kann die eigene Sicht erweitert werden und mit der Möglichkeit, die Perspektive anderer (christlicher) Traditionen einzunehmen, der eigene Standpunkt gefestigt oder auch verändert werden.
501 Vgl. den Verein »Andere Zeiten e.V. in Deutschland, der mit seinen »Initiativen zum Kirchenjahr« seit 1997 [http://anderezeiten.de/ueber-uns/] insbesondere durch den inzwischen u¨ber eine halbe Million [http://anderezeiten.de/presseinformationen/] nachgefragten Kalender »Der Andere Advent« die Tage im Advent und bis Epiphanias durch »12 Minuten Stille« unterbrechen will [http://anderezeiten.de/unsere-aktionen/der-an dereadvent/12-minuten-stille/] – aufgerufen am 09. 12. 2013.
Ausblick
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Ausblick: Gottesvorstellungen baptistischer Erwachsener im interkulturellen Vergleich
In der vorliegenden Arbeit wurde der Frage nachgegangen, welche Gottesvorstellungen baptistische Erwachsene aus verschiedenen Kulturen haben und ob sich in diesen individuell verschiedenen Gottesvorstellungen kulturell bedingte Unterschiede finden lassen. Im Zuge dieser Untersuchung sind ca. 60 Personen interviewt worden. Die Gottesvorstellung von 24 Personen aus vier verschiedenen Sprachgruppen wurde hier individuell unter der Berücksichtigung emotionaler (Gottesbeziehung) und kognitiver Anteile (Gottesverständnis) nachgezeichnet. Hinsichtlich der Forschungsfrage konnten im Laufe dieser Untersuchung Unterschiede zwischen den Sprachsamples festgestellt werden, die Hinweise auf mögliche Kulturunterschiede angesichts der individuellen Gottesvorstellung sein können. Diesen Hinweisen nachzugehen obliegt weiteren Forschungen. Der Ertrag der vorliegenden Untersuchung liegt darin, mögliche Ansatzpunkte für weitere Fragestellungen gefunden zu haben (z. B. der Bereich Wut und Schuld in Bezug auf die gefühlte Nähe Gottes). Die Unterschiede zeigen die Relevanz der Forschungsfrage. Die während der Analyse der Interviews gemachten Beobachtungen konnten für relevante religions- bzw. gemeindepädagogische Impulse fruchtbar gemacht werden. Diese zielen auf einen bewussten Umgang mit kulturellen Unterschieden und die Einbeziehung der eigenen (religiösen) Biographie der Zielgruppe. Eine kritische Reflexion der eigenen religiösen Tradition wird empfohlen. Insbesondere wird der Umgang mit der Theodizeeproblematik in den Blick genommen und daraufhin wird angeregt, Ambivalenzen in der Gottesvorstellung wahrzunehmen und die dadurch entstehende Spannung auszuhalten, anstatt Ambivalenzen aufzulösen. Eine bewusste Verwendung personaler bzw. apersonaler Sprache im Hinblick auf Gott wird gefordert. Religion als Unterbrechung soll thematisiert und ein wertschätzender Umgang mit Krisen gefördert werden. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Gottesvorstellung kann eine wesentliche Voraussetzung für Gespräche mit Angehörigen anderer Kulturen über deren Gottesvorstellung sein. Demzufolge können diese Beschäftigung mit der eigenen Gottesvorstellung und mit der der anderen sowie das Entdecken und Respektieren von Unterschieden in der eigenen Denomination auch als eine gute Voraussetzung für einen interkonfessionellen oder auch interreligiösen Dialog gelten.
