Geschichte Rußlands unter Kaiser Nikolaus I: Band 4 Kaiser Nikolaus vom Höhepunkt seiner Macht bis zum Zusammenbruch im Krimkriege 1840–1855 [Reprint 2019 ed.] 9783110821536, 9783110013689


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German Pages 447 [448] Year 1969

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Kapitel I. Kaiser Nikolaus und König Friedrich Wilhelm IV
Kapitel II. Neue Stadien der orientalischen Frage und die Anläufe zu einer russisch-englischen Allianz
Kapitel III. Die italienische Reise des Kaisers
Kapitel IT. Die baltischen Provinzen, Krakau, die entente cordiale und der offene Brief
Kapitel V. Vorboten revolutionärer Bestrebungen
Kapitel VI. Rußland und die europäische Revolution. Das Jahr 1848
Kapitel VII. Die Krisis im Innern und die schleswigholsteinische Frage
Kapitel VIII. 1849. Auswärtige und innere Politik Rußlands. Der ungarische Feldzug
Kapitel IX. Zwischen Preußen und Österreich
Kapitel X. Die Versöhnung mit Preußen. Hof und Gesellschaft
Kapitel XI. Napoleon III. und Nikolaus I.
Kapitel XII. Sir George Hamilton Seymour. Die Sendung Menschikows und die Kriegserklärung
Kapitel XIII. Die Isolierung Rußlands
Kapitel XIV. Das Ende des Kaisers
Anlage I. Briefe Nikolaus’ I. an die Kaiserin ans London. Juni 1844
Anlage II. Briefe Kaiser Nikolaus’ I. an die Kaiserin ans Italien und Wien. Dezember 1845-Januar 1846
Anlage III. Zwei Briefe Nikolais an Friedrich Wilhelm IV. in der Krakauer Angelegenheit. April und Mai 1846
Anlage IV. Friedrich Wilhelm IV. an Nicolaus I. November 1846
Anlage V. Nikolai an Friedrich Wilhelm IV. 2. Januar 1847
Anlage VI. Nikolai an Friedrich Wilhelm IT. s. d. 1847 vor April
Anlage VII. Nikolai an Friedrich Wilhelm IV. 12. März 1848
Anlage VIII. Briefe der Kaiserin von Rußland an den Prinzen von Preußen. August-November 1848
Anlage IX. Du Plat über Franz Josephs Aufenthalt in Warschau. Mai 1849
Anlage X. Seymour an Malmesbury
Anlage XI. Immediat-Brief v. Bauchs ans Warschau. 23. Mai 1849
Anlage XII. Berichte du Plats über Brandenburgs Aufenthalt in Warschau. Oktober bis Dezember 1850
Anlage XIII. Briefe Nikolais an Friedrich Wilhelm IV. 10. Nov. 1850-5. Dec. 1851
Anlage XIV. Friedrich Wilhelm IV. an Nikolai I. 1852 Febr. 14
Anlage XV. 1853 (vor 7. Sept. 1853)
Anlage XVI. Friedrich Wilhelm an Nikolai
Anlage XVII. 8 Briefe Nikolais an Fritz. Jan.-Aug 1854
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Geschichte Rußlands unter Kaiser Nikolaus I: Band 4 Kaiser Nikolaus vom Höhepunkt seiner Macht bis zum Zusammenbruch im Krimkriege 1840–1855 [Reprint 2019 ed.]
 9783110821536, 9783110013689

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GESCHICHTE RUSSLANDS UNTER KAISER NIKOLAUS I. VON

THEODOR SOHIEMANN.

BAND IV. KAISER NIKOLAUS VOM HÖHEPUNKT SEINER MACHT BIS ZUM ZUSAMMENBRUCH IM KRIMKRIEGE 1840-1855

BERLIN UND LEIPZIG VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER WALTER DE GRUYTER & CO.

VERLEGER

VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE V E R L A G S H A N D L U N G - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG - GEORG REIMER - KARL J. TRÜBNER - V E I T Sc COMP

1919.

KAISER NIKOLAUS VOM HÖHEPUNKT SEINER MACHT BIS

ZUM ZUSAMMENBRUCH IM KRIMKRIEGE 1840—1855 VON

THEODOR SCHIEMANN.

BERLIN UND LEIPZIG VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & CO. YORMALS 6 . J. GOSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG GEORG REIMER KARL J TRÜBNER - VEIT & COMP

1919.

Inhalt. Vorwort. Kapitel I. Kaiser Nikolaus und König Friedrich Wilhelm IV.

1—25

Finanznöte Rußlands. Ersparnisse am Militärbudget 1—3. Versuch, auf die Polenpolitik Preußens einzuwirken 4. Sorgen wegen der Verfassungspläne des Königs 5. Preußische und russische Polenpolitik 7. Bauernunruhen in Livland 8. Kisselews Agrarreform 9. Vermählung des Großfürsten-Thronfolgers 11. Verstimmungen über Preußen 12. Heiratspläne der Großfürstin Olga 15. Kaiser und Thronfolger in Moskau 16. Gedrückte und erregte Stimmung des Kaisers 18. Die Silberhochzeit Nikolais 19. Konflikt mit Preußen 20. Gegenbesuch Nikolais in Berlin 21. Das Attentat in Posen 22.

Kapitel II.|: Neue Stadien der orientalischen Frage und die Anläufe zu einer russisch - englischen Allianz 25—55 Beziehungen zu England unter dem Ministerium Melbourne 26. Bemühungen, mit Sir Robert Peel anzuknüpfen 27. Persien und Afghanistan 28. Der ferne Osten 29. Moldau und Walachei 30. Die Pforte. Serbien 31. Griechenland 35. Die Revolte in Athen 36. Kirchenpolitik Rußlands im nahen Orient 39. Bulgarien 41. Nikolais Bemühungen um England 42. Der Vertrag vom 11. Januar 1843 43. Plan einer Reise nach England 45. Nikolai in London 47. Politische Verhandlungen 50. Das Memorandum Nesselrodes 51. Die endgültige Fassung der Vereinbarung 53.

Kapitel lll.-j Die italienische Reise des Kaisers . . . .

55—74

Todesfälle. Orlow Chef der 3. Abteilung 55. Schädliche Bücher 57. Die Warschauer Verschwörung 58. Erkrankung des Kaisers. Mandt 59. Woronzow, Vizekönig des Kaukasus 60. Nesselrode Reichskanzler. Golowin Generalgouverneur der Ostseeprovinzen 61. Rochow als Gesandter nach Petersburg 63. Der Kaiser, sein Bruder und die Kaiserin 64. Die Frage der Vermählung Olgas 66. Nikolai in Italien 67. Der Besuch beim Papste 68. Ober Florenz nach Venedig 69. Wien 71. Scheitern des Heiratsplans 73. Verlobung und Heirat Olgas mit dem Erbprinzen von Württemberg 74.

VI

Inhalt.

Kapitel IV. Die baltischen Provinzen, Krakau, die Entente 74—101 cordiale und der offene Brief Freunde und Feinde der Ostseeprovinzen 75. Die „Bekehrungen" 76. Philaret und Crafftstrom 78. Sir Moses Montefiore 79. Die polnische Judenschaft 80. Schließung der polnischen Gymnasien 81. Vorbereitungen zu einer polnischen Revolution 83. Dombrowski und Mieroslawski 84. Scheitern der Revolution in Rußland und Posen 86. Die Krakauer Revolution 87. Krakau in russischen Händen 89. Der Plan, Kongreßpolen gegen Galizien einzutauschen 90. Krakau soll österreichisch werden 91. Bedenken Friedrich Wilhelms IV. 92. Das Protokoll vom 5. April 1846 93. Die spanischen Heiraten 94. Einverleibung Krakaus 95. Die Haltung Englands 96. Unzufriedenheit Nikolais mit Preußen und Österreich 97. Der offene Brief 98. Haltung Rußlands 99. Napoleons Flucht aus Ham und die Wahl Pio IX. 101.

Kapitel V.

Vorboten revolutionärer Bestrebungen

.

. 102—137

Der vereinigte Landtag 102. Mansurow aus Berlin nach Hannover versetzt 103. Abwendung Rußlands von Preußen 104. Der Schweizer Sonderbund 105. Annäherung Nikolais an Frankreich 106. Der Gegensatz zwischen Sardinien und Österreich 107. Mißerfolge im Kaukasus 108. Schamyl 109. Anfängliche Erfolge Woronzows 110. Die Schrecken des Rückzugs von Dargo 111. Gherbedil und Hadji Murad 113. Zentralasien und Persien 114. Die „erzwungene Ehe" 115. Russifizierung Polens 117. Der Plan, Michail zum Statthalter Polens zu machen 118. Verwaltungsreformen und Mißbräuche 119. Sinken der öffentlichen Moral 120. Die ukrainische Frage 121. Ein prophetischer Blick in die Zukunft 123. Das Urteil 125. Wendung gegen die Slavophilen 127. Ein Reskript Uwarows 128. Moskau und die Hegelianer 129. Der Salon der Frau Jelagin 131. Chomjakow, Kirejewski, die Brüder Aksakow 132. Bielinski, Herzen, Bakunin 133. Nikolai in Moskau 136. Der Ukas vom 8. November 1847 137.

Kapitel VI.

Rußland und die europäische Revolution . 137—151

Die Revolution in Palermo 138. Die Februar-Revolution 139. Kriegspläne Nikolais gegen Frankreich 140. Die Revolution in Wien 141. Der 18. März in Berlin 142. Manifest Nikolais vom 27. März 143. Nesselrodes Kommentar dazu 144. Ansprache des Kaisers an die Deputation des Petersburger Adels 146. Die Polizei Nikolais 148. Denunziationen 149. Das „permanente anonyme Komitee" 150. Uwarow und Stroganow 151.

Kapitel VII.

Die Krisis im Innern und die schleswigholsteinische Frage 151—173

Sorgen um Polen 152. König Adam Czartoryski 153. Bauerunruhen 154. Sakrewski, Suworow, Samarin 155. Die Ostseeprovinzen 156. Cholera 157. Nikolais Kriegspläne gegen Preußen 158. Preußen und Dänemark 162. Erzherzog Johann 163. Preußische Drohungen und englische Gegenwirkungen 165. Der Waffenstillstand von Malmö 167.. Ein preußisches Hilfsgesuch und Nikolais Antwort 168. Neue Krisis 170. Rauchs Ratschläge 172.

Inhalt.

VII

Kapitel VIT!. 1849. Auswärtige und innere Politik Rußlands. Der ungarische Feldzug . . . . 173—217 Die Donaufürstentümer und die Mission Duhamels 173. Revolution in Bukarest 175. Russische Okkupation der Fürstentümer 176. Der Vertrag von Balta-Liman 1. Mai 1849 177. Erste Anknüpfungen mit der französischen Republik 179. Beziehungen zu England 180. Präsidentschaft Louis Napoleons und Anerkennung der Republik 181. Die Kaiserin hält die Beziehungen zu Preußen aufrecht 182. "Optimismus Nikolais. Festlichkeiten 183. Österreich in Not 185. Petersburg in Moskau 186. Das Maskenfest. Reaktionäre Maßnahmen 187. Die Verschwörung Petraschewskis 189. Hilfgesuch Österreichs 191. Ungarn und Polen 192. Unpopularität eines Kriegs gegen Ungarn 193. Nikolai in Warschau 194. Schwarzenberg und die Unionspläne Friedrich Wilhelms 195. Rauch über den König 196. Paskiewitsch Oberkommandierender 197. Mangelhafte Vorbereitungen 198. Der ungarische Operationsplan 199. Der österreichische und der russische Operationsplan 200. Nikolai in Dukla 201. Beginn des Feldzugs 202. Görgey, Haynau und Paskiewitsch 203. Görgey und Rüdiger 204. Die Schlacht bei Temeswar 205. Vilagos 13. August 1849 206. Wechselnde Stimmungen Nikolais 207. Rückwirkung der öffentlichen Meinung auf ihn 209. Unzufriedenheit des Kaisers mit Paskiewitsch 211. Jubel Nikolais nach Vilagos 213. Haynau schreibt ¿ch den Sieg zu 214. Tod Michail Pawlowitschs 215. Nachspiel des Krieges in der Türkei. Rußland fordert Auslieferung der Flüchtlinge 216. Der Kaiser weicht vor England und Frankreich zurück 217.

Kapitel IX.

Zwischen Preußen und Österreich

.

.

. 217—238

Die Pacifico-Affäre 218. Bemühungen um eine Allianz mit Frankreich 219. Nikolai und Schwarzenberg gegen eine vorherrschende Stellung Preußens in Deutschland 220. Das Erfurter Parlament 222. Warschau 223. Die Haltung des Kaisers 224. Spannung. Radowitz Minister des Auswärtigen 225. Die militärische Lage 227. Brandenburgs Irrtum 230. Der Ausgang 231. Paskiewitschs Beurteilung der Lage 232. Reaktion 233. Das 25jährige Regierungsjubiläum 235.

Kapitel X.

Die Versöhnung mit Preußen. sellschaft

Hof und Ge238—248

Festlichkeiten 238. Friedrich Wilhelm in Warschau 240. Die Versöhnung 241. Nikolai in Olmütz 242. Eröffnung der Nikolai-Bahn 243. Nesselrode, Orlow, Tschernischew 244. Menschikow, Kisselew, Perowski 245. Wolkonski, Wrontschenko, Adlerberg 246. Panin, Schuwalow, Lwow 247. Die Hofdamen. Alexander und Konstantin Nikolajewitschi 248.

Kapitel XI.

Napoleon III. und Nikolaus 1

249—274

Sympathie Nikolais für Napoleon 249. Die heiligen Stätten 250. Erstes Eingreifen Nikolais 251. Das Plebiszit vom Dezember 1851. Schwankendes Urteil Nikolais 253. Der Kaisertitel 254. Tod Schwarzenbergs. Labenski

VIII

Inhalt.

in Paris 255. Pläne des Kaisers. Gamaley und Kleinmichels Unterschleife 256. Wrontschenko. Gogols Tod 257. Der russische Adel 258. Nikolai in Berlin und Wien 259. Stellung zum Kaisertitel Napoleons 260. Das „sogenannte deutsche Vaterland" 262. Absolutismus Nikolais 263. Befürchtungen Englands 264. Die baltische Flotte 265. Belgien als casus belli 266. Nikolais Reise in die Krim 267. Sewastopol 268. Lasarew 269. Die Ziffer III im Kaisertitel Napoleons 271. Sir my brother und mon bon ami 272. Politkowski 273. Tod des Herzogs von Wellington 274.

Kapitel XII.

Sir George Seymour. Die Sendung Menschikows und die Kriegserklärung . . . 274—303

Der kranke Mann 275. Das Gespräch vom 14. Februar 1853 276. Die Haltung Englands 277. Wetterleuchten im Orient 278. Russische Kriegspläne 279. Lord Clarendon, Stratford, Drouyn de l'Huys 280. Nikolais Erwägungen 281. Menschikows Instruktionen 283. Die heiligen Stätten 285. Menschikow, Fuad und Rifaat Pascha 286. Das russische Ultimatum 287. Ali Paschas Erzählung 288. Menschikow und das Botschaftspersonal verlassen Konstantinopel 291. Die Schuld am Bruch trägt Stratford Canning 291. Die Haltung Nikolais 292. "Versuche, zu vermitteln 294. Die Wiener und die Konstantinopeler Note 295. Das Manifest des Sultans 297. Ungünstige Einwirkung Nesselrodes 298. Nikolai in Olmütz. Warschau und Berlin 299. Die Pforte verlangt Räumung der Fürstentümer 301. Kriegserklärung Rußlands 302. Sinope und die Kriegserklärung Englands und Frankreichs 303.

Kapitel XIII.

Die Isolierung Rußlands

303—329

Die russische Politik unter Einfluß der Slavophilen 304. Korrespondenz mit Paskiewitsch 305. Die Sendung Orlows nach Wien 306. Unbefriedigende Verhandlungen mit Österreich, Preußen und Frankreich 309. Der formelle Bruch mit den Alliierten 310. Korrespondenz zwischen Friedrich Wilhelm und Nikolai 311. Das Protokoll vom 9. April 1854 und der Vertrag vom 20. April 312. Paskiewitsch Oberkommandierender 314. Er verlangt Räumung der Fürstentümer 315. Feste Haltung Nikolais 316. Silistria 317. Die Sommation Österreichs 319. Die vier Punkte 321. Nikolai an Friedrich Wilhelm 322. Bismarck über die vier Punkte 323. Die Schlacht an der Alma 324. Schlacht bei Inkerman und der Vertrag vom 2. Dezember 1854 327. Soll Preußen dem Vertrag beitreten? 328.

Kapitel XIV.

Das Ende des Kaisers

329—360

Die Fronde der Petersburger Gesellschaft 330. Die Haltung des baltischen Adels 331. Osenbrüggen und Viktor Hehn 332. Die „Gesellschaft" und der Krieg 334. Eine Betrachtung Lebedews vom Juni 1854 338. Pessimistische Stimmung im Reich 340. Ungünstige Nachrichten aus der Krim 342. Korrespondenz mit Menschikow 345. Die letzten militärischen Pläne Nikolais 345. Die beiden Manifeste 351. Ersetzung Menschikows durch den Fürsten Gortschakow 352. Krankheit und Tod des Kaisers 353. Eindruck in Rußland 355. Charakteristik 356.

Inhalt.

IX

Anlagen. I. Briefe Nikolaus I. an die Kaiserin aus London, Juni 1844 . . II. Briefe Nikolaus I. an die Kaiserin aus Italien und Wien. Dez. 1845—Jan. 1846 III. Zwei Briefe Nikolais an Friedrich Wilhelm IV. in der Krakauer Angelegenheit. April und Mai 1846 IV. Friedrich Wilhelm IV. an Nikolaus I. November 1846 . . . . V. Nikolai an Friedrich Wilhelm IV. 2. Januar 1847 VI. Nikolai an Friedrich Wilhelm IV. s. d. 1847 vor April . . . . VII. Nikolai an Friedrich Wilhelm IV. 12. März 1848 VIII. Briefe der Kaiserin von Rußland an den Prinzen von Preußen. August—November 1848 IX. Du Plat über Franz Josephs Aufenthalt in Warschau . . . . X. Seymour an Malmesbury. August 1852 XI. Immediatbrief Rauchs aus Warschau. 23. Mai 1849 . . . . XII. Berichte Du Plats über Brandenburgs Aufenthalt in Warschau. Oktober bis Dezember 1850 XIII. Briefe Nikolais an Friedrich Wilhelm IV. 10. November 1850 bis 5. Dezember 1851 XIV. Friedrich Wilhelm IV. an Nikolai I. 14. Febr. 1852 . . . . XV. Seymour an Malmesbury. Vor 7. Sept. 1853 XVI. Friedrich Wilhelm IV. an Nikolai 1 XVII. 8 Briefe Nikolais an Friedrich Wilhelm IV. 1854

363 366 380 382 389 390 391 393 397 399 401 404 415 419 421 423 425

Vorwort.

U

m den die Geschichte Rußlands unter Nikolaus I. abschließenden 4. Band fertigzustellen, reiste ich im Frühjahr 1914 nach London, wo mir die Akten des „Record office" mit größter Liberalität zugänglich gemacht wurden, wofür den betreffenden Autoritäten und Beamten hiermit mein aufrichtiger Dank gesagt sei. Ich erhielt die letzten Abschriften kurz vor Ausbruch des Krieges und möchte ausdrücklich hervorheben, daß mir die Instruktionen der Minister und die Berichte der Gesandten und Konsuln ohne jede Einschränkung zugänglich gemacht wurden. Das. war um so wichtiger, als gerade dieses Archiv für die von mir behandelte Zeit bisher noch nicht benutzt worden war und wichtige Aufschlüsse bot. Die mir für die Zeit nach der Februar-Revolution nicht zugänglichen Akten des „Dépôt des affaires étrangères" hatte inzwischen Bapst in seinen „Origines de la guerre de Crimée" so ausgiebig benutzt und zitiert, daß die Einsicht in die Originalakten .sich verschmerzen ließ. Für Österreich boten die Arbeiten von Friedjung einen ähnlichen Ersatz, während an neuen deutschen Arbeiten Meinekes „Radowitz" mir eine wertvolle Vorstudie auch für die Beziehungen Preußens zu Rußland in der von ihm dargestellten Periode war. Auch von russischer Seite lagen zwei bedeutsame Quellensammlungen vor: A. M. Sajontschkowski: „Der orientalische Krieg 1853—1856 im Zusammenhang mit der jetzigen politischen Lage." Band I mit einem Bande Anlagen, welche die Quellenbelege zu dem bis zum Ausbruch des Krimkrieges reichenden Text enthalten. Petersburg 1908. Gedruckt auf Kosten des Kriegsministeriums; und Band X und XI der „Lettres et papiers du Chancelier Comte de Nesselrode". Paris 1912, die bis zum Jahre

XII

Vorwort.

1856 reichen, für die Zeit des Krimkrieges aber verhältnismäßig dürftig sind. Um so wichtiger war die Korrespondenz des Kaisers Nikolaus mit Paskiewitsch, deren 7. Band bis 1856 reicht, die mir abschriftlich vorliegenden Briefe des Kaisers mit seiner Gemahlin, die in der sog. höchsteigenen Bibliothek des Zaren liegen, und die Materialien, die ich dem Hausarchiv in Charlottenburg zu danken habe. Da ich zudem das reiche Material an russischen Memoiren und Tagebüchern benutzen konnte, das in den russischen historischen Zeitschriften verstreut liegt, und für die Zeit bis 1848 auch die jährlichen Rechenschaftsberichte abschriftlich besaß, die Nesselrode dem Kaiser vorlegte, darf ich wohl sagen, daß ich das Quellenmaterial für meine Geschichte annähernd erschöpfend benutzt habe. Die Darstellung entstand in den Jahren des Weltkrieges und wurde in den schweren Tagen des Zusammenbruchs vollendet. Ich versuchte mich aus der erdrückenden Last der Ereignisse durch Vertiefung in eine Vergangenheit zu retten, welche merkwürdige Analogien mit der Gegenwart bietet. Wenn heute der Kaiser Nikolaus zu uns spräche, würde er wohl sagen: es ist alles gekommen, wie ich gefürchtet und vorausgesehen habe. Aber recht hätte er darin nur im Hinblick auf die Entwickelung, die Rußland genommen hat, und die ist zu nicht geringem Teil darauf zurückzuführen, daß es seine Grundsätze waren, die in den schwächeren Händen seiner Nachfolger schließlich die kommunistische Revolution herbeiführten, die er in der ukrainischen Bewegung und in der Verschwörung der Petraschewzen unterdrückt zu haben meinte. Sein eigener Zusammenbruch war ein Vorspiel dessen, was im Schoß der Zukunft ruhte. Was mich in der Erzählung der Geschichte Nikolais inmitten der scheinbar verzweifelten Verhältnisse des heutigen Deutschland aufrecht erhielt, war der feste Glaube an eine bessere Zukunft. Heinrich von Treitschke hat die Zuversicht, die uns alle auch heute erfüllen muß, folgendermaßen formuliert: „Ich ertrüge das Leben keine Stunde mehr, wenn ich jemals diese rätselhafte Kunst lernte, an meinem Vaterlande zu verzweifeln." Berlin im Juni 1919. Theodor Schiemann.

Kapitel I. Kaiser Nikolaus nad König Friedrich Wilhelm IV. Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, daß der Kaiser Nikolaus in seiner Politik von anderen als russischen Interessen bestimmt worden sei. Auch wo der Schein dagegen spricht, führt eingehende Prüfung uns stets auf diesen Interessenstandpunkt zurück. Das gilt auch für seine Beziehungen zu Preußen, obgleich gerade sie durch die engen verwandtschaftlichen Bande, die ihn mit dem preußischen Königshause verknüpften, und im Hinblick auf das bestehende politische Bündnis eine Ausnahmestellung gerechtfertigt oder mindestens entschuldigt hätten. Wir haben von der Freundschaft des Kaisers zu zu seinen Schwägern mehrfach zu reden Anlaß gehabt. Der nunmehrige König, „Fritz", wie man ihn im Familienkreise und auch in der kaiserlichen Familie nannte, war zudem der Lieblingsbruder der Kaiserin, die stets bemüht war, wo Gegensätze zwischen Nikolai und Friedrich Wilhelm auftauchten, ausgleichend zu wirken. Dazu kam, daß beiderseits, beim Könige wie beim Kaiser, der redliche Wille vorhanden war, Freundschaft und Eintracht aufrechtzuerhalten. Trotzdem hat das russische Interesse, wie der Kaiser es verstand, ihn gerade zu Friedrich Wilhelm IV. in allmählich steigenden lind schließlich erbitterten Gegensatz gesetzt. Die romantische Ideologie des Königs und der prinzipielle Absolutismus des Kaisers mußten notwendig zu Konflikten und schließlich hart bis an den Rand kriegerischer Konflikte führen. Es war eine laugsame, aber unabwendbare Entwickelung, die sich vollzog. Als Nikolai am 28. Juni 1840 aus Ems, wohin er die kränkelnde Kaiserin geleitet hatte, wieder in Petersburg eintraf, nahmen ihn zunächst die großen Manöver der Garde in Anspruch, die er alljährlich um diese Zeit zu leiten pflegte. In Zarskoje Sselo bezog er jedoch nicht das Palais, sondern wohnte die ganze Zeit über in seinem Zelt, und nur gelegentlich besuchte er die Großfürstin S c h i e m a n n . Geschichte Rußlands. IV.

1

2

Kapitel I.

Kaiser Nikolaus und König Friedrich Wilhelm IV.

Marie in dem Holzhause, das sie bei Peterhof bewohnte. Dort nahm er auch die Vorträge seiner Minister und den Besuch der Gesandten entgegen. Er pflegte in Abwesenheit der Kaiserin sich jede Bequemlichkeit zu versagen; seine zur Hypochondrie neigende Anlage machte sich dann stets geltend. Auch war er damals voller Sorgen. Die Finanzen waren in Unordnung, die Emission von 12 Millionen Schatzscheinen genügte um so weniger, die dringendsten Ausgaben zu befriedigen, als der Mißernte des vorigen Jahres eine neue ganz unzureichende Ernte gefolgt war. Es fanden Verhandlungen über eine Anleihe mit Holland statt, und der Kaiser nahm es sehr übel, daß die fremden Bankiers auf die Notwendigkeit von Ersparnissen hinwiesen und sogar von unerläßlicher Reform der Verwaltung zu sprechen wagten. Er sei, schrieb Nikolai dem Feldmarschall Paskiewitsch, in höchster Verlegenheit; alles verlange Geld, und die Steuerrückstände seien bereits um 20 Millionen höher als 1839. In den Gouvernements Tula, Kaluga, Rjäsan und Tambow herrsche Hungersnot. Man verlange von ihm 28 Millionen Rubel, nur um zwei dieser Gouvernements zu versorgen, er wisse nicht, wo er das Geld hernehmen solle. Natürlich schrumpften die Ansprüche der notleidenden Gebiete sehr beträchtlich zusammen, als der Minister des Innern, Graf Alexander Stroganow, an Ort und Stelle die wirkliche Höhe der Bedürfnisse untersuchte. Er drückte die Forderungen des Gouvernements Kaluga von 17 auf 2 Millionen Rubel herab, und ähnlich ist der Verlauf wohl überall gewesen. Immerhin blieb die Not groß, und der Gedanke, Ersparnisse durch Reduzierung des Bestandes der Armee vorzunehmen, ließ sich, so schwer es dem Kaiser fiel, nicht mehr abweisen. Es hat aber noch anderthalb Jahre gedauert, ehe durch den Ukas vom 20. Januar 1842 energisch eingegriffen wurde 1 ). ') Allerhöchste Order an den Kriegsminister, 25. Januar 1842: Ich befehle, von folgenden Truppenteilen auf unbestimmte Zeit zu entlassen: I. Bei der Garde: Bei der Infanterie die 4. Bataillone bis auf dea Kerdonbestand; bei der Kavallerie die 8. Eskadrons; bei der Fußartillerie 3 Reserve- und 3 provisorische Batterien; bei der reitenden Artillerie eine provisorische Batterie. II. Bei dem Grenadierkorps: Bei der Infanterie die 4. und 5. Bataillone sämtlicher Regimenter bis auf den Kordocbestand; die 4. Reservebataillone sind aber sofort zu entlassen: bei der Artillerie 3 Reserve- und 3 provisorische Batterien der leichten Fußartillerie und eine reitende Batterie. III.

Bei den Infanteriekorps: Bei der Infanterie die 5. und 6. Bataillone

Kapitel I.

Kaiser Nikolaus und König Friedrich Wilhelm IV.

3

Im Reichsrat hatte Cancrin nur schwer erreichen können, daß der Kaiser sich schließlich dazu bereit fand, die Soldaten, die bereits zehn Jahre im aktiven Dienst gestanden hatten, der Reserve zuzuweisen, was, wie man hoffte, eine Ersparnis von 15 Millionen Rubel Papier bringen sollte. Erst der Einfluß Paskiewitschs setzte radikalere Bestimmungen durch, von denen jedoch nur ein Teil sofort ausgeführt wurde. Populär war keine dieser Maßregeln, weder bei den Gutsbesitzern, noeh auch in den Kreisen der bäuerlichen Bevölkerung. Man war gewöhnt, die Soldaten gleichsam als außerhalb des Volkslebens stehend zu betrachten. Wer einberufen war, galt für dauernd ausgeschieden. Man nahm Abschied von ihm wie für immer, und seine Rückkehr war um so weniger erwünscht, als der Dienst im Heer ihn bäuerlicher Arbeit entfremdete, und er zudem Anspräche und Gewohnheiten mitbrachte, die nur unwillig ertragen wurden. Der entlassene Soldat wurde zu einer Last und konnte, nachdem die Zügel der harten Disziplin geschwunden waren, zu einer Gefahr werden. In den häufigen Bauernrevolten spielen ehemalige Soldaten fast stets die Rolle des Führers. Wir werden ihnen noch oft begegnen. Schneller griff der ungewohnte Sparsamkeitstrieb des Kaisers mit einer eingehenden und sehr strengen Prüfung des Budgets des Kaiserlichen Hauses ein. Er strich höchst eigenhändig eine Reihe von Posten von der Liste des regelmäßigen Küchenbedarfs, die seit unvordenklichen Zeiten angeschafft wurden und an die man bei Hof gewohnt war* Ihr Wegfallen sollte eine Ersparnis von 60000 Rubel Assignaten jährlich bringen. In Wirklichkeit war es nicht mehr als eine ganz ephemere Maßregel. „Man spart an Lichtstümpfen und wirft das Geld gleichzeitig zum Fenster hinaus')." Gesteigert wurden die ohnehin ungeheuer hohen Erträge der Branntwein-Regie; der neue auf vier Jahre abgeschlossene Kontrakt mit den Branntweinpächtern mußte 160 Millionen Rubel jährlich bringen, was eine Mehreinnahme von 80 Millionen bedeutete. Man brauchte Geld, wegen sämtlicher Regimenter bis auf den Kordonbestand; die 5. Reservebataillone aber alsbald zu entlassen. IV. Bei der gesamten Linien-Kavalleries 2 Eskadrons von jedem Regiment. V. Bei der Artillerie: 9 reitende Batterien, 18 Reserve- und ebensoviel provisorische Batterien zu Fuß. Dmitri Nesselrode an Meyendorf 29. November 1841. 1*

4

Kapitel I.

Kaiser Nikolaus und König Friedrich "Wilhelm IV.

der damals noch fortdauernden Krisis in Frankreich und im Hinblick auf die Feierlichkeiten, welche die bevorstehende Hochzeit des Großfürsten-Thronfolgers erforderte. Am 10./22. Juli hatte der Kaiser den Ehekontrakt unterzeichnet. „Der Großherzog von Hessen", schrieb Nikolai der Kaiserin, „gibt seiner Tochter zur Aussteuer die ungeheuere Summe — von 40000 Rubel Papier: Wir haben nicht wenig gelacht 1 )." Gegen Ende Juli trat der Kaiser die Armeeinspektionsreise an, die er alljährlich auszuführen pflegte. Sie umfaßte dieses Mal Polen, aber er legte sich den Zwang auf, nicht der heimkehrenden Kaiserin entgegenzufahren. Ihr Weg führte über" Berlin, und dort hat sie den König im Auftrage Nikolais darauf hingewiesen, daß Rußland seine Politik den Polen gegenüber niemals ändern werde und es deshalb als einen schlechten Dienst empfinden würde, wenn er den Wüaschen der Polen in Posen entgegenkommen sollte. Erreichen würde er dadurch nichts als eine Isolierung Rußland gegenüber und Verlegenheiten, die abzuschütteln ihm schwer fallen werde. Ausdrücklich warnte der Kaiser vor Wilhelm Radziwill, der unter der Maske persönlicher Ergebenheit für das preußische Königshaus und speziell für den König ein wütender und gefährlicher Pole sei und nicht Preuße, was er ausschließlich sein sollte. „Ich fürchte sehr und aus guten Gründen seinen Einfluß auf unseren vortrefflichen und allzu leichtgläubigen Fritz, der leicht durch sein gutes Herz irregeführt wird und die Dinge nicht praktisch anzufassen versteht 3 )." Gleichsam als wolle er dem preußischen Schwager an einem Beispiele zeigen, wie man die Polen behandeln müsse, hatte er bestimmt, daß alle Damen, die vor der Kaiserin defilieren wollten, in russischem Kostüm zu erscheinen hätten. Vorgestellt sollte keine einzige von ihnen werden 3 ). 14 Tage darauf konnte er der Kaiserin melden, daß alle Damen sich r u s s i s c h e Anzüge machen ließen. „So ist mein Ziel erreicht. Es ist kein polnisches, sondern ein russisches Kostüm, das sie sich anlegen, um vor Dir erscheinen zu dürfen. Ich hoffe ') nous avons bien vil *) Schreiben Nikolais an die Kaiserin 30. Juli/11. August 1840. *) Warschau, den 20. Aug./6. Sept. 1840: Aussi il faut bien, bien les saluer poliment quand tu passera devant, quoique on ne leur parle pas, ni elles te seront présentées, mais seulement admises à te faire la révérence, pendant que tu passes devant.

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damit einen guten Erfolg erreicht zu haben, den Vorläufer weiterer; aber beständig und fest muß man sein, und so Gott will, wird mir weder das eine noch das andere fehlen." Es ist nun überaus charakteristisch, daß sich seine Gedanken von dem den Polinnen oktroyierten Sarafan sofort wieder Friedrich Wilhelm zuwenden. „Ich liebe Fritz seit 25 Jahren und ich werde ihn als vortrefflichen Freund lieben, so lange ich lebe. Sein Geist ist hervorragend, sein Herz von seltener Güte, — aber die Phantasie ist mitunter zu lebhaft und läßt ihm Dinge als möglich erscheinen, die es nur in seiner Einbildung sind und die von der Wirklichkeit widerlegt werden. Das ist ein gefährlicher Fehler. Mitunter verliert man dadurch Königreiche, wenn man nicht rechtzeitig haltmacht und immer träumt." Das Mißtrauen, daß in diesen höchst vertraulichen Äußerungen des Kaisers zum Ausdruck kommt, verdient um so mehr Beachtung, als zurzeit noch keinerlei Tatsachen vorlagen, die es rechtfertigten. Aber es sollte sich bald zeigen, daß er sich in seinem Urteil nicht täuschte, und daß gerade die Regierungshandlungen des Königs, die seiner Überzeugung nach ein Unheil für Preußen vorbereiteten und eine Gefahr für das benachbarte Rußland werden konnten, zu dem Regierungsprogramm gehörten, das Friedrich Wilhelm zwar unter Schwankungen, aber mit außerordentlicher Zähigkeit verfolgte: die Erweiterung der ständischen Rechte und die Begünstigung der nationalen Bestrebungen der Polen in Posen. Die Beunruhigung Nikolais über die Verfassungspläne seines Schwagers reichte weit zurück. Auf einer Fahrt, die der Kaiser mit dem damaligen Kronprinzen von Magdeburg nach Brandenburg im Jahre 1838 machte, hatte dieser ihm ausführlich dargelegt, in welcher Weise er das Versprechen zu erfüllen gedenke, das Friedrich Wilhelm III. durch die Verordnung vom 21. 4 Mai 1815 gegeben hatte. Es haben sich keine weiteren Spuren vom Inhalt dieser Mitteilungen erhalten; es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß es sich dabei um die reichsständische Klausel der Verordnung über die Staatsschuld vom 17. Januar 1820 gehandelt hat. Sie bestimmte bekanntlich, daß neue Anleihen nur unter Zuziehung und unter Mitgarantie der künftigen Reichsstände aufgenommen werden sollten, und war durch den Testamentsentwurf von 1838 noch nachdrücklich wiederholt und erläutert worden 1 ). Aus einer De*) Es war ein formell unverbindlicher Entwurf, der zwar unzweifelhaft

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pesche des russischen Gesandten am Berliner Hofe 1 ) wissen wir aber, daß dieser Entwurf auf den Einfluß Nikolais zurückgeht und ganz von der Hand des Fürsten Wittgenstein geschrieben worden ist. Der Schluß ist nicht abzuweisen, daß gerade jenes Gespräch zwischen Kronprinz und Kaiser den Anstoß zum Testamentsentwurf gegeben hat 5 ), und daß, abgesehen von den Bestimmungen über die reichsständische Versammlung, auch der Abschnitt des Testamentsentwurfs auf Nikolai zurückzuführen ist, der den Agnaten des königlichen Hauses ein Vetorecht bei Verfassungsänderungen verlieh. Der Kaiser wußte, daß er an seinen jüngeren Schwägern, dem Prinzen von Preußen und dem Prinzen Karl, Bundesgenossen finden werde, wenn es sich darum handeln sollte, Verfassungsplänen Friedrich Wilhelms entgegenzuwirken. Einen anderen Bundesgenossen fand der Kaiser an Metternich, der auf einer Zusammenkunft mit dem Könige am 13. August 1840 in Pillnitz aus seinen Bedenken kein Hehl gemacht hatte. Die ersten Regierungshandlungen Friedrich Wilhelms haben dann widerspruchsvolle Eindrücke in Petersburg hervorgerufen. Daß der Erzbischof Dunin nach Posen zurückkehren durfte, verstimmte, ebenso die Audienz, die dem Grafen Eduard Raczynski gewährt wurde, und die auffallende Bevorzugung Schöns. Dagegen fanden die Reden des Königs bei der Erbhuldigung in Königsberg und in Berlin den vollen Beifall Nikolais. Ende Dezember schrieb er dem Könige, daß er seine Rolle zur Bewunderung der ganzen Welt erfülle. Zu Anfang des neuen Jahres war die Stimmung bereits weniger günstig. Daß die katholische Geistlichkeit in Preußen die Erlaubnis erhielt, in direkte Beziehungen zum Papste zu treten, fand Nikolai höchst sonderbar, er hat später (April 1841) dagegen in aller F^rm protestiert. Die Nachrichten aus Altpreußen seien schlecht, und ganz unbegreiflich, daß der König, der doch die Falschheit von Schön kenne, ihn als Oberpräsidenten in Königsberg dulde. Die Einführung von Lehrstühlen des Slawischen und den Ansichten des alten Königs entprach, aber ?on ihm nicht unterzeichnet worden ist. Martens, Recueil des traités et conventions, tome VIII pg. 271. Meyendorf an Kesselrode 20. April/2. Mai 1841: „testament politique secret du roi . . . qui lui a été inspiré par, l'Empereur Nicolas I. et a été écrit en entier par le prince Wittgenstein". ^ conf. Geschichte Rußlands unter Nikolaus I. Bd. III pg. 415.

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Polnischen schien ihm auf den Einfluß revolutionärer Propaganda zurückzuführen. Er fand es nötig, um nicht hinter Preußen zurückzustehen, den Unterricht in den slawischen Sprachen auch in Polen einzuführen, ordnete aber an, diesen Unterricht auf das strengste zu kontrollieren. Zugleich traf der Kaiser Maßregeln, um den polnischen Klerus, dem die direkte Verbindung mit Rom unterbunden war, unter seine besondere Aufsicht zu nehmen. In Petersburg wurden Anstalten getroffen, um die Leitung sämtlicher geistlichen Angelegenheiten Polens dorthin zu übertragen. Der Kaiser hatte beim Papst glücklich die Bestätigung des der russischen Regierung ergebenen Metropoliten Pawlowski durchgesetzt und durch ein „katholisches Kollegium" die Erziehung der Geistlichkeit zu russischer Staatsgesinnung vorbereitet. Eine Bischofsweihe, die notwendig geworden war, ließ er durch zwei Bischöfe aus dem „Zartum Polen" vornehmen und ernannte sie dann sogleich zu Mitgliedern des Kollegiums, wodurch, wie er dem Fürsten Paskiewitsch schrieb, „der Anfang mit der Einheitlichkeit der Verwaltung gemacht werde 1 )". Die Einheit der Verwaltung war, wie die Politik des Kaisers den Uniaten in Litauen gegenüber zeigte, und wie nur zu bald die Konvertierungsbewegung in Livland beweisen sollte, bestimmt, auch zum Ideal einer kirchlichen Einheit in der allein seligmachenden Staatsreligion zu führen und so die von Uwarow vertretene Lehre von den drei Ideen zu verwirklichen, in deren Anerkennung die bunte Bevölkerung des Reiches zu einem Ganzen verschmolzen werden sollte: Autokratie, Orthodoxie und Volkstümlichkeit, wobei der letztere Begriff schon damals inhaltlich als Panrussismus gedacht war (narodnost). Die scheinbare Einfachheit dieser Formel war dem Kaiser so einleuchtend, daß er an ihr unentwegt festgehalten hat, und auf sie seine gesamte Haltung in der inneren Politik des Reichs zurückzuführen ist. Es will sehr viel sagen, daß trotz der ausgesprochenen Vorliebe, die er dem an seinem Hofe zahlreich vertretenen baltischen Adel entgegentrug, um diese Zeit die ersten Anläufe zu einer Russifizierung der Ostseeprovinzen sich hervorwagten und, was später zum Programm der russischen Agitatoren wurde, die agraren Verhältnisse der drei Provinzen, obgleich sie trotz ihrer damaligen Rückständigkeit im Vergleich zu russischen Zuständen immer noch ideal erscheinen Nikolai an Paskiewitsch 13. Februar, 13. März, 5. April, 26. April 1841.

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konnten, als Hebel zu einer Anschwärzung der deutschen Untertanen des Kaisers benatzt wurden. Iai Sommer 1841 kam es in Li.vland zu Bauernunruhen, die auf das von russischen Geistlichen und entlassenen Soldaten, die dabei die Führung der Aufständischen übernahmen, ausgesprengte Gerücht zurückgingen, daß der Kaiser den lettischen Bauern Land in Rußland angewiesen habe, das ihnen zugeteilt werden sollte, wenn sie zur griechischen Kirche übertraten. Parallel damit gingen Beschwerden der Bauern gegen die deutschen Gutsherren. Der Generalgouverneur v. d. Pahlen nahm die Beschwerden nicht unfreundlich entgegen, ermahnte die Bauern aber, zu ihren Pflichten zurückzukehren. Zur griechischen Kirche überzutreten sei ihnen erlaubt, nicht aber nach Rußland, wie sie beabsichtigten, auszuwandern. Die Führer aber wurden, weil sie ohne Erlaubnis die Güter verlassen hatten, zu denen sie gehörten, mit Ruten bestraft. Danach brach eine offene Rebellion aus, die durch das Militär niedergeworfen wurde, und der die Proklamierung des Kriegsrechts über Livland folgte. Der Kaiser schickte darauf die Adjutanten Fürst Urussow und Oberst Buturlin sowie den Chef der 3. Abteilung Benckendorff mit uneingeschränkten Vollmachten nach Riga. Sie fanden den Aufruhr bereits völlig gebrochen, aber infolge des Berichts, den Benckendorff über den Ursprung des Aufstandes erstattete, wurde der Bischof Irinarch aus Riga abgerufen und in seinen Konvent nach Pleskau geschickt l ). An seine Stelle trat der Rektor des Moskauer theologischen Seminars, Philaret, und von weiteren Ubertritten zur griechischen Kirche ward es nunmehr geraume Zeit still. Aber von dieser Zeit ab schwebte die Gefahr des Abfalls der lettischen Bauern von der lutherischen Landeskirche wie ein Damoklesschwert über Livland, und es läßt sich nicht verkennen, daß ein gewisser Zusammenhang zwischen jener Rebellion und den Plänen bestand, mit denen der Kaiser sich damals über eine Aufhebung der Leibeigenschaft trug. In Anknüpfung an die uns bekannten Pläne Alexanders I. beauftragte Nikolai den Grafen Paul Dmitrijewitsch Kisselew, den er J

) „The intrigues of the greek Bishop of Riga, who with a view to obtain Prosetytes . . . gave the peasantry to understand that facilities to emigrate would be granted only to those, who bekame followers of the greek church" (Bloomfield, 30. Oktober 1841).

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zum Minister der kaiserlichen Domänen gemacht hatte, in einer Denkschrift die wichtige Frage zu beleuchten und mit positiven Plänen hervorzutreten. Kisselews Vorschläge gingen nun dahin, den Gutsbesitzern das erbliche Recht an ihrem Grundbesitz zu lassen, von dem aber ein entsprechender Teil zur Nutznießung den Bauern zufiel, die gleichzeitig die Freiheit erhalten und als Gegenleistung bestimmte Fronen und Dienste übernehmen sollten. Diese Neuordnung war unabhängig vom Willen der Gutsbesitzer für das ganze Reich obligatorisch geplant, und die Gemeinden sollten unter Kontrolle der Gutspolizei und von Staatsbeamte» für die bäuerlichen Leistungen unter Gesamtbürgschaft haften. Der Kisselewsche Entwurf ließ den Gutsbesitzern die Wälder und die Mineralschätze ihrer Güter und setzte an Stelle ihrer bisherigen Verpflichtung, die Bauern während eines Mißwachses und im Fall von Feuerschäden zu unterhalten, ein System obligatorischer gegenseitiger Versicherung fest. Freigegeben wurde den Gutsbesitzern Verkauf, Veräußerung oder Verpfändung ihrer Güter und deren inventarisierter Erträge; die Bauern wurden gegen Ausweisung gesichert und ihnen als freien Leuten, wenn sie vorher den Gutsherrn abgefunden hatten, der Übergang in einen anderen Stand und Freizügigkeit verliehen. Dieselben Freiheiten sollten auch den Bauern der Krone verliehen und Streitigkeiten durch die allgemeinen Gerichte geschlichtet werden. Unzweifelhaft lag hier ein großzügiger Plan vor, dessen Durchführung einen ungeheueren Fortschritt bedeutet hätte. Aber von vornherein stieß er auf Widerspruch. Eine der ersten Stimmen, die dem Gedanken der Bauernbefreiung mit aller Entschiedenheit entgegentrat, war die Uwarows. Er wandte sich in seiner französisch geschriebenen Entgegnung zunächst gegen den historischen Teil der Ausführungen Kisselews, der die Entstehung der Leibeigenschaft auf die Ukase der Zaren Feodor Iwanowitsch, Godunow und Schuiski zurückführte. Der wahre Begründer der Leibeigenschaft sei Peter d. Gr. gewesen, der dieser Tat und seinem autokratischen Regiment die schnelle Entwickelung Rußlands zu einer europäischen Großmacht danke. Auch der Zusammenbruch der Napoleonischen Invasion sei darauf zurückzuführen, daß die Energie des russischen Volkes, dank dem Fortbestehen der Leibeigenschaft, mobilisiert werden konnte. Daraus folge, daß ohne Erschütterung der Machtstellung Rußlands die Leibeigenschaft nicht beseitigt

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werden könne. Daß sie trotzdem im Laufe der Zeiten schwinden müsse, wollte er nicht bestreiten, aber diese theoretische Wahrheit dürfe nicht ohne Vorbereitung ins Leben treten. Wahre Freiheit sei die Frucht guter Justiz, guter Verwaltung, guter geistlicher Hirten und der Aufklärung. Die Frage, ob diese Voraussetzungen wahrer Freiheit in Rußland zu finden seien, hat Uwarow zu beantworten nicht versucht. Den Realitäten der bestehenden Verhältnisse, namentlich in der russischen Bauernschaft, entgegengestellt, wirken sie wie frivoler Hohn. Auch scheint der Kaiser erkannt zu haben, daß sein Minister ihn durch Trugschlüsse von seinem Vorhaben abzulenken suche. Als im Winter von 1840 auf 1841 auf Kisselews Antrag ein Komitee eingesetzt wurde, um seine Vorschläge zu prüfen, wurde Uwarow nicht mit herangezogen. Die Wahl, die der Kaiser traf, war jedoch den Plänen Kisselews nicht günstig. Den Vorsitz erhielt der Präsident des Reichsrats Fürst Wassiltschikow, die Mitglieder waren teils Senatoren, teils Minister, darunter der Chef des Admiralstabes Fürst Menschikow sowie Kisselew, Geschäftsführer der Staatssekretär Karnejew. Es waren, abgesehen von Kisselew, lauter Persönlichkeiten, deren materielles Interesse mit dem Fortbestand der Leibeigenschaft in ihrer bisherigen Form verknüpft war. Die Beratungen fanden im tiefsten Geheimnis statt. Man tagte unter dem irreführenden Namen: „Komitee zur Ausgleichung der Landschaftsabgaben in den Westgouvernements" und hoffte dadurch dem Aussprengen falscher Gerüchte zu begegnen. Denn nicht mit Unrecht fürchtete der Kaiser, daß sich eine tiefe Erregung der Bauernschaft bemächtigen werde, sobald sie erfahre, daß ihr Verhältnis zur Gutsherrschaft einer Wandlung entgegengehe. Diese Befürchtungen noch zu übertreiben, lag im Interesse aller Landeigentümer. Man konnte daher nicht erwarten, daß das Geheimnis ängstlich gehütet wurde. Das wäre ohnehin in der Geschichte der geheimen Komitees beispiellos gewesen. Sehr bald verbreitete sich denn auch im ganzen Reiche das Gerücht, daß am 16. April 1841, aus Anlaß der Hochzeit des Großfürsten-Thronfolgers, eine allgemeine Bauernbefreiung erfolgen werde. Mit höchster Spannung sah alles diesem Tage entgegen. Im Oktober 1840 war die inzwischen eingetroffene Braut Alexanders, Prinzessin Maria von Hessen-Darmstadt, nach griechischem Ritus gefirmelt worden. Der Übertritt zum neuen Glauben war ihr sehr schwer gefallen. Sie hatte ihren Mädchennamen Maria

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beibehalten und als Patronymikon Alexandrowna gewählt. In den Kreisen, denen der Hof zugänglich war, gefiel sie nur wenig. Man fand, daß sie zu still und steif sei, und hielt sie für hochmütig. Die Vorbereitungen zur Hochzeit wurden mit all dem Prunk getroffen, den der Kaiser zu entfalten liebte, wenn es galt, die Macht und den Reichtum Rußlands zu zeigen. Die holländische Anleihe, 25 Millionen Rubel Silber, war kurz vorher perfekt geworden, so daß man nicht zu sparen brauchte. Die Gäste strömten zusammen. Vier Tage vor der Hochzeit kam der Prinz von Preußen. Seine Ankunft zerstreute im Publikum die böswilligen Gerüchte, die über einen angeblichen Aufruhr in Berlin und über schwere Verstimmungen zwischen der preußischen und der kaiserlichen Regierung in Umlauf gesetzt worden waren. Noch am 18. März hatte Nesselrode geglaubt, daß die „erschreckliche Krisis" in Preußen zurzeit wichtiger sei als alles andere in Europa 1 ). Die offenbar sehr herzlichen Beziehungen zwischen dem Prinzen und dem Kaiser verscheuchten dieses völlig leere Gerede um so mehr, als der Kaiser in allen Fällen bei Feierlichkeiten und Festen für den Schwager Partei gegen den Erbprinzen von Hessen-Darmstadt ergriff, als dieser den Vortritt vor dem Prinzen von Preußen oder doch mindestens Gleichstellung verlangte. Die Hochzeit nahm am 16. April programmäßig ihren glänzenden Verlauf, obgleich die Kaiserin wieder stark durch beängstigendes Herzklopfen geplagt wurde. „Ich bin", notiert sie am 15. in ihrem Tagebuche, „dermaßen unwohl, daß ich nicht weiß, wie es werden soll. Husten, schnelles Herzklopfen. Es wird dennoch gehen, denn das kenne ich." Der Kaiser ließ am Abend des Tages das Ballett Zephir und Flora aufführen, das vor 24 Jahren bei seiner eigenen Hochzeit getanzt worden war. An allgemeinen Kundgebungen folgte neben den üblichen Ordensverleihungen die Begnadigung geringer Verbrechen, Erlaß verhängter Körperstrafen, Erlaß der rückständigen Abgaben für das halbe Jahr 1840 in den von Mißernten betroffenen Gouvernements und die Ankündigung einer neuen Einschätzung der Güter, was einer Preiserhöhung des Grund und Bodens und einer Begünstigung des Adels gleichkam. Es wurden 80—40 Millionen Assignaten ausgegeben, um gegen Hypothek an die Gutsbesitzer verliehen zu werden, wobei für die ') Lettres et papiers VIII. 18. März 1841: „La crise effrayante en P r a s s e ' ; „c'est aujourd'hui la premiere affaire en Europe".

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bäuerliche Seele 250 Rubel vorgeschossen wurden, während bisher 200 Rubel das Maximum waren, jetzt aber eine Nachzahlung von 50 Rubel pro Bauer von den Gutsbesitzern aufgenommen Vierden konnte. Die Feststimmuag in Petersburg ist gerade durch diesen Gnadenakt besonders gehoben worden. Den Kaiser persönlich haben in diesen Tagen übrigens die preußischen Angelegenheiten mehr in Anspruch genommen als die russischen, und es ist charakteristisch, daß er sich von Meyendorf einen ausführlichen Bericht über das Testament Friedrich Wilhelms III. hatte schicken lassen, und noch ein besonderes Gutachten von Brunnow einholte, der eben damals als Botschafter nach London gekommen war. Was den Kaiser beunruhigte, waren die Provinzialstände, speziell die Absicht, daß sie fortan alle zwei Jahre tagen sollten, und endlich das Dekret des Königs über die bevorstehende Versammlung von Ausschüssen. „Prinz Wilhelm — schrieb er an Paskiewitsch — hat uns etwas über das, was bei ihnen geschieht, beruhigt, aber er ist selbst nicht überzeugt und hat mich nicht überzeugt, daß die Folgen keine schlimmen sein werden." Auch alle Personalveränderungen, die König Friedrich Wilhelm in den leitenden Stellungen. vornahm, erregten das Mißfallen Nikolais. Daß Boyen Kriegsminister wurde, und daß der Chef des Militärkabinetts Lindheim beseitigt ward, empfand er fast wie eine Herausforderung, und ebenso beurteilte er die Versetzung Flottwells aus Posen nach Sachsen. Kamptz, der ihm fast wie ein verbündeter Gesinnungsgenosse galt, war ihm weit lieber als Savigny, Alvensleben lieber als Bodelschwingh und wenn ihm das schließliche Scheiden Schöns von seinem ostpreußischen Wirkungskreise aufrichtige Freude bereitete, ward sie ihm vergällt durch denRücktrittRochows, den er hochschätzte. Erfühlte sich in allen preußischen Fragen als Partei, und seine genaue Bekanntschaft mit den teils in den Vordergrund tretenden, teils von der politischen Schaubühne weichenden Personen gab dieser Empfindung den Charakter besonderer Bitterkeit. Dazu trat der Ärger über die größere Freiheit, welche die preußische Zensur dem literarischen und politischen Leben gab 1 ), und es setzte sich bei ihm die Vor') An Paskiewitsch, 19. April 1842: „die sinnlosen und frechen Artikel der Königsberger Zeitung'". Den 26. Dezember 1842: „In Preußen gehen die Dinge so, daß man nichts verstehen kann, auch nicht vorhersagen kann, was geschehen wird. Es ist traurig zu sehen, wie viele Früchte (der Tätigkeit) u n s e r e s seligen Königs verschwanden."

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stellang fest, daß er al s Hüter des Willens und der Traditionen Friedrich Wilhelms III. b erufen sei, dem „diabolischen Geist", den er überall bekämpfte, auch in Preußen entgegenzutreten. Wo er Symptome zu erkennen glaubte, daß „Fritz" sich wieder den Anschauungen von „Papa" zuwende, hielt er zwar mit seinem Beifall nicht zurück 1 ), aber es war ein stetes Schwanken zwischen dem Gefüiil anzweifelhaft bei ihm vorhandener persönlicher Zuneigung und einem unüberwindlichen Mißtrauen. Auch die Fragen der auswärtigen Politik haben dabei eine Rolle gespielt. Die Gründung eines protestantischen Bistums in Jerusalem unter englisch-preußischer Ägide war ihm, abgesehen von allem anderen, schon deshalb höchst unangenehm, weil er ein Mitreden Preußens in Fragen des Orients für durchaus ungehörig hielt, wenn es nicht etwa, wie 1829, auf den Ruf Rußlands geschah, um dessen Politik zu unterstützen. Er stand nach wie vor auf dem Boden der Anschauungen, die er in Münchengrätz vertreten hatte. Auch hatte man in Rußlang vorübergehend gefürchtet, daß eine Vereinigung der englischen Staatskirche und des deutschen Protestantismus sich vollziehen könnte. Man wußte, daß Bunsen, der in London Nachfolger von Heinrich von Bülow wurde, nach dieser Richtung tätig war, und fürchtete den persönlichen Einfluß des Königs, der zur Taufe des Prinzen von Wales am 23. Januar 1842 in London eintraf und bis zum 4. Februar in England blieb. Daß Friedrich Wilhelm sich durch Stockmar bemühte, auf den Eintritt Belgiens in den Deutschen Bund hinzuwirken, erregte in Petersburg gleichfalls ernste Besorgnis, und man war froh, als sich bald herausstellte, daß die Pläne des i) Nikolai an die Kaiserin, Moskau, den 16. Mai 1841: Er lobt, daß Fritz in der Staatszeitung in Beantwortung der Denkschrift Flottwells erklärt habe, „qu'il ne soit en rien départi du principe suivi jusqu'ici — de façon que voilà la question supérieurement tranchée, quoique contradictoirement à «e qui a prédominé à l'ouverture des États. La seconde chose est un ordre de Fritz au président de Silésie, qui defend très expressement toute reception à Breslau, lors de la prochaine arrivée des Majestés, la ville s'en étant rendue indigne par l'insolente démarche de ses députés, qui ont osé demander la constitution, voilà qui est parfait, fera un excellent effet." An dieselbe: Tschugujew, 12. Juli 1843: . . Oui, Fritz parle beaucoup et la pauvre armée est au rebut. Fasse le bon Dieu qu'il n'en pâtisse pas, cela me fait faire de tristes et sérieuses reflexions, car il parait que c'est un parti pris, et c'est avec beaucoup d'autres choses dans la catégorie de l'inexplicable pour moi, et rend mes rapports avec lui de jour en jour plus pénibles . . . "

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Königs keine Aussicht hatten, durchzudringen. Die Vereinigung beider Kirchen scheiterte vornehmlich am Widerspruch Oxfords, der belgische Plan wurde schon von Stockmar im Keim erstickt 1 ). Vor der Trauung fand noch eine Wachtparade auf dem Platz vor dem Winterpalais statt, der der Kaiser und der Thronfolger in Kosakenuniform beiwohnten. Die Tatsache, daß der Großfürst zum Hetman der Kosaken ernannt war, sollte dadurch gleichsam unterstrichen und der Ukraine recht anschaulich gezeigt werden, wie fest sie Rußland angeschlossen sei. An Auszeichnungen gab es weniger als erwartet wurde. Der alte Fürst Alexander Golizyn wurde zum Geheimrat erster Klasse ernannt und dadurch im Rang dem Fürsten Paskiewitsch und dem Feldmarschall Wittgenstein gleichgestellt, der Kriegsminister Tschernyschew gefürstet. Die Gemahlin des Großfürsten erhielt den Titel Zesarewna, den die Gemahlinnen der Großfürsten-Thronfolger späterer Zeit gleichfalls getragen haben. Keinerlei Erleichterungen wurden den Dekabristen gewährt. Dem Kaiser war erst kürzlich die Nachricht zugegangen, daß bei zweien von ihnen, A. M. Murawjew und Lunin, die in den Kupferbergwerken von Nertschinsk arbeiteten, ein Verfassungsentwurf sowie Proklamationen gefunden seien. In Wirklichkeit zeigte eine bald danach angestellte Untersuchung, daß es sich keineswegs um gefährliche Anschläge, sondern um einige Artikel handelte, die Lunin in einer englischen Monatsschrift veröffentlicht hatte und von deren Existenz die russische Polizei durch einen aufgefangenen Brief Lunins erfahren hatte. Den Schluß der Feierlichkeiten bildete ein großes Militärdiner im Georgssaal des Winterpalais, an dem 1140 Personen teilnahmen, und endlich ein Maskenball. Daß sich an die englische Reise Friedrich Wilhelms politische Hoffnungen knüpften, die den Wünschen Nikolais nicht entsprechen konnten, ist uns auch sonst bezeugt; König Leopold von Belgien') „L'affaire de Jerusalem tombera dans l'eau, elle n'est pas très populaire non plus en Angleterre. A l'exception de deux évèques que Bunsen a su captiver, tout le clergé est contre la réunion des deux églises protestantes. Oxford surtout s'y oppose." Nesselrode an Meyendorf, 18. März 1842. Über den belgischen Plan Stockmar, Memoirs^II pg. 30sq. Königin Viktorias Briefwechsel und Tagebücher Bd. I pg. 357 u. 358 Der König war gebeten worden, Pate des Prinzen Eduard, des späteren Königs, zu sein, wogegen von der russischen Diplomatie ohne jeden Erfolg intrigiert wurde.

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erwartete, daß der Aufenthalt in London den König „noch mehr den Klauen Rußlands entreißen werde". Das war jedoch keineswegs der Fall. Schon vor der englischen Reise hatte eine Zusammenkunft, die zwischen Nikolai und Friedrich Wilhelm vom 16. bis 18. September 1841 in Lazienki stattfand, die freundschaftlichen Beziehungen beider Schwäger neu gekräftigt. Bei seiner Rückkehr nach Zarskoje Sselo hatte der Kaiser sich seiner Gemahlin gegenüber sehr befriedigt über den Verlauf dieser Tage ausgesprochen. Es spielten auch Familieniateressen mit, die eine Unterstützung von preußischer Seite erwünscht machten. Die zweite Tochter Nikolais, die Großfürstin Olga, war 19 Jahre alt, und man schaute nach einer vorteilhaften Heirat aus. Die Wünsche der Großfürstin richteten sich auf den Kronprinzen Maximilian von Bayern, den Sohn König Ludwigs I.; man hoffte den Prinzen durch Vermittelung der Königin Elisabeth von Preußen zu einer Reise nach Petersburg zu bewegen und zweifelte nicht daran, daß der Anblick der in der Tat bildschönen Großfürstin eine Werbung des Kronprinzen zur Folge haben werde. Es war daher eine große Enttäuschung, daß der erwartete Besuch nicht erfolgte. Der Kronprinz hatte sein Herz an die Tochter des Prinzen Wilhelm von Preußen 1 ), Maria, verloren und verlobte sich Ende 1841 mit ihr*). Die Zeit zwischen der Hochzeit und der Zusammenkunft in Lazienki verwandte der Kaiser zu einer Inspektionsreise, die ihn dieses Mal über Novgorod, Rybinsk, Uglitsch, wo er die Kapelle besuchte, die man zum Andenken des unglücklichen Zarewitsch Dmitri Iwanowitsch errichtet hatte, nach Twer und Moskau führte. Dort empfing' er den Großfürsten-Thronfolger und Gemahlin, die ihren feierlichen Einzug in der alten Residenz hielten. Ein Brief Nikolais an die ') Bruder Friedrich Wilhelms III. ) Noch im Oktober 1841 hoffte die Kaiserin, daB die Verbindung zustande kommen werde. Sie schrieb damals dem Prinzen von Preußen: „Sage mal, hat Elise Dir geschrieben, seitdem sie den Max gesehen, und was ist das résultat? Wir würden wohl wünschen, zu erfahren, ob er kommt. Mehr und deutlicher kann wohl kein Mensch erwarten, geladen zu werden, um zu kommen. Es ist mit dem Z a u n p f a h l g e w u n k e n ! Das Übrige liegt in Gottes Hand. Eine engelsschöne, eine engelsgute Königin, ein treues Weib, ein liebliches Wesen, das konnte sie ihm alles einst werden, aber anbeten muß er sie, und dann kann sie durch glücklich machen auch glücklich werden." 2

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Kaiserin gibt davon eine lebendige A n s c h a u u n g 1 ) .

A m 1. J u n i a b e n d s

verließ der Kaiser die alte Residenz, u n d a m 3. u m 1 2 U h r traf er wieder i n Zarskoje ein.

I n Moskau war es noch zu einer m e r k -

würdigen S z e n e g e k o m m e n .

Er hatte die Moskauer K a u f l e u t e zu

sich beschieden u n d richtete eine Ansprache an sie, bei welcher er von der Hungersnot

des vorigen Jahres ausging

u n d m i t großer

Entrüstung über die Spekulationen i n Getreide sprach. geben

der

Bankerotten.

guten

alten

Sitten

sei

schuld

an

den

Das Aufzahlreichen

W i e es i h m m e i s t zu gehen pflegte, riß s e i n e H e f t i g -

keit ihn während der Rede fort.

Er wetterte gegen die französische

Barttracht, gegen die modischen Kleider der Frauen, gegen Champagnei u n d Kaleschen, gegen die U m g e h u n g der Zölle u n d duldete keine Entgegnung.

Z w e i m a l rief er den Kaufleuten sein „moltschat"

(Maul h a l t e n ) z u ,

dann entließ er s i e ,

hatten äußern können. Adresse gerichtet.

ohne

daß

sie

ein W o r t

D i e s e ganze Ansprache war an e i n e falsche

U n t e r den K a u f l e u t e n ,

verdiente keiner die Vorwürfe

des Kaisers.

die vor i h m standen, Getreidespekulanten

*) Brief des Kaisers an die Kaiserin. Moscou, le 14. Mai 1841 (st. v.). „Après m'être habillé je partis à cheval, passer la ligne de toutes les troupes, en commençant par celles placées au Kremlin, juste comme à notre entrée, seulement que les cadets étaient rangés sur les estrades, même entre les cathédrales. Je sortis ensuite par la porte Nikolsky pour arriver à la gauche de la cavallerie. Le coup d'oeil partout, mais surtout devant le monument ùtait ravissant et étourdissant de beauté. Les troupes • avaient fort bonne mine. Les rues jonchées de monde jusque sur les toits. A la barrière je fis venir nos jeunes gens et les Princes, et alors commença l'entrée. Il faisait chaud, mais de temps à temps un zéphyr, sans poussière, enfin un temps admirable. Marie (die junge Frau) était tout en blanc et charmante. La Soltykow et la Dolgoruky assises devant. Nous descendîmes d'abord à Iversky, 3 révérences, enfin l'on descendit à la place ordinaire. Philaret reçut, parla simplement, de cœur et fort bien. A Ouspensky toutes les dames de la cour, costume Russe, et beaucoup de la ville, idem. Là 18 révérences à terre, puis à Archangelsky 9 révérences, puis à Blagoweschtschensky 6 révérences» enfin nous montâmes à la granovitaja. La, près du trône, j'ouvris la fenêtre et je fis saluer nos jeunes gens, puis nous allâmes à la nouvelle bâtisse, qui fait la plus belle terasse du monde. Puis on me pressa aux églises et enfin nous revînmes de même par devant l'Arsenal à la maison et droit à St. Alexis — ta couverture dessus. Oh, ai je pensé et prié pour toi, les larmes m'en viennent constamment aux yeux. Puis nous rentrâmes dans tes chambres. J e les fis saluer à la fenêtre du coin. Puis je les embrassais là où il est né, et puis, nous allâmes prier ensemble dans la chapelle. Là j e pleurais à mon aise, car je n'en pouvais plus : j'étouffais."

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waren die adligen Gutsbesitzer, die ihr Getreide zurückgehalten hatten, um höhere Preise zu erzielen. Champagner, Kaleschen, modische Frauenkleider und französische Bärte waren in den Moskauer Kaufmannskreisen nicht üblich, und durch die Bankerotte hatten sie verloren, nicht, wie Nikolai glaafete, durch Betrug gegewonnen, und den einen großen Bankeroiteur, den Moskauer Chinahändler Alexandrow 1 ), hatte die Regierung selbst durch einen Vorschuß von 3 Millionen Rubel gerettet, weil sie fürchtete, daß ein völliger Zusammenbruch Alexandrows seinen englischen Konkurrenten zugute kommen könnte 2 ). Das waren zweifellos Dinge, die dem Kaiser bekannt waren, als er jene Ansprache an die Moskauer Kaufleute hielt, aber er war seiner nicht Herr, wenn Ärger und Leidenschaft ihn überkamen, und verlangte von seinen Moskauer Kaufleuten, daß sie einerseits an den Sitten ihrer Vorväter festhalten, anderseits aber sich ihren europäischen Konkurrenten, speziell den geriebenen Engländern, gewachsen zeigen sollten. Die wenigen Moskauer Kaufleute, die es vermochten, hatten auch europäische Sitten und Unsitten angenommen, aber gerade sie waren nicht zu Vertretern der Moskauer Kaufmannschaft gewählt worden, die Nikolai so übel angefahron hatte. Er war damals in einem Zustande der Erregung und Unruhe, in rastloser Tätigkeit. „Wachtparaden, Flottenrevuen, Manöver, Schießübungen mit Perkussionsgewehren, der unerfreuliche Verlauf der Kämpfe im Kaukasus, die Arbeiten der Kommission über die Frage der Leibeigenschaft, endlich die damals zur Entscheidung gebrachte Frage des Baues einer Eisenbahn, die Petersburg mit Moskau verbinden sollte," das alles nahm ihn in Anspruch und quälte ihn, nebenher wohl auch ein innerer Zwiespalt, der in Zusammenhang mit dem schweren Herzleiden der Kaiserin gestanden hat. Wir wissen aus einer Notiz l

) Depesche Clanricardes vom 6. Aprii 1841: „Überhaupt gehe der russische Handel in Zentralasien zurück. Es sei gute Aussicht, ihn durch den englischen zu verdrängen. Eine Deputation Moskauer Kaufleute in Petersburg, die um Erhöhung der Abgaben auf englische Waren petitioniert, sei von Cancrin summarisch abgewiesen worden. Aber die Regierung habe Alexandrow durch einen Vorschuß von 3 Millionen Rubel gerettet." 3 ) Gerade damals war die Hauptstadt dos Gouvernements Tobolsk nach Omsk zurückverlegt word^a, wo die Sitze der Kirgisen und Mongolen zusammenstießen, und Rußland suchte den Handel mit China von Kjachta nach Semipalatinsk zu verlegen, was aber scheiterte, weil die chinesische Regierung davon nichts wissen wollte. S c h i e m a n n , Geschichte Rußlands.

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ihres Tagebuchs, daß sie am 8. November 1841 dem Kaiser Vorstellungen darüber gemacht hat, daß die Vorliebe, die er für das Hoffräulein Warwara Nelidow zeige, Aufsehen errege und Gerede veranlasse, und in der Tat ist nicht zweifelhaft, daß die junge Dame eine besondere Anziehung auf ihn ausübte. Es sind aber noch Jahre hingegangen, ehe sie seine Geliebte wurde, und gerade die Zeit seines halb unbewußten Werbens, das Bekämpfen der aufkeimenden Leidenschaft hat ihn, mehr als er sich selbst zugab, erregt 1 ). Für diesen geistigen Zustand des Kaisers ist bezeichnend, daß während der vier Jahre, die hingingen, bis er seiner Leidenschaft unterlag, seine Briefe an die Kaiserin von Zärtlichkeit überfließen und daß ihm nichts schwerer fiel, als eine Trennung von ihr. Aber unter der gedrückten Stimmung, die den Grundton seines seelischen Zustandes bildete, litt bald alles, was in Berührung zu ihm trat. „Den Kaiser anzusehen," schreibt die Gräfin Nesselrode zu Ende des Jahres 1842, „ist mitunter erschreckend, so hart ist der Ausdruck seines Gesichts. Er faßt plötzliche Entschlüsse und handelt in unbegreiflicher Überstürzung." Sie führt dafür eine Reihe drastischer Beispiele an und fährt danach fort: „Es ist erstaunlich, daß die Maschine noch weiter arbeitet. Dumpfe Traurigkeit herrscht überall, jedermann erwartet irgend etwas und fürchtet Gefahren, die kommen könnten, ohne vorherzusehen, womit sie drohen. Kleinmichel wird von Tag zu Tag mächtiger, und der unterirdische Telegraph 2 ) ist oft in Bewegung. Kokoschkin, der Oberpolizeimeister, ist durch Begünstigung des Diebstahls ein Werkzeug der Demoralisierung. Der Kaiser scheut immer mehr Ausgaben. Welch sonderbarer Kopf ist doch dieser Herrscher. Er durchackert sein weites Reich und streut doch keine gute Saat aus. Wir brauchen Beamte, und es fehlt uns an ihnen nicht, aber welche Rasse und welcher Auswurf von Menschen ist es. . . . " Daß diese politische Atmosphäre auch auf die Beziehungen Rußlands zu Preußen zurückwirken mußte, lag bei dem tiefen Mißtrauen des Kaisers gegen die deutsche Politik seines Schwagers nahe. Man konnte vorhersehen, daß es darüber schließlich auch ') Die Gräfin Nesselrode an den Sohn, 30. Oktober 1842: „Mademoiselle Nelidow est toujours la grande favorite, mais pas autre chose, quoiqu'on en dise; je voudrais qu'elle füt tout bonnement sa maitresse, il s'en lasserait vite." Nesselrode, Lettres et papiers. a ) Zwischen dem Palais und der Wohnung Kleinmichels.

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zu einem Bruch zwischen ihnen kommen werde, da die Richtung der Geister in Rußland, namentlich in Moskau, das weit mehr als Petersburg das Denken der Nation beeinflußte, durch die aufkeimende panslawistische Bewegung in einen Gegensatz zu dem nächsten Nachbar im Westen drängte; aber bis es von den Gedanken zur Tat kommen konnte, war noch ein weiter Weg zu machen. Und da trotz der dumpfen Opposition, die sich gegen die Politik Nikolais zu erheben begann, er nach wie vor der Herr blieb, von dem alle Entscheidungen ausgingen, spielte das rein persönliche Moment, Erinnerungen und Freundschaften, immer noch eine gewaltige Rolle als Motiv seiner Entschlüsse. Beides ließ zeitweilig die bestehenden Gegensätze verschwinden, als am 1./13. Juli 1842 König Friedrich Wilhelm in Petersburg eintraf, um an der Silberhochzeit des Kaisers teilzunehmen, ein Tag, der zugleich der Geburtstag der Kaiserin war. Auch der Prinz von Preußen, Prinz und Prinzessin Friedrich Karl waren erschienen und von anderen Fürstlichkeiten Erzherzog Karl Ferdinand, Prinz Heinrich der Niederlande, der Prinz von Holstein-Glücksburg, als Vertreter von Schweden Graf Brahe und von Hessen Prinz Wittgenstein. Die preußische Verwandtschaft überwog also durchaus, nnd der Kaiser versäumte nichts, um alle Aufmerksamkeiten auf den König zu konzentrieren. Die Festfeier fand in Peterhof statt nnd war, wie stets, mit militärischen Vorführungen verbunden. Aber die Kaiserin erinnert in einem Schreiben, das sie bald nach seiner Abreise an den Bruder richtete, an die schönen Stunden, die sie im Eßzimmer „an dem runden Tisch verbracht, nach dem Kaifee, Du zeichnend, wir stickend und Dich sprechen machend1, und wir alle schwatzend". Es war in der Tat ein Familienfest, und unzweifelhaft hat die große gesellschaftliche Liebenswürdigkeit Friedrich Wilhelms die Verstimmung Nikolais während dieser Tage völlig zurückgedrängt. Nachträglich aber führten die gleichzeitig von den Kabinettsräten des Königs aufgenommenen Verhandlungen über den Handelsvertrag von 1835 und die russischen Vorschläge, die auf wiederholte Reklamationen Preußens zu einer Verständigung gemacht worden waren, zu einem Konflikt, der um so unangenehmer war, als ein persönliches Eingreifen des Kaisers ihn veranlaßte. Preußen wünschte Herabsetzung der Durchgangsabgaben für Getreide, Zink, Holz, Eisen, Farbholz und Zucker und war bereit, dagegen das Kartell über Auslieferung von Deserteuren, an dem dem Kaiser 2»

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außerordentlich viel lag, zu erneuern. Die selbstverständliche Voraussetzung dabei war, daß die Preußen gemachten Zugeständnisse auch auf die Mitglieder des Zollvereins ausgedehnt würden. Während die Verhandlungen noch schwebten, überraschte der Kaiser den König nun damit, daß er ihm erklärte, er wolle von allen weiteren Verhandlungen absehen und als einseitiges Zugeständnis von sich aus alle von Seiten Preußens geäußerten Wünsche bewilligen. Der König hielt mit seinem Dank nicht zurück, aber als die Abreise stattfand, überreichten die Kabinettsräte Uhden und Müller ein Schreiben, das darauf hinwies, daß die von dem Kaiser gemachten Zugeständnisse, um Rechtskraft zu erhalten, auf die Staaten ausgedehnt werden müßten, die Mitglieder des Zollvereins seien. Weitere Verhandlungen seien daher nicht zu umgehen. Dagegen erklärten sie sich bereit, das mit dem Jahre 1842 ablaufende Kartell zunächst auf ein Jahr zu erneuern. Diese Wendung überraschte und erbitterte den Kaiser 1 ). Er hatte nicht nur erwartet, daß Preußen jetzt seinerseits mit handelspolitischen Zugeständnissen kommen werde, vor allem aber, daß das Kartell, so wie er wünschte, erneuert würde, und erklärte nun seinerseits, daß er zwar seine Zugeständnisse aufrechterhalte, sich aber keine Bedingungen vorschreiben lasse und auf Erneuerung des Kartells weiter keinen Anspruch erhebe 2 ). Das erwartete Angebot, das Kartell „gratis" zu erneuern, erfolgte jedoch nicht. Der König verstand sich nur dazu, es noch für die Dauer eines Jahres aufrechtzuerhalten, was der Kaiser erbittert ablehnte, obgleich die russische Isolierungs- und Prohibitionspolitik sich nur dank einer militärischen Besetzung der Grenze, diese aber nur beim Fortbestehen des Kartells aufrechterhalten ließ. Die Zugeständnisse, die er Preußen gemacht hatte, aber ließ der Kaiser durch zwei Senatsukase vom 9. und 16. August 1842 veröffentlichen 8 ). ') Resolution des Kaisers auf den Bericht Nesselrodes vom 3. Juli 1842: Vous informerez le gouvernement Prussien que ma déclaration est inviolable, que je le remercie pour l'offre du cartel mais que je ne puis l'accepter à des conditions semblables et que je rompais toute discussion ultérieure . . . 2 ) Nesselrode an Meyendorf, 21. Juli 1842: „Iis ont cru nous tenir par le Cartel, et graode a été leur surprise lorsque je leur ai déclaré, que nous pouvions nous en passer et que l'Empereur n'en demandait pas le renouvellement . . . Voyons maintenant si le Roi se décidera à nous ¡'offrir gratis . . . car ce n'est qu'ainsi que l'Empereur pourrait peut-être l'accepter." *) Martens, Recueil des traités et conventions VIII. Nr. 325—328.

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Der Konflikt dauerte bis zu Anfang des Jahres 1843 und wurde erst 1844 ganz beigelegt. Der Kaiser bequemte sich dazu, die für Preußen von ihm dekretierten Zugeständnisse auf den Zollverein dadurch auszudehnen, daß er die Ursprungszeugnisse preußischer Waren so auslegen ließ, daß die Staaten des Zollvereins als preußisches „Inland" galten. Der Abschluß des Kartells bot danach nur noch formelle Schwierigkeiten, die glücklich überwunden wurden 1 ). Auch diesmal waren es persönliche Motive, die den Kaiser umgestimmt hatten. Anfang September 1843 hatte er in Berlin seinen Gegenbesuch gemacht und angenehme Eindrücke mitgenommen 2 ), auch im Hinblick auf die Schwierigkeiten, mit denen Österreich in Ungarn und in Italien zu rechnen hatte, das Bedürfnis eines engen Einvernehmens mit Preußen so lebhaft empfunden, daß es dem preußischen Gesandten von Liebermann gelang, den oben erwähnten Ausweg in der Zollvereinsfrage zu finden. Auch die Erbitterung, die der Kaiser über den Brief Herweghs an den König sehr nachdrücklich zum Ausdruck gebracht hatte 3 ), wurde durch die Ausweisung Herweghs aus Preußen und das Verbot der Leipziger Allgemeinen Zeitung, die den Brief abgedruckt hatte, und die darauf folgenden Maßregeln der preußischen Zensur verwischt. Das Wesentliche aber waren doch die verwandtschaftlichen Bande, die beide Herrscherhäuser aneinanderschlossen. Seiner Mißstimmung über die innere Politik Preußens gab Nikolai bis 1845 nur in leisen Andeutungen Ausdruck, wenn er dem Schwager schrieb, während seine Korrespondenz mit Paskiewitsch, der sein besonderer Vertrauter in diesen Fragen war, keinen Zweifel darüber läßt, wie sehr sie ihn erregten. Auch in den Briefen, die er an die Kaiserin richtete, legte er sich in dieser Hinsicht keinen Zwang auf, und da diese wiederum dem Prinzen von Preußen ausführlich über die Stimmung Nikolais zu berichten pflegte, bestand an beiden Höfen kein Zweifel über die bestehenden Gegensätze. Es will sehr viel sagen, daß der Kaiser schon zu Ende des Jahres 1842 ernstlich Rauch gegenüber auf die Möglichkeit einer russisch-französischen 'i) Martens 1.1. Nr. 330. 8./20. Mai 1844, Nesselrode an Chreptowitsch, 30. September 1843: Der Aufenthalt des Kaisers in Berlin „c'est passé à merveii et a été fertile en résultats très satisfaisants pour nos futures relations". Über die österreichischen Verhältnisse Briefe Nikolais an die Kaiserin d. d. Berlin v. 8. und 12. Sept. 1843. 3 ) Berichte Kauchs an den König v. 10. Januar und 21. März 1834.

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Allianz hinwies. „Glauben Sie mir — sagte er —, daß beinahe jedermann und alle meine Umgebungen so denken (daß eine Allianz mit Frankreich im Interesse Rußlands begründet wäre), und ich beinahe allein entgegengesetzter Meinung bin, indem ich in den Folgen einer Allianz mit Frankreich unabsehbares Unglück für Rußland sehe. Wenn aber auch, so lange ich lebe, von keiner Allianz mit Frankreich die Rede (sein wird), so liegt doch bis zu einer engen Allianz mit Deutschland und Preußen unter den jetzt obwaltenden Verhältnissen eine tiefe Kluft, die sich täglich mehr erweitert, und ich weiß nicht, wenn dies so fortgeht, ob ich, wenn Preußen einmal einer tätigen Hilfe bedarf, die Macht haben würde, die Hand zu reichen, wenn ich auch den Willen dazu hätte 1 )." Was ihn zumeist erregte, war die Vorstellung, daß „der schlechte Geist" in Posen und Ostpreußen auf Polen zurückwirke. Einen Einfluß auf die fortdauernden herzlichen Beziehungen der beiden Herrscherhäuser aber hatten diese Gegensätze nicht. Als der Kaiser im September 1843 nach Berlin kam, um sich an den preußischen Manövern zu freuen, herrschte eitel Zufriedenheit, und damals wurde vereinbart, daß die Königin Elise ihre Schwester Karoline, die Kaiserin-Witwe von Osterreich, darauf vorbereiten solle, daß Nikolai den Erzherzog, späteren Palatin Stephan von Ungarn als Gemahl für seine Tochter Olga zu gewinnen wünsche. Darauf kam es aufs neue zu Gegensätzen. Bei der Rückreise des Kaisers, deren Ziel Warschau war, wurden bei der Durchfahrt durch Posen einige Schüsse auf einen Wagen abgegeben, in welchem die Kanzleibeamten im Gefolge des Kaisers fuhren. Es wurde niemand verletzt, und der Kaiser erfuhr erst am zweiten Tage nach seinem Eintreffen in Warschau davon. Am 20. September hatte er, wie er der Kaiserin schrieb, die Geburt seines Enkels Nikolai Alexandrowitsch durch 301 Kanonenschüsse der Warschauer Bevölkerung ankündigen lassen, erst am 21. berichtete er ihr von dem Posener „Attentat". „Es scheint, daß man mich in Posen hat ermorden wollen, aber Gott hatte anders bestimmt, und der Anschlag ward i) Immediatbericht Rauchs vom 6. Dezember 1842. Die Berufung der Yer. Ausschüsse nach Berlin hatte den Anstoß zu dieser merkwürdigen Erklärung gegeben. Barante (Bericht an Guizot vom 4. August 1842) schreibt sehr treffend Ton den: „Relations pacifiquement hostiles des deux pays" (Preußen und Rußland).

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gegen die Kanzlei gerichtet, sei es ans Irrtum, oder aus Arger darüber, daß ich ihren infamen Plänen entronnen war. Im Augenblick, als diese Kalesche bei der Durchfahrt durch die Stadt die Brücke erreichte, durchbohrte eine Salve von 7 Kugeln die rechte Seite des Wagens, da, wo man weiß, daß ich zu sitzen pflege. Durch unglaubliches Glück wurde niemand verletzt, nur der Mantel eines Beamten wurde an 3 Stellen durchbohrt und er leicht am Arm gestreift. 3 Kugeln sind gefunden worden, die 4 anderen nicht, sie werden wahrscheinlich durchgeflogen sein. Man hat den Wagen Schimpfreden nachgerufen und es kamen Leute mit Laternen, um zu sehen, ob die im Wagen Sitzenden getroffen seien. Aber die Postillone jagten im Galopp fort. Das ist die volle Wahrheit. Ich habe durch den preußischen Konsul ein Protokoll aufnehmen lassen. Igh werde nicht Klage führen, ja nicht einmal an Friti schreiben, denn er muß wissen, wie er eine solche Infamie gut macht, es ist unter meiner Würde, mich zu beklagen. Ich danke Gott, daß er uns gerettet hat; der Rest ist mir gleichgültig. Vielleicht öffnet es Fritz die Augen über seine unbeschreibliche Schwäche, von der nunmehr eine Frucht zutage getreten ist." Er kommt in den Briefen vom 22. und 24. nochmals mit Klagen über den König auf diese Posener Angelegenheit zurück. Als Friedrich Wilhelm ihm aus Sanssouci am 30. September schrieb, daß die Posener Angelegenheit so voller UnWahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten sei, daß er sich in ihr nicht zurechtfinden könne, und den General von Müffling zum Vorsitzenden der Unterstreh ungskommission ernannt und ihm Rauch beigegeben habe, ließ Nikolai zwei volle Monate hingehen, ehe er antwortete 1 ). Er hatte gleichzeitig die Nachricht erhalten, daß Elise mit ihrem Versuch, den Erzherzog Stephan für Olga zu gewinnen, gescheitert sei und daß die Untersuchung über den Anschlag in Posen ergebnislos geblieben war, und machte aus seiner tiefen Verstimmung kein Hehl. Die Kaiserin Karoline hatte verlangt, daß Olga zur katholischen Kirche übertrete. In Wien, schrieb Nikolai, scheine man sich noch in den Anschauungen des XIII. Jahrhunderts zu bewegen, er danke Gott, derartige Grundsätze weder zu verstehen noch zu kennen 2 ). Was ») Petersburg, 18./30. November 1843. *) „Vous comprenez bien que ce n'est pas sous de pareilles auspices, que je puis ni c h e r c h e r , ni a e e e p t e r une reunioix avec la famille, nous ne pourrions nous entendre, vaut il mieux au moins sauyer les apparences en

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aber Posen betreffe, so zweifele er nicht daran, daß es nicht des Königs Schuld sei, wenn nichts entdeckt würde, aber er bitte ihn, nicht weiter von dieser Angelegenheit zu sprechen. Er knüpfte daran bittere Bemerkungen über die Frechheit der elenden Posener (de vos miserables Posnaniens) und verlangte die Ausweisung des Grafen Louis Plater, der sich im Posenschen angekauft haben solle; die Polen könne man nicht ä la Titus regieren! In einem unbeendigten, aber im Autograph erhaltenen Schreiben vom 10. Oktober 1843 dankt der König für diesen „guten und liebenswürdigen" Brief. Danach hat die Korrespondenz der Schwäger ein volles Jahr geruht. Beide gingen den Weg weiter zum Ziele, das sie sich gesteckt hatten, Nikolai entschlossen, den Geist des Liberalismus, soweit seine Macht sich erstreckte, zu bekämpfen, rücksichtslos im Innern und auf Verschmelzung der bunten nationalen Bevölkerung seines Reiches zu einer russisch-rechtgläubigen Einheit hinarbeitend, nach außen hin bemüht, sich für Möglichkeiten der Zukunft zuverlässigere Bundesgenossenschaft zu sichern, als Preußen sie bieten konnte, das seiner festen Überzeugung nach infolge der Neuerungen des Königs einer demokratischen und revolutionären Zukunft entgegenging. Hatte er auch, seit die auswärtige Politik Preußens in den Händen des Freiherrn Heinrich von Bülow lag, keinen Anlaß zu Klagen und wurden Anläufe zu einer selbständigen politischen Haltung, wie er Anfang 1844 in dem Vorschlag Preußens hervortrat, Isabella als Königin von Spanien anzuerkennen 1 ), schnell beseitigt, so blieb ihm die gefährliche innere Politik des Königs restant éloigné de ceux qui paraissent professer les principes du 13 e siècle; bien leur fasse et bénissons Dieu de ne rien comprendre ni connaître de principes semblables." Das letztere eine gewiß erstaunliche Behauptung, wenn man bedenkt, daß seine Gemahlin und seine Schwiegertöchter ihren Glauben hatten abschwören müssen! Der sehr ernste Brief hat den folgenden charakteristischen Schluß: „Avant de terminer savez vous, que la belle Espagnole (gemeint ist Lola Montez) a fait des scènes a Varsovie au point que le Maréchal (Paskiewitsch) connu pour avoir le cœur fort tendre, a dû la faire renvoyer hors du pays; peu s'en est fallu qu'elle ne tua le général Sobolew ainsi qu'un autre officier. Elle est folle, et que c'est dommage, il eut été si doux d e f a i r e l e f o u a v e c e l l e ; Pardon de l'observation érothique." Offenbar hatte die berühmte Tänzerin in Petersburg auftreten sollen und Nikolai daran gedacht, „de faire le fou avec elle", was er bei Gelegenheit der Maskenbälle zu tun pflegte. >) Nesselrode an Meyendorf, 13. Februar 1844.

Lettres et Papiers 1. 1.

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doch stets eine beängstigende Hauptsache. „Deutschland", schrieb der Kaiser dem Feldmarschall Paskiewitsch, „ist schwer krank, der König von Preußen wird es nicht heilen, und daraus folgt, daß wir bereit sein müssen." Deshalb sei die Ordnung der Verhältnisse im Innern des Reiches zu vollenden, und müßten wachsam alle, auch entfernte Versuche, die gesetzliche Ordnung zu stürzen, unterdrückt werden. Barmherzigkeit sei solchen Leuten gegenüber nicht am Platze 1 ). Friedrich Wilhelm IV. aber war trotz der russischen Mahnungen, die durch Rauch und Liebermann an ihn herantraten, und trotz des Widerstandes, auf den er bei seinen Brüdern, speziell beim Prinzen von Preußen, stieß, nicht davon zu überzeugen, daß er auf falschen Wegen wandele. Die Blicke Nikolais richteten sich infolgedessen immer mehr auf England, auf das ihn auch seine orientalischen Interessen hinzuweisen schienen.

Kapitel II. Neue Stadien der orientalischen Frage und die Anläufe zu einer russisch-englischen Allianz. Die orientalische Krisis, die noch zu Anfang der Regierung Friedrich Wilhelms IV. in einen europäischen Krieg auszulaufen drohte, war, als am 29. Oktober 1840 Thiers als Minister des Auswärtigen zurücktreten mußte und Guizots Regiment begann, im Prinzip überwunden. Dauerte auch französischerseits aus Gründen des prestige, auf russischer Seite infolge des Bestrebens, eine Annäherung zwischen Frankreich und England zu verhindern, die Spannung noch bis in den Sommer 1841, so gab die Annahme des Fermans vom 23. Mai des Jahres 2 ) durch Mehemed Ali den Ausschlag dafür, daß der Friede tatsächlich nicht weiter gefährdet war. Der Meeren gen vertrag vom 13. Juli, den Nikolai als einen Triumph seiner Politik feierte, war zugleich das äußere Zeichen für den Wiedereintritt Frankreichs in das Konzert der Mächte. Das letztere entsprach keineswegs den Wünschen des Kaisers. Ihm wäre, wie der englische Botschafter Clanricarde richtig erkannt hatte, ein englisch-französischer Seekrieg, an dem er gern teilgenommen hätte, der meist erwünschte Ausgang gewesen. Aber Lord Palmerston 2

Nikolai an Paskiewitsch. Gatschina, 18./30. September 1844. ) Noradounghian 1. 1. II Nr. 118, 119, 123.

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hatte eine von IM esselrode vorgeschlagene Eventualallianz, als mitt der britischen Verfassung nicht vereinbar, abgelehnt 1 ), dagegen verbindlich erklärt, daß England stets für die Erhaltung des Gleichgewichts (balance of power) einzutreten bereit sein werde. Im Grande hatte die rückhaltlose Zusage des Kaisers, seine Flotte zur; Verfügung Englands /,u stellen, Mißtrauen erregt. Der Botschafter wurde beauftragt, sich über den Bestand der russischen Flotte, speziell über Zahl und Leistungsfähigkeit der damals eingeführten Kriegsdampfer, auf dem laufenden zu erhalten, und dieser Auftrag ist all seinen Nachfolgern wiederholt worden. Mit entschiedener Sorge verfolgte man schon damals die Bemühungen Rußlands, zu den eisfreien Häfen Norwegens vorzudringen. Man wußte in London sehr wohl, daß die russische Regierung die Frage der Weidegebiete den Lappen absichtlich offenhielt und zum Ärger Schwedens eine durch Vertrag gesicherte Regelung der strittigen Ansprüche vermied 3 ). Endlich war es eiue der letzten Anordnungen Palmerstons, daß ein entschiedener Freund der Polen, Colonel du Plat, als Konsul nach Warschau geschickt wurde (August 1841). Von Palmereton war auch die Instruktion ausgegangen, die Verleihung des walachischen Bürgerrechts an Kisselew, wenn irgend möglich, zu hintertreiben. Er fürchtete, daß aus dem Bürger ein Hospodar werden könnte, und- solche Pläne haben in der Tat bestanden. Der Sturz des Ministeriums Melbourne im September 1841 und seine Ersetzung durch Sir Robert Peel als ersten Lord des Schatzamtes, sowie die Übernahme des Staatssekretariats des Auswärtigen durch den Earl of Aberdeen schienen den Bemühungen des Kaisers, vertrautere Beziehungen zu England anzuknüpfen, günstigere Aussichten zu eröffnen *). In Prinzipienfragen standen ihm die 1 ) Instruktion Palmerstons für Clanricarde vom 11. Januar 1841. Record office. -) Instruktion Palmerstons an Clanricarde, Jan./März 2. 1841: „Tliat any advance of Russia along the coast of Norway, however insignifiant m itself, would infallibly be made a handle for much remark, and would excite great jealousy in this country, and that it might lead to discussions in the Press and in Parliament, which both Gouvernements would wish to prevent.'' 3 ) Der Eindruck des Kaisers von einer Unterredung, die Baron Brunnow mit Lord Aberdeen hatte, wurde von Nesselrode auf Wunsch des Kaisers in Form einer Note an Brunnow zusammengefaßt und in Abschrift dem eng-

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Tones näher als die Whigs, und es ließ sich annehmen, daß die auswärtige Politik des neuen Kabinetts einen ruhigeren Charakter zeigen werde. Der Kaiser hat ihm, wie er es liebte, eine profession de foi zugehen lassen, die namentlich auch seine Stellung zu Frankreich betraf. Er sei Frankreich gegenüber nicht kriegerisch, auch keineswegs systematisch feindselig gestimmt und habe Vertrauen zur Regierung, aber die Nation in ihren kindischen Eitelkeitskrisen (la puerile ebullition d'amour propre) sei gefährlich und müsse aufmerksam beobachtet werden, was im wesentlichen im Einklang mit den Ansichten Wellingtons stand, der die vornehmste Figur des Kabinetts war. Der neue Botschafter Lord Stuart de Rothay, ein persönlicher Freund Wellingtons, gab jedoch im Mai 1842 seine Stellung auf und wurde durch Lord Bloomfield ersetzt. Beiden war, bei großem Entgegenkommen von Seiten des Zaren, eine freundschaftliche Haltung in allen Fragen asiatischer Politik gemeinsam, jedoch so, daß Mißtrauen und sorgfältige Beobachtung aller Schritte des russischen Rivalen die Regel blieb. Der Kaiser, der namentlich Stuart gegenüber mit dem Schein großer Offenheit zu reden pflegte, erklärte die beiderseitigen Schwierigkeiten in Zentralasien durch den Ehrgeiz der militärischen und politischen Agenten, die, vom Zentrum der Politik in London wie in Petersburg weit entfernt, persönliche Erfolge zu erringen bemüht seien, woraus sich für beide Mächte die Notwendigkeit weiteren Vordringens ergebe. Diesem System müsse „a stop" gesetzt werden. Als jedoch Stuart über diese Gedanken Nikolais Bericht erstattete, wurde ihm vorgeschrieben, über Zentralasien und speziell über Herat lischen Botschafter Lord Stuart mitgeteilt, der sie Aberdeen am 2. Oktober 1841 zuschickte. Diese Note hatte den folgenden Wortlaut: „L'Empereur voit avec satisfaction d'après les explications échangées entre vous et Lord Aberdeen, que la Russie et l'Angleterre se trouvent heureusement placées sur le même terrain de principes et d'intérêts. Le système de conservation et de paix que le cabinet anglais se propose de suivre, est celui que notre auguste maître s'est toujours fait une loi d'adopter. C'est en l'appliquant en commun aux affaires de Perse et de l'Asie centrale, que nous éspérons régulariser ce que la situation actuelle de ces affaires peut laisser encore à désirer. Les mêmes dispositions pacifiques guideront S. M. Impériale dans ses relations avec l'Europe et dans sa conduite avec le gouvernement Français." Record office Russia 273. Unter dieser Note findet sich der Vermerk: „Stuart was one of the Emperor's oldest acquaintances, Duke of Wellington bis personal friend."

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in keiue Verhandlungen zu treten. Herat, dessen Selbständigkeit Persien respektieren solle, dürfe nicht die von England in Afghanistan besetzten Gebiete gefährden. Die übertriebenen Ansprüche der Perser auf Souveränität in Afghanistan seien schuld an den bestehenden Schwierigkeiten 1 ). Wolle daher Rußland die Ruhe in Mittelasien aufrechterhalten, so möge es den Ehx-geiz des Schahs zügeln. Das ist dann auch geschehen. In Persien ging fortan die russische Politik mit der englischen Hand in Hand. Graf Medem als russischer und M'Neill als englischer Vertreter verständigten sich über die Nachfolge des kränkelnden Schah Mohammed und über die Regentschaft, die für seinen minderjährigen Sohn eintreten solle. Im wesentlichen aber überwog der russische Einfluß in Persien, dank zumal der russischen Flotte, deren Eisendampfer das Kaspische Meer beherrschten') und dessen südliche Küsten vor den Überfällen turkmenischer Seeräuber schützten, was dem auch über Trebisonde und Erzerum nach Persien eindringenden russischen Handel zu wesentlichem Vorteil gereichte. Der Gewinn der russischenglischen Verständigupg fiel zu Anfang der vierziger Jahre den Russen zu, als natürliche Folge der furchtbaren Niederlagen, welche die Engländer nach anfänglichen Erfolgen Ende 1841 nnd Anfang 1842 in Kabul und am Chaibarpaß erlitten hatten. Die Engländer, so heißt es im triumphierenden Bericht der asiatischen Abteilung des Auswärtigen Amtes'), haben nach den blutigen Szenen in Afghanistan das Land räumen müssen und sind auf die alten Grenzen zurückgeworfen worden, die ihre herrschsüchtige und maßlose Politik verlassen hatte. Der Versuch, im Norden von Indien ein neues mächtiges Reich zu gründen und den englischen Einfluß auf Mittelasien auszudehnen, ist damit gescheitert. Die gewiß nicht aufrichtigen Glückwünsche, die Nikolai an England richtete, und die Anerkennung, die er den tapferen englischen Truppen zollte, wurden zwar freundlich aufgenommen, haben aber >) Siehe Bd. III, pg. 297 sq. ) Relation Clanricardes, 17. Mai 1841: List of steam-wessels: Hercules 180. Aus Amerika Schiff für 500 £ erworben, kleine Küstenschiffe, 6 davon aus Eisen Steamers of war in the black sea 7. Colchis, Foudroyant, Combattant, Gaillard, Terrible. Diese wurden an der abchasischen Küste gebraucht. 6 und 7 in Konstantinopel. Alle Eisenschiffe sind in England gebaut. Das große, in Amerika gebaute Schiff werde der Regierung £ 100000 kosten. 3 ) Ottschet für 1842. 2

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den festen Entschluß Englands nicht erschüttert, die schwer empfundene Niederlage zu rächen. Nur sollten noch Jahre darüber hingehen, und völlig wiederhergestellt konnte der englische Einfluß in Afghanistan überhaupt nicht werden. Auch den Unternehmungen Englands gegen China, dem sogenannten Opiumkrieg (1840—42), konnte Rußland um so mehr ruhig zuschauen, als auch hier der Vorteil ihm zufiel und die chinesische Regierung besonders dankbar für die strengen Maßregeln war, durch welche der Kaiser den offenen und geheimen Verkauf von Opium verfolgen ließ. Die russische Mission machte große Fortschritte, und die Erbitterung über England kam dem russischen Handel zugute 1 ). Auch politische Aussichten eröffneten sich damit. Ein russisches Kriegsschilf wurde beauftragt, die neu erschlossenen chinesischen Häfen zu besuchen und die Mündungen des Amur, Sachalin und die dem Nordende dieser Insel gegenüberliegenden Schantarinseln zu rekognoszieren. Offenbar war hier ein weitblickender Ehrgeiz am Werk, aber es scheint, daß man ihn nicht recht beachtet hat. Die Politik Rußlands im asiatischen Orient, die die weitesten Aussichten eröffnete, ging — vom Kaukasus abgesehen — geräuschlos vor sich, während die europäische Politik des Staates, die seit den Tagen Katharinas II. zum Stehen gekommen war, sich überaus geräuschvoll durch Eingreifen in westeuropäische Probleme geltend machte, die, recht betrachtet, mit den Lebensinteressen Rußlands nichts zu schaffen hatten. Es mag in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, daß 1844 Schiffe der russisch-amerikanischen Kompagnie mit Erlaubnis des Kaisers einige Japaner, die Schiffbruch erlitten hatten, nach Japan (auf die Insel Iturup) zurückführten. Sie wurden aus Dankbarkeit freundlich empfangen und man erklärte ihnen, daß der Besuch von Russen auf den Inseln Matomai, Iturup oder Nipon willkommen sein werde. Die russisch-amerikanische Kompagnie erreichte daraufhin, daß der Kaiser die Bestimmung aufhob, die russischen Fahrzeugen verbot, sich den japanischen Küsten zu nähern. Es ist jedoch kein Versuch gemacht worden, die löbliche Absicht der Kompagnie auszuführen. In England scheint man von diesen Dingen nichts erfahren zu haben. i) 1862 hat Rußland für 6'/a Millionen Rubel Waren in China eingeführt und 125000 Eisten Tee ausgeführt, was der Staatskasse an Zollgebühren 4 4 3 8 8 8 9 Rubel einbrachte.

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Um so lebhafter und eifersüchtiger war das Interesse, das England nach der Meerengen-Konvention dem Vordringen des russischen Einflusses in Vorderasien und auf der Balkanhalbinsel zuwandte. In der Moldau und Walachei lag, wie wir uns erinnern 1 ), 3as Regiment seit 1833 in Händen der dem russischen Einfluß 3rgebenen Hospodaren Ghika und Sturdza. Während der letztere keinen Anlaß zur Unzufriedenheit gab, führte die Mißwirtschaft Ghikas dahin, daß zu Anfang 1842 die Bojaren der Walachei sich mit einer Beschwerde an Rußland wandten. Der Kaiser schickte den General Duhamel nach Bukarest mit dem Auftrage, dem Hospodaren Ghika seine politischen Verfehlungen vorzuhalten und ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er seine Stellung einbüßen werde, falls die Generalversammlung der Bojaren wegen weiterer Verletzung des Kisselewschen Reglements vom 11. Mai 1831 Klage führen sollte. Zugleich wurde Ghika darauf aufmerksam gemacht, daß er sich den Intrigen französischer Agenten zu entziehen habe. Dieses Eingreifen Rußlands in die inneren Angelegenheiten der Walachei ist von dem Londoner und dem Wiener Kabinett ausdrücklich gebilligt worden, dagegen versuchte die unter französischem Einfluß stehende Pforte ihren Einfluß auszuspielen. Sie schickte einen türkischen Kommissar, Chekib Effendi, nach Bukarest unter dem Vorwande, dem Hospodar Ghika den Dank des Sultans für Unterdrückung der Unruhen zu sagen, die in Braila ausgebrochen waren. Chekib Effendi aber ging in das politische Lager Rußlands über. Duhamel verstand es, ihn davon zu ü b e r z e u g e n , daß alle Schuld auf Seiten des doppelzüngigen Hospodaren liege. Der Bericht, den der Kommissar der Pforte sandte, führte diesen Gedanken aus und deckte sich inhaltlich mit dem Bericht, den Duhamel nach Petersburg schickte. Die erwartete Wirkung blieb jedoch aus. Als Nikolai nach Empfang (1er Depeschen Duhamels dem Sultan vorschlagen ließ, Ghika abzusetzen, stieß er auf entschiedenen Widerstand. Unter Berufung auf die Einleitungsworte der Konvention vom 15. Juli 1840') vertrat der Divan die Theorie, daß das russische Protektorat hinfällig sei. Er meinte, die Gelegenheit wäre gÜDstig, >) Bd. II, p g . 8 9 4 . ) Leurs Majestés . . . animées du désir de veiller au maintien l ' i n t é g r i t é et de l ' i n d é p e n d a n c e de l'Empire Ottoman . . . 2

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um die souveränen Rechte der Pforte in den Fürstentümern wieder zur Geltung zu bringen, und wurde darin von dem französischen Botschafter bestärkt. Es war aber nicht daran zu denken, daß die hochpolitische Auslegung einer formelhaften Versicherung durchdringen werde. Der Kaiser erteilte sofort dem auf Urlaub befindlichen Botschafter Butenew den Befehl, nach Konstantinopel zurückzukehren, und instruierte ihn selbst. Falls Ghika es nicht vorziehe, abzudanken, müßte er abgesetzt werden und auf Grund der Bestimmungen des organischen Statuts die Wahl eines neuen Hospodaren durch eine außerordentliche Versammlung stattfinden, wobei Rußland und die Pforte sich auf eine Beaufsichtigung der Wahlhandlung zu beschränken hätten. Endlich war Butenew beauftragt, nachdrücklich für Aufrechterhaltung des durch die Verträge festgestellten russischen Protektorats einzutreten. Die ganze Angelegenheit gehe nur Rußland und die Pforte an. Das sollte er auch den Vertretern der anderen Mächte vorhalten. Die durch die türkische Auslegung der Einleitungsformel aufgeworfene Prinzipienfrage wurde keiner Entgegnung gewürdigt. Dieses energische Auftreten des Kaisers hatte zur Folge, daß die Pforte ihren Rückzug antrat. Der Sultan sprach die Absetzung Ghikas aus und schickte einen Kommissar nach Bukarest mit dem Befehl, Hand in Hand mit dem russischen Generalkonsul die Wahl eines neuen Hospodaren zu überwachen. So wurde der als entschiedener Freund Rußlands bekannte Bojar Georg Bibesco am 1. Januar 1842 gewählt mit 130 von 180 Stimmen und sowohl von der Pforte wie von Rußland bestätigt. Das war ein Mann nach dem Herzen Rußlands, der sich genau an die Instruktion hielt, die ihm der Vizekanzler Nesselrode zugehen ließ. Vor dem russischen Einfluß trat nun der türkische ganz zurück. Weit schwieriger war es, die serbischen Angelegenheiten so zu regeln, daß sie den russischen Interessen entsprachen. Serbien hatte durch einen Hattischerif vom 24. Dezember 1838 eine Verfassung, oder wie man zu sagen vorzog, ein „Organisches Statut" e r h a l t e n d a s die Macht des Fürsten Miloseh Obrenowitsch erheblich beschränkte, was den von England verfolgten Absichten nicht entsprach, während Rußland und Österreich in seltsamem Widerspruch zu der von ihnen vertretenen absolutistischen Tendenz ihren Vorteil besser zu wahren meinten, wenn ') Noradounghian 1. 1. II, No. 86.

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sie die populären Elemente, d. h. die Mitregierung von Senat und Abgeordneten, unterstützten. Milosch mußte im Juni 1839, trotz der Hilfe, die er beim englischen Konsul fand, abdanken. Die Regierung ging auf seinen Sohn Michael über, dem jedoch der Investiturberat (März 3840) weder eine lebenslängliche, noch eine erbliche Stellung verlieh. Der bei seinem Regierungsantritt noch minderjährige Fürst zeigte sich der schwierigen Aufgabe, vor der er stand, nicht gewachsen und mußte schon im August 1842 vor einer Koalition türkischer Machthaber und serbischer Unzufriedener weichen. Man nötigte auch ihn, abzudanken. Die Häupter des serbischen Staatsstreichs, Wutschitsch, Simitsch und Petronewitsch, konstituierten sich zu einer provisorischen Regierung und beriefen eine Skupschtina zur Wahl eines neuen Fürsten. Gewählt wurde am 18. September Alexander Karageorgewitsch, der Sohn des Helden der serbischen Freiheitskämpfe. Es fragte sich nun, was geschehen solle. Daß Rußland den durch eine Revolution herbeigeführten Thronwechsel nicht anerkennen werde, ließ sich voraussehen und mußte auch von der Pforte angenommen werden. Trotzdem sprach auch sie die Absetzung Michaels aus und bestätigte die Wahl Alexanders. Der russische Botschafter in Konstantinopel, Butenew, wurde daraufhin beauftragt, der Pforte zu erklären, daß der Kaiser auf Bestrafung der Urheber und Führer der serbischen Insurrektion bestehe, daß Alexander Karageorgewitsch abzusetzen sei und, wie die serbische Nation gewünscht habe, ein neuer Fürst gewählt werden solle. Füge die Türkei sich nicht, so solle Butenew die diplomatischen Beziehungen abbrechen und in Bujukdere weitere Befehle abwarten. Gleichzeitig wurde der Generaladjutant Baron Lieven nach Serbien geschickt, um sich über die Stimmung des Volkes zu orientieren; er fand sie dem Fürsten Alexander günstig und ebenso in Konstantinopel, wo es galt, dem feindseligen Einfluß der Botschafter von Frankreich und England, de Bourqueney und Stratford Canning, entgegenzuwirken. Es ließ sich aber nicht verkennen, daß, wenn der Sultan nicht nachgab und von den beiden Westmächten unterstützt würde, die Möglichkeit einer neuen ernsten orientalischen Krisis vorlag. Auch hatte Nikolai bereits Vorbereitungen getroffen und Truppen in Breitschaft stellen lassen, um, falls es njtig werden solle, gewaltsam seinen Willen durchzusetzen. Die Lage spitzte sich damit sehr ernstlich zu. Von entscheidender Bedeutung wurde es jedoch, daß Metternich

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sich ganz auf die russische Seite stellte und den Standpunkt vertrat, daß es sich um eine Frage handele, die nur Rußland und die Pforte angehe und in der eine unbestreitbare Übermacht auf russischer Seite stehe. Was er fürchtete, war eine neue Schwächung der Türkei, und das vor allem wollte er verhindern. Ein Petersburger Memorandum über das Protektoratsrecht Rußlands, das sämtlichen Höfen mitgeteilt wurde, vertrat den wenig stichhaltigen russischen Rechtsstandpunkt, aber es gab noch lange und schwierige Verhandlungen, ehe eine erste Verständigung erreicht wurde. W a s schließlich den Ausschlag gab, war die allgemeine Abneigung, um Serbiens willen einen Konflikt zu entfachen, von dem sich nicht absehen ließ, welchen Umfang er annehmen werde. Auch die Absicht Nikolais, wenn irgend möglich engere politische Beziehungen mit England anzuknüpfen, spielte mit und veranlaßte ihn, sich weniger intransigent zu zeigen, als befürchtet wurde. Der Vizekanzler Nesselrode arbeitete, soviel irgend möglich war, auf eine friedliche Lösung hin und war bemüht, der Pforte entgegenzukommen. Dazu fand sich dann schließlich auch der Kaiser bereit. Rußland gestand zu, daß die im Prinzip von der Pforte bewilligte Absetzung Alexanders erst nach Verlauf eines Monats erfolge, und erkannte ihr Recht an, die der Familie Obrenowitsch gewährte erbliche Stellung außer Kraft zu setzen. Alexander solle freiwillig zurücktreten gegen die Zusage, daß Rußland seine Wiederwahl nicht verhindern werde. Dagegen verstand sich die Pforte dazu, Kiamil Pascha, der vornehmlich zum Sturz Michaels beigetragen hatte, abzurufen und ihn in Belgrad durch Hafiz Pascha zu ersetzen. Nun wurde Lieven, dessen Mission beendet schien, nach Rußland zurückgerufen. Er nahm seinen Weg über Belgrad, fand aber dort Verhältnisse vor, die trotz allem eine Niederlage der russischen Politik wahrscheinlich machten. Hafiz Pascha hatte nicht den Mut gehabt, seine Instruktionen auszuführen. Der Absetzungsferman war, obgleich der Monat abgelaufen war, den man ihm als Frist gesetzt hatte, von ihm nicht veröffentlicht worden, und Alexander Karageorgewitsch regierte weiter, als gingen ihn die zwischen Rußland und der Pforte getroffenen Vereinbaruugen nichts an. Auch Wutschitseh und Petronewitsch waren nicht beseitigt, und die unter ihrem Einfluß stehende Skupschtina verlangte, daß sie nach wie vor die Leitung der Geschäfte behalten sollten. Unter diesen U m ständen beschloß Lieven in Belgrad zu bleiben, um die Anhänger S c h i e m a n n , Geschichte Kußlands.

IV.

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Rußlands zu stärken. Er erreichte auch wirklich, daß der Absetzungsferman veröffentlicht wurde und Alexander Belgrad verließ. Auch Wutschitsch und Petronewitsch verließen die Stadt, aber Lieven bestand nicht auf ihrer Ausweisung. Er hatte ihnen das Zugeständnis gemacht, daß die Skupschtina Zeit haben solle, sich in Petersburg und Konstantinopel zu ihren Gunsten zu verwenden. Eine neue Skupschtina trat zusammen, und von ihr wurde, wie vorher feststand, Alexander Karageorgewitsch wiedergewählt am am 15. Juni 1843. Rußland genehmigte die Wahl, aber nur unter der Bedingung, daß die zwei oft genannten Urheber des Sturzes von Michael Obrenowitsch ausgewiesen würden. Daß das schließlich geschehen ist, bewirkte die Drohung Nikolais, daß er, wenn nötig, 20000 Russen in Serbien werde einmarschieren lassen, um dem Willen beider Höfe, des russischen wie des türkischen, Gehorsam zu schaffen. Insgeheim standen freilich die Sympathien der Türkei auf Seiten von Wutschitsch und Petroniewitsch '). Aber sie wagte nicht offen mit ihrem Widerspruch hervorzutreten, da inzwischen nicht mehr zweifelhaft war, daß sie für den Fall eines Konflikts mit Rußland weder von England noch von Frankreich tatkräftige Hilfe erhalten würde. Aber der Zorn Rußlands dauerte nur so lange, als beide gefährlich schienen. Schon am 19. Juli erhielten sie die Erlaubnis, nach Serbien zurückzukehren. Um diese Zeit ist auch die griechische Frage, die seit 1835 einen rein lokalen und finanziellen Charakter getragen hatte, wieder in den Kreis der allgemeinen Politik gezogen worden. Die drei Schutzmächte hatten dem Königreich die Aufnahme einer neuen Anleihe verweigert, die bestimmt sein sollte, die schuldigen Zinsen und die Amortisationsgebühren der 1. Anleihe (vom 7. Mai 1832) zu decken. Im Frühjahr 1843 beschlossen sie darauf, daß jede von ihnen ihren Anteil der am 1. März fälligen Zinsen selbst zahlen werde. Sie verlangten aber, daß die Unordnungen in der griechischen Finanzverwaltung beseitigt und Sparsamkeit in die Verwaltung eingeführt werde. Dem König Otto wurde mitgeteilt, daß die Mächte fest entschlossen seien, eine Fortsetzung der gegenwärtigen Mißwirtschaft nicht länger zu dulden. Es haben dann *) Zu vergleichen die Memoiren von Michael Tschaikowski [russisch] Russ. Starina 1898, Juni, Kap. 39 f. Daselbst auch Aufschlüsse über die Intrigen Adam Czartoryskis und des französischen Gesandten in Konstantinopel.

