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German Pages 234 [256] Year 1954
SAMMLUNG GÖSCHEN B A N D
394/394a
GESCHICHTE DER P H I L O S O P H I E VI
VON DER R E N A I S S A N C E BIS
KANT
von
Dr. K U R T
SCHILLING
P r o f e s s o r der P h i l o s o p h i e an der U n i v e r s i t ä t Mündien
WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Güscben^sche Verlagshandlung • J. Guifentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
BERLIN
1954
Alle R e d i t e , einschl. der Rechte der H e r s t e l l u n g v o n P h o t o k o p i e n und M i k r o f i l m e n , v o n der V e r l a g s h a n d l u n g v o r b e h a l t e n
A r d i l v - N r . 110394 S a t z u n d D r u c k ; $ S a l a d r u c k , Berlin N 65 P r i n t e d in G e r m a n y
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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1. Die neue Stellung zu Gott, Welt und Mensch als Praxis und Erkennen A. R ü c k g r i f f a u f d a s A l t e r t u m 1. Humanismus (Petrarca, Erasmus und andere) . 2. Neuplatonismus und Neuaristotelismus (Ficino, Pico della Mirandola, Pomponazzi, Cudworth, H e n r y More) 3. Reform der Theologie (Nikolaus von Cues, Lu ther, Calvin, Herbert von Cherbury) . . . . 4. Skeptizismus (Montaigne und andere) . . . B. S t a a t u n d G e s e l l s c h a f t 1. Machiavelli 2. Souveränität und Naturrecht (Bodin, Althus, d Groot) 3. Utopie (Thomas More, Campanella, Bacon)
18 19 19 23 27 35 38 38 42 46
C. E n t d e c k u n g d e r N a t u r 1. Mathematisch-physikalische Wissenschaft (Köper nikus, Galilei, Kepler, Newton) 2. Naturphilosophie (frühe Italiener, Bruno, C a m panella, Gassendi) 3. Paracelsus 4. Empirie und Technik (Bacon)
63 68 74
D. M y s t i k ( F r a n k , W e i g e l , B ö h m e )
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II. Die klassische Metaphysik des 17. Jahrhunderts 1. Descartes 2. Pascal und der Occasionalismus (Geulincx und Malebranche) 3. Hobbes 4. Spinoza 5. Locke . . . • 6. Leibniz . 7. Berkeley
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86 87 103 112 124 132 145 160
III. Z u s a m m e n b r u c h u n d A u f k l ä r u n g 1. Franzosen (Moralisten, Bayle, Voltaire, Montesquieu, Diderot, Condillac und Helvetius, Lamettrie und Holbach, Maupertuis, d'Alembert, T u r got, Condorcet) 2. Deutsche (Christian Wolff, seine Anhänger und Gegner, Lessing, Friedrich der Große) . . . 3. Engländer (Freidenker, Shaftesbury, Moralisten, Mandeville) IV. B e g r e n z u n g der A u f k l ä r u n g u n d der z w e i t e n Klassik 1. Vico 2. Rousseau 3. H u m e und die Schotten 4. Haraan und H e r d e r Register
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Grundlegung 196 197 201 209 226 232
Einleitung Das Fragen und Nachdenken ist der Grund aller Philosophie. Man könnte sagen, daß der Mensdi das im ausgezeidineten Sinn philosophische Wesen ist, wie man früher gesagt hat, daß er das sprechende, politische oder arbeitende Wesen sei. Und man hätte recht damit. Allerdings muß dann noch die Philosophie im engeren Sinn, die Philosophie als Wissenschaft jenseits aller Einzelwissenschaften, überhaupt aller Tätigkeiten des Menschen, von dem allgemeinen philosophischen Grund seiner Existenz unterschieden werden. Das Leben des Menschen beginnt mit dem Streben zur Welt hin, von- der er In seiner Freiheit getrennt ist. Der Mensdi steht der Welt gegenüber. Er bezieht sich zwar in seinem ganzen Leben auf die Welt; in seinem Tun, Fühlen und Erkennen ist immer die Welt, oder was in ihr ist, sein Ziel. Aber als Mensch ist er doch nicht mehr so fraglos offen in jedem einzelnen Augenblick auf die Welt bezogen wie das Tier. Merkwelt und Wirkwelt sind bei ihm nicht unmittelbar gekoppelt. Dem Tier sagt sein vererbter Instinkt mit unbeirrbarer Sicherheit, was es tun soll, wenn ein bestimmter Anblick, ein Bild in seiner Merkwelt erscheint. Die Antriebe des Menschen sind aufgelockert und gehemmt (Gehlen), sodaß er sidi erst in der Frage klar machen muß, daß er sidi klar machen kann, was das ist, was vor ihm steht. H a t er es aber erkannt, so lehren ihn zunächst Mythos und Tradition, was er zu tun hat. Sie sind als Mittelglieder eingeschoben zwischen Wahrnehmen und Handeln, ja schon zwischen Wahrnehmen und Erkennen, Deuten des Wahrgenommenen. Die erlernte Spradie wird zum ersten Brückenschlag zwisdien Mensch und Welt. Indem der Mensdi die Dinge benennt, werden sie ihm freigegeben in ihrer bestimmten Bedeutung, in dem, was sie an
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sich sind, was sie für ihn sind, und in dem, was er zu tun hat, weil sie das sind, was ihr N a m e nennt. Die Anwendung des Worts ist nur als Ant-wort, möglich auf die Frage, was etwas ist. Auch hier schon kommt der Mensch erst auf dem Umweg über die Frage zur Welt und damit zu seinem Leben. Dies Leben ist zwar noch nicht Philosophie im engeren Sinn. Aber seine spezifisch mensdhliche Struktur aus der Frage heraus ist doch der wahre, allein ermöglichende Grund, das, was es macht, daß Philosophie später nicht bloße Spielerei, eine überflüssige Tätigkeit für Mußestunden, wird, sondern etwas, mit dem das Leben des Menschen überall steht und fällt. Wir können nämlidi eine Stufenfolge des Fragens annehmen. Ihre letzte Stufe ist das, was man Philosophie im besonderen Sinn nennt. Zunädist geben Mythos, Kult und Tradition, die gelernte Sprache im weitesten Sinn, dem Menschen Antwort auf das, was er frägt. Sie können das, weil sie bereits vorgedacht haben, was die Welt im ganzen und im einzelnen ist und wie sich der Mensch in ihr verhalten muß. N u r soweit, als sie dies vorgedacht haben, ist ihre Antwort richtig, wird der Mensch Erfüllung finden in seinem Leben. Gerät er in Situationen, die nodi nicht vorgedacht sind in seiner Tradition, so muß er sdieitern. Aber dies Scheitern ist nicht gleich sein Untergang, braudit es nicht zu sein. Es wirft den Menschen vielmehr zurück in die Freiheit seines Fragenkönnens. Er kann sich selbst und seine Situation in der Welt sich reflexiv vergegenwärtigen und aus dieser Vergegenwärtigung heraus eine neue Antwort finden, mit ihr zusehen, ob er mehr Glück hat als mit der alten traditionellen. Dies ist das allgemeine Schema der Erfahrung. Auch das, was nach dem Scheitern der gewohnten Deutung oder H a n d lungsanweisung gefunden wird, entspringt aus der Freiheit des Menschen vor der Welt. Es ist nichts anderes als ein neuer Versuch, mit dem er neue Erfahrungen machen kann, wenn er mit ihm die Situation bewältigen will, in der er steht. Weder Mythos, Kult, Tradition, noch Erfahrung, Wissenschaft, Erkenntnis sind Philosophie. Bekanntlidi beginnt
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die Philosophie bei den Griechen mit so allgemeinen Sätzen wie: Alles ist Wasser, ist Luft, ist ein Unendliches, ist eine einheitliche Kugel, ist gesetzmäßiges "Wechseln, ist ein Reich bleibender Ideen, ist die Ordnung der Welt. Dies sind nicht etwa vorsdinelle und ungenügend erprobte Erkenntnisse. Es ist keine Antwort, der man eine Frage voraufgehend denken müßte etwa der Form „Was ist das?". Es ist vielmehr die Antwort auf die Frage nach dem Sein dessen, was ist, nach seinem Grund, griechisch ä-Q/A Diese Frage ühersteigt von vornherein jede Frage nach einem bestimmten Etwas. Sie geht historisch nicht als alle Dinge überfliegend der Erfahrung und der Frage „Was ist dies oder jenes?" voraus, sondern sie folgt ihr nach. Sie ist in Vorgriff und Besinnung der Grund der Erfahrung und bleibt es immer. Wenn nach dem Sein gefragt wird, hat die Sprache dem Menschen immer schon bis ins Letzte hinein Antwort gegeben darauf, was alles Einzelne ist: Häuser und Bäume, Stein und Holz, Menschen, Götter, Eigenschaften, Institutionen oder was sonst. Dies ist jetzt nicht mehr gefragt, sondern gefragt ist, was das alles ist, alles, was die Sprache schon benannt hat, was sie mit ihren Namen bereits in eine feste Ordnung eingestellt hat, eine Ordnung gegeneinander und ein Verhältnis zum Menschen. Dies Beispiel zeigt deutlicher als Erklärungen, wie die Philosophie sofort mit ihrer ersten Frage schon über alles Einzelne hinaus ist. Sie bleibt auch mit allem weiteren Fragen jenseits dessen, was die Erfahrung, die Erkenntnis, die Wissenschaft an Einzelheiten beibringen, was der Mensch sich als Ziel seines Handelns stecken kann. Immer ist sie ein Einhalten in jeder Tätigkeit, ein Aufschauen und Sichbesinnen, was denn das im ganzen ist, was da geschieht. U n d immer ist sie damit das letztmögliche Fragen in der gesamten so fragwürdigen und vom Fragen geleiteten Existenz des Menschen. Sie ist ein Fragen, das durdi kein weiteres Fragen mehr überholt werden kann. Kant hat behauptet, daß die Philosophie nicht vorwärts zu fragen habe nadi Gegenständen oder Zielen, sondern zurück. Er hat sie damit als transzendentale Methode bestimmt. Transcendere
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heißt; alle Erkenntnis übersteigen. Es ist das gleiche, wie wenn Heidegger heute sagt: „Besinnung ist der Mut, die Wahrheit der eigenen Voraussetzungen und den Raum der eigenen Ziele zum Fragwürdigsten zu machen." (Holzwege, 69.) So ist Philosophie die äußerste Möglidikeit der spezifisch menschlichen Existenz, die Form, in der sie erst ganz zu sidi selbst findet. In diesem Sinn des letztgültigen Fragens nach den Voraussetzungen des eignen Daseins ist Philosophie in jeder Epoche ihrer Geschichte von Anfang bis heute streng dieselbe. Nicht ebenso gleich aber ist zu allen Zeiten das Dasein des Menschen. Das, was hier Dasein in der Geschichte genannt wird, ist die Stellung des Menschen zur Welt im ganzen, also zur N a t u r , zu sich selbst und zum Göttlichen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Indem der Mensch von einer dieser Möglichkeiten zur andern übergeht, folgt ihm auch das philosophische Fragen nach diesen Möglichkeiten, nach dem Grund der Welt. Indem es ihm folgt, wandelt sich die philosophische Antwort auf die immer und überall selbe Frage, das sogenannte System. Da aber die verschiedenen Möglichkeiten menschlichen Daseins nicht beliebig — weder unerschöpflich, noch willkürlich — sind, ist die frühere Antwort der Philosophie auch nicht falsdi gegen die spätere oder diese gegen die frühere, weil sie oberflächlich anders aussieht. Die Versciiiedenheit des Anblicks der Systeme ist kein relativistisches Chaos. Sie ist nur f ü r den ein Ärgernis, der sie nicht aus der überall gleichen Frage heraus und der Abwandlung der historischen Situation verstehen kann. Der Grund alles dessen, was ist, war bei den Griechen das körperlich Gegenwärtige, die N a t u r : entweder als Wasser, L u f t oder unendlich Unbestimmbares, als eine Seinskugel, als gesetzmäßiges Wechseln in Gegensätzen, als Elemente, Mischung von Seinsteilchen oder Atome, als bleibendes Ideenreidi vom jenseitig Guten bestimmt, als Ordnung der Welt im ganzen, als umfassendes sich selbst genügendes belebtes Wesen, zuletzt sogar als Lust des Menschen. Diesem Grund war der Mensch in seinem Dasein
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geöffnet, auf ihm sah er jedes einzelne Ding, an ihm fand er den übergreifenden Halt seines Lebens von Augenblick zu Augenblick in seinem wediselnden Sdiicksal. Wenn die Philosophie bei den Griechen nach dem Letzten frug über alle Erfahrung hinaus, so konnte sie nur mit dem Hinweis auf diesen Grund antworten. Wohl waren ihre Antworten verschieden, aber diese Verschiedenheit war nichts als ein ständig neues öffnen der Quellen dieses einen und selben Seinsgrunds, wenn sie über Einzelheiten aus dem Blickfeld getreten und verloren gegangen waren. Danadi, um die Zeitwende herum, verliert das, was bei den Griechen den Grund und Halt ihres Lebens gebildet hat, seine Kraft. Nicht die Philosophie als Methode und ihr Fragen ändert sich, sondern das der Philosophie vorhergehende Dasein. Sowohl im Christentum wie bei Plotin im heidnischen Neuplatonismus gilt die Natur, die bisher als Grund des Seins betrachtet wurde, nichts mehr. Sie ist indifferent oder sogar böse. Die Natur im Menschen ist mißbraucht und verfallen, die außer ihm gleichgültig geworden. So verlangt der Mensch nach Ablösung von ihr und nach Vereinigung mit dem streng jenseitig gedachten Gott. In der Negierung der Natur und Vielheit überhaupt sdiwingt er sich zum Jenseits auf. "AcpeÄeJtctvva^ nimm alles weg, hat Plotin gesagt, Augustinus aber den jenseitigen unwandelbaren Gott als dasjenige bestimmt, das allein dem Menschen im Wechsel seiner Tage bleibenden Genuß zu bereiten vermag (frui im Unterschied zum uti, dem Gebrauch des Weltlichen). Indem die Philosophie nach dem letzten Grund des Daseins frug, wurde jenseits aller Begriffe, deren Grenzen sie aufwies, das Jenseits selber, Gott als Geist oder als das Eine schlechthin zu aller Vielheit, offenbar. Dies war jetzt das wahre bleibende Sein, nicht mehr die Natur. Das Lehrgut der Spätantike, des Zeitalters des jenseitigen Gottes, wurde im Mittelalter übernommen. Augustin galt als der große Philosoph des Christentums. Auch Plotins Mystik war in der Vermittlung des Dionysios Pseudoareopagita lebendig. Im Rahmen dieser Tradition aber milderte sich mit der Übernahme der Dogmen durch die noch jungen
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unverbrauchten Germanenstämme die Neigung zur "Weltflucht. Neben Augustin, den Lehrer der christlich-jenseitigen Gnadenwelt, trat im Hochmittelalter Aristoteles, der heidnische Grieche, als Lehrer der natürlichen Weltordnung. Selbstverständlich ist überall im Christentum die "Welt ens creatum, Gesdiöpf Gottes. Das heißt: des Gottes, der allein reines unendliches Sein (ens infinitum und actus purus) ist. Jetzt aber wird Gott in einem besonderen Sinn als Ursadie aus der in der aristotelischen Stufenordnung der N a t u r vorgestellten "Welt erkannt. Vom jenseitigen Glanz Gottes wird die "Welt als sein Gesdiöpf neu geheiligt und gewürdigt (analogia entis). "Wenn der Mensch in der Philosophie fragt, so ist d^s Ziel seines Fragens die sittliche Einordnung seiner selbst als Gemeinschaftswesen in diesen Stufenbau von Gott abgeleiteten, des Göttlidien als ens creatum teilhaftigen Seins. Die Neuzeit entwickelt sich geschichtlich, indem die christlich-abendländische Einheit des Mittelalters zerfällt. Aus dem heiligen Reich (sacrum imperium) entstehen die einzelnen Staaten: zuerst Frankreich und England, dann auch die deutschen und italienischen Fürstentümer und Länder, am Rand Spanien und Portugal, die slavischen Staaten. Der einheitliche Gebrauch des Latein, der Kirchensprache, die im Mittelalter auch die Sprache der Philosophie gewesen ist, wird allmählidi ersetzt durch die "Volkssprachen der einzelnen Nationen, die jetzt hauptsächlidi Träger der Philosophie sind: der Italiener, Franzosen, Deutschen, Engländer. Dabei ist doch der politische, wirtschaftliche und kulturelle "Verkehr zwischen den einzelnen Ländern in Europa so rege, daß nicht nur Gedanken ausgetauscht werden, sondern sich die ganze zeitliche Entwicklung gemeinsam vollzieht. Die Fragestellung ist überall dieselbe, der Daseinsgrund des Menschen, seine Tradition auch. Die Struktur von "Wirtschaft, Gesellschaft, Recht und Kultur zeigt nationale und geographische Besonderheiten, die die verschiedenen Antworten der Philosophen verschieden abwandeln. Grundlage des Lebensgefühls in der Neuzeit ist überall die Entdeckung der N a t u r im Menschen, in seinen "Werken
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und Einrichtungen und in der belebten und unbelebten "Welt, bei gleichzeitiger Bindung seiner Seele an den jenseitigen und übernatürlichen Gott. Dies ist eine einheitliche Lebenshaltung, die nicht trennbar ist in zwei noch selbständige Bestandteile: Bindung an Gott einerseits. Naturerkennen andererseits. Ohne Frage sind Frömmigkeit und Wissenschaft zwei Gebiete, die in mannigfachen Spannungen zu einander stehen. Trotzdem kann man sagen, daß in der hier zu beschreibenden Epoche überall da, wo eines von beiden sich wirklich selbständig zu machen beginnt, bereits der Verfall eingetreten ist. Befreit sich das Interesse an der N a t u r ganz von seinen religiös jenseitigen Grundlagen, so verliert es den Rahmen, in dem es wirklich Seiendes entdecken kann. Die Realität selber und die Möglichkeit ihrer Erkenntnis wird problematisch. Dabei liegt der entscheidende Unterschied zum Mittelalter darin, daß die Epoche in ihrem ganzen Leben frei wird von den Autoritäten der Tradition, daß sie sich selber auf ihren Gott bezieht, sich selber der Welt gegenüberstellt und sie zu erkennen trachtet, sich ihre gesellsÄaftlidien und kulturellen Einrichtungen in eigener Verantwortung schafft. Aber es ist zu betonen: Diese Eigenständigkeit des Lebens ist nicht subjektivistische Willkür und Bindungslosigkeit, nicht Überheblichkeit und Mangel an Ehrfurdit vor Größerem, als es der Mensch ist. Das kann sie zwar auch werden: im Geniekult und Übermenschentum der Renaissance, vor allem in der Aufklärung, später im Nihilismus des 19. Jahrhunderts bis heute. Dagegen hat die Philosophie überall da, wo sie echt und groß ist, doch auch und gerade in der Selbstverantwortung ihres Tuns und in der Befreiung von der nicht mehr verstandenen Tradition den Menschen hinausgehoben über das Nur-menschliche und an die großen Mächte: Gott, Welt, Staat, Sitte, Recht gebunden. Man kann in unserm Zeitraum vom Beginn der Neuzeit bis Kant vier Epochen unterscheiden. Die Jahreszahlen zwar überschneiden sich mannigfadi, was bei der räumlichen Ausdehnung und völkischen Vielfalt Europas nicht zu verwundern ist. Der Charakter der Zeiträume ist trotzdem ein-
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deutIg trennbar. Die Gliederung ist vom Sachinteresse der Philosophie bestimmt. Die erste Epoche wird gewöhnlich Renaissance und Reformation genannt. Die neue Stellung des Menschen zu Gott, "Welt und zu sich selber in Praxis und Theorie bricht hier endgültig durch. Die Gebiete werden abgetastet und bestimmt, die Methoden zu ihrer Erfassung bilden sich in den verschiedenartigsten Versuchen und Ansätzen. Der Geist ist welthingewandt und stoffreudig. Die Tradition, insofern sie erstarrt ist und dem Leben im Weg steht, wird abgestreift und bekämpft. Aber es ist merkwürdig: So sehr die Zeit Grundlegung eines neuen Weltalters ist und dies auch weiß, sie findet wenigstens zunädist sich selbst doch nur in einem Rückgriff auf frühere Zeiten, und zwar gerade nicht auf die unmittelbar vorhergehenden des Mittelalters, sondern auf das heidnische Altertum oder das frühe Christentum. Beinahe kann man sagen, daß in der genannten Epoche wohl ein neues "Weltbild geschaffen wurde, daß die Gebiete entdeckt worden sind, die hinfort den Menschen beschäftigen, daß aber das eigentlich philosophische Fragen nach dem Grund noch selten und wenig erfolgreich ist. Es tritt dagegen mit Macht auf in der zweiten, der der klassischen Systeme. Es hat jetzt bereits die neuen "Wissenschaften und Lebenstatsachen als Fakten vor sich: die neue Mathematik und Naturwissenschaft, das neue Bild des Altertums, die neue Staatslehre, aber auch den neuen Staat selber. Recht, Sitte, Gesellschaft, Kunst der neuen Zeit. Und auf Grund all (dieser Schöpfungen kann die Philosophie nun zum ersten Mal in diesem Zeitraum wirklich nadi den Grundlagen des Lebens fragen. In den klassischen Systemen des 17. Jahrhunderts, die sich auf alle Nationen verteilen, wird der Grund der Zeit selber f ü r den Menschen offenbar: bei Descartes und Pascal, Hobbes, Spinoza, Locke, Leibniz und Berkeley. Dieser Grund besteht eben, wie schon gesagt und wie im einzelnen zu zeigen sein wird, in der Bindung des Menschen
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an den jenseitigen Gott und dem freien und befreiten Interesse für die N a t u r im Menschen und außerhalb seiner. Die äußersten, in ihrer Tiefe gewagten und einseitigen Positionen der großen Systematik brechen zusammen. Die Höhe des Gedankens läßt sich im Menschlichen nie lange durchhalten. In der Nachfolge der Sdiüler und Epigonen wird das, was bei den Meistern echt gewesen ist, formelhaft erstarrt, es verliert seinen Sinn. Damit verliert auch der Mensch seine Bindung an die übermenschlidien Mädite. In der die dritte Epoche der Neuzeit füllenden Aufklärung wird der Mensch sich selber als Mensch zum Maß aller Dinge. Die Aufklärung verbreitet Wissen in alle Kreise und bringt es zuletzt in der Revolution sogar auf die Straße. Sie glaubt, daß "Wissen den Menschen besser und glücklicher mache. Aber sie verflacht und entwurzelt dabei das Wissen. Der Mensch, nur auf sich selbst gestellt, verliert den H a l t im Leben und wird Relativist und Genußmensch. „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt", mit diesem nachträglichen "Wort Nietzsches könnte man die Konzequenz ziehen. So bedarf es einer Überwindung und Begrenzung der Aufklärung, um dem Menschen von neuem — zum zweiten Mal in der Neuzeit — den verschütteten Grund seines Lebens zu öffnen, ihn auf die wahre, bleibende Substanz hinzuweisen, die ihm H a l t gibt. Dies geschieht im 18. Jahrhundert in der zweiten Klassik der Philosophie in Italien, Frankreich, England und Deutschland auf je verschiedene "Weise. "Vico sieht den Menschen von der Geschichte umfaßt. Rousseau entdeckt zuerst wieder die N a t u r und sittliche Substanz des Menschen nach dem bloßen Geistreichtum der Aufklärung. H u m e findet in der sdilichten geselligen Alltagsnatur des Menschen und im Staunen vor der Rätselhaftigkeit des Zusammenhangs der "Welt ein wahres Daimonion, das allen Fraglichkeiten bloßen Erkennens überlegen ist. Herder und Kant endlidi weisen der N a t u r - und Geschiditswissensdiaft in den Grenzen möglichen "Wissens ihren ihnen gebührenden Platz, Kant öffnet ihm zudem im Anschluß an Rousseau die neue Gesetzlichkeit der sittlichen "Welt und endlidi sogar die Tiefe der Kunst. "Von ihm nimmt eine neue Metaphysik
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ihren Ausgang, die mit Fichte, Schellirig, Hegel, Schopenhauer und Nietzsdie bis ins 19. Jahrhundert reicht und nicht mehr Gegenstand dieser hier darzustellenden Epodie ist. Allerdings ist diese zweite Klassik von Rousseau,. H u m e und K a n t im ganzen schon eine Art von Reduktion gegenüber der ersten, es muß auf manche metaphysische Sinngebung bereits verzichtet werden, die im 17. Jahrhundert noch möglidi war. Das wird zu zeigen sein. M a n könnte die Philosophie der Neuzeit in ihrer Entwiciclung ganz parallel der Entwicklung der griechischen Philosophie sehen. Es wäre dadurch f ü r die philosophisdie Einsicht und Notwendigkeit der Periodisierung viel erreidit. Der ersten Epoche entspricht in Griechenland die Erkenntnis der Sprache und der Dichter. Sie ist dort noch nicht philosophisch-reflektiv, hier aber wohl, weil sie sich in der Neuzeit gegen eine übermächtige Tradition durchsetzen muß, die schon begrifflich fixiert ist. In Griechenland wächst sie aus sich selber. Der Zeit der großen klassischen Systeme von Descartes bis Berkeley steht in Griedienland die große Vorsokratik von Anaximander bis Demokrit gegenüber. Die Aufklärung der griechischen Sophisten und die Zeit des peloponnesischen Kriegs findet genau so im Menschen das Maß aller Dinge und endet genau so im theoretischen Relativismus und praktischen Nihilismus wie die Aufklärung des 18. Jahrhunderts und die französische Revolution. Diesen Relativismus haben in Griechenland Sokrates, Piaton und Aristoteles ähnlich wie Rousseau, H u m e und Kant überwunden; letztlich sogar wirksamer und endgültiger, als es in der Neuzeit möglich war. Der Grund d a f ü r ist, daß in der Neuzeit die gegen die Philosophie selbständig gewordene Wissenschaft und Technik eine Macht ist, die mit der Aufklärung im Bund steht und gegen die sich die Philosophie im 18., 19. und 20. Jahrhundert nur mehr mühsam und unter Kämpfen behauptet. Noch eines ist zu bemerken. "Wir haben gesehen, daß die Philosophie nicht Erkenntnis ist wie die Sprache des Alltags und die Wissensdiaft. In der Ausdrucksweise Nicolai H a r t manns wären jene intentio recta, Meinung vom Gegenstand,
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während sie intentio obliqua, Reflexion auf alles Meinen, Erkennen, Handeln und Fühlen ist. Dies bedingt auch eine durchgehend andere und eigentümliche Logik im philosophischen System. Sie mag dem befremdlich vorkommen, der zum ersten Mal von der Wissenschaft her an die Philosophie herantritt. Erkenntnis ist die Gleichsetzung eines endlich geschaffenen und bekannten Modells mit der grundsätzlich unendlichen unbekannten Wirklichkeit zum Zweck ihrer vorläufigen, immer nur zeitweisen Aneignung und Beherrschung. Obwohl auda diese willentlich gesetzte Gleichung zwischen einem Endlichen und einem Unendlichen Probleme birgt, die mit den Formalismen der Folgerung unter der Bedingung der Widerspruchsfreiheit nidit lösbar sind, so muß doch das in Ansatz zu bringende Erkenntnismodell, die Theorie, das Weltbild, grundsätzlich so gestaltet werden, daß es in sich folgerichtig ist. Die logische Widerspruchsfreiheit der Erkenntnis ist zwar noda nicht theoretische Wahrheit, weil dazu die Bewährung in der Erfahrung der Wirklichkeit gehört, aber doch conditio sine qua non, Bedingung der Wahrheit in der Erkenntnis. Die Philosophie ist nicht Erkenntnis, sondern das Suchen nadi dem Grund des Erkennens, Tuns, Fühlens, die Offenhaltung dieses Grundes in dem bis zum Letzten gesteigerten Fragen. Man kann daher direkt — wenn auch noch so paradox, wider die allgemeine Meinung — sagen, daß ein philosophisches System falsch ist, wenn es widerspruchsfrei ist. Nietzsche hat einmal gesagt: „Das Studium aller Viertelsphilosophen ist nur deshalb anziehend, um zu erkennen, daß diese sofort auf die Stellen im Bau großer Philosophen geraten, wo das gelehrtenhafte Für und Wider, wo Grübeln, Zweifeln, Widersprechen erlaubt ist, und daß sie dadurch der Forderung jeder großen Philosophie entgehen, die als ganzes immer nur sagt: Dies ist das Bild alles Lebens und daraus lerne den Sinn deines Lebens." Diese Widersprüchlichkeit der Philosophie wäre auch historisch leicht zu belegen, wenn man etwa auf Heraklits Einheit der Gegensätze, Piatons Aporien im Parmenides,
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Plotins jenseitiges Eine, Augustins Trinitätsbegriff oder die creatio ex nihilo, Descartes' selbständiges und dodi abhängiges Idi, Leibnizens Begriff der Monade, Berkeleys Erkenntnisbegriff, Kants Ding an sich, Fidites Freiheitsbegriff, Hegels Dialektik, Nietzsches Wiederkunftslehre, Heideggers Ontologie blickt. Auch der Grund f ü r die Notwendigkeit der Widersprüche im philosophisdien System nach dem Maßstab der Konsequenzlogik ist nicht so schwer zu begreifen. Die Philosophie fragt, wie wir mit K a n t gesagt laben, zurück und nidit vorwärts. Der Grund allen Seins ist kein Gegenstand der Erkenntnis wie jedes einzelne Seiende, sondern jenseits seiner und vor ihm. Deshalb ist der Weg zu ihm auch nicht der gleiche wie zum Objekt. N u r indirekt, in der Rückwendung, im Symbol, in einer Chiffer, wie Jaspers gesagt hat, kann dieser Weg offen gehalten werden. Was an positiven Aussagen gemacht wird — und es müssen auch in der Philosophie positive Aussagen gemacht und also widerspruchsfrei und folgericht gedacht werden, denn alles menschliche Vorstellen kann sich nur so bewegen — muß doch immer wieder überholt, zurückgenommen, zerstört werden. N u r dadurch bleibt das, was jenseits jeden Gegenstands und vor ihm liegt, f ü r den Menschen als Quelle seines Lebens geöffnet. Die Offenhaltung dieser Quelle des Lebens aber ist das nie zerstörbare Anliegen und Bedürfnis der Philosophie. Der Grund f ü r den dauernden Wechsel der Systematik in der Geschidite liegt neben dem, wovon wir schon gesprochen haben, darin, daß jede Philosophie ein Bild ist, ein Bild sein muß, um sich dem Vorstellen des Mensdien anzubequemen und einzuprägen. Als Bild ist die Philosophie System. Von den Schülern des Meisters wird die Bildhaftigkeit und Systematik immer, wieder betont und gesteigert, weil sie das Lernbare an der Philosophie ist. Als Bild, Vorstellung aber wird die Philosophie konsequent und falsch, als Bild tritt sie selber täuschend vor den Grund und die Quelle, die sie doch gerade im Fragen öffnen, nicht verdecken oder ersetzen sollte. So muß der nächste Philosoph das fälschende Bild, die täuschende Systematik seines Vor-
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gängers b e k ä m p f e n und w i e d e r zerstören. Er muß ursprünglicher fragen, um überhaupt den U r s p r u n g w i e d e r z u gewinnen. A b e r w a s er in "Wahrheit tut, ist nicht die w i l l k ü r liche Herstellung eines g a n z N e u e n , sondern die Wiederherstellung dessen, w a s in der Systematik seines Vorgängers sdion offen war, solange diese noch echt u n d ursprünglich, noch A n t w o r t auf eine drängende Frage des Lebens, noch nicht in Formeln erstarrt gewesen ist. D a r a u s erklärt sich der viel beredete u n d A n f ä n g e r n u n d A u ß e n s t e h e n d e n o f t so anstößige, in W a h r h e i t aber n o t w e n d i g e dauernde W e d i sel in der geschichtlichen A b f o l g e der Systeme. Die vorliegende Darstellung der Geschichte der Philosophie von der Renaissance bis K a n t untersdieidet sidi von der des gleidien Absdinitts in meiner großen zweibändigen GesamtgesdiiÄte dadurch, daß dort nach Nationen, hier nach Zeitepodien disponiert ist. (Kurt Schilling: Geschichte der Philosophie, I. Bd.: Die alte Welt, das diristlich-germanische Mittelalter, 2. Aufl. 1950. II. Band: Die Neuzeit, 2. A u f l . 1953, Ernst Reinhardt Verlag, München.) Dies sind zwei grundsätzlidi verschiedene Möglichkeiten der Darstellung, in deren andersartigem Rahmen die Probleme auch in einer je anderen Sicht stehen. Das Ergebnis im ganzen gesehen und auch eine Reihe von Einzelheiten müssen freilich dieselben sein, da es sid: ja um die gleiche Sadie handelt. Gerade um dies zu zeigen, habe ich diese neue Darstellung auf Bitte des Verlags übernommen. In ihr wurde, nachdem die zweite Auflage der großen Geschichte eben erschienen ist, der Stoff nicht neu durdiforscht, wohl aber die Problematik noch einmal neu im chronologisdien Gang durchgedacht. Die Quellen- und Literaturangaben zu jedem Kapitel sind hier dem geringeren Platz zufolge, der zur Verfügung stand, ausgewählt und weit unvollständiger als in der großen Darstellung.
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Schilling,
Gesdiidite d e r P h i l o s o p h i e V I
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I. Die neue Stellung zu Gott, "Welt und Mensdi als Praxis und Erkennen Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit heißt gewöhnlich Renaissance und Reformation: "Wiedergeburt (der Antike) und "Wiederherstellung (des Urchristentums). Es sind zwei Bewegungen mit verschiedenen Quellen und Zielen, die trotzdem ein einheitliches Zeitalter einleiten. Allerdings ist erst im größeren Zusammenhang die Ähnlichkeit beider erkennbar. Beiden Strömungen gemeinsam ist der "Widerstand gegen das Mittelalter: der Reformation der gegen die magischsakrale, zudem in Italien verweltlichte Papstkirche, die selbst auf katholischem Boden später durdi das Tridentinum nadi der Reformation zu etwas Neuem umgebildet wird; der Renaissance und dem Humanismus der gegen die gelernte und in ungeheuren Systembauten wuchernde, sidi in Subtilitäten verlierende Scholastik. Das Ziel ist formal dasselbe: "Wiederherstellung der Unmittelbarkeit des Lebens: im Verhältnis des Menschen zu Gott oder im Verhältnis des Menschen zur "Welt. Aber es ist merkwürdig: Man muß sich diese Unmittelbarkeit des Lebens gegenüber der Tradition doch großenteils erst lehren lassen: von einer andern früheren Tradition, von der heidnischen Antike oder vom Urchristentum. So wird die erste Philosophie Humanismus, sie gewinnt das neue "Weltgefühl an einer Reform des Latein, der alten Kirchensprache, über das Mittelalter hinweg im Rückgriff auf die weltlichen römischen Schriftsteller, oder Neuplatonismus, Neuaristotelismus. Die Reformation dagegen geht zwar ursprünglich vor allem bei Luther vom eigenen Gewissensbegriff aus, gewinnt dann ihre Form aber auch im Versuch der "Wiederherstellung der Lehre der frühen Urkunden des Christentums, der paulinischen Schriften oder bei Calvin der augustinischen Gnadenlehre in radikaler Form, endlich, bei Herbert von Cherbury, einer „natürlidien" Theologie der Vernunft, die aber auch nur der Stoa entlehnt wird. Trotzdem sind alle diese "Wiederherstellungen in "Wahrheit
A. 1. H u m a n i s m u s
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keine "Wiederholungen, in ihnen lebt ein neues "Weltgefühl, das nur anfänglich noch der Stützen bedarf, bevor es dann frei zu gehen vermag. Ja man kann sogar noch weitergehen. Nicht nur der H u manismus, der Neuplatonismus, Neuaristotelismus, die Reformation halten sich zunächst eng an die Tradition. Auch die neue Naturwissenschaft, die Naturphilosophie, die Erfahrungslehre, die Lehre von Staat und Gesellschaft, selbst die neue Mystik, so sehr sie schon viel deutlicher Sachgebiete des Lebens bezeichnen, stehen doch alle irgendwie mit älteren Quellen in Verbindung, mit Piaton oder pythagoreischen Weltlehren, mit der römischen Geschichtsschreibung und dem römischen Recht, mit der alten Mystik und anderem. So steht das mit „Rückgriff auf das Altertum" überschriebene Kapitel beispielhaft f ü r das ganze erste Zeitalter der Neuzeit voran. A. Rückgriff auf das Altertum 1. D e r H u m a n i s m u s Zwei Gestalten heben sich unter den Humanisten repräsentativ heraus; Petrarca und Erasmus, der erstgenannte der Beginner im Süden, der zweite der Vollender im Norden. U m sie lassen sich eine Reihe kleinerer Geister in allen europäischen Ländern gruppieren. Petrarca (1304—1374) hat noch fast im Mittelalter gelebt. Sein Geburtsdatum ist nur um 30 Jahre vom Sterbejahr Thomas von Aquins, des größten Scholastikers, getrennt. Der Zwiespalt der ganzen Bewegung, die einerseits auf einem neuen Verhältnis zur Welt, einem neuen N a t u r gefühl, beruhte, andererseits im eminenten Sinn literarisch war, kommt in seinem Charakter zum Ausdruck. Als er mit 30 Jahren einen Berg, den Mont Ventoux in Südfrankreich, besteigt, wird ihm zum ersten Mal das Verhältnis des Menschen zur N a t u r als Landschaft in einer Weise klar, wie es zwar uns heute und der großen Malerei der Neuzeit geläufig ist, wie es im Mittelalter aber nie möglich gewesen wäre. 2''
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I. Die neue Stellung zu Gott, "Welt und Mensdi
U n d von der Landschaft w i r d er — wieder schon ganz modern — auf sich selbst zurückgewiesen. Diesem neuen Geschehen, das er da erlebte, gibt er nun Ausdruck mit "Worten Augustins, die er gelesen hat und die bei Augustin selber eine vielfadi andere Bedeutung haben: „DieMensdien gehen hin und bewundern die Berge und die Fluten des Meers u n d den Lauf der Ströme u n d die Bahnen der Gestirne, auf sidi selbst aber achten sie nicht." ( F r a s c a t i L 2 0 0 . ) Petrarca hat sich die R e f o r m des Latein angelegen sein lassen, d. h. seine R ü c k f ü h r u n g von der etwas barbarischen Begriffssprache des Mittelalters auf die klare und geschmeidige, weltläufige Ausdrucksweise Ciceros und Vergils. D a z u m u ß t e er G r a m m a t i k e r werden. Aber das w a r nur Mittel zum Zweck. Eigentlich wollte er Dichter sein und es seinen Mustern gleichtun. D a s gelang ihm auch bis zum gewissen G r a d , w o ein eigenes Erlebnis, seine Liebe zu Laura, u n d das Vorbild Dantes und der mittelalterlichen P r o v e n j a l e n ihn leiteten. Die Dichtung w u r d e ihm Ausdruck seines neuen individualistisch-natürlichen, wenn auch noch recht schwärmerischen "Weltgefühls. Seine Erneuerung des alten Latein brachte ihn zugleich zu einem neuen N a t i o n a l bewußtsein, das er als Italiener unmittelbar an den Patriotismus der römischen Schriftsteller a n k n ü p f e n zu können glaubte. Erasmus von R o t t e r d a m (1467—1536) ist eine gereiftere, gewichtigere Persönlichkeit. An philologischem Scharfsinn und an Gründlichkeit in der Herausgabe antiker heidnischer und christlicher Quellen hat ihn kein anderer H u m a n i s t der Zeit übertroffen. Auch das europäische P r o g r a m m der späteren weltlichen Gymnasialpädagogik stammt von ihm (De ratione studii). Aber das ist nicht das "Wesentliche. E n t scheidend ist das neue Lebensideal, das er im Studium der Quellen gewinnt. Es beruht auf einer systematischen U m bildung des Christentums als einer scharf profili-erten Jenseitsreligion in die Selbstbehauptung der Menschlichkeit des Menschen allen historischen, politischen und konfessionellen Relativitäten gegenüber.