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Anhang
Fragebogen Gebet Im Anschluss an unser Interview zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung möchte ich dir noch ein paar Fragen zum Gebet stellen. Es kann sehr verschieden sein, was unter Gebet verstanden wird und was für einzelne Personen im Hinblick auf das Gebet wichtig ist. Wie denkst du darüber? Hier findest Du einige Fragen dazu:
1. Was ist für dich das Wichtigste am Beten? Bewerte die folgenden Aspekte des Gebets mit Punkten von 1–5 nach Wichtigkeit. Was Dir am Gebet wichtig ist, bekommt viele Punkte, was weniger wichtig ist, wenige Punkte. A: B: C: D: E:
das Falten der Hände still sein Gott die eigenen Bitten und Wünsche sagen mit Gott über alles sprechen und Gott auch danken ein Gefühl von Sicherheit bekommen
Für mich ist außerdem noch wichtig: ________________________________________________________________ ________________________________________________________________
434
Anhang
2. Einige Personen unterhalten sich über das Beten. Wem stimmst du am ehesten zu? Was vorher passierte: Harald erzählte während des Gottesdienstes, dass seine Schwägerin vor zwei Wochen schwer erkrankte und ins Spital musste. Seine Frau und er haben für sie gebetet, nun ist sie gesund geworden, was für ihn eine große Gebetserhörung bedeutet. Nach dem Gottesdienst stehen einige Personen zusammen und reden darüber : A: Gott hat die Gebete von Harald und seiner Frau erhört und die Schwägerin geheilt. B: Ich glaube, die Schwägerin ist aufgrund der medizinischen Behandlung wieder gesund geworden. C: Es kann trotzdem Gott gewesen sein, der die Schwägerin heilte. Gott kann doch auch durch die Ärzte und die Medikamente handeln. D: Mir fällt es schwer, irgendetwas darüber zu sagen. Ich bin unsicher. E: Ich glaube, das hat überhaupt nichts mit Gott oder mit Beten zu tun, wenn jemand gesund wird.
Mache ein Kreuzchen hinter den Satz, den du in diesem Gespräch am ehesten gesagt hättest. (Falls keiner dieser Sätze deine Meinung wiedergibt, schreibe bitte einen eigenen Satz auf!) ________________________________________________________________ ________________________________________________________________
3. Gebete für eine kranke Person können sehr verschieden sein. Anna, die von allen Gemeindemitgliedern sehr geliebt wird, ist schwer erkrankt. Der Arzt hat nur noch wenig Hoffnung, dass sie wieder gesund wird. Die Gemeindemitglieder sind es gewohnt, ihre Freuden, Sorgen und Ängste im Gebet mit Gott zu besprechen. Jeder betet auf seine Weise: A: B:
»Gott, du kannst doch alles. Bitte mach Anna wieder gesund!« »Gott, hilf dem Arzt, dass er die richtigen Behandlungsmethoden und Medikamente findet, und gib Anna dadurch ihre Gesundheit zurück.« C: »Gott, Anna ist schwer krank. Hilf dem Arzt und uns, alles zu machen, was ihr gut tut und tröste sie. Denn du bist der Freund von allen Menschen.« D: Gott, du weißt, dass wir Anna sehr lieb haben und wir wünschen, dass sie wieder gesund wird, aber dein Wille geschehe.« E sagt: »Ich habe Anna auch sehr gern. Aber ich bete nicht für sie, weil ich denke, dass das sowieso nichts hilft.«
Fragebogen Gebet
435
Bitte kreuze an, welches dieser Gebete du am ehesten mitsprechen könntest, wenn es um einen lieben Menschen aus deiner Gemeinde ginge? Oder welches Gebet würdest Du gerne selber sprechen? Schreib es auf: ________________________________________________________________ ________________________________________________________________
4. Wann und warum betest du? Bitte schreibe hinter die Angaben, ob du bei den Gelegenheiten häufig (4), manchmal (3), selten (2) oder nie (1) betest: am Morgen, wenn der Tag beginnt am Abend vor dem Einschlafen vor dem Essen im Gottesdienst oder anderen Gemeindeveranstaltungen wenn ich mich freue wenn ich Angst habe wenn ich Kummer oder Sorgen habe wenn ich mich einsam fühle wenn ich mir etwas wünsche wenn ich vom Leiden anderer Menschen höre weil ich mein ganzes Leben mit Gott besprechen möchte ________________________________________________________________ ________________________________________________________________
5. Meine Fragen zum Gebet, die ich gerne mal mit jemandem besprechen würde: ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________
Vielen Dank für Deine Mitarbeit!