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in London über die zu treffenden Maßregeln vorläufige Besprechungen stattgefunden, die dahin ausliefen, daß die griechische Regierung aufgefordert werden solle, den die erste Anleihe Griechenlands regelnden Artikel XII des Vertrages vom 7. Mai 1832 *) durch Konventionen mit Rußland, England und Frankreich zu ergänzen und namentlich die Verpflichtungen Griechenlands genauer zu präzisieren. Auch wurde auf einer Konferenz der Botschafter der drei Mächte in London der Entwurf einer Konvention ausgearbeitet und mit einer gemeinsamen Instruktion den Gesandten in Athen zugestellt. Die Staatseinkünfte Griechenlands sollten fortan vor allem zur Tilgung und Amortisierung der Anleihe dienen und die Ausgaben so weit eingeschränkt werden, daß sie ein Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben ergeben müßten. Nach längeren Verhandlungen sind jene Konventionen dann auch von der griechischen Regierung abgeschlossen und einige schwächliche Versuche gemacht worden, durch Ersparnisse, namentlich am Budget der Armee, dem Willen der Mächte nachzukommen und eine geordnete Finanzwirtschaft einzuführen. Im August konnte ein paraphiertes Exemplar der Konventionen nach Athen geschickt werden. Während jedoch so in London eine einheitliche Stellung der Schutzmächte in griechischen Angelegenheiten zu bestehen schien, bekämpften sich auf griechischem Boden ihre Vertreter. England und Frankreich waren bemüht, mit allen Mitteln darauf hinzuwirken, daß dem Könige durch die öffentliche Meinung des Landes eine konstitutionelle Verfassung aufgedrungen werde, während der russische Gesandte Catacazy beauftragt war, die monarchische Autorität des Königs unverkürzt aufrechtzuerhalten, namentlich aber für die Interessen der griechisch-orthodoxen Kirche kräftig einzutreten. Er wurde dadurch der Führer einer russophilen, oder wie man damals sagte „philorthodoxen" Partei, die es dem Könige nicht verzeihen konnte, daß er sich der Landeskirche durch einen förmlichen Übertritt nicht anschließen wollte. Diese Partei machte zugleich für den Gedanken Stimmung, den König zur Abdankung zu nötigen und, wenn irgend möglich, dem Schwiegersohn des Zaren, dem Herzog von Leuchtenberg, die Nachfolge zuzuwenden. Die russische Partei wurde dadurch indirekt zum Bundesgenossen der l

) Martens, Recueil.

Tome XII, No. 440, pg. 34 ti. 35. 3 •

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englisch-französischen Bestrebungen, die zwar nicht dahin gingen,, den König zur Berufung einer Nationalversammlung zu zwingen, wohl aber zur tatsächlichen Durchführung einer liberalen Verfassung nach englischem Vorbilde zu gelangen1). Der Königskandidat Frankreichs war, für den Fall, daß Otto sich nicht fügen sollte, der Prinz von Joinville. Es steht nicht fest, ob und wieweit die verantwortlichen Leiter der englischen und der französischen Regierung diese Pläne kannten und begünstigten. Canning war gegen Berufung einer Nationalversammlung. Daß Catacazy in seinen offiziellen Berichten nach Petersburg damit nicht hervorgetreten ist, muß angenommen werden J). Wir stoßen hier auf einen Typus russischer diplomatischer Agenten, der in den Tagen des Kaisers Nikolaus verhältnismäßig selten war, uns aber bereits in den russisch-englischen Verhandlungen über Persien entgegengetreten ist, später für die Vertreter der Balkanpolitik Rußlands charakteristisch wurde und dahin wirkte, die offizielle Politik des Reichs in eine Notlage zu versetzen, die zu militärischem Einschreiten führen sollte. Wie dem auch sei, jedenfalls war es eine von langer Hand vorbereitete Verschwörung, die in der Nacht vom 14. auf den 15. September 1843 zum Ausbruch kam. Der Palast des Königs wurde von Truppen umringt, der aus dem Schlaf aufgeschreckte König genötigt, aus den Händen der Verschworenen ein Ministerium anzunehmen, sich schriftlich zu verpflichten, eine Verfassung zu verleihen und eine Nationalversammlung zu berufen *). Der Staatsrat, der die Verschwörung leitete, ging sogar so weit, vom Könige einen öffentlichen Dank für das, was geschehen war, zu verlangen. König Otto dachte einen Augenblick daran, zugunsten seines Bru") Stanley Lane-Pool: Life of Stratford Canning, Bd. II, c. X X , besondere pg. 119 und 120. Der Brief Cannings an Lyons vom 2. Oktober 1843 sagt: „that there never was a neat revolution, or one attended with less populär outrage or of personal suffering." s ) Die Catacazyschen Depeschen sind mir nicht zugänglich gewesen, wohl aber der „compte rendu" Nesselrodes für das Jahr 1843, der dem Kaiser ausführlich, offenbar nicht ohne Verlegenheit, über den Hergang Bericht erstattet. Von besonderem Interesse für die ganze Angelegenheit sind die Korrespondenz von Prokesch-Osten mit Metternich und die „Memoires" etc. von Metternich. 8 ) Ober das Detail sind die Briefe yon Prokesch an Metternich vom 21. Septembor 1843 — 21. Januar 1844 zu vergleichen. Aus dem Nachlasse des Grafen Prokesch-Osten II, pg. 239 sq.

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dera Luitpold abzudanken, schließlich bat er die Gesandten der Mächte um ihren Rat, speziell die Vertreter der drei Schutzmächte. Sie „beugten sich den Nöten des Augenblicks und rieten dem Könige, sich zu fügen und den Kelch der Demütigung bis zur Neig zu leeren". Mit diesen Worten charakterisierte Nesselrode in seinem Jahresbericht für 1843 dem Kaiser die Lage. Nikolai war, als er die erste Nachricht von dem Athener Ereignisse erhielt, aufs äußerste entrüstet, stellte sich aber dann auf den Standpunkt, daß da der König einmal versprochen habe, eine Verfassung zu verleihen, er jetzt auch sein Wort halten müsse, daß es aber gewiß besser gewesen wäre, wenn Otto abgedankt hätte. Die entscheidenden Motive des Kaisers waren freilich andere. Es war nicht zweifelhaft, daß England und Frankreich die Verfassung anerkennen würden-, weigerte sich Rußland, das gleiche zu tun, so mußte es das Feld räumen. Das wollte er unter keinen Umständen, und deshalb begnügte er sich mit dem Ausdruck prinzipieller Entrüstung und ließ dem russischen Einfluß in Griechenland Spielraum zu weiterer Tätigkeit. Zum Opfer der politischen Niederlage aber wurde der unglückliche Catacazy ausersehen, den er ungnädig abrief. „Herr von Catacazy", berichtet Prokesch-Osten, „ging, ohne von jemand Abschied zu nehmen. Ich sah ihn noch auf dem Schilfe. Er war ganz gebrochen. Den Zorn des Kaisers schreibt er Berlin zu." Das letztere war ein Irrtum, und der Zorn des Kaisers nicht mehr als eine erste Aufwallung. Catacazy wurde ins Ministerium des Auswärtigen gezogen und ständiger Referent in griechischen Angelegenheiten, während sein Stellvertreter Persiani den Auftrag erhielt, sich zunächst abwartend zu verhalten. Seine Instruktion schrieb ihm vor, darüber zu wachen, daß die Dynastie sich behaupte und die Regierungsform monarchisch bleibe, daß Griechenland seinen pekuniären Verpflichtungen nachkomme und endlich dafür zu sorgen, daß die revolutionäre Bewegung nicht in die Nachbarstaaten übergreife. Auch Metternich fürchtete, daß die erfolgreiche „Militärrevolte" ansteckend wirken könne 1 ), aber er dachte Griechenland werde zu einem „foyer incandescent" werden, „dont le rayonnement se fera sentir à de grandes distances", Mémoires VI. 1461. Ein zusammenfassendes Urteil Metternichs über die griechische Militärrevolte 1. 1. 1475 in einem Brief an Apponyi vom 12. Oktober 1843 führt denselben Gedanken aus Zu vergleichen ist auch Heigel: Graf Otto von Bray-Steinburg. Leipzig 1901.

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dabei vornehmlich wohl an die Polen und Italiener, während Nikolai den Balkan im Sinne hatte. Übrigens war der Kaiser bemüht alle Verantwortung für die Ereignisse in Athen von sich abzuwälzen. Den Kabinetten von London und Paris ließ er mitteilen, einen wie schweren Eindruck die griechische Revolution auf ihn gemacht habe, zumal die sogenannte russische Partei eine wichtige Rolle bei der Revolte gespielt habe, und so das böswillige Gerücht aufkommen konnte, daß Rußland die bayerische Dynastie hätte stürzen wollen, um einen ihm ergebenen russischen Prinzen an die Stelle zu setzen. Er erkläre daher, daß es für ihn in Griechenland keine russische Partei gäbe. Er habe nur die Unabhängigkeit des griechischen Ritus geschützt, und damit wolle er auch fortfahren. Verbrecherische Anschläge gegen die herrschende Dynastie aber werde ier nicht dulden, und für den Fall, daß der griechische Thron frei werden sollte, niemals zulassen, daß ein Glied seiner Familie hinberufen werde. Die weitere Entwicklung der griechischen Verfassungsfrage betrachtete er als eine innere Angelegenheit Griechenlands, in die er nicht eingreifen wollte. Bekanntlich haben trotz der Sendung des Fürsten Öttingen-Wallerstein, der in Paris und London Hilfe von der Konferenz erbitten sollte, auch England und Frankreich sich diesen Standpunkt zu eigen gemacht. Durch ein Protokoll vom 17. November wurde die Konferenz für aufgelöst erklärt, und dem König Otto blieb nichts übrig, als sich den so energisch zum Ausdruck gekommenen Wünschen seiner Untertanen zu fügen und konstitutioneller König zu werden. Für den Kaiser hatte die griechische Angelegenheit noch ein ärgerliches Nachspiel in Bayern. Die Augsburger Allgemeine Zeitung erhob heftige Beschuldigungen gegen die russische Politik, worauf der russische Geschäftsträger de Viollier zunächst ernste Vorstellungen beim Münchner Kabinett vorbrachte und schließlich auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers, der ohnehin Ursache hatte, mit dem bayerischen Hof unzufrieden zu sein, das gescheiterte Heiratsprojekt und die Enttäuschung der Großfürstin Olga sehr schwer empfunden hatte, mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen drohte- König Ludwig gab darauf die „allerbefriedigendsten Versicherungen" und traf Maßregeln, um die „Ausschreitungen" der Presse zu zügeln. In der Frage aber, die dem Kaiser meist am Herzen lag, errang er, ohne selbst eingreifen zu müssen, einen vollen Erfolg. Die Verfassung, die schließlich in Griechenland angenommen wurde, verlangte, daß der

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König der griechischen Kirche angehören müsse, wieNikolai gleich bei Konstituierung des Königreichs gefordert hatte. Da nun der König trotzdem seinem katholischen Bekenntnis treu blieb, hatte Rußland allezeit die Möglichkeit, ihn zu ängstigen und ihn den Wünschen des Kaisers fügsam zu machen. Diese konfessionelle Seite der russischen Politik trat auch in der Begünstigung Montenegros zuage, dessen geistiges Oberhaupt, der Erzbischof Negosch, in seinen Streitigkeiten mit den Herzegowinern und Albanern von Rußland begünstigt wurde 1 ). Noch stärker trat diese Tendenz in Palästina zutage. In Beirut wurden russische Schulen zur Ausbildung rechtgläubiger Geistlicher gegründet und der dortige Konsul beauftragt, dafür Sorge zu tragen, daß die in Rußland für die Grabeskirche in Jerusalem gesammelten Gelder auch zweckentsprechende Verwendung fänden; daraus ergab sich aber ein Anspruch auf Kontrolle, der sorgfältig gepflegt wurde. Noch deutlicher zeigte sich diese Richtung der politischen Arbeit Rußlands bei der Mission, die vom heiligen Synod einem 1843 nach Jerusalem geschickten Archimandriten anvertraut wurde; an der Hand ausführlicher Instruktionen, die der Kaiser sorgfältig geprüft hatte, sollte er die Lage der orthodoxen Geistlichkeit im Orient studieren. Der eigentliche Zweck seiner Sendung war offenbar, die bevorstehenden Patriarchenwahlen in Konstantinopel und Alexandrien zu überwachen und die russischen Kandidaten zu unterstützen. Trotzdem fanden die Wahlen so statt, daß Rußland Grund zur Unzufriedenheit zu haben glaubte. An Stelle des 1845 zum Rücktritt gezwungenen Patriarchen Germanos IV. wurde der Metropolit Meletios III. gewählt, während die russische Partei für den früheren Patriarchen Gregor VI. eingetreten war, und als Meletios im November des Jahres starb, der ebenfalls dem Petersburger Synod ungenehme Patriarch von Ephesus, Anthimos VI., auf den Patriarchensitz zu Konstantinopel erhoben. Ebenso unzufrieden war man in Rußland mit der Wahl des Erzbischofs von Küstendsche Artemios zum Patriarchen von Alexandria. Beide Patriarchen waren durch ein Dekret (Bujuruldu) des Großwesirs bestätigt worden. Demgegenüber Das geschah namentlich in dem Streit um zwei Inseln des Skutarisees, deren sich der Pascha von Skodra (Skutari) bemächtigt hatte. Er mußte sie auf Verlangen Titows den Montenegrinern wieder ausliefern. Im Juli 1842 traf der Neffe des Wladyka von Montenegro in Petersburg ein, um im Pagenkorps erzogen zu werden.

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fand der Kaiser es notwendig, die Pforte daran zu erinnern, daß der Kaiserliche Hof dem Schicksal der orientalischen Kirche stete Teilnahme gezeigt habe, und gleichzeitig den Gesandten Titow zu beauftragen, den türkischen Ministern zu erklären, daß die bei den letzten Wahlen vorgekommenen Unordnungen ihn, den Kaiser, sehr betrübt hätten. Er ersuche daher die Pforte, diesen Tatsachen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden und die Rechte und Privilegien der rechtgläubigen Kirche unverbrüchlich zu beachten. Ein ähnlicher Verweis — so darf man es wohl nennen — wurde dem Patriarchen Anthimos erteilt. Dem Patriarchen von Jerusalem, Kyrillos, wurde durch den russischen Generalkonsul, Basiii, vorgehalten, daß er seinen Lebenswandel zu bessern habe und, was offenbar die Hauptsache war, der katholischen Propaganda in Syrien und Palästina große Aufmerksamkeit widmen solle. Zugleich wurde ihm untersagt, seinen Wohnsitz, wie er plante, nach Konstantinopel zu verlegen 1 ). Offenbar sollte das von Nikolai stets im Auge behaltene Ziel, die Leitung der orientalischen Kirche ganz in seine Hände zu spielen, recht nachdrücklich in Angriff genommen werden. Das zeigte sich auch in der eifrigen Pflege des geistlichen Schulwesens im Orient. Mittelpunkte dafür waren, abgesehen von Jerusalem, Beirut und Damaskus, die geistliche Seminarien besaßen, Beirut auch eine Typographie, die Erbauungsschriften mit missionierender Tendenz in arabischer Sprache druckte. Auf der Balkanhalbinsel wandte sich die Fürsorge Rußlands namentlich der Walachai, Bosnien und Serbien zu. Schüler der Seminarien in Bukarest und Belgrad fanden in den geistlichen Akademien zu Petersburg und Moskau Aufnahme und kehrten von dorther als Herolde des russischen Gedankens zurück. Auch vermittelte Rußland in den endlosen Streitigkeiten der Klöster in Moldau und Walachai mit der griechischen Geistlichkeit. Während bei all den soeben erwähnten Fragen Rußland die Pforte sehr deutlich fühlen ließ, daß sie sich dem Willen ihres Aberdeen beauftragte in dieser Angelegenheit den englischen Botschafter, dem Grafen Nesselrode mitzuteilen: „that the conduct of M. Basely . . . is not altogether consistend with the goodwill which the Russian Government professes entertain for this country, and is moreover not calculated to promote the peace of Syria or the welfare of its christian population. Instruktion Aberdeens 26. März 1842. Record office.

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besten Freundes zu fügen habe, zeigte der Kaiser sich ihr gegenüber sehr entgegenkommend, als in Bulgarien 1842 eine Verschwörung entdeckt wurde, die auf Organisierung eines Befreiungskrieges gerichtet war. Die Untersuchung wies auf Verzweigungen in Bukarest und Odessa, so daß die Vorstellung sehr wohl aufkommen konnte, daß Rußland das Unternehmen begünstigt habe. Es scheinen panslavistische Tendenzen mitgespielt zu haben, wie sie schon vor der Dekabristenverschwörung bestanden 1 ) und die damals, wie wir noch sehen werden, in Moskau wieder lebendig wurden; ob auch polnische Agenten, wie Nesselrode glaubte, ist zweifelhaft. Was feststeht, ist, daß Nikolai der Pforte ausdrücklich gestattete, die Anstifter der „Empörung", selbst wenn es Russen seien, festzunehmen. Die Bulgaren waren ihm rebellische Untertanen, die sich gegen ihre rechtmäßige Obrigkeit erhoben hatten, und das wollte er, soweit sein Arm reichte, nirgends dulden. Hier trafen seine Prinzipien mit den politischen Interessen Englands zusammen, während sie sonst im Orient fast überall im Gegensatz zu der von dem neuen englischen Botschafter in Konstantinopel, Stratford Canning, vertretenen Politik standen. Canning, der ein alter Gegner Rußlands war, und den Alexander I. als Botschafter abgelehnt hatte 3 ), pflegte aber seinen Willen bei der Pforte mit großem Nachdruck geltend zu machen und überragte an Charakter und eingehender Kenntnis der Verhältnisse bei weitem alle seine Kollegen. So führte der Zusammenhang der russischen Politik im Orient dahin, daß dem Kaiser der Wunsch nach einem engeren Anschluß Englands an die monarchischen Staaten, wie er sich ausdrückte, an Rußland, wie er es eigentlich meinte, von Jahr zu Jahr lebendiger wurde. Die Enttäuschungen, die ihm die innere Politik Preußens bereitete, die Vorstellung, daß die neuen geistigen Strömungen in Deutschland ihm feindselig seien und eine Gefahr für Rußland bedeuteten — er pflegte zu sagen für den Frieden der Welt —, der schwindende Glaube, daß die alt gewordenen Hände Metternichs noch stark genug seien, die disparaten Elemente der habs') Bd. I, pg. 484. Der Abschnitt über den Bund der Vereinigten Slayen. ) Relation Bloomfield 9. Oktober 1841: The case of anxiety of the Emperors mind is that a rapprochement is taking place between Great Britain and France, by which H. I. M. favorite project of drowing us into an alliance •with the northern powers . . . will be defeated. 2

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burgischen Monarchie zusammenzuhalten, das alles hatte dahm geführt, daß ihm die russisch-preußisch-österreichische Allianz nicht mehr das unerschütterliche Fundament seiner europäischen Politik war. Seine Blicke wandten sich deshalb England zu, dem Alliierten Frankreichs, den er schon einmal von diesem gehaßten und gefürchteten Gegner getrennt zu haben meinte 1 ); sie hatten sich freilich wieder zusammengefunden dank der Vermittlung Leopolds von Belgien, den Nikolai nächst Louis Philipp meist haßte.* Aber das hoifte er zu überwinden. An Aufmerksamkeiten der jungen Königin gegenüber hat er es zu keiner Zeit fehlen lassen. Seine Glückwünsche begleiteten die Hochzeit Viktorias und die Geburt ihrer Kinder. Er zeigte ihr die Vermählung des GroßfürstenThronfolgers an (30. April 1841). Die zahlreichen Gesuche englischer Untertanen in russische Kriegsdienste zu treten, wurden regelmäßig bewilligt, obgleich sich daran stets der Vorbehalt knüpfte,, daß es ihnen für den Fall eines russisch-englischen Krieges freistehen sollte, in die Heimat zurückzukehren. Daß Friedrich Wilhelm der Pate des Prinzen von Wales wurde, hatte er nicht ohne ein Gefühl der Eifersucht hingenommen; die beiden Attentate auf die Königin, die das Jahr 1842 brachte, boten ihm den Anlaß, seiner Entrüstung energischen Ausdruck zu geben. Er hatte seinen Thronerben zu einer Zeit, da die Aufnahme, die er in England finden würde, noch zweifelhaft sein konnte, nach London geschickt, damit er sich der Königin vorstelle, es folgten Besuche des Großfürsten Michael Pawlowitsch Oktober 1843 und schließlich des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch, des künftigen Chefs der russischen Flotte. Auch das wiederholte Anerbieten, seine Flotte zur Verfügung der englischen Regierung zu stellen, entsprang der gleichen Richtung seiner Gedanken. Als in der Nacht vom 27. auf den 28. August 1841 das Ministerium Melbourne eine Niederlage erlitt und, wie wir gesehen haben, am 1. September Sir Robert Peel sein Kabinett konstituierte, war Nikolai zunächst keineswegs optimistisch gestimmt 1 ). Auch die Sorgfalt, mit der der Kaiser es vermied, die orientalischen Verlegenheiten Englands so auszunutzen, daß daraus ein Anlaß zu Verstimmungen sich ergeben konnte, hätte schwerlich zu einer ') An die Kaiserin, Kowno le 26 août (alten Stils): „Voilà le ministère Anglais tombé et Peel et Wellington au timon des affaires. Voyons si ce sera pour le mieux pour longtemps, et plus solide que pour le passé. J'en doute."

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weiteren Annäherung Englands an Rußland geführt, wenn nicht positive englische Interessen ein Entgegenkommen verlangt hätten. Schon im Mai 1841 hatte Clanricarde aus London die offizielle Mitteilung erhalten, daß es keine Schwierigkeiten haben würde, die 1837 von Rußland vorgeschlagene, aber damals von England abgelehnte Schiffahrts-Konvention nunmehr abzuschließen. Palmerston schickte ihm dazu einen Entwurf und entsprechende Vollmacht („to conclude such a Convention"). Als jedoch darüber Verhandlungen mit der russischen Regierung angeknüpft wurden, ergaben sich Schwierigkeiten, die namentlich darauf zurückzuführen waren, daß Rußland für sein Getreide zollfreien Import nach England forderte. Da die Vereinigten Staaten berechtigt waren, Zugeständnisse, die Rußland gemacht wurden, auch für ihren Handel zu verlangen, lehnte Aberdeen die russischen Gegenvorschläge ab, war aber zu Zugeständnissen für den Fall bereit, daß es gelinge, das russische Prohibitivsystem zu durchbrechen und den russischen Markt der britischen Manufaktur zu erschließen. Bloomfield wurde instruiert, in Anknüpfung an die russisch-preußischen Verhandlungen, die er unterstützen solle, für England dieselben Zugeständnisse zu erwirken, die Preußen gewährt werden sollten, wenn nicht anders, so ohne formellen Vertrag 1 ). Schon Anfang November konnte der Botschafter berichten, daß der Graf Nesselrode merkliches Entgegenkommen zeige. Man ist dann überraschend schnell zu einer Verständigung gelangt. England fand sich bereit, den russischen Fahrzeugen dieselben Vorteile zu gewähren, welche englische Schiffe in deutschen Häfen genossen, so daß damit die noch zu Recht bestehenden Bestimmungen der Cromwellschen Navigationsakte außer Kraft traten, für Import und Export der beiderseitigen Waren völlige Reziprozität eintrat und die Meistbegünstigungsklausel von beiden Staaten anerkannt wurde. Dieser auf zehn Jahre abgeschlossene Vertrag wurde am 11. Januar 1843 unterzeichnet und die Ratifikationen am 27. und 31. Januar ausgetauscht"). Der Vorteil des Vertrages ist vornehmlich England zugefallen, dessen Handel nunmehr Aberdeen an Bloomfield 19. Juli 1842: „You will therefore omit no opportunity of expressing the desire of H. M. G. adjust their commercial relations with Russia on a footing of liberal reciprocity and employ every means in your power to support the representations already made by the King of Prussia." 2 ) Martens 1. I. XII Nr. 451.

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in Rußland fester als bisher Fuß fassen konnte; was der Vertrag Rußland zugestand, war dagegen nur die bindende Anerkennung einer tatsächlich schon vorher bestehenden Duldung. Noch inniger war das Zusammenwirken Rußlands mit England, als truizot den Plan faßte, Belgien durch einen „Zollverein" an Frankreich zu schließen. „Die geplante Zollunion zwischen Frankreich und Belgien", schrieb Aberdeen dem englischen Botschafter, „geht auf eine Annexion aus. Sollte die Union stattfinden, so läßt sich annehmen, daß weitere Versuche folgen werden, sie durch Annexion von Belgien auszudehnen. Teilen Sie diese Überzeugung der russischen Regierung mit und fordern Sie dieselbe auf, sich mit der Regierung Ihrer Majestät über die Mittel zu verständigen, wie die Gefahren, die wir voraussehen, abgewendet werden können." Der Kaiser, der bereits vorher überdiese Frage mit Österreich und Preußen in Beziehung getreten war, konnte umgehend die beruhigende Versicherung nach London gelangen lassen, daß ein soeben aus Wien eingetroffener Kurier Metternichs die Nachricht gebracht habe, daß die französische Regierung, nach Prüfung der Korrespondenz, die sie in der Frage der belgischen Zollunion mit den verschiedenen Höfen geführt habe, in Erwägung der Schwierigkeiten, die sich einer Ausführung ihres Planes entgegenstemmten, sich entschlossen hätte ihn aufzugeben. Nun war Frankreich bemüht, den an dieser für England höchst empfindlichen Stelle angetretenen Rückzug durch Erfolge in Spanien wettzumachen. Die Vertreibung des von England unterstützten Regenten Espartero durch den General Narvaez wurde in London als eine politische Niederlage, in Frankreich als ein Triumph empfunden, und nicht weniger verstimmte die Annexion von Mayotte und Nossibe, die eine künftige Besitzergreifung von Madagaskar vorzubereiten schien. Ein Streit um Tahiti und die Siege des Generals Bugeaud über Abdel Kader, die Marokko und, wie bereits damals gefürchtet wurde, Tunis bedrohten, spitzten vollends den englisch-französischen Gegensatz zur Freude Nikolais weiter zu. " Unter diesen Verhältnissen erregte es begreifliches Aufsehen, als die Königin Victoria im September 1843 dem Könige Louis Philippe in Schloß Eu ihren Besuch machte. Die Königin stand unter dem Einfluß ihres Oheims, des Königs Leopold von Belgien, so daß er doppelte Ursache hatte, dem Besuch in Schloß Eu mißtrauisch gegenüberzustehen. Aberihm war zugleichnicht unbekannt, daß das englischeKabinett und die öffentliche Meinung desLan-

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des von einem engeren Anschluß an die französische Politik nichts wissen wollten 1 ). Es war tatsächlich so, daß die offiziell in der Theorie noch fortbestehende Freundschaft für Frankreich zwar von seiten der Königin aufrichtig gepflegt wurde, daß sie aber politisch nur noch ein Schein war. Nikolai, der diese Entwicklung mit aufrichtiger Schadenfreude verfolgte, sah jetzt den Augenblick gekommen, um England — wie er hoffte — endgültig seinem System anzuschließen. Die Reise des Großfürsten Michail Pawlowitsch nach England folgte unmittelbar dem Besuche in Eu, und wahrscheinlich von ihm sind die ersten Andeutungen ausgegangen, daß der Kaiser sich freuen werde, eine Aufforderung nach England zu e r h a l t e n A m 3. März 1844 wurde Bloomfield zu einer Audienz befohlen, und hier teilte der Kaiser ihm mit, daß er höchlichst erfreut darüber sei, daß die Königin d e n v o n i h m g e ä u ß e r t e n W u n s c h , sie zu besuchen, so liebenswürdig aufgenommen habe 3 ). Er wisse jedoch nicht, wie er den verlockenden Vorschlag, nach England zu reisen, an das ihn so angenehme Erinnerungen knüpften, zum vorgeschlagenen Termin verwirklichen könne. Der Großfürst Alexander (der den Kaiser regelmäßig vertrat) sei in Darmstadt, die Kaiserin beabsichtige Ende Mai nach Berlin zu reisen, wo er sie an ihrem Geburtstage 1./13. Juli treffen wolle, ihm hätten seine Ärzte geraten, sich einer Kur in Kissingen zu unterziehen, und er fürchte, daß selbst das unmöglich sein werde. ') Melbourne, der auch nach dem Sturz seines Kabinetts die vertrauten Beziehungen zur Königin nicht eingebüßt hatte, hielt es für seine Pflicht, sie eindringlich yor politischen Abmachungen"; in Eu zu warnen. Er könne — schrieb er ihr am 6. September 1843 — „nicht verbergen, daß er es beklagen würde, wenn das Ergebnis des Besuchs sich als ein Vertrag betreffs eine europäischen Angelegenheit herausstellen sollte, der für England ungünstig, für Frankreich günstig wäre. Lassen Sie dort keinen Vertrag oder Vereinbarung abschließen. Es könnte anderswo ebenso gut geschehen und ohne Mißtrauen zu erregen, das sich ganz sicher jeder dort gepflogenen Verhandlung anhängen würde". „Königin Victorias Briefwechsel und Tagebuchblätter" (deutsch von Plüddemann), Bd. I, Seite 459. a ) Der Großfürst kehrte voller Begeisterung für England zurück, und der Kaiser unterließ nicht, dem britischen Gesandten seine besondere Befriedigung über die Aufnahme, die Michail gefunden hatte, auszudrücken. 3 ) „the manner, in which the Queen had met the wish h e h a d e x p r e s s e d to visit Her Majesty", Damit fällt die Behauptung von Martens' Recueit des Traites XV, pg. 232, daß es eine Initiative Peels gewesen sei, die die Reise veranlaßt habe.

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Unter allen Umständen hoffe er, daß die Königin keinerlei Vorbereitungen für seinen Empfang treffen oder sich seinetwegen irgendwelche Unbequemlichkeiten auferlegen werde '). Er schloß daran die Bemerkung, daß eine Allianz zwischen Großbritannien und Rußland für beide Staaten zu wichtig sei, als daß eine Unterbrechung ihrer guten Beziehungen überhaupt denkbar wäre. Differenzen in Beurteilung einzelner Fragen seien möglich; was stets bestehen bleibe, sei das gemeinsame Ziel, das allgemeine Beste zu fördern. Auch die inneren Angelegenheiten Rußlands und Familieninteressen schienen seine Anwesenheit zu verlangen. Die Nachrichten, die aus dem Kaukasus einliefen, lauteten wenig erfreulich, und der Kaiser war mit den Vorbereitungen zu einem neuen Feldzuge beschäftigt, dessen Grundzüge er selbst angegeben hatte; sein Freund Graf Benckendorff war gefährlich erkrankt, Cancrin war um seinen Abschied eingekommen, Nesselrode hatte einen längeren Urlaub erbeten, und aus Frankreich hatte er die ärgerliche Nachricht erhalten, daß Fürst Adam Czartoryski den Titel König von Polen auf Bitten seiner Anhänger, der dem Kaiser tödlich verhaßten polnischen Emigranten, angenommen hatte. Dazu kam, daß ein russischer Emigrant, der Schriftsteller Golowin, sich weigerte, einem ausdrücklichen kaiserlichen Befehl, der ihn nach Rußland zurückforderte, Folge zu leisten. Der Kaiser hatte im Zorn darüber einen Ukas erlassen, der die Abgabe von Auslandspässen von sechsmonatiger Geltung auf 100 Rbl. erhöhte und Personen unter 25 Jahren das Reisen ins AusLand überhaupt verbot. Zugleich wurde die Befugnis der Generalgouverneure, Auslandspässe zu vergeben, aufgehoben. Ausnahmen blieben nur für Kranke, für Künstler, die Reisen für ihre Ausbildung unternahmen, für Mechaniker und Kaufleute, deren Handelsinteressen in Frage standen, zugelassen; für sie sollte der bisherige Satz von 25 Rbl. in Kraft bleiben a ). Endlich haben auch die Interessen der kaiserlichen Familie mitgespielt. Die Großfürstin Alexandra Nikolajewna hatte sich im Juli 1843 mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm von Hessen-Cassel verlobt, von dem man erwartet hatte ') Bericht Bloomfields v. 31. März 1844. s ) Senatsukas Y. 15. März 44, veröffentlicht am 24. Die Gräfin Nesselrode bemerkt in Anlaß dieses Ukases: „C'est avec un veritable effroi qu'on songe a l'avenir, quand on voit l'Empereur devenir de jour en jour plus apre et plus autoritaire. II n'est plus possible ä personne de le faire revenir sur ses idees. . .

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daß er um die Großfürstin Olga freien werde, und fast gleichzeitig fand die Werbung des reichen Herzogs Adolf von Nassau um die Hand der Tochter des Großfürsten Michail, Elisabeth statt. Die Hochzeit beider Brautpaare fand Ende Januar 1844 s t a t t ' ) , und das führte dahin, daß der, wie es schien, endgültig aufgegebene Plan die Großfürstin Olga mit dem Erzherzog Stephan zu vermählen, wieder aufgenommen wurde. Als Orlow, den der Kaiser nach Wien geschickt hatte, um nochmals die Frage der von der Großfürstin lebhaft gewünschten Heirat anzuregen, unverrichteter Sache nach Petersburg zurükkehrte, ist die schließliche Entscheidung des Kaisers, die Reise nach England nun doch zu unternehmen, überraschend schnell erfolgt. Am 21. Mai verließ er in Begleitung von Orlow, dem General Adlerberg und dem Adjutanten Hauptmann Adlerberg, dem Fürsten Wassiltschikow und Radziwil Zarskoje, um zu Lande über Berlin und Haag nach London zu fahren, während inzwischen in Kronstadt eine Fregatte unter Dampf lag, bereit, ihn aufzunehmen, wenn er im letzten Augenblick sich entschließen sollte, den Wasserweg zu wählen. Sogar Rauch hatte das Geheimnis, mit dem der Kaiser diese Reise umgeben hat, nicht zu durchdringen vermocht. Kurz vor seinem Eintreffen in England hatte es dort einen neuen Ärger über Frankreich gegeben. Der Prinz von Joinville (Hadjy, wie ihn die Königin Victoria nannte), dritter Sohn Louis Philippes und Vizeadmiral der französischen Flotte, hatte in einer Broschüre „Bemerkungen über die Seeherrschaft Frankreichs" von der Möglichkeit gesprochen, die englischen Küsten zu verwüsten und englische Städte zu verbrennen, und dadurch die ohnehin bestehende Spannung zwischen beiden Rivalen noch gesteigert. Als dann am 26. Mai das Journal des Debats einen Artikel brachte, der zu beweisen suchte, daß Rußland eine große zentralasiatische Konföderation gebildet habe, um Indien den Engländern zu entreißen, machte die „Times" in zwei aufeinanderfolgenden Leitartikeln diese Ausführung lächerlich. Der Boden hätte für den Kaiser nicht besser vorbereitet sein können, als er am 31. Mai in Woolwich landete. Ein offizieller Empfang fand, wie er gebeten hatte, nicht statt, nur Brunnow ') mit dem Botschaftepersonal ]

) Vermählung Alexandras am 28. Januar, die Elisabeths am 31. ) Brunnow hatte erst 48 Stunden vorher durch einen Kurier von der bevorstehenden Ankunft des Kaisers erfahren. a

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erwartete ihn, als er in einer mondhellen Nacht ans Land stieg. Er fuhr sofort in die russische Botschaft, in der er auch die beiden folgenden Tage verbrachte; erst danach siedelte er auf Wunsch der Königin nach Windsor Castle über. Der Kaiser war 48 Jahre alt, als er, nach Verlauf von 30 Jahren, zum zweiten Male englischen Boden betrat. Er war noch immer, nach allgemeinem Urteil, einer der schönsten Männer Europas. Die J a h r e hatten ihm die Stirn erhöht, er pflegte ein Toupet zu tragen; was an dem Kaiser zunächst auffiel, war der Ausdruck der großen wasserblauen Augen, deren meist starren Blick die wenigsten zu ertragen vermochten. Als die Königin ihn zum ersten Male gesehen hatte, schilderte sie ihren Eindruck folgendermaßen 1 ): „Er ist eine bedeutende Erscheinung, noch immer sehr schön, sein Profil ist anziehend und seine Formen sind höchst würdig und gefällig, außerordentlich höflich, wirklich ganz auffallend, da er voller Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit ist. Aber der Ausdruck seiner Augen ist schrekkenerregend, unähnlich dem, was ich je vorher gesehen habe." Sie hatte den Eindruck, daß er nicht glücklich sein könne, es sei, als ob das Gewicht seiner ungeheueren Macht und Stellung ihn drücke; selbst wenn er lächele, sei sein Ausdruck nicht der eines Glücklichen. Sie brauchte Zeit, sich an ihn zu gewöhnen, aber schließlich hat der Kaiser verstanden, nicht nur ihre natürliche Schüchternheit zu überwinden, sondern auch durch die Offenheit, mit der er sprach, ihr Vertrauen und selbst das der klugen englischen Staatsmänner zu gewinnen. So sind die Tage, die er in England verbrachte, ohne jeden Mißton hingegangen. Der Kaiser hat niemandem, der den Anspruch darauf erheben konnte, die Ehre seines Besuchs versagt. Die Königin gewann er zumeist durch die außerordentliche Herzlichkeit, die er ihrem Gemahl, dem Prinzen Albert, und ihren Kindern zeigte, die öffentliche Meinung Englands durch die Höflichkeit, die er dem Herzog von Wellington erwies, durch das Lob, das er bei einer großen Revue in Windsor den englischen Truppen zollte, durch seine nicht übertroffene Freigiebigkeit und durch das Interesse, das er den Rennen in Ascot entgegenbrachte, die diplomatische Welt dadurch, daß er auf Wunsch Aberdeens das gesamte diplomatische Korps empfing, obgleich er bisher stets abgeJ

) Brief an König Leopold v. 4. Juni 1844.

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lehnt hatte, Vertreter von Belgien, Spanien und Portugal zu empfangen. Auch er war, wenn er so wollte, ein „charmeur" wie Alexander I. Die Königin fürchtete, daß die zahlreichen in England lebenden polnischen Emigranten ein Attentat auf den Kaiser veranstalten könnten, das ist jedoch offenbar nicht beabsichtigt worden. Doch liefen Flugblätter um, die ihn als einen Tyrannen schilderten, der schlimmer als Nero und Caligula sei. Als der Kaiser nach Ascot hinausfuhr, hatten sich einige Haufen Volkes zusammengetan, um ihn in Holborn zu erwarten und zu apostrophieren 1 ). Sie wurden von der Polizei auseinandergetrieben. Die Briefe des Kaisers an seine Gemahlin — er hat ihr während jener acht Tage fünfmal geschrieben — zeigen deutlich, wie zufrieden er mit dem Empfang «war, der ihm zuteil wurde. Am Sonntag, dem 9. Juni, fand in großer Rührung — wie die Königin schreibt — die Abreise statt. Während der Äußerlichkeiten, welche diese Zeit füllten, hat der Kaiser keinen Augenblick die ihm vor allem am Herzen liegenden politischen Fragen aus dem Auge verloren'). Daß er der Königin seine Armee zur Verfügung stellte, wie er so oft dem Könige von Preußen und dem Kaiser von Österreich gegenüber getan hatte, ist gewiß weniger ernst aufgenommen worden als das Angebot seiner Flotte an Palmerston während der letzten großen Krisis. Am 4. und 5. hatte er lange Unterredungen mit Lord Aberdeen und Sir Robert Peel. Aberdeen berührte zunächst die der Königin sehr am Herzen liegende Frage der russisch-belgischen Beziehungen, konnte aber nicht erreichen, daß der Kaiser sich zu einer Wiederaufnahme der ') Die „Times" vom 6. Juni schreibt: Some vagabonds, employed by people of the same class . . . *) Über die Verhandlungen de» Kaisers mit den englischen Staatsmännern besitzen wir-zwei Berichte. Den bereits am 6. Juni 1844 aufgezeichneten Bericht des Baron Stockmar, nach Referaten von Peel und Aberdeen (Memoirs of the Baron Stockmar by his son, London 1872 vol. II, pg. 102 sq.) und das Memorandum Nesselrodes d. d. London 19. Sept. 1844, das auf die Erzählungen zurückgeht, die Nikolai während seines Londoner Aufenthalts dem Baron Brunnow machte. Es wurde zum ersten Male 1854 i n d e n „Eastem Papers" veröffentlicht, danach in den Anlagen zum 1. Bande von A. il. Sajontschkowski, „Der orientalische Krieg der Jahre 1853—1856" mit 6 Nummern diplomatischer Korrespondenz, die vom 3. Dez. 1844 bis 21. Jan. 1845 reichte (russisch, Petersburg 1908). Die Briefe Nikolais an seine Gemahlin sind in der Anlage gedruckt. Schiemann, Geschichte Rußlands- IV.

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diplomatischem Beziehungen zu König Leopold bereit fand. Das könne erst geschehen, nachdem der König die flüchtigen polnischen Revolutionäre aus seinen Diensten entlassen haben werde 1 ). Doch machte er bei dieser Gelegenheit die für seine politische Auffassung charakteristische Bemerkung: „Ich habe niemals die belgische Revolution anerkannt und werde es niemals tun. Wohl aber habe ich später den belgischen Staat anerkannt. Mein Wort halte ich, ich respektiere Verträge und erfülle sie ehrlich; es ist daher meine Pflicht, für das Bestehen Belgiens Sorge zu tragen, wie für die Erhaltung jedes anderen in Europa existierenden Staates." Noch bestimmter lohnte er es ab, sich mit Louis Philippe zu versöhnen'), aber er erklärte zugleich, daß er niemals die Ansprüche Heinrichs V. (des Grafen von Bordeaux} unterstützen werde. Die Frage, die ihm am Herzen lag, die türkische, berührte er erst in der Unterhaltung mit Aberdeen. „Die Türkei", sagte der Kaiser, „ist ein sterbender Mann. Wir können uns bemühen, ihn am Leben zu erhalten. Aber er wird und muß sterben. Das wird ein kritischer Augenblick sein. Ich sehe voraus, daß ich meine Armeen werde in Bewegung setzen müssen, und Österreich muß dasselbe tun. Ich fürchte dabei niemanden außer Frankreich. Was wird es verlangen? Ich fürchte, viel: in Afrika, im Mittelmeer, im Orient selbst. Erinnern Sie sich der Expedition nach Ancona? Weshalb sollte es nicht Ahnliches gegen Candia oder Smyrna unternehmen? Muß in solchem Fall nicht England mit seiner gesamten Seemacht am Platz sein? Eine russische Armee, eine österreichische und eine große englische Flotte wären so in jenen Gegenden beisammen. Wenn so viele Tonnen Pulver nahe beim Feuer sind, wie soll man da verhindern, daß die Funken zünden ? 3 ) . . . Die Türkei muß in Stücke zerfallen. Nesselrode bestreitet es, aber ich bin vollkommen davon überzeugt. Wir können jetzt nicht abmachen, was mit der Türkei geschehen soll, wenn sie tot ist. Solche Abmachungen würden ihren Tod nur beschleunigen. Ich werde daher alles, was in meiner Macht liegt, tun, um den status quo zu erhalten. Nichtsdestoweniger sollten wir jedoch den möglichen und eventuellen Fall ihres Zu*) Es handelte sich um Skrzynecki und Kruczewski. *) „He has attempted to undermine and to ruin my position as Russian fimperor. That I will never forgive him." s ) Der nun folgende Abschnitt stammt wieder aus einer Unterredung mit Peel, die wahrscheinlich am 3. stattfand.

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sammenbruchs ehrlich und vernünftig ins Auge fassen. Wir sollten vernünftig erwägen und uns bemühen, eine aufrichtige und ehrliche Verständigung herbeizuführen." Er knüpfte daran in Anlaß einer Bemerkung Peels die Beteuerung, daß er keineswegs eifersüchtig einer „bonne entente" zwischen England und Frankreich gegenüberstehe, vielmehr hoffe er durch England die Franzosen in Schranken zu halten. Das Nesselrodesche Memorandum, das die Frucht der Mitteilungen Brunnows und der Verhandlungen mit Aberdeen war, trägt nicht den persönlichen Charakter, der an der Mitteilung Stockmars haftet, sondern ist rein sachlich politisch. Es geht von der Erwägung aus, daß Rußland und England es für ihr gemeinsames Interesse ansehen, die Pforte unabhängig und in ihrem gegenwärtigen territorialen Bestände zu erhalten, und daher nur, wenn es absolut notwendig sei, in ihre inneren Angelegenheiten eingreifen würden. Um die Türkei zu erhalten, müsse man sie veranlassen, ihre Vertragspflichten den Großmächten gegenüber einzuhalten und die Interessen der christlichen Bevölkerungen des Reichs zu schonen. Diese wiederum seien in Unterwürfigkeit unter die souveräne Autorität zu erhalten. Aber selbst wenn alle Großmächte aufrichtig sich an diese Richtlinien hielten, sei es möglich, daß unvorhergesehene Ereignisse den Zusammenbruch der Türkei beschleunigten. Um die dann mögliche Gefahr zu mindern, empfehle sich, daß Rußland und England sich über die Maßregeln verständigen, die sie eintretendenfalls gemeinsam zu ergreifen hätten *). „Diese Verständigung wird um so heilsamer sein, als sie die völlige Zustimmung Österreichs finden wird. Zwischen ihm und Rußland besteht völlige Gleichheit (conformité) der Prinzipien in betreff der türkischen Angelegenheiten, aus gemeinsamem Interesse am Erhalten und am Frieden (de conservation et de paix). Um ihre Verbindung wirksamer zu machen, bleibt mur übrig, zu wünschen, daß England sich ihnen zu gleichem Ziel anschließt. Der Grund, der die Feststellung dieser Verständigung anrät, ist sehr einfach: >) Der folgende Schlußabsatz ist in Anbetracht seiner Wichtigkeit in wörtlicher Übersetzung wiedergegeben i*

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Zu Lande übt Rußland der Türkei gegenüber eine überwiegende Macht (action) aus. Auf dem Meere nimmt England die gleiche Stellung ein. Isoliert könnte das Vorgehen beider Mächte viel Schaden bringen. Kombiniert, kann es etwas wahrhaft Gutes schaffen. Daher ist es nützlich, sich zu verständigen, bevor gehandelt wird. Dieser Gedanke wurde im Prinzip während des letzten Aufenthalts des Kaisers in London festgestellt. Er hatte die gemeinsame Verpflichtung zur Folge, daß, falls etwas Unerwartetes in der Türkei geschehen sollte, Rußland und England sich vorher untereinander beraten würden, worin sie gemeinsam| zu handeln hätten. Das Ziel, über welches Rußland und England sich zu verständigen haben werden, kann folgendermaßen formuliert werden: 1. Zu suchen, das Bestehen des Ottomanischen Reiches in seinem jetzigen Stande so lange zu erhalten, als diese politische Kombination möglich sein wird. 2. Wenn wir voraussehen, daß es zusammenbrechen muß sich vorher über alles zu verständigen, was die Herstellung einer neuen Ordnung der Dinge betrifft, die bestimmt ist, die heute bestehende zu ersetzen und gemeinsam darüber zu wachen, daß die in der inneren Lage des Reiches eingetretenen Änderungen weder die Sicherheit ihrer eigenen Staaten und die Rechte, welche die bezüglichen Verträge ihnen sichern, schädigen können, noch auch die Erhaltung des europäischen Gleichgewichts. Für das so formulierte Ziel ist, wie wir bereits gesagt haben, die Politik Rußlands und Österreichs durch das Prinzip völliger Solidarität eng verbunden. Wenn England als hauptsächlichste Seemacht in Einmütigkeit mit ihnen handelt, läßt sich annehmen, daß Frankreich sich in der Notwendigkeit befinden wird, sich den zwischen St. Petersburg, London und Wien vereinbarten Schritten anzupassen. Da ein Konflikt zwischen den Großmächten so beseitigt ist, läßt sich hoffen, „daß der Friede Europas unter so ernsten Verhältnissen erhalten bleibt. Diesen Gegenstand allgemeinen Interesses zu sichern, wird die vorläufige Verständigung geweiht sein, 1

) Die ursprüngliche Fassung lautete: S'il croule. Auf Wunsch Nikolais wurde die jetzige Fassung an die Stelle gesetzt und von Aberdeen gutgeheißen: Si nous prévoyons qu'il doit c r o u l e r . . , doch mufite Brunnow den gesamten Text des Memorandums auf Aberdeens Wunsch umschreiben, damit der Text keine Korrektur trage.

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die Rußland und England gegebenen Falls miteinander treffen werden, wie der Kaiser es mit den Ministern Ihrer Britischen Majestät während seines Aufenthalts in England vereinbart hat". Es ist nun im höchsten Grade auffallend, daß weder in dem Bericht Stockmars, noch in dem Memorandum vom 19. September die drei Möglichkeiten, die der Kaiser den englischen Ministern bei Lösung der orientalischen Frage als für Rußland unannehmbar erklärte, erwähnt werden: nämlich 1) daß er den Besitz Konstantinopels nicht für sich selbst wünsche (was die Möglichkeit einer russischen Sekundogenitur offen ließ), 2) daß er nicht dulden könne, daß Konstantinopel an Frankreich oder an England falle, endlich 3) daß er niemals der Gründung eines griechisch-byzantinischen Reichs zustimmen werde 1 ). Diese Sätze, die ohne Zweifel im Entwurf zum Memorandum gestanden haben, müssen Aberdeen unerwünscht gewesen sein, worauf auch der Kaiser auf ihre Aufnahme in den Text des Memorandums verzichtete. Man beschloß, durch Austausch von Briefen den Inhalt des Memorandums zu bestätigen. Am 16./28. Dezember schrieb Nesselrode dem Lord Aberdeen, und am 21. Januar 1845 dieser dem Grafen Nesselrode. Diese beiden Schreiben sind jedoch ihrem Inhalte nach nicht identisch. Nesselrode erklärt mit großer Bestimmtheit, daß der Kaiser das Memorandum gutheißt, und daß die im Memorandum niedergelegten Grundsätze feststellen, welche Politik Rußland im Einverständnis mit England in den orientalischen Angelegenheiten verfolgen werde. Aberdeen bezeugt nur, daß das Memorandum keinerlei Ungenauigkeiten enthalte und daß, da ihm nach seinen Unterredungen mit Nesselrode scheine, daß ihre Ansichten vollkommen solidarisch seien, er hoffe, sie in allen den Orient betreffenden Beziehungen im Auge zu behalten. Diese Zurückhaltung ist um so auffallender, als Lord Aberdeen noch in den ersten Tagen des August zweimal an Brunnow mit der nicht mißverständlichen Andeutung auf die Möglichkeit einer Allianz herangetreten war. Zwischen August 1844 und Januar 1845 aber war die Spannung in den französisch-englischen Beziehungen, die Erhalten sind diese drei Sätze in einem Briefe Nesselrodes an Brunnow den 16. Dezember 1844. Es heißt daselbst: Vous vous en rappellerez que c'est principalement ä trois combinaisons quo l'Empereur a donné une exclusión positive. II a declaré nommément aux Ministres Anglais . . . folgern •die oben in deutscher Übersetzung mitgeteilten drei Sätze.

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der Kaiser vorgefunden hatte, bereits wesentlich gemindert worden 1 ). Dem russischen Einfluß war der Einfluß Leopolds von Belgien und Louis Philippes entgegengetreten. Ersterer hatte bereits am 28. Juni auf das nachdrücklichste vor einem Bruch mit Frankreich gewarnt, und Louis Philippe verstand es, die Erbitterung, welche las Bombardement von Tanger und Mogador (6. u. 15. August) m England erregt hatte, ebenso abzuschwächen, wie die Streitigkeiten i m Tahiti; dem englischen Konsul und Missionar Pritchard, der verhaftet worden war, zahlte er eine reich bemessene Entschädigung, and mit dem Sultan von Marokko schloß er einen für diesen verfcältiiismäßig günstigen Frieden (10. Sept. 1844), was zwar in Frankreich große Entrüstung hervorrief, aber in England mit Recht als ein Rückzug der französischen Politik wohlgefällig aufgenommen wurde. Als dann Louis Philippe am 8. Oktober mit dem Herzog von Montpensier der Königin in Windsor seinen Besuch machte und sowohl über Tahiti, wie über die Broschüre von Joinville sein tiefes Bedauern aussprach, den Prinzgemahl aber „mon frere" nannte, waren, wie es schien, alle Schatten geschwunden, und der Eindruck, den der russische Besuch gemacht hatte, so gut wie verwischt. Was Nikolai und seine Staatsmänner heimbrachten, waren Illusionen und unbestimmte und unverbindliche Zusagen, die, wie die Zukunft zeigen sollte, die Probe einer ernsten Kiisis im Orient nicht bestehen konnten. Auch in Rußland war die Stimmung einem engeren Anschluß an England nicht hold. Schon am 21. September berichtet Bloomfield aus Petersburg, daß die Beendigung des Streites über Tahiti keineswegs erfreut habe. Der Gang der Verhandlungen sei mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt worden: man habe auf einen ernsten Bruch zwischen England und Frankreich seine Hoffnung gestellt. Im allgemeinen sei die große russische Partei England nicht freundlich gesinnt. Wenn nicht der Kaiser und Nesselrode anders dächten, wäre ein Abbrechen der soeben hergestellten intimen Beziehungen zu erwarten, denn es gelte noch der Grundsatz Peters d. Gr.: „Courtoisie ') Noch am 10. Sept. 1844 schrieb Nesselrode dem Baron Meyendorff: „Nous avons eu la douceur d'assister ici aux derniers soupirs de l'entente cordiale". So 751115 konnte man sich in Rußland über die Tendenz der englischen Politik, die nicht nach Prinzipien, sondern nach Interessen handelt, täuschen.

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envers l'Angleterre, amitié envers la France." Die Regierung denke anders, und der Kaiser halte die soeben nach Kronstadt zurückgekehrte Division der Flotte zur Abfahrt bereit für sofortige Dienstleistung („to be ready for immediate service"). Auch das ist ein Zeichen, mit welcher Hartnäckigkeit er an einmal gefaßten Vorstellungen festhielt. Er glaubte an die bindende Kraft der mit den Engländern mündlich getroffenen Vereinbarungen, weil er an sie glauben wollte.

Kapitel III. Die italienische Reise des Kaisers. Der Kaiser hatte, seit er England verließ, böse Tage gehabt. Im Haag fand er einen Bericht seines Leibarztes Mandt vor, der ihm keinen Zweifel darüber ließ, daß seine Tochter, die Großfürstin Alexandrine, sehr ernstlich krank war. Das wurde ihm unmittelbar danach mündlich von Mandt bestätigt, der ihm entgegenreiste, ihm auch mitteilte, daß die Kaiserin sich entschlossen habe, ihre Berliner Reise aufzugeben, um bei der Tochter zu bleiben. Auch Nikolai verzichtete nun auf die ihm vorgeschriebene Kissinger Kur. Er fuhr über Berlin und Stettin bei entsetzlichem Sturmwetter nach Zarskoje Sselo zurück, wo er am 19. Juni eintraf. Am 10. August starb die Großfürstin nach der Geburt eines Knaben, der nur wenige Minuten lebte. Am 29. September starb Graf Benckendorif 1 ) der Chef der 3. Abteilung, einer der wenigen persönlichen Freunde des Kaisers. Näher stand ihm wohl nur der Graf Alexej Feodorowitsch Orlow, zu dem er unbedingtes Vertrauen hatte, mit dem er wie mit einem Bruder verkehrte und dem er die allerintimsten Verhandlungen anzuvertrauen pflegte. Orlows Haltung am 26. Dezember 1825 hatte ihm die Gunst des Herrn erworben 5 ), und seit 1837 finden wir ihn stets in seiner nächsten Umgebung. Daß der Kaiser ihn ohne einen Tag Zeitverlust zum Nachfolger Benckendorifs ernannte, ist danach um so verständlicher, als ihm die Stellung des Chefs der 3. Abteilung die wichtigste im *) An Bord des „Herkules*1 in der Gegend der Insel Dago „ruhig und bei vollem Bewußtsein". „Er hat", sagte der Kaiser, „mir viele Feinde versöhnt und keinen einzigen gemacht." *) Konf. Bd. II pg. 45. Bd. III 151.

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Reiche war. Der von Natur träge Orlow l ) hatte vergeblich versucht, die Last der neuen Würde abzulehnen. Er mußte den als Bitte vorgebrachten Wunsch Nikolais erfüllen, hat aber die Hauptarbeit auf Dubbelt abzuwälzen verstanden, der, wie unter Benckendorff, alles Detail der Geschäfte besorgte. Versuche, die er später machte, diese Stellung abzuschütteln, scheiterten an der bestimmten Ablehnung des Kaisers. Denjenigen, die damals dem Kaiser nähergetreten sind, fiel es auf, wie sehr er sich unter dem Druck der traurigen Ereignisse der letzten Zeit verändert hatte. Die Gräfin Nesselrode schreibt, er sehe um zehn Jahre älter aus, er selbst klagte, daß er fühle, wie alt er werde. „Ich arbeite, was kann ich Besseres tun, um mich zu betäuben, aber mein|Herz wird bluten, solange ich lebe," schreibt er Friedrich Wilhelm IV. Dazu kam die Sorge um die Gesundheit der Kaiserin und die Angst, daß sie von dem Arzte für längere Zeit zur Kur in ein südliches Klima außerhalb Rußlands geschickt werden könnte. Eine Trennung von ihr empfand er aber als ein Unrecht, das an ihm persönlich begangen werde. Was zudem an notwendiger Arbeit an ihn herantrat, war nicht dazu angetan, seine Stimmung zu heben. Er war schon Anfang Oktober aus Zarskoje nach Gatschina übergesiedelt, was stets eine Art Vereinsamung bedeutete. Erst am 3. Dezember, später als gewöhnlich zu geschehen pflegte, zog er ins Winterpalais, das noch immer lästige Spuren des eiligen Wiederaufbaus durch Kleinmichel nach dem großen Brande des Jahres 1837 zeigte. Der Einsturz der Decke des Georgssaaleä war noch in frischer Erinnerung und hat jahrelang das Mißtrauen der Petersburger Gesellschaft lebendig erhalten. Den Kaiser erbitterte die feindselige Haltung deutscher Blätter und französischer Bücher 3 ), noch mehr jedoch, daß sich ') Das wird allseitig bezeugt. „Naturally of an indolent cbaracter and fond of pleasure," schreibt Bloomfield (Okt. 1844). Ernannt wurde Orlow durch „ordre du jour" vom 17./29. Sept 1844. 2 ) Die Vossische Zeitung wurde verboten. La Croix, »Les mystères de la Russie" In 5 Bänden, 1844, erschien auch in deutscher und englischer Übersetzung, Golowin, Iwan, „La Russie sous Nicolais I", Paris 1845. 1843 war das Buch -von Custine, „La Russie en 1839" erschienen, das immer neue Auflagen erlebte. Haxthausens „Studien über die inneren Zustände des Volkslebens und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Rußlands", die bereits im Manuskript von Nikolai{mit großer Befriedigung gelesen worden waren, erschienen erst 1847 im Druck.

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Russen fanden,die, wie Golowin inseinem: „Rußland unterNicolas I. a , ihn und sein Haus beschimpften, oder wie das unter einem Pseudonym erschienene Buch „Kämpfe im Kaukasus" in russischer Sprache seine Kriegführung auf das ärgste bloßstellte. Der Zensor war so unvorsichtig gewesen, den Druck nicht zu verbieten, und der Kriegsminister wahrhaft entsetzt, als er es las. Er zeigte es Dubbelt mit den Worten.: „Dieses Buch ist um so schädlicher, als es in jeder Zeile wahr ist." Man konnte das Buch verbieten, aber die Kenntnis der Tatsachen, die von Mund zu Mund gingen, nicht unterdrücken 1 ). Ebenso mißlang der Versuch des Kaisers, Golowins habhaft zu werden. Er ließ ihm den Befehl zugehen, aus Paris nach Rußland zurückzukehren, aber Golowin gehorchte, wie sehr verständlich ist, nicht und berief sich darauf, daß er berechtigt sei, fünf Jahre im Ausland zu leben, da er nicht in Staatsdiensten stehe. Der Kaiser übertrug darauf diese Streitfrage dem Senat zur Entscheidung, erhielt aber ein ihn durchaus nicht befriedigendes Urteil: „Wenn ein wichtiger Anlaß vorliege, oder der Wille des Kaisers die Rückkehr eines russischen Untertanen verlange, sei dieser durch die Senatszeitung dazu aufzufordern und solle seohs Monate Zeit haben, nach Rußland zurückzukehren." Offenbar empfand Nikolai diesen Bescheid als Ausdruck einer sich regenden Opposition. Er berief eine Plenarsitzung des Senats und erklärte ihr schriftlich, daß der Ungehorsam »Golowins Hochverrat sei und entsprechend beurteilt werden müsse. Daß nunmehr Golowin in contumaciam zur Zwangsarbeit in den sibirischen Bergwerken verurteilt wurde, war die Folge und charakterisiert ebensosehr diese hohe Körperschaft wie die Willkürherrschaft des Kaisers. „Er behandelt sein Reich wie ein Regiment," das ist der Schluß, den der französische Gesandte d'Andre an seinen Bericht über die Affäre knüpfte. Golowin blieb unbehindert in Frankreich und hat nach „La Russie en 1844 par unhomme d'etat russe" erschien 1845 in Paris. Verfasser war V. Pektschinsky. Das Buch wurde ins Deutsche übersetzt Ton Adolf Heller, Grimma 1845, mit dem Nebenkapitel „Gin Nachtrag zu dem enthüllten Rußland". l ) Golowin hatte u. a. behauptet, daß Barbara Nelidow die Mätresse des Kaisers sei, und daß Kleinmichel den Vermittler mache. Die Gräfin Nesselrode, die dem Sohn von der Erbitterung des Kaisers über Golowin schreibt, bemerkt dazu, Nikolai hätte dem Grafen Nesselrode bei Gott geschworen, daß es nicht wahr sei: „II est si inconcerable en tout, que cela n'estpas impossible.

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Jahren Mittel und Wege gefunden, die Gunst des Kaiser zurückzugewinnen. Zu diesen die Nerven Nikolais außerordentlich erregenden Zwischenfällen] kam der nicht überstandene Ärger über die Mißstände der russischen Verwaltung, über das Versagen von Justiz und Polizei, über die Rivalität zwischen den Ministerien des Innern und der Justiz und über die unqnalifizierbare Habsucht seines Schwiegersohnes, des Prinzen von Hessen, der den Nachlaß der verstorbenen Großfürstin Alexandra mit Anstoß erregenderGründlichkeit nach Darmstadt hinüberschaffen ließ, und durch die Leichtfertigkeit seiner Lebensweise die Entrüstung der Petersburger Gesellschaft provozierte. Auch aus Polen kamen schlechte Nachrichten. Paskiewitsch berichtete, daß er einer Verschwörung auf die Spur gekommen sei die darauf ausging, sich der Alexander - Zitadelle zu bemächtigen, das Schloß zu überfallen, ihn, den Feldmarschall zu ermorden und die in Warschau stehenden russischen Truppen niederzumetzeln. Verhaftet wurden 18 Personen, meist kleine Leute, Handwerker und Subalternbeamte, die so weitgreifende Pläne gewiß nicht hättet ausführen können. Wahrscheinlich handelte es sich nicht um mehr, als um leichtsinniges Gerede 1 ). Aber der Kaiser schloß daraus auf einen bevorstehenden Revolutionsversuch und verlangte Maßregeln, um den Ausbruch zu verhindern. Wenn Rußland, Österreich und Preußen einmütig den Geist der Polen bekämpften, könne man hoffen, ihn nach hundert Jahren bezwungen zu haben, j«tzt aber bleibe nichts übrig, als stets alles zu vernichten, was schädlich werden könnte. „Ich kann dies nicht oft genug wiederholen" — schrieb er dem Feldmarschall — „daß bei strengster Gerechtigkeit unbeugsam vorwärts zu schreiten ist, dem Ziele entBericht Paskiewitschs vom 14./26. Juni 1844. Die „Verschwörung" wurde von einem Lithographen Alexander Galetzki denunziert. Von den Verhafteten wurde einer vor ein Kriegsgericht gestellt, die übrigen zu Rekruten gemacht. Brief Orlows an den Kaiser vom 28. Oktober 1844. „Le Maréchal est dans son humeur noire . . . mais je suis loin de croire que la chose est désespérée . . . Le voisinage de la Prusse avec tous ses éléments est bien pernicieux, mais il ne faut pas se décourager, il faut être fort et prêt — comme dit le Maréchal — à toutes les éventualités, et j'ajouterai, nous le sommes." Petersburg höchsteigene Bibliothek. Die Antwort des Kaisers auf den Bericht über die Verschwörung vom 20. Dezember 1844 liegt in dem unter Anm. 1 pg. 59 zitierten Brief.

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gegen, alles zu vernichten, was uns gefährlich werden könnte An der Spitze alles dessen, was uns schädlich ist, steht die Geistlichkeit und wirkt die Erziehung. Die erstere muß uns trotz aller Hindernisse gehorsam gemacht werden, das verlange ich bestimmt und stets, mit dem zweiten ist begonnen worden, es muß fortgesetzt und auf dem eingeschlagenen Wege gefestigt werden, dann wird die Zeit unsere Bemühungen krönen 1 )." Parallel damit gingen die sehr ungünstigen Nachrichten, die von der Kampagne im Kaukasus einliefen. Arger und Gemütsbewegungen hatten eine Erkrankung des Kaisers zur Folge. Eine Erkältung, die er sich zuzog, steigerte sie noch so, daß sie eine ernstliche Wendung anzunehmen drohte a ). Ein Gallenerguß und als Reflexsymptome Schmerzen und Schwellungen in den Füßen quälten ihn, und in Petersburg war das Gerücht verbreitet, daß der Leibarzt Mandt „erkauft sei, um dem Kaiser zu schaden". Wörtlich so machte die Großfürstin Helene Mandt davon Mitteilung. Energisches ärztliches Eingreifen, dem sich diesmal wider seine Gewohnheit der Kaiser fügte, brachte ihm jedoch schon nach einigen Tagen seine Gesundheit zurück. Er widmete sich nunmehr zunächst ganz den kaukasischen Angelegenheiten, die im Hinblick auf die Erfolge Schamyls kritisch geworden waren. Die Abberufung des Oberkommandierenden Golowin am 21. Dezember 1842 und seine Ersetzung durch den General von Neidhardt während der Kampagnen von 1848 und 44 führte nicht zu besseren Ergebnissen. Der Kaiser ließ daraufhin Neidhardt Ende des Jahres nach Petersburg kommen und beauftragte ihn, einen Feldzugsplan für 1845 auszuarbeiten, den er persönlich durchsah und dessen Ziele er durch ein eigenhändiges Memorandum guthieß und dahin zusammenfaßte, daß 1. die Horden Schamyls wenn möglich gänzlich in die Flucht zu schlagen seien, daß 2. die Expedition in das Zentrum seiner Stellung einzudringen und 3. dort die Autorität Rußlands aufzurichten habe 3 ). Es erwies sich jedoch als außerordentlich schwer. Petersburg 20. Dezember 1844/ 1. Januar 1845. ') Am 6./18. Januar hatte der Kaiser an der Wasserneihe bei 7° Kälte ohne Mantel und während der Zeremonie mit entblößtem Haupte teilgenommen, danach am 20. an der Parade der Garde, ebenfalls ohne Mantel. Über den Verlauf der Krankheit: Mandt, „Ein deutscher Arzt am russischen Hofe". 3 ) Für das Detail der Operationen erließ er eingehende Richtlinien. Das 5. Armeekorps, das nicht zur Kaukasus-Armee gehörte, aber unter Neid-

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den General zu finden, der zur Ausführung dieser Instruktion bereit war. Der General von Gerstenzweig, an den der Kaiser zunächst gedacht hatte, erschien im Palais auf einen Stock gestützt und stellte sich alt und krank, so daß er dem schwierigen Auftrage entging. Auch der General von Berg, mit dem der Kaiser auf der Karte Krieg zu spielen pflegte, verstand es, triftige Gründe zu finden, um der ehrenvollen Zumutung auszuweichen, schließlich griff der Kaiser nach dem Grafen Michael Woronzow, dem Statthalter von ßeßarabien und Neurußland. Durch Reskript vom 30. Januar 1845 übertrug er ihm das Oberkommando über den Kaukasus mit dem Titel eines Vizekönigs und unumschränkten Vollmächten. Auch die Verwaltung des Kaukasus, Beßarabiens und Neurußlands wurde in seine Hand gelegt. Bis zu seinem Eintreffen in Tiflis sollte Neidhardt ihn vertreten. Woronzow wurde ganz unabhängig vom Kriegsminister Tschernyschow gestellt und hatte Befehle nur direkt vom Kaiser entgegenzunehmen. Es war eine Stellung, wie sie ähnlich nur der Fürst Paskiewitsch in Polen einnahm. Da der Kaiser nunmehr auch Woronzow in den Fürstenstand erhob, schien eine völlige Gleichstellung erreicht, der Unterschied lag jedoch in dem persönlichen Verhältnis des Kaisers zu ihnen. Er hat Woronzow, dessen menschliche Eigenschaften hoch über denen des Feldmarschalls standen, niemals die gleiche Freundschaft geschenkt wie jenem. Mit der Ernennung Woronzows aber meinte der Kaiser in dieser wichtigen kaukasischen Frage seiner nächsten Pflicht genügt zu haben. Wenn Woronzow sich streng an die erhaltenen Instruktionen hielt, und das hat er danach getan, konnte er sicher sein, daß der Kaiser ihn, wie immer der Ausgang des Feldzugs sei, nicht im Stich lassen werde. Nachdem so im Prinzip die kaukasische Frage geregelt war, wollte Nikolai die großen Reisepläne ausführen, mit denen er sich wie alljährlich trug: Kowno, Bobruisk, Warschau, Brest-Litowsk, Kiew, das waren seine Stationen. Bevor er aufbrach, gab die am 29. März 1845 erfolgte Taufe des Großfürsten Alexander Alexandrowitsch dem Kaiser den Anlaß zu einer Reihe Aufsehen erregender Gnadenbezeugungen. . Prinz Peter von Oldenburg erhielt den Titel Kaiserhardt ihr angereiht war, sollte köchstens noch weitere 12 Monate im Lande bleiben dürfen. Die Einnahme vou Audi war bestimmt, das Unternehmen zu Jeronen.

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liehe Hoheit, Graf Nesselrode, der seit 1828 Vizekanzler war, wurde zum Reichskanzler ernannt, offenbar in Anerkennung seiner Verdienste um die englisch-russische Verständigung über die Zukunft der Türkei, die der Kaiser als sein eigenstes Werk betrachtete. Er liebte es, in solchen Fällen sein persönliches Verdienst an anderen zu belohnen. Der letzte, der vor Nesselrode die Stellung als Reichskanzler eingenommen hatte, war der Graf Alexander Romanowitsch Woronzow gewesen. Dem Fürsten Wolkonski schenkte er 40000Q Rubel und dem Fürsten Wassiltschikow Tauroggen als Majorat, was einer Jahreseinnahme von 20000 Rubel entsprach. Zugleich wurden alle Schulden getilgt, die dort an staatlichen Kreditanstalten hafteten und seine Bauern aus Leibeigenen zu Fronbauern gemacht. Endlich verlieh der Kaiser dem Metropoliten Antoni das A'ndreasband. Nicht in direktem Zusammenhang damit stand eine Reihe wichtiger Entscheidungen in betreff der baltischen Provinzen. Nach 15jähriger Waltung wurde der Generalgouverneur Baron Pahlen abberufen und in den Reichsrat versetzt. An seine Stelle trat als Kriegsgouverneur von Riga und Generalgouverneur von Liv-, Estund Kurland der ehemalige Oberkommandierende im Kaukasus (28. März 1845) Jewgeni Alexandrowitsch Golowin, dessen Waltung eine lange Leidenszeit für Estland, Livland und Kurland, speziell aber für Livland brachte. Golowin, der sich in jeder Hinsicht seiner Aufgabe nicht gewachsen zeigte, bewog den Kaiser zunächst, den Titel Herzogtum für die drei Provinzen als „ungehörig" zu beseitigen. Sie werden fortan offiziell als Gouvernements bezeichnet, wodurch sie den bureaukratischen Verwaltungseinheiten im Innern des Reiches gleichgesetzt wurden. Auch begünstigte Golowin eine seit 1842 in den livlandschen Kreisstädten unter dem Präsidium des Staatsrats Chanykow tätige Kommission, deren Sitz er nach Riga verlegte und der er die Aufgabe stellte, eine radikale Umwandlung der gesamten Stadtverwaltung Rigas nach russischem Muster vorzunehmen, was eine Ungeheuerlichkeit war, wenn man die musterhafte Verwaltung der alten Hansestadt mit der Mißwirtschaft verglich, die ohne jede Ausnahme in sämtlichen russischen Städten chronisch war. Golowin hatte eine vom Kaiser in sechs Punkten gefaßte Instruktion erhalten, die dem Gedanken entsprungen war, auch die drei Ostseeprovinzen in da» System der Uniformität in rechtlicher, sprachlicher und religiöser

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Hinsicht hineinzuziehen, das den politischen Idealen des Kaisers entsprach 1 ). Es ist jedoch höchst bezeichnend, daß der Kaiser dabei an der Vorstellung festhielt, daß durch diese Maßregeln, ebenso wie durch die von Uwarow fortgeführte Russifizierung des Unterrichtswesens an der Universität Dorpat wie an den baltischen Schulen, den von ihm bestätigten Privilegien des Landes, zumal aber des Adels, an den er dabei speziell dachte, kein Eintrag geschehen solle. Er stand nach wie vor auf dem Boden der Anschauungen, zu denen er sich im Jahre 1839 bekannt hatte 8 ): er sei ein ebensoguter „ostseiski" (Ostseeritter) wie die Vertreter der drei Ritterschaften. Vor seiner Abreise gab er dem Nachfolger Daschkows, dem Geheimrat Bludow, den Befehl, die beiden Bände des Provinzialkodex, welche das besondere Recht der Ostseeprovinzen zusammenfaßten, vor seiner Rückkehr fertigzustellen. Das ist denn auch geschehen. Als er am 10. Juni in Petersburg eintraf, wurde ihm der Kodex zur Bestätigung vorgelegt, und am 21. Juni hat er ihn unterzeichnet. Vorausgegangen waren außerordentlich heftige Kämpfe, da der Minister des Innern Perowski und der Oberprokurator des hlg. Synod Protassow, als Führer der russischen Partei, alles daran setzten, um in der Revisionskommission, die den Text nochmals zu prüfen hatte, die baltischen Privilegien zu Fall zu bringen. Als jedoch die letzte Entscheidung an den Reichsrat herantrat, wurde jeder Widerspruch gegen den günstigen Bericht der Kommission dadurch zum Schweigen gebracht, daß Fürst Wassiltschikow als Präsident erklärte, der Kaiser habe sich dafür entschieden, die Privilegien der Provinzen und ihr Recht, so wie es nur unerheblich durch die Kammission verändert sei, aufrechtzuerhalten. Was sie verloren, war ihr Charakter als vom Kaiserreich annektierte Provinzen, aber das ausschließliche Recht Rittergüter zu besitzen, blieb dem Adel vorbehalten, und ebenso das Recht, die Adelsmatrikel durch freie Wahl zu ergänzen, doch behielt sich der Kaiser vor, das baltische Adelsindigenat nach seinem Ermessen auch anderen Personen zu verleihen 3 ). Welches das Motiv des ') Der genauere Inhalt der Instruktion Golowins findet sich in „Fünfzig Jfchre russischer Verwaltung in den baltischen Provinzen". Leipzig 1883 {ig. 74 u. 76. *) Band HI, pg. 405. 3 ) Diese Kämpfe des baltischen Adels um Erhaltung seiner Rechte

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Kaisers für sein Verhalten war, erklärt vielleicht am treffendsten eine gelegentliche Äußerung des Großfürsten Alexander, die der Senator Lebedew uns erhalten hat. „Die Deutschen", soll er gesagt haben, „dienen uns, und die Russen, wie sie sagen, dem Reich." Lebedew macht dazu die wahrhaft prophetische Bemerkung: „Sobald das rein monarchische Prinzip in Rußland erschüttert wird, werden die Deutschen nicht mehr leben können. Das Verschwinden der deutschen Partei wird das deutliche Anzeichen für das Verschwinden der Samodershawije, der zarischen Selbstherrschaft, sein!" Das reine monarchische Prinzip zu erhalten, aber war der eine Gedanke, vor dem dem Kaiser alles andere zurücktrat. Am 13. August traf als Nachfolger des Herrn von Lieber mann der neue Vertreter Preußens am russischen Hofe ein, General von Rochow, eine Persönlichkeit, die ohne Zweifel vom Könige gewählt worden war, weil er an ihm einen Vertreter seiner persönlichen Überzeugungen beim Zaren haben wollte. Liebermann, den die Kaiserin bevorzugte, hatte es nie zu einem persönlich intimen Verhältnis zum Kaiser bringen können, auch dem Könige war er nicht sympathisch, er schrieb ihm zu lange Depeschen. Die Wahl war gewiß keine schlechte, und schon die Tatsaohe, daß der neue Gesandte in hohem militärischen Rang stand, brachte ihn in eine günstigere Stellung als seine Vorgänger, steigerte abei zugleich den Einfluß, den der Kaiser auf ihn ausübte und der dei politischen Richtung Rochows näher stand, als die Geistesrichtung Friedrich Wilhelms IV., die der Gesandte nicht ohne Sorge verfolgte. Die Verhältnisse führten so allmählich dahin, daß man ihn fast als einen Anwalt der Petersburger Anschauungen in Berlin betrachten konnte. Seine Instruktion wies 1 ) aber unter anderem darauf hin, daß die Beziehungen Preußens zu England so intim geworden seien, daß es sich nicht mehr auf eine ausschließliche Allianz mit Rußland und Österreich beschränken könne, und daß eine Politik, die auf die Isolierung Frankreichs ausgehe, dem preußischen Interesse nicht entspreche, da gerade dadurch revolutionäre Bestrebungen der Franzosen wachgerufen werden konnten. Hätte der Kaiser diese Instruktion gekannt, so wäre sein ohnehin lebendiges haben damals großes Aufsehen erregt, und über sie gaben alle Gesandtschaftsberichte fortlaufend Auskunft. x ) Geheimes Staatsarchiv Berlin Rußland Rep. I. 118.

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Mißtrauen gegen die Politik des Schwagers noch weiter gesteigert worden. Aber gerade diese Punkte seiner Instruktion zur Geltung zu bringen, sollten die Zeitverhältnisse keine Gelegenheit bieten. Wie völlig unberechenbar übrigens der Kaiser war, zeigte sich bei einer Szene, die sich eben damals indirekt zwischen ihm und seinen Bruder, dem Großfürsten Michail, abspielte, auf den er mehr Rücksicht zu nehmen pflegte, als sonst auf jeden anderen Menschen. Der Großfürst war bei einer Truppenübung überaus heftig gegen den Herzog von Leuchtenberg gewesen, dem er vorwarf, daß er zu spät aufstehe, seine Truppen vernachlässige und nur beschäftigt sei, hübschen Frauen den Hof zu machen. Nach Schluß der Revue versammelte der Großfürst die Generale und Offiziere und ließ sich vor ihnen in einem rasenden Wutanfall 1 ) gehen. Leuchtenberg übermüde seine Truppen und vergeude seine Zeit mit galvanoplastischen Arbeiten in seinem Laboratorium. Der Prinz beschränkte sich darauf, einen Obersten in Schutz zu nehmen, den Michail arretiert hatte, erklärte aber der Truppe, daß er entschlossen sei, seinen Abschied zu nehmen. Dazu kam es jedoch nicht. Die Großfürstin Marie trat für ihren Gemahl ein und beschwerte sich beim Kaiser, der den Schwiegersohn folgendermaßen rächte: Er nahm eine Revue des vom Großfürsten besonders ausgezeichneten Semenowschen Garderegiments vor, zeigte sich mit allen Leistungen des Regiments durchaus unzufrieden, fuhr in hellem Zorn Offiziere und Soldaten an und schickte sie schließlich mit Schimpf und Schande in ihre Kasernen zurück*). In dieser erregten Stimmung erhielt er einen Brief von Mandt^ der ihm die Gründe auseinandersetzte, die einen längeren Aufenthalt der Kaiserin in Italien nicht bloß zur Besserung ihrer Gesundheit verlangten, sondern weil es sich darum handele, sie am Leben zu erhalten. Der Kaiser, der an eine wirkliche Gefahr nicht glauben wollte, war außer sich, und es hat wochenlange schwere Kämpfe gekostet, um ihm schließlich die Erlaubnis für die Reise abzuringen'). Auch die Kaiserin hat darunter schwer zu leiden gehabt. Nikolai suchte noch im letzten Augenblick den Plan *) „un veritable accès de délire." ) Schreiben der Gräfin Nesselrode an den Sohn yom 11. Juni 1845. ') Mandt I. 1. das Kapitel: Verhandlungen über die Reise der Kaiserin nach Palermo, pg. 425—462. Daß der Kaiser schließlich nachgab, war ohne Zweifel das Verdienst der heldenmütigen Festigkeit von Mandt. 3

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rückgängig zu machen. Die Kaiserin hat darüber in ihrem Tagebuch folgende Aufzeichnung gemacht 1 ): „Gleich den Tag nach dem Abendmahl fingen die Angsttage an vor meiner Abreise. Man hatte sich geschmeichelt, der Kaiser werde sich gewöhnen können an den Gedanken einer Reise nach Italien für mich, aber das war weit gefehlt. Er hatte die Krim noch immer gehofft, und als das Klima nicht hinreichend stark und sicher schien, und Palermo vorgeschlagen wurde durch Dr. Mandt, da schien er außer sich zu sein, d. h. wie er es ist, und wie kein anderer Mensch es sein würde, nicht tobend und bös und weinend, sondern eiskalt und das gegen mich, nicht zwei Phrasen redete er mit mir während einer ganzen Woche. Das waren solche schwere Tage, solche Last, solches Ziehen am Herzen, als müßte ich krank und nervös werden. Ich will aber nichts weiteres darüber schreiben. Seit vorigem Sonntag geht es besser, und er ist natürlich traurig und gesprächig, und das Beste ist, was er mir sagte, als wir vorigen Donnerstag, den 16., zum letzten Mal in der Stadt waren, in Kasan und in der Festung beteten und im Winterpalais dasselbe taten in Tränen, nämlich: je veux te dire ici, et a toi seule quelque chose, c'est que je compte te faire visite ä Palermo, quand et comment je ne sais pas encore." Erst jener 16. August hat über die Reise der Kaiserin entschieden, es gingen aber noch fast drei Wochen hin, ehe alle Vorbereitungen erledigt waren, und am 4. September der Aufbruch erfolgen konnte. Die ursprüngliche Absicht, die Kaiserin zu Wasser fahren zu lassen, wurde aufgegeben, weil ein Sturm, der einige Tage vorher ausgebrochen war, eine unruhige Fahrt befürchten ließ. Sie mußte den beschwerlichen Landweg nehmen. Der Kaiser begleitete sie bis Ostrowo und trat gleich danach wie alljährlich seine Herbstinspektion an, die ihn nach Südrußland führte, während die Kaiserin in kleinen Etappen, nach kurzem Aufenthalt in Sanssouci, Ende September in Como eintraf, wo sie in Sommariva, in einer Villa ihres jüngsten Bruders, des Prinzen Albrecht, Wohnung nahm. Hofmarschall Graf Schuwalow, die Generaladjutanten Fürst Lobanow-Rostowski und Graf Apraxin, die Leibärzte Mandt und Marcus, eine Staatsdame, vier „Fräulein", darunter auch Fräulein Nelidow, und die Bedienung bildeten das Gefolge. ') Unter dem 19. August 1845. S o b i e m a n u , Geschichte Rußlands.

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Die Großfürstin Olga hat die Mutter begleitet, während die Großfürstin Marie, die gern mitgefahren wäre, zu ihrem Ärger in Petersburg zurückbleiben mußte. Für Olga mußte diese Reise zugleich die Entscheidung darüber bringen, wer ihr zum Gemahl beschieden sein solle. Sie dachte noch immer an den Erzherzog Stephan, und ganz aussichtslos war ihre Hoffnung nicht, da Metternich in einem Schreiben an Nesselrode im Namen der kaiserlich österreichischen Familie die Bedingung gestellt hatte, daß der Kaiser alle Feindseligkeiten gegen den Papst und die Katholiken aufgeben und sich in Rom mit dem Papst verständigen solle. Das letztere glaubte der Kaiser erreichen zu können, die in Wien verbreiteten Gerüchte über seine Intoleranz erklärte er für die Frucht polnischer Intrigen und glaubte er widerlegen zu können. Denn nach wie vor hielt er an der Vorstellung fest, daß in Rußland volle Gewissensfreiheit herrsche. Zu dem Verlangen, die Kaiserin wiederzusehen, traten damit wichtige politische Motive, und so geschah es, daß er, statt von seiner Inspektionsreise nach Petersburg zurückzukehren, über Krakau, Pest, Olmütz, Prag und Innsbruck nach Mailand fuhr, wie stets in atemloser Eile, fast ohne zu rasten. Nur in Mailand und Genua gönnte er sich eine Revue der Truppen, wobei — wie er dem Fürsten Paskiewitsch schrieb —•, er die österreichische Garnison vortrefflich, die sardinischen Truppen dagegen mittelmäßig fand. Seine Vertretung im Reich hatte er, wie stets bei Gelegenheit längerer Abwesenheit, auf den Großfürsten-Thronfolger übertragen. Mit dem Kaiser, der sich Graf Romanow nannte, fuhren die Generaladjutanten Orlow und Adlerberg, die Flügeladjutanten Menschikow und Wassiltschikow, der preußische Militärbevollmächtigte General von Rauch, Baron Lieven, der Leibarzt Enochin und Dienerschaft. Es war ein glänzender Zug von zehn Equipagen. Am 5. Oktober traf der Kaiser in Mailand mit seiner Gemahlin zusammen. Sie fuhren nun nach Genua und von dort nach Palermo, wo Nikolai bis zum 5. Dezember blieb. Der wundervoll milde Winter und heitere Geselligkeit versöhnten ihn mit der schwer gewährten Erlaubnis, zumal die Kaiserin sichtlich gesundete. Vor Palermo lag ein russisches Linienschiff, eine Korvette und ein Bojer (Transportfahrzeug) unter Kommando des Admirals Lüttke." Von Sevastopol traf der Großfürst Konstantin Ende Oktober auf der „Ingermanland" ein, so daß es ein bewegtes Treiben gab.

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Mit Geschäften wurde der Kaiser nur wenig belästigt, er hatte, was doch äußeFst selten geschehen war, wirkliche Regierungsferien. An intimeren Nachrichten über Äußerlichkeiten des Treibens in Palermo fehlt es uns, oder es ist zu unbedeutend, um wiederholt zu werden. Jedenfalls hat der Kaiser jene Zeit sehr genossen. Er war in bester Stimmung, als er am 5. Dezember Palermo verließ, um erst Italien und danach Wien zu besuchen 1 ). Sein Weg führte ihn zunächst nach Neapel, wo er fünf Tage blieb. Er wohnte im königlichen Schloß und hatte von seinen Fenstern und der Terrasse den Blick auf den Vesuv, dessen bald weiße, bald schwarze Dampf- und Rauchsäulen der Landschaft noch einen besonderen Reiz gaben. Aber der Luxus seiner Gemächer und seiner Umgebung störte ihn. Selbst das Winterpalais verliere im Vergleich damit. Den 7. Dezember widmete er fast ganz dem Besuch der Museen. Die Skulptur in Marmor und Bronze des Museums Bourbon begeisterte ihn, weniger die Galerie, die außer zwei Raftaels nichts von Bedeutung besitze. Dann folgten die Besichtigung der Kirchen, Paraden und Manöver, die ihn nur wenig befriedigten, aber was ihn entzückte, war die Höflichkeit des Volkes und die Schönheit des Landes. „Ich habe" — schrieb er am 9. — „mit dem Könige einen entzückenden Spaziergang gemacht durch das idealste Traumland, das man erdichten kann. Der Blick auf Neapel, den Golf und das Meer ist etwas, was alles übertriift: Alles, was ich Schönes und Ideales träumen konnte, c'est pour devenir fou." Es folgte ein Besuch Pompejis, wo vor seinen Augen, unter seiner tätigen Mitwirkung interessante Fundstücke zutage gefördert wurden, die der König ihm verehrte. Aus Neapel fuhr er am 12. Dezember in Begleitung des Königs über Aquila, Trapani, Caserta nach Rom, wo er dem Papste in der Engelsburg seinen Besuch machte. „Ich wurde", schrieb er der Kaiserin, „am Fuß der Treppe von allerlei Persönlichkeiten in geistlichen Gewändern und von den Schweizer Garden empfangen. *) Für diese Zeit besitzen wir als kostbare Quelle die Briefe, die er der Kaiserin fast täglich und mitunter zweimal täglich geschrieben hat. Auf dem durch den Ausbruch des Krieges vereitelten Pleskauer archäologischen Kongreß sollte ein Aufsatz von mir, „Die italienische Reise Kaiser Nikolaus' I. 1845", mitgeteilt werden. Er ist als Sonderabdruck in einigen Exemplaren veröffentlicht worden und wird hier im Auszuge, teils durch neues Material ergänzt, teils verkürzt, benutzt. 5*

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So stieg ich hinauf. An jeder Tür andere Personen, an jedem Saal andere Garden. Die Zimmer sind „mesquins". So kam ich bis ans letzte Zimmer, wo der Papst ') mich erwartete. Ich grüßte ihn, küßte ihm die Hand (!), und wir umarmten uns zärtlich. Er ist groß, von guter Gestalt. Die Nase ist stark, von Tabak schmutzig und schief. Er faßte meine Hand und führte mich in sein Kabinett und hieß mich auf einem Sessel, der wie ein Würfel aussah, an seiner linken Seite niedersitzen. Butenew, der russische Gesandte, und Lord Acton 4 ) als Dolmetscher vis-à-vis. Er sagte mir, er halte es für ein glückliches Geschenk Gottes, daß ich hier sei, und daß er sich aufrichtig mit mir über seine Beschwerden aussprechen könne, die, wie er gern sage, nicht von mir ausgingen, sondern von unseren Gesetzen, die, da sie Menschenwerk und nicht Gottes Werk seien, wie er glaube, durch meine .Autorität geändert werden könnten. Dann stand er auf und nahm ein Papier, das er mir gab, und das, wie er sagte, enthielt, was er wünschteDarauf hatten wir eine Unterhaltung von einer Stunde, in der ich ihm mit völligster Offenheit die wahre Sachlage erklärte, ihre Folgen, und was ich getan hatte, um die Lage zu bessern. Er hörte mich mit vollkommener Geduld an, gab vieles zu, und behauptete vieles, was durchaus falsch war, und ich leicht widerlegen konnte. Endlich trennten wir uns, scheinbar als gute Freunde. Aber weder ist alles gesagt worden, noch etwas geschehen. Ich habe ihm feierlich versprochen, alles zu tun, was ich tun könne, habe ihm aber gesagt, es gäbe Punkte, in bezug auf welche ich ebenso heilige Pflichten hätte, wie er, und in welchen ich niemals Zugeständnisse machen könne. Darauf wollte er, daß ich ihm mein Gefolge vorstelle, und ich schied, gefolgt und begleitet wie vorher." . . . Er blieb bis zum 18. in Rom, bestieg die Peterskirche, und auf die Bronze des Knopfes der Kuppel schrieb er in russischer Sprache: „Nikolai war hier und hat für das Wohlergehen des Mütterchens Rußland gebetet." Danach besuchte er die Werkstatt der Mosaiken und die Galerie der Statuen, die ihm einen tiefen Eindruck hinterließ, die Galerie der etruskischen Vasen, die Bibliothek, die Sixtinische Kapelle, die er, abgesehen von der „Exschönheit der Fresken" und des Jüngsten Gerichts von Michel Angelo,, >) Gregor XVI. ») Der Kardinal.

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ganz gewöhnlich fand, endlich die Villa Borghese. Einen Tag widmete er den Loggien und den Stanzen Raffaels, auch besuchte er die russische Ausstellung im Palast Farnese, die er „pitoyable" nennt, und machte große Einkäufe bei Bienaime. Aus Rom fuhr der Kaiser nach Florenz, wo er bis zum 22. blieb und an dem Großherzog Leopold nur wenig Gefallen fand, während er mit König Ferdinand in Neapel eine Herzensfreundschaft schloß, an der er bis an sein Lebensende festhielt. Die Schätze der Florentiner Galerie machten einen tiefen Eindruck auf ihn, er verweilt aber nicht so lange bei Beschreibung seiner Empfindungen, als er in seinen neapolitanischen und römischen Briefen getan hatte. Die Politik begann in den Vordergrund zu treten. Dem Großherzog legte er nachdrücklich dar, daß er auf gefahrvollen Wegen mit seinem Liberalismus sei, aber er versprach sich nichts davon, da es dem Großherzog an Charakter fehle. In Florenz erhielt er die Nachricht vom Sturz des Ministeriums Peel, was ihn sehr beunruhigte und ihn mutmaßen ließ, daß auch Guizot sich nicht werde behaupten können. Vielleicht würde „Fritz" nunmehr im Hinblick auf die Möglichkeit künftiger Gefahren vorsichtiger werden. Der König habe in Wien erklären lassen, daß er die Ausführung seines Planes (den vereinigten Landtag) auf das Jahr 1847 verschoben habe. Das bedeute, daß er die Geister zwei Jahre lang in Spannung erhalten werde. In Posen dauerten die Demonstrationen fort, und zum ersten Mal sei das Militär dabei kompromittiert. Der Kaiser dachte, einer Aufforderung Metternichs folgend, in Wien diese ernsten polnischen Fragen zu erwägen. In Florenz lernte er noch Jeröme, den Bruder des ersten Napoleon, kennen. Er nennt ihn einen alten Schwätzer, der aber viel Interessantes zu erzählen wisse. Marmont lobte ihm den bourbonischen Prätendenten, Henri V., für den es aber „pour le moment" keinerlei Zukunftsaussichten gebe. Von Florenz fuhr der Kaiser über Bologna, Padua und Venedig nach Wien. Das war der ihm unangenehmste Teil der Reise. Die Begegnung mit den beiden Kaiserinnen, die päpstlicher seien als der Papst, war ihm höchst peinlich. Er selbst wollte die Heiratsfrage nicht anregen und glaubte, daß der freundschaftliche Verlauf seiner Zusammenkunft mit Gregor XVI. nicht das geringste an der Denkart „dieser Frauen" geändert haben werde.

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Auch waren ihm ungünstige Urteile über den Erzherzog Stephan zugetf*gen worden. Er sei „f'at, vain et présomptueux". Das könoe aisht eine glückliche Ehe für die Großfürstin Olga geben Seme Gedanken richteten sich ernstlicher als bisher auf den württerafeergischen Heiratsplan, der ebenfalls bereits seit geraumer Zeit erwogen wurde. Zwar liebe er die Württemberger nicht. Sie hatten alle in ihrem Charakter etwas, was sich nicht definieren lasse ihm aber mißfalle. Ein Urteil über den Erbprinzen wollte er sich jedoch erst bilden, nachdem er ihn persönlich kennen gelernt habe, die Entscheidung aber ganz der Großfürstin Olga überlassen. Aufgegeben hatte er jedenfalls den Gedanken noch nicht, den Erzherzog Stephan zum Schwiegersohn zu gewinnen. In dieser Stimmung traf er, begleitet vom Erzherzog Friedrich der ihn in Fusino erwartet hatte, am 26. Dezember :n Venedig ein. Der Vizekönig Erzherzog Rainer mit seinen drei ältesten Söhnen und der Feldmarschall Radetzky erwarteten ihn. Dann bat der soeben eingetroffene Erbprinz Karl von Württemberg den Kaiser um die Erlaubnis, sich ihm vorzustellen. Er empfing ihn und sah „einen schönen jungen Mann" von der Größe des Großfürsten Alexander vor sich, wohlgebaut und elegant, breitschultrig, verlegen, aber nicht befangen oder ungeschickt. Die Uniform stana ihm gut. Der Kaiser wies die Werbung nicht ab, machte abei auch keine feste Zusage. Er wollte die Entscheidung in Wien abwarten 1 ), aber seine Äußerungen lassen keinen Zweifel darüber, daß ihm auch der Erbprinz als Schwiegersohn genehm sein werde. Vor dem 13. Januar solle er jedoch in Palermo nicht vorsprechen. Venedig erinnerte den Kaiser an den Blick, den man vom Eckfenster des Winterpalais auf die Neva hat, der Dogenpalast an den Kreml in Moskau 3 ). In der Akademie entzückte ihn die Tizianische Himmelfahrt Marias. Er hat die Herzogin von Berry ') Mais si à Vienne cela Ta mal, je vous l'écris aussi, et alors il n'y a plus de choix, et Olly devra seule décider, yeut elle, ou ne veut-elle pas du s e u l i n d i v i d u qui se p r é s e n t e . " An die Kaiserin, Venedig, 12./24. Dezember 1845, 10 Uhr abends. *) „C'est curieux, c'est riche de plafonds, peintures, mais rien que cela, la façade est belle dans la cour, et il y a une odeur de Kremlin là dedans, l'on ne sait pourquoi." Brief an die Kaiserin 13./25. Dezember 1845, 10 Uhi abends.

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besucht1) und ihren zweiten Gemahl, den Grafen Lucchesi-Palli, den er von Moskau her kannte, als der Graf Botschaftskurier war. Eine zweite Unterredung mit dem Erbprinzen von Württemberg trug bereits einen sehr vertraulichen Charakter. Der Prinz machte kein Geheimnis daraus, daß eine stürmische Jugend hinter ihm liege, und ging auch auf die schwierigen Verhältnisse im elterlichen Hause ein, sagte aber, daß er sie zu überwinden hoffe. Am 26. Dezember, den der Kaiser gewohnt war, in St. Petersburg stets der Erinnerung an die Niederwerfung des Dekabristenaufstandes zu weihen, fand eine große Parade statt, die ihn höchlichst befriedigte'). Das war sein Abschied von Italien. Am 30. Dezember früh traf er in Wien ein. Der Fürst Liechtenstein empfing ihn am Bahnhof. Eine Aufforderung, in der Hofburg Quartier zu nehmen, lehnte er ab. Er bezog seine Gemächer in der russischen Botschaft. Graf Medem, der Botschafter, teilte ihm mit, daß der Erzherzog Stephan in Prag geblieben sei, und daß Metternich den Kaiser bitten lasse, von der Heiratsangelegenheit gar nicht zu reden3). Der entscheidende Tag war der 31. Dezember. „Ich habe mich nicht getäuscht, als ich sagte, daß der Aufenthalt in Wien mir v e r h a ß t sei. Ich habe alle hier anwesenden Familienglieder gesehen, man hat mich mit affektierter Höflichkeit empfangen, aber kein Wort von Olga erwähnt, nicht einmal, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen" So faßte der Kaiser seine ersten Eindrücke zusammen. Sein Diner beim blöden Kaiser Ferdinand war überaus peinlich. Nikolai saß zwischen den beiden Kaiserinnen. Die Kaiserin-Witwe Karoline verbarg ihre Verlegenheit duroh ununterbrochenes Reden über allerlei Banalitäten. Man trank die Gesundheit Nikolais. Dann folgte Theater, ein Besuch beim Kaiser Ferdinand, endlich Tee in der Hofburg. Es konnte kein Zweifel sein, daß der Heiratsplan gescheitert 1 ) „grasse, laide, gauche, vive, contente causé d'avenir et prêché patience" 1. 1. 2) „La revue des marins et des cinq bataillons qui forment la garnison. Le bataillon des grenadiers italiens par sa taille écrase le prémier bataillon Preobrashenski, pas possible de voir quelque chose de plus idéal." 1. 1. 3 ) „II aurait pu se dispenser de me faire la commission, car certes ce n'est pas moi qui eut commencé d'en parler Enfin Dieu ne le veut pas." Vienne, 18./30. Dezember 1845.

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Kapice* III

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war. Am 1. Januar 1846 erfolgte das Nachspiel. Um 10 Uhr früh machte ihm Metternich einen Besuch, dessen Entschuldigungen der Kaiser schroff abwies 1 ). Dann folgte ein Besuch Heinrichs V., über den der Kaiser überaus günstig urteilt 2 ). Das Familiendiner im Schloß trug denselben Charakter wie am 31. Als er sich von der Familie verabschieden wollte, sagte die Kaiserin-Witwe dem Kaiser Nikolaus, sie wollte ihm noch einen Altar zeigen, den sie an der Stelle errichtet habe, wo Franz I. gestorben sei. Sie führte ihn in ihr Kabinett und öffnete eine Nische in der Mauer. Man sah nun einen Altar und darüber ein Bild, das den verstorbenen Kaiser vor dem Heiland kniend darstellte. Das nun folgende Gespräch mag nach der Darstellung Nikolais an seine Gemahlin wiedergegeben werden: „Wir traten ein, sie sagte, ich möchte mich umwenden, und zeigte mir auf der Mauer ein Bild, das meinen Besuch am Grabe des seligen Kaisers darstellte. Dann sagte sie, offenbar in der Absicht, einen theatralischen Effekt auf mich auszuüben: „Nun wohl, Sire, glauben Sie, daß ich mich verändert habe?" Ich sah ihr einen Augenblick ins Gesicht und antwortete sehr ruhig: „Erlauben Sie mir, an einem anderen Ort zu antworten." Wir gingen hinaus, sie bat mich Platz zu nehmen, und ich nahm nun all meine Kaltblütigkeit zusammen und sagte: „Ich habe es nach Ihren eigenen Worten in Ihrem Briefe glauben müssen." Das brachte sie außer Fassung, und sie sagte: „Wir Frauen legen unseren Worten nicht so viel Wert bei; ich wollte sagen, daß die in Rußland beschlossene Zerstörung des Katholizismus" . . . Ich unterbrach sie und fragte sie, woher sie diese Tatsache habe? Sie antwortete: „Ich habe es sagen hören." — „Von wem?" — „Man sagte es, ich mußte es glauben." — „Wegen welcher Taten?" — „Ich kann es im Augenblick nicht anführen." Da sagte ich ihr: „Madame, das höre ich überall sagen, und auf solches Gerede gründet sich der Verdacht gegen jemanden, den man seit 20 Jahren kennen müßte, daraufhin zerstören Sie eine enge Verbindung, die Ihr Gemahl begründet hat — und weshalb? Um eines Verdachtes willen, den ich nicht anders als ') „avec un regard de mépris". ) »Charmant, tendre, aimable, simple cordial, jolie tête; le corps un peu gros, et boitant avec grâce, très prudent dans ses paroles." Der Kaiser Ut das Möglichste, um ihn in dieser Haltung zu bestärken. ä

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mit tiefer Verachtung beantworten kann. Ich habe Ihnen, dem Kaiser und Österreich keinen größeren Beweis der religiösen Verehrung geben können, die ich für das Gedächtnis des verstorbenen Kaisers hege, und für die Erfüllung der ihm gegebenen Versprechungen, als indem ich hierher kam, was mir im höchsten Grade peinlich gewesen ist, ich habe es aus einem Gefühl der Treue gegen ihn getan und wegen meines eigenen Gewissens." Sie reichte mir mit dem Ausdruck der Überzeugung die Hand und sagte: „Sie hätten eine Erzherzogin ihren Glauben wechseln lassen, wenn sie einen Großherzog geheiratet hätte." „Nein, Madame, denn eine Urkunde, die mein Vater und der verstorbene Kaiser hinterlassen haben, hat für diesen Fall besondere Bestimmungen getroffen 1 )." Es sind danach noch einige Worte gefallen, die nicht über einfache Höflichkeiten hinausgingen. Man schied eiskalt, und der Kaiser schloß seinen Bericht über diesen peinlichen Besuch in Wien mit einem pessimistischer Blick in die Zukunft. Metternich sei ein Schatten dessen, was er war, Kolowrat ebenfalls alt; Erzherzog Ludwig unentschlossener denn je; der Thronerbe Erzherzog Franz blasiert und unzufrieden. Das sei die Regierung. Ungarn maule, Galizien werde — dank Posen — bald in Flammen stehen, Böhmen wolle nur noch Böhmen sein, was könne die Zukunft bringen? Erzherzog Franz sei ein Mann ohne Charakter, eine Nichtigkeit, der niemand persönliche Achtung entgegenbringe. Alles sei der Gegenwart müde, besorgt um die Zukunft, von den 27 Erzherzögen seien fünf alt, die anderen junge Leute und Kinder — das sei das Bild der Monarchie! Am 12. Januar traf der Brief, der diese drastische Schilderung der Wiener Enttäuschungen brachte, in Palermo ein. Schon am 16. Januar 9 Uhr morgens war der Kaiser wieder in Petersburg, und bereits um 1 Uhr hielt er die Wachtparade ab. Damit hatte die Wiederaufnahme seiner regelmäßigen Regierungsgeschäfte begonnen. Diese Erklärung des Kaisers ist höchst auffallend. Von einer derartigen Bestimmung der Kaiser Paul und Alexander ist bisher nichts bekannt geworden. An der Tatsaohe ist wohl nicht zu zweifeln. Doch bleibt unklar, welcher Art diese Bestimmungen waren. Ein Glaubenswechsel Leuchtenbergs hat nicht stattgefunden, er blieb bis zuletzt katholisch, aber seine Kinder wurden griechisch-orthodox, was nahelegt, daraus Schlüsse zu ziehen.

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In Palermo traf am 15. der Erbprinz von Württemberg ein. Er machte keinen unangenehmen Eindruck, und die Großfürstin Olga hat später gesagt, der TOD seiner Stimme habe ihr gefallen, und sie habe gefühlt, daß er ihr nicht fatal sein werde, wie die anderen Prinzen, die sie sich als Prätendenten um ihre Hand gedacht hatte. Am 18. erfolgte die Verlobung. Palermo wurde von den russischen Herrschaften am 8. März verlassen. Am 9. erkrankte aber die Kaiserin in Neapel an der Gesichtsrose, und erst am 8. April war sie so weit, die Stadt verlassen zu können. Der Aufenthalt in Rom mußte daher aufgegeben werden, dagegen blieb die Kaiserin mit dem Brautpaare zehn Tage in Florenz. Der Rückweg ging über Venedig, Innsbruck, Prag und Krakau. Wien wurde umgangen. In Krakau empfing sie der Kaiser, der am 10. Mai Petersburg verlassen hatte. Erst am 15. Juni war die kaiserliche Familie in Peterhof, und am 19. zogen sie alle nach Petersburg, um an einem Dankgottesdienst für die glückliche Heimkehr der Kaiserin teilzunehmen. Bald danach traf der Erbprinz von Württemberg in Peterhof ein. Es folgten die Hochzeitsgäste, zu denen auch der Prinz von Preußen und der Feldmarschall Paskiewitsch gehörten. Am 13. Juli fand die Vermählung statt. Über die Abreise der Großfürstin in ihr neues Vaterland notiert die Kaiserin in ihrem Tagebuch: „Costy (Großfürst Konstantin Nikolajewitsch) begleitete seine Schwester Olga bis Stuttgart und fand in Altenbnrg unterwegs eine allerliebste Prinzeß, die er sehr wünscht zu heiraten. Zu jung, und daran nicht zu denken, ist er noch nicht versprochen, doch die Erlaubnis des Vaters und die meinige hat er. Darüber ist er außer sich vor Glückseligkeit. Sie soll vielversprechend sein, diese junge Alexandra."

Kapitel IT. Die baltischen Provinzen, Krakau, die entente cordiale nnd der offene Brief. Vor seiner Abreise nach Warschau im April 1845 hatte der Kaiser dem früheren Justizminister Bludow, der jedoch nach wie vor Mitglied des Ministerkomitees war, erklärt, daß die beiden ersten Bände der systematischen Kodifikation der Gesetze, des sogenannten

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Swod Sakonow, bei seiner Rückkehr fertig vorliegen müßten. Es waren die Bände, welche die in den baltischen Provinzen geltenden Gesetze und Privilegien enthielten, und trotz des Versprechens, das der Kaiser den Vertretern der Provinzen gegeben hatte, daß er sie vor den Anschlägen der russischen Partei schützen wolle, an deren Spitze der Minister des Innern Perowski stand, und zu der auch TJwarow und der Prokureur des Hlg. Synod Protassow gehörten, konnte nicht zweifelhaft sein, daß es noch einen heftigen Kampf kosten werde, ehe sie Rechtskraft erlangten. Der Kaiser hatte kurz vorher den Generalgouverneur der Ostseeprovinzen, den gut deutsch gesinnten General Baron Karl Magnus von der Pahlen, in den Reichsrat versetzt und an seine Stelle am 28. März 1845 den früheren Oberkommandierenden im Kaukasus Jewgeni Alexandrowitsch Golowin ernannt, dessen dreijährige Waltung in den Provinzen mit Wiederaufnahme der Bemühungen um Gewinnung der protestantischen Letten für die griechische Kirche und mit den Anschlägen gegen die Verfassung der baltischen Städte und Gemeinden, speziell Rigas, in verhängnisvollem Zusammenhang steht. Eine geheime Instruktion, die der Kaiser ihm auf den Weg gab, hat ihm beides, den Kampf gegen die Rechte der Stadt Riga und für die Konvertierung der Letten, im Prinzip vorgeschrieben. Der Kaiser bewegte sich, sobald es sich um die deutschen Provinzen des Reichs handelte, in seltsamen Widersprüchen. Gehörten seine Sympathien dem Adel des Landes und hielt er es für seine Pflicht, die Versprechungen aufrechtzuerhalten, die seine Vorfahren dem Lande erteilt hatten, so beherrschte ihn auch in betreff der Ostseeprovinzen der Gedanke, daß es auch dort seine Aufgabe sei r auf die nationale und konfessionelle Verschmelzung des Gesamtrechts zu einer geschlossenen Einheit hinzuarbeiten 1 ). So konnte es geschehen, daß am 12. Juli die russische Partei in der Frage des in den baltischen Provinzen geltenden Rechts jene scheinbare Niederlage erlitt, die zwar dem Adel seine Privilegien erhielt, aber zugleich durch Maßregeln der Verwaltung seine Stellung zu untergraben gestattete. Es war um so mehr eine widerspruchsvolle Politik, als zugleich im Auftrage des Kaisers an der „Bekehrung" der Letten *) „to establish the Greek faith throughout his dominions." Relation des englischen Generalkonsuls in Warschau, du Plat.

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zur griechischen Kirche gearbeitet wurde und sich voraussehen ließ, daß die ohnehin durch eine Mißernte gesteigerte Unruhe der Landbevölkerung zu Gegensätzen zwischen Gutsherren und Bauern führen werde, die der Kaiser in allen übrigen Teilen des Reichs mit unerbittlicher Härte niederschlagen ließ. Der kluge Oberprokureur des Synod, der, wie wir wissen, zu den Heißspornen der russischen Partei am Hofe gehörte, hatte, von diesen Gesichtspunkten ausgehend, auf die Gefahren des Proselytismus in den baltischen Provinzen hingewiesen, war aber von Nikolai durch ein barsches „je le veux" zum Schweigen gebracht worden, und so gingen, vom Erzbischof von Riga, Philaret, und den russischen Geistlichen unterstützt, orthodoxe Emissäre ans Werk der „Bekehrung". Der Großfürst-Thronfolger, der während der Abwesenheit des Kaisers die Regierungsgeschäfte zu führen hatte, stand der Entwicklung, die sich nun vollzog, keineswegs sympathisch gegenüber. Auf einen Protest des livländischen Adels in Anlaß der nunmehr in der Tat ausbrechenden agrarischen Unruhen wurde bereits im November 1845 ein Regiment Kosaken nach Livland geschickt und der Oberst Opotschinin beauftragt, einen Bericht über die Lage zu erstatten. Er fiel den Plänen der „Bekehrer" keineswegs günstig aus, und auch der später in den Grafenstand erhobene P. A. Walujew, der als Beamter zu besonderen Aufträgen unter Golowin in Riga tätig war, machte seinen Einfluß nach derselben Richtung geltend. Die Folge war ein Schreiben Alexanders an den noch in Italien weilenden Vater, das seiner Unzufriedenheit über die Tätigkeit der orthodoxen Emissäre rückhaltlosen Ausdruck gab. Der Kaiser gestattete daraufhin, daß eine Kommission zur Untersuchung der Vorgänge angesetzt ward, die mit dem Glaubenswechsel der livländischen Letten in Zusammenhang standen. An die Spitze dieser Kommission trat der Großfürst-Thronfolger selbst. Obgleich sie aus lauter Angehörigen der griechischen Kirche bestand (Protassow, Perowski, Wassiltschikow, Tschernitschow), bestätigte sie die Richtigkeit der Angaben, die von deutsch-livländischer Seite und von Opotschinin über die unlauteren Mittel beigebracht waren, deren sich die russische Geistlichkeit bei ihren Bekehrungen bediente. Noch vor der Rückkehr Nikolais beendigte die Kommission am 6. Januar 1846 ihre Arbeiten, und das Ergebnis war, daß die Bauern, die als neue Angehörige der griechischen Kirche ange-

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geschrieben waren, sechs Monate Zeit erhielten, ihren Entschluß zu überlegen und, wenn sie anderen Sinnes geworden waren, zurückzunehmen. Der griechischen Geistlichkeit in den baltischen Provinzen wurde eine Mißbilligung ausgesprochen, und die weitere Tätigkeit der sogenannten Wanderkirchen, die missionierend in markschreierischer Weise durchs Land zogen, ausdrücklich verboten. Aber damals waren bereits gegen 10000 Konvertiten für die orthodoxe Kirche gewonnen, und sie für die lutherische Landeskirche zurückzugewinnen, erwies sich bald nur in seltenen Ausnahmefällen als möglich. Das war die Lage, als am 11. Januar 1846 der Kaiser seiner Gemahlin vorauseilend, in guter Gesundheit in Petersburg eintraf. Zehn Tage danach veranstaltete er eine außerordentliche Sitzung des Reichsrats, um über die ungeheuren Schwierigkeiten der Finanzlage, wie sie durch die Hungersnot, die damit in Zusammenhang stehenden Steuerrückstände, die Abnahme der Zolleinnahmen, die Ausgaben fürs Heer, die immer noch ein Drittel der Reichseinnahmen verschlangen, und endlich durch die enormen Kosten der italienischen Reise der kaiserlichen Herrschaften herbeigeführt worden waren 1 ). Mitte März empfing der Kaiser eine baltische Deputation, die sich über das rücksichtslose Vordringen der griechischen Kirche beschwerte. Der Kaiser empfing sie gnädig. Er war offenbar selbst mißtrauisch geworden, da sein Reisebegleiter, der Generaladjutant von Berg, bei der Rückkehr nach Rußland die unangenehme Überraschung vorfand, daß fast sämtliche Bauern seiner Güter zur griechischen Kirche übergetreten waren. Dennoch hielt Nikolai — wie wir in diesem Fall annehmen müssen, wider sein besseres Wissen — an der Fiktion fest, daß es sich um einen *) »Der Kaiser braucht dringend Geld, wahrscheinlich für die württembergische Heirat. Es findet darüber eine Korrespondenz mit (unserem) Ministerium statt. Von den 300000 Rubeln, die wir zur Verfügung haben, wird sich wohl nicht viel nehmen lassen. Dem Minister des Innern sind 500000 Rubel genommen worden, von den Lichtgeldern des Synod 8000. Uns (dem Justizministerium) hat man durch einen namentlichen Ukas 200 000 abgenommen. Auch dafür sind wir dankbar (nämlich weil es nicht mehr war!). Di« Frechheit der Zungen und das Murren der Unzufriedenheit hat seit einiger Zeil einen bisher unerhörten Grad der Öffentlichkeit gewonnen." Tagebuch Lebedews, Russki Archiv 1910, 3, pg. 183, Januar oder Anfang Februar 1846.