A. 1. Humanismus
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Dies ist es eigentlidi, was auch noch f ü r spätere Zeiten bis heute vom Humanismus übrig geblieben ist, ja was man eigentlich meint, wenn man von Humanismus spricht. Der ganz naive Vergleidi des von Sorgen freien, gelassen heiteren Lebens des christlichen Mönchs mit Epikurs privat sich selbst genügendem Dasein, das doch von allen echten Christen stets am heftigsten bekämpft worden ist (De contemptu mundi epistola), zeigt, wie wenig sich die Zeit selber noch der Untersdiiede bewußt war. Erasmus lebt im gemessenen Abstand von der "Welt. Seine geschichtlidien Studien haben ihn gelehrt, daß es über alle Dinge sehr verschiedenartige Meinungen gibt und daß jede von ihnen ihre historische Bereditigung hat. So versucht er, auch im Leben eine ausgleichende, vermittelnde Stellung einzunehmen, die Jedem sein Recht läßt und Streitfragen durdi theoretische Aussprache und Aufklärung zu schlichten versucht. In der Vernunft können die Menschen noch am ehesten geeinigt werden. Die Leidenschaften binden den Menschen, die Vernunft und das theoretische Wissen befreien ihn. Vernunft ist die Abwägung aller Bedingungen, die uninteressierte Vergegenwärtigung der jeweiligen Situation. Zur Vernunft f ü h r t die Bildung. Der Vernunft entgegen stehen Torheit, Verstocktheit, Verblendung, die durch überlegenen Spott am besten bekämpft werden (Lob der N a r r heit, Gespräche). Erasmus rückt damit schon sehr in die Nähe der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, nicht umsonst hat ihn Dilthey einmal mit Voltaire verglichen. Allerdings teilt er bereits die spezifischen Schwächen der Aufklärung. Was Erasmus und die Aufklärung Vernunft nennen, ist nicht mehr wie bei den Griechen und im Mittelalter das wahre Vernehmen Gottes und der Welt, das Offenhalten des Ursprungs des Seins alles Seienden, was dann wieder in der großen Metaphysik des 17. Jahrhunderts Anliegen der Philosophie sein wird, wie wir noch sehen werden. Erasmus zieht sich vielmehr auf die bloße Menschlichkeit zurück. Und der Mensch als M a ß aller Dinge gesetzt, f ü h r t zum Relativismus, zum Verlust der Mitte des Lebens. Diese Erfahrung hat bereits
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I. Die neue Stellung zu Gott, Welt und Mensch
die griechische Sophistik gemacht, die Aufklärung im 18, Jahrhundert wird sie wiederholen. In ihr erst wird der Humanismus in diesem Sinn zur herrsdienden Philosophie in den meisten Ländern Europas. Aber dies wird dann der erste Verfall der neuzeitlichen Philosophie sein. Die andern Humanisten können nur mehr kurz erwähnt werden als Beleg dafür, wie verbreitet die Bewegung in allen Ländern war. N a d i Petrarca sind auf italienischem Boden noch Boccaccio (1313—1375) zu nennen, dessen Decamerone heute — nicht mit Unrecht — bekannter ist als seine philologischen Studien; dann Salutati (gest. 1406), der große Kanzler von Florenz; Lorenzo Valla (1407—1457), der das klassische Latein gegen das mittelalterliche abgrenzte und die sogenannte konstantinische Schenkung in historischer Kritik als Fälschung erwies; endlich Nizolius (1498—1576), der Nominalist und Kämpfer gegen die scholastische Lehre von der Realität der Allgemeinbegriffe. Im Norden waren schon vor Erasmus Humanisten: Agricola (1442—1485). Er steht fraglos den Sophisten nahe. D a n n Reuchlin (1455—1522), der> wie ähnlich Agrippa von Nettesheim (1486—1535), mit einem deutlichen Skeptizismus eine etwas, abstruse Mystik und Magie verbindet. Endlich der Reichsritter Ulrich von H u t t e n (1488—1523), der an den bekannten Dunkelmännerbriefen, einer Satire gegen Obskurantismus und Klerikalismus, beteiligt Ist und In dem der Humanismus auch eine nationale und politlsdie Tendenz gewinnt. In Frankreich sind Humanisten Jacques Lefevre (1455— 1537), Charles Boullle oder Bovillus (1475—1553) und Pierre de la Ramee oder Ramus (1515—1572). Sie haben geringere Bedeutung. Aber aus ihrem Kreis gehen dann doch Jean Bodln und Calvin hervor, die an anderer Stelle zu besprechen sind (Seite 42 f. und 32 ff.). Audi In England gibt es einen Humanismus. John Colet (1467—1519) ist der Freund des Erasmus von Rotterdam gewesen. Thomas Eliot (1499—1546) ist vor allem durch
A. 2. N e u p l a t o n i s m u s und Neuaristotelismus
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seine Erziehungsschrift The Governor bekannt, die sich Xenophon und Marc Aurel ansdiließt. Ihnen nahe steht der Kanz er Thomas More oder Morus (1478—1535), von dem noch in der Staats- und Gesellsdiaftslehre gesprochen werden soll (Seite 47 f.). Quellen und Literatur. Petrarca: Nationalausgabe, 1926 fF. Briefe, ed. Fracassetti. Deutsdie Übersetzung in Auswahl, von H . H e f e l e , 1910. Eppelsheimer: Petrarca, 1926, Tonelli: Petrarca, 1930. — Erasmus: Leidener Ausgabe in 10 Bdn. von Clericus, 1703/06. Opus Epistolarum, ed. Allen, O x o n i i 1906 ff. Deutsche Obersetzung von W. Köhler, 1917, der Briefe, 1938, 1947. Allen: T h e age of Erasmus, 1914. Huizinga: Erasmus, deutsch 1928. K. Sdilechta: Erasmus, 1940". R. M e w a l d : Erasmus, 1947. A. H y m a : Erasmus and the O x f o r d reformers, Nederl. Arch. Kerkgesdi. 1951. — G. Toffanin: Gesch. d. Humanismus, Amsterdam 1940. E. Garin: Der italienische Humanismus, Bern 1947. E. Grassi: Der italienisdie Humanismus, 1950.
2. N e u p l a t o n i s m u s u n d N e u a r i s t o t e l i s m u s Der Humanismus ist mehr eine geistige Bewegung als Philosophie im engeren Sinn. Dagegen setzt sich der Neuplatonismus und der Neuaristotelismus direkt die Wiederherstellung der philosophischen Lehren Piatons, Plotins und des Aristoteles zum Ziel. Es sind vor allem zwei Gruppen zu nennen: die italienische und die etwas spätere englische. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken (1453) erschienen zunächst vertriebene griechische Gelehrte in Italien, die die Sprache lehrten und die Tradition mitbrachten. Am Hof des Cosimo di Medici in Florenz bildete sich ein Kreis von Freunden, der die alte platonische Akademie erneuern wollte und sich mit Begeisterung dem Studium Piatons und Plotins widmete. Die wichtigsten Vertreter sind Marsiglio Ficino (1433—1499) und Giovanni Pico della Mirandola (1463—1494). Natürlidi besteht ein großer Unterschied zwischen dem echten Griechen Piaton und seinem späten Umdeuter Plotin. Plotin ist ägyptischer Mystiker aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert, der den hellenistischen Christen, Clemens von Alexandrien undOrigenes, in Wahrheit viel näher steht
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I. Die neue Stellung zu Goct, Welt und Mensdi
als den Griechen. Aber dieser Unterschied ist bis ins 18. Jahrhundert hinein fast gar nicht klar gewesen. Man wollte den Piatonismus als weltliche Philosophie im ganzen erneuern. Dabei verwischte man die griechisdien und spätantiken Lehren so weit, daß sie in Wahrheit zum Gefäß des eigenen, ganz neuen, zwar durchaus noch an den jenseitigen Gott gebundenen, aber doch auch bereits die Welt in ihrer Schönheit ins Auge fassenden Lehre wurden. In der Theologia platonica des Marsiglio Ficino ist die Welt ein harmonisch geordnetes Stufenreich, das von der N a t u r hier und dem Menschen in ihr bis zu dem jenseitigen über alle Gegensätze hinausliegenden Einen reicht. Dies Eine stammt aus der Philosophie Plotins. Dabei soll die Seele alles Unbelebte beleben und verklären durch die K r a f t , die sie vom göttlichen Einen empfängt, und so Mittler sein zwisdien Gott und Welt. Pico della Mirandola sucht diese Lehren nodi durch eine Einbeziehung des Aristoteles und der Gedanken der jüdischen Kabbala zu erweitern. Die Ideen der florentiner Neuplatoniker haben nicht nur auf die späteren Humanisten, sondern auch auf die Reformatoren und viele der klassischen Philosophen der Neuzeit großen Einfluß ausgeübt. Ähnlich wie der Neuplatonismus zu Piaton und Plotin verhält sich Pietro Pomponazzi (1462—1524) zu Aristoteles. N u n ist bekanntlidi audi in der Scholastik bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin Aristoteles der große Lehrer der gesamten nidht direkt von dem Heilswerk des Christentums und der Offenbarung geprägten Philosophie. D o r t aber gelten seine Gedanken sozusagen als weltliche Vorstufe der christlidien Gnadenlehre, jetzt soll er nur in seinem eigenen Sinn gegen die scholastischen Systeme Wiederaufleben. Dazu stützt sich Pomponazzi teils auf die innerhalb der Scholastik immer noch lebendige arabische Tradition, teils auf den spätantiken Aristoteleserklärer Alexander von Aphrodisias. Wichtig f ü r ihn ist vor allem zweierlei: Die
A. 2. Neuplatonismus und Neuaristotelismus
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Bestreitung der Unsterblidikeit der Seele, wodurch das Sdiwergewidit des Lebens auf das Diesseits,, nicht mehr wie im Mittelalter auf das Jenseits fällt. Und die Neuordnung dieses diesseitigen Lebens durdi ewige Ideen wie Gerechtigkeit, Schönheit u. a., die die Mensdiheit zu einem großen sittlichen Organismus inmitten der N a t u r machen. Pomponazzi bedient sich, um seine Gedanken vertreten zu können, der vielbenützten Lehre von der doppelten "Wahrheit. Er behauptet, daß das, was er (und Aristoteles) lehren, nur die Frucht natürlichen menschlidien Nachdenkens sei und audi nur f ü r das Denken des Menschen Gültigkeit habe. Die cJiristliciie Offenbarung stehe als eigene, über alle Vernunft hinausgehende "Wahrheit sozusagen neben dem Denken und habe keinerlei "Verbindung mit ihm. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, daß die große mittelalterliche Synthese zwischen "Welt und Überwelt, die Thomas von Aquin in der Hochscholastik mit so viel Kunst auch philosophisdi geknüpft hatte, jetzt endgültig zerfallen ist. Eine etwas andere geschichtlidie Stellung nimmt der engliscJie Neuplatonismus ein. Es gab hier schon in der Renaissance eine neuplatonische Bewegung unter dem Einfluß der florentiner Akademie mit den Namen Digby (1550—1592), Greville (1608—1643) und Fludd (1574—1637). Aber sie hat nur geringe Bedeutung. "Wichtig ist dagegen der spätere Neuplatonismus der Schule von Cambridge geworden. In England bestand bereits zur Zeit der Entstehung dieses späteren Neuplatonismus eine neue Philosophie, die empiristisdi und nominalistisch war, deren wichtigste Vertreter Bacon und Hobbes gewesen sind. Von ihnen wird noch zu sprechen sein (Seite 74 ff. und 112 ff.). Die Scholastik dagegen hatte in dieser Zeit fast gar keine Bedeutung mehr. Somit richtet sich die englische Erneuerung der Lehre Piatons und Plotins nidit wie die italienische gegen das Mittelalter, sondern gegen den neuen Empirismus, Materialismus und Nominalismus. Noch viel mehr als die Italiener sind die neuplatonischen Engländer Spiritualisten und von Plotin, nicht so sehr von Piaton, abhängig. Der Neuplatonismus
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I. Die neue Stellung zu Gott, Welt und Mensdi
steht hier im Bund mit dem Christentum gegen die bloße Verweltlichung. Die bedeutendsten Vertreter sind Ralph Cudworth (1617—1688) und H e n r y More (1614—1687). Natürlich stehen sie unter dem Einfluß der früheren italienischen Neuplatoniker. Cudworth hat sich vor allem die "Widerlegung des Atheismus, Materialismus und Fatalismus angelegen sein lassen. Er glaubt zwar, daß die "Welt aus materiellen Atomen bestehe, die sinnlich erfahrbar seien. Aber daneben gibt es f ü r ihn doch auch eine nicht minder wirklidie Welt geistiger Ideen und Substanzen. Sie beginnt bei den Seelen und reicht über eine Weltseele (natura plastica) bis herauf zu Gott. Diese Welt des Geistigen ist wie in jedem Spiritualismus letztlich fast gespenstisch gedacht. Es ist eine Art von zweiter Materie, nur feiner und eben nicht natürlich. Dies allerdings ist nur einer wohlmeinenden, aber unzureichenden Tendenz entsprungen, das Geistige und seine Bedeutung neben dem Materiellen zu retten. Wichtiger dagegen ist der Versuch, zu zeigen, daß keine echte Erkenntnis möglich ist, ohne bereits mit eingeborenen Ideen an die Erfahrung heranzutreten. Die Erfahrung rein f ü r sich nämlich ist fließend, unscharf, gibt keine klaren und deutlichen Begriffe. Dies hatte bekanntlich sdion Piaton behauptet. H e n r y More ist wichtig durch seinen Raumbegriff, der bis auf Newtons Annahme eines absoluten Raums und Kants Raumlehre gewirkt hat (Seite 61 f.). Der Raum ist f ü r ihn etwas gegenüber dem begrenzten Körper Kontinuierlidies und Unendliches. Er ist unzerstörbar und bleibt auch, wenn man alle Dinge aus ihm wegnehmen würde. Was kann der Raum also in Wahrheit sein, wenn er so merkwürdige entscheidende, aber doch fast unwirkliche Eigenschaften hat? More antwortet im freien Anschluß an Plotin: die ungeschaffene sinnliche Allgegenwart des jenseitigen Gottes. Ist aber der Raum als Umgreifendes etwas Göttliches, so kann der räumliche Körper in ihm nichts Widergöttliches sein. Durch die Spiritualisierung des Raums, durdi seine Vergeistigung und Vergöttlichung, durch seine Entrückung über alle N a t u r und materielle Wirklichkeit hinaus erreicht
A. 3. Reform der Theologie
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Henry More eine sozusagen indirekte Vergeistigung der ganzen "Welt, auch des Materiellen in ihr. Damit kann er den Materialisten gegenüber die Bedeutung des Geistes als der grundlegenden, allumfassenden, wahren Substanz in ganz anderer "Weise behaupten und vertreten. Quellen und Literatur. Marsiglio Ficino: Gesamtausgabe, Basel 1576, Paris 1641; deutsche Übersetzung: Über die Liebe, von Hasse, 1915. P. O. Kristeller: Philosophy of M. Ficino, Columbia studies 1945. — Pico della Mirandola: Gesamtausgabe, Bologna 1896, Basel 1601. Ausgew. Schriften, deutsch von A. Liebert, 1905; Über die Würde des Menschen, von Rüssel, 1940. Eugenio Garin: Pico d. M., Florenz 1937. G. Barone: Pico d. M., Milano 1949. — PietroPomponazzi: Gesamtausgabe,Basel 1567. B.Nardi: Gli scritti del Pomponazzi, Giorn. crit. filos. ital. 1950. E. "Weil: Des P. Pomponazzi Lehre vom Menschen u. d. Welt, 1928. — Cudworth: The true intellectual system of the universe, 1678, lateinisch 1743. J. A. Passmore: Cudworth, 1950. — Henry More: Philos. writings, ed. Machinon, 1925. R. Zimmermann: H . More u.d. vierte Dimension d. Raums, Sitzungsberichte d. Wiener Akad. d. W. 1881. Muirhead: The platonic tradition in anglo-saxon philosophy, New-York 1931. E. Cassirer: Die platonische Renaissance in England u. d. Schule v. Cambridge, 1932. H. Reimann: Henry Mores Bedeutung für die Gegenwart, Basel 1941.
3. R e f o r m d e r T h e o l o g i e Die eigentlich religiöse Bedeutung der reformatorischen Theologie aller Konfessionen in der Übergangszeit kann in diesem Zusammenhang so wenig zur Darstellung kommen wie die spezifisch philologische der Humanisten oder die physikalisch-mathematische der Naturwissenschaft später. Aber auch in der Theologie macht sich, wie in den "Wissenschaften, eine neue Haltung des Menschen der "Welt gegenüber geltend. Dies ist es, was hier in der Zeit vor der eigentlichen Philosophie der klassischen Systeme hervorgehoben werden muß. Unter den vielfältigen Erscheinungen der Zeit seien wieder nur die repräsentativen, verteilt auf die verschiedenen Konfessionen und Länder, herausgegriffen: N i k o laus von Cues, Luther, Calvin, Herbert von Cherbury. Nikolaus von Cues (1401—1464) ist der letzte große Philosoph der katholischen Kirche vor dem Tridentinum.
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Er versuchte eine Reform der Scholastik und Dogmatik durch ihre Verbindung mit dem Geist und den Erkenntnissen der Neuzeit ohne Bruch mit dem Papsttum. Weil seine Bestrebungen im Grund keinen öffentlichen Erfolg gehabt haben, ist später die Reformation Luthers, Zwingiis und Calvins nötig geworden. Erst ihr gegenüber hat dann der Katholizismus seine eigene Lehre als Konfession im Tridentinum (1545—63) auf einem einmal erreichten Stand befestigt und erstarrt. Wie der antike Neuplatonismus des Dionysios Pseudoareopagita rückt Nikolaus zunächst Gott als völlig Jenseitigen über alles Weltliche hinaus. Er ist das Größte, Unendliche, Unerreichbare, trotzdem aber das letzte Ziel des menschlichen Strebens und aller Sehnsucht. Sein Verhältnis zur Welt und zum Menschen ist nur als eine „Wissenschaft des Nichtwissens" (docta ignorantia) möglich. Alles menschliche Wissen ist Unterscheiden, Sondern, Zählen. Es schreitet f o r t von Einzelnem zu Einzelnem (diskursives Denken). Aber die Welt ist doch zugleich Erscheinung des unsichtbaren Gottes (invisibilis dei apparitio). Das menschliche Wissen ist daher ein widergespiegeltes, abbildliches, indirektes Wissen von Gott. So wird die wahre Unendlichkeit Gottes in der Welt zur Endlosigkeit des Raums und der Zeit. Endlosigkeit ist im Unterschied zur Unendlichkeit die Unmöglichkeit, im Durchlaufen des Einzelnen an eine Grenze zu kommen. Unendlichkeit ist dagegen die Fülle alles Seins in einem, das Zusammenfallen der hier im Widerspruch getrennten Gegensätze. Der „noch am besten passende" N a m e Gottes ist deshalb die f ü r uns unbegreifliche, über alle Möglichkeit hinausliegende, aber von jeder einzelnen weltlichen Position aus nahegelegte transzendente Einheit der Gegensätze (unitas oder coincidentia oppositorum). Nikolaus geht in seinen praktisdien kircJienpolitischen Bestrebungen so weit, daß er diese Einsicht sogar auf alle Religionen übertragen will. In Wahrheit können Religionen überhaupt nur diesen einen und selben Gott über allen Gegensätzen meinen und verehren, weil ja nichts anderes
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wirklich ist, edites Sein hat. Aber da sie es nur in menschlich endlicher Weise tun können, müssen sie es unter verschiedenen immer unzuglänglichen Vorstellungen und Formen tun. Diese Formen schließen sich als Gegensätze in der Welt aus. Allerdings meint er dann doch, daß die Heiden dem Gott eben „falsche", bloß kreatürliche „Namen" gäben. — Ähnlich hat Nikolaus auch ganz konkrete Reformen vorgeschlagen, um dem Reich wirkliche Macht zu verschaffen über den einzelnen in ihm entstehenden Staaten. U n d er hat das Papsttum stärken wollen als die autoritäre geistige Führung in der neuen Zeit. Allerdings unter der Voraussetzung, daß es sich die Einsichten der Neuzeit zu eigen mache und die Völker auf ihrem Weg in die neue Zeit wirklich führe. In dem klar erkannten Verhältnis zwischen Gott und der "Welt als zweier Sphären, deren eine Gegensätze enthält, die sich in der andern aufheben, hat Nikolaus bereits alle Errungensdiaften der Neuzeit vorweggenommen und zu fördern versucht: die Mathematik und Naturwissenschaft, die Technik und das Experiment, das Prinzip der Volkssouveränität, die religiöse Toleranz, den Humanismus, sogar die historisdie Kritik. Das Entscheidende seiner Philosophie ist, daß er alle diese Gebiete nicht als etwas Unabhängiges in sich verstand, sondern in ihrer Abhängigkeit von dem über alle Gegensätze hinausliegenden Göttlichen. Dadurch bannte er noch die Gefahr, daß das Weltliche f ü r sidi verselbständigt und in sich richtungslos, vielspältig wurde und zum Chaos führen mußte. Es ist also schon die neue Zeit, die in ihm lebt, mit ihren Experimenten, Entdeckungen, ihrer freieren selbstbewußteren Darstellungsform, ihrer Kritik, ihrer Vorrangstellung des Menschen als eines kleinen Kosmos (Mikrokosmos) im Unterschied zur Welt (Makrokosmos), ihrer Politik, ihrer Bewunderung der Schönheit und Größe der Welt. Aber dies alles ist noch zusammengehalten in der alten mittelalterlichen Einheit, aus der er kommt. Der Fortgang in die Neuzeit wird darin bestehen, daß sidi dies immer wieder in andern Formen wiederholt.
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Immer wieder wird die Welt sich verselbständigen und zerfallen in ihren verschiedenartigen Gebieten, dadurch einen nie gekannten Reichtum gewinnen. Und immer wieder wird die Philosophie auf neue (nicht nur wie bei Nikolaus auf mittelalterliche) Weise versuchen, sie in ihre Einheit, ihren Ursprung zurückzunehmen. Nikolaus hat sein System schon in dem ersten großen Werk De docta ignorantia und dem kleineren Nachtrag dazu De conjecturis dargestellt. Er hat dann in seinem weiteren Leben rastlos an seiner Verbesserung gearbeitet, indem er immer neue Begriffsbestimmungen für Gott als den Ursprung und die Einheit der Welt versuchte. Eine befriedigende Lösung ist ihm so wenig gelungen, wie er mit seinen kirchenpolitischen oder reichsreformatorischen Bestrebungen durchdringen konnte. So ist er verbittert als Kardinal und Bischof von Brixen, aber fern seinem Amtssitz, gestorben. Viel weniger als Nikolaus ist MartinLuther(1483—1546) Philosoph gewesen. Er hat sogar den Humanismus abgelehnt und alle Philosophie im Grund als Teufelswerk verachtet. Aber seine T a t der Kirchenspaltung hat doch erst den Zwischenraum von Freiheit in der Neuzeit geschaffen, in dem dann später die großen Philosophen wirken konnten. Und zwar auch da, wo sie nicht protestantisch der Konfession nach gewesen sind. Das allmähliche Versiegen der Philosophie in Italien, dem Gebiet der unmittelbaren Papstherrschaft, und die Fernstellung Spaniens und Portugals, der von der Reformation unberührten Länder, zeigt das deutlich. Luther ist aber nicht nur in diesem äußerlichen Sinn von Bedeutung für die Philosophiegeschichte. Ebenso wichtig ist die Ablösung der spezifisch protestantischen Konfession von der großen alles umspannenden magisch-sakralen Papstkirdie des Mittelalters mit einer neuen, zwar christlich jenseitig bestimmten, aber doch welttüchigen und in der Welt wirkenden Frömmigkeit. • Luther nimmt den Menschen heraus aus der mittelalterlichen institutionellen Gemeinschaft des mystischen Corpus
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Christi und seiner durch das Papsttum und die Hierarchie verwalteten Gnadenmittel. Er stellt ihn auf sein unmittelbar persönliches Verhältnis zu Gott, das sich im rein geistigen Wort der heiligen Schrift und im eigenen Gewissen verwirklicht. Dies ist der neuzeitliche Zug an ihm. Aber so wenig wie Descartes oder Kant später überliefert er sein Heil nur der menschlichen Selbstverantwortung. Vielmehr erkennt er, daß der Mensch allein durch die Gnade und im Glauben (sola fide) vor Gott gerechtfertigt und im Willen mit ihm vereinigt werden kann. H a t er diesen Rückhalt an Gott einmal gewonnen, so soll sein Leben keine tatenlose Versenkung in das Nichts, sondern vielmehr das rüstig-freudige Leben in der Welt sein, getragen von der Heilsgewißheit der Gnade. So kann das T u n des Willens Gottes verstanden werden als Pflichterfüllung im weltlichen Beruf. Und zwar um so mehr, als dieser Beruf mit der christlichen Gemeinschaft, mit der tätigen Liebe zum Nächsten, der gegenseitigen Förderung, der verantwortlichen Mitwirkung an kleinen oder großen Aufgaben in Verbindung steht. Zum ersten Mal im Christentum ist Gemeinschaft nicht nur die erhoffte Verbindung mit Gott im Jenseits nach dem Tod, und im Diesseits eine A r t von Caritas, die aus dem bloßen Mh-leiden heraus sich dem Nächsten hier verwandt fühlt und ihn auf dem ohnehin nur kurzen Weg bis zum ersehnten Ziel seine Mühen zu erleichtern sucht. Sie wird jetzt eine planmäßige Förderung von Institutionen, in denen der Mensdi sich schon hier in der Welt einrichtet und ein tätiges gottgewolltes Leben in Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen führt. Nirgends unterscheiden sidi die Konfessionen stärker als in diesem Ideal der Armut, des Verzichts und des Mitleids auf der einen Seite, und in dem der Förderung des Nächsten unter der Bedingung, daß er selber sidi mitverantwortlich als Glied in die Gemeinschaft einordnet. Man kann unter großen weltgeschichtlichen Maßstäben sicher nicht sagen, daß die eine Lebensform besser wäre als die andere oder den Möglichkeiten des Menschseins näher stünde. Vielleicht ist im Protestantismus der Sinn des Leidens, des tiefsten
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und zentralsten Begriffs des Christentums, gar nicht mehr hinreichend erfaßt. Aber die katholische ist die ältere, im Mittelalter gültig gewesene, die protestantische wird dem Geist der Neuzeit mit ihren Vorzügen und Fehlern eher gerecht. Luther hat deshalb in religiöser Hinsicht die Ehe dem Zölibat vorgezogen. Er hat nicht unrichtig geglaubt, daß das Leben selber mit seinen vielfältigen auch wirtschaftlichen Gemeinsdiaftsbeziehungen am besten den Mensdien wahre christliche Nächstenliebe lehren könne. Einsamkeit und Abkehr von der Welt, früher die höchsten diristlidien Ideale, hat er dagegen unter seinen Gesichtspunkten unterschätzt. Ähnlich wie die Humanisten zur heidnischen Antike zurückwollten und dabei doch eine mensdiliche Existenzweise fanden, die in Wahrheit sehr anders war als alle religiösen Bindungen des echten Griedientums, hat Luther die reformatorischen Gedanken seinem Schrift- und Wortprinzip zufolge vor allem an frühchristlidie Urkunden, die Briefe des Paulus, anzuknüpfen versucht. Auch hier kam etwas sehr anderes zustande, als die alte Zeit gewollt hatte. D a ß zudem die tiefe religiöse Gnadenlehre Luthers in der Folgezeit immer mehr in den Hintergrund trat und einerseits einer neuen theologischen und vielfach humanistischen Scholastik (Melanchthon), andererseits der rein weltlichen Selbstverantwortlichkeit und Selbstgerechtigkeit im sittlidaen Leben Platz machen mußte, war ein Vorgang, wie er zum Verfall jedes großen ursprünglichen Einsatzes mit Notwendigkeit gehört. Jean Calvin (1509—1564), der Reformator aus N o r d frankreich, der in Genf seine Wirkungsstätte fand, ist natürlich mannigfach von Luther und Zwingli, selbst vom florentiner Neuplatonismus und dem Humanismus beeinflußt. Aber er verschärft die hier vorgefundenen reformatorischen Züge noch und bildet sie in eigenartiger Weise um. Seine Grunderfahrung ist die unbedingte und unantastbare, unbegreifliche Macht Gottes, wie er sie in Augustins
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Gnadenlehre zu finden glaubt. Ihr gegenüber bleibt dem Menschen nur die ebenso unbedingte blinde Unterwerfung übrig. Der Mensch weiß nidit einmal, ob er zu den Erwählten oder zu den Verworfenen des Gerichts gehört. Auch gute "Werke, der Versudi sittlidien Wollens oder institutionell hierarchisdie Mittel des Kults, Zeremonien, können den Willen Gottes nicht bestimmen. Trotzdem ist das Leben in der Welt nicht ohne Verbindung mit dem wahren Sein Gottes im Jenseits. Der schlichte Erfolg der Arbeit und Anstrengung hier im Leben gilt für Calvin wenigstens als äußeres, sicher nicht als unfehlbares Zeichen dafür, daß der Mensdi erwählt ist und nicht verdammt, denn auch dieser Erfolg ist abhängig vom Willen und der Madit Gottes. In ihm tut Gott fast von außen seinen prädestinierten Willen dem Menschen kund. Und nun ist die Wirkung dieser Lehre sehr eigenartig. Wie jeder Fatalismus führt sie wohl zu Gelassenheit und Ergebung in den Willen Gottes, aber keineswegs zu Untätigkeit und Passivität. Der Mensch muß durdi den Erfolg seiner Tätigkeit sich sozusagen selber beweisen, daß er zu den Erwählten gehört. Er darf aber die Früchte dieses Erfolgs nicht egoistisch für sich verbrauchen und genießen, weil das wieder zeigen würde, daß Gott ihn sdion fallen gelassen hat. So wird er von Arbeit zu Arbeit, von Ziel zu Ziel getrieben. Er wird in der aktiven Umgestaltung und Ordnung der Welt durch seiner Hände Werk die Heiligung der Welt erblicken, die ihm wenigstens bis zum gewissen Grad zeigt, daß Gott mit ihm ist. Max Weber hat nachgewiesen, daß gerade diese ursprünglidi religiöse und ganz vom Jenseits bestimmte Lehre zum Kapitalismus und Unternehmertum mit dauernd sich steigernder Akkumulierung der Wirtschaftsmittel (die nicht verbraucht werden dürfen) geführt hat und dann im Verfall mit dem Schwinden des Glaubens natürlicli auch zur rücksiditslosen Ausbeutung der Arbeit Anderer, die die modernen sozialen Revolutionen (Marxismus) hervorgerufen hat. Nicht in Frankreich, das zum Katholizismus zurückkehrte, ist das eigentliche Wirkungsgebiet der Gedanken Calvins 3
Schilling,
Geschidite der P h i l o s o p h i e V I
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zu finden, sondern über Genf hinaus in Holland, England und der neuep Welt Amerikas. Deren Wirtsdiaftsweise und öffentliche Meinung ist heute noch von ihnen weitgehend abhängig. Auf Kolonialboden pflegen sich bekanntlich Spradiformen und Ideologien länger zu halten. Es mag auf den ersten Blick etwas erstaunlich erscheinen, wenn ich die natürliche Theologie des Engländers Herbert von Cherbury (1583—1648) in der Philosophiegeschidite neben Nikolaus von Cues, Luther und Calvin stelle. Wenn wir genauer zusehen, teilt sie mit ihnen wesentliche Merkmale: die Anknüpfung an frühere Lehren, die Lösung der Vernunft und des Willens des Individuums aus der großen mittelalterlichen Gemeinschaft und die Reform des Glaubens zur weltlichen Sittlichkeit. Daneben finden sich allerdings auch entscheidende Unterschiede. Schon der anglikanische Theologe Richard Hooker (1553—1600) hatte auf die menschlidie Vernunft als eine unmittelbar von Gott gegebene Quelle der Offenbarung und Autorität neben der Schrift verwiesen. D a die Vernunft in Diskussionen und Übereinstimmung der Mehrheit sich bekundet, hatte er mit diesem Vernunftprinzip in dem gemeinsamen Beschluß von Königtum und Parlament die Begründung der selbständigen anglikanischen Kirche gegenüber Rom zu reditfertigen gesucht. Die Vernunft als Quelle aller Ordnung der Welt, des Naturredits, f a n d sich vorzüglich in der vorchristlichen Antike bei der Stoa. Schon immer waren von hier aus Einflüsse auf das christliche Naturredit ausgegangen. Herbert benützt jetzt die Lehre der Stoa zur Ausbildung einer freien natürlidien Theologie als Grundlage aller positiven Religionen. Deren fünf Grundwahrheiten sind: die Existenz eines höchsten Wesens, gleichgültig unter was f ü r Bildern es vorgestellt wird. Die Verehrung dieses Wesens, gleichgültig mit was f ü r Zeremonien. Frömmigkeit und tugendhafter Lebenswandel als moralischer Kern und Wirkung der Gottesverehrung im Diesseits. Reue über Fehler und Laster. Lohn und Strafe im Jenseits nach diesem Leben
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f ü r unsere Taten hier. — Dies sollen apriorische, notwendige Wahrheiten sein, die in der Vernunft jedes Mensdien liegen und über die sidi daher die Konfessionen in ihrem nutzlosen Streit audi einigen könnten. Herbert ist ähnlich wie Erasmus von Rotterdam auf seinem Gebiet mit dieser natürlichen Theologie einer der Vorläufer der späteren Aufklärung im Übergang zur Neuzeit geworden. Und in der Tat zieht sich eine ununterbrochene Linie der Tradition von ihm über das sogenannte englisdie Freidenkertum John Tolands, Mathews Tindals, Bolingbrokes bis in die Aufklärung zu Shaftesbury und den Moralisten so gut wie zu den Franzosen. Quellen und Literatur. Nikolaus von Cues: Ausgabe der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (im Erscheinen). Übersetzungen: von A. Sdiarff, 1862 (mit niAt gekennzeichneten Auslassungen); und (besser) in Meiners philosophischer Bibliothek. E. Vansteenberge: Le cardinal Nico aus de Cues, Paris 1920. Joachim Ritter: De docta ignorantia, 1927. M. de Gaudillac: La philosophie de N. de Cues, Aubier 1941 (mit Bibliographie). P. Mennidcen: N. v. Cues, Leben und Werk, 1950. — Luther: Weimarer Ausgabe, 1883 ff., und andere Ausgaben. Karl Holl: Aufsätze zur Kirchengesdiichte, L u. IIL Bd. 1921/28. E. Seeberg: Luthers Theologie, 1929/37. E. Metzke: Lutherforschung und Philosophiegesdiichte, Blätter f. d. Philos. VIII, 1934. — Calvin: Werke im Corpus Reformatorum, 1869/1900. Die Institutio religionis christianae deutsch v. O. Weber, 1936, die Briefe von R. Sdiwarz, 1909. A. de Quervain: Calvin, 1926. Imbart de la Tour: Calvin, deutsch 1936. E. A. Dewey: The knowledge of God in Calvins theology, New York 1936. Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Ges. Aufsätze zur Religionssoziologie I, 1920. — Herbert von Cherbury: De veritate, Paris 1624 (Hauptwerk). Remusat: Herbert de Cherbury, sa vie et ses oeuvres, 1874. C. Gütler: H. v. Cherbury, 1897. A. Shillinglaw: H. v. Cherbury, Mind 1938. H. A. Carre: H . of Cherbury, Giorn. metaf. 1948. 4. S k e p t i z i s m u s Der Skeptizismus ist eine in fast allen Zeiten auftretende Erscheinung. Er erschüttert die Erkenntnisse und die Bindungen der W e l t hier, erweist ihre Relativität, teils um dann
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an ihnen wirklidi zu verzweifeln^ öfters aber um sie gegen die unberührte Natur oder gegen ein über die Welt hinausliegendes geglaubtes Unbedingtes und gegeneinander im Fluß der Dinge nidit zu starr werden zu lassen. In der Neuzeit tritt der Skeptizismus vorzüglidi (nidit ausschließlich) in Frankreich auf, wo seine Tradition von Montaigne über Descartes, Bayle, die Aufklärung bis ins 19. Jh. und die Gegenwart reicht. Die antiken skeptischen Tropen sind in der Neuzeit zwar auch aufgegriffen worden. Besser aber könnte man den Geist Montaignes treffen mit der antiken Anekdote aus dem skeptischen Kreis vom Maler Apelles, der in Unmut und Verzweiflung über seine Kunst, den Schaum am Maul eines Pferds naturgetreu darzustellen, den Schwamm gegen das Bild wirft und dabei-bemerken muß, daß auf einmal sein Ziel ohne Willen erreicht ist. Michel de Montaigne (1533—1592) war ein Edelmann alten Geschlechts. Er verbradite seine Zeit teils auf Reisen, teils auf dem Sdiloß seiner Väter, einige Jahre lang war er Maire von Bordeaux. In den Religionswirren blieb er katholisch, war aber mit dem Haupt der Protestanten, Heinrieh von Navarra, befreundet. Seine Gedanken legte er in Essais nieder, kleineren und größeren Aufsätzen über verschiedene Fragen des menschlichen Lebens. Zunächst folgert Montaigne mit den antiken Skeptikern so: Die Sinne des Menschen sind trügerisch und unsicher; die Naturerkenntnis ist nur sophistische Dichtkunst; der Verstand liefert audi keine verläßliche Einsicht und ist ein schlechter Richter über die Sinne. Der Mensdi erhebt sidi zu Unrecht über die Tiere. Er ist ein schwaches, hinfälliges Geschöpf. Weil aber die Erkenntnis nicht zu echten Ergebnissen kommt, die sidi lohnen, so können wir uns ruhig in Demut und ohne Stolz auf eingebildetes Wissen der göttlichen Offenbarung und der Kirdie unterwerfen, ihre Dogmen glauben. Montaigne war ein Anhänger des Katholizismus gerade aus Skepsis an der Welt und an den nur von Menschen geschaffenen Wissenschaften. Aber dies ist nodi nicht das Wesentliche. Er sdiloß sich nicht so sehr der dogmatischen antiken Skepsis der Spätzeit
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an (Pyrrhon oder Sextus Empiricus), er fand vielmehr sein Ideal in dem heiter überlegenen, der mensdilidien Grenzen vor dem göttlich Unerforsdilidien bewußten Nichtwissen des Sokrates (dessen Dämonie er allerdings nidit erreicht) und in der praktischen Unersdiütterlichkeit des stoischen Weisen im Leben. "Wie die Stoa sucht er diese Unberührtheit vom Schicksal durch Fügung in das Gegebene zu verwirklichen. Die neuen Wissensdiaften hat er gerade so gut wie die gewaltsamen Glaubenserneuerungen der Reformatoren abgelehnt. Worauf es ihm ankam, das war die Natur in der unersdiöpflicJien Vielfalt ihrer Gestalten und in der Ordnung und Konsequenz ihres Zusammenhangs, die Natur des Mensdien in ihrem Bezug auf die Natur draußen, die Welt. Um die Natur überall unverdeckt und unverbildet zum Vorschein kommen zu lassen, bezweifelt er alles, was bloße Zutat oder Machwerk des Menschen ist. Dabei ist das, was er unter Natur versteht, keineswegs zügellose Leidenschaft, Hingabe an jede Begierde oder bloßer Primitivismus. Die wahre Natur des Mensdien ist nach Montaigne so gut wie nadi stoischer Lehre die Vernunft und der freie Wille. Herrscht die Vernunft, so kann der Mensch überall seine Pflidit erfüllen und wird aus jeder Situation das Beste machen. Selbst der Tod wird dann seinen Schrecken für ihn verlieren. Der Inhalt der kirchlidien Dogmen, die Lehre von der Unsterblidikeit und Erlösung, mag ruhig als etwas Geglaubtes dazukommen, weil er nun einmal traditionell besteht. Er wird die Unabhängigkeit des moralisdien Bewußtseins im Leben nicJit aufheben können. Montaignes Gedanken wurden noch fortgesetzt von Charron (1541—1603) und Sandiez (1552—1632). Sie sind der Natur der Franzosen so konform gewesen, daß sidi die Gattung hielt und wir ihr immer wieder, vor allem bei den Moralisten zu Beginn der Aufklärung, begegnen werden. Quellen und Literatur. Montaigne: Oeuvres compl^tes, ed. Armigaud, 1924 ff. Die Essays, das Hauptwerk, deutsch von E. Kühn, 1900, W. Vollgraff, 1908 u. a. W. Weigand: Montaigne, 1911. G. Lansson: Les Essays de Montaignes, Paris 1931. J. Plat-
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tard: Montaigne et son temps, Paris 1934. F. Strowski: Montaigne, Paris 1938. P. Moreau: Montaigne, Paris 1939. E. Gilliard: Montaigne, Fribourg 1947. P. Barriere: Montaigne, Paris 1949. J. V. Manzey: Montaignes philosophy of human nature, N e w York 1949. H . Friedrich: Montaigne, Bern 1950.