436
Anhang
Fragebogen zur Selbsteinschätzung 5 Heute geht es mir Ich bin mit meinem Leben Der Glaube an Gott ist für mich Ich erlebe meinen Glauben Den Gottesdienst besuche ich Andere Veranstaltungen besuche ich Welche Veranstaltungen? Meine Gemeinde ist für mich
ausgezeichnet sehr zufrieden sehr wichtig unterstützend so oft ich kann häufig
sehr wichtig Ich arbeite in meiner Gemeinde mit häufig Ich habe außerhalb der Veranstaltungen sehr Kontakt zu Gemeindemitgliedern häufig Die Bibel ist für mich sehr wichtig Praktische Nächstenliebe ist für mich sehr wichtig ich engagiere mich aufgrund meines Glaubens für meine Mitmenschen politisch häufig sozial häufig nachbarschaftlich häufig häufig anderes Engagement – welches
4
3
2
1
überhaupt nicht gut überhaupt nicht zufrieden überhaupt nicht wichtig nicht unterstützend sehr selten selten
überhaupt nicht wichtig selten gar nicht überhaupt nicht wichtig überhaupt nicht wichtig nie nie nie nie
Beispiele: Sozial: (Hilfeleistungen – Diakonie) Ich arbeite in Vereinen mit, die sozial bedürftigen Menschen Hilfeleistungen anbieten. Politisch: (Menschenrechte) Ich setze mich gegen Diskriminierung von Personen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer religiösen Orientierung ein. Nachbarschaftlich: Nähere Bekannte können immer mit meiner Hilfe rechnen.
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Fragebogen zur eigenen Kultur
Fragebogen zur eigenen Kultur Wie würdest du deine eigene Kultur beschreiben? Markiere einen Punkt auf einer Skala von 1–5 Arbeitseinstellungen 1
2
3
4
5
Wenig Hierarchien
Hohe Machtunterschiede Unsichere Situationen vermeiden Lebensqualität Harmonie Handlung
Freude am Risiko Leistung Produktive Ergebnisse Ergebnisse
Soziale Beziehungen 1
2
3
4
5
Weniger wichtig Niedrige Bedeutung der Gruppe
Sehr wichtig Hohe Bedeutung der Gruppe
Zeitorientierung 1
2
3
4
5
Eins nach dem anderen Auf Vergangenheit aufbauen
Viele Dinge auf einmal An die Zukunft denken
Kommunikation 1 Direkter Kommunikationsstil Viel informelle Information Sagen, was man denkt
2
3
4
5 Indirekter Kommunikationsstil Wenig informelle Information Sich zurückhalten
438
Anhang
Polaritätenprofil der eigenen Kultur Wie schätzt du deine eigene Kultur ein? Markiere Punkte auf der Skala. Beispiel Höflichkeit 0 = diese Dimension ist in meiner Kultur unwichtig 2 = die Menschen in meiner Kultur sind sehr unhöflich -2 = die Menschen in meiner Kultur sind sehr höflich -2 höflich direkt gefühlsbetont persönlich gründlich methodisch langfristig denkend knapp frei sicher ernst hart überlegen unaufdringlich bürokratisch kooperativ kommunikativ kreativ verschlossen ganzheitlich statisch ehrlich autoritär
-1
0
1
2 unhöflich indirekt objektiv sachlich oberflächlich spontan kurzfristig denkend ausführlich unfrei unsicher lustig nachgiebig ergeben nachdrücklich flexibel konfrontativ unkommunikativ einfallslos offen punktuell dynamisch unehrlich demokratisch
Abstract (deutsch)
Gottesvorstellungen baptistischer Erwachsener im interkulturellen Vergleich – Andrea Ingeborg Klimt In christlichen Kirchen und Gemeinden in Zentraleuropa gibt es, gerade in größeren Städten, eine wachsende kulturelle Vielfalt unter den Mitgliedern und Besuchern. Die vorliegende empirische Untersuchung widmet sich den Gottesvorstellungen Erwachsener, die verschiedenen Kulturen angehören. Die Gruppe der befragten Personen ist auf eine einzige protestantische Denomination begrenzt (Baptisten), in der Annahme, dass im selben denominationalen Umfeld kulturelle Unterschiede klarer zutage treten. Es wird der Frage nachgegangen, ob sich in den Gottesvorstellungen von erwachsenen Personen kulturell bedingte Unterschiede finden lassen. Dabei liegt der Schwerpunkt im Rahmen eines heuristischen Vorgehens, das nicht hypothesengeleitet ist, sondern dessen Ziel eine Annäherung an den Forschungsgegenstand ist, auf Beobachten, Wahrnehmen und Beschreiben und der Überlegung, welche Relevanz das Beobachtete in der religions- oder gemeindepädagogischen Praxis hat. Für dieses Vorhaben werden die in den Untersuchungen mit Kindern langjährig erprobten Verfahren des Rostocker Methodenrepertoires, entwickelt von Prof. Dr. Anna-Katharina Szagun, angewendet. Anhand von Materialcollagen zu einer Gottesmetapher, qualitativen Interviews und Visualisierungen sind ca. 60 Personen untersucht worden. 