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Glaubenswechsel aus Gewissensgründen handele. Er wolle — erklärte er — keine religiöse Propaganda, könne aber nicht Leute abweisen, die sich der Landeskirche anzuschließen wünschten. Eine stundenlange Unterredung, die er mit dem livländischen Landmarschall hatte, führte zu keinem anderen Ergebnis, als daß zwei neue Kommissionen eingesetzt wurden, zu denen neben dem Chei der 3- Abteilung und dem Minister des Innern auch livländische Deputierte gezogen wurden. Es ist aber trotzdem nichts geschehen, um das im Fortschritt begriffene Unheil zu beseitigen. Die Zahl der Konvertiten stieg auf über 14000 Köpfe, und da die Frauen sich der Landeskirche treuer zeigten, als die betörten Männer, ward ein Zwiespalt in das bäuerliche Familienleben getragen, das die verhängnisvollsten Folgen haben sollte. Erst 1848, als Golowin als Generalgouverneur durch den Fürsten Suworow abgelöst wurde, kam die Bewegung zum Stillstand. Freilich um in anderer Form neues Verderben ins Land zu tragen. „Als der Bischof Philaret im Jahre 1848 Umschau hielt, da fand er, daß ganz Livland als orthodox-griechische Kirchenprovinz organisiert war: Neun griechische Sprengel mit Pröbsten an der Spitze, 61 griechische Land kirchen mit ebensoviel Priestern in Tätigkeit, in Riga ein wohl dotiertes Priesterseminar und als Gewinn an Seelen 97 992 Personen, die sich der griechischen Kirche verschrieben hatten 1 ). Diesen konfessionellen Wirren gingen die gleichfalls sehr beunruhigenden Bemühungen Uwarows um Russifizierung der Schulen parallel, die durch den völlig ungebildeten Kurator des alle drei Provinzen umfassenden Dorpater Lehrbezirks, Generalleutnant G. von Crafftström"), vertreten wurde. Trotz aller Willkür, unter dei namentlich die Universität Dorpat zu leiden hatte, scheiterten diese Bestrebungen, nächst dem passiven Widerstande, der ihnen überall im Lande entgegentrat, vornehmlich daran, daß es in Rußland an Lehrkräften fehlte, die der Aufgabe gewachsen gewesen wären. Auch nach dieser Richtung brachte das Jahr 1848 eine freilich nur geringe Wendung zum Besseren, da dem Kaiser daran lag, die monarchischsten und konservativsten Elemente seines Reiches sich nicht, zu entfremden. Die "Vergewaltigung der russischen Ostseeprovinzen. Appell an das Ehrgefühl des Protestantismus. Von einem Balten (Theodor Schiemann). Berlin 1886. Verlag von A. Deubner. ') Neander: Die deutsche Universität Dorpat. 3. Aufl. Leipzig 1882.

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Ein merklicher Fortschritt ist in diesen Jahren jedoch durch die von langer Hand vorbereitete Agrarreform Estlands vom 13. Juli 1846 erreicht worden, durch welche die estländische Ritterschaft, unter Vorbehalt ihres Eigentumsrechtes an allem ihr gehörigen Lande, einen bestimmten Teil desselben dem Bauernstande zu unentziehbarer Nutzung überwies 1 ). Damit war, was dem Kaiser als Ideal für Rußland vorschwebte, in dieser deutschen Provinz erreicht. Eine Tatsache, der gegenüber die ergebnislosen Beratungen der russischen Agrarkommissionen in recht verschwimmendem Lichte erscheinen. Die livländische Agrarreform folgte 1847 durch Landtagsbeschluß, wurde jedoch erst am 20. November 1850 in Wirksamkeit gesetzt. In diese Zeit religiöser Propaganda und nationaler Verschmelzungsbestrebungen fällt der Besuch des jüdischen Philanthropen Sir Moses Montefiore in Petersburg. Er traf dort Ende März ein und wurde im Hinblick auf seine Verwandtschaft mit den englischen Rothschilds und dank der Fürsprache des Botschafters Lord Bloomfield von Perowski und anderen hohen russischen Beamten sehr zuvorkommend empfangen. Man schien seinen Bemühungen um Besserung der rechtlichen und materiellen Stellung der russischen Juden volles Verständnis entgegenzubringen. Kisselew teilte ihm sogar den Entwurf eines Ukases mit, der dieser Tendenz Rechnung tragen sollte, und forderte ihn auf, mit seinen kritischen Bemerkungen nicht zurückzuhalten. Auch Nikolai überwand seine tiefwurzelnde Abneigung gegen alles Jüdische und gewährte Montefiore eine Audienz. Was er erreichte, war die Erlaubnis, nach Warschan zu fahren und sich dort über die Lage der polnischen Juden zu orientieren. Im Februar hatte ein Befehl Paskiewitschs das Tragen jüdischer Kostüme für die Zeit nach dem 1. Januar 1850 untersagt und, wie begreiflich ist, damit in den polnisch-jüdischen Kreisen wahres Entsetzen hervorgerufen. Die althergebrachte Tracht erschien ihnen wie ein wesentliches Stück im Zusammenhang ihres religiösen J

) Alles Nähere über den weiteren Ausbau der hier angebahnten Reform findet sich bei Axel von Gernet: Geschichte und System des bäuerlichen Agrarrechts in Estland. Reval 1901. Das Detail der Reform wurde auf dem nächsten estländischen Landtage ausgeführt. Für Livland gibt es eine vortreffliche parallelgehende Arbeit von Tobien: Die Agrargesetzgebung Livlands im .19. Jahrh. Band II, Riga 1911, für die ältere Zeit von A. von Transehe: Gutsherr und Bauer in Livland im 17. und 18. Jahrhundert. Straßburg 1890.

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Lebens. Montefiore freilich, war unter dem Einfluß englischer Kultur wahrscheinlich ganz anderer Ansicht. Mitte Mai traf er in Warschau ein und sprach sich dem englischen Generalkonsul gegenüber sehr dankbar über den gnädigen Empfang aus, den er beim Kaiser gefunden hatte. Unter der elenden Judenschaft der polnischen Hauptstadt erregte seine Anwesenheit ungeheures Aufsehen und ausschweifende Hoffnungen. Das Hotel, in dem er abgestiegen war, wurde vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein buchstäblich belagert. Die Polizei, die sonst jede größere Ansammlung von Menschen auseinandertrieb, duldete dieses Treiben, was als Zeichen, wie sehr Montefiore begünstigt wurde, Aufsehen erregte. Die Lage der Juden zu bessern vermochte er nur so weit, als seine großartige Freigiebigkeit das Elend vieler minderte 1 ). Eine zweite Audienz beim Kaiser wurde ihm jedoch nicht gewährt, und wie wenig Nikolai geneigt war, seine Politik den Juden gegenüber zu ändern, zeigte sich, als im Sommer des nächsten Jahres ein anderer Verwandter der englischen Rothschilds, W. Davidson, der zugleich Agent der Firma war, sich um die Erlaubnis bemühte, in Petersburg als Kaufmann Fuß zu fassen. Lord Bloomfield gab sich die größte Mühe, ihm unter der Hand dabei behilflich zu sein, wagte es aber nicht, ihn offiziell zu unterstätzen, da ihm der Kaiser in Peterhof, wo er mehrere Tage als Gast Nikolais verbrachte, zu verstehen gab, daß er den Juden nicht wohlgesinnt und entschlossen sei, an der Gesetzgebung Peters d. Gr. festzuhalten auch weder Herrn Davidson, noch sonst einer Person jüdischer Religion Zugeständnisse zu machen 2 ). Der Kaiser war im März in Moskau gewesen, wo er den inzwischen fast vollendeten Anbau und Ausbau des Kreml besichtigt hatte 3 ), „As to the poor Jews themselves they look upon him and actual call him their Messias." Du Plat 15. Mai 1846. 3 ) Relation Bloomfield 28. Juni 1847. „That he had no great feeling foi the Jews and was resolved not to change the law of Peter the Gr. or make any concessions in favour of Mr. Davidson or any person professing the same religion." Nikolai an die Kaiserin. Moskau 8./20. März 1846. »La Granowitaja achevée, la salle de St. Wladimir — achevée, la salle de St. George — achevée. C'est magnifique, gigantesque et superbe. J'ai parcouru tout. Tout est en voie d'achèvement, et pour l'hiver prochain presque tout sera fini et bien fini. Ce n'est que maintenant que l'on peut juger de l'immensité de l'entrepris« et de la beauté de l'exécution qui surpasse tout ce que l'on peut désirer".

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danach, durch den Verlauf der polnischen Krisis an Petersburg gefesselt, erst am 14. Mai wiederum nach Moskau aufgebrochen, um von dort aus der Kaiserin entgegenzufahren. In Warschau verweilten sie acht Tage. Am 2. Juni verließ er die Stadt, nicht ohne vorher einen neuen Schlag gegen Polen vorbereitet zu haben. Unmittelbar nach1 der Abreise Nikolais wurde ein Ukas veröffentlicht, der alle Gymnasien in Warschau für geschlossen and aufgehoben erklärte. Daß diese Maßregel wahres Entsetzen erregte, ist wohl verständlich. Die Gymnasien in den übrigen größeren Städten Russisch-Polens, in Summa sieben, genügten keineswegs, um die Bedürfnisse des ganzen Landes zu befriedigen, und konnten als Ersatz der Warschauer Gymnasien nicht in Betracht kommen, mit denen zwei Klassen verbunden waren, in welchen die Elemente der Jurisprudenz gelehrt wurden. Dazu kam eine polytechnische Schule, die in hohem Ansehen stand, und die nun gleichfalls geschlossen wurde. Das Polytechnikum und die juristischen Klassen hatten bisher eine Art Ersatz für die von Nikolai aufgehobene Universität geboten. Nunmehr war jede weitere Ausbildung der polnischen Jugend abgeschnitten, zumal die Elementarschulen auf ganz niedriger Stufe standen, und ein Ukas vom 5./17. Juli 1844 allen jungen Leuten unter 25 Jahren das Ausland verboten hatte. Daß eine tiefe Erbitterung durch das Land ging, ist begreiflich. Die Veranlassung für den Ukas war die Anzeige einiger Schüler, daß sie die Absicht gehabt hätten, Paskiewitsch oder den Kaiser zu ermorden. Eine daraufhin erfolgte Haussuchung und eine Personal-Untersuchung, die an sämtlichen Gymnasiasten gleichzeitig vorgenommen wurde, führte zur Konfiskation von vier Messern — Dolchen, wie die Polizeibeamten meldeten 1 ). Dieser Warschauer Episode folgte die Hochzeit in Petersburg. Sie wurde mit mehr als gewöhnlichem Prunk gefeiert, und das junge Paar blieb noch bis in den September hinein in Peterhof, weil der Kaiser den Geburtstag der Tochter noch in Rußland gefeiert wissen wollte. Es ist jedoch charakteristisch, daß Nikolai dem Fürsten Paskiewitsch in Anlaß der württembergischen Heirat schrieb, die Die französischen Gesandtschaftsrelationen für 1845 bis 1846 sind mir vorenthalten worden, offenbar wegen der Parteinahme Frankreichs für die Erhebung der Polen in Posen, Krakau und Rußland. S o h i e m a n n . Geschiohte Rußlands.

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Hochzeit werde weder in Berlin, noch in Wien gefallen. Den Österreichern trug er die gescheiterte Heiratsverhandlung, Friedrich Wilhelm IV. seine Verfassungspläne nach. Eine Begegnung mit dem Schwager hatte er abgelehnt, obgleich der König versprochen hatte, von seinen Plänen über Ausbau einer reichsständischen Verfassung nicht zu reden, und sowohl die Kaiserin, wie der preußische Militärbevollmächtigte, Generalmajor von Rauch, und der neue Gesandte am Petersburger Hofe, von Eochow, sich bemühten, ihn umzustimmen. „Der Kaiser", schrieb Rauch am 8. August 1846 dem Könige, „hörte mich aufmerksam an und erwiderte mir dann noch einmal, daß eine Zusammenkunft mit E. K. M., ohne diese Gegenstände zu berühren, eine nicht zu tragende Last für beide gewesen und jedes vertrauliche Gespräch unmöglich gemacht haben würde. Überhaupt kann ich nur wiederholen, daß ich den Kaiser sehr ernst und still finde, und daß ihn die Zeitverhältnisse sowie alles, was Preußen angeht, viel mehr beschäftigen, als er es ausspricht, und daß ich ihn, wenn er sich doch zuweilen verleiten läßt, diesen Gegenstand zu . berühren, viel weniger aufgeregt als früher, aber viel betrübter und schmerzlicher bewegt finde. Auch der Feldmarschall, der abgereist ist, beschäftigt sich unaufhörlich mit diesen Gedanken. Den Tag vor seiner Abreise bat er mich, ihm doch offen zu sagen, ob ich glaube, daß es in Preußen zu einer Konstitution komme, auf meine Antwort, daß, was beabsichtigt werde, keine Konstitution sei, sagte er mit einem Seufzer: „Croyez-moi, notre position en Pologne deviendra très difficile, si le Roi exécute ses projets. " Damit berührte Paskiewitsch die Seite der preußischen Politik, die als eine aktuelle Gefahr den Kaiser noch mehr beunruhigte, als die Verfassungspläne des Königs 1 ). Schon während der polnischen Krisis der Jahre 1840 und 1841 hatten in Posen und 03tgalizien Vorbereitungen zu einer Erhebung stattgefunden, welche die alte Utopie, Polen in den Grenzen von 1772, zum Ziel nehmen sollte. Zur Ausführung reifte der Plan, als Ludwig Mieroslawski die Leitung der demokratischen polnischen Gesellschaft, die ihren Sitz nach wie vor in Paris hatte, in seine Hände nahm. Eine Reise nach Posen, die er im März 1845 unternahm, um die seit vier Jahren bestehenden „Kreise" der Organisation zu ') Das Folgende nach den Akten des Berliner Geheimen Staatsarchivs.

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inspizieren, zeigte ihm eine Stimmung, mit der er zwar zufrieden war, die er aber doch zu ungeduldig fand. Er erklärte, daß es unmöglich sei, vor 1846 loszuschlagen, hatte aber den Eindruck gewonnen, daß es leichter sein werde, auf preußischem und österreichisch-galizischem Boden als in Rußland die Mannschaften für das Unternehmen zu gewinnen. Als er im Herbst 1845 nach Versailles zurückkehrte, berichtete er, daß zwar noch nicht alles bereit sei, der Ausbruch sich aber nicht mehr vermeiden lasse. Man solle die Vorbereitungen zum Kriege beschleunigen; vor allem seien Geld, Waffen und Proviant zu beschaffen. Zwei neue Delegierte, Malinowski und Alziato, die nach Posen geschickt wurden, stießen aber auf eine so entschiedene Abneigung, Geldopfer zu bringen, daß sie bei ihrer Rückkehr auf das ernstlichste vor Abenteuern warnten. Auch war einer der Agenten Mieroslawskis, Stepanski, verhaftet worden. Trotzdem gab Mieroslawski seinen Plan nicht auf. Am 31. Dezember 1845 finden wir ihn •wiederum in Posen. Sein Kriegsschatz betrug nur 2000 Rubel, aber er hoffte mit Hilfe von Trommeln und Kanonen eine größere Opferwilligkeit zu finden, wenn erst die Erhebung begonnen habe. Es haben dann im Januar 1846 erst in Posen, dann in Krakau die Häupter der Organisation Zusammenkünfte abgehalten und eine provisorische Regierung gewählt: Alziato, Dr. Libelt, der Galizier Tyssowski. Oberkommandierender des Gesamtaufstandes sollte Mieroslawski sein, während das militärische Kommando für Galizien dem Grafen Wesselowski, für Krakau und Oberschlesien dem Professor Gorezkowski übertragen, wurde. Am 21. Februar 1846 sollte die Gesamtoffensive zur Befreiung Polens überall gleichzeitig erfolgen. Erst kurz vorher wurde der reiche Posener Gutsbesitzer Broneslaw Dombrowski zum militärischen Leiter der für Posen und das rechte Weichselufer geplanten Operationen bestimmt. Da der russische Anteil der polnischen Erhebung ihm zufallen sollte, müssen wir ihn näher kennen lernen. Der junge, nach Erziehung und Anlage ganz unpolitische Mann war systematisch umgarnt worden. Er hatte in Dresden, Leipzig und Berlin eine ganz deutsche Erziehung erhalten, hatte als Freiwilliger in der Garde-Artillerie gedient und war danach auf seine Güter im Posenschen gezogen. Als Sekondeleutnant der Posener Landwehr war er König Friedrich Wilhelm III. vorgestellt worden, ein stattlicher junger Mann, von großem Vermögen und geringen Kenntnissen. 1842 hatte er eine 6*

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reiche Erbin aus der Familie der Lonecki geheiratet, die ihm eines der einträglichsten Güter im Warschauschen, Kuflow, zubrachte. Die Familie der Frau stand in den besten Beziehungen zu Paskiewitsch, upd alle Überlieferungen der Familie wiesen auf die Gruppe der Weißen hin, deren Patriotismus einen mehr theoretischen als revolutionären Charakter trug, und über deren Kopf hinweg der Aufstand erfolgte. Ihn zu gewinnen war Mieroslawki schon während seines ersten Aufenthalts in Posen bemüht. Nun umfaßte die Organisation der patriotischen Gesellschaft um jene Zeit bereits den gesamten polnischen Adel, die Geistlichkeit und, soweit sie vorhanden war, auch die polnische Bürgerschaft der Städte, dazu die Emigranten, die durch ganz Europa verstreut waren. Nur die polnischen Bauern standen unwissend und apathisch beiseite. Auch die Bninski, Verwandte Dombrowskis, gehörten zu den Verschworenen. Er wurde bewogen, einen Jockeiklub bei Schwerin a. W. zu gründen, und hier drängten sich die Verschworenen an ihn heran, die Sulkowski, Myc-ielski, Wggierski. Man schmeichelte seiner Eitelkeit und als schließlich die Anforderung an ihn herantrat, die Leitung zu übernehmen, war er schwach genug zuzusagen, obgleich er sich bewußt war, der militärischen Aufgabe nicht gewachsen zu sein: Was man von ihm erwartete, war, die Festung Iwangorod und die Stadt Siedlec zu überrumpeln und die Verbindung einerseits mit Litauen, andererseits mit Samogitien aufrechtzuerhalten. Zwei andere Verschworene, Roer und Mogdzinski, übernahmen sich Wilnas, Slonims und Brest-Litowsks zu bemächtigen. Mit dem erbärmlichsten Kriegsplane, der je entworfen worden ist, ohne Geld, ohne Mannschaft, ohne Waffen, wurde Polen so in das Abenteuer einer Revolution gestürzt, die noch weit kopfloser war, als die des 29. November 1830. Auf alle Fragen, die er an seine Berater richtete, erhielt Dombrowski den gleichen Bescheid, im geeigneten Augenblick werde er alles bereit finden. Am 7. Februar 1846 brach Dombrowski auf, in Begleitung eines Patrioten, der beauftragt war, ihn nicht aus dem Auge zu verlieren. Am 10. traf er in Warschau ein, wo ihn Frau Therese Kossowska, eine energische junge Witwe, durch bewundernde Schmeichelei und phantastische, völlig unwahre Angaben über die großartigen Vorbereitungen, die im Königreich Polen für die Abwerfung des russischen Joches getroffen seien, so völlig betörte,

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daß er sich nun wirklich aufmachte, um Iwangorod zu nehmen. Als er am 13. in Kuflow eintraf, fand er dort acht Flinten und einige begeisterte junge Leute, Studenten und kleine Beamte, einen gewissen Ruprecht und den jungen Pantaleon Potocki, übrigens nicht Angehörigen der bekannten polnischen Magnatenfamilie, der sich erbot, Siedlec zu nehmen. Dombrowski sammelte seine Bauern unter dem Vorwande einer Treibjagd; es waren keineswegs kriegslustige Leute, denen nichts ferner lag als eine Empörung gegen die russische Regierung. Aber Dombrowski hoffte sie im letzten Augenblick mit sich fortzureißen. So kam jener 21. Februar heran, an dem die Befreiung des Polen von 1772 erfolgen sollte. Pantaleon Potocki war soeben auf Schlitten gegen Siedlec aufgebrochen und Dombrowski im Begriff, mit seiner kleinen Schar gegen Iwangorod zu ziehen, als er einen Brief seiner Frau aus Warschau erhielt, der ihm die Nachricht brachte, daß Mieroslawski mitjden Häuptern der Verschwörung gefangen genommen sei. Alles sei verloren, er möge das wahnsinnige Unternehmen aufgeben und nach Preußen entfliehen. Einen Paß wolle sie ihm besorgen. In der Tat war Mieroslawski schon am 12. Februar, als er gerade im Bade saß, iu Posen verhaftet worden, und bei ihm war eine Liste aller Teilnehmer an der Verschwörung gefunden worden. Trotzdem wäre unter dem Druck und schließlich den Drohungen seiner Umgebung Dombrowski gegen Iwangorod aufgebrochen, wenn nicht im entscheidenden Augenblick seine Frau in Kuflow eingetroffen wäre, um ihm selbst den Paß zu bringen, dessen er zur Flucht bedurfte. Das Ganze lief schließlich in eine Faroe aus. Man stellte Ruprecht und seinen Genossen Schlitten zur Verfügung und fand sie mit einer Geldsumme ab. Dombrowski aber fuhr mit seiner Frau an Iwangorod vorbei, der preußischen Grenze zu. Es glückte ihm, sie zu überschreiten, und auf den Rat seines Schwagers, des Feldmarschall-Leutnants Polomniki, hat er sich selbst den preußischen Behörden gestellt und ein rückhaltloses Bekenntnis abgelegt, das, kombiniert mit den Papieren und Aussagen Mieroslawskis, die preußische Regierung und durch sie auch die russische und österreichische über Ziele, Umfang und Personalbestand der Verschwörung auf das genaueste orientierte. Inzwischen hatte Potocki wirklich versucht, Siedlec zu überrnmpeln. Von den Bauern waren ihm schließlich neun gefolgt, und auch von diesen machten sich noch zwei aus dem Staube, bevor sie

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die Stadt erreichten. Das ganze Unternehmen scheiterte kläglich. Es gelang den Verschworenen, einige russische Soldaten niederzumachen. Dann wurden sie selbst gefangengenommen und nach summarischem Prozeß bestraft. Drei mit dem Tode am Galgen, unter ihnen Potocki, drei andere mit Spießruten und Zwangsarbeit'), in Warschau wurde der Belagerungszustand verkündet, und — eine echt russische Maßregel — der Befehl erlassen, daß alle Bauern ihre Sensen einliefern sollten. In Posen waren gleich anfangs sechs Geistliche verhaftet worden. Der Versuch, den ein Karmelitermönch Lobodski machte sich Stargards zu bemächtigen, scheiterte' daran, daß die von ih zum Glaubenskrieg aufgerufenen Bauern auseinanderliefen, sobald sie erfuhren, daß man sie gegen die Regierung führen wolle. Danach hat der Dzialinskische Oberförster Troszczynski die Zitadelle von Posen, Fort Winiary, zu nehmen versucht. Aber nach de« ersten Schüssen lief der etwa 90 Mann zählende Haufe auseinander; 45 von ihnen wurden mit den Waffen in der Hand gefangen genommen. Auch haben zahlreiche Verhaftungen stattgefunden. Von den unter Anklage Gestellten wurden acht zum Tode verurteilt, die übrigen zu längerer oder kürzerer Festungshaft. Aber der König hat alle Strafen gemildert und die Todesurteile nicht bestätigt. Weit blutiger ist der Verlauf im Mittelpunkte der Verschwörung, Krakau, gewesen. Auch dort zeigte sich, als der Tag der Entscheidung nahte, daß nichts recht vorbereitet war. Es fehlte an Geld und Waffen für ein so groß geplantes Unternehmen, dagegen waren die Österreicher von Paris her davon unterrichtet, daß ein Aufstand sich vorbereite. Am 18. Februar rückte infolgedessen der General Collin mit 1000 Mann in Krakau ein, wodurch tatsächlich jede Erhebung unmöglich geworden war. Auch wurden die Verschworenen kleinlaut; sie hatten nur noch drei Tage Zeit, und Alziato versprach alles, was an ihm liege, zu tun, um den Ausbruch zu verhindern. Schon war der Beschluß gefaßt, überallhin Kuriere zu senden, um Ruhe zu gebieten, da *) „Das Urteil lautet für acht der Aufständischen: zum Tode verurteilt; wegen des Anschlages auf Siedlec wurden zwei aufgeknüpft, vier anderen der Strick um den Hals gelegt und danach die Begnadigung zur Zwangsarbeit verkündigt, für einen gingen Spießruten der Verschickung in die Bergwerke voraus." Bericht du Plats vom 18. März.

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ist im letzten Augenblick infolge des Widerspruchs von Tyssowski und Gorczkowski und unter dem Eindruck eines großen Gelages, zu welchem die Führer sich zusammengefunden hatten, alles wieder rückgängig gemacht worden. In der Nacht vom 20. auf den 21. Februar brach der Aufstand wirklich aus. Die kleinen Haufen bewaffneter Polen, die in die Stadt eindrangen, wurden aber von den Österreichern überall zurückgeschlagen, und die erbitterten Truppen machten in den Häusern, aus welchen auf sie geschossen wurde, alles bis auf den letzten Mann nieder. Es war nicht daran zu denken, daß die Aufständischen Herren der Stadt blieben, wenn Collin seine Pflicht tat. Aber Collin versagte vollständig. Am 22. Februar verließ er, durch falsche Gerüchte geängstigt, mit seiner Mannschaft Krakau, mit ihm der Senatspräsident der Republik, der Bischof von Krakau und die Residenten der Schutzmächte. Damit war den Aufständischen zu ihrem Unheil ein unverdienter Triumph zugefallen. Tyssowski warf sich am 28. Februar zum Diktator auf und proklamierte die Unabhängigkeit Polens, in Wirklichkeit aber herrschte der von Dombrowski geleitete Demokratische Klub, von dem eine Reihe unsinniger Verordnungen und Manifeste ausgegangen ist 1 ). Die Österreicher seien schon auf der Flucht, zwanzig Millionen Polen im Begriff, sich zu erheben und ganz Galizien in Flammen. Das letztere war richtig, aber es waren die Flammen eines von der österreichischen Regierung geförderten und besoldeten Bauernaufstandes, der unter entsetzlichen Ausschreitungen sich gegen die polnischen Gutsherren richtete. Furchtbar wütete vor allem die Bande des Jakob Szela, eines ehemaligen österreichischen Unteroffiziers, der mit der unbarmherzigen Vernichtung des ganzen Geschlechtes der Bogusz sein blutiges Werk begann. Der blinde Schrecken, den die Haufen der Bauern erregten, wurde noch dadurch ge* steigert, daß jetzt österreichische Truppen unter Führung des Obersten Benedek am 26. Februar mit freilich nur 300 Soldaten» aber durch Bauern, die mit Sensen und Heugabeln bewaffnet waren, verstärkt, sich gegen die inzwischen aus dem flachen Lande zusammenströmenden Aufständischen wandten. Tyssowski, der sioh ihnen von Krakau her angeschlossen hatte, wurde mit ihnen bei Gdow geschlagen und entkam mit einigen Begleitern nach Preußisch^ Abschaffung aller Titel, Ausrottung der Szlaclita.

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Schlesien. Der ganze Aufstand war damit kläglich gescheitert Er hatte aber noch ein politisches Nachspiel von großer Tragweite. Nikolai hatte am 24. Februar durch den russischen Militärbevollmächtigten Mansurow den ersten Bericht über die in Posen entdeckte Verschwörung erhalten, am 28. wußte er von den Ereignissen in Galizien und hielt mit seiner Freude „über die neuen Torheiten der Polen" nicht zurück 1 ), zugleich sah er darin eine gerechte Strafe für die Haltung Friedrich Wilhelms IV. den Polen gegenüber. Der Schuß in Posen gegen seine Wagen sei das Vorspiel dazu gewesen. „Aber", schrieb er der Kaiserin, „wird Fritz jetzt fester sein? Jedenfalls ist es gut, daß ihm jetzt die Möglichkeit genommen ist, an der Gesinnung dieser unverbesserlichen Kanaillen zu zweifeln." Ein Ukas, den er dem Feldmarschall schickte, befahl, daß mit Aufrührern nach den Bestimmungen des Feldgerichts verfahren werden solle, und als er erfuhr, daß Collin Krakau geräumt habe 2 ), befahl er, daß der General Panjutin ohne Zögern vorgehen und die Stadt einnehmen solle. Verteidige sie sich, so solle er durch Beschießung die Übergabe erzwingen. Wenn nötig, seien sogleich Reservisten einzuziehen. Infolge der Nachricht, daß preußische Truppen unter dem Kommando von Brandenburg gleichfalls im Anmarsch seien, befahl er, daß Panjutin sich ihnen gegenüber freundschaftlich verhalten, aber weder ihnen, noch sonst jemandem gestatten solle, Krakau zu nehmen, „coûte que coûte". Es sei nicht „um so besser", wenn sie sich ergäben. Im Gegenteil! Di« Stadt muß mit Gewalt und „durchaus" genommen werden. Groß war daher sein Jubel, als am 3. März die russischen Truppen einige Stunden vor den Österreichern und Preußen ihren *) Korrespondenz Nikolais mit Paskiewitsch, die Briefe vom 24. Januar, 28. Februar, 2., 4., 6., 8., 12., 15., 26., 28., 30. März. Dazu seine Briefe an die Kaiserin vom 24. Februar, 25. Februar, 5., 7., 13., 20., 22., 30. März. *) Paskiewitsch habe ihm geschrieben, daß: „notre détachement contre Cracovie était en marche. Le général autrichien Collin, qui s'était fort sottement pris, se retira en Moravie, d'où de forts secours étaient en marche, l'on ne sait pas qui commande les rebelles, mais l'on sait que tout est dirigé de France et de Belgique. Metternich a été muni à Vienne de pôuvoirs discrétionnaires pour le moment. Je leur ai toujours prédit que dans des moments semblables leur pitoyable régime ne pourrait pas marcher, qu'il fallait un pouvoir pour agir et non pour délibérer." An die Kaiserin 5. März 1846, Petersburg. Die Nachrichten Nikolais folgten den Ereignissen 4—5 Tage nach.

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Einzug in Krakau halten konnten. Die Stadt hatte es nicht gewagt, Widerstand zu leisten und empfing Panjutin mit den Rufen: „Es lebe der Kaiser von Rußland 1 )." „Ich kann Dir", schrieb er an Paskiewitsch, „meine Freude nicht ausdrücken, daß wir unter der Nase der aus Krakau vertriebenen Österreicher früher als alle gekommen sind und Krakau besetzt haben. Auch freue ich mich von Herzen über das Verhalten der Bauern bei uns. Belohne sie freigebig und gib den eifrigsten Medaillen. Mir scheint, daß die galizischen Bauern den Kommunismus — denn das ist es — auf ihre Art verstehen, d. h. die Gutsbesitzer unter jedem gesetzlichen Yorwande umbringen." Er habe am 8. März nach Berlin und Wien geschrieben, daß er die Vernichtung des Freistaats Krakau fordere, und wenn Österreich ihn nicht nehmen wolle, wie in Teplitz abgemacht sei, werde er selbst Krakau nehmen, „denn wir sind eingezogen". Engländer und Franzosen könnten protestieren; aber da sie Belgien wegen der Revolution den Holländern genommen hätten, so sei auch Rußland im Recht, wegen dei Revolution „dieses schädliche Nest" zu vernichten. Nebenher gingen Ermahnungen an Paskiewitsch, vorsichtig zu sein und sich des Anschlags auf Schloß Belvedere am 29. November 1830 zu erinnern. Ein wahnsinniger Angriff sei auch jetzt möglich, deshalb befehle er ihm, sich zu schonen. Beim ersten Versuch einer Erhebung in Warschau solle er sogleich die Esplanade der Zitadelle freimachen. Das Zartum, Warschau, Wolhynien und Podolien seien in Kriegszustand zu versetzen®), die Reservisten sofort einzuberufen, das 4. Korps sei kampfbereit, werde auch das 2. Korps nach Polen gezogen, so solle er die 2. Division des 1. Korps nach Litauen und die 1. Division nach *) „Cracovie a été occupée par n o s t r o u p e s . . et c'est au cri de „Vive l'Empereur de la Russie" qu'elles ont été reçues. Les Autrichiens étaient vis-à-vis, mais n'ont pas jugé à propos d'y entrer, et ce n'est que quand nous eûmes occupé la ville qu'ils commencèrent à placer le pont. Les Prussiens n'avaient pas paru encore, et ainsi c ' e s t n o u s qui a v o n s occupé Cracovie Je suis fier que ce soient n o s t r o u p e s qui sont les premiers entrées: cela me donne d'autant plus le droit de parier haut et de dire ce que je veux. N'en déplaise aux Autrichiens, leur rôle n'est pas honorable dans tout cela. En Prusse l'on a fait grand bruit et au bout du «ompte l'on n'a encore rien fait." Àn die Kaiserin 7. März 1846. 2 ) Das war bereits durch Ukas vom 21. Februar 1846 geschehen.

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Kiew schickeD, damit das 4. Korps frei sei. Alle Dislokationen seien schon jetzt vorzunehmen, bevor die Wege schlecht würden. Falls ein Eingreifen Rußlands in Galizien nötig werde, so sollen nicht kleine Abteilungen, sondern zwei Korps vorgehen, „damit unser Erscheinen wie ein Gewitter alles niederwirft". Diese am 4. März erteilte Instruktion brauchte nur zum geringeren Teil ausgeführt zu werden. Immerhin hatte Paskiewitsch die Ermahnungen des Zaren nicht unbeachtet gelassen. In Warschau wurden alle Wachen verdoppelt, im Schloß Belvedere, auch in den inneren Räumen, Schildwachen aufgestellt und Patrouillen durchzogen die Straßen der Stadt nach allen Richtungen. Eine Proklamation schärfte den Truppen ein, niemals in einem Zimmer allein zu schlafen und ihre Waffen bereit zu halten, wenn sie in Privatwohnungen einquartiert seien. Die Besetzung Krakaus durch Panjutin und das Scheitern der törichten Anschläge von Dombrowski und Potocki hatten weitere Maßregeln bereits überflüssig gemacht, und nach Verkündigung des Standrechts in den möglicherweise gefährdeten Gebieten war das Augenmerk des Kaisers vornehmlich darauf gerichtet, Bauernaufstände zu verhindern. Er fürchtete nicht ohne Grund, daß sie ansteckend auf die erregte und unzufriedene Bauernschaft Rußlands einwirken könnten, und war mit der drakonischen Bestrafung der Teilnehmer am Anschlage auf Siedlec sehr einverstanden; das dort statuierte Exempel werde gut gewirkt haben. Ebenso freut er sich, daß die österreichische Regierung die Güter des Fürsten Adam Czartoryski konfiszierte. Er hofft, daß damit der entscheidende Schlag gegen die Emigration geführt sei. In einem wesentlichen Punkte aber war er anderer Ansicht als Paskiewitsch. Der Fürst Statthalter war für die Annexion Krakaus durch Rußland eingetreten. Nikolai blieb dabei, daß Krakau den Österreichern zufallen müsse, entwickelte aber daneben einen merkwürdigen Gedanken. Er sei bereit, schrieb er am 26. März aus Moskau, wenn Osterreich ihm Galizien überlassen sollte, als Tausch dagegen alles Land an Bzura und Weichsel, also das gesamte westliche Gebiet, Kongreßpolen, zu geben, denn Galizien „ist unser altes Land". Die Österreicher haben ihm den Gefallen nicht getan, mit dem Gedanken der Abtretung Galiziens ihm entgegenzukommen, tmd so blieb jener geplante Ländertausch ein in dem russischen Staatsarchiv vergrabenes Geheimnis. An sich kann der Gedankengang Nikolais nicht wundernehmen; er bewegte sich in der-

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selben Richtung wie im Juni 1831, als Orlow den Auftrag erhielt, festzustellen, ob Preußen und Österreich willig seien, ihm das Land jenseits von Narew und Weichsel abzunehmen 1 ). Der Kaiser war damals erst von Paskiewitsch darauf gebracht worden, für eine solche Abtretung polnischen Gebiets eine Entschädigung zu fordern, und an der ablehnenden Haltung des Feldmarschalls Gneisenau war der Gedanke gescheitert, noch bevor wirkliche Verhandlungen angeknüpft wurden. Verlassen hat er den Kaiser jedoch keineswegs; Polen war ihm zu einer Last geworden, die er gern abgewälzt hätte, und die ruthenische Bevölkerung Galiziens dem Reich anzuschließen, entsprach dem nationalen Uniformitätsprogramm, das ihm als politisches Ideal vorschwebte. Es blieb demnach bei der Einverleibung des Krakauer Freistaats in die habsburgische Monarchie, aber es war nicht so einfach, dieses Ziel zu erreichen, als es dem Kaiser selbstverständlich schien. Die Grundlage für die Vernichtung der Selbständigkeit dieses letzten Überbleibsels der Republik Polen bildeten mündliche Vereinbarungen der Monarchen der drei Teilungsmächte in Teplitz, die danach im Berliner Protokoll vom 14. Oktober 1835 schriftlich niedergelegt worden waren. Man hatte sich damals darauf verständigt, daß, um Schwierigkeiten zu entgehen, welche die übrigen Unterzeichner der neuen Kongreßakte erheben könnten, die Republik Krakau bewogen werden sollte, selbst um Einverleibung in einen der Teilungsstaaten zu bitten. Diese Bitte werde genehmigt, und danach die Vereinigung mit den Staaten Seiner Apostolischen Majestät vollzogen werden, vorbehaltlich etwaiger Berichtigungen an den Grenzen von Preußisch-Schlesien, auf welche Preußen Anspruch erheben könnte 3 ). Der Aufstand in Krakau schien nun dem Kaiser den geeigneten Vorwand zu bieten, um den vor elf Jahren gefaßten Anschlag zur Ausführung zu bringen. Er beauftragte Nesselrode, in diesem Sinne nach Berlin und Wien zu schreiben, während gleichzeitig Metternich das russische Kabinett bat, Preußen gegenüber den ersten Schritt zu tun, um den König für die Auflösung des Freistaates zu gewinnen. Nikolai schickte darauf den Generaladjul

) Geschichte Rußlands unter Nikolaus I., Band III, pg. 120—122. *) Martens, Recueil des Traités et Conventions de la Russie Band IV Nr. 138.

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tanten Berg nach Berlin mit einem eigenhändigen Schreiben an den König und mit Instruktionen, die Paskiewitsch in Warschau formulieren ließ: Friedrich Wilhelm solle den von seinem Vater eingegangenen Verpflichtungen nunmehr gerecht werden und der Annexion Krakaus zustimmen. Der ostensible Auftrag Bergs lautete auf Mitteilung der Tatsachen, die in Warschau über die Verzweigungen des Komplotts bekannt geworden waren, und auf Beratung über die gemeinsamen Interessen der drei Mächte 1 ). Leicht zu erreichen war die Hauptsache keineswegs, einmal wegen der Haltung des Königs, dem das nicht zu vermeidende falsche Spiel in Krakau zuwider war, danach aber auch wegen der Sympathien, welche die deutsche Presse den polnischen Bestrebungen entgegenbrachte, endlich infolge der bekannten Richtung der französischen und der englischen Politik. Auch sprachen die Handelsinteressen Preußens gegen die Annexion durch Österreich. Trotz des Berliner Protokolls hatte das Berliner Kabinett schon 1842 Schwierigkeiten wegen des Eintritts Krakaus in das österreichische Zollsystem erhoben. Bülow hatte sogar die Existenz dieses Protokolls bestritten, es war erst nachträglich im Archiv wieder aufgefunden worden. Berg war daher beauftragt, im äußersten Fall zu erklären, daß der Kaiser entschlossen sei, auch abgesehen vom Verhalten beider Bundesgenossen, Krakau nicht in die Lage eines unabhängigen Staates zurückkehren zu lassen. Zur Unterstützung Bergs schickte Metternich den General Grafen Ficquelmont nach Berlin, aber die Verhandlungen nahmen trotzdem zunächst nicht den erwünschten Verlauf. Der König suchte die Teplitzer Verpflichtungen abzuweisen und schlug vor, durch Reformen die Gefahren zu beseitigen, die man von der Fortexistenz des Freistaates befürchte. Auch fiel es schwer, ihm die Bedenken zu nehmen, die er aus dem Widerspruch zwischen den älteren Verpflichtungen des Wiener Kongresses und den Abmachungen von 1835 schöpfte. Erst allmählich gelang es den vereinigten Bemühungen von Berg und Ficquelmont, den König und Canitz zum Nachgeben zu bewegen. Am 15. April 1846 wurde ein Protokoll unterzeichnet, das, ohne die Abmachungen von Töplitz und das Berliner Protokoll zu erwähnen, die Einverleibung von Krakau in Das geschah, um die Absichten Nikolais zu verschleiern: „voiler aus yeux du public", wie Nesselrode sich ausdrückte.

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Österreich als von den drei Mächten beschlossen erklärte 1 ). Die Ratifikation solle im Verlauf von 30 Tagen in Wien erfolgen. Von der Voraussetzung einer Bitte der Krakauer um Einverleibung «rar in diesem Aktenstück keine Rede. Man war offenbar nicht sicher, ob sie sich werde erlangen lassen. Die weiteren Beratungen wurden nach Wien verlegt und dort beschlossen, eine provisorische Regierung unter einem österreichischen General in Krakau einzusetzen, die Residenten der drei Höfe abzuberufen und die preußischen und russischen Okkupationstruppen zurückzuziehen. Schwieriger war es, ein Einvernehmen über den Zeitpunkt zu treffen, wann die vollzogene Annexion der englischen und der französischen Regierung angezeigt werden solle. Metternich schob den Zeitpunkt immer wieder hinaus. Er fürchtete die Popularität von Guizot, zu schädigen, da in Frankreich Neuwahlen bevorstanden, in England aber der Rücktritt des Kabinetts Peel-Aberdeen Palmerston wieder zum Leiter der auswärtigen Politik gemacht hatte. Auch hatte es von beiden Seiten nicht an unbequemen Anfragen und Ausfällen gefehlt. Palmerston suchte in Wien und Berlin den Standpunkt zu vertreten, daß auch die den Rhein und den Po betreffenden Verträge hinfällig seien, wenn die Selbständigkeit Krakaus nicht respektiert werde. Fünf Monate gingen so hin, ohne daß der günstige Augenblick, auf den Metternich wartete, eintrat. Nikolai war so ungeduldig geworden, daß er nach Wien schrieb, wenn man sich dort fürchte, sei er bereit, Krakau für sich zu nehmen. Aber nicht das gab den Ausschlag, sondern der Zusammenbruch der Entente cordiale infolge der spanischen Heiraten, die am 10. Oktober 1846 vollzogen wurden. Der russische Standpunkt in dieser Frage war der gewesen, daß das Testament Ferdinands VII., welches die Erbfolge nach salischem Gesetz für Spanien aufhob, ungültig sei, und der Kaiser hatte daher Isabella niemals als Königin von Spanien anerkannt. Ihm war Don Carlos der legitime Herrscher, und eine Lösung der Schwierigkeiten, die sich aus dem Widerspruch ergaben, der zwischen den legitimen Ansprüchen Don Carlos' und dem faktischen Königtum Isabellas

i) „Les trois puissances déclarent que l'Etat de Cracovie ne peut pas être rétabli: qu'elles sont d'accord que son incorporation aux Etats de sa Majesté I. et R. Apostolique est le' meilleur moyen et le mode le plus convenable pour opérer ce changement, nécessaire "

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bestand, wären seiner Meinung nach durch die Vermählung der Königin mit dem Sohn des Prätendenten, Montemolin, zu finden gewesen. Diesen Standpunkt vertraten mit ihm auch Österreich und Preußen. Als daher am 10. November Lord Bloomfield in einer Privataudienz dem Kaiser im Auftrage Palmerstons vorschlug, gggen die Heirat Montpensiers mit der Infantin, und der Königin mit Franz von Assisi zu protestieren, was, wie England hoffte, auch Preußen und Österreich tun würden, stieß er auf entschiedenen Widerspruch. Ein russischer Protest sei überflüssig, da die in Spanien bestehenden Zustände niemals von ihm anerkannt worden seien. Was aber den vorgeschlagenen engeren Anschluß Englands an die Nordmächte betreffe, so wolle er gern entgegenkommen, doch könne er nichts Bestimmtes sagen, bevor er Metternich gehört habe. Es schloß sich daran ein sehr hartes Urteil über Louis Philippe, dem England leider stets zu viel Vertrauen geschenkt habe 1 ). „Seine Anspielungen auf England — fuhr Bloomfield in seinem Bericht fort — und auf eine Allianz mit England waren höchst befriedigend, und ich bin überzeugt, daß wir bei jedem Anlaß, der ein kombiniertes Vorgehen erforderlich machen sollte, am Kaiser von Rußland einen tapferen Bundesgenossen finden würden. Er sagte, sein Schwager, der König von Preußen, der den Strömungen der öffentlichen Meinungen folge2), habe ihn mehrfach aufgefordert, diplomatische Beziehungen zu der de facto-Regierung in Spanien aufzunehmen, aber er habe es stets abgelehnt, seinen Argumenten. Gehör zu schenken. Da nunmehr feststand, daß die entente cordiale zerrissen war, fand auch Metternich nicht nötig, der Welt das über Krakau gefällte Todesurteil länger vorzuenthalten. Die Schreiben, durch welche England und Frankreich von der Einverleibung des Freistaates in die habsburgische Monarchie Mitteilung erhielten, wurden abgefertigt und in identischen Depeschen vom Grafen Dietrichstein, Brunnow und Bunsen in London und vom österreichischen Geschäftsträger in Paris am 18. November überreicht. Als am 19. November Bloomfield bei Nesselrode vorsprach, um zu erfahren, ob der Vizekanzler ihm etwas über die Krakauer Angelegenheit mitzuteilen ') »The Emperors look when speaking of this point was such as it always has been, and his words and manners gave evidence of the same uncompromising hostility in France." Relation Bloomfield, 10. November 1846. 3 ) „qui donnait dans les idées du jour." 1. 1.

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habe, erhielt er unzweideutigen Bescheid 1 ): Die Verhandlungen darüber seien abgeschlossen, und die englische Regierung müsse gerade in diesem Augenblick die Antwort der drei Mächte erhalten haben. Krakau werde in das Verhältnis zurückversetzt, das bis 1809 bestand, und Österreich inkorporiert werden. Als darauf Bloomfield seinem Erstaunen Ausdruck gab, erhielt er die Antwort, es handele sich um ein „fait accompli." Schon 24 Stunden vorher hatte Nikolai dem Könige von Preußen gegenüber seiner Freude über den Zusammenbruch der entente cordiale drastischen Ausdruck gegeben8). Die lärmende Preßkampagne, die nun in ganz Europa anging, machte ihm wohl Ärger, aber keine Sorge. Da auch die Bemühungen Guizots, den Bruch der entente cordiale rückgängig zu machen, an der Weigerung Palmerstons scheiterten, sich mit Frankreich zu einem KollektivProtest zu verbinden, gingen zwei besondere Protestschreibon ab. von denen das englische (vom 15. Dezember) verhältnismäßig maßvoll abgefaßt war. Er bestritt den Ostmächten das Recht, ohne vorausgegangene Zustimmung der anderen Unterzeichner des Wiener Protokolls über das Schicksal Krakaus zu verfügen, betonte aber vornehmlich die praktische Seite der Frage: man hätte, so führte Palmerston aus, auf andere Weise die polnischen Interessen der drei Mächte schützen können. Die französische Note erklärte, daß Frankreich nunmehr der 1815 übernommenen Verpflichtungen ledig sei, und fortan unbeschwert seinen eigenen Interessen nachgehen könne. Die Antwort der Ostmächte erfolgte durch identische Noten, auf welche weder Palmerston noch Guizot reagierten. Und damit war der diplomatische Kampf um Krakau erledigt. In der spanischen Angelegenheit versuchte Palmerston durch den Ber') He replied that the négociations were closed „que la bombe était lâchée, and that at the moment we were speaking the décision of the three powers (would) be as known by your Lords. That Cracow was to return in its former condition, the same in which it was before 1809 and be incorporated with Austria". Bloomfield 19. November. Die Mitteilung der vollzogenen Einverleibung Krakaus ging am 6. November von Wien aus. *) Brief aus Zarskoje Sselo 6./18. November 1846. Er wünscht ihm Glück „de l'heureuse fin de notre affaire de Cracovie, de profundis et vade in pace; il en était temps. Je pleure à chaudes larmes la mort de madame l'entente cordiale, et vous aussi, n'est ce pas? Maintenant l'on veut de nous et à Londres et à Paris — n'est ce pas drôle? Quant au fromage suisse (den Sonderbund) il pue tant que je le bannis de ma lettre."...

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liner und Wiener Hof den prinzipiellen Widerspruch Nikolais zu überwinden, und in der Tat gelang es ihm, Friedrich Wilhelm IV. für den Gedanken zu gewinnen, daß die drei konservativen Höfe die Regierung Isabellas unter der Voraussetzung anerkennen sollten, daß es gelinge, das salische Gesetz in Spanien zur Anerkennung zu bringen. Das könne auf dem Wege geschehen, daß man für den Fall des Erlöschens der Deszendenz Franz von Assisis — die in Wirklichkeit Deszendenz Don Manuel Godoys sei —, die Nachkommen Don Carlos' als zur Nachfolge auf dem spanischen Thron berechtigt anerkenne. Gänzlich auszuschließen sei die künftige Linie Montpensier. Was den König für diese Kombination bestimmte, war vor allem die Aussicht, England dauernd den Ostmächten anzuschließen. Er vertrat den Gedanken mit großer Beredsamkeit und sah bereits im Geiste durch das Bündnis der vier Mächte eine eherne Mauer gegen das Frankreich des Julikönigtums errichtet'). Aber der König fand weder bei seinem russischen Schwager noch bei Metternich Beifall; der letztere schlug statt dessen einen Notenwechsel vor, durch den Palmerston die drei Mächte ersuchen sollte, an ihrer Haltung nichts zu ändern, ohne sich vorher mit England' verständigt zu haben. Damit war aber Palmerston keineswegs befriedigt. Er erklärte jetzt, da man England in einer europäischen Frage im Stich gelassen habe, werde er sich fortan auf eine Politik der Isolierung zurückziehen, was wohl so zu verstehen war, daß er sowohl Frankreich wie den Ostmächten gegenüber rücksichtslos die Interessen Englands vertreten werde. Der Versuch Metternichs, ihn durch nachträgliches Entgegenkommen zu befriedigen, scheiterte gleichfalls und ebenso die Erwartung Nikolais, daß England trotz allem gezwungen sei, mit den Ostmächten Hand in Hand zu gehen 3 ). Sie fanden ihn bald als höchst un') L'entente cordiale entre nous autres et la Grande Bretagne ne reposera pas sur un événement passager mais sur tout un système, sur le fait du rétablissement de la loi salique en Espagne et sur toutes les conséquences de ce fait . . . Cet arrangement à 4 des affaires d'Espagne nous fournit les moyens d'élever un mur d'airain contre la France de Juillet. Quel avantage incalculable! . . . Brief des Kônigs an Nikolai. Charlottenburg 17./29. November 1846, Berlin, Hausarchiv. 3 ) ...Palmerston est forcé de se rapprocher de nous . . . Je suis résolu de le voir venir, je lui tends la main, mais pas à la condition de me contre-

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bequemen Gegner überall da, wo ihre Interessen gefährdet waren. Das trat zunächst in der Schweizer Frage hervor, in welcher er, unter Hinweis auf die geographische Lage Englands, die Teilnahme an einer gemeinsamen Beratung ablehnte. Als sich zu Ende des Jahres das Gerücht verbreitete, daß der Kaiser beabsichtige, Kongreßpolen dem russischen Reich einzuverleiben, wurde Bloomfield mit einer kaum verhüllten Kriegsdrohung beauftragt 1 ). Sehr beruhigende Erklärungen Nesselrodes, es handele sich nur um Aufhebung der Rußland und Polen trennenden Zollgrenzen, und zwar in Erfüllung eines von den Polen selbst ausgesprochenen Wunsches, beseitigten zwar die Befürchtungen Palmerstons, aber der Eindruck blieb, daß auf wirkliche Freundschaft von seiner Seite nicht zu rechnen sei, und das sollte die nächste Zukunft nur zu deutlich bestätigen. Noch unzufriedener aber war der Kaiser trotz des Ausganges, den die Krakauer Angelegenheit genommen hatte, mit seinen Bundesgenossen Preußen und Österreich. Gegen Preußen erbitterten ihn die Nachrichten, die ihm regelmäßig über das weitere Fortschreiten des Königs auf der Bahn, die zum vereinigten Landtag führen sollte, zuflössen, und der Pessimismus von Rauch und Rocho w, sowie die Unzufriedenheit des Prinzen von Preußen mit der Politik des Bruders steigerten das Mißtrauen, mit dem er in die Zukunft Preußens blickte*). Daß der König für die an Rußland von Preußen ausgelieferten polnischen Gefangenen eintrat und bat, sie nach Amerika zu schicken, erschien ihm völlig unbegreiflich, und unerträglich, daß die Radziwills ihren Einfluß am Hofe behaupteten. dire ou d'abandonner des principes vitaux pour nous . . . Nikolai an Friedrich Wilhelm 21. Dezember 1846/2. Januar 1847, Petersburg. x ) Die Einverleibung Polens „would be looked upon, you will know, as a very serious matter by H. M. G." Zugleich wurde vom Botschafter eiü genauer Bericht über den Bestand der russischen Armee verlangt. 2) A n die Kaiserin 23. März/4. April 1846: „Ce matin Nesselrode m'a dit que Rochow qui est très souffrant lui a parlé avec u n profond chagriD et inquiétude des nouvelles qu'il a eu de Berlin sur la certitude que le fameux édit sur la réunion des états était non seulement sur le tapis et entre les mains de Guillaume, mais qu'il paraîtrait incessamentl II en est profondement chagrin et voit t o u t comme nous." 24. März/5. April: „Guillaume a dit à Berg que l'histoire des états est à l'examen déjà, du conseil des Ministres et que p e r s o n n e n'est d'accord, nonobstant il parait décidé que îa chose va paraître fort incessament, l'on peut juger ce qui va arriver." S c h i e m a n n , Geschiohte Rußlands. IV. .7

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Obgleich er nach wie vor mit den von Metternich bei jeder Gelegenheit emphatisch hervorgehobenen konservativen Grundanschauungen zufrieden zu sein alle Ursache hatte, trug er doch sowohl ihm, wie den Kaiserinnen die Niederlage nach, die er in Wien erlitten hatte. Auch die schwächliche Haltung der österreichischen Politik Frankreich gegenüber verurteilte er und ebenso die Hartnäckigkeit, mit der Metternich die handelspolitischen Gegensätze mit Karl Albert von Sardinien verfocht und zuspitzte. Als Schiedsrichter in dessen Streitigkeiten zu fungieren lehnte der Kaiser ab, und der Versuch einer Vermittlung scheiterte. Trotzdem fand im Hinblick auf die „gefährlichen Charaktereigenschaften Friedrich Wilhelms" und auf die fortdauernde Agitation der Polen ein engerer Anschluß Rußlands an Österreich statt, für das der Kaiser auch in den Tarifstreitigkeiten, die mit der Einverleibung Krakaus in Zusammenhang standen, entschieden Partei ergriff. In diese erregte und erregende Zeit fiel der offene Brief Christians VIII, durch den der zwanzigjährige Konflikt über die schleswig-holsteinische Frage eingeleitet wurde. Die ungeheure Tragweite des damit aufgerollten Problems ist von keinem der leitenden Staatsmänner jener Tage erkannt worden. Es wurde als eine Unbequemlichkeit, nicht als eine Gefahr empfunden. Erst ein Schreiben Friedrich Wilhelms IV. vom 29. November 1846 zeigte dem Kaiser, daß die deutschen Interessen Preußens hier mitsprachen. In sehr eingehender Ausführung erklärte der König, daß Deutschland nie dulden werde, daß Dänemark sich an den Rechten der Herzogtümer vergreife; dagegen werde auch er selbst mit höchster Energie wirken. Nach dem Prinzip der Legitimität könne Schleswig-Holstein niemals dem schleswig-holsteinischen Hause entzogen werden, da aber nach Prinzipien der Politik die dänische Monarchie ungeschmälert erhalten werden müsse, ergebe sich ein Dilemma, das gelöst werden müsse. Diese Lösung sei gefunden, wenn der König und die Stände des Reichs — nicht die von Roeskilde — das Königsgesetz ummachten und das ganze Haus Holstein zu Erben erklärten. Dazu solle Nikolai die Initiative ergreifen und Preußen und Österreich auffordern, seine „gut vetterlichen" Ratschläge zu unterstützen. Der Bundestag werde dann auf seinen (Friedrich Wilhelms) "Wink erklären, daß er die Enterbung (exheredition) des Hauses Holstein nicht dulden werde. König Christian werde sich dann fügen, aber allerdings

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nur unter der Voraussetzung, daß der Vorschlag von dem Kaiser ausgehe. Was aber Lauenburg betreife, so müsse es dem Könige, nicht Dänemark, als Entschädigung für Norwegen gegeben werden, Lauenburg besitze der König als Glied des Deutschen Bundes, in Deutschland aber gelte salisches Recht. Die Antwort Nikolais war eine verblümte Ablehnung. Die holsteinische Sache sei eine Angelegenheit der deutschen Familien er habe sich von ihr seit zwanzig Jahren so fern als möglich gehalten and sich begnügen müssen, König Christian zu sagen, wie er, Nikolai, den Verzicht seines Vaters verstehe. Dieser Bescheid war nichts weniger als aufrichtig. Über Schleswig-Holstein fand bereits seit einigen Jahren ein vertraulicher Meinungsaustausch zwischen Petersburg und Kopenhagen statt, in welchem der Kaiser seinem aufrichtigen Interesse an der Integrität Dänemarks Ausdruck gab and dem Könige allein das Recht zuerkannte, Vorschläge zu machen, am einer Abtrennung großer Teile des Reiches zuvorzukommen. Sein Rat ging dahin, im voraus die Ansprüche Dänemarks zu präzisieren, was unhaltbar sei, fallen zu lassen, und eine Verständigung darüber vorzuschlagen, wie berechtigte Ansprüche zur Anerkennung zu bringen seien. "Über die vom offenen Brief aufgeworfenen Streitfragen sei der Kaiser von Rußland als Haupt der Linie Schleswig-Holstein-Gottorp berufen und berechtigt, zu sagen, was Rechtens sei3). Die Verträge von 1767 und 1773 machten es ihm sogar zur Pflicht. Der Inhalt dieser Verträge ergebe, daß Rußland als Vertreter der älteren und der Großherzog von Oldenburg als Vertreter der jüngeren holstein-gottorpschen Linie anerkannt hätten, daß das Herzogtum Schleswig unwiderruflich an die dänische Monarchie und an das daselbst geltende Erbfolgerecht gebunden sei. Die dahin gehenden Bestimmungen des offenen Briefes seien daher aufrechtzuerhalten, dagegen hätten beide gottorpschen Zweige Eventualrechte auf Holstein, die der offene Brief anerkenne, da er die darauf bezüglichen Fragen einer Verständigung vorbehalte. Über die Opportunität des zur Veröffentlichung gewählten Augenblicks sprach der Kaiser sich offiziell nicht aus, doch ließ er keinen Zweifel darüber, daß er die Ver]

) „Une affaire de familles allemandes, cela TOUS regarde TOUS antres — pas moi." Schreiben vom 1. Januar 1847. *) „de se prononcer sur le mérité." Nesselrodes Compte rendu für 1846.

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öffentlichung ebensowenig billigte, wie den dadurch hervorgerufenen Protest des Großherzogs von Oldenburg, und daß er seine Ansprüche auf Holstein keineswegs preisgeben wollte 1 ). Er hielt damit zurück, weil er die ohnehin hochgradige Aufregung, die der offene Brief hervorgerufen hatte, nicht steigern und gegen Rußland ablenken wollte. Auch lag die Integrität der dänischen Monarchie ihm sowohl auf Grund prinzipieller Erwägungen, wie infolge der besonderen politischen Interessen Rußlands am Herzen. Dänemark war der älteste Bundesgenosse Rußlands und konnte ihm stets nützlich und nie gefährlich werden, es sei denn, daß die Gedanken der Kalmarischen Union unter den ganz anders liegenden politischen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts wieder lebendig werden sollten. Ein Vorgefühl von der Erregung, welche der offene Brief in Holstein erregt hatte, gewann der Kaiser durch das Verhalten des dänischen Gesandten, eines aus Holstein gebürtigen Herrn von Rantzau, der Nesselrode erklärte, daß er es in seiner Eigenschaft als Holsteiner nicht für möglich halte, den Instruktionen nachzukommen, die ihm sein Hof in Anlaß des offenen Briefes hatte zugehen lassen. Er übergab sie infolgedessen dem Gesandtschaftssekretär von Plessen 2 ) und nahm seinen Abschied. Am 13. Oktober erhielt er die Erlaubnis, Petersburg zu verlassen. Das Jahr 1846, in dem sich so die Knoten für eine stürmische Entwicklung der nächsten Zukunft schürzten,' brachte noch zwei Ereignisse, die von Bedeutung [werden sollten: die Flucht Louis Napoleons aus Ham und nach dem Tode Gregors XVI. die Wahl Mastai Ferettis zum Nachfolger. Beides wurde vom Kaiser günstig aufgenommen: die Flucht Louis Napoleons mit Schadenfreude. Auch Nesselrode gab der Hoffnung Ausdruck, daß es nicht gelingen möge, ihn wieder festzunehmen. Der Bitte Guizots, für das Mausoleum, das Napoleon errichtet werden sollte, den roten ') Relation Bloomfield 26. August 1846. „That the kings declaration with respect to the Duchy of Sleswic does not affect his interests, but that, should circumstances require it, „je saurais faire valoir mes droits sur le Duche de Holstein". 2 ) Relation Bloomfield 15. September und 26. September 1846. Rantzaus Standpunkt war: „That the transaction of the King of Denmarck and the Emperor Paul could not invalidate the eventual rights of other parties on the countries of Oldenburg and Delmenhorst, or the equivalent obtained for them, and that Russia has no rights to maintain, or to cede in any arrangement which may be made for the settlement of the Holstein question." . . .

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Porphyr aus Finnland beziehen zu dürfen, stimmte der Kaiser sofort zu, obgleich dieser Porphyr bisher nur für die Alexandersäule gebraucht worden war. Er ging so weit, daß er sogar anordnete, daß kein Zoll bei der Ausfuhr erhoben werden solle. Das Motiv Nikolais ist dabei nicht zu erkennen. Vielleicht sollte damit die sich vortreibende Annäherung Frankreichs an Osterreich belohnt werden, aber es ist andererseits nicht unmöglich, daß sein Scharfsinn vorhersah, daß der wieder auflebende Napoleon-Kultus die persönliche Stellung Louis Philippes schwächen werde. Von Pius IX. und seinem Staatssekretär Kardinal Gizzi hoffte man in Petersburg den Abschluß eines Konkordats zu erlangen, für dessen Formulierung sehr sorgfältige Vorbereitungen durch ein Spezialkomitee getroffen worden waren, das der Kaiser nach Peterhof berufen hatte, um über die Fragen zu entscheiden, über welche das Komitee nicht glaubte kompetent zu sein. Die unter seinem Vorsita gefaßten Beschlüsse verfolgten, wie Nesselrode in seinem Jahresbericht sagt, das Ziel, eine Verschmelzung der katholischen Kirchen des Reichs und Polens vorzubereiten1), oder mit anderen Worten gesagt, der katholischen Kirche in Polen den Rest von Selbständigkeit zu nehmen, den sie sich bisher gerettet hatte.

Kapitel V. Vorboten revolutionärer Bestrebungen. Es kann nicht wundernehmen, daß die Veröffentlichung des Patents, durch welches Friedrich Wilhelm IV. die Bildung eines Vereinigten Landtages am 3. Februar 1847 ankündigte, den Kaiser aufs tiefste verstimmte und beunruhigte. „Was wir befürchteten," schrieb er dem Fürsten Paskiewitsch, „ist geschehen. Preußen ist aus unseren Reihen geschieden und, wenn auch nicht zu den Feinden übergetreten, so läßt sich doch annehmen, daß es bald und gegen den Willen des Königs gegen uns, das heißt gegen Gesetz und Ordnung, stehen wird. Die Ungeduld des Königs, vor seinen Kammern großzutun, hat ihn veranlaßt, sie schon jetzt ohne Not zu berufen, als wolle er dadurch beweisen, daß er unsere Ratschläge verspotte. Wir waren drei, jetzt sind wir zwei, das 1 ) „de preparer une fusion des Eglises catholiques de ¡'Empire et de Ia Pologne."

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ist sicher1)." An der tiefen Erregung und an dem personlichen Schmerz, mit dem er die „ Irrgänge " seines Schwagers begleitete, darf nicht gezweifelt werden. Er war allerdings davon überzeugt, daß der Yereinigte Landtag ein Unglück für Preußen und eine Gefahr für Rußland und für das war, was er die gute Sache zu nennen pflegte. Auch der Tod Christians Till, und die Thronbesteigung Friedrichs VII. erregte ihn, weil damit die schleswigholsteinische Frage früher, als er erwartet hatte, zu einer brennenden zu werden drohte, und der ihm bekannte Standpunkt Friedrich Wilhelms IV. keineswegs seinen Prinzipien entsprach. Dazu kam am 21. Februar der Tod des Fürsten Ilarion Wassiljewitsch Wassiltschikow, der seit 1838 Präsident des Reichrats und des Ministerkomitees war, der einzige, der wie Orlow jederzeit freien Zutritt beim Kaiser hatte und sich erlauben durfte, seine Ansicht frei herauszusagen. Er war 80 Jahre alt geworden, seit dem Tod« von Benckendorff und des Fürsten Alexander Nikolajewitsch Golizyn einer der letzten hohen Würdenträger, die bereits in den Tagen Alexanders I. eine hervorragende Stellung eingenommen hatten. El kommandierte das Regiment, in welchem der Kaiser seinen ersten Dienst getan hatte, und die Autorität, die ihm einst zustand, war nichf ganz geschwunden. Wassiltschikow war uneigennützig und unabhängig, ein Grandseigneur im wahren Sinne des Wortes, den Nikolai nicht nur liebte, sondern auch achtete. Der Kaiser wai während der Todeskrankheit des Fürsten mehrmals bei ihm gewesen, und hatte noch längere Unterredungen mit ihm gehabt, In der Nacht vom 22. auf den 23. März erkrankte Nikolai schwer. Eine Unterleibsentzündung schien im Anzüge, aber es gelang seinem ebenso gescheuten wie mutigen Leibarzte Mandt, des Übels nach einigen Tagen Herr zu werden2). Seine Gedanken wandten ') Schreiben yom 5./17. Februar 1847. '') Die Kaiserin schreibt in ihrem Tagebuch: „Drei Anfälle in sechs Tagen, und der letzte in der Nacht vom 15. auf den 16. (russ. Stil) war so arg, daß er nicht mehr atmen konnte, darum sich sterbend glaubte. Ich erfuhr es erst am anderen Morgen, und zwar nach und nach. Nicht genug vorbereitet, als ich zu ihm eintrat, hatte ich Mühe, mich zu fassen, ihn so sehr übel zu finden; sein erloschener Blick, der mich suchte, war schrecklich. Er liegt in einem zu kleinen Zimmerchen, welches er voriges Jahr während meiner Abwesenheit bewohnt hatte. Viel zu klein für einen Kranken, der ireie Luft braucht, und ich bin in Ollys Zimmer etabliert worden."

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sich sofort wieder Preußen zu. Gleich nach seiner Genesung ernannte der Kaiser den russischen Militärbevollmächtigten am preußischen Hofe, General Mansurow, zum Gesandten am hannoverschen Hofe, um dem Könige Ernst August „einen Beweis persönlicher Achtung und Zuneigung" zu geben, und bestimmte zugleich, daß Mansurows Stellung nicht mehr besetzt werden solle. Rauch, der durch die Kaiserin davon erfahren hatte, gelang es dank ihrer Fürsprache und durch den Hinweis darauf, daß, wenn Mansurow nicht durch einen anderen Offizier ersetzt werde, der König auch ihn schwerlich in seiner Stellung belassen würde, zu erreichen, daß der Kaiser sich bereit fand, den König wissen zu lassen, daß es gar nicht seine Absicht gewesen sei, den Platz Mansurows unbesetzt zu lassen, wenn nicht etwa der König selbst es gewünscht hätte, in welchem Fall der Kaiser aber gebeten hätte, Rauch trotzdem in seiner Stellung zu lassen1). Es läßt sich bei alledem nicht verkennen, daß die Versetzung Mansurows nach Hannover, die nicht rückgängig gemacht wurde, ein Zeichen der Verstimmung war, die der Kaiser seinem Schwager gegenüber empfand, und die der Verlauf, den der Vereinigte Landtag nahm, gesteigert hatte 2 ). „In Preußen gehe es noch schlimmer, als er erwartet habe, und in Deutschland stehe es nicht besser, mit Ausnahme von Hannover und Württemberg," schrieb er Ende Mai. Im Juni urteilte er, die Zerstörung gehe nicht im Galopp, sondern in Karriere weiter. Es sei falsch, die Minister allein zu schelten, denn sie seien Ausführer eines Willens, der sich selbst l ) Immediatberichte Rauchs •vom 25. März und 12. April. Brief der Kaiserin an den König d. d. Petersburg 23. März. „Nix läßt Dich schön grüßen, er gab mir den Auftrag, Dir in kurzen Worten die Ernennung Mansurows an dem hannoverschen Hofe zu erläutern. Er wollte an old Cumberland of days gone by eine attention beweisen und ernannte darum einen besonderen Gesandten nach Hannover, und Mansurow schien ihm dazu ganz Mi passen, da er auf dem Weg sich sozusagen schon befindet, und Dir eigentlich von keinem Nutzen, weil Du ihn wohl nicht so wie Papa sonst brauchtest der ja bekanntlich nie genug vom russischen Militär erfahren konnte. So wird es kein Verlust für Dich sein. Möchte dies aber keinen Gegeneinfluß auf Rauchs Stellung hier haben, denn obgleich Rochow dem Kaiser ganz vorzüglich konveniert, so haben wir alle Rauch so lieb, daß wir ihn schrecklich ungern verlieren werden." s ) Briefe des Kaisers an Paskiewitsch vom 29. April, 25. Mai, 13. Juni und 22. Juli.

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nicht begreife. Der König, schrieb er einen Monat danach, feabe durch den Widerspruch zwischen seinen Worten und Taten 1 ) in den Augen aller Wohlgesinnten verloren, die revolutionäre Partei inzwischen ihre Kräfte verstärkt, kluge Schwätzer aufgestellt und die Schwäche der sogenannten Regierung gezeigt. Das alte Preußen sei nicht mehr, es sei unwiederbringlich untergegangen (pogibla), das jetzige weder dieses noch jenes, es sei irgendein Übergangsstadium, und was noch bevorstehe entsetzlich. Ihn bekümmerte namentlich die Zukunft des Prinzen von Preußen, weil er der Berufung der Stände zugestimmt und den Sitzungen zu häufig beigewohnt habe. Im Oktober, als der Kaiser nach seiner jährlichen Herbstreise in Warschau war, wo Rochow ihn in seiner pessimistischen Beurteilung der preußischen Verhältnisse noch bestärkte, schrieb Nikolai dem Könige einen politischen Absagebrief. Die „union intime" zwischen Rußland, Österreich und Preußen bestehe nicht mehr. Osterreich habe keinen Herrn, es vegetiere unter einer verbrauchten Maschine und drohe zusammenzubrechen. Der König aber habe für gut befunden, seinen Ständen neue Ordnungen zu oktroyieren, die eine von der Vergangenheit ganz verschiedene Zukunft schaffen 2 ). Gott werde über diese Zukunft entscheiden. Seine Aufgabe sei, für sein Land diese Vergangenheit aufrechtzuerhalten, Gott werde auch darüber entscheiden, ob es ihm gelinge. Ihre persönliche Freundschaft habe darunter nicht gelitten, aber die gegenseitigen Pflichten gegen ihre beiderseitigen Staaten seien ganz verändert. „Unsere Wege führen nach verschiedener Richtung" 3 ). ') Eine Anspielung auf die Enttäuschung, welche der Rede des Königs bei Eröffnung des Vereinigten Landtages folgte. Rauch schrieb dem Könige am 17. April, die Kaiserin sei erfreut und gerührt über die herzerhebende kraftvolle Rede gewesen. Ihr sei zumute gewesen, wie an des Königs Einsegnungstage vor 17 Jahren, als er das königliche Haus so tief ergriffen und fortgerissen hätte. Was den Kaiser später besonders erbitterte, war der Satz, mit dem der König die Adresse der Stände beantwortet hatte, daß nämlich die Institutionen, die er durch die Ordonnanz vom 3. Februar gegeben habe, e n t w i c k l u n g s f ä h i g s e i e n . Auch Nesselrode war zunächst von der Rede des Königs sehr befriedigt. (Brief an Meyendorf vom 19. April 1847.) *) „Vous avez jugé à propos d'octroyer à vos états des institutions nouvelles qui lui ont créé un avenir tout différent du passé." Brief vom 3./15. Oktober 1847 d. d. Warschau. 3 ) „Nous marchons dans des sens différents" 1. 1.

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Auch in der auswärtigen Politik, speziell in der Frage des Schweizer Sonderbundes, den er und Metternich moralisch unterstützten, stand der Kaiser auf anderem Boden als Friedrich Wilhelm. Da Österreich wie immer schlafe, wäre es Preußens Aufgabe gewesen Bayern zu beeinflussen und Württemberg zu gewinnen. Wenn 60000 Österreicher, 20000 Bayern mit ebensoviel Württembergern und Badenern, wenn nötig von Preußen und von 60000 Franzosen unterstützt eine energische Sprache führten, so lasse sich hoffen, daß die Ordnung in dem unglücklichen Lande wiederhergestellt werde. Wäre er Nachbar der Schweiz, so würden schon längst hunderttausend Russen im Lande sein. Aber das sei nicht seine Sache, sondern die des Bundestages 1 ). Sein Gedanke war, daß man nicht mit der Schweiz verhandeln, sondern ihre Neutralität aufheben sollte, wobei ihm entging, daß die allgemeine Revolution, die er fürchtete und kommen sah, aller Wahrscheinlichkeit nach die sofort eintretende Folge dieser Politik gewesen wäre. Auch Nesselrodes Gedanken bewegten sich in derselben Richtung. Er sah das Unterliegen des Sonderbundes kommen, was eine ewige Schande für die Großmächte, besonders aber für Österreich und Frankreich sein werde. Ein direktes Eingreifen Rußlands das über diplomatische Kundgebungen hinausging, lag auch ihm ganz fern. Als der Sonderbund unterlegen war, schrieb er nur, er könne es Österreich und Frankreich nicht verzeihen, daß sie den Sonderbund hätten zermalmen (écraser) lassen. Sehr unangenehm empfand der Kaiser den Lärm, den das Verhältnis König Ludwigs von Bayern mit Lola Montez erregte, weniger aus sittlichen Bedenken, als weil er auch darin eine Minderung und Herabwürdigung des Ansehens der Krone erblickte, die dem revolutionären Geist in Deutschland zugute komme. Auch die Wirren in Griechenland beunruhigten ihn, zumal ein nicht abzuweisendes Gerücht wissen wollte, daß die Absicht bestehe, die Krone König Ottos Louis Napoleon anzutragen'), dazu fürchtete er einen Bruch

') Zarskoje 18./30. November. Der Brief schließt: „Encore une fois agissez, ou tout est perdu." *) Nesselrode an Meyendorf 19. April 1847. „Sa (Colettis) supposition, que l'Angleterre puisse soutenir l'infâme projet de Kalergis, de placer Louis Bonaparte sur le trône de la Grèce, est une si grande absurdité qu'il ne vaut ugère la peine de s'en préoccuper."

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¡wischen der Pforte und Griechenland, der nicht anders als znm Vorteil der Türkei auslaufen konnte. Es war unter diesen Umständen nicht gerade überraschend, daß der Kaiser sich dem Gedanken geneigt zeigte, den Bemühungen Guizots entgegenzukommen, der ein besseres Verhältnis zu den Ostmächten anzubahnen suchte, um seine Stellung dem vordringenden Radikalismus gegenüber zu festigen 1 ). Ende März 1847 übernahm die russische Regierung namhafte Beträge französischer Rente, für -welche die Goldbarren und Silbergelder in der PeterPauls-Festung als Sicherheit dienen sollten, eine Finanzoperation, die noch vor Jahresfrist undenkbar gewesen wäre, und deren Billigung dem Kaiser durch den schlechten Stand der russischen Finanzen plausibel gemacht wurde 4 ). Daß er sich an Frankreich und nicht an England gewendet hatte, findet seine Erklärung in der schweren Eandelskrisis, die den Londoner Geldmarkt gerade damals erschütterte, und an dem allmählich zutage tretenden Gegensatz der Politik Palmerstons, der sich sowohl iim Orient, in Griechenland und bald auch in der Stellung zu den antiösterreichischen Strömungen in Italien fühlbar machte. Der Kaiser, der von seiner jüngsten Reise die italienischen Herrscher persönlich ') Die Gräfin Nesselrode an den Grafen 21. August 1847. „La haine contre Guizot est à son comble dans toute la France." De la Gorce faßt die Lage folgendermaßen zusammen: „Mr. Guizot trouvait une ample compensation . . . dans la bonne volonté, de jour en jour plus manifeste, des puissances du Nord. L'empereur Nicolas lui même si hostile jusque-là, venait de donner à la France des marques non équivoques de confiance et d'amitié." Pierre de la Gorce: »Histoire de la seconde République." Tome I, 4 e édition. Paris 1904, pg. 5. Rayneval an Guizot, Petersburg 31. März 1847. Affaires étrangères Russie. Correspondance vol. 201: „114 millions de roubles argent, ou 456 millions de francs, déposés en lingots et numéraire dans les caves de la forteresse, repondent de 224 millions de roubles, ou 896 millions de francs, circulant dans l'empire sous forme de papier monnaie. On a voulu rendre productive une partie du dépôt et la transformer pour cela en valeurs assez sûres pour que le crédit public n'en fût pas affecté. Les rentes françaises ont paru donner cette garantie, ce qui, politiquement, a une bien remarcable signification, et les besoins de la Banque de France donnaient l'occasion d'operer sans aucune perturbation de bourse." Gekauft wurden zunächst 190 Mili. Fr. Bloomfield batte noch am 17. Februar 1847 berichtet: »There is a great want oi moaey in the Rugsian treasury, the Minister of Finance has extreme difficulty in meeting the demanda upon bis department."

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Kennengelernt hatte und von Karl Albert von Sardinien damals besonders eingenommen war, weil der König sich in antifranzöjischem Sinn ausgesprochen hatte, suchte, als ein Zollstreit zwischen Sardinien und Österreich ausbrach, zunächst nach beiden Seiten auf eine Verständigung hinzuwirken, beauftragte jedoch Nesselrode, dem Könige sagen zu lassen, daß Rußland Österreich gegenüber weitgehende Verpflichtungen übernommen habe. Als trotzdem der Gegensatz sich immer mehr zuspitzte, lehnte er einen ihm angetragenen Schiedsspruch ab, bot aber seine „guten Dienste" (bons Offices) an, die jedoch ohne jede Wirkung blieben. Die Beziehungen zwischen Wien und Berlin blieben gespannt, und der Kaiser nahm es sehr übel auf, als im September 1847 auf einem Landwirtschaftskongreß in Casale der Graf Castagneto einen Briei Karl Alberts vorlas, in welchem dieser erklärte, er sei entschlossen, für die guelfische Sache zu tun, was Schamyl gegen Rußland tue*). Uberhaupt waren vom russischen Standpunkt aus die politischen Strömungen in Italien wenig erfreulich. Am besten fand man sich mit dem liberalen Regiment Pius IX. ab, weil der russische Ge3andte Buteniew und danach Bludow, der ad hoc nach Rom geschickt ward, vom Papste Zugeständnisse erlangten, die Gregor XVI. bisher verweigert hatte. Um so strenger urteilte Nikolai über den Liberalismus Leopolds II. von Toskana und vollends über die Revolten in Reggio und Messina. Alle diese Dinge wirkten tief verstimmend auf den allezeit zum Schwarzsehen geneigten Kaiser. Dazu kamen dann die vielfältigen Sorgen, welche die, der nichtrassischen Welt nach Möglichkeit vorenthaltenen, Mißerfolge seiner Politik im Innern des Reiches ihm machten. In erster Reihe kamen dabei die kaukasischen Angelegenheiten in Betracht. Der Feldzugsplan, der dem Fürsten Woronzow für die Kampagne des Jahres 1845 vom Kaiser vorgeschrieben war, verlangte, daß er die Horden Schamyls wenn möglich in die Flucht schlagen, in das Zentrum seines Machtgebietes eindringen und dort die Autorität Rußlands etablieren solle. Als Ziel wurde Andi ins Auge gefaßt. In Gherghebil (südliches Daghestan) wollte er ein Fort erbaut wissen, und ausdrücklich schärfte er ein, daß das 5. Korps unter keinen Umständen länger als 12 Monate im Kaukasus bleiben J ) Pietro Orsi: L'Italia moderna. Paris 1911.

Kap. IX. Die französische Ausgabe

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dürfe 1 ). Gegen diesen Kriegsplan, den sie für unausführbar hielten, hatten die erfahrensten der kaukasischen Generale Argutinski-Dolgorukow und Freytag ernste Bedenken geltend gemacht. Es war um sc weniger denkbar, daß ein so furchtbarer Gegner wie Schamyl so überrannt werden könne, als seit 1843 von ihm eine Neuorganisation seiner Streitkräfte durchgesetzt worden war, die ihm ermöglichte, die gesamte Macht der von ihm abhängigen Gebiete jederzeit zusammenzufassen und wieder verschwinden zu lassen. Er hatte allmählich eine meisterhafte Strategie entwickelt und war durcl seine überlegene Kenntnis des Landes und den blinden Gehorsam, den der Schrecken seines Namens einflößte, den Russen trotz ihrei Überlegenheit an Artillerie mehr als gewachsen. Um Schamyl und seinen Einfluß auf die Phantasie der Bergvölker zu verstehen mag hier eine Episode eingeschaltet werden, welche die Zeit unc die Menschen, mit denen er rechnen mußte, scharf charakterisiert. Als Schamyl zu Ende des Jahres 1843 in Daghestan kämpfte, entschlossen sich die im Tieflande wohnenden Tschetschenzen, die von den Russen viel zu leiden hatten, eine Gesandtschaft an Schamyl abzufertigen, die ihn um wirksamen Schutz vor dem Feinde oder aber, falls er nicht helfen könne, um die Erlaubnis zu bitten bestimmt war, mit den Russen Frieden zu schließen. Die Gefahr, eine solche Botschaft dem schrecklichen Manne zu überbringen, war so groß, daß das Los darüber entscheiden mußte, wer den schweren Gang auf sich nehmen solle. Die vier Boten, auf die es fiel, beschlossen, den Versuch zu wagen, durch Schamyls Mutter einen günstigen Bescheid zu erlangen. Mit Hilfe eines Mullah, den sie bestachen, gelang es, gegen ein Geschenk von 2000 Rubel in russischem Golde die alte Frau zu bewegen, mit ihrem Sohn zu reden, um ihn der Bitte der Tschetschenzen geneigt zu machen. Aus einem langen Gespräch, das sie mit ihm hatte, kehrte sie weinend zurück. Schamyl aber berief seine Leute und teilte ihnen mit, was die Tschetschenzen von ihm erwarteten, zugleich aber kündigte er an, er wolle sich zurückziehen, fasten und beten, bis der Prophet selbst ihm eingebe, was er tun solle. Dann schloß er sich in der Moschee von Dargo ein, wo er damals sein HauptJ

) Das Folgende an der Hand von Baddeley, The Russian Conquest of the Caucasus. London 1908. Kap. XXIV, X X V und X X V I erzählt und an der Hand der „Akten der kaukasischen archäographischen Kommission" und der „Kawkaski Sbornik" ergänzt.

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quartier — wenn man es so nennen darf — hielt, und drei Tage und drei Nächte blieb er der vor der Tür betenden und weinenden Menge unsichtbar. Als er dann schließlich bleich und erschöpft, mit vom Weinen blutigroten Augen hervortrat, ließ er von zwei Muriden seine Mutter vorführen. Er schaute sie lange an, dann hob er die Augen gen Himmel und rief: „Mohammed, großer Prophet! Heilig und unwandelbar sind deine Gebote! So mag dein gerechtes Urteil vollführt werden, zum Vorbild allen Gläubigen." Dann wandte er sich zum Volke und erzählte, daß die Tschetschenzen, ihrem Eide untreu, den Beschluß gefaßt hätten, sich den Ungläubigen zu unterwerfen, und Boten gesandt hätten, die zwar nicht gewagt hatten, an ihn heranzutreten, sich aber an seine Mutter in Hoffnung auf ihre Fürbitte wandten. „Ihre Bitten und meine grenzenlose Liebe zu ihr gaben mir den Mut, den Willen Mohammeds, des Propheten Gottes, darüber zu erfragen. Und in eurer Gegenwart, durch euer Gebet unterstützt, habe ich nach drei Tagen des Betens und Fastens die Gnade erfahren, Antwort auf meine anmaßende Bitte zu erhalten. Aber seine Antwort hat mich wie ein Donnerschlag getroffen. Es ist der Wille Allahs, daß, wer mir zuerst die schamlose Bitte der Tschetschenzen mitteilte, hundert schwere Schläge erhalten solle; die es getan hat aber, ist meine eigene Mutter!" Auf Schamyls Befehl entblößten darauf zwei Muriden den Rücken der alten Frau, ergriffen ihre Hände und schlugen mit geflochtenen Riemen ohne Schonung auf sie los. Die Menge schauderte vor Entsetzen und Bewunderung. Als aber beim fünften Hiebe Schamyls Mutter ohnmächtig hinsank, hielt der Mann die Hände der Henker zurück und fiel seiner Mutter zu Füßen. Die Menge bat um Gnade für sie, aber Schamyl richtete sich auf, und ohne jede Spur von Erregung hob er nochmals seine Augen zum Himmel und rief feierlich: „Es gibt keinen Gott, als den einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet! Ihr Bewohner des Paradieses habt meine Bitte erhört und habt mir erlaubt, die noch iibrigen Schläge, die meine Mutter treffen sollten, auf mich zu nehmen. Ich nehme sie entgegen mit Freuden, als unschätzbares Geschenk eurer Gnade." Und mit einem Lächeln auf den Lippen, legte er seinen roten Überrock und seinen Beschmet (das Unterkleid) ab, rüstete zwei Muriden mit Peitschen aus und sagte, er werde sie mit eigener Hand töten, wenn sie es wagen sollten, mit dem Willen

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des Propheten zu scherzen. Ohne ein Zeichen des Schmerzes vor sich zu geben nahm er darauf die 95 Hiebe hin. Dann legte ei seine Gewänder an und trat von der Vorhalle der Moschee, auf der sich diese blutige Szene abgespielt hatte, in die Mitte des versammelten Volkes und rief nach den Elenden, um deren willen seine Mutter eine so schmähliche Strafe erlitten habe. Zitternd warfen die Tschetschenzen sich vor ihm nieder; sie erwarteten einen grausamen Tod. Aber zu ihrem und des stummen Volkes Erstaunen rief ihnen Schamyl zu: „Geht heim zu eurem Volk und sagt ihnen als Antwort auf ihre törichte Bitte, was Ihr gesehen und gehört habt." So war der Mann, der den Russen gegenüberstand! Wenn es, wie die Russen glaubten, eine berechnete Komödie war, ist si« jedenfalls meisterhaft, mit Einsetzung seiner Person, durchgeführt worden. Woronzow, dertrotz der Zweifel, die allmählich in ihm aufstiegen, an dem ihm vorgeschriebenen Plane festhielt, brach erst am 3. Juni von Wnesapnaja auf mit 18000 Mann und errang zunächst leicht« Erfolge, da ihm kein ernster Widerstand entgegentrat. Schamyl wartete seiner Stunde. Ein plötzlicher Umschlag der Witterung, der dem General Passek 500 Pferde und 450 Mann kostete, die dem Frosi zum Opfer fielen, hielt Woronzow nicht ab, bis Tilitl und Andi vorzudringen, von denen Schamyl das erstere geräumt und da« zweite verbrannt hatte. Die Kunde davon erregte den lauten Jubel des Kaisers. „Gott hat Dich und Deine heroischen Truppen" — schrieb er dem Fürsten Woronzow — „mit Erfolg gekrönt und wiederum gezeigt, daß nichts die Russen, die rechtgläubigen Russen, aufhalten kann, wenn sie im Vertrauen auf seine Hilfe gehen, wohin der Zar sie schickt." Er zweifelte nicht an weiteren Erfolgen, und auch in Petersburg jubelte man. Der Name Woronzows hatte zahlreiche Freiwillige aus den ersten Familien des Landes zum Eintritt in die kaukasische Armee veranlaßt. Auch der Prina Alexander von Hessen, ein Wittgenstein und der Sohn des Fürsten Paskiewitsch hatten sich angeschlossen. Sie alle wollten die billigen Lorbeeren ernten, auf die man mit Bestimmtheit rechnete. Die alten Generale und Offiziere, die von früher her die Kampfweise Schamyls kannten, und wie sie der Chef des Stabes, Gurko, der die Kampagnen von 1843 und 1844 mitgemacht hatte, teilten freilich die Zuversicht nicht. Zunächst zeigte sich, daß für di«

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Verpflegung der Truppen nicht genügend vorgesorgt war. Schon am 4. Juli war nur noch für wenige Tage Proviant vorhanden. Trotzdem beschloß Woronzow, gegen Dargo vorzugehen, und am 7. erreichte er tatsächlich den Ort, wie 1833 General Weljaminow und 1842 Grabbe. Aber Dargo stand in Flammen, und nun folgte ein furchtbarer Rückzug. Die Generale Passek und Yiktorow fielen, der gesamte Stab des Generals Klugenau, der vergeblich versucht hatte, Proviant heranzuführen, fiel ebenfalls und Woronzow der nur noch über 5000 Mann kampffähiger Truppen verfügte und für 1100 Kranke und Verwundete zu sorgen hatte, mußte durch einen Wald hindurch, der sich 41 Werst lang bis zum Aul Gherzel hin erstreckte, in dem Proviant und Sicherheit zu finden war. Bote auf Bote wurde zum General Freytag geschickt, der in Grozny stand, und von ihm ist dann schließlich auch die Rettung gekommen. Er brachte Nahrung und Deckung, und am 20. Juli wurde Gherzel erreicht. Aber Woronzow hatte drei Generale, 195 Offiziere und 3433 Mann an Toten und Verwundeten verloren. Als Nikolai den nichts beschönigenden Bericht Woronzows erhielt, schrieb er an den Rand desselben: „Mit größtem Interesse und mit Achtung vor dem glänzenden Mut der Truppen gelesen." Der Fürst hat ihn damit getröstet, daß die Bergvölker nunmehr erfahren hätten, daß die Plätze erreicht werden könnten, die sie für unerreichbar hielten, er werde in Zukunft systematisch vorgehen und nur besetzen, was er dauernd behaupten könne. Der Rest des Jahres 1845 ging verhältnismäßig ruhig hin, das Jahr 1846 wurde auf den Bau von Forts und Anlagen von Festungen verwandt, eine große Militärstraße, die von Akti nach Georgien führte, ward angelegt, die fünfte Armee, wie der Kaiser befohlen hatte, für den Rückmarsch nach Rußland zusammengezogen, aber ihre zweiten Bataillone als Kern einer neuen Division zurückbehalten und die russische Artillerie wesentlich verstärkt. Schamyl hat diese Arbeiten nicht gestört. Er trug sich mit dem Plan, die Kabarda, das Gebiet südlich vom Terek, den Russen zu entreißen, um so seine Herrschaft vom Kaspischen bis zum Schwarzen Meer auszudehnen. Die Kabarda mit einer den Tscherkessen verwandten Bevölkerung stand bereits seit den Tagen Alexanders I. unter russischer Botmäßigkeit und hatte sich seither den Kämpfen um die Freiheit des Kaukasus nicht angeschlossen. Ihres Einverständnisses sicher, verstand es Schamyl,

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Woronzow die Vorstellung beizubringen, daß er einen Einfall in Zentral-Daghestan beabsichtige, wo der Fürst sich so überlegen wußte, daß er Freytag, der in Grozny stand, befahl, den noch nicht ausgeführten Rückmarsch des fünften Korps nicht weiter aufzuschieben. Der General erkannte jedoch, scharfsinniger als Woronzow, daß ein Angriff auf die Tschetschna, im Flußgebiet des südlich vom Terek gelegenen Sundscha, geplant sei. Als Schamyl am 13. April den Argun überschritt, ward es Freytag bald klar, daß das Ziel des Feindes die große Kabarda und der Westen seien. Den inzwischen von Schamyl geschlagenen Oberst Lewkowitsch rettete er aus ähnlicher Bedrängnis, wie im Vorjahre der Fürst Woronzow sie bestanden hatte, durch rechtzeitiges Vorschicken des Generals Möller-Sakomelski, und dadurch ward die mit Schamyl vereinbarte Erhebung der Kabarda vereitelt. Schamyls Plan war gescheitert, und er mußte froh sein, der inzwischen von Freytag versammelten russischen Ubermacht zu entkommen. Rußland war vor einer großen Gefahr gerettet, und das war vor allem Freytags Verdienst Bezwungen war Schamyl jedoch keineswegs. Der Rest des Jahres brachte den Russen sowohl in Daghestan, wie in der Tschetschna schwere Bedrängnis. Im Juli bombardierten die Muriden Grozny, Ende August Wosnessenskoje, aber zu Ende des Jahres war Woronzow entschieden im Vorteil. Er hat nach dem bösen Mißerfolg der Dargo-Expedition der Bekämpfung der Bergstämme einen neuen Charakter gegeben. Er lichtete die gewaltigen Wälder des Landes, legte Schneisen in der Tschetschna an und ließ die militärischen Expeditionen, die den Tschetschenzen galten, im Herbst und Winter unternehmen, wenn das Laub gefallen war; gegen Daghestan, wo der Schneefall frühzeitig einzutreten pflegte, fanden russische Vorstöße meist im Sommer statt. Schamyl kannte die Gefahr, die ihm von diesem System drohte, sehr wohl, aber ebenso wie der Plan, die Kabarda zur Erhebung zu führen, scheiterte im Oktober ein Angriff auf Daghestan bei Kuteschi; trotzdem betrug der Verlust der Russen in diesem verhältnismäßig ruhigen Jahre 1500 Mann 1 ). Die ersten drei Monate des neuen Jahres 1847 lag Schamyl in Dargo-Veden still. Als er Ende März unerwartet ankündigte, daß Allah befohlen Sehr eingehend über die Ereignisse des Jahres 1846 berichten Bände XIV und XV des Kawkaski Sbornik. Tiflis 1890 sq.

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habe, den Krieg zu erneuern, stieß sein Angriff auf eine russische Offensive, deren Ziele, diesmal bescheidener gesteckt, Gberghebil, Solty, Sagrill und Irib waren. Es war jedoch mehr als erreicht werden konnte. Das von der Cholera dezimierte Gherghebil zu nehmen, glückte dem Fürsten nicht, ein furchtbar blutiger Sturm führte die Russen am 4. Juni zwar bis in die Feste, dort aber stürzten die Eindringenden in die unteren Räume der unterhöhlten Häuser, wo sie grausam niedergemacht wurden. Woronzow nahm schließlich die auch in seinem Lager ausgebrochene Cholera zum Vorwand, um von Gherghebil abzuziehen. Glücklicher war er vor Solty, das nach hartnäckiger Verteidigung schließlich fiel 1 ). Gherghebil ist erst im Jahre 1848 nach 2Btägiger Belagerung von DolgorukowArgutinski, dem 10000 Mann zur Verfügung standen, besetzt worden, nachdem die erschöpften Muriden den Ort geräumt hatten. Aber er war nicht imstande, den Platz zu behaupten; und danach standen beide, sowohl Schamyl wie die Russen, lange in der Defensive. Die einen setzten ihr systematisches Vordringen durch Straßenanlagen und Bau kleiner Festungen fort, der andere behauptete sich durch das rücksichtslos despotische Regiment, das die zusammenschmelzende Kraft der Bergvölker an seine Person and an seine politischen Ziele band. Nächst Schamyl ist der Held dieser Jahre sein Naib (Adjutant) Hadji Murad, der schließlich sin trauriges und doch stolzes Ende fand. Von Schamyl nach einer unglücklich ausgelaufenen Expedition zum Tode verurteilt, floh er zu den Russen, die ihn in Tiflis in ehrenvoller Gefangenschaft hielten. Aber die Sehnsucht nach seinen Bergen, nach Weib und Kindern machten ihm die Unfreiheit unerträglich; er ergriff die Flucht mit wenigen Gefährten, wurde verfolgt, und als er sich von einer Übermacht eingeholt sah, schössen er und seine Gefährten ihre Pferde nieder und machten aus deren Leibern !) Woronzow an den Kriegsminister Tschernyschew: „J'aurais perdu c«t œil (das rechte) et les deux yeui et la vie plutôt que de quitter Solty sans l'avoir pris et détruit. C'était devenu un duel entre Schamyl et nous; le résultat actuel lui sera très nuisible, mais nonsuccès de notre part aurait eu un effet moral si cruel pour ,nous, que je n'aurais pas désiré y survivre.'' Fui die Eroberung von Solty dankte der Kaiser durch Ernennung des Sohnes Woronzows, Simon, zum Flügeladjutanten. Die Tatsache erregte um so mehi Aufsehen, als Simon Woronzow bisher im Zivildienst gestanden hatte und nunmehr den Bang eines Kapitäns der Garde erhielt. S c h i e m a n n , Gesohiehte Eofllacds. IV.

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einen Wall, hinter dem sie sich verteidigten, bis der letzte gefallen war, den 24. Juni 1852. Der Kopf Hadji Murads wurde dem berühmten russischen Chirurgen Pirogow zugeschickt. So waren die Männer, die für die Freiheit des Kaukasus kämpften und die schließlich doch bestimmt waren, der drückenden Macht Bußlands zu erliegen. Schamyl ist sieben Jahre danach am 25. August 1859 mit seinen Frauen und Kindern nach tapferer Gegenwehr in die Hände der Eussen gefallen. Er hat dann noch 10 Jahre lang in Kaluga in ehrenvoller Gefangenschaft gelebt, dann führte man ihn nach Kiew über, und 1870 gestattete ihm Alexander II, nach Mekka zu pilgern. Er starb in Medina den 4. Februar 1871 J ). Parallel dem stetigen Vordringen im Kaukasus gingen die Eroberungen der Eussen in Zentralasien. Sie setzten sich am Syr Darja fest, um die Mündung des Stromes zu beherrschen, der, aus den Grenzgebieten Chinas entspringend, in den Aralsee fällt und die reichen Städte Kokan, Chodschent, Taschkent und Oltau teils berührt, teils beherrscht. Als der Kaiser seine Unterschrift unter den Befehl setzte, der die Anlage eines Forts am Syr Darja anordnete, rief er aus: „Endlich ist der Aral russisch')!" Der Blick der Eussen, denen jetzt die Karawanen welche aus den städtischen Mittelpunkten der zentralasiatischen Chanate eintrafen, trotz der über Persien eindringenden Konkurrenz der Engländer reiche Vorteile brachten, richtete sich fortan auch auf die westlichen Provinzen Chinas, speziell auf Tschugutschak und Kuldscha, um neben der alten Eingangspforte Kjachta einen neuen Weg für den russischen Import zu finden. Die Öffnung des Hafen von Schanghai, das den russischen Fahrzeugen verschlossen blieb, ließ für die Zukunft eine steigende englische Konkurrenz fürchten, der man rechtzeitig vorbauen wollte. Zwischen 1840 und 1848 stiegen die Zolleinnahmen Eußlands von dem über Kjachta gehenden Handel von 3,7 Millionen Eubel auf über 51/2 Millionen, was namentlich einem Ukas *) Parallel den Kämpfen mit Schamyl ging das Tordringen der Bussen im westlichen und östlichen Kaukasus, an den Küsten des Schwarzen und Kaspischen Meeres, das ja politisch wichtig war, aber weder so dramatische Kämpfe, noch ein nationales Heldentum wie das Schamyls und der Muriden ins Feld führte, und erst 1864 den Russen vollen Erfolg brachte. Bs war ein langsamer aber stetiger Gewinn an Boden, bis nichts mehr zu erobern war. *) Relation Bloomfield vom 12. Juli 1847, Record office.

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vom 20. Juli 1845 zu danken war, der den Chinahändlern wesentliche Vorzüge sicherte. Ein Zeichen der bereits damals bestehenden Eifersucht Englands war es, daß Palmerston, als die Russen bei Asterabad ein Hospital anlegten und die anliegenden Häuser durch einen Wall umschlossen, Nesselrode daran erinnern ließ, daß England auf den Wunsch Rußlands Earak geräumt habe 1 ). Man fürchtete in England nicht mit Unrecht, daß Rußland sich mit der Absicht trage, an den Nordküsten Persiens Fuß zu fassen, and beobachtete eifersüchtig das Anwachsen der russischen flotte im Kaspischen Meer, bis zu welchem die Hand Englands nicht reichte. Nesselrode hat sich den englischen Mahnungen gegenüber auf die Notwendigkeit berufen, den nissischen Handel vor den Seeräubern zu schützen, welche die Kaspisee unsicher machten, und durch die Ungunst der klimatischen Verhältnisse, welche die Anlage eines Hospitals auf dem Festlande vorgeschrieben hätten, äie Maßnahme Rußlands zu rechtfertigen gesucht. Die einmal eingenommene Stellung wurde nicht aufgegeben, und den Schah, auf dessen Protest Palmerston sich berufen hatte, verstand man zu beschwichtigen. Hatten trotz jener asiatischen Erfolge die auswärtigen Beliehungen Rußlands auf den Kaiser einen überwiegend ungünstigen Eindruck gemacht, so galt das noch mehr von der Wendung, welche die inneren Verhältnisse des Reichs zu nehmen drohten. Wie immer kamen ihm dabei zunächst die polnischen Verhältnisse in Betracht. Zu Anfang des Jahres 1847 erschien in der Petersburger Zeitschrift „Die nordische Biene" eine Reihe von Gedichten der Gräfin Rostopschin*), darunter eine Ballade „Die erzwungene Ehe". Ein Ritter klagt über die Untreue seiner Frau. Sie erwidert, sie könne ihn nicht lieben, denn er habe sie mit Gewalt zur Ehe gezwungen. Dem Zensor, der die Gedichte zu beurteilen hatte erschien das unverfänglich. Da die Gräfin in wenig glücklicher Ehe lebte, meinte er, sie schildere, allerdings in auffallender Offenheit, ihre eigenen Erlebnisse. So gestattete er den Druck des GeSiehe Band III pg. 299. Die Räumung von Karak fand 1837 statt. Die Instruktion Palmerstons an Bloomfield ist vom 6. Dezember 1847. 2 ) geb. Suschkow, vermählt mit dem Grafen Andrej Feodorowitsch Rostopschin. Die russische Sappho, wie der Fürst Wjasemski sie genannt hat, geboren 1811, gestorben 1858. 8*

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dichtes. Aber das Petersburger Publikum, das gewohnt war zwischen den Zeilen zu lesen, erkannte bald, daß hier eine bösartige politische Satire hinter den unschuldigen Versen stecke. Der Ritter war nicht Graf Rostopschin, sondern Rußland oder vielmehr der Kaiser; die Dame nicht die Gräfin — sondern Polen. Und nun gewann doch alles sehr unbequeme Beziehungen zur Wirklichkeit 1 ). Als der Kaiser das Gedicht las, befahl er, „die Nordische Biene" eingehen zu lassen. Da aber der Herausgeber, Herr Bulgarin, einer der gesinnungstüchtigsten literarischen Denunzianten war, gelang es dem Grafen Orlow, zu erreichen, daß ihm die Strafe erlassen wurde. „Wenn Bulgarin nicht Pole ist", sagte der Kaiser, „so ist er ein Dummkopf (durak)." Die Anspielungen, die das Gedicht brachte, müssen dem Kaiser besonders verständlich gewesen sein. 1842 hatte er die heraldischen Embleme Polens durch russische ersetzt und der geographischen Einteilung de9 Landes russische Nomenklaturen beigelegt. 1843 traten an Stelle der polnischen Bezeichnungen der Departements russische, und ') Die meist in Betracht kommenden Verse lauten: B Ob ich dir Sklavin bin, ob Weib, Gott weiß es wohl — hab ich ihn mir erwählt Den harten ungerechten Herrn? Hab ich den Schwur aus eignem Willen ihm geleistet? Ich lebte frei und glücklich einst, Und meine Freiheit hab ich heiß geliebt. Besiegt, gefesselt hat der Ansturm mich Der bösen Nachbarn, die mich niederwarfen! Verraten ward ich und verkauft Und ward zur Kebse dir und nicht dein Weib. Du warst es, der zu reden mir verboten In meiner Muttersprache süßem Laut, Und mein ererbtes Wappen gab ich hin, Und meinen Namen selbst darf ich nicht brauchen. Verschlossen ist die Pforte mir der Kirche, An deren Altar ich als Kind gebetet, Und fremdem Glauben soll ich mich ergeben, Ich arme iinglücksel'ge Frau! Die treu mir waren, sind verbannt, gefangen, Und mich umringt die Schar der feilen Knechte, Die nur Spione sind des harten Herrn." Tagebuch Nikitenkos: Januar 1847, Russkaja Starina LXV. Diese Sache erregte so großes Aufsehen, daß auch die fremden Diplomaten über sie berichteten. Siehe die Depesche Raynevals an Guizot vom 30. Januar 1847.

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russische Titel an Stelle der polnischen Titel der Beamten. In demselben Jahr ward die Bezeichnung Palatinat abgeschafft, wofür fortan Gouvernement gesagt werden mußte und die Grenzen dieser Gouvernements wurden geändert, wohl um die historischen Erinnerungen zu verwischen, die sich an die Palatinate knüpften. Völlig umgemodelt nach russischem Muster wurde das System des nationalen Erziehungswesens, das dem russischen Unterrichtsministerium unterstellt wurde. Die Kenntnis der russischen Sprache bei allen staatlichen Anstellungen wurde erst empfohlen, dann obligatorisch gemacht, schließlich verordnet, daß alle Beamten (mit alleiniger Ausnahme der Justiz), die nach drei Jahren nicht geläufig Russisch sprechen konnten, abgesetzt werden sollten. Für die Kommunalbeamten war die Kenntnis des Russischen obligatorisch. In russischer Sprache mußten die Bezeichnungen aller öffentlichen Anstalten, seit 1846 auch die der Häuser, Läden und Straßen angebracht und alle Berichte russisch abgefaßt werden. In bezug auf die letzteren machte Rußland jedoch vor der Justiz aas praktischen Ursachen halt, weil es unmöglich war, die Fiktion aufrechtzuerhalten, daß jeder rechtsuchende Pole Russisch verstehe, russische Beamte, die Polnisch verstanden und die an Stelle der polnischen Richter und Anwälte hätten treten können, aber nicht aufzubringen waren. AQ Stelle des code Napoleon trat durch Ukas vom 20. April 1847 der russische Kriminalkodex, der am 1. Januar 1848 obligorische Geltung erhielt, und der den polnischen Rechtsanschauungen, wie sie seit über einem Menschenalter an der Hand des code sich gebildet hatten, keinerlei Rechnung trug. Charakteristisch für dieses russische Gesetzbuch war die gelinde Bestrafung von Vergehen gegen die Moral, während alles, was unter den Begriff der Insubordination gebracht werden konnte, mit entsetzlicher Härte bestraft wurde. Dazu kam die Unbestimmtheit der Definition der Begriffe Vergehen und Verbrechen, Gesetz und Verordnung; die maßlose Ausdehnung der Körperstrafen: Ruten, Brandmarkung, Zwangsarbeit in den Bergwerken, die vielfach der Todesstrafe gleichgesetzt werden mußten. Endlich traf der Titel II des neuen Kriminalrechts die Verbrechen gegen die Religion mit besonders barbarischen Strafen. Paskiewitsch ist mit dem allzustürmischen Tempo dieser Russifizierung nicht gjmz einverstanden gewesen und hatte unter anderem durchgesetzt, daß ein Ukas die Kinder polnischer Soldaten ihren Fa-

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milien wieder zurückgab; freilich waren dabei rein militärisch© Erwägungen ausschlaggebend gewesen. Da in Polen nicht wie in Rußland die Rekrutierung sondern die Konskription üblich war, erschien es logisch, die Kinder, die das Gesetz später zum Militärdienst berief, ihren Familien zu lassen. Es ist nicht zu erweisen, daß die nach dem Tode Wassiltschikows auftauchende Absicht des Kaisers, Paskiewitsch zu dessen Nachfolger als Vorsitzenden des Reichsrats zu machen, mit seiner milderen Auffassung in Sachen der Russifizierung Polens in Zusammenhang zu bringen ist. Tatsache ist jedenfalls, daß der Kaiser damals die Frage ernstlich erwogen hat, seinen Bruder Michail zum Vizekönig von Polen zu machen. Das nächste Motiv dazu war wohl die Notwendigkeit, dem Großfürsten-Thronfolger eine feste Beschäftigung zu geben, was am besten geschehen konnte, wenn Michail das Kommando der Garde sowie seine übrigen militärischen Stellungen in Rußland aufgab. Der Großfürst war von den Tagen Konstantins her stets gern in Warschau gewesen und beherrschte zudem die Sprache. Aber Paskiewitsch lehnte zum Arger Nikolais die Ernennung zum Präses des Reichsrats ab. Er hielt sich im Hinblick auf die Ereignisse in Posen und Galizien für unentbehrlich, den Kaiser aber mag .schließlich die Erwägung getröstet haben, daß, wenn er seinen Bruder zum Vizekönig mache, sich der Erlaß einer Amnestie nicht werde umgehen lassen'). Es ist daher beim alten geblieben, aber man glaubte nicht, daß der Kaiser den Gedanken ganz aufgegeben habe. Er war um diese Zeit durch eine Reihe besonders schwerer Erfahrungen, die er an hochstehenden Militärs gemacht hatte, tief verstimmt. Schon zu Ende des Jahres 1846 war von ihm eine einschneidende Maßregel getroffen worden, um die Immoralität und Bestechlichkeit der Subalternbeamten zu beseitigen, die man für die Vergehungen der höher stehenden Beamten verantwortlich zu machen und zu bestrafen gewohnt war. Während bisher die Beförderungen und Belohnungen von den Vorgesetzten ausgingen, bestimmte der Kaiser, daß fortan Anträge auf Beförderung seiner eigenen Kanzlei zufließen und in Konduitenlisten zentralisiert werden sollten, damit er jederzeit die Stellung jedes seiner BeWar es amten an der Hand dieser Listen überschaue^ könne. 1

) So urteilt Du Plat. Berlin.

Depesche vom 14. Mai 1847, durch Boten über

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doch vorgekommen, daß längst verstorbene Beamte allmählich zu Geheimräten aufrückten und einzelne Stellungen mehrfach besetzt und bezahlt wurden. Nikolai hatte hier eingegriffen, Überzählige beseitigt und das mechanische Vorrücken von Subalternen zu Titeln [Tschins), die den persönlichen oder gar den erblichen Adel verliehen, zu beseitigen versucht. Er bestimmte, daß der Adel fortan um einige Grade später im Tschin erworben werden sollte, stieß aber auf so eingewurzelte und zahlreiche Mißbräuche, daß seine Energie daran scheiterte. Besonders schmerzten ihn jedoch die Mißbräuche von Männern, die er persönlich kannte und denen er sein Vertrauen geschenkt hatte, wie dem Generaladjutanten Fürsten Trischatny und dem General der Garde Dobroschin, die beide wegen Unterschlagung abgesetzt werden mußten; ein anderer Fall war der des Chefs der Petersburger Polizeiverwaltung, Klewetzki, der 150000') Rubel gestohlen hatte, die zum Unterhalt und zw Beförderung von 17000 Rekruten bestimmt waren, die zum Grafen Woronzow in den Kaukasus geführt werden sollten. Man schickte sie ab, aber ohne sie ausreichend mit Kleidung und Brot versehen zu haben, und über die Hälite von ihnen kam unterwegs um. Auch der Oterprokureur Dmitrijew mußte entlassen und das ganze vierte Departement des Senats von kompromittierten Persönlichkeiten gesäubert werden. Noch stärker wurde der Kaiser persönlich durch den folgenden Betrug getroffen. Der Generalgouverneur von Charkow, Poltawa und Tschernigow, Fürst Nikolai Andrejewitsch Dolgoruki, zugleich Kurator der dortigen Universität, starb im April 1847. Er hinterließ zwei Briefe an den Kaiser. Im ersten bat er ihn, für seine Familie zu sorgen, und der Kaiser bestimmte sofort, daß die Witwe eine Pension von 4000 Rubeln erhalten sollte. Bald danach traf der zweite Brief ein, in welchem der Fürst bekannte, 43000 Rubel Krongelder „verbraucht" zu haben. Es waren die Gelder des Waisenhauses, das unter seiner Obhut stand. Der Kaiser war mit Recht entrüstet; wenn das ein Generaladjutant und Glied der höchsten Aristokratie tue, was solle er von anderen erwarten! Das Angebot der Brüder Dolgorukis, die unterschlagenen Gelder wiederzuerstatten, lehnte er ab, die der Witwe bewilligte Pension wurde ihr nicht entzogen. Die Tatsache dieser geglückten Überrumpelung seiner Großmut und Nach der Angabe Lebedews 100000.

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der schlauen Rechnung auf seine Spontaneität und seinen Stolz, der ihm verbot, eine einmal getroffene Entscheidung rückgängig zu machen, hätte er wohl am liebsten in seiner Brust verborgen. Sie wurde aber weit über Petersburg hinaus bekannt und hat ihren Widerhall in den Berichten der ausländischen Gesandten gefunden. Die Memoiren jener Zeit sind voller Klagen über das Sinken der öffentlichen Moral und über die steigende Mißachtung dei Regierungsorgane. „Bei uns", schreibt Lebedew, „wird immer Geld gestohlen. Im Departement der Militärkolonien 14000, inc Waisengericht 20000, in der Polizeiverwaltung 100000, in Tarnbow, Simbirsk, Twer, Moskau, immer große Summen und so frech daß man nicht weiß, wen man beschuldigen soll." Zahllos warei die anonymen Denunziationen, der Kaiser erregt und in seinem Zorn der sich nur zu häufig auf Unschuldige richtete, im Grunde machtlos den tiefen Schäden gegenüber, die von dem System der russischer Verwaltung ausgingen und ohne Zweifel in Zusammenhang mit dei entsittlichenden Wirkung standen, die von der Leibeigenschaft ausging Der Gedanke, daß er namentlich nach dieser Richtung hin reformierend eingreifen müsse, wurde ihm immer lebendiger, und sc nahmen die geheimen Komitees, welche die Frage der Leibeigenschaft zu bearbeiten hatten, ihre von den Kreisen des russischen Adel! mißtrauisch verfolgte Tätigkeit wieder auf 1 ). Da lenkte die Entwicklung einer, wie es schien, auf Umsturz gerichteten Verschwörung die Tätigkeit des Kaisers und seine Sorgen nach andere! Richtung ab. Die ukrainische Frage stieg zum erstenmal drohend am Horizonte auf. In den letzten Monaten des Jahres 1845 wai in Kiew eine ukraino-slavische Gesellschaft gegründet worden, zu der unter anderen der Professor Adjunkt Kostomarow, ein Kollegiensekretär Gulak, der Dichter Schewtschenko, Mitglied der Petersburger Akademie der Künste, der Lehrer des Petersburger dritten Gymnasiums Kulisch, ein Lehrer des Poltavaer Kadettenkorpi Bjeloserski und die Studenten Andrushski, Posjäd und Markowitscb gehörten. Ein Kiewer Student, Petrow, der bei Gulak wohnte, brachte in Erfahrung, daß bei diesem politische Fragen erörtert würden. Er verstand es, das Vertrauen Gulaks zu gewinnen und ') Noch im November 1847 notiert Lebedew, die Frage der Bauernbefreiung sei „toujours sur le tapis."