B. Staat und Gesellschaft Man kann nidit sagen, daß die unter diesem Titel abgehandelten Lehren keine Beziehungen zur diristlidien oder heidnisdien Antike hätten. Im Gegenteil. Überall wird in dieser Übergangszeit auf ältere Gedanken zurückgegriffen. Aber langsam beginnt sich jetzt doch die eigene Erfahrung Im Umgang mit den Wirklichkeiten des Lebens mehr und mehr In den Vordergrund zu schieben. Dies ergibt dann jeweils ein eigenes Sachgebiet, wie es die Überschrift dieses und der nächsten Abschnitte anzeigen soll. 1. M a c h l a v e l l l NIcolo Machlavelll (1469—1527) war Staatsmann und Diplomat im Dienst seiner Vaterstadt Florenz. Als Gesandter lernte er die politische Praxis vieler Länder auch hinter den Kulissen kennen. Durch den Sturz der republikanischen Staatsform in seiner Heimat verlor er seine Ämter und lebte schließlldi In dürftigen Verhältnissen und einer unfreiwilligen Muße auf seinem Landgut. Erst dies gab Ihm Gelegenheit, in Erinnerung an seine frühere Tätigkeit und zugleich angeregt durch humanistische Studien, vor allem der römischen Historiker und des Polybios, sich auf die Grundlagen des Staates zu besinnen. Seine Hauptwerke sind die Betrachtungen über die ersten zehn Bücher der römischen Geschichte des Livlus und das Buch vom Fürsten, mit dem er die Gunst der neuen Machthaber In Florenz, der Medici, zu gewinnen suchte. Madilavelll will eine neue Wisensdiaft vom Staat schaffen; teils als bloße Erkenntnis, mehr aber noch als Riditlinle für die Praxis. Die Einsicht soll f ü r das Handeln des Staatsmanns von Nutzen sein. Dabei geht er nicht von einem großen Entwurf aus, sondern wirklich wie ein Praktiker
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von der sdiliditen Beobachtung der gegenseitigen Abhängigkeiten der natürlidien menschlichen Leidenschaften, der Einrichtungen und Verhältnisse, der Mittel der Klugheit und Berechnung, der möglichen Voraussagen im politischen Bereich. Er hat dies alles selber kennen gelernt in seiner diplomatisdien Tätigkeit und kann sich auf echte Erfahrung in seiner eigenen Zeit stützen. Aber als Humanist nimmt er sich doch zunächst die alte römische Geschichte des Livius vor und zeigt an ihren Beispielen, wie die Dinge ineinandergreifen. Indem er sich und seinen Lesern das klar macht, gewinnt er Regeln, die zwar aus einzelnen Fällen in der Vergangenheit gezogen sind. Aber weil — wie er voraussetzt — das Verhalten der Menschen zu allen Zeiten sich gleidi oder mindesten sich ähnlidi bleibt, kann er seine Regeln verallgemeinern und mit ihnen auch Voraussagen machen, die die politischen Verhältnisse beherrschen lehren. Es ist also gar nicht anders wie in der Naturwissenschaft auch. Eine Methode wird ausgebildet, und sie wird nur hier auf das schwierigere Gebiet der Politik, des Verhaltens der Menschen zueinander im Staat, angewandt, dort auf die äußere N a t u r , das Verhalten der unbelebten Körper zueinander in der Mechanik und Bewegungslehre. Allerdings ist diese Methode hier rein empirisch wie später nur bei Bacon, der siditlich auch unter dem Eindruck Machiavellis steht. Sie ist nicht apriorisch-mathematisch wie in der eigentlichen N a t u r wissenschaf t. Einige Beispiele solcher Regeln: Der Staat kann nicht auf die Dauer von einer Partei oder Klasse beherrscht werden, sondern muß in irgendeiner "Weise alle K r ä f t e des Volks zu ihrem Recht kommen lassen. — Jeder Staat braucht zur Erhaltung seiner Einheit der Aufgaben nach außen. — Das Volk ist im ganzen mutig, im einzelnen schwach. — "Wahres Verdienst sucJit man in schwierigen Zeiten hervor, in ruhigen Zeiten dagegen gelten weniger die Verdienstvollen als die Vornehmen oder Reichen. — "Wenn ein Volk an Fürstenherrsdiaft gewöhnt ist und frei wird, behauptet es nur schwer seine Freiheit. — Unterdrückte werden, wenn sie an die Macht gelangen, gewöhnlich selber wieder die ärgsten
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Unterdrüdser. — Kriegsmüde Völker erliegen leicht der feindlichen Propaganda. — Und vieles mehr., Was will Madiiavelli mit seinen Regeln? Nadi der Tendenz des Buchs vom Fürsten sieht es so aus, als ob er mit ihnen den Herrschern nur Rezepte in die Hand geben wollte, um sich in der Herrsdiaft zu erhalten und die Völker auszubeuten. Und in der T a t ist in der Folgezeit „Madiiavellismus" ein Schlagwort für skrupellosen Egoismus und Rüdksichtslosigkeit in der Politik, vor allem für rücksichtslosen Amoralismus. Es ist auch keine Frage, daß man Machiavellis Einsichten so benützen kann und sehr vielfach so benützt hat. Aber das ist doch nicht sein eigenes Ziel. Er selber konnte schon mit Redkt darauf hinweisen, daß er nicht nur den Fürsten die Möglichkeit gezeigt habe, die Völker zu beherrschen, sondern ebenso den Völkern, sich von der T y rannei zu befreien. "Wenn man aber nach seinen wahren Absichten fragt, so muß man sdion tiefer gehen. Vor allem muß man zweierlei unterscheiden: die theoretische Leidenschaft zur illusionslosen Erkenntnis der menschlichen Natur in ihrem wirklichen Verhalten und die praktischen politischen Ziele, die Machiavelli bei jedem Parteiwechsel unbeirrbar festhielt, die sich im Verlauf seines Lebens und Denkens sogar immer mehr in ihrem ursprünglichen Sinn klärten. Der Mensdi ist bei Machiavelli nicht mehr in mittelalterlicher Transparenz als Heiliger oder Sünder, gut oder böse gesehen, sondern als zwiespältiges "Wesen des Diesseits. N u r Not und Unbill in der Natur sind die Quellen der Vergesellschaftung und Einordnung in den Staat. Aber im Alltag cehren sich die Leidenschaften der Einzelnen allzu leicht gegeneinander. So bedarf der Mensch der großen gemeinsamen Ziele, an denen er wächst. Der Staat bindet die einzelnen zerstörerischen Leidenschaften und befreit den Menschen dadurch aus einer Not. Er steigert zugleich die Intensität und Größe des diesseitigen Lebens. Grandezza dell animo und fortezza dell corpo, Seelengröße und körperlich-
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sinnliche Stärke und Schönheit, entfalten erst die natürlidien Anlagen des Menschen. Sie erzeugen das, was Machiavelli virtü nennt und mit der altrömischen virtus, der Tüchtigkeit, gleichsetzt. Noch etwas kommt zu diesen theoretischen Zielen hinzu. Italien lag damals politisch darnieder in einem Zustand arger Zerrissenheit. Kleinere und größere Fürstentümer, Republiken und geistliche Staaten bekämpften nach dem Fortfall des mittelalterlichen Kaisertums einander. In den einzelnen Herrschaften rangen die Stände und Parteien um die Macht, eine löste immer wieder die andere ab. Das hatte Machiavelli nicht nur gesehen, sondern im eigenen Schicksal seines Lebens erfahren müssen. So suchte er den großen Mann, der der Einiger seines Landes werden und auch hier die gegeneinander gerichteten und sich zerstörenden Willen Aller zur Einheit und Entfaltung in politischer Größe bringen konnte. Da er aus Erfahrung nur zu gut wußte, daß dies niemals friedlidi und auf dem Weg der Einsicht geht, so verlangte er für die Verwirklichung dieser großen Ziele alle erforderliche Rücksichtslosigkeit, selbst Betrug, Wortbruch, Heudielei und offene Gewalt. Erst bei seinen Nadiahmern sind diese Mittel Selbstzweck und Ausdrude des bloßen Egoismus geworden. Machiavelli war von Haus aus Republikaner. Er hat in der Republik immer ein Ideal gesehen, in dem letztlich das ganze Volk an der politischen Größe teilnehmen kann. Aber in den korrupten Zuständen seiner Zeit konnte nur mehr Einer mit unumsdiränkter Gewalt Ordnung schaffen. So ist sein Buch vom Fürsten In Wahrheit eine Art von Gegengift für den polltisdien Verfall als Krankheit. Es Ist sldier nicht bloß der politischen Charakterlosigkeit und dem Opportunismus eines bequemen Parteiwechsels entsprungen. Quellen und Literatur. Gesamtausgabe der Werke von Fanfani u. a., 1873/77. Hist. und lit. Werke, ed. Manzoni u. Casella, Florenz 1929. Deutsdie Übersetzung der sämtl. Werke von Ziegler, 1831/42; von Floerke, 1925. Villari: Machiavelli e i suoi tempi, 4. Aufl. 1927; (deutsdi 1882). H . Freyer: Madiiavelli, 1938. Rene König: Machiavelli, Zürich 1941. L. Russo: Machiavelli,
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Rom 1945. L. Huovinen: Das Bild d. Mensdien im polit. Denken Machiavellis, Helsinki 1951. J. Barents: Inleiding tot het denken van Madiiavelli, Born 1952. Fr. Meinedse: Die Idee des Staatsraison i. d. neueren Geschichte, 3. Aufl. 1929.
2. S o u v e r ä n i t ä t u n d N a t u r r e c h t "Was Machiavelli von der praktisdien Politik her in den Zuständen der italienischen Zerrissenheit seiner Zeit erstrebte: die Konstituierung des weltlichen Staates und seine Ablösung vom Mittelalter, das wollte der Franzose Jean Bodin (1530—1596) auf juristischem Weg erreichen. Auch er stand dem gelehrten Humanismus nahe. In den Mittelpunkt seiner Lehre stellt Bodin den Begriff der Souveränität. Er übernimmt ihn vom römischen Kaiserrecht. Der neuzeitliche Nationalstaat war in Frankreich und England als geschichtliche Tatsache im Gegensatz gegen das Reich schon am frühesten vorgebildet. Bodin gibt ihm jetzt die juristisch- philosophische Grundlage. Dieser Staat muß aber auch im Innern umgebildet werden. Das mittelalterliche Reich war durch seine Lehnsverfassung ein Geflecht von Rechten und Berechtigungen Einzelner und Gruppen gewesen, die die Aktionsfähigkeit des Ganzen immer mehr behinderten. Der Staat ist nach Bodin eine durch Vernunft geregelte natürliche Gesellung seiner Mitglieder. Seine rechtliche Grundlage ist die Souveränität, das jus majestatis. Sie wird definiert als puissance absolue et perpetuelle, als absolute und dauernde Gewalt, durch die jede Ordnung erst erzeugt, jedes Gesetz erst gegeben wird. Sie ist daher allen einzelnen Rechten und Gesetzen überlegen, nadi der römischrechtlichen Formel: legibus solutus. Sie ist einheitlich, unteilbar, unübertragbar, unveräußerlich. Sie garantiert die Aktionsfähigkeit des Staates nach außen und muß sich daher audi im Innern durchsetzen gegen die Stände, Städte, Großen, geistlichen und weltlichen Rechte, Privatinteressen usw. Sie ist die Quelle der einheitlichen staatlichen Verwaltung. Sie gibt die Gesetze und hebt die Gesetze wieder auf, so wie es die politische Situation nach innen und außen hin und die jeweiligen Aufgaben erfordern.
B. 2. Souveränität und Naturrecht
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Es ist klar, daß diese politische Souveränität auch der Aristokratie und Demokratie zukommen muß, nicht nur der Monarchie. Überall muß eine Stelle da sein, die im Staat entscheidet, sei es nun ein Herrscher, eine Adelsgruppe, eine repräsentierte oder, wie in der Antike, körperlich anwesende Volksversammlung. Bodin selber wußte das wohl. T r o t z dem hat er nicht hinreichend genug untersdiieden zwischen der persönlichen Macht und Entscheidungsgewalt des Fürsten und der Souveränität des Staates. U n d das hat dann auch geschichtlich all den Irrtümern und Verstiegenheiten des Absolutismus später vorgearbeitet, die gerade Frankreich in der Revolution von 1789 blutig büßen mußte. Aber in seiner Zeit w a r Bodin doch der Wegbereiter der staatlichen Einheit. Er hat theoretisch das ermöglicht, was Heinrich IV. praktisdi f ü r den französischen Staat erstrebte und was dann die großen Kardinäle, Mazarin und Richelieu, vollendeten. Sj. Auch die deutsche Staatsphilosophie der Übergangszeit ist wie die der Franzosen juristischer H e r k u n f t , nicht politisch wie bei Machiavelli. Aber sie ist weniger einseitig römisdi-rechtlich orientiert. Johannes Althus (Althusius, 1557—1638) ist zudem in manchem bereits ein Vorläufer Rousseaus. Ursprung aller Vergesellschaftung ist nach Althus das natürliche Bedürfnis und die Unselbständigkeit des Einzelnen in der N a t u r . Die tatsächliche Vergemeinschaftung darf aber doch nicht um jeden Preis erfolgen. Sie ist nur dann sittlich zu rechtfertigen, wenn sie sich denken läßt als zustandegekommen durch einen freien Vertrag der Einzelnen. Hier beginnt in der Neuzeit die vielberühmte Vertragstheorie, die ihre Anfänge schon in der Antike hat. Dabei ist zu beachten, daß die Naturrechtslehrer diesen Vertrag dachten als eine Fiktion, als ein normatives Prinzip der Beurteilung f ü r bestehende Staaten, nicht, wie es die verkehrte Polemik des Historismus im 19. Jahrhundert glaubte, als unerwiesene und unerweisbare historische Tatsadie. N u r die Vorstellung der vertraglichen und also freiwilligen Ein-
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Stimmung macht die Staatsbürger zu wirklidien Lebensgenossen (symbiotici), denen alles gemeinsam ist, die sidi gegenseitig zu Beistand und Hilfe verpfliditet sind in einer Ordnung, die jedem Einzelnen seine Stelle im Ganzen zuteilt. Althus unterscheidet zwei Verträge: den allgemeinen Gesellschaf tsvertrag, der die Gemeinschaft überhaupt stiftet, und den Unterwerfungsvertrag. Dieser letztgenannte legt die Ordnung fest, die die Einen zu Herrschern, die Andern zu Untergebenen macht. Althus behält dabei, klüger und weitsichtiger als Bodin, dem' Volk die letzte, nie endgültig zu veräußernde Souveränität auch gegenüber dem Herrscher vor. Selbst diese Volkssouveränität ist noch beschränkt durch das ewige göttliche und menschliche Recht. Althus weiß (mit Aristoteles), daß audi das Volk ein Tyrann werden kann, „und zwar ein vielköpfiger". Das mag in der modernen politischen Praxis noch wie ein Rest von Mittelalter aussehen neben den radikalen Theorien von Machiavelli und Bodin. Es ist vielleicht auch noch Mittelalter, stammt aus einem reidbsrechtlidien, nicht einem staatsrechtlichen Denken. Aber es besitzt gerade damit eine Tiefe, die den andern Theorien abgeht. Berühmter als der über den Exzessen des souveränen Absolutismus bald vergessene und erst im 19. Jahrhundert von Gierke, dem Historiker des Genossenschaftsrechts, wiederentdeckte Althus ist der Holländer Huig de Groot (Hugo Grotius, 1583—1645). Audi er war Humanist und gelehrter Jurist. In seinem Werk De iure belli et pacis hat er die erste Theorie des Völkerrechts geschaffen. Das Völkerrecht ist das ergänzende Gegenstück gegen die absolutistische und die Staaten im Krieg gegeneinander vereinzelnde Souveränitätslehre. Grotius übernimmt von der Stoa und aus dem Christentum den Begriff des Naturrechts als eines allen Menschen ursprünglich zukommenden, ihnen von Gott erteilten, in ihrer Vernunft liegenden Rechts. Dieses Naturrecht geht
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allem positiven gesetzten Redit voran und ist dessen Quelle und Maßstab. Es muß selbst für den Krieg der souveränen Staaten untereinander Geltung behalten, auch im Krieg darf nicht alles Recht aufhören. Deshalb darf Ziel des Kriegs niemals die Vernichtung des Gegners sein. Vielmehr muß während seiner Durchführung der künftige Friede schon vor Augen stehen als ein vernünftiger Reditszustand, in dem die beiden Gegner miteinander leben können. Das erstreckt sich, soll sich erstrecken auf die Art der Kriegführung. In ihr darf der H a ß nie unversöhnlich werden. Vielmehr soll die Mensdilichkeit des Gegners immer anerkannt bleiben auch in jedem Gewaltakt. Alle humanitären Regelungen der Kriegführung: Aditungvor der Person und dem Eigentum der feindlichen Zivilisten, Frauen und Kinder, menschliche Behandlung der Kriegsgefangenen, ihre Rückgabe sofort nach Abschluß der Feindseligkeiten, Schonung der Verwundeten, Achtung vor den Toten gehen in der Neuzeit im Grund auf diese Ideologie zurüdc. Und sie wurden auch bis in den ersten "Weltkrieg hinein weitgehend beachtet. Erst da, wo der Krieg einen sogenannten weltansdiaulldien Hintergrund erhielt, in den Kämpfen der Konfessionen (30 jähriger Krieg) oder in der neuesten Zeit, wo Kriege eigentlich ideologisAe Bürgerkriege und Kreuzzüge, nicht mehr Kriege von Staaten gegeneinander, geworden sind, ist das Recht im Krieg auf allen Seiten einer rücksichtslosen Grausamkeit gewichen. Das hat einen historiscäi sehr wohl aufzeigbaren Grund. Hugo Grotius war der Konfession nach nicht katholisdi, wohl aber Christ. Er kannte also die die einzelnen Staaten übergreifende Einheit und Gemeinschaft nicht mehr in der Form der mittelalterlichen Hierarchie mit dem Papst als Haupt; nicht mehr als sacrum Imperium, als ein faktisch bestehendes Reich mit Vollzugsgewalt, sondern nur noch als geistige Einheit der Christenheit. Aus dem Christentum und seinen stoischen Quellen stammt im Grund der Gedanke des Naturrechts bei ihm. So wurde das Naturrecht der Menschen eigentlich zurückgeführt auf ihre christliche Brüderlichkeit über dem weit ichen Bezirk der Staaten. Die
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Humanität des Christen ist die Nächstenliebe. In der Form eines geistigen Gedankens, nidit mehr wie im Mittelalter als politische Form, sollte er die Staaten binden. Die Mensdiheit aber fiel ziemlich unbesehen mit der Christenheit zusammen, da ja der eigentlich aktuelle Gegensatz der Staaten und Konfessionen sich innerhalb der Christenheit abspielte. Die niditchristlidien Völker waren fern, stießen nur am Rand mit den abendländischen Staaten zusammen. Immerhin ist es charakteristisch, daß lange Zeit die Kriege und Eroberungen innerhalb des Abendlands, also der christlichen Staatengemeinsdiaft und ihres Bodens, grundsätzlich anders geführt wurden als z. B. auf dem Meer oder in der neuen Welt. Dies hat Carl Schmitt erst jüngst sehr lehrreich gezeigt (Der Nomos der Erde, 1951). Es ist ein Hinweis auf den Ursprung dieses Naturrechts und seine Grenzen. Quellen und Literatur. Bodin: Six livres de la republique, Paris 1576, lateinisch 1586. Oeuvres philosophiques ed. P. Mesnard, 1951 (Auswahl). Baudrillard: Bodin et son temps, Paris 1853. Chauvire: Jean Bodin, Paris 1916. G. Fickel: Der Staat bei Bodin, 1934. H. Striesow: Bodins Staatslehre, 1936. P. Mesnard: Jean Bodin, la methode de l'histoire, 1948. — Althus: Dicaeologicae libri tres, Herborn 1617. Politica methodice digesta, Herborn 1603; neue Ausgabe in den Harvard political classics, Bd. II, mit Einleitung, ed. C. Joadiim, 1932. Gierke: Joh. Althusius und die Entwidmung der naturreditlichen Staatstheorien, 3. Aufl. 1918. W. Buchholz: Rousseau und Althus, Breslau 1922. — Hugo Grotius: De jure belli et pacis, Paris 1625, ed. W. Schätze , 1950; deutsch von Kirchmann, 1869. De jure praedae, Haag 1869; deutsdi 1919. Erik Wolf: Grotius, 1927. J. Spörl: Grotius und der Humanismus des 17. Jh., Hist. Jahrbuch 1935. A. Hallema: H . de Groot, Haag 1942. M. van Eysinga: Hugo Grotius, Basel 1952.
3. D i e U t o p i e Die Staatsphilosophie Macäiiavellis, Bodins, Althus', de Groots ist entstanden unmittelbar aus der politisch-historisdien Situation der Neuzeit. Sie versucht, eine Theorie zu schaffen, die der großen-Aufgabe dieser Situation, der
B. 3. Die Utopie
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A u s b i l d u n g des m o d e r n e n s o u v e r ä n e n N a t i o n a l s t a a t s m i t seiner S t a a t s r a i s o n , gegenüber d e m v e r f a l l e n d e n m i t t e l a l t e r lichen Reich gerecht w i r d . D i e S t a a t s p h i l o s o p h i e l e h r t also nicht n u r diesen S t a a t theoretisch erfassen, s o n d e r n i h n u n d seine P r o b l e m e auch im Sinn einer R e c h t f e r t i g u n g u n d B e g r ü n d u n g d u r c h d e n k e n . M a n k a n n z w a r nicht sagen, d a ß die j e t z t z u besprechenden P h i l o s o p h e n g a n z o h n e Bezug auf die spezielle historisch-politisdie S i t u a t i o n a m A n f a n g d e r N e u z e i t p h i l o s o p h i e r e n . A b e r i h r e V o r s t e l l u n g e n sind doch w e i t m e h r abgelöste "Wunschträume. Dies k o m m t schon in d e m N a m e n „ U t o p i e " z u m A u s d r u c k , k e i n e m "Wort der griediischen Sprache, s o n d e r n einer gelehrten P h a n t a s i e b i l d u n g aus öv u n d T^onog z u s a m m e n g e s e t z t , zu deutsch: das L a n d N i r g e n d w o . "Weder P i a t o n s u n d des Aristoteles, n o d i d a s S t a a t s d e n k e n der bisher besprochenen P h i l o s o p h e n ist in diesem g e n a u e n Sinn o h n e tonog, o h n e geschiditlichen O r t , also „ U t o p i e " . Den N a m e n Utopie hat Thomas Morus (1478—1535) e r f u n d e n , d e r englische K a n z l e r , d e r s p ä t e r f ü r seinen k a t h o lischen G l a u b e n als M ä r t y r e r auf d e m S c h a f o t t gestorben ist. E r n a n n t e „ U t o p i a " eine Insel, auf der er sidi ein S t a a t s w e s e n in r o m a n h a f t e r F o r m vorstellte, d a s schöner w a r als die "Wirklichkeit. N a t ü r l i c h h a t auch h i e r f ü r w i e d e r die A n t i k e , nämlich d a s kleine d e m T i m a i o s a n g e h ä n g t e F r a g m e n t K r i t i a s v o n P i a t o n , als V o r b i l d gedient. I n diesem S t a a t N i r g e n d w o gibt es k e i n E i g e n t u m u n d k e i n G e l d , Rechte u n d Pflichten sind gleichmäßig auf alle B ü r g e r v e r t e i l t . V o r a l l e m gibt es nicht die g r o ß e n u n d krassen U n t e r s c h i e d e zwischen A r m u n d Reich, E l e n d u n d L u x u s , u n t e r d e n e n E n g l a n d besonders litt. Es herrscht v o r wiegend N a t u r a l w i r t s c h a f t , die B e d ü r f n i s s e d e r M e n s d i e n sind einfach u n d bescheiden. D u r c h sechsstündigen A r b e i t s t a g e r h ä l t J e d e r M u ß e z u r A u s b i l d u n g seines Geistes. D e r G l a u b e ist f ü r J e d e n f r e i — allerdings bei A n e r k e n n u n g der religiösen G r u n d w a h r h e i t e n der V e r n u n f t , die ä h n l i d i den s p ä t e r e n H e r b e r t s v o n C h e r b u r y gedacht sind, v o n
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denen wir gehört haben (Seite 34 f.). Die soziale Ordnung ist ein Ausdruck der Harmonie, die die ganze "Welt erfüllt— eigentlich ein stoischer Gedanke. Allerdings muß, damit dies durchführbar wird, die grobe Arbeit wieder von Sklaven verrichtet werden wie in der Antike. Der Krieg darf, so weit er überhaupt nötig ist, nur als Verteidigungskrieg von Söldnern und Sklaven geführt werden, zum Schutz der Handelsinteressen oder zur Befreiung anderer Völker von ihren Tyrannen — weniger ein humanitärer als ein angelsädisiscJier Gedanke bis heute. üSolche Utopien waren auch sonst zu Anfang der Neuzeit beliebt, das zeigt ihr Auftreten unter anderem Namen auch in andern Ländern. Sie waren vielfacJi ein Ventil der Phantasie unter dem Druck einer harten, der eigenen Existenz nidit angemessenen politischen "Wirklichkeit. Thomas Campanella (1568—1639) hat in ähnlicher "Weise in Italien einen „Sonnenstaat" erfunden. Er geht wie Piaton davon aus, daß menschliches Dasein nur in der Gemeinschaft möglich ist. Die Einheit dieser Gemeinschaft verbürgt dann ein Priesterfürst, Sol oder Metaphysikus genannt, der sie leitet. Ihm stehen drei Gehilfen zur Seite, die die menschlichen Grundkräfte Macht, "Weisheit und Liebe verkörpern. Vor allem aber ist in diesem Gemeinwesen alles bis ins Kleinste von oben her durdi Verwaltung geregelt, damit kein Mensch von der göttlich gegebenen Ordnung abweichen kann. Als Erziehungsgrundlage dienen schon nicht mehr humanistische oder theologische Fächer, sondern ganz modern Mathematik und Naturwissenschaft. In einem großen Anschauungsunterricht werden die Bilder und Begriffe an die "Wände der Häuser gemalt wie in modernen Ausstellungen oder der Propaganda politischer Parteien heute. Ziel ist ein wirtschaftlich für Alle gesichertes und behagliches, aber streng diszipliniertes Leben, in dem Arbeit und Essen, Genuß, Glaube, Parung und "Wohnung jedem Einzelnen genau gleich zugemessen sind. Überhaupt ist das ganze Tun und Lassen von früh bis spät vorgeschrieben. Aller "Wille geht
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auf Macht aus, Macht aber wird durch Wissen gewonnen und in der Einsicht zum "Wohl aller Menschen verwendet. Campanella selber hat einen phantastischen Aufstand gegen die spanisch-päpstliche Herrschaft in seinem Land versucht. Er scheiterte damit sdion im Beginn und mußte 30 Jahre lang in Kerkern büßen. M-
Die modernste und eigenartigste Utopie ist das Fragment Nova Atlantis, die unvollendete Alterssdirift des Engländers Bacon (1561—1626). Als empirischer Naturwissenschaftler wird Bacon uns noch später beschäftigen (Seite 74 ff.). Wie er sich die Verteilung der Arbeit und ihres Ertrags dachte, wissen wir nicht, weil dieser Teil des Buchs nicht mehr zur Durchführung gekommen ist. Dagegen ist das utopische Zukunftsland bei ihm beherrscht von der Organisation der Wissenschaften. Als Technik unterwerfen sie dem Menschen die Natur und helfen dadurdi sein Leben sichern und bequemer gestalten. Was die Technik in der Neuzeit bedeutet, wird noch in Verbindung mit der Naturwissenschaft zu zeigen sein. Und hier ist Bacon gar kein Utopist und Phantast gewesen, sondern einer der großen Beginner und Erfinder der Methode. Sein technisierter Staat dagegen ist zu seiner Zeit noch eine Phantasie, die so weit vorausgreift, daß sie die politisch-philosophischen Probleme des eigenen Jahrhunderts übersieht. Sie kann nicht an diese Probleme angeknüpft werden und liegt also historisch im Nirgendwo. Immerhin ist es heute, wo diese Fragen eine ganz andere Aktualität besitzen als damals, eindrucksvoll zu lesen, wie Bacon alles, was damals noch ganz außerhalb der menschlichen Möglichkeiten lag, sidi ausmalt: vom Unterseeboot, Mikroskop, Fernrohr, Maschinen und Fabriken aller Art, bis zum Perpetuum mobile, vor allem eine großartige Organisation der menschlichen Gesundheit und Krankheit mit Forschungsstätten, Laboratorien und Abwehr- und Heilungsmaßnahmen, wie sie selbst heute in Amerika nodi nie!« existieren. Er meinte, daß durdi diese techniscJie Naturbeherrschung allein scJion Glück, Frieden und Harmonie in der 4 S c h i l l i n g , Gesdiidite der Philosophie VI
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Mensdiheit hergestellt werden könne. Es ist ein Glaube, der heute sogar durch alle Kriege und Nöte, in die die Mensdiheit geraten ist, noch nidit einmal überall enttäuscht werden konnte. Quellen und Literatur. Thomas Morus: Omnia opera latina, Louvain 1566, English works, ed. W. Campbell u. a., Louvain 1927/31. Utopia, deutsdi bei Reclam, und von Hartmann, Basel 1947. The corespondence of T L Morus, Princeton 1947. R. W. Chambers: Thomas More, London 1935, deutsch: Basel 1947. G. Ritter: Maditstaat und Utopie, 1940. R. Arnes: Citizen Th. M. and his Utopia, Princeton 1948. — Campanella: Gesamtausgabe (unvollendet), Paris 1637 fF., und in 2 Bdn. ed. d' Ancona, Turin, 1854; des Sonnenstaats von Palladier, 1920, deutsch von Wessely, 1900. Amabile: Fra Thomaso Campanella, 1880/82. T. Corsano: Campanella, Messina 1940. A. Testa: Campanella, Milano 1941. A. Nicotra: Campanella, Firenze 1948. L. Firpo: Contributo alla bilbiografia campanellana, Rev. stör, filos. 1948. — Für Bacon siehe die Literaturangaben Seite 79.