24 Interviews haben, aufgeteilt in vier Sprachgruppen (Farsi, Rumänisch, Spanisch und Deutsch), Eingang in die vorliegende Arbeit gefunden. Die Aufgabenstellungen des Rostocker Methodenrepertoires waren für die Befragten leicht zu bewältigen und in jeder der Sprachgruppen, trotz Sprachschwierigkeiten, gut anzuwenden. Im Hauptteil der Arbeit werden die Interviews der 24 Personen individuell ausgewertet und vorgestellt. Dabei wird die Gottesvorstellung unter den verschiedenen Perspektiven Gottesbeziehung (emotionale Anteile) und Gottesverständnis (kognitive Anteile) betrachtet. Anschließend werden die Sprach-
440
Abstract (deutsch)
samples untereinander in Beziehung gesetzt und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hin untersucht. Insgesamt lässt sich sagen, dass es in Hinsicht auf die Gottesvorstellung zwischen den Sprachsamples viele Gemeinsamkeiten und einige Unterschiede gibt. Gemeinsam ist die Betonung der Gottesbeziehung, hinter die das Gottesverständnis zurücktritt, die Relevanz der Gottesbeziehung für den Alltag und eine alltägliche Glaubenspraxis. Die Mehrheit der Befragten sieht im Rückblick, dass ihre Gottesvorstellung sich verändert hat, wobei kritische Lebensereignisse einen wichtigen Stellenwert haben. Die frühere Gottesvorstellung erscheint in der Erinnerung defizitär. Wichtige Gefühle Gott gegenüber sind Vertrauen und Dankbarkeit, wobei durch erlebte Krisen eine Zunahme an Vertrauen möglich ist. Auch die Konfrontation mit einer fremden Gottesvorstellung im neuen kulturellen Kontext kann eine Veränderung der Gottesvorstellung hervorrufen. In der Erinnerung der Befragten ist eine Entwicklung vom Betonen der kognitiven Anteile oder einer normativen Glaubenspraxis (früher) hin zu emotionalen Anteilen (jetzt) der Gottesvorstellung zu beobachten. Im Hinblick auf das Gottesverständnis ist den verschiedenen Samples gemeinsam, dass Gott überwiegend als handelndes Wesen (theistisch) gedacht wird, was aber auch abstrakte Elemente (Gott als Prinzip oder Struktur) einschließen kann. Einen besonderen Schwerpunkt bildet in der Auswertung die Theodizeefrage, anhand derer exemplarisch festgestellt werden kann, dass die Befragten Ambivalenzen im Gottesverständnis nicht wahrnehmen bzw. auflösen. Es scheint weniger wichtig, was geglaubt wird (Gottesverständnis), sondern wie die Gottesbeziehung Gestalt gewinnt: Im Krisenfall – im Alltag – als Unterstützung in der Persönlichkeitsentwicklung. Die Sprachsamples unterschieden sich bezüglich der Lebenssituationen der Befragten, ihrer konkreten oder abstrakten Sprachwahl und der damit verbundenen Gottesvorstellung (Gott als Person oder Prinzip), der Schwerpunkte ihrer früheren Gottesvorstellung (eher kognitiv – eher normativ) und der emotionalen Aspekte Schuld und Wut in Bezug auf ein Gefühl der Nähe Gottes. Hinsichtlich der Forschungsfrage konnten im Laufe der Untersuchung so Unterschiede zwischen den Sprachsamples festgestellt werden, die Hinweise auf mögliche Kulturunterschiede angesichts der individuellen Gottesvorstellung sein können. Diesen Hinweisen nachzugehen obliegt weiteren Forschungen. Da die Menge der Daten nicht repräsentativ ist, wird hier bewusst vorsichtig formuliert. Der Ertrag der vorliegenden Untersuchung liegt darin, mögliche Ansatzpunkte für weitere Fragestellungen gefunden zu haben (z. B. der Bereich Wut und Schuld in Bezug auf die gefühlte Nähe Gottes). Die Unterschiede zeigen die Relevanz der Forschungsfrage. Die Arbeit schließt mit religions- bzw. gemeindepädagogischen Impulsen. Ein bewusster und verantworteter Umgang mit kulturellen Unterschieden, die
Abstract (deutsch)
441
Einbeziehung der eigenen (religiösen) Biographie der Zielgruppe und eine kritische Reflexion der eigenen religiösen Tradition wird angeregt. Weitere Schwerpunkte bilden der Umgang mit der Theodizeeproblematik, eine bewusste Verwendung personaler bzw. apersonaler Sprache im Hinblick auf Gott, Religion als Unterbrechung und ein wertschätzender Umgang mit Krisen. Die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Gottesvorstellung wird als gute Voraussetzung für Gespräche mit Angehörigen anderer Kulturen über deren Gottesvorstellung gesehen und demzufolge auch als eine gute Voraussetzung für einen interreligiösen Dialog.