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wurde zu den Versammlungen zugelassen, welche die Gesellschaft „zum heiligen Kyrill und Methodius" bei Gulak vereinigte. Als dieser nach Petersburg reiste, reichte Petrow eine Denunziation ein, die den Generalgouverneur von Kiew, Generaladjutanten Bibikow, veranlaßte, eine Reihe von Verhaftungen vorzunehmen und das bei den Haussuchungen vorgefundene Material dem Chef der 3. Abteilung zuzusenden. Graf Orlow legte es im April 1846 dem Kaiser vor, der nicht wenig entsetzt war, als die Statuten der Gesellschaft des hlg. Kyrill und Methodius ihm Pläne offenbarten, die noch viel weiter in ihrer destruktiven Tendenz gingen als seine Feinde, die Polen, je gegangen waren. An der Spitze der Statuten standen in sechs Paragraphen „die Hauptgedanken": die geistige und politische Vereinigung der SJaven sei das Ziel, das die Gesellschaft erstreben müsse. Dabei solle jeder slavische Stamm seine besondere selbständige Stellung erhalten, und als solche Stämme wurden anerkannt: die Südrussen, die Nordrussen nebst den Weißrussen, die Polen, die Tschechen nebst den Slovinzen, die Lausitzer, die Ulyro-Serben nebst den Kroaten und Bulgaren. Jeder Stamm solle eine Volksregierung erhalten und völlige Rechtsgleichheit seiner Mitbürger nach ihrer Geburt und ihrem christlichen Bekenntnis aufrechterhalten. Regierung, Gesetzgebung, Eigentumsrecht und Bildungsstand seien auf die heilige Religion Jesu Christi zu begründen. Gleichheit der Bildung und reine Sittlichkeit sollen Vorbedingung zur Teilnahme an der Regierung sein. Endlich solle ein allgemeiner allslavischer Reichstag aus Vertretern aller Stämme bestehen. Den „Hauptgedanken" folgten die „Vornehmsten Vorschriften" der Gesellschaft. Als Abzeichen tragen die Mitglieder einen Ring oder ein Heiligenbild mit der Abbildung beider Heiligen; sie verpflichten sich eidlich, alle ihre Kräfte, ihr Vermögen und ihre Beziehungen den Zwecken der Gesellschaft dienstbar zu machen und sich weder durch Verfolgungen noch durch Martern bestimmen zu lassen, ihre Mitglieder zu verraten. Sollte eines von ihnen in die Hände des F e i n d e s fallen, so wird die Gesellschaft seiner Familie in der Not beistehen und ihr helfen. Zwischen den Mitgliedern herrscht völlige Gleichheit, sie werden, da zwischen den einzelnen slavischen Stämmen konfessionelle Verschiedenheiten bestehen, bemüht sein, nach Möglichkeit den Gegensatz zwischen den christlichen Kirchen

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zu versöhnen. Sie werden für Aufhebung der Leibeigenschaft und für Verbreitung der Kenntnis des Lesens und Schreibens sorgen. Sie verdammen den gottlosen Grundsatz, daß der Zweck die Mittel heilige. Zweigvereine sind berechtigt, besondere Statuten zu entwerfen, die jedoch nicht im Widerspruch zu den „Vorschriften" stehen dürfen. Niemand endlich soll vom Bestehen der Gesellschaft Personen Mitteilung machen, die ihr nicht beitreten, oder Hoffnung auf ihren Zutritt geben. Weit bedeutsamer war ein Manuskript, das die Unterschrift führte: „Das Gesetz Gottes". Es sucht in 109 kurzen Paragraphen nachzuweisen, daß die demokratische Staatsordnung die von Gott gewollte sei, die Slaven aber als auserwähltes Volk Gottes berufen, sie zu verwirklichen. Der Schwerpunkt fällt auf die Ausführungen am Schluß, der nach historischen Darlegungen von mehr als zweifelhafter Beweiskraft die Ukraine und das Kosakentum als die Verwirklichung der wahren christlichen demokratischen Freiheit feiert. „Aber die Deutsche, die Zarin Katharina, die unkeusche, weltliche, gottlose Mörderin ihres Gatten, hat auch der Freiheit der Kosaken ein Ende bereitet. Die Ukraine starb, aber es schien nur so, sie lag im Grabe, aber war nicht tot. Denn ihre Stimme, die das gesamte Slaventum zu Freiheit und Brüderlichkeit aufrief, erklang in der ganzen sla vischen Welt. Die Stimme der Ukraine ward laut in Polen, als am 3. Mai beschlossen wurde, daß es keine Herren unter ihnen geben und daß alle in der Republik Polen frei sein sollten. Dasselbe aber hatten schon 120 Jahre früher die Ukrainer gewollt. Und die Stimme der Ukraine erscholl in Moskowien, als nach dem Tode des Zaren Alexander die Russen den Zaren und den Adel verjagen und alle Slaven nach göttlicher Vorschrift unzertrennlich und nicht gewaltsam mit Moskau vereinigen wollten. Das wollte die Ukraine schon 200 Jahre vorher. Aber der Despot ließ es nicht zu; die einen endeten ihr Leben am Galgen, andere quälte man in den Bergwerken, wieder andere ließ man von den Tscherkessen umbringen. Und es herrscht der Despot über die drei slavischen Stämme, er regiert über sie durch die Deutschen, er bringt ihnen Ansteckung, macht sie zu Krüppeln, verdirbt ihre gute slavische Natur und erreicht doch nichts. Denn die Stimme der Ukraine verstummt nicht, die Ukraine ersteht aus ihrem Grabe, und wiederum ergeht ihr Aufruf an die

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slaviechen Brüder, und sie hören ihren Ruf, und das Slaventum wird sich erheben, und es wird weder Zaren noch Zarewitsch noch Zarin mehr geben, weder Fürsten noch Grafen, weder Herzoge noch Exzellenzen, weder Pane noch Bojaren noch Knechte, weder in Sroßrußland, noch in Polen, noch in der Ukraine, noch bei Tschechen, Kroaten, Serben oder Bulgaren. Und die Ukraine wird eine unabhängige Republik im slavischen Bunde werden, dann wird alles Volk sagen, indem es auf die Stelle zeigt, wo auf der Karte Ukraine steht: „Dies ist der Stein, den der Baumeister verworfen hat, der soll nunmehr der Eckstein sein." Eine Darstellung der Grundlagen, auf welche die künftigen älavischen Republiken aufgebaut werden sollen, bildet den Schluß: demokratisch, föderativ, christlich sollen sie sein. Die Untersuchung Bibikows brachte noch zwei weitere Aufrufe zutage, deren Fassung zwar nichts Neues bringt, aber von der gleichen leidenschaftlichen Liebe, von dem gleichen Glauben an die großen Aufgaben erfüllt, ist, zu welchen die Ukraine von der Vorsehung bestimmt sei, und von dem gleichen Haß gegen die Sroßrussen 1 ). Es ist merkwürdig, wie sehr der Kaiser bemüht gewesen ist, diese zweifellos russischen Gedanken, seinen politischen Feinden, den revolutionären Franzosen zuzuweisen. „Das ist", schrieb er Orlow, „offenbar eine Arbeit der bekannten Propaganda in Paris. Wir haben lange an diese Arbeit in der Ukraine nicht glauben wollen; jetzt läßt sich nicht mehr daran zweifeln, und Gott sei Dank, daß sie so entdeckt worden ist. Laß Bibikow wissen, daß es Zeit für ihn ist, am Platz zu sein, und daß überall streng nachgeforscht werden muß." Bibikow wies nun, da auch Studenten kompromittiert waren, darauf hin, daß die Beziehungen des Kurators des Kiewer Lehrbezirks zum Generalgouverneur unbestimmt und nicht zweckmäßig seien, namentlich sofern es sich um das System der Erziehung handele. „Da in Kleinrußland bei einigen Persönlichkeiten, die aus Kleinrußland stammen und die in Kiew lehren oder studieren, jetzt eine schädliche Richtung entdeckt worden ist, hat es ') „Die Söhne der Ukraine werden in Ewigeit Feinde sein der Kazapen," »o schloß ein Aufruf, der am Zaun eines Hauses in Kiew angeschlagen war. Kazap (Ziegenbock) ist der Spitzname, den die Ukrainer den Großrussen geben.

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sich in Anlaß des vorliegenden Falles als nützlich erwiesen, aal einige Zeit die Verwaltung des Kiewer Lehrbezirks in allen drei Gouvernements in jeder Hinsicht dem Generalgouverneur untei Oberaufsicht des Ministers der Yolksaufklärung zu unterstellen; dafür erbitte ich den Befehl Ew. Kaiserlichen Majestät." An dem Rand des Berichts, den ihm Orlow über das Gesuch Bibikows zusandte, ist von der Hand des Kaisers notiert: „Durchaus richtig und notwendig; der Minister der Yolksaufklärung isl zu benachrichtigen, daß ich befohlen habe, dieses auszuführen und ihm zusagen, i c h h ä t t e es b e f o h l e n a l s n o t w e n d i g , ohne dil Gründe anzugeben. 18. April 1847." Offenbar wollte Nikolai diesi ihm außerordentlich peinliche Angelegenheit sogar vor Uwarow geheimhalten. Das Ergebnis der Untersuchung war verhältnismäßig geringfügig. Nur der Denunziant Petrow und Andrushski sagten aus, daß die Gesellschaft rein revolutionäre Ziele verfolg! habe. Gulak verweigerte alle Aussagen; um so vollständiger waren die Aussagen von Bjeloserski und Kostomarow, so daß Orlow zum Schluß gelangte,"daß sie nichts verborgen hätten. Sie erklärten, ihr Ziel sei gewesen, alle Slaven unter dem Zepter Nikolais zu vereinigen nur im Glauben, daß der Zar durch Regierungssorgen allzusehr in Anspruch genommen sei, hätten sie gehofft, die Vereinigung der Slaven durch ihre eigenen Bemühungen') herbeizuführen. Als sie jedoch zur Einsicht kamen, daß sie praktische Erfolge nicht erreichen könnten, hätten sie Mitte 1846 ihre Sitzungen eingestellt und die Gesellschaft nicht wieder erneuert. Bjeloserski sei nach Poltava, Gulak im Januar 1847 nach Petersburg verzogen. Der Gedanke, das Reich zu erschüttern, Aufstände zu erregen oder militärische Unternehmungen vorzubereiten, sei ihnen niemals gekommen. Petrow und Andrushski hätten übertrieben. Verdächtig blieb nur Gulak, der schließlich gestand, die „vornehmsten Vorschriften" und das Statut der Gesellschaft verfaßt zu haben. Das „Gesetz Gottes" stamme jedoch nicht von ihm, die Handschrift habe schon 1833 existiert, es sei in Wirklichkeit nichts anderes, als eine Umarbeitung der „Piligrimka" Mizkiewiczs. Kostomarow nahm an, daß diese Umarbeitung von einem Polen stamme, aber weder „Statut" noch „Gesetz Gottes" seien je Statuten der ukraino - slavischen Gesellschaft gewesen. Die Studenten erwiesen ') wörtlich „mit eigenen Mitteln'.

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sich schließlich als nicht zur „Gesellschaft" gehörig, so daß schließlich als „wichtige Verbrecher" nur noch zwei der Verhafteten übrigblieben: Schewtschenko und Kulisch. Schewtschenko, den die kaiserliche Familie aus der Leibeigenschaft freigekauft hatte, habe, so hieß es im Schlußbericht Orlows, empörende Verse geschrieben, die wegen seines berühmten Namens doppelt gefährlich seien. Seine aufreizende literarische Tätigkeit habe schon 1837 begonnen, auch sei er älter als die übrigen Angeklagten. Kulisch sei ein begeisterter Kleinrusse, dessen Bücher fast denselben Eindruck machten, wie die Gedichte Schewtschenkos. Doch habe er sich stets mit Anstand ausgedrückt, auch sei er entsetzt gewesen, als man ihm vorhielt, wie seine Ausführungen ausgelegt werden könnten. An eine Aufwiegelung der Ukraine habe er niemals gedacht. Graf Orlow hat schließlich sein Urteil folgendermaßen zusammengefaßt: In Summa sei die slawische Gesellschaft der hlg. Kyrill und Methodius nicht mehr als die gelehrte Phantasterei von drei jungen Leuten gewesen, aus deren Tun trotzdem eine langsame, aber um so schädlichere Wirkung hätte hervorgehen können. Gulak sei 25, Koslow 28 Jahre alt, die übrigen 19 bis 37 Jahre. Er schlug demnach vor, Gulak auf drei Jahre in die Festung Schlüsselburg zu sperren und ihn dann in ein entferntes Gouvernement zu schicken'). Kostomarow solle ein Jahr Festungshaft erhalten und dann in ein entferntes Gouvernement geschickt werden um dort zu dienen, jedoch nicht im Lehrfach beschäftigt werden und unter strengster Aufsicht stehen *). Bjeloserski solle vier Monate Festungshaft erhalten und dann in den Zivildienst treten, aber nicht in Kleinrußland 3 ). Der Künstler Schewtschenko solle, weil er starken Körpers sei, als Gemeiner in das Orenburger Korps eingereiht werden, unter strengster Aufsicht, damit er keine Pasquille verfasse *). Dazu bemerkt der Kaiser: „Falls er sich in seiner Denkart Der Kaiser: „In das Gouvernement Wjätka." 3 ) Der Kaiser: „Weil er aufrichtig bekannte, direkt zum Dienst Gouvernement Olonez unter Aufsicht."

bessert." in das

4 ) Der Kkiser: „Unter strengster Aufsicht und bei dem Verbot zu schreiben und zu zeichnen." Schewtschenko war von Beruf Zeichenlehrer und studierte an der Akademie der Künste unter der Leitung von Brjulow.

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Für Kulisch vier Monate Festung, danach Verschickung zum Dienst in ein großrussisches Gouvernement und unter Aufsicht, bei Verbot, ihn ins Ausland oder nach Kleinrußland zu beurlauben. Die Zensur hat ihn zu beobachten1). Mit ganz leichten Strafen kamen die drei Studenten davon. Zu verbieten seien die Schriften von Schewtschenko, Kulisch und Kostomarow, und den Zensoren, welche diese Werke zu drucken erlaubten, strenge Verweise zu erteilen. Den Generaladjutanten Bibikow und Kokoschkin wurde mitgeteilt, sie hätten sich davom zu überzeugen, ob nicht Gedichte von Schewtschenko und die Handschrift „Gesetz Gottes" noch im Umlauf seien. Der Student Petrow endlich wurde zur Belohnung in die dritt« Abteilung versetzt und ihm 500 Rubel Einkleidungsgelder gegeben; weitere Geldbelohnungen wurden in Aussicht gestellt, falls er Eifer im Dienst zeige. Seiner Mutter wurde die Pension von 100 auf 200 Rubel erhöht. Der Kaiser bestätigte diese Urteile am 12. Mai 1847"). Di« Entdeckung dieser „Verschwörung" führte zu Reflexen, welche völlig unschuldige Personen schädigten. Die jungen russischen Gelehrten des pädagogischen Instituts, die bestimmt waren, zu ihrer weiteren Ausbildung deutsche Universitäten zu besuchen, wurden zurückgehalten, und den Zensoren ging die folgende geheime Vorschrift zu: „Bei Durchsicht der in Zeitschriften erscheinenden Arbeiten über vaterländische Geschichte bemerke ich, daß sich iu ihnen oft Äußerungen über staatsrechtliche und politische Fragen einschleichen, deren Behandlung nur mit äußerster Vorsicht zu gestatten ist. Besonders ist die Neigung einiger Schriftsteller zu beachten, das Publikum zu unüberlegten Äußerungen des Patriotismus sowohl allgemeinen wie lokalen Charakters hinzureißen, was, wenn nicht gefährlich, so doch wegen der Folgen, die daraus ') Der Kaiser: „Verbot zu schreiben und zum Dienst nach Wologda." ) Der russische Text der Statuten und der bei den Haussuchungen vorgefundenen Manuskripte ist gedruckt in der Zeitschrift Byloje 1906, Band I, Februarheft pg. 66 sq. In derselben Zeitschrift 1906, Band III, pg. 4—12 ausführliche Angaben über die gegen Schewtschenko in der 3. Abteilung geführte Untersuchung. Den Studenten Petrow nötigten seine Kommilitonen, aus der Universität auszuscheiden; er wurde aber, ohne daß er ein Examen abzulegen brauchte, zum „graduierten Studenten" gemacht und, wie oben erzählt, in der 3. Abteilung angestellt. 2

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möglicherweise sich ergeben könnten, sehr unüberlegt ist." Es wur zum Schluß den Zensoren scharfe Aufsicht über Artikel dieses Charakters vorgeschrieben. Von größerer Bedeutung war es jedoch, daß sich die Aufmerksamkeit des Kaisers fortan auch den seiner Meinung nach allzu lauten Äußerungen des russischen Patriotismus zuwandte, speziell den von Moskau ausgehenden slavophilen oder slavinophileD Bestrebungen. - Das erste Symptom dieser Wendung seiner Gedanken war, daß die dritte Abteilung noch mißtrauischer, als sie es ohnehin war, nicht nur liberalisierende Richtungen, sondern überhaupt alle Regungen selbständigen Geisteslebens zu verfolgen begann. Fast unmittelbar nach Erledigung der Äußerungen des ukrainischen Patriotismus wurde ein junger Gelehrter, der im Begriff stand, die fremden Slavenländer zu besuchen, der später als Nationalökonom und Publizist bekannt gewordene Tschishow, der schon 1845 Istrien, Dalmatien, Serbien und die österreichischen Slavenländer bereist hatte, bevor er aufs neue die Grenze überschreiten konnte, verhaftet und nach Petersburg geführt, wo er sich vor der dritten Abteilung wegen seiner politischen Ansichten über die slavische Frage zu verantworten hatte. Die Form des Verhörs war noch immer dieselbe, die während des Prozesses der Dekabristen in Übung war. Zunächst ein Kreuzfeuer mündlicher Fragen, danach ein schriftliches Bekenntnis, das dem Kaiser vorzulegen war. Tschishow, der außerordentlich geschickt und klug war, bekannte sich zur Ansicht, daß seiner Meinung nach alle Slaven unter dem Szepter Nikolais vereinigt werden sollten — was ihm nicht ernstlich verdacht werden konnte, dann aber schrieb er seine Bekenntnisse als ein Gegner des europäischen Einflusses auf Rußland, ganz wie ein Vertreter der Uwarowschen Trias: Selbstherrschaft, Rechtgläubigkeit und Volkstümlichkeit. Peter 1, erklärte er, sei der größte und gefahrlichste aller Revolutionäre gewesen. Dubbelt und Orlow hatten keine Ursache, mit ihm unzufrieden zu sein. Sie dankten ihm sogar, als sie ihn entließen; bemerkten aber, er sei allzu feurig und deshalb könne ihm auch nicht gestattet werden, in Moskau — wie er offenbar gewünscht hatte — eine Zeitschrift herauszugeben. Auch schrieb man ihm vor, was er schreibe, der Zensur der dritten Abteilung vor zulegen. Zwei Tage danach, am 31. Mai, fand eine außerordentliche

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Sitzung des SeDats der Universität Petersburg, unter Vorsitz des Kurators Mussin-Puschkin statt, zu welcher auch der Direktor des pädagogischen Instituts, I. I. Davydow, geladen war. Es wurde, ein auf allerhöchsten Befehl verfaßtes Reskript Uwarows verlesen, das die Begriffe Volkstümlichkeit und die Beziehungen der Slaven zu Rußland erläuterte. Die russische Volkstümlichkeit bestehe in grenzenloser Ergebenheit und Gehorsam dem Selbstherrscher gegenüber; die Slaven des Westens sollten aber keinerlei Sympathien bei den Russen erwecken. Sie seien etwas Besonderes, ganz wie die Russen, die sich feierlich von ihnen lossagen. Die Slaven verdienten um so weniger Mitgefühl, als Rußland seinen Staat ohne sie errichtet, ohne sie gelitten habe und groß geworden sei, sie aber stets in Abhängigkeit von anderen standen, nichts geschaffen hätten und ihre historische Existenz jetzt ein Ende gefunden habe. In Hinblick darauf wünsche der Minister, daß die Professoren von ihren Lehrstühlen aus den Gedanken der Volkstümlichkeit nicht anders als auf Grundlage dieses Programms und auf Befehl der Regierung darlegen sollten. Besonders gelte diese Vorschrift für die Professoren der slavischen Sprachen, der Geschichte und der Gesetzgebung Rußlands. Nach Vorlesung dieses Reskripts erklärte Mussin-Puschkin, daß er an der Zuverlässigkeit der Gesinnung der Senatoren und an ihrer Bereitwilligkeit dieser Vorschrift zu folgen, nicht zweifele; er sehe, wie gerührt sie seien, und werde nicht unterlassen, dem Minister davon Mitteilung zu machen. Es folgte ein Dank des Rektors und eine Sitzung der anwesenden Zensoren, die den Beschluß faßten, einen Artikel zu verbieten, der die Doktrin der Slavophilen behandelte, obgleich er ganz im Sinn dei soeben vorgelegten offiziellen Ansichten geschrieben war. Parallel ging eine weitere ministerielle Vorschrift, in welcher es hieß, daß, obgleich die französischen Romane und Novellen, die in Zeitschriften veröffentlicht werden, bei der Übersetzung ins Russische so umgearbeitet würden, daß sie nichts Schädliches enthielten, ei doch besser sei sie überhaupt nicht zu dulden. Die Zensoren sollten den Druck von Übersetzungen nur dann zulassen, wenn sie vorbei dem Kurator vorgelegen hätten, von dem es dann abhänge, den Druck zu gestatten oder zu verbieten. Es zeigte sich jedoch bald, daß dieser Befehl völlig unausführbar war; die Petersburger Zensoren und der Kurator verständigten sich schließlich darüber, ihn nicht zu befolgen.

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Freier als in Petersburg bewegte sich das geistige und literarische Leben in Moskau. Die alte Residenz stand nicht so unter dem Druck der dritten Abteilung und des Eingreifens des Kaisers, unter dessen unberechenbaren Maßregelungen Petersburg zu leiden hatte. Auch war Moskau nicht so völlig militarisiert, wie der Sitz der Garden und das Feld der unermüdlichen Tätigkeit des Großfürsten Michail Pawlo witsch, der es für seine besondere Aufgabe ansah, überall jede Überschreitung des strengen militärischen Formalismus zu verfolgen und zu bestrafen. Auch der Lehrkörper der Moskauer Universität zeigte unter dem milden Regiment des Grafen Ssergej Grigorjewitsch Stroganow (geb. 1794, gest. 1882) einen von der nördlichen Hauptstadt durchaus verschiedenen Charakter. Der Graf, der die Feldzüge von 1811—15 und den Türkenkrieg von 1828 mitgemacht hatte, gehörte noch der besser gebildeten Generation an, welche die bestimmenden Eindrücke ihres Lebens in den Jahren aufgenommen hatte, da Alexander I. sich noch nicht auf den abschüssigen Bahnen der Reaktion bewegte. 1835 war er zum Kurator der Universität Moskau ernannt worden, die in den 12 Jahren seiner Waltung einen überraschenden Aufschwung nahm. Historie, Numismatik und kirchliche Kunst waren das Feld seiner besonderen I n t e r e s s e n D a s Wesentliche aber war doch, daß er seine Aufgabe ernst auffaßte und das Gedeihen der Universität mit Liebe und Verständnis förderte. Obgleich seinerzeit der Zugang zum Studium noch allen Russen mit Ausnahme der Leibeigenen offen stand, gehörten die Studenten der sogenannten „wohlgeborenen Pension" und der Universität fast ausschließlich der begüterten russischen Aristokratie an, ebenso auch die jungen Gelehrten, die seit einigen Jahren zu weiterer Ausbildung nach Absolvierung ihrer Universitätsstudien nicht nur, wie der später so berühmte Chirurg Pirogow, nach Dorpat, sondern auch nach Deutschland und Frankreich geschickt wurden und mit denen nach ihrer Rückkehr die wichtigsten Lehrstellen besetzt wurden. Was sie heimbrachten, war Verständnis für die wissenschaftlichen Ideale des Abendlandes und eine Fülle von Anregungen, die sie je nach älteren Eindrücken und unter dem Einfluß ihrer Umgebung in besonderer Weise verarbeiteten. Diejenigen ') Stroganow ist der Begründer der russischen archäologischen Kommission, zum Teil auf seine Kosten wurden die .Altertümer des Russischen Reiches" gedruckt. S o h i e m a n n , Geschichte Rußlands.

IV.

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von ihnen, die in Berlin studierten, hatten sich meist dem 'gewaltigen Eindruck nicht entziehen können, der von dem philosophischen System Hegels ausging. Der Gedanke einer unaufhörlichen Entwickelung aller denkbaren Erscheinungen des Lebens, das Streben, durch ein Prinzip alle Gebiete des Wissens zu umfassen und zu; erklären, führte um so mehr in die Welt der Abstraktionen, je weniger die Wirklichkeit des nikolaitischen Rußland Gelegenheit bot, diese Erscheinungen mit kritischem praktischem Verstände anzufassen. Hatte man bisher seine Ideale in der schönen Literatur Deutschlands und in der sozialistischen Philosophie Frankreichs gesucht, in den Romanen von G. Sand, namentlich aber in St.-Simons Lehren, so trat das alles zurück vor dem gewaltigen Eindfluß Hegels, der seit Ende der dreißiger Jahre in Moskau alles beherrschte, was überhaupt tiefer greifenden geistigen Interessen zugänglich war. Die Professoren Rjedkin, Krylow, Krjukow, Granowski, Kawelin, A. I. Turgenew gehörten dieser Schule an, die eigentlichen Apostel des Hegeischen Systems aber waren Stankewitsch und Bakunin, von denen der erstgenannte zum Mittelpunkt eines Kreises von Moskauer Hegelianern wurde. Diesem Kreise gehörten auch der später nach Petersburg übersiedelnde große russische Kritiker Bielinski und Herzen an, der nach vieljähriger Verbannung in Wjätka, Wladimir und Nowgorod 1842 nach Moskau zurückkehren durfte und fünf Jahre lang, anregend und angeregt, auf das geistige Leben des verhältnismäßig doch nicht vielköpfigen Kreises von Idealisten — denn das waren sie alle — einwirkte. Auch der später zu so großem politischen Einfluß gelangte Michail Nikiforowitsch Katkow 1 ) studierte 1842 in Berlin, gehörte aber bereits der Schule Schellings an, die die Hegeische Richtung zu verdrängen begann, und wurde 1845 Professor der Philosophie in Moskau. Auf diesem Boden entwickelten sich die beiden Strömungen der Westler (Sapadniki) und der Slavophilen, die zunächst aus der gleichen Quelle deutscher Philosophie schöpften, aber schließlich in bitterem Gegensatz den Vertretern der Gedankenwelt des Westens gegenüberstanden. Ihre historisch ') Ostafjew-Archiv IV. Turgenew an Wjäsemski 15. Februar 1842: „Ich lese jetzt Schölling in der Übersetzung Katkows, eines seltenen jungen Mannes, den auch Schelling mir empfohlen hat. Wie habt ihr ihn nicht in Petersburg zurückgehalten ? Er war ohne einen Bissen Brot und vermochte es, der angesehenste russische Student in Berlin zu werden."

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bedeutsame Rolle fällt in die hinter der Regierung Nikolais liegende Zeit, aber das Fundament ihrer Theorien ist damals festgestellt worden. Der Salon einer geistreichen Moskauer Aristokratin, der Frau Jelagin, in dem Vertreter beider Richtungen verkehrten, ist für die Entwickelung sowohl der Slavophilen wie der Westler von Bedeutung geworden. Gemeinsam war beiden Gruppen ein ehrlich empfundener russischer Patriotismus, der sich jedoch in entgegengesetzter Richtung entwickelte. Bei den Slavophilen gipfelte er in Verherrlichung eines streng kirchlich-russischen Nationalismus, dessen ideale Verkörperung sie in der naiven Frömmigkeit der russischen Bauern gefunden zu haben meinten, deren Agrarkommunismua, wie er im Mir bestand, ihnen, namentlich seit Haxthausen ') bewiesen hatte, daß Rußland im Mir bereits das Fundament für eine notwendige soziale Reform besitze, noch ehrwürdiger erschien. Aus diesem Boden erwuchs dann die Vorstellung, daß das russische Volk, das den Schatz der allein richtigen Rechtgläubigkeit hüte, als Träger eines großen religiösen und sozialen Ideals berufen sei, den „faulen" Westen zu verjüngen. Es ist sehr merkwürdig, daß dieser Messianismus der Slavophilen sich mit der berüchtigten Uwarowschen Formel nicht nur versöhnte, sondern in ihr auch die Formulierung der eigenen Uberzeugungen wiederfand. Die Slavophilen lehrten, daß eine herzliche Einheit das Volk mit dem absoluten rechtgläubigen Zaren verbinde, und daß im Lauf der russischen Geschichte Volk und Herrscher sich friedlich über eine Teilung der Gebiete des staatlichen Lebens geeinigt hätten. Sie rechtfertigten und verteidigten die besondere russische Kultur und dichteten ihr schließlich Vorzüge an, die durchaus utopisch waren und in schreiendem Gegensatz zur Wirklichkeit standen. War die Allgewalt Nikolais eine unbestreitbare Tatsache, so waren es keineswegs die Ideale, die sie aus ihrer Konstruktion russischer Vergangenheit abstrahierten: die Macht der öffentlichen Meinung, die in den Salons der Vornehmen als Klatsch lebte, und noch weniger die in einer gar nicht vorhandenen freien Presse ausgesprochenen Überzeugungen, oder gar die längst verschollenen Versammlungen des Volkes (der wjetsche), der Versammlungen des Gesamtvolkes im 17. Jahrhundert (die ssobory), Er war 1843 in Moskau. 9*

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für die sich die Slavophilen begeistertec. Das waren im 19. Jahrhundert bloße Schemen, denen aber ein demokratisches Element zugrunde lag, das die russische Revolution des 20. Jahrhunderts sich zu eigen machen und das Aufnahme in die Staatspraxis finden sollte. Die Begründer der Theorie der Slavophilen waren Alexcy Stepanowitsch Chomjäkow und Iwan Wassiljewitsch Kirejewski, von denen der erste die religiöse Superiorität Rußlands vertrat, der zweite, vom Gegensatz der orientalischen und abendländischen Philosophie ausgehend, sein System an der Hand des Unterschiedes zwischen der Geschichte Rußlands und der des Abendlandes, dos nationalen Charakters der Russen und der Völker des Westens gipfeln ließ. Weiter ausgebildet wurde beides von der jüngeren Generation der Slavophilen, den Aksakow (Konstantin und Iwan), Juri Ssamarin, Jasykow und einer Plejade minderer Größen, während gleichzeitig Pogodin seit 1835 im Auftrage Uwarows an der Moskauer Universität als Professor der Geschichte die historische Orthodoxie verteidigte. Diese Slavophilen, die der praktischen Politik ziemlich gleichgültig gegenüberstanden, gehörten alle dem reichbegüterten russischen Adel an und wie sie auch die Gruppe der Westler, der Sapadniki, die wie sie ebenfalls über Schelling und Hegel und zuletzt in ihren radikalen Ausläufern wiederum über Schellings Philosophie und die Junghegelianer sich ihre Lebensauffassung durch leidenschaftliche Vertiefung in die Schriften beider Philosophen erarbeiteten. Eine Ausnahme bildete Wissarion Grigorjewitsch Bielinski, der dem verarmten Kleinadel angehörte und der sich, von slavophilen Anschauungen ausgehend, zum einflußreichsten Vertreter der Westler auf russischem Boden entwickelte. Er hat als Schriftsteller den dritten Stand in die Literatur eingeführt und, wie treffend bemerkt worden ist 1 ), das ganze fortschrittliche Rußland gegen den Absolutismus organisiert. Unter dem Einfluß Bakunins berauschte auch er sich zunächst an dem Hegeischen Satz: „Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig", den Bakunin dahin umformte: „Recht ist Macht und Macht ist Recht." Auch Bielinski suchte nach einem Ausweg aus Von Masaryk: Zur russischen Geschichts- und Religionsphilosophie, Band I, Kap. XI. Er nennt seine Studien sehr bescheiden soziologische „Skizzen. Es sind aber grundlegende und tiefgegrändete Arbeiten, von denen jeder lernen kann, der Rußland wirklich verstehen will.

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der damaligen Lage der Gesellschaft und glaubte zeitweilig, ihn in jenem Axiom Hegels gefunden zu haben. Erst Herzen hat ihn, nicht ohne daß es deshalb zu einem Bruch zwischen ihnen gekommen war, schließlich von jener unbedingten Verbeugung vor dem Wirklichen befreit. Der Einblick in die Praxis des russischen Regierungssystems, den er gewann, als er nach Petersburg übersiedelte, hat mit dazu geholfen. Man kann ihn danach zu den Führern der Sapadniki rechnon. An den geistvollen, öffentlichen Vorlesungen Granowskis über Geschichte des abendländischen Mittelalters und an den boshaften Versen des Slavophilen Jasykow spitzte sich der Gegensatz zwischen Westlern und Slavenfreunden zu. Anfang 1845 hat er sich bereits vollzogen. Herzen, der erst nach seinem Streit mit Bielinski sich in das Studium Hegels vertiefte, durch den die Slavophilen ihre Anschauungen begründeten, kam zum Schluß, daß Hegel seinen Überzeugungen weit näher stand, als denen seiner Gegner. Hegels Lehre wurde ihm „zur Algebra der Revolution" was sie Bakunin, der 1840 nach Deutschland zog, bereits vorher geworden war. Der geistige und politische Entwickelungsweg Bielinskis, Herzens und Bakunins zeigt uns verwandte Züge. Ausgegangen sind sie vom deutschen Idealismus. Schiller und Goethe waren namentlich Herzens erste Leitsterne, es folgte der Einfluß der Romantik, aber während Bakunin 1 ) und Bielinski durch Hegel zunächst dem Positivismus in einer den Slavophilen verwandten Form zugeführt wurden, setzte bei Herzen der französische Sozialismus ein, der dauernde Nachwirkungen bei ihm zurückließ, ihn aber schließlich wiederum unter dem Einfluß von Hegel, dem jedoch Feuerbach zur Seite trat, ebenso wie Bielinski und Bakunin zum Materialismus und Atheismus führte. Über die Frage der Unsterblichkeit der Seele erfolgte der Bruch zwischen Granowski und Herzen, aber weder er noch Bielinski haben die letzte Wandlung Bakunins mitgemacht, die schon 1842 in seiner Broschüre über Schelling angebahnt war und danach in einer pseudonymen Schrift *): „Die Reaktion in Deutschland, Fragment eines Franzosen" unverkennbar als Anarchismus zutage trat. An dem Schlagwort, das er damals ausgab: „Die Lust der Zerstörung ist eine schaffende Lust" hat Er begann seine schriftstellerische Tätigkeit mit der Übersetzung yon Fichtes „Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten". 2 ) In den Halleschen Jahrbüchern. Sein Pseudonym war: Jules Eliz&rd.

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der praktische Anarchismus, dessen Prophet er wurde, seine subjektive Rechtfertigung gefunden. Während Bielinski bis an sein Lebensende und Herzen bis Anfang 1847 in Rußland blieb und beide sich demnach in ihrer literarisch-politischen Tätigkeit in den Schranken bewegen mußten, die ihnen die russische Zensur setzte, waren für Bakunin diese Schranken nicht mehr vorhanden, und sein stets nach den äußersten Konsequenzen suchender Geist konnte sich rücksichtslos entfalten. Sowohl Herzen wie Bakunin übernahmen aus der slavophilen Doktrin auch in ihren späteren Entwickelungsstadien den Glauben an die große Bestimmung des russischen Bauern. Der beiden, namentlich aber Herzen eng befreundete Dichter Ogarew erklärt uns die Tatsache, wie aus der Welt der Abstraktionen, in denen jene Moskauer aristokratische Gesellschaft sich bewegte, der ungestüme Tatendrang Bakunins und die aufrüttelnde literarische Arbeit Bielinskis hervorgehen konnte. Das abstrakte theoretische Wissen, verkörpert in der von Hegel ausgehenden Gedankenfülle, erschien ihnen als die notwendige Vorstufe zum Eintritt in das praktische Leben. Ogarew hat das folgendermaßen ausgedrückt: „Diese ganze Welt des Wissens zu umfassen, Ursprung und Ergebnisse der Ideen zu erkennen und danach mit Festigkeit und Kraft auf den Schauplatz praktischer Tätigkeit zu treten — das ist mein Ziel." Er selbst hat es nicht erreicht und kaum den Versuch dazu gemacht. Um so ernster verfolgten es die drei stärkeren Naturen: Bielinski, Herzen 1 ) und Bakunin. Die beiden ersten im Streben nach Reform, Bakunin in bewnßtem Hinarbeiten auf die soziale Revolution, die ihm als Ideal vorschwebte und die er nicht erleben sollte. Was ihre Uberführnng in die Praxis des Politischen bedeutete, hat der Welt erst das ]

) Eine vortreffliche Biographie Herzens danken wir Tsch. Wjetrinski: „Herzen. Mit einer Bibliographie der Werke Herzens und der Literatur über ihn von G. Fomin." Petersburg 1908, russisch. Die Rolle der Dritten Abteilung in den Jahren 1826—1855 hat M. Lemke nach den Akten, die ihm infolge der Revolution des Jahres 1905 zugänglich gemacht wurden, bearbeitet: „Die Gendarmen Nikolais und die Literatur der Jahre 1826—1855", Petersburg 1908. Eine Biographie Bakunins findet sich im VI. Bande meiner Bibliothek russischer Denkwürdigkeiten: Michail Bakunins Sozial-politischer Briefwechsel mit Alexander Iwanowitsch Herzen und Ogaijew. Mit einer biographischen Einleitung, Beilagen und Erläuterungen von Prof. Michail Dragomanow. Deutsch von Dr. Boris Minzes, Stuttgart 1895, bei Cotta.

Kapitel V.

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Jahr 1917 bewiesen. Die russische Geheimpolizei wurde auf Bakunin schon 1843 aufmerksam, als er mit Herwegh in die Schweiz zog und dort in nähere Beziehungen zu dem Kommunisten Weitling trat. Der russische Gesandte Struve berichtete über ihn nach Petersburg. Einem Befehl, der ihn daraufhin nach Rußland zurückrief, leistete Bakunin nicht Folge; er zog nach Paris, und dort hat er auf dem Bankett der 17. Jahresfeier des polnischen Aufstandes von 1830, am 29. November 1847, eine Rede gehalten, die den Gedanken vertrat, daß ein revolutionäres Rußland in der Allianz mit Polen seine Befreiung von dem unerträglich gewordenen Joch der despotischen Regierung Nikolais finden müsse und finden werde. Seine Schilderung der Mißstände des nikolaitischen Regiments konnte, so drastisch sie war, nicht als übertrieben bezeichnet werden'). Der Fehler seiner Ausführung lag einerseits in der Uberschätzung der Bedeutung jener polnischen Emigranten, zu denen er sprach, andererseits in der Unterschätzung der faktischen Macht, über welche der Kaiser gebot und in der falschen Perspektive, die ihn den Ausbruch einer russischen Revolution als unmittelbar bevorstehend erscheinen ließ. Den Kaiser Nikolai beleidigte er tödlich, indem er ihm seine deutsche Herkunft vorwarf s ), und er erschien gefährlich infolge des Gedankens der revolutionären Allianz zwischen Polen und Rußland. Der Graf Kisselew wurde beauftragt, von Guizot die Ausweisung Bakunins zu verlangen, die — wie bei den damaligen politischen Beziehungen Louis Philippes zu den Ostmächten selbstverständlich war — sofort erfolgte. Bakunin floh nach Brüssel, um dort den Ausbruch der großen Revolution, an die er glaubte, abzuwarten. Äußerungen des Kaisers über Bakunin aus dieser Zeit sind nicht bekannt geworden. Doch kann nicht der geringste Zweifel darüber sein, daß er in ihm einen gefährlichen Feind sah, dessen er habhaft werden müsse. Auch ist wahrscheinlich, daß ihm der ') „Les affaires intérieures du pays vont horriblement mal. C'est une complète anarchie avec les sentences de l'ordre. Sous les dehors d'un formalisme hiérarchique se cachent des plaies hideuses; notre administration, notre justice, nos finances sont autant de mensonges: mensonges pour tromper l'opinion étrangère, mensonges pour endormir la sécurité et la conscience du souverain, qui s'y prête d'autant plus volontiers, que l'état réel des choses lui fait peur ~ 3 ) „Souverain d'origine allemande qui ne comprendra jamais ni les besoins ni le charactère du peuple russe."

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Eapitel V.

Vorboten revolutionärer Bestrebungen.

Zusammenhang, in dem Bakunin ursprünglich mit den Bestrebungen der Slavophilen in Moskau gestanden hat, nicht unbekannt geblieben ist. 'Während der Inspektionsreise, die er im Herbst 1847 unternahm (vom 19. September bis 19. Oktober), war er auch in Moskau gewesen. Die Stadt hatte am 1. Januar 1847 ihr 700jähriges Bestehen begangen. Der Tag der Feier war vom Kaiser willkürlich festgesetzt worden, obgleich der Name der Stadt zum erstenmal am 28. März 1147 erwähnt wird. Daß bei dieser Gelegenheit in der russischen Moskauer Zeitung einer der namhaftesten Slavophilen, Konstantin Aksakow, es gewagt hatte, für Verlegung der Residenz von Petersburg nach Moskau einzutreten, hatte begreifliches Mißfallen erregt. Kaum minder mißfiel ihm die neue, bei den Slavophilen aufgekommene angeblich altrüssische Tracht: rundgeschorenes Haar, wie es bei den großrussischen Bauern üblich war, bunte Beinkleider und über diese hervorstehend ein rotes Hemd, dazu Bluse und Paletot. Vor den Augen des Kaisers hätte vielleicht die historisch überlieferte Tracht der vorpetrinischen Bojaren Gnade gefunden, das Hinabsteigen zu bäuerlichen Sitten mußte ihm Anstoß erregen. Bei seiner Rückkehr nach Petersburg wandte er seine Aufmerksamkeit den panslavistischen Tendenzen, die ihm der Prozeß der Ukrainer verdächtig gemacht hatte, und den Slavophilen zu. Er befahl, sie zu beobachten und zu bekämpfen 1 ). Überhaupt beschäftigten ihn die inneren Angelegenheiten des Reichs. Um unerwünschte fremde Elemente fernzuhalten, erschwerte er den Zuzug ausländischer Handwerker. Sie sollten in Zukunft nur auf ausdrücklichen Antrag russischer Untertanen Einlaß erhalten, und zwar nur, wenn die Antragsteller Bürgschaft für Gesinnung und das Verhalten der Einwanderer leisteten. Von dieser Beschränkung ausgenommen waren Handwerker englischer Nationalität, was nicht geringes Aufsehen hervorrief 2 ). Offenbar war die Absicht, Franzosen, Schweizer und Deutsche fernzuhalten, deren Gesinnung ihm immer verdächtiger wurde. An dem Gedanken, eine Reform der Bauerngesetzgebung vorzunehmen, aber hielt er fest. Am 8. November ging dem Senat ein kaiserlicher Ukas zur Veröffentlichung zu, durch welchen den leibeigenen Bauern das Recht verliehen wurde, verpfändetes Land zu kaufen, falls der Bel

) Bourquenay an Gnizot, Petersburg 23. Oktober 1847. ») Relation Bloomfield 16. November 1847.

Kapitel VI.

Rußland und die europäische Revolution.

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sitzer die fälligen Schulden nicht gezahlt hatte und das Gut öffentlich versteigert wurde. Übernahmen und bezahlten die Bauern die Schuld, so sollten sie dadurch persönlich frei werden und das Land, auf dem sie wohnten, zu Eigentum besitzen. Die Veröffentlichung dieses Ukases wurde jedoch zunächst noch nicht gestattet. Er stieß auf den lebhaftesten Widerspruch des russischen Adels, der die Ansicht vertrat, daß der Kaiser mit dieser Maßregel ein Feuer entzünde, das zu löschen ihm schwer fallen werde'). Wenn er schließlich trotzdem seinen Willen durchsetzte und der Ukas veröffentlicht ward, so ist er nur von geringer Dauer gewesen. Die europäische Revolution führte im folgenden Jahr zur Einsetzung einer geheimen Kommission, deren Arbeiten im Jahre 1849 den Ukas vom 8. November aus der Welt schafften. Bis dahin hatten sich 964 Seelen freigekauft und über 5000 Desjätinen für 100000 Rubel erworben 3 )-

Kapitel Tl. Rußland und die europäische Revolution. Das Jahr 1848. Der Kaiser Nikolai war zu Ende 1847 an einem Gallenleiden schwer erkrankt und erst Ende Januar 1848 so weit, seine Regierungsgeschäfte wieder aufnehmen zu können. Ihn beunruhigte namentlich die gleichzeitige Erkrankung des Großfürsten-Thronfolgers, der, wie er glaubte, infolge einer vernachlässigten Erkältung und der Überarbeitung die ihm die Vertretung des Kaisers brachte, sich 1 ) Relation Bloomfield 1. Dezember 1847. I regret to say that the Russian Nobility have not met this act of the Sovereign in a becoming spirit. They will not allow that it is likely to be attented with the results which are expected by the court, and they declare on the other hand that the Government are casting a firebrand that may produce a conflagration which they will not afterwards be able to exstinguish. The proprietors also complain bitterly that the Agents of the Government represent them to be only obstacles in the way of the Emperors desire to ameliorate the condition of the peasents and they say that disaffection towards their masters is thus becoming general among the rural population . . that their life and propriety arc exposed to imminent danger by the reckless manner in which the passions of the people are excited." 2

) Engelmann: Die Leibeigenschaft in Rußland.

Leipzig 1884, pg. 221.

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Kapitel VI.

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ein kaltes Fieber zugezogen hatte, das in Gehirnentzündung und Nervenfieber auszuarten drohte. Schließlich genasen beide, aber noch am 18. Januar beantwortete Nikolai einen Brief Friedrich Wilhelms vom Bett aus. Es waren wieder die Schweizer Angelegenheiten und die preußische Verfassungsfrage, die ihn beschäftigten. In betreif der Schweiz kam er auf den Gedanken zurück, daß man sie durch die Drohung, ihre Neutralität zu suspendieren, zur Nachgiebigkeit hätte nötigen können. Den Hinweis des Königs, daß Alexander I. den Polen seinerzeit eine Verfassung verliehen habe, ohne daß die Gefahren für die Nachbarstaaten dadurch eingetreten seien, die Nikolai von einer preußischen Verfassung erwarte, lehnte er als nicht beweiskräftig ab. Alexander habe, wie der Aufstand des 29. November 1830 zeigte, einen Fehlgriff getan, ganz wie Friedrich Wilhelm III. durch sein Verfassungsversprechen 1 ). Von der Aufregung über die für ihn erledigten schweizerischen Händel sollte er jedoch bald abgelenkt werden. Der in Palermo in der ersten Januarnacht ausgebrochene Aufstand dehnte sich auf die ganze Insel aus und führte bald in Turin, Neapel und Toskana zu Verfassungen, die dem Kaiser, obgleich sie nach der Charte von 1815 geformt wurden, natürlich ein Greuel waren. Der russische Gesandte in Neapel, Chreptowitsch — Schwiegersohn Nesselrodes —, wurde beauftragt, wöchentliche Berichte zu schicken und König Ferdinand II. zu sagen, wie sehr es den Kaiser betrübt habe, zu erfahren, daß traurige Verhältnisse den König genötigt hätten, Entschlüsse zu fassen, die in Widerspruch zu seinen Grundsätzen standen 3 ). Doch auch diese italienischen Dinge traten ganz in den Hintergrund vor den Ereignissen der Februarwoche in Paris. Erst war es die Nachricht vom Sturze Guizots, die allerdings den Eindruck eines wichtigen Ereignisses machte. Aber am folgenden Tage, dem Sonnabend in der Karnevalswoche, der wie üblich mit einer folle journee begangen wurde, die dieses *) Si la première (die Verfassung Alexanders) fut une déplorable réalité, l'autre (da« Versprechen Friedrich Wilhelms III.) fut une déplorable promesse, suivie de tout aussi déplorables attentes, espérances, et suivie pour bien des gens d'une déception dans laquelle ils ne se tinrent pas pour battus . . . Petersburg 6./18. Januar 1848, eigenhändiges Schreiben des Kaisers. J ) 2./14. März 1848 Nesselrode, an Chreptowitsch: J'aurais bien voulu que l'Empereur adresse une bonne lettre à son ami le Roi de Naples, mais entre nous soit dit, il est embarassé et ne sait que lui dire.

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Mal im Palais des Großfürsten-Thronfolgers stattfand, trat, während eine Mazurka getanzt wurde, unerwartet der Kaiser in die Versammlung und verlas die große Nachricht von der Flucht der Königsfamilie, der Abdankung Louis Philippes, der Zurückweisung der Regentschaft der Herzogin von Orleans und von der Proklamierung der französischen Republik'). Die erste Empfindung des Kaisers ist offenbar die Freude darüber gewesen, daß der Mann, den er mehr als sonst jemanden gehaßt hatte, nunmehr am Boden lag, der zweite, daß nunmehr der Krieg mit Frankreich, der ihn an der Spitze seiner Bundesgenossen nach Paris führen werde, unmittelbar bevorstehe. Als sichere Nachrichten die Tatsachen bestätigten, die zunächst kaum glaublich erschienen, schrieb er am 7. März/24. Februar dem Schwager nach Berlin einen Brief, der mehr als alles Übrige einen Einblick in die Gedanken gewährt, die ihm die Seele füllten: „Der feierliche Augenblick, den ich seit 18 Jahren vorhersehe, ist gekommen. Die Revolution ist aus ihrer Asche erstanden, und Louis Philippe verliert seinen usurpierten Thron ebenso, wenn nicht in noch schrecklicherer Weise, wie er ihn errungen hat. So hat die Hand Gottes sich sichtbar gezeigt, es ist eine überzeugende furchtbare Lehre . . . . Nach dieser Einleitung, auf die ich nicht verzichten konnte, lieber Freund, wollen wir an die Tatsache herantreten. Der Augenblick ist sehr ernst. Wir wollen uns keinen Illusionen hingeben und vor allem erkennen, daß eine unmittelbar bevorstehende Gefahr unsere gemeinsame Existenz bedroht (menace notre commune existence). Wir sind verloren, wenn wir den kleinsten falschen Schritt tun, die geringste Schwäche zeigen. Unsere erste Pflicht ist, dieses Mal e i n m ü t i g zu verweigern, die neue Form anzuerkennen, welche die französische Regierung soeben angenommen hat. Das ist unerläßlich, und alle Beziehungen zu ihr sind durch sofortige Abberufung unserer Gesandtschaften abzubrechen. Dabei können wir aber aus dem sehr einfachen Grunde nicht stehen bleiben, daß von zwei Möglichkeiten eine unbedingt eintreten muß." Entweder würden die Franzosen die Grenze überschreiten, um die Rheinlinie zu erobern, oder sie würden abwarten, bis die Revolution in Deutschland ausgebrochen sei und dann als Hilfstruppen der Anarchie auftreten. Er wünscht das Tagebuchaufzeichnung der Kaiserin vom 26. Februar/9. März.

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erstere, weil dann der nationale Sinn eine einmütige Verteidigung Deutschlands herbeiführen werde. „Ungeheuer ist die Gefahr im zweiten Fall, denn ich bekomme fortwährend Berichte über den bereits vorhandenen abscheulichen Geist; wie wird es jetzt aussehen, nach dem schrecklichen Beispiel, das man vor Augen hat. Die Zeit, Rücksichten zu nehmen ist vorüber; wo man Gefahr läuft, aus Feigheit oder Dummheit sich zugrunde zu richten, muß man Gewalt brauchen, und das sollen S i e mutig tun. Safiameln Sie um sich, was an Streitkräften in Deutschland vorhanden ist, und wo man Sie nicht hören will, lassen Sie den Bundestag sprechen und seien Sie seine Exekutivmacht; ist aber der Bundestag tot. so setzen Sie sich über ihn hinweg und handeln Sie nach eigenem Ermessen." Die Könige von Württemberg und Hannover würden gewiß mitgehen, vielleicht auch Sachsen, die Kleinen aber Gefolgschaft leisten, ob sie wollen oder nicht. Bleibe der König von Bayern, dem man zuviel Ehre antue, wenn man sich jetzt um sein Ja oder Nein kümmere; er werde sich der allgemeinen Notwendigkeit fügen. Das gebe für den Augenblick genug Truppen, um zwei große Armeen zu bilden, im Norden Preußen, Hannoveraner, Sachsen und Hessen, im Süden Württemberg mit den übrigen und Bayern. „Nach drei Monaten stehe ich hinter Ihnen mit 350000 Mann, bereit zu marschieren, sobald Sie rufen, um zwischen Ihnen und dem König von Württemberg mich aufzustellen. Sie sehen, daß ich nicht von Osterreich spreche, dessen Aufgabe es ist, Italien und unsere linke Flanke zu behüten, was bei dem jetzigen kläglichen Zustand Österreichs genügt. Verlieren Sie keinen Augenblick, lieber Freund, und antworten Sie möglichst bald. Handeln Sie mutig, und Gott wird mit uns sein, denn wir verteidigen die heiligste Sache und wir sind Christen." Der Brief schließt mit dem Ausdruck der Hoifnung, daß England die französische Republik nicht anerkennen werde, und der Bitte, dem Könige von Württemberg zu sagen, wie er, Nikolai, denke. Der Kaiser las diesen Brief Nesselrode vor, der nur geringes Vertrauen auf den Erfolg setzte. Eine Antwort des Königs auf den Brief vom 7. März erhielt der Kaiser nicht, wohl aber einen anderen Brief Friedrich Wilhelms, der am 14. März in Petersburg eintraf und in den schwärzesten Farben die Lage in Deutschland schilderte.

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In Posen wolle man alle Deutschen ermorden, er bitte um Heranziehung russischer Truppen an die preußische Grenze. Diese Nachricht ließ der Kaiser Paskiewitsch zugehen, dem er zugleich mitteilte, daß die Sendung von Radowitz nach Wien vollen Erfolg gehabt habe, was den Vorschlägen, die er dem Könige gemacht, entspreche. Es handelte sich um eine Zusammenkunft der deutschen Fürsten, die in Dresden stattfinden sollte, um eine Reform des Bundestages vorzubereiten, für welche in der „Wiener Punktation" das Programm am 10. März von Radowitz und Metternich festgesetzt war 1 ). Offenbar dachte der Kaiser, daß die vereinbarte Fürstenzusammenkunft eine gute Gelegenheit biete, die Vorschläge, die er so dringend empfohlen hatte, nunmehr auch wirklich durchzusetzen. Meyendorff hatte berichtet, daß der Geist der Truppen in Preußen vortrefflich sei. Schlechter sehe es dagegen am Rhein und im Süden aus. Der König von Württemberg verlange Hilfe von Bayern und Österreich und sei nur durch den energischen Widerspruch der Großfürstin Olga verhindert worden, die königliche Familie außer Landes in Sicherheit zu bringen. Gehe Preußen jetzt energisch vor, so werde alles gut ablaufen, wenn nicht, so werde Rußland handeln müssen. Zunächst begnügte Nikolai sich, Paskiewitsch zu beauftragen, eine Brigade an die preußische Grenze heranzuziehen und den Generaladjutanten Grafen Berg über Warschau und Berlin nach Wien zu schicken, um Metternich für seine Pläne zu gewinnen. Da traf am 19. März um 8 Uhr abends ein Telegramm aus Warschau ein, das ¡die Nachricht von der in Wien ausgebrochenen Revolution brachte. Die näheren Einzelheiten erfuhr der Kaiser durch einen Kurier, der am 20. in Petersburg eintraf. Das ist, schrieb Nesselrode, das schwerste politische Unglück, das uns zustoßen konnte. Trotzdem hielt der Kaiser am Gedanken fest, gegen Frankreich vorzugehen. Dem Könige von Preußen ließ er durch Meyendorff sagen, daß diese neue Revolution nichts an seinen Entschlüssen geändert habe. Berg solle in Warschau neue Instruktionen abwarten, da sein Auftrag gegenstandslos geworden sei. Es schloß sich daran ein Wort des Bedauerns von Siehe Sfeinecke, Radowitz und die deutsche Revolution, Berlin 1813 pg, 66 und den Brief Nikolais an Paskiewitsch 2./14. März 1848 bei Schtscherbatow Bd. VI. Den Wortlaut der Punktation hatte Metternich durch einen Privatbrief vom 4. März Nesselrode zugehen lassen.

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seiten Nesselrodes über Metternichs Sturz 1 ). Die vortrefflichen, von ßadowitz getroffenen Vereinbarungen seien hinfällig geworden oder müßten mindestens |umgemodelt werden. Rußland stand zunächst völlig ratlos den Ereignissen gegenüber 4 ). Denn nun begann auch in Berlin die Lage beängstigend zu werden. Am 22. März, als seine Nachrichten aus Berlin bis zum 16. abends reichten, rühmte der Kaiser noch die vortreffliche Haltung der preußischen Truppen. Ohne Sorge war er jedoch keineswegs. Er meinte"), wenn Friedrich Wilhelm den Aufstand niederwerfe, so wende sich alles zum Guten, wenn aber nicht, so werde Rußland sich der Anarchie entgegenwerfen müssen. In Paris werde eine neue Revolution erwartet. Es bleibe bei den militärischen Plänen, die er mit dem Feldmarschall vereinbart habe. Sollten von Galizien aus Feindseligkeiten gegen Rußland unternommen werden, so wolle er das Land besetzen und den Aufruhr ersticken. Am 25. früh morgens trafen über Warschau weitere „angenehme Nachrichten" über die Berliner Ereignisse ein, aber der nächste Tag brachte dem Kaiser die furchtbare Enttäuschung des tragischen Ausganges der Berliner Revolution am 18. März. Als Stafette Meyendorffs war der Graf Wielhorsky, Oberschenk am kaiserlichen Hofe, am 19. aus Berlin aufgebrochen, am 26. um 7 Uhr morgens fuhr er bei Nesselrode vor, der ihn sofort zum Kaiser führte. Sein Bericht über die Ereignisse, die sich bis zu seiner Abfahrt in Berlin abgespielt hatten, konnte nicht anders als erschütternd auf den Kaiser und die, während Wielhorsky erzählte, hinzugekommene Kaiserin wirken. Nikolai hatte schon vorher Paskiewitsch gegenüber die Befürchtung ausgesprochen, daß Österreich und Preußen die Wiederherstellung Polens proklamieren könnten; jetzt, da durch die Schuld des Königs die von seinen Truppen besiegte Revolution triumphierte, erschien ihm das Schlimmste nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. In dieser Stimmung beauftragte er noch an demselben Tage den Baron Modeste Korff, ihm den Entwurf zu einem Manifest an das russische Volk vorzulegen.

') „Notre pauvre ami Metternich me fait une peine que je ne saurais décrire." Lettres et papiers t. IX. pg. 71. 3 ) 1. 1. pg. 72 : „vous avez bien raison de dire que nous faisons des pas de géant vers le jugement dernier." 3 ) Der Kaiser an Paskiewitsch, Petersburg 10./22. März 1848.

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Bevor aber Korff ihm seine Arbeit vorlegen konnte, griff er selbst zur Feder und schrieb unter großer Bewegung nieder, was ihm sein Herz eingab. Diesen Aufruf hat er dann von Korff und Nesselrode durchsehen lassen, die jedoch beide nicht wagten, andere als rein äußerliche Korrekturen vorzunehmen, so daß das Manifest noch in der Nacht vom 26. auf den 27. März gedruckt werden und am folgenden Tage in allen Kirchen Petersburgs verlesen werden konnte 1 ). Es ist danach allen Kirchen des Reiches zu feierlicher Verlesung zugegangen. Dieses sehr unpolitisch gedachte Manifest hatte den folgenden Wortlaut: „Nach den Segnungen eines langjährigen Friedens ist Westeuropa jetzt plötzlich durch Unruhen erregt, weiche die gesetzlichen Gewalten und alle gesellschaftliche Ordnung umzustürzen drohen. Yon Frankreich ausgehend, sind Aufruhr und Anarchie schnell auf das benachbarte Deutschland übergegangen und indem sie allseitig mit einer Frechheit sich verbreiteten, die im Verhältnis zur Nachgiebigkeit der Regierungen wuchs, berührte ihr zerstörender Strom endlich auch Unsere Verbündeten, das Kaisertum Österreich und das Königreich Preußen. Jetzt bedroht die alle Grenzen überschreitende Verwegenheit in ihrem Unverstände auch Unser Uns von Gott anvertrautes Rußland. Aber das soll nicht sein! Nach dem überlieferten Beispiele Unserer rechtgläubigen Vorfahren rufen wir Gott den Allmächtigen zu Hilfe. Bereit, Unseren Feinden zu begegnen, wo immer sie erstehen mögen, ohne Unser zu schonen, werden wir in unauflöslichem Bündnis mit Unserem heiligen Rußland die Ehre des russischen Namens und die Unantastbarkeit Unserer Grenzen verteidigen. Wir sind überzeugt, daß jeder Russe, jeder Unserer getreuen Untertanen, freudig den Aufruf seines Kaisers beantworten wird; daß Unser alter Ruf: Für Glauben, Zar und Vaterland, uns auch jetzt den Weg zum Siege weisen wird, und dann werden wir alle im Gefühle frommer Dankbarkeit, wie jetzt im Gefühle heiligen Vertrauens auf Ihn, zusammen ausrufen: Gott ist mit uns! Versteht es, ihr Völker, und unterwerft euch, denn mit uns ist Gott!" Die von Korff in seinen Memoiren angegebenen Daten sind falsch. Er gibt an, daß der .Kaiser das Manifest bereits am 13./25. unterzeichnet, es aber vom 14. datiert habe. Die Briefe Nesselrodes und das Schreiben des Kaisers au Paskiewitsch widerlegen diese Datierung.

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Korff erzählt, daß, als er diesen Text — der fast unverändert der des ersten Entwurfs geblieben war — vorlas, dem Kaiser die Tränen über die Wangen flössen. Er war, wie wir wissen, leicht gerührt. Seine Phantasie spielte mit. Er glaubte wirklich an jedes dieser Worte, und der Schlußsatz war eines seiner Lieblingszitate, das ihm stets über die Lippen kam, wenn er die Macht Rußlands seinen Gegnern auszuspielen dachte. Als polit i s c h e Kundgebung war das Manifest denkbar ungeschickt. Niemand bedrohte sein Rußland, nachdem er auf die Hilfe Preußens und Österreichs nicht mehr rechnen, einen Krieg gegen Frankreich nicht führen konnte, geschweige denn gegen eine Koalition, an die er bei Abfassung des Manifestes gedacht zu haben scheint. Der rhetorische Schluß konnte nicht anders als mißverstanden werden und trug den Charakter einer Drohung. Es kann daher nicht wundernehmen, daß Nesselrode es nötig fand, durch eine Veröffentlichung im Journal de St. Petersbourg einen Kommentar zum kaiserlichen Manifest zu geben, den er, „um falschen Auslegungen vorzubeugen" 1 ), schon am 31. Meyendorff zuschickte. Bereits am 29. hatte er ihm geschrieben, daß Rußland nicht daran denke, in die Angelegenheiten anderer Staaten einzugreifen. Das Manifest verfolge keinen anderen Zweck als diesen 3 ). Meyendorff solle Text und Kommentar ins Deutsche übersetzen und in den Berliner Zeitungen veröffentlichen lassen. Ihm lag daran, zu beruhigen ; das zeigte jede Zeile des Kommentars: „Mögen die Völker des Westens in Revolutionen die Glückseligkeit suchen, der sie nachjagen. Mag jedes dieser Völker nach Gutdünken die Regierungsform annehmen, die es für die geeigneste hält. Rußland schaut diesen Versuchen ruhig zu, nimmt an ihnen nicht teil und wird sich ihnen nicht widersetzen, es beneidet nicht das Schicksal dieser Völker, selbst dann nicht, wenn sie aus den Wirren der Anarchie und Unordnung schließlich zu einer für sie besseren Zukunft gelangen sollten. Was Rußland selbst betrifft, so erwartet es ruhig die weiteie ') „Article explicatif, pour prévenir toute fausse interprétation." Meyendorff wurde beauftragt, ihn ins Deutsche zu übersetzen und in den Berliner Zeitungen abdrucken zu lassen 2 ) Quant à nous, nous les laisserons faire et ne nous mêlerons pas de leurs sanglantes extravagances. Notre attitude sera complètement défensive. Le manifeste n'a pas d'autre tendance.

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Entwickelung seiner sozialen Verhältnisse von der Zeit und von der weisen Fürsorge seines Zaren. Jede gesellschaftliche Ordnung, auch die aliervollkommensten Formen der Regierung, haben ihre Mängel. Da Rußland dies weiß, sieht es sein höchstes Gut im unerschütterlichen Fortbestand der geltenden gesetzlichen Ordnung. Da ohne sie es weder politische Macht nach außen, weder Kredit noch Handel, Industrie und Volksreichtum im Innern geben kann, wird Rußland nicht zulassen, daß man seine ihm so teuren, hoffnungsreichen und festen Ordnungen erschüttert. £s wird nicht dulden, daß landfremde Hetzer in seinen Grenzen die Flammen des Aufruhrs anfachen, daß man unter dem Vorwande, verschwundene Völkerschaften wieder erstehen zu lassen, versuche, ihm irgendwelche Gebiete zu entreißen, die in ihrer Gesamtheit den Bestand und die Einheit des Reiches darstellen. Wenn schließlich aus dem Chaos aller politischer Wandlungen, aller aufgebrachten Fragen über gegenseitige Rechte, aller einander entgegengesetzten Strömungen bestimmt sein sollte, daß Krieg entsteht, so wird Rußland seinerzeit erwägen, ob und in welchem Maße es seinem Vorteil entspricht, einzugreifen in den zwischen diesem oder jenem Staat, diesem oder jenem Volke ausgebrochenen Konflikt. Nicht außer acht lassen wird es die Festsetzung der Grenzen und die Besitzrechte, die durch seine Bürgschaft geheiligt sind, und entschieden nicht dulden, daß im Fall einer Änderung des politischen Gleichgewichts oder einer anderen Gebietsverteilung eine solche Veränderung dem Reich zum Nachteil geschehe. Bis dahin wird es eine strenge Neutralität beobachten. Es wird keinerlei feindselige Handlungen vornehmen, aber wachsamen Auges dem Gang der Ereignisse folgen. Mit einem Wort, Rußland wird niemand überfallen, wenn man nicht über uns herfällt; es wird sich streng jedes Eingriffs in die Unabhängigkeit und Integrität der Nachbarprovinzen enthalten, wenn die Nachbarprovinzen auch ihrerseits Integrität und Unabhängigkeit Rußlands unangetastet lassen." Daß trotzdem das Manifest vom 26. März als eine Herausforderung des Abendlandes verstanden wurde, kann nicht wundernehmen. »Am 31. März, am Gedenktage des Einrückens der russischen Armee in Paris im Jahre 1814, begannen im Hinblick S c h i e m & n n , Geschichte Rußlands. IV.

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auf die Möglichkeit eines Krieges die russischen Truppen gegen die Westgrenzen des Reiches vorzurücken 1 )." Am 2. April empfing der Kaiser eine Deputation des Petersburger Adels, die ihm eine Adresse überreichte, welche den Dank des Adels für die Ordnung der Adelswahlen 2 ) aussprach und zugleich beteuerte, daß er bereit sei, für Thron und Vaterland Gut und Blut zu opfern. Der Kaiser umarmte jeden der Herren, dankte für die treuen Dienste, die sie ihm bisher geleistet hätten, und sagte, daß er niemals an ihrer Treue gezweifelt habe. Danach hielt er die folgende charakteristische Ansprache: „Meine Herren! Auswärtige Feinde sind uns nicht gefährlich; alle Maßregeln sind ergriffen, und Sie können in dieser Hinsicht ganz ruhig sein. Die Truppen, die vom Geist der Ergebenheit für Thron und Vaterland erfüllt sind, sind bereit, mit Begeisterung und mit dem Schwert denen zu begegnen, die die Ruhe stören. Aus den inneren Gouvernements habe ich die beruhigendsten Berichte erhalten. Erst heute sind zwei Adjutanten zurückgekehrt, die ich dahin geschickt hatte, auch sie bezeugen die aufrichtige Ergebenheit und den Eifer für Thron und Vaterland. Aber bei den jetzigen schwierigen Verhältnissen bitte ich Sie, meine Herren, einmütig zu handeln. Laßt uns alle Unzufriedenheit vergessen, alles was dem einen am andern unangenehm ist. Reicht einander die Freundeshand, wie Brüder, als Kinder der Heimat, so daß die letzte Hand bis zu mir reicht, und seid überzeugt, daß dann unter meiner Führung keine irdische Macht uns beunruhigen wird. In den Unterrichtsanstalten ist der Geist im ganzen gut, ich bitte aber euch, Eltern, Brüder und Verwandte, auf die Gedanken und das sittliche Verhalten der jungen Leute acht zu geben. Dient ihnen selbst als Vorbild der Gottesfurcht und der Liebe zu Zar und Vaterland, lenkt ihre Gedanken zum Guten, und wenn ihr böse Neigungen bemerkt, so bemüht euch, durch Maßregeln der Milde und der Überzeugung sie auf den geraden Weg zu führen. *) Schilder: Kaiser Nikolaus I. Sein Leben und seine Regierung Bd. II, Petersburg 1903, pg 632. Kapitel II des Ständerechts im Bd. IX des Swod Sakonow, Artikel 94 sq. Uber die Rechte und Vorzüge des Adels in den Adelsversammlungen. Abteilung I. Über die Adelsversammlungen. Abteilung II. Ober den Bestand der Adelsversammlungen und über die Personen, die an den Beschlüssen und Wahlen der Versammlung teilnehmen.

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Sie können als Unerfahrene von schlechtgesinnten Leuten in Gesellschaften gezogen werden, die für sie schädlich sind und deren Folgen sie ins Verderben stürzen können. Es ist Ihre Pflicht, meine Herren, sie aufmerksam zu beobachten. Es gibt bei uns eine sehr schlechte Klasse von Leuten, die Hofleute (Haussklaven), denen ich Sie bitte, Ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Man nimmt sie aus der Bauernschaft, sie sind ihr aber entfremdet, da sie nicht ansässig sind und nicht die geringste Bildung erhalten haben. Diese Leute sind überhaupt sittenlos und sowohl für die Gesellschaft wie für ihre Herren gefahrlich. Ich bitte Sie, äußerst vorsichtig in Ihren Beziehungen zu ihnen zu sein. Sie reden oft bei Tisch und bei der Abendunterhaltung von politischen Dingen und von Regierungsangelegenheiten und vergessen, daß diese Leute zuhören und bei ihrer Unbildung und Dummheit was sie hören in ihrer Weise, d. h. verkehrt, auslegen. Außerdem geschieht es, daß diese Gespräche, die an sich unschuldig sind, ihnen oft Gedanken einflößen, von denen sie sonst keine Vorstellung gehabt hatten. Das ist sehr schädlich. Ich gehe auf das Leben der Bauern über und sage euch, daß es unerläßlich ist, ihrem Wohlergehen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Einige Persönlichkeiten haben mir in dieser Frage ganz ungereimte und unvernünftige Gedanken und Absichten zugeschrieben. Ich weise sie unwillig ab. Als ich den Ukas von den Verträgen mit Bauern erließ, erklärte ich, daß alles Land ohne Ausnahme dem adligen Gutsbesitzer gehört. Das ist eine heilige Sache, die niemand antasten kann. Ich muß aber mit Kummer sagen, daß es bei uns sehr wenige gute und sorgsame Gutsbesitzer gibt, viele mittelmäßige und noch mehr schlechte; aber im Hinblick auf den Geist der Zeit müßt ihr, auch abgesehen von dem, was Gewissen und Gesetz vorschreiben, im eigenen Interesse für das Wohlergehen der euch anvertrauten Leute Sorge tragen und Euch aus allen Kräften bemühen, ihre Liebe und ihre Achtung zu erwerben. Einige russische Zeitschriften haben sich erlaubt, Artikel zu drucken, welche die Bauern gegen die Gutsbesitzer aufreizen und überhaupt nicht gut wirken, aber ich habe Maßregeln dagegen ergriffen, und in Zukunft wird das nicht geschehen. Meine Herren! Ich habe keine Polizei, ich liebe sie nicht. Ihr seid meine Polizei. Jeder von euch ist mein Verwalter und 10»

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muß um der Ruhe des Reichs willen alle schlechten Taten und Vergehen, die er bemerkt, zu meiner Kenntnis bringen. Wenn ihr in meinen Gütern Bedrückungen und Unordnungen bemerkt, so bitte ich euch inständig, daß ihr, ohne jemanden zu schonen, mir sofort darüber berichtet. Wir wollen in gleichem Schritt gehen, einmütig handeln, dann werden wir unbesiegbar sein. Der Grundsatz meiner Seele ist Offenheit, ich will, daß nicht nur meine Handlungen, sondern auch meine Absichten und meine Gedanken offen vor jedermann liegen und bekannt seien; und deshalb bitte ich, daß Ihr alles, was ich gesagt habe, dem gesamten St. Petersburger Adel wiedergebt. Zu seinem Bestände gehören auch ich und meine Frau als hiesige Gutsbesitzer. Außerdem aber sagt es allen und jedem ')." Die Furcht des Kaisers vor dem Übergreifen der revolutionären Umtriebe nach Rußland hinein, muß doch außerordentlich groß gewesen sein. Wie hätte sein Stolz es sonst ertragen, dem Petersburger Adel gegenüber, den er keineswegs hochschätzte, diese Töne anzuschlagen und die Reformpläne, mit denen er sich während des ganzen Verlaufs seiner Regierung, namentlich aber in den letzten Jahren sehr eingehend beschäftigt hatte und deren Endziel die Aufhebung der Leibeigenschaft sein sollte, so ausdrücklich zu verleugnen. Fast noch auffallender war das Verleugnen seiner Polizei, da, wie jedermann wußte, er neben der von Orlow und Dubbelt geleiteten Polizei der sogenannten Dritten Abteilung noch die Polizei des Ministers des Innern Perowski hatte, und die anderen Minister, schon um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, daß sie ihr Ressort nicht wachsam genug beaufsichtigten, nebenher eine nicht offizielle Polizei ausübten. Diese vielköpfige, von verschiedenen Mittelpunkten ausgehende Polizei ist niemals tätiger gewesen, als in den Tagen der europäischen Revolution und wurde durch die offizielle und freiwillige Spionage, durch die Pest des Denunzianten-Unwesens zu einer Plage für das ganze Reich. Zunächst betroffen wurden die meistgelesenen und besten russischen Zeitschriften „Vaterländisch« Aufzeichnungen" (Otetschestwennija Sapiski) und „Zeitgenosse" ') Aus dem Leben Theodor v. Bernhardis, Bd. II, pg. 25—27, ist diese Rede gleichfalls, aber offenbar nach einer anderen Nachschrift wiedergegeben. Die Tagebücher Bernhardis sind für das Jahr 1848 eine wichtige Quelle. Er lebte damals in Petersburg und verkehrte in Ereisen, die namentlich über die Zustände am Hofe gut unterrichtet waren.

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(Ssowremennik), die schon seit geraumer Zeit von konkurrierenden Literaten, speziell von den Herausgebern der „Nordischen Biene * (Ssewernaja Ptschela), Bulgarin und Gretsch, und von dem Akademiker Fedorow1) angefeindet wurden. Diese Denunziationen gewannen einen weit gefährlicheren Charakter, als der frühere Kurator der Universität Moskau, Ssergej Grigorjewitsch Stroganow, auf dessen Verdienste um den Aufschwung der Studien in der alten Residenz wir bereits hingewiesen haben, infolge von Streitigkeiten mit dem Unterrichtsminister Grafen Uwarow 1847 sein Amt niederlegte. Um sich an Uwarow zu rächen, stellte er dem Kaiser jetzt eine Denkschrift vor, die in den schwärzesten Farben ein Bild der gefahrlichen Gedanken entwarf, welche durch die russische Presse und in Büchern verbreitet würden. Schuld daran sei Uwarow und die von ihm nicht ausreichend beaufsichtigte Zensur. Diese Denunziation, die einen überaus peinlichen Eindruck macht und im Widerspruch zu den Gesinnungen steht, die Stroganow bisher in Ehren vertreten hatte, kreuzte sich mit einer anderen Intrige, die von dem Staatssekretär Baron Modeste Korff ausging? der sich mit der Hoffnung trug, Nachfolger Uwarows zu werden. Auch or verfaßte eine Denkschrift, die sich direkt gegen Ssowremennik und Otetschestwennija Sapiski richtete. Er beschuldigte sie in versteckter Form kommunistische Gedanken zu verbreiten. Daß ein so gefahrliches Treiben möglich sei, wäre Schuld der Zensoren. Die Denkschrift, die er zunächst dem Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch vorlegte, kam am Tage nach Eintreffen der Nachricht von der Februarrevolution in die Hand des Großfürsten-Thronfolgers und durch ihn an den Kaiser. Nikolai setzte sofort ein Komitee ein, das unter dem Vorsitz des Marineministers Fürsten Menschikow aus dem Wirklichen Geheimen Rat Buturlin, dem Staatssekretär Baron Korff, dem Generaladjutanten Grafen Stroganow (Bruder des Kurators) und dem Staatssekretär Senator Degai bestand. Nachträglich wurde noch General Dubbelt aus der Dritten Abteilung hinzugezogen. Aus diesem Komitee, das zunächst nur die Aufgabe hatte, den Zustand der russischen LiteBoris Michailowitsch Fedorow sammelte systematisch Ausschnitte aus den Otetschestwennija Sapiski unter den Rubriken: gegen Gott, gegen das Christentum, gegen den Kaiser, gegen die Selbstherrschaft, gegen die Sittlichkeit usw. Auch der Schriftsteller Kalaschnikow gehörte zur Gruppe dieser Denunzianten.

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ratur zu studieren und besonders Ssowremennik und Sapiski scharf ins Auge zu fassen, ist dann ein neues Komitee entstanden, das aus der persönlichen Initiative Nikolais die Aufgabe erhielt, die Tätigkeit der Zensur zu beaufsichtigen. Diesea sogenannte „permanente anonyme Komitee" vom 2./14. April 1848 bestand aus Buturlin, Korff und Degai: Uwarow wurde nicht hinzugezogen, ein untrügliches Zeichen, daß Stroganow und Korff nicht umsonst gewirkt hatten; aber er behauptete sich in seiner Stellung bis zum September 1849 und ist bald danach gestorben. Vorher gelang es ihm aber noch, sich an Stroganow zu rächen. Die Moskauer Historische Gesellschaft hatte mit Genehmigung Stroganows eine russische Ausgabe von Giles Fletchers „Of the Russe CommonWealth" ') veranstaltet, was insofern ganz unverfänglich erscheinen mußte, als das Gesetz alle Bücher freigab, die vor dem Regierungsantritt der Romanows veröffentlicht waren. Uwarow hatte den Kaiser auf den schädlichen Inhalt dieser englischen Schilderung der russischen Wirklichkeit des ausgehenden 16. Jahrhunderts aufmerksam gemacht, und dieser den Generalgouverneur von Moskau beauftragt, Stroganow den „allerstrengsten Verweis" zu erteilen. Der völlig unschuldige Sekretär der Historischen Gesellschaft, der die Ausgabe besorgt hatte, Bodjanski, wurde nach Kasan versetzt und die Ausgabe des Buches verboten *). Das war die Einleitung zu Verfolgungen der russischen Literatur und Wissenschaft, die tatsächlich alles Schreiben und Drucken, sofern es nicht eine Lobpreisung Rußlands war, völlig unmöglich machte. ») Der volle Titel lautet: Of the Russe-Common-Wealth, or manner of government by the Russe-Emperour, commonly called the Emperour of Moscovia, with the manners and fashions of the people of that country. At London printed by P. D. for Thomas Charde 1591 4°Fletchers Reisa als Gesandter der Königin Elisabeth an den Großfürsten Feodor Iwanowitsch fand 1588 statt, und sein Buch war bereits von Karamsin in seiner Geschichte Rußlands ausgiebig benutzt worden. J ) Siehe Korffs Memoiren zum Jahr 1848 in der Russkaja Starina, die Tagebücher Nikitenkos in der vollständigen Ausgabe von Lemke, Petersburg 1904, und Lebedews Aufzeichnungen im Russki Archiv 1910. Über diese Intrigen berichtet auch BJoomfield 29. März: „Count Uwarow is represented to have encouraged the publication of writings calculated to encourage the hostility, which has always more or less existed between the Slavonic and the German races in Russia, and he is also accused of permitting the dissemination of principles through the periodical press which are said to be inconsistent with the policy of the Imperial Government and the laws relating to his subjects.' 1

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Die Krisis im Innern und die schleswig-holsteinische Frage.

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Uwarow, der bemüht war, sich in den Augen des Kaisers zu rehabilitieren, hatte zudem den Dekanen an den russischen Universitäten befohlen, die Vorlesungen der Professoren zu beaufsichtigen, besonders solche, die politische und juristische Gegenstände behandelten. Vorlesungen über Volkswirtschaft und über allgemeines europäisches Staatsrecht wurden verboten. Von dem Komitee vom 2. April 1848 lag ein (meines Wissens bisher nicht veröffentlichter) Bericht vom 3. Januar 1850 vor, der keinen Zweifel über die alles literarische Leben erstickende Tätigkeit der Männer läßt, denen der Kaiser durch ihre Ernennung zu Mitgliedern des Komitees „ einen Beweis seines unbegrenzten Vertrauens" gegeben hatte. Da Buturlin und Degai vor Erstattung des Berichts starben, haben Korff und der an Stelle Buturlins hinzugekommene Generaladjutant Annenkow ihn unterzeichnet. Sie konnten dem Kaiser die tröstliche Versicherung geben, daß sie jo länger, je weniger Ursache gehabt hätten, einzuschreiten, obgleich ihnen nichts Gedrucktes oder Lithographiertes entgangen sein könne 1 ).

Kapitel VII. Die Krisis im Innern und die schleswigholsteinische Frage. Es ist mehr als zweifelhaft, ob der Kaiser innerlich die zuversichtliche Stimmung teilte, die aus seinen Manifesten und Ansprachen zum Ausdruck kommen sollte. Keinenfalls entsprach die russische Wirklichkeit ihr. Die Petersburger Gesellschaft hatte die Nachricht von der Februar-Revolution und von den Wiener und Berliner Ereignissen mit einem Gefühl der Schadenfreude aufgenommen und war durchaus nicht kriegslustig. Man erzählte sich, daß der Kriegsminister Tschernyschew Gegner kriegerischer Unternehmungen sei, weil er mit den Mobilmachungsgeldern spekuliere 2 ). Auch verging dem Kaiser der Kriegseifer, sobald sich zeigte, daß Sie haben gelesen und geprüft: Bücher und Broschüren 3004, Zeitschriften 1081 Nummern, Zeitungen 12 920 Nummern, lithographierte Aufzeichnungen 1466 Blätter (vornehmlich handelt es sich dabei um die lithographierten Vorlesungen yon Professoren). Briefe und Tagebuchblätter Theodor von Bernhardis: Über Nikolaus I. und Friedrich Wilhelm IV., pg. 24.

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Kapitel VII.

Die Krisis im Innern und die schleswig-holsteinische Frage.

von einem Koalitionskriege keine Bede sein könne und Rußland zunächst jedenfalls allein stehen werde. Die polnische Frage, soweit sie Russisch-Polen berührte, trat in den Vordergrund seiner Gedanken. Lamartine hatte der polnischen Legion, die sich in Frankreich bildete, Aussichten auf die Wiederaufrichtung Polens eröffnet, und der Kaiser fürchtete, daß auch Preußen und Österreich die Herstellung Polens proklamieren könnten, in solchem Fall war er überzeugt, daß ganz Polen Rußland zufallen werde 1 ). Die Kundgebung Friedrich Wilhelms vom 18. ging ihm am Abend des 27. März mit der Nachricht zu, daß die Polen, gegen deren Umtriebe der König ihn noch vor kurzem um Hilfe gebeten habe, diesem jetzt ihre Unterstützung gegen Rußland angeboten hätten. Paskiewitsch erhielt daraufhin den Befehl, das 2. Korps nach Polen und das 1. nach Littauen zu ziehen. Die Kosaken wurden mobilisiert und ein Regiment in Samogitien aufgestellt. Auch wurde erwogen, ob die Festungen nicht in Verteidigungszustand zu bringen seien, und Paskiewitschs Stabschef, der Fürst Gortschakow, beauftragt, über die Leistungsfähigkeit der Divisions- und Brigade-Kommandeure Bericht zu erstatten. Ruhige Überlegung führte den Kaiser schon am folgenden Tage zur Überzeugung, daß er weder von Preußen noch von Österreich einen Angriff zu erwarten habe, aber der Einfall polnischer Banden aus Posen und Galizien erschien ihm wahrscheinlich. Es folgten beunruhigende Nachrichten über die steigende Anarchie in Preußen und Österreich, den Abfall der Lombardei und am 24. April die Meldung Meyendorffs, daß der Fürst Adam Czartoryski mit seiner ganzen demokratischen Gesellschaft in Berlin eingetroffen und .Chrzanowski, der Stratege des polnischen Aufstandes von 1831, zum Führer einer Legion bestimmt sei die sich in Polen bilde. Czartoryski rechne auf revolutionäre Bewegungen in Rußland, und der Kaiser konnte nicht verkennen, daß diese Hoffnung nicht ganz unbegründet war. Czartoryski war bereits seit dem 28. März, abends, in Berlin und in einem Hotel, Ecke der Leipzigerstraße und des Spittel!) Schtscherbatow 1. 1. IV. 203. Schreiben yom 13./25. März 1848 d, ) Schreiben vom 20. Nov./2. Dez. 1849. !) Schreiben vom T./19. Dez. 1849. 2 ) Schreiben vom, 25. Dez. 1849/6. Jan. 1850. 3) Fr. Meineke: Radowitz und die deutsche Revolution, pg. 369. Daselbst die schöne Charakteristik der Rede des Königs: „Selten hat royalistische

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Kapitel IX.

Zwischen Preußen und Österreich.

fast unmittelbar danach. Am 27. Februar 1850 einigten sich Bayern, Württemberg und Sachsen über die Grundzüge einer neuen Bundesverfassung, mit der sich am 13. März auch Schwarzenberg einverstanden erklärte. Preußen lehnte diesen Entwurf ab, Hannover trat aus dem Dreikönigsbündnis aus, am 20. März ward das Erfurter Parlament eröffnet, am IB. April im Volkshause, am 17. im Staatenhause, die Verfassung en bloc angenommen und gleich danach durch die Revision dieser Verfassung alles erfüllt, was an wesentlichen Wünschen von der preußischen Regierung vorgebracht worden war. Schon vorher, am 11. März hatte Schwarzenberg beantragt, daß Preußen und Österreich das Plenum des Bundestages nach Frankfurt berufen sollten „zum ausschließlichen Zweck der Berufung einer provisorischen Bundesregierung, die vom 1. Mai bis zum 1. November zu amtieren hätte." Im Laufe der Verhandlungen, die darüber gepflogen wurden, wußte Schwarzenberg die Vorstellung zu erwecken, daß Preußen die Union aufgeben wolle, Radowitz zu erreichen, daß Preußen den Frankfurter Kongreß nicht zu beschicken beschloß und sich noch einmal fest auf einen Standpunkt festlegte, von dem nicht zweifelhaft sein konnte, daß Österreich ihn ablehnen werde 1 ). Es ließ sich nicht verkennen, daß die politische Atmosphäre eine kriegerische Abrechnung über die beiderseitigen Ansprüche nicht ausschloß, und daran vermochten auch die Verhandlungen des am 8. Mai in Berlin zusammengetretenen Eürstentages nichts zu ändern. Als er am 16. Mai auseinanderging, konstituierten sich in Frankfurt, unter Vorsitz des österreichischen Präsidialgesandten Grafen Thun, als Plenum des Bundestages die Vertreter Bayerns, Sachsens, Württembergs und Hannovers mit den Gesandten der Niederlande für Luxemburg und Dänemarks für Holstein. Das bedeutete den Bruch. Dies war die Lage, als Nikolai in Warschau eintraf. Wenige Stunden vorher hatte man dort die Nachricht erhalten, daß König Empfindung in deutscher Sprache solche ergreifenden Töne wieder angeschlagen, wie in dem Satze, der von dem Jahre sprach, welches die Treue werdender Geschlechter wohl mit Tränen, aber vergebens wünschen wird, aus unserer Geschichte hinauszuringen." Wer denkt dabei nicht an die furchtbar schweren Erlebniese, die unser Yolk im letzten Vierteljahr 1918 trauernd durchleben mußte? ') Auf das Detail dieser Verhandlungen kann hier nicht eingegangen werden. Sie sind bei Meineke 1. 1. pg. 340—452 zu verfolgen.

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Friedrich Wilhelm am 22. Mai von einem entlassenen Artilleristen Sefeloge durch einen aus der Nähe abgegebenen Schuß am Arm verwundet worden sei. Es war zum Glück eine Fleischwunde. Der Kaiser, den dieses neue Attentat aufs äußerste erregte, ließ sofort alle vorbereiteten Festlichkeiten absagen. Der Prinz von Preußen und Prinz Karl trafen erst am 27. früh ein mit großem Gefolge. Außer dem Flügeladjutanten Edwin Manteuffel 14 höhere preußische Offiziere. An demselben Tage erschien auch Schwarzenberg in Warschau. Der Kaiser wollte seinen Gästen ein großes militärisches Programm vorführen, die großen Feldmanöver des 3. Korps unter seinem persönlichen Kommando, danach die Inspektion des in Lazienki liegenden Korps, die Besichtigung der Festung Nowo Georgiewsk und endlich eine Fahrt nach Suwalki und Kowno, um das unter Befehl des Generals Sievers stehende 1. Korps zu inspizieren. Der Kaiser war in glänzender Laune eingetroffen und von seinen Inspektionen und Paraden höchlichst befriedigt. Auch gab es für die mit großer Auszeichung behandelten preußischen Offiziere viel zu beobachten. Nach der ungarischen Kampagne erhielten alle Truppen Rußlands Musketen, meist auch neue Uniformen. Die Kopfzahl der Kompagnie war aber trotz der herangezogenen Rekruten erheblich reduziert. Nur wenige Kompagnien zählten mehr als 180 Mann statt der etatsmäßigen 240, was, da es durch alle Korps ging, einer Verminderung des russischen Heeres um V« gleichkam. Bei keinem Kavallerie-Regiment betrug die Zahl der für [den Frontdienst untauglichen Remontepferde weniger als 200, und das Radetzki-Husarenregiment zählte sogar 275 junge Pferde. Allen Teilnehmern am ungarischen Feldzuge waren silberne Kriegsmedaillen an einem Bande mit den Farben des Andreas- und des Annenordens (blau und rot) verliehen worden. Die Inschrift lautete: „Für die Friedenstiftung in Ungarn und Siebenbürgen" und trug auf dem Avers den Lieblingsspruch des Kaisers: Gott ist mit uns, hört es ihr Völker und unterwerft euch! Am 1. Januar hatte der Kaiser außerdem angeordnet, daß die Verpflegung der Soldaten reichlicher ausfallen solle. Jeder Soldat erhielt fortan ein Pfund,Fleisch wöchentlich, zu Mittag entweder die beliebte Kohlsuppe (Schtschi) oder Suppe und Grütze (Kascha), am Abend wiederum Schtschi oder Suppe. Diese scheinbare Einförmigkeit wurde nicht empfunden. Sauerkohls und Grütze wurde der Soldat niemals überdrüssig.

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Die politischen Gespräche zwischen dem Prinzen von Preußen und Schwarzenberg führten, wie zu erwarten war, zu keinem befriedigenden Ergebnis. Ein Versuch Schwarzenbergs, vom Kaiser die Zusage einer Besetzung Galiziens durch russische Truppen für den Fall eines preußischen Krieges zu erlangen, wurde sehr bestimmt abgewiesen. Im übrigen beschränkte Nikolai sich darauf, beiden Teilen zu erklären, sie möchten ihre Streitigkeiten friedlich schlichten. Komme es zum Kriege, so werde er sich auf die Seite des Angegriffenen stellen. Auf die Nachricht von dem Attentat hatte er dem Könige einen liebenswürdigen Brief geschrieben, der aber wie seit 1848 stets auch einige unangenehme Spitzen enthielt 1 ). Weit aktueller war ein zweiter Brief, den der Kaiser ihm kurz vor seiner Rückreise nach Petersburg schrieb, als Schwarzenberg bereits unterwegs nach Wien war. Er hoffe, daß Wilhelm (sc. brieflich) seine Befürchtungen zerstreut habe. Schwarzenberg habe erklärt, daß Österreich an keinen Angriff denke, er selbst habe nie an diesen Krieg, der brudermörderisch wäre,fgeglaubt. „Aber" — so fuhr er fort — „mein lieber Fritz, die Sache würde anders liegen, wenn du allein, ohne Zustimmung der Mitunterzeichner Veränderungen an den Verträgen vornehmen solltest, die den Grundstein der politischen Organisation Deutschlands bilden. Das wäre ein Angriff Deinerseits, und zwar nicht nur gegen Österreich, sondern gegen alle Garanten der Verträge von 1815. Ich freue mich daher sehr über die Plenarversammlung in Frankfurt und zweifele nicht daran, daß bei allseitigem guten Willen die Hindernisse sich werden beseitigen lassen, die einem guten Einvernehmen entgegenstehen. Bis dahin bleibe ich ruhiger Zuschauer Eurer Händel (de vos débats) aber, um Gottes willen^ veruneinigt Euch nicht 3 )." In Warschau glaubte man an eine Parteinahme Nikolais für Preußen. Es war aufgefallen, wie sehr der Kaiser den Prinzen von Preußen bevorzugte, während Schwarzenberg kühl behandelt wurde. Er wurde nur einmal zur Tafel gezogen, auch nicht, worauf er bis zum letzten ') Schreiben vom 13./25. Mai, Varsovie . . . Das glücklicherweise fehlgeschlagene Attentat solle ihm zeigen, daß es höchste Zeit sei, „ä ce que vous redeveniez complètement maître chez vous, si non vous péririez i n u t i l e m e n t , et votre pays périra avec vous . . 2) Schreiben vom 19./31. Mai 1850, Varsovie.

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Augenblick gerechnet hatte, zur Parade in Lowicz geladen, so daß er eilig abfuhr 1 ). Man erklärte diese auffallende Zurücksetzung des leitenden österreichischen Staatsmannes durch die Enttäuschung Nikolais über das Ausbleiben Franz Josephs, den man erwartet hatte, andererseits durch den Einfluß Paskiewitschs, der, wie fast alle Offiziere, die am ungarischen Kriege teilgenommen hatten, den Österreichern feind war 3 ). Die Sympathien des Feldmarschalls standen ganz auf preußischer Seite und waren durch ein autographes Schreiben des Königs noch gesteigert worden, das ihn zur Vermählung seiner Tochter mit dem Fürsten Lobanow Rostowski beglückwünschte. Der Prinz von Preußen erhielt die Erlaubnis, den Kaiser nach Petersburg zu begleiten, und blieb zur Freude der Schwester zehn Tage dort 3 ). Im Mai und Juni dauerte die Spannung fort, und auch der Friedensschluß mit Dänemark am 2. Juli führte zur keiner Besserung der Lage. Am 19. Juli hatte eine Zirkularnote Schwarzenbergs den deutschen Regierungen die Erneuerung des engeren Rates der Bundesversammlung angekündigt; bald danach verlangte Osterreich, daß die preußischen Truppen Baden und Rastatt räumen sollten, und daran schlössen sich weitere politische Schachzüge, die sich, wie Radowitz richtig einsah, gegen die Großmachtstellung Preußens richteten 4 ). Er dachte an eine kriegerische Lösung des Konflikts, konnte aber damit nicht durchdringen. Gestärkt wurde seine Stellung dem Könige gegenüber, als am 2. September Österreich mit seiner Gefolgschaft 5 ) sich als l ) Du Plat 7. Juni 1850 durch Privatgelegenheit „The Prince (Schwarzenberg) had given every assurance that he was even desirous of being present at the reviews of Lowicz, in order to convince himself personally of the state of discipline of the different corps d'armée. But, on the following morning the Prince started for Vienna, before the Review commenced; and was actually seen between Skerniewiecz and the frontiers of Poland in full dress regimentals — so sudden had been his change of resolution and his consequent departure." 3 ) Du Plat 1. 1 . . . . „I assure Tour Lordship that, without having freely mixed with officers of all ranks who were in Hungary, it is almost impossible to concive the distaste for an alliance with Austria which prevails in the Russian Army stationed in Poland." 3 ) Tagebuch der Kaiserin: »Mein Bruder Wilhelm kam im Mai zu mir, wirklich Wilhelm sah ich wieder nach den verhängnisvollen Jahren." 4 ) Meineke 1. 1. pg. 442. 5 ) Bayern, Württemberg, Sachsen, Hannover, Kurhessen, Hessen-Darm-

S c h i e m a n n , Geschichte Rußlands. IV.

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Kapitel I X .

Zwischen Preußen und Osterreich.

engerer Rat am Bundestage tatsächlich konstituierte. In Preußen war infolgedessen der schließliche Ausgang der, daß Schleinitz als Minister des Auswärtigen zurücktrat und Radowitz am 26. September zu seinem Nachfolger ernannt wurde. Nikolai war sofort geneigt, die Zentralgewalt anzuerkennen, welche die sechs großen deutschen Regierungen annehmen würden. Er sah darin eine Verwirklichung seiner eigenen Gedanken 1 ). Die Ernennung von Radowitz bewog ihn, den Fürsten Gortschakow früher als ursprünglich beabsichtigt war, nach Frankfurt zu schicken, was ein Zugeständnis an Österreich bedeutete und auch so gedacht war. Auch der weitere Verlauf der dänischen Frage trug zur Verschärfung der Krisis bei, der Kaiser war verstimmt über die Weigerung Preußens, das Londoner Protokoll vom 2. August anzuerkennen, akut aber wurde sie durch den Konflikt über die Exekution in Kurhessen 2 ). Ein preußisch-österreichischer Krieg schien fast unvermeidlich, und wenn Rußland neutral blieb, konnte der Ausgang bei der militärischen Überlegenheit Preußens kaum zweifelhaft sein 3 ). Wie stand es nun mit der Kriegsbereitschaft Nikolais? Auf eine Anfrage des Unterstaatssekretärs Addington berechnete Du Plat den Stand der verfügbaren Kriegsmacht des Kaisers folgendermaßen*). Von der in Ungarn eingerückten Armee seien 40000 und einige Hundert nach der Rückkehr auf russischen Boden in die Hospitäler geschickt worden. 17 000 hätten sich seither ihren früheren Korps wieder angeschlossen, 2 3 0 0 0 seien für ferneren Kriegsdienst unbrauchbar, tot oder unfähig. Dazu seien gegen 8000 Mann in österreichischen Hospitälern gestorben, zwischen 2- un d 3000 im Felde gefallen. Der Gesamtverlust betrage 33- bis 35000 Mann und 7000 Pferde, was dadurch bestätigt werde, daß 33000 Mann nach Polen gezogen wurden, um die Lücken des 1., stadt, Mecklenburg-Strelitz, Schaumburg-Lippe, Lichtenstein, Hessen-Homburg, Dänemark und die Niederlande. Nesselrode an Meyendorff, Peterhof 26. August 1850: „C'est l'Empereur lui même qui a eu cette idée". 2 ) Auf Ursprung und Verlauf dieser Krisis im Detail einzugehen, verbietet der Raum. Das Nähere ist bei Sybel und Meineke nachzulesen. 3 ) Paskiewitsch berechnete damals das beiderseitige Verhältnis dahin, daß Preußen 350000 Mann aufstellen könne, während Österreich in Böhmen kaum 5 0 0 0 0 Mann habe und dabei jetzt ohne Artillerie und Pferde sei. 4 ) Bericht vom 26. Juni 1850: „from a source not less authentic than any which the Field-Marshal himself could have placed at my d i s p o s a i . .

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2., und 3. Korps auszufüllen. Über das 4. Korps und die 2 Divisionen Lüders' hatte er keine Angaben erhalten. Das Gesamtheer betrage 170—180000 Mann mit 43000 Pferden. Es stellte sich aber nachträglich heraus, daß nur eine weit geringere Zahl verwendbar war. Wie die Stimmung war, zeigte die sichtliche Freude, welche die Mißhandlung Haynaus durch den Londoner Pöbel in Warschau erregte. Es fiel zudem auf, daß im Laufe de8 September das 4. Korps in Podolien, Wolhynien und Kiew kantoniert wurde und daß das Hauptquartier in Dubno blieb. Auch die übrigen Korps wurden von der Grenze abgezogen, und in der Armee wurde es als eine Schwächung ihrer Aktionsfähigkeit betrachtet, daß der hochverdiente General Graf Rüdiger 1 ) verabschiedet und in den Reichsrat versetzt wurde. Sein Nachfolger, der gleich alte General Baron Offenberg, hatte nicht die gleiche Kriegserfahrung. Das war die militärische Lage, als Nikolai beschloß, in Warschau das entscheidende Wort in den österreichisch-preußischen Gegensätzen zu sprechen. Er hatte dabei auf die Anwesenheit Friedrich Wilhelms und Franz Josephs gerechnet, aber der König, zu dessen Empfang bereits zwei Adjutanten an die preußische Grenze geschickt waren, sagte am 4. Oktober telegraphisch ab, zur großen Enttäuschung der Kaiserin, die bereits am 27. September in Warschau eingetroffen war. Der Kaiser war noch auf seiner Inspektionsreise in Südrußland und hatte einen vom 20. September datierten Brief Friedrich Wilhelms erhalten, der ihm das „infame Spiel" Schwarzenbergs auseinandersetzte, die Ernennung Radowitzens zum Minister des Auswärtigen ankündigte und zugleich seiner Erwartung Ausdruck gab, daß Rußland ihn nicht im Stich lassen werde. Die Antwort des Kaisers 2 ) war nichts weniger als ermutigend. Er erkenne keine andere Basis an, als die der Verträge von 1815. In der hessischen Frage sei das Recht nicht auf seiten des Königs. Es handele sich um eine „declaration attentatoire" gegen eine souveräne Macht. Inzwischen füllte sich Warschau. Mit dem Hofstaat der Kaiserin waren Peter von Oldenburg und Gemahlin eingetroffen, ') Rüdiger hatte die Kampagnen yon 1805, 1809, 1812—14, 1828—29, 1830—31 mitgemacht und 1849 das dritte Korps befehligt. 2 ) Bjelaja Zerkow, 27. September/9. Oktober 1850. Vor einem Monat, am 13. September, hatte er dem Könige geschrieben, er sei zu dumm, um die preußische Politik zu verstehen, und könne an den Prinzipien, die er von Alexander und Papa (Friedrich Wilhelm III.) überkommen habe, nichts ändern. 15*

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am 7. Oktober kamen Prinz Friedrich der Niederlande und seine Gemahlin, Prinzessin; Louise, von den preußischen Diplomaten als erster Rochow, von russischen am 10. Nesselrode, der alle seine Departementschefs beisammenhatte; am 13. Christian von Schleswig Holstein, Friedrich von Hessen-Kassel, der Witwer der Großfürstin Alexandra Nikolajewna, am 15. früh endlich der Kaiser, Kronprinz und Kronprinzessin von Württemberg und der Prinz Eugen von Württemberg, am 17. Brandenburg nebst Gemahlin und einige Tage später die Großherzogin-Witwe von MecklenburgSchwerin und Meyendorff, jetzt Botschafter in Wien, während Baron Budberg, sein Nachfolger, in Berlin blieb. Erst am 25. erschien auch Franz Joseph und Schwarzenberg. Schon die große Zahl der Damen wies darauf hin, daß es an Lustbarkeiten nicht fehlen werde. Die Festlichkeiten gingen neben der politischen Arbeit her und waren kaum von ihr zu trennen. Im wesentlichen war es eine Versammlung der Klienten Rußlands. Die Aussichten für Preußen standen keineswegs günstig. Nesselrode schrieb am 15., der Kaiser sei sehr erregt (très monté) gegen Preußen, die Kaiserin freilich lebhaft gegen Österreich und Schwarzenberg eingenommen. Es kennzeichnet die Lage, daß der kluge deutsche Generalkonsul Weber zu Du Plat sagte : Rochow scheine zu glauben, daß, was der Kaiser von Rußland wolle, auch geschehen müsse 1 ). Die glänzende Gesellschaft, die der Kaiser nach Warschau geladen hatte, verschönte zunächst die Feier des 50jährigen Dienstjubiläums des Fürsten Feldmarschalls. König Friedrich Wilhelm hatte eine militärische Deputation zur Beglückwünschung geschickt und dem Jubilar ein preußisches Regiment verliehen. Beim Diner erschienen der Kaiser und Paskiewitsch in preußischer Uniform im Schmuck des schwarzen Adlers. Brandenburg erhielt den Ehrenplatz, während Nikolai links von Paskiewitsch saß, der ein Hoch auf den König von Preußen ausbrachte. Gleich danach erhob sich Nikolai: „Ich nehme mir die Freiheit, unsern alten und tapferen Waffenbruder, die preußische Armee, anzuschließen. Mögen wir immer, wie ehemals, in Eintracht mit ihnen marschieren 2 )." Natürlich *) Rochow appears to me to think that whatever the Emperor of Russia will, must be accomplished. 2

) „Je

Bericht rom 11. Oktober.

prends la liberté* d'y associer nos anciens

et braves confrères

d'armes — l'armée Prussienne. Puissions nous toujours marcher d'accord avec eux comme autrefois."

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war der Eindruck dieser Rede für die Prinzen von Glücksburg und Friedrich von Hessen nicht eben ermutigend, und es fiel auf, daß Brandenburg beide mit großer Kälte behandelte. Aber das waren trügerische Eindrücke. Die Ehrenbezeugungen für Preußen bedeuteten keineswegs eine Wandlung der russischen Politik. Brandenburg täuschte sich, wenn er glaubte, der Kaiser werde sich auf freundschaftliche Ratschläge beschränken. In allen preußischen Fragen hatte er eine doppelte, Buchführung: er liebte nach wie vor das alte Preußen, das nicht mehr so war wie in den Tagen seines Schwiegervaters, er liebte die preußische Armee, weil er glaubte, sie sei die alte geblieben, und liebte diejenigen preußischen Staatsmänner, die wie Rochow, Rauch und Gerlach Gegner der Verfassung des Königs waren. Ein nüchterner Kopf hätte sich gesagt, daß die seit 3 Jahren vom Kaiser immer aufs neue wiederholten Drohungen jetzt weniger als je ausführbar waren. Die Flotte war nicht aktionsfähig, sie mußte nach Kronstadt und dort überwintern, in Polen standen nur 24 Bataillone Infanterie, 2 Regimenter Kavallerie, 3 Batterien, in Summa etwas weniger als 21500 Mann, von denen mehr als die Hälfte durch den Dienst in Warschau gebunden waren. Vor höchstens 3 Monaten war kein Heer aufzubringen, das Preußen gefährlich werden konnte. Es war eine ungeheure Sensation, als am 24. die Nachricht kam, daß die preußischen Truppen den strikten Befehl erhalten hätten, bayrische oder andere Truppen, die das Territorium von Hessen-Kassel besetzen wollten, zurückzuwerfen. Rochow trat mit Nesselrode, Meyendorif, Stoffregen') und anderen russischen Diplomaten in Beratung. Brandenburg blieb zunächst kühl und entschlossen. Als Nikolai ihm vorhielt, daß Preußen im Kampfe mit Rußland, Österreich, Bayern und Württemberg unterliegen müsse, antwortete er, gegen den Angriff einer solchen Koalition müsse Preußen alle Mittel, auch die revolutionären brauchen und an die Leidenschaften des Volkes in Polen, Ungarn, Italien, in Deutschland und an anderer Stelle appellieren. Nikolai antwortete darauf nur: cela serait atroceü Es war, vom preußischen Standpunkt gesehen, ein Unglück, daß diese Haltung, in der Brandenburg von Wagner bestärkt wurde, l

) Stoffregen gehörte zur russischen Gesandtschaft in Württemberg und hatte den Auftrag, vertraulich über die Beschlüsse der Konferenz in Bregenz zu berichten, daß nämlich im Kriegsfall Württemberg die preußischen Truppen in Baden angreifen werde.

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nicht behauptet wurde. Brandenburg war zwar ein Mann von ruhiger Würde und überzeugt, eine gerechte Sache zu vertreten, aber es fehlte ihm an diplomatischem Talent, an der Gabe, einer politischen Lage die ihm günstigste Seite abzugewinnen. Auch •war es eine Schwächung seiner Aussichten, daß am 26. Prinz Karl von Preußen, der ein entschiedener Gegner der Politik des Königs war, mit den Generalen Hirschfeld und Graf Gröben eintraf. Auf den Gang der Verhandlungen soll hier nicht eingegangen werden. Brandenburgs Eindruck bei Abschluß derselben war nicht ungünstig. Er glaubte erwarten zu dürfen, daß die Modifikation des ursprünglichen Radowitzschen Projekts auf den freien Konferenzen, die in Dresden oder Wien stattfinden sollten, diskutiert und angenommen werden würden, bevor der Bundestag der 17 Stimmen reorganisiert sei und bevor dieser Körperschaft das Resultat der Konferenz unterstellt werde. Als schließliches Ergebnis werde dann die politische Reorganisation Deutschlands im Prinzip als entschieden betrachtet werden können. Die Parteigänger Österreichs erwarteten von den Konferenzen, soweit es sich um die Yerfassuugsfragen handelte, keinerlei Gefahr, da weder Schwarzenberg noch Franz Joseph zu Zugeständnissen bereit sein würden. In betreff Schleswigs und HessenKassels kam man zwar überein, zunächst sich aller extremer Maßregeln zu enthalten, die Gegensätze der beiderseitigen Auffassung aber waren noch offener hervorgetreten als vorher. Alle Vorschläge, die Preußen zur Pazification von Holstein und HessenKassel gemacht hatte, waren von Österreich abgelehnt worden, wie man preußischerseits annahm, um in der Frage der Nichtanerkennung von Volksrechten Rußland als Bundesgenossen an seiner Seite zu haben'). Du Plat war fest überzeugt, daß Preußen nichts von Rußland zu besorgen habe, falls Österreich und seine Bundesgenossen mit Feindseligkeiten beginnen» sollten. Alles, was von den höheren und höchsten Offizieren Rußlands abhänge, um mindestens eine Kampagne gegen Preußen aufzuschieben, werde aus Haß gegen Österreich geschehen. Sie hielten einen Krieg mit Preußen, ohne vorherige sehr bedeutende militärische Vorbereitungen für bedenklich. Auch fürchtete der Kaiser die Berührung seiner Truppen mit zivi') Bericht Du Plats vom 29. Oktober, der indirekt auf Brandenburg zurückgeht. Siehe die Anlage.

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lisierten Nationen und Regierungen, die andere als die in Rußland geltenden Prinzipien vertraten. Der unbefriedigende Ausfall der russischen Yermittelung hatte zunächst zur Folge, daß die bereits in Gang gebrachte Verlegung der russischen Truppen in ihre Winterquartiere angehalten wurde und daß das 4. in Wolhynien stehende Korps, das seine Train- und Artilleriepferde bereits verkauft hatte, den Befehl erhielt, eine gleiche Zahl neu anzukaufen. Die stürmische und widerspruchsvolle Entwickelung der preußischen Politik: der Rücktritt Radowitzens am 2. November, der Tod Brandenburgs und die Mobilmachungsorder vom 6., der Zusammenstoß der Bundestruppen mit den preußischen bei Bronzell am 8., das österreichische Ultimatum vom 25. und endlich am 29. die Olmützer Konvention, durch welche — um Radowitzens Worte zu brauchen — „Preußen die deutsche Sache aufgab und Österreich Konzessionen machte, die ihm keine Verpflichtungen auferlegten", das alles hatte seine Reflexe in Petersburg und Warschau, die Korrespondenz des Kaisers mit dem. Könige spiegelt sie wider 1 ). In Petersburg wurde erzählt, daß die Nachricht von der Mobilmachung der preußischen Armee auf den Kaiser Nikolaus einen solchen Eindruck gemacht habe, daß man ihm hatte Schröpfköpfe setzen müssen 2 ), was bei der großen Nervosität des Kaisers nicht unmöglich, aber anderweitig nicht bezeugt ist 3 ). Die Aufregung war aber jedenfalls nicht von langer Dauer, da Paskiewitsch einen Brief von Baron Budberg erhielt, der ihm mitteilte, daß trotz der Mobilmachung der ganzen preußischen Armee der König entschlossen sei, allen österreichischen Forderungen nachzugeben und Schwarzenberg zu gestatten, die holsteinische und hessen-kasselsche Frage nach Belieben zu regeln. Daraufhin machte Paskiewitsch die vom Kaiser selbst entworfenen Dispositionen für die Heranziehung russischer Truppen rückgängig. Am 13. November wurden zur Freude der russischen Offiziere alle Vorbereitungen zu aktivem Eingreifen abgesagt. Die Thronrede des Königs hatte aber einen neuen Befehl an die Armee zur Folge, sich in Kriegsbereitschaft zu setzen, und das österreichische Ultimatum steigerte die Spannung. ') Siehe die Anlagen. •) Bernhardi: Unter Nikolaus I. und Friedrich Wilhelm IV., pg. 71. 3 ) Für diese Zeit ist leider eine Lücke in den für die Frage der Gesundheitsverhältnisse Nikolais autoritativen Lebenserinnerungen von Professor Martin ilandt. Leipzig 1917.

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Am 27. November waren das ]. und 2. Korps kriegsbereit, das 3. und 4. noch stark im Rückstände, vor 7 bis 8 Wochen, meinte Du Plat, würde die Armee einen Kampf außerhalb Polens nicht aufnehmen können. Paskiewitsch sagte dem preußischen Generalkonsul, daß er nach Einsicht in den Text der Rede des Königs sie keineswegs drohend finde, sie sei nur fest und entschlossen, das aufrechtzuerhalten, was der König für sein gutes Recht halte. Rußland müsse deshalb doppelt vorsichtig und maßvoll sein, auch seien die Ansprüche Schwarzenbergs mindestens so unvernünftig, wie man sie in Preußen beurteile. Daß es dem Kaiser ernst sein könne, den Schwager mit Krieg zu überziehen, glaubte Paskiewitsch ebensowenig wie die russischen Offiziere. Es handelte sich für Nikolai um eine Demonstration, von der er die Wirkung erwartete, die seine Vermittelungsbemühungeu in Warschau nicht gehabt hatten. Aber noch am 1. Dezember erhielt das 3. Korps Befehl zum Vormarsch nach Warschau, offenbar weil man von Olmütz noch keine Nachricht hatte. Sie wurde dem Kaiser preußischerseits von Rochow überbracht, von Österreich durch einen Bericht Meyendorfis und rief große Freude und Genugtuung hervor. Nikolai schrieb dem Kaiser Franz Joseph, um ihm zu sagen, wie sehr er seine „edele Mäßigung" zu würdigen wisse1). Bald aber kamen beunruhigende Nachrichten über die Stimmung in Preußen. Nikolai, der immer einen Ausbruch der Volksleidenschaften gefürchtet hatte, befahl infolgedessen die schleunige Konzentrierung von 94000 Mann an der preußischen Ostgrenze, um bereit zu sein, wenn der König ihn um Hilfe gegen seine rebellischen Untertanen bitten sollte. Dazu kam es natürlich nicht. Die Kammer wurde bis zum 3. Februar vertagt, und der Sturm legte sich. Aber die Erinnerung an die Schmach von Olmütz und an dem Anteil Rußlands an dieser Demütigung Preußens blieb lebendig 3 ). ') Nesselrode an Meyendorff. 11. Dez. 1850. Nous nous sommes donc livrés à une joie sans mélange pendant plusieurs jours; mais ne voilô-t-il pas que l'horizon recommence de nouveau à se charger de nuages. Budberg hatte von dem Gewitter berichtet, das in der preußischen Kammer ausgebrochen sei. s ) Die Kaiserin hat ihre Erinnerung an diese Monate in ihrem Tagebuch folgendermaßen zusammengefaßt: Den 10. September reiste ich ab nach Warschau mit Schwester Louise, liandt meinte, einige Herbstmonate in einem milden Klima würden mir heilsam sein. Dort hatte ich das Glück, Schwester Alexan

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Der Kaiser hatte die Entwicklung, deren Grundzüge wir skizziert haben, seit dem 2. November von Petersburg aus verfolgt, wo ihn infolge seiner langen Abwesenheit eine Reihe wichtiger Geschäfte erwartete. Es handelte sich vornehmlich um Fragen der inneren Politik, d. h. um weitere Unterdrückung derjenigen geistigen Strömungen, die seiner Überzeugung nach die Revolution im Abendlande ins Leben gerufen hatten. Nach langem Schwanken war endlich zum Nachfolger Uwarows der Fürst Piaton Alexandrowitsch Schirinski-SJiichmatow zum Minister der Volksaufklärung, zu seinem Gehilfen Awraam Ssergejewitsch Norow ernannt worden. Die betreffenden Ukase datierten vom 27. Januar und 11. Februar russischen Stils. Von dem Minister lief ein Ausspruch um, den er Norow gegenüber getan und den dieser weitergegeben hatte: „Sie wissen doch, daß ich weder einen eigenen Gedanken noch einen eigenen Willen habe — ich bin ein blindes Werkzeug des Kaisers 1 )." Das hätte im wesentlichen von allen Staatsmännern gesagt werden können, mit denen sich der Kaiser umgeben hatte, und war, trotz des großen Fleißes, mit dem er den Geschäften nachging, der letzte Grund der Mißwirtschaft, die wie ein Fluch an seiner Regierung haftete. drine und die Brüder Karl und Albert wiederzusehen und unsere Olly an mein Herz zu drücken. Darauf kam der junge 20jährige Kaiser von Österreich, so jung und so ernst schon. Es wurden 3 merkwürdige politische Tage dort erlebt, vom 13. bis 16. Oktober. Vieles wurde besprochen und bestimmt, um einen Krieg zwischen Österreich und Preußen zu verhindern. Schwarzenberg, so fein diplomatisch, und Brandenburg, so einfach und ehrlich, verständigten sich. Brandenburg reist ab nach Berlin und hofft Radowitz zu überzeugen von der Wichtigkeit und Notwendigkeit, die Bedingungen einzugehen, aber der scheint gegen ihn, König und Wilhelm sind gegen ihn, man sagt ihm entsetzliche Dinge, ihm und dem Kriegsminister, man droht, er bleibt fest. Aber unterliegt physisch, wird denselben Tag krank und stirbt 4 Tage darnach am 6. Novbr./25. Oktober. Kaum hatte Brandenburg die Augen geschlossen, als denselben Tag der Krieg sozusagen erklärt an Österreich durch den Befehl der Mobilmachung. Das erfuhr ich alles den letzten Tag in Warschau. Da reiste ich ab, so kam ich an in Zarskoje am 4. November, so zwischen Angst und Schrecken über die Möglichkeit dieses Krieges, welches ein Brudermord gewesen und uns mit hineingezogen hätte gegen Preußen, lebten wir bis zum 25. November, wo bessere Hoffnung aus Olmütz uns zukam, als Schwarzenberg und Manteuffel sich gesehen hatten. ') Nikitenko: Aufzeichnungen und Tagebücher.