C. Die Entdediung der Natur Sie ist von allen Themen der Neuzeit das wichtigste und umfangreichste. Sie geht zwar auch noch vom Altertum und seinen überlieferten Problemen aus, befreit sich aber dann in den verschiedenen Zweigen des mathematisch-physikalischen, naturphilosophisdien, biologischen und technischempiristischen Denkens am meisten von den antiken Vorbildern, tritt am intensivsten mit dem Gegenstand selber unabhängig von aller Tradition in Berührung. Sie ist in der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert das Zentralgebiet geblieben, nicht Thema der Philosophie selber, aber das Gebiet, von dem aus die Philosophie gewöhnlich den Absprung ihrer Untersuchungen des Ursprungs nimmt, auf dem sie die Frage nach dem (jenseitigen) Sein des (diesseitig) Seienden stellt. 1. M a t h e m a t i s c h - p h y s i k a l i s c h e W i s s e n s c h a f t Es ist merkwürdig, daß die moderne mathematische und physikalische Wissensdbaft im Mittelalter ein Vorspiel besitzt. Hierin sind manche Einsichten ihrer Anfänge, vor allem aber ihre Erkenntnisweise trotz aller Untersdiiede
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grundsätzlidi schon vorweggenommen. Und zwar in der Pariser Ockhamistenschule im 14. Jahrhundert bei Nikolaus von Oresme, Johann Buridan und andern. Als dies im 20. Jahrhundert entdedst wurde, hat man die Abhängigkeit Galileis und der neuen Mathematiker von diesen Kreisen zuerst ziemlidi überschätzt. Neuerdings ist man wieder etwas davon zurückgekommen, weil man die Unterschiede schärfer sehen lernte. Aber gerade trotz dieser Unterschiede und der wohl geringen literarischen Abhängigkeiten ist gerade die Erfindung einer ähnlichen Denkweise zwei Mal nadieinander in der Geschichte so aufschlußreich und kennzeichnend. Die Schule Ockhams war in der Scholastik wie ihr Meister nominalistisch. Der Geist der frühen ockhamistischen Naturwissenschaftler ist vielleicht sogar nominalistischer als der der klassischen Naturwissenschaft bis ins 18. Jahrhundert hinein; sicher nominalistischer als z. B. Keppler, Leibniz, Newton. Erst von da ab entfremdet sich die Naturwissenschaft endgültig der Metaphysik. Am Anfang der neuen Naturwissenschaft steht Kopernikus (1473—1543). Die große T a t des stillen Forschers ist die Lehre von der Bewegung der Erde um die Sonne. Er wollte diese Lehre allerdings nur als eine einfachere H y p o these zur Erklärung und geometrischen Darstellung der Gestirnbewegungen verstanden wissen, da er sich der Relativität der Bewegung vom Standort des Betrachters durchaus schon bewußt war. Angeregt war er bei seinen Gedanken durch die Schriften des Nikolaus von Cues, des Marsiglio Ficino und durch Berichte Plutarchs über griechische heliozentrische Theorien im Pythagoreerkreis. Die revolutionäre Bedeutung seines Gedankens lag darin, daß durch die Bewegung die Erde als Zentrum der irdischen "Welt und ruhender O r t der Menschwerdung Christi zu einem Gestirn unter andern Gestirnen wurde. N o d i mehr aber in der grundsätzlichen Aufhebung des Unterschieds zwischen irdischer Mechanik und Himmelsmechanik, die dann erst Galilei und Newton vollendeten. Sdion f ü r Aristoteles galt die Welt unter dem Mond als
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Ort der unvollkommenen Bewegungen, d . h . als Ort, an dem jedes Sein mit Nichtsein (Möglidikeit) verknüpft war. Der Stein kann ruhen (an seinem „natürlidien O r t " unten), er kann aber auch bewegt werden (durch Gewalt). Ruht er, so ist er nicht bewegt, bewegt er sich, so rnht er nicht. Als Stein ist er also immer zugleich Sein (der Ruhe) und Niditsein (möglicher Bewegung) zusammen. Die Mischung von Sein und Nichtsein ist Unvollkommenheit. Solche Unvollkommenheit gibt es bei der Bewegung der Gestirnsphären nicht. Sie ist Kreisbewegung von Kugelschalen, die, wenn sie ihren Umschwung vollendet haben, „ihren Anfang wieder an ihr Ende knüpfen". Sie sind also ewige, nie abgesdilossene, unermüdbare, daher göttliche Bewegung, reines nidit mit Nichtsein vermischtes Sein. Dieses Natursystem hatte das Mittelalter bei Albert und Thomas von Aquin übernommen und durch die christliche Gnadenwelt ergänzt, ausgestaltet und umgebildet. Die Erde allein mit ihren „unvollkommenen" Bewegungen galt jetzt als Diesseits, am Himmel begann schon mit den ewigen, gleichförmigen und unermüdbaren Gestirnumschwüngen das Jenseits Gottes. Er selber wurde budistäblich als thronend gedacht in dem „Raum" jenseits allen Raums, der über der letzten Fixsternschale des aristoteliscJi-ptolemeischen Systems begann. Inmitten der Erde dagegen war als Ergänzung zu diesen ewig freien „himmlioien" Bewegungen der finster heiße Zwangs- und Strafraum der Hölle. (Dies ist genauer dargestellt im I. Bd. meiner Geschichte der Philosophie, 2. Aufl. 1950, unter Aristoteles und Thomas.) U n d nun ist es klar: Wurde diese grundsätzliche Untersdieidung zwischen Erde und Himmel durch eine astronomische Hypothese aufgehoben, so mußte zwar nidit das ganze Christentum als Religion, wohl aber die aristotelischthomistische Weltordnung einstürzen, weil hier auf einmal kein denkbarer Ort mehr vorhanden war, an dem der jenseitige Gott wohnen und die Stufenordnung des Aufstiegs zu ihm hin heiligen konnte. So hat sich die Kirche bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein gewehrt, den Kampf gegen Kopernikus aufzugeben.
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In der Tat hat die Entgöttlidiung der Gestirne, die Nivellierung der ewig-himmlichen Bewegung zur bloßen Mechanik von Körpern, eine nidit leicht zu überschätzende Bedeutung. Seit sidi das menschliche Dasein nach der Eiszeit als Ackerbaukultur eingerichtet hat, ist alles Bauen und mit ihm jeder Kult ausgerichtet nach Sonnen- oder Sternaufgängen. Es konnte überhaupt nur im ganzen Raum mit einer bestimmten „Orientierung" gebaut werden. Das hat sich von den vorgeschichtlichen Heiligtümern über die Bauweise des alten Orient, dem griecliisdien Tempel bis zur christlichen Kirche gehalten. AucJi sie ist bekanntlidi noch „orientiert". Die Orientierung ist nur ein Zeichen dafür, daß der Raum als ganzer sinnvoll war und sida audi auf der Erde nadi der Heiligkeit der Maße des Himmels richtete. Mit der Angleichung der irdischen Mechanik an die Himmelsmechanik ist diese Möglichkeit aufgehoben. Es ist kein Zufall, daß die Neuzeit keine neue große Architektur mehr erfunden hat, daß im Barock bloß die Bauausstattung der alten in ihrem Grundriß seit der romanischen Zeit feststehenden christlichen Kirche fortentwickelt und noch einmal erneuert wurde. Die Kunst der Neuzeit ist Malerei und Musik, nicht mehr Architektur. Nodi die verfahrene "Willkür heutigen Bauens ist eine Folge des Mangels echter „Orientierungs"- d. h. Heiligungs- und Prägungsmöglidikeit des Raums überhaupt. Dies aber ist letztlich eine Folge der Tat des Kopernikus, d. h. der Gleichstellung von Erd- und Himmelsmechanik. Erst wenn wir die Zusammenhänge auf diese Weise verstehen, wird uns der Sinn des neuen Denkens wirklich klar. Galileo Galilei (1564—1642) hat zwar als Ingenieur und Mechaniker in dem genialen Maler Leonardo da Vinci (1452—1519) einen Vorläufer gehabt, bei dem sich nidit nur manche späteren Erkenntnisse, sondern vor allem die entscheidende Denkweise klar ausgebildet finden. Da aber die Aufzeichnungen Leonardos unbekannte Fragmente geblieben waren, die erst im 19. und 20. Jahrhundert wieder aufgefunden wurden, so stand er literarisch nidit unter
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seinem Einfluß. Dagegen hat Galilei, der selbst seine mathematisAe Begabung erst spät entdeckte, von dem größten griechischen Mathematiker, Archimedes, und auch wohl von Platon gelernt. Das Schicksal Galileis entschied sich durdi seinen Kampf für das kopernikanische "Weltsystem. Er sudite es mit einer Fülle von Einzelbeweisen aus der Erd- und Himmelsmechanik zu stützen und den Jesuitenorden und die Kirche dafür zu gewinnen. Dies aber scheiterte. Er wurde unter demütigenden Umständen zu einem "Widerruf seiner besseren Meinung gezwungen und hat in seinen letzten Lebensjahren nur mehr — streng bewacht und seelisdi gebrochen — mit einem kleinen Kreis von engeren Schülern zusammen arbeiten können. Dies und der Prozeß gegen Bruno hat fast ebenso wie alle Reformationen die unheilvolle Spaltung des neuzeitlichen Bewußtseins zwischen kirchlichem Kult einerseits, Philosophie und Wissenschaft andererseits bewirkt. In Philosophie und "Wissenschaft lebte die Religion nicht minder als in der Kirche. Und es hat am Ende nur die Aufklärung als einen Gegner der Kirche, Religion und Philosophie in ungeahnter "Weise gestärkt. Galilei hat gesagt: „Der letzte Zweck unsrer Mühen ist die Liebe zum göttlidien Sdiöpfer und die Hoffnung, von ihm, dem Quell des Lidits und der "Wahrheit, jede andere "Wahrheit zu empfangen." (Ed. naz. "V, 188.) In der Forsdiung selber aber galt für ihn: „Eine selbst schlichte "Wahrheit zu finden, ist wichtiger, als über die höchsten Dinge ausführlidi zu diskutieren, ohne überhaupt die "Wahrheit zu erreichen." (Ed. naz. I"V, 738.) In seiner Methode ist Galilei Mechaniker und Ingenieur. Er versucht nicht Tatsachen zu sammeln und dann durch "Verallgemeinerung Schlüsse daraus zu ziehen, sondern die Kräfte in der Natur gegeneinander in der Beobaditung abzuwägen und dann selber einzugreifen. Er ist weder Säolastiker wie Nikolaus von Cues, noch Naturphilosoph wie Bruno, noch Empirist wie Bacon. Die Analyse eines einzigen genau vorgestellten Falls vermittelt ihm einen mathematisdien Entwurf von den Zusammenhängen und gegenseitigen Abhängigkeiten der Dinge. Dieser Entwurf
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wird dann an den Tatsadien praktisdi erprobt. So werden z. B. auf der Suche nach einer Formel für den freien Fall der Körper der Weg, die Masse, die Geschwindigkeit, das mehr oder weniger hemmende Medium als Faktoren isoliert und dann in einem mathematisdien Modell, das den Anteil jedes einzelnen dieser Faktoren genau zu bestimmen erlaubt, wieder zusammengebaut. Bei diesem Entwurf versuchte es Galilei zunächst audi mit anderen Formeln, bis er die riditige gefunden hatte. Diese richtige Formel ist also keine Abstraktion aus einer beliebigen möglidist reichhaltigen Sammlung von Tatsachen, etwa dem Fallen einer Bleikugel, eines Steins, eines Holzes, einer Feder, das empirisch nachgemessen wurde. Es ist vielmehr ein selbständiger Entwurf, ein Vorurteil auf Grund der Analyse eines Falles, mit dem ich an die Natur herantrete und sie prüfe. Ich kann auch gar nicht alle möglichen Fälle — im Verhältnis zur Unzahl der Wirklichkeit sogar nur einen verschwindend kleinen Teil — experimentell nachprüfen. Die Behauptung, daß die Formel für den freien Fall der Körper ein allgemeingültiges Naturgesetz ist, ruht daher methodisch nicht auf Erfahrung, sondern auf dem übergreifenden und vorausgesetzten Glauben an die Konstanz und Vernünftigkeit der Natur. Er macht den Entwurf logisch erst zu einem Allsatz und damit zur Prämisse in einem Syllogismus nach dem Modus Barbara. Galilei hat diesen Glauben noch unbefragt zugrunde gelegt. Kepler wird ihn religiös fundieren. Leibniz, der Philosoph, erst wird ihn in seinem System metaphysisch rechtfertigen können. Dazu kommt noch etwas. Galilei hat — nicht als erster, aber wohl am intensivsten — die so folgenreiche Verbindung der Naturerkenntnis mit der Mathematik geschaffen, die bis heute herrschend geblieben ist. Was für eine Bedeutung das hatte, sieht man historisch daran, daß der sonst rein tedonisch ebenso richtig gedachte methodische Empirismus Bacons mangels dieser Verbindung zur Mathematik als unfruchtbarer Seitenweg stecken geblieben ist. Mathematisch kann
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ich die Natur nur erkennen, wenn idi alles quantifiziere, nicht nur das eigentliche Quantum, auch die Qualitäten wie Temperatur, Farbe, Ton usw. Das ist methodisch immer möglich, wenn man Größenidentität, Reihenform und Riditung, Streckengleichheit, Nullpunkt und Größeneinheit als Skalenelemente exakt festlegt und so das Quäle in seinen nur gefühlten intensiven Differenzen auf die Maßzahlen eines quantitativ gedachten Modells mathematisch abbildet. Man kann dann auch jederzeit von jedem Phaenomen der Wirklichkeit zur Rechnung und von jedem Ergebnis der Rechnung wieder auf jedes versudite und vorausgesagte im Experiment sidi bewährende Phaenomen der "Wirklidikeit übergehen. Erst dies ermöglicht die Fruchtbarkeit des Experimentierens der neuzeitlichen Naturwissenschaft und ihre Anwendbarkeit in der Technik bis heute. Das Experiment Ist selber Erkenntnis und die Erkenntnis mathematisch-physikalisches Experiment. Dies madit es allerdings audi, daß das von der Natur im mathematischen Modell jeweils Erkannte immer mehr bloßes Zeichen für den Zusammenhang angenommener Elemente wird. Die Elemente selber in ihrer Realität bleiben unerkannt und dahin gestellt. So führt diese Erkenntnisweise — wenigstens später — zu einem extremen Nominalismus. Dies ist bei Galilei noch nicht der Fall, wohl aber als Möglidikeit sdion angelegt, dann in den großen Systemen von Kepler, Descartes, Leibniz u. a. durch metaphysische Rückbindung hintangehalten und erst im 18. und 19. Jahrhundert in der Umdeutung der methodisdien Quantifizierung der Erkenntnis zu einem metaphysisch quantitativen Materialismus der Dinge ohne philosophischen Hintergrund voll entfaltet. Johannes Kepler (1571—1630) hat wohl sehr viel von Galilei gelernt, wie er in seinen Briefen selber zugibt. Aber er ist wissensdiaftlich doch mehr der Fortsetzer des Kopernikus, philosophisch aber der tiefere Kopf. Bei seiner Vollendung des kopernikanischen "Weltsystems sind ihm die
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ausgezeidineten Beobaditungsprotokolle des Astronomen Tydio de Brahe (1546—1601) zugute gekommen. Tydio selber hatte ein Vermittlungssystem zwischen Kopernikus und Ptolemäus versudit, war aber damit gescheitert. Ebenso wie Galilei hat sidi Kepler auf allen Gebieten der Mathematik und Physik betätigt: der Optik, Dioptrik, Akkustik, Witterungskunde, Klimatologie und vor allem in der Mechanik und Astronomie. Mathematisch ist er einer der wichtigsten Vorläufer der Differential- und Integralrechnung. Seine große astronomische Leistung ist die Aufstellung der drei Gesetze der Planetenbewegung. Sie bestimmen die Planetenbahnen geometrisch als Ellipsen und berechnen ihre Geschwindigkeiten im Verhältnis ihres Abstands zur Sonne. (Die Planeten bewegen sich mit einer Gesdiwindigkeit, in der die Radien ihrer Vektoren in gleichen Zeiten gleiche Flädienräume überstreidien. Ihre Bahnen sind Ellipsen, deren einer Brennpunkt die Sonne ist. Die Quadrate ihrer Umlaufzeiten verhalten sich zueinander wie die Kuben ihrer mittleren Entfernung zur Sonne.) In diesen Formulierungen konnten erst auf Grund der genaueren Beobachtungen Tychos die Phaenomene am Himmel mit der Theorie des kopernikanischen Systems wirklich in Einklang gebracht und dieses aus einer Hypothese neben andern möglichen Hypothesen zu echter Erklärung gemacht werden. Daneben hat Kepler bereits eine der späteren newtonschen ähnliche allgemeine Attraktionshypothese erwogen. Das "Werk, das alle diese Forschungen zusammenfassen sollte, der Hipparch, ist Fragment geblieben und verloren gegangen, er selber ist darüber gestorben. Fast noch größer als die naturwissensdiaftlidie ist die philosophisdie Bedeutung Keplers. Kepler will die lebendig geschaute und gefühlte Schönheit der Natur, vor allem die Schönheit des gestirnten Himmels, durch einen exakten geometrisdien Entwurf nachdenken. Dieses Nachdenken versetzt sich sozusagen in den Schöpfungsgedanken Gottes hinein. Er fand Ähnliches zwar schon bei Piaton vor, es ist aber vor allem sein religiöses Grunderlebnis und der Antrieb zu seinen wissenschaftlichen Forschungen. Er ist nicht im
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gleichen Maß Techniker und Ingenieur wie Galilei. Der geometrische Entwurf steht viel ausschließlicher am Anfang der Methode als die Beobachtung. Gott hat die Welt rechnend harmonisch geschaffen. Wenn wir als Menschen nadi biblisdier Lehre „Büd Gottes" sind, muß audi in unserer Vernunft — wenigstens nadibildlidi und sdiwach — die Fähigkeit liegen, diese Schöpfungsgedanken Gottes in der rechnenden menschlidien Vernunft neu zu erzeugen. Dies gesdiieht in der Geometrie. Der Mensch ist aber doch nidit in gleicher Weise wie Gott schöpferisch, seine Gedanken und Rechnungen haben und bekommen keine dinghafte Wirklichkeit, dadurch daß er. sie denkt, wie die des ardietypischen Verstands Gottes. Die Gedanken Gottes sind unmittelbar wahr, weil sie die Welt erzeugen, indem sie sie denken. Dagegen kann der Gedanke des MenscJien, sein errechneter Entwurf, nur dadurch nachträgliche Wahrheit bekommen, daß er sie mit der sinnlich erfahrenen, von Gott geschaffenen, ihm gegebenen äußeren Wirklichkeit vergleiAt. Dies rechtfertigt die Rolle der Beobachtung und Erfahrung in der Physik. Es verpflichtet zudem sittlich zu genauester Beobachtung aus Respekt vor dem Werk Gottes. Kepler hat dies sehr ernst genommen. Die Frage, wie Denken und Realität miteinander übereinstimmen, kann also innerhalb der ganzen von Gott geschaffenen harmonischen Schöpfung, die beide umspannt, nie aufkommen. In diesen Vorstellungen sind jetzt die Verallgemeinerungen der Naturgesetze zu Allsätzen, die die Erfahrung nicht rechtfertigen kann und gar nicht vollständig, nur im Beispiel, rechtfertigen braucht, und die bei Galilei eine mehr oder weniger selbstverständliche Voraussetzung und Annahme der Konstanz und Vernünftigkeit der Natur waren, in ganz anderer Weise metaphysisch begründet. Sie beruhen auf dem Glauben an die allgemeine Harmonie der Schöpfung, der Harmonie zwischen dem redinenden Verstand des Menschen und der Welt. Gott kann, sofern er nur das höchste, beste Sein ist und seine Tat die Weltschöpfung, die Vernunft des Menschen grundsätzlich nur so geschaffen
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haben, daß sie mit seinen andern Werken, den Bewegungen der Gestirne, übereinstimmt. Wenn wir rechnend durch unbedingt allgemeine Formeln der Geometrie die Welt begreifen, so ist das nichts anderes als ein Nachdenken der Gedanken Gottes. Deshalb ist die Physik auch von so großer Bedeutung für das Leben des Menschen. Dies ist bei Kepler ein ganz lebendiger Glaube, von dem er oft in seinen Forschungen und Briefen gesprochen hat. Erst bei Descartes wird es zu einem philosophisch ausdrücklichen Gedanken über die Möglichkeit unserer Erkenntnis von der Außenwelt, bei Leibniz zu der den keplersdien Vorstellungsweisen noch ähnlicheren berühmten Formulierung von der „prästabilierten Harmonie" der Schöpfung. Leibniz ist sich seiner Abhängigkeit von Kepler durchaus bewußt gewesen; er hat ihn einmal „den unvergleichlichen Mann" genannt. Wenn Kant im berühmten „Beschluß" der Kritik der praktischen Vernunft von den „zwei Dingen" spricht, „die das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: dem bestirnten Himmel über mir und dem moralischen Gesetz in mir", so gilt eigentlich nur das zweitgenannte wirklich für seine Philosophie. Das erstgenannte, der „bestirnte Himmel" mit der Harmonie seiner Bahnen ist für ihn nur mehr Erscheinung, seine Bewunderung bei Kant ein stecken gebliebenes Rudiment früherer Zeiten. Dagegen gibt der Satz Kants in seinen ersten Teil voll und ganz der Gesinnung Ausdruck, mit der das 17. Jahrhundert von Kopernikus und Kepler bis Leibniz Astronomie getrieben hat. Der Vollender der klassischen Naturforschung der Neuzeit ist der Engländer Isaac Newton (1643—1727) geworden. Ihm ist es — nach Vorarbeiten des großen Holländers Huygens (1629—1695) und anderer — endlich gelungen, die versdiiedenen Forschungen auf den Gebieten der Astronomie, Mechanik, Optik und Bewegungslehre auf eine ein-
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zige Formel zu bringen. Er benützt dazu die gleichzeitig mit Leibniz, aber unabhängig von ihm geschaffene Infinitesimalrechnung, die er nicht mit dem heutigen (von Leibniz stammenden") Namen der Differenzial- und Integralredinung belegte, sondern Fluxionsredinung nannte, Berechnung der fließenden (und bis auf Null sdiwindenden) Größen. Dies war erforderlich, um den Unterschied zwischen gradlinigen und krummlinigen Bewegungen, zwischen Bewegung und Ruhe zu überbrücken. Das allgemeine Gravitationsgesetz Newtons besagt, daß zwei Körper im Raum sich zueinander verhalten,, als ob sie sidi mit einer Kraft anzögen, die proportional dem Produkt ihrer Massen, umgekehrt proportional dem Quadrat ihrer Entfernung ist. Alle Bewegung wird hier meßbar gemacht, indem ich den durchlaufenen Raum und die durchlaufene Zeit unterscheide und sie durch den Quotienten dieser beiden Faktoren in ihrer Geschwindigkeit definiere. Die Geschwindigkeit kann konstant bleiben oder sidi ändern. Durch den Begriff der Beschleunigung, der Geschwindigkeitszunahme in der Zeiteinheit, gewinnen wir die Möglichkeit, Bewegungen konstanter und wechselnder Beschleunigung als Sonderfälle der Bewegung überhaupt zu unterscheiden. Durdi Zerlegung im Parallelogramm der Geschwindigkeiten gelingt die Berechnung krummliniger Bewegungen und ihre Eingliederung in den allgemeinen Bewegungsbegriff. Durch den Gedanken der bis auf Null sinkenden Bewegung wird die Ruhe ein Grenzfall der Bewegung. Die Beherrschung aller möglichen Bewegungsfälle in einer Formel vereinheitlicht von selber Erd- und Himmelsme(lianik und hebt die aristotelisch-thomistischeUntersdieidung spezifisch irdischer und himmlischer örter, damit aber auch das ganze mittelalterlidie Stufensystem der Heiligung bis zu dem jenseitigen Gott hin, auf. Aber Newton selber ist doch nidit der reine Physiker und Mathematiker gewesen, als der er in der unvollständigen und tendenziösen Vorstellung der modernen Naturwissensdiiaft herumgeistert; der Mann, der nur gesagt habe „hypotheses non fingo" und sidi damit streng auf das Erweisbare
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seiner Forsdiung beschränkt. "Wer sein Werk selber liest, kann leidit sehen, daß der Ausspruch, er madie keine Hypothesen, sidi gar nicht auf die Metaphysik, sondern auf sdiolastisdie okkulte Qualitäten und cartesianische Wirbeltheorien bezieht. Darüber hinaus hat er bekanntlich einen Kommentar zur Apokalypse des Johannes verfaßt, der nidit gerade rein physikalisch aus den Phänomen folgt oder ohne Metaphysik auskommt. Man kann aber auch nicht die bequeme Zuflucht zu einer sauberen Trennung von persönlidier Frömmigkeit und naturwissensdiaftlidier Forschung bei Newton nehmen. Man könnte hödhstens sagen, daß ihm, dem Forscher, die Verbindung zwischen Physik und Metaphysik nicht in gleich befriedigender "Weise gelungen sei wie den großen Philosophen. In der Physik selber liegt nämlich als unaufhebbare und jeden einzelnen Zug der Theorie erst begründende und ermöglichende Vorstellung Newtons Annahme des absoluten, unbeweglichen und ohne Beziehung auf jeden Gegenstand wirklichen Raums, der absoluten, gleiciiförmigen, von jedem Beobachter unabhängig verfließenden Zeit. Woher stammen diese merkwürdigen Begriffe, und was bedeuten sie in der Physik? Newton hat sie bekanntlich literarisch von seinem Landsmann Henry More, dem (S. 26 f.) behandelten Neuplatoniker, übernommen. Aber nicht nur, weil er sie da zufällig fand, sondern weil die Formulierungen Mores ein adäquater Ausdruck der metaphysisdien Voraussetzungen seiner Forschung waren. Absolut können Raum und Zeit nicht an sidi als „Undinge" (noch nicht Dinge) sein, sondern nur als Eigenschaften des allem ens creatum gegenüber absoluten Seins des jenseitigen Gottes. Sie sind selber zum jenseitigen Sein gehörig und auf diese Weise die Voraussetzung und Bedingung alles diesseitig Seienden. Als Sein alles berechenbaren Seienden ist für Newton der absolute Raum mit Henry More das sensorium dei, das Sinnesorgan Gottes, die Zeit seine Allgegenwart (omnipraesentia dei), die Kraft, die in der Gravitationsformel in ihrem Verhalten bestimmt wird, die gegenwärtige geschöpf-
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lidie Allmacht Gottes. Ohne diese Grundlage ist die Physik Newtons nicht nur nicht mit Sinn vorstellbar, sondern rechnerisch falsch. Das 19. Jahrhundert, das sie von der Physik trennen wollte, hat nicht bedacht, daß damit der Grund für den absoluten Raum, die gleichförmige absolute Zeit und die Kraft überhaupt wegfällt. Das hat man erst im 20. Jahrhundert eingesehen, zugleich mit der Nichtübereinstimmung gewisser tatsächlicher Beobachtungen mit dem newtonschen Modell. (Hätte, wie bei Newton selber, ein zwingender außerphysikalischer Grund vorgelegen, am absoluten Raum festzuhalten, so hätten diese Phänomene wohl, wenn auch vielleicht umständlicher, newtonisch erklärt werden können.) Man kann daher überhaupt nur dann Metaphysik und Physik, Frömmigkeit und Forschung bei Newton trennen, wenn man zugleich seine Physik als überholt ansieht, wie es die sogenannte Relativitätstheorie heute tut, die in ihren Beredinungen den absoluten Raum und die absolute Zeit aufgegeben hat. Man braucht also gar nicht kleinere Schönheitsfehler der Mechanik bei Newton wie die Annahme Gottes als des Beginners oder Korrektors der Bewegungen oder gar die von seinem Schüler Clarke in seinem Auftrag gegen Leibniz verteidigte Teleologie heranzuziehen, um die Philosophie in der Physik Newtons zu erkennen und unsern in der Einleitung vorausgeschickten Satz bestätigt zu finden, daß in der Neuzeit alle Erkenntnis der befreiten Naturbetrachtung der "Welt als Schöpfung Gottes entspringt bei gleidizeitiger Bindung der Seele an den jenseitigen Gott. Das ist nicht nur für die Philosophen gültig, wo wir es noch in vertiefter Weise kennen lernen -werden, sondern auch für die großen Forscher Kopernikus, Galilei, Kepler, Newton in ihrer Forschung. Quellen und Literatur. Zu den Anfängen der neuzeitlichen Naturwissenschaft und Mathematik: Pierre Duhem: Le syst^me du monde, 1 9 1 3 / 1 7 ; und: Leonard de Vinci, 1903/13. E. Bordiert: Die Lehre v. d. Bewegung bei Nikolaus v. Oresme, 1934. H . Dingler: Über die Stellung des N . v. Oresme, Philos. Jahrb. 1934. Anneliese Maier: Das Problem d. intens. Größen i. d. Scholastik,
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nicht als Hylozolsmus, als eine Belebung der Materie, interpretieren, weil es weder Materie, noch Leben als getrennte Vorstellungen in den Zeiten dieser griediischen Anfänge gegeben hat und überhaupt ganz andere Fragen im Blick standen. Das wäre ein späteres Mißverständnis, das sidi ja sogar heute nodi gelegentlich findet. Wohl aber ist Hylozoismus ein nicht ganz unangemessener Name für die Art und Weise, wie diese italienischen Naturphilosophen sich die Welt dachten. Die Bewegung beginnt mit drei Namen, die man als Vorläufer bezeimnen kann: Fracastoro(1483—1553), Cardanus (1501—1576), Telesius (1508—1588). Der erstgenannte versucht eine Erkenntnistheorie im Anschluß anEmpedokles. Von den Dingen sollen sich kleine Abbilddien ablösen xmd durch den Raum in die Poren eindringen. Dabei spielt zugleich Sympathie und Antipathie eine Rolle. Cardanus denkt sich eine Weltseele, die die Urmaterie durdi Liebe und H a ß belebt und Abglanz des ewigen Lichts ist. In den Vorstellungen des Telesius ist die dem Quantum nach gleichbleibende Urmaterie nur durch Erwärmung oder Abkühlung in Verdünnung und Verdichtung veränderlich, ähnlich wie bei Anaximenes. Die Wärme selber stammt, wie in der Stoa, aus Feuer und Licht, die unmittelbar Geist sind. Telesius gründete in Neapel eine gelehrte Gesellschaft, die diese Vorstellungen verbreiten und mit beobachteten Naturphaenomenen in Verbindung bringen sollte. Sie ist zum Vorbild anderer ähnlicher Gesellschaften in andern Städten Italiens geworden, ein Zeichen, daß die ganze Denkweise den Bedürfnissen der Zeit entgegen kam.
Ihren Höhepunkt bildete dann Giordano Bruno (1548— 1600). Die begriffliche Bedeutung seiner Philosophie ist wohl auch nicht größer als die seiner Vorgänger und nicht zu vergleichen mit der der klassischen Systeme des 17. Jahrhunderts. Dagegen ist Bruno Dichter, leidenschaftlicher Verfechter des neuen Naturgefühls und zum Schluß nach einem bewegten Leben, das ihn durch Frankreich, Deutsch-
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land, England führte, in Italien der Märtyrer der päpstlichen Inquisition geworden. Nachdem er sich erst auf die schon genannte Lehre von der „doppelten Wahrheit" berufen, dann seine Meinungen zurückgenommen hatte, wuchs seine "Widerstandskraft während eines langwierigen Prozesses, und er sagte am Ende unerschrocken zu seinen Richtern: „Ihr mögt mit größerer Furcht das Urteil fällen, als ich es empfa;ige." Er wurde als Ketzer verbrannt. Dies zusammen mit der leidenschaftlich begeisterten, hodigemuten Art, in der er seine Meinungen darstellte, hat ihn dann weithin berühmt gemacht. Brunos Philosophie ist eine Verbindung der Theorien der italienischen Naturphilosophen vor ihm, einiger Ansichten des Nikolaus von Cues und des kopernikanischen "Weltsystems. "Vor allem dies letztgenannte, das er schon früh kennen lernte, bildete die Achse, um die seine Gedanken kreisten. Ist die Erde nicht Mittelpunkt der "Welt, wird sie nicht durch Kristallsphären eingeschlossen und gegen das Jenseits Gottes begrenzt, so tut sich bereits in der N a t u r selber die ganze "Weite und Unendlichkeit auf. Bei den Griechen hatte Maß undBegrenzung als das Höhere gegolten, das Unendliche war immer ein mißtrauisch und mit Scheu, sogar abwertig Betrachtetes gewesen. Das hatte sich erst in der Spätantike geändert, wo bei Plotin genau wie später im Christentum Unendlichkeit ein positives Prädikat des jenseitigen Gottes im Unterschied zur "Welt wurde. Indem Bruno die Unendlichkeit an H a n d kopernikanischer Gedanken f ü r die N a t u r selber reklamiert, verschafft er ihr in der Vorstellungsweise der Zeit ein eigentlich göttliches Attribut. Das hatte bisher wohl Nikolaus von Cues bis zum gewissen Grad, noch nicht aber Kopernikus selber getan. Bruno macht die N a t u r dadurch nicht nur selbständig in sich, er gibt ihr die ganze bisher dem jenseitigen Gott vorbehaltene Schönheit und Herrlichkeit zurück, er lehrt ein gefühlsbetontes Streben zur N a t u r hin, eine Naturverehrung, an Stelle der Gottesverehrung und der "Weltfludit. Das ist dann auch der Punkt, wo er mit der kirchlichen Inquisition zusammenstoßen mußte. 5
Schilling,
Geschichte d e r P h i l o s o p h i e V I
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Bruno hat dabei audi die Schränken des kopernikanisdien Systems gesprengt. "Weder die Erde, nodi die Sonne ist Mittelpunkt der Welt. Alles ist überall unendlich, schon im kleinsten Teil der Unendlichkeit des Ganzen gleidi. Trotzdem ist er nicht Heide, Naturalist oder Pantheist geworden. Er betrachtete mit Nikolaus die Unendlichkeit der Natur als ein Abbild, als Schöpfung und Entfaltung (explicatio) der wahren Unendlichkeit des jenseitigen Gottes. Insofern ist er ein echtes Kind seiner Epoche, der Neuzeit. Allerdings verschiebt sich bei ihm noch viel mehr als bei Nikolaus der Akzent von Gott auf die Welt. Schon in ihrer Unendlidikeit sollen die Gegensätze zusammenfallen, nicht erst im Jenseits, schon sie soll im ganzen ruhig und einheitlich sein, nur im einzelnen bewegt. An Stelle der aristotelischen Tugend des Mittelmaßes setzt Bruno den bewußten Wahnsinn der Leidenschaft und Begeisterung, mit der er sich zu der Herrlichkeit der Natur erhebt. In diesen Gedanken hat er manche Einsicht der Neuzeit bereits vorweggenommen, die die vorsichtigere Naturwissensdiaft erst ganz allmählich bestätigen konnte, die die methodisch gründliciiere Philosophie erst später in Descartes, Leibniz u. a. erreicht hat. 5;-
Als letzter, der auf italienischem Boden eine Naturphilosophie versuchte, ist der schon bei den Utopien genannte Campanella (1568—1639) zu erwähnen. Ähnlich wie Descartes beginnt er im Anschluß an Augustinus mit dem Zweifel. Auch er kommt zum Selbstbewußtsein als dem Bewußtsein der Gewißheit der eigenen Existenz, selbst im Zweifel. Sein Weltsystem ist ein diletanischer Kompromiß zwischen dem alten und dem neuen. Die Erde soll ruhen, die Planeten schon um die Sonne kreisen, die Sonne aber um die Erde. Es war nur ein Einfall, Mathematiker war er nicht. Die Natur aber faßte er ähnlich wie Bruno und die andern Naturphilosophen als lebendige OfFenbarung Gottes auf (mundus est dei viva statua). Im ganzen hat seine Naturphilosophie geringere Bedeutung als seine Staatsutopie.
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Da audi Campanella in Italien verfolgt und eingesperrt wurde und erst am Ende seines Lebens in Paris wieder Schutz und Freiheit fand, bridit mit ihm die Naturphilosophie und überhaupt die selbständige Philosophie außerhalb der kirchlichen Scholastik in diesem Land ab. Erst in Vico werden wir später noch einen vereinsamten Nachzügler der auf allen Gebieten verheißungsvollen und großartigen italienischen Anfänge finden (Seite 197ff.). Dagegen kann man zur Naturphilosophie der Übergangszeit noch den Franzosen Pierre Gassend (Gassendi, 1592—1655) rechnen. Gassend ist Atomist im Ansdiluß an die vorsokratische Atomistik, Epikur und Lukrez, wie die Italiener sich an Empedokles, Anaximenes, u. a. anschlössen. Frankreich ist im Unterschied zu England als dem Land der Fernkräfte (Newton) und Deutsdiland und Italien, den Ländern der belebten K r a f t , in der Neuzeit das Land des klassischen Atomismus in der Mechanik, auch später bei Descartes bis ins 18. Jahrhundert. Natürlich hat dieser Atomismus nichts zu tun mit der modernen Atomtheorie der Chemie und Physik. Das Entsdieidende f ü r Gassend aber ist, daß er, der Priester, diesen erneuerten Atomismus zu vereinigen versudit: nicht nur mit einem Sensualismus und Eudämonismus in der Ethik, sondern sogar mit dem christlichen Dogma. "Wenn das auch ein riditiges Streben im Rahmen des großen Themas der neuzeitlichen Philosophie gewesen ist, und wenn es großen Geistern wie Descartes bis zur Vollendung und dem Ebenmaß des Systemgedankens gelungen ist, so dodi noch lange nicht jedem beliebigen. Gassendis Lehre wurde im Grund nichts anderes als ein zusammengeflickter, an Spannungen reidier Eklektizismus, der mehr in der Polemik gegen Andere als in der eigenen Einsicht stark war. Quellen und Literatur. Fracastoro: Opera omnia, Venet. 1555, Lugd. 1591. — Cardanus: Opera omnia, Lugd. 1663. — Telesio: De rerum natura, ed. Spampanato, 1911/13. A. Pagano: Telesio, 1935. E. Garin: Nota telesiana, Giorn. crit. filos. ital 1949. — Giordano Bruno: Gesamtausgaben von A. Wagner, 1830, und
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Lagarde, 1888; der Dialoge von Gentile, 1907/08. Opuscufi inediti, ed Tirpo, 1951. Deutsche Übersetzung der philos. Werke V. Kuhlenbeck, 189011; des Hauptwerks: Von der Ursache, dem Prinzip u. d. Einen, von Lasson, 4. Aufl. 1923. Alois Riehl: G. Bruno, 2. Aufl. 1900. M. Bergfeld: Bruno, 1929. M. Saracista: La filosofia di G. B., Firenze 1934. D. W. Singer: G. B., his life und thought, N e w York 1948. L. Cicutini: G. Bruno, Milano 1951. — Über Campanella vergl. die Seite 50 angegebene Literatur. — Gassendi: Ges. Werke, ed. Sorbiere, Lyon 1658; und ed. Avarrani, Florenz 1728. P. F. Thomas: La philos. de Gassendi, 1889. Gerhard Hess: P. Gassend, der französiche Späthumanismus u. d. Problem v. Wissen und Glauben, 1939. La MotheVayer: Gassendi, Paris 1943.