Abstract (english)
An intercultural Comparison of Baptist Adults’ Concepts of God – Andrea Ingeborg Klimt In Christian Churches and Congregations in Central Europe there is at the moment, especially in large cities, a growing cultural diversity. This empirical investigation focuses on the conceptions of God of adults who belong to different cultures. The group of interviewed persons is limited to a single protestant denomination (Baptists) with the expectation that, within a shared denominational milieu, cultural differences will be more clearly manifested. The question is pursued whether culturally conditioned differences are to be found in adults conceptions of God. In the course of this, the focus (within the frame of a heuristic procedure the goal of which is an approximation to the object of research rather than being led by hypotheses) is on observing, perceiving and describing, and the relevance of that which is observed for the praxis of religious or Christian education. Applied for this purpose is the Rostocker repertoire of methods, developed by Prof. Dr. Anna Katharina Szagun, and proved in long-term studies with children. Approximately 60 persons were surveyed by means of material-collages concerning a metaphor of God, qualitative interviews and visualisations. 24 interviews, divided into four language groups (Farsi, Romanian, Spanish, German), found their way into the present work. The tasks assigned by the Rostocker repertoire of methods were easily dealt with and well applicable in each language group, despite language difficulties. In the main section of the work, the 24 interviews are individually assessed and presented. In the course of this, the conceptions of God are considered under the different perspectives of relationship with God (emotional components) and understanding of God (cognitive components). Afterwards the language samples are put in relation to one another and examined in terms of differences and similarities.
444
Abstract (english)
On the whole, it can be said in view of to the conceptions of God that there are many similarities and several differences between the language samples. The emphasis on relationship with God is a similarity (with respect to which the understanding of God moves into the background), as well as the relevance of relationship with God for everyday life and an everyday practice of faith. The majority of those interviewed see in retrospect that their conception of God has changed, in which change critical life-events have an important status. Looking back, the earlier conception of God seems deficient. Trust and thankfulness are important feelings toward God, and an increase of trust is possible through the experience of crises. Also, being confronted with a foreign understanding of God in a new cultural context can elicit a change in the conception of God. Observable in the recollections of those interviewed is a development from emphasis on cognitive components or a normative practice of faith (earlier) toward emotional components (now) regarding the conception of God. Common to the different samples, with regard to the understanding of God, is that God is thought of (theistically) as a being who acts, which can nevertheless also include abstract elements (God as principle or structure). A special emphasis takes shape in the assessment of the question of Theodicy, upon which can be established in an exemplary way that those interviewed do not perceive or resolve ambivalences in their understanding of God. It seems less important what is believed (understanding of God), and rather more important how the relationship to God takes shape: in event of a crisis – in everyday life – as support in personal development. The language samples are differentiated with reference to the life situation of those interviewed, their concrete or abstract language selection and the therewith associated conception of God (God as person or principle), the focal points of their earlier conception of God (rather cognitive – rather normative) and the emotional aspects of guilt and rage with reference to a feeling of the nearness of God. In view of the research question, it was possible in the course of the study to establish differences between the language samples, which are possible indications of cultural differences in view of the individual conception of God. To follow up these indications behooves further researches. Since the amount of data is not representative, the formulations are cautious here. The yield of the present study is to be seen in having found possible starting points for the formulation of further questions (for example in the area of rage and guilt with reference to felt nearness of God). The differences show the relevance of the research question. The work concludes with impulses for religious and Christian education. A conscious, responsible handling of cultural differences, the inclusion of the personal (religious) biography of the target group and a critical reflexion of one’s
Abstract (english)
445
own religious tradition are stimulated. Further focal points are the handling of the theodicy problem, a conscious use of personal or a-personal language with regard to God, religion as an interruption, and an appropriate way of dealing with crises. The conscious examination of one’s own conception of God is viewed as a good prerequisite for conversation with members of other cultures about their conceptions of God, and accordingly is also viewed as a good prerequisite for interreligious dialogue.