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Der neue Unterrichtsminister hatte, um dem Gedanken des Kaisers gerecht zu werden, daß es seine Pflicht sei, die heranwachsende Generation vor den verführerischen Ideen der neuesten philosophischen Systeme zu schützen, den akademischen Unterricht in der Philosophie auf Logik und Psychologie beschränkt. Ein Gesuch, das für die Geschichte der Philosophie eintrat, wurde mit der Begründung abgewiesen, daß der Nutzen dieses Wissenszweiges nicht erwiesen sei, während doch möglich sei, daß Schaden durch ihn angerichtet würde. Katkow mußte infolgedessen seine Professur in Moskau niederlegen; er wurde aber Nachfolger Cholopows, des wegen eines Verstoßes gegen Zensurvorschriften beseitigten Redakteurs der Moskauer Zeitung (Moskowskija Wjedomosti) und hat i n dieser Stellung sich allmählich zu der einflußreichen politischen Stelle emporgearbeitet, die ihm zum Schaden Rußlands unter der Ttegierung der Nachfolger Nikolais zufallen sollte. Verfolgt wurde auch das Studium der Geschichte. Als Sergey Michailowitsch Ssolowjew ein Kolleg über die Quellen der Geschichte Rußlands ankündigen wollte, wurde ihm diese Vorlesung untersagt: die Regierung will es nicht! so lautete die Motivierung des Verbots 1 ). Dieses Verbot ist aber um so auffallender, als Nikolai ein ausgesprochenes Interesse für die Geschichte seines Reiches hatte und abgesehen von der „Vollen Sammlung russischer Gesetze", die er von Speranski hatte besorgen lassen, auch die „Sammlung russischer Chroniken und Urkunden", die „Altertümer des russischen Reiches", die Studien A. J. Turgenews in italienischen Archiven, die Denkmäler der diplomatischen Beziehungen Rußlands zu auswärtigen Mächten, sowie zahlreiche andere historische Arbeiten gefördert und unterstützt hatte. An historischen Darstellungen wie an G. P. Danilewskis Geschichte der napoleonischen Kriege Rußlands hat er große Streichungen höchsteigenhändig vorgenommen, die. Geschichte Peters des Großen von G. P. Ustrjälow, dem er die Archive zugänglich gemacht hatte, ließ er auf Kosten der Regierung drucken, und mit besonderem Interesse begünstigte er die kirchenhistorischen Arbeiten der hohen russischen Geistlichen, vor allem des Bischofs Filaret von Charkow. Die Gedanken, die in diesen Quellenpublikationen und in den historischen Darstellungen längst ') Der erste Band der Geschichte Rußlands von Ssolowjew ist erst 1851 erschienen, der 28. 1878.

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geschwundener Zeiten und Anschauungen zum Ausdruck kamen, erschienen dem Kaiser mit Recht als ebenso ungefährlich wie der ausschweifende Enthusiasmus, mit der die Sterne der italienischen Oper, Persiani und Mario, oder die Ballettänzerin Carlotta Grisi und etwas später Fanny Elsler gefeiert wurden. Das waren Regungen in den Kreisen der „Gesellschaft", die er verstand und teilte. Das große Erlebnis, das ihn aber am tiefsten berührt hat, war die Feier seines 25jährigen Regierungsjubiläums, das er nicht am 1. Dezember, dem Todestage Alexanders, sondern am 14./26. Dezember, dem Tage der Niederwerfung der Dekabristen-Verschwörung, beging. Er hat es als ein russisches Fest begangen, ohne Heranziehung der deutschen Verwandten. Die Feier begann um 11 Uhr mit einem Gottesdienst in der Kirche des Winterpalais, zu dem, wie alljährlich, alle noch lebenden Mitkämpfer vom 26. Dez. 1825 geladen waren, dazu die Offiziere des Preobraschensker, Semenover- und Leibgarde-Regiments. Nachdem der Gottesdienst, wie üblich, mit Austausch von Küssen geschlossen hatte, hielt der Kaiser in dem sogenannten arabischen Saale noch eine Ansprache an die Preobraschensker: „Euch, Preobraschensker, sagte er, danke ich ganz besonders. Ihr wißt, welch sonderbarer Zufall uns einander nähergebracht hat 1 ), deshalb bilden wir eine gemeinsame Familie, und meine Familie gehört- euch, wie ihr mir gehört. Hier seht ihr drei Generationen, — er hielt dabei den Großfürsten-Thronfolger und dessen ältesten Sohn an der Hand —; jetzt wißt ihr, wem ihr zu dienen habt. Dient ihnen so, wie ihr mir gedient habt, und eure Kinder werden den Meinigen so dienen, wie ihr mir gedient habt." Der Kaiser sprach laut, in Absätzen, man hörte dem Ton unterdrückte Tränen an. Ringsherum schluchzte alles . . . ' ) . Gleich darauf fand eine große Parade des gesamten Gardekorps auf dem Admiralitätsplatze statt. Sie fiel keineswegs zur Zufriedenheit Nikolais aus. Die Chevaliergarde und Garde zu Pferde mußten am folgenden Tage nachexerzieren. Am 27. war großes Diner im Winterpalais, an dem auch die Damen des kaiserlichen Hauses teilnahmen und der Kaiser einen Toast „auf das Wohl meiner Kameraden im Dienst" ausbrachte. ') Bd. I pg. 47 u. 48. ) Korff, Memoiren R. St. 1900 II pg. 518.

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Eine bleibende Spur hat der 26. Dez. 1850 an den Rechenschaftsberichten der Ministerien über ihre Tätigkeit in Verlauf dieser 25 Jahre hinterlassen. An der Spitze stand der Bericht Nesselrodes'), von dem der Kaiser ein Original dem Großfürsten-Thronfolger überreichte. Er hatte darauf geschrieben: „Hier hast Du meinen Bericht über die diplomatische Tätigkeit; Gott gebe, daß es mir gelungen ist, Dir Rußland so zu übergeben, wie ich bemüht gewesen bin, es hinzustellen: stark, selbständig und wohltätig: uns zum Besten und niemandem zu Leid." Diese Berichte sind als historische Quelle nur mit höchster Vorsicht zu benutzen. Sie geben das offizielle Bild von jenem Rußland des Scheins, das unter den Händen Nikolais eutstanden war, und das, was sich damals nicht vorhersehen ließ, nach Verlauf weniger Jahre zusammenbrechen sollte. Auch über seine persönliche Stellung im Volksbewußtsein täuschte sich der Kaiser 2 ). Welche Gedanken ihm in diesen Jubiläumstagen durch die Seele zogen, zeigt ein Brief, der die Glückwünsche Friedrich Wilhelms IV. beantwortete. Es heißt darin u. a. . . . „Wenn in dieser Epoche einiges Gute für mein Vaterland erreicht werden konnte, und wenn die Nachwelt so urteilen sollte, so wird das mir ein reichlicher Lohn für die schweren Augenblicke eines Lebens sein, das reich an Arbeit war. Gleich anfangs wurde ich, o h n e v o r h e r d a v o n g e w u ß t zu h a b e n , berufen, Aufgaben zu erfüllen, für die ich keineswegs vorbereitet war. Wie hätte ich sie jemals bewältigen können, wenn Gott mich nicht sichtlich geleitet, wenn ich nicht auf ihn allein meine Hoffnung gesetzt hätte. Getreu den Prinzipien meines verstorbenen Bruders, des Kaisers Alexander und seines treuen Freundes, des gleichfalls verstorbenen Dieser Bericht ist zum erstenmal im 5. Bande von Heinrich von Treitschkes Deutscher Geschichte veröffentlicht worden, nach einer Abschrift, die Viktor Hehn vom französischen Original genommen hat. Sämtliche Rechenschaftsberichte veröffentlichte Dubrowin im 89. Bande des Sbornik der historischen Gesellschaft. Petersburg 1896. Man nannte ihn, wie er aus dem Munde eines seiner Enkel selbst hätte hören müssen, „Karl Iwanowitsch", und das Volk empfand wie in den letzten Tagen Alexanders, der nach wie vor das politische Ideal Nikolais war: „Unser Zar ist russisch-deutsch, nach der Uniform ein Preufl!" Iiapt Hann. m&Meivb-pyccKiii HOCHTI> MyHflHpi) npyccKiÄ. Memoiren Sawalischins I, 84. Daselbst noch andere Verse derselben Tendenz.

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Königs, Deines Vaters, bin ich bemüht gewesen, ihren stets in meinem Gedächtnis fortlebenden Grundsätzen genau nachzukommen. Ihnen gebührt, daher der Tribut des Dankes derjenigen, welche die Wohltaten würdigen, die sich daraus für mein Vaterland ergeben haben und die ich nur fortgesetzt habe. Wie glücklich bin ich, daß diese Epoche meines Lebens sich mit der neuen Ära unserer Beziehungen verschmelzen wird, die, wie es scheint, Überlieferungen der Vergangenheit neu belebt, die meinem Herzen so teuer sind . . .')." Wir dürfen mit Bestimmtheit annehmen, daß die Gedanken, die er in diesem Schreiben niederlegte, den Empfindungen entsprachen, die ihn erfüllten, als er sie niederschrieb. Auch mag er sich im Laufe der Jahre wirklich eingeredet haben, daß er tatsächlich durch das Testament Alexanders überrascht worden sei, das ihn mit Umgehung Konstantins zum Kaiser machte. Die subjektive Selbsttäuschung wäre ja an sich auch gleichgültig gewesen, wenn ihre Folgen nicht soviel Unheil für Rußland nach sich gezogen hätten. Weit wichtiger aber ist das Bekenntnis Nikolais, daß er all diese 25 Jahre sich gebunden fühlte, nicht über die Regierungsgrundsätze Alexanders I. und Friedrich Wilhelms III., so wie er sie verstand, hinauszugreifen. Daß er Alexander I. nicht richtig verstanden hat, unterliegt keinem Zweifel. Der Bruder hat ihn nie einen Blick in die tiefen Falten seiner Seele tun lassen, und daß Alexanders letzte Ziele nicht durch den öden Absolutismus gesteckt waren, den er als ein Mittel brauchte, um seinen freiheitlichen Idealen näherzukommen, kann ebenfalls als ein feststehendes Ergebnis der Erforschung seiner Geschichte angesehen werden. Auch in religiöser Beziehung stand er auf ganz anderem Boden als die beiden Vorbilder, denen er nachzuleben glaubte. Von dem schwermütigen Mystizismus Alexanders I. war kein Zug auf ihn übergegangen, und vielleicht noch weniger hatte er von dem bequemen Pietismus Friedrich Wilhelms III. in sich aufgenommen. Er bewegte sich in den Bahnen der russischen Staatskirche, deren Vorschriften er gewissenhaft nachkam, deren Lehren ihn befriedigten und die ihm Skrupel fernhielt, die ein Abweisen von ihren Vorschriften hervorgerufen hätten. Schicksalsschläge, die ihn und sein Haus trafen, nahm er mit Ergebung hin, fast fata') Petersburg 1./13. Dezember 1850.

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listisch, und wie sein preußischer Schwager war er überzeugt, unter göttlicher Inspiration in den entscheidenden Augenblicken seines Lebens zu handeln.

Kapitel X. Die Versöhnung mit Preußen. Hof und Gesellschaft. Unter dem Hochgefühl der Erfolge, welche die letzte Zeit gebracht hatte, und in der Erwartung, daß die Dresdener Konferenzen, deren Yerlauf aufmerksam verfolgt wurde, den endgültigen Abschluß der österreichisch-preußischen Krisis zur Folge haben würden, hat der Kaiser Nikolaus noch lebhafter als gewöhnlich die Festlichkeiten der Wintersaison mitgemacht. Er nahm sowohl an dem Maskenball im Alexander-Theater wie an dem der Petersburger Adelsversammlung teil und intrigierte in dem keineswegs ausgewählten Kreise der weiblichen Masken, wie [in den ersten Jahren seiner Regierung. Den Anfang machte wie stets der große Empfang am Neujahrstage im Winterpalais. Am 6./18. Jan. 1851 wurde das Fest der Wasserweihe, der sog. „Jordan", auf dem Eise der Neva unter Teilnahme des Hofes, der Geistlichkeit und der Garden begangen, eine Feierlichkeit, der der Kaiser im Jahre 1819 zum letztenmal beigewohnt hatte. Die Witterung pflegte gerade am 6. Januar zu milde zu sein, um tragfähiges Eis zu bilden. Auch diesesmal mußten die Truppen am Ufer beim Winterpalais aufgestellt werden, weil, wie eine amüsante russische Berechnung ergab, sie zu schwer für die immer noch zu dünne Eislage des Flusses waren. Jedes Infanterie-Regiment wog nämlich 13000 Pud, die Kavallerie 45000 Pud. Als das Kreuz ins Wasser getaucht wurde, gaben die Kanonen der Festung eine Salve ab, danach die bei der Börse aufgestellte Artillerie. Nunmehr folgten die Festlichkeiten. Der Kaiser hatte 4 Paare Ballettänzer aus Warschau kommen lassen, um die polnische Mazurka den Russen vorzuführen. Am 2. Februar debütierten sie in den „Nozze di Figaro" zu unbeschreiblichem Jubel des Publikums, dessen Händeklatschen schließlich in rasende Beifallsrufe auslief. Der Kaiser, der sonst in seiner XiOge stets ruhig zuzuschauen pflegte, geriet dabei in solches Entzücken, daß er selbst das Signal zum Wiederaufziehen des Vor-i

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hangs gab, das Orchester wieder einsetzen ließ und den Takt dazu schlug. Es war das ein Schauspiel, wie Petersburg es noch nicht erlebt hatte. Am 4./16. Februar 1851 fand die Vermählung der Großfürstin Jekaterina Michailowna, der letzten noch lebenden Tochter der Großfürstin Helene, der Schwägerin des Kaisers, mit dem Herzog Georg von Mecklenburg-Strelitz statt. Baron Korff war beauftragt, ihn in das russische Staatsrecht einzuführen, da mit dem dauernden Aufenthalt des Herzogs in Rußland gerechnet wurde. Zu einem heftigen Streit zwischen dem Grafen Kleinmichel und Perowski, dem Minister des Innern, führte ein Befehl des Kaisers, der alles, was die Wege und Straßen anging, in die Hauptverwaltung der „ Wegekommunikationen " zu konzentrieren befahl. Perowski sah darin einen Eingriff in seine Befugnisse. Der Streit mußte vor den Reichsrat gebracht werden und ist schließlich von dem Großfürsten-Thronfolger durch einen Ausgleich dahin entschieden worden, daß die einmal vom Kaiser bestätigte Verfügung in Kraft bleiben müsse, daß aber der Reichsrat ein Gesuch an den Kaiser richten solle, er möge in Zukunft keine Anträge entgegennehmen, die in gesetzliche Rechte eines anderen Ressorts eingriffen. Da der Kaiser sich diesem salomonischen Urteil anschloß, konnte sich auch Perowski umso mehr zufrieden geben, als jener kaiserliche Befehl nur für drei Jahre provisorische Geltung haben sollte'). Aus dieser Zeit stammt ein anderer charakteristischer Befehl des Kaisers, der alle Bücher in lateinischer Sprache aus der Bibliothek der Eremitage verbannte; als Motiv dafür gab er an, daß er diese langweiligen Bücher nicht immer vor Augen haben wolle. Es ließ sich erst nachträglich mit vieler Mühe erreichen, daß die lateinischen Bücher, welche Fragen der Archäologie, der Numismatik (wohl auch der Kunst) behandelten, der Eremitage zurückgegeben wurden. Im Mai nahmen ernste Angelegenheiten den Kaiser in Anspruch. Die Dresdner Konferenzen standen vor dem Abschluß und über die Frage der Aufnahme Gesamtösterreichs in den Deutschen Bund tauchte noch einmal, zum letzten Mal, die Gefahr eines preußisch-österreichischen Krieges auf. Nikolai, der anfänglich „aus x ) Kleinmichel hatte den kaiserlichen Befehl erwirkt, ohne vorher mit Perowski darüber in Beziehung zu treten. Er nahm damals eine fast allmächtige Stellung ein, da der Kaiser sich ihm verpflichtet fühlte, weil Kleinmichel die Kinder, die Nikolai von Frl. Nelidow hatte, als seine eigenen erziehen ließ.

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Prinzip" sich auf den Boden gestellt hatte, den der Fürst Schwarzenberg vertrat, wurde bedenklich, als Frankreich und England gegen diese Kombination Widerspruch erhoben. Auch die österreichischen Politiker konnten sich schließlich dem Gewicht dieser Tatsache nicht entziehen, sie fanden einen Ersatz an dem preußischösterreichischen Geheimvertrag 1 ), der ihren Besitz in Ungarn und Italien auf drei Jahre garantierte, das war das Ergebnis des Gewichts, das der Protest der Westmächte in die politische Wagschale geworfen hatte. Ob der Kaiser schon vorher von dem bevorstehenden Abschluß dieses Bündnisses erfahren hat, ist nicht direkt überliefert, jedoch keineswegs unwahrscheinlich. Er beschloß nach 01mütz zu fahren, um sich mit Franz Joseph zu verständigen. Sein Gedanke bewegte sich in der Erinnerung an Kombinationen, die er vor bald 20 Jahren in Münchengrätz verwirklicht hatte. In der Nacht vom 9. auf 10. Mai verließ er Petersburg, am 13. traf er in Warschau ein, wo ihn bereits Meyendorff erwartete, den er aus Wien hingerufen hatte, um sich von ihm eingehend über die österreichische Politik orientieren zu lassen 2 ). In Warschau hielt am 18. Friedrich Wilhelm IV. mit Gefolge seinen Einzug. Man hatte ihm den Generaladjutanten von Grünwaldt und den Sohn Paskiewitschs entgegengeschickt, in seiner Begleitung fahren der russische Militärbevollmächtigte von Benkendorff, Leopold von Gerlach und der Generaladjutant von Neumann. In Skiernewicze erwarteten ihn der Kaiser und die Kaiserin „dem Kaiser liefen die Tränen herunter, der König war tief gerührt" 3 ). Es war ihr erstes Wiedersehen seit der Berliner Märzrevolution. Der König hatte sich erst am 12. entschlossen, die Einladung Nikolais anzunehmen, es aber abgelehnt, von sich aus dahin zu wirken, daß vorher eine Zusammenkunft zwischen ihm und Franz Joseph stattfinde 4 ). Unter der Aegide des Kaisers von Rußland könne er keine Zusammenkunft haben, erklärte er Gerlach. Die Königin, die wegen des Todes der HerzoginWitwe von Leuchtenberg die Einladung nach Warschau abgelehnt hatte, ließ sich auch durch nachträgliche Bitten nicht von ihrem Entschluß •>) Verüag vom 16. Mai 1851. "') Schreiben Nesselrodes an Meyendorff 1./13. Mai 1851. 3 ) Leopold von Gerlach, Denkwürdigkeiten I. 625. 4 ) Die Darstellung bei Bapst. 1. 1. pg. 194 ist falsch. Sie geht auf einen Bericht Armand Lefebvres vom 30. Mai 1851 zurück, den Manteuffel offenbar absichtlich irregeführt hatte.

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abbringen. Zwischen den Monarchen hat eine politische Aussprach« stattgefunden, in welcher der König die Schuld an Entschlüssen, die den Kaiser meist erbittert hatten, speziell die Annahme der Verfassung, seinen Ministem in die Schuhe schob, die ihm nicht gehorcht und ihn nicht unterstützt hätten 1 ). Der Kaiser eiferte gegen den Konstitutionalismus und festigte sich offenbar in der Überzeugung, daß es nur eine Frage der Zeit sei, wann Preußen dem Beispiel Franz Josephs folgen und zu einem absolutistischen Regiment zurückkehren werde. Auch von der kriegerischen Krisis war viel die Rede. Nikolai meinte, General Graf von Dohna hätte im Kriegsfälle die Rolle von York spielen müssen. Die russischen Truppen hätten nur aus Gehorsam gegen Preußen gefochten und würden auch jetzt nur mit blutendem Herzen, aber doch aus Gehorsam gegen Preußen fechten. Ein Krieg für Preußen aber würde ein Jubel sein von Kamtschatka bis Warschau Die Äußerlichkeiten dieser Tage der Versöhnung zwischen den Schwägern trugen vornehmlich einen militärischen Charakter; Paraden, Besichtigung der Festung Modlin und andere Schaustellungen verwandten Charakters. Es fiel den fremden Beobachtern auf, daß die Masse der Zuschauer sich den Majestäten fast enthusiastisch zeigte 3 ). Nesselrode, der am 17. eingetroffen war, fand wenig zu tun, obgleich am 19. auch Rochow und Otto Manteuffel sich einfanden. Die Anwesenheit der Kaiserin, in deren Gefolge sich auch Fräulein Nelidow befand, hatte eine Reihe von .Festlichkeiten zur Folge, von denen eine Ballettvorstellung in Lazienki besonderen Beifall fand. Der König, dem weder die militärischen Vorführungen noch das Ballett Freude machte, genoß zumeist den herzlichen Verkehr mit der Kaiserin, die gegen ihn „sehr zärtlich und vertraut war" und, wie man erfuhr, „während der Krisis des vorigen Jahres besonders einen entscheidenden Einfluß auf den Kaiser von Österreich ausgeübt" habe. Bruder „Butt" war trotz allem ihrem Herzen der Nächste geblieben. Mißtrauisch beobachtete der französische Konsul diese preußisch-russische Versöhnung, aber man glaubte in Warschau erfahren zu haben, daß der König von Preußen Maßregeln, die ») Gerlach 1. 1.1 630. *) Gerlach 1. 1. 607. 3 ) Du Plat: „Their Majesties were more warmly greeted, at repeated intervals, than I can remember to have noticed on any other previous occasion durin g my residence in Poland." S c h i e m a n n , Geschichte Rußlands.

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gegen Frankreich gerichtet sein sollten, abgewiesen habe 1 ), und daß auch Nikolai für maßvolle und vorsichtige Haltung eintrete. Trotzdem wurde der Einfluß der „Kamarilla" gefürchtet, deren antifranzösische Gesinnung bekannt war. Du Plat berichtete auch von sehr pessimistischen Äußerungen des Kaisers über die inneren Zustände Englands 2 ). Am 27. Mai verließ der König Warschau. Die Kaiserin erhielt noch den Besuch von den übrigen preußischen Geschwistern und Verwandten, und erst am 12. Juni fuhr die glänzende Gesellschaft auseinander, nach Petersburg, Wien oder Berlin. Der Prinz von Preußen, der die letzten Warschauer Tage mitmachte, hatte sich nur schwer entschlossen, der an ihn gerichteten Einladung Folge zu leisten. Die Erklärung Manteuffels, daß sein Fernbleiben den guten Erfolg der Anwesenheit des Königs wenn nicht gefährden, so doch abschwächen würde, bewog ihn, nachzugeben. Aber auch seine Eindrücke waren günstig, so daß sich von diesen Warschauer Unterredungen eine wirkliche Versöhnung zwischen Preußen und Rußland datieren läßt. Kaiser Nikolaus war gleich nach der Abreise Friedrich Wilhelms mit Nesselrode, Orlow, Adlerberg, seinem zweiten Leibarzt Kareil und noch einigen Herren nach Olmütz gefahren, wo die Kriegsgelüste Schwarzenbergs an seinem Widerspruch endgültig zusammenbrachen, in bezug auf die Haltung Frankreich gegenüber aber eine Verständigung erfolgte. Die österreichisch-preußischen Differenzen waren dagegen nur verschoben, nicht ausgetragen, und Du Plat hatte recht, wenn er auch vom Bundestage eine Ausgleichung der Gegensätze nicht glaubte erwarten zu dürfen 3 ). ') Du Plat 27. Mai: „The king of Prussia is said to have declared himself decidedly averse to any steps that could be looked upon in the light of aggressive intentions against that country, or of hostile feelings towards any form of government whatsoever which the people might choose, at any time, to adopt, and even the Emperor of Russia, it is added, has recommended the greatest moderation and circumspection in this respect." 2 ) „Tout est miné dans ce vaste empire; et l'Angleterre elle même n'offre plus aucun appui sûr au bon ordre, en cas d'une nouvelle ébulition des haines et des passions des différentes castes de.la société." 3 i ) Du Plat Juni 13. „I should be disposed to think that nothing beyond a very temporary settlement of the differences between Austria and Prussia — in regard to their purely German Politics, as contradistinguished from their other interests in the European Polity generally — can be expected to result

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Bald nach Rückkehr des Kaiserpaares nach Petersburg wurde das 25jährige Jubiläum der Kaiserin als Chef des Chevalier-GardeRegiments mit großer Feierlichkeit begangen. Es folgten die Manöver in Krasnoje Sselo, die Graf Rüdiger kommandierte, zum Entzücken des Kaisers, der die Anordnungen und strategischen Entschlüsse des Grafen nicht genug loben konnte und durch die Anerkennung, die er ihm zuteil werden ließ, einigermaßen den Schmerz linderte, den Rüdiger über seine Versetzung in den Reichsrat empfunden hatte. An diese Manöver schloß sich die Fahrt der Kaiserlichen Familie nach Moskau, wo der 25jährige Jahrestag der Krönung begangen wurde. Das wichtigste an diesem Ereignis war aber, daß bei dieser Gelegenheit die Petersburg-Moskauer Eisenbahn eröffnet wurde, am 19. August russischen Stils. Am 22. war das Krönungsfest, das ohne besondere Feierlichkeiten abschloß, und zu großer Enttäuschung vieler auch ohne Ordensverleihungen und andere Auszeichnungen. Der Kaiser hatte erklärt, er fahre nach Moskau, um zu beten und Gott zu danken. Für das Publikum wurde die Bahn am 1./13. September eröffnet mit 192 Passagieren aus Petersburg und gleichzeitig mit 134 aus Mogjcau1). Es wurde nunmehr auch beschlossen, Petersburg mit Warschau zu verbinden. Am 8. Dezember wurde der Großfürst Konstantin mündig gesprochen und vereidigt, der Kaiser hatte ihn zum Seemann ausbilden lassen. Er ist der spätere Großadmiral. Wir besitzen aus dieser Zeit in den Denkwürdigkeiten des Grafen Otto von Bray-Steinburg 3 ) eine Charakteristik der Staatsmänner Rußlands, wie er sie aus eigener Beobachtung und durch persönlichen Verkehr während deines Aufenthaltes in Petersburg von 1837 bis 1852 kennen lernte. Es ist nicht ohne Interesse, in Anknüpfung daran die Reihe der Namen an uns vorüberziehen zu lassen, die das Vertrauen des Kaisers genossen, als er auf dem Gipfel seiner Macht stand. Graf Bray geht von Nesselrode aus, der damals 72jährig sich noch seine volle geistige Frische gewahrt hatte und trotz nur mittelmäßiger geistiger Gaben, äußerlich an Thiers erinnernd, durch seine große Anpassungsfähigkeit als geschulter und from the labour of the reinstalled Diet at Frankfurt, or from any other exclusively German diplomatic negotiations whatsoever." ') Die Preise waren verhältnismäßig billig, 19 Eubel für die 1. Klasse, 13 für die 2. und 7 für die 3. 2 ) Herausgegeben von Theodor von Heigel. Leipzig 1901. 16*

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vorsichtiger Interpret der Gedanken und des Willens des Kaisers es verstanden hatte, sich nicht nur in seiner Stellung zu behaupten, sondern bis zu der höchsten für ihn erreichbaren Staffel der Ehren, der Kanzlerschaft, emporzuklimmen. Sein Einfluß auf den Kaiser war größer als die Welt wußte, da er mit großer Zähigkeit bei seinen Plänen blieb und es verstand, sie schließlich auch dem Kaiser plausibel zu machen. Er war sehr reich, dank seiner Vermählung mit der Tochter des Finanzministers Guriew 1 ), sein gastfreies Haus berühmt durch vorzügliche Küche, seine wundervollen Gewächshäuser, speziell seinen Kamelienflor, ein Mittelpunkt aller politischen. Größen, die sich in Petersburg zusammenfanden. Vorträge über die politischen Tagesfragen beim Kaiser hielt Nesselrode meist zweimal wöchentlich. Schriftliche Anfragen in knapper Fassung beantwortete der Kaiser gleichfalls schriftlich in Form kurzer Entscheidungen. Die eigentliche Last des Ministeriums trug sein kluger Gehilfe, der Geheimrat Sinjawin, dessen russischer Name dem „deutschen" Nesselrodes gleichsam als Schild diente. Dazu kam eine Reihe hervorragender Redaktoren; für die französische Korrespondenz der Geheimrat Xaver Labenski und für die deutsche Baron Osten-Sacken. Direktor des sogen, asiatischen Departements war der frühere Generalkonsul in den Donaufürstentümern Daschkow, Katakazi führte die griechischen Angelegenheiten. Graf Alex. Grigoriewitsch, Orlow und General Leonti Wassiljewitsch Dubbelt, die Häupter der dritten Abteilung, haben wir kennenzulernen so viel Gelegenheit gehabt, daß es erübrigt, bei ihnen zu verweilen. Doch mag hervorgehoben werden, daß auch Bray auf die ungewöhnliche Trägheit Orlows hinweist, der Dubbelt die tatsächliche Macht überließ. Orlow war außerdem Chef des Kaiserlichen Hauptquartiers. Auch die Stellung des Grafen A. S. Tschernischew, des Kriegsministers, ist uns bereits bekannt. Bray überschätzt die Bedeutung seiner organisatorischen Tätigkeit, die mehr die Äußerlichkeiten als innere Vervollkommnung des Dienstes traf. Sein Kanzleidirektor Baron Wrewski war ein natürlicher Sohn des Fürsten Kurakin. Daß der Kaiser den Fürsten Alexander Sergejewitsch Menschikow zu seinem Marineminister gemacht hatte und zeitlebens in dieser Stellung beließ, obgleich der Fürst nach den scheinbar günstigen Anfängen, als er 1827 auf Befehl des Sie war 1843 gestorben, entschieden eine Briefe leider nur zum Teil veröffentlicht sind.

bedeutende Frau, deren

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Kaisers die Reorganisation der russischen Seemacht in seine Hände nahm, in der Hauptsache, tüchtige Seeleute auszubilden, völlig versagte, scheint erstaunlich. Aber auch bei dieser Wahl hatte die Menschenkenntnis des Kaisers sich nicht bewährt ')• Die Matrosen wurden mit allen Quälereien infanteristischer Ausbildung ermüdet, waren aber ebenso wie ihre Vorgesetzten dem Seedienst nicht gewachsen. Fürst Menschikow war kein guter Mensch. Seine böse Zunge und sein Geiz hatten ihn allgemein verhaßt gemacht, über seine Skrupellosigkeit und die Gunst, die der Kaiser ihm bewahrte, machten ihn gefürchtet. Er galt dabei für uneigennützig) aber gerade in seinem Ressort haben die unerhörtesten Mißbräuche stattgefunden. Nikolai, der überhaupt zäh an den Männern festhielt, denen er einmal sein Vertrauen geschenkt hatte, benutzte Menschikow gelegentlich auch zu schwierigen politischen Aufträgen. Eine ganz andere Natur war der Domänenminister Graf Kisselew, von dem wir schon häufig Gelegenheit hatten zu reden 2 ). Das war ein Mann, der sich in der Tat allen Aufgaben, die an ihn im Lauf seiner langen Dienstzeit herantraten, gewachsen zeigte. Von durchaus lauterem Charakter, unbestechlich, klug und sachkundig, vermochte er sich dank seiner unermüdlichen Arbeitskraft auf Gebieten zu behaupten, die seinem Bildungsgang ursprünglich fernlagen. Er war einer der wenigen Liberalen in der Umgebung des Kaisers, ein Vertreter des Gedankens einer allmählichen Aufhebung der Leibeigenschaft, aber trotzdem einer der bestgehaßten Staatsmänner des Kaisers. Die 20 Millionen Kronsbauern, die sich von dem Heer seiner Beamten beaufsichtigt und bedrängt sahen, die meist höchst eigennützig und ohne Einsicht die Anordnungen des Ministers auszuführen hatten — namentlich die Verfügungen, die zum Schutz der Wälder erlassen wurden — haßten den Minister ebensosehr, wie ihn die Gutsherren haßten, die sich durch seine' Arbeiten für die Befreiung der Leibeigenen bedroht glaubten. Der Minister des Innern, Graf L. A. Perowski, ein natürlicher Sohn des Grafen Alexej Rasumowski, wurde gleichfalls zu den Liberalen gerechnet und war, wie nicht anders möglich, ein Werkzeug der alle freiheitlichen Regungen niederhaltenden Politik !) Bd. II pg. 183 sq. ) Bd. I pg. 438, Bd. II pg. 399 sq.

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Geb. 1788, + 1872.

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des Kaisers. Seine Politik rivalisierte mit der des Grafen Orlow, als Administrator wirkte er nicht ohne Geschick. Den Nachfolger Uwarows als Minister der Volksaufklärung, den ungebildeten und unfähigen Fürsten Schirinski-Schichmatow and den Minister der Wege und öffentlichen Bauten Generaladjutanten Grafen Kleinmichel kennen wir bereits. Von beiden läßt sich sagen,- daß man sie mit Recht haßte und verachtete. Der letztere war um diese Zeit nächst dem Kaiser der mächtigste Mann im Reich und hatte den Ehrgeiz, es auch fühlbar zu machen. Der Minister des Kaiserlichen Hofes, Fürst Peter Michailowitsch Wolkonski1), der Freund Alexanders I., war von Nikolai am 8. Dezember 1850 zum Generalfeldmarschall ernannt worden. Er gehörte noch der Generation an, die ihre ersten Eindrücke in den Tagen Katharinas II. erhalten hatte. Ein vornehmer alter Herr, dem man wegen seiner Unzugänglichkeit vornehmen Betteleien gegenüber den Namen „Prince de pierre" gegeben hatte und der, soweit an ihm lag, ein wenig Sparsamkeit in die Verschwendung des kaiserlichen Hofhalts hineinzutragen bemüht war. Das gilt aber nicht für ihn persönlich, der nicht gewohnt war, sich etwas zu versagen. Aber er hielt durch drakonische Strenge seine Beamten, die hohen wie die niedrigen, an, ihre Habsucht zu zügeln und das brachte mehr Ersparnisse, als sich in den übrigen Ministerien erreichen ließ. Er gehörte zu den wenigen Höflingen, die dem Kaiser zu widersprechen wagten. Eine völlige Unfähigkeit war der Finanzminister Wrontschenko, der Nachfolger Kankrins. Wrontschenko hatte zwei fähige Beamte, die später zu Einfluß gelangten, den Ministergehilfen Brök und den Geheimrat Tengoborski, der in den Handelsvertrags-Verandlungen mit dem Auslande eine Rolle spielte. Das Postdepartement ruhte in den Händen des intimsten Freundes des Kaisers, des Grafen Adlerberg, der mit Nikolai und Michail erzogen war. Außer ihm, Benckendorff, Orlow und Baron Wilhelm Liven hatte er nach dem Tode von Benckendorff keine persönlichen Freunde unter seinen Untertanen 2 ). Adleiberg war der stete Be1) geb. 1776, f 1852. 2 ) Die Zärtlichkeit, die aus den Briefen Nikolais an Paskiewitsch spricht, ivar mehr Schein als Wirklichkeit.

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gleiter Nikolais auf seinen Fahrten, wie Wolkonski Begleiter Alexanders I. gewesen war. Justizminister war der Graf Viktor Nikititsch Panin, ein ganz westeuropäisch gebildeter Mann, der in Jena und Moskau studiert hatte und Beziehungen zu Goethe aufrechterhielt; danach ist er in der Diplomatie tätig gewesen, der einzige der Staatsmänner Nikolais, der nie Militär gewesen war. Auch er ist ganz vergeblich bemüht gewesen, die ungeheuren Mißstände im russischen Rechtsleben zu beseitigen. Unter ihm war als vortragender Rat der später zum Senator erhobene Lebedew tätig, dessen Aufzeichnungen eine wertvolle Quelle für die Geschichte der letzten Jahrzehnte Nikolais und für die Regierung Alexanders II. sind. Bray, dessen Angaben hier vielfach ergänzt und zurechtgestellt sind, verweilt noch beim Oberhofmarschall Grafen Schuwalow, dem Oberhofmeister Ribeaupierre und dem Grafen Wielohorski, den sein musikalisches Talent dem intimeren Kreise des kaiserlichen Hofes zugeführt hatte. In früheren Jahren waren in den Gemächern der Kaiserin Hauskonzerte veranstaltet worden. Dabei spielte der Direktor der Hofkapelle Lwow die Geige, Wielohorski Cello auf seinem berühmten Instrument, das ein Meisterwerk Stradivaris war, ein Graf Apraxin den Baß, der Kaiser blies das Horn und die Kaiserin begleitete auf dem Fortepiano. Der Kaiser, der keine Noten las, ließ Lwow stets vor Beginn des Konzerts in sein Kabinett kommen, um mit ihm die Partie durchzugehen, die er zu spielen hatte. Dank seinem ausgezeichneten Gehör und guter „embouchure" spielte er dann, wie Lwow versichert, fehlerlos und sehr gut. Diese Konzerte hörten nach dem Brand des Winterpalais auf, aber danach wurden in den kaiserlichen Gemächern häufig Konzerte hervorragender Künstler veranstaltet, und Franz Liszt hat hier vielleicht seine glänzendsten Triumphe gefeiert 1 ). Von den Hofdamen waren nach dem Tode der Baronin Fredericks, die der Kaiserin besonders befreundet war, nur noch zwei übriggeblieben, die ihr persönlich nahestanden, die Gräfin Baranow, Schwester Adlerbergs, und die Gräfin Tiesenhausen. Aber auch Frl. Nelidow gehörte zu ihrer steten Umgebung, und daran hat sie gewiß nicht leicht getragen. Von den kaiserlichen Söhnen Deutsche Rundschau, September 1916. Familie und Tagesarbeit.

Kaiser Nikolaus I. in Haus,

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Die Versöhnung mit Preußen.

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begann der Großfürst Alexander bereits eine politische Rolle zu spielen. Er lebte in glücklicher Ehe, und die Gegensätze, die zeitweilig zwischen ihm und dem Kaiser bestanden hatten, waren völlig geschwunden. Nikolai hatte eine besondere Vorliebe für die Gemahlin Alexanders und sagte, erst sie habe einen Mann aus ihm gemacht. Während der häufigen längeren Abwesenheit Nikolais betraute er Alexander mit seiner Vertretung, was jedoch nie so weit ausgedehnt wurde, daß er eine Wandlung in dem herrschenden System hätte vornehmen können. Auch teilte Alexander die offizielle Bewunderung, mit der alles zum Kaiser emporschaute, aus voller Überzeugung. Eine weit selbständigere Natur war der Großfürst Konstantin, von dem erzählt wurde, daß, als einmal Alexander über die schwere Aufgabe klagte, die ihm als künftigem Kaiser bevorstehe, er sich bereit erklärt habe, ihm diese Bürde abzunehmen. Nikolai, der davon erfuhr, hat ihn deshalb sehr ernst zurückgewiesen. Denn das darf nie vergessen werden, über ihnen allen thronte allmächtig der Kaiser. Allmächtig insofern, als niemand wagte, offen den eigenen Willen dem des Kaisers entgegenzusetzen. Seine Gebote wurden, auch wo sie Unmögliches verlangten, erfüllt, d. h. sie wurden weitergegeben an die unteren Regierungsorgane, und daraus ergab sich, daß tatsächlich auch der allmächtige Zar ohnmächtig denen gegenüberstand, die ihm den Schein an Stelle der Wirklichkeit vorführten. Und damit hat er sich schließlich abgefunden und das Scheinwesen, welches das Fundament seines Regiments bildete, hingenommen, als wäre es in Wirklichkeit die unerschütterliche Grundlage der Machtstellung, die er beanspruchte und die ganz Europa ihm zuzuerteilen bereit schien. Wer schärfer zuschaute, mußte aber bereits damals erkennen, daß auch die Machtstellung Rußlands nach außen hin bereits mehr Schein war als Wirklichkeit. Es begannen Wolken am Horizont aufzusteigen, die ein politisches Unwetter ankündigten, und die Schutzbauten, die der Kaiser in Preußen und Österreich durch die Politik der letzten Jahre errichtet zu haben glaubte, waren nicht stark und nicht immer willig genug, es abzuwehren.

Kapitel XI.

Napoleon III. und Nikolaus I.

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Kapitel XI. Napoleon III. und Nikolaus I. Daß der Kaiser Nikolaus sehr bald seinem ursprünglichen Mißtrauen gegen Louis Napoleon eine sich stetig festigende Sympathie folgen ließ, die ihren Grund in der Energie hatte die der Präsident der Französischen Republik zeigte, ließ sich weder in Petersburg im Kreise seiner Umgebung noch an den europäischen Höfen verkennen. Die Berichte der auswärtigen Gesandten stimmen darint trotz des Ärgers, welcher durch einige der politischen Schachzüga des Prinzen hervorgerufen wurde, fast völlig überein. Um so merkwürdiger ist es, wie wenig zunächst der erste Vorstoß Napoleons in der Frage der heiligen Stätten in seiner vollen Tragweite in Petersburg erkannt worden ist. Am 28. Mai 1850 hatte der französische Gesandte General Aupik in Konstantinopel dem Großwesir Reschid-Pascha und dem Minister des Auswärtigen Ali-Pascha im Namen der Französischen Republik eine Note überreicht, die unter Berufung auf den Artikel 38 der Kapitulationen von 1740 Ansprüche auf die sogen, heiligen Stätten zugunsten der römisch-katholischen Kirche geltend machte1). Er trat damit in Gegensatz zu den Rechten, die Rußland als Schutzmacht der griechischen Kirche zu haben behauptete. Die russischen Ansprüche gründeten sich auf die Artikel 7, 8 und 14 des Firmans von Kutschuk-Kaïnardzi vom 10./21. Juli 1774 ') die, wie alle übrigen Verträge Rußlands mit ') Dieser Artikel 33 lautet: Les religieux francs qui, suivant l'ancienne coutume, sont établis dedans et dehors de la ville de Jerusalem, dans l'église du saint sépulcre, appelée caroamat, ne seront point inquiétés pour les lieux de visitations qu'ils habitent et qui sont entre leurs mains, lesquels resteront encore entre leurs mains comme par ci-devant, sans qu'ils puissent être inquiétés à cet égard, non plus que par des prétentions d'impositions; et s'il leur survenait quelque procès qui ne pût être décidé sur les lieux, il sera renvoyé à ma Sublime Porte. Noradoungbian 1. 1. I pg. 287. 3 ) Noradounghian 1.1. II No. 36. Art. 7. La Sublime Porte promet une protection constante à la religion chrétienne et aux églises de cette religion. Elle permet au Ministre de la Cour impériale de faire en toute occasion des représentations à la Porte tant en faveur de l'église construite à Constantinople et dont il sera fait mention dans l'art. 14, qu'en faveur de ceux qui la desservent, et elle promet de donner attention à ces observations comme venant d'une personne considérée, et appartenant à une Puissance voisine et sincèrement amie. Art. 8. Tous les sujets de l'Empire russe, tant ecclésiastiques que séculiers, auront la permission de visiter librement la ville sainte de Jérusalem et les autres lieux dignes d'attention, et on ne demandera à ces pèlerins et voya-

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Kapitel XI.

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der Türkei, am 2./14. September 1829 durch den Frieden von Adrianopel bestätigt wurden. Als strittige Punkte zwischen den Bekennern der russisch-griechischen und der lateinischen Kirche galten: Die große Kuppel der Kirche des heiligen Grabes, die kleine Kuppel über dem sogen. Grabe Jesu, Golgatha, die Gewölbe der Kirche der Jungfrau, die große Kirche in Bethlehem, die Grotte der Geburt Jesu und das Grab der Jungfrau Maria. Der Streit entbrannte zunächst in Anlaß der Frage, wer das Recht haben solle, die Kuppel des heiligen Grabes zu reparieren. Bis zum Jahre 1808 war das heilige Grab im Besitz der Lateiner. Nach einem Brande, dessen Ursprung strittig blieb, verlieh die Pforte den Griechen (als deren Vertreter stets Rußland galt) einen Firman, der ihnen die Kirche des heiligen Grabes übergab. Sie erbauten die Kirche aufs neue und schmückten sie mit Bildern und Inschriften ihres Bekenntnisses. Yon seiten der Franzosen wurde 1812 dagegen protestiert und ihnen auch wirklich ein Firman ausgestellt, der im Widerspruch zu dem den Griechen verliehenen stand, der aber keine praktischen Folgen hatte. Als jedoch im Jahre 1843 die Kuppel der Grabeskirche angeblich einzufallen drohte, forderten die Russen einen neuen Firman, aber inFolge des Widerspruchs, den der damalige französische Gesandte in Konstantinopel erhob, verständigten beide Teile sich schließlich dahin, daß die Kuppel noch weiter halten könne und daher im Laufe der nächsten 30 Jahre keine Reparatur vorgenommen werden solle. Das Vorgehen des Generals Aupik war, wie sich versteht, auf Grund eines Befehls geschehen, der ihm von Paris aus zugegangen geurs ni à Jérusalem, ni en d'autres endroits, non plus que sur les chemins d'aucun de ces endroits, aucun kharatsch, taille, tribut, ou autre taxe. Mais de plus ils seront munis de passeports ou firmans convenables, lesquels se donnent aux sujets des autres puissances. Il ne leur sera fait aucun tort ni outrage, tant qu'ils seront sur les terres de l'Empire ottoman; mais ils seront au contraire protégés par les lois de la manière la plus efficace et la plus étendue. Art. 14. La très haute cour de Russie pourra, à l'instar des autres Puissances, indépendamment de l'Eglise particulière bâtie dans la maison du Ministre, en faire construire une dans le faubourg de Galata dans le rue appelée BeyOglou, laquelle Eglise sera publique et appelée l'Eglise Russo-grecque. Cette Eglise sera toujours sous la protection du ministre de cet Empire et à l'abri de toute espèce d'insulte et de molestie.

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war. Louis Napoleon brauchte nach seiner Wahl zum Präsidenten der Französischen Republik die Unterstützung der klerikalen Partei ? die von Montalembert und de Falloux geführt wurde, und glaubte sie durch Eintreten für die Rechte Frankreichs an den heiligen Stätten zu gewinnen. Ihm persönlich waren diese Streitigkeiten zwischen griechischen und lateinischen Mönchen höchst gleichgültig, und völlig fern lag ihm der Gedanke, daß sein Vorgehen zu einem Konflikt mit Rußland führen könne. Auch blieb es zunächst bei Verhandlungen, die von seiten Aupiks und des russischen Gesandten Titow mit der Pforte geführt wurden und die schließlich mit beiderseitiger Zustimmung zur Einsetzung einer Kommission führten, die mit der Prüfung der Rechtsansprüche betraut wurde, welche von griechischer wie von lateinischer Seite erhoben wurden. Im Frühjahr 1851 wurde Aupik abgerufen, und am 5. Mai traf als sein Nachfolger der Marquis de La Valette in Konstantinopel ein. Seine Instruktionen schrieben ihm vor, alles zu vermeiden, was zu einem Konflikt zwischen der Türkei und Rußland führen könne. Aber das Temperament dieses Diplomaten war so stürmisch, daß es ihn weiter führte, als seinen Aufträgen entsprach. Der französische wie der russische Gesandte nahmen zwar den Vorschlag des Sultans, selbst den Bau in Ordnung zu bringen, an, aber über der Frage der Ausführung des Kuppelbaus kam es zu neuen Gegensätzen. Während die Griechen verlangten, daß auch auf der neuen Kuppel die alten Malereien und Inschriften, so wie sie früher gewesen waren, wiederhergestellt werden sollten, wollten die Lateiner von diesen Zeichen griechischer Vorherrschaft nichts wissen.' Auch verkannte La Valette die tatsächliche Lage der tiefgewurzelten konfessionalen Gegensätze so sehr, daß er der Pforte den Vorschlag machte, den Streit zwischen Griechen und Lateinern dadurch ein Ende zu machen, daß sie die zehn strittigen Heiligtümer beiden Konfessionen zu gemeinsamem Besitz verleihe. Das führte zu einem persönlichen Eingreifen Nikolais. Der Kaiser war in Moskau, als ihm diese Nachricht zuging. Sein ohnehin starkes religiöses Empfinden kam, wenn er sich in der alten Residenz aufhielt, deren zahlreiche Heiligtümer er fleißig zu besuchen pflegte, stets zu besonders lebhaftem Ausdruck. Er fand es unter diesen Umständen nützlich, .dem Sultan für dessen Glückwünsche zu seinem Regierungsjubiläum in einem eigenhändigen Brief zu danken und ihm recht nachdrücklich in Erinnerung zu bringen, daß die Türkei und

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Rußland alliierte Mächte seien, daß die Pforte daher allezeit auf die moralische und materielle Unterstützung Rußlands rechnen könne'). Dieser Brief wurde vom Fürsten Gagarin überbracht und machte auf den Sultan einen so starken Eindruck, daß die Kommission, welche die Rechte der Griechen und Lateiner prüfen sollte, vertagt und nicht wieder berufen wurde. Damit gab sich der Kaiser zufrieden, obgleich in Konstantinopel der Streit zwischen La Valette und Titow nicht ohne Heftigkeit weitergeführt wurde. Das Plebiszit vom 20. und 21. Dezember 1851 war am 14. Januar des neuen Jahres veröffentlicht worden und hatte Louis Napoleon für zehn weitere Jahre zum Präsidenten der Französischen Republik gemacht. Daß der Präsident sich mit der Absicht trage, Kaiser zu werden, wurde schon lange geglaubt und war auch bei Gelegenheit der letzten Zusammenkunft des Kaisers mit Friedrich Wilhelm IV. Gegenstand des Gesprächs gewesen'). Nach Veröffentlichung des Plebiszits ist der Kaiser längere Zeit schwankend gewesen. Seymour hatte den Eindruck, daß die Erfolge des Kaisers ihn geblendet hätten (dazzled)3), daß aber Nesselrode, dessen Einfluß fast unbegrenzt sei, die Politik Napoleons mißtrauisch beobachte und bemüht sei, den Kaiser zu bewegen, mit ') » . . . Fidèle à mes devoirs d'alliance, à ceux de l'amitié intime qui préside à nos rapports, j'aurai toujours à cœur le repos et le bien-être de l'Empire Ottoman, et l'empressement que j'ai mis à prêter à Votre Majesté, mon concours moral ainsi que l'appui matériel des forces de la Russie TOUS garantit, Très illustre Padischah, la sincérité des vœux ardents que je forme pour la prospérité et la gloire de Votre règne . . . Sajontschkowski: Der orientalische Krieg. (Russisch.) Bd.I, Anlagen. Petersburg 1908. Nr. 89. Die französischen Historiker, sowohl Bapst wie Thouvenel, berichten, daß Gagarin noch einen zweiten Brief überbracht habe, durch welchen der Kaiser „im Namen seiner Familie und seiner Religion" den Sultan gebeten habe, den Forderungen Frankreichs zugunsten der Lateiner entgegenzutreten. Ein solcher Brief ist in keiner der bisher ans Licht getretenen Veröffentlichungen zu finden. a ) Gerlach, Denkwürdigkeiten I pg. 707. „Er [Fr. Wilhelm] fragte den Kaiser von Rußland: „Reconnaitriez-vous Bonaparte quand il se ferait empereur?" „Jamais" erwiderte der Kaiser. „Je ne crois pas que j'en ferai autant. Ni lui, ni son oncle sont des usurpateurs. Louis Philippe que nous avons reconnu est le seul usurpateur en France." Gerlach bemerkt dazu: Die Sache ist nicht ganz richtig. Beide Bonapartes sind Usurpatoren, denn für sie war die Republik eine rechtmäßige Obrigkeit. 3 ) Depesche vom 17. Jan. 1852.

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den Orleans anzuknüpfen und sich mit König Leopold zu versöhnen. In der Tat hat Nikolai Ende Januar oder Anfang Februar sich Friedrich Wilhelm IV. gegenüber dahin ausgesprochen, daß die Rechte Heinrichs V. nicht verjähren könnten, und vorgeschlagen, sie ausdrücklich anzuerkennen'). Die Antwort des Königs aber wirkte ernüchternd. Er wies auf die entschieden ablehnende Haltung Österreichs hin und schlug dagegen vor, „öffentlich und feierlich zu erklären, daß die vier Mächte: Rußland, England, Osterreich und Preußen im Angesicht der Welt die bestimmte und ausdrückliche Erneuerung der Garantie des Besitzstandes, den der Wiener Kongreß festgesetzt habe, sowie die Friedensverträge und Vereinbarungen (stipulations), die zwischen 1815 und 1848 geschlossen wurden, proklamieren sollten. Da, wie auch Friedrich Wilhelm sich nicht verhehlen konnte, eine derartige Kundgebung eine Herausforderung Frankreichs bedeutete, die aller Wahrscheinlichkeit nach zum Kriege geführt hätte, ein Anschluß Englands an die Ostmächte aber höchst zweifelhaft war, fiel die Antwort Nikolais sehr bestimmt ablehnend aus, und von Heinrich V. war weiter keine Rede 2 ). Nesselrode hatte den Eindruck, daß die Lage Rußlands durch den Staatsstreich Napoleons und durch den Rücktritt Palmerstons 3 ) besonders günstig geworden sei. Das Gerücht von der Absicht Napoleons gegen Belgien vorzugehen, hatte in England so lebhaft beunruhigt, daß die Königin erklärte, daß ein derartiger Anschlag des Präsidenten für sie ein casus belli sein würde. Kaiser und Kanzler hatten die Empfindung, daß jedenfalls die Frage des Kaisertitels noch nicht dränge. Die Antwort Nikolais 3

) Friedrich Wilhelm an Nikolai. Berlin, 14. Februar 1852. „. . François Joseph partage les opinions de son Grand1 Vezir [(Schwarzenberg) sur l'impossibilité de Henri V en France [ ! ! ! ] . Vous au contraire vous faites ressortir les droits imprescriptibles du „Roi Très Chrétien" de la manière la plus noble et la plus chaleureuse et v o u s n o u s p r o p o s e z d e l e s r e c o n n a î t r e d e l a m a n i è r e l a p l u s e x p l i c a t i v e . " Konf. Anlage. ®) Die ursprüngliche Absicht Nikolais, solange Heinrich "V. lebe, einen anderen als'legitimen Souverän Frankreichs nicht anzuerkennen, wird auch von Nesselrode bezeugt. Lettres et papiers 7. Jan. und 21. Jan. 1852. 3 ) Am 19. Dezember 1851 hatte die Königin Viktoria Palmerston davon in Kenntnis setzen lassen, daß sie bereit sei ; die Siegel seines Amtes entgegenzunehmen. Am 23. wurde Lord Granville zu seinem Nachfolger ernannt, Botschafter in Petersburg wurde Lord Malmesbury, ein alter Freund Louis Napoleons, wahrend Nikolai Lord Cawley gewünscht hatte.

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auf das Schreiben des Präsidenten, das ihm vom Staatsstreich und den Erfolgen des Plebiszits berichtete, war freundschaftlich und herzlich gehalten. Die Einziehung der Güter der Orleans hat er Napoleon nicht ¡übelgenommen1), aber seine Bemühungen um ein Zusammenwirken mit England dauerten fort, obgleich die Sympathien der Russen sich Frankreich zuwandten, und in Paris ließ er durch Kisselew zweimal mit großer Bestimmtheit von der Annahme des Kaisertitels abraten. Offenbar ist es nächst Nesselrode Eochow gewesen, der den ursprünglichen Enthusiasmus Nikolais für Napoleon abkühlte. In einer Unterhaltung, die Rochow am 2. März mit dem Kaiser hatte, gab dieser schließlich zu, daß es unmöglich sei, dem Präsidenten zu trauen"). Die Vorstellung, daß Napoleon auf ein Kriegsabenteuer ausgehe, beschäftigte die Phantasie des Kaisers unter dem Eindruck seiner Korrespondenz mit Friedrich Wilhelm so sehr, daß er bereits Kriegspläne entwarf und berechnete, daß er in drei Monaten 240000 Mann in 5 Armeekorps an die preußische Grenze werfen könne. Den Einwurf, daß eine früher einrückende kleinere Armee eine bessere Hilfe wäre, da sonst die Deutschen geschlagen werden könnten bevor die Russen am Platze seien, ließ er nicht gelten, er denke besser von den Deutschen und werde nicht anders als mit seiner vollen Macht in den Kampf eingreifen 3 ). Übrigens fügte er hinzu, er glaube, daß sich der Krieg werde vermeiden lassen. Er war damals mit seinen Bundesgenossen unzufrieden. In Berlin ließ er erklären, daß, so lange Bunsen Preußen in London vertrete, Rußland vertrauliche Mitteilungen über hohe Politik nicht machen könne, und Schwarzenberg erhielt den Rat, Prokesch-Osten aus Berlin abzurufen. Der russischen Politik lag alles daran, die Ostmächte und England zu einer gegen Frankreich gerichteten Phalanx zusammenzufassen. Deshalb sollten die Persönlichkeiten beseitigt werden, die sich nicht rückhaltlos der russischen Führung anvertrauten. Auch die Korrespondenz des Bapst 1. 1. pg. 231, Anm. 1. ) „Ce n'est que trop vrai, c'est un homme auquel il est impossible d'accorder la moindre confiance." Relation Seymours au Malmesbury, Petersburg, 10. März. 3 ) „The Emperor, however, adhered to his own system, saying that he hoped beter things of the Germans, but that at all events he should not think fit to open the campaign until he could do so with the whole of his disponible forces." Seymour au Malmesbury, Petersburg, 15. Mai 1852. 2

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Kanzlers Nesselrode aus dieser Zeit ist voller Bitterkeit gegen Schwarzenberg, dessen Bemühen, Fühlung mit Frankreich zu finden, und dessen Plan, ganz Österreich in den Zollverein einzuführen, die kaum zur Ruhe gelangten preußisch-österreichischen Gegensätze wieder anzufachen drohte, die in Frankfurt von Thun und Bismarck in großen und kleinen Interessenfragen vertreten wurden 1 ). Der Tod Schwarzenbergs am 5. April des Jahres wurde daher in Petersburg als eine Entlastung empfunden, während man in den französischen Regierungskreisen bedauerte, an ihm einen Freund ("ardent zélateur) verloren zu haben. Napoleon hatte kurz vorher, am 29. März, bei Eröffnung des Corps législatif und sechs Tage danach bei Empfang des Richterstandes Reden gehalten, die bestimmt waren, die Frage des Kaisertums aus dem Gebiet der auswärtigen Politik zu eliminieren und sie aus einer europäischen Frage zu einer ausschließlich französischen zu machen. Er kündigte an, daß er ein erbliches Kaisertum restaurieren wolle, und zwar auf Grund des allgemeinen Stimmrechts "). Der Geheimrat Labenski, einer der einflußreichsten Räte Nesselrodes, der nach Paris geschickt war, um die Auffassung der Lage, wie die Berichte Kisselews sie darstellten, zu kontrollieren, bestätigte, daß die Proklamation des Kaisertums nahe bevorstehe, und entwarf ein keineswegs beruhigendes Bild von dem kriegerischen Ehrgeiz Napoleons, der durch die Macht der Verhältnisse in einen Gegensatz zu denVerträgen von 1815 gedrängt werde 3 ). DieserBericht wurde von Nesselrode dem Kaiser vorgelegt und bestimmte ihn, seinen persönlichen Einfluß auszuspielen, um in der Frage eines Napoleonischen Kaisertums Österreich und Preußen zu festen Entschlüssen in seinem Sinne zu bewegen. Auch die Sehnsucht Alexandra Feodorownas, ihr geliebtes Berlin wiederzusehen, hat dabei eine Rolle gespielt. Der Leibarzt Mandt hatte der Kaiserin eine dreimonatliche Kur in Schlangenbad vorgeschrieben, sie sollte vorher einige Zeit in Berlin verbringen. Es wurde nunmehr beschlossen, daß Nikolai, der zunächst nach Moskau fahren wollte, sie zu kurzem Aufenthalt nach Berlin begleiten sollte. Dann Nesselrode an Meyendorff: „ . créé ces deux hommes pour résoudre la rode bereits am 26. Februar. 2 ) Balabin an Dmitri Nesselrode. 3 ) Sajontschkowski 1.1.1, Anlage

. . le bon Dieu n'a certainement pas question allemande", so urteilte NesselParis, 9. April 1852. 47.

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wollte er nach Wien fahren und auf dem Rückwege über Prag und Dresden wiederum, aber zu längerem Aufenthalt, nach Berlin reisen. Er erwiderte damit den Besuch Friedrich Wilhelms in Warschau und hätte es gern gesehen, wenn Franz Joseph, um den Besuch des Königs in Ischl zu erwidern, ihn nach Berlin begleitet hätte. Vor seiner Abreise gab es noch eine Reihe von Unannehmlichkeiten, die auf ihn einstürmten. Der Präsident des Odessaer Handelsgerichts, Gamaley, hatte seinen Kassierer genötigt, ihm allmählich 100000 Rubel Kronsgelder auszuzahlen, und als eine Revision den Unterschleif zutage brachte, den Unglücklichen veranlaßt sich zu vergiften. Der Günstling des Kaisers, Graf Kleinmichel, mußte sich wegen schwerer Vergehen rechtfertigen. Man warf ihm vor, daß er bei Abschluß der Eisenbahnkontrakte sich „unkorrekt" und „ungerecht" verhalten und eine Reihe von Berichten unterschlagen habe, die dem Kaiser längst hätten vorgelegt werden müssen. Der Kaiser mußte zudem erfahren, daß Rechnungen über die Lieferung von Möbeln, mit denen das Winterpalais nach dem Brande (1837!) ausgestattet wurde, noch immer nicht bezahlt waren. Auch dieses Geschäft war durch die Hände von Kleinmichel gegangen. Der Kaiser war außer sich: er wisse nicht einmal, ob der Stuhl ihm gehöre, auf dem er sitze. Seymour, der über diese Dinge nach England berichtete, bemerkte dazu: „Der Großfürst-Thronfolger war längst dem vertrauten Diener seines Vaters abgeneigt und kannte Kleinmichels Unwürdigkeit, aber so groß ist der Einfluß dieses Mannes auf den Kaiser und seine Fähigkeit zu täuschen, daß er höchstwahrscheinlich Mittel finden wird, der Bloßstellung zu entgehen, die ihm droht. Ich glaube, daß kein Mensch lebt, der einen mehr angeborenen Abscheu vor allem Niedrigen und Unehrlichen hat als der Kaiser Nikolaus, aber unglücklicherweise wird diese ehrenhafte Gesinnung von vielen nicht geteilt, die zu seiner Umgebung gehören, und am wenigsten von General Kleinmichel und dem Fürsten Peter Wolkonski." In der Tat war der Verlauf so wie Seymour angenommen hatte. Der Kaiser behandelte Kleinmichel einige Wochen lang mit auffallender Kälte, nahm ihn aber, bevor er Petersburg verließ, wieder zu Gnaden auf, wozu aller Wahrscheinlichkeit nach Fräulein Barbara Nelidow beigetragen hatte. Er begnügte sich, Kleinmichel größere Vorsicht und weniger Vertrauen zu seinen Untergebenen zu empfehlen! Parallel diesen Unannehmlichkeiten

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fand eine Reihe von Todesfällen statt, die dem Kaiser Verlegenheit und Unruhe Machten. Am 21. April fand die Beerdigung des unfähigen Finanzministers Wrontschenko statt, den der Kaiser wohl nur deshalb so viele Jahre im Amt gelassen hatte, weil er seit dem Tode Cancrins die Leitung der Finanzpolitik in die eigenen Hände genommen und nur das Detail der Arbeit dem Finanzminister überlassen hatte. Er schätzte an ihm seinen widerspruchslosen Gehorsam und drückte darüber die Augen seinen sehr handgreiflichen Schwächen gegenüber zu. Wrontschenko war eine jener Nichtigkeiten, die unter dem System Nikolais alles erreichten, was der Ehrgeiz eines russischen Beamten war: Reichtum, Titel — er war Graf und geheimer Rat und trug den Andreasorden, dabei war er zynisch in seiner Lebensführung, nachlässig sogar in seiner Kleidung. Es ging fast ein Jahr hin, ehe Nikolai sich entschloß, ihm einen Nachfolger zu setzen. Die Wahl fiel auf den bisherigen Mihistergehilfen Brök, den der Kaiser bereits kannte. Er liebte nicht, neue Männer an sich heranzuziehen. Kurz vor Wrontschenko war eines der seltenen Talente dieser Jahre des geistigen Niedergangs, der Dichter Gogol, (3. April) gestorben, ein Kleinrusse, der in seinem Roman „Die toten Seelen", und in der Komödie „Der Revisor" ein Bild der russischen Wirklichkeit entworfen hat, das nur von seinen kleinen Novellen (z. B. Der Mantel) übertroifen wird. Nikolai, der wohl über den „Revisor" wie ganz Rußland, gelacht hat, mochte Gogol nicht. Er hat den jungen Iwan Turgenew, der in einem Nekrolog Gogol „den großen" (weliki) genannt hatte, auf zwei Monate ins Gefängnis gesteckt, und Pogodin, der die Nummer der Zeitschrift Moskwitjanin, welche die Nachricht vom Tode des Dichters brachte, mit einem Trauerrande versah, unter polizeiliche Aufsicht gestellt 1 ). Zu erwähnen ist endlich noch der Tod des Schwiegervaters des dem Kaiser befreundeten Hofmusikers Lwow, des reichen Branntweinpächters Abasa, der aus der Moldau völlig mittellos eingewandert war und als mehrfacher Millionär starb. Auch die mit Abasa verwandten Bernadaki, wahrscheinlich griechischer Herkunft, waren auf demselben Wege zu Millionären Der Tod Shukowskis, der ebenfalls in diese Zeit fällt, berührte mehr die Kaiserin, deren Lehrer er gewesen war, als den Kaiser. Die Poesie dieses Dichters schlug nur ästhetische Töne an, die mit der unerquicklichen Wirklichkeit nichts zu schaffen hatten. Shukowski war am 12. April in Baden gestorben, wo ihm ein Denkmal errichtet wurde. S c h i e m a n D , Geschichte Bußlands.

IV.

17

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Kapitel XI.

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geworden. In der demokratischen Gesellschaft Rußlands, die Hofkreise und den Kaiser mit eingeschlossen, erregten diese Emporkömmlinge keinen Anstoß. Ein Sohn Abasas ist unter Alexander II. Finanzminister geworden. Geschmeidige Weltklugheit, Protektion und Reichtum waren die Sprossen der Leiter, die zur Macht führte, keineswegs alter Adel, wie er in Rußland noch sehr zahlreich vertreten war; seit den Tagen Peters d. Gr. wurde er vielmehr systematisch zurückgedrängt und dieses Prinzip auch von den Holsteinern auf dem russischen Zarenthron beibehalten. Unter dem Kaiser Nikolaus trat das gelegentlich sehr drastisch zutage. Er ließ im April den jungen Fürsten Jussupow verhaften und in den Kaukasus verschicken, weil er wider den Willen seiner Mutter ein Fräulein de Ribeaupierre, seine Kusine, heiraten wollte. Am 1. Mai berichtete Seymour über den folgenden flagranten. Fall kaiserlicher Willkür. Der russische Fiskus hatte auf Befehl des Domänenministers Kisselew ein dem früheren Botschafter Grafen Stroganow gehöriges Waldgebiet von hohem Wert eingezogen, und zwar auf Grund von rechtlichen Ansprüchen, die Seymour „absurd" nennt. In diesem Sinne entschied auch der Senat, vor den der Fall kompetierte, mit allen gegen eine Stimme. Dem Kaiser genügte das, um die Sache dem Reichsrat zu überweisen, der sich mit 12 gegen 4 Stimmen gegen Kisselew für das gute Recht Stroganows aussprach. Dieses Reichsratsgutachten ging dem Kaiser zu, der sich dem Votum der Minorität anschloß 1 ), weil, wie er seine Entscheidung motivierte, der ¡Fall nicht klar läge und Graf Stroganow ohnehin für einen Untertanen reich genug sei. Auch zwei in dieser Zeit erlassene Ukase zeigen denselben Geist autokratischer Selbstherrlichkeit. Der eine bestimmte, daß Professoren und Lehrer nach 25 jährigem Dienst ihr Amt niederzulegen hätten und setzte zugleich den Betrag der ihnen zukommenden Pensionen herab, ein anderer, der am 2. April veröffentlicht wurde 2 ), bestimmte, daß in den West') „misled as he constantly is by the reports of those about him." Bericht vom 1. Mai 1852. 2) Depesche Seymours 111 und 116, 136 führt aus, daß der Dias auf die beiden Bibikows zurückzuführen sei „and that they had their own objects in view, but that behind them were various sub-employes who had desired the plan as the means of increasing their own illicit emoluments. For in this country where all is corruption, where the laws are always to be defeated by the employment of a bribe, it is remarked that the obligation to serve will increase in an enormous degree the earnings of the civil employes, and

Kapitel XI.

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provinzen, speziell im ehemals polnischen Gebiet, die Söhne der Gutsbesitzer von ihrem 16. bis zum 25. Jahr im russischen Zivildienst beschäftigt werden sollten. Es war das eine weitere Maßregel, die der Russifizierung dienen sollte. Man muß sich diese Tatsachen gegenwärtig halten, um zu verstehen, mit welchen Vorstellungen von seiner Allmacht Nikolai jene Fahrten nach Berlin und Wien antrat, die bestimmt waren, Preußen und Österreich zu veranlassen, ihre deutschen Streitfragen ruhen zu lassen und in der Frage der Anerkennung des Kaisertitels Louis Napoleons sich der russischen oder vielmehr der persönlichen Auffassung Nikolais anzuschließen, wobei freilich nicht zu verkennen ist, daß der Kaiser selbst mehr als ihm bewußt war von Gedanken bestimmt wurde, die ihm aus Wien und aus Berlin zugegangen waren. Über den Aufenthalt des Kaisers in Moskau scheinen keine Nachrichten erhalten zu sein. Am 8. Mai traf er mit der Kaiserin in Berlin ein1). Der König war ihm entgegengefahren, sie hatten von Myslowitz bis Oderberg in einem Wagen gesessen, und wie Edwin Manteuffel erzählt, fast gar nicht miteinander gesprochen, wie Benkendorff dagegen versichert, sei alles „parfaitement bien" verlaufen. Nikolai hatte dem Minister Manteuffel gegenüber „Bonaparte" gepriesen und gesagt, man müsse alles anwenden, ihn nicht zu reizen. Er fuhr aber noch an demselben Tage mit Nesselrode, der ihn begleitete, nach Wien, wo er bis zum 13. blieb. Die Verhandlungen mit dem Kaiser Franz Joseph und Buol nahmen den Verlauf, daß die noch von Schwarzenberg entworfene Fassung als offizielle dem Präsidenten mitzuteilende Deklaration angenommen wurde. Sie lautete: „Seine Majestät. . . hat in Bücksicht auf die Lage Frankreichs und auf die Dienste, die von Louis Napoleon in diesem Lande der Sache der gesellschaftlichen Ordnung geleistet worden sind, in der Überzeugung, daß das politische System, das er erklärt hat befolgen zu wollen, unter den augenblicklichen Verhältnissen eine Bürgschaft des allgemeinen Friedens ist, der nur erhalten werden kann durch genaue Behauptung der bestehenden Verträge und Aufrechterhaltung der staatlichen Grenzen (conscription territoriale), auf denen das Gleichgewicht Europas ruht, that in one way or another an exemption will be obtained by all tbose who can afford to pay for it." ') Ober diese Zeit besitzen wir in den Denkwürdigkeiten Leopold von Geriachs (Bd. I, pg. 760—770) eine ausgezeichnete Quelle. 17»

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Äapitel XI.

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erkennt die Erhebung des Präsidenten der Französischen Republik zur kaiserlichen Würde an, und wird mit ihm Beziehungen guten Einvernehmens aufrechterhalten*)." Was der Kaiser erst in Wien und danach in Berlin durchsetzte, war die Verpflichtung der drei Mächte zu gemeinsamem Vorgehen, die in 4 Punkten formuliert wurde: „1. Die alliierten Mächte werden die Proklamierung des Kaisertums nicht zum Anlaß nehmen, ihre Beziehungen zu Napoleon abzubrechen, oder gar ihm den Krieg zu erklären. 2. Sie werden zu seiner Anerkennung erst schreiten, nachdem sie ausreichende Bürgschaften für seine friedliche Politik und die bestimmte Versicherung erhalten haben, daß er die durch die Verträge festgesetzten Grenzen nicht verletzen wird. 3. Rußland, Österreich und Preußen werden, obgleich sie Louis Napoleon als Kaiser anerkennen und diplomatische Agenten bei ihm unterhalten werden, diese Handlungen immer als ausnahmsweise Tatsachen und nicht als Rechtsfragen betrachten 3 ). Sie beabsichtigen keineswegs die Vereinbarungen des Pariser Vertrages vom 20. November 1815 zu entkräften, welche für immer die Dynastie Napoleon Bonapartes von der souveränen Gewalt in Frankreich ausschließen. 4. Für den Fall, daß Napoleon bei Proklamierung des Kaisertums gleichzeitig einen Thronerben ausrufen sollte, werden die drei Mächte ihm erklären, daß die Beweggründe, die sie veranlaßt haben, in seiner Person den kaiserlichen Titel anzuerkennen, sich nicht auf seinen designierten Nachfolger beziehen. Sie behielten sich in betreff desselben spätere Entschlüsse vor." Auch diese Fassung dcckt sich fast wörtlich mit einem Entwurf, den Schwarzenberg schon im Februar dem Grafen Lebzeltern nach Petersburg zugeschickt hatte. Die geringen redaktionellen Abweichungen gehen auf Nesselrode und Meyendorff zurück 3 ). Daß der Kaiser seine Gedanken nicht mehr auf Heinrich V. richtete, 1 ) Der französische Text bei Sajontschkowski Nr. 46 mit dem Datum Wien, 13. Mai, und Berlin, 22. Mai, die wörtlich gleichlautende ältere Fassung Schwarzenberg Nr. 45 mit dem Datum Wien, 4. April. 2 ) „consideront toujours ces actes comme portant sur une question de fait, sur une exception et non sur une question de droit." 3 ) Nesselrode an Meyendorff 22. Mai 1852: „la pièce que nous avons f a b r i q u é e ensemble".

Kapitel X L

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zeigte sich darin, daß er es unterließ, dem Grafen Chambord in Frohsdorf einen Besuch zu machen.

Das Wesentliche für ihn war,

daß nunmehr ein Zusammengehen der drei Ostmächte feststand, wobei, wie nicht zweifelhaft sein konnte, der Vortritt ihm zufallen mußte.

Auch in dem preußisch-österreichischen Gegensatze glaubte

er weitere Überraschungen nicht fürchten zu müssen.

Die letzte

Entscheidung mußte freilich in Berlin fallen, weil, wie er wußte, der König den Gedanken nicht aufgegeben hatte, dem erwarteten französischen Angriff zuvorzukommen.

Von Wien fuhr der Kaiser

am IB. Mai nach Prag, um dem Kaiser Ferdinand, der dort fast unbeachtet vegetierte, einen Besuch zu machen, und von da nach Dresden,

wo

er Beust

durch Verleihung des

Alexander-Newski-

Ordens auszeichnete und ihm seine Billigung dazu aussprach, daß er, Beust, „darauf hinarbeite, Sachsen zur Selbstständigkeit zu verhelfen",

er

den Zutritt

Sachsens zum preußischen Zollverein nicht wünsche 1 ).

eine Andeutung,

die

zeigen sollte,

daß

A m Morgen

des 16. traf der Kaiser in Berlin ein; am Bahnhof erwartete ihn eine prachtvolle Kompagnie als Ehrenwache. vom

Den alten Bekannten

Gardekorps und vom Kürassier-Regiment

herzlicher

Begrüßung

mit

König war gerührt, und Kaisers.

Umarmen

wurde

und Küssen

die

Ehre

zuteil.

Der

alles entzückt über das Auftreten

des

Es war wie in früheren Jahren, und die alte Anerkennung

und Freundschaft schien wieder hergestellt zu sein.

Gerlach, der

diese Zärtlichkeiten mit ansah 3 ), bemerkt freilich dazu, es sei in diesem

Treiben

„viel

cant und

ilunkeyism".

Das

Übergewicht

Rußlands sei die traurige Folge der inneren Auflösung Preußens, ein Übergewicht des Absolutismus, der darum so mächtig sei, weil er jetzt mit Österreich im Bunde stehe und so lange innerlich auch zu Frankreich stehen werde, bis der dortige roh revolutionäre Absolutismus als Bonapartismus anfangen werde, zu erobern.

l

) Sie (die Unterredung) dauerte eine Stunde und machte großen Eindruck

auf den Kaiser.

Seymour, der offenbar seine Nachrichten von dem sächsischen

Gesandten in Petersburg erhalten hatte, schreibt an Malmesbury, er habe Grund zu glauben, „that the Emperor's opinion or feelings on the matter have undergone considerable change since the communication which he held with M. de Beust at Dresden."

Beust war für die Selbständigkeit

der Mittelstaaten

eingetreten, hatte aber aus seiner Abneigung gegen Preußen kein Hehl gemacht. Seymour, Petersburg 27. Mai 1852. Denkwürdigkeiten I pg. IGi.

262

Kapitel XI.

Napoleon III. und Nikolaus I.

Das war ein richtiger Blick in die Zukunft, die sich vorbereitete; welche Tendenz aber der mit Österreich verbündete russische Absolutismus verfolgte, trat sofort hervor, als der Zar an einem der ersten Tage seines Berliner Aufenthalts dem Ministerpräsidenten fragte, „ob man in Preußen den Konstitutionalismus los sein wolle, er hätte nichts gegen eine lange Frist, oder ob man darin verharren und untergehen wolle? Der Untergang käme gewiß, wenn auch langsam, er wisse dann aber doch, was für ein Preußen er seinem Nachfolger als Grenznachbar hinterlassen würde!" Offenbar stand der Kaiser noch genau auf demselben Boden, wie nach dem März 1848. Für ihn existierte der Staat seines Schwagers nur als ein Preußen, das bestimmt war, ihm die gefährliche Intelligenz des Westens von den russischen Grenzen fernzu halten, wenn nicht anders mit Einsetzung seiner gesamten Heeresmacht. Von Deutschland, dem „sogenannten Vaterlande", sprach er nur mit Hohn, von der reaktionären Politik Franz Josephs mit höchster Anerkennung, sie erschien ihm im Licht eines Vorbildes für Preußen. Den Eid, den der König auf die Verfassung geleistet hatte, erkennt er nicht für bindend an *). Er scheint diese Gedanken und sehr eingehend auch das Verhältnis Preußens zu Österreich und die Frage des Zollvereins mit dem Könige besprochen zu haben und war nach einer langen Unterredung am 24. sehr zufrieden mit dem Resultat. Die Zustimmung Manteuffels zu der in Wien getroffenen Vereinbarung wurde bereits am 22., wie es scheint, ohne viel Mühe erreicht, da der Ministerpräsident die Ansichten des Königs nicht teilte. Der Berliner Aufenthalt hinterließ keine Spuren an dem in Wien festgestellten Text, doch weist eine spätere Äußerung des Kaisers darauf hin, daß er in Berlin Napoleon einen Dienst erwiesen zu haben glaubte 3 ). An eben diesem 22. Mai empfing er den Baron von Heeckeren in Audienz, dessen Beziehungen zum Wiener Hof Napoleon benutzen wollte, um für eine freundliche Aufnahme der Kaiserproklamation zu wirken. Heeckeren war früher Offizier im Chevalier-Garde-Regiment in Petersburg gewesen. Er hieß damals Dantes, war höchst beliebt unter seinen !) Unterhaltung mit Gerlach am 19. Mai. 2) Bapst 251, Anmerk. 2. Er sagte am 14. November dem General Castelbajae : J'ai toujours été son partisan et il ignore encore les services que je lui ai rendus. A Vienne, j'ai trouvé, il est vrai, une opinion semblable et «ne égale confiance, mais à Berlin mon rôle de conciliateur a été plus difficile."

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Regimentskameraden und erlangte eine traurige Berühmtheit durch das Duell, dessen Opfer der literarische Liebling der Nation Puschkin wurde. Dantes wurde vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt, aber von Nikolai begnadigt und des Reichs verwiesen 1 ). Heeckeren hatte den Kaiser in Wien treffen wollen, wo die Yermittelung Franz Josephs seine Audienz beim Zaren erleichtert hätte. Aber er traf dort erst ein, als Nikolai eben fortgefahren war, konnte aber noch Nesselrode sprechen, so daß der Kaiser über den Zweck der Mission Heeckerens bereits orientiert war und sich, aus Rücksicht für Napoleon, entschloß ihn zu empfangen. Der Kaiser war nicht unfreundlich, unterließ aber nicht, darauf hinzuweisen, daß der Präsident besser täte, sich mit seinem bisherigen Titel zu begnügen, und brach das Gespräch ab, als Heeckeren versuchte, für ein erbliches Kaisertum Napoleons einzutreten. Nikolai ist noch bis zum 26. Mai abends in Berlin geblieben, wo man ihm an militärischen Schaustellungen, Exerzitien und Paraden so viel geboten hatte, als er irgend wünschen konnte. Bei der Abreise gab er den Unteroffizieren seines Kürassier-Regiments den Ab3chiedskuß „wie uns anderen", notiert Gerlach, dem dies Gemisch von Absolutismus und Popularitätshascherei entschieden zuwider war. Auch den fremden Vertretern in Petersburg drängte sich die Vorstellung auf, daß der Kaiser immer absolutistischer werde. Der große Erfolg seiner bisherigen Laufbahn habe ihn jeder Form von Widerspruch gegenüber so ungeduldig gemacht, daß man nicht mehr wage, seinen Willensäußerungen entgegenzutreten. Seymour, der sich in diesem Sinne ausspricht, weist namentlich auf die Härte des Kaisers in den sogenannten „eroberten Provinzen" hin und kündigte seiner Regierung an, daß ein Ukas in Vorbereitung sei, der den Besitz von Landgütern von der Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche abhängig machen solle 2 ). Nach seiner Rückkehr nach Petersburg war der Kaiser wieder vornehmlich mit dem Exerzieren verschiedener Regimenter beschäftigt, obgleich er sich durch einen unglücklichen Fall und danach beim Reiten den Fuß verletzt hatte und die Leibärzte Schonung und Ruhe verlangt hatten. Da der Versuch, England für die in Wien und Berlin festgestellte Deklaration zu gewinnen, scheiterte 3 ), ») Siehe Band III pg. 322 und die Anmerkung pg. 323 und 324. 2 ) Depesche 135 vom 19. Juni. 3) Salomon: Die Anerkennung Napoleons III. Ein Beitrag zur Geschichte

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Kapitel X I .

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zog der Kaiser in nicht zu verkennender Absicht zahlreiche preußische und österreichische Offiziere zu den Manövern heran, die Ende Juni zwischen Gatschina und Ropscha stattfanden. Am 7. Juli fuhr er nochmals nach Potsdam, um die Kaiserin abzuholen, im August fanden große Manöver in Krasnoje Sselo statt, wiederum unter Beteiligung zahlreicher preußischer und österreichischer Offiziere 1 ), was in Frankreich und England Befürchtungen hervorrief. Das kombinierte sich mit einer neuen Sorge. In England verfolgte man schon lange mit steigender Aufmerksamkeit die Bemühungen Nikolais, seine Flotte zu verstärken. Menschikow hatte bereits im März den Befehl erhalten, die Fregatten mit Schrauben zu versehen, aber Seymour konnte die beruhigende Versicherung geben, .daß diese Vervollkommnung für Schlachtschiffe nicht in Aussicht genommen sei'). Als aber der Kaiser den Großfürsten Konstantin zum „Gehilfen" Menschikows ernannte und damit frisches Interesse der Flotte zugewendet ward, erfolgte eine neue Warnung Seymours. Er sei geneigt anzunehmen, daß, nachdem der Kaiser unermüdlich tätig gewesen war, seine Armee zu höchster disziplinarischer Vollkommenheit zu bringen, er nunmehr am Werke sei, die Leistungsfähigkeit seiner Marine zu erhöhen. Die Kombination von Landund Seemacht aber wurde schon damals in England als eine gefährliche Anmaßung empfunden. Auch das hatte in England beunruhigt, daß die Verhandlungen mit Schweden über Lappland wiederum gescheitert waren. Man hatte den Verdacht, daJß Rußland auf Erwerbung eines eisfreien Hafens an dieser Küste ausgehe. Nun waren diese Befürchtungen zweifellos nicht gerechtfertigt. Ein Bericht des Großfürsten Konstantin, durch den der Kaiser 1858 zum erstenmal über die tatsächliche Leistungsfähigkeit der baltischen Flotte Kunde erhielt, während der Fürst Menschikow in den Berichten, die er seit 20 Jahren regelmäßig im Januar oder Februar vorlegte, nur von dem glänzenden Zustande seines Ressorts zu berichten hatte, Stellte das mit absoluter Sicherheit fest. „Die Schiffe der baltischen Flotte", schrieb der Großfürst, „waren meist der Politik Nikolaus I.

Zeitschrift für osteuropäische Geschichte III, pg. 321

bis 366. ! ) Siehe die Anlage. "2) Bis zum Ausbruch des Krimkrieges sind nur zwei Fregatten mit Schrauben versehen worden, drei Segelschiffe wurden zu Schraubendampfern umgebaut, aber nicht fertiggestellt. Sajontschkowski 1. 1. I 624.

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aus feuchtem Fichtenholz, schwach gebaut und sehr mittelmäßig ausgerüstet, so daß bei jeder Ubungsfabrt zu den Häfen des Finnischen Meerbusens sehr viele von ihnen verschiedenartige Beschädigungen erlitten. Es war nicht möglich, aus ihnen Geschwader für andauernde Fahrt in fernen Meeren zu bilden, und nur mit vieler Mühe war es möglich einige Schiffe aufzubringen, die aus Kronstadt bis an die Ufer Westsibiriens fahren konnten. Von allen Linienschiffen der baltischen Flotte kann kein einziges ohne Gefahr Fahrten in entfernte Gewässer unternehmen. Vom Baltischen Meer ins Mittelmeer können elf Schiffe fahren, die übrigen nur bis zur Nordsee. Was die Kriegstüchtigkeit der baltischen Flotte betrifft, so können elf LinienSegelschiffe ein Geschwader bilden und in unseren Gewässern den Kampf mit einem gleichstarken Feinde aufnehmen. Rechnet man diese elf Schiffe mit, so können 25 Schiffe in unseren Gewässern mit dem Feinde in Kampf treten, aber sie sind nicht imstande, darüber hinaus Krieg zu führen. Im Vergleich zur Zahl der Wimpel ist die Kampfkraft und die Zahl der Schiffe für den eigentlichen Marinedienst höchst unbedeutend 1 )." Es ist diesem autoritativen Urteil gegenüber schwer zu verstehen, daß man in England in betreff der Flotte Rußlands in Sorge sein konnte. Ihre tatsächliche Schwäche mußte bekannt sein. Aber der Blick der englischen Staatsmänner war offenbar auf die Zukunft gerichtet. Man hatte großen Respekt vor der Energie des Kaisers und nicht vergessen, daß er mehr als einmal seine Flotte zur Unterstützung Englands angeboten hatte. Der Gedanke, einen zukünftigen Rivalen rechtzeitig zu beseitigen, konnte auf Grund dieser Erwägung wohl auftauchen und scheint in der Tat das Motiv zu sein, welches die sonst schwer verständliche Haltung Stratfords erklärt, von der wir noch zu reden haben werden. Um diese Zeit traten jedoch die Zukunftssorgen, welche die beabsichtigte Verstärkung der russischen Flotte erweckt hatte, vor der näher liegenden Gefahr zurück, welche durch die Napoleon zugeschriebenen Absichten, sich Belgiens zu bemächtigen, wie es schien, drohte. Der Prinz Präsident war durch ¡die beleidigende Sprache, welche in der belgischen Presse gegen ihn laut wurde, so erbittert worden, daß König Leopold in Befürchtung einer Invasion sich an England mit der Anfrage wandte, ob die Großl

) Sajontschkowski I pg. 618 und 628.

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mächte sich noch durch die Verträge gebunden fühlten, nach denen ein Angriff Frankreichs auf Belgien als casus belli zu betrachten sei. Lord Malmesbury beauftragte daraufhin Seymour, mit der russischen Regierung über diese Frage in Beziehung zu treten und dadurch dem Hof von St. Petersburg Gelegenheit zu geben, der englischen Regierung die Versicherung zu erneuern, daß nach wie vor in dieser wichtigen Angelegenheit volle Einmütigkeit zwischen beiden Regierungen bestehe1). Natürlich erhielt Seymour die beruhigendsten Versicherungen von seiten Senjawins, der den noch abwesenden Nesselrode vertrat. Es hatte gerade in letzter Zeit mehrfach Verstimmungen mit der französischen Botschaft gegeben, zu denen die von Napoleon angeordnete Feier des 15. August namentlich in Moskau Anlaß gegeben hatte, Paßschikanen und die Verhaftung des französischen Dieners des Bankiers Stieglitz kamen zu den fortbestehenden Differenzen in der Frage der heiligen Stätten hinzu, die unter wenig überzeugenden Vorwänden im Juli 1852 zum Erscheinen eines französischen Kriegsschiffes vor Konstantinopel geführt hatten. Das alles ließ eine Erneuerung der alten gegen Frankreich gerichteten Vereinbarungen in hohem Grade erwünscht erscheinen. Dazu kam, daß der Kaiser sich mit dem Plan trug, seine diesjährige Inspektionsreise den Gestaden des Schwarzen Meeres zuzuwenden und daß die 1844 in London getroffenen Vereinbarungen für ihn eine politische Realität von bindender Kraft geblieben waren. In Petersburg hat er vor seiner am 3./15. September erfolgten Abreise noch das 25jährige Dienstjubiläum des Kriegsministers Fürsten Tschernytschew gefeiert2), dem Minister 1) Malmesbury an Seymour. Foreign office August 24. 1852. . .that the unanimity of opinion and of purpose which they hold to be so valuable still exists upon this important subject between the two courts." 2 ) Ich kann, schreibt Lebedew in diesem Anlaß, nicht beurteilen, in welchem Maß er in militärischer Hinsicht das Lob verdient, das ihm die Reskripte spenden. Ziemlich genaue Einsicht habe ich über die wirtschaftliche Tätigkeit des Ministeriums, und da kann ich sagen, daß die zahlreichen Veränderungen, die auf diesem Gebiet vorgenommen wurden, ausschließlich ein Ziel verfolgten: SchnelligkeitMer Durchführung. Das Stehlen der Geschäftsführer, Ausflüchte und Betrug der Lieferanten sind höchst ungenügend eingeschränkt, der Vorteil der Krone wird ein wenig besser gewahrt als der der Soldaten, die häufig der Willkür völlig ausgeliefert sind. Übrigens ist die äußerliche Besserung der Verwaltung sichtbarer als in anderen Ressorts. Zur Ehre des Fürsten kann man sagen, daß er vielen den Weg geebnet hat, daß

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des kaiserlichen Hofes General-Feldmarschall Peter Michailowitsch Wolkonski das letzte Geleit gegeben 1 ) und zu seinem Nachfolger den Grafen Adlerberg ernannt. Den Minister des Innern Perowski machte der Kaiser an Kisselews Stelle zum Domänenminister, während D. G. Bibikow, der frühere Generalgouverneur von Kiew, Wolhynien und Podolien, das Ministerium des Innern erhielt. Für die Reise des Kaisers, der in seine Suite auch seinen besonderen Liebling, den österreichischen Gesandten Grafen Alexander MensdorffPouilly aufgenommen hatte, war das folgende Programm festgesetzt: Gomel, Jelisawetgrad, Wosnessensk, Nikolajew, Sevastopol, Kiew. Es erregte das höchste Interesse der englischen Regierung, und Seymour nahm die Gelegenheit wahr, alles zu sammeln, was er von den Begleitern des Kaisers über den Verlauf und die militärischen Ergebnisse der Reise in Erfahrung bringen konnte. In einem geheimen und vertraulichen Bericht, den er Lord Malmesbury am 28. Oktober durch französischen Kurier zusandte, wird ausführlich dargelegt, was ihm an den Angaben über Nikolajew und Sevastopol von Bedeutung schien. „Was zunächst Sevastopol betrifft, schreibt er, so sind diejenigen, die noch nicht dagewesen waren, von den Vorteilen, die der Hafen bietet, höchst betroffen gewesen, während denjenigen, die vor einigen Jahren die Stadt gesehen haben, die Fortschritte auffielen, die in der Befestigung gemacht worden sind. Der Hafen, der, wie man mir gesagt hat, groß genug ist, um alle Schiffe der englischen Flotte aufzunehmen, verzweigt sich zu sieben besonderen Buchten, hat aber nur eine Einfahrt, die so eng ist, daß sie durch das Kreuzfeuer der Forts an der Mündung verteidigt werden kann. Die Befestigungen . . . sind jetzt sehr wirksam und bestehen aus vier Forts, die die Namen des Kaisers und seiner drei Brüder tragen und an jeder Seite der Einfahrt liegen, während er dem Kaiser aufrichtig ergeben ist und daß er hiemals Günstling war, was er wohl hätte sein können. Weder die Armee, noch Petersburg, noch die Großfürsten liebten ihn; aber er hat sich behauptet und mit Würde. 1. 1. R. Archiv. 1888 I, pg. 625. Der Kaiser schenkte ihm ein Palais im Wert yon zwei Millionen und 15000 Rubel, um die Kosten des Unterhalts zu bestreiten. Reizet. Souvenirs II. ') Wolkonski starb 77jährig. Er ist der uns oft entgegengetretene Zeitgenosse und Freund Alexanders I. Ganz in demselben Verhältnis stand Adlerberg („Flam" wie Kaiser und Kaiserin ihn nannten) zu Nikolaus I. In Anlaß des Todes von Wolkonski legte die kaiserliche Familie Trauer an.

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das fünfte, das nach dem Kaiser Paul benannt ist, der Mündung des Hafens gegenüber erbaut ist. Jedes Schiff, das daher seinen Weg durch das Kreuzfeuer der vier Eingangsforts erzwungen haben sollte, würde dem zusammenwirkenden Feuer der Paul-Batterien ausgesetzt sein. Bisher ist nur wenig geschehen, um Sevastopol von der Landseite zu befestigen, aber man ist im Begriff, diese Versäumnis nachzuholen, denn der Kaiser hat befohlen, sofort zu dem Bau von Werken zu schreiten, welche den Platz von der Landseite her ebenso sicherstellen, wie von der See. Ich bemerke, daß die Eingangsforts früher schwache Erdbauten waren, daß sie aber jetzt, wie das Paul-Fort, aus Stein gut gebaut und stark armiert sind. Die Zahl der seetüchtigen Schiffe in Sevastopol wird Ew. Lordschaft in dem anliegenden Schreiben finden, das eine Abschrift des vom Kaiser durchgesehenen und geprüften offiziellen Memorandums ist 1 ). Hinzuzufügen sind mehrere leichte Dampfer und Segelschiffe, die während der Manöver benutzt wurden, und noch im Bau begriffene Schiffe, die bald fertig sein dürften; die „Kaiserin Maria" von 84 Kanonen, die jetzt in Nikolajew repariert wird, zwei Schiffe, die unbewaffnet in Sevastopol liegen und mehrere detachierte Segelschiffe und Dampfer im Schwarzen und Mittelmeer, endlich das 120-Kanonenschiff „Großfürst Konstantin", das während der Anwesenheit des Kaisers vom Stapel lief, und das Linienschiff, dessen Kiel eben gelegt wurde. Es wird eine Schraube erhalten und den einigermaßen ominösen Namen „Bosporus" erhalten, speziell wenn man ihn mit dem Namen „Konstantin" verbindet. Ich fragte einen der erwähnten Herren, ob die Flotte, die er 6 oder 7 Jahre nicht gesehen hatte, vermehrt worden sei — er 1

) Das Memorandum gibt für Sevastopol an: 13 Linienschiffe, 4 Fregatten, 2 Korvetten, 10 kleine Fahrzeuge, 6 große Dampfer und einige kleine Dampfschiffe. Es würden jedoch bald in Sevastopol 17 Linienschiffe und 10 oder 12 Fregatten liegen. An der Donaumündung habe Rußland 32 Kanonenboote mit je 2 oder 3 Geschützen. Die russische Marine besitze 46 Equipagen von je 1195 Mann, von denen 1000 als Soldaten ausgebildet seien (Summa 54970 Mann), während die 28. bis 44. zum Schwarzen Meer gehören. Jede Equipage besteht aus 4 Kompagnien. 10 Equipagen zu 800 Mann sind zum Bau und zur Reparatur von Schiffen bestimmt, 4 Kompagnien Artilleristen zu 100 Mann und endlich 34 Kompagnien Veteranen zu 75—100 Mann für den Dienst in den Arsenalen, als Hauswächter usw. Die Angaben über die Marine in den anderen russischen Gewässern übergehe ich.

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antwortete: Unwesentlich an Zahl, sehr beträchtlich an Stärke, da die alten und verhältnismäßig schwachen Schiffe durch neue, durchweg seetüchtige ersetzt seien. Die Mannschaft entspreche zwar nicht der englischer Schilfe, aber die russischen Seeleute bewährten sich ganz rühmlich wenn die Flotte in See sei, und hätten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Das ist darauf zurückzuführen, daß einmal die Schiffe mehr geübt wurden, als vor 4 oder 5 Jahren geschah, und zweitens und vornehmlich infolge einer neuen Verordnung, welche die Matrosen der Schwarzen Meer-Flotte vom Dienst am Lande befreit. Das Verdienst, die Flotte zu ihrem jetzigen Zustande gehoben zu haben, schreibt man, wie ich glaube mit Kecht, dem früheren Admiral Lasarew zu. Sein Nachfolger ist der Admiral von Berg, ein alter untüchtiger Offizier, aber sein Stabschef, Admiral Kornilow, in dessen Hand die tatsächliche Leitung der Flotte liegt, ist ein sehr tüchtiger Seemann, der unter Lasarew emporgekommen ist und durchaus iahig, dessen System fortzuführen. Der Kaiser scheint höchst entzückt von allem zu sein, was er in Nikolajew und Sevastopol gesehen hat, und schreibt augenscheinlich dem Admiral Kornilow die Verbesserungen zu, die er in der Schwarzen Meer-Flotte vorfand. Er hat ihn zum Vizeadmiral und zu seinem Adjutanten ernannt. In Sevastopol und überall, wo Militär-Inspektionen stattfanden, sind sehr zahlreiche Gunstbezeugungen jeder Art erfolgt: Beförderungen, Orden, Diamanten, Steigerung des Gehalts und Geldschenkungen. Ich füge hinzu, daß die Beobachtung derjenigen, die den Kaiser bei seinem Besuch in der Krim begleiteten (darunter der österreichische Gesandte), bestätigen, was ich vor einiger Zeit zu berichten die Ehre hatte, daß der Kaiser, nachdem er seine Armee auf den höchsten Stand der Disziplin gehoben hat, jetzt daran geht, seine Flotte tüchtiger zu machen als sie bisher war. Ich bitte Ew. Lordschaft ernstlich, diese Depesche als streng vertraulich anzusehen. Die Zahl der Fremden, die den Kaiser begleiteten, war sehr beschränkt, und sie würden in die größte Verlegenheit geraten, wenn es bekannt würde, daß sie einem Diener Ihrer Majetät Mitteilungen gemacht haben 1 )." J ) Einen zweiten, weniger zuverlässigen Bericht bringt iteiset in seinen Erinnerungen.

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Übrigens waren es keineswegs nur erfreuliche Eindrücke, die der Kaiser von seiner Reise heimbrachte. Gleich bei seiner Ankunft in Sevastopol empfing ihn der Bericht, daß der Kommandant der Festung seit Jahren statt für die 2000 Gefangenen, die in den dortigen Gefängnissen lagen, für 4000 Mann Holz, Nahrung und Kleidung sich hatte auszahlen lassen. Der Kaiser degradierte den Mann (er war Generalleutnant) und ließ ihn ins Gefängnis werfen. Als der Fürst Woronzow bei Tafel versuchte für ihn einzutreten und sagte, der Mann sei eher zu bemitleiden als zu verurteilen, er sei nicht ganz bei Sinnen, wies ihn der Kaiser zornig ab*). Auf der Rückreise hatte er dagegen die Freude, die neue hängende Brücke über den Dniepr zu bewundern. Er kehrte im gehobenen Bewußtsein seines Machtgefühls nach Petersburg zurück. Die Nachrichten, die er dort über die große Agitationsreise Louis Napoleons empfing, haben auf ihn zunächst keineswegs einen unangenehmen Eindruck gemacht. Die Entschiedenheit, mit welcher der Präsident auf sein Ziel losging, imponierte ihm. Die Äußerungen des Beifalls, mit denen er nicht zurückhielt, drangen auch über die Hofkreise hinaus: „Das ist genau meine Meinung, ich hätte genau so gehandelt, er ist vornehm und großmütig, wir müssen daher auch ihm gegenüber vornehm und großmütig sein", waren Aussprüche Nikolais, die Seymour in seinen Berichten nach London wiedergab2). Als die erste Nachricht von der Absicht Napoleons, die Ziffer III seinem Namen beizufügen, in Petersburg bekannt wurde, hatte der Kaiser zunächst auch dagegen nichts einzuwenden: „Weshalb sollte er ihn nicht annehmen, was hindert ihn daran 3 )?" Diese Empfindungen des Kaisers, der sich ja stets leicht seinen ersten Eindrücken hingab und sie dann auch auszusprechen pflegte, stießen jedoch auf den vorsichtigen aber andauernden Widerspruch Nesselrodes und 1 ) „Vous Monsieur Vous le croyez fou, moi je le crois autre chose — je le regarde comme une canaille de premier numéro — brisons la dessus, qu'on ne m'en parle plus." Seymour 1. 1. l ) Depeschen vom 4. und 11. November: „These are exactly my opinions"; I should have acted precisely in the same manner . . . „il est noble et généreux, nous devons donc agir noblement et généreusement envers lui." 3 ) Äußerung Nikolais im Oktober dem bayerischen Gesandten gegenüber: „et pourquoi ne le prendrait-il pas (le N. III) qu'est ce qui l'empêche de le prendre?" Depesche Seymours vom 18. November 1852, Nr. 388; secret and confidential.

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des ihm eng befreundeten Generals von Rochow, der sich nicht scheute, dem Kaiser auf sein enthusiastisches Urteil über Napoleon zu entgegnen, er, für seine Person, halte ihn für einen „grand coquin". Man legte dem Kaiser die „idées Napoléoniennes" vor, und das machte auf ihn einen so starken Eindruck, daß er sich ganz der Auffassung Nesselrodes anschloß '). Es ist überaus charakteristisch, daß dieser Gesinnungswechsel des Kaisers sich sofort auf die Petersburger Gesellschaft übertrug, die nun von der Eitelkeit der Franzosen, ihrer Anmaßung und von der geringen Rücksicht zu reden begann, die man in Frankreich den Gefühlen und Interessen anderer Nationen zeige. (Siehe die Anlage.) Die erste Anregung gegen die Ziffer III Stellung zu nehmen, ist schon am 2. November von England ausgegangen, am 8. unterzeichnete Nikolai ein für die Alliierten bestimmtes Memorandum, das sich mit großer Entschiedenheit dahin aussprach, daß das kaiserliche Kabinett der Ansicht sei, „daß, wenn der Präsident mit dem Titel Napoleon III. den Thron besteige, die alliierten Mächte diesen Titel nicht anerkennen könnten". Der Kaiser war zudem unwillig über einen Ausdruck, den Napoleon am 5. November in seiner Botschaft an den Senat gebraucht hatte '). Er hat den soeben nach Petersburg zurückgekehrten General Castelbajac darüber zur Rede gestellt und in einem Brief, den er Kisselew nach Paris mitgab, in nicht unfreundlicher aber ernster Weise Napoleon „zum letzten Male" vor Annahme der Ziffer III gewarnt 3 ). Der weitere Verlauf der Verhandlungen war der, daß England zunächst einen 1

) Seymour, 18. November. Since that time „les Idées Napoléoniennes" brought into action and Count Nesselrode's wholesome reflections have produced a great change, and on the 16th instant the Emperor in conversing with the person from whom my information is obtained (Rochow) said : „Autrefois j'avais très mauvaise opinion de Louis Napoleon. Depuis qu'il gouverne la France il s'est conduit d'une manière admirable — mais aujourd'hui c'est tout autre chose, on voit bien qu'il laisse tomber le masque." 3 ) „II (le peuple) satisfait à son juste orgueil, par ce que, relevant avec liberté et avec réflexion ce qu'il y a trente-sept ans l'Europe entière avait renversé par la force des armes . . . . le peuple v e n g e noblement ses revers, sans faire des victimes, sans menacer aucune indépendance, sans troubler la paix du monde." 3 ) Ich übergehe das Detail der nun folgenden diplomatischen Verhandlung. Sie ist im wesentlichen von Salomon treffend zusammengefaßt. Zu ergänzen durch das von Bapst mitgeteilte Material aus den französischen Akten.

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Rückzug antrat, und nachdem der Präsident am 2. Dezember als Napoleon III. zum Kaiser proklamiert worden war, am 6. unter Umgehung der Ziffernfrage durch den Botschafter Lord Cowley ein Beglaubigungsschreiben überreichen ließ, in welchem die von der Königin Viktoria gebrauchte Anrede lautete: „Sir, my Brother". Den Ostmächten fiel der Entschluß schwerer. Nikolai erklärte sich zwar bereit auf Grund der Bürgschaften, die Napoleon mündlich und schriftlich zur Anerkennung der bestehenden Verträge und für die friedlichen Absichten seiner Regierung gegeben habe, Beziehungen guten Einvernehmens mit dem Kaiser aufrechtzuerhalten, die Ziffer III aber erkannte er nicht an und als Anredeform hielt er nur die Formel „Sire et bon Ami" für statthaft. Preußen und Österreich waren willens, wie es schien und wie Nikolai glaubte, entschieden dieselbe Haltung einzunehmen. Aber ein Besuch, den Franz Joseph in Berlin am 17. Dezember 1 ) abstattete, führte dazu, daß beide Mächte nicht dem russischen, sondern dem englischen Beispiel zu folgen beschlossen. Das einzige Zugeständnis, zu dem sie sich verstanden, war, daß sie die Beglaubigungsschreiben für ihre Gesandten nicht abgeben wollten, wenn Kisselews Beglaubigung wegen das „Mon bon Ami" zurückgewiesen werden sollte. Diese Gefahr hat allerdings vorgelegen. Drouyn de l'Huys war für Abweisung des russischen Kreditivs, und Napoleon schien ihm beizustimmen, aber es gelang Morny, der an der Börse spekulierte und einen Kurssturz fürchtete, ihn für die Annahme zu gewinnen. Am 5. Januar 1853 fiel die Entscheidung in diesem Sinne. Einige Tage nach dem Empfang von Kisselew fand auch die Audienz des preußischen und des österreichischen Gesandten statt. Nikolai hatte diese Entwickelung mit steigender Entrüstung verfolgt. Zu den Entschlüssen Englands notiert er: Es ist interessant, wie das Geständnis, daß sie sich fürchten, naiv bei den englischen Militairs zum Ausdruck kommt; c'est triste! Am 23. Dezember schreibt er ad marginem eines Berichts von Budberg aus Berlin: .,1a lâcheté du Roi prend le dessus" und zu einem Wiener Bericht vom selben Datum: „c'est pitoyable". Er hatte die Empfindung, der einzig Mutige und Konsequente Napoleon gegenüber gewesen zu sein. T ) Dazu ist Gerlach, Denkwürdigkeiten, Band I pg. 838 und 839 zu vergleichen, wo interessantes Detail geboten wird.

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Weit mehr als von diesen politischen Fragen wurde die Petersburger Gesellschaft durch den am 1. November erfolgten Tod des Herzogs von Leuchtenberg *), der eine dreimonatige Hoftrauer zur Folge hatte, bewegt, sowie durch das ganz außerordentliche Aufsehen, welches die Feststellung einer ungeheuren Unterschlagung bei der Verwaltung des Invalidenfonds erregte. Noch in den Tagen Alexanders I. war am 18. August 1814 ein Reichsinvalidenfonds begründet worden, dessen Verwaltung einem Komitee anvertraut wurde und dessen Kapital im Laufe der Jahre zu einer außerordentlichen Höhe angewachsen war. Es stand unter der Oberaufsicht des Kriegsministers, während der Vorsitzende des Komitees 1852 der Generaladjutant Uschakow war*). Mitglied des Komitees war unter anderen seit etwa 16 Jahren auch der G.-R. Politkowski, den man wegen seines augenscheinlichen Reichtums und des fabelhaften Aufwandes, den er trieb, den russischen Montechristo nannte. Seine Geliebte, ein Fräulein Wolkow vom Ballett, erregte Aufsehen durch ihren wundervollen Schmuck, er hatte seine Loge im Theater gegenüber der des Kaisers, besaß prachtvolle Equipagen und gab Bälle und Diners, die in ganz Petersburg berühmt und gesucht waren. Da er keinen Landbesitz hatte, die gewöhnliche Quelle großer Reichtümer in Rußland, auch nicht zu den Branntweinpächtern oder zu den Lieferanten der Armee gehörte, erklärte man sich seinen Reichtum durch glücklichen Gewinn beim Kartenspiel. Das große Selbstbewußtsein, mit dem er aufzutreten pflegte, hielt ihm zudem lästige Neugier vom Leibe. Es erregte daher ungeheures Aufsehen, als eine unerwartet angesetzte Revision feststellte, daß in der Invalidenkasse mehrere Millionen Rubel fehlten') und daß Politkowski diese ungeheure Summe allmählich unterschlagen und verbraucht hatte. Auf den Kaiser machte die Nachricht einen erschütternden Eindruck. Als Tschernischow ihm zum Bericht den Generaladjutanten Uschakow zuführte, verfärbte sich der Kaiser vollkommen J ) Bestattet am 4. in der katholischen Maltheserkirche. Leuchtenbergs Söhne erhielten den Titel Fürsten Romanowski. Die verwitwete Großfürstin ist danach morganatisch mit einem Stroganow vermählt gewesen. 2 ) Das Material zu dieser Affäre geben die Memoiren Korffs, die kleinen Erzählungen von M. M. Popow (R. St. 1896 II), die Memoiren Insarskis (R. St. 1895 II, pg. 34—35) und die Tagebücher Nikitenkos zu 185-3. 3 ) Nach anderen Angaben über eine Million Rubel.

S o h i e m a n i i , Geschichte Rußlands. IV.

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und seine Hände erstarrten. „Nimm meine Hand — rief er Uschakow zu — fühlst du, wie kalt sie ist? So kalt gegen dich wird fortan mein Herz sein!" Politkowski, der immer Gift bei sich getragen haben soll, starb, wie es scheint, gleich nach seiner Verhaftung in der Peter PaulsFestung. Der Kaiser ließ aber noch den Toten zum gemeinen Soldaten degradieren. Ein ungeheurer Schrecken bemächtigte sich der alten Generale, die Mitglieder des Komitees waren und diese Stellung als eine bequeme Sinekure betrachtet hatten, denn der Zorn des Kaisers war grenzenlos. Schließlich sind noch alle ziemlich glimpflich der Gefahr entronnen. Aber, bemerkt einer unserer Gewährsmänner, es fuhr ein Schrecken in alle Minister, und sie begannen zu prüfen, wie es mit ihren Ressorts stand. Von den Ereignissen des so zu Ende gegangenen Jahres 1852 ist noch nachzuholen, daß am 14. September der Herzog von Wellington starb und Nikolai ihn durch Sendung einer Deputation ehrte, an deren Spitze der Fürst Gortschakow stand. Wellington war russischer Generalfeldmarschall und hatte als Vertreter Englands Nikolai bei seinem Regierungsantritt begrüßt. Der Kaiser glaubte an ihm einen Freund verloren zu haben, aber unzweifelhaft hätte er an ihm dieselbe Enttäuschung erlebt wie an seinen anderen englischen Freunden, zumal an Lord Aberdeen, der am 20. Dezember 1852 an Derbys Stelle die Leitung des englischen Ministeriums übernommen hatte.

Kapitel XII. Sir George Hamilton Seymour. S i e S e n d u n g Menscliikows und die K r i e g s e r k l ä r u n g . Trotz der großen und kleinen Sorgen, die die letzte Zeit ihm gebracht hatte, trat Kaiser Nikolaus gehobener Stimmung in das neue Jahr 1853 ein. Hatten in dem Prinzipienstreit, der mit Louis Napoleon durchgefochten war, auch die anderen versagt, er war sich treu geblieben. Die revolutionäre Welle, welche seit 1848 das Europa des Wiener Kongresses bedroht hatte, war in monarchische Bahnen zurückgelenkt worden, und er konnte sich sagen, daß sein Eingreifen sehr wesentlich dazu beigetragen hatte. Wo in Rußland Spuren revolutionärer Gesinnung an die Oberfläche

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getreten waren, hatte er sie unterdrückt, das ewig feindliche Polen wagte nicht mehr sein wahres Gesicht zu zeigen, und unter den fürstlichen Zeitgenossen war keiner, der nicht in ihm das Haupt monarchischer Weltanschauung verehrt oder gefürchtet hätte. Jetzt schien die Stunde gekommen, um die Gedanken zu verwirklichen, die er 1844 den englischen Ministern kundgetan hatte. Er dachte an den „kranken Mann" in Konstantinopel und glaubte, der Augenblick sei zu nützen, um im Einverständnis mit England, wie er geplant hatte, über die Erbschaft des Sultans zu verfügen. Speziell der Umstand, daß Aberdeen an der Spitze des Kabinetts stand, schien ihm besonders günstig zu sein. Schon im April des vorigen Jahres hatte er, in Anlaß der Zwistigkeiten zwischen dem Sultan und dem Pascha von Ägypten, Seymour gegenüber eine nicht mißzuverstehende Äußerung in diesem Sinne getan, die dieser um somehr sofort nach England meldete, als Nesselrode bei der Unterredung zugegen war 1 ). Der Botschafter sowohl wie die englische Regierung waren daher nicht unvorbereitet, als der Kaiser bei einer Soiree, welche die Großfürstin Helene gab und zu der jedenfalls nicht zufällig auch Lady Seymour mit ihrem Gemahl geladen war, den letzteren beiseite nahm und ihm im Laufe eines Gespräches, dessen Gegenstand die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Rußland und England waren, nach allgemeinen Bemerkungen, die auf die Notwendigkeit des Zusammengehens beider Mächte hinwiesen, auf das Drängen des mißtrauisch gewordenen Botschafters schließlich sagte „Die türkischen Angelegenheiten sind in großer Unordnung. Das Land droht eine Ruine zu werden. Dieser Zusammenbruch wäre ein großes Unglück, und es ist wichtig, daß England und Rußland zu vollem Einverständnis gelangen, und daß keine von beiden Mächten einen entscheidenden Schritt tue, ohne die andere vorher davon zu unterrichten"; nach einer kurzen Zwischenbemerkung Seymours fuhr er fort: „Sehen Sie, wir haben es mit einem kranken Mann zu tun (nous avons sur le bras un homme malade), einem Depesche Seymours vom 24. April 1852: „We must not forget either, the Emperor Said, that -vre baye to do with a sick man, great précautions („ménagements") are necessary, or we kill the patient whom we are endeavouring to keep alive." Seymour antwortete, diese Auffassung entspreche ganz den Absichten der Regierung der Königin, wobei der Nachdruck ohne Zweifel von ihm mehr auf den Nachsatz als auf den Vordersatz gelegt wurde.