3. P a r a c e l s u s Auch Paracelsus (Theophrast von Hohenheim, 1493— 1541) denkt biologisch, nidit mathematisch-physikalisch. Aber anders als die Italiener ist er Arzt und besitzt hier eine Erfahrung und einen unmittelbaren Blick im eigenen Umgang mit dem Lebendigen, der die Vorstellungen der italienischen Naturphilosophen wie eine Art von N a t u r utopie gegenüber wahrer Naturlehre erscheinen läßt. Die Scholastik und die medizinische Tradition seiner Zeit hat, er sein Leben lang genau so leidenschaftlich bekämpft wie den Humanismus, der ihm an Texten hängen zu bleiben schien. Von seinen ärztlichen Erfahrungen im Umgang mit der lebendigen N a t u r ging er gerade so zu einem biologisch bestimmten Gesamtweltbild weiter wie Kepler von denen der Naturwissenschaft zu einem mathematisch bestimmten. Aber die "Weltauffassungen dieser beiden Männer sind dann doch ebenso stark religiös bedingt und finden in der religiösen Rüdebindung an das Sein des alle Phaenomene tragenden jenseitigen Gottes eine ausgesprochen philosophische Färbung. Paracelsus hat seine Lehre eine Philosophie „der natürlichen krefte" genannt (II, 185 der Ausgabe von Sudhoff). Man könnte das auch von Galilei sagen, der ebenso in der Physik die K r ä f t e der N a t u r resolutiv isoliert, in ihrer gegenseitigen Wirkung quantitativ bestimmt und in einem
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Modell ihr Zusammenwirken im einzelnen Fall kompositiv durch eine allgemeine Regel zur Einsicht bringt. Und in gewissem Sinn haben auch beider Methoden als N a t u r forschung einen gemeinsamen Grund. In anderer allerdings untersdieiden sie sich voneinander. Der Ingenieur und H a n d werker hat es mit den mechanischen Kräften der N a t u r zu tun, der Arzt mit dem Geschehen im Lebendigen. Die Betrachtung und Lenkung des Lebens in der Medizin setzt in ganz anderem Maß die Anerkennung seiner Selbständigkeit voraus als die Mechanik und Technik. Zwar ist auch hier das erste die Beeinflußbarkeit des Lebens von seiner Umgebung im weitesten Sinn, angefangen von grober physischer Einwirkung auf den Körper, von der Einwirkung der Nahrung, der Luft, des Klimas und seiner Schwankungen bis zu den möglichen psychischen Einwirkungen und zur weitesten 'Wirkung der Sterne und Sternkonstellationen. (Wie auch Kepler und andere seiner Zeit war Paracelsus in mancher Hinsicht Astrologe.) Dies alles ist nicht nur eine ungleich kompliziertere Situation als der freie Fall der Körper oder die Planetenbewegung. Es ist vor allem dadurch von jeder Erd- oder Himmelsmechanik unterschieden, daß das Leben diesen Einwirkungen, die ihm begegnen, selbständig und durchaus nicht konstant entgegentritt, die Einwirkungen selber jeweils ganz verschieden verarbeitet. Durch die Wirkung des Gedäditnisses im Organischen ist kein Fall dem andern gleich. Gerade das macht jedes Lebendige in seiner scheinbaren oder wirklichen Willkür immer wieder neu und geheimnisvoll, wo in der Mechanik alle Verhaltensweisen längst auf so grobe Begriffe wie Schwere, Anziehungskraft, Raumerfüllung u. a. gebracht sind. Mechanisdie Begriffe — wenn sie auch in "Wahrheit längst nicht in ihrem Wesen durchschaut oder durdisdiaubar sind — werden dem Rechner doch bald so vertraut, daß er sie wie etwas Bekanntes, Selbstverständliches behandelt und schließlich trotz seines dauernden Umgangs mit ihnen geringschätzt. Paracelsus hat gesagt: „Dan gleich wie die krankheit also auch die gesuntheit von außen kompt, darumb seind wir
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nidit zu der gesuntheit verordnet, noch zu der krankheit, sondern wie der lauf disen findet und fürt, gesunt oder ungesunt, also ist er." (VIII, 167.) Förderung undHemmung erfährt das Leben durch „den himmel",, je nachdem er gerade wirkt: „Reif, sehne, kelte, hiz, feuchte . . . alles seind speis der Welt; nun aber so sie über die concordanz gent, das ist zuvil reif, zuvil nesse, zuvil hize, ists ein Zerstörung der weit." (VIII, 336.) Das lebendige Gesdiehen im menschlichen Körper ist hier auf die ganze "Welt übertragen. Schelling hat später in seiner Naturphilosophie genau im gleichen Sinn die alte neuplatonische Vorstellung von der „Weltseele" erneuert, der Vorstellung der Welt als eines belebten Wesens. Und ebenso wie bei Schelling (und später bei Bergson) ist das Anorganisdie dann nichts anderes als erstarrtes Leben, auf das sich neues Leben immer wieder neu bezieht, das es neu beherrscht und organisiert,, gegen das als totes es sich behauptet. Zugleich aber denkt Paracelsus ähnlich wie die frühen griechischen Ärzte des hippokratischen Corpus. Alle Einwirkung von außen ist für das Leben erhaltend und fördernd, insofern es dadurch zur Eigenbewegung, zur Reaktion angeregt wird, in der seine Lebendigkeit liegt. Aber es gibt dabei ein Maß. Zuviel ist Zerstörung, zu wenig Erschlaffung. Ein Übermaß an Widerstand verengt und verkümmert das Leben, gar kein Widerstand würde seine Kraft ins Weite verströmen lassen und zum Erlöschen bringen. Das Maß selber und die Mitte ist also der Faktor der Daseinserhaltung des Lebens, das Gleichgewicht, in dem schwingend es sich einzig behaupten kann, wie schon Alkmaion von Kroton in der griechischen Frühzeit wußte. Man hat zeigen können, daß der zitierte BegrifF des „himmels" bei Paracelsus im Verhältnis zum Leben ein zeitlicher Begriff ist. „Die influenz ist die zeit und gibt die zeit." „Die zeit ist scharf, dan die zeit gibt alle stunt etwas neues." (IV, 495.) Aber auch das Leben hat Zeit und ist Zeit. In der Zeit entstehen Beginn, Reife und Verfall des Lebens, Gedeihen und Blühen oder Absterben und Krankheit. Die Zeit ist der Punkt, wo das Leben und seine Um-
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weit sich berühren. „Dan die oberen gestirn wirkent nichts allein, sie haben dan den acker im menschen." (VII, 192.) Der Mensch kann aus seinem Innern heraus „den himmel" (nicht Gott, sondern die Sternkonstellationen als Inbegriff seiner äußeren Situation) beherrschen. Erst dann, wenn Gestirn und Mensch in der rechten Stunde zusammenwirken, entsteht Größe und Schönheit des Lebens und echte menschlidie Leistung. Dies hat Paracelsus von der N a t u r selber gelernt. U n d auf sie allein blickt er auch in seinem Beruf. „Die N a t u r ist der arzt, nicht du. Sie setzt zusammen, nicht du: schau du, das du lernst, wo ihre Apotheken seyn, wo ihre virtutes geschrieben standen." ( X I I , 136.) Trotzdem genügt die Erfahrung und eine richtige Vorstellung vom Ineinander des Lebens und der Umwelt nicht. So wenig wie f ü r Kepler der reine mathematisch-physikalische ForschungsbegrifF genügt hatte, der Galileis Wirken zwar auch nicht erschöpfte^ auf den er sich aber in den Widerständen seiner Zeit doch mehr und mehr zurückzog. Er meinte zunächst, daß es „zum höchsten einem jeden arzt zu ermessen sei, das er in allen dingen ein christ bleibe und die natur in der natur behalte und got fürsetze f ü r unsern höchsten vater." (XI, 572.) Das bedeutet nicht, wie man den Satz vielleicht heute verstehen könnte, daß ein Arzt seine Wissenschaft zwar rein technisch neutral lernen und ausüben mag, daneben aber in seinem persönlichen Leben Christ sein müsse, allenfalls bei sogenannten „moraltheologischen" Fragen wie Schwangerschaftsunterbrechung u. dergl. auf die Geistlichen hören oder in seiner Hilfsbereitschaft sich als Christ zeigen solle. Es involviert vielmehr, daß gerade die ärztliche Erfahrung und Erkenntnis selber (genau wie die mathematisdi-physikalische bei Kepler oder N e w ton) religiös (nicht konfessionell) bestimmt sein muß, daß das Leben selber philosophisch nicht richtig gedacht werden kann ohne im Denken den Gottesbegriff als Voraussetzung zugrunde zu legen. In dieser Hinsicht hat Paracelsus immer wieder den Begriff der Lebenserfahrung und des biologisch-medizinischen Denkens nicht nur vor dem Krankenbett, sondern
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audi theoretisdi im ganzen und von seinen Ursprüngen her zu entwerfen versucht. Seine Versuche sind allerdings nidit zu einem gesdilossenen philosophischen System geworden. Dabei ist ihm der Mensch in alter Vorstellungsweise ein Mikrokosmos, eine kleine Welt, die die große Welt, den Makrokosmos, in sidi enthält, abspiegelt und vorwegnimmt. Er trennt dabei scharf Philosophie und Theologie nadi ihren Quellen, ihren Methoden und ihrem Gegenstand. Gott wird nicht mit der irdischen Vernunft erkannt, er ist auch nidit wie bei den Scholastikern im Beweis einer präambula fidei und durch Analogieerkenntnis erreidibar, sondern nur Objekt des Glaubens und der mystischen Schau. Trotzdem lehnt er die Lehre von der doppelten Wahrheit ab. Vernunft und Glauben können sich nicht widersprechen, weil beide aus Gott stammen. Gott ist als einziges Sein die Quelle alles Seienden, wie es in alter mystischer Tradition das „mysterium magnum" genannt wird. Im göttlichen Abgrund waren alle Dinge bereits vorgebildet, bevor sie durch den Willen Gottes ins Leben traten. Allerdings, je weiter Paracelsus von der Medizin und Biologie auf die Theologie zurückgeht, um so starrer und sdiematischer, um so traditioneller und unnotwendiger werden seine Gedanken. Ähnlich und fast vielleicht noch mehr wie Kepler ist er trotz seiner persönlichen Größe bis zur eigentlichen Philosophie doch nicht gelangt. Gottes Dreieinigkeit ist für Paracelsus wirksam im Gleichgewicht der drei Potenzen, die den menschlichen Organismus bestimmen als Sulphur, Mercurius und Sal (Schwefel, Quedisilber und Salz). Das übergeordnete Prinzip, das dieses Gleichgewicht erhält und auspendelt, ist der „ Archäus", die bildende Naturkraft als Schöpferkraft Gottes in der Natur. Dieser Archäus wurde später von van Helmont, dem Sohn (1614—1699), zu der „Monade" umgebildet. Es ist möglich, daß Leibniz von ihm diesen Namen übernommen hat. Wenn man sich durch schöpferisdies Nachdenken in den Bildungs- und Lebensvorgang hineinversetzt, dann kann man die ganze Natur beherrschen, als Arzt die
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des Kranken, als Magier die der Welt. Paracelsus hat bei allem Respekt vor der Selbständigkeit des Lebens, mit dem er umging, den unbeschränkten Glauben der Neuzeit im allgemeinen und der Renaissance im besonderen an die technische, praktisch verwandelnde K r a f t des echten Wissens geteilt. Sogar die Goldmacherei der Alchemisten und eine unbeschränkte Verlängerung des irdischen Lebens hielt er grundsätzlidi f ü r möglich. Wenn man den Menschen heilen will durch angemessene Methoden, so muß man sich in seinen Bildungs Vorgang hineinversetzen. Der aber ist nicht nur natürlidi, denn der Mensch hat an drei Welten teil: der irdischen, der Gestirnwelt (die im Grund in ihrer Bedeutung noch mittelalterlich und halb göttlich gedacht ist, nicht nach der neuen Mechanik) und der Gnadenwelt Gottes. Der Bildungsvorgang des Menschen ist nichts anderes als seine Schöpfung durch Gott. N u r von hier aus sind wir der N a t u r über egen und können sie lenken. Auch dies ist letztlich eine ganz bestimmte Art des befreiten Interesses f ü r die N a t u r auf Grund des gegenüber dem Sein der N a t u r höheren schöpferischen Seins des jenseitigen Gottes und der Bindung der Seele an ihn. Ziel des Menschen bleibt, daß er das verderbliche Fleisch und Blut und die irdische Welt verläßt und wie Christus neu geboren und zu himmlischer Leiblichkeit verklärt wird. Die Wirkung des Paracelsus war groß und weitreidiend trotz aller Widerstände, die er zu Lebzeiten gefunden hat. Vor allem das ärztliche Denken hat er, so oft es auch wieder in eine oberflächliche Mechanisierung zurückgefallen ist, bis heute beeinflußt. In der Philosophie stehen Jakob Böhme und andere unter seiner Wirkung. Trotzdem kann man keines der klassischen Systeme ansehen als hervorgegangen aus dieser Denkweise, wie das des Leibniz aus der Keplers. Erst spät, bei Schelling in der frühen naturphilosophischen Entwicklung, die im sogenannten „Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie" von 1799 gipfelt, könnte man eine philosophische Wiedererstehung der Ansätze des Paracelsus erblicken. Dies steht aber nicht direkt mit ihm in Verbindung. Es ist vielleicht auch nicht voll ausgereift
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und nidit hinreichend bekannt geworden (außer durch Bergsons stillschweigende Entlehnungen). Quellen und Literatur: Kritisdie Ausgabe I. Abt. enthaltend die medizinischen und philosophischen Schriften (jetzt vollständig) von Sudhoff, 1922 ff. Von der II. Abt. (Theol. Schriften) erst der I. Bd. ed Mathissen. Die ältere Ausgabe von Huser, 1589/90, hat Aschner in modernes Deutsch übersetzt, 1926 £f, eigentlich unnötig, denn Paracelsus ist durchaus schon lesbar, und bei der Übersetzung geht das Beste verloren. Auswahl von H. Kayser, 1922, von "W. E. Peuckert unter _ dem Titel: „Die Geheimnisse", 1941. Volumen paramirum mit Einleitung und Kommentar von Achelis, 1928 (zur Einführung geeignet). Erwin Metzke: Erfahrung und Natur in der Gedankenwelt des Paracelsus; Gestirn und Geschichte bei Paracelsus, Blätter f. deutsche Philosophie, Bd. 13 und 15. B.S. von Waltershausen: Paracelsus amEingang der deutsdien Bildungsgesdiichte, 1935. Sudhoff: Paracelsus, 1936. Franz Strunz: Theophrastus Paracelsus, Idee und Problem seiner Weltansdiaftung, 1937. F. Oesterle: Die Anthropologie des Paracelsus, 1937. H . Heimsoeth: Paracelsus als Philosoph, Deutsdie Vierteljahrsschrift Bd. 19. Weinhandl: Paracelsus, 1942. C. G. Jung: Paracelsica, Zürich 1942. A. M. Schmidt: Etudes sur Paracelsus, Critique 1943. Wertvoll — wenn auch weder als Quelle noch als wissenschaftliche Darstellung, sondern als Dichtung — ist der Roman von E. G. Kolbenheyer: Paracelsus, 3 Bde. 1917 ff. und neuere Auflagen. 4. E m p i r i e u n d T e c h n i k ( B a c o n ) Die Einschätzung des Francis Bacon von Verulam (1561— 1626), des Zeitgenossen Shakespeares, hat in der Geschichte der Philosophie vielfach geschwankt. Zu den Begründern der Naturwissenschaft gehört er jedenfalls nicht, weil er die Bedeutung der Mathematik nicht verstand. Sein Ansatz sieht fast ähnlich aus wie der Brunos oder Campanellas, obwohl sein dezidierter Empirismus ihn von den Italienern trennt. Die Abwehrstellung gegen die Scholastik teilt er mit dem ganzen Zeitalter, sie ist kein Charakteristikum. Unter dem Gesichtspunkt des Beginns der Neuzeit, in dem sich eine neue Stellung des Menschen Gott, Welt und Mensch gegenüber anbahnt, ist Bacons Empirie in philosophischer Hinsicht eigentlich die Begründung der neuzeitlichen Technik. N u r hier hat sie wirklich reale Bedeutung, die ihr auf natur-
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wissenschaftlidiem Gebiet versagt blieb, und wird doch zugleich nidit zu einem Phantasma degradiert. Bacon teilt den „globus intellectualis" in ähnlidier Weise ein wie Campanella, nämlidi im Anschluß an die Vermögen des Menschen: Dem Gedächtnis ist die Geschidite, der Phantasie die Kunst, der Vernunft die Philosophie zugeordnet. Obwohl sich bei ihm auch Sätze finden wie: „Oberflächliches Philosophieren verführt den mensdilichen Geist zur Gottesleugnung, tieferes Eindringen lenkt ihn zur Religion zurück" (Essays 16), liegt doch seine Bedeutung nur auf drei Gebieten: der Spradiphilosophie, der gesellschaftlichen Lebenserfahrung, der technischen Empirie. Die beiden erstgenannten werden meist zu Unrecht übergangen. Die Forderung einer vergleichenden historischen Grammatik der bekannten Sprachen ist zwar nur Programm, aber doch eine in seiner Zeit unerhörte und in die Z u k u n f t weisende T a t . Bacon will in den Sprachen den Charakter und die Sitten der sie sprechenden Völker erkennen, wie es erst die moderne Sprachwissenschaft langsam gelernt hat. Sein Gedanke hat sich im Fortschritt über die Engländer Harries und Monboddo, Herder, "Wilhelm von Humboldt bis heute entfaltet. Die Essays Bacons sind zum mindesten interessanter zu lesen als seine Logik der Empirie. Sie enthalten in aphoristischer Form ähnlich wie Machiavellis Reflexionen zu Livius oder die Gedanken Montaignes und der französischen Moralisten später Beobachtungen aus dem gesellschaftlichpolitischen Leben von Einsicht und Verständnis. Sie waren auch lange sehr berühmt bis über die Aufklärung hinaus. Durch die verstandesmäßige Verknüpfung der Leidenschaften, "Wünsche, Triebe, Verhaltensweisen der Menschen zueinander, durch besonnene Verallgemeinerung beobachteter Fälle soll es uns gelingen, den menschlicJien Eigennutzen klug zu politischen Zielen und zum eigenen Vorteil zu lenken. Jedenfalls ist dem Autor hier das geglückt, was ihm in der Naturwissenschaft ohne die exakte Fassung und Quantifizierung der Mathematik fehlschlagen mußte: edite
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Einsicht in die Verlaufsformen menschlichen Verhaltens in den versdiiedenartigsten Situationen anzubahnen. Bacon hat seinem philosophischen H a u p t w e r k den etwas anspruchsvollen Titel einer Instauratio magna, einer Neubegründung der Wissenschaften, gegeben. Es zerfällt in zwei Teile: Über die Würde und Vermehrung der "Wissenschaften und Novum Organon. Im erstgenannten ist die Einteilung der Disziplinen und die genannte Sprachphilosophie zu finden, im zweitgenannten die neue empiristische Logik und Methodologie. Die Essays sind ein eigenes "Werk, das in einer Reihe von Auflagen immer wieder vermehrt und bereichert erschienen ist. Bacons methodologischer Grundsatz besteht darin, durch bewußte Kritik das richtige Verhältnis zwischen den Sinnen und dem Verstand, zwisdien "Wahrnehmung und Denken herzustellen. Es kommt darauf an, die menschlichen Verfälschungen der Erkenntnis dadurch auszuschalten, daß wir uns die möglichen Fehler, in die wir verfallen können, von vornherein klar machen, um sie zu vermeiden. Bacon nennt diese Fehler „Idole" (ddala^ Schattenbilder). Er will durch ihren Aufweis die Abhandlung des Aristoteles von den sophistischen Trugschlüssen sozusagen aufs empirische und erkenntnistheoretische Gebiet übertragen. Es gibt vier solcher grundsätzlidier Fehler des Erkennens: 1. Idola specus, die Idole der Höhle, also die Vorurteile, Sympathien, Neigungen des Einzelnen, in die er eingeschlossen ist. 2. Idola tribus, die Idole der Gattung, die allen Menschen als solchen eigen sind, die allgemeine Vermenschlichung des Zusammenhangs der Dinge durch Eintragung vor allem von Zwedsgesichtspunkten, die vom menschlichen Handeln abgelesen sind. 3. Idola fori, die Idole des Markts, die Verführungen, die durch die Sprache entstehen und die die Dinge fälschlich substanzialisieren und grammatikalisieren (z. B. sogenanntes grammatisches Geschlecht von Dingen, das aus einer mythologischen Beseelung stammt: die Sonne, der Stein). 4. Idola theatri, die Idole des Theaters, festgefahrene Meinungen der Tradition und
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der Autoritäten auf allen Gebieten, die gelten, ohne nachgeprüft zu werden. Nach der Befreiung der Erkenntnis von Irrtümern ist Bacons Absicht, durch methodische Erfahrung „mittlere" allgemeine Regeln zu gewinnen. Dies geschieht auch wieder in vier Schritten: 1. Aufsuchung und tabellarische Fixierung einer möglidist großen Anzahl von Fällen, in denen sidi etwas, eine Eigenschaft, N a t u r oder Form, findet (z. B. "Wärme in der Sonne, im Feuer, in tierischen Körpern, im Pferdemist usw.). 2. Vergleich dieser Fälle miteinander. 3. Prüfung und Sonderung dessen, was dazugehört und was nicht (z. B. kann Wärme mit Licht verbunden sein, ist es aber nicht imm_er). 4. Aufstellung einer Tafel der Grade. Das heißt, die Richtigkeit einer angenommenen Ursache muß dadurch experimentell bestätigt werden, daß ihre graduelle Vermehrung ein Wachstum, ihre graduelle Verminderung eine Abnahme der Wirkung hervorruft. Der letzte Schritt ist der wichtigste, denn er erlaubt den Übergang zur Technik. Weiß ich, was Ursache eines Phaenomens ist, und kann ich durch Verstärkung oder Abschwächung der Ursache das Phaenomen vermehren oder vermindern, überhaupt hervorbringen oder am Dasein verhindern, so kann ich die N a t u r planmäßig lenken. Ich brauche bloß die erkannten Ursachen einsetzen oder beseitigen, damit die N a t u r selber den von mir gewünschten Effekt hervorbringt. Die N a t u r muß jetzt den Willen des Menschen tun. Diesen Grundsatz aller Technik hat Bacon sehr scharf und genau ausgesprochen: Man müsse der N a t u r in der Erkenntnis und Beobachtung „ge^orc^en", um sie durch ihren eigenen Mechanismus in der Technik „beherrschen" zu können. Es ist die neue menschliche, eigens von der göttlichschöpferischen unterschiedene Methode der Weltbeherrschung. Sie hat in der T a t außerordentliche Bedeutung bis heute erlangt. Wir wissen noch nicht, wohin sie uns führen wird, wie wir diese Art der technischen Weltbeherrschung selber philosophisch beherrschen und zum Guten lenken sollen.
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Im genauen grundsätzlichen Durchdenken der technisdien Methode liegt die große Bedeutung Bacons f ü r die Neuzeit. Das zeigt sich darin, daß sich dieses technische Denken bis ins moralisdi-politische Gebiet fortsetzt. D o r t ist es ja auch möglich, durch Erkenntnis der Leidenschaften und Verhaltensweisen der Menschen ihr T u n planmäßig zu lenken, wie es die Essays wollen und audi die Utopie. "Wir haben schon davon gesprochen, daß der "Wunschtraum der Z u k u n f t bei Bacon im Unterschied zu den andern Utopisten nicht so sehr von der sozialen Gerechtigkeit als von tedinisdien Errungenschaften bestimmt ist, daß von ihnen allein in einer merkwürdig schwärmerisch verstiegenen und phantastischen Weise Glück und Frieden (nicht Krieg und Zerstörung) erwartet werden (Seite 49 f.). Im Grund ist diese Methode des Beobachtens und Lenkens der Dinge wenigstens auf politischem Gebiet schon vorgebildet bei Madiiavelli (Seite 3 8 ff.). Von ihm ist Bacon sichtlich beeinflußt. Er hat den Machiavellismus ins Gebiet der Naturerkenntnis übertragen, ohne selber die Früchte dieser T a t ernten zu können, weil er die Mathematik in seinem extremen Nominalismus unterschätzte. An Stelle der mathematisch-physikalisdien Naturwissenschaft steht bei Bacon eigentlich die Alchemie. An deren Verfahren orientierte er sidi, dieses Verfahren wollte er in seinen vier Regeln rationalisieren. Er meinte wie die Alchemisten, es gäbe eine Urmaterie, die noch unbestimmt und bildbar sei, die sich durch Determination zu den verschiedenen Dingen: Gold, "Wasser, Stein, Holz usw. „ausformt". Es ist eine alte neuplatonisdie Vorstellung, die bis Gregor von Nyssa und weiter zurückreicht. Gelänge es nun, von den Determinationen zu der Urmaterie zurüdszugehen, so müßte man auch die Dinge beliebig ineinander verwandeln können, etwa: E i s e n U r m a t e r i e G o l d . Dazu muß ich wissen, was die Eigenschaften sind, z. B. das Gelbe, das "Warme usw. "Wo sie sich kreuzen, ist die Urmaterie bestimmt, also Ding (Gold als das Gelbe, so und so Schwere, H a r t e usw.). U m die Kreuzung der Eigenschaften wieder aufzuheben, muß ich wissen, wie sie sida empirisch verbinden,
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was mich die dritte Regel lehrt. Es ist also wirklich fast die Suche nach dem Stein der "Weisen. Es ist deswegen nicht falscher oder wahrer wie die quantifizierend mathematische Methode Galileis. In beiden Fällen ist ja im Entwurf nicht gesagt, was das Ding ist, sondern nur auf sein Verhalten, seine Relationen geachtet. Aber es ist eben unfruchtbar, weil man nur durch die mathematisdie Quantifizierung des Erkannten so exakte Bestimmungen erhält, daß man das bekommt, was Bacon will: durdi Herstellung komplizierter Ursadienketten gewünsclite Wirkungen erreichen. Es ist merkwürdig, daß Bacon durch seinen dogmatischen Empirismus und Nominalismus, also durch ein idolon specus, so weit an seinem eigenen Ziel vorbeigehen konnte. Quellen und Literatur. Gesamtausgabe der Werke und Briefe mit Kommentar und Biographie von Spedding, Ellis und Heath, London 1857/74. Deutsche Obersetzung des Novum Organen von Kirchmann, 1870; der Essays von Sdiücking, 1940. John Nickol: Bacon, his life and philosophy, 1888/89. Emil Wolff: Bacon und seine Quellen, 1910. Orsini: Bacon e Machiavelli, Genua 1936. H. Bode: Staat und Gesellschaft bei Bacon, 1937. E. Lewalter: Bacon, 1939. R. F. More: Bacons philos. writings, London 1945. B. Farrington: Bacon, philosopher of industrial science, N e w York 1951. A. W. Green: Bacon, life and works, Denver 1952.
D. Mystik Die bisher in den Abschnitten A, B, C besprochenen geistigen Strömungen fanden ihre Eigenart darin, daß sie von der Grundhaltung der Neuzeit aus — Entdeckung der befreiten N a t u r außerhalb des Menschen und im Menschen bei gleichzeitiger Bindung seiner Seele an den jenseitigen Gott — vor allem neue Sachgebiete in den Blick nahmen und verschiedenartige Methoden zu ihrer Erforschung entwikkelten. Insofern ist die Zeit als Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit charakterisiert. Nur an gewissen Stellen war gleidizeitig mit dem neuen Gegenstand auch scJion die zu seiner Entdeckung gehörige Rückbindung im Ursprung ausdrücklidi offenbar geworden. Sie wird Thema der zweiten
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eigentlidi philosophischen Epoche der Neuzeit sein, der großen Systematik des 17. Jahrhunderts. Diese Rückbindung ist nämlich das wesentliche Anliegen der Philosophie. Man kann nun die Mystik noch nicht eigentlich zur philosophischen Systematik rechnen, weil ihr die begriffliche Methode der Philosophen fehlt. Aber als Vorwegnahme einer systematischen Rückbindung im Ursprung steht sie dodi sachlich gesehen am Ende des Übergangs zur Neuzeit und an der Schwelle der eigentlichen Philosophie. Sebastian Frank (1499—1542) wendet sich gegen die Erstarrung der Dogmatik des Protestantismus nach der reformatorischen T a t Luthers. Er geht von der Geschichte aus und versteht sie als weltlidies Getriebe, in dem der Mensch sidi eigennützig vor Gott abschließt und in diesseitigen selbstgeschaffenen Ordnungen verhärtet. Er rechnet zu diesen weltlichen Ordnungen nicht nur die der Staaten, sondern auch die der Kirchen mit ihrer Hierarchie und ihrem parteiischen Konfessionalismus. Gott steht dem allen unbeweglich und unerkennbar jenseitig gegenüber, er lohnt und straft nicht. Der Mensch ist frei, sich f ü r Gott oder f ü r die Welt zu entscheiden; die Entscheidung f ü r Gott trägt ihren Lohn in sich selbst. Will der Mensch f ü r Gott empfänglich werden, so kann er das, indem er sein Geschick und alle Dinge als gottgegeben hinnimmt. Er wird dann still werden im weltlichen Lärm mit seinen Gegensätzen und Kämpfen und durch alles hindurch Gott vernehmen. Aber er wird in der Welt verfolgt und verdammt werden wie Christus. Auch Valentin Weigel (1533—1588) steht der neuentstandenen protestantischen Kirche, der er als Geistlicher angehörte, enttäuscht gegenüber. Erst nach seinem T o d wurden seine Schriften bekannt. Er ist von der älteren deutschen Mystik, vor allem von Meister Eckhaft, Nikolaus von Cues und vom Neuplatonismus abhängig. Ziel des Menschen ist ihm die Gelassenheit, mit der er auf die Welt blickt und Gott in sich wohnen läßt. Den
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Eigenwillen muß er fahren lassen, allem Begehren absterben. Als gesdiaffenes Wesen ist der Mensdi ein Mikrokosmos, der an der irdischen, siderischen und himmlischen "Welt teilhat. Dies ist gemeinmystisches Lehrgut. Eigenartig f ü r Weigel ist, wie er auf diesem Hintergrund das Erkennen versteht. Er nennt das Objekt sehr plastisch „Gegenwurf" und interpretiert Erkennen als eine Art von Vorwegnahme dessen, was uns so entgegengeworfen ist, durch unser Inneres (vergleichbar fast Kants späterem Apriori und den „Antizipationen der Wahrnehmung" aus der Kritik der reinen Vernunft). Durch diese Begegnung eines Faktors, der aus dem menschlichen Innern stammt und eines Gegebenen im Erkennen wird jede Erkenntnis sehr verschieden, je nachdem, was der Einzelne eben von sich aus hinzubringt. N u r in der Erkenntnis Gottes muß der Mensch ganz leer werden, nicht mit eigenen — nur menschlichen — Vorurteilen und Meinungen Gott entgegentreten, leidend und empfangend, nidit wollend und tätig sein. Das kommt daher, weil Gott sich in der Erkenntnis des Menschen selber erkennt. Und Weigel fügt schon fast modern hinzu: In aller weltlichen Erkenntnis herrscht Streit und wird immer Streit herrschen, weil die Erkennenden zu verschiedenartig sind, nur in der mystischen Gotteserkenntnis müßten sich alle Menschen aller Völker und Zeiten gleich sein, wenn sie echt und wahr ist. Es ist ein Satz, der sich durch die rätselhafte und wunderbare Ähnlichkeit der Mystik bei den Indem, Arabern, im Mittelalter, bei Parmenides, Plotin und zu andern Zeiten trotz nachweisbarer literarischer Unabhängigkeit selbst im Sinn der modernen historischen Forschung weitgehend bestätigt. Jakob Böhme (1575—1624) zog sein Wissen um Gott n i A t aus theologischer, naturwissenschaftlicher oder humanistisch-antiker Quelle, sondern aus der Bibel und der apokryphen Tradition christlich theosophischer Sekten, die, allerdings wohl durch viele Hände, bis zum Manichäismus, der Gnostik und weiter zurück reichte. Auch von Paracelsus 6
Schilling,
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und Eckhard, Weigel und dem protestantisdien Sektierer Sdiwenkfeld hat er direkt oder durch Mittelsmänner gelernt. Aber alles dies ist bei ihm wirklidi belebt und zur Einheit gestaltet in einem eignen, wenn auch etwas sonderbaren innig glühenden und kindlidien Verhältnis zu Gott. Böhme war Schuster in Schlesien, das Bohrende und zugleidi Versponnene, sidi langsam Klärende seiner Gedanken entstammt handwerklicher Art. Er wurde von der Geistlichkeit viel angefochten und verfolgt. Trotzdem war seine Wirkung weitreidiend, zunächst auf den sdilesischen Landadel, auf dessen Gütern er Schutz fand, dann aber auch über Deutsdiland hinaus bis nach England und Frankreich (Pierre Poiret u. a.). Über Oetinger und Baader hat er audi den späten Sdielling beeinflußt. Das Wort, mit dem Böhme Gott benennt: „Ungrund", ist wahrsdieinlidi eine deutsche Sprachbildung nach ßv&ög, äpiiaaog, vorago, der Grundlosigkeit des tiefen Wassers und der Unermeß ichkeit der Luft. Es soll Gott auch nur auf einer via negationis et eminentiae über alles Gesdiaffene, sich Gründende hinausrücken. So ist der Ungrund im Verhältnis zur Welt „ein ewig nidits", das aber doch den Anfang der Welt bildet. Als Anfang ist dieses Nichts Wille, Sucht, Begierde. Dies wäre bereits der Sohn, der faßbare Wille. Aus ihm entstände eine ewige Natur, eine Art Ideenreich (wie bei Plotin), das alles vorbildet, und daraus erst die greifbare materielle Welt. Dies ist die wie in der frühdiristlichen Gnosis als Geschichtsprozeß gedachte Weltsdiöpfung, fast kann main sagen Weltwerdung Gottes. Zur Weltschöpfung, und also auch schon in den Anfang, da, wo der „faßliche Wille" aus dem über alle Gegensätze hinausgerückten „Ungrund" entsteht, gehört bereits das Böse. Es ist der Widerstand gegen Gott. Da aber dieser Widerstand gegen Gott nidits vor Gott Selbständiges sein kann, sonst wäre Gott nidit Gott und der Ursprung von allem, muß auch das Böse in Gott hineinverlegt werden. Der ganze Geschichtsprozeß der Weltschöpfung, Entstehung des Menschen und Erlösung der Welt wird daher zu begreifen versudit als Entstehung
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des Bösen, des Widerstands in Gott selber gegen Gott, und als seine schrittweise Überwindung und Zurücknahme in der Welt und vor allem in und durch den Menschen. Diese Überwindung des Bösen in Gott durcli Gott kann kein Gewaltakt sein. Deshalb hat der Mensch, ohne selbständig gegen Gott zu sein, doch einen freien Willen. Ihm zufolge kann er sich in dem ewigen Geschiditsprozeß der Entstehung und Überwindung des Bösen, des Widerstands gegen Gott, auf Seite des Bösen oder des Guten stellen. Durdb diese Betonung des Willens und die fast schon ans Manidiäische heranreidiende Schärfe der Trennung des Bösen und Guten, des Willens f ü r und gegen Gott in der Welt, ist Jakob Böhme innerhalb der übrigen Mystik ausgezeichnet. Es gibt naturphilosophische und ethische Mystik, und wenn ihr Ziel auch ähnlich ist, ist doch der Weg versdiieden. Böhme gehört trotz mancher naturphilosophischer Züge wesentlidi zur ethischen. N u n könnte man im Sinn einer kritischen auf die Gewißheit ihrer Wahrheit achtenden Philosophie fragen: Was soll eigentlich diese phantastische Erzählung von Üngrund, Weltentstehung, Widerstand gegen Gott in Gott und Erlösung, deren Grundriß angegeben wurde, f ü r einen Wahrheitswert haben, wie wäre sie etwa nachprüfbar? Obwohl Böhme noch nicht zur methodenbewußten Philosophie gehört, braucht er doch die Antwort auf diese Frage nicht schuldig bleiben. Er sagt: „Ob uns die eigene Vernunft allhier möchte tadeln wollen und sagen: wir sind nicht dabei gewesen, als dies geschehen sei, so sagen wir allhie auf magische art nach recht der ewigkeit, daß wir wahrhaftig sind dabei gewesen und diess gesehen: aber Ich, der ich der Ich bin, habe es nicht gesehen. Denn ich war noch nicht eine kreatur; aber wir habens in der essenz der seele, welche Gott dem A(lam einblies, gesehen." (Mysterium magn. I X , 1.) Der ganze Schöpfungsprozeß liegt also in der „Essenz", im Wesen der Seele, darin. Sie ist nichts als seine Spur, sein Abdruck, sonst hätte sie überhaupt kein Sein. Wenn sie auf kreatürliche Weise ist, was Gott umgreifend und im ganzen ist, so bleibt doch das, was an ihr Sein ist, aus Gott. Also 6'-
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braucht der Mensch sich bloß von der zufälligen äußeren Erfahrung ab und seiner eigenen Seele zuwenden, um an ihr Art und Beschaffenheit auch des Gottes selbst zu erkennen. Gottes Sein ist der Schöpfungsprozeß des Aufstehens des "Widerstands gegen Gott in Gott und seine Überwindung und Erlösung. Ihn finden wir genau so in unserer Seele. Die Analogie der Seele mit Gott und daraus folgend die Einsidit in das Wesen Gottes durch Einblick in die eigene Seele ist die Methode der Mystik im Unterschied zur äußeren Erfahrung oder zur mathematischen Konstruktion. So gilt auch, was Jakob Böhme von Gott sagt, vom Mensdien und von jedem Ding in der Welt, sofern es nicht bloß als Gegenstand der äußeren Erfahrung, sondern als Geschöpf Gottes verstanden wird: „Kein ding kann in sich selber ohne Widerwärtigkeit offenbar werden. Denn so es nichts hat, das ihm widersteht, so geht es immerdar f ü r sich aus und nicht mehr in sich ein. So es aber nicht wieder in sich hineingeht, weiß es nichts von seinem urstande." Man könnte dies also auch von Gott sagen, der erst im Menschen zu sich selbst kommt. Es ist ein Gedanke, der später stark auf Baader und vor allem auf den späten Sdielling gewirkt hat. Wir werden überdies noch sehen, daß der eigentliche Gottesbeweis Descartes', der aus der Kontingenz der menschlichen Seele als einer abhängigen und der Erhaltung bedürftigen Substanz auf die schlechthin vollkommene substantia infinita Gottes schließt, auf einem ganz ähnlichen Gedanken beruht (Seite 92 ff.). Selbstverständlich besteht keine literarische Beziehung zwischen Jakob Böhme und Descartes. Die Mystik Böhmes ist nach der mittelalterlichen Mystik des Meisters Eckhart die am konsequentesten durchdachte in der Neuzeit. Allein sie blieb zunächst auf sektiererische Kreise beschränkt. Nicht ganz so tief, aber weltgültiger und bekannter, vor allem durch seine poetische Form, ist dann der „Cherubinische Wandersmann" des Angelus Silesius
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geworden (Joh. SchefJler, 1 6 2 4 — 1 6 7 7 ) . D i e Behauptung, daß diese Mystik Pantheismus sei, ist nur aufrechtzuerhalten, w e n n unter diesem Schlagwort nichts Praezises, sondern etwas sehr Verschwommenes verstanden wird. Dagegen gehört es zu ihrer Eigenart, daß sie immer wieder den V o r gang der Gottesgeburt in der Seele des Menschen in anschaulich-plastischen und einprägsamen "Worten betont: „Ich weiß, daß ohne mich G o t t nicht ein N u kann leben; werd ich zu nicht, er muß vor N o t den Geist aufgeben." (1,8.) Quellen und Literatur. Sebastian Franck: Paradoxa, 1534; herausgeg. v. Ziegler, 1909. Chronica, Zeitbuch und Geschiditsbibel, 1531. Weltbudi 1534. Germaniae chronicon, 1538. Sebastian-Franck-Sonderheft d. Blätter f. d. Philos. mit Referat über Franckliteratur, 1928/29. H.Körner: Studien über Sebastian Frandc, 1935. W . E . P e u k e r t : S. Frandt, 1943. — Valentin Weigel. Winfried Zeller; Die Sdiriften V. Weigels, eine literarkritische Untersuchung, 1940. Längin: Grundlinien d. Erkenntnistheorie Weigels, Archiv f. Gesdi. d. Philos. 1933. B. Wendt: V. Waigel, Theol. Mitteilungen 1933. — Jacob Böhme. Kritische Ausgabe fehlt nodi. Von den älteren hat den besten Text die von 1730 in 5 Bden. Neudruck Bd. I und II davon, ed. A. Faust, 1942. Die Ausgabe von Sdiiebler, von der 1922 ein Neudruck erschienen ist, ist unzuverlässiger. Buddecke: Zur Textgeschichte der "Werke Jakob Böhmes, Kantstudien 1942. W. E. Peukert: Das Leben Jakob Böhmes, 1924. Hankamer: Jakob Böhme, 1924. A. Koyre: La philosophie de Jakob Böhme, Paris 1929. A. Faust: Die weltanschauliche Grundhaltung Jakob Böhmes, Ztschr. f. deutsche Kulturphilosophie, 1940. H . G. Jungheinrich: Das Seinsproblem bei Jakob Böhme, 1940. N . Berdjajew: Jakob Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit, Blätter f. d. Philos. Bd. 6. K. R. Popp: Böhme und Newton, 1935. S. Hobhouse: Newton und Böhme, Philosophia 1936. E. Benz: Die Geschichtsmetaphysik Böhmes, Deutsche Vierteljahrsschrift Bd. 13. L. C. Richter: Jakob Böhme, 1943. — Angelus Silesius: Poetische Werke, 3Bde. ed. H . L . H e l d , 1925. F. Kern: Joh. Schefflers Cherubinischer Wandersmann, 1866. C. Seitmann: Angelus Silesius u.s.Mystik, 1896. G.Ellinger: Angelus Silesius, 1927.
86 II. Die klassische Metaphysik des 17. Jahrhunderts Der Höhepunkt der Philosophie in der Neuzeit ist nidit Kant oder Hegel, Rousseau oder Hume oder gar Schopenhauer, Nietzsdie, Comte, Spencer und Mill, sondern die klassische Systematik des 17. Jahrhunderts. Alles Folgende ist nur von hier aus als Versudi einer Erneuerung unter erschwerten Umständen zu verstehen, genau so wie. in Griechenland Sokrates, Piaton und Aristoteles, Epikur und die Stoa nur von der Vorsokratik aus. Das Spätere erreicht dabei die Freiheit und Ursprünglichkeit des Früheren nie mehr ganz, es muß schwerwiegende Verzichte mit in Kauf nehmen. Dafür ist es durch die Gegnersdiaft von Sophistik und Aufklärung reicher und bewußter geworden. Im 17. Jahrhundert liegt der mühsame Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit mit seiner Orientierung an der Antike sdion hinter uns. Die Zeit ist ihrer selbst mächtig geworden und braucht kein ausdrücklich historisdies Bewußtsein mehr. Obwohl die Tradition niciit etwa tot ist, obwohl sie gar nicht einmal als solche in ihren Hintergründen durchscJiaut wird, philosophiert man, als ob man die Philosophie zum ersten Mal begründen müßte. Durch den Zweifel wird das überlieferte Wissen mindestens vorläufig ausgeschaltet. Dazu kommt noch etwas. Die bisherigen philosophischen Strömungen waren alle mit einem bestimmten Sachgebiet so eng verbunden, daß die Namen unter Sachtitel geordnet werden konnten: ]?hilologie, Rechts- und Staatswissenschaft, Naturwissenschaft, Mystik usw. Es kam selten vor, daß ein Philosoph wie Campanella bei der Staatsutopie und bei der Naturphilosophie an zwei Stellen genannt werden mußte. Jetzt ist zwar audi noch jeder der großen Philosophen vor allem auf einem Wissensgebiet führend: Descartes in der Mathematik, Hobbes in der Staatslehre, Locke in der Psychologie (nur Leibniz in Theologie, Jurisprudenz, Geschidite, Politik, Mathematik, Physik gleidimäßig). Aber das Entscheidende dieser Systematiker liegt dodi nicht mehr in der Begründung oder Förderung eines speziellen Sachgebiets, sondern erstens in der Umfassung der Welt im
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ganzen, zweitens in der Rückbindung an den Ursprung und drittens in der bewußten methodisdi-begriffHchen Begründung der Philosophie als eines Wegs vom Wissen um die Welt zurück zu den Anfängen und zu Gott. Dies bestimmt den Stil ihrer philosophisdien Systematik. Diese Systematik ist nicht nur — wie Nicolai Hartmann glaubte — gewaltsame Einseitigkeit, die man gegenüber dem endlosen Problemdenken möglidist schnell aufzulösen habe, sondern sachgegründete und unzerstörbare Ursprungsforsdiung. Natürlich ist jedes System, wie Hartmann meint, ein Gewaltakt und auch einseitig. Daher kommt die Vielfalt der Systeme nebeneinander und ihr Widerspruch gegeneinander und in sich. Aber diese Gewaltsamkeit ist nötig und unaufhebbar, wenn es auch nicht mehr Philosophie ist, wenn nadi den Meistern auch die Schüler die Tat der Gewalt und der Einseitigkeit zu einem erstarrten Dogmenwerk machen, das aufgeht, das man mit einem Ismus benennen und lernen kann, von dem aus es keinen Weg mehr zur Lehre eines andern Meisters gibt. 1. D e s c a r t e s Rene Descartes (1596—1650) ist der größte der klassisdien Systematiker der Neuzeit. Er ist der erste, der die Forderungen der Philosophie nach jeder Seite hin erfüllt und insofern Vorbild für alle andern Philosophen. Das große Thema des neuzeitlichen Denkens, die befreite Naturerkenntnis von der metaphysischen Bindung der Seele an den jenseitigen Gott aus, ist bei ihm vollständig durchgeführt und als Thema dieser Zeit festgelegt. Descartes ist in La Haye in der Touraine in einem alten und vornehmen Adelsgeschlecht geboren. Erzogen wurde er von den Jesuiten La Fleches, also auf einer der besten Schulen der Zeit. Er war frühreif und eignete sich das Wissen der Tradition, die Lehren der Scholastik, mühelos an. Nadi kurzen Zweifeln fand er einen Halt in der Methode der Mathematik und hat sich von da ab des gelernten Wissens nidit mehr bedient. Trotzdem wirkte es in ihm nadi, vielleicht stärker, als er später wahrhaben wollte.
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Nach einigen Kriegsdiensten und Reisen in den Niederlanden, Spanien, Deutschland, einer gelobten Wallfahrt nadi Loretto und einem kurzen Aufenthalt in Paris, wo es ihm schon damals zu laut war, zog er sich nach Holland zurück. Auch hier wechselte er wegen Anfeindungen der Geistlichkeit öfters den Ort, lebte aber nur seinen Studien. Mit der W e h stand er durch seinen Jugendfreund,, den Pater Mersenne, in Verbindung. Am Ende seines Lebens folgte er einem Ruf der Königin Christine von Schweden nadi Stockholm. Er konnte aber das Klima dort nicht vertragen und ist bald nach der A n k u n f t gestorben. Schon zu seinen Lebzeiten hat er geglaubt, daß er nicht alt würde. Die Philosophie ist f ü r Descartes vor allem die Art und Weise gewesen, seine Existenz unabhängig von den Menschen in der leidenschaftlich erstrebten Überlegenheit des Wissens und Wollens zu halten. Er hat nicht viel geschrieben. Eine Reihe von Jugendarbeiten und seine ersten methodischen „Regeln zur Leitung des Geistes", veröffentlichte er nicht. Der berühmte Discours de la methode ist zusammen mit drei mathematischen und physikalischen Abhandlungen, darunter der Grundlegung der analytischen Geometrie, 1637 erschienen. Seine Astronomie (Le monde) hielt er aus Scheu vor unerfreulichem Aufsehen zurück, nachdem er von dem Prozeß gegen Galilei gehört hatte. Sie ist verloren gegangen. Sein philosophisdies H a u p t w e r k sind die Meditationen. Ihre Form des einsamen Überlegens und Nachdenkens soll in bewußtem Gegensatz stehen zur traditionellen Disputation und der scholastischen Sic-et-non-Methode die Autoritäten f ü r und wider zu jeder Frage beibringt und danach nur sich f ü r eine Seite entscheidet. Er ließ den kurzen Text der Meditationen durch Mersenne bei bekannten Männern seiner Zeit herumgehen, die ihm Einwände machten, auf die Descartes wieder antwortete. Alles zusammen wurde 1641 veröffentlicht. Seine Physik enthalten die Principia philosophiae (Prinzipien der Philosophie, 1644), seine Ethik die Abhandlung: Les passions de l'äme. Von den Leidenschaften der Seele (1649). Seine Korrespondenz ist wichtig.
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Die Philosophie Descartes' beginnt mit dem Zweifel, sowohl in dem mehr historisch über seinen eigenen geistigen Entwicklungsgang berichtenden Discours, wie in den rein sachlich denkenden Meditationen. Schon Sokrates bei den Griechen hatte einen inneren H a l t der Persönlichkeit und die Selbstmächtigkeit der Vernunft gefunden, indem er die geläufigen Meinungen seiner Umgebung nicht glaubte, sondern nach ihrem Recht frug. Die Menschen mit festen Meinungen verlieren diesen H a l t gewöhnlich, weil sie sidi an Einzelnes unbesehen hingeben und mit ihm in Gegensätze geraten, die sie dann hin und herreißen. Die Bereitschaft, nur das gelten zu lassen, was der immer erneuten P r ü f u n g standhält, das aber auch in seiner "Wirklichkeit hinzunehmen, macht den Menschen durch Vernunft frei von den Dingen und unabhängig im Geschehen. Montaigne hatte den Zweifel in ähnlicher Weise benutzt, um die N a t u r rein und unverbogen zur Geltung zu bringen und an den Grenzen des Wissens zum Glauben der Religion übergehtn zu können (Seite 36 f.). Die Grundhaltung Descartes' im Zweifel ist eine ähnliche wie die des Sokrates und Montaigne. Allerdings wird diese Grundhaltung zu einem methodischen Zweifel umgeformt, der ein bestimmtes Ergebnis mit N o t wendigkeit zur Folge hat. Auch die Methode des Denkens selbst entspringt bei Descartes dem Zweifel. In den Regulae ist bereits sein Ziel, vor jeder Diskussion oder Erforschung der Dinge grundsätzlich nach Möglichkeit und Grenzen des menschlichen Erkennens zu fragen. Er nimmt damit den späteren Ansatz des Engländers Locke, allerdings in einem ganz andern Geist, vorweg. In dieser Frage erkennt er, daß nur Intuition und Deduktion uns wirkliche Gewißheit geben können. Entweder muß alles menschliche "Wissen durdi die Methode eine Einheit werden oder überhaupt Zufall und "Wahrheit ohne Gewißheit bleiben. Intuition ist bei Descartes die unmittelbare Einsicht in einen Sachverhalt, dessen Gegenteil unmöglich wäre, oder dessen Elemente nicht mehr in der Trennung distinkt erfaßbar sind. Es ist also nicht bloß Gegebenheit von einfachen
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Elementen, aus denen nidits folgen kann, sondern bereits Synthesis, Verknüpfung, genau so wie Kants transzendentale Apperzeption an der Spitze der Kritik der reinen Vernunft. Von der Deduktion, der Ableitung und Folge, unterscheidet sidi die Intuition dadurdi, daß sie auf einmal in der Gegenwart überschaubar ist, jene dagegen nur im Durdhlaufen mehrerer Positionen in der Zeit einsichtig wird (Regulae XI). Die aus dem Zweifel entstandene Methode aufs Zweifeln selber angewandt und über das Zweifeln zur Gewißheit fortgeführt ergibt den Gedankengang der Meditationen, Descartes' Grundlegung der Philosophie. Gelerntes Wissen und sinnliche Erfahrung haben mich oft getäuscht. Ich gebe sie also von vornherein preis. Trotzdem scheint nodi vieles übrig zu bleiben, z. B. der unbestimmte Begriff der Existenz. Allein es gibt kein allgemeingültiges Kriterium, Traum und Wadien zu unterscheiden. Was ich als existent erlebe, kann auch geträumt sein, wie ich schon oft erfahren habe. Auch die Existenzurteile sind zweifelhaft. Ich bin noch nicht auf dem Grund des Zweifeins. Unbetroffen von der Unterscheidung zwischen Traum und Wachen sind die allgemeinen Einsichten der Mathematik. 2 + 3 = 5 ist wahr, ob ich das träume oder wach erlebe. Dies wird erst bezweifelbar, wenn ich nach der Methode selber frage. Das Rechnen ist ein Ableiten, Deduzieren in der Zeit. Es setzt also das Behalten der vorher geklärten Positionen in der Zukunft voraus. Schon wenn ich 1, 2, 3, 4 . . . zähle, muß mir bei 4 die Reihe zurück bis 1 und ihre Verknüpfung in der Addition noch gegenwärtig sein, sonst kann ich den Begriff von 4 nicht bilden, oder ich bilde ihn falsch. Es ist Kants Apprehension, Reproduktion, Rekognition aus der Kritik der reinen Vernunft. Nun könnte es aber sein — meint Descartes —, daß ein falscher trugvoller Gott als Schöpfer (genius malignus) mich so gebildet hat, daß sich mir der Verstand in der Zeit habituell verwirren muß, wenn ich ableite, deduziere, daß er mir im Gedäditnis jedesmal anderes unterschiebt, als ich getan zu haben glaube.
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Ich kann nicht wissen, ob das der Fall ist oder nicht. Deshalb ist jetzt alles fraglich: Tradition, Sinneswahrnehmung, Existenz, Deduktion. Es scheint, daß nichts vor dem Zweifel Bestand hat. Idi bin auch der Güte Gottes von vornherein jedenfalls nicht sidier. Dies ist f ü r Descartes deshalb so wesentlich und entscheidend, weil er sidi klar darüber ist, daß die menschliche Existenz abhängig ist von Gott, der sie geschaffen hat. Wir werden nodi sehen, wie. An dieser Stelle äußersten Zweifels beginnt die Überwindung des Zweifels. Descartes und mit ihm Jeder, der seine einsamen Meditationen im Denken nadivollzieht, sieht ein, daß er doch wenigstens sein muß, während er zweifelt: Cogito ergo sum, ich denke (selbst zweifelnd), also bin ich. Audi wenn ich nur träume, phantasiere, selbst mich noch so sehr täusche in Bezug auf das, was ich als Gegenstand meine, wenn ich Einbildungen oder Wahnvorstellungen habe, bin doch immer ich, der dies alles hat. Dies ist also die erste synthetische, auf einmal einsichtige, nidit sdilußfolgernde unbezweifelbare Wahrheit im Sinn der Intuition der Regulae. Diesen Punkt meines Selbstbewußtseins und meiner inneren Freiheit können alle Zweifel, Leiden, Verkehrungen meiner N a t u r , das widrigste Gesdiick, selbst Geisteskrankheit oder ein trügender Gott nicht antasten. Es ist der O r t innerer Unerschütterlichkeit, den schon die Stoa in der Antike im Ideal des Weisen im Auge hatte. Von hier aus kann weitere Wahrheit gewonnen werden. In der Selbstgewißheit des Denkens liegt die unbezweifelbare Gewißheit des gesamten Gedanken- oder Vorstellungsreidis als solchen, und nur dies. Das Selbst ist der existenzielle Grund jedes Gedankens, jeder Meinung als Meinung. Descartes nennt es daher res cogitans, wobei res so viel wie substantia ist, eine Wirklichkeit, die zu ihrem Dasein keiner andern bedarf (quae nulla re indigeatadexistendum). Die Selbständigkeit der Existenz ist das formale Kriterium für Substanzialität. Allerdings stellt sich heraus, daß dies nicht voll haltbar ist. N u r dem Gedachten, Gemeinten (Phantasierten, Vorgestellten oder Wahrgenommenen) gegenüber ist das Ich,
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das ego cogito, Substanz in diesem Sinn. Es findet sidi nämlidi unter den Ideen eine, die eine ausgezeidinete Stellung einnimmt: die Idee von Gott als dem vollkommensten Wesen. Auch sie ist zunädist nur Gedanke, noch nicht "Wirklichkeit. Aber indem ich darüber nachdenke, wird mir zweierlei klar: Im vollkommensten Wesen muß auch Wirklichkeit schon dem Begriff nach liegen, denn würde ihm die Wirklichkeit fehlen, so wäre es nicht vollkommen. Also kann ich hier und nur hier aus der Idee auf die Wirklichkeit schließen. (Es ist das alte ontologische Argument für die Existenz Gottes, das von Anselm von Canterbury im 11. Jahrhundert zum ersten Mal gebraucht wird.) — Und zweitens: Als Idee des vollkommensten Wesens kann diese Idee nicht aus mir stammen, ihr Grund kann nicht das ego cogito als res cogitans, als Wirklichkeit, Substanz der Vorstellungen sein. Das ego, das denkende Ich, ist, wie ich im Zweifel gesehen habe, sehr unvollkommen. Das Unvollkommene als Grund, als selbständige Substanz, kann nicht das Vollkommene als Idee oder Meinung erzeugen. Nachdem ich also zuerst im Sinn der Methode mittels der Intuition den synthetischen Satz „Cogito ergo sum" als Wahrheit gewonnen habe, gewinne ich jetzt durch Deduktion, Ableitung daraus die zweite unbezweifelbare Wahrheit: Die Einsicht in die notwendige Existenz Gottes. Aber der Sache nach hat diese zweite Wahrheit den Vorrang vor der nur für uns zuerst gewonnenen ersten. Denn: Ich hin zwar, auch wenn ich zweifelnd denke. Aber denkend bin ich bloß im Augenblick meiner selbst als Dasein gewiß (21). Alles, was über die zeitliche Präsenz hinausgeht, die Dauer, das Bestehen des identischen Ida als solchen, ist vom Zweifel antastbar. Die res cogitans ist daher nur eine endliche, begrenzte Substanz in der Zeit, Grund und Wirklichkeit gegenüber den jeweiligen Gedanken. Grund, Substanz des Ich, auch des ego cogito, ist Gott als das vollkommenste Wesen. In der Zeit bin ich mir der Abhängigkeit von Gott, dem Schöpfer, bewußt, weil mich der Zweifel bedroht. Gott allein ist daher unbedingt Substanz, substantia infinita, Wirklichkeit, die zur Existenz
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schlechthin keiner andern Substanz bedarf. Die res cogitans, das denkende Ich, ist nur substantia finita, von Gott abhängiger Grund der Ideen. In dem oben an zweiter Stelle genannten Gottesbeweis, den man einen Beweis ex contingentia animae meae, aus der Bedrohtheit und Abhängigkeit meiner denkenden Seele, nennen könnte, trägt der Mensch die Spur seines Schöpfers unmittelbar an sich und wird sich dessen bewußt (57/8). Im Gegensatz zu diesem entscheidenden Beweis Descartes' hat Leibniz bekanntlich den N e r v der fünf Gottesbeweise des Thomas von Aquino „ex contingentia mundi", aus der Unselbständigkeit der "Welt und der Bewegung in ihr, genannt. Der Name ist richtig und hat sich bis heute gehalten. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen beiden Denkweisen, der traditionellen der Hochscholastik und der neuen Descartes'? Zunächst ist das Beweisverfahren als Methode der Metaphysik eine etwas problematische Erfindung der Scholastik. Wirklich schlüssig im logischen Sinn sind überhaupt nur analytische Beweise, die aus vorausgesetzten und zugestandenen Axiomen ableiten, dann aber auch nichts Neues erschließen, bloß die Vernunft entfalten können. So ist die Syllogistik bei Aristoteles selber und in der modernen Mathematik und Logik auch in Wahrheit verstanden (vergl. meine Abhandlung: Ursprung und Bedeutung der Logik, Zeitschrift f. philos. Forschung, 1951). Mit solchen echten Beweisen wäre Sein überhaupt nicht erreichbar. In den Gottes„beweisen" handelt es sich vielmehr um ein SichölTnen des Menschen gegen das wahre unbedingte Sein jenseits alles erfahrbar Seienden. N u r so ist die Sdiolastik selber und auch Descartes oder Leibniz in ihrer Metaphysik angemessen zu verstehen. Im Sein selber, sei es der Welt oder der Seele, muß schon der daraus zu beweisende Gott als Voraussetzung gelegen sein. Der Beweis wird zwar dadurch zum Zirkel, aber er wird überhaupt erst sinnvoll. Es bleibt auch dann die Frage: Worin besteht der Unterschied zwischen dem Aufschwung zu Gott bei Thomas ex
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contingentia mundi und dem bei Descartes ex contingentia animae meae? Um das zu erklären, ist kurz auf Aristoteles und das Christentum zurückzugehen. Die moderne Scholastik, die die Gottesbeweise des Thomas heute erneuert, hat so wenig ein angemessenes Verständnis der ontologischen Tradition, wie Thomas, Descartes und später Kant selber es gehabt haben. Der Sinn dieses grundlegenden Lehrstücks der Metaphysik des 17. Jahrhunderts ist daher bis heute noch dunkel, entweder unzureidiend angefochten, nicht mehr ernst genommen oder unbesehen auf Verhältnisse übertragen, wo er seinen Grund verliert. Aber nidit dazu ist PhilosophiegeschiAte als eine philosophisdie Disziplin da. Bei Aristoteles ist zufolge der parmenideischen Grundlagen Sein im Untersdiied zu Seiendem ständige, niemals endende Gegenwart, Immersein, äel öv. Bewegung ist also in bestimmter Hinsicht Nichtsein, Hv öv oder mindestens Unbestimmtheit, äöQtorov. Nun ist aber die ganze Natur als Natur Bewegung, Mischung von Sein und Nichtsein. Jedes Seiende ist entweder bewegt, veränderlich, oder hat wenigstens die Möglidikeit, sich zu verändern. Veränderungs-, Bewegungsmöglichkeit ist Bedrohung des Seins, denn Veränderung ist Ende des Seins und Neuentstehung (9)i9'oeäund yeveaig). Der warme Stein ist nicht kalt, der kalte nicht warm. "Wohl aber kann der Stein beides werden, damit Sein gewinnen und verlieren. "Wo Sein gewonnen und verloren werden kann, ist es unvollkommen, wandelbar und bedroht, nidit rein als Sein, mit Möglichkeit (övvafug) vermischt. Relativ vollkommen ist daher zunächst nur eine Bewegung, die dauernde Kreisbewegung einer Kugel wie der G^stirnsphären, denn sie beginnt, an ihr Ende gelangt, den Umschwung von neuem, kann daher nie enden, nie ihr Sein verlieren. Dies hatte schon Alkmaion von Kroton behauptet (Diels B, 2). Ist nun innerhalb der Natur unter dem Mond jede Bewegung, Veränderung als Sein unvollkommen, so verweist sie auf ein vollkommenes, reines, nidit von der Veränderung bedrohtes, immerwährendes, unermüdbares Sein: die ewige Bewegung der in sich kreisenden
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Gestirnsphären und sogar noch darüber hinaus den oder die berühmten unbewegten Beweger der Welt. Thomas hat diesen Gedankengang aufgegriffen wie vor ihm schon die Araber, Maimonides und Albertus Magnus. Er ist jetzt durdi den alttestamentlichen .Schöpfungsbegriff ergänzt. Wesentlidi für seine Sdilüssigkeit ist, daß die Welt selber, die Natur, bereits im voraus als ein stufenförmig geheiligtes Gebilde verstanden werden kann. Heiligung heißt jetzt Seinsnähe oder Seinsteilhaftigkeit. Die Welt aber ist a deo de nihilo geschaffen, also Mischung von Sein und Nichts. Eine Mischung aus Sein und Nidits, Möglidikeit und Wirklichkeit, war aber die Natur auch bei Aristoteles gewesen. Die irdische Bewegung der Elemente an ihre natürlidien örter oder gewaltsam aus ihnen heraus war nodi unvollkommener als die himmlische Kreisbewegung, mehr mit Nichtsein, bloßer Möglichkeit, behaftet. Die ganze Welt stufte sich auf zum unbewegten Beweger als reinem Sein, ständiger Gegenwart. Sie war an sich in ihrer Mischung von Sein und Nichtsein dem Sein, Gott, zugewandt. Deshalb konnte der Mensch auch von ihr aus, indem er sie betraditete und auf das sidi aufstufende Seinsverhältnis in ihr achtete — den Anfang der Bewegung, das Notwendige zum Zufälligen, die Grade der Vollkommenheit — zu Gott gelangen. Dies ist der Beweis „ex contingentia mundi". Freilich ist dabei der sehr wesentliche Unterschied zwischen dem immanenten Sein des oder der unbewegten Beweger bei Aristoteles und dem unwandelbaren Sein des einzig jenseitigen Schöpfergottes im Christentum und bei Thomas bereits übersprungen. Im Unterschied zur Zeit des Aristoteles und zu der des Thomas ist im frühen Christentum so gut wie bei Descartes die Brücke zur Welt abgebrochen. Im Christentum, weil ja gerade das von Christus verheißene neue Gottesreich ohne Leiden, Schuld, Unrecht und Tod jenseits „dieser Welt" lag (oiz iy. %ov y.öaßov roimv). Bei Descartes, weil — wie wir gesehen haben — Traum und Wachen nicht eindeutig generell unterscheidbar sind und der Zusammenhang der Welt durch den Verdacht, daß ein genius malignus, ein
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trügender Gott, sie geschaffen haben könnte, zerfallen ist. Genau wie früher das Christentum nach der zur Zeit seines Auftretens schon im Verfall begriffenen griechischen Naturerkenntnis behält also Descartes nur die mensdiliche Seele als geschaffenes, endliches Sein (ens creatum) übrig. Wenn das cogito ergo sum auch die stoische Unersdiütterlichkeit des letzten Innern des Menschen mitenthält und damit gegen rein Christliches etwas verändert ist, so ist es doch kein Zufall und nicht so leidit zu nehmen wie meist in der Philosophiegeschichte, daß der Rückzug auf die Selbstgewißheit der Seele auch schon bei Augustinus, dem größten frühchristlichen Philosophen, sich findet. Aber genau wie bei Thomas die selbstverständlich in ihrer Existenz hingenommene und nie bezweifelte Welt ist bei Descartes die im Zweifel entdeckte relative und zunächst einzige Substanzialität, Selbständigkeit der Seele, des ego, immer noch als Sein contingent, abhängig von Gott, wie wir gesehen haben. Der Untersdiied zwisdien der Öffnung des metaphysischen Wegs vom Seienden zum Sein bei Thomas und Descartes liegt also letztlich darin, daß zur Zeit des Thomas nodi die Welt sidi selber als wenigstens teilweise von Gott geheiligt darbot und deshalb unmittelbar auf ihn zu verweisen schien. Bei Descartes aber war das Sein der Welt nur mehr als Mechanik verstanden. Und „die Kausalität" der Mechanik verweist natürlich nicht auf ein Sein, weil Sein gar nidit mehr in ihr liegt. Sie ist ja selber noch gar nidit gesichert und erst des „Beweises", der Sicherung und Begründung, bedürftig. Das bedenken die modernen Scholastiker sehr wenig, die das> was Thomas Ursache, causa, nennt, völlig unbesehen mit „der" Kausalität der modernen Wissenschaft gleichsetzen und den „Beweis" des Thomas in eine Zeit herübernehmen, wo ihm seine aristotelischmittelalterlidien Voraussetzungen, die unmittelbare stufenweise Heiligung der Welt, gänzlich entzogen sind. Wir fahren nach dieser orientierenden Bemerkung in der Darstellung des Gedankengangs Descartes' fort.
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Ich besitze jetzt zwei Wahrheiten: die Einsicht in die finite, begrenzte Existenz des denkenden Idi gegenüber den von ihm abhängigen Gedanken, und die in die unbedingte, infinite Existenz Gottes. Was für Einsidit kann ich daraus gewinnen? Nodi nid}t als wahr erwiesen ist jedenfalls die Existenz der Außenwelt. Allein sie kann jetzt aus den zwei ersten Wahrheiten deduktiv abgeleitet werden. Im Denken meine ich, außer mir Dinge wahrzunehmen. Vom Ich aus gesehen ist dies nur Idee, Gedanke. Erwäge ich aber, daß Gott mich so, wie ich bin, geschaffen hat (siehe Gottesbeweis), daß Gott ein vollkommenes, also auA gutes Wesen ist, dessen Güte ihm nicht erlaubt, midi zu täuschen, so muß die Außenwelt auch in ihrer Existenz real sein, denn mein von Gott geschaffenes Meinen, meine Intention, nimmt sie ja ihrer Natur nach als existent an. Es gibt also neben der begrenzten Wirklichkeit des denkenden Ich noch eine zweite begrenzte Wirklidikeit (substantia finita): die vom Denken gemeinte Außenwelt. Nur die Güte und Wahrhaftigkeit des Sdiöpfergottes (veracitas dei) kann mir diese begrenzte Existenz der Außenwelt garantieren. Die Güte Gottes garantiert die gesdiaffene Wirklichkeit der Welt allerdings in der Tat. Descartes ist alles andere als ein Idealist in Bezug auf die Außenwelt. Er ist ganz eindeutig Realist. Die Außenwelt ist gerade so viel und so wenig wirklich wie das denkende Ich, nämlich substantia finita, ens creatum. Wer etwas anderes annimmt, ist offenbar in der Lektüre der Meditiationen nicht über die zweite hinausgelangt. Innerhalb des Denkens hat uns die Überwindung des Zweifels durch den Satz: „Ich denke, also bin ich" gezeigt, daß das denkende Ich relativ Substanz ist gegenüber seinen Ideen. Die Ideen als soldie, z. B. die Mathematik, sind ihm „angeboren" (ideae innatae), d. h. sie gehören unmittelbar zum Idi als Substanz. Was genauer ist nun aber an der im Meinen uns offenbaren und durdi die Garantie Gottes als wahr verstandenen Außenwelt Substanz, also das, was die Eigenschaften trägt und relativ zu ihnen selbständig ist? Diese Frage ist mit dem Erweis der begrenzten, kreatür7
Schilling,
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liehen Realität oder Substanzialität der Außenwelt im allgemeinen durch die Garantie Gottes nodi nidit entschieden. Die Sinne können den Menschen nidit darüber belehren, was an der Außenwelt Substanz, Wirklidikeit ist. Sie gehen zwar von Natur, wie alles, was von Gott stammt, nicht auf Täuschung aus. Aber die Sinne sind gar nicht Organ der Erkenntnis, sie sollen vielmehr das aus Leib und Seele zusammengesetzte "Wesen Mensch (nidit das ego als res cogitans) lehren, was für seine Erhaltung nützlich oder sdiädlich ist. So sind auch ihre Bilder oft verworren. Descartes macht das an der Vorstellung von einem Tausendeck klar, das in der Anschauung gar niAt, bei Abzählung seiner Ecken im Verstand aber sehr leidit von einem Tausendundeineck unterscheidbar ist. Prüfe ich nun mit dem Verstand meine Ideen von der Außenwelt, so sehe ich, daß alles wechseln kann: Farbe, Geruch, Ton, Gefühl. Nur die Ausdehnung (extensio) bleibt in allem Wandel dieselbe. Und sie ist es auch, die in der Geometrie exakt erfaßt wird. Substanz der Außenwelt ist also die res extensa, das ausgedehnte Ding, und zwar gegenüber Gott als der wahren unendlichen Substanz natürlich auch nur wie das ego cogitans: substantia finita, kreatürlidies Sein. "Wie das ego als res cogitans Substanz, relativer Grund der Gedanken, Ideen, ist, so ist die extensio als res extensa die substantia finita, der relative Grund" aller Eigenschaften der Außenwelt. Also gibt es bei Descartes drei "Wirklichkeiten: eine vollkommen selbständige unendliche: Gott, und zwei begrenzte von Gott geschaffene und dauernd erhaltene: Denken und Ausdehnung. Es bleibt nodi die Aufgabe, den Irrtum im Erkennen zu erklären. Von der Vollkommenheit Gottes aus ist wohl die "Wahrheit mensdilichen Erkennens, aber nicht der Irrtum verständlich. Allein der Mensch ist als Geschöpf Gottes zwar gut, aber doch nicht vollkommen. Seine Kraft ist besdiränkt. Er kann nicht alles erreichen wie Gott. Dagegen hat er die Möglichkeit, sich selber in seinen Grenzen zu halten, und darin ist er vollkommen. Gibt er nämlidi nur dem im Urteil seine Zustimmung (stoisch: ovyxavd'&eoi.g')^ -^vas er
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wirklidi klar und deutlich einsieht, so kann er nicht irren. Nur wenn er gewaltsam mit "Willen sein Erkennen auch auf das verworren Gegebene erstreckt, ist er dem Irrtum ausgeliefert. Klar (clare) ist eine Erkenntnis dann, wenn sie selbstgegeben, deutlich (distincte), wenn sie unverwechselbar von allem andern unterschieden ist. Jetzt hat Descartes die Grundlagen in der Hand, um die große Aufgabe der Naturerkenntnis das erste Mal philosophisch durchzuführen. Philosophisch im Unterschied zur Einzelwissensdiaft heißt: zugleich aus dem Bewußtsein der Rüdkbindung an Gott und der Verfügungsgewalt über die Methode aus Einsicht in ihre Natur und ihre Grenzen. Beides haben ihm die Regulae und die Meditationen gegeben. Trotzdem ist die Hypothese, die Descartes jetzt gewinnt, wieLeibniz später scharfsinnig zeigen konnte(Seite 151), im einzelnen falsch. In der atomistischen Tradition der Franzosen hat er die Substanz der Natur als das Volle der Ausdehnung verstanden (Demokrit: nX-fjosg = 6v), Das paßte zu seiner großen mathematischen Entdeckung, der analytisdien Geometrie. Die einzigen Modi der Ausdehnung, des räumlich Vollen, sind Figur und Bewegung. Sie sind geometrisch exakt faßbar. Der Unterschied der analytischen Geometrie zu der der Griechen besteht darin, daß jetzt jeder Punkt, jede Linie, jede Figur durch das Koordinatenkreuz („Fundamentallinien") in ihrer Lage im Raum und zugleich algebraisch durch Gleichungen definierbar werden. Die bloße Ansdiaulichkeit der Figuren und ihr geometrischer Zusammenhang wird auf diese Weise zum ersten Mal rein intellektuell im Zeichenzusammenhang operativ verständlich. Die ausgedehnte Substanz ist teilbar. Die Natur im ganzen ist als Geschöpf und Bild Gottes in ihren Bewegungsgesetzen unveränderlidi. Die Menge (quantitas) der Bewegung, die Gott bei der Schöpfung in sie gelegt hat, bleibt immer erhalten, sie wird nur transponiert. Es gibt drei Bewegungsgesetze: 1. das Beharrungs und Trägheitsgesetz, 2. das Gesetz, daß jede Bewegung, soweit sie nicht mechanisdi abgelenkt wird, in geraden Bahnen sich vollzieht, 3. das Gesetz, daß beim Zusammentreffen zweier Körper
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sich ihre Bewegung proportional ihrer Geschwindigkeit und Ausdehnung ausgleicht. (Dieser Begriff der Bewegungsgröße im Atomismus Descartes' ist das Unklare, nicht genügend Durchdachte, das, wasLeibniz später durch die Kraft ersetzt und zum Satz von der Erhaltung der Energie umgebildet hat.) Die Mechanik gilt natürlich so gut für das irdische wie für das himmlische Geschehen. Die Ordnung der Gestirne ist nach Descartes durch einen Wirbel entstanden. Mittelpunkt ist die Sonne. Einen leeren Raum gibt es nicht, da ja die Ausdehnung selber Substanz und also irgendwie „voll" sein muß. Durch den Wirbel um die Sonne wird alles im Strom der flüssigen Himmelsmaterie durch Berührung und Kontakt (nicht durch Fernkräfte im Leeren wie bei Newton) mitgenommen. Das Flüssige und Feste unterscheidet sidi durch eine größere oder geringere Teilung der Materie (größere und kleinere Atome) und durch verschiedenen Zusammenhalt der Teilchen. Natürlich ist sich Descartes bewußt, daß dies alles im einzelnen eine Hypothese, und durchaus nocii nicht klar und deutlich ist. Die Natur als Außenwelt ist res extensa, die Natur als Innenwelt ist res cogitans. Der Mensch hat als ein aus Leib und Seele zusammengesetztes "Wesen an beiden Naturbereichen teil. Aber im Ansatz der Philosophie, in ihrer Grundlegung, sind die beiden endlichen Substanzen der Natur, Ausdehnung und Denken, zunächst einmal völlig getrennt. Nur das'Denken ist sich seiner, Gottes und der Ausdehnung als eines Denkgegenstands bewußt. Nur die Garantie der dritten schöpferischen unendlichen Substanz gibt die Gewißheit, daß der nur im Modus des Denkens als Ausdehnung bewußte Gegenstand auch Wirklichkeit, res, ens creatum, substantia finita, Natur, ist. Vom Denken selber aus komme icJi nur zu Gedachtem, nicht zu Ausgedehntem. Also ist auch der Zusammenhang des aus Denken und Ausdehnung, Leib und Seele, bestehenden Wesens Mensch höchst problematisdi. Er ist uns nicht gegeben und wird von Descartes durch eine merkwürdige Hypothese ersetzt.