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schwer kranken Mann; es würde, ich sage es aufrichtig, ein großes Unglück sein, wenn er uns eines Tages sterben sollte 1 ), namentlich bevor alle nötigen Vorkehrungen getroffen sind." Jetzt habe er keine Zeit, aber er beabsichtige ihn zu sich zu laden. Diese Einladung fand am 14. Januar statt. Die folgenschwere Unterredung des Kaisers mit Seymour ist so oft gedruckt worden *), daß es genügt, auf die wichtigsten Punkte des Gesprächs hinzuweisen. Nach einer historischen Einleitung kam der Kaiser wiederum auf den kranken Mann und dessen wahrscheinlich plötzlich eintretendes Sterben zu sprechen. „ Wir können Tote nicht erwecken, und wenn das türkische Reich stürzt, wird es stürzen, um sich nicht mehr zu erheben; da frage ich Sie, ob es nicht besser ist, dieses Ereignis vorherzusehen, als sich dem Chaos, der Verwirrung und der Gewißheit eines europäischen Krieges auszusetzen Darauf wünsche ich die Aufmerksamkeit Ihrer Eegierung zu richten . . . Ich will zu Ihnen als Freund und Gentleman sprechen. Wenn wir, England und ich, uns über diese Affäre verständigen, ist das Übrige mir gleichgültig, es ist mir gleichgültig, was die anderen denken oder tun. Um aufrichtig zu sein, sage ich Ihnen also geradezu, daß, wenn England daran denkt, sich eines dieser Tage in Konstantinopel niederzulassen, ich das nicht erlauben werde. Ich lege Ihnen nicht diese Absicht unter, aber es ist bei solchen Gelegenheiten besser klar zu sprechen ; ich bin gleichfalls geneigt, die Verpflichtung zu übernehmen, mich dort nicht als Eigentümer niederzulassen, ich sage nicht als „dépositaire", denn es könnte geschehen, daß mich die Umstände in die Lage bringen, Konstantinopel zu besetzen, falls nichts vorgesehen ist und man alles dem Zufall überlassen muß." Als Seymour sich dahin aussprach, daß er zwar nicht glaube, daß seine Regierung bereit sein werde, Vereinbarungen zu treffen, die den Fall der Türkei ins Auge fassen, daß sie aber möglicherweise sich dazu verstehen werde, Verpflichtungen zu übernehmen, um gewisse Möglichkeiten zu verhindern, wenn der Zusammenbruch stattfinden sollte, erinnerte der Kaiser an das Gespräch, das er 1844 mit Wellington geführt hatte. Er kam danach auf die Frage der heiligen Stätten zu sprechen und ') „si un de ces jours, il devait nous échapper." *) Eastern Papers Y. 1854 pg. 6 sq., danach in zahlreichen Darstellungen und Aktensammlungen. Mir liegen im Augenblick die „Acte i Documente" Ton Dmitriel Sturdza, Bd. II vor.

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daß der Firman, den er im Februar des vorigen Jahres erhalten habe, ihm durch das Wort des Sultans bestätigt sei. Das sei ihm noch wichtiger. Eine französische Expedition in türkisches Gebiet hinein werde dagegen unvermeidlich zu einer Krisis führen. Seymour hatte an den Bericht über dieses Gespräch die Bitte um schleunige Antwort geknüpft; schon vom 9. Februar datiert die Antwort Lord John Russells, die keinen Zweifel darüber ließ, daß das englische Kabinett an eine ernste Gefahr nicht glaube. Eine Krisis, die die Auflösung der Türkei als Notwendigkeit erscheinen lasse, liege nicht vor, sie könne nach 20, 50, vielleicht nach 100 Jahren eintreten. Dagegen würde eine Stellung Eußlands als zeitweiligen Beherrschers (dépositaire) von Konstantinopel zahllose Gefahren jn sich schließen, sowohl wegen des seit lange gepflegten Ehrgeizes der Russen, wie wegen der Eifersucht der Mächte. Weder England noch Frankreich, noch auch wahrscheinlich Österreich würden dulden, daß Konstantinopel dauernd in russischen Händen bleibe. Doch sei England bereit zu versichern, daß es keine Entschlüsse für den Fall eines Zusammenbruchs der Türkei fassen werde, ohne vorher dem Kaiser von Rußland Mitteilung gemacht zu haben. Lord Russell schloß mit dem Rat, der Türkei zu empfehlen, daß sie ihren christlichen Untertanen Rechtsgleichheit und Gewissensfreiheit verleihe. Er beauftragte den Botschafter, die Depesche der russischen Regierung mitzuteilen. Diese Antwort hat Seymour dem Kaiser am 20. Februar vorgelesen. In die Zwischenzeit aber fällt eine Reihe van Tatsachen, welche Nikolai noch weiter in seiner Überzeugung bestärkten. In Konstantinopel hatte der Ehrgeiz La Valettes durch Zugeständnisse, die er den Lateinern erwirkte, den Gegensatz zwischen Griechen und Lateinern noch weiter zugespitzt, und der Kaiser in einer Audienz, die er Castelbajac am 16. Januar gewährte, sich darüber bitter beklagt. Napoleon hatte aber schon fünf Tage vorher diesen Beschwerden dadurch den Stachel genommen, daß er La Valette „mit langem Urlaub" aus Konstantinopel abrief, was natürlich erst später in Petersburg bekannt wurde, aber insofern nur wenig Eindruck machen konnte, als Drouyn de L'Huys in der orientalischen Frage über den Kopf Napoleons hinweg eigene Politik machte und Castelbajac mit Instruktionen versah, die mit großer Entschiedenheit die Auffassung La Valettes verteidigten, was, wie begreiflich, in Petersburg verstimmte. Es kam hinzu, daß eben damals die öster

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reichische Regierung bemüht war, durch Sendung des Grafen Leiningen nach Konstantinopel die Türkei durch Drohungen zu nötigen, eine erfolgreiche militärische Expedition Omer Paschas gegen Montenegro rückgängig zu machen. Nikolai, der höchst unzufrieden mit dem Eingreifen Österreichs war, das damit für sich ein Schutzrecht beansprucht hatte, das Rußland seit Generationen tatsächlich ausgeübt und noch vor kurzem durch Begünstigung der Yladika Danilo betätigt hatte, führte den Angriff Omer Paschas auf Intrigen La Valettes zurück und gab, um sein Interesse an dieser Frage recht nachdrücklich zu betonen, dem Kaiser Franz Joseph die Versicherung, daß er im Kriegsfall auf russischen Beistand rechnen könne. Da er dafür sorgte, daß man in Konstantinopel davon erfuhr, war die Folge, daß unter diesem doppelten Druck der Sultan Omer Pascha zurückrief. Nebenher ließ der Kaiser es auch nicht an Höflichkeiten Napoleon gegenüber fehlen. Als dessen Vermählung mit Eugenie de Montijo am 30. Januar 1853 in Notre Dame de Paris stattfand, und Castelbajac in diesem Anlaß am 8. Februar einen Ball gab, befahl der Kaiser seinen vier Söhnen, Nesselrode und anderen Würdenträgern, an dem Feste teilzunehmen. Um dieselbe Zeit aber schrieb er dem Fürsten Paskiewitsch: „Die Türken verlieren den Verstand und nötigen mich, eine außerordentliche Botschaft abzuschicken um Genugtuung zu verlangen, zugleich aber nötigen, sie mich, einige Vorsichtsmaßregeln zu treffen." Es schlössen sich daran Mitteilungen, die zeigten, daß der Kaiser die Fürstentümer besetzen und gegen Konstantinopel vorgehen wolle. Paskiewitsch ist darauf Ende Januar in Petersburg eingetroffen und hat in einer Denkschrift 1 ) dem Kaiser einen Kriegsplan vorgelegt. Er führte aus, daß die Besetzung der Fürstentümer an sich genügen werde, die Türken zum Einhalten der Verträge zu veranlassen. Erkläre man, daß es sich nur um eine zeitweilige Besetzung zur Unterstützung der russischen Rechtsansprüche handele, so werde das keinen Krieg zur Folge haben, in Europa aber einen heilsamen Eindruck machen. Sei es doch, als ob die Verhältnisse dazu führten, den Mächten, die Frankreich so sehr fürchten, zu zeigen, daß Rußland- stärker und unabhängiger sei als alle übrigen >) Schtscherbatow, Fürst Paskiewitsch. Bd. VII, pg. 43—48.

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Staaten 1 ), und daß ein russischer Kaiser nicht dulde, daß man seine Rechte verletze. Was aber die Sendung einer Flotte mit zwei Divisionen für den Bosporus und Konstantinopel betreffe, so sei dieser Gedanke „wahrhaft groß". Das werde mit einem Schlage nicht nur zur Beendigung des Krieges führen, sondern auch den Zusammenbruch der europäischen Türkei zur Folge haben. Alles komme darauf an, in welchem Stande die Befestigungen des Bosporus seien, und ob man sie auf beiden Ufern, dem europäischen und dem asiatischen, gleichzeitig nehmen könne, um den Ausgang ins Schwarze Meer frei zu haben wenn die russischen Truppen vor Zargrod stehen, und zugleich den Flotten der fremden Mächte den Eingang zu verwehren. Dann sei der Ausgang sicher und die Pforte werde entweder nachgeben oder zum Vorteil Rußlands ganz zerfallen. Ein anderer Ausgang sei nicht möglich, wenn Rußland den Bosporus und zugleich das Schwarze Meer beherrsche. Die Einzelheiten des Planes, dessen Hauptzüge hier dargelegt sind, haben so wenig der späteren Wirklichkeit entsprochen, daß sie füglich übergangen werden können. Da sie ohne allen Zweifel der Niederschlag vorausgegangener Unterredungen mit dem Kaiser sind, muß ihm das Urteil Paskiewitschs, auf das er großen Wert legte, bereits bekannt gewesen sein, als er am 21. Februar sich von Seymour die Depesche Russells vom 9. Februar vorlesen ließ, und im Verlauf einer langen Unterredung schließlich entwickelte, wie er sich die neue Lage vorstelle, die sich für den Fall eines Zusammenbruchs der Türkei ergeben müsse. „Die Fürstentümer, sagte er, sind tatsächlich ein selbständiger Staat unter meinem Schutz, dabei könnte es bleiben. Serbien müßte dieselbe Regierungsform erhalten. Ebenso Bulgarien, es scheint kein Grund vorzuliegen, weshalb diese Provinz kein selbständiger Staat werden sollte. Was Ägypten betrifft, so verstehe ich vollkommen, welche Bedeutung dieses Territorium für England hat. Ich kann darüber nur sagen, daß, wenn eine Teilung der Türkei ihrem Sturz folgen sollte und Ihr dann Ägypten in Besitz Derselbe Gedanke findet sich in der Instruktion für Henschikow vom 28. Januar/8. Februar 1853. „Peut-être l'attitude que nous avons prise visà-vis de cette même France, servira-t-elle à prouver aux Turcs, qu'il existe encore en Europe des éléments de résistance à l'outrecouidance du cabinet des Tuileries." Sajontschkowski 1. 1. Anlage 109.

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nehmt, ich nichts dagegen hätte. Dasselbe sage ich von Kreta, paßt Euch die Insel, so sehe ich nicht ein, weshalb sie nicht englischer Besitz werden sollte." Als Seymour ihn darauf hinwies, daß auch Österreich an dem orientalischen Problem lebhaft interessiert sei, antwortete Nikolai zum großen Erstaunen des Botschafters: „Ah! Sie müssen wissen, daß, wenn ich von Rußland spreche, ich gleichzeitig von Österreich rede, was einem von uns gefällt, gefällt auch dem anderen, in betreff der Türkei sind unsere Interessen ganz identisch." In England fand eben damals am 23. Februar eine Veränderung im Kabinett statt. Russell trat als Minister des Auswärtigen zurück und Lord Clarendon übernahm seine Stellung. Die erste Instruktion, die Clarendon ausgehen ließ, war für Stratford de Redcliffe bestimmt. Sie wies auf die Rivalität Frankreichs und Rußlands in Syrien und auf die Gefahr hin, welche in der diktatorischen und drohenden Haltung liege, die beide Mächte in letzter Zeit angenommen hätten. Stratford solle über Paris und Wien nach Konstantinopel fahren und Drouyn de L'Huys mitteilen, daß die englische Regierung glaube, daß die Interessen Frankreichs und Englands im Orient identisch seien, in Wien erklären, daß England sich freue zu erkennen, daß Österreich seine konservative Politik der Pforte gegenüber aufrechterhalte und daß es dabei auf die herzliche Mithilfe Englands rechnen könne, dem Sultan endlich solle er sagen, daß seine, Stratfords, Sendung nach Konstantinopel ein Freundschaftsbeweis wäre, und ihm zugleich seine Ansicht über die schwierige Lage, in der die Türkei sich befinde, darlegen. In der Frage der heiligen Stätten solle er sich an sein eigenes Urteil halten und an den Eindruck, den er von seinen Unterredungen mit Drouyn de L'Huys und durch Einsicht in die augenblickliche Lage gewonnen haben werde. Sollte aber eine nahe bevorstehende Gefahr der Türkei drohen, so solle er sofort einen Kurier nach Malta schicken und den Admiral auffordern, sich bereit zu halten, ihn aber nicht auffordern sich den Dardanellen zu nähern, bevor er von der Regierung ausdrückliche Instruktionen erhalten habe. Das war die Lage, als Kaiser Nikolaus den Fürsten Menschikow nach Konstantinopel schickte. Es hat sich eine eigenhändige Aufzeichnung des Kaisers erhalten, die er vorher offenbar für sich selbst gemacht hat. Sie ist für die Art, in der der Kaiser sich für seine Entscheidung in

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politischen Fragen vorbereitete, so charakteristisch, daß sie hier in wörtlicher Ubersetzung wiedergegeben wird: Was soll unser Ziel sein? 1. Genugtuung. 2. Bürgschaften für die Zukunft. Welche können es sein? 3. Erhaltung des ehemaligen Zustandes. Ist das wahrscheinlich? Welches sind die Mittel, unser Ziel zu erreichen? 1. Verhandlungen: a) brieflich, b) durch Sendung einer Botschaft. Vorteile und Nachteile. 2. Einschüchterung durch Abberufung unserer Gesandtschaft. Nachteile. 3. Durch Machtmittel: a) Kriegserklärung. Nachteile. b) Überraschung durch Besetzung der Fürstentümer. Nachteile. c) Überrumpelung Konstantinopels. Vorteile, Nachteile; Aussichten auf Erfolg. Wahrscheinliche Ergebnisse: 1. Die Türkei gibt nach. 2. Sie gibt nicht nach; Zerstörung von Konstantinopel. 3. Die geschlagene türkische Armee zieht sich auf Gallipoli oder Enos zurück. 4. Besetzung der Dardanellen. 5. Die Franzosen schicken eine Flotte und Landungstruppen. Konflikt mit ihnen. Aussichten für einen Erfolg. Möglichkeit von Unfällen. 6. Wir siegen, Konstantinopel und die Dardanellen sind in unseren Händen, die türkische Armee ist in Auflösung. 7. Fall des osmanischen Reiches. 8. Sollen wir es herstellen und unter welchen Bedingungen? 9. Können wir es mit Aussicht auf Erfolg wieder herstellen? 10. Wodurch ist es zu ersetzen? a) Alles in Europa behalten? Unmöglich. b) Konstantinopel und die Dardanellen behalten ? Übelstände. c) Konstantinopel allein? Unmöglichkeit. d) Teilung in unabhängige Provinzen? e) Wiederherstellung des byzantinischen Reichs? f) Verbindung mit Griechenland? Unmöglichkeit des einen wie des andern.

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g) Teilung zwischen uns Österreich, England und Frankreich? h) Was soll aus Konstantinopel werden? 11. Die wenigst schlechte aller möglichen schlechten Kombinationen: a) Die Fürstentümer und Bulgarien bis Küstendsche an Rußland. b) Serbien und Bulgarien unabhängig. c) Die Küsten des Archipels und der Adria an Österreich. d) Ägypten an England, vielleicht Zypern und Rhodos. e) Kandia an Frankreich. f) Die Inseln des Archipels an Frankreich. g) Konstantinopel Freistadt; im Bosporus russische Garnison, in den Dardanellen österreichische Garnison. h) Vollständige Handelsfreiheit. i ) Ein türkisches Reich in Kleinasien. Diese Aufzeichnung, die unzweifelhaft der ungeschminkten Überzeugung Nikolais Ausdruck gibt und deren Punkt 11 noch heute eine große Aktualität besitzt, ist auch in sofern charakteristisch, als darin der heiligen Stätten mit keiner Andeutung gedacht wird. Die Aufwerfung dieser Frage war von seiten Rußlands von vornherein nur ein Mittel zum Zweck 1 ), und welches das Ziel war, das der Kaiser verfolgte, tritt nirgends deutlicher hervor als in dieser Aufzeichnung. Am 29. Jan./9. Februar 1853 hat Menschikow als außerordentlicher Botschafter die folgenreiche Reise angetreten, die ihn nach Konstantinopel und Rußland in den Krieg führte, der bestimmt

x ) „Den Anstoß zur Sendung Menschikows hatte eine Supplik griechischer Notabein an den Kaiser gegeben. Sie wiesen auf die wenig würdige Stellung hin, die Rußland im Vergleich zu Frankreich und England in Konstantinopel einnehme. Als Mittel, eine Wandlung herbeizuführen, wurde eine außerordentliche Botschaft empfohlen, deren Führer, wenn er im Divan eine feste und zuversichtliche Sprache führe, erreichen würde, daß Kaiser Nikolaus unbedingte Autorität über die griechische Kirche im Reich des Sultans erlangen werde, zugleich aber unbedingte Autorität über die g r i e c h i s c h e Nation, was, nach orientalischer Auffassung, alle Angehörigen der griechischen Kirche, ganz abgesehen von ihrer Nationalität, umfasse. Unterzeichnet war die Supplik vom griechischen Patriarchen, dem Dragoman Nicolas Aristarchi, dem Exfürsten von Samos, dem Bankier Misse Jani, Herrn Lazaraki und andern Anhängern Reschid Paschas. Der Botschaftsrat Ozerow übermittelte die Supplik nach Petersburg und befürwortete sie lebhaft. Mitteilung Mehemed Alis an Thouvenel. Thouvenel, Nicolas I e r et Napoleon III, p. 147 u. 148.

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war, all die Pläne des Kaisers zum Scheitern und ihm selbst den Tod zu bringen. Uber diese Konstantinopeler Sendung und ihren Verlauf ist eine historische Legende verbreitet, die dem Ungeschick und der Brutalität des Fürsten schuld am Scheitern seiner Mission gibt. Das ist unzweifelhaft falsch. Der Fürst, der sich keineswegs gedrängt hatte, eine Aufgabe zu übernehmen, die ursprünglich Orlow und Kisselew zugedacht war, die aber beide abgelehnt hatten, bekam eine Reihe von Instruktionen, die ihm genau vorschrieben, was er zu tun habe. Es waren im ganzen sechs, alle vom 28. Januar russischen Stils datiert und in der Kanzlei Nesselrodes abgefaßt 1 ). Menschikow hat sich streng an diese Instruktionen gehalten, obgleich sie keineswegs in allen Punkten seinen persönlichen Überzeugungen entsprachen. Die erste dieser Instruktionen bewegte sich in Gemeinplätzen und war im wesentlichen eine kurze Zusammenfassung des russischen Standpunktes in der Frage der heiligen Stätten. Die zweite, „geheime" Instruktion ging von der Annahme aus, daß die russischen Forderungen bewilligt werden würden, schrieb aber für den Fall, daß dies nicht geschehen sollte, dem Fürsten vor, eine feierliche Audienz zu verlangen und dem Sultan dabei zu erklären, daß er (der Botschafter) Konstantinopel mit dem gesamten Personal der Botschaft verlassen werde, gegen die inkorrekte Handlungsweise der Pforte protestiere und die Verantwortung für die Folgen des Abbruchs der Beziehungen den Räten der Pforte zuschiebe, die die russischen Anträge zu Fall gebracht hätten. Die angedrohte Abreise solle er nach drei Tagen ausführen. Die dritte Instruktion wies darauf hin, daß der Sultan unter dem Druck französischer Drohungen stehe und daher Neigung zeigen werde, sich Rußland zu nähern. In solchem Falle solle Menschikow mit dem Antrag eines Defensivbündnisses hervortreten, welches der Pforte den Schutz Rußlands vor einem drohenden französischen Protektorat über Jerusalem sichern werde und als Gegenleistung nur die Unterzeichnung einer besonderen Konvention über die heiligen Stätten verlangen. 2) Sajontschkowski 1.1. Anfang Nr. 105—111. Es gibt außerdem ein handschriftliches Tagebuch Menschikows, das bisher noch nicht veröffentlicht ist, aber von Sajontschkowski in dem einleitenden Bande seiner Publikation benutzt und durch sonstige Zitate belegt wird.

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Die vierte Instruktion war wiederum als „geheim" bezeichnet. Sie legte die Absichten dar, die die Gegner Rußlands verfolgten : man wolle den russischen Einfluß im Orient brechen und dem katholischen Bekenntnis eine überwiegende Stellung sichern. Die türkischen Minister seien weit mehr blinde Werkzeuge politischer als religiöser Intrigen. Unter allen Umständen müsse der Firman in Kraft bleiben. Eine fünfte Instruktion gab Anweisungen für das Verhalten Menschikows den beglaubigten Vertretern der großen Mächte gegenüber. Den Franzosen solle er höflich aber fest entgegentreten und weder Kriegslust noch Furcht zeigen; sein Verhalten dem Nachfolger La Valettes gegenüber wird seinem eigenen Ermessen anheimgegeben. Mit England bestehe „eine gewisse Gemeinschaft der Interessen*. Die russische Auffassung der Frage der heiligen Stätten habe günstige Aufnahme gefunden, und die Instruktion Stratfords würde vom Vertrauen zur konservativen Politik Rußlands durchdrungen sein. Menschikow solle daher den Oberst Rose TXL gemeinsamer Wahrung des Friedens im Orient veranlassen. Mit Osterreich und Preußen stehe Rußland im besten Einvernehmen. Das gelte namentlich von ersterem, wie Menschikow aus seinem Verkehr mit Leiningen ersehen werde. Als Anlagen zu diesen Instruktionen erhielt Menschikow nach eine geschichtliche Darlegung der heiligen Stätten und den Entwurf einer mit der Pforte abzuschließenden Konvention in 7 Artikeln, von denen der erste bestimmte1), „daß die christlich-orthodoxe Konfession beständig in all ihren Kirchen beschützt werden soHe, daß die Gesandten des kaiserlich russischen Hofes, wie in der Vergangenheit, das Recht haben sollen, Vorstellungen zugunsten der Kirche in Konstantinopel und in anderen Orten und Städten, wie auch zugunsten der Geistlichen, zu machen, und daß diese Ermahnungen (remontrances) als von einer benachbarten und aufrichtig befreundeten Macht kommend aufgenommen werden". Als Mitglieder der orthodoxen Kirche wurden dabei alle (la totalité) Bewohner der l ) Sajontschkowski 1.1. Anlage 110: »que la religion orthodoxe sera protégée constamment dans toutes les églises, et que les ministres de la Cour Impériale de Russie seront, comme par le passé, en droit de faire des représentations en faveur des églises de Constantinople et d'autres lieux et villes, comme aussi en faveur du clergé, et que ces remontrances seront reçues comme venant au nom d'une puissance voisine et sincèrement amie."

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Moldau, der Walachei, Serbiens und mehrere (diverses) andere christliche Bevölkerungen in den verschiedenen Provinzen der Türkei bezeichnet. Artikel 2 und 3 betrafen die Privilegien und die Unabsetzbarkeit der vier orientalischen Patriarchen. Artikel 4 verpflichtete die Pforte, die Rechte des Patriarchen von Jerusalem zu schützen und aufrechtzuerhalten, doch nicht zum Schaden anderer christlicher Konfessionen. Artikel 5 verlangte den Erlaß eines Hatt-Humajun, der alle früheren der griechischen Kirche Jerusalems verliehenen Firmans anerkennen und genau diejenigen heiligen Stätten aufführen sollte, die von alters her den Rechtgläubigen und den Katholiken gehörten'). Der letzte Artikel (6) verlangte Anweisung eines Platzes in Jerusalem zum Bau einer Kirche und eines Hospizes. Menschikow erhielt außerdem d«n Entwurf zu einem Defensivbündnis mit der Türkei und einen vom 24. Januar datierten Brief des Kaisers an den Sultan, der in den wesentlichen Punkten alle Instruktionen Menschikows in höflicher, aber zugleich fast drohender Sprache zusammenfaßte und mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Allianz schloß. Menschikow traf so ausgerüstet am 28. Februar in Konstantinopel ein, nachdem er vorher in Sewastopol die russische SchwarzeMeer-Flotte hatte Revue passieren lassen. Zu seinem Gefolge gehörten die Adjutanten des Kaisers, Fürst Golitzyn und Vizeadmiral Kornilow, General Nepokoitschitzki, Stabschef des 5. Korps, und Graf Dmitri Nesselrode. Sein Schiff, der Gromonosetz (Donnerer), hielt vor der russischen Botschaft, und Menschikow stieg bei Top-Hane an Land bei großem Zudrang der griechischen Bevölkerung. Es wird genügen, den Verlauf der nun beginnenden Verhandlungen nur in ihren wesentlichen Zügen zu verfolgen. r

) „avec désignations des Sanctuaires réservés au culte orthodoxe et à ses desservants d'après leurs anciens droits et de ceux que les religieux du culte catholique-romain possèdent d'ancienne date ou qui leurs sont onverts aujourd'hui pour y célébrer leurs offices." Die Nachricht von der Sendung Menschikows hatte einen Kurssturz an den Pariser Börsen zur Folge. England, dem man die Instruktion Menschikows mitteilte, hatte eine freundliche Haltung eingenommen, Brunnow hatte aber nur einen Auszug mitgeteilt, weil er fürchtete, „de nous aliéner la grande Bretagne en mettant en avant l'idée du Sened". Longuinow an Dmitri Nesselrode, 19. März 1853. Lettres et papiers, 1.1.

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Den Minister des Äußeren, Fuad Effendi, ließ er wissen, daß er am 2. März sich zur Hohen Pforte begeben werde, um zu vereinbaren, wann er sein Beglaubigungsschreiben dem Sultan übergeben könne. Es erregte Aufsehen, daß er in Zivil erschien, und noch mehr, daß er es versäumte, Fuad Pascha, der ihn bei seiner Ankunft empfangen hatte, einen Besuch abzustatten. Fuad bat infolgedessen um seine Entlassung, die der Sultan ihm auch bewilligte, nachdem er erfahren hatte, daß Menschikow, falls Fuad im Amt bleiben sollte, zwar bereit sein werde mit ihm zu verhandeln, aber mit einem Mann, der weder Treu noch Glauben halte, nicht in gesellschaftlichen Verkehr treten könne. Am 6. März wurde infolgedessen Rifaat P. zum Nachfolger Fuads ernannt und der 8. als Tag vereinbart, an dem die Audienz stattfinden solle. Als Menschikow im Palais des Sultans erschien, stellte er die Forderung, daß der Sultan ihm nach Übergabe des Beglaubigungsschreibens eine Unterredung unter vier Augen gewähren solle. Das widersprach allem Brauch, aber der Sultan fügte sich, und nachdem Menschikow sein Kreditiv überreicht hatte, entfernten sich sowohl die türkischen Notabilitäten, die der Szene beigewohnt hatten, wie die Suite Menschikows. Daß der Fürst im Überrock beim Sultan erschienen sei, ist eine der zahlreichen Fabeln, die über Menschikows Aufenthalt in Konstantinopel verbreitet wurden'). Dem Sultan übergab Menschikow das Schreiben Nikolais und erbat, ohne auf andere Fragen einzugehen, für sich das Recht, direkt, ohne vorherige Anmeldung durch den Minister des Auswärtigen, den Sultan in seinem Palais besuchen zu dürfen. Abdul Medjid wagte nicht nein zu sagen, aber diese durch das Gerücht noch vergrößerten Vorfälle machten einen so starken Eindruck auf den englischen Geschäftsträger Oberst Rose, daß dieser gegen seine Instruktionen®) sich entschloß, das in Malta liegende englische Geschwader nach Varia (im Golf von Smyrna) zu rufen, worauf Napoleon seine Mittelmeerflottille nach Salamis schickte, wo sie ') Ebenso falsch ist es, daß das Beglaubigungsschreiben in russischer Sprache redigiert gewesen sei, wie noch bei Bapst pg. 346 zu lesen ist. Der Text war wie üblich französisch. s ) Instruktion Russells an Rose vom 19. Februar 1853: „It is said that the emperor of Russia will demand the dismissal of Fuad Effendi. On this question you will take no part one way or the other." Zitiert von Bapst pg. 351.

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am 22. März Anker warf. Dagegen folgte Admirai Dundas nicht dem Ruf von Rose, er blieb bis auf weiteres in Malta. Anfang April trafen jedoch der französische Botschafter de la Cour und einen Tag vor ihm Lord Stratford de Redcliffe in Konstantinopel ein. Da Napoleon in der Frage der heiligen Stätten einen Bruch vermeiden wollte und de la Cour entsprechend instruiert war, Menschikow sich gleichfalls entgegenkommend zeigte, der englischen Regierung im Grunde gleichgültig war, ob Lateiner oder Griechen in Jerusalem vorherrschten, gelang es Menschikow, sich mit seinem französischen Kollegen über zwei Firmans zu verständigen. Der erste betraf die große Kuppel des heiligen Grabes, der zweite sollte eine Bestätigung des Firmans vom 8. Februar 1852 sein, gegen den La Valette protestiert hatte und auf den Nikolai so großen Wert legte. Am 4. Mai übersandte die Pforte vidimierte Kopien beider Firmans 1 ) dem Fürsten Menschikow, der am 5. erklärte, daß er sie seiner Regierung vorlegen werde, aber er fügte hinzu, daß er keine Antwort auf den wichtigsten Teil seiner Mitteilungen erhalten habe, nämlich in betreff des Vertrages, der bestimmt sei, die Interessen der orthodoxen Kirche im Orient zu sichern. Seine Instruktionen nötigten ihn, eine Antwort bis zum 10. Mai als letztem Termin von der Pforte zu verlangen 3 ). Die Türken, die durch den [Erlaß der beiden Firmans die Frage der heiligen Stätten für erledigt gehalten hatten, wandten sich nun arg enttäuscht an die Vertreter Englands und Frankreichs mit der Bitte um ihren Rat. Beide rieten mit großer Bestimmtheit, den Anspruch, den Rußland auf ein religiöses und administratives Protektorat über 11 bis 12 Millionen türkischer Untertanen erhebe, nicht anzuerkennen. Ein Versuch Stratfords, durch direkte Unterhandlungen Menschikow umzustimmen, scheiterte ; unter seinem Einfluß gewährte zwar die Pforte am 10. Mai den Russen das Recht, eine Kirche in Jerusalem zu bauen, und versprach dazu, Rechte und Privilegien der griechischen Kirche zu achten, verweigerte aber den Abschluß des Vertrages, der eine Einmischung in die bürgerlichen Angelegenheiten der orthodoxen Untertanen möglich gemacht hätte. So schien, wenn keiner nachgab, ein Bruch bevorzustehen. Sajontschkowski 1.1. Nr. 128 und 129. ) Sajontschkowski Nr. 126. „II (der Botschafter) ne pourrait considérer un plus long délai que comme un manque de procédés envers son gouvernement, ce qui lui imposerait les plus pénibles obligations." a

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Da fand sich Menschikow bereit, auf einen förmlichen Vertrag zu verzichten und sich mit einem Kabinettsbefehl, einem Sened, zu begnügen. Eine Antwort auf diesen Vorschlag wollte er am 14. haben. Was nun folgte, erzählt uns der Großwesir Mehmed Ali Pascha selbst 1 ): Fürst Menschikow ließ, da er auf hartnäckigen Widerstand meinerseits stieß, den Gedanken des Sened fallen und schlug eine Offensiv- und Defensivallianz vor"). Da dieser Vorschlag die Türkei mit gebundenen Händen und Füßen Rußland ausgeliefert hätte und gleichzeitig unvermeidlich zu einem Bruch mit Frankreich und England führen mußte, versuchte ich, auf den ersten Vorschlag des Fürsten, den Sened, zurückzukommen. Ich hatte sehr wohl bemerkt, daß der Fürst Menschikow nicht die Absicht hatte, es zu einem Bruch kommen zu lassen, daß er ihn vielmehr vermeiden wollte. Ich gestehe, daß beim Suchen nach einer friedlichen Lösung ich unterstützt wurde: 1. durch den Fürsten Menschikow; 2. durch den ersten Dragoman der russischen Botschaft Argyropulo. Ich wurde behindert 1. durch Reschid Pascha^ 2. durch den Logotheten Nicolas Aristarchi, 3. durch die Herren Oserow und Balabin. Der erstgenannte wollte wieder ins Amt kommen, der zweite verfolgte persönliche Zwecke, die beiden letzten fürchteten, sich ihrer Regierung gegenüber zu kompromittieren. Es kam vornehmlich darauf an, den Einfluß des versöhnlich gestimmten russischen Dragomans Argyropulo auf Menschikow zu beseitigen und ihn den Händen des Logotheten Aristarchi und durch diesen Reschid Pascha auszuliefern. Das wurde folgendermaßen erreicht: man ließ den Sultan wissen, daß Argyropulo ein Landhaus besitzen möchte, aber zu arm sei, es zu kaufen. Der Sultan schenkte ihm ein Haus in Bujukdere. Ich erfuhr es und versuchte die Intrige zu durchkreuzen und verlangte Aufschub des Geschenks. Aber der Logothet Aristarchi kam mir zuvor. Er übergab dem von seinem Glück berauschten Argyropulo die Schlüssel des Hauses, was im Orient ein Zeichen des Besitzes ist, und ging dann sofort ihn bei Menschikow denunzieren. Menschikow stellte seinen ersten Dragoman zur Rede, und da er dessen Versicherung, daß er mit diesem Geschenk ') Thouvenel 1.1. pg. 148 sq. 2) Es kann sich nur um eine Defensivallianz nach den Instruktionen Menschikows gehandelt haben, aber die Grenze dieser Begriffe ist kaum zu ziehen.

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nichts zu schaffen gehabt habe, keinen Glauben schenkte, suspendierte er ihn in seinen Funktionen. In der Tat war Argyropulo so töricht gewesen, die Schlüssel entgegenzunehmen, anstatt sie zurückzuweisen. Er hatte sie seit einigen Stunden in Händen. Von da ab stand der Fürst Menschikow unter dem Einfluß Aristarchis oder vielmehr Reschid Paschas, der seinerseits dem Logotheten Versprechungen gemacht hatte, daß er ihm helfen werde, wieder zu Macht zu gelangen. Alle "übrigen Beamten des russischen Dragomanats waren nicht fähig, in einer politischen Verhandlung eine Rolle zu spielen. Inzwischen waren die Verhandlungen zwischen dem Botschafter und mir vorgeschritten. Ich kann versichern, daß diese Verhandlungen so gut wie abgeschlossen waren und daß ich mit dem Seraskier das Mittel ausfindig gemacht hatte, die letzte Schwierigkeit zu beseitigen. Es handelte sich darum, wie der Vertrag von Kutschuk Kainardje in der Note erwähnt werden sollte, die wir der russischen Regierung übergeben würden, denn aus dem Sened war eine Note geworden! Ich gebe zu, daß der Fürst Menschikow mir aufrichtig geholfen hat, die letzten Schwierigkeiten zu beseitigen. Ich hatte ihm namentlich bewiesen, daß Rußland uns durch seine Forderungen nötige, uns in die Arme der Seemächte zu stürzen, und daß der Augenblick kommen werde — wie es geschehen ist 1 ) — da wir nur noch Werkzeuge in ihren Händen sein würden, daß es uns nicht am Willen, sondern an der Möglichkeit fehle, nach eigenem Ermessen zu handeln. Ich sah schon längst, daß der Fürst aus der Sackgasse herauskommen wolle, in die er geraten war, indem er den Ratschlägen der Herrn Oserow und Balabin folgte, die von Eitelkeit und vom Wunsche, ihre Karriere nicht zu verderben, eingegeben waren. Ich erkannte, daß Rußland keinen Bruch haben wollte. Am 13. Mai sollte die letzte Hand an das Friedenswerk gelegt werden. Ich erwartete dazu den Fürsten Menschikow bei mir. Ich war vollkommen sicher, daß es gelingen würde. Aber Reschid Pascha war durch den Logotheten Aristarchi über die Lage unterrichtet worden. Der Friede war im Begriff, ohne sein Zutun geschlossen zu werden. Er beschloß, es mit einem großen Wurf zu wagen. Der Logothet ging zum Fürsten und brachte ihm die Versicherung, daß Reschid Pascha, wenn er Das Gespräch fand Mitte 1855 statt. S c h i e m a n n , Geschiobte Rußlands. IV.

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wieder ans Ruder komme, den Sened unterzeichnen werde, wie er ursprünglich vorgelegt worden war, ohne Berücksichtigung der Zugeständnisse, zu denen der Fürst Menschikow sich mir gegenüber verstanden hatte. Der Fürst fiel in die Falle. Statt zu mir zu kommen, ging er zum Sultan und verlangte und erhielt die Ere nennung Reschid Paschas zum Minister des Auswärtigen Der weitere Verlauf dieser Intrige, in der orientalische und russische Gewissenlosigkeit eine gleich schimpfliche Rolle spielen, ist der gewesen, das Reschid Pascha statt wie Menschikow erwartete, sofort die russischen Forderungen zu bewilligen, erklärte, daß er fünf Tage brauche, um die Akten zu studieren. Menschikow antwortete, er könne unter diesen Umständen die diplomatischen Verhandlungen mit der Pforte nicht fortsetzen, wolle aber noch drei Tage warten, ehe er Bujukdere verlasse. Am 18. Mai erhielt er darauf von Reschid eine Antwort, die mit Redcliffe vereinbart war und in religiöser Beziehung Zugeständnisse machte, aber die Verwaltungsfragen überging, worauf Menschikow erklärte, daß eine Weigerung von Garantien es Rußland unmöglich machen werde, ferner eine Botschaft in Konstantinopel zu unterhalten, und es daher Bürgschaften für seine Rechte in der eigenen Macht suchen müsse. Jede Veränderung des Status quo der orientalischen Kirche werde vom Kaiser als ein Bruch der Verträge betrachtet werden. Er schloß daran einen Brief an Reschid Pascha, in welchem er die Hoffnung aussprach, daß die alte Allianz mit der Türkei von ihm bei günstiger Gelegenheit erneuert werden würde. Brief und Note wurden den Botschaftern Englands und Frankreichs vorgelegt, die in Hinblick auf den Ernst der Lage nun auch die Vertreter Österreichs und Preußens zu einer Beratung heranzogen. Auf ihre Zuspräche entschloß sich Menschikow, eine Note Reschids anzunehmen, ohne auf einen Sened zu bestehen. Er sandte darauf der Pforte den von ihm selbst redigierten Entwurf einer Note zu, deren Text so gefaßt war, daß ein russisches Protektorat über die christliche Bevölkerung allerdings ausgeschlossen war. Aber der Schlußartikel dieser Note erregte M i ß t r a u e n w a s Sajontschkowski Nr. 147, Punkt 4 : „On donnera les firmans et les ordres nécessaires à qui de droit et aux patriarches grecs pour l'exécution de ces décisions souveraines, et o n s ' e n t e n d r a u l t é r i e u r e m e n t s u r l a r é g u l a r i s a t i o n d e s p o i n t s de d é t a i l q u i n ' a u r o n t p a s t r o u v é p l a c e tant dans les firmans concernant les Lieux-Saints de Jérusalem que dans la présente notification."

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Stratford veranlaßte, nochmals die Vertreter Frankreichs, Österreichs und Preußens zu berufen und in ihrem Namen *) der Pforte abzuraten, den Text Menschikows zu genehmigen. Am 20. Mai erhielt der Fürst den ablehnenden Bescheid nebst der Mitteilung, daß die Pforte selbst einen Firman erlassen werde, der die geistlichen Privilegien der griechisch-orthodoxen Kirche feststellen werde. Das bedeutete den Bruch. Am 21. Mai verließ Menschikow auf dem Gromonoszew Bujukdere, um nach Odessa zu fahren. Am 27. folgte auch der Geschäftsträger und das Personal der Botschaft, nur der Dragoman und die Kanzlei des Konsulats blieben zurück. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es Stratford gewesen ist, dessen politisches Spiel den Bruch unvermeidlich gemacht hat. Auf Grund eines Berichts, den er am 15. Mai aus Konstantinopel hatte abgehen lassen, schickte ihm am 31. Mai Lord Clarendon eine Note zu, die ihn bevollmächtigte, die englische Flotte aus Malta herbeizurufen, während gleichzeitig Admiral Dundas den Befehl erhielt, den Anordnungen des Botschafters Folge zu leisten. Damit hatte Stratford erreicht, was er wollte. Krieg und Frieden lagen in seiner Hand, und die Wahrscheinlichkeit war nur gering, daß dieser alte Feind Rußlands die Gelegenheit werde vorübergehen lassen, von der Machtfülle, über die er jetzt gebot, Gebrauch zu machen. Die englische Regierung hatte übrigens nicht unterlassen, zu maßvoller und versöhnlicher Haltung zu mahnen, und dem Botschafter vorgeschrieben, die Flotte nur auf ausdrücklichen Befehl des Sultans die Dardanellen übertreten zu lassen. Noch überwog die friedliche Stimmung im Kabinett. In ähnlichem Geist war die Depesche gefaßt, die Drouyn de L'Huys dem französischen Botschafter zugehen ließ. Er wurde beauftragt, die Flotte aus Salamis näher an die Dardanellen heranzuziehen, wurde aber nicht im Zweifel darüber gelassen, daß Frankreich eine kriegerische Lösung des Konflikts nicht wünsche. In London wie in Paris rechnete man darauf, daß Österreich und Preußen sich nicht von den Seemächten trennen würden und daß Rußland schließlich einen Rückzug antreten werde. Man war entEs war eine Fälschung Stratfords, wenn er behauptete, daß die Vertreter Österreichs und Preußens der Ablehnung der Note Menschikows zugestimmt hätten. Sie hatten sich für inkompetent in dieser die Türkei allein angehenden Frage erklärt. Sajontschkowski, pg. 439, Anm. 4.

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schlössen, die in Koustantinopel gescheiterten Verhandlungen mit dem Petersburger Kabinett wieder aufzunehmen. Die Schuld am Scheitern der Mission Menschikows lag weniger an ihm als an Nesselrode; wenn wir von der allerdings verhängnisvollen Düpierung des Fürsten durch Reschid Pascha absehen, darf ihn kein Vorwurf treffen; er stand in Abhängigkeit von den Instruktionen Nesselrodes, denen auch der Kaiser nur zögernd zugestimmt hatte. Als am Morgen des 28. Mai der Kurier Menschikows in Petersburg eintraf, der die Nachricht vom Scheitern seiner Mission dem Kaiser überbrachte, schrieb Nikolai dem Fürsten Paskiewitsch: „Das also sind die Früchte eines Vorgehens, dem ich so ungern zugestimmt habe, da ich überzeugt war, daß es zu nichts führen, sondern nur die Bedeutung des Mißerfolges steigern werde, weil man der Sendung Menschikows einen so feierlichen Charakter verlieh. Wäre man, wie ich es wollte und wie die Österreicher es getan haben, mit Einschüchterung vorgegangen, so hätten wir wahrscheinlich denselben Erfolg errungen wie sie. Bevor ich aber mit Besetzung der Fürstentümer zu einer Aktion schreite, habe ich mich entschlossen, den Türken eine letzte Forderung zugehen zu lassen, mich im Laufe von acht Tagen zu befriedigen; wenn nicht, so erkläre ich den Krieg. Dem mit Dir vereinbarten Vorgehen entsprechend, will ich mich vorher auf kampflose Besetzung der Fürstentümer beschränken, falls die Türken nicht das linke Ufer der Donau überschreiten. Ich werde also abwarten, wozu die Besetzung führt. Geben sie nach, so werde ich außerdem die Bezahlung der Rüstungskosten verlangen und bis sie erstattet sind die Fürstentümer nicht verlassen. Bleiben sie hartnäckig, so lasse ich den Bosporus blockieren, die türkischen Schiffe im Schwarzen Meer wegnehmen und schlage den Österreichern vor, die Herzegowina und Serbien zu besetzen. Wirkt auch das nicht, so denke ich die Unabhängigkeit der Fürstentümer Serbien und Herzegowina zu verkündigen. Dann wird das türkische Reich schwerlich bestehen bleiben, wahrscheinlich wird es überall Erhebungen der Christen geben und die letzte Stunde der Türkei schlagen. Die Donau zu überschreiten beabsichtige ich nicht, es sei denn, daß das Reich zusammenbricht, aber auch dann schicke ich eher die Flotte, die ich in Bereitschaft halte, die 13. und 14. Division stehen komplett in Sevastopol und Odessa. Noch will ich glauben, daß Canning auf eigene Hand gehandelt

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hat und gegen Instruktion seiner Regierung. Das wird bald geklärt sein. Sollte aber die Regierung seine Handlungsweise billigen, so wäre es der ärgste Treubruch. Aber auch das wird mich nicht zurückhalten, ich werde meinen Weg gehen, nach Pflicht meiner Überzeugung, wie die Würde Rußlands es verlangt." Wer aber hätte im Hinblick auf die Prinzipien, die der Kaiser sein Leben lang, namentlich während der letzten Jahre, so laut und nachdrücklich kundgegeben hatte, glauben können, daß er selbst die Untertanen eines legitimen Herrschers, wie er es hier als seine Absicht ankündigte, zum Aufstande ermuntern werde? Unzweifelhaft ist, daß er noch jetzt am liebsten einem Kriege mit der Türkei aus dem Wege gegangen wäre. Er ließ Castelbajac durch Nesselrode mitteilen, daß der Kaiser von Frankreich erwarte, daß es die Pforte bewege, den russischen Forderungen nachzugeben, und gab persönlich dem Botschafter sein Ehrenwort, daß wenn er die Fürstentümer besetzen müsse, er sich nur gegen einen türkischen Angriff verteidigen, nicht' selbst angreifen werde. Wie im Jahr 1827 versicherte er feierlich, daß er keinen Zoll türkischen Bodens annektieren wolle Aber sein Brief an Paskiewitsch zeigt, daß seiner Auffassung nach die Begründung russischer Vasallenschaften auf türkischem Boden dadurch keineswegs ausgeschlossen war. Nun war Napoleon bereits entschlossen, unter allen Umständen Hand in Hand mit England zu gehen. Der Grund der maßvollen Haltung, zu der er sich bisher verstanden hatte, war die Furcht, schließlich isoliert den Russen gegenüberzustehen 1 ). Eine Vermittlung seinerseits konnte daher nicht aufrichtig gemeint sein. Als am 2. Juni die englische Flotte den Befehl erhielt, in die Besikabai zu segeln, schickte Napoleon auch die französische aus Salamis in diese Wetterecke der orientalischen Frage. Am 13. Juni warf sie Anker neben der englischen Flotte. Inzwischen hatte Nesselrode den Botschaftsrat Balabin mit einem Thouvenel an Castelbajac, 1. Juni 1853: „Voici la raison de notre modération: n o u s ne p o u v o n s d o u t e r que l'Angleterre, et même la Prusse et l'Autriche, achèteraient volontiers à n o s d é p e n s une transaction, en conseillant à la Russie de borner la convention qu'elle désire aux Lieux Saints . . . , was natürlich eine Niederlage Frankreichs bedeutet hätte. Thouvenel fährt daher fort: „Au point où en sont les choses, nous aimerions que tout se gâtât, que de payer s e u l s les frais d'une réconciliation!" Das war zynisch, aber aufrichtig.

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Schreiben an Reschid Pascha abgefertigt, das in 8 Tagen Unterzeichnung der von Menschikow zurückgelassenen Note verlangte. Die Antwort fiel, wie unter dem jetzt fast unbeschränkt wirkenden Einfluß Stratfords vorauszusehen war, unbefriedigend aus, worauf Balabin am 17. Juni das russische Botschaftsgebäude in Pera abschloß und nach Odessa segelte. Es ist dann noch auf Grund einer Initiative des früheren Großwasirs Mehemed-Ali daran gedacht worden, den Konflikt durch Sendung eines türkischen Bevollmächtigten nach Petersburg beizulegen. Da aber auf einen Fühler, der an ihm herantrat, der Kaiser Nikolaus erklärte, daß er nur eine Sühnegesandtschaft empfangen würde, wurde der von Reschid Pascha nicht begünstigte Plan fallen gelassen. Gleich erfolglos blieb ein Versuch Buols, Rußland zu veranlassen, die Besetzung der Fürstentümer zu vertagen, weil es ihm sonst schwer fallen werde, den dringenden Aufforderungen Frankreichs und Englands zu widersprechen, die eine Konferenz der vier Westmächte zur Regelung der orientalischen Schwierigkeiten berufen möchten. Der Kaiser glaubte darin eine Art Drohung') zu erkennen, und die Wirkung war die entgegengesetzte. Am 3. Juli begannen die russischen Truppen den Pruth zu überschreiten. „Den von uns angenommenen Plan", schrieb der Kaiser an Paskiewitsch, „werde ich fest einhalten, ohne mich um den Zorn Englands und Frankreichs zu kümmern, ich folge meiner Einsicht, in festem Vertrauen auf die Gnade Gottes . . Nächster Tage muß die Entscheidung fallen; was Gott gefällt, das werde ich mit Ergebung hinnehmen." Vorausgegangen war ein Manifest des Kaisers, das dem russischen Volke den bevorstehenden Einmarsch in die Fürstentümer ankündigte und als Motiv die Verteidigung des orthodoxen Glaubens, dessen Rechte von der Türkei verletzt würden, angab. Von der Rolle, die England und Frankreich in Konstantinopel gespielt hatten, war keine Rede, doch erklärte der Kaiser, daß er den Vormarsch seiner Truppen einstellen werde, sobald die Pforte sich verpflichte, gewissenhaft die Privilegien der rechtgläubigen Kirche zu wahren. Auf Eroberungen gehe er nicht aus, Rußland bedürfe ihrer nicht. Das war maßvoller, als sich nach allem, was vorausgegangen *) Bapst weist den Gedanken Balabin und la Cour zu, doch ist die Initiative Mehemed-Alis durch sein Gespräch mit Thouvenel bezeugt. 2 ) „une espece de menace." Nesselrode an Meyendorff, 25. Juni 1853.

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war, erwarten ließ. Um so auffallender war es, daß gleich danach das offizielle Organ des Auswärtigen Amtes, das Journal de St. Petersbourg, ein an die Vertreter Rußlands im Auslande gerichtetes Zirkular veröifentlichte, das die Besetzung der Fürstentümer als Antwort auf das Erscheinen der englischen und der französischen Flotte in der Besikabai darstellte. Obgleich Napoleon darauf nicht ohne Schärfe nunmehr auch seinen diplomatischen Vertretern im Auslande ein Zirkular zugehen ließ das die russischen Ausführungen widerlegte und es im Moniteur veröffentlichte, machte er einen früher gefaßten Entschluß nicht rückgängig, der dahin ging, eine Vermittelung zwischen Rußland und der Türkei herbeizuführen. Eine Note, die in Paris entworfen wurde, war so gehalten, daß sie Rußland befriedigen und von der Pforte unterzeichnet werden konnte. Da auch Clarendon zustimmte, wurde Castelbajac beauftragt, sie dem Kaiser zu eigenen Händen zu überreichen. Das geschah am 8. Juli zugleich mit einem Memorandum, das mit großem Geschick abgefaßt war. Es waren aber gleichzeitig ein selbständiger englischer und ein österreichischer Vermittlungsvorschlag an den Kaiser herangetreten, der es nun auf den Rat von Nesselrode und Senjavin vorzog, die Verhandlungen mit der Türkei Österreich zu überlassen. Die Abneigung Nesselrodes gegen die französische Regierung scheint bei dieser Entscheidung mitgespielt zu haben. Frankreich wurde mit höflichem Dank abgewiesen und der österreichische Bundesgenosse gebeten, seine Verhandlungen mit der Pforte fortzuführen. Es dauerte aber noch bis zum 28. Juli, ehe Buol in Anknüpfung an den französischen Vorschlag den Text einer Vermittlungsnote feststellen konnte, für den er die Vertreter Englands, Frankreichs und Preußens in Wien gewann. Diese „Wiener" Note, die den Sultan verpflichten wollte, dem Buchstaben und dem Geist des Vertrages von Kutschuk-Kainardschi gerecht zu werden, wurde dem österreichischen Geschäftsträger nach Petersburg zugeschickt. Gleich danach traf jedoch in Wien ein Brief Reschid Paschas an den Grafen Nesselrode ein, der unter dem Einfluß Lord Stratfords verfaßt war und in Konstantinopel den Vertretern der drei anderen Mächte vorgelegen hatte. Dieser türkische Entwurf war weniger entgegenkommend als die Wiener Note, aber Reschid Pascha hatte erklärt, daß er weiter in seinen Zugeständnissen nicht gehen könne und daß neue Forderungen Rußlands die Türkei nötigen würden, zum Schutz ihrer Unabhängig-

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keit zu den Waffen zu greifen 1 ). Auf Antrag Buols wurde dieser Konstantinopeler Entwurf mit Zustimmung der anderen Kabinette nach Konstantinopel als unannehmbar zurückgeschickt und den vier Vertretern der Mächte befohlen, ihre Anstrengungen zu vereinigen, um die Pforte zur Annahme des Textes zu veranlassen, den man der russischen Regierung bereits vorgelegt habe. Nikolai hat dann am 3. August die Wiener Note ohne jede Einschränkung angenommen und nur verlangt, daß die Pforte sich gleich bestimmt zu ihr bekenne. Er war sehr zufrieden mit der Haltung Österreichs und voller Anerkennung für Franz Joseph. „Gott sei Dank", schrieb er Paskiewitsch, „die türkische Zanksucht schlägt in eine friedliche Stimmung um . . . ist es nicht interessant, daß England und Frankreich sich Österreich anschließen mußten, um die Zustimmung der Türkei gerade dafür zu fordern, was sie auf jede Weise zum Gegenstand des Zwistes machen wollten . . . Es fragt sich nur, ob jetzt die Türken zustimmen werden, und ob Stratford Canning bereit sein wird, sich selbst zu widersprechen . . Ich zweifele daran! Aber wie wird dann die weitere Rolle Englands und Frankreichs sein?" inzwischen aber hatten die Russen den Pruth überschritten, und den Hospodaren der Moldau und Walachei war der Befehl zugegangen, ihre Beziehungen zur Pforte abzubrechen und die Tributzahlungen einzustellen; GrafAnrep aber, der die Avantgarde der russischen Südarmee befehligte, hatte bereits Bukarest besetzt. „An der Donau", schrieb der Kaiser in dem oben zitierten Briefe, „werden wir abwarten, was die Türken unternehmen; lange in ihrer Stellung zu bleiben, wäre töricht, denn sie gehen daran zugrunde; immer klarer tritt die Unfähigkeit ihrer Regierung zutage, sogar in den Augen der Türken, und es ist zu befürchten, daß eine Revolution ausbricht! Mit einem Wort, kommt es nicht zum Kriege, so sehe ich den baldigen Zusammenbruch der Türkei voraus." Es kam aber zum Kriege, und wenn man die Stadien der nun folgenden Entwicklung verfolgt, läßt sich nicht verkennen, daß es die Rechthaberei Nesselrodes und der entschlossene Wille Stratfords gewesen sind, die einen anderen Ausgang verhindert *) Über diese Verhandlungen ist Bapst, Kap. XIV zu vergleichen, wo die einzelnen Entwürfe der Noten ausführlich dargelegt und kritisiert werden. Die Konstantinopeler Note datiert vom 25. Juli.

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haben. Die überwiegende Persönlichkeit Lord Stratfords, der aus seiner Abneigung gegen Rußland kein Hehl machte^ stärkte die Kriegslust der Türkei und hatte schon am 27. Juli ein Manifest des Sultans zur Folge gehabt, das seinen Untertanen die Gründe darlegte, die zu einem Konflikt mit Rußland geführt und ihn veranlaßt hatten, eine „bewaffnete Haltung an der Donau und an den asiatischen Grenzen einzunehmen, ohne deshalb die schwebenden Verhandlungen abzubrechen". In diesem Manifest, das in Konstantinopel und in allen Provinzen des Reichs auf Befehl des Sultans veröffentlicht wurde, was ohne Stratfords Zustimmung nimmermehr geschehen konnte, fand sich aber der Satz, „daß England und Frankreich, als Vertreter von Seemächten, leuchtende Beweise ihres guten Willens und ihrer Absicht gegeben hätten, mit all ihrer Macht die Autorität Seiner Kaiserlichen Majestät zu unterstützen 1 )". Das Manifest war in einer feierlichen Ratssitzung unter Vorsitz des Großwesirs in Gegenwart des Scheich ul Islam, der Ulemas, der Mitglieder des Großen Rats und aller Minister und hohen Beamten der Pforte beschlossen und unterzeichnet worden. Es war noch keine Kriegserklärung, aber eine Vorbereitung des Volkes auf einen Krieg mit Rußland. Nesselrode mußte, als er am 12. August seine Polemik gegen die Note des Moniteur in seinen für Drouyn de L'Huys bestimmten Depeschen an Kisselew aufnahm, von dieser Stimmung der Pforte Kenntnis haben, vermochte sich aber ebensowenig zu mäßigen, wie in dem Gespräch, das er am 11. August mit Seymour hatte, als dieser ihn darauf aufmerksam machte, daß die gegen die Hospodare getroffenen Maßregeln in England und in Frankreich um so peinlicher berührt hätten, als beide Mächte gerade jetzt bemüht seien, dem Kaiser zu einer Verständigung mit der Türkei zu verhelfen. Der Graf antwortete: „Sie wünschen, daß wir die Fürstentümer räumen, ich werde mir nicht erlauben, über dieses Thema zu sprechen; ich bin überzeugt, daß Sie mit Ungeduld darauf warten, Ihre Schiffe aus der Besikabai zurückzuziehen, wir sind, wie ich versichere, ebenso ungeduldig, die Fürstentümer zu räumen. Es ist besser, von diesen Dingen nicht zu reden . . . Die Antwort Seymours war eine Andeutung, daß die Ungunst l ) „ont donné des preuves éclatantes . . . . de toute leur force l'autorité de S. M. Iwp."

de leur intention d'appuyer

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der Jahreszeit die Flotten nötigen könnte, in die Dardanellen einzurücken. In diesem Ton gingen die diplomatischen Korrespondenzen weiter, bis am 19. August die Türkei- die Wiener Note ablehnte und die Annahme der von Reschid und Stratford in drei Punkten modifizierten Wiener Note verlangte. Der Kaiser war zunächst nicht abgeneigt, sich dazu zu verstehen, zumal nunmehr alle vier Mächte bemüht waren, ihn dazu zu bewegen; aber auch diesesmal überwog der Einfluß Nesselrodes. Nach längerem Schwanken (zu vergleichen die Anlage [Brief Friedrich Wilhelms]) lehnte er am 7. September noch in ziemlich maßvollem Tone die Annahme des türkischen Entwurfs ab. Gleichzeitig aber versandte Nesselrode wiederum ein Zirkular an die diplomatischen Agenten Rußlands, das bei der Erklärung blieb, daß Rußland keine Veränderung der Wiener Note dulden könne 1 ) und erwärte, daß ein türkischer Botschafter sie nach Petersburg bringe; geschehe das, so werde der Kaiser sofort seinen Truppen den Befehl zugehen lassen, aus den Fürstentümern abzuziehen. Ein zweites Zirkular Nesselrodes ging aber bei Prüfung der Note Reschids so weit, daß die Seemächte daraus den Schluß zogen, daß Rußland sein Recht aufrechterhalte, offiziell in der Türkei zu intervenieren und die Rechte der griechisch-orthodoxen Kirche aufrechtzuerhalten 2 ). Das war eine unwillig aufgenommene Überraschung, die Frankreich und England veranlaßt«?- der Pforte zu erklären, daß die Note, wie sie in Wien formuliert sei, Rußland kein Recht gebe, in die Beziehungen der Pforte zu ihren Untertanen einzugreifen und daß die Mächte jederzeit an dieser Auslegung der Note festhalten würden. Clarendon erklärte, er könne nach diesem Zirkular der Pforte nicht mehr zu Unterzeichnung der Wiener Note !) „Je me bornerai pour le moment à demander si l'Empereur, après s'être interdit la faculté de changer même un seul mot à un projet de note arrêté sans sa participation, peut admettre que la Porte ottomane se réserve à elle seule cette faculté, et souffrir que la Russie soit ainsi placée vis-à-vis de la Turquie dans une position d'infériorité? Nous pensons que la dignité de l'Empereur s'y oppose!" a ) Drouyn de L'Huys an Bourquenay, Paris 17. September: ,11 résulte clairement de son (Nesselrodes) argumentation que la Russie prétend s'ingérer dans les rapports du Sultan avec ses sujets chrétiens, et veiller elle même à l'avenir, comme le traité de Kaïnardji . . atteste qu'elle l'a fait dans le passé, au maintien des droits et immunités de l'Eglise grecque dans l'Empire Ottoman."

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raten, und beauftragte Stratford, das gleichzeitige Einfahren der englischen und der französischen Flotte in die Dardanellen anzuordnen. Da aber Lord Aberdeen sich nicht in Widerspruch zu dem Vertrage vom 10. Juli 1841 setzen wollte, ging noch einige Zeit hin, ehe am 4. Oktober beide Flotten den Befehl erhielten, nach Konstantinopel zu fahren. Schon vorher, am 25. September, lehnte die Pforte endgültig die Unterzeichnung der Wiener Note ab. Der Kaiser, der diese Entscheidung voraussah, hatte sie nicht abgewartet und war in Begleitung des preußischen Militärbevollmächtigten Grafen Münster nach Olmütz gefahren, um sich über die fortan einzuschlagende Haltung mit Franz Joseph zu verständigen, am 24. Septembef traf er in Olmütz ein, wo er den französischen General Goyon vorfand, den Napoleon hingeschickt hatte. Nikolai, der immer noch hoffte, daß es möglich sein werde, England und Frankreich zu trennen, ging so weit, den General zu den bevorstehenden Manövern nach Warschau zu laden, und als dieser die Einladung annahm, ihn zu beauftragen, Napoleon aufzufordern, nach Rußland zu kommen, wo er ihn „en frère" empfangen würde. Es ist nicht erstaunlich, daß Napoleon diesen Schritt des Kaisers als eine Taktlosigkeit empfand, er rief, als er davon erfuhr, Goyon „pour affaires urgentes" nach Paris zurück. Am 26. schickte Nikolai durch Münster einen Brief an König Friedrich Wilhelm, um ihn in seinem und des Kaisers von Österreich Namen auf den 24. Oktober nach Warschau einzuladen. Auch der Prinz von Preußen schließe sich diesem Wunsche an. Der Augenblick sei günstig, um der Welt zu zeigen, daß die alte Allianz der Ostmächte noch fortbestehe 1 ). Der König lehnte am 28. ab. Die Zusammenkunft werde einen festeren Anschluß Englands an Frankreich zur Folge haben. Dazu sei die öffentliche Meinung in Preußen gegen diese Reise. Wenn er auf dem nächsten Landtage versuche, das Land von dem Eide auf die Verfassung zu befreien, werde es heißen, das ist in Warschau befohlen wurden 2 ). Nikolai antwortete ') Charlottenburg, Hausarehiv: „Je serais heureux de nous voir réunir là, ou il y a peu de temps encore j'ai tremblé de voir cette union se dissoudre, et où Dieu a si miraculeusement dissipé les nuages amassés. Que cette session sacrée soit sous l'égide de ceux qui naguère l'ont fondée . . . . Dieu sera avec nous." 2 ) „N'oubliez pas que par la timidité politique de l'intrépide et preux Brandenbourg je suis lié par mon serment dont je ne veux me délivrer qu'en

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umgehend, indem er sowohl die Argumente, die der König aus der äußeren wie aus der inneren Politik vorgebracht hatte, zurückwies und mit einem enthusiastischen Appell an ihre Freundschaft schloß1). Der König hat darauf, dem Zureden der Königin, Gerlachs, Münsters und des Prinzen von Preußen folgend, nachgegeben. Am 2. Oktober verließ ei Berlin, um nach Warschau zu fahren. In Olmütz war unterdessen das Protokoll einer Note festgestellt worden, die der Pforte übergeben werden sollte und die einen Rückzug Rußlands anzeigte. Der Kaiser verlangte nur noch die Erhaltung des religiösen status quo, sowie Gleichberechtigung mit den andern christlichen Konfessionen und erklärte, daß er keineswegs die außer Gebrauch gekommenen Privilegien oder Veränderungen in der Verwaltung fordere. Die Zusammenkunft in Warschau führte aber nicht, wie Nikolai offenbar gehofft hatte, zu erneuten Allianzverträgen. Der König zeigte sich nur bereit, mündlich zu erklären, daß er im Kriegsfall eine völlig unparteiische Haltung einnehmen werde, und darüber ging man auseinander. Kaum aber war der König in Potsdam eingetroffen, so meldete ihm am 6. eine Depesche, daß der Kaiser Nikolaus unterwegs sei, ihn zu besuchen. Am 7. Oktober morgens traf er in Potsdam ein, wo er zwei Tage blieb. Er war aus eigenem Antriebe, ohne vorausgegangene Einladung gekommen, und es fiel der Umgebung des Königs auf, daß der Kaiser noch nie so zärtlich gegen den Schwager gewesen sei. Auch in Warschau habe er ihn mehr honoriert als Franz Joseph. Die Verhandlungen gingen über einen englischen Antrag. Lord Clarendon wollte sich der Olmützer Note nicht anschließen, war aber bereit, weiter zu unterhandeln, und zwar in London, wenn das Anerbieten dazu von Österreich und Preußen ausgehe, zugleich aber hatte er die beunruhigende Erklärung absuivant les loix sur lesquelles il a été prêté. Et c'est justement ce serment dont il faut que je délivre mes sujets et moi même. Or l'opinion publique est contre ce voyage. En la froissant je recule le terme de notre délivrance et je donne encore pour des années libre cours à l'action du venin constitutionel sur le corps de ma patrie. Les malveillants et les traîtres ont un schiboleth pour chaque situation. Celui qu'il feront agir contre ma tâche à la Diète prochaine sera après mon voyage sans doute: Varsovie l'a dictée . . l ) „venez joindre deux amis qui vous tendent les bras, venez voir une armée qui est la vôtre à vous deux, quand il s'agira de défendre vos droits — nos droits . . .

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gegeben, daß England durch seine Ehre verhindert sein werde, in einem Kriege Rußlands mit dor Türkei eine bloß passive Rolle zu spielen. Für den Kaiser war das Ergebnis dieser Verhandlungen, daß er die Überzeugung mitnahm, daß Preußen an der russischösterreichischen Allianz festhalten werde, sich aber volle Freiheit vorbehalte, mit England in Verhandlung zu treten 1 ). Während der Kaiser in Olmütz und Warschau verhandelte, war aber die Entscheidung in der Türkei bereits gefallen. Sie hat sich am 29. September für den -Krieg entschieden und am 1. Oktober veröffentlichte sie ein Manifest, welches nochmals die Gründe aufführte, die es der Pforte unmöglich machten, die Wiener Note anzunehmen, und mit der Erklärung schloß, daß die Regierung des Sultans sich genötigt sehe, Rußland den Krieg zu erklären, und Omer Pascha beauftragt habe, den General Fürsten Gortschakow aufzufordern, die Fürstentümer zu räumen und seinerseits die Feindseligkeiten zu beginnen, falls 14 Tage nach Eintreffen der Depesche Omer Paschas im russischen Hauptquartier eine ablehnende Antwort erfolge*). Omers Schreiben an Gortschakow datiert vom 8. Oktober, Gortschakows ablehnende Antwort vom 10. Nikolai wandte sich nunmehr wiederum an Österreich, damit dieses die Türkei zu Friedensvorschlägen bewege, was Buol veranlaßte, eine Botschafterversammlung zum 25. Oktober zu berufen. Aber während die Herren, die gemeinsam eine neue Friedensformel ausklügeln sollten, noch im Begriff waren, sich von ihren Regierungen neue Instruktionen zu erbitten, war die Entscheidung in der Türkei bereits gefallen. Die Türken hatten von Isaakscha aus eine die Donau hinauffahrende russische Flotte beschossen, und am 27. Oktober hatte Omer Pascha, der mit außerordentlichem Talent die türkischen Operationen leitete, die Donau überschritten, was der Fürst Paskiewitsch eine Frechheit nannte, aber die Türken hatten Kalafat und drei Tage danach Oltenitza genommen, endlich am 4. November einen russischen Angriff zurückgeschlagen. Auch im Kaukasus hatte der Krieg mit einer russischen Schlappe begonnen. Die russische Kriegserklärung, die nach der Sommation an Gortschakow nicht mehr zu umgehen war, erfolgte am 1. November Gerlach, Denkwürdigkeiten 7.—10. Oktober 1853. ») Sturdza: Actes et documents II Nr. 186 u. 187.

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und schloß wie alle Manifeste des Kaisers mit einer Anrufung Gottes, der die heilige und gerechte Sache Rußlands nicht im Stich lassen werde. „In te Domine speravi, non confundar in aeternum." Dem Fürsten Paskiewitsch aber schrieb Nikolai am 3. November: „Der Krieg ist entschieden. Wie und wann er enden wird, weiß Gott allein. Werden wir es nur mit den Türken zu tun haben haben oder auch auf Franzosen und Engländer stoßen? Was auch kommen mag, wir werden unseren Weg weiter gehen, bereit auf alles, und werden nicht weichen!" Es fand wiederum ein außerordentlich reger Briefwechsel zwischen dem Feldmarschall und dem Kaiser statt, der fast ausschließlich die vorzunehmenden militärischen Operationen betraf. Die Kriegspläne, die so heranreiften, mußten jedoch aufgegeben werden, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr zutrafen, d. h. sobald die Türkei nicht mehr der einzige Gegner war, der Rußland gegenüberstand. Als Admiral Nachimow am 30. November ein türkisches Geschwader, das aus 7 Fregatten, 3 Korvetten und 2 Dampfern bestand, auf der Reede von Sinope vernichtete, war damit eine politische Lage geschaffen, die es, um mit Lord Clarendon zu reden, der Ehre Englands verbot, untätig dem Kriege Rußlands mit der Pforte zuzuschauen. Nur einem der türkischen Dampfer, dem Taif, den ein englischer Kapitän, Slade, befehligte, gelang es zu entkommen. Er brachte die Trauerbotschaft nach Konstantinopel. Schon bevor die Nachricht von der Schlacht bei Sinope nach Petersburg gelangte, war Graf Nesselrode überzeugt, daß er einer englisch-französischen Kriegserklärung nicht entgehen werde. „In London", sagte er dem General Castelbajac, „beschäftigt man sich mit einem Vertragsentwurf. Er wird natürlich ganz zugunsten der Türken ausfallen, die es nicht schwer sein wird zur Annahme zu bewegen. Dann wird man ihn uns als Ultimatum vorstellen, und wenn wir ablehnen, werden England und Frankreich uns den Krieg erklären. Es ist traurig, daß dies der Abschluß meiner Laufbahn sein wird, der ich doch stets ein Friedensapostel gewesen bin. Der Stolz Lord Stratford de Redcliifes hat es dahin gebracht, daß wahrscheinlich ein allgemeiner Brand Europa erfaßt, bei dem wir alle nur verlieren und allein die Revolutionäre gewinnen werden. Ihr werdet dazu mit den Legitimisten und Orleanisten zu tun haben, die, um Eure Verlegenheiten zu mehren, sich uniert haben. Uns aber werden die Christen des Orients die Sorgen

Kapitel XIII.

Die Isolierung Rußlands.

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mehren, indem sie rebellieren, um uns zu helfen. Das alles ist kläglich und unsinnig 1 )." Noch am 14. Dezember war die Nachricht von Sinope in Petersburg nicht eingetroffen, und von diesem Tage datiert der letzte Brief einer vom Kaiser am 30. Oktober aufgenommenen Korrespondenz mit der Königin Viktoria, die zwar von beiden Seiten sehr freundschaftlich, man könnte sogar sagen, herzlich gehalten war, aber naturgemäß zu keiner Verständigung führte. Nach Sinope war sie vollends ausgeschlossen. Am 15. Dezember kam Lord Palmerston um seinen Abschied ein, nahm ihn aber zurück, als Aberdeen sich entschloß, energisch gegen Rußland vorzugehen. Trotzdem zog die Entscheidung sich noch bis in das Frühjahr hin. Erst am 27. Februar richteten England und Frankreich identische Noten an die russische Regierung, in denen sie die Forderung stellten, daß vor dem 30. April die Fürstentümer geräumt werden müßten, und erklärten, daß wenn im Verlauf von 6 Tagen keine Antwort erfolge, Rußland sich als im Kriegszustand England und Frankreich gegenüber zu betrachten habe. Am 18. März ließ der Kaiser durch Nesselrode entgegnen, daß es unter der Würde Rußlands sei, darauf eine Antwort zu erteilen. Schon vorher, am 12. März 1854, wurde der englisch-französische Bündnisvertrag mit der Türkei abgeschlossen. Am 27. März zeigten beide Regierungen ihren Parlamenten an, daß die Verhandlungen mit Rußland gescheitert seien. Am 28. erfolgte die formelle Kriegserklärung.

Kapitel XIII. Die Isolierung Rußlands. Wir können die Gedanken, welche dem Kaiser durch Kopf und Herz zogen, als er sich nach dem Scheitern der Mission Menschikows ganz wider Wunsch und Willen nicht nur in einen Krieg mit der Türkei verwickelt sah, sondern auch mit einer feindlichen Koalition rechnen mußte, in .ihren wesentlichen Zügen an der sehr regen Korrespondenz verfolgen, die er bis an sein Ende mit dem Generalfeldmarschall Paskiewitsch aufrechterhalten hat. Sie hatten sich beide über den glänzenden Erfolg bei Sinope gefreut und mit ihnen ganz Rußland, aber die politischen Folgen hatten ') Castelbajac an Thouvenel, Petersburg 2. Dezember 1853.

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beunruhigt. Man gewinnt den Eindruck, daß die Verhältnisse den Kaiser trieben und daß er weit mehr als er selbst es sich zugestanden haben mag, unter den Einfluß jener slavophilen Elemente geriet, die er in Schranken zu halten bemüht gewesen war. Damals sind jene Yerse Chonjakows entstanden und verbreitet worden, die unter dem Titel „Das westliche Slavenland, eine Vision" das russische Prag, und Donau, Drau und Save als russische Ströme feierte. Daß man ihm den Druck der Verse nicht gestattete, war zu einer Zeit, da man in Petersburg und Moskau einen Anschluß von Preußen und Österreich als etwas Selbstverständliches erwartete, eine Maßregel politischer Klugheit und zugleich die natürliche Folge der nach wie vor fortbestehenden strengen Zensurkontrolle. Aber die Tatsache, daß der Kaiser eine politische Haltung eingenommen hatte, die in ihren Konsequenzen, wie man in jenen slavophilen Kreisen annahm, die Ideale der Partei verwirklichen werde, und das geflissentlich hervorgehobene konfessionelle Motiv seines Vorgehens, das auch den breiten Massen des Volkes verständlich war, führte dahin, daß er bei allen Parteien populär wurde „wie nie zuvor" 1 ). Dabei wurde vorausgesetzt, daß die „unbesiegbaren" russischen Waffen einen glänzenden Erfolg erringen und nicht nur das russische Doppelkreuz auf der Hagia Sophia errichten, sondern auch, was in den politisch denkenden Kreisen der Slavophilen und des Offizierkorps kaum minder leidenschaftlich gewünscht wurde, Österreich aus der Reihe der Großmächte streichen würden. Der verhältnismäßig sehr kleine Kreis derjenigen, die einen Einblick in die diplomatische Tätigkeit des Kaisers und seiner Staatsmänner gewinnen konnten, hat sich solchen Illusionen nicht hingegeben. Die Gedanken des Kaisers waren auf Frieden gerichtet, und er hätte ihn dankbar aus jeder Hand entgegengenommen, die ihm zugleich die Möglichkeit bot, sich in Ehren der Zwangslage zu entziehen, in welche ihn das Scheitern der Menschikowschen Mission und der unglücklichen Versuche versetzt hatte, eine Verständigungsformel zu finden, die ihm, der Türkei und den Seemächten gleich annehmbar gewesen wäre. Es ist dabei erstaunlich, wie lange er trotz allem an dem Gedanken festgehalten hat, im Bunde mit Österreich und Preußen noch einmal gegen Frankreich zu ziehen. Als er am 1. Januar 1854 bei Ausgabe der Parole die Generale J

) Bernhardi, Unter Nikolaus I. und Friedrieh Wilhelm IV., pg. 185.

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des Gardekorps und, wie stets bei solcher Gelegenheit, auch das gesamte Offizierstorps der Chevalier-Garde um sich versammelte, erinnerte er die Herren an den Ruhm, den sie bei'Kulm und Lafere-Champenoise geerntet hatten, auch ließ er die französische Note veröffentlichen, die im Anlaß von Sinope die bevorstehende Einfahrt der vereinigten Flotten ins Schwarze Meer ankündigte. Er empfand es als eine arge Herausforderung, als am 6. Januar die englische Fregatte „Retribution" ohne vorausgegangene Anfrage in den verbotenen Teil des Hafens von Sewastopol eindrang 1 ), um die offizielle Mitteilung zu überbringen, daß die verbündeten Flotten Englands und Frankreichs jeden Angriff der russischen Flotte auf die Küsten der Türkei verhindern und die Verpflegung Kleinasiens durch Geleitschiffe sichern würden. Der Kaiser hat darauf am 17. Januar in einem eingehenden Brief an Paskiewitsch noch einmal die Operationen erwogen, die zunächst vorzunehmen seien. Der Brief begann mit der charakteristischen Anrede: „Deine Freundschaft zu mir kenne ich und schätze sie aus voller Seele; ich weiß nicht, was Gott uns in diesem Jahre schicken wird! Sein Wille geschehe! Aber mein Vertrauen zu Dir ist unbegrenzt und wenn, wie es jetzt scheint, eine schwere Zeit im Anzüge ist, beruhigt es mich, daß ich mich völlig auf Deine Hilfe und Deine Ratschläge verlassen kann." In Anknüpfung an eine Korrespondenz, die zwischen Paskiewitsch und dem Fürsten Gortschakow über die Frage stattgefunden hatte, ob der russische Angriff in den Fürstentümern Silistria oder Rustschuk zum Ziel nehmen solle, trat der Kaiser für Rustschuk ein, weil man von dort aus den direkten Zugang zum Zentrum der Walachei beherrsche, der Mitte des bulgarischen Gebiets nahe sei und zugleich mit den Serben in Berührung kommen könne. Es sei daher, wenn man sich erst Rustschuks bemächtigt habe, ein allgemeiner Aufstand der Balkanchristen zu erwarten, während die Einnahme des weiter abliegenden Silistria nur geringen Eindruck machen werde. Im Frühjahr sei das Erscheinen der Engländer in der Ostsee wahrscheinlich, aber er sei bereit, sie vor Wyborg und Kronstadt zu empfangen. Seine Reserven in Finnland, Petersburg und Estland ständen bereit, ') Die Meldung wurde erst entgegengenommen, nachdem die „Retribution" den -verbotenen Teil des Hafens auf russischen Befehl verlassen hatte. Der Bericht Menschikows über das Eintreffen der „Retribution" kam am 14. Januar in Petersburg an. S c h i e m a n n , Geschichte Bnßlands.

IV.

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später vielleicht auch in Kurland. Im Kaukasus sei zunächst noch alles ruhig. Der Angriff sei von dort aus auf Kars, Ardahan und Bajazet zu richten. Es waren Tage großer Aufregung, die diesem Briefe unmittelbar vorausgegangen waren. Am 10. Januar hatten Castelbajac und Seymour Instruktionen erhalten, die denen der „Rétribution" entsprachen, von ihnen aber erst am 12. Nesselrode mitgeteilt werden konnten, da der Graf an einem heftigen Gichtanfall litt und der Kaiser, wie bei starken Gemütserregungen fast regelmäßig zu geschehen pflegte, unter dem Anfall einer Gallenkolik nicht empfangen konnte. Am 10. war ein freundschaftlich gehaltener Brief Napoleons dem Kaiser übergeben worden, aus dem sich jedoch sichere Schlüsse nicht ziehen ließen, da er älteren Datums war 1 ). Es hat dann eine Beratung im Petersburger Auswärtigen Amte stattgefunden, der der Kaiser selbst präsidierte und zu der auch der Großfürst'-Thronfolger hinzugezogen wurde. Beschlüsse von großer Tragweite wurden gefaßt. Brunnow und Kisselew wurden beauftragt, in Paris resp. in London anzufragen, ob England und Frankreich die Türken verhindern würden, im Schwarzen Meer die russische Flotte oder die russischen Küsten anzugreifen und ob sie zweitens den russischen Transportschiffen freie Fahrt von Hafen zu Hafen zu Zwecken der Verpflegung gestatten würden. Für den Fall, daß eine dieser Anfragen verneint würde, sollten sie ihre Pässe fordern. Gleichzeitig wurde Orlow nach Wien geschickt, um Franz Joseph zu einer schriftlichen Neutralitätserklärung für die Dauer des Krieges zu bewegen, und zwar auch für den Fall eines Krieges mit England und Frankreich. Ein Bote hatte denselben Auftrag Budberg in Berlin mit einem eigenhändigen Brief Nikolais an den König zu überbringen. Dieser Brief war zwar herzlich, aber zugleich drohend, fast in der Form eines Ultimatums gehalten. „Wenn meine Vorschläge bei Euch beiden (Franz Joseph und Friedrich Wilhelm) den Erfolg haben, den ich wünsche, können wir die Ereignisse mit größer Sicherheit abwarten. Werden sie nicht angenommen, dann ist es mit unserer Allianz aus und ich sehe nur schweres Unheil voraus. Mag Gott Euch beraten und helfen" 3 ). l

) Der Brief ist meines Wissens nicht veröffentlicht worden.

Bapst, der

ihn erwähnt, gibt das Datum der Absendung nicht an. -) „Si elles (mes propositions) ne sont pas agréées, c'est fini de notre

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Am 19. verließ Orlow Petersburg, da traf am folgenden Tage ein Kurier aus Wien ein, der im Namen der Wiener Konferenz Friedenspräliminarien überbrachte, die auf einen Entwurf zurückgingen, der schon im Oktober 1853 von Stratford aufgesetzt worden war und dahin ging, die Friedensverhandlungen einer Konferenz aller sechs Mächte, also die Türkei mit eingeschlossen, in einer neutralen Stadt zu übertragen und schleunige Räumung der Fürstentümer verlangte, ohne die Abberufung der englischen und französischen Flotte zu erwähnen. Auf diesen Vorschlag, der begreiflicherweise vom Kaiser mit Entrüstung entgegengenommen wurde, lautete die sofort fertiggestellte russische Antwort: daß die russische Regierung bereit sei, mit einem türkischen Bevollmächtigten in Petersburg oder im russischen Hauptquartier in Bukarest in Friedensverhandlungen zu treten, deren Konsequenz, nicht deren Voraussetzung, die Räumung der Fürstentümer sein könne. Ein Botschaftssekretär als Kurier wurde beauftragt, diesen Bescheid als Ergänzung seiner Instruktionen Orlow nach Wien zu überbringen. Man teilte ihm gleichzeitig mit, daß Rußland außerdem Erneuerung seines Protektorats über die Fürstentümer und Revidierung des Asylrechts der Türken verlange. Am 21. schrieb Nesselrode außerdem einen Brief an Meyendorff, in dem er sich mit großer Schärfe über die bisherige Haltung Österreichs aussprach 1 ). Einen zweiten Brief richtete er nach Paris an seinen Schwiegersohn, den Grafen Seebach, um noch einen Versuch zu machen, Napoleon umzustimmen und ihn für eine französisch-russische Verständigung zu gewinnen. Alle diese Bemühungen waren, wie sich bald zeigte, erfolglos. Orlow traf am 23. Januar in Wien ein, am 24. der Kurier, der die Ergänzung zu seinen Instruktionen brachte. Er hat Buol, dem man in Petersburg mit Recht mißtraute, so viel als irgend möglich umgangen und am 31. in einer Audienz, die ihm der Kaiser gealliance, et je ne prévois que désastres. Que Dieu vous inspire et vous soit «n aide." St. Petersbourg le 6./18. Janvier 1854. l ) Lettres et papiers Bd. XI pg. 1—2. Er spricht von den „propositions inacceptables" und fährt fort: „Elle (Österreich) a toujours penché du côté de nos adversaires, nous donnant tort pour donner raison aux Turcs; mettant constamment ceux-ci sur la même ligne que nous, et la Porte, défaite sur terre et sur mer, sur un pied d'égalité avec la Russie; nous plaçant enfin dans l'alternative aujourd'-bui ou de signer une paix humiliante, ou d'attirer sur nous l'odieux d'un refus, et par conséquent, la responsabilité des maux que la prolongation de la guerre fera peser sur l'Europe . . 20*

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währte, durch allzu weitgeheade Offenheit selbst den Erfolg seiner Mission gefährdet. Er gab Franz Joseph die Versicherung, daß Nikolai aufrichtig den Frieden wünsche, und legte ihm seine Instruktionen vor, deren Forderungen Franz Joseph jedoch nur unter der Voraussetzung unterzeichnen wollte, daß Rußland sich verpflichte, nicht die Donau zu überschreiten und nach Beendigung des Krieges die Fürstentümer zu räumen. Da Orlow zu diesen Zusagen« nicht bevollmächtigt war, legte er dem Kaiser ein Protokoll vor, das eine wohlwollende Neutralität Österreichs ins Auge faßte, russische Hilfe für den Fall eines französischen Angriffs auf Österreich versprach und zugleich eine Änderung der Besitz Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel in Aussicht nahm, offenbar in Darlegung der Gedanken, die im ursprünglichen Kriegsplan Paskicwitschs und des Kaisers aufgeführt waren. Franz Joseph hat danach Meyendorff gegenüber aus seinem Befremden über diese Pläne kein Hehl gemacht und darauf hingewiesen, daß sie im Widerspruch zu den Versprechungen ständen, die ihm in Olmütz und Warschau gemacht worden seien. Buol, dem nicht zweifelhaft war, daß die Verhandlungen scheitern müßten, der aber die Verantwortung dafür nicht allein tragen wollte, berief darauf eine Konferenz der Botschafter (Englands, Frankreichs und Preußens), die ein Protokoll aufsetzten, in dem es hieß, daß infolge der russischen Antwort die Friedensverhandlungen als gescheitert zu betrachten seien. Eine österreichische Ministerkonferenz, die, wie es scheint, um diese Zeit stattgefunden hat 1 ), vertrat den Gedanken eines festen Zusammenschlusses der beiden deutschen Großmächte und des Deutschen Bundes und erwog bereits die Möglichkeit eines Koalitionskrieges gegen Rußland. Zugleich begannen die Rüstungen Österreichs, während Orlow nichts anderes heimbringen konnte als eine unsichere Zusage (une demi-assurance), daß Österreich nicht beabsichtige, die Waffen gegen Rußland zu ergreifen. Tatsächlich lagen die Verhältnisse so, daß Franz Joseph aus den Mitteilungen Orlows geschlossen hatte, daß Rußland sieh mit der Absicht trage, die Donaufürstentümer zu erobern, und sich das nicht gefallen lassen wollte 2 ). >) Friedjung, Der Krimkrieg und die österreichische Politik. Cotta 1907, pg. 19. 2 ) Gerlach, 1.1. II. pg. 106. Eintragung vom 26. Januar 1854,

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In Berlin, das er auf der Rückfahrt aufsuchte, fand Orlow nicht größeres Entgegenkommen. Der König war wie immer schwankend. Er hatte zu Anfang des Jahres Gerlach gegenüber seinen Standpunkt folgendermaßen formuliert: Der Orient geht mich nichts an, aber ich werde Rußland den Rücken decken. Handelt es sich um den Schutz der Christen im türkischen Reich, so gehe ich mit England, was Neufchätel anbetrifft mit Frankreich 1 ). In diesem Sinn, wahrscheinlich mit Ausnahme des Schlußsatzes, hat er am 31. dem Kaiser geantwortet, dabei aber auch auf die Gefahr hingewiesen, die dem preußischen Seehandel von Seiten Englands drohen könnte. Die Antwort des Königs war von einer Note Manteuffels begleitet, die ebenso wie der Brief Friedrich Wilhelmsr den Kaiser Nikolai erbitterte. „Sie wissen", sagte er dem preußischen Militärbevollmächtigten Grafen Münster, „was ich nach Berlin und Wien proponiert habe, — ich bekomme eben den Rapport, daß man in Berlin alles zurückgewiesen hat, dabei schmerzt mich hauptsächlich der Grund, den man bei dem refus angegeben hat. Des Königs Charakter und Herz sind gut, solange er deren Gefühlen folgt, ist auch das Resultat fast immer befriedigend. Man kann aber, wie ich Ihnen das schon oft gesagt habe, nie darauf bauen, denn der Umschlag erfolgt fast immer auf dem Fuße. Ich bin an dergleichen schon gewöhnt, meine Frau aber leidet stets von neuem darunter." Gleich unbefriedigend war das Ergebnis der von Seebach geführten Verhandlungen mit Drouyn de L'Huys und Napoleon. Der Kaiser hatte gute Worte für den Zaren zu bieten, war aber entschlossen, von der englischen Allianz nicht zu lassen"). Schließlich verstand sich aber Napoleon doch dazu, dem Zaren selbst zu schreiben und ihm einen Waffenstillstand verzuschlagen, um während dessen Dauer über den Frieden zu verhandeln. Den Text dieses Briefes legte er aber dem englischen Bundesgenossen vor, und da in London Korrekturen verlangt wurden, ging der Brief erst am 29. Januar von Paris ab. Der so zustande gekommene Text rechtfertigte zunächst das Einlaufen der Flotten ins Schwarze Gerlach, 1.1. 5. Jan. Am 11: „Die orientalische Frage geht mich von ihrer politischen Seite nichts an. Will England die orientalischen Christen emanzipieren, so bin ich dabei, selbst wider Rußlaud, allemal aber die Restauration von Neuenbürg." (Aus einem Brief des Königs an Bunsen.) s

) Lettres et Papiers.

Paris, 7. Febr. Seebach an Nesselrode.

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Meer, brachte den Vorschlag des Waffenstillstandes, für den Räumung der Fürstentümer und Abzug der Flotten die Voraussetzung waren, und erklärte, daß, falls der Kaiser direkt mit der Pforte über eine Konvention verhandeln wolle, diese der Konferenz der Mächte vorzulegen sei, darüber seien er, Napoleon, und die Königin Viktoria eines Sinnes. Inzwischen hatten Brunnow und Kisselew ihren Auftrag ausgeführt und es wurde beschlossen, die erste Anfrage mit „ja", die zweite mit „nein" zu beantworten. England wollte diesen Bescheid sofort erteilen, Napoleon vorher die Antwort Nikolais auf seinen Brief abwarten, doch gab er schließlich nach, und am 1. Februar erhielten beide Botschafter die gleichlautende Antwort Englands und Frankreichs. Brunnow und Kisselew verlangten nun am 4. Aushändigung ihrer Pässe und fuhren am 6. nach Petersburg zurück. Nikolai hatte die Antwort auf den Brief Napoleons aufgeschoben. Als dann die Antwort der Seemächte auf seine Anfrage eintraf, gab er eine hochfahrende Antwort: Rußland werde auch 1854 beweisen, daß es noch dasselbe sei wie 1812. Das geschah am 12. Februar. An demselben Tage verlieh er, um seine geistig überlegene Auffassung der Lage zu zeigen, Castelbajac noch den Andreasorden. Am 13. bat Seymour um seine Pässe, Castelbajac, der noch um eine Abschiedsaudienz bat und gnädig empfangen wurde, verließ Petersburg am 20. Februar. Die Brücken zwischen Petersburg und den Allierten waren damit definitiv abgebrochen. Am 27. Februar gingen identische Depeschen an die Konsuln Englands und Frankreichs in den Fürstentümern ab, die Räumung bis zum 30. April verlangten; falls die Antwort nicht am 6. Tage erfolgt sei, würde der Kriegszustand eintreten. Am 18. März traf der Bescheid ein, daß der Zar eine Antwort „nicht für anständig" halte, daß er aber seinerseits den Krieg nicht erklären werde. Schon sechs Tage vorher, am 12. März 1854, hatten Baraguayd'Hilliers, Stratford de Redcliffe und Reschid den Bündnisvertrag Englands und Frankreichs mit der Türkei unterzeichnet 1 ). Die Ratifikation des Vertrages sollte in spätestens sechs Wochen vollzogen werden. Dem Unterhause und der französischen Kammer wurde am 27. März angezeigt, daß die Verhandlungen mit Ruß') Noradounghian I. 1. II Nr. 151.

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land gescheitert seien, und am 28. folgte, wie schon erwähnt, die formelle K r i e g s e r k l ä r u n g d i e einen typisch englischen Charakter trug. Vorher hatte Napoleon dem Könige von Preußen seinen Beistand gegen Rußland angeboten, was Friedrich Wilhelm dahin beantwortete, daß er diesen Beistand gern annehmen werde, wenn Rußland ihn angreifen sollte. Er trug sich mit ganz anderen Gedanken und hatte ursprünglich selbst nach Petersburg reisen wollen, sich dann aber entschlossen, den General von Lindheim hinzusenden und ihm einen Brief an den Kaiser mitzugeben 2 ). Seine Vorschläge waren, daß Rußland sich mit dem begnügen solle, was die Pforte den Mächten eingeräumt habe, daß es die Donaufürstentümer räume und endlich der Wiener Konferenz beitrete und „sich fünfhändig verbinde", was wohl so zu verstehen ist, daß als Ergebnis des Friedensschlusses von ihm an eine Allianz der Ostmächte mit den Seemächten gedacht war. Bevor Lindheim in Petersburg eintraf, brachte der Neffe des Kaisers Prinz Georg von Mecklenburg Vorschläge, die sich zum Teil mit denen Friedrich Wilhelms deckten, jedoch keine Eröffnung über Räumung der Fürstentümer brachten und vorschlugen, die Friedenskonferenzen in Berlin statt in Wien abzuhalten. Diesen Vorschlägen, die auch in einem vom Prinzen Georg überbrachten Brief des Kaisers niedergelegt waren, folgte ein am 27. März geschriebener Brief Nikolais, der die durch Lindheim überbrachte Botschaft beantwortete und die Vorschläge des Königs eingehend besprach. Er erklärte dabei, daß, sobald die Seemächte vom Sultan für die gesamte christliche Bevölkerung der Türkei eine Garantie der Rechte erlangen sollten, wie er sie auf Grund seiner Verträge mit der Türkei für seine Glaubensgenossen verlangt habe und die man ihm verweigere, er sich als „. . . la Reine croit devoir, par égard pour un allié dont l'Empire, dans son intégrité et son indépendence, a été reconnu comme essentiel à la paix de l'Europe, consultant la s y m p a t h i e de s o n p e u p l e p o u r le d r o i t c o n t r e l ' i n j u s t i c e , et cédant au désir d'éloigner de ses propres états les plus préjudiciables conséquences, et de p r é s e r v e r l ' E u r o p e de la p r é p o n d é r a n c e d'une p u i s s a n c e qui a v i o l é la f o i d e s t r a i t é s et qui d é f i e l ' o p i n i o n du m o n d e c i v i l i s é , la Reine croit devoir prendre les armes, conjointement avec l'Empereur des Français, pour la .défense du Sultan . . .* Actes et documents 1.1. vol. II Nr. 294. 2 ) Der Inhalt des Briefes bei Gerlach II 26. März 1Ö54 und aus der Antwort Nikolais in der Anlage zu ersehen.

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befriedigt betrachten und auch bereit sein werde, die Donaufürstentümer zu räumen, sobald eine gemeinsame Übereinkunft über den Termin der Zurückziehung der alliierten Flotten aus dem Schwarzen Meer nicht nur, sondern auch aus dem Bosporus und den Dardanellen getroffen sei. Es schlössen sich daran Bemerkungen über die Unwahrscheinlichkeit, daß die Pforte die von ihr verlangten Reformen ausführen könne, über die Lage der aufständigen Griechen in Epirus und Thessalien, deren gewaltsame Unterwerfung, falls sie geplant sei, er als „infam" bezeichnete, über die Wahrscheinlichkeit des nur durch ein Wunder zu vermeidenden Krieges mit England und Frankreich, und endlich über seine Beziehungen zu Preußen, an dessen Anschluß an Rußland er glaube, und zu Österreich, dem er bereit sei zu versprechen, daß er und seine Nachfolger niemals einen Aufstand der Slaven der habsburgischen Monarchie unterstützen würden. Er schloß mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß seine und des Königs gemeinsame Wünsche sich verwirklichen möchten und daß der Schutz Gottes, „der u n s 1812 rettete und uns nach Paris führte", auch diesmal nicht versagen werde 1 ). Das alles kam jedoch zu spät. Bereits am 15. März war der politische Gedanke des Königs auf eine Allianz mit Österreich gerichtet, wobei er eine gegenseitige Garantie der beiderseitigen Territorien ins Auge faßte und sich im übrigen freie Hand vorbehalten wollte"). Er hat diesem Gedanken in einem Brief an Franz Joseph Ausdruck gegeben, und dessen freudige Zustimmung hat dann zum Protokoll vom 9. April 3 ) und danach zum Vertrage vom 20. April geführt, durch den der König von Preußen und der Kaiser von Österreich einander gegenseitig ihre deutschen und nichtdeutschen Territorien garantierten und sich verpflichteten, die Rechte und Interessen Deutschlands zu verteidigen und jeden Angriff auf irgendeinen Teil ihrer Territorien zurückzuwerfen, selbst wenn einer von ihnen im E i n v e r s t ä n d n i s m i t dem a n d e r e n Autographes Schreiben d. d. Petersburg 3 5-/27. März 1854. Anlage 14. ; Gerlach II 123. 3 ) Der preußische Botschafter Baron Werther wurde erst am 12. Juni beauftragt, dieses Protokoll in Petersburg mitzuteilen. Der Vertrag vom 20. April wurde dem Deutschen Bunde mehr als einen Monat später, am 20. Juli, mitgeteilt, worauf am 24. Juli der Deutsche Bund dem Vertrage beitrat. 2

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es nötig finden sollte, zur Wahrung der Interessen Deutschlands zum Angriff zu schreiten. Alle Staaten des Deutschen Bundes sollten aufgefordert werden, diesem Vertrage beizutreten 1 ). Dieser Vertrag, dessen Wortlaut von Theodor v. Manteuffel und dem österreichischen Generalstabschef von Heß festgestellt worden war, erhielt eine direkt gegen Rußland gerichtete Spitze durch einen in besonderer Ausfertigung formulierten Zusatzartikel. Es hieß darin, „daß die unbestimmte Fortdauer der Besetzung . . . der Länder an der unteren Donau durch kaiserlich russische Truppen die politischen, moralischen und materiellen Interessen des gesamten Deutschen Bundes und also auch ihre eigenen Staaten in einem um so höheren Grade gefährden würde, je weiter Rußland seine Kriegsoperationen auf türkischem Boden ausdehne. Die österreichische Regierung werde daher, entsprechend dem Vorschlage, den Preußen bereits am 8. April in Petersburg gemacht habe, an den kaiserlich russischen Hof eine Eröffnung . . . richten, um von Sr. Majestät dem Kaiser von Rußland die nötigen Befehle zu erwirken, damit sofort jedem weiteren Vorrücken seiner Armee auf türkischem Gebiet Einhalt geschehe, sowie um vollgültige Zusicherungen wegen baldiger Räumung der Donaufürstentümer von Sr. Majestät zu begehren, und die preußische Regierung wird ;diese Eröffnungen . . . auf das nachdrücklichste unterstützen . . . Sollte keine befriedigende Antwort erfolgen, so werde jeder feindliche Angriff auf das Gebiet einer der beiden Mächte von der anderen mit allen ihr zu Gebot stehenden Kräften abgewehrt werden. Ein offensives beiderseitiges Vorgehen aber würde erst durch eine Inkorporation der Fürstentümer sowie durch einen Angriff oder durch Überschreiten des Balkans von seiten Rußlands bedingt werden. Diesem Beschluß, dessen Kriegsklausel in den Vertrag auf Antrag Preußens aufgenommen wurde 2 ), trat am 28. Juli auch der Deutsche Bund bei. Während diese Verhandlungen reiften, hatte der Fürst PaskieJ) Actes et Documents Nr. 300 und 301. Fait ä Berlin, 20 IV 1854. ) Gerlach II 140 schreibt: „Man hatte schon statt des vom Kaiser Franz Joseph nur geforderten Defensivtraktats aller meiner Vorstellungen ungeachtet ein Schutz- und Trutzbündnis empfohlen, wahrscheinlich wegen des besseren Klanges, und sich dadurch die Schwierigkeit mit dem Balkan-Übergang und der Inkorporation gratis zugezogen." Dafür, daß der König selbst den Antrag stellen ließ, die Kriegsklausel in den Vertrag aufzunehmen, wie Friedjung 1. 1. pg. 54 schreibt, finde ich keinen Beleg. ^ 2

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witsch das ihm übertragene Oberkommando angetreten. Er war 72 Jahre alt und war- eifrig bemüht gewesen, sich für den bevorstehenden Feldzug zu trainieren. Zwei Soldaten mußten ihn täglich massieren, und mehrstündige Fechtübungen sollten das übrige tun, den Übergang aus dem verwöhnenden Leben in Warschau zu den unvermeidlichen Strapazen des Feldzugs zu vermitteln. Gegen die gefürchteten Fieber der Donauebene hatte ihn der Leibarzt des Kaisers, Professor Mandt, mit Gegenmitteln versorgt. Vertrauen trug ihm außer dem Kaiser eigentlich niemand entgegen. Hatte der schließliche Erfolg des ungarischen Feldzugs auch die harte Kritik, die seine langsamen und bedächtigen Operationen in militärischen und politischen Kreisen hervorrief, zum Schweigen gebracht, für glücklich hielt man seine Wahl nicht. Dazu kam, daß er von vornherein im Gegensatz zu dem Korpskommandeur der Südarmee Fürsten Gortschakow stand, der wie der Kaiser die Ansicht vertrat, daß der Angriff der Russen auf Rustschuk, nicht gegen Silistria zu richten sei. Nun hatte Nikolai sich freilich der größeren Autorität des Feldmarschalls gefügt und den Angriff auf Rustschuk als erstes Kriegsziel aufgegeben, aber es kostete nicht geringe Schwierigkeiten, Paskiewitsch auch zu energischem Vorgehen gegen Silistria zu bewegen. Ihn verfolgte die Sorge, daß seine Abwesenheit von den Österreichern und Preußen zu einem Angriff auf Polen benutzt werden könnte, und er glaubte zudem, daß Omer Pascha von den Engländern und Franzosen Hilfstruppen erhalten werde, deren Landung in Varna er für nahe bevorstehend hielt. Erst auf einer Zusammenkunft mit Gortschakow wurde ihm die Zustimmung zum Vorgehen gegen Silistria abgerungen. Seine Befürchtungen steigerten sich, als ihm der Kaiser schrieb, daß er von dem Wiener Protokoll erfahren habe, durch welches Österreich erklärte, daß es den Alliierten beitreten werde, wenn Rußland den Balkan überschreite. Am 19. April schickte ihm der Kaiser den Entwurf zu einer Proklamation an die Christen des Balkans, die sogleich ins Serbische, Bulgarische und Griechische übersetzt werden sollte. Daß der Feldmarschall die gegen Kalafat bestimmten Truppen abgerufen hatte, „um die Österreicher nicht zu reizen", billigte der Kaiser, dagegen teilte er die Besorgnis Paskiewitschs nicht, daß eine Erhebung der Serben Österreich zum Angriff veranlassen werde; im Gegenteil, es würde sich dann nicht gegen Rußland, sondern gegen die Serben wenden. Greife Omer Pascha an, so werde man

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ihn schlagen können, bevor Engländer und Franzosen am Platze seien. Die könnten, wie er am 25. schrieb, frühestens Ende Mai in Konstantinopel 1 ) sein. Als dieser Brief in Ismail eintraf, wohin Paskiewitsch aus Fokschani übergesiedelt war, hatte der Feldmarschall aber bereits die Nachricht von dem österreichisch-preußischen Vertrage vom 20. April erhalten. Er schrieb darauf dem Kaiser, daß nunmehr nichts übrig bleibe, als die Fürstentümer zu räumen, was Nikolai in höchste Erregung versetzte. Er sehe, antwortete er am 29. April, nicht, daß Paskiewitsch einen stichhaltigen Grund vorgebracht habe, der ihn bestimmen könnte, den einmal gebilligten Plan aufzugeben, alles fallen zu lassen und alle gewonnenen Vorteile preiszugeben. Das Erscheinen der feindlichen Flotte vor Odessa und sogar der Verlust der Stadt sei vorausgesehen worden, aber nicht zu befürchten, da General Baron Sacken mit 30000 Mann vortrefflicher Truppen durchaus in der Lage sei, jeden Landungsversuch zu verhindern. Grundlos sei auch die Furcht vor dem Erscheinen der Österreicher, das erst zu erwarten sei, wenn russische Truppen den Balkan überschritten, was er gar nicht zu tun beabsichtige. Auch habe er erst gestern zuverlässige Nachrichten aus Berlin erhalten, daß die Österreicher nur drohen, daß sie weder angreifen noch in Serbien einrücken würden, weil sie in beiden Fällen einen Aufstand im Rücken ihrer Armee zu fürchten hätten. Endlich herrsche im englischen und französischen Heer solche Unordnung, daß eine Vereinigung ihrer Streitkräfte mit Omer vor dem Juni nicht erfolgen könne. „Und bei so günstigen Verhältnissen sollen wir alles aufgeben, umsonst, ohne Ursache und mit Schanden umkehren? Es tut mir wirklich weh, das niederzuschreiben. Du siehst daraus, daß ich mit Deinen sonderbaren Vorschlägen keineswegs einverstanden bin und im Gegenteil verlange, daß Du Deinen vorigen ausgezeichneten Plan ausführst und Dich nicht durch Befürchtungen abwendig machen läßt, für die kein positiver Anlaß vorliegt. Auf der einen Seite ist Schande und Untergang, auf der andern aber Ehre und Ruhm. Sollten uns aber die Österreicher verräterisch angreifen, so schlage sie mit dem 4. Korps und mit den Dragonern. Kein Wort mehr, ich kann nichts hinzufügen". Der Kaiser schreibt in dieser Korrespondenz stets „Zargrad", nie Konstantinopel.

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Dieser Brief, der lebhaft an die letzten Schreiben des Kaisers an Diebitsch erinnert, hatte natürlich den Erfolg, daß Paskiewitsch sich fügte. Er litt damals, trotz allen Gegenmitteln, am kalten Fieber. Eine große Beruhigung war es für ihn, als der Kaiser am 6. Mai mitteilen konnte, daß Prinz Georg von Mecklenburg aus Berlin mit der Nachricht zurückgekommen sei, daß der König sich niemals gegen Rußland wenden und daß er (Fr. Wilhelm) positiv wisse, daß Österreich die russischen Grenzen nicht angreifen werde. Der soeben aus Wien heimgekehrte Generaladjutant von Grünewald bestätige diese Nachricht; man würde sich sogar in Österreich sehr freuen, wenn Rußland Silistria und sogar Rustschuk einnehme. Franz Joseph habe ihn beauftragt, ihm (Nikolai) zu sagen, daß, falls die Türken die Absicht hätten, die kleine Walachei zu nehmen, er das nicht dulden, sondern sie selbst besetzen werde. Es sei, fuhr Nikolai fort, Zeit, den Aufstand der Bulgaren zu betreiben und in Beziehung zu den Serben zu treten. Die Antwort auf diesen Brief war ein neuer Angstanfall des Feldmarschalls, den der Kaiser nun noch schärfer abwies als den ersten. „Deine Gedanken", schrieb er ihm am 11. Mai, „gleichen weder meinen Überzeugungen noch meinem Willen. Deine Vorschläge erscheinen mir schimpflich, und ich nehme sie deshalb nicht an, denn ich will diese Schande nicht auf mich nehmen. Du bist krank und hast mir wahrscheinlich im Fieberwahn geschrieben. Die Taktik der Österreicher ist, uns in Unklarheit zu lassen und dadurch zu schaden. Leider scheint ihnen das gelungen zu sein. Daß wir die kleine Walachei räumten, war nötig und nützlich, sie halten es aber für eine Frucht ihrer Einschüchterungspolitik. Deine Vorstellungen von dem Erscheinen der Preußen in Galizien sind Phantasien. Du stehst vor Silistria, belagere es und warte ab, ob Omer und seine Gäste angreifen, tun sie es, so schlage sie und führe die Belagerung zum Abschluß. Wenn Du mit Silistria fertig bist, wende Dich gegen Rustschuk. Eine Landung in Beßarabien oder an der Donaumündung ist nicht zu befürchten . . . Österreich wird uns nicht angreifen, wenn wir den Balkan nicht überschreiten, daran denken wir aber nicht und deshalb sind diese Befürchtungen unpassend und unwahr. Ich hoffe, daß damit das Widersprechen ein Ende gefunden hat, und verlange von Dir, daß Du den Willen Deines Freundes und Kaisers erfüllst. Reichen Deine sittlichen und physischen Kräfte nicht, so sage es mir offen; als Oberkomman-

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dierender kann Deine Stelle (überall) dort sein, wo ich es für besser finde, Du bist an die Donau nicht angeschmiedet, Gefahr ist jetzt überall und Deine Anwesenheit würde überall nützlich sein. Amen, Gott mit Dir. Ich umarme Dich." Paskiewitsch konnte nun nicht mehr den Beginn der Belagerung Silistrias verweigern. Am 10. Mai meldete er, sie werde vorbereitet, und am 23. schrieb ihm der Kaiser, daß er sich freue, daß sie begonnen habe. Der General Schiider, der Lehrer Totlebens, hatte versprochen, nach zwei Wochen die Festung einzunehmen, und die Belagerung schien bereits rüstig fortzuschreiten, als am 29. Mai ein Ausfall der türkischen Besatzung, die von einem ehemaligen preußischen Offizier, Kraft, mit Energie und Geschick geleitet wurde, zwar abgeschlagen ward, aber die Russen bei Yerfolgung der sich zurückziehenden Türken schwere Einbuße an Toten und Verwundeten erlitten. Es folgten neue Verluste. General Schilder verlor ein Bein und starb bald danach, der Sohn Orlows verlor ein Auge; Anfang Juni begann die politische Lage wirklich kritisch zu werden und Paskiewitschs Befürchtung schien sich zu verwirklichen, daß die Österreicher den russischen Truppen in den Rücken fallen würden. Auch der Kaiser wurde jetzt ernstlich besorgt. Er meinte zwar, vor dem 13. Juli könnte Österreich mit seinen Vorbereitungen dazu nicht fertig sein, befahl aber, den Monat, der bis dahin noch freibleibe, zu benutzen, um aus den Fürstentümern alles überflüssige Kriegsmaterial fortzuschaffen: lokale Parks, Niederlagen und namentlich die Verwundeten und Kranken, die man ohne Gefahr transportieren könne. Sei bis zum Eintreffen seines Briefes Silistria nicht genommen oder nicht zu bestimmen, wann die Festung fallen werde, so sei aus Vorsicht die Belagerung aufzuheben und der Belagerungspark nach Ismail in Sicherheit zu bringen. Am 18. Juni erfuhr der Kaiser durch ein Telegramm aus Wien, daß Paskiewitsch verwundet sei 1 ). Die Leitung der Belagerung wurde, obgleich Paskiewitsch zunächst am Platze blieb, vorläufig Gortscha*) Die Echtheit dieser Verwundung wurde angezweifelt. Eine Kugel aus der Festung schlug vor seinen Füßen ein. Bernhardi 1. 1. pg. 228 notiert darüber: „Paskiewitschs fingierte Verwundung vor Silistria. General Uschakow tat dem alten'Herrn den Gefallen, sie zuerst zu bemerken. Er rief mit einemmal: „Durchlaucht! Sie sind verwundet!" Paskiewitsch schien im ersten Augenblick sehr verwundert, besann sich aber allsogleich, sagte: „Ja, ja! ich bin verwundet" und ritt von dannen."

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Kapitel XIII.

Die Isolierung Rußlands.

kow übertragen, von dem Nikolai noch hoffte, daß er Osman Pascha schlagen werde. Die Belagerung sollte er nur aufgeben, wenn keine Hoffnung sei, Silistria einzunehmen und der Feind in der Nähe übermächtig sei. In der Nacht vom 20./21. Juni, als die Russen in außerordentlich starker Ausrüstung zum Sturm auf die Festung aufgestellt des Signals zum Angriff harrten, erteilte ihnen Paskiewitsch um Mitternacht den Befehl zum Rückzug über die Donau. Ein Brief des Feldmarschalls aus Jassy vom 24. brachte dem Kaiser die Nachricht. „So geschehe Gottes Wille! Die Belagerung Silistrias ist aufgehoben. Ich fürchte sehr, daß der Geist der Truppen sinkt, wenn sie sehen, daß alle Anstrengungen, Arbeiten und Opfer vergeblich waren und daß wir zurückmarschieren und nicht einmal wagen dürfen, zu sagen weshalb." „Gortschakow und alle Befehlshaber sollen den Soldaten klarmachen, daß wir nur v o r l ä u f i g abziehen, um uns gegen die bösen Anschläge unserer Nachbarn zu sichern." So schrieb der Kaiser, tief erschüttert. Paskiewitsch hatte mit seinem Mißtrauen gegen Österreich recht behalten und sein Ansehen bei Nikolai dadurch nur gewonnen. Er hatte dem Feldmarschall immer aufs neue versichert, daß von dieser Seite keine Gefahr drohe. „Unsere Beziehungen zu Preußen fahren fort, sehr freundschaftlich zu bleiben, was schon von Einfluß auf Österreich zu sein scheint." „Der König von Preußen fährt fort, sehr gut für uns gesinnt zu sein" (30. V.). „Preußen trennt sich von Österreich und vielleicht beide von den Seemächten" (4. VI.). „Die Königreiche haben sich Preußen angeschlossen und wünschen deshalb keinen Bruch mit Rußland" (7. VI.). „Österreich wird nur zurückgehalten durch die Weigerung Preußens, uns bedingsloses Nachgeben vorzuschlagen" (13. VI.). „Der König bittet mich, dem Kaiser von Österreich eine Antwort zu geben, die er, der König, annehmen kann, um Österreich zu antworten, daß er keinen Grund zum Kriege sehe" (18. VI.). „Der König habe zwar den Österreichern Hilfe versprochen, aber nur bedingt, er wolle von Österreich loskommen und wisse nur nicht wie, jedenfalls werde er sich nicht bemühen, Österreich zu helfen" (21. VI.). Das alles war nur bedingt richtig und ist wohl nur dadurch zu erklären, daß der Kaiser bemüht war, den Pessimismus des Feldmarschalls niederzuhalten. Er selbst war durch die Berichte seiner Botschafter in Wien und Berlin, sowie durch, die lebhafte

Kapitel XIII.