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Bei seinen medizinisch-anatomischen Studien traf er nämlich auf ein Organ, dessen Funktion er sich nicht erklären konnte, das aber mitten im Kopf saß: die Zirbeldrüse. So meinte er, daß es die räumliche Stelle sei, wo der Leib mit der Seele Kontakt habe. Natürlich ist das nur eine Annahme, die noch dazu gar nicht klar vorstellbar ist, weil immer die Frage bleibt, wie Denken und Ausdehnung als zwei Substanzen überhaupt Gemeinschaft haben können. Zudem ist diese Gemeinschaft zwischen Leib und Seele in der Zirbeldrüse mit dem geschlossenen mechanischen Bewegungszusammenhang genau so wenig vereinbar wie im modernen Vitalismus die Entelechie oder andere geistigteleologische Einheiten mit den physikalisch-chemischen Gesetzen. Hier beginnen daher auch die Fortbildungen seines Systems im Occasionalismus, von denen wir noch hören werden (Seite 107 ff.). Den Leib aber dachte Descartes sich — ausgenommen seiner Steuerung durdh die Seele von der Zirbeldrüse aus — als selbständiges Bewegungsgefüge. Die Tiere, die diese Steuerung und also angeblich auch keine Seele und kein Denken haben sollen, werden dann zwangsläufig zu Automaten. "Wichtiger als diese so problematische Anthropologie und Zoologie ist die Ethik Descartes'. Das wahre Selbst des Menschen ist für ihn das frei über die Natur verfügende, nur von Gott abhängige Selbjcbewußtsein. Seine eigentlich substantiale Tätigkeit ist das Denken. Die Leidenschaften und "Wünsche dagegen, die „Passionen", gehen auf den Einfluß des dem denkenden Selbst fremden Leibs und die ihm noch fremdere Außenwelt zurück. Nur wenn das Selbst die Außenwelt klar und deutlich denkt, hat es sie in dem ihm gemäßen Modus begriffen und ist deshalb frei von ihr und wirklich an Gott gebunden. Allein in dieser Freiheit kann es auch selbstmächtig über sie verfügen in der Technik. Die Technik als Naturgestaltung wird hier viel tiefer als bei Bacon in der nur an Gott gebundenen, nur von Gott abhängigen Freiheit des Selbstbewußtseins der kreatürlichen Außenwelt gegenüber begründbar.
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In den Sinnesvorstellungen dagegen wirbt der Leib um die Zustimmung des bewußten Willens. Dieses "Werben ist nicht Zwang, denn die res cogitans ist nur von Gott, nidit von der res extensa, abhängig. Der res extensa steht sie vielmehr gerade durch ihr Geschaffensein von Gott unabhängig und „objektiv" gegenüber. Deshalb verlegt Descartes mit der Stoa die wahre Tugend des Menschen in die Freiheit von den Leidenschaften. Sie wird erreicht durdi Selbstbeherrschung und Rückzug auf das denkende Ich. Die Philosophie, die sich durch den Zweifel auf das Denken zurückzieht und im Denken sicii ihre Abhängigkeit von Gott und die Selbstmächtigkeit und Unberührbarkeit des Idi von jedem Leiden und audi vom äußeren Geschick klarmacht, ist die hödiste Bezeugung der menschlichen Freiheit vor Gott. Descartes selbst hat diese Unabhängigkeit seiner Existenz von Wünschen, die ihn in die Welt verstricken könnten, in seinem Leben zu einem fast krankhaften Extrem gesteigert. Es wurde schon berichtet, wie er einsam lebte, um jeden Konflikt mit der Welt zu vermeiden. Descartes' Art des Philosophierens ist allerdings eine klassisclie Ausprägung des neuzeitlidien MenscJien. Nur darf man dies, wenn man es in seiner Eigenart verstehen will, nicht dadurdi verfälschen, daß man die Bindung an Gott als ein bloß zufälliges und im Grund überflüssiges Rudiment früherer Zeiten schlankweg ignoriert oder nicht ernst nimmt. Das hat die Aufklärung zum ersten Mal getan, fast die gesamte philosophiegeschichtliclie Forschung bis heute redet es ihr mehr oder weniger nach. Auch Heidegger und seine Schüler (Gerhard Krüger) sind von diesem grundlegenden Irrtum abhängig geblieben. Letztlich ist es nichts wie historische Fälschung durcJi den Geist des 18. bis 20. Jahrhunderts, der sich gewaltsam bereits in der Klassik selbst verstehen und wiederfinden will. Aber wenn wir heute langsam anfangen, die Griechen (und in ihrer Philosophie gerade durch die Forschung Heideggers) so zu begreifen, wie sie gewesen sind und nicht nur nach dem klassizistiscJien Ideal des 18. Jahrhunderts, so sollte Ähnlicäies
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wohl auch bald für das 17. Jahrhundert und seine edite Philosophie möglidi werden. Quellen und Literatur. Gesamtausgabe von Adam et Tannery, Paris 1897/1910, 12 Bde. Correspondence, ed. Adam et Milhaud, 3 Bde., Paris 1936/41. Deutsdie Übersetzung der wichtigsten Schriften in Meiners philosophisdier Bibliothek, der Briefe (in Auswahl) von M. Dense, 194''. Einzelnes auch von andern Übersetzern. — Paul Natorp: Descartes' Erkenntnistheorie, 1882. A. Kastil: Studien zur neueren Erkenntnistheorie I, Descartes 1909. Ch. Adam: Vie et oeuvres de Descartes, Paris 1911, neue Aufl. 1937. O. Hamelin: Le systeme de Descartes, Paris 1911. E. Gilson: Index scolasticocartesien, 1912; La doctrine cartesienne de la liberte et la theologie, 1913; Kommentar zum Discours, 2. Aufl. Paris 1926; Etudes sur le role de la pens^e medi^vale dans la formation du systeme cartesien, Paris 1951. M. Leroy: Descartes, Paris 1928. G. Krüger: Die Herkunft des philos. Selbstbewußtseins, Logos 1933. Oskar Bedser: Husserl u. Descartes, Ardiiv f. Rechts- und Sozialphilos. 1937. H . Friedridi: Descartes u. d. franz. Geist, 1937. K. Jaspers: Descartes u. d. Philos., 1937. J. Boorsch: Etat presant des etudes sur Descartes, Paris 1937. L. Brunschwicg: Descartes, Paris 1937. H . J. de Vleesdiouwer: Descartes, Nimwegen 1937. Olgiati: La filosofia di Descartes, 1937. A. Koyre: Trois lefons sur Descartes, Le Caire 1938. M. Versfeld: Essay on the metaphysics of Descartes, London 1940. E. J. Chevallier: Descartes, Fribourg 1947. F. Alqui^: La d^couverte metaphysique de l'homme diez Descartes, Paris 1950. G. Lewin: L'individualit^ selon Descartes, Paris 1950. A. Balz: Cartesian studies, 1951; Descartes and the modern mind, 1952. H . Sdiolz, A. Kratzer, J. Hofmann: Descartes, 3 Vorträge 1951. C. Serrurier: Descartes, Paris 1951. H. Leisegang: Descartes, Berlin 1951. 2. P a s c a l u n d d e r O c c a s i o n a l i s m u s Blaise Pascal (1623—1662) ist geboren in Clermont in der Auvergne. Sdion sein Vater war als Mathematiker bekannt. Mit 16 Jahren fand er den für die Geometrie wichtigen „pascalschen Satz" in einer in Anlehnung an Desargues gesdiriebenen Abhandlung über Kegelschnitte. Auch weiterhin hat er sidi sdiöpferisdi mathematisdi und physikalisA betätigt auf den Gebieten der Geometrie, Zahlentheorie, Wahrscheinlichkeitsrechnung. Er ist einer der Vor-
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läufer der Infinitesimalmethode. Die Erfindung einer Redienmasdiine, Untersuchungen über das Gleidigewidit der Flüssigkeiten und der experimentelle Nachweis der Abhängigkeit des Luftdrucks von der Höhe des betreffenden Orts gehen auf ihn zurück. Auch als Sdiriftsteller ist er groß gewesen. Seine Lettres ^ un provincial, eine Satire auf die Jesuiten, die deren Rechtfertigung moralisch zweifelhafter Mittel durch den guten Zweck verspottet, machte ihn schon in jungen Jahren berühmt. Ein Manuskript von ihm lag der Ausarbeitung der sogenannten Logik von Port-Royal durch Arnauld und Nicole zugrunde, eines bekannten Lehrbuchs der Zeit, das die Logik psychologisch freier gestalten wollte. Nachdem er ursprünglich das Leben eines "Weltmanns geführt hatte, ließ er sich durch seine fromme Schwester Jacqueline, die Nonne in Port-Royal war, bekehren und stand bis zum Ende seines Lebens dem dortigen jansenistisdi-augustinisdien Kreis nahe. Die Reflexion auf die mathematische Methode ist bei Pascal ganz ähnlidi beschaffen wie bei Descartes, wenn er audi den Grund des Selbstbewußtseins in dieser Methode nicht mehr mit der gleichen Tiefe des Zweifels erfaßt. Die Beweise führen bis zu relativ ersten Begriffen wie Raum, Zeit, Bewegung u. a., die nicht abgeleitet und bewiesen, sondern durch das natürliche Lidit der Einsicht klar erfaßt werden. Erst von ihnen aus ist alles beweisbar. Der allmähliche Fortschritt in der Erkenntnis und Gewißheit ist somit unbegrenzt (nicht unendlidi). Aber die Vernunft selber hat Grenzen. Ihre Beweise sind und bleiben von Voraussetzungen abhängig, sie sind also immer nur hypothetiscJi. Sie kann die Unendlidikeit Gottes nicht erfassen und versagt ganz vor den Bedürfnissen des menschlichen Herzens. Hier trennt sich Pascal endgültig von Descartes. Descartes war sicher kein Atheist oder Aufklärer, aber zur historischen Offenbarung des Christentums hatte er in seiner Philosophie (trotz einer unternommenen 'Wallfahrt nach Loretto) kein Verhältnis. Ihm war Gott selber die Grenze
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der Vernunft. Und zwar auf soldie "Weise, daß er innerhalb der Vernunft als deren Grund und Ursprung in Beweisen offenbar wurde, nicht durch eine historisdi erfaßbare und zugleidi unbegreiflidie Bezeugung in der äußeren "Welt. Vernunft und Jenseits als Grund der Vernunft waren untrennbar, harmonisdi und ohne Bruch und "Widerspruch verbunden. Gerade darin, in diesem Vertrauen in die Vernunft, bestand die neue Metaphysik. Bei Pascal dagegen wird die Religion ein selbständiger Bereich neben der Vernunft und Mathematik, ein Bereich, an den die Vernunft nicht hinlangt. Mit ausdrüdclicher Spitze gegen Descartes, aber sdiließlich auch gegen die Logik der Gottesbeweise in der Scholastik, hat er gesagt: „Gott ist nicht der Gott der Philosophen, sondern der Gott Abrahams, Isaacs und Jakobs". Das heißt: Gott ist derjenige, der sich in der Geschichte des alten und neuen Testaments offenbart. So kommt Pascal in erster Linie zu einer ganz andern Anthropologie wie Descartes. Die erste Grunderfahrung seines Geistes war die Vollkommenheit und Sidierheit des menschlidien Denkens in der Mathematik. Hier war er Meister wie nur die Größten dieser "Wissenschaft. Er hatte alle Möglichkeiten durdischaut, war aber damit an ihre Grenzen gekommen. Die zweite Grunderfahrung war die Religion. Auch ihr gab er sich mit der gleichen Leidenschaft hin wie der Mathematik; sie entsprang dem echten Sündenbewußtsein und der Verzweiflung an seinem Seelenheil. Diese praktische Verzweiflung in anderen Bereichen bildete den Grund seines religiösen Denkens, fast analog wie der theoretische Zweifel bei Descartes den Grund des Selbstbewußtseins gebildet hatte. So trennt er die Mathematik und die Religion, die Descartes vereinigt hatte, ausdrücklich und sagt: Le coeur a ses raisons, que la raison ne connait pas, „Das Herz hat seine eigene "Vernunft, von der die Vernunft nidits weiß." Der Sinn dieses Satzes liegt in dem Spiel mit den zwei Bedeutungen des "Worts Vernunft, in der Spaltung des Lebens durch zwei Logiken (logique du coeur und logique de la raison). Beide bestimmen getrennt voneinander das menschliche Denken.
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Was bei Descartes durdi zwei relative Substanzen, Denken und Ausdehnung, Seele und Leib getrennt, aber dodi in der unendlidien Substanz Gottes kunstvoll und tief vereinigt war, ist bei Pascal zu zwei Gesichtspunkten geworden, zwischen denen der Mensch sdiwankt, sdiwanken muß und schwanken soll. Er ist alles gegenüber dem Nichts, nichts gegenüber der Unendlichkeit Gottes und so ein Mittleres zwiscäien beiden (un neant k l'egard de l'infini, un tout k l'egard du neant, un milieu entre rien et tout). Die großen Seelen — meint er — nachdem sie alles, was Menschen wissen können, erschöpft haben, finden, daß sie nichts wissen und kehren zu der Unwissenheit zurück, von der sie ausgegangen sind. Aber es ist jetzt eine „gelehrte Unwissenheit", die um sich Bescheid weiß. Diese gelehrte Unwissenheit, ignorance savante, ist ganz ähnlich gedacht wie das Wissen des Nichtwissens bei Sokrates, die docta ignorantia des Nicolaus von Cues. Unter dem Einfluß von Nikolaus steht Pascal sichtlich; fast kann man sagen, er könnte mit seiner Spaltung des Bewußtseins und der Begrenzung der Vernunft vor der wahren Unendlichkeit Gottes eher ein Deutscher als ein Franzose sein. Praktisch wirkt sich dann diese anthropologische Mittelstellung zwischen Gott und dem Nichts für den Menschen darin aus, daß er zwar die Natur technisch beherrscht, aber doch im Tod hilflos ihr preisgegeben ist. Nur indem er sich dies klar macht, kommt der Mensch nach Pascal zu einer stolzen und harten, fast lieblosen Größe seines menschlich begrenzten Selbstbewußtseins: „Die Natur vernichtet den Menschen, ohne es zu wissen. Aber der Mensch hat Überlegenheit über die Natur, die ihn tötet, und die liegt darin, daß er weiß, daß er stirbt." Es ist der letzte übrig gebliebene Rest der menschlichen Freiheit und Unabhängigkeit vor Gott, den Descartes noch in der Vernunft selber gefunden hatte. Die eigentliche philosophische Vollendung fehlt dem Denken Pascals, denn am Ende bleibt ihm nichts, um den Zwiespalt des Menschen zwischen Herz und Vernunft zu lösen, als die auf jedes Denken verzichtende Hingabe an den Kult der Kirche. In der Betonung dieser Zerrissenheit
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der menschlichen Natur bis ins letzte Extrem steht Pascal aber dem modernen Geist sehr nahe. Trotzdem wird er gewöhnlidi ebenso wenig richtig verstanden wie Descartes. Pascal war, wenn ihm auch das philosophische System und die Vereinigung von Herz und Vernunft nidit gelungen ist, dodi bei aller Abhängigkeit von Descartes eine selbständige große Persönlichkeit. Das kann man von den sogenannten Occasionalisten nur mehr bedingt sagen. Sie stellen in manchem die Verbindung her zwischen Descartes und Leibniz. Die Übergänge vom Cartesianismus zum Occasionalismus bei Johannes Clauberg, Louis de la Forge und Cordemoi können hier übergangen werden. Als Repräsentanten seien nur Arnold Geulincx (1624—1669) und Nicole Malebrandie (1638—1715) herausgegriffen. Den Anstoß zur Trennung des Occasionalismus von Descartes gibt nidit ein so tief es Problem wie die Selbständigkeit des Herzens und der Religion gegenüber der Vernunft bei Pascal, sondern die letzten im Grund äußerlichen Schwierigkeiten der cartesianischen Systematik in der Anthropologie. Es ist klar, daß aus einem philosophisch so oberflächlichen Ansatz nichts wirklich Befriedigendes entstehen kann. Der Occasionalismus ist ein gut gemeintes verbessertes cartesianisches Schulsystem geblieben. In der Gesdhidite ist er aber wichtig als gültiges Zeugnis dafür, daß nidit die Aufgeklärtheit und technische Selbstmäditigkeit der Vernunft, sondern ihre metaphysische Bindung an Gott der entscheidende Gedanke Descartes' gewesen ist. Dieser Gedanke ist bei den Occasionalisten entfaltet. Ausdehnung und Denken, Leib und Seele sollten bei Descartes in der Zirbeldrüse in dieser physiologisch lächerlichen Weise verknüpft sein, es gab einen influxus physicus, einen physischen Einfluß auf den Geist, einen geistigen Einfluß auf die Mechanik des Leibs. Dies war natürlich nicht haltbar. Wie aber war sonst eine Übereinstimmung zwischen Seele und Leib, Denken und Ausdehnung möglich?
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Geulincx geht von der problematisdien Anthropologie Descartes' wieder zurück auf seinen ursprünglichen metaphysischen Gedanken, daß Gott es ist, der diese Übereinstimmung garantiert. Bei Descartes war das dadurch ausgesprochen, daß Gott uns nidat so geschaffen haben kann, daß wir uns in dem täuschen, was wir unserer Natur gemäß meinen. Bei Geulincx ist noch viel unmittelbarer Gott selber die Ursache der Wahrnehmungen in uns. Er veranlaßt es als causa vera, daß ich „bei Gelegenheit" eines Gesdiehens in der Außenwelt — daher der Name Occasionalismus — in mir die richtige Vorstellung von diesem Geschehen als Gedanke habe. Und zwar hat Geulincx sich das anfänglich wohl als ein dauerndes Eingreifen Gottes gedacht. Später hat er das bekannte Uhrengleichnis dafür gebraucht, das er von Descartes übernahm und an Leibniz weitergab. Denken und Ausdehnung sind wie zwei Uhren, deren Gang, obwohl sie keinen physischen Kontakt miteinander haben, doch genau übereinstimmt, weil ein Medianiker, Gott, beide konstruiert und auf gleiche Zeit eingestellt hat. Der tiefere Grund für diese merkwürdige Vorstellung des genau parallelen Gesdiehens in Leib und Seele ohne physisdien Kontakt ist der, daß ich eine Verursachung wohl zwischen zwei innerweltlich mir gegebenen Gegenständen wahrzunehmen glaube, aber nicht verstehen kann zwischen Seele und Leib. Den innerweltlichen Gegenständen gegenüber stehe ich auf einem übergeordneten Standpunkt, von dem aus ich Ursache und Wirkung wahrnehme. Die Außenwelt ist mir dagegen im Denken, "Wahrnehmen, Meinen intentional gegeben. Hier ist nur Gott der dritte, der beide sieht und vergleidien kann. Was aber nicht verständlich ist, das kann auch nidit sein, meint Geulincx echt rationalistisch. Nur Gott als Grund ist einsichtig, und also ist er Ursache dieses innerweltlich vorstellungsmäßig nicht verständlidien Verhältnisses von Seele und Leib. Aus diesem Gedanken entspringt dann weiterhin die Ethik. Kann ich in das äußere Geschehen nidit eingreifen, ist es mir vielmehr nur von Gott gegeben, so bin ich auch
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nidit dafür verantwortlidi. Ubi nil vales, ibi nil velis. Verantwortlich bin ich dagegen als relative Substanz für meine Gedanken, Gesinnungen, für meinen Willen. Die Vernunft, das Denken allein ist das Abbild Gottes in der Welt, die endliche, nach dem Bild der unendlidien geschaffene Substanz. Hier aber ist die entscheidende Tugend humilitas und inspectio sui, demütige Unterwerfung unter den Willen Gottes, der sich im Gegebenen mir kundgibt, und Einsidit, Prüfung meiner selbst, ob meine Gesinnung Gott und dem von ihm Gegebenen gegenüber audi die riditige ist. Lohn und Strafe hat Geulincx ganz aus der Ethik aussdiließen wollen. In ähnlicher Weise benützte Malebrandie den cartesisdien Dualismus, um seinem religiösen Grundgefühl zufolge die ganze Welt in Gott hineinzuverlegen. Gerade das System von Malebranche zeigt mehr wie alles andere, daß das konsequente Durchdenken der Grundlagen Descartes', wenn einmal die ausgehaltene Spannung, die hier zwisdien Welt und Gott herrscht, einseitig aufgehoben ist, mit Notwendigkeit auf diese Vergottung der Welt führen mußte. Die Verselbständigung des Menschen vor Gott, die aufklärerisdie und moderne Interpretation Descartes', ist nur das andere, ebenso einseitige Extrem dazu. Malebranche behauptet, daß es in der Welt überhaupt keine echte Ursache geben kann, weil Ursache so viel wie Grund, Träger, Erhalter, Substanz ist und es in Wahrheit nur eine echte Substanz gibt, die substantia infinita, Gott. Ganz ähnlich wie später Hume hat bereits Malebrandie gesehen, daß wir eigentlich nicht recht verstehen und sagen können, was Verursachung überhaupt ist. Wir sehen wohl die Folge der Dinge hintereinander in der Zeit, auch die Regelmäßigkeit dieser Folge, aber nicht das, was die Folge eigentlidi bewirkt. Dagegen ist es für Malebranche genau so wie für Descartes eindeutig klar, daß die Seele des Menschen und ihr allein selbstgegebenes Denken und Meinen nicht selbständig ist und des Schöpfers und Erhalters zur Existenz bedarf. Gott ist also in der substanzialen Abhängigkeit meiner Seele
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von ihm klar und deutlich, das Weltlidie dagegen ist nicht klar. Das Unklare und Unbekannte muß nach dem Bekannten und Klaren erklärt werden. Sogar nodi weitergehend: „Man kann von einer Sache nur behaupten, was man als in der Idee, die sie repräsentiert, klar eingeschlossen begreift. Oder: Alles,, was man klar begreift, ist genau so, wie man es begreift." (Rech. d. 1. ver. IV, 11.) Das ist der Grundsatz eines unbedingten Rationalismus, allerdings eines solchen, in dem Gott der jenseits der Vernunft liegende Grund der Vernunft ist. Malebranche hat konsequent und im Anschluß an gewisse Gedanken Augustins gelehrt, daß wir alle Dinge nur „in Gott" schauen. „Gott ist es also, der mitten unter uns gegenwärtig ist, nicht wie ein einfacher Zuschauer und Beobachter, sondern wie das Prinzip unserer Gesellschaft, wie das Band unserer Freundschaft, die Seele unseres Verkehrs und unserer Unterhaltung. Wir können zueinander nur sprechen und uns berühren durch die "Wirksamkeit seiner Macht. Gott ist es, der die Luft im Raum ausbreitet und sie mich einatmen läßt und meine Organe in Bewegung setzt und der in der Luft meine "Worte bildet, die bis zu deinem Ohr vordringen. Mit einem "Wort: Nidit ich bin es, der atmet, sondern ich atme trotz meiner. Nicht ich bin es, der zu dir spricht, sondern ich spreche trotz meiner." (Entretiens VII.) Die reichen Einzelheiten dieses Systems können hier nicht zur Darstellung kommen. Der Grundgedanke als höchste Steigerung des Gottesbeweises von Descartes ist klar. Aber es bleibt trotzdem ein unlösbarer "Widerspruch. Menschliche Verantwortlichkeit — bei Descartes noch aus der Gottebenbildlichkeit des "Willens entspringend — gibt es jetzt nicht mehr, wenn Gott nur in mir wirkt. Und schlimmer noch: Die Trennung von Gott und "Welt, die das System so gut wie der Glaube fordert, wird schließlich eine schwer verständlidie Subtilität. Die Unendlichkeit des Raums in der "Welt nähert sich bedenklich der Unendlichkeit Gottes. Spinoza, radikaler wie Malebranche und nicht mehr durch den christlichen Glauben gebunden, hat die letzte Konse-
2. Pascal und der Occasionalismus
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quenz g e z o g e n u n d G o t t u n d W e l t g l e i d i p s e t z t , w i e w i r n o d i sehen w e r d e n (Seite 126 fF.). Malebranche aber hat, entsetzt, als er dies sah, trotz aller f o r m a l e n Ä h n l i d i k e i t in Spinozas System das teuflisch falsdie Gegenbild seines eigenen erblickt. Er meinte, bei ihm selber sei das U n i v e r s u m , die N a t u r , in G o t t verlegt (spiritualisiert, seiner Materialität entkleidet), bei S p i n o z a umgekehrt der G o t t zur N a t u r g e w o r d e n (materialisiert, vergegenständlicht). D a s ist aucJi durchaus riditig. W e n n aber die Resultate beider so verschiedenartiger V o r g ä n g e sich fast unverwecJiselbar ähnlich w e r d e n , so steht es doch bedenklich um die Systematik u n d das begriffliciie D e n k e n . Quellen und Literatur. Pascal: Oeuvres complkes, ed. Brunschwicg et Boutroux, 11 Bde., Paris 1908/14. In anderer Anordnung ed. Strowski, 3 Bde. 1923/31. Pascal inedit, ed. E. J o v y , 5 Bde. 1905/14. Deutsche Übersetzung der Pensees, des philosophischen Hauptwerks, unter dem Titel: Ober die Religion, von Wasmuth i. d. Anordnung Brunschvicgs, 1937; und in der Anordnung Strowskis von E. Rüttenauer unter d. Titel: Gedanken, u n d : Vermächtnis eines großen Herzens, 1938. (Vergleich beider Ausgaben von Rheinfelder, H o d i l a n d Bd. 37.) Allgem. Pascalbibliographie V. A. Maire, 1926. E. J o v y : Etudes pascaliennes, 1927. E. Boutroux: Pascal, 9. Aufl. 1927. F. Strowski: Pascal et son temps, 1907/08. Romano Guardini: Das christl. Bewußtsein, Versudi über Pascal, 1935. M. Bishop: Pascal, deutsch 1938. E. Buchholtz: Pascal, 1939. E. Lerch: Neueste Literatur über Pascal, Schweizer Rundschau 1948. E. Baudin: Etudes hist. e. er. s. 1. philos. de Pascal, Neufchatel 1946 ff. A. Beguin: Pascal, Paris 1947. H . Lefebvre: Pascal, Paris 1949. L. Bonyer: T h e Pascal mystery, Chicago 1950. J. Laporte: Le coeur et la raison selon Pascal, Paris 1950. Ch. Journet: Verite de Pascal, 1951. J. Guitton: Pascal e Leibniz, 1951. — Geulincx: Opera philosophica ed. P. N . Land, H a a g , 1891/93. Ethik, deutsch v. G. Sdimitz, 1948. P. N . L a n d : Geulincx und seine Philosophie, 1895. De Vleeschouwer: Geulincx, die T a t w e l t Bd. 18. K. Nagel: Das Substanzproblem bei Geulincx, 1930. G. HofFmann: Das Freiheitsproblem bei Geulincx, 1931. De Vleeschouwer: De orationes van Geulincx, Antwerpen 1942. — Malebrandie: Oeuvres, 11 Bde., Paris 1712; 4 Bde., ed. Simon, Paris 1871 (nicht vollständig). Neue Ausgabe im Erscheinen von D. Roustan, 1923 ff. Deutsche Übersetzung der Erforschung der Wahrheit, des philos. Hauptwerks,
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3. H o b b e s Hobbes ist nicht von Descartes beeinflußt, seine Beteil i p n g an den Einwänden zu den Meditationen ist nicht viel mehr als ein gegenseitiges Mißverständnis beider Männer. Descartes' Ansatz findet erst in Spinoza und Leibniz eine Fortentwicklung. Da sidi aber Spinoza außer auf Descartes auch auf Hobbes bezieht (in der Staatslehre), muß Hobbes hier zuerst besprochen werden. Thomas Hobbes (1588—1679) ist der Sohn eines ungebildeten Landgeistlidien aus der Nähe von Malmesbury. Er studierte in Oxford, wo sich von der Sdiolastik her noch die nominalistische Tradition des späten Mittelalters erhalten hatte. Dann wurde er Hauslehrer bei dem Earl of Devonshire. Nach kurzer Zwischentätigkeit als Sekretär Bacons kehrte er in das Haus des Earls zurück, mit dem er sein ganzes Leben lang verbunden blieb. Er madite mit seinem Schüler große Reisen auf dem Kontinent, wo er auch Galilei und den Kreis um Descartes kennen lernte, und wurde später der Sekretär seines Zöglings. Da er Monarchist war, emigrierte er vor der Revolution und lebte 11 Jahre in Paris, zeitweise als Geometrielehrer des späteren englischen Königs Karls IL Als das Regime Cromwells sich konsolidiert hatte,, kehrte er nach England zurück. Er erlebte noch die Restauration der Monardiie und ist im hödisten Alter auf dem Landsitz der Grafen von Devonshire gestorben. Der Ausgangspunkt der Philosophie von Hobbes liegt in zwei Tatsachen, ohne die sie nicht verständlich wird: die lebhafte Anschauung des Bürgerkriegs in seiner Heimat, den
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er als Anhänger des royalistisdien Adels miterlebte und der sein Sdiidksal bestimmte; und der Eindrudc, den ihm die neue Mathematik und die mathematisch-physikalischen Forschungen Galileis machten. Er wollte die sichere Methode des Beweisens und Sdilußfolgerns, der Analyse und Synthese der Tatsachen, als deren Beispiel er die Mathematik und Physik Galileis ansah, auf den Gegenstand übertragen, der ihm vor allem am Herzen lag: den Staat, die menschliciie Gesellschaft, die Geschichte. Seine erste Arbeit war eine Übersetzung des Thukydides. Schon 1640 suchte er in einer kleinen Sdirift die Unteilbarkeit der Souveränität des Königs zu erweisen. Sein Hauptwerk ist das dreigeteilte System: De corpore, De homine, De cive. Es entstand vor allem in der Emigration in Paris, und zwar der letzte Teil zuerst: 1642 (die andern 1655 und 58). Das Spätwerk Leviathan wiederholt die Staatsphilosophie nochmals ausführlicher. Die Zeit des langen Parlaments stellt ein Geschichtswerk dar: Behemoth. Seine letzte Arbeit war eine Übersetzung Homers in gereimten Jamben. Der Methode Galileis nach sucht Hobbes einen begrifflichen Entwurf, dessen rationaler und geschaffener Aufbau ein Modell der allgemeinen Strukturen des Gegenstands ist. Den Gegenstand nennt er „Körper", ohne daß damit die Vorstellung des Materialismus verbunden wäre. Körper ist ihm nur, was sich als Gemeintes aus der Zerlegung und dem Aufbau seiner Elemente rational definieren läßt. Definieren ist berechnen, weil Zerlegung und Summierung eine mathematische Operation ist. Von Gott gibt es bei Hobbes grundsätzlich kein Wissen. Nicht weil es keinen Gott gibt, im Gegenteil, sondern weil Gott nicht Gegenstand möglicher Berechnung in diesem Sinn ist. Das prinzipiell »«gegenständliche („«»körperliche") Sein Gottes begrenzt — fast schon ähnlich wie später bei Kant — alles menschlich „berechenbare" "Wissen von Seiendem („Körperlichem"). Zur Berechnung erfinden wir in der Logik ein Zeichensystem. Die ZeiÄen sind die Namen der Sprache. Die Namen aber sind keine Abbilder der Dinge, sondern will8
Schilling,
Geschichte d e r P h i l o s o p h i e V I
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kürliche Sdiöpfungen des Menschen zum Zweck der Berechnung. Hobbes ist extremer Nominalist. Als freie Erfindung ist nur das Zeichensystem rational eindeutig, einsichtig und demonstrabel. Mit dem rational überschaubaren bekannten Zeichensystem wird das Unbekannte der Dinge erkennbar. Wahrheit liegt nur in den Namen und Sätzen, nicht in den Dingen. Die Elemente, die uns die Analyse der äußeren Welt ergibt, und für die eben Sprachzeichen gesetzt werden, sind Raum, Zeit, der Körper und seine Eigenschaften, Ursache und Wirkung, Gleichheit und Verschiedenheit, Quantität und das Verhältnis von Figuren. Wie alle Logistiker verwendet Hobbes auf die Analyse viel zu wenig Mühe, um rasch zum Aufbau, der Synthesis des Modells in der Berechnung, zu kommen. Mit den Elementarbegriffen versucht er eine demonstrable Mechanik zu schaffen, in der nicht wie beiDescartes die Raumerfüllung substanziell ist, sondern der Raum eine Abstraktion aus dem Verhältnis der Dinge zueinander. Alles ist daher Bewegung von Dingen und Bewegungsanfang (conatus). Mit diesem merkwürdigen Begriff des Bewegungsanfangs als einer Bewegung, die noch kleiner ist als jede mögliche Zahl, hat Hobbes, ohne Mathematiker zu sein, doch die spätere Infinitesimalrechnung in rein philosophischer Weise vorweggenommen. Die Ordnung der Welt ist natürlich die des Kopernikus, Kepler und Galilei, also der Physik seiner Zeit. Nadi der Mechanik kommt das, was Hobbes Physik nennt, in heutiger Ausdrucksweise aber die Physiologie der Sinneswahrnehmung. Es ist für Hobbes die wunderbarste Tatsache, daß die Natur erscheint, sidi dem Menschen zeigt (ostendere, (paCvea-d-ai). Sie soll — nicht ganz zulänglich — erklärt werden durch ein Zusammentreffen der Bewegung mit der Reaktion im Sinnesorgan. Die Affektion, die dadurch entsteht, ist aber nicht Abbild des Dings, sondern nur Zeichen, daß etwas da ist, worauf ich reagiere. Aus diesen Reaktionen der Sinnesorgane baut sich die Welt des Bewußtseins auf in Präsenz und Erinnerung, durch Assoziation der Ideen, begleitet von Lust und Unlust und Begehrung
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des Willens. Freilidi ist nicht hinreichend geklärt, inwiefern nun diese "Welt des Erscheinens im Bewußtsein zusammenhängt mit der Welt der Mechanik oder von ihr weiß. Der zweite Teil des Systems ist die Lehre vom Menschen, die auf die Lehre vom Körper und seinem Erscheinen folgt. Sie ist am wenigsten systematisch. Hobbes hat sie erst lang nach der Staatslehre im 70. Lebensjahr geschrieben. Im Grund enthält sie in aphoristisdier Form die Lebenserfahrung und Mensdienkenntnis seines Alters. Als solche war sie im 18. Jahrhundert neben Bacons Essays und den französischen Moralisten geschätzt. „Einem, der um Verzeihung bittet, zu vergeben, ist etwas Schönes, denn es ist ein Zeichen von Selbstvertrauen. Gegner durch Wohltaten versöhnen, ist schimpflich, denn es ist ein Sich-selbst-loskaufen und ein Erkaufen des Friedens, somit ein Zeichen der Bedürftigkeit." Solche und ähnliche Sätze lassen sich nicht durch Zeichensysteme definieren, obwohl sie Einsicht enthalten. Aber Hobbes war großzügig genug, sich nicht an seine strenge Methode zu fesseln, wo das nicht möglich war. Der Mensch ist das sprechende Wesen. Sprache ist Aufbau eines rationalen Zeichensystems zum Zweck der Verständigung im Unterschied zur Gefühlsäußerung der Tiere. Trotzdem weiß Hobbes, daß die Sprache gewachsen, nidit gemacht ist. Und er weiß auch, daß der Mensch durch die Sprache nicht hesser, sondern nur mächtiger wird. Durch die Sprache kann der Mensdi nicht nur erkennen, sondern aucii sich täuschen, ja er kann, was das Tier nidit kann, in der Sprache sich verstellen und lügen. Die philosophische Methode der Analyse und Synthese durch Zeichen, wie sie in De corpore angegeben wurde, bleibt grundlegend für Hobbes. Sonst aber ist die Physik und Physiologie bei ihm nur eine systematische Ergänzung, die aphoristische Menschenkenntnis ein Nebenwerk. Er war nicht Forscher auf diesen Gebieten. Wesentlich wird alles bei Hobbes erst in der Staats- und Rechtsphilosophie. Hier ist er der große systematische Vollender der Politik, der Souveränitätslehre und des Naturrechts der Neuzeit. Man könnte und müßte ihn schon im ersten Abschnitt unter dem
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Titel „Staat und Gesellsdiaft" darstellen, wenn nicht sein edites Methodenbewußtsein, sein Rationalismus ohne Anknüpfung an das Altertum und seine Systematik ihn zu den großen Klassikern stellen würde. Als „Elemente" des Staates im Sinn seiner analytischsynthetischen Methode nimmt Hobbes die einzelnen Menschen an, und zwar die einzelnen Menschen im Begriff ihrer allgemeinmensdilichen Natur. Diese Natur besteht darin, daß der Mensch ein Wesen ist, das Bedürfnisse hat: Nahrung, Kleidung, Schutz, den Gesdilechtspartner u. a. Nur in der Befriedigung seiner Bedürfnisse kann er leben. J a gegenüber dem Tier ist die Bedürftigkeit des Mensdien noch gesteigertj denn er muß, wie er geschaffen ist, in die Zukunft greifend und vorsorgend planen; scJion „der künftige Hunger" macht ihn hungrig. Dem modernen Kritiker wird dieses, in der T a t wenig eingehend gewonnene Ergebnis der Analyse für die rationale Synthese des Staates, seinen Aufbau aus dem bedürftigen Einzelnen zum Zweck seines Verständnisses, von vornherein bedenklicJi stimmen. Er wird vielleicht mit Aristoteles — und nicht zu Unrecht — glauben, die Gemeinschaft sei früher oder ursprünglidier als der Einzelne, die Vereinzelung höchstens Produkt des Zerfalls der Gemeinschaft in Gesellschaft, nicht echtes Element des Staates. Allein wir müssen hier die gescäiiciitliche Situation bedenken, in der Hobbes philosophiert, wenn sie auch in seiner eigenen Theorie nicht hinreichend offenbar wird. Sciion längst vor dem Christentum war die antike Gemeinschaft in atomisierte Gesellschaft zerfallen. Im Christentum selber lag der Wertakzent auf der einzelnen unsterblichen Seele und ihrem Heil, die Gemeinschaft war nur denkbar als vorläufige Caritas, als Nächstenliebe, auf dem kurzen irdischen "Weg zu Gott, und öffentlich als geglaubte jenseitige Gemeinschaft der Seligen mit Gott nach dem Tod. Auch das mittelalterliche heilige Reich und sein eciit genossenschaftlich-gemeinschaftliches Rechtsband war bereits am Zerfallen. Die entstehenden modernen Staaten waren wirtschaftlich gesehen in der T a t Gesellschaften aus
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atomisierten Einzelnen oder wenigstens auf dem Weg dazu. Das eigentliche Band ihrer Gesellung war der selbstnützige Vertrag. U n d gerade in der Bürgerkriegssituation, in der Parteien, Klassen, Konfessionen, jeder Einzelne gegen jeden Andern stand und aus der heraus Hobbes denkt, wird das sehr eindrücklidi klar. Stellt man sich aber einmal auf diesen Standpunkt, der ja keineswegs utopisdi, unwirklich ist, sondern höchst real in der Geschidite gegeben: entweder als faktischer Bürgerkrieg oder dodi als ständige Drohung des Bürgerkriegs, wenn die Einheit des Staates nicht immer wieder neu vollzogen wird, so ist von diesem Ausgangspunkt an der ganze Aufbau des Staates bei Hobbes eine lüdcenlose und wirklich schlüssige Kette. Ihrer Notwendigkeit kann sich niemand entziehen. Der Ausgangspunkt, das Ergebnis der Analyse, sind also die bedürftigen Einzelnen als Elemente. "Wie wird mit diesen Elementen der Staat und sein Recht rational einsiditig aufgebaut? Das Bedürfnis ist die N a t u r des Mensdien, seine Befriedigung also sein natürlidies Recht. Was die Bedürfnisse befriedigt, sind die Güter der Welt. Von N a t u r aus hat jeder Mensch ein Recht auf alle Güter der Welt. Da aber Alle dieses Recht haben, die Güter Allen gehören, kommt jeder Einzelne mit jedem Andern in Konflikt, wenn er nur sein Naturrecht ausübt und H a n d an das legt, ohne das er nidit leben kann. Die Folge des natürlichen Rechts ist als Naturzustand der Krieg Aller gegen Alle um die Güter der Welt. Da nun derjenige die meisten Chancen in diesem Krieg hat, der den Andern zuerst angreift, wird der Menschen f ü r den Menschen ein Wolf (wie übrigens schon Ovid gesagt hatte). Der Krieg Aller gegen Alle ist kein utopischer Anfang der Geschichte, von dem wir quellenmäßig nie etwas wissen können. So hat ihn nur der Historismus des 19. Jh. mißverstanden. Er ist vielmehr erstens ein konstruktiv-rationaler Rechtszustand, der Zustand der Herrschaft des Naturrechts, in den die Mensdien ihren Bedürfnissen zufolge tatsädilich immer geraten. Und er ist zweitens ein Begriff, mit dem
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eine ständig in der Geschichte vorhandene Realität wirklidi begriffen werden kann: der dauernd mindestens drohende latente Gegensatz der Menschen untereinander, der ja faktisch durdi den Staat verhindert oder in geordnete Bahnen gelenkt und der im Bürgerkrieg nur manifest wird. Diesen Zustand kann Hobbes wirklich mit seiner Konstruktion rational begreifen. Der Krieg Aller gegen Alle ist wohl ein zwangsläufiger Naturzustand aus der Bedürftigkeit des Menschen. Aber er erreicht sein Ziel nicht, er hebt sidi selber auf. Niemand kann hier auf die Dauer das, was er erstrebt, Befriedigung seiner Bedürfnisse und Sidierheit darin, erlangen. Dies muß jeder Einzelne entweder in der "Wirkiidikeit im Konflikt mit Allen um die Güter der Welt immer wieder erfahren, oder er muß es ein für alle Male in der Vernunft begreifen. Nur dann kann er in den Zustand gelangen, der den sich selber aufhebenden Naturzustand überwindet, den Frieden und die Sicherheit in der Bedürfnisbefriedigung dauernd herstellt oder — wie Hobbes im Hinblick auf den bisher nicht zu vermeidenden Krieg der Staaten untereinander pessimistisch hinzufügt — wenigstens Friede auf Zeit und Hilfe für den Krieg. Der "Weg, zum Frieden zu gelangen, ist der Verzicht auf alle im Naturzustand bestehenden ursprünglidien Redite auf alle Güter der "Welt. Da idi aber auf die Güter zum Lebensunterhalt nicht endgültig verziditen kann, sonst könnte idi ja nicht weiterleben, so muß dieser Verzidit die Form eines Vertrags annehmen. In diesem Vertrag überträgt jeder Einzelne jedem Andern gegenüber sein Redit auf alle Güter der "Welt und auf den ersten Angriff zum Schutz dieser Güter auf den absoluten Souverän des Staates. Der Staat stellt dann den Frieden mit Zwang her, bestraft seine Übertretung und verteilt die Güter nadi irgendeinem Verfahren auf die Mensdien so, daß Jeder einen Teil davon, den er braucäit, in Frieden genießen kann. Dies ist die Sozialordnung des Staates. Sie kann natürlidi und sollte audi, braucht aber nidit die Güter — mit modernem Ausdruck: das Sozialprodukt —
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gerecht verteilen, d. h. so, daß Jeder gleichviel oder seiner Geburt, seinen Verdiensten, seiner Arbeit und Leistung entsprechend erhält. Dies letztere ist eine Detailfrage, die bei Hobbes nidit so im Vordergrund steht wie später im 19. Jahrhundert bei Comte, Marx, Proudhon und andern. Wichtiger sind in dieser Zeit einer von unten her nodi nidit erschütterten, nur im Maditkampf der Großen um den Staat angegriffenen Sozialordnung andere Fragen: die Herrschaftsform, der Inhalt und Sinn der Friedensordnung, das Verhältnis von Staat und Kirche. Wir müssen zusehen, wie Hobbes diese drei Fragen löst. Die Lehre vom Staatsvertrag ist uns schon früher bei Althus begegnet (Seite 43 f.). Hobbes verbindet Gesellschaftsund Unterwerfungsvertrag, um die Madit des Herrsdiers absolut und souverän zu machen. „Jeder Einzelne verpfliditet sich Jedem gegenüber dem Willen des Einen, dem er sich unterworfen hat [der Staatsgewalt], keinen Widerstand zu leisten." (De cive V, 7.) Dadurch wird der souveräne Wille des Inhabers der Staatsgewalt der gemeinsame Wille Aller. „Der Staat ist als Person zu definieren, deren Wille vermöge des Vertrags mehrerer Menschen als der Wille Aller gilt und daher die Kräfte und Vermögen der Einzelnen für den gemeinsamen Frieden und Sdiutz verwenden kann." (V, 9.) Hobbes persönlich war Monarchist, weil ihm die Einherrschaft den Frieden im Staat am besten zu verbürgen schien. Aber es ist klar, daß der Theorie zufolge genau so eine Klasse, die Aristokratie, die Volksversammlung oder eine sonstige juristische Person Souverän sein könnte. So hat Hobbes tatsächlich mit Cromwell Frieden gemacht, als er die Herrschaft innehatte, denn er wußte, daß jede Herrschaft letztlidi auf Gewalt zurückgeht und es eben nur wesentlich ist, daß durch Madit der Streit und die Zerstörung verhindert wird, nicht wesentlich, ob Dieser oder Jener die Macht ausübt. Die sogenannten „gemischten" Verfassungen, bei denen die Souveränität mehr oder weniger auf verschiedene Instanzen verteilt ist, lehnt er ab, denn sie machen den Streit nur chronisch und lähmen die Hand-
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lungsfähigkeit des Souveräns, mit ihr aber die Möglichkeit der Herstellung einer gerechten Ordnung überhaupt. Bei Hobbes gibt also der Souverän die Gesetze, und er kann sie auch wieder aufheben, wie er es für riditig hält: Auctoritas, non veritas facit legem (XIV> 13). Aber trotzdem ist die Staatsgewalt nidit ohne Pflichten gegen die Bürger. Im Gegenteil. Ihr einziger Zwedt darf nur die Herstellung eines gerechten Friedens sein. Nur ist kein Weg angegeben, wie der Mißbrauch der Madit verhindert werden kann. Hier wird erst Locke den Gedanken von Hobbes fortentwickeln, allerdings durdi sein gegenseitiges Kontrollsystem der Instanzen die Staatseinheit und den Frieden audi wieder gefährden. Der Krieg Aller gegen Alle ist der Naturzustand. "Was aber ist der Friedenszustand staatlichen Rechts und staatlicher Herrschaft? Er ist gegenüber der Natur ein künstliches Gebilde, in dem die Menschen die Ausweglosigkeit und Zerstörung der bloßen Natur überwinden. Wir würden sagen: Kultur. Aber Hobbes setzt dies außerdem noch gleidi mit der Christlichkeit. Man hat das gänzlich zu Unrecht als bloße Tarnung einer rein weltlich atheistischen Lehre verstanden, weil man seinen Gedankengang nidit richtig beachtet und allzu vorschnell seine auf persönlidi schlediten Erfahrungen beruhende Grimmigkeit gegen Geistlidie mit einer Christenfeindsdiaft verwechselt hat. Aber Hobbes denkt viel tiefer. Er fragt sich nämlich, was geschehen würde, wenn ein Mensdi in der natürlichen Welt des Kriegs, des Hasses und Neids der Mensdien untereinander, des Kampfs ums Dasein selbst im Frieden, des Eigennutzens und der Herzenskälte wirklich den Geboten Christi aus der Bergpredigt folgen, sich nicht wehren, seinen Nächsten lieben und nicht seinen eigenen Vorteil suchen würde (111,27). Die Antwort ist klar: Er würde sofort ein Opfer der Ausbeutung aller Eigennützigen, und das sind in Wahrheit alle Andern. Das diristliche „Reich Gottes", in dem es kein Unrecht, Leiden, Zerstörung, Unterdrückung und Streit gibt, ist also wirklich „nicht von dieser Welt" {om ix tov
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xöofiov vomou). Aber es ist doch in dieser Welt das Wunschbild aller Menschen, auch derer, die seine Gebote nidit erfüllen wollen und nidit erfüllen können, weil sie sonst nicht bestehen könnten. Das diristliche Reich Gottes ist deshalb nicht nur — wie Hobbes ironisch annehmen kann — ein fast nirgends eingehaltenes Gebot einer Religion, nicht nur die geschichtliche Stiftung des Gottmenschen, sondern was da geboten und gestiftet wurde, ist die wesentliche Sehnsucht jedes Menschen als Menschen. Es ist der Traum seiner Vernunft, mit dem er über die sidi in ihm selbst zerstörende Natur hinausgreift und sich vom Tier unterscheidet. Ganz analog, wie in Descartes' Gottesbeweisen ex contingentia animae meae der jenseitige Gott des Christentums ein Desiderat der Vernunft selber, mit ihrer eigenen Methode erreichbar, geworden ist, ist hier das Redit des jenseitigen Reichs Gottes und sein Frieden ein rein immanentes und notwendiges Postulat der als Natur unvollkommenen und scheiternden menschlichen Vernunft. Hobbes entwickelt also im 3. Abschnitt von De cive in 20 Gesetzen eine menschliche Friedensordnung, die völlig der Ordnung des „Reichs Gottes" aus dem Neuen Testament gleichkommt und die er audi — nicht etwa zum Schein, sondern in allem Ernst — mit Zitaten aus der Heiligen Schrift belegen kann. Ich kann sie nicht einzeln aufzählen. Es sind darunter die Forderungen der Treue, der Billigkeit gegen Andere im Verkehr, der menschlichen Achtung ihrer Person und ihres Besitzes, der Dankbarkeit, der Gefälligkeit, der steten Bereitsdiaft zu verzeihen, der Bescheidenheit, der Unbestechlidhkeit u. a. Und er behauptet nun: Diese Forderungen alle können von keinem Mensmen erfüllt werden, wenn nicht alle Andern sie auch erfüllen. Wenn ich sie also als Mensch schon hier erfüllen will und erfüllen können soll, so muß ich erst einen Zustand schaffen, in dem derjenige bestraft wird, der sie übertritt, und ich geschützt werde, wenn ich sie befolge. Dies aber kann nur durch die Allmacht des Staates geschehen, der, wie wir gesehen haben, durch Gewaltverzicht und Vertrag zustande kommt.
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Also ist bei Hobbes der Staat letztlich gar nichts anderes als der Versudi, durch Vertrag und absolute Gewalt das Reich Gottes und seine Friedensordnung (ßaadeta •&eov) schon in dieser Welt durdizuführen. N u r deshalb und nur" in diesem präzisen Sinn nennt er den Staat als Leviathan, als das alles verschlingende Ungeheuer, den deus mortalis, den sterblidien Gott. Es ist klar, daß sich dieser ernsthafte Versuch einer rein rationalen Begründung und praktisdi politischen Durdhführung der Friedensordnung des Reidis Gottes in dieser Welt sehr erheblich unterscheidet von der als Offenbarung und Stiftung gegebenen christlidien Religion und ihrer rein passiv transzendenten Hoffnung auf das Kommen dieses Reichs Gottes ohne eigenes Zutun zu einer Zeit oder am Ende der Zeiten nadi dem Tod. Aber auch nidit anders als Descartes' rationaler Gottesglaube von dem Glauben Pascals an den offenbarten Gott der Gesdiidite. Das Problem des Verhältnisses von Staat und Kirche ist zwar prinzipiell nur eine untergeordnete Frage. Aber weil es Hobbes ganz konsequent im Sinn seiner Lehre vom Staat als dem Gott auf Erden oder der Verwirklidiung des jenseitigen Friedensreichs schon in dieser Welt löste, hat nidits stärker zum Mißverständnis seiner wahren Absichten beigetragen als dies. Hobbes weiß nämlich sehr gut, daß die Frage, wer übergeordnet ist, die geistliche oder die weltliche Gewalt, eine Quelle des Streits seit dem Mittelalter ist. Er hat ferner ebenso lebhaft erfahren, daß der intolerante und sich sehr unchristlicher Mittel bedienende Kampf der christlichen Konfessionen untereinander den Bürgerkrieg erheblich verschärft und wie jeder Weltanschauungshintergrund erst wahrhaft grausam und unmenschlich macht, viel unmenschlicher als jeder politische Krieg von Staaten untereinander. Deshalb greift er zu einer radikalen Lösung. Er ordnet die Kirche dem allmächtigen Staat unter und gibt auch dem Staat, nidit der Kirche, das Recht der Glaubensauslegung. Die Bürger haben sich dem zu fügen, weil sie ja auf ihr selbständiges natürliches Recht auch der Glaubensauslegung im Staatsvertrag verzichtet haben.
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Und die Begründung: Besser als die beste Lehre und der dauernde Streit, der um sie herrscht, ist der Frieden. Christlicher als der Streit mit meinem Nachbarn um die Wege, wie das Heil der Seele errungen werden kann, ist die Nädistenliebe. Damit aber die Religion kein unleidlidier Gewissenszwang für den Einzelnen wird, will Hobbes sie auf zwei Dogmen besdiränken: Glaube und Gehorsam. Der Glaube ist Glaube an Christus als den Erlöser, der Gehorsam Gehorsam gegen seine vom Staat interpretierten Gebote. Im übrigen weiß Hobbes, daß die Religion kein wissenschaftlidi entscheidbares Problem ist und d^ß deshalb der Streit über sie nie zum Ende kommt. Aber er weiß auch, daß es für den Christen nur zwei Möglichkeiten gibt: entweder in einem christlichen Staat zu leben oder für seinen Glauben das Martyrium zu leiden. Einen faulen Kompromiß mit den weltlidien Mächten, den er die Konfessionen immer wieder eingehen sah, hat er, der als Atheist verketzerte Philosoph, vermieden (XVIII, 13). Vermutlich war er deshalb so unbeliebt bei Geistlichen und ist es bis heute geblieben. Hobbes ist der einzige Philosoph unter den Klassikern des 17. Jahrhunderts, auf dem nicht der große Sdiatten Descartes' liegt. Alle andern philosophieren trotz aller selbständigen Abweichungen nur im Rahmen des Ansatzes von Descartes. Das Thema der Philosophie von Hobbes ist auch nidit die äußere Natur — seine Physik ist nicht entscheidend — sondern der Staat als weltliches Gebilde und Natur im Menschen. Die erste Rückbindung im Sein gegenüber der Erkenntnis und Beschäftigung mit Seiendem, die für echte Philosophie gefordert wurde, liegt bei Hobbes im Methodenbewußtsein. Darin, daß er sich klar darüber war, daß nur Definierbares Gegenstand des "Wissens sein könne, das Definierbare aber durchaus nicht alles ist, „was es gibt". Die zweite Rückbindung findet er im Vergleich der Friedensordnung als natürlidie Sehnsucht und Wunschbild der Vernunft mit dem transzendenten Friedensreich des Christentums. Ohne Ein-
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fluß von Descartes ist er also genau wie Descartes in der Technik seiner Naturwissenschaft zu einer neuen Weltbeherrsdiung gelangt — die Politik ist genau so Technik wie die Naturbeherrschung. Sophokles nennt sie sogar •üexvrjSviteocpsQovaa. Es ist eine "Weltbeherrsdiung, die nicht auf Weltverlorenheit beruht, sondern auf der Bindung der Seele an den jenseitigen Gott und die Freigabe der Welt für den Menschen unter dieser Bedingung. Quellen und Literatur. Opera philosophica, quae latine scripsit. 5 Bde. ed. Molesworth, 1839/45. English works, ed. Molesworth 11 Bde., 1839/45. Eine Vorstufe seines Hauptwerks, die Elements of law, hat Tönnies 1889 zuerst unverkürzt veröffentlicht, ebenso Behemoth or the long'Parliament (deutsch von Lips 1927). Das philos. Hauptwerk unter dem Titel: Lehre vom Körper, Lehre vom Menschen, Lehre vom Bürger, deutsch in Auswahl von Frischeisen-Köhler, 1915/18. — Ferd. Tönnies: Hobbes' Leben und Lehre, 3. Aufl. 1925. Leslie Stephan: Hobbes, 1904. A.E.Taylor: Hobbes, 1921. Richard Hönigswald: Hobbes u. d. Staatsphilosophie, 1924. Fritjoff Brandt: Th. Hobbes' mechanical conception of natura, 1928. Cay v. Brockdorff: Hobbes als Philosoph, Pädagoge, Soziologe, 1929. B. Landry: Hobbes, Paris 1930. H . Schreibhage: Hobbes' Sozialtheorie, 1933. J. Laird: Hobbes, 1934. J. Vialatoux: La cite de Hobbes, Paris 1935. P. Ritterbusch: Der totale Staat bei Hobbes, 1938. Carl Schmitt: Der Leviathan i. d. Staatslehre d. Th. Hobbes, 1938. G. P. Gooch: Hobbes, London 1940. Kurt Schilling: Naturrecht, Staat und Christentum bei Hobbes, Ztschr. f. philos. Forschung, 1947. J. Bowle: Hobbes and his critics, London 1951. 4. S p i n o z a Benedictus oder Baruch Spinoza (1632—1677) stammte von Marannen ab. Das waren der religiösen Verfolgung wegen aus Portugal nach Amsterdam geflohene Juden. Er wuchs in der Tradition seiner Glaubensgenossen auf und lernte das Bildungsgut des Alten Testaments, des Talmud, die Schriften der Gersonides und des Maimonides, eines mittelalterlich jüdischen Scholastikers, kennen. Durch Selbststudium machte er sich mit der christlichen Scholastik (Thomas, Suarez), vermutlich mit dem Neuplatoniker Leone Ebreo und vor allem mu Descartes bekannt. Auch die
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Naturwissenschaft u n d M a t h e m a t i k seiner Zeit h a t er studiert. "Wegen „schrecklidier I r r l e h r e n " w u r d e er aus der jüdischen Gemeinde seiner V a t e r s t a d t ausgeschlossen u n d lebte f o r t a n bescheiden u n d g e f ä h r d e t an verschiedenen O r t e n H o l l a n d s v o n einer R e n t e seiner Freunde. Einen Ruf a n die U n i v e r s i t ä t Heidelberg in späteren J a h r e n h a t er aus Vorsicht u n d in Bedacht auf seine geistige U n a b h ä n gigkeit ausgeschlagen. E r ist an Schwindsudit f r ü h gestorben. N a d i einer Darstellung des cartesischen Systems in der mathematischen M e t h o d e Euklids f ü r einen Schüler (erschienen 1663) ist sein erstes "Werk die K u r z e A b h a n d l u n g v o n G o t t , dem Menschen u n d seinem Glück, die erst 1852 a u f g e f u n d e n u n d herausgegeben w u r d e . Sie enthält schon alle Elemente des Systems. D a n n schrieb er den T r a k t a t über die Verbesserung des Verstandes u n d die theologisch- politische A b h a n d l u n g , letztere v o n ihm selbst a n o n y m veröffentlicht. D a s H a u p t w e r k ist die Ethik, zwischen 1662 u n d 65 entstanden, aber zurückgehalten u n d zur V e r ö f f e n t lichung nach dem T o d bestimmt. Ebenso sind der T r a c t a t u s politicus u n d die Briefe posthum erschienen. D i e Beweismethode, die A x i o m e setzt u n d alles "Weitere streng schlüssig aus ihnen u n d ihrer K o m b i n a t i o n ableitet, deren sich auch Spinoza in der E t h i k bedient, h a t den V o r teil, d a ß der innersystematische Z u s a m m e n h a n g des Systems sehr sorgfältig bis ins Einzelne durchdacht w i r d . Das, was philosophisch U n e r f a h r e n e gern darin erblicken, einen Beweis für das System selber, k a n n sie grundsätzlich nidit leisten. U n d z w a r deshalb, weil sie das System ü b e r h a u p t nicht in F r a g e stellt u n d beweist, sondern n u r seine E n t f a l t u n g als Bild oder geistig-geometrischen Z u s a m m e n h a n g von vorausgesetzten A x i o m e n u n d Definitionen aus. Dieser Z u s a m m e n h a n g besteht aus rein analytischen U r teilen in Bezug auf die Axiome u n d Definitionen. N u r deshalb u n d nur soweit er das wirklich tut, ist er ü b e r h a u p t beweisbar. M i t den A x i o m e n selber dagegen ist das System in seinem Sinn schon vorweggenommen. D i e A x i o m e sollen ja nicht u n d können gar nicht bewiesen w e r d e n . So z. B. bei
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Spinoza: ob es so etwas wie Gott als causa sui, als etwas, dessen Natur nicht ohne Existenz begriffen werden kann, oder so etwas wie Substanz, quod in se est et per se concipitur, überhaupt gibt, ob es überhaupt denkbar ist, wie man darauf kommt, und was für einen Sinn es hat. Dies alles ist gänzlich unbewiesene Synthesis am Anfang. Die Absicht, durch eine axiomatische Methode das System zur unbedingten Gewißheit zu erheben, wäre also von vornherein verfehlt. Im Gegenteil verhindert auf philosophiscJiem Gebiet jeder logistische Panzer der Argumentation das echte Problembewußtsein, die Frage und Fraglichkeit, die gegenüber den Antworten nicht nur viel entscheidender sind, sondern auch überlegen und gültig bleiben für spätere Zeiten. Es gilt also, in der philosophischen Interpretation das System in seiner Bedeutung auch unabhängig von dem mathematisdien Beweisverfahren und dann erst dieses in seinem philosophischen Sinn für das System zu verstehen. Wie schon bei Malebranche bemerkt, legt Spinoza seinem System den Gottesbegriff zugrunde. Und zwar ist es Gott, formal verstanden wie bei Descartes als das vollkommenste Wesen, die substantia infinita. Aber er weiß nichts mehr vom Zweifel als Beginn des Philosophierens, nichts mehr von der zeitlichen Bedürftigkeit und Abhängigkeit der uns zunächst liegenden relativen Substanz, der res cogitans, die erst den Gott als vollkommene Substanz fordert und seine Schöpfungstätigkeit als Spur an sidi trägt. Er bildet den Gottesbegriff sdion in der ersten definitorischen Konzeption um, so daß er „deus sive natura" sagen kann, also Gott und Natur gleichsetzt. Und zwar hat er im Gegensatz zu Malebranche nicht die Natur spiritualisiert, sondern den Gott naturalisiert. Die Bindung alles Seienden in der unendlidien Substanz, dem Sein, ist dann bei Spinoza ebenso unbedingt erreidit wie bei Descartes. Wenn man vom mathematisdien Folgezusammenhang absieht oder vielmehr darauf achtet, was in ihm wirklich der Sache nach vorausgesetzt ist, so Ist es gar nichts anderes als dieses Gefühl der Bindung an das absolute Sein
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im Unterschied zum Seienden, was zugrunde liegt und den philosophischen Gehalt der Axiome und Definitionen ausmacht. Der Unterschied von Sein und Seiendem ersdheint bei Spinoza als der von natura naturans und natura naturata, alte neuplatonische Namen, die Schelling später wieder von ihm übernehmen wird. Als Substanz ist Gott absolut unendlich. Das heißt nicht nur unendlich wie der Raum, der zwar keine Grenzen in sich hat, aber neben dem es doch noch ein Denken gibt, das ihn gattungsmäßig nidit berührt. Absolut unendlidi heißt, daß die Substanz unendlich viele je in sidi, ihrer Gattung nadi, unendliche Attribute hat. Nur deren zwei, Ausdehnung und Denken, sind uns bekannt. Das ist eine ganz folgerichtige Erweiterung Descartes', wenn man nicht vom mensdilichen, sondern vom göttlichen Standpunkt ausgeht wie Spinoza. Ein Attribut ist das, was der menschliche Verstand von der Substanz jeweils als Wesen auffaßt, also Descartes' substantia finita im Verhältnis zur substantia infinita. Die verschiedenen Attribute berühren sich nidit, weil sie ja der Gattung nadi verschieden sind, müssen aber trotzdem übereinstimmen, weil sie alle Aspekte des einen und selben Gottes sind. Dadurdi fällt die Notwendigkeit einer Garantie der menschlichen Erkenntnis durch Gott, Descartes' wichtige erkenntnistheoretisch-realistische Lösung, fort. Denken ist als Substanz schon Gott wie ebenso Ausdehnung und alles, was es noch gibt und was uns unbekannt ist, schon Gott ist. In Gott sind alle Attribute sich gleich, und so muß das Geschehen im einen mit dem Geschehen im andern übereinstimmen, d. h. parallel zueinander verlaufen. Die Attribute selber haben wieder Modi (was in der Scholastik Akzidentien heißt), die ihnen gegenüber nicht mehr in der Gattung substanziell, selbständig, sind, sondern abhängig. In der großen Ordnung der Natur, dem Zusammenhang der Modi in ihren Attributen, ist alles Geschehen (audi jeder Willensakt als Modus des Attributs Denken) streng notwendig und determiniert. Freiheit als Willkür gibt es nicht. Selbst die Natur als Gott ist nicht
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frei, denn sie ist ja nicht als selbständig jenseitig gedadit wie sonst überall in der Neuzeit, sondern nur als Träger des Einzelnen. Es ist die Eigenart des spinozistisdien Systems, daß es nicht mit dem Menschen anfängt, dem für uns ersten und nächstliegenden, und einen Weg zu Gott sucht wie Descartes in seinen Beweisen. Vielmehr werden von vornherein ganz bewußt Mensdi, "Welt und Leben so gesehen, wie sie vom Standpunkt Gottes aus (sub specie aeternitatis) erscheinen müßten. Darin liegt natürlidi die ungelöste und im Beweisverfahren verstedcte Problematik» wie es für den Menschen möglich ist, diesen Standpunkt zu erreichen. Was Spinoza selber an den Stellen unterhalb der Axiome und Definitionen darüber sagt, ist natürlich ein Zirkel und keine Lösung dieser Problematik mehr, weil da schon der absolute Standpunkt definitorisch vorausgesetzt ist. Der mensdiliche Geist erkennt durch Ideen, also Modi des Denkens. Eine Idee enthält intentional, als Gemeintes, ihren Gegenstand. Der Gegenstand der Idee ist das Ding im Attribut der Ausdehnung. Da Ordnung und Zusammenhang des Denkens streng parallel mit Ordnung und Zusammenhang jedes der andern unzähligen Attribute, also audi der Ausdehnung, verlaufen müssen, erkennt das Denken völlig adaequat das ausgedehnte Ding, obwohl es nur bei sidi bleibt, seine Denksphäre nie transzendiert, übersteigt zur Ausdehnung hin. Die Gewißheit aller Wahrheit liegt nidit in der wahrgenommenen oder in der Erfahrung schrittweise realisierten Annäherung und Übereinstimmung zwischen Denken und Ausdehnung, sondern rein im Denken selbst. Veritas norma sui et falsi, die Wahrheit ist Wahrheit, weil sie um sich und das Falsdie Bescheid weiß. Das ist allerdings audi ein Kriterium mehr für einen Gott, für den Menschen dagegen sdiwer oder gar nicht anwendbar. Trotzdem soll das Erkennen an Gewißheit wachsen von der bloßen Meinung (opinio) über die begriffliche Erkenntnis (ratio) bis zur unmittelbaren gottgleichen intellektuellen Erkenntnis (scientia intuitiva, dem vnvQ ävev Xöyov des Aristoteles).
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Jedes Ding strebt, sich in seinem Sein zu erhalten. Daraus sind audi die menschlichen Affekte erklärbar. Es gibt nur drei ursprüngliche: Begierde, Freude, Traurigkeit (cupiditas, laetitia, tristitia). Begierde ist das Streben nach allem, was das eigene Sein erhält und fördert. Freude ist der Zustand des Übergangs in größere, Traurigkeit der des Übergangs in geringere Vollkommenheit. Descartes' vornehme und stolze, -willentlich-stoisdie Zurückhaltung, der Abstand von der "Welt und die Beherrsdiung aller Wünsche und Begierden, ist bei Spinoza praktisch zur Vorsidit und einem Leben in der Anonymität geworden. Theoretisch ist daraus dann die Lehre hervorgegangen, daß ein den Affekten unterworfener Mensdi nicht frei ist, sondern abhängig von den Dingen, an die ihn die Affekte binden, also von den Umständen, dem Geschick (fortuna). Aber das war bei Descartes' Behauptung der "Willensfreiheit ohne Schwierigkeit möglich. Bei Spinoza ist nichts frei, sondern alles als Ausfluß der Unbedingtheit Gottes innerweltlidi notwendig. So können auch die Affekte bei ihm nicht einfach aufgehoben oder beherrscht, sondern nur in der Natur des Menschen durch stärkere Affekte überwunden werden. Da der Mensdi diese stärkeren Affekte nur haben, nicht erstreben kann, weil er sidi nicht selber schafft, gibt es in der Mechanik der stärkeren und schwächeren Affekte eigentlich genau so wenig ein ethisches Ziel wie in der Mechanik stoßender stärkerer und schwächerer Kräfte, d. h. Bewegungen der Dinge im ausgleichenden Parallelogramm ihrer Richtungen. Trotzdem überschreibt Spinoza sein ganzes Werk mit dem Namen Ethik. Zur Ethik im engeren Sinn führt ein anderer Gedankengang. Nach der Ordnung der Vernunft, d. h. Gottes, hat der Mensch nur dann Erfolg, wenn er erstrebt, was ihm nützt (eigentlich eine Tautologie wie das ganze System). Dieses nützliche Ziel ist oft durch Affekte verdunkelt. Affekte erstreben nur den augenblicklichen Nutzen, der sich auf die Dauer oft als Schaden erweist. Also gilt es, den Affekt zur Herrschaft zu bringen, der wirklich und auch in seinen fernsten Folgen nützt. Dieser 9
Schilling,
Gesdiidite der P h i l o s o p h i e V I
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wird dann im Menschen der stärkste sein und die andern Affekte verdrängen, wenn der Mensch eine audi bis in die Z u k u n f t hinein klare und deutliche Einsicht in Situation und Möglichkeiten seines Lebens besitzt. Je größer die Erkenntnis, um so weniger schaden also dem Menschen seine Affekte. Der höchste und klarste Affekt ist die Erkenntnis selber, mit der alles Seiende umspannt wird, insofern es dem Menschen in den zwei Attributen Denken und Ausdehnung zugänglich ist. Das Seiende selber ist Gott oder die N a t u r , unter dem Aspekt menschlicher Beschränkung. Im vollständigen Kausalzusammenhang sehe ich die Dinge nach Spinoza nidit in mensdilicher Beschränkung, sondern als Sein, als natura naturans. Die Erkenntnis als Affekt ist Liebe. In der Erkenntnis u m f a ß t der Mensch liebend Gott, die hödiste totale Erkenntnis ist amor intellectualis dei. In ihr liebt der Gott durch unsern Geist hindurch sidi selbst ähnlich wie das Denken des Denkens, vöt-jaog vo^iaeag, bei Aristoteles. Die Erkenntnis beruhigt und überwindet zugleich alle andern ephemeren, falsdien, blos beschränkt menschlichen Affekte. Sie kann auch als Einsicht in das Ganze nicht wieder verlangen, daß Gott (d. h. die Natur) uns liebt; ein Satz, der bekanntlich auf Goethe so großen Eindruds gemacht hat. In seinem letzten Werk, der politischen Abhandlung, dehnt Spinoza seine Ansicht der Welt auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge aus. Er benützt hier die Einsichten des Hobbes, schmilzt sie aber gänzlich in seinem Geist um. Da alles f ü r ihn notwendig ist, die Notwendigkeit das wesentliche Merkmal von Sein und Seiendem, gibt es kein Sollen und kein zu erstrebendes Ziel, Recht und Macht fallen zusammen. Das Naturrecht wird also nicht in ein Staatsrecht, das Recht des neutestamentlichen „Reichs Gottes" auf Erden, fortgebildet. Der Staat hat nur so viel Recht, wie er Macht hat. „Daher erstreckt sich das natürlidie Recht der ganzen N a t u r und folglich jedes einzelnen Individuums ebenso weit wie seine Macht, und folglich handelt ein Mensch in allem, was er nach den Gesetzen seiner N a t u r
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tut, nach dem höchsten Naturrecht, und er hat so weit Recht auf die N a t u r , als er Macht hat." (Tract. Pol. 16.) Überblickt man Spinozas System, nachdem man es durchlaufen hat, noch einmal, so sieht man, daß die mathematische Methode Euklids f ü r ihn gar nicht in erster Linie als Beweisverfahren wichtig ist, sondern als die Nachzeichnung der Form, wie die "Welt mit Notwendigkeit aus der großen Einheit Gottes, der synthetischen doppelt unendlichen Substanz (Unendlichkeit unendlich vieler unendlicher Attribute) hervorfließt. Es ist also gar kein menschliches Rechnen, sondern eigentlich das schöpferische Rechnen Gottes (des intellectus archetypus), das ins Dasein'ruft, indem es denkt. Es ist nicht Zufall, daß Spinoza sich mathematisch der synthetischen antiken Geometrie Euklids bedient, nidit der neuzeitlichen analytischen Descartes'. Es ist dann eine selbstverständliche Folge, daß der Mensdi beruhigt wird über seine kleinen Leiden und Leidenschaften, wenn er sich auf diesen Standpunkt Gottes erhebt. Aber vermag er es wirklich? U n d wie vermag er es? Inwiefern ist sein Rechnen ein Nachrechnen des schöpferischen Rechnens und Denkens der natura naturans? Darauf ist keine mensdiliche, sondern nur eine göttliche Antwort gegeben. "Weiterhin: Ist die erblickte Notwendigkeit der innerweltlidien Kausalität wirklich der Aspekt der göttlichen Notwendigkeit? Seit Piaton und dem Christentum ist diese Frage mit „nein" beantwortet, N a t u r und Gott dadurch getrennt, der Gott ins Jenseits, (Itexecva n'/g ovaCag, gerückt worden. "Wie Malebranche sdion gesehen hat, hebt Spinoza diesen Standpunkt wieder auf. Man könnte genauer sagen: Dadurch, daß der Mensch als Mensch den Standpunkt Gottes, auf den er sich stellen sollte, doch nicht erreicht, gehen auch seine menschlichen Möglichkeiten verloren. Er erblickt in einer großen Täuschung die sehr menschliche innerweltliche Notwendigkeit der bloßen Kausalität des Seienden als die wahre Notwendigkeit des göttlichen Seins. N u r auf diese "Weise, durch diese Täuschung, wird Gott der N a t u r gleich. 9*
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So ist Spinozas System in der Philosophie der Neuzeit immer wieder angegriffen worden, nicht nur von den diristlichen Konfessionen, solange sie wirklich wußten, was Christlichkeit bedeutet, aucäi von den Philosophen: von Leibniz, Kant und Anderen, am schärfsten vie leidit von Fidite. Fichte meinte, Spinoza hätte selber gar nicht an seine Philosophie glauben können (weil sie eben die oben genannte Täusdiung enthält). Spinozas "Werk ist jedenfalls im Zusammenhang der neuzeitlidien Philosophiegeschichte ein Prüfstein, an dem Jeder si