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Korrespondenz, in der er mit König Friedrich Wilhelm stand, im wesentlichen gut unterrichtet, wenn ihm auch nicht alle diplomatischen Heimlichkeiten seiner beiden „Bundesgenossen" bekannt wurden. Sein Kriegsmanifest gegen England und Frankreich erschien drei Tage nach Abschluß des preußisch-österreichischen Vertrages vom 20. April, am 17. Mai verständigte die Wiener Konferenz sich darüber, daß die Integrität der Türkei und die Räumung der Fürstentümer das beständige und unwandelbare Ziel der vier Mächte bleibe. Eine entsprechende Erklärung wurde am 24. Mai von beiden deutschen Mächten am Frankfurter Bundestag abgegeben, und am 3. Juni fand die „Sommation" Österreichs an Rußland statt, die für den Fall weiterer Überschreitung der Donau und wenn Rußland nicht einen festen Termin für Räumung der Fürstentümer angebe, mit Krieg drohte 1 ). Diese österreichische Note wurde durch den Grafen Münster, den Nachfolger Werthers, der am 19. April zum Leidwesen Nikolais in Petersburg gestorben war, nachdrücklich unterstützt 2 ). Diese Haltung Preußens war dem Kaiser noch nicht bekannt, als er am 14. dem Könige dafür dankte, daß er durch eine Deputation der 3. Ulanen den 25. Jahrestag der Verleihung der Uniform dieses Regiments an Alexander Nikolajewitsch verschönt habe. Der König, den offenbar die Absicht bestimmte, die unmittelbar bevorstehende Enttäuschung des Schwagers.im voraus zu beseitigen, hatte ihm zudem kostbare Bronzen geschickt und ihm nichts Näheres über die Zusammenkunft mitgeteilt, die er in Tetschen mit Franz Joseph gehabt hatte. Der Kaiser hielt mit seinem Zorn über die „inqualifiable declaration autrichienne" nicht zurück und fügte hinzu, er selbst sei bereit, jedem die Hand zu reichen, der ihn beleidige, wenn er sein Unrecht einsehe, aber Rußland werde niemals dulden, daß man ihn ungestraft beschimpfe und alle die Wohltaten, die er Österreich erwiesen habe, mit Österreich verlangt, „que les armées russes n'étendent pas plus loin leur opération dans les pays situés au délà du Danube e t . . . fournissent des indications positives de l'époque précise où il sera mis un terme à l'occupation des principautés", andernfalls werde Franz Joseph sich verpflichtet fähleni „ d'aviser lui même aux moyens de sauvegarder les intérêts que la situation actuelle compromet si gravement". s ) Die Instruktion Manteuffels an Werther datiert vom 12. Juni, kann also spätestens am 17. in Petersburg eingetroffen sein.

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Kapitel XIII.

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Undank lohne. Wenn man ihn, wo immer es sei, angreife, „c'est la guerre" ')• Jene Zusammenknnft in Tetschen war durch die Vereinbarungen veranlaßt, die Osterreich über den Kopf Preußens hinweg mit der Türkei getroffen hatte 2 ), um sich die eventuelle Besetzung von Moldau und Walachei zu sichern und ihr Zweck war, den König über diesen vertragswidrigen Schritt zu beruhigen, was auch geschah. In Petersburg war man weniger friedfertig gesinnt; der Kaiser dachte allen Ernstes daran, mit einer Kriegserklärung auf die österreichische „Sommation" zu antworten, was den König zu einer Entscheidung gedrängt hätte, die er durchaus vermeiden wollte. Er entschloß sich daher, dem nach Petersburg zurückkehrenden Grafen Münster den Flügeladjutanten Edwin Manteuffel mitzugeben, und beauftragte beide, dahin zu wirken, daß die russische Antwort auf die österreichische Note so ausfalle, daß er sich von ihr befriedigt erklären könne. Sie teilten dem Kaiser mit, '¡Franz Joseph habe dem Könige gesagt, der drohende Aufruhr der orthodoxen Bevölkerung seiner Grenzgebiete dränge ihn zum Kriege. Der König — schrieb Nikolai an Paskiewitsch — hat Münster gesagt, daß wenn die Österreicher die russischen Truppen in der Walachei angreifen sollten, sie, wie er hoffe, tüchtige Hiebe erhalten würden und man sie in die Pässe zurückwerfen werde. Er hoffe, da er den Charakter Nikolais kenne, daß der Kaiser rechtzeitig stehen bleiben werde. Er habe zwar den Österreichern Hilfe versprochen, aber nur bedingt, und er werde Zeit brauchen, seine Truppen zu sammeln 3). Daß Nikolai von diesen Erklärungen des Schwagers nicht eben erbaut war, ist begreiflich. Es dauerte aber noch bis zum 29. Juni, ehe er sich entschloß, Friedrich Wilhelm zu antworten, daß er sich bereit gefunden habe, Österreich in dem von Preußen gewünschten Sinne zu antworten, aber er hoffe, daß Preußen als Gegenleistung ¡Österreich gegenüber eine unabhängige Stellung einnehmen werde. Franz Joseph sei nahe daran, aus einem „Empereur Apostolique" ein „Empereur Apostat" zu werden, sich den Türken zu verbinden und die Christen Siehe die Anlage. ) "Vertrag von Bogadji Keny, 14. Juni 1854. 3 ) An Paskiewitsch 9./21. Juni 1854. 2

Offenbar nachdatiert.

Kapitel Z i l l .

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zu verfolgen. Da sei es doch undenkbar, daß der König mitmache *). Trotzdem war der König von Preußen noch lange nicht an die äußerste Grenze seiner Abhängigkeit von der österreichischen Politik gelangt, das sollte sich bald genug zeigen. Auf vertraulichen Konferenzen in Wien, zu denen der Vertreter Preußens nicht hinzugezogen ward, wurden von Buol, Lord Westmoreland und Bourquenay Forderungen formuliert und von ihren Regierungen genehmigt, die Rußland zugestehen müsse, wenn es Frieden haben wolle. Am 8. August sind darüber zwischen den drei Mächten Noten ausgetauscht worden, welche diese Forderungen in die folgenden vier Punkte zusammenfaßten 3 ): 1. Aufhebung des russischen Protektorats über Moldau, Walachei und Serbien und kollektive Garantie der Privilegien, welche die Pforte diesen Mächten verliehen habe, durch die Mächte. 2. Freiheit der Schiffahrt auf der Donau. 3. Revision des Vertrages vom 13. Juli 1841 durch die Mächte, die ihn geschlossen haben. 4. Verzicht Rußlands auf ein offizielles Protektorat über Untertanen der Türkei, gleichviel welchem Bekenntnis sie angehören mögen. England und Frankreich erklärten zugleich, daß sie keine Vorschläge Rußlands erwägen (discuter) oder in Betracht nehmen würden, in welche eine völlige Zustimmung zu diesen Grundsätzen nicht miteinbegriffen soi, und Österreich, das sich ebenfalls dieser letzten Verpflichtung anschloß, wurde bevollmächtigt, der russischen Regierung davon Mitteilung zu machen. Das letztere geschah durch eine Note, die Buol am 10. August an den Grafen Esterhazy, den österreichischen Botschafter in Petersburg richtete, und der in Abschrift die Erklärung Frankreichs und Englands beigefügt war, mit dem Auftrage, beides dem Grafen Nesselrode vorzulesen und in Abschrift zurückzulassen. Nun hatte kurz vorher Friedrich Wilhelm dem Kaiser geschrieben, daß Franz Joseph nach wie vor friedlich gesinnt sei. Gortschakow hatte berichtet, wie freudig in Wien die Nachricht von J

) „serait-il possible, que TOUS, cher Fritz, l e R o i l e p l u s s i n c è r e c h r é t i e n de l ' E u r o p e , TOUS puissiez épouser une cause semblable, et YOUS associer à des méfaits contre la Chrétienté ?" 2 ) Eastern Papers XI, 1854, pg. 3 v. 5. Sohiemann, Geschichte Rußlands. IV. 21

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der Räumung der Fürstentümer aufgenommen worden sei, und hatte die formelle Versicherung erhalten, daß Franz Joseph keine Entscheidung und keine Mitteilung an Rußland richten werde, ohne sich vorher mit ihm darüber verständigt zu haben. In der Antwort Nikolais an den König wurde an diese Tatsachen erinnert, dann aber fuhr er fort: „Trotzdem binde sich Österreich immer mehr an die Seemächte; wie solle er an die gute Gesinnung Franz Josephs glauben, wenn seine Worte und seine Taten in stetem Widerspruch zueinander stehen und Bourquenays Einfluß alle Rußland günstigen Absichten neutralisiere? Es scheint, daß. man Österreich mit dem Versprechen ködere, daß ihm das Protektorat über die Fürstentümer zufallen werde'), es solle aber nicht vergessen, daß diejenigen, von denen das Angebot ausgehe, sich vielleicht mit der Absicht trügen, ihm etwas weit Wertvolleres in Italien abwendig zu machen. Diesem Brief, den Nikolai dem Kaiser von Österreich, aber nur ihm persönlich, mitzuteilen dem Könige anheimgab, folgten rasch aufeinander zwei weitere Briefe. Der erste war durch eine Depesche ManteufFels an Werther veranlaßt, diß diesem vorschrieb, das Schreiben Buols, das die Forderung der vier Punkte enthielt, energisch zu unterstützen 8 ). Richtete die Entrüstung des Kaisers sich auch hauptsächlich gegen Österreich, so schien ihm die Zumutung des Königs, auch jetzt noch nachzugeben, völlig unbegreiflich '). Er gab dieser Empfindung lebhaften Ausdruck und schloß daran eine von ihm selbst verfaßte Note, die er vom Großfürsten Thronfolger hatte abschreiben lassen, mit der Bitte, sie Franz Joseph zu zeigen. Vielleicht werde sie ihm die Augen öffnen. Dieser Brief nebst seinen Anlagen war bereits geschlossen und sollte Benckendorff zugestellt werden, als ein Brief des Königs vom 18. August einlief, den Nikolai sofort, am 26. August, beantwortete. Den Gründen, die er in seinem ersten Briefe für Ablehnung l

) Oder wie Bismarck in diesem Anlaß schreibt: „um ein Paar stinkende Walachen zu ergaunern". Briefe an Gerlach Nr. 66. 13. Oktober 1854. a ) „Je vous invite, M. le baron, d ' a p r è s l e s o r d r e s e x p r è s du r o i , à appuyer de toutes vos forces cette démarche de la Cour d'Autriche." Berlin, 13. August 1854. Testa IV, 2, pg. 154. „on me propose de votre part, de consentir à de nouvelles conditions dishonorantes et que l'on ne définit pas même comme les dernières à exiger, et cependant mes armées sont intactes, prêtes à renvoyer l'ennemi sur nos frontières! En vérité, cher Fritz, je ne puis vous comprendre."

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der österreichischen Forderungen aufgeführt habe, könne er nichts hinzufügen.

Der König gebe ihm aber ein neues Argument dafür

durch die Mitteilung, daß Buol die Zustimmung dem Kaiser gerade in dem Augenblick abgerungen habe, da er die Nachricht erhielt, daß Rußland die Fürstentümer geräumt habe. Franz Joseph seien nunmehr

Zwischen ihm und

alle Bande zerrissen; die revolutio-

nären Umtriebe, von denen der König berichte, wären nur

die

natürliche

die

Folge

der

österreichischen

Politik.

Was

aber

Gefahren betreffe, die Preußen drohten 1 ), so solle er fest bleiben, so

daß

jedermann

es

erfahre,

dann

werde

alles,

was

gut

und gottesfürchtig sei, sich um ihn als um einen Rettungsanker scharen.

„Dann wird unsere heilige Allianz wiederhergestellt sein,

wenigstens zu zweien." des Briefes').

Ein zärtlicher Gruß bildete den Abschluß

Offenbar hatte der König auf die Drohungen Eng-

lands und Frankreichs hingewiesen, mit denen er rechnen müsse, und daß seine Unterstützung der vier Punkte ihn niemals veranlassen werde, das Schwert gegen Rußland zu ziehen.

Der Kaiser aber

wird schwerlich so gedacht haben, wie er dem Könige schrieb. fürchtete, daß

das eintreten könne,

Er

was später auch geschehen

sollte, der Beitritt Preußens zu eben jenem Bündnis mit den Seemächten, das Österreich angebahnt hatte und über das er in seinem Briefe so hart urteilte. Wie dachte

ein

und

urteilte,

politisch

klarer

Kopf,

der

empfand, jene Unterstützung

darüber

hat

Bismarck

am

zugleich der

als

Preuße

vier Punkte

15. August

1854

be-

Leopold

von Gerlach gegenüber sich in nicht mißverständlicher und auch heute noch sehr zu beherzigender Weise folgendermaßen geäußert: „Wir

haben

uns

lange

gesträubt,

in

westlicher

Verbindung

à quatre gegen Rußland zu operieren, so lange die Westmächte uns darum anstellte.

baten

Jetzt

und Rußland

tut

der

Kaiser

sich schroff Nikolaus

und

genau,

unnachgiebig was

Preußen

ihm rät, sowohl in betreff der Antwort als der Räumung;

Öster-

reich und die Westmächte dagegen machen einen Notenaustausch von entscheidender Wichtigkeit, ohne uns das Wort dabei zu gönnen, sie affektieren von uns keine Notiz zu nehmen, und Österreich hat „Prenez garde dans votre solitude aux velléités franco-anglaises, ces gredins sont capables de tout." 2 ) „Adieu, cher et bon Fritz, j e vous embrasse tendrement avec toute mon ancienne amitié. Pour la vie votre tout dévoué et fidèle Nicolas." 21*

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noch soviel Rücksicht für den heruntergekommenen Freund, daß er uns ex post von dem Geschehenen Kenntnis gibt. Das ist die Art, wie man uns behandeln muß, wenn man etwas recht Unverschämtes von uns erreichen will; die Leute werden das schon lernen. Nachdem Rußland den Rat Sr. Majestät genau und schnell befolgt hat, ist das Nächste, was wir tun, die „dringende Unterstützung" der mit der Kriegsdrohung assaisonnierten Forderung der d r e i Westmächte, die ohne uns verabredet ist. Wir konnten keine anständigere Gelegenheit haben, aus der Konferenzschande loszukommen, mit der wir zur Rolle eines Geld- und Rekrutendepots für den westöstlichen Divan zugeschnitten werden, ohne daß man uns erlaubt, unsere Finger mit anzulegen; aber ungebeten, als schlecht behandelter intrus, drängen wir uns in dies Konzert hinein und improvisieren eine kleine Stimme für uns, nach der sich die andern nicht einmal umsehen. Wir ängstigen uns allein zu sein und halten uns am Rockschoß von Österreich fest, das uns durch Buols Lloyd fortdauernd die Rute geben läßt, überzeugt, daß wir ihm doch nachlaufen wie ein herrenloser Pudel 1 )." Das war tatsächlich die Politik Friedrich Wilhelms IV. Einen weiteren Briefwechsel zwischen ihm und Nikolai hat es nicht mehr gegeben. Der Kaiser sagte, was er auf dem Herzen hatte, dem Grafen Münster, der König schrieb seine schwankenden Erwägungen in eigenhändigen Briefen an Werther nieder, die Nikolai sich dann in französischer Übersetzung vorlegen ließ. Die Wendung, welche der Krieg nahm, stimmte ihn immer pessimistischer. Am 28. September berichtete Münster dem Könige, daß der Kaiser ihm soeben mitgeteilt habe, daß Menschikow am 20. August an der Alma geschlagen worden s e i . . . »Der Fürst, so erzählte Nikolai, wurde mit sehr überlegenen Kräften angegriffen, sein linker Flügel litt sehr von dem Feuer der Flotte, so trat er den Rückzug an und glaubte unter den obwaltenden Umständen bis Sevastopol keine haltbare Stellung mehr zu haben. Menschikow zog sich über die Katscha das Beibeck durch das Tal von Inkerman um die Meeresbucht auf Sevastopol zurück und stellte sich rechts davon hinter dem Abschnitt von Inkerman und hinter der Bucht auf. Auf der nördlichen Seite blieb eine Arrieregarde unter Fürst Peter Gortschakow zurück. ') Bismarcks Briefe an General Leopold v. Gerlach. von Horst Kohl, Berlin 1896, Nr. 63.

Herausgegeben

Kapital XIII.

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Gelingt es nicht, den Feind vom nördlichen Ufer der Bucht abzuhalten, was ich nicht hoffen kann, wenn mir auch Menschikow schreibt, er glaube in einigen Tagen zur Offensive übergehen zu können, so ist meine Flotte unbedingt und Sevastopol wahrscheinlich auch verloren. Es kann sich daran füglich der Verlust rder ganzen Krim anreihen, wenn es Gottes Wille ist, all das Unglück über mich zu verhängen." Er knüpfte daran die Bitte, alles dem Könige mitzuteilen. Verliere er die Flotte und Sevastopol, so werde er trotzdem nicht schwach sein, obgleich er erwarte, daß Österreich die Gelegenheit benutzen werde, ihm den coup de pied de l'âne zu versetzen. Er rechne darauf, daß der König Österreich wenigstens von dieser Infamie abhalten werde. Es ist begreiflich, daß unter dem Eindruck dieser tiefen Depression des Kaisers die Ablehnung der vier Punkte, die Nesselrode am 26. August den Kabinetten von Wien und Berlin hatte zugehen lassen, sich auf die Dauer nicht aufrechterhalten ließ. Nikolai hatte am 24. September, also noch bevor er von der Schlacht an der Alma wußte, wohl in der Hoffnung, einen entsprechenden Widerhall in ihm zu wecken, durch Münster dem Könige sagen lassen, er sei bereit, mit ihm durch Dick und Dünn zu gehen; sie seien stark genug, den Freunden des Halbmondes zu widerstehen und auch mit Gottes Hilfe den Sieg zu erringen. Bei der sehr deutlichen Vorstellung, die er von der Charakterschwäche Friedrich Wilhelms hatte, glaubte er doch an die unerschütterliche Echtheit der religiösen Überzeugungen des Königs und an seine Freundschaft. Daß auch in dieser Hinsicht Kompromisse gefunden werden konnten, ist ihm erst allmählich klar geworden. Der König hatte sich, wie Nikolai wünschte, allerdings an Franz Joseph gewendet, um ihn zu dem Versprechen zu veranlassen, daß er keinen Krieg gegen Rußland führen werde, solange es ihn nicht angreife, aber darauf eine entschieden ablehnende Antwort erhalten. Als dann Österreich am 1. Oktober an den Bundestag mit dem Antrag herantrat, das Bundeskorps zu mobilisieren und von Preußen und den deutschen Höfen verlangte, auch die österreichischen Truppen in Moldau und Walachei unter den Schutz des Vertrages vom 20. April zu stellen, stimmte nach wenigem Schwanken Preußen am 9. November zu. Nesselrode '), der diese Wendung offenbar voraussah, schrieb ]

) Die „lettres et papiers" werden für das Ende des Jahres 1854 bis zum Tode Nikolais überaus dürftig. Meyendorff, dem gegenüber der Kanzler

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schon am 6. November an Gortschakow: „Wir haben die Wahl, entweder die vier Artikel anzunehmen, oder im Frühjahr vor einem Kriege mit ganz Europa zu stehen." Ganz ähnliche Gedanken beschäftigten den König. Ein eigenhändiger Brief Friedrich Wilhelms an Werther 1 ) zeigte, daß er fürchtete, von Österreich, Frankreich und England angegriffen zu werden, wenn er nicht nachgebe. Das Mindeste, was er tun könne, wäre, den Schein eines Zerwürfnisses mit Rußland zu fingieren, den Gesandten abzurufen, die Grenze zu sperren usw. Als dieser Brief dem Kaiser vorgelegt wurde, antwortete er: „Wenn der König schon von einer Brouille mit mir spricht, so wird er auch dabei nicht stehen bleiben." Er glaubte zudem zu wissen, daß eine Zusammenkunft zwischen dem Könige und Napoleon in Vorbereitung sei. Unter dem Druck dieser Nachrichten hatte der Kaiser bereits den Entschluß gefaßt, trotz allem die Forderungen der vier Punkte anzunehmen, als Depeschen Gortschakows aus Wien ihn bewogen, damit noch einige Tage zurückzuhalten. Am 17. November erfuhr man in Berlin, Rußland habe die vier Punkte angenommen, aber die unangenehme Bedingung einer österreichischen Neutralitätserklärung daran gehängt. Es ging aber noch über eine Woche hin, ehe Gortschakow den Auftrag erhielt, die vier Punkte ohne jede Einschränkung anzunehmen 8 ). Inzwischen aber hatte Osterreich bereits mit den Westmächten über Abschluß eines Bündnisses verhandelt, dann aber wieder einen Rückzug angetreten, der speziell von Frankreich in drohendem Ton am 23. November beantwortet worden war. Die offizielle Ankündigung Rußlands, daß es sich vollkommen den rückhaltlos offen zu sein pflegte, war in Petersburg als Mitglied des Reichsrats politisch kalt gestellt, und Nesselrodes Briefe an Gortschakow, die zahlreich gewesen sein müssen, sind, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nicht mitgeteilt worden, was wohl auf die Absicht Gortschakows zurückzuführen ist, selbst eine Sammlung seiner politischen Korrespondenz zu veranstalten. Im russischen Auswärtigen Amt scheint diese Korrespondenz nicht zu liegen. 1) Gerlach 1. 1. II, 10. November 1854, pg. 239. Der erwähnte Brief des Königs traf am 2. November in Gatschina ein. 2 ) Die Mitteilung Gortschakows datiert vom 28. November und lautet: „Le soussigné, envoyé en mission extraordinaire de Sa Majesté l'Empereur de toutes les Russes, est autorisé à déclarer à M. le Comte de Buol-Schauenstein, Ministre des affaires étrangères etc., que Sa Majesté l'Empereur, son auguste maître, accepte les quatre propositions du Cabinet de Vienne pour servir de point de départ à des négociations de paix."

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österreichischen Forderungen füge, war daher in Wien als eine arge Verlegenheit empfunden worden. Erst am 30. ging dem Fürsten Gortschakow die Antwort Buols zu, die zunächst der Befriedigung Franz Josephs Ausdruck gab und daran die Bemerkung knüpfte, daß er den Höfen von Paris und London davon Mitteilung machen würde. Beides geschah unter dem Eindruck der Beschießung von Sevastopol und der neuen Niederlage, die Rußland am 5. November bei Inkerman erlitten hatte. Bewog sie Rußland zum Nachgeben, so festigte sie Buol und dem Kaiser die Absicht, unter allen Umständen sich die Vorteile zu sichern, die das Zusammengehen mit den Westmächten versprach. Verstärkt wurde dieser leitende Gedanke, der die Wiener Politik in den letzten Monaten bestimmt hat, durch die drohende Sprache, mit der England und Frankreich die zögernde und schwankende Haltung Österreichs beantworteten. Am 1. Dezember fanden sich die Gesandten Englands und Frankreichs beim Grafen Buol ein und verlangten Unterzeichnung des Bündnisvertrages, widrigenfalls sie um ihre Pässe bäten. Buol ging darauf zum Kaiser und bat um seine Entlassung für den Fall, daß er nicht die Genehmigung zur Unterzeichnung des Vertrages erhalte. Am 2. Dezember haben darauf Bourqueney, Westmoreland und Buol den Vertrag unterzeichnet, der, ohne ausdrücklich die vier Punkte zu erwähnen, unter Berufung auf die Protokolle vom 9. April und 23. Mai a. c. und der Note vom 8. August, unter Vorbehalt von Friedensbedingungen, die sie nach Ermessen vorschlagen würden, die drei Mächte verpflichtete, keine Vereinbarung mit Rußland zu treffen, ohne vorher eine gemeinsame Beratung abgehalten zu haben. Falls es infolge der Besetzung der Fürstentümer durch Österreich zu Feindseligkeiten zwischen Österreich und Rußland kommen sollte, wurde für die Dauer des Krieges eine defensive und offensive Allianz in Aussicht genommen und ebenfalls vereinbart, keinerlei Eröffnungen oder Friedensvorschläge ohne vorausgegangene gemeinsame Beratung entgegenzunehmen. Diesen Vertrag beschlossen die drei Mächte zusammen dem preußischen Hof mitzuteilen und dessen Beitritt anzunehmen, wenn Preußen seine Mitwirkung zur Erreichung des gemeinsamen Zweckes verspreche. Könne der Frieden unter den angegebenen Bedingungen nicht im Laufe des Jahres hergestellt werden, so würden die Mächte

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über die Mittel verhandeln, die geeignet seien, das Ziel ihrer Allianz zu erreichen. Die Ratifikationen dieses Vertrages sollten in 14 Tagen in Wien ausgetauscht werden. Dieser Dezember-Vertrag stellte die preußische Politik wiederum vor eine Entscheidung. Sollte Preußen die Zwangslage, in welche die drei Mächte offenbar beabsichtigten den König zu versetzen, auch diesesmal fügsam hinnehmen, oder sich das Recht einer selbständigen politischen Haltung wahren? Friedrich Wilhelm war bereits am Abend des 2. Dezember über den Inhalt des Vertrages unterrichtet. Auf der Fahrt von Potsdam nach Berlin hat er Gerlach und Niebuhr sowie den Generalen Gröben und Loe davon Mitteilung gemacht. „Ich muß Ihnen etwas eröffnen, worüber aber noch reiner Mund gehalten werden muß. Österreich hat uns von neuem verraten und mit den Westmächten sich verbunden. Keine Offensivallianz, aber ein transitcrisches Bündnis. Bis zum Januar muß Frieden geschlossen sein. Von den vier Punkten kann nur auf gemeinschaftliche "Übereinkunft abgegangen werden usw. Ich wende mich an England. Man will uns verderben. Österreich will erobern, es gibt Galizien hin für die Fürstentümer und hilft Polen restaurieren. Es ist die heilige Liga gegen die Protestanten." Man suchte den König zu beruhigen, v. Gerlach sagte sehr bestimmt: „Preußen muß sich jetzt ruhig verhalten und abwarten, was geschieht, Wir müssen gegen Österreich und gegen Deutschland erklären, daß wir fest auf dem Traktat vom 20. April stehen und keinen Schritt weiter gehen werden1)." Schon am 4. Dezember aber war Gerlach überzeugt, daß der König schließlich nachgeben werde. Zunächst freilich gingen ihm noch tapfere Gedanken durch den Kopf. Er sprach von einer Zusammenziehung von Truppen, um Österreich Furcht einzuflößen, und wollte nach Aufstellung von zwei Divisionen auf das bestimmteste erklären: Für euch, wenn ihr Frieden haltet, gegen euch, wenn ihr Krieg wollt. Das wäre eine Wiederholung der Politik gewesen, die Nikolai vor Olmütz Preußen gegenüber so erfolgreich und so hochmütig durchgeführt hatte. Auch Manteuffel war noch am 17. Dezember entschlossen, der Allianz der drei Mächte nicht beizutreten, und wurde darin von Bismarck unterstützt, der den Gedanken ironisierte, daß England, wie der König glaubte, aus Gründen protestantischer Eintragung Gerlachs, Potsdam, den 2. Dezember.

Kapitel XIV.

Das Ende des Kaisers.

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Gefühlspolitik sich von Frankreich und Österreich trennen könne. „Die Engländer würden in diesem Moment katholisch werden, wenn es nötig wäre, um sich den Beistand Frankreichs zu erhalten. Die Baumwolle sitzt ihnen viel tiefer im Leibe als der Protestantismus 1 ). Ich würde einen Krieg im Bunde mit Rußland für keine verzweifelte Lage halten, sehe aber nicht ein, weshalb wir ihn führen sollten, solange man uns in Ruhe läßt." Wie danach der König trotz allem dazu kam, über den Beitritt zum Bündnis vom 2. Dezember mit Frankreich und England zu verhandeln, ohne trotz seines Entgegenkommens zu einem Abschluß zu gelangen, das fällt in das Gebiet der preußischen Spezialgeschichte. Darüber ging das Jahr 1854 zu Ende. Russischerseits schloß es mit einem Manifest Nikolais vom 26. Dezember an das russische Volk, auf das wir im Zusammenhang der Ereignisse, welche der Verlauf der letzten Phase des Krimkrieges, die der Kaiser Nikolaus erlebte, noch eingehen müssen.

Kapitel XIV.

Das Ende des Kaisers.

Man darf bei Beurteilung des Kaisers nie vergessen, daß sein Regierungssystem dahin führte, ihn unter den Einfluß der Stimmungen zu bringen, die in Petersburg durch die Kreise der Gesellschaft zogen. Die „Gesellschaft" Petersburgs, deren Urteile und Einfluß regelmäßig an sein Ohr drangen, umfaßte vornehmlich Hof und Militär, daneben die Stimme der Literaten, wie sie in den zahlreichen Zeitschriften zum Ausdruck kam und zum Ausdruck kommen durfte. Orlow und Dubbelt griffen zwar über diese Kreise hinaus und wurden von ihren Spähern, den gefürchteten Trägern der blauen Uniform der Gensdarmen, auch über die Stimmungen der revolutionären oder besser gesagt der liberalen Elemente unterrichtet, die es wagten, mit ihren Uberzeugungen an die Öffentlichkeit zu treten oder gar Propaganda für sie zu machen. Dergleichen aber wurde dem Kaiser als Ausnahme dargestellt und konnte keinen richtigen Eindruck machen, weil es in Gegensatz zu dem allgemeinen Zarenkultus gesetzt wurde, von dessen Realität der Kaiser auf Bismarck an Gerlach, 2. Dezember 1854. Gedanken und Erinnerungen I, Kapitel V, pg. 97—99.

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Kapitel XIV.

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seinen jährlichen Inspektionsreisen, die das ganze Reich mit alleiniger Ausnahme Sibiriens umfaßten, sich durch den Augenschein selbst zu überzeugen, immer neue Gelegenheit hatte. An der begeisterten Huldigung, die ihn überall empfing, war auch, soweit die großen Massen der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung ihrer Vergötterung des Zaren Ausdruck gaben, wirkliche und echte Empfindung beteiligt. Aber die Verehrung, die diesem Mächtigsten im Reich zuteil wurde, ruhte auf der Überzeugung, daß seine starke Hand auch diejenigen zerschmettern könne, unter deren Joch man stöhnte, die großen und kleinen Tyrannen, die als Beamte oder als Gutsherren ihre Macht rücksichtslos mißbrauchten. Gelegentliche drakonische Strafen des Kaisers, welche die Spitzen der russischen Aristokratie trafen, zeigten zwar, daß vor ihm keine Standesrücksichten galten und daß er in dieser Beziehung durchaus radikal dachte; aber das waren doch seltene Ausnahmen, weil die volle Wahrheit nur gelegentlich bis an sein Ohr drang, und zwischen ihm und der Wahrheit jene Petersburger Gesellschaft stand, deren Einfluß durch Gunst und Mißgunst, durch Vetterschaften und Protektion die gesamte Beamtenschaft Rußlands in Abhängigkeit hielt und auch Orlow und Dubbelt sich ihrem Einfluß nicht entziehen konnten. Die Jahre des Krimkrieges sind nun für die gesamte spätere Entwickelung Rußlands dadurch von Bedeutung gewesen, daß zum ersten Male diese Petersburger Gesellschaft, die schon früher oft medisiert aber nie frondiert hatte, in systematische Opposition zur Politik des Zaren trat, und nicht nur, was schon früher häufig geschehen war, die Werkzeuge Nikolais mit sarkastischem Spott verfolgte, sondern in Gegensatz zu dem von ihm vertretenen System und zu der Weltanschauung trat, mit der er sich identifizierte. Wir haben gesehen, mit welchem Jubel die Vernichtung der türkischen Flotte in Petersburg und Moskau begrüßt worden war. Aber dieser Jubel galt dem Erfolge und hat den Erfolg der russischen Waffen nicht überdauert. Als kein Zweifel mehr darüber bestehen konnte, daß man nicht nur die Türkei, sondern auch "England und Frankreich als Gegner zu bekämpfen haben werde, und die Haltung von Österreich und Preußen zweifelhaft zu werden begann, auf deren Allianz man als selbstverständlich gerechnet hatte, fingen ketzerische Gedanken an sich zu regen. Man wollte nicht begreifen, weshalb es nicht möglich gewesen sein sollte,

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Frankreichs Bundesgenossenschaft zu gewinnen. Frankreich war von jeher das Ideal nicht nur der russischen Intelligenz, sondern auch der Petersburger Salons gewesen, die ihre geistige Nahrung aus französischen Romanen schöpften und die Vorliebe des Kaisers für England keineswegs teilten. Schon gleich nach Sinope tritt uns die Befürchtung entgegen, daß England darauf ausgehe, die russische Flotte zu vernichten, um ein Monopol auf dem Meere zu haben. Die baltische Flotte des Kaisers war ebensowenig populär, wie der Großadmiral Fürst Menschikow, dessen Versäumnisse seit dem Aufkommen der Schraubendampfer zum Tagesgespräch gehörten. Man entzog sich zwar nicht den patriotischen Ansprüchen, die der Krieg stellte, gab den ausrückenden Truppen feierliches Geleite, sammelte Gelder und ließ es auch an patriotischen Versen nicht fehlen, aber die enthusiastischen Strömungen, die von den slavophilen Kreisen Moskaus ausgingen, schlugen nach Petersburg nicht hinüber. Die Erscheinung der Mutter Gottes über der kaukasischen Armee, die von türkischen Gefangenen gesehen sein sollte, fand keinen Glauben, und den Patriotismus der Moskauer Studenten, die einen Aufruf zu freiwilligem Kriegsdienst erlassen hatten, machte Petersburg nicht mit. Die vornehmen jungen Herren, die im Petersburger Lyzeum sich für eine glänzende Laufbahn vorbereiteten, spendeten zwar 1500 Rubel, aber damit meinten sie auch genug getan zu haben. Anders war von vornherein die Haltung, die der deutsche Adel der drei baltischen Provinzen einnahm, obgleich gerade er von der nivellierenden Politik der russischen Beamtenschaft zu leiden gehabt hatte und selbst in den Jahren, da Fürst Suworow als Generalgouverneur bemüht war, die Vergewaltigung abzuwehren, die von Petersburg in immer neuen Anläufen das Landesrecht bedrohte, in stetem Kampf um Erhaltung der deutschen Sprache in Schule und Universität und um Abwehr der „Bekehrungen" zur russisch-griechischen Kirche begriffen war. Die Beschränkung der Zahl der Studierenden in Dorpat war besonders schwer empfunden worden, ebenso die Kontrolle des Bücherbestandes der Buchhandlungen, die in Dorpat zur Konfiskation von 1150 Büchern geführt hatte, die teils als verboten, als anstößig und, wenn sie den Zensoren nicht bekannt waren, als verdächtig galten; der schwerste Schlag aber war die Ausweisung des aus Deutschland nach Dorpat berufenen hervorragenden Juristen Eduard Osenbrüggen, der wegen seiner freundschaftlichen Beziehungen zu

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der Baronin Bruinigk nach vorausgegangener Haft in der 3. Abteijung im Herbst 1851 den Bescheid erhielt, daß er Rußland zu verlassen habe. Ein Opfer seiner Freundschaft mit der Baronin Bruinigk wurde auch der später so berühmt gewordene Kulturhistoriker und Goethekenner Viktor Hehn, der nach quälender Haft im November 1851 nach Tula verschickt wurde. Hehn ist von Orlow und Dubbelt zu derselben Zeit verhört worden wie Bakunin, und es ist für die Menschenkenntnis dieser Herren bezeichnend, daß sie längerer Zeit darüber in Zweifel gewesen sind, wer der gefährlichere von beiden sei, der Vater des modernen Anarchismus oder der bescheidene Gelehrte, der als Lektor der deutschen Sprache linguistischen und literarischen Studien nachging1). Das geschah zur Zeit, da Crafftström Kurator des Dorpater Lehrbezirks war und Schirinski-Schichmatow das Ministerium der Volksaufklärung verwaltete. Beide sind Herbst 1852 ziemlich gleichzeitig gestorben. Crafftström wurde durch den General Bradke, Schirinski-Schichmatow durch Norow ersetzt. Für die Dauer der Regierung Nikolais hatte dieser Wechsel keine Milderung der russifikatorischen Tendenzen der Regierung zur Folge, wenngleich die den baltischen Privilegien drohende Gefahr infolge der dynastischen Treue und der loyalen Haltung der Provinzen geschwunden schien. Aufgegeben war damit das Ziel der Regierung, die Russifikation der Grenzmarken durchzuführen, keineswegs. Das hatte unter anderem der Besuch gezeigt, den zu Anfang des Jahres der Kaiser in Finnland machte, das ebenso wie die baltischen Provinzen eine ausgesprochen loyale Haltung während der Revolutionsjahre wie jetzt während des Krimkrieges gezeigt hatte. Er bestätigte bei dieser Gelegenheit die Sonderrechte Finnlands für die nächsten fünfzig Jahre, was darauf hinzuweisen schien, daß es sich um eine Gnadenfrist handele. Die Stellung der baltischen Provinzen konnte für besser gesichert gelten, da sie von der sogenannten Deutschen Partei in Petersburg gestützt wurde, zu der man auch den Großfürsten-Thronfolger, die Kaiserin und die Großfürstin Helene rechnete, und die Sympathien des Kaisers für den Adel der Provinzen bekannt waren. Als im Februar 1854 der Landesbevollmächtigte von Kurland, Baron Hahn, dem Kaiser eine Reihe junger kurländischer Indigenats-Edelleute vorstellte, die als Freiwillige ins Heer *) Viktor Hehn. Ein Lebensbild. Von Theodor Schiemann. Stuttgart 1894.

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eintraten und vom kurländischen Adel ausgestattet und unterhalten wurden, nahm Nikolai diese Form patriotischer Huldigung überaus gnädig auf. Den jungen Leuten sagte er: „Ich kann nur wünschen, daß ihr ebenso werdet und dient, wie eure Eltern und Verwandten. Kurland hat mir meine besten Generale gegeben, Pahlen, Rüdiger und viele andere, die ich gleich nicht alle nennen kann. Kurland ist eine in jeder Hinsicht ausgezeichnete Provinz." Dann wandte er sich zu Baron Hahn, reichte ihm die Hand und sagte: „Ich danke Ihnen für den schönen Tag, den Sie mir gegeben haben, und bitte Ihren Mitbrüdern zu sagen, wie sehr ich ihnen für diesen Beweis ihrer Treue und Ergebenheit danke." Ganz ähnlich verlief die Vorstellung beim Großfürsten-Thronfolger 1 ) und die Begrüßung einer zweiten Gruppe von 15 jungen Kurländern, die gleichfalls in die Reihen des russischen Heeres eintraten. In Petersburg befürchtete man nicht nur einen Angriff auf Kronstadt und auf die fi¡inländischen Häfen, sondern auch eine Landung der Feinde in Libau und Polangen zum Zweck einer Aufwiegelung Litauens und Westrußlands, wo eben damals Bauernunruhen stattfanden. Dasselbe Mißtrauen fand gegen die Polen seinen Ausdruck in einem Ukas, der ohne Befragung des Senats und des Reichsrats erlassen wurde, und der die Zahl der Gutsbesitzer außer in den Westprovinzen auch in Westrußland und danach in der Ukraine beschränkte. Baron Hahn erfuhr in Petersburg, daß dem Kaiser auch der Plan vorgelegt worden sei, alle Gutsbesitzer nicht russsich-orthodoxer Konfession in den Ostseeprovinzen durch Güter im Innern des Reichs zu entschädigen und sie dahin zu verpflanzen. Natürlich wurde dieser Plan abgelehnt, aber er zeigte doch, welche Richtung der erregte russische Patriotismus zu nehmen drohte. Ganz allgemein war die Stimmung gegen den Minister des Innern Bibikow, den früheren General!) Kurländisches Ritterschaftsarchiv. Der Thronfolger sagte: „Je vous suis bien reconnaissant de la belle journée que vous avez donné à S. 51. l'Empereur, elle nous sera à jamais mémorable." Und auf die Erwiderung Hahns: »Pour sûr je ne les perdrai jamais de vue. La Gourlande a de tous temps donné toujours un bel exemple et mérité à juste titre la grâce de S. M." und bei einer Sehlußansprache: „Ich hoffe, daß ihr dem Beispiel eurer Väter und Verwandten folgen werdet, die sich alle stets so ausgezeichnet haben; es ist ein edler Wetteifer in allen drei Ostseeprovinzen, wo jede im Beweise der Treue und Anhänglichkeit sich hervorzutun sucht."

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gouverneur von Kiew 1 ), gerichtet, der im übelsten Ruf stand und auf dessen Initiative wohl der Plan jener Umsiedelung der deutschbaltischen Grundbesitzer zurückzuführen ist. Er war mit Suworow verfeindet, und Nikolai fand es nötig, ihm ausdrücklich einzuschärfen, daß er darauf rechne, daß Bibikow ihm die gute Gesinnung der Ostseeprovinzen erhalten werde. Militärisch wurde Estland dem General Berg, Livland dem Fürsten Suworow, Kurland dem Grafen Rüdiger unterstellt. Es ging das Gerücht, daß der Kaiser persönlich das Oberkommando über das gesamte Küstengebiet der Ostsee übernehmen werde, ein Oberkommandierender über die gesamte Heeresmacht Rußlands war noch nicht ernannt, aber das alles waren Fragen, die in der Petersburger Gesellschaft kritisiert und durchgehechelt wurden. Man spottete über Orlows „Bittgänge" nach Wien und Berlin und über die Deputation einer englischen Friedensgesellschaft, die der Kaiser empfangen hatte und die ihn, „überzeugt von seinen friedlichen und wohlwollenden Absichten, gerührt verlassen habe". Es blieb eben nichts Geheimnis für diese Petersburger Gesellschaft, deren Beziehungen bis in das Arbeitskabinett des Kaisers und in den Salon der Kaiserin reichten. So wußte man, daß die Kaiserin sich jetzt von den Töchtern Karamsins dessen Geschichte Rußlands vorlesen ließ, und erzählte sich, daß der englische Admiral Sir Charles Napier bei seiner Abreise aus England versprochen habe, den Geburtstag der Königin (24. Mai) im Winterpalais zu feiern. Große Entrüstung erregte die Rede Ciarendons, welche die Russen als „Hunnen und Vandalen" bezeichnete und von dem russischen Knutenregiment sprach, da doch der Gebrauch der Knute schon seit 1853 durch die viel humanere Rutenstrafe beseitigt sei. Mit großem Respekt wurde Napoleon behandelt. Über ihn und das Echo lief das folgende Wortspiel um: Autriche — triche, Prusse — Russe, Suede — aide! Mit wirklichem Haß, der zugleich mit Verachtung verbunden war, verfolgte man die zweideutige Politik Österreichs, das man vor kurzem erst vom Untergange gerettet habe, und dessen beste Generale unter der Führung von Windischgrätz, Schlick, Jellachich, Lobkowitz, im ganzen 40 (!), erklärt hätten, daß sie gegen Rußland nicht kämpfen würden; das verbiete auch die gefährdete Stellung Österreichs in 1 ) „Von Bibikow sagt alle Welt, daß seine wahren Grundsätze unergründlich seien; den Worten nach Aristokrat, ist er den Handlungen nach Demokrat." Hehn 1. 1. Eintragung vom 2. März 1854.

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Italien und Ungarn. Orlow, auf den diese Urteile zurückgingen, hielt auch mit seiner Geringschätzung Preußens nicht zurück. Der König sei eine Nichtigkeit, der Prinz von Preußen suche, von seiner Gemahlin dazu aufgestachelt, sich zum Führer der liberalen Partei aufzuwerfen, dem Ministerpräsidenten Manteuffel fehle es an Fassungsgabe, er sei kleinlich, kein Staatsmann 1 ). Der führende Bankier Petersburgs, Stieglitz, der unbeschränkte Beherrscher der Petersburger Börse2), wies auf den schlechten Zustand der österreichischen Finanzen hin, während Rußland mit seinem Barkapital von 130 Millionen Rubel Silber in der Peter Pauls-Festung besser gestellt sei als jeder andere Staat in Europa. Auch erfuhr man von ihm, daß die Rachel von ihrem jüngsten Auftreten in Petersburg und Moskau, nach Abzug ihrer nicht unbedeutenden Unkosten, über eine Million Franken nach Paris überwiesen habe. Für die tatsächliche Finanzlage Rußlands wird dadurch natürlich gar nichts bewiesen. Sie war keineswegs glänzend und eine der drückenden Sorgen des Kaisers. Eine innere Anleihe hatte 30 Millionen erbracht, an freiwilligen Spenden waren 20 Millionen zusammengekommen, 11 Millionen aus dem Extraordinarium des Budgets, im Juni sah man sich genötigt, durch die Yermittelung von Stieglitz weitere 50 Millionen Rubel aufzunehmen. Und dabei stand man erst am Anfang des Krieges. Das alles, schreibt Lebedew, dem diese Angaben entnommen sind, ist nitschewo! Wir werden es ertragen und durchhalten. Die Hauptsache ist unsere moralische Demütigung. Eine Eintragung Lebedews1) vom 18./30. Juni 1854 ist so überaus charakteristisch für die Denkart der patriotisch gesinnten, aber kritisch gerichteten besten Kreise der hohen Beamtenschaft Petersburgs, daß sie hier herangezogen werden muß. „Alles atmet auf; Paskiewitsch kommandiert nicht mehr die Armee. Er hat zu spät begonnen und zu spät aufgehört. Zum 25. Juni (Kaisers Geburtstag) erwartet man einen Angriff der vereinigten Flotten auf Kronstadt. Er wird schwerlich stattfinden. Aber weder diese Langsamkeit der Flotten, noch der Sieg des Fürsten Andronnikow (im Kaukasus) vermögen uns Zuversicht zu einem Erfolg einzuflößen oder irgendeine Stimme in Europa zu veranlassen, für uns einzutreten. Unsere Aufzeichnungen des Baron Hahn vom 21. Februar russ. Stils. ) Stieglitz war zugleich Bankier Ton Orlow, Menschikow und Nesselrode. 3 ) Russkaja Starina 1888, II, pg. 351, 362. 2

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Meyendorffs, Brunnows würdigt Europa nicht einmal kurzer Mitteilungen, und die Noten des alten Nesselrode fertigt man als Händelsuchen der Kanzlei ab. Der Sturm von Westen her drohte schon lange, und da wir Preußen und Österreich nicht trauten, wünschten wir längst England auf unserer Seite zu haben. Mit diesen Bündnissen wollten wir das eigenwillige Frankreich umgeben und strenge russische Ordnung in Europa einführen. Die Reise der Großfürstinnen nach England 1 ) und die Korrespondenz Seymours hatten offenbar keinen anderen Zweck. Die Mission Menschikows — eine Nachahmung des Grafen Leiningen — gab Anlaß zur Darlegung unserer Stellung, und von da ab sind wir über Bravaden und Zugeständnisse in die aussichtslose Lage geraten, aus der uns, obgleich die Zeit uns nicht lächelt, vielléicht irgendein rätselhafter Versöhnungsplan des alten Metternich retten kann. Die Ereignisse haben das alte Triumvirat Metternich, Aberdeen, Nesselrode sichtlich aus ihren Geleisen geworfen. Es handelt sich um Völker: Orient und Okzident stoßen aufeinander. Wir versuchten durch Bravaden die Lage zu verbessern. Die Besetzung der Fürstentümer, Sinope, die Überschreitung der Donau — das alles waren Antworten auf die hochmütigen Zumutungen Englands und Frankreichs. Darauf schloß man uns im Süden und Westen ab. Nun versuchten wir es mit Zugeständnissen: Gesandtschaft des Grafen Orlow, des Prinzen von Mecklenburg, die Note Nesselrodes vom 17. März, das Feiern der englischen Gefangenen, endlich die Instruktion des Fürsten Gortschakow (des Stuttgarters) nach Wien und die Antwort auf die Forderung, die Fürstentümer zu räumen. Auch das half nicht! Im Bericht des Grafen Goltz über die Anleihe von 30 Millionen beschimpfte uns Preußen; Österreich zeigte uns völliges Mißtrauen, wie man aus dem Vertrag vom 20. April sieht. Der König von Preußen sagte: . . que c'est avec un regret bien sincère que la roi se voit obligé à renoncer, pour le moment au moins, à cette attitude médiatrice, qui lui semblait présente et par les sentiments personnels, et par les intérêts de son pays, tant qu'il pouvait s'en promettre de salutaires résultats. Franz Joseph antwortete, er könne sich nicht verpflichten das zu tun, was nicht in seiner Macht liege. Frankreich, das in der Bravade Menschikows einen Vorwand fand, hat mit England, unserem wirk') Die Großfürstin Katharina Michailowna und die Herzogin von Leuchenberg, Großfürstin Maria Nikolajewna.

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liehen Rivalen, nie daran gedacht, auf den status quo ante einzugehen. Österreich wäre darauf eingegangen; jetzt aber gibt es sich damit nicht zufrieden und nimmt die Maske von seiner verräterischen Politik ab, die wir von der italienischen Kampagne Suworows und dem ungarischen Koalitionskriege her kennen, und stellt eine Armee (gegen uns) auf. Schon im Januar schrieb BuolSchauenstein insgeheim nach England: „Die Russen haben ihre Schiffe den Griechen in Triest verkauft. Trefft Maßregeln!" jetzt aber schließt er direkt eine Konvention mit der Türkei ab über Besetzung der Fürstentümer und Serbiens. Natürlich muß diese verräterische Politik schließlich uns zugute kommen; dazu bedarf es aber eines großen Sieges; und wo ist der? Die Niederwerfung asiatischer Haufen und Völkerschaften beachtet niemand, an der Donau geht, wie man schon bei Paskiewitschs Abfahrt sagte, alles sehr schlecht; wir haben viel Mannschaft verloreü, die Belagerung Silistrias ist aufgehoben, die Fürstentümer werden geräumt; man erwartet eine Landung in der Krim und wir haben keinen Oberbefehlshaber. Man muß gestehen, daß diese ganze große Sache so schlecht nach allrussischer Art geführt worden ist, daß von der Hoffnung der europäischen Zeitungen — Abdankung oder Tod des Kaisers — was furchtbar zu wiederholen ist — auch bei uns gesprochen wird. In der Tat, unsere Macht hatte auf den Konferenzen in Warschau und Olmütz ihren erschreckenden Höhepunkt erreicht, und das leichtfertige Vertrauen auf die Korrespondenz Seymours zeigt ein so hochfahrendes Vergessen bestehender Beziehungen und des Völrechts, daß, wie es scheint, wir einer schweren Lektion nicht entgehen und erkennen müssen, daß Kraft und Größe nicht darin besteht, daß man im baltischen Meer eine zuverlässige Flotte nicht haben kann, daß man die Eroberung des Kaukasus nicht fortsetzen durfte und daß Polen nicht, wie wir es tun, zu versöhnen ist. Ich kann nicht zur Klarheit darüber gelangen, wie die Umkehr erfolgen und wie die Frage entschieden werden soll: durch eine Erhebung der ungeduldig gewordenen Demokratie oder durch einen Umschwung in Deutschland; auch die Stellung des Kaisers nach Abschluß eines Friedens nicht, wie immer er ausfallen mag, aber auch Rußland kann ich mir nicht vorstellen ohne diese machtvolle Persönlichkeit, bei unseren so überaus schwachen Institutionen." Schiomann, Geschichte Rußlands. IV.

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Lebedew knüpft an diese höchst charakteristische Betrachtung das Zitat aus einem Briefe Ludwigs XIV. vom 29. April 1709: „Je me suis toujours soumis à la volonté divine, et les maux dont il lui plait d'affliger mon royaume, ne me permettent plus de douter du sacrifice qu'elle demande que je lui fasse de tout ce qui me pourrait être le plus sensible. J'oublie donc ma gloire." So weit war Nikolai damals noch nicht. Er hoffte noch, seine „gloire" zu retten. Aber die Vorstellung, die er von seiner Stellung zum Staat hatte, war im Grunde dieselbe, in der Ludwig XIV. lebte. Er war nicht weniger von Gottes Gnaden als le roi soleil und glaubte wie dieser, daß die Leiden, die sein Volk trafen, Erziehungswege Gottes seien, die ihm persönlich galten. Gerade von diesem Standpunkt aus mußten ihm die Schicksalsschläge, die Rußland trafen, besonders wehe tun, ganz abgesehen von der Selbstüberwindung, die es ihn kostete, als Bittender in Preußen und Österreich aufzutreten, die er als Klienten zu betrachten gewohnt war, die von seinem Wohlwollen abhingen. Die Stimmung im Reich wurde immer pessimistischer: „Wir haben den Glauben an unsere Unbesiegbarkeit, an die Unerschöpflichkeit unserer Mittel und an die Charakterfestigkeit unseres Kaisers verloren" 1 ). Daß Paskiewitsch wieder in Warschau residierte und von dort aus in steter Korrespondenz über die laufenden Kriegsereignisse stand, wurde nirgends gebilligt, am wenigsten in den Kreisen der Generale, die vor dem Feinde standen und unter seiner Kritik zu leiden hatten. Auch daß Woronzow wieder die Leitung der Operationen im Kaukasus übernahm, fand keine Billigung. Es begannen Stimmen laut zu werden, die noch vor kurzem nicht gewagt hätten, sich zu äußern. Man erwog, ob nicht die Einführung von Reformen die Beziehungen zu den Westmächten verbessern und das Mißtrauen, das die „asiatischen Verwaltungsmethoden" Rußlands hervorgerufen hätte, mindern könnte, vor allem aber, ob Rußland nicht dann mit besseren Staatsmännern von anständiger Gesinnung versehen werden würde. Uberall regten sich demokratische Tendenzen. Die Sprache der Zeitschriften wurde kühner, noch kühner die handschriftlich umlaufenden Briefe und Verse; sogar in den Kreisen der Unteroffiziere und Bauern, die durch eine neue Aushebung von Rekruten erbittert waren, x

) Lebedew, September 1854.

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begann es sich zu regen. Das größte Aufsehen aber machte es, als bekannt wurde, daß der Moskauer Historiker Pogodin dem Kaiser eine Denkschrift hatte zugehen lassen, in der er sich für Aufhebung aller Zwangsmaßregeln in Polen aussprach. Allerlei Unglücksfälle verschlechterten die Stimmung: Mißwachs des Winterkorns, ein furchtbarer Orkan, Brände in Moskau, Samara und in Petersburg, wo am 13./25. August 130 Häuser im Viertel des Ismailowschen Regiments eingeäschert wurden. Die große Wasserleitung, die zu Anfang des Jahres für Petersburg in Angriff genommen war und das Wasser bis zu einer Höhe von 150 Fuß treiben sollte, war noch im Bau. Wirkliche Bestürzung erregte jedoch erst die Nachricht von der Landung der Feinde in Eupatoria. Die Krim, „diese edelste Perle in der russischen Krone", war ernstlich gefährdet. Man wußte, daß Menschikow in der Krim nur verhältnismäßig geringe Kräfte zur Verfügung hatte; noch gegen Ende August hatte der Kaiser infolge der Dobrudscha-Expedition der Türken und Franzosen einen Angriff auf die Krim für ausgeschlossen gehalten 1 ). Jetzt hielt man eine Unterstützung Schamyls durch die Engländer für möglich, so daß auch der Kaukasus gefährdet erschien. Dazu kam, daß die Tataren der Krim infolge der kurzsichtigen Unterdrückungspolitik der Regierung nichts weniger als zuverlässig waren, der Minister des Innern trug sogar an, sie aus der Krim auszusiedeln. Die allgemeine Niedergeschlagenheit ergriff nun auch Petersburg. „Bewahre uns, Herr, vor inneren Unruhen. Es gibt so viel Brennstoff, daß der Brand das ganze Reich umfassen kann. Demokratie und ungezügelte Anarchie werden die Zerstörungen weit übertreffen, die in Staaten stattfinden, in denen das erbitterte Volk auf geordnete Verhältnisse, historische Uberlieferungen und Gewohnheiten stößt. Alle diese Leibeigenen, alle diese ausgeplünderten Bauern und Fremden, die Geistlichen und kleinen Grundbesitzer, die stellenlosen Bürger und Leute ohne Rang, die Arrestanten auf Frist und die ohne Termin Entlassenen, das alles wird Zerstörung und Unordnung bringen*)." *) Er schrieb noch am 16./28. August an Menschikow, daß die 52 Battaillone Infanterie, 16 Eskadrons, 8 Batterien zu Füll und 2 zu Pferde, nebst den 3 Regimentern Kosaken, die in der Krim standen, ihm genügen müßten. Mehr könne er ihm nicht geben. An einen Angriff auf Sewastopol glaube er nicht. J ) Lebedew, Oktober 1854. 22*

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Die Nachricht von der Schlacht an der Alma traf in Petersburg am 19. Oktober ein, gleichzeitig mit der von einem furchtbaren Brande in Memel, bei dem an Rußland verkaufte Waren im Werte von 6 Millionen Rubel zugrunde gingen. Am 12. ernannte ein Senatsukas endlich Menschikow zum Oberkommandierenden der Krimarmee, was keineswegs beifällig aufgenommen wurde. Es folgte die Meldung, daß auf Menschikows Befehl am 10./22. Oktober fünf Linienschiffe und zwei Fregatten der russischen Flotte in der Reede von Sewastopol gegen das Votum Kornilows mit ihrem Geschütz versenkt worden seien. Sewastopol hörte damit auf, ein Hafen zu sein, die Reede wurde ein dem Feinde unzugänglicher See, aber als ein Vorteil galt, daß das gesamte Personal der Marine damit für die Verteidigung der Festung gewonnen war. Das war eine Maßregel, die keinen Widerspruch hervorrief, da die Verteidigung der nördlichen Befestigungen der Stadt Kornilow und die der südlichen Nachimow übertragen wurde, beides Lieblinge der Patrioten, während Menschikow selbst die Stadt verließ und was ihm an Truppen geblieben war nach Bachtschisarai auf die Hochebene südlich und nordöstlich von Sewastopol führte, um dort Verstärkungen abzuwarten und dann, wenn möglich, den Feind ins Meer zurückzuwerfen. Mit der Absendung von Verstärkungen hielt der Kaiser jetzt nicht mehr zurück, so daß die Armee Menschikows in stetem Zunehmen war. Auch die kaiserliche Familie in ihrer Eigenschaft als Besitzerin großer Liegenschaften beteiligte sich daran. Unter Leitung des Grafen Perowski ließ sie aus ihren Apanagebauern in den Gouvernements Archangel, Nowgorod, Wolodga ein Regiment Schützen ausbilden, denen man das Zugeständnis machte, daß diesen Soldaten der Bart gestattet wurde. Auch Freiwillige aus der nicht leibeigenen Bevölkerung wurden in dieses kaiserliche Schützenregiment zugelassen. Da die Leute ein Monatsgehalt von 3 Rbl. und die sog. Paika (eine besondere Mehlration) erhielten, rechnete man auf Zulauf und hoffte, daß die reichen Großgrundbesitzer dem von so hoher Stelle gegebenen Beispiel folgen würden. Die Beschießung Sewastopols, die am 9. Oktober begonnen hatte, die Nachricht, daß dabei Kornilow gefallen und Admiral Nachimow verwundet sei, steigerte die Erregung, namentlich aber die großen Verluste, die ein gescheiterter Ausfall brachte, der am 25. Oktober von Sewastopol gegen die Stellung der Engländer in Balaklava gerichtet war. Die Enttäuschung war um so

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größer, als- der Mißerfolg zunächst als Siegesnackricht verbreitet worden war. Man schrie nach Frieden. „Die Gesellschaft", schreibt Lebedew, „ist bereit, außer den 4 Punkten auch den Kaukasus bis zum Kuban abzutreten, auch Finnland bis zum Kern, auch bereit, das Zartum Polen wiederherzustellen. Aber, unsterbliche Götter, wo werden wir dann stehen bleiben? Kern und die Neva, Polen und Kleinrußland! . . . versucht es erst mit Abtretungen — man wird euch in den Schmutz hinabstoßen. Es liegt sicherlich eine Gefahr in diesen Urteilen über unsere Lage. Unzweifelhaft aber freuen sich nur die Unzufriedenen; andere, die Vorsichtigen, sind gleichgültig, wir, die dritte Gruppe, werden von Kummer niedergedrückt, sind aber auch kleinlaut. So entwurzelt ist das ehrliche Gefühl nationaler Würde, so knechtisch gefesselt das edelste Empfinden der Staatsbürger! Ich fürchte zumeist einen Bürgerkrieg: kehrt das Heer nach Rußland zurück mit dieser Legion von Taugenichtsen und Unzufriedenen, dann kann es wieder einen furchtbaren Aufstand wie den Pugatschews geben." Unzweifelhaft ist dieses Gerede und sind diese patriotischen Sorgen auch bis an das Ohr des Kaisers gedrungen. In dem Schreiben, das er er am 31. Okt. 12. November 1854 an Menschikow richtete, glauben wir ihren Widerhall zu hören: „Ermüde nicht, lieber Menschikow, als Befehlshaber der Helden von Sewastopol, mit fast 80000 Mann ausgezeichneter Truppen zur Verfügung, die das Bewußtsein haben, daß ihnen nichts unmöglich ist, wenn man sie so führt, wie es nötig ist. Mit solchen Leuten wäre es schimpflich, an eine schließliche Niederlage zu glauben. Sage allen aufs neue, daß ich mit ihnen zufrieden bin, ich danke für ihren echt russischen Geist, der sich, wie ich hoffe, niemals verändern wird. „Sewastopol aufgeben, solange 80000 Mann vor und in der Stadt stehen, daran nur zu denken ist schimpflich, das darf nicht sein, und ich dulde nicht, daß daran gedacht wird. Ich schreibe nicht mehr, weil ich nicht weiß, was ich noch schreiben soll. Ich bin glücklich, daß Gott meine beiden Rekruten erhalten hat und Die Rekruten sind die Großfürsten Nikolai und Michail, von denen der erste Generalinspektor des Ingenieurkorps, der zweite Generalquartiermeister der Artillerie war. Sie hatten die Beschießung von Sewastopol mitgemacht und nahmen auch im Stabe Menschikows an der Schlacht bei Inkerman teil.

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daß sie sich bewährt haben, wie ihre Pflicht und ihr Beruf es verlangt. Ich schließe, wie ich begann: Keiner soll ermatten, Du weniger als jeder andere, denn aller Augen sind auf Dich gerichtet. Dein Beispiel muß die anderen bis zum Äußersten fortreißen. Gott behüte Dich!" Als dieser Brief den Fürsten Menschikow erreichte, waren die Hoffnungen Nikolais bereits zuschanden geworden. Am 5. November hatte die Schlacht bei Inkerman den Russen eine Niederlage gebracht. Der Fürst hatte auch als Oberkommandierender nicht verstanden, Sympathien zu gewinnen. Man hatte es ihm sehr verdacht, daß er den Bischof von Cherson, Innokenti, der mit einem wundertätigen Marienbild erschienen war, um die Truppen zu segnen und anzufeuern, fortgeschickt hatte. „Ich fürchte," sagte er ihm in seiner spöttischen Art, „die Mutter Gottes zu kompromittieren, sie könnte in die Hände der Feinde fallen." Den Oberst Totleben, den der Fürst Gortschakow ihm mit dringenden Empfehlungen zugeschickt hatte, wollte er zunächst wieder an die Donau zurücksenden, und erst allmählich gelang es diesem hervorragenden Ingenieur, Duldung und Anerkennung zu finden. Für den Angriff, den Menschikow mit seinen 80000 Mann gegen die damals nur 65000 Mann starken Alliierten führen sollte und von dem die Entscheidung des Krieges erwartet wurde, war ihm aus Petersburg ein sorgfältig ausgearbeiteter Operationsplan zugeschickt worden, den der Kaiser selbst, natürlich unter Zuziehung Paskiewitschs, entworfen hatte. Auch war Menschikow voller Zuversicht. Aber der Ausgang entsprach seinen Hoffnungen nicht. Die Schlacht bei Inkerman, die beiden Teilen ungeheure Verluste brachte') — in vielen Regimentern gab es keinen Stabsoffizier mehr — war für die Russen verloren, weil ihr Ziel nicht erreicht ward. Sie hatte zwar zur Folge, daß die Alliierten einen für den 7. November geplanten Sturm auf Sewastopol aufgaben, sich aber nunmehr selbst verschanzten und aus der Heimat neue Verstärkungen verlangten und erhielten. Auch Menschikow bemühte sich um Verstärkungen, war aber voller Sorge, weil er befürchtete, daß in nicht zu fern liegender Zeit der Feind ihm auch an Zahl' überlegen sein werde. Sewastopol schien ihm verloren, seine Aufgabe, so meldete ein Kurier dem Fürsten ') Die Russen verloren an Toten 4 3 Offiziere, 2945 ManD, an Verwundeten 6 Generale, 208 Offiziere, 5937 Hann, dazu an Vermißten 1495 Mann.

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Michail Gortschakow, werde jetzt sein, die Krim zu verteidigen. In gleichem Sinn schrieb er auch dem Kriegsminister Fürsten Dolgoruki am 8. November. Etwas zuversichtlicher war der für den Kaiser bestimmte Bericht. „Wenn Dein Bericht, lieber Menschikow, — antwortete Nikolai am 14. November — über den ausgezeichneten Geist der Truppen, über ihren Heldenmut und ihre Bereitwilligkeit mich trotz des Mißerfolges und der entsetzlichen Verluste erfreut hat, so hat Dein Brief an den Fürsten Dolgoruki mit Deinen bitteren schwarzen Vorhersagungen mich tief betrübt. Welchen Nutzen brachte so viel Heldentum, so viel bitterer Verlust, wenn der Ausgang so verderblich sein soll? . . . Haben denn unsere Feinde nicht auch gelitten und ist aller Vorteil nur ihnen zugefallen? Ich kann nicht glauben, daß Du das willst. Ermatte nicht, sage ich, und verbreite nicht Mutlosigkeit unter den anderen. Das wäre schimpflich." Er knüpfte daran die Aufforderung, mit aller Kraft gegen die Belagerungsarbeiten des Feindes vorzugehen, und schloß mit der Hoffnung, bald günstige Nachrichten zu erhalten. Auch ließ er es nicht an Sendung von Verstärkungen fehlen, sowie an Pulver, über dessen Mangel Menschikow zur großen Beunruhigung Petersburgs immer aufs neue klagte 1 ), und dessen Ergänzung, wie er fürchtete, für die Entscheidung des Schicksals von Sewastopol, bei den entsetzlichen Wegen, die überwunden werden mußten, zu spät eintreffen mußte. Menschikow sah aber auch in dieser Beziehung zu schwarz. In Petersburg überbot man sich in bösen Bemerkungen über den Fürsten Ismenschikow (Verräter — ismena = Verrat). Einen Lichtblick brachte dem Kaiser der Orkan vom 14. November, von dem die Flotte der Alliierten schwer zu leiden hatte, der aber auch die Besatzung Sewastopols durch Regen, Hagel und Wind und den danach eintretenden Frost schweren Prüfungen aussetzte. Von den Feinden hatten namentlich die schlechter ausgerüsteten Franzosen nicht minder zu leiden, so daß eine Periode ') Vom Beginn der Belagerung bis zum 15. November a. St. waren 4 5 0 0 0 Pud Pulver verbraucht worden, während um diese Zeit in der Festung und in den Vorräten, die in Novotscherkask, Perekop, Cherson, Nikolajewsk und Bender lagen, inklusive 4000 Pud, die aus Kiew eingetroffen waren, immer noch 29000 Pud vorhanden waren. Brief Menschikows an den Kriegsminister. Dubrowin, Geschichte des Krimkrieges. Petersburg 1900, Bd. II, pg. 277, Anmerkung 3.

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beiderseitiger Untätigkeit eintrat, die den Kaiser ernstlich beunruhigte, da er Nachricht von den Verstärkungen erhalten hatte, die von England und Frankreich aufgebracht wurden. „Ich gestehe Dir, schrieb er am 1. Dezember dem Fürsten, daß, da ich von Dir nicht höre, welches Deine weiteren Absichten sind und was Du zu unternehmen gedenkst, ich unwillkürlich fürchten muß, daß die letzte für uns günstige Zeit ungenützt vorüberzieht. Sehr bald wird der Feind seine Verstärkungen erhalten, und während er absichtlich bis dahin mit seinem Feuer zurückhält, wird er danach mit erneuter Stärke seine Unternehmungen wieder aufnehmen. Was wird dann geschehen, wenn jetzt, da wir wissen, daß er geschwächt ist, wir nichts unternehmen und ihm Zeit lassen, seine ohnehin starke Stellung weiter zu befestigen? . . . Um Gottes willen verliere keine Zeit, sie ist kostbar, aus den Dir mitgeteilten Nachrichten wirst Du alles ersehen, was wir von der Absendung von Verstärkungen in die Krim erfahren haben, nach ungefähr zwei Wochen werden sie beginnen einzutreffen." Am 6. Dezember hat dann Nachimow den Versuch gemacht, durch eine offen gebliebene Kinne des Hafens zwei Dampfer,, den „Wladimir" und den „Chersones" zum Angriff auszuschicken, und wirklich gelang es ihnen, einige Bomben auf das feindliche Lager zu werfen und ein feindliches Schiff zu verwunden, aber sobald die Überraschung geschwunden war, mußten sie vor der Übermacht weichen. Es war ein Erfolg, daß sie unbeschädigt nach Sewastopol zurückkehren konnten. Der Kaiser kargte nicht mit Belohnungen. Er hat der Sewastopoler Garnison jeden Monat ihrer Dienstzeit als ein volles Jahr anrechnen lassen. Der Fürst Wassiltschikow wurde zum Stabschef Menschikows ernannt und der bei den Truppen außerordentlich beliebte Baron Osten-Sacken zum Kommandanten der Sewastopoler Garnison; diese beiden und Oberst Totleben waren fortan die besten Stützen Sewastopols, sie und das kalte und stürmische Wetter, das den ganzen Dezember hindurch anhielt und jede Aktion der Alliierten verhinderte. „Ich denke," schrieb der Kaiser am 5./17. Januar 3855 dem Fürsten Menschikow, „daß nunmehr für sie die Zeit des Verderbens gekommen ist, wenn das Wetter noch einen Monat dasselbe bleibt. Hoffentlich leiden unsere Truppen nicht darunter, wir fürchten ja den Winter nicht." Er ließ die Branntweinration der Truppe erhöhen und riet, für reichliche Ernährung zu sorgen. Von Zeit zu Zeit fanden jetzt, zur Freude des Kaisers, Aus-

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fälle aus der Festung statt. Er hatte Paskiewitsch telegraphisch') am 18./30. Dez. 1854 nach Petersburg berufen, um die militärische und die politische Lage mit ihm zu beraten. Ein Kriegsplan, den er am Schluß des alten Jahres (1854) ausgearbeitet hatte, lag den Beratungen, die sich bis in den Anfang Februar 1855 hinzogen, zugrunde. Als letzte militärisch-politische Arbeit Nikolais verdient dieser Plan, an welchem der Kaiser trotz mancher Einwendungen Paskiewitschs bis zuletzt festhielt, besondere Beachtung. Es war gleichsam sein politisch-militärisches Testament und er hat es am 2. russischen Weihnachtstage persönlich dem Feldmarschall zur Erörterung übergeben. Wir kennen es aus dem Tagebuch Paskiewitschs 2 ), der einen ausführlichen Auszug anfertigte. Die Verteidigung des Reichs zerfalle, der Gefahr der Lage entsprechend, in drei Abschnitte: den nördlichen, mittleren und südlichen. Der 1. umfaßt Finnland, Petersburg und die baltischen Küsten bis zur preußischen Grenze und hat die Aufgabe, englischfranzösische Landungsversuche und Angriffe Schwedens abzuwehren. Der 2. beginnt an der Weichsel, stützt sich auf die Festungen Polens und deckt die beiden vornehmsten Straßen, die in das Innere Rußlands führen: Bobriusk und Kiew. Der 3. zerfällt in zwei Teile: den eigentlichen Süden und die Verteidigung der Krim. Namentlich zu beachten ist der mittlere Abschnitt, weil er den Zutritt in den Mittelpunkt des Reiches zu schützen hat. Er springt vor und ist daher dem Angriif des Feindes von der Front und an den beiden Flügeln ausgesetzt. Die Stellung der mittleren Armee ist besonders wichtig, da sie zugleich die Flanke Österreichs bedroht, falls der Versuch gemacht werden sollte, in Wolhynien und Podolien einzudringen. Die Südarmee hat einen Angriff der Türken und Österreicher auf Beßarabien und Podolien abzuwehren und ist außerdem Landungsversuchen der Allierten an der gesamten Küste des Schwarzen Meeres ausgesetzt, während die Armee der Krim nicht nur Sewastopol und die Krim verteidigen muß, sondern Erfolge der Feinde auf der ganzen Halbinsel zu verhindern hat 5 ). *) Von Sewastopol ging der elektrische Telegraph nur bis Kiew, von da ab mußte der vom Wetter abhängige optische Telegraph benutzt werden. 2 ) Schtscherbatow 1. I. Band VII, pg. 255 sq. Das Original ist nicht veröffentlicht. 3 ) Es ist charakteristisch, daß der Kaiser den Kaukasus gar nicht erwähnt.

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Bei der augenblicklichen Lage liege die große Gefahr infolge der offenkundigen Feindseligkeit Österreichs im Süden, da die Haltung Preußens nur zweideutig sei und wahrscheinlich noch einige Zeit so bleiben werde. Daher müsse man den Süden durch einen Teil der mittleren Armee verstärken. Sollten die Österreicher nicht nur in Beßarabien eindringen, sondern sich auch gegen Wolhynien und Podolien wenden, so habe der Fürst Gortschakow Beßarabien zu räumen, und indem er sich mit seinem linken Flügel auf den Dniestr stütze, den rechten an den Bug zu führen. Die Spitzen des linken Flügels dieser Armee, unter Kommando des Generaladjutanten Lüders, seien hinter Bender zurückzuziehen, und wenn der Feind in seinem Rücken landen sollte, auf Nikolajew, um sich mit der Garnison von Odessa zu vereinigen, während die Reserve in Nikolajew steht. Dann hat die mittlere Armee gegen den rechten Flügel der Österreicher an der russischen Grenze zu operieren. Außer den Festungsgarnisonen würde in Polen nur ein Korps zurückbleiben. Wenn der Flankenangriff den'Einbruch der Österreicher zum Stehen bringt, oder einen Teil ihrer Kräfte gegen die mittlere Armee wendet, so wird Fürst Gortschakow, indem er Lüders zwischen Bender und Nikolajew zurückbleiben läßt, selbst zum Angriff auf die Truppen übergehen, die am linken Ufer des Dniestr stehen und sie zurückwerfen, während Parteigänger (Partisane) ihren Rücken bedrohen. „Man kann glauben 1 ), daß eine solche Operation unserer Lage meist entspricht. Sie gestattet dem Feinde nicht, weit vorzudringen, ohne daß er sich einem Mißerfolge aussetzt, und wird ihn vernichten, ohne ihm die Möglichkeit zu einem entscheidenden Schlage zu bieten. Verfolge ich diesen Gedanken, so glaube ich nicht, daß die Stellung der mittleren Armee große Änderungen erfordert. Es wäre nur zu wünschen, daß der linke Flügel des 2. Korps Kremenetz besetzt, während das 1. Korps sich bei Lublin versammelt und die Grenadiere in Warschau bleiben. Wenn der rechte Flügel der Südarmee bei Kischinew steht, hätte er eine Nachhut bei Bielzew und fertige Übergänge zum Dniestr; hinter dem Kürassierkorps in Litina würde, zwischen Skwira und Swenigorodka, das 3. ReserveDen folgenden Abschnitt aus dem Kriegsplan des Kaisers hat Paskiewitsch wörtlich wiedergegeben.

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korps stehen und vorn, näher zur Grenze, die Vorhut der Kosaken. So könnte man auf einem vorherbestimmten Platz am linken Ufer des Dniestr schnell 89 Bataillone und 90 Schwadronen versammeln, um einen frontalen Angriff der Österreicher abzuwehren, während Fürst Paskiewitsch mit 66 Bataillonen und 32 Schwadronen (die Kosaken nicht eingerechnet) von Lutzk oder Kremenetz den Flügel des Feindes bedroht und in Polen außer den Garnisonen der Festungen 32 Bataillone und 56 Schwadronen zurückläßt. Schließlich bleiben in Kiew und jenseits des Dniepr 8 Bataillone und 56 Schwadronen, in Kiew aber werden 24 Reserve-Bataillone des 4. Korps formiert. Als weitere Reserven werden 'sich im Süden noch 24 Reserve-Bataillone des 5. Korps befinden. Ihre Ausbildung wird Ende Mai abgeschlossen sein und dann werden sie entweder zur Ergänzung der Verluste oder zur Teilnahme am Kampf zu den alten Truppen heranzuziehen sein. Ebensolche Bataillone des 2. Korps könnte man, je nach Bedarf, entweder nach Petersburg oder nach Litauen schicken. Sollten aber Deutschland und Preußen so schamlos sein, sich unseren Feinden anzuschließen, so wäre unsere Lage noch weit schwieriger." In der Verhandlung, die danach stets erst mündlich und dann in schriftlichen Aufzeichnungen des Kaisers wie des Feldmarschalls stattfand, stellte sich bald heraus, daß Paskiewitsch allen Schwerpunkt auf die Verteidigung Polens, der Kaiser auf die Behauptung der Krim und der Küsten des Schwarzen Meeres legte. Die politischen Gedanken, die der Feldmarschall im Verlauf der sehr eingehenden Erörterungen entwickelte, faßten eine Reihe von wenig •wahrscheinlichen Möglichkeiten ins Auge: Offensiv- und Defensivbündnis mit Preußen, gegen Abtretung eines Teils des linken Weichselufers; Erneuerung einer allgemeinen Allianz gegen Frankreich, Organisation polnischer Parteigänger (Partisan-Regimenter) in Wolhynien und Podolien, das alles wurde, abgesehen von Zustimmung in Einzelheiten, vom Kaiser abgelehnt. Falls der vom Feldmarschall gefürchtete große Angriff über Polen in das Innere Rußlands stattfinden sollte, sei er entschlossen, sein Reich auch hinter dem Dniepr, hinter Moskau, ja sogar jenseits der Wolga zu verteidigen. Er dachte an das J a h r 1812 und an ähnliche Äußerungen Alexanders I. Jetzt aber handele es sich ihm um Sewastopol und um die Krim. Einen Krieg mit Österreich hielt er für

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wahrscheinlich, nicht aber den Anschluß Preußens an seine Feinde. Wenn, wie Paskiewitsch fürchtete, eine französische Armee an den russischen Grenzen erscheinen sollte, sei zwar eine Erhebung der Polen zu erwarten, dasselbe werde dann jedoch auch in Posen und Galizien geschehen. Osterreich könne dem möglicherweise Vorschub leisten, Preußen gewiß nicht; es werde, um seine eigenen Interessen zu wahren, sich dann gegen Frankreich wenden und Rußland damit die Möglichkeit bieten, einen Teil der an der Ostsee stehenden Truppen in das Zentrum der russischen Stellung zu ziehen. „Also, so schloß der Kaiser seine letzte Aufzeichnung, ich bleibe dabei, daß unser erster Plan unverändert bestehen bleibt: er entspricht der jetzigen Lage, hat die geringsten Nachteile und verspricht in vielen Fällen unbestreitbare Aussichten auf Erfolg. . . . Das übrige wird Gott gestalten!" Nach sechswöchentlichem Aufenthalt in Petersburg kehrte der Feldmarschall mit dieser Entscheidung nach Warschau zurück. Der Kaiser hatte kurz vor seinem Eintreffen ein aus Gatschina den 14./26. Dezember datiertes Manifest an das russische Volk erlassen, das wenig zuversichtlich klang. Nicht Ehrgeiz habe ihn in diesen Krieg geführt, sondern ausschließlich die Absicht, die feierlich anerkannten Rechte der orthodoxen Kirche und der Glaubensgenossen im Orient zu schützen. Deshalb aber werde er von einigen Mächten,, die geheime Absichten verfolgten, nicht in der Türkei, sondern in Rußland, im Baltischen, Weißen und Schwarzen Meer, in Taurien und im Stillen Ozean bekämpft. Ein Trost in den von jedem Kriege untrennbaren Nöten sei ihm der Heroismus, der sich im Kaukasus, im Kloster Solowetzk, im Hafen Petropawlowsk in Kamtschatka bewährt habe; vor allem aber in Sewastopol. Als Christ könne er ein längeres Blutvergießen nicht wünschen und Friedensanerbietungen, die mit seiner Ehre vereinbar seien, werde er nicht zurückweisen, aber eine nicht minder heilige Pflicht gebiete ihm, Anstrengungen und Opfer bereitzuhalten, die den Anstrengungen der Feinde entsprächen. „Russen! Meine teueren Kinder! Ihr seid gewohnt, wenn die Vorsehung euch zu Meinem großen und heiligen Werke ruft, nichts zu schonen, weder euer in langen Arbeitsjahren erworbenes Vermögen, noch euer und eurer Kinder Leben und Blut. Der edle Eifer, der eure Herzen entflammte, seit dieser Krieg begann, wird in keiner Lage ermatten und eure Gefühle sind dieselben

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wie die eures Kaisers. Wir alle, Herrscher und Untertanen, werden, wenn es nötig wird, die Worte wiederholen, die der Kaiser Alexander in einem Jahr der Anfechtung, die der heutigen gleicht, ausgesprochen hat: Das Schwert in der Hand und das Kreuz im Herzen, werden wir dem Feinde die Stirn bieten, um das heiligste der irdischen Güter zu verteidigen: die Sicherheit und die Ehre des Vaterlandes." „Was soll das heute veröffentlichte Manifest bedeuten?" bemerkt dazu Lebedew. „Wohin werden wir mit dem Schwert in der Hand und dem Kreuz im Herzen gehen? Welche heilige Sache werden wir verteidigen, nachdem wir den vier Punkten zugestimmt haben? Was ist das für ein Spiel mit Krieg und Frieden? Derartige Veröffentlichungen bringen keinerlei wirklichen Nutzen im Innern des Reichs, sie schaden uns bei unsern feindlichen Nachbarn, und ich bin überzeugt, daß das Manifest vom 14. Dezember (ein Tag üblen Angedenkens) nicht nur unangenehmes Gerede, sondern einen offenen Bruch mit der öffentlichen Meinung zur Folge haben wird." Dieses Manifest war jedoch nur der Vorläufer eines zweiten Aufrufs an die Bevölkerung, der am 29. Januar/10. Februar 1855 erschien und von Paskiewitsch, gegen den Widerspruch des Ministers des Innern Bibikow, durchgesetzt worden war. Es ordnete die Aushebung einer Miliz an, je 23 Mann von 1000 Seelen, und rief ebenfalls lebhaften Widerspruch hervor. Es schien höchst unwahrscheinlich, daß diese Miliz imstande sein werde, sich mit regulären Truppen zu messen, und man fürchtete, daß, wenn nach einigen Monaten die ausgehobenen Bauern in die heimatlichen Dörfer zurückkehren sollten, sie verwildert und unbotmäßig sein würden. Auch daß die Studenten und die Schüler der Prima und Sekunda (nach russischer Zählung die 6. und 7. Klasse) die „Erlaubnis" erhielten, in die Armee einzutreten und vorher in den Kadettenhäusern Marschübungen vorzunehmen hatten, wurde keineswegs als besondere kaiserliche Gnade empfunden, obgleich der Minister der Volksaufklärung und der Großfürst-Thronfolger für diese Auffassung eintraten. Eine bessere Aufnahme fand es in der Gesellschaft, daß der Kaiser dem Großfürsten Alexander als letzter Instanz die Erledigung aller Geschäfte der Zivilverwaltung übertrug. Man hoffte, daß der künftige Kaiser den Anstoß zu liberalen Reformen geben werde. In der großen Politik erfreute die Weigerung Preußens, die von Österreich beantragte Mobilisierung der Bundes-

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truppen zu unterstützen und dem Vertrage vom 20. April die vom Grafen Buol gewünschte Tragweite zuzuerkennen, und ebenso die Ablehnung der Ausschüsse des Bundestages für die orientalischen und Militarangelegenheiten, einen Bundesfeldherrn zu wählen, denn dadurch schienen die pessimistischen Erwartungen des Fürsten Paskiewitsch widerlegt zu sein. Andererseits beunruhigte das Erscheinen des österreichischen Feldzeugmeisters Heß im österreichischen Feldheer und die Nachricht vom Anschluß Sardiniens an die Allierten am 26. Januar 1855, was gerade zur Zeit einer parlamentarischen Krisis in England geschah, aus der am 6. Februar Lord Palmerston als Prime Minister hervorging, eine Tatsache, die auf energische Fortsetzung des Krieges von Seiten Englands hinwies. Auch ging das Gerücht, daß Napoleon III. sich mit der Absicht trage, selbst in die Krim zu fahren, um dort die Führung zu übernehmen. Die ans Sewastopol einlaufenden Nachrichten waren Anfang Februar'zunächst nicht günstig. Ein Versuch des Generals Chrulew, Eupatoria zu erstürmen, wurde unter starken russischen Verlusten abgeschlagen. Menschikow fand nicht den Mut, dem Kaiser einen wahrheitsgetreuen Bericht zu erstatten. Er meldete telegraphisch, daß es sich um eine starke Rekognoszierung gehandelt habe, bei der 300 Mann verloren wurden, aber der Kaiser wußte, daß es 700 waren, und war bekümmert durch diesen neuen Verlust, den keine militärische Notwendigkeit rechtfertigte. Dazu kam, daß ihn das Eintreffen des Generaladjutanten Niel beunruhigte, dem ein ausgezeichneter Ruf vorausgegangen war und der in der Tat eine außerordentliche Tätigkeit entfaltete. Da die Stürme der letzten Zeit den durch die versenkten russischen Schiffe gesperrten Zugang wieder freigelegt hatten und der Feind eine Flotte von 18 Linienschiffen, 24 Dampfern und 7 Fregatten am Eingang der Reede konzentriert hatte, kam Menschikow zum Schluß, daß Sewastopol vom Meere aus angegriffen werden solle und gleichzeitig ein Sturm gegen die Befestigungen der Stadt erfolgen könnte. Er ließ daher 3 weitere Linienschiffe und 2 Fregatten versenken, so daß nunmehr Sewastopol wiederum vom Meere aus unangreifbar war. Das geschah am 12. Februar, einen Tag nachdem, dank der unermüdlichen Tätigkeit Totlebens, die Franzosen bei dem Versuch, eine neu errichtete Redoute zu erstürmen, eine schwere Niederlage erlitten hatten. Am 17. Februar konnte Menschikow berichten, daß eine zweite Redoute fertig geworden sei, welche die

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Widerstandskraft Sewastopols erheblich verstärkte. Es war sein letzter Bericht; ein Blasenleiden, das ihn schon seit zwei Monaten quälte, führte ihn zu dem Entschluß, am 16. die Armee zu verlassen und das Kommando dem Generaladjutanten Baron OstenSacken zu übertragen. Am 17./29. schickte er einen Kurier ab, durch welchen er den Kaiser um Enthebung von der Stellung als Oberkommandierender und um die Erlaubnis bat, in Nikolajew oder Odessa Heilung von seinem Leiden zu suchen. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er sofort nach Simferopol. Da die Krimarmee ohne Oberkommandierenden nicht bleiben konnte (Baron Osten-Sackens Vollmachten waren nur die eines Brigade-Generals), entschlossen sich die Großfürsten Nikolai und Michail Nikolajewitsch, gleichzeitig dem Kaiser und dem Fürsten Michail Gortschakow zu schreiben und den letzteren zu ersuchen, sobald als irgend möglich sei, in der Krim zu erscheinen. Bevor diese Briefe abgesandt waren, am 15./27. Februar, beauftragte der bereits schwer kranke Kaiser den Großfürsten-Thronfolger, dem Fürsten Menschikow zu schreiben, daß der Kaiser, da er von seinem krankhaften Zustande erfahren habe, ihn des Kommandos der Krimarmee enthebe und das Oberkommando dem Generaldjutanten Fürsten Gortschakow übertrage, der Befehl erhalten habe, sich sofort nach Sewastopol zu begeben. Der Brief der Großfürsten, den ein Flügeladjutant als Kurier überbrachte, datiert vom 16./28. und traf am 6. März in Simferopol ein. Menschikow antwortete dankend, nicht ohne eine Spitze unterdrücken zu können 1 ), aber sein Dankschreiben traf den Kaiser nicht mehr am Leben. ') Den Text dieser Briefe bringt die Biographie Totlebens von Schilder, Bd. I, St. Petersburg 1855. Es haben außer seiner Erkrankung noch andere Gründe zu dem Abschiedsgesuch Menschikows geführt. Die Niederlage der Russen bei dem Versuch, Eupatoria zu erstürmen, hat gewiß mitgespielt. Der Fürst glaubte zudem, daß Paskiewitsch ihn beim Kaiser anschwärze, und kannte die bösartige Kritik, mit der die Petersburger Gesellschaft ihn verfolgte. „Le maréchal m'a broyé du noir à Pétersbourg, en sus des commérages d'aides de camp officieux," schreibt er am 21. Februar. Auch der Kriegsminister Fürst Dolgoruki tadelte den Sturm auf Eupatoria mit großer Schärfe: „Ce que je regrette franchement, c'est que YOUS ayez confié une expédition si importante que celle d'Eupatorie à un fou comme Chrulow. D'abord il n'a jamais commandé de grandes masses et puis sa tète est toujours farcie de tant de projets bicornus, qu'on peut rarement s'y fier." Die Briefe der Großfürsten Nikolai und Michail bringt Dubrowin 1. 1. Bd. II pg. 464 sq.

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Am 2. März 1855 neuen Stils ist Kaiser Nikolaus I. in Petersburg gestorben. Es. mag gleich hier mit aller Bestimmtheit hervorgehobewerden, daß das später geflissentlich verbreitete Gerächt, der Kaiser habe aus Verzweiflung über das Versagen seiner Pläne und Hoffnungen selbst seinem Leben ein Ende gemacht, nicht nur unwahrn scheinlich, sondern unwahr ist. Nichts lag dem Kaiser ferner, als der Fügung Gottes vorzugreifen. Er ist im Bewußtsein, seinen Pflichten bis zuletzt nach bestem Können gerecht geworden zu sein, und in der Überzeugung gestorben, daß Gott schließlich noch alles zum Besten wenden werde: als gläubiger Bekenner der Lehren und des Bekenntnisses der griechisch-orthodoxen Kirche, bis zuletzt bei vollem Bewußtsein, schmerzlos, an den Folgen einer Erkältung, die eine Lähmung der Lunge nach sich zog. Den Keim zu seiner Todeskrankheit hatte sich der Kaiser auf der Hochzeit einer der Töchter Kleinmichels mit Baron Pilar geholt, ohne die Erkältung zu beachten, mit der er heimkehrte. Als er einige Zeit danach in der Michailow-Manege den ins Feld abmarschierenden Garden das Geleite gab, klagte er darüber, daß die Manege nicht geheizt sei, obgleich das tatsächlich geschehen war und die Räume warm waren. Aber ihn fröstelte. Noch drei Tage vor seinem Tode hatte er den Kriegsminister Fürsten Dolgoruki zu sich bestellt, und als dieser sich entschuldigen ließ, weil er wegen Unwohlseins das Zimmer hüten müsse, fuhr Nikolai, wie er stets zu tun pflegte, im offenen Schlitten zu ihm, fühlte sich aber nach der Rückkehr ins Winterpalais so unwohl, daß er sich hinlegte, ohne die Vorstellung zu haben, daß es mit ihm zu Ende gehe. Am 27. Februar war er jedoch bereits so schwach, daß er den Großfürsten Alexander beauftragen mußte, den Brief zu schreiben, der dem Fürsten Menschikow die Verabschiedung brachte. Danach nahm das Fieber zu, er phantasierte und fand keinen Schlaf. In der Nacht vom 1. auf den 2. März erfuhr er aus dem Munde seines treuen Leibarztes Mandt, daß er sterben müsse, aber noch einige Stunden vor sich habe, über die er mit klarem Bewußtsein verfügen könne. Darauf hat ihm sein Beichtvater Bashanow das Abendmahl gereicht in Gegenwart der Kaiserin und des Thronfolgers, mit dem er danach eine lange Unterredung hatte, die ohne Zweifel die Zukunft des Reiches zum Gegenstand hatte. Die ganze Familie bis zum letzten Enkelkinde trat nun an sein Bett,

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er segnete jedes Mitglied einzeln mit fester Hand und nahm Abschied von ihm. Ebenso verfuhr er mit einigen Männern, die er durch Freundschaft auszeichnete (Orlow, Adlerberg und Dolgoruki), und endlich nahmen ihn noch die Pflichten des scheidenden Hausherrn in Anspruch; denn auch von seinen Dienern hat er Abschied genommen, ihnen gedankt und jeden mit einem letzten Wort beglückt. Die Leute kamen aus dem Sterbezimmer einer wie der andere schluchzend und in Tränen gebadet wieder heraus. Es war ein erschütternder Anblick 1 ). Er hatte mit der Welt abgeschlossen. Briefe der Großfürsten Nikolai und Michail aus der Krim, die der Sohn des Fürsten Menschikow als Kurier überbrachte, wies er zurück, ohne sie zu lesen, „das könnte", sagte er, „mich wieder an die Erde fesseln". Um 12 Uhr 10 Minuten mittags ist er ohne jeden Todeskampf gestorben. Der Eindruck, den der Tod des Kaisers in Rußland gemacht hat, war, nachdem die offiziellen Äußerungen der Trauer verklungen waren 3 ), im wesentlichen doch der, daß nun eine neue Zeit anbrechen müsse. Man war des alten Regiments herzlich müde. „Der Kaiser ist heute gestorben, am 18. Februar um 1 Uhr. Mag die Geschichte und der menschliche Hochmut es versuchen, mit dem Verstorbenen abzurechnen. Welche Lehre für die Menschheit! Welch eindrucksvolles Beispiel! Ich habe nie daran gezweifelt, daß er es nicht ertragen würde. Vieles, und man kann sagen ') Mandt-Lühe: Ein deutscher Arzt am Hofe Nikolaus' I. Ton Rußland. Pg. 485. Duncker und Humblot, 1917. 2 ) Nesselrode, dem er noch an seinem Todestage für treue Dienste danken ließ, hat einen kurzen für die auswärtigen Gesandten bestimmten Nekrolog geschrieben, der folgendermaßen anhebt: „Wenn ich den meist in die Augen springenden Zug des edlen Charakters des Kaisers Nikolaus nennen nollte, würde ich seine Pflichttreue hervorheben, die er in einer 30 jährigen Regierung seiner Familie, seinem Reich und seinem Gott bewiesen hat. Er war zugleich der zärtlichste Familienvater, der eifrigste Diener des Landes, der demütigste und ergebenste Christ. Er hat sich nie von seinem Volk geschieden, die öffentlichen Notstände trafen ihn wie ein Unglück in seiner Familie, und sein Gottvertrauen und seine Ergebung in den Willen Gottes allein konnten ihn in den schmerzlichen Prüfungen und den brennenden Schmerzen aufrecht erhalten, die ihm bis zuletzt nicht erspart blieben. Ein solches Leben mußte durch einen schönen Tod gekrönt werden, und niemals hat es ein Ende gegeben, das christlicher, heiterer und beneidenswerter gewesen wäre." Daran schloß sich eine nicht ganz zutreffende Angabe über die letzten Stunden des Kaisers. S c h i e i n a n n , 'Geschichte Rußlands.

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hauptsächlich der unglückliche Krieg, hat den Druck auf den mächtigen Organismus beschleunigt und den Mann, der viele seiner Fehler erkannt hat, in den Tod geführt. Einem Mann, wie er es war, blieb nur die Wahl: Abdankung oder Tod." Das waren die ersten Gedanken, die sich Lebedew bei der Nachricht vom Tode des Kaisers aufdrängten. Der Tod war allen, die nicht zur nächsten Umgebung des Kaisers gehörten, so überraschend gekommen, daß man an den natürlichen Verlauf und an das Erlöschen der Lebenskraft Nikolais nicht glauben wollte. Lebedew wirft die Frage auf: „Was haben wir verloren?" Und antwortet: „Wir haben einen Mann von großem Charakter verloren. Was ihn auszeichnete, war Selbstbewußtsein und Unabhängigkeitssinn. Beides war ihm in hohem Grade eigen. Das Streben nach Unabhängigkeit gab ihm das gewaltige Ansehen, das er genoß. Seine 30jährige Regierung wird denkwürdig sein durch zahllose Bauten und durch Stärkung der Macht der Regierung, und so wurde die Demokratie ins Leben gerufen. Er war der demokratischste der Demokraten. Sein auf das Militärische gerichteter Sinn trieb ihn, alles einheitlich zu gestalten, zur Einförmigkeit, zu geraden Linien, zur Regelmäßigkeit, zum Frontdienst . . - 1 ) Seine Verdienste sind groß, aber man darf dabei nicht die Hilfe des Jahrhunderts und die unwillkürliche Annäherung an das Abendland außer acht lassen. Das Heer, besonders die Kriegswirtschaft, Finanzen, Verwaltung, Unterricht, das alles muß durchaus anders werden . . . . Aber er selbst hat seine Aufmerksamkeit allem und allen zugewandt; er hat viele reich und glücklich gemacht, er ist wirtschaftlich mit dem Kapital umgegangen: das wird man über die Epoche Nikolais I. sagen. In dieser Epoche müssen, wie es scheint, drei Perioden unterschieden werden. Der Anfang bis 1830, der mehr dem Innern zugewandt war, die Mitte bis 1849, die sich mehr nach außen richtete, und schließlich bis 1854 die Reaktion. Der Erfolg der Reaktion führte zum Kriege, und der Krieg tötete den Mann." Die Nachricht vom Tode Nikolais wurde schon im Laufe des 2. März in ganz Europa bekannt. In England stieg der Kurs der Staatspapiere in einer Stunde um 2 Prozent, in Frankreich um 5 Prozent, und die ausländische Presse sprach sich fast ausnahmslos günstig über den Verstorbenen, den Senior unter den regierenden 1 ) Die . . . bedeuten russische Zensurstriche, die sieh leider nicht authentisch ergänzen lassen.

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Fürsten, aus. In Berlin erschien die Kreuzzeitung, die die Todesnachricht brachte, in schwarzem Trauerrande. König Friedrich Wilhelm I V . erfuhr durch ein Telegramm Münsters den Tod des Kaisers. „Die Kaiserin erhält sich aufrecht und läßt Ew. Majestät sagen: Es ist vorbei. Außerdem läßt die Kaiserin sagen, daß mit die letzten deutlichen Worte des Kaisers waren: „Dites à Fritz de rester toujours le même pour la Russie et de ne pas oublier les paroles de Papa." Diese Worte wurden im Reichsanzeiger abgedruckt, was im Hinblick auf die politische Lage begreifliches Aufsehen erregte. Der Sterbende hatte wahrscheinlich an das Testament Friedrich Wilhelms I I I . gedacht '). Der König brachte diese Depesche laut weinend in die Halle, wo Benckendorff und Lobanow auf die Nachricht warteten. Er beantwortete die Depesche folgendermaßen: „Wir grüßen die geliebte Schwester unter tausend heißen Tränen und mit den Worten des Herrn: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Wir umarmen den geliebten Alexander und sagen, des geliebten Kaisers Vermächtnisworte „An Fritz" sind ein Heiligtum a )." Bernhardi aber vermerkte in seinem Tagebuche: Preußen ist durch diesen Todesfall von seinem schlimmsten und gefährlichsten Feinde befreit. In all diesen Urteilen, denen sich das spätere Verdammungsurteil der russischen Politiker und eines großen Teils der russischen und ausländischen Historiker anschließt, liegt Wahres und Falsches nebeneinander. Die Persönlichkeit Nikolais*) läßt sich gerecht nur beurteilen, wenn man ihn als den Nachfolger der Prinzipienpolitik Kaiser Pauls und des unwahren Bildes ansieht, das er sich von seinem Bruder, dem Kaiser Alexander I., konstruiert hatte. Man darf mit voller Bestimmtheit sagen und kann auch historisch nachweisen, daß im ganzen Verlauf seiner Regierung kein einziger Gedanke von ihm ausgegangen ist, der nicht auf diese beiden Grundlagen seiner Lebens- und Weltauffassung zurückzuführen wäre. Was ihm persönlich eigen war, geht nicht über ein strenges Pflichtgefühl hinaus, dem er bis zuletzt treu geblieben ist. Er war einer der fleißigsten Monarchen seiner Zeit, unermüdlich tätig, wo Bd. III pg. 4 1 4 und 415. 2

) Gerlach Bd. II, 2. März 1855.

3 ) Die menschlich ansprechenden Seiten des Kaisers sind am besten von seinem Leibarzt Mandt gezeichnet worden. Siehe Mandt-Lühe 1. 1. 23*

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es sich um Ausführung dessen handelte, was ihm als Pflicht vorschwebte, er ist aber niemals imstande gewesen, mehr zu erreichen, als einen Aufbau äußeren Scheins, unter dem sich dieselben Übel«tände verbergen, die wir bei Betrachtung der inneren Zustände Rußlands gegen Ende der Regierung Alexanders I. tennengelernt haben. Pauls Prinzipienpolitik kombinierte er mit den neuen staatlichen Ordnungen, die der Wiener Kongreß ins Leben gerufen hatte, und die Heilige Allianz blieb ihm bis an sein Lebensende ein politisches Ideal, welches zu verteidigen er für seine heilige Pflicht hielt. Die Gegnerschaft, in die er zu Louis Philippe trat, geht ebenso auf diese Grundlage zurück, wie die Erbitterung, mit der er die Verfassungsgedanken Friedrich Wilhelms IV. verfolgte, mit denen er seinen Frieden überhaupt nicht geschlossen hat. Der militärische Formalismus, den er vertrat, unterschied sich nur in den äußeren Formen, in Uniform und Bewaffnung, von den Bestrebungen Pauls oder Alexanders I., und die Mißstände in Heer und Verwaltung waren nicht geringer als unter seinen Vorgängern. In einer Hinsicht aber hat er schädlicher gewirkt als sie. Joseph de Maistre in seinen „Mémoires et Correspondance" erzählt zum Jahre 1809 von der furchtbaren Verschwendung und der Leichtfertigkeit, die in dem damaligen Petersburg herrschten und knüpft daran die folgende Beobachtung. „Inmitten dieser Extravaganzen gibt es ein Schauspiel, das Beachtung verdient: Das ist eine kleine Phalanx von jungen Leuten, die sich dem Dienst (dieser Extravaganzen) entziehen. Infolge guter Erziehung und dank Verhältnissen, die sie von der allgemeinen Korruption trennen, gehen sie sittenrein ihre eigenen Wege, sie vergnügen sich nur in ihrem Kreise in der besten Gesellschaft und empfinden nur Ekel vor Ausschreitungen, deren Zeugen sie sind. Wer kann wissen, was ausdieser Jugend werden wird?" Aus dieser Jugend wurden die Dekabristen. Nicht das Scheitern ihrer Bestrebungen, die schließlich einen verbrecherischen Charakter angenommen hatten, war ein Unglück für Rußland, sondern das Gericht, das an dem Idealismus vollzogen wurde, der der Ausgangspunkt ihrer Verwirrungen war. Seit dem 26. Dezember 1825 hat Nikolai durch 30 lange Jahre jede freiheitliche Regung in Rußland verfolgt und keine Selbständigkeit innerhalb der Grenzen Rußlands aufkommen lassen. Trotzdem drang eine Flut neuer Gedanken aus dem Abendlande ins Reich, eine

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Saat, die die Zukunft reifen sollte und die, weil sie sich nicht frei entwickeln durfte, die Keime furchtbarer Erschütterungen in sich trug. Die Gedanken Nikolais lebten nur in der Dynastie, nicht im Volke fort. Das Volk hat trotz des Kultus, den es seiner eindrucksvollen Persönlichkeit entgegentrug, sich niemals seine Lebensanschauung zu eigen gemacht und schon zu seinen Lebzeiten in fast ununterbrochenem Kampfe mit ihm gelegen. Das furchtbar« Gericht, das 1838 über unbotmäßige Apanage-Bauern im Gouvernement Simbirsk abgehalten wurde, wobei 13 Bauern buchstäblich mit Ruten so lange geschlagen wurden, bis sie tot waren, charakterisiert die Methoden, nach denen von Seiten der Regierung dieser Kampf geführt wurde 1 ). Im Jahre 1846 hat es 27 Massenerhebungen von Bauern gegeben, die sich weigerten, kaiserlichen Befehlen zu gehorchen, welche im Widerspruch zu ihrem Gewohnheitsrecht standen, im Jahre 1848 waren es 45. Sie mußten durch Aufgebot von Militär gewaltsam unterdrückt werden, aber die Leute ließen sich «her zu Tode prügeln, als daß sie eingestanden, im Unrecht gewesen zu sein. 1846 wurden 12 Gutsbesitzer von ihren Bauern ermordet, 1848 18. Im Jahre 1848 gab es 10312 Brände in den Dörfern, von denen 102 nachgewiesenermaßen Brandstiftungen waren. Dazu trat die Verwilderung des Pöbels in den Städten, namentlich in Petersburg. Es ist überaus charakteristisch, daß die von Nikolai so streng eingehaltene und durchgesetzte äußerliche militärische Ordnung nicht einmal bei Uberführung seiner Leiche in die Peter-Paulskirche beobachtet wurde. Man gestattete dem Militär und den Beamten im Mantel am Zuge teilzunehmen, nur der neue Kaiser und die Generale erschienen in Uniform. Es gab, schreibt ein Augenzeuge, keinerlei Ordnung. Man kannte weder den Platz, den man einzuhalten hatte, noch ging man in Reih und Glied. Von Trauer und Feierlichkeit keine Spur. Abgesehen von den Kämpfen der Polizei mit der Menge, geschah nichts Bemerkenswertes. Viel Publikum an den Fenstern, furchtbares Gedränge auf den Straßen. Man unterhielt sich lebhaft über die zu erwartenden Veränderungen. Die letzten Jahre im Leben Nikolais haben auch abgesehen von den Sorgen, die Politik und Krieg mit sich führten, ihm vieles gebracht, was nichts weniger als erfreulich war. Die Kaiserin war häufig krank, alles schien dafür zu sprechen, daß sie vor ihrem ') Erinnerungen von Stogow, Russ. Starina 1878, Dez. In deutscher Übersetzung in meinem Buch: „Russische Köpfe*, 2. Auflage 1919.

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Kapitel XIV.

Das Ende des Kaisers.

Gemahl sterben werde. Die schwankende Politik Preußens war i h r ein immer neuer Kummer; der Tod des Herzogs von Leuchtenberg brachte die weitere Sorge, daß seine Witwe, die Großfürstin Marie, von der Mandt, der sie genau kannte, sagte, sie habe alle negativen Eigenschaften der Kaiserin Katharina geerbt, sich noch weniger Zwang als bisher in ihren Neigungen auferlegte. Sie hat dann morganatisch einen Grafen Stroganow geheiratet, durfte aber, solange Nikolai lebte, damit nicht an die Öffentlichkeit treten. Das Verhältnis des Kaisers zu Fräulein Nelidow aber war kein Geheimnis und ebensowenig, daß ein zweites Hoffräulein, Fräulein Kutusow, ebenfalls Geliebte des Kaisers war. Er hat wenige Stunden vor seinem Tode Mandt beauftragt, ihnen für die Freundschaft zu danken, die sie ihm bewiesen hatten. Aber an sein Totenbett hat er ihnen nicht gestattet zu kommen. Die Kaiserin wußte von diesen Verhältnissen und hat schwer darunter gelitten, diese Damen in ihrer Umgebung dulden zu müssen. Abgesehen von diesen Dingen, die mit der großen Sinnlichkeit Nikolais in Zusammenhang standen, war er ein aufmerksamer, gütiger und im Kreise von Kindern und Enkeln, denen er, wenn irgend möglich freie Stunden widmete, heiterer und liebenswürdiger Familienvater. Um die Erziehung seiner Söhne war er ernstlich bemüht, namentlich um die des Großfürsten-Thronfolgers Alexander, den er auch früh zur Teilnahme an den Staatsangelegenheiten heranzog. Die eigentliche Last der Regierung und die Verantwortung wollte er selbst tragen. Er hatte, wie wir wissen, abgesehen von seiner militärischen Ausbildung, eine ganz unzureichende Bildung erhalten, und trotz seines gewissenhaften Fleißes nie ganz nachholen können, was die Erziehung an ihm versäumt hatte. So fehlte ihm jede Einsicht in juristischen und finanziellen Fragen. Er hatte klare Vorstellungen von dem, was verboten und erlaubt war, aber keinen Begriff vom Recht als solchem. Wenn wichtige Entscheidungen in strittigen Rechtsfragen zu fällen waren, entschied er nach Gefühl, wobei es zu Urteilen von salomonischer Weisheit, aber auch zu schreienden Ungerechtigkeiten kommen konnte. Im Streit zwischen Recht und Autorität entschied er stets für die letztere. Mit dem Tode von Cancrin verlor er den einzigen bedeutenden Finanzminister seiner Regierung. Sein Nachfolger Wrontschenko, der ganz unfähig war, blieb bis zu seinem Tode April 1852 im Amt. Er hat es, im Bewußtsein der Stellung nicht gewachsen zu sein, nicht übernehmen wollen, aber

Kapitel XIV.

Des Ende des Kaisers.

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Nikolai bestimmte ihn dazu mit dem charakteristischen Ausspruch: „Ich werde selbst der Finanzminister sein!" Das war mehr als er leisten konnte, deckte aber die Fehler des Finanzsystems von Wrontschenko. Die Hauptaktion Wrontschenk os war eine neue Regelung der Branntweinpacht, welche 15 Jahre später von der Regierung Alexanders II. folgendermaßen charakterisiert und verurteilt wurde: „Sein System hat das Branntweinmonopol bis zu seinen äußersten Konsequenzen, bis zur Bedrückung des Volkes entwickelt. Es hat die Beamten des Fiskus und aller anderen Verwaltungen demoralisiert, die durch ihre Aufgaben in Berührung mit den Pächtern traten; es hat die Trunksucht und Sittenlosigkeit unter dem Volke verbreitet. Es hat die Regierung selbst in pekuniäre Abhängigkeit von den Branntweinpächtern gebracht, indem es sie nötigt, alle ihre Pflichtverletzungen zu dulden." Die Branntweinpacht brachte zwar 80 Millionen Rubel ein, aber der Volksreichtum wurde so beeinträchtigt, daß seit 1852 das Defizit beim Einlaufen der direkten Steuern über 125 Millionen Rubel betrug, das heißt 57 Prozent des gesamten S t a a t s b u d g e t s E i n e noch schlechtere Wahl traf der Kaiser, als er Brock, den Ministergehilfen Wrontschenkos, zu dessen Nachfolger ernannte. Die Zeit seiner Waltung bezeichnet, wenn man von den Jahren 1808—13 absieht, den niedrigsten Stand der russischen Finanzwirtschaft 9 ), aus welcher dem Kaiser auch die unermüdliche Tätigkeit der Druckerei der Staatspapiere nicht hinweghelfen konnte. Da dieser Finanznot eine ungeheure Verschwendung der verschiedenen Zweige des Kriegsministeriums parallel lief und alles, was direkt oder indirekt an den Lieferungen für den Krieg beteiligt war, sich in gewissenlosester Weise auf Kosten des Staates bereicherte, das Fehlen jeder Eisenbahnverbindung von Moskau nach Odessa oder von Petersburg in die Krim die militärischen Operationen durch das völlige Versagen regelmäßiger und ausreichender Zufuhr an Lebensmitteln, Fourage und Munition zeitweilig lähmte und stets erschwerte, ist es begreiflich, daß der Kaiser, der den Mechanismus seines Staates überall versagen sah, unter der Last dieser nicht zu verschleiernden Tatsachen sich fast erdrückt fühlte. Das Scheitern der „Bittgänge" Orlows in Wien und Berlin waren harte Demütigungen, die er hinnehmen mußte, ganz wie das Scheitern seiner Bemühungen um die Gunst Englands und die Unterwerfung ') Skalkowski: Les Ministres des Finances Russes, pg. 91. ä

) ,1a période la plus désastreuse de nos finances" 1. 1. pg. 97.

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Kapitel XIV.

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unter das österreichische Ultimatum und endlich die seinem Stolz nicht weniger empfindliche Abhängigkeit von den politischen Ratschlägen und den politischen Winkelzügen seines preußischen Schwagers. Der Kontrast zwischen der Stellung, die Rußland in den Tagen seines 25jährigen Regierungsjubiläums einnahm, und der Stellung Nikolais an jenem 2. März 1855, da er die Augen für immer schloß, war ungeheuer groß. Daß er sich dessen bewußt war, unterliegt keinem Zweifel, und ebenso sicher ist, daß der nagende Druck, den diese Erkenntnis auf ihn ausübte, wesentlich dazu beigetragen hat, die Widerstandskraft seines Körpers so weit zu schwächen, daß eine Unpäßlichkeit sich ihm zur Todeskrankheit entwickeln konnte. Nikolai war wie alle Kinder Pauls von nicht geringer natürlicher Begabung, aber Erziehung und Anlagen haben ihn nach keiner Richtung hin dahin geführt, die Probleme, vor die ihn das Leben stellte, so weit zu ergründen, daß er ihrer Herr geworden wäre. Neben großem persönlichen Mut zeigte er sich kritischen Lagen nicht gewachsen. Das trat 1828 wie 1830 und wie jetzt während der orientalischen Krisis zutage. Eine Verbindung von Weichheit und Härte, von Nervosität und Halsstarrigkeit, von fassungsloser Heftigkeit, wo er strafen mußte, und ebenso fassungsloser Verzweiflung, wo er trauerte, wie beim Tode seiner Tochter Alexandra oder seines Bruders Michail, gab dieser Herrschergestalt ihre eigenartige, schwer zu erfassende Natur. Nicht zu trennen von ihr ist sein religiöses Leben. Er stand in voller Überzeugung auf dem Boden des Christentums, wie es in den Lehren und im Ritus der griechisch-orthodoxen Kirche formuliert war. Aber der Ritus war ihm die Hauptsache. In Erfüllung der mit ihm verbundenen konfessionellen Pflichten fand er Befriedigung und Beruhigung. Er hat keine Gelegenheit vorüberziehen lassen, seinem Gottvertrauen und seiner Ergebung in den Willen Gottes Ausdruck zu geben. Das war ein Teil seines Wesens, das sich nie verleugnet hat. Von religiösen Zweifeln ist er wohl niemals, soweit wir sein Leben verfolgen können, gequält worden. Er starb in der Überzeugung^ daß bei der großen Parade, die der liebe Gott anstellen werde, er gut bestehen würde. Sein Bruder, der Kaiser Alexander, den er sich als den fürbittenden Engel der Familie dachte, werde ihm die Stätte bereitet haben. Welches das historische Urteil über seine Lebensarbeit sein werde, hat er weder geahnt noch gefürchtet.

AKLAGEK

Anlage I. Briefe Nikolaus' I. an die Kaiserin ans London.

Juni 1844.

Londres 1 Juin 1844. Enfin, cher Mouffy, j'ai vu la Reine et j'ai fini mes visites à la famille. Mais allons par ordre. D'abord vinrent chez moi Lord Hardwick nommé par la Reine près de moi, le même fut près de Fritz, et qu'il m'amena et puis deux autres officiers, le colonel Drummond de l'artillerie à cheval et un autre, dont je ne sais le nom; tous deux aussi placé près de moi. A 11/.i vint me chercher le P c e Albert, en frac ; moi en grande tenue rouge de garde à cheval, et je fus au palais. Partout ceux qui croyaient me reconnaître saluaient fort poliment. A notre arrivée la Reine me reçut dans le vestibule, au bas de l'escalier, près de la porte en noir, habit de laine, manches longues, gants noirs, en cheveux plats et relevés derrière les oreilles, en petites nattes, absolument telle qu'on la voit peinte, gravés et dessinée, et comme je me l'imaginais. Elle voulut de suite me conduire dans les chambres préparées pour moi et très bons. Elle est fort petite, gentille, mais déjà avancée en grossesse, extrêmement embarassée. Elle me fit asseoir sur son sopha près d'elle, et sur le mur d'un coté son portrait, de l'autre celui des enfants fort aimables. Beaucoup de questions sur toi, les enfants etc., le voyage. Arriva le Roi de Saxe et l'on fut déjeuner dans une pièce voisine à nous quatre. Vers la fin arrivèrent les enfants. La petite ainée charmante, le petit prince de Galles fort gentil, et la petite Alice — délicieuse. Je pris congé, et le P. Albert voulut absolument me conduire chez la vieille, qui demeure dans une autre maison. Elle m'a beaucoup plu; c'est une femme charmante, malgré sa laideur, et la bonté même dans tout sou être. De chez elle nous fumes chez les Cambridge, qui me reçurent, lui, elle et leur fille cadette, petite personne assez jolie et très forte. Là se fut encore en famille. La Duchesse fort aimable, ne tarit pas sur Adine. De là nous fumes chez la Duchesse de Gloster, bien vieillie, puis chez l'aveugle Sophie, que je ne connaissais pas. Enfin chez le Duc de Wellington. Le bon vieillard me reçut en grande tenue Russe. Je l'ai trouvé vieilli de figure, mais plus frais et plus 6oflpi> (bodr [frisch]), que quand il fut chez nous, et il entend mieux. L'on voyait que le vieillard était satisfait. Là, je dis adieu au Prince et je revins. Foule à mon passage et fort polie. A 8 h. il faut aller diner en frac. 0, yatacb (ushas [schrecklich]! A V f , je partis avec Orlof, Hardwick et Brunof pour le château. Je fus reçu par le P c e Albert, qui me conduisit dans le salon de la Reine; le Roi

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de Saxe y était, et un moment plus tard la Reine parut, et sans faire cercle, elle se fit conduire par moi à la salle à manger. Voici la liste des invité* que je t'envoye. Je fus assis à la droite de la Reine, le P. Albert vis-à-vis d'elle ; à la gauche le Roi de Saxe. Près de moi Lady Canning, fort aimable, très au fait de Petersbourg, désireuse d'y venir. La Reine était en crêpe noir, décolletée, manches courtes, gants noirs lacis, cordon de St Oathérine et les deux plaques sur le (sein?) très formidable, bouquet, guirlande en jais, platte, même coiffure que le matin, tous les ornements en noir, lajaretière en diamants audessus de la manche gauche. Diner très bon. Ma santé, celle de la Reine que je portais, puis elle quitta la table avec toutes les dames, at le P°e Albert vint se placer entre le Roi et moi, et Aberdeen se mit près de moi. Dn quart d'heure après nous nous levâmes et l'on fut rejoindre la Reine dans le salon. Les galleries et les salles sont belles, mais mal décorées et fort enfumées. Je lui présentais mon monde, le P. Albert tous les assistants. Enfin elle se leva et se fit reconduire par moi jusqu'à la porte de son apartement, où elle me dit adieu. J e causais encore un moment avec Wellington et me voilà. Demain je compte faire mes visites à mes anciennes connaissances et a 6 h. il faut aller à Windsor, pour y rester jusqu'à jeudi. Mardi il y a course à Ascot, Mercredi revue, jeudi course. Vendredi l'on revient ici et il y a bal chez la Reine pour toute la ville. Samedi Devonshire veut m'avoir a Chersick, à déjeuner dinatoire, et le soir la Reine veut m'avoir à l'opéra. Dimanche soir je pense repartir. Ouf! Windsor Castle le ^ 2 T M a l 1844 à Juin . . . Parti avec Orlof, Hardwick et Brunof pour le chemin de fer, nous fûmes reçu surtout le passage par des hurras, foule, et les dames agitant leurs mouchoirs. Les meilleures figures possibles et quelles jolies figures parmi! Nous fîmes le trajet dans un salon mouvant, et ces 28 vertes en 25 minutes. Le Prince Albert me reçut à Hakowdslow, lieu de débarcadère et d'après leur usage en voiture de voyage, escortés des life-guards, magnifiques hommes richement équipés, assez bien montés; mais pitoyablement à cheval. Nous arrivâmes au chateau et il me conduisit dans les chambres qui m'étaient destinées. C'est magnifique, noble, cossu — mais triste ; c'est une superbe et riche — prison. Voilà l'effet que cela me fait. Il me fit voir tout le château et .finit par ses chambres, fort petites dans mon genre, charmants. Je demandais-à voir la Reine, qui me reçut d'abord et fort aimablement, elle était avec sa petite fille ainée. Jolie pièce, mais rien d'extraordinaire, sauf la vue qui est charmante. Je revins chez moi m'habiller pour le diner et fus chez le Roi de Saxe, nous allâmes ensemble attendre pour le diner. Je fis encore connaissance avec plusieurs dames, ex-jolies, et divers individus. La Reine parût. Même tenue qu'hier, et l'on fut diner dans la salle de Waterloo, qui est magnifique de splendeur Gothique. L'on fut assis comme hier. La Reine fut fort aimable. Quand elle quitta la table le Duc de Wellington se plaça près d»

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moi et nous causâmes. Ensuite l'on fut rejoindre la Reine dans la salle de concert. La présentation de dames et de cavaliers, et ensuite l'on fut assis à écouter et l'on causa. Enfin à 11 h. la Reine se retira et je revins chez moi. Demain à 9 h. j e suis commandé pour le déjeuner, et à 1 h. l'on va à la course à Ascot. le 23 à 6V 2 .

4 Juin

A 9 heures il fallut aller chez la Reine pour déjeuner à quatre. Elle fut fort aimable. Les enfants y vinrent à moi m'embrasser et la petite me donna une fleur que voilà. Ensuite l'on fut promener par le plus beau temps du monde à pied. Le jardin et la vue sur le château sont magnifiques, mais les gazons brûlés par le soleil, car depuis 7 semaines il n'a pas plu, et c'est affreux. Quand nous fumes rentrés, je revins chez moi et à 11 3 / 4 , il fallut repartir avec le Roi de Saxe et le P. Albert pour Ascot, à la course. La Reine n'y vint pas. Cela dura longtemps; peu de monde, mais beau monde et force hourras. Pendant le déjeuner j e fus assis comme toujours près de la charmante Lady Canning, que tu aimerais si tu la connaissais. Après j e vis Lady Jersey et sa belle fille qui est fort jolie, ainsi que la charmante Lady Seymour. L'on revient comme l'on y fut, par le magnifique parc. J e fus à la maison pour revoir lord Aberdeen, ministre des' affaires étrangères, avec lequel j'eus une fort bonne et longue conversation. . . . à 11 h. J e revins du dejeuner comme hier. À 9 h. j ' y allais et trouvais que toutes les personnes invitées se réunissaient à la petite chapelle, ce qui se fait tous les matins pour la prière. C'est fort beau. Le chapelain en costume lit les prières, les assistans tous repondent le tout dans une dizaine de minutes, et les prières sont exactement les nôtres. Alors nous fumes chez la Reine et peu après vint le Duc de Cumberland et les enfants qui furent fort gentils. J e fis voir à la Reine ton portrait et celui des enfants, qui lui plurent beaucoup. A peine revenu chez moi, le P. Albert vint de la part de la Reine me porter son portrait et me le donna de la façon la plus aimable en attendant qu'un grand, en pied, par Winterhalter, fut copié, et qui est fort frappant . . . . Tantôt je me mis en grande tenue et l'on se rendit, accompagnant à cheval la voiture de la Reine, au champ de la revue. Il n'y avait pas plus de 3/m h. Foule, hourras et excellentes figures. La Reine malgré sont état, n'eut pas peur du canon et de la fusillade. La troupe est ce qu'elle a toujours été : un beau matériel, mais peu de tenue et beaucoup de laisser aller. Ce qui me frappa surtout c'était la quantité de gens fatiguées et qui traînaient derrière les rangs. Windsor Castle, le ^ , M . m 1844. 7 Juin . . . . Le ministre m'a fait sonder, si pour faire plaisir à la Reine, j e ne consentirai pas à nommer une mission à Bruxelles, et je m'en suis franchement expliqué avec eux, que tant qu'un s e u l P o l o n a i s resterait au service de

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Anlage II.

Leopold, je ne le ferai jamais, comme aussi je serai tout aussi prêt de le faire, sitôt que je les saurais tous partis, et je tiendrai bon. Ici il se passe au sujet des Polonais des choses fort comiques. Il se fait en ce moment une souscription pour un bal qui se donne par ces coquins ici: à la tête de cette liste figurent les noms de la Duchesse de Sommerset, qui même a offert sa maison, et celui de la .Duchesse de Sutherland. Tout cela se faisait avant mon arrivée; depuis que je suis ici le vent a tourné; toutes les dames ont pris peur de se diffamer devant la pluralité du public qui me reçoit si bien. Et qu'ont ils imaginés? La Duchesse de Sommerset écrit à Brunof qu'elle ne peut se consoler de s'être laissi prendre à ce que son nom figure sur la liste et qu'elle a demandé qu'il fut rayé. Beaucoup d'autres de même. J'ai fait repondre que je la priais de n'en rien faire, et que même, si la souscription n'avait pas couverts les frais de l'entreprise, j'étais prêt d'y suppléer. Tu juges de l'effet et de leur confusion . . .

Anlage II. Briefe Kaiser Nikolaus' I. an die Kaiserin ans Italien und Wien. Dezember 1845—Januar 1846. Reise-Route Sr. Majestät des Kaisers von Rußland von Palermo nach St. P e t e r s b u r g . Abreise Freitag, den 5. Dezember, nachts 12 Uhr Sonnabend, den 6. Dezbr., abends in Neapel, v. 7. bis 10. Dezbr. dort „ von Neapel den 11. Dezbr., fort, Nacht in Terracina „ „ Terracina den 12. Dezbr., abends in Rom, v. 13. bis 17. Dezbr. dort „ „ Rom den 18., fort, Nacht in Siena oder Viterbo „ „ Siena etc. den 19. fort, Nacht in Florenz, vom 20. bis 21. dort „ „ Florenz den 22. fort, Nacht in Bologna, den 23. dort „ „ Bologna den 24. fort, Nacht in Padua „ „ Padua den 20. fort, Nacht in Venedig, den 26. und 27. dort „ „ Venedig den 28. fort, Ankunft in Wien den 31. Dezbr., den 1. und 2. Januar 1846 dort „ „ Wien den 3. Januar fort, Ankunft in Warschau den 6. Januar, den 7. und 8. Januar dort „ „ Warschau den 9. Januar fort, Ankunft in St. Petersburg den 12. Januar 1846.

Naples le

1845 10V3 h. b Dec . . . moi en frac et en calèche avec Chreptowitsch, voir la ville, pluie battente; ce que j'ai vu est grandiose et beau, mais ce n'est qu'un quai, qu'une place, une assez belle rue et voilà tout; ce qui doit faire le charme de tout celà, c'est la vue de ce magnifique golfe. Demain dimanche pas de revue,

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mais par contre des visites, mais demain il y aura messe et revue, et mardi manœuvres! ! Ainsi je recule pour mieux sauter. Comment je ferai pour voir tout ce que je désire, je n'en sais rien . . . Je suppose que l'on te donnera le même appartement que j'occupe et que tu y seras p a r f a i t e m e n t b i e n ; mais il faudra y faire porter ta couchette, car il n'y en a pas dans cet endroit, mais par contre un luxe de petites choses charmantes, de colifichets, de tables etc. délicieux. Mais je ne sais que faire de tout celà et je me perds dans ce luxe et dans ces grandeurs, j'ai cherché en vain un petit coin modeste pour m'y blottir, et j'étais sur le point de chasser mes gens de leur réduit, pour m'y mettre à leur place; tu sais quels sont mes goûts. Tout ce luxe me-gène, mais je l'admire et je dois convenir que le palais D'Hyver reste bien en arrière, si ce n'est pas par la beauté de ses salles. 21 Nov. . _ a 9 h. du matin. i Dec. Bonjour chère Mouffy, après une excellente nuit. Je viens de voir le Vesuve en me promenant de plein pied de mes fenêtres sur la terasse avec Orlof et Flam. C'est magnifique, mais ce n'est pas plus beau que notre délicieuse vue de mon balcon au palais d'Hyver, ni de mon balcon du cottage, t o u t e p a r t i c u l a r i t é a p a r t . Au moins voilà l'effet que cela me fait. Le Yesuve fume un petit peu; la terrasse et la façade du château sont de toute beauté, la place vis à vis le château plus petite que la place du château chez nous de moitié, est reguliere, en face est l'église de St François de Paul; belle, mais un peu collifichant, imitant notre Casan, à gauche le palais Salerne (?), à droite le Garde-meuble, le tout régulier et d'un bel effet. Au dessous du château, mais fort bas, se trouve le port militaire et l'arsenal de marine avec d'affreuses casernes, mais comme le château est fort haut l'on ne le voit qu'en se mettant contre la grille de la terrasse, de façon que ce qui est fort laid n'est pas toujours en vue . . . A lOVj soir. Kopfschmerzen vom vielen Sehen. Museum Bourbon. Begeisterung für Sculptur in Marmor und Bronce, weniger für die Gallerie die außer 2 Raphaels nichts besonderes bietet. Herrlich die Aussicht von St Elie. Voilà une vue! C'est un panorama comme il ne peut en exister nulle part de semblable; le Vesuve fumait blanc ce soir, et il y a une toute petite flamme qui s'échappe par moments. Du château nous entrâmes dans la chartreuse, décorée dans le goût de celle de Pavie, elle est fort belle en planches et en mosaïques, mais ce qu'il y a de plus beau est un tableau de l'Espagnolet, qui est de toute beauté et qu'un nommé MHxafuiOBt de l'Academie copie dans ce moment pour chez nous . . . .. 26 Novbr. Naples le — 1845 11 h. soir. 8 Dec. Chère Mouffy, merci encore milU' fois pour ta chère lettre et pour ce que tu me dis éprouver, c'est bien p'.utôt moi qui serait en exil loin de toi

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et dans mes papiers! il faut vivre dans l'espérence du revoir et patienter! Le retard du départ du bateau aura eu cela de bon que le courier de chez nous est arrivé, et te porte de bonnes nouvelles; mais l'on danse trop longtemps, jusqu' à 4 et 5 h. du matin; c'est trop fort, et ruinera la santé de Mary (Nikolajewna) et Marie (die Zesarewna) et il faut y mettre ordre . . . D'abord le roi vint et nous fûmes à la chapelle du château, fort belle, assister au service du matin une bonne demi-heure; le Roi et les enfants tout le temps à genoux, et la Reine presque tout le temps aussi. Puis nous partîmes et fûmes à l'état major, fort bien arrangé et de beaux ouvrages de Lava, puis à la revue au champs de Mars ; foule partout, extrêmement polie. Nous passâmes devant les lignes — une de cavallerie et deux d'infanterie, le tout mal aligné. Puis pied à terre et messe, et le Roi et la famille presque tout le temps derechef à genoux; pendant l'élévation de l'ostie tout.e la troupe aussi à genoux et décharge de l'artillérie; c'était un fort beau coup d'œil. La place ressemble à celle de Milan, mais pas de bâtiments autour. La messe finie nous nous reunîmes à cheval et l'on défile en colonnes; pitoyablement mal, les Suisses u n peu mieux et quelques bataillons de chasseurs. Nous repartîmes et fûmes par le parc au château de Oapo di Monte; délicieux, magnifique parc Anglais, et un fort beau château achevé et arrangé par le Roi avec un goût parfait et admirablement tenu. Nous redescendîmes en ville sur la route de Portici, a une caserne et arsénal, superbe établissement et énorme, de là nous revînmes par le quai de la ville, quartier le plus populeux, et charmant par son animation. Partout de bonnes figures, et les femmes me disaient: que Dieu vous bénisse dans vos v œ u x . . . au théâtre St Charles; applaudissement; beau theatre magnifiquement décoré et éclairé. Opéra détestable, ballet médiocre et caleçons en satin vert. Horrible et risible. Dans les' spectatrices de belles toilettes, de charmantes figures; tout a fait grand genre. N vbl ° j _ 1845 11V2 soir. 9 Dec. . . . je partis avec le Roi pour l'exercice, qui n'alla pas mal du tout ; par attention pour moi il a fait placer les troupes [d'après nos ordres de bataille, et ce fut assez bien et avec assez d'ordre; il y avait foule, l'on défile passablement, et puis nous revînmes. Foule partout, excellentes figures, excellents apostrophes de la populace, vraiment parfaits . . . Nous limes avec le Roi la plus délicieuse promenade par l e p a y s 1» p l u s i d é a l , le plus r ê v e , que l'on puisse imaginer! nous allâmes par la Chiaja et la Strada Nuova au Cap Posilippo et jusqu'à la platforme d'où l'on voit la baie de Baja, Nesida, Pozuoli etc. Aucune description, tableau, ni r i e n ne peut en donner une idée m ê m e a p p r o c h a n t e . Il faut le voir et s'il plait a Dieu, tu verras et en jouiras! la vue sur Naples, le golf et la mer est quelque chose qui surpasse tout ce que j'ai pu rêver de beau, d'idéal, c'est à en devenir fou! Le hazard a fait que j'ai trouvé deux jolis dessins qui donnent une idée de la vue sur Naples, prise de la montée de Strada-Nuova . . tu les joindras à ta collection . . .

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Aquila (Prinz Ludwig Karl Maria Joseph, GrafAquilaBruderFerdin.il.) m'a prié de raccommoder le Roi avec le Syracuse (Prinz Leopold Benjamin, Graf y. Syracus) qui se conduit fort mal ici, j'ai tâché de le faire et il parait que cela s'arrangera; il a beaucoup d'esprit, mais dans le genre de L. Ph., et le Roi le d i t a u s s i , mais il a de l'amour propre et c'est par là qu'il faut le prendre, et il parait que cela pourra réussir. Mais n'est ce pas singulier et flattant pour moi, que l'on m'eut choisi pour cela? Dieu veuille que j'y parvienne. , . 2 8 Novbr. Naples le ^ .— 184o à 11 h. soir. 10 Dec. . . . Puis à P o m p e i . Le temps était magnifique et tellement chaud que nous crûmes à un orage. Nous avons parcouru durant 2 h. les deux théâtres dont le petit a servi de model à notre théâtre de l'Hermitage, au Forum, au panthéon, à l'Odeon, dans plusieurs temples et maisons et dans la caserne, le tout du plus haut intérêt, et puis à l'endroit où l'on fait des fouilles; dans ce moment c'est le quartier des boutiques; je bicháis moi même et, sang aucune supercherie, nous trouvâmes beaucoup de choses curieuses, et entre autres sous mes yeux plusieures médailles, une lampe en patine, de petites têtes pareilles, une superbe balance et une charmante statue en marbre, malheureusement à la quelle il manque un pied, figurant un petit garçon qui embrasse un pigeon ; rien de plus joli ni de plus gracieux. Le Roi a eu la bonté de m'abandonner tout ce qu'on a trouvé. Après quoi nos fûmes déjeuner dans le bain public qui a servi de modèle au bain de Mary à Serguiefsky. Nous repartîmes et passâmes par la rue des tombeaux et reprîmes le chemin de fer pour aller à Castel a Mare, que nous traversâmes et passâmes par une superbe chaussée jusque près de Sorrento; tout cela est magnifique, mais je nè puis le comparer à l'autre rêve, dont la vue, selon moi, est bien plus belle. Nous revînmes et arrivâmes à la maison qu'il était 7 l / t ! ! ! ! ainsi donc constamment en mouvement depuis 10 h. consécutives, et je ne puis pas dire que je fus fatigué, tant l'intérêt était grand . . . Rome 1/13 Déc. 1845 10l/2 matin. Est ce bien vrai que j'y suis? je me tâte pour le savoir. Partis hier à 7 h. du matin avec le Roi, Aquila et Trapani par le chemin de fer, par un magnifique lever du soleil, nous fûmes dans une demi heure à Casería, qui comme château, est la plus gigantesque et magnifique chose que l'on puisse voir. En face du château est une cour à pelouse, qui rappelle en grand Gatchina, et de l'autre côté un jardin régulier et une magnifique cascade perpétuelle, comme à Wilhelmshôhe: statues, grouppes bassins, canaux, tout marbre; c'est magnifique; le Roi y a fait ajouter un délicieux jardin anglais, avec le goût qui le distingue et tout est tenu dans la perfection. Le château est tellement immense qu'il n'y a à peine que la 4e partie de terminé. Le portail, l'escalier et la chapelle sont g i g a n t e s q u e s et certe ce qu'il y a au monde de plus magnifique en fait d'architecture moderne. Nous déjeunâmes et fîmes ensuite une promenade dans le parc, par une pluie battante, au grand Bchiemann, Geschichte Rufilands. IV. 24

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désespoir d'Orlof et au grand amusement du Roi qui fût aimable a u p o s s i b l e pour nous. Nous repartîmes par le chemin de fer pour Capoue, là je lui dis adieu et bien tendrement, ainsi qu'au deux frères, et repris enfin ma calèche; le cœur gros et les larmes dans les yeux, en pensant que je m'éloigne de toi. A Capoue coups de canons, garnison sous les armes. Temps affreux. Deux postes plus loin, tout à coup l'on me dit que le Roi est là — grande surprise; l'excellent Roi avait encore courru après moi, à mon insu, pour m'embrasser encore! Nous nous dîmes un dernier adieu et continuâmes à cheminer. Partout d'excellentes figures et les femmes avec leur yeux tendres. A Terracine je pris le thé. La nuit fût très froide, mais belle, et j'arrivais ici à 5 h. à l'hôtel de l'Ambassade, droit à notre chapelle; fort joli, et je fus me coucher. Ce matin le pape m'a fait inviter d'être à 11'/a chez lui. Je n'ai encore vu que Wolkonsky; très faible . . . . 11 h. du soir. Enfin j'ai vu le Pape et nous nous sommes cordialement embrassés, voilà pour le commencement. Mais allons par ordre. Après l'avoir écrit je m'habillais et fus avec Bouténef (conf. Russki Archiv 1881. Memoiren von Butenew) au Vatican; foule partout dont au moins une vingtième partie Anglais; fort polie. Ce que je traversais de la ville, hideux, sale, les maisons hautes, les rues étroites, un froid glacial; je passais le pont St. Ange et le Tibre, tout mesquin; le château St. Ange bel, que tu le connais par dessins. Une horrible rue qui mène à la place St. Pierre, le double . . . . de notre place de Cazan; les deux fontaines fort belles, mais l'ensemble fort beau, mais pas aussi grand qu'on le se représente. Je fus reçu au bas de l'escalier par toutes sortes de personnages en habits ecclésiastiques et les gardes suisses; je montais ainsi, à chaque porte d'autres personnes, a chaque salle d'autres gardes; les appartements fort mesquins. J'arrivais ainsi à la dernière pesée, où le Pape vint à ma rencontre, je le saluais, lui baisais la main et nous nous embrassâmes tendrement; il est grand, bonne figure; gros nez, sale de tabac et de travers. Il me tint par la main et me fit entrer dans son cabinet et asseoir sur un fauteuil à sa gauehe, comme un dé; Boutenef et la Cardinal Acton, comme translateur, vis à vis. Il me dit qu'il considérait comme un vrai bonheur envoyé par Dieu, de ce que je fûs ici pour s'expliquer franchement avec moi sur ses griefs; non pas provenant de moi, il aimait à le dire, mais des lois de notre code, qui selon lui, étant de création humaine et non divine, pouvaient de mon autorité être changées; la dessus il se leva et prit un papier qu'il me remit, et dans lequel il était — disait-il — tracé ce qu'il désirait obtenir. Là dessus nous eûmes une conversation d'une heure, dans la quelle je lui expliquais avec la plus complette (sic!) franchise le véritable état des choses, leurs suites, et ce que j'avais cru faire pour l'améliorer; il m'écouta avec une patience parfaite; convenant de beaucoup de choses, et affirmant l'existence de choses tout-à-fait contraires à la vérité, et qu'il me fut facile de contredire. Enfin nous nous separâmes fort bons amis en apparence; mais tout n'est pas dit, ni fait. Je lui ai solennellement promis de faire ce que je pouvais — mais lui ai dit qu'il y avait des points, sur lesquels j'avais des devoirs aussi sacrés pour moi, qu'il y en a pour lui, et sur lesquels jamais je ne pourrais transiger. Après cela il voulut que je lui présente ma suite et il me i;econ-

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!!!! o x t ! ! ! ! ouf!!!! voilà tout ce que je puis te dire, j'en suis fou et demain soir j'y retourne avec flambeaux avec nombreuse société de nos dames. Je t'attends là, et pense à moi devant la statue d'une femme ou Vénus, entièrement drapée; cette statue et celle de l'Aristide à Naples, selon moi, sont les chefs d'oeuvres de tout ce que j'ai vu. Nous vîmes aussi la galerie des vases Etrusques et traversâmes la bibliothèque, magnifique local Puis nous entrâmes dans la chapelle Sixtine, fort ordinaire, si ce n'est que l'exbeauté des fresques et surtout du jugement dernier par Michel-Ange, couvert à demie par un affreux baldaquin; puis dans la chapelle paolina avec 24*

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fresques aussi de Michel-Ange tout à fait gâtés. Et enfin j'allais encore rouler au Monte-Pincio et à la villa Borghèse, et restais frais comme si je n'avais rien f a i t . . . . Le 3/15 Dec. à 91/« matin. Mes nouvelles d'ici sont bonnes; il parait que le Pape et son monde sont satisfaits; espérons et attendons le résultat; je ne veux rien présager, car j e ne puis céder sur tout ce qu'il veut. Mais ce qui te touchera comme moi, c'est de savoir que notre Cama est dans toutes les bouches comme dans tous les cœurs ici, il est à la lettre chéri, et cela fait plaisir à entendre . . . Minuit. Depuis tantôt j e fus d'abord au Vatican, voir les vestiges des loges de Raphaël, dont il ne reste presque plus de traces et que seuls nous possédons, puis à la galerie de tableaux, peu nombreuse, mais des chef d'œuvres, aux stances de Raphaël, magnifiques, mais gâtées, puis au Musée Egyptien, fort curieux, à la galerie des manuscripts à la bibliothèque il y a de superbes fresques et des plafonds admirables . . . J'oubliais de dire qu'en quittant le Vatican, j'avais été à la Farnésène, voir l'exposition Russe, pitoyable à me faire honte et peine . . . . Ensuite je visitais les ateliers de nos artistes . . . de tous s'est Bienaimé que j e préfère, je lui ai pris beaucoup de choses et en général je me suis ruiné!!!! Mais il y a de si belles choses, qu'il le faut bien, car je ne reviens plus à Rome ni en Italie . . . . Après le dîner, je reçus de fort beaux ouvrages en cadeaux du Pape. Puis je reçus le cardinal Bernotti, notre connaissance de Moscou, puis le fameux polyglotte Mezzofanti, qui parle russe coulamment, et le Cardinal Acton, brave homme, j ' e u s avec lui une conversation très grave et fort satisfaisante, et j e lui dis le. complément de ce que j'avais à dire au Pape . . . Il me dit que le Pape était fort content de moi et Lambruschini aussi — tout cela est fort bien, mais cela ne me prouve rien, que ce que j'ai toujours dit, c'est à dire, que d'autres veulent être plus Pape que le Pape lui même. Florence le 7/19 Décembre 1845 à l l 3 / 4 matin. 19 Nov. Voici des lettres de Costy du ^ ^ ', il était encore retenu par les vents contraires, ainsi donc vive la vapeur; au moins avec celle-là l'on fait presque ce que l'on v e u t . . . grande impatience d'avoir des nouvelles de Rome; et au milieu de cela le vieux Nix, calme, impassible et résigné à la volonté de Dieu qui gère tout sans que nous puissions préjuger de ses dessins . . . puis chez la princesse Louise, sœur du G. Duc; hattue(?) mais spirituelle et fort aimable; j e ne sais pas pourquoi elle se mit en tête de me parler tout d'abord allemand, ce dont j e me tirais avec beaucoup de bravoure. le 8/20 Déc. 1845. Ouf, en voilà une journée! Après t'avoir écrit, j'ai travaillé et fus au château chez le G. Duc. Nous causâmes quelque temps en termes généraux t mais cependant faisant clairement voir quelle poule mouillée il est. Après

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cela nous descendîmes à la galerie; disposée avec beaucoup de goût, dans des superbes salons, elle renferme une telle profusion de chefs d'œuvres, qu'il est impossible d'en donner une faible idée. Ce sont les tableaux qui l'emportent sur tout. De cette galerie il y a une communication qui passe la rivière et aboutit au grand musée. Celui-ci enferme un trésor e n t o u t g e n r e , inimaginable. La Venus de Medici est sans contredit le chef-d'œuvre de la sculpture en Italie; rien de comparable. Les deux galeries possèdent 15 Rafaels'.'.!! il y en a un peu connu, selon moi le plus beau. Mais tu verras cela et tu en jugeras, cela ne peut se décrire. Nous vîmes aussi l'ancien palais, curieux monument. Puis il me ramena chez moi, et là il entama une conversation de plus de 2 heures, pour tâcher de justifier ses principes, qui ne sont et ne serons jamais les miens. Je lui ai dit très franchement mon opinion et les dangers qu'il court; mais ce sera sans effet — il est sans caractère. Nous reçûmes par les journaux la nouvelle que le ministère Peel a quitté. C'est un fort grave événement, qui peut faire changer la face des affaires . . . Je revins et dus recevoir le Ministre d'Autriche Neumann, ancienne connaissance de Londres. 11 fait un triste tableau du G. D. ; entre autre il a placé comme gouverneur près de ses fils un individu compromis par des menées révolutionnaires d'ici. C'est tout dire, et ainsi le reste des affaires. le 9'21 à 6'/ 3 . Après lui (le P e Paul de Wurtemberg) je reçus Jérôme; il fut intéressant pour moi de me trouver en face d'un frère de Napoléon. Vieux bavard, mais aussi curieux sur le passé . . . Le Gr. D. vint et nous allâmes avec lui à la fabrique des objets en pierres dures; l'on y fait de superbes choses, mais ce sont de ces efforts de patience devant lesquels on reste plus étonné de la stupidité de l'homme qui veut ainsi contrefaire la nature, qu'émerveillé de 'invention; mais c'est beau et surtout curieux . . . . . . . La nouvelle du jour, celle qui préoccupe tout le monde, c'est le changement du ministère Anglais, et probablement celui de Guizot comme conséquence. Il est certain que le fait est grave pour les conséquences dans les deux pays d'abord, et peutêtre même en dehors quoique je me sois toujours préparé à cela et que j'espère rester dans les mêmes bons rapports avec l'autre parti en Angleterre. Mais cela agite derechef les esprits, et peut-être cela réagirait-il en bien sur Fritz, en le rendant plus prudent en face de ce qui peut surgir. Il a fait faire déclarer à Vienne quil a remis la réalisation de ses projets à l'année 1847!!! c. a. d. qu'il veut tenir les esprits en suspens pendant deux ans! Tu peux t'imaginer quel effet cela a produit à Vienne et comme on jette feu et flammes contre lui! L'on m'attend pour me proposer différentes mésures; j'écouterai, et ne me déciderai que lorsque j'aurai acquis la certitude de l'opportunité des mesures que l'on me proposera. En attendant à Posen les ostentations vont leur train et p o u r l a p r e m i è r e f o i s d e s m i l i taires sont compromis dans l'affaire. 10 h. Depuis tantôt j'ai vu Marmont, avec lequel j'ai eu une conversation fort intéressante, il est toujours excellent. Il fait grand éloge d'Henry V. et de sa sœur qu'il dit charmante; il ne voit pour le moment aucun avenir pour

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Anlage I I .

Henri V. et se pleint beaucoup des procédés du Gouvern. Autrichien à son égard, et même de (Louis Napoléon?), qu'il dit être (un fils) de Flahaut. Padoue le 11/23 Dec. 1845 11 h. soir. . . . . J'arrivais ici et trouvais toutes les autorités militaires et civiles ; insupportable. Le gouv. de la Province, le comte Palfy est un homme fort agréable et m'a reçu au Po, et précédé ici. Demain j e compte partir à 10 h. pour être pour le diner à Venise. L'Archiduc Frédéric m'attend à Fusino, ce dont je l'eusse dispensé; tout cela est fort désagréable et gênant et contre ma nature qui n'aime que la simplicité. le 12/24 à 9 h. du matin (Geburtstag Alex. I.). . . . la date de ce jour de tendre et douloureux souvenir, fait rêver dans le passé, c'est la première fois que je ne puis assister au service funèbre ; mais j'ai bien prié pour lui, notre ange gardien . . . Le séjour de Vienne, plus j ' y pense, me devient insupportable. Que ferais-je devant les femmes de la famille qui veulent être plus pape que le Pape lui même? Après tous les torts qu'ils ont eu vis-à-vis de nous, quelle figure dois-je faire comment voudront ils me reparler d'une chose, que nous avons tant désiré et qu'ils ont si indignement repoussé. J e ne pense pas que mon séjour à Rome produira dans leur esprit le moindre changement sous ce rapport, car au fond à Rome il ne s'est fait que ce que je savais d'avance devoir s'y faire, c. à. d. que notre entrevue avec le Pape se passerait fort amicalement. Que dans bien des points nous nous entendrions, dans d'autres j a m a i s , cela ne leur suffira pas; or ce n'est pas moi qui aborderait la question, que me diront ils donc? Mais si même la chose s'arrangeait pour le moment, que nos jeunes gens pourraient se voir, se convenir et le mariage s'en suivra, j e te demande quelle sûreté pour l'avenir d'Olly dans une famille, où toutes les femmes seraient contre elle. L'on a beau dire qu'Etienne a un établissement séparé, mais (Etienne François-Victor, Archiduc d'Autriche né 14 Sept. 1817 M. Gen. chargé de la direction politique du royaume de Bohème) est-il indépendant? et comme sujet ne depend-il pas dans sa position et dans ses emplois de la volonté du maître? Si l'on n'est pas content de lui où pour quelqe autre motif si l'on le prive de sa position que deviendra-t-il, où ira-t-il, et quel sera alors le sort d'Olly? voilà des reflexions fort simples et naturelles et qui se comprennent tout d'abord, car cela saute aux yeux. Et si par dessus celà le caractère d'Etienne est ce que quelques personnes le dépeignent: fat, vaint et présomptueux, crois tu qu'OHy parviendra à refaire un caractère semblable. Et quelle sécurité peut-il présenter? J e t'assure que tout cela n'est pas si rose. J e n'aime pas ce qui est Wurtembergeois, car tu sais qu'ils ont tous dans le caractère quelque chose d'indéfinissable, qui me déplait. Mais hors de la au moins la situation est indépendante, elle sera belle un jour et présente bien plus de sécurité que l'autre. J e n'ai pas encore vu le P. Royal; dès que j'aurai pu le voir j e vous dirai franchement l'effet que son abord produira sur moi, et c'est à Olly e l l e s e u l e à se prononcer sur lui, n o n à l u i , m a i s à n o u s , avant que de rien lui faire présagir; l'affaire est de gagner du temps et le prétexte de la p r o x i m i t é d ' â g e en offre un,

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pour ne pas se prononcer tout d'abord, mais pour y réfléchir un peu. Si l'on insiste à Vienne sur l'idée du mariage, j'y mettrai comme condition absolue, que l'on envoye le jeune homme en Italie vous voir et le plutôt possible, car cela ne peut trainer. . . . . Venise à 10 h. soir. Oui, j'y suis! parti de Padoue à 10 h. j'arrivais à Fusino à midi; j'y trouvais l'archiduc Frédéric, beau et charmant jeune homme, il me prit dans son bateau et nous allâmes à Venise; de loin cela rapelle la vue de Pétersbourg de la mer. Entré dans la ville on est frappé de la beauté des façades de quelque palais et de leur saleté et délabrement; ils sont noirs quoiqu'en marbre dit-on. Lorsque l'on sort du grand canal, la vue sur le port a une si extrême ressemblance avec Pétersbourg du coin du château quand l'on voit le quai Anglais, que l'on en est frappé. Je fus reçu au bas de l'escalier du château par le bon Vice-Roi (Rainer) et ses 3 aines et Radetsky. Je fus chez moi vite me mettre en grande tenue et fus chez l'Archiduc; excellent comme toujours. Puis je fus chez le maréchal et chez l'archiduc Frédéric. En arrivant j'ai vu la duchesse de Berry sur son balcon . . . Le Pr. Royal de Wurtemberg est arrivé et m'a fait demander de venir, et à 8 h. je le reçus. Je l'ai trouvé très embelli; c'est un beau jeune homme, de la taille de Cama, bien fait, bien tourné, fort dans les épaules, bien portant l'uniforme. Il était embarassé, mais pas géné ni guindé. Je lui ai franchement dit ce que nous pensions de sa proposition; il m'a écouté comme quelqu'un qui le trouvait fort naturel, mais que cela n'effrayait pas, et prêt à toute fortune. Nous avons longuement parlé de ses relations avec père, mère et sœurs. Il parait bien avec le père m a i n t e n a n t , disant qu'avant son père le tenait loin de lui. Il aime beaucoup sa mère et ses sœurs cadettes. Je lui ai dit qu'il devait avoir la plus complette confiance en toi et mettre la plus grande simplicité et naturel dans ses rapports avec Olly — et que s'il ne r é u s s i s a i t p a s , il n'en devait pas chercher rancune, ni se croire par là mal vu, mais être persuadé que l'on conserverait pour lui toute l'amitié qui se comporte entre parents si proches. Je lui ai dit qu'il ne devait pas arriver à Palermo avant le 1/13 Janvier; aussi c'est fait, et il comprend. L'impression qu'il m'a faite est en sa faveur, il a l'air d'un homme fait, mais pas encore d'un homme qui a pris de l ' a s s i e t t e , ce qu'a l'autre éminemment et peut-être t r o p . Je ne sais si vous le jugerez de même, et en tout cas Olly ne doit pas se presser de le juger n i e n b i e n n i e n m a l , mais d'abord le connaître. Ensuite, si à Vienne cela va bien, c. à d. si l'on v e u t de leur part, il faut qu'ils envoyent Etienne, et je vous l'écrirai, alors il faut (observer?) et prendre le pretexte de la réflexion pour ne rien décider et avoir alors le temps de voir et de comparer. Mais si a Vienne cela va m a l , je vous l'écris aussi, et alons il n'y a p l u s de c h o i x , et Olly devra seule décider, veut elle, ou ne veut elle pas d u s e u l i n d i v i d u q u i se p r é s e n t e . Venise 12/25 Dec. à 10 h. du soir. . . A 10 h. je fus voir le palais des Doges; c'est curieux, c'est riche de plafonds, peintures, mais rien que cela; la façade est belle dans la cour et il

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y a une odeur de Kremlin en dedans, l'on ne sait pourquoi. J e fus dans les horribles prisons etc. Puis à l'académie au temps magnifique, chaud au soleil; il y a de belles choses, et le chef d'oeuvre de l'Italie que je mets au dessus de t o n t : l'assomption de la vierge par Titien que tu as en petit en haut chez moi, — c'est inoui et incomparable à rien, n'en déplaise à tous les Raphaels. J e revins travailler, puis habillé et fus avec Lieven chez la duchesse de Berry; magnifique maison l'ancien palais Vendramini au Prince Cornaro de Chypre. Lui (Graf Lucchesi-Palli, 2. Gemahl der Herz. v. Berry) que nous avons vu il y a 20 ans à Moscou, fort beau chasseur d'ambassade. Elle en haut de l'escalier, grasse, blonde, sale, laide, gauche, louche, vive, coulante, me fit traverser une quantité de pièces à travers de superbes objets et, assis vis à vis d'un brasier qui nous rôtissait, causé d ' a v e n i r — et préché patience . . . . Radetzky, longue et bonne conversation avec cet excellent vieillard, triste à écouter sur ce qui se fait chez eux . . . Après le diner longue conversation avec le Wurtemberg. Bon garçon; franc; jeunesse orageuse, a été 2 fois malade, guéri depuis un an; a besoin de sa maison, position pénible entre le père et la mère, tous deux difficiles; il espère par un objet commun d'affection donner un centre à la famille et changer le train des choses. Mes doutes, les lui dit, il reste à son opinion. Craintes de déplaire; (conseil?) d'être simple et naturel et confiant avec toi et Olly. Bien dit qu'il est fort possible qu'elle n'en veuille pas à cause de l'âge, mais que cela ne devait pas l'effrayer et que, même en cas de refus, il serait traité en bon parent. Dis ce que j'(ai écrit?) à Olly. Grande agitation parmi les Autrichiens pour savoir pourquoi il est ici, je me tais. le 14/26 Dec. à 9 l /i matin. . . . Quelle date, Mouffy . . . il m'est pénible de me trouver après 20 ans s e u l loin de vous tous et de ne pouvoir prier et remercier Dieu ensemble. HV2 du soir . . . j'ai fait grande toilette et reçus les Généraux, puis nous sommes descendus avec les Archiducs sur la place St. Marc, pour passer la revue des marins et des 5 bat. qui forment la Garnison. Le bataillon de» grenadiers italiens, par sa taille écrase le 1er bat. Préobrashenski, pas possible de voir quelque chose de plus idéal. Foule de monde, temps magnifique, c'était superbe. Rentré, je me suis mis en garde à cheval et fus à l'église grecque; belle, mais le service affreux!!! J'y priais pour la journée — seul. . V i e n n e le 18/30 Décembre 1845 à l l ' / a s o i r . . . . J e suis ici depuis 7!/a soir. J'ai été reçu au débarcadère par Liechtenstein et une foule compacte avec des ypa. L'on voulait me conduire au château, j'ai tenu bon et me suis fait conduire à la mission, sur tout le chemin foule et ypa, près de la maison compagnie. Je passais devant la foule le front, de nouveaux ypa. Mon commendant de régiment avec le rapport. J'envoyais Liechtenstein faire mes excuses à l'Empereur de ce que je remettais à demain l'honneur de le voir, prétextant un mal de tête, fictif heureusement, mais dans le fait, pour faire sentir la deférence avec le passé qu'ils ont voulu mettre dans nos rapports. Etienne n'est pas ici. il est à Prague. Je ne sais s'il viendrait, car je n'ai

377

Ânlage I I . yu encore personne.

Médem m'a dit

que Hetternich m'a fait prier par lui

d e n e p a s p a r l e r d u t o u t à l ' I m p é r a t r i c e M è r e d e n o t r e a f f a i r e ; il aurait pû se

dispenser de me faire la commission, car certes ce n'est pas moi

qui eut commencé

d'en parler.

D'un

l'arrivée du P. Royal de Wurtemberg.

autre côté ils ont

été

abasourdis

de

Metternich a écrit à Médem un tas de

bêtes de raisonnements sur nos affaires religieuses qui n'ont ni queue ni tête, tout en disant que le tout s'est passé au mieux avec le Pape.

Mais

il

est

évident, selon moi, que pour le moment j e ne vois aucun indice de changement dans les dix positions.

Voyons demain . . .

Liechtenstein a u désespoir de ce

que notre affaire ne s'arrange pas, disant qu'il n'y est que la famille qui ne le veut pas, et q u e t o u t e l a n a t i o n l e d é s i r e .

Enfin Dieu ne le veut pas.

le 19/31 à 9'|, soir. . . . Je ne me trompais pas en disant que Vienne et son séjour m'étaient odlenx!

J'ai vu ce qu'il y a de membres de la famille ici présents, l'on m'a

accueilli avec affectation de politesse, mais pas un mot d'Olly, p a s p o u r me d e m a n d e r de ces n o u v e l l e s ! ! !

même

Aussi si j'ai supporté cette sotte

journée et si j'ai pu me contenir, j e ne l'attribue qu'a la prière fervente que j ' a i adressée au bon Dieu de m'inspirer et au sentiment de ma dignité

que

j e crois avoir noblement soutenu, en faisant retomber à plat l'embarras sur ceux qui jouaient faux avec moi!

Mais allons par ordre.

D'abord j e fus ob-

ligé à me lever à 7 h. et à 8'|4 j'étais déjà en grande tenue chez l'Empereur: il ne m'attendait pas, j'attendis un moment et il me reçut à sa manière et fort cordialement; gros et plus bavard que pour le passé.

Il voulait

à toute force

me faire demeurer chez lui, ce que j e refusais positivement.

De là j e

fus

chez l'Impératrice regnante, elle me reçut avec une grande cordialité, me parla beaucoup

de

toi

avec

effusion, se

plaignit de ce que j e ne venais pas au

château, de l'effet que cela ferait dans le public; j e tiens bon.

De chez elle

chez l'Archiduc François Charles et Sophie, ils me reçurent avec force brassades et effusions etc., entourés de leurs enfants. de la façon dont tout allait, qu'il n'en voulait

em-

L u i d'abord sé plaignant

plus et qu'il devait sortir

de

sa fausse position, outré contre l'archiduc Louis qu'il veut remplacer, me priant de l'aider auprès de Metternich pour arriver à ce résultat!!! pas un mot de notre affaire.

Joseph). Puis chez l'archiduc Jean; amical au possible. mère.

ni elle, ni lui

Les enfants charmants, l'ainé surtout

(Franz

Puis chez l'impératrice

Elle me reçut avec un e m b a r r a s s i e x c e s s i f , que j ' y eu ma recom-

pense et que cela me donna un aplomb et un avantage décisif la journée.

sur elle pour

L i e u x communs, nouvelles sur toi, voyages, Italie et — rien du tout.

Je sortais de chez-elle avec l'orgueil de voir que mon caractère franc et droit avait triomphé de sa mauvaise foi et de son mauvais vouloir, en prouvant que l'on pouvait payer

des procédés

semblables par le mépris le plus

renfermé dans une politesse imperturbable, sans aucune intimité.

écrasant, Ceux

qui

la connaissent disent qu'elle était hors d'elle d'embarras et de confusion — à qui la faute?

J'allais alors chez l'Archiduc Charles et

reçurent pas et j e fus chez moi pour une minute.

son

fils,

ils

ne

me

Arriva Albert, fort emba-

rassé d'abord, puis excellent, cordial et tendre; estimable jeune

homme, il a

Anlage II.

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gagné pour son extérieur. Peu après vient l'Empereur et son frère, radotage épouvantable. Nous partîmes avec lui aux écuries Impériales où on le cache quand on le fait monter à cheval. A la revue sur le glacis foule, quelques ypa. Les troupes bien; devant mon regiment; l'on défila devant moi. Revenus de même. Reçu les étendards de mon régiment. Puis chez le Wasa, pas reçu. Chez Melanie, excellente, tendre, aimable au possible; longue conversation avec elle; elle me voulut parler de ses regrets, de ce que nos projets avaient manqué, je la priais de n'en rien faire, longue discussion. Catholique, elle est de bonne foi, ne croit pas aux bêtises que l'on dit, connait les Polonais, mais croit toujours que mes ordres sont mal, ou pas exécutés; en un mot: toujours les mêmes relâchages sans conclusions. Nous nous embrassâmes. De là chez Fiquelmont. Dolly mieux, mais pâle et un commencement de r i d e s de souffrance; sa fille d é l i c i e u s e , mais un peu les épaules et le col de M® Elisa; mais à croquer de tenue et de gentilesse. Dolly t'écrit. De là chez moi, et reposé une demie h. Au diner à la cour. Rassemblés chez l'Empereur. Vu l'Archid. Albert, jolie femme, belle taille, très soignée dans sa mise. Dîner de militaires, dans une chaleur affreuse; moi assis entre les deux Impératrices, la Mère cachant son embarras dans une volubilité de questions et de choses, mais toutes banales. Je tiens bon au point qu'Orlof en eut les larmes aux yeux. Ma santé, je la rends. Enfin lévée, cercle. Rentrés et revenu pour une demie heure changer de toilette et reparti derechef chez l'Empereur. Au theatre, PImpératrice me donnant le bras me force d'approcher, applaudissements; vilain theatre, beaucoup de jolies femmes. Rentrés au bout de deux actes de comedie allemande, chez l'Empereur, longtemps attendu. Thé avec des dames et du monde. Elise charmante, mais la plus jolie de toutes et vraimant charmante est la fille de mon Liechtenstein, mariée à un comte (Fürst) Trautmansdorf ; elle est délicieuse, grande, 3 enfants, faite à peindre et une tournure distinguée, tout en ressemblant au père. 19 Déc. 1845 1 Janvier 1846' . . . je quitte Vienne avec la conscience d'avoir fait mon devoir. La journée d'aujourd'hui a été décisive en ce que toute illusion, t o u t e e s p é r a n c e e s t f i n i e . Ce matin je travaillais avec Flam et à 10 b. déjà Metternich fut chez moi; cet homme a baissé infiniment, il relâche et bavarde plus que jamais. Il commença avec un embarras, un dégagement visible à vouloir me parler de notre affaire, et me dit rien que des bêtises mille fois redites, toujours bêtes et maintenant plus mal à propos que jamais; je l'interrompais avec un regard de mépris et je lui dis: „brisons la dessus, mon Prince, vous êtes trop embarrassé pour me reparler de choses fort inutiles, et il est audessous de moi de les entendre." Il devint plus pâle que de coutume et alors, enchanté de la chose il commença un tas de discussions sur chez eux, sur l'Angleterre et l'Allemagne, et Fritz, il dit beaucoup de choses vraies, beaucoup plus de bêtises, enfin c'est un homme à demi fini! Et cependant ce n'est encore que par l'ombre de sa personne que tout tient encore ici. Lui mourant ce sera une confusion à ne pas s'entendre.

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Le moment après Henri V. vint chez moi. Charmant, tendre, aimable, simple et cordial, jolie tête; le corps un peu gros, et boitant avec grâce; très prudent dans les paroles, très correcte dans ses intentions, j'ai fait ce que j'ai pu pour l'y confirmer et il me l'a promis . . . . Puis je fus au château — pour un dîner de famille; même politesse qu'hier, et assis entre les deux Impératrices; la régnante vraiment bonne et naturelle; l'autre u l t r a aimable, mais toujours embarrassée et voulait ne pas l'être. Elle me fit voir ton bracelet au bras pour que je te le dise, puis tout à coup elle me dit: „J'ai établi un autel à la place où feu l'Empereur est mort, dans la chambre que j'occupe, je tiens à vous la faire voir, hier je ne l'ai pu." Je m'inclinais, c'était un prétexte pour me faire venir chez elle. Effectivement, au moment où je voulus prendre congé de la famille, elle me dit de monter avec elle et, après avoir dit adieu à la famille, me voilà cheminant à côté d'elle à travers les salles remplies de monde, le vestibulç, les corridors et l'escalier. Je ne lui donnais pas le bras, elle ne me l'offrait pas, je ne voyais pas le besoin de le lui proposer. Ainsi chez elle, elle me mène dans son cabinet, court fermer une porte et puis ouvre un fond de mur; l'autel est dressé à la place même où l'Empereur est mort; un tableau le représente à genoux devant notre seigneur et se trouve sur l'autel; nous y entrons, elle me dit de me retourner et me fait voir derrière sur le mur une gravure qui représente ma visite au tombeau de feu l'Empereur; alors elle me dit, croyant probablement produire un effet théatral sur moi: „Eh bien Sire, croyez vous à un changement de ma part?" je la regardais en face un moment, et lui repondis très calmement: ,permettez moi de vous répondre en un autre lieu." Nous sortîmes, elle me fit assoir et alors, appelant à mon secours tout mon sang-froid, je lui dis: „j'ai du le croire par votre propre expression dans votre lettre." Cela la décontenança et elle me dit: „nous autres femmes n'attachons pas autant de portée à nos paroles, je voulus exprimer, que la destruction du catholicisme resolue en Russie . . . " je l'interrompis en lui demandant d'où elle avait tiré ce fait; elle repondit — je l'ai entendu dire — par qui? on le disait, on devait le croire — par quels actes? je ne saurais dans ce moment les citer. Alors je lui dis: voilà, Madame, ce que j'entends dire partout, et c'est sur de telles allégations que l'on (fonde?) le soupçon sur quelqu'un qui depuis 20 ans devrait être connu; que vous détruisez une union intime, basie par votre époux, que vous jouez le jeu de nos ennemis communs, en faisant succéder le malaise, la gêne entre nos deux familles, à l'union que feu l'Empereur y avait établi — et pourquoi? Pour des soupçons qu'il est audessous de moi de vouloir payer autrement que par le dédain et le mépris. Je n'ai pas pu vous donner à vous à l'Empereur, à l'Autriche de plus grande preuve du respect religieux que je porte à la mémoire de feu l'Empereur et aux promesses que je lui ai faites, que de venir ici ce qui m'était pénible au plus haut degré; je l'ai fait par sentiment religieux pour lui comme je l'ai fait pour ma propre conscience. Elle me tendit la main d'un air pénétré. Vous auriez fait changer de religion à une Archiduchesse d'Autriche si un grand Duc aurait dû l'épouser. Non, madame, car un acte légué par mon père et feu l'Empereur fixa ce cas par un acte spécial. — Elle reste stupefaite. — Vous

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avez des lois dans vqtre code qui sont dérogatoires aux catholiques. Je ne le» connais pas, veuillez me les citer. Au surplus si elles existent, elles ne peuvent qu'avoir existé depuis longtemps, certes ce n'est pas moi qui les aurait promulgué. A plusieurs reprises elle voulut par des phrases caressantes imprimer un autre caractère à notre conversation, je les reçus avec la plus grande politesse, mais sans céder un pouce de terrain de la politesse simple, pour poser une i n t i m i t é comme par le passé, qui m'eut fait perdre tous mes avantages. Pas un mot de regret de la chose manquée, pas un mot d'Olly, d'intérêt, rien, de sa part, rien! J'étais outré de cette comédie. Enfin je lui dis adieu; compliments pour toi, à la f a m i l l e , pas un mot de plus, et je partis avec Albert, avec lequel j'en étais convenu. Revenu avec lui nous avons longuement causé avec cet excellent et noble jeune homme. Plus tard vint l'archiduc Jean, celui-là voit les choses, les sent c o m m e n o u s , il en est navré, en sent les conséquences, en est effrayé, mais n'en voit pas de remède pour le moment et par conséquent pour toujours. C ' e s t d o n c f i n i , et quand je te disais qu'ici l'on l'était plus Pape que le Pape — j'avais raison Je te disais que cela va mal ici; Metternich est l'ombre de ce qu'il a été, Kolowrat est vieux aussi, l'Archiduc Louis plus irrésolu que jamais, et l'Archiduc François, héritier du thrône, blasé et mécontent; voilà le g o u vernement. La Hongrie boude, la Galicie est sur le point d'être en feu, grâce à Posen, la Bohème ne veutplus qu'êtreBohème — et dans l'avenir quoi? L'Archiduc François, homme sans caractère, nul et ne jouissant d ' a u c u n e considération personelle. Tout le monde las du présent, inquiet de l'avenir et 27 Archiducs, donc 5 vieux, les autres jeunes gens et enfants, — voilà I» tableau de la Monarchie.

Ânlage III. Zwei Briefe Nikolais an Friedrich Wilhelm IV. in der Krakauer Angelegenheit. April und Mai 1S46. St Petersbourg le 13/25 avril 1846. Cher et bon Fritz, J'ai été bien sensible et reconnaissant pour les vœux que vous voulez bien faire à l'occasion des promesses de notre chère Olly. L'opinion favorable que vous énoncez sur le compte du P. Royal me fait grand plaisir; je ne l'ai vu que peu, mais je fus charmé de la modestie et (te la franchise de son langage et de la noblesse des sentiments qu'il m'a témoigné et de ses principes sages et correctes; puisse l'avenir vous faire aplanir le choix d'Olly, car il a été parfaitement libre, comme toute l'affection nous a été inattendue et presque incroyable, aussi nous devons croire que Dieu a voulu que cela soit. Je passe de ce sujet à l'ordre qui fait l'objet de votre lettre ; des nouvelles infamies polonaises. N'étant plus la dupe de ces misérables, au contraire m'attendant de leur part à tout ce qui est mal, et ne regardant le bon, aussi rare qu'il était, que comme une bénédiction divine et inattendue, je n'ai été

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ni surpris ni étonné de ce qui est arrivé. Puisse cette Tcrité pénétrer aussi dans votre âme. Veuillez vous souvenir de mes conversations avec vous à Varsovie et de ce que je vous ai dit sur les remparts de la citadelle — c'est la garantie du bonheur de la Pologne qui appartient à l'Empire. Il faut les rendre heureux malgré eux, et en les privant de la félicité (wohl facilité?) de se f a i r e d u mal et de faire comme des enfants auxquels on enlève les joujoux qui les blessent ou blessent les autres dans leurs mains — c'est un devoi'r sacré, et ceux qui osent dire le contraire sont des fous ou des t r a î t r e s et TOUS ne sauriez trop vous en garantir. Je vous le dis en ami et en voisin. — Un grand pas vient d'être fait par nous trois par l ' a c t e de m o r t q u e n o u s a v o n s p r o n o n c é sur Cracovie, avec le plein droit dont nous jouissons. Ce qui reste à régler à Vienne n'est qu'une forme. II était grandement temps de le faire, et maintenant que les Posnaniens sachent une fois pour tous qu'il n'y a plus de salut pour eux s'ils ne sont Prussiens, que les Galiciens de même deviennent Autrichiens, et je me charge des miens, qui n'osent plus remuer grâce au bon Dieu, car ils savent qu'ils ne peuvent plus tromper personne et que de père en fils ils trouveront de notre part ferme volonté et inébranlable de les russifier tant que possible, et de faire leur bonheur matériellement tant qu'il est en notre pouvoir. Heureusement la masse du peuple chez moi est p a r f a i t e et o b é i s s a n t e , car je ne lui permettrais pas de ne pas être obéissante, voulant que le bien vienne d'en haut et non d ' e n bas. Mais la noblesse et certains partis de la bourgeoisie, à peu d'exception près est d é t e s t a b l e ; et cette il faut les maintenir p a r la p e u r , car ils ne sont accessibles à nul autre sentiment, — c'est triste à dire — mais c ' e s t vrai. Je ne punis de mort personne, le Maréchal à fait pendre les assassins à Siedlec, car un exemple était indispensable là, où la seule tentative de révolte fut faite. La Sibérie ou l'Oregon ou l'Australie dont vous parlez; elle nvest même pas aussi pénible à atteindre, parcequ'on y parvient sans risquer de souffrir du mal.de mer, car l'on y vit paisible et heureux; ceux qui y vont ne sont que ceux qui pour leur crimes ne prennent plus place dans la société. N'oubliez pas, cher Fritz, que notre Seigneur qui pardonnait ceux qui le crucifiaient, chassa avec un fouet de cordes de ses propres mains ceux qui profanaient le temple Nicolas. Varsovie 9/21 Mai 1846. Cher et excellent Fritz, Dank für den freundschaftlichen Brief und die gütige Aufnahme, die Berg gefunden. Le de p r o f u n d i s que nous avons prononcé sur Cracovie, est une œuvre de salut commencée p a r c o n v i c t i o n encore par feu notre adoré Papa, et à laquelle vous avez été appelé à donner la dernière main. Nous ne tarderons pas à en recueillir les fruits bienfaisants, si l'on agit avec vigueur partout pour poursuivre et punir le mal, et que l'on ne rêve pas à une clemence de Titus qui ne se comprend pas parle Polonais, espèce d'animal entre l'homme et la bête, quelqu' inqualifiable, et malheureusement que trop réelle; je parle de ce que l'on appelle noble, prêtres et Schliachta, je ne

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puis assez vous le répéter, et vous conjurer en ami et en voisin de vou3 défier de leur manège, prenant toutes les formes. C'est à cette occasion que je dois vous signaler deux gredins des plus infâmes qui se sont rendus à Berlin pour parvenir à leurs fins, croyant, p e u t - ê t r e à t | o r t , trouver appuis et protection dans les Princes- Radzivil et Tschartoriisky, l'un est le fils d'Arthur Potocky,. je crois du nom d'Adam Potocky, c'est un infâme gueux, et il est positif que c'est chez lui, dans sa maison que le coup de Cracovie se montait. L'autre est Mezieszewsky; celui-ci a été renvoyé de Varsovie dans les 24 h., pour avoir voulu sonder le terrain si je ne voudrais pas accepter une députation Cracovienne pour me demander de les joindre à l'Empire; ce n'était que pour jeter du louche sur nous, et éveiller les soupçons Autrichiens, 'aussi on lui dit: h e r a u s vom h a u s wie e i n m a u s s — comme disait feu Constantin. La dessus j'apprends quil est allé tripoter chez vous. En général tout ce qu'il y a de canaille, et Dieu sait s'il y en a dans ce charmant pays, porte les yeux sur Berlin et y cherche un fantôme de protection. Il serait donc bon je pense de dire aux Radziwils d'être plus prudent qu'à l'ordinaire, et à des grédins semblables à ces deux misérables, de leur appliquer le h e r a u s . Pardon si j'outrepasse le droit de vous dire ce que je pense. Nos nouvelles de Gallicie sont bonnes, tout y rentre c o m m e c e l a p e u t en ordre; quantité de propriétaires allemands sont venus pour acheter les terres restées sans maîtres; et le reste des anciens propriétaires vient s'établir en Podolie et Volhynie, ou reste à trembler sur place, que l'épouvantable leçon, qu'ils ont reçu, dont Dieu nous préserve chez nous, et que je ne tolérerais pas. Ici l'apparence est calme, le fond exécrable sous l'extérieur d'un parterre de fleurs et de roses épanouies, car le foule circule comme vous le verrez une fois, sans gêne. Nos mesures sont prises le mieux que nous l'entendons; la probabilité du repos éxiste donc; les troupes excellentes et fières d'avoir prouvé qu'en besoin elles savent marcher et aux regrets de n'avoir pas en à tapper

Ânlage IV. Friedrich Wilhelm IY. an Nicolaus I. November 1846. Charlottenbourg 17/29 November 1846. Votre lettre du 6/18. de ce mois, cher et bien aimé Nix, a rempli mon cœur de joie et de satisfaction. Je vous en remercie du fond de mon cœur. L'impression de bonheur, que ce nouveau gage de votre amitié m'a fait naître, aurait été sans mélange, si je n'avais pas été déjà instruit du malheur de notre pauvre cher Michel! J'y prends une part très-vive. La bonne défunte Marie était ma favorite des 3 aimables sœurs, dont il ne reste que l'excellente Kathy — que Dieu veuille conserver!!! Je la connaissais depuis Rome (en 28) où elle m'enchantait par sa „kindliche Zuthulichkeit" envers moi. Elle a bien voulu s'en rappeler toujours et cela m'a valu la qualité d'ancienne connaiscance auprès d'elle, qualité qu'elle n'a pas cessée de faire valoir avec beaucoup de grâces. Je plains Michel & Helène au delà de ce que je puis dire. Que Dieu les console!

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Pardonnez moi, cher ami, si je tombe tout d'abord du crêpe noir dans l'or et l'azur. Voici l'affaire. Vous me permettez de conférer un régiment à Constantin, fils de Nicolas, et vous ne voulez pas faire de choix pour lui. Il faut donc que je le fasse moi-même — et le voici. Attendu que l'Empereur m'ordonne de choisir un régiment de mon armée pour son fils Constantin — attendu que l'Impératrice penche pour la Cavallerie, attendu que le sus-dit Constantin, parmi tous les uniformes qu'il est en droit de porter, n'a pas d'uniforme de Husard — attendu qu'il y a dans l'armée prussienne deux régiments de Hussards qui n'ont pas de chefs (le 9ième le llièmè) (or et azur) — attendu que le 9rême est le plus ancien des deux, que son uniforme est plus beau que celui du llième et que c'est un bon régiment — attendu qu'il est en garnison à Sarrebrûck et à Sarrelouis & que par conséquent, s'il prit jamais la fantaisie au sus-dit Constantin d'aller à la recherche de ce régiment, il serait à même de voir un pays où l'on ne passe guères & le „petitchef d'œuvre de Vauban" par dessus^le marché, — J'ai trouvé bon de nommer, j e nomme, et j'ai nommé S. A. I. le grand-Duc Constantin Nicolaevitsch de Russie, chef du n e u v i è m e r é g i m e n t de H u s s a r d s , faisant partie de la 16ième Brigade de Cavalerie, Ile la 16ième Division et du 8ième Corps de mon armée. Grand bien lui fasse. Cela me fait du bien à moi de faire cette nomination, et surtout d'y être autorisé d'une manière si bonne et si amicale par vous, cher et excellent ami. Vous croyez (je crains) être quitte de moi à présent. Hélas, cher ami, vous vous trompez cruellement. Vous avez voulu banir la politique de votre lettre, car vous la détestez comme sujet de conversation amicale. Je ne l'aime pas trop non plus. Vous le savez bien — mais je me vois presque forcé de commettre l'ingratitude de traiter avec vous plusieurs sujets politiques. Si la peur vous gagne en lisant cela, je le comprends — je jetterais même des hauts cris à votre place. Mais je crois que c'est bien fait, que c'est salutaire, que je remplis un devoir en agissant de la sorte, et je commence. Il y a dans ce moment deux affaires politiques qui me pèsent sur le cœur, car je crois voir distinctement qu'elles sout grosses de beaucoup de bien et de beaucoup de mal et qu'il ne dépend que des puissances conservatrices de les accoucher, ou de l'un, ou de l'autre. Je veux parler de l'affaire danosleswic-holsteinolauembourgeoise d'abord — et puis de l'affaire d'Espagne. — La première a été m i s e au m o n d e par la „lettre patente" de l'excellent roi Chrétien VIII, qui, en parenthèse, a été et est encore horrrrriblement mal conseillé; mais elle a été e n g e n d r é e bien avant & nommément par „la loi de succession à la Couronne de Danemark" de seize-cent je ne sais pas quoi. Envisagez, chérissime Nix, je vous en conjure le but avoué de cette loi. Il n'est et n'a jamais pu être un autre qtii celui 1) de conserver intact, non le petit r o y a u m e de Danemark, mais l'aglomérat de pays qui constitue la m o n a r c h i e danoise; 2) d'éviter toute querelle, toute guerre de succession et 3) de fixer p o u r c e t e f f e t la couronne dans la maison d'Oldenbourg-Holstein dont vous êtes un des chefs. — Le b o n - s e n s aurait prescrit au roi d'alors de prendre toute la maison de Holstein & de la déclarer héritière de la C o u r o n n e d'après la parenté des différentes lignes, avec celle qui occupait le trône lors

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du décret de Souveraineté absolue. Au lieu de cela, sans doute pour ne pas manquer à sa propre Majesté, il ne déclare héritière de la couronne que sa p r o p r e p o s t é r i t é . Malheur alors à toute âme danoise qui aurait pu rêver en songe la possibilité de l'extinction de cette sublime race. Eh bien, le bon Dieu s'en est moqué et la race s'éteint, la succession est des plus douteuses, et si l'on n'y met ordre à temps, il y aura une petite guerre civile de succession, qui sera menée avec cet affreux acharnement de deux nationalités ennemies. Les velléités toutes danoises du Roi d'un côté, et de l'autre la ferme volonté de toute la population allemande de la monarchie, de ne pas se laisser f a i r e la loi contre la l o i — font de l'arrangement de cette affaire un problème. La solution de ce problème est facile et q u a s i impossible à la fois. Elle est facile dès que le roi et son conseil rentrent dans le bon-sens. — Mais comme cet excellent Prince et ses Ministres sont en dehors du bon-sens, elle est impossible et restera tel jusqu' à ce que le roi voudra bien prêter l'oreille aux conseils de ses véritables amis. Je suis du nombre et je le suis de cœur et d'âme. Mais je n'ai pas l'honneur d'être en consanguinité de race avec lui. Vous, cher ami, vous êtes issu de la même souche et vous êtes chef d'une des branches de la maison de Holstein. Si j'ai le bonheur d'avoir sur cette importante affaire les mêmes convictions que vous & s'il vous plaisait de prendre l'initiative (comme „Cousin" du Roi) pour tâcher de la mettre dans la bonne voie, je me fais fort de porter l'Autriche à seconder vos efforts. Et certainement je ne serais pas le dernier à le faire moi-même et cela „con amore". — Ecoutez d'abord mon raisonnement, je vous en conjure^ chérissime ami! — Selon moi, le roi a t o u t à f a i t r a i s o n de désirer que la Monarchie danoise ne tombe pas en lambeaux après la mort de son fils, et d'agir en conséquence. Moi aussi je crois que la disparition de cette Monarchie serait un malheur pour l'équilibre de l'Europe. — Mais, cher ami, de l'autre côté, les états et le peuple du Sleswic et du Holstein s o n t d a n s l e u r d r o i t s a c r é et i n c o n t e s t a b l e lorsqu' ils ne veulent pas être donnés en présent à la maison de Hesse, lorsqu' ils veulent rester unis indissolublement à la race antique de leurs Ducs qui a fait leur histoire, qui a formée leur territoire, qui est devenue depuis des siècles une & indivisible avec eux-mêmes, et qui fleurit encore, sans compter la ligne royale en quatre branches bien conditionnées; lorsqu' enfin ils désirent de ne pas voir briser leurs antiques lois, droits et coutumes, infiniment plus anciens que l'hérédité de la Couronne de Danemark, solennement garantis par celle-ci et inhérent à la nationalité germanique. Car vous savez que la loi salique est éminemment allemande. — Et croyez moi sur ma parole, cher Nix, l ' A l l e m a g n e ne p e r m e t t r a jamais que le Danemark se joue de ces loix, et frustre une de ses plus illustres races de l'héritage qui lui revient de d r o i t . Moi-même j ' a g i r a i d a n s ce sens et avec la p l u s g r a n d e conviction et énergie. — Il serait superflu de vous rappeler, cher ami, que vous et votre famille, vous êtes fortement intéressés dans cette question. Je sais bien, que l'Empereur votre père a fait une renonciation totale et fortement accentuée de ses domaines souverains dans le Sleswic-Holstein en faveur du Roi de Danemark. Mais n'oubliez jamais, chérissime Nix, que ce n'est, et que cela n'a pu être qu'une cession

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de droits entre „Cousins". L'Empereur a cédé ses droits au roi à la race royale de Danemark, parce que cette race est une branche de sa propre famille. Ses possessions faisaient partie de l'ancien domaine i n a l i é n a b l e de la maison de Holstein-Sleswic. Elles pouvaient être cédés à une autre branche de la maison, mais jamais au grand jamais — à une autre maison que la sienne. Si par conséquent la couronne de Danemark passe (grâces à l'imbécillité de „la loi royale") dans une autre maison que celle de Holstein, ces domaines ne p e u v e n t pas suivre la Couronne, et si le Roi réussit à déshériter toute la maison de Holstein de son antique patrimoine, cette maison doit être invisagée comme éteinte, comme rayée de la liste des dynasties européennes, à l'exception toutefois de votre auguste famille, dont les droits cédés revivent dans le même moment. — Oui, mon cher et bien-almé Nicolas, c'est bien vous qui êtes en titre de remettre cette malheureuse affaire dans la bonne voie de la légitimité et d'une sage politique. Selon les p r i n c i p e s de la l é g i t i m i t é , ni le Sleswic, ni le Holstein ne peuvent jamais sortir de la maison de Sleswic-Holstein, tant qu'il en vivra un poupard pendant à la mamelle, et selon les p r i n c i p e s de la p o l i t i q u e , il faut conserver intacte la monarchie danoise. Voici donc le problème. Comment le résoudre? Existe-il un mode pour cela? — Je réponds — Ouï! Goethe dit dans son Faust à peu près ce qui suit: Es ist ein Gesetz der Geister und Gespenster; wo sie hinein gekommen sind, da müssen sie wieder 'rrrraus! — Il s'agit de savoir q u i a fait l'origine de tout ce mal: la loi royale du Danemark? Ce sont les anciens états du royaume, Prélats, Seigneurs, noblesse et villes. Eh bien qu'ils la défassent, qu'ils la corrigent, qu'ils la „désimbécillent". — Ils existent quoique sans droit. Mais le roi peut à tout moment leur rendre, pour un moment et ad hoc, la plénitude de leur droit constituant. En un mot, le roi, a s s i s t é des é t a t s du royaume (non de ces états pour vire et pour pleurer de Röeskill etc., mais une convocation générale des 3 ordres) peut légalement refaire la loi et substituer comme héritière de la Couronne toute la maison de Holstein. Peutêtre vous me répondez: mais le roi ne voudra pas — et si le roi voulait, les états ne voudront pas, parce que le Duc d'Augustembourg est fort impopulaire en Danemark — et puis la convocation des 3 ordres du royaume est un moyen trop héroique & même dangereux. — Permettez moi que je réplique. Il n'y a pas de doute que le roi ne voudra pas, sous les circonstances actuelles, car il est sous la férule de la Landgrave sa sœur, personnage éminemment intrigant, et il compte en outre sur vous, sur l'Angleterre et avant tout sur Louis Philippe pour réussir impunément dans ses plans d'envahissement des droits germaniques. Il se fiche de la Diète germanique. Mais il se trompe. Ni vous, cher ami, ni l'Allemagne ne permettront jamais qu'il se moque de la légitimité, l'Angleterre ne fera certainement rien contre le bon droit dans c e t t e affaire, et Louis Philippe le trichera, comme il triche tout le monde. L'affaire prend d'abord une autre face, dès que vous prenez l'initiative et que vous invitez l'Autriche & la Prusse de seconder vos conseils de »bon Cousinage". — Si vous dites un mot la Diète germanique déclare qu'elle ne souffrira jamais l'exhérédation de la maison de Holstein de la partie la plus minime S c h i e m a n n , Geschichte Rußlands.

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de son héritage incontestable. Alors l'excellent roi verra bien qu'il n'a qu'à choisir entre de démembrement de la monarchie après la inort de son fils et le changement de la loi de succession „ p r o p o s é par vous". Oui: par vous» c'est la l'essentiel. Après cela: le langage commun, amical, persuasif & positif de l'Autriche, de la Prusse et de la Diète germanique. Puis peut-être les bons conseils de l'Angleterre et — qui sait? — même de la France qui s'intéresse de préférence à la conservation de la monarchie entière. Ne croyez vous pas, que tout cela ensemble puisse porter le roi à prendre le parti indiqué? et les 3 ordres à faire ce que le roi leur proposera? Passons aux Etats généraux du royaume proprement dit. Je ne les crains pas pour le repos du roi et du royaume. Les évêques et prélats feront, comme toujours, purement & simplement la volonté du Roi. Les seigneurs et la Noblesse sont royalistes de cœur et d'âme. Ces 2 ordres contrebalanceront victorieusement les velléités révolutionnaires du 3 i è m e , de l'ordre des villes. Mais ce qui m'ôte surtout toute espèce de crainte c'est la conviction que tous les ordres sentiront également le besoin de soutenir la monarchie danoise et l'impossibilité d'y parvenir par une lésion de droits sacrés & p r o t é g é s par l e s P u i s s a n c e s . — Si mes raisons, cher ami, ne vous rassurent pas sur l'innocence de „mon moyen", proposez — en un autre, je vous en conjure les mains jointes, pour parvenir d'une manière légitime à la reconciliation du bon droit & de la bonne politique européenne dans cette malheureuse affaire. J'aime et j'estime le bon roi Chrétien VIII de tout mon cœur. C'est par une a m i t i é v é r i t a b l e pour lui, que je cherche les moyens de le tirer d'embarras, et cet embarras est épouvantable, le compromet, le b r o u i l l e avec ses plus fidèles sujets, ébranle son trône et gâte son caractère!!! Permettez moi de grâce, de dire un mot sur le Lauenbourg. Le Lauenbourg a été donné au roi de Danemark par le Congrès de Vienne comme indemnité pour la perte de la Norvège. A-t-il été donné au royaume de Danemark? Non! — L e royaume n'a pas perdu un pouce de son antique territoire. Il est impossible de dédommager qui & quoique ce soit, lorsque l'objet en question n'a rien perdu. Or, la Norvège faisait aussi peu partie du r o y a u m e de Danemark, que le Danemark faisait partie du vieux royaume de Norvège. Mais de l'autre côté, le roi Frédéric VI avait réunies sur sa tête comme ses prédécesseurs les d e u x Couronnes des deux royaumes, et Charles Jean l'avait soulagé de la moitié du fardeau. C'est donc positivement lui, Frédéric de Sleswig-Holstein, roi de Danemark, qui a perdu un royaume et non son royaume de Danemark, et pourtant, le Lauenbourg a été donné à la race de Holstein, aujourd'hui regnante en Danemark et autrefois regnante de même en Norvège. Par conséquent, dès que la race de Holstein perd la Couronne du Danemark, l'indemnité, à elle donnée pour la perte de la Norvège, doit lui rester. Y aurait-il encore des doutes, la „qualité" du Lauenbourg les chasserait. Le Lauenbourg nous avait été donné d'abord, à nous — Prusse —. Nous l'avons échangé contre la Poméranie suédoise, que le Suède avait donnée au Roi de Danemark pour la Norvège. Ni la Poméranie, ni le Lauenbourg n'ont pour cela cessé un moment d'être pays allemands. Aussi, et ceci est décisif, le Roi de Danemark possède-t-il le Lauenbourg c o m m e m e m b r e de

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l a C o n f é d é r a t i o n g e r m a n i q u e . — Mais dans les pays germaniques la loi salique s'entend de soi-même, car elle tient au sol, et le caractère de „peuplade allemande" ne saurait exister sans elle. — Et en voilà assez du Danemark, du Sleswic, du Eolstein et du Lauenbourg. Reposez-vous à présent mon cher et bon Nix. Prenez un verre d'eau sucrée, couchez-vous, dormez bien et après, lorsque vous aurez achevé votre besogne quotidienne et qu'il vous reste quelques minutes, reprenez cette lettre et — continuez!!!! Quittons le pâle Danemark pour l'Espagne basanée. Il faut que je vous fasse d'abord un aveu. Dans toutes les combinaisons politiques, dans toutes les transactions diplomatiques, un seul point de vue est toujours devant mes yeux, une seule question m'intéresse exclusivement — savoir: Tout cela pourrat-il nous servir un jour contre les plans d'envahissement de la France révolutionnaire? Les dernières idées émises par Lord Palmerston sur un arrangement des affaires en Espagne, m'ont vivement frappées. Il veut faire revivre, entre les Puissances conservatives et l'Angleterre l'entente cordiale qui s'est evanouie entre elle et la France, (requiescat in pace! — comme vous dites —). L'Espagne doit être le lien qui nous unira. A cet effet il désire que nous autres „Conservateurs" lui fassions la proposition qui suit. 1) Vouloir reconnaître l'ordre de choses en Espagne sous la condition que de Gouvernement réussit de r é t a b l i r la l o i s a l i q u e , 2) abstrahir d'un bouleversement total de cet ordre des choses en faveur du Comte de Montemolin, 3) reconnaître Donna Isabella la innocente & en même temps son mari Don Francisco de Assis comme roi effectif et non comme roi-époux seulement, 4) substituer la race de Don Francisco de Paula — père du roi et de Don Enrique, d'une part à Donna Luisa Duchesse de Montpensier, de l'autre à la race de 'Don Carlos, 5) rappeler et réintégrer comme Infants d'Espagne tout le „Moulinage" (le vieux Molinas, le jeune M o n t e m o l i n etc.) et reconnaître à cette lignée la succession à la couronne, après l'extinction de la descendance de Don Francisco de Paula, qui entre nous soit dit, est celle de Don Manuel Godoi, ci devant Prince de la paix. Duc d'Alcudia & c a — C'est triste. — Même tout cet arrangement à la Palmerston est triste, au moins pour moi qui m'intéresse toujours au sort et aux droits du „Moulinage". Néanmoins je suis tout près d ' e n t r e r de g r a n d c œ u r dans les projets de Palmerston s'il plait à Dieu que j'y entre sous votre protection, chérissime Nix et bras dessus,, bras dessous avec notre ami Clément. Il y a selon moi dans ce plan des douceurs, qui luttent victorieusement contre son amertume incontestable. Car d'abord, si nous réussissons, le „Moulinage" est tiré de sa triste condition et réintégré dans la belle et honorable position qu'il a occupé avant les troubles de la Péninsule — et puis l'entente cordiale entre nous autres et la Grande-Bretagne!!! Cette entente cordiale ne reposera pas sur un é v é n e m e n t p a s s a g e r mais sur t o u t u n s y s t è m e , sur le fait d u r é t a b l i s s e m e n t d e l a l o i s a l i q u e en Espagne et sur toutes les conséquences de ce fait. Nous 4 nous serons en quelque sorte les garants du nouvel ordre de choses en Espagne. L'existence de Cracovie était pour nous 3 un lien pareil quoique l'objet ne valût pas le diable. Le moral ordre de choses en Espagne sera pour nous 4 une Cracovie e n bien et en grand. Cet arrangement à 4 des affaires d'Espagne nous 25*

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fournit les moyens d'élever un mur d'airain contre la France de Juillet. Quel avantage incalculable! Vous concevrez à présent, chérissime ami, pour quoi j'embrasse les ouvertures de Palmerston avec une espèce d'enthousiasme. J'y vois le salut de l'Europe. Et quel triomphe encore. Les W h i g s qui font du conservatisme parce que Louis Philippe à trompé l'Angleterre pour avoir un million de revenus de plus dans les coffres de sa race. C'est du ridicule v r a i m e n t sublime; car il y a là le doigt de Dieu. — Cracovie a un peu froissé Lord Palmerston; mais grâces à Dieu, sa colère contre la France est fort chaude encore. Battons le f e r t a n t q u ' i l est chaud! Si Montemolin a du bon sens (et Palmerston qui l'a vu le prétend) ce Prince peut imprimer à l'arrangement projeté le sceau de la plus complette légitimité. L'Espagne n'est pas „accouplée" à la loi salique, comme l'est l'Allemagne. D'après les antiques loix castillanes les femmes pouvaient régner. Philippe V a changé ces mauvaises loix en bonnes, aidé par les Cortés légitimes du royaume. Charles IV. dans un de ses divers accès d'imbécillité a défait la bonne loi avec ses Cortés et le triste Ferdinand VII l'a mise à exécution. Pour rendre la bêtise légitimé il ne manquait que l'assentiment du premier appelé au trône. C'était Don Carlos. Il refusa. Et il avait raison. Aujourd'hui Montemolin, qui d'après la loi abrogée est le successeur au trône, peut très bien r e c o n n a î t r e l'effet de la nouvelantique ou anticonouvelle loi pour un cas (c'est le cas qui est le fait accompli du moment, le règne d'Isabella) mais sous condition qu'après il y eut trêve de bêtise. Assurément le règne de la race de D. Fr. de Paule n'est pas ce qu'il y a de m i e u x mais c'est toujours u n r e t o u r v e r s le bien. Cela coupe court au règne des femmes et des filles, cela rétablit la loi salique et cela exclut les Louisphilippides. Ce n'est pas tout, mais c'est beaucoup. Ile reste encore une tâche, il faut me défendre contre une objection quasi inévitable. On me dira il y a de l'inconséquence dans vos raisonnemens. En Espagne vous reconnaissez au premier appelé à la Couronne le pouvoir de légitimer par son adhésion des changemens dans la loi de succession et en Danemark vous oubliez le Prince de Hesse, l'héritier présomtif, pour faire la même chose. Je réponds, que les cas sont entièrement différens. En Espagne la maison royale ne menace pas encore ruine & tout ce que Lord Palmerston propose et ce que je défends, serait un arrangement de famille, de Bourbons avec des Bourbons. En Danemark c'est exactement le contraire, dès que l'on demande la participation de la maison de Hesse-Cassel: Moi, au contraire je veux en Espagne ce que je veux en Danemark: un arrangement de famille à sanctiouner par les Cortes & les Etats-généraux. Le Prince Frédéric de Hesse en outre n'est pas le premier-appelé à la Couronne; c'est au contraire le Prince royal. Ce qui plus est, c'est que la perspective de succession de mon neveu Frédéric est, on ne peut pas plus flottante, incertaine. D'après la „loi royale" la Landgrave est la première appelée à la couronne à la mort du Prince royal, ou plutôt elle est la seconde, car sa sœur Julienne de Philippsthal est l'ainée des sœurs du Roi Chrétien VIII. Frédéric succédera donc à sa mère, si la Landgrave survit à sa sœur, (ce

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Anlage V.

qui serait dans l'ordre) ou plutôt si elle survit au Prince royal — ce qui serait en quelque sorte contre nature, ayant d i x n e u f a n s de p l u s q u e le P r i n c e . Si la Landgrave ne survit pas au Prince royal, le droit d'hérédité passe à la Princesse Ferdinand, fille ainée du feu Roi, et d'elle à sa sœur cadette, la Duchesse de Glücksbourg. L'espoir de Frédéric ne repose donc, au pied dé la lettre, sur rien au monde, als auf das Todtsaufen des Kronprinzen. Dans notre ancienne armée, ou l'on entrait dans l'ordre des buveurs avec le grade de Capitaine, les Söffer avaient une longévité désolante — elle était d'une longueur aussi désolante que cette lettre. Elle est à la 16 i è m e page!! Ah! Oh! Ouf! Je m'arrête tout court. Les bras me tombent d'effroi. Pourtant j e les relève pour Vous embrasser de cœur et d'âme, Vous et ma bonne sœur et puis encore Mary, Costy, Göthe et Schiller, et Sache s'entend s'il est de retour. Ne m'en voulez pas, de grâce, à cause de cet interminable bavardage, qui n ' a t t e n d p a s de r é p o n s e , pénétrez Vous de cela! Dieu soit avec Vous! aimez-moi toujours un peu et croyez-moi pour la vie La vénérable se recommande à Vos bonnes grâces, cher & bon Nix.

Votre fidèle et tendre, vieux ami (gez.) Fritz,

Anlage V. Nikolai an Friedrich Wilhelm IT.

2. Januar 1847.

, , 2 1 Dec 46 l'etersb. a — , 2. Jan 1847 Dank für Verleihung des Zieten-Rgt. an Costy, er werde es zu verdienen suchen. Die Holsteinsche Sache est de la nature de celles dont depuis 21 ans je me tiens aussi éloigné que possible, car c'est une affaire selon moi de f a m i l l e s A l l e m a n d e s , cela vous regarde vous autres — pas moi. Er habe sich begnügen müssen dem Könige zu sagen, comment j'entendais la renonciation de mon père à ses droits. Über die andere wichtigere Sache habe er durch Nesselrode an Kanitz schreiben lassen. Er sei überzeugt que Palmerston est forcé de se rapprocher de nous . . Je suis résolu de le voir venir, je lui tends la main, mais pas à la condition de me contredire ou d'abandonner des principes vitaux pour nous. Si nous donnions dans le piège et que nous consentions à adopter les propositions biscornues que Palmerston nous avait faites nous serions infailliblement entraînés par lui dans cette querelle de c r a c h e t e u r s , qui se poursuit à outrance entre Guizot et Palmerston, Thiers et mon ami L. Phylippe. Le Papas (das ist Leopold) est parti pour Londres dans l'intention de rapprocher la Reine du Lolo Phiphi, mais on dit que le P. Albert ne veut pas s'y prêter; je le regarde faire, j'en ris et j'attends; voilà, cher ami, ce qui nous convient, hors de là nous nous compromettrions gratuitement. • N.

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Anlage VI.

Ânlage TI. Nikolai an Friedrich Wilhelm IT. s. d. 1847 yor April. Cher et excellent Fritz, J'ai reçu des mains de Rauch la lettre que vous avez bien voulu m'adresser et j'apprécie à sa juste valeur la confiance que vous me témoignez. Mais je croirais mal y répondre si je vous déguisais l'impression que m'ont fait éprouver vos graves communications. Plus d'une fois vous m'avez ouvert votre cœur, vous m'avez entretenu de vos intentions. Vous vous souviendrez que t o u j o u r s , tout en rendant justice à votre cœur et à la noblesse de vos sentiments, je me suis permis de révoquer en doutes l'utilité pratique de vos projets; plus que cela, d é p o s i t a i r e d e s v o l o n t é s s a c r é e s et d e s i n t e n t i o n s d e v o t r e p è r e d e g l o r i e u s e m é m o i r e , je me suis efforcé de vous prouver, qu'elles étaient c o m p l è t e m e n t c o n t r a i r e s à ce que vous méditiez. Vous ne serez donc pas étonné de me retrouver encore dans ce moment tout aussi convaincu du peu d'utilité de vos projets, et j'oserais le dire d'après ma conviction, des dangers incalculables auxquels vous exposerez votre patrie et l'Europe. L'Histoire est là, pour vous apprendre où mènent de pareils essais, et une fois entré dans la voie de mesures semblables vous serez incontestablement entraîné au delà de vos intentions, et ni la fidélité de votre armée que je ne veux pas révoquer en doutes ni votre propre courage, ne seront plus suffisants pour prévenir ou arrêter un mal, qui vous dévorera. Je ne me grossis pas le danger, je ne prétends pas non plus que mes convictions si diamétralement opposées aux vôtres, puissent changer vos déterminations — mais je vois l'abîme où vous allez vous précipiter, et l'Europe avec vous, — je vous le signale d'après ma conscience; et j'appellerais la grâce Divine à mon secours, pour éloigner de mes états les maux dont la menacent les mesures que vous allez adopter. Fidèle à des principes que j'ai hérité de feu mon Frère et de votre Père, je ne les renierais jamais, et je combatierais sur la brèche jusqu'à mon dernier souffle; — Dieu nous jugera! — C'est très bien! C'est d i r e la v é r i t é quand même! C'est le langage d'un ami. Je me flatte que le langage de votre ancien ami, tout contraire peutêtre à vos vœux, ne pourra vous blesser; me parlant vous même avec cette confiance, n'êtes vous pas en droit de prétendre à la mienne au même degré ! Puis je vous taire ce qui fait la crainte, je dirais presque le d é s e s p o i r de tous! Je n'entends de nulle part une seule voix s'élever en faveur de ce que l'on devine de vos intentions; partout ce sont les mêmes cris de détresse et de craintes fondées. La confiance a totalement disparu, et chacun ne pense plus qu'à se préparer à lutter contre l'orage, avec d'autant plus de désespoir, que l'on n'en comprend pas le but! Nous devenons vieux, quel avenir léguerons nous ainsi à nos enfants et successeurs? Qu'une telle perspective réjouisse d'autant plus L. P. et compagnie et toute l'infernale clique révolutionnaire est tout simple, aussi ne cachent ils plus,leur joie, car vous allez au devant de

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tous leurs vœux; vous leur épargnez l'ouvrage, car ne vous dissimulez pas la vérité; sitôt que les embarras intérieurs seront en train chez vous, que vous ne pourrez plus, m a l g r é v o t r e v o l o n t é , prêter l'appui nécessaire au reste de l'Allemagne, c'en est fait d'elle. La propagande révolutionnaire ne perd pas son temps et elle gagne du terrain partout; témoins, la Suisse, les menées soi-disant Catholiques, qui ne sont que de non t e l l e s , mais dans la réalité, aussi révolutionnaires, et la soi-disante bulle du Pape le prouve, et les menées incessantes communistes en Pologne; enfin partout le feu couve; — et c'est dans .ce moment là que vous allez commencer un jeu de hazard, qui donnera le signal au branle-bas général contre tout ordre et autorité ! — C'est une terrible responsabilité que vous assumerez sur vous! Mais en voilà bien assez sur ce penible sujet. — J'ai été heureux de pouvoir aller au devant de désirs de la chère Elise, à laquelle je vous prie de présenter mes bien tendres et respectueux hommages. La santé de ma femme parait s'améliorer un peu, en tant que ses forces reviennent, quoique lentement, mais les battements de cœur ne discontinuent point. Hier u n nouveau coup inattendu est venu nous frapper et renouveler de récentes et douleureuses plaies à peine cicatrisées; mais que la volonté de Dieu soit faite; nous nous humilions, sans murmures. Adieu, cher et excellent Fritz, je vous embrasse tendrement, et croyez à l'inviolable attachement de votre vieux et fidèle frère et ami. jj t

Anlage TH. Nikolai an Friedrich Wilhelm IT. 12. März 1848. St. Petersbourg le

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^ F e v n e r 1343 12 Mars Cher et excellent Fritz.

Habe vor 3 Tagen d. Brief des Königs v. 17|29 erhalten, die Antwort darauf hat der König schon p a r a v a n c e in seinem letzten Briefe partie le jour avant erhalten, et je suis fier d'avoir pensé comme vous, sur le grave moment . . . L'attentat que vous donnez à juste titre à tout ce qui s'est fait dans ces derniers temps, inclusive l'affaire suisse, je l'accepte, car il est conforme en tout point à l'opinion que je vous ai souvent énoncée . . . . elle m'a valu dans le temps divers sobriquets et depuis, la Suisse des coquin — je m'en honore. Ma seule crainte dans votre projet de congrès à Vienne est celle, que la quantité de mulets que vous appliquez à juste titre à certains gouvernements, ne s'applique en plein à l'Autriche. J e crains très fort que vous paralisez beaucoup et p o u r r i e n ; et comme vous êtes résolu de passer outre malgré eux, j'eusse préféré vous voir prendre d'emblée le rôle qui vous convient d a n s l ' a b s e n c e m o r a l e d ' u n E m p e r e u r d ' A u t r i c h e . Or le temps passe, l'Autriche ne peut rien, il sera déjà fort heureux si avec toutes ses forces réunies elle pourra garder l'Italie et nous repondre de la Suisse; plus que cela impossible d'en prétendre, son secours doit se borner matériellement

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à cela, rien au delà, m o r a l e m e n t rien à en espérer pour l'Allemagne et par une défiance méritée et par dégoût pour son éternelle marche. Je vous le répète cher ami, c'est de vous seul que peut venir l'élan nécessaire. Appelez donc près de vous à Berlin, ou prenez un lieu tiers, et faites, agissez f e r m e e t p r o m p t e m e n t , ou, je vous dis, je vous répète, t o u t e s t p e r d u . Voilà l'observation que je dois vous faire et à laquelle je reviendrais toujours. Am wichtigsten sei zu wissen si l'Anglet. se joindra à notre marche, ou si elle s'isolera, ou ce qui est pis encore, si elle va d'emblée reconnaître la République. Il parait que la Belgique ne bouge pas; ce serait un hors point de gagné, et au besoin qu'il serait beau d'y voir reparaître Wellington avec un Corps Anglais sur le théâtre de la gloire. Mais je n'ose nullement l'espérer dans leur état actuel. Mes préparatifs vont grand train et au mois de Juillet je puis entrer en campagne avec 350/'m h. effectifs et deux reserves de 150/m et de 100/m h. Mais je ne bougerais pas sans appel de la nécessité. Rauch m'a fait part des mesures militaires ordonnées par vous, mais j'espère que dans ce moment elles ne se borneront plus à cela, car elles seraient tout-à-fait insuffisantes, il faut que l'on sache partout que vous êtes prêt à tout a v e c t o u t e s v o s f o r c e s et sourtout que vous soutiendrez p a r l e f a i t , ce que' vous exigerez pour le salut commun. Les derniers événements de Carlsruhe, de Wiesbaden et de Leipzig me semblent exiger des mesures rigoureuses de r é p r e s s i o n i m m é d i a t e ; il ne faut pas d'illusions, et il est indispensable d'arrêter par la force et instantanément, des démonstrations semblables; il faut les defendre et juger militairement les contrevenants. S o y e z d o n c , c h e r a m i , l e s a u v e u r d e l ' A l l e m a g n e et de l a b o n n e c a u s e , m e t t e z v o u s h a r d i m e n t à l a h a u t e u r des c i r c o n s t a n c e s et ne r é c u l e z p a s d e v a n t l a t â c h e q u e la P r o v i d e n c e vous désigne. Il semble qu'en France l'on veut temporiser, et sous le masque de la paix nous faire une guerre occulte, plus terrible qu'une guerre ouverte; ne jouez donc pas leur jeu, et réprimez toute tentative de troubler l'ordre établi par les traités; c'est la notre vocation sacrée. Au moment de finir ma lettre je reçois des nouvelles de Vienne; il semble qu'il y a brouille et mésintelligence dans la famille Impériale, il ne manquait plus que cela pour me confirmer complètement dans l'opinion que je vous ai énoncé. Que Dieu vous inspire, cher Fritz, espérons en sa miséricorde et ne perdons pas courage. Pour la vie et de cœur et d'âme votre fidèle et dévoué frère et ami Nicolas Veuillez me mettre aux pieds de la cher Elise. Einliegend ein Brief der Kaiserin. In der Aufregung des Augenblicks etc. Du bist der Einzige kräftige, muthige Fürst unter deutschen Fürsten, Du mußt und willst mit Rath und That vorangehen. Gott stehe Dir bei und erhalte Dir Deine Kraft und Energie, die aus einem frommen Herzen entspringt.

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Wie wird es nun mit meiner Reise zu Euch aussehen? Ich wünsche mehr als je daß Du und HHKC Euch sehen sollt. Ihr müßt eine Zusammenkunft haben, und es war recht bestimmt die Absicht von HHK mich abzuhohlen oder hinzubringen nach B. um Dich wiederzusehen. Wir wollen noch hoffen? Deine Schwester Petersb. -d. 12 März Ch. 1848.

Anlage VIII. Briefe der Kaiserin von Kußland an den Prinzen von Preußen. August—November 1848. Petersb. y - f 1 / - - 5 ' 1848 12 August Lieber Wilhelm. Was ist das für ein dummes Papier, ich nehme aber keinen anderen Bogen, weil es doch kein Brief wird, nur ein Accompagnement zu Deinem B e r i c h t über die S c h r e c k e n s T a g e B e r l i n ' s welche die 2 Schwestern gerne lesen möchten, und aus Fürsorge aus Angst für die Pest (Post?) sende ich es Dir eigenhändig damit Du selbst die Responsabilität zu tragen hast, w a n n u n d w i e es zu den Schwestern geschickt werden soll. Nur eins bitte ich mir aus, daß m i r diese wichtigen Papiere wieder zurückgesandt werden möchten, sobald die Schwestern sie nicht mehr brauchen werden, denn ich halte sie hoch und werth wie einen Schatz welchen ich Deiner Bruder Liebe zu verdanken habe. Deine Ankunft und Aufenthalt in Stettin muß Deinem Herzen wohl gethan haben; daß Du aber leidend warst an Colerine ist unnütz und mal ä propos im Augenblick, wo die wirkliche Cholera sich naht. Ich bitte Euch ein großes Stück Flanell a u f d i e B a u k zu tragen die ganze Zeit daß die Krankheit dauern wird, und P e p e r m i n t h Wasser zu nehmen, ein halbes Schnappsgiäschen voll, sobald man nur das geringste empfindet was am Bauch Kneifen oder Winden (mit Respeckt zu sagen) gleicht — es ist besser noch als P e p p e r m i n t h T h e e , weil man weniger verschluckt und weil es sehr stark erwärmt. Ich möchte Dir so ein Fläschchen schicken, denn ich glaube in Berlin kennt man es weniger; es ist Englisch. Vielen Dank für die Rosen, den ich Dir und den Brüdern zu sagen bitte wohl an Carl und Abat. — Der Reichsverweser ist Dir wohl in d i e B a u k gefahren, mir auch. Wie muß es Euch ernst zu Muth sein bei den Frankfurter Tollheiten und Exigencen. — Preußen sollte in Masse aufstehen wie ein Mann gegen jene Anmaßungen. Ist es denn nicht grade an, der Zeit jetzt. Sonst wird es zu späth sein. Der gute Sinn der sich jetzt aber zeigt müßte benutzt werden. — Aber Fritz mit seinem Schreien zu deutscher Einigkeit wäre ein Widerspruch mit sich selbst. Dir allein stände es zu, aber wie ist es möglich, wenn F. nicht abdankt. Du hast nicht gesagt und unterschrieben „Preußen soll von nun an in Deutschi, auf-

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Anlage VIII.

gehen." Du bist also nicht gebunden. — Du wirst nicht meineidig wie Fritz nicht im completten Widerspruch oder Wortbruch wie er, wenn er das Schild erheben wollte. Wrangeis Benehmen ist auch eine Folge eigentlich von dem Wahn in welchem Fritz befangen war und wodurch er den Untergang Preußens herbeigezogen. Oriola hätte ich mir nicht so gedacht wie er sich gezeigt. Dem kleinen Willisen ist nicht zu trauen. Bunsens Erscheinen will mir nicht gefallen. Die s c h w a r z e E x c e l l e n z wie man die gute Adelaide P. nennt, muß j a s p i t a l t o l l sein. Daß Du die Deputirten aus B. in Uniform und gehörig kalt empfangen war ganz recht und hat mir gefallen. Weniger der zu schnelle H a n d s c h l a g eine Stunde drauf. Das Fest in Sanssouci an der lieben Nation. Vers, ist und war ein unglückseeliger Gedanke, den man Willisen zu danken hat. Ach, ich lebe so mit Euch, ich fühle alles so mit Euch, als ob ich mitten unter Euch wohnte. Niks grüßt schön! ich möchte gern die neue Benkendorf sehen, er hätte sie sollen herbringen auf ein paar Wochen. Lebewohl an Auguste viel Liebes. Adio.

Cottage d. 14/26 August 1848. Dein 16 Seitiger Brief war uns interessant aber der langen Kunde kurzer Sinn doch nicht zufriedenstellend, weil er heißt: Es bleibt Dir nichts übrig, als ruhig die Hände in den Schooß zu legen, und so verpaßt man einen guten Moment nach dem andern. H a n s A u e r s w a l d sollte kommen, bleibt aber weg. — Nichtwahr Budolpb ist der jetzige Präsident des Ministeriums. Antworte hirauf. — Das ist doch der Beste von den drei Brüdern nicht wahr? Es gießt mit Mollen während ich schreibe. Morgen sind die 7 Wochen nach den 7 Schläfern aus; ob es alsdann besser Wetter werden wird? Fritzens Rhein Zug ging gut von statten, llauch muß viel geschwitzt haben. Sage ihm wie sehr sein Brief an Rochow uns interessiert hat, B r a v o V a t e r c h e n ! sagte Mary. Vergiß nicht ihm diese Comission zu machen, denn ich sah nicht Rochow der unwohl ist und konnte ihm keinen Auftrag für Rauch geben. — Wie unheimlich muß die Gesellschaft der Frankfurter Deputierten gewesen sein mit Gagern an der Spitze. Fritz sprach zum Glück wenig und gut. Adio bester Wilhelm, ich eile so, weil die Cadetten um 12 Uhr.

abmarschieren

Kaiser grüßt und alle Kinder sagen viel Liebes. Deine alte Schwester Ch. Zarskoe Selö d. 3/17 Sept. 48. Durch Wilh. Meclenbourg ein paar Worte. Der Himmel weiß in welchem Moment er bei Euch eintreffen wird! Der Kampf hat er begonnen? Der Sieg

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Anlage VIII.

ist er errungen? Wenn nur Entschlossenheit und Ausdauer denjenigen nicht gefehlt hat, welche Muth und Tapferkeit natürlich besitzen!! Wenn F. nur nicht wie am 19. März die braven Truppen im Stich gelassen hat! Wenn Du nur deutlich gewußt was Du willst und darfst um Preußen und die Familie zu retten und auf der Stufe zu stellen auf welcher sie beide gehören um mit Ehren zu bestehen. Wilh. v. Meclenb. weil er seine Stelle am Gardes du Corps Reg. wenn es gilt auch mit Ehren erfüllen möchte; er fürchtet nur zu späth zu kommen. — Es ist nichts unnützer als Schreiben und räsonnieren wenn vielleicht alles vorüber ist im Moment wo derjenige die Zeilen lieset die an ihn gerichtet, und die Umstände sich schon geändert haben. Freilich seit dem März schreibe ich Dir eigentlich immer in demselben Sinn und es ist entsetzlich, daß 6 Monathe vergangen sind ohne den Moment gefunden zu haben wo man kräftig auftrethen konnte und sollte. Denke immer an Deinen Sohn und s e i n e Zukunft, und nicht an Dich selbst. Bereite ihm seinen Platz. Wir 50jährige wir gehen Berg ab, aber nach uns werden andere Geschlechter, werden unsere Kinder leben. Niks umarmt Dich von Herzen er tritt eben an den SchreibTisch. Hugo Münster ist ganz ein Preuße in unserem Sinn; er gefiel mir durch seine Grund Sätze und Anhänglichkeit an seinen alten Fürsten und Königsstamm. Deine getreue Ch.

d. 1 Oct. 48. Ein Schrei der Indignation muß ich Dir zuschreien um mir Luft zu machen. Nach so vielem Zeit Verlust, nach solches langes Warten durfte man viel e r w a r t e n und stattdessen die Antwort von Pf. am 25ten so schwach, so misérable. Felsenfest wollte man sein und nun diese a u s w e i c h e n d e statt a u s f o r d e n d e Ansprache. Les bras m'en tremblent!!! A. soll mit wahrer Eloquenz und herrlichen geistreich begeisterten Worten Pfs. die Sache vorgestellt und ihm reinen Wein eingeschenkt haben! — Es ist unrecht von mir, daß ich so im ersten Moment der Aufregung schreibe, aber Du sollst sehen, Du mein lieber Wilhelm, wie mein Herz zerrissen ist. Meine einzige Hoffnung ist die, daß ich zu schwarz sehe! Möchte ich mich irren, das ist der Wunsch Deiner alten Ch. d. 2. Oct. , Neue Zeitungen aber keine neuen Evénements: Nie wird man auch Brandenburg Unrecht geben, denn auch hierin wird man keinen Muth beweisen und somit immer Berg-ab und nie mehr Berg-an. Schnaps der so fürchtete zu späth zu kommen. — Oder wenn l e i d e r noch f r ü h genug, dies ein schlimmes Zeichen sein würde, und so ist es.

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Anlage VIII. sonst Ewig. d. 28 Okt. 48.

In Eile will ich Einiges zusammen schmieren damit die Knobelsdorf sie Dir mitbringen soll. Die Arme welche ihren Vater verloren hat. Deinen Brief vom 16. erhielt ich späth (das Dampfboth ging langsam, gemüthlich) Du wußtest noch nicht die Unruhen desselben Tages zu Prag — kleine unschuldige barricaden Einfälle, kleine Gefechte mit Erschossenen: durch Mißverständnis. Was mich in Deinem Brief desoliert ist daß die vernünftigsten Menschen von Frankfurt nur Heil für Preußen kommen sehn — was mich erfreut in dem selben Brief ist, daß Du wieder von Nichts Notiz nimmst und in Deiner Zurückgezogenheit u n v e r a n t w o r t l i c h der Fehler die begangen werden lebst. Je weniger Du befragt wirst, je freier könntest Du einstmals handeln. Nur keine Reaction bei der T o d t e n S t r a f e n Frage. — Weißt Du was bei meinem Leiden um Preußen das schrecklichste Gefühl ist — das ist — daß i c h m i c h s c h ä m e . — Ja! wenn ein Mann Energie bewiesen hätte seit den März Tagen! aber K e i n e r ! Ja! wenn ein Element benutzt worden wäre um sich zu helfen! — Aber es wird nichts. J a ! wenn ein York oder Jelasitsch aufgetrethen und nicht desavouirt worden würde — da wäre Heil zu hoffen! Aber dieses Pomaden System macht daß ich mich wie gesagt schäme. Wilhelm! Wilhelm! wache auf. d. 12/24 Nov. 48. Ein Courier geht ab ich schrieb an Fritz zur armen silbernen Hochzeit, und es bleibt mir nur Zeit Dir meinen Dank für d. Brief v. 16. Nov. zu sagen, den ich Vorgestern erhielt. — ich athme leichter seitdem Brandb. und Wrangel gleich kräftig auftrathen. Du scheinst nicht so ermuntert wie ich es hoffte durch die letzten Maaßregeln. Warum Du die Deputation der Stadt Verord. angenommen hast, begreife ich nicht recht. Du sprachst kräftig und entschieden aber warum dieselben sehen und anhören, das war schon zu viel. Ihr Alle in unserem alten kalten Schloß zu Potsdam, w a s i c h so liebte sogar im December und Januar. Aber wie eng mit Euren Kindern und Carls Familie und die Abatischen wohl auch Alle. Eben schreibt Benkend. daß es gut geht mit der Landwehr, daß sie sich vereinigt ohne Widerstand, außer in Halberstadt. Grüße Auguste 1000 Mal. Die Neue Preuß. Zeitung macht mir viel Freude. Hat Gerlach Theil daran? Frankfurt a/M. welches ein Preuß. Gouvernement will Befehle geben. R's Ministerium zu rädern, die Belag. Zust. Berlin auf zu heben!! Cela me plait. Es ist zum Schreien und zum Spucken dies Scandal. Lebewohl und schreibe mir, Du machst mich glücklich durch Briefe, bester Wilhelm Deine Ch. Ich möchte immer wiederhohlen wie sehr Brandenburgs Benehmen uns erfreute!

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Anlage IX.

Anlage IX. Du Plat über Franz Josephs Aufenthalt in Warschau. Mai 1S49. F

0 . Russia vol. 369. No. 45.

Warsaw 24th May 1849. My Lord,

I take advantage of the comparative tranquillity produced here by the departure of the Emperor o f ' A u s t r i a and his suite, to draw u p for Your Lordship's information a connected and detailed statement of the ostensible events called forth by His I. R. A. Majesty's visit to Warsaw, — in the belief that such account, though otherwise devoid of importance, by clearly placing before Your Lordship all the means taken to occupy and amuse the young Monarch, will enable Your Lordship's cooler judgment to form a more correct opinion in regard to the nature of the impression sought to have been made, and likely to have been produced upon His Majesty's mind by this first contact with another sovereign, than may have been done by myself, in the double excitement of great haste and of too great a proximity to the events described. Besides the Director-General of the Railway (to whom I alluded in my letter, No. 39) two other officers of high rank, Aides-de-Camp of the Emperor of Russia, were sent to the frontiers of Poland to receive His I. R. A. Majesty and conduct Him to Warsaw where he was received by the Emperor of Russia at the Railway Terminus, as reported in my letter, No. 41. To the report of that meeting I m u s t add that upon the Emperor of Austria's alighting from his carriage, the Emperor of Russia immediately embraced Him; and then conducted his guest — (not to the Palace of Belvedere as I stated in the letter j u s t referred to, but to the smaller Palace of Lazienki, where the Emperor of Russia's own apartments had been prepared for the honored stranger, the Imperial Host retiring, for the time, to an inferior suite of rooms. Before entering the Palace the Emperor of Russia placed himself at the head of the Guard of Honor which was in attendance, and marching past, on foot, paid the Austrian Monarch the customary military Honors rendered to a Superior, — a ceremony which I am told, made a great impression on the young Emperor and his suite. The Prince Namiestnick, the Emperor of Russia's suite and other principal military officers of the highest rank in Poland, and all the Austrian Officers now here, were assembled at Lazienki to receive the Emperor of Austria. The only presentations that took place were respectively, the Prince Namiestnick and Count Orloff to the Emperor of Austria by the Emperor of Russia; to whom, in return, were presented, by His I. R. A . Majesty, the Prince Schwarzenberg, and Count Grunne. Count Nesselrode was not at Lazienki when Their Majesties arrived; and the only civilian, I believe, who was present on that occasion was the Austrian Consul-General here, Monsieur de Wallenburg. Both the Emperors immediately left the Salon after the above mentioned presentations; but Monsieur de Wallenburg and the Austrian Officers were

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desired by Count Griinne to remain in order to be presented to their Sovereign a little later. It was ascertained, however, almost immediately afterwards, that the two Emperors, unaccompanied, had gone out into the Gardens, adjoining the Palace; upon which intelligence every body dispersed. In the evening of that day there was Opera and Ballet at the Palace, to which persons of a certain rank were invited, and during the performance of which Their Majesties remained quite alone in the Emperor's box. On the following day a review of the Troops in Garrison at Warsaw took place, upon which occasion the Emperor of Russia (wearing the Austrian Order of Sk Stephen) placed himself at the Head of the Columns as they marched past, saluting the young Emperor and remaining at his side, afterwards, the whole time with his sword drawn and the point lowered. The Field-Marshal, also decorated with the Order of St. Stephen and bearing his Baton, likewise marched past and rendered the military Honors to the young Monarch, who, on this occasion as also when he arrived from Austria, during the whole time of his stay at Warsaw, and upon his again leaving this ,place wore the uniform of one of the Regiments of Russian Guards and the Russian Order of St. Andrew. All Russian Officers (Count Orloff, Prince GortchakofT &c. &c.) who are decorated with Austrian Orders of Knighthood wore none other during His I. R. A. Majesty's stay here. After the review of the 22 n d the Emperor of Russia conducted his guest to the Citadel of Warsaw, and the most remarkable part of this visit of inspection is, probably, the characteristic speech addressed by the Emperor Nicholas to the youthful Monarch at his side, which I mentioned to Lord Westmoreland 1 ) in a private letter that I presume will have been submitted to Your Lordship's perusal. Upon returning to Lazienki the Emperor of Austria received His Consul-General and the Count Kaboga (who is charged with the drawing up of the Military Convention to which I adverted in my letter, No. 36, of the 20 t h instant,) each in a special audience; and then, collectively, all the other Austrian Officers who are now at Warsaw. Presentations of Russian Officers, of other Imperial Employes in this country; or of foreign Agents resident here, dit not occur during the Emperor of Austria's sojourn in Poland. In the evening of that same day there was again Opera and Ballet, more brilliantly got up and more numerously attended than the evening before and upon which occasion it was remarked that the Prince Namiestnick remained in the box with Their Majesties during the whole time of the performance; but the absence of Count Nesselrode, Prince Schwarzenberg and other individuals who are supposed to be charged with the transaction of the real business which called for the meeting of the two Emperors, was again observed, as had been done in the preceding day. Yesterday morning there was again a military Parade, — a kind of review to show off the skill in Horsemanship of the Mussulman Cavalry which ') Lag nicht bei den Akten.

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is stationed here (from the conquered Persian Provinces,) and the Emperor of Austria is said to have expressed himself highly gratified. During the three days that His I. R. A. Majesty remained here the two Emperors always dined en tête-à-tête, — in compliment to the etiquette ot the Austrian Court, — although the Emperor of Russia, at least when at Warsaw, always admits the Prince Namiestnick, Count Orloff, General Adlerberg and not unfrequently other officers of high rank to his table; — and almost immediately after dinner yesterday, (5 o'clock) the Emperor of Austria, accompanied by his suite, took his departure for his Own States, as I had the Honor to report last night, in my letter, No. 44, sent by Post. To that short notification I can only add that immediately before the departure of His I. R. A. Majesty a Courier arrived from Vienna bringing despatches for Prince Schwarzenberg, the contents of which are said to have disagreeably affected both the Emperors, whose countenances, particularly that of the Emperor of Russia, showed symptoms of great thoughtfulness and sternness, which relaxed only when Their Majesties again embraced and bid one another farewell: — the Emperor of Russia remaining some time fixed to the spot looking musingly after the Train when his youthful Ally, and Imperial Protégé had departed. I use this finishing term with no intention of marking disrespect for the position of the one, or of hinting distrust of the motives or intentions of the other of these two illustrions personages ; but, after reviewing in my mind all the circumstances connected with the visit which I have just succinctly chronicled, I cannot suppress the epithet which embodies the impression made on my mind in regard to the real position of the one to the other. The Emperor of Austria was again escorted to the frontiers of Poland by two Aides-de-Camp of the Russian Monarch. I have the Honor to be with the greatest respect My Lord, Your Lordship's most obedient and very humble servant [Reed. June 4 Gust: du Plat (By Messenger Flicker II. M. Consul in Poland, to Berlin.)] The Right Honble. Lord Viscount Palmerston G. C. B. &c. — &c. — &c.

Alliage X . Seymour an Malmesbury. F. 0., Russia, St. Petersburgh August 12, 1852. vol. 410. No. 218 Confidential. My Lord, I was asked the other day by one of my Diplomatic Colleagues what was the character of the series of exercises and reviews at St. Petersburgh; were they military or were they political.

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The answer which I might have made, but did not — is that they partake of both characters, but that they are more political than military: the fact appears to me so clear that the question need hardly have been put. Continental Europe, it is evident, is governed just now by armed masses; the system, it is not too much to say, is one which the Emperor will always greatly prefer to constitutional rule, and his conversation and example are well calculated to give it force and extension. These positions being granted, when the Emperor is seen to surround himself for weeks together with some of the most influential Generals of Prussia and Austria, to live on terms of close intimacy with them, to treat them — according to his own phrase — as c o m r a d e s , it is idle to deny the strong effect which must be produced from such familiar intercourse. It cannot be otherwise but that any prejudice against the Russian Government (which means in other words the Russian Court) which may have existed on the part of the ruling or military classes in Germany must be giving way under the genial influence to which the distinguished officers summoned hither from Berlin and Vienna are subjected, and that in both Capitals the services of powerful friends have been retained. To what end the ascendancy which the Emperor is acquiring may be applied must be for a time doubtful; it may very well be that it will be turned to good account; it probably would be in the event of encroachments on the part of France; for this indeed the recollection which His Majesty must retain of the Campaign of 1812 would of itself be a guarantee, — I cannot however but be apprehensive that these military gatherings, presided as they are in Russia, constitute a danger for the Constitutional liberties of Europe, their direct tendency being to establish the principle of military force being the basis of social order and to substitute the word of command for the voice of popular deliberation. It is accordingly incorrect to say that the Emperor is too much engrossed with Army matters to devote any time upon political questions. His Majesty may have little leisure to bestow upon such questions as the occupation of Herat — or the succession to the throne of Athens but he is engaged in a pursuit which is at once military and political, and while indulging in a favorite taste may be carrying out an important object. I have the honor to be with the highest respect My Lord, Your Lordship's Most obedient humble servant G. H. Seymour. (Reed. 23. Aug. By opportunity to Berlin.) The Right Honble. The Earl of Malmesbury