Geheimnis und Sakrament: Theologie des göttlichen Namens bei Kant, Cohen und Rosenzweig 9783666562112, 352556211X, 9783525562116


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Geheimnis und Sakrament: Theologie des göttlichen Namens bei Kant, Cohen und Rosenzweig
 9783666562112, 352556211X, 9783525562116

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V&R

HEINRICH ASSEL

Geheimnis und Sakrament Die Theologie des göttlichen Namens bei Kant, Cohen und Rosenzweig

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Reinhard Slenczka und Gunther Wenz Band 98

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Assel, Heinrich: Geheimnis und Sakrament: die Theologie des göttlichen Namens bei Kant, Cohen und Rosenzweig / Heinrich Assel. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 98) Zugl.: Bonn, Univ., Habil., 1999 ISBN 3-525-56211-X

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier

© 2001 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. — Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im April 1999 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Habilitationsschrift angenommen. Ihre Verfertigung fiel in die Aufbauphase des DFG-Sonderforschungsbereichs Judentum - Christentum. Konstituierung und Differenzierung in Antike und Gegenwart" an der Universität Bonn. Interdisziplinäre, interkonfessionelle und interreligiöse Gesprächslagen an Fakultät und Universität ermutigten mich, die ungewöhnliche Kombination meines Themas und die ungeläufige Konstellation meiner .Helden' aufrecht zu erhalten. Ich danke den Mitgliedern der Fakultät, daß sie die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben - Preis ungebahnter Überlegungen noch im fertigen Text - großzügig und wissenschaftlich neugierig akzeptierten. Mein besonderer Dank gilt den beiden Referenten, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard Sauter und Herrn Prof. Dr. Martin Honecker. Gerhard Sauter, dessen Schüler ich nie war, der aber mein Lehrer wurde, danke ich darüberhinaus für die Bereitschaft, meine bereits begonnene Untersuchung zu fördern, zudem für vielerlei selbstvergessene Proben von Urteilskraft - mit Kant zu reden: für erweiterte und liberale Denkungsart. Dankbar nenne ich Friedrich Mildenberger, Walter Sparn, Hans Günther Ulrich/Erlangen und Günter Bader/Bonn. Sie förderten diese Untersuchung in verschiedenen Phasen je charakteristisch. Stellvertretend für eine Reihe angelsächsischer Gesprächpartner stehe in dieser Reihe Prof. Dr. Richard Hays, Durham/N.C. und Prof. Dr. Kendali Soulen, Washington/D.C. Beatrix Assel, Manuela Scherer, Matthias Börner, Alexander Deeg, Stefan Kläs und Martin Langanke halfen mir, unter anderem, philologisch und logisch auf die Sprünge, Christian Neddens erstellte das Begriffsregister. Ihnen allen danke ich herzlich. Herrn Prof. Dr. Reinhard Slenczka und Herrn Prof. Dr. Gunther Wenz schulde ich Dank für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe der „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie". Einleitung und erster Teil wurden für den Druck überarbeitet, nicht in der Sache, wohl aber in der Präsentation. Der Schluß wurde neu hinzugefügt. Vielleicht finden manche Leser gerade in ihm am ehesten Zugang zur Frage dieser Untersuchung. Koblenz/Bonn, 9. Februar 2001

Heinrich Assel

Meinen Eltern und Schwiegereltern, unseren Töchtern Katharina und Marie

ΊΎΙ T 6

Inhalt Einleitung Unendlicher Name und ikonische Hoffnung

1

1. Hoffnung als endlicher Sinn fürs Unendliche: Geheimnis 2. Ikonische Zeichen der Hoffnung: Sakrament

4 11

Erster Teil Hoffnung und Geheimnis bei Immanuel Kant

§ 1

Exposition der Frage. Ihr Ort in der Kant-Interpretation

23

Hoffnung als Urteilssinn. Kritik theologischer Kant-Rezeption Reine und rezeptive Urteilskraft. Kants semiotische Aporie Logischer Formalismus und Metaphorik des Namens. Kants Alternanz Aufbau der Untersuchung

24 27 30 32

Hoffnung - Ursprüngliche Frage und Dialektik

34

1. Hoffnungsfrage und Urteilskraft in der Ersten Kritik 2. Der geschichtstheologische Fehlschluß 3. .Verheißung' als Kategorie politischer Theologie

35 38 42

1. 2. 3. 4.

§ 2

§ 3 1. 2. 3. 4.

Dialektik des Gewissens und negative Hoffnung Dialektik des moralischen Gottesbeweises Ethischer Naturzustand: Konflikt der Interpretation und innere Lüge Augenblickliche Hoffnung: Zufriedenheit und Natalität Inkommensurable Zeit der Gerechtigkeit: Liebe und Pluralität

48

.

49 56 59 65

VII

§ 4

Alternanz der Urteilskraft

69

1. 2. 3. 4.

Gott als Idol und Abgrund - Negativität und Gottesbeweiskritik Humane Orientierung und Reflexion der Reflexion Existenz: Position, Prädikation, reale Relation Hoffnung als Sinn und Gefühl 4.1 Innerer Sinn und kognitives Gefühl 4.2 Nicht-propositionale Beschreibung und Kunstregeln 4.3 Sensus communis 4.4 Exemplarische Gültigkeit 4.5 Ikonisches Sehen 4.6 Zusammenfassung

....

70 81 91 99 99 103 105 107 108 110

5.

EXKURS: EXEMPLIFIKATION, AUSDRUCK, DICHTE BESCHREIBUNG

..

112

§ 5

Typik - Symbolik - Metaphorik

1. .Faktum der Vernunft'als selbstbezügliches Zeichen 2. Reine als rezeptive Urteilskraft: Gewissen 3. Der Formalismus und seine theologische Aporie 3.1 Darstellung undarstellbarer Freiheit 3.2 Die Aporie des Formalismus 4. Typik und Metaphorik: Pluralität und Konflikt der Interpretation 5. Praktische Typik: Programm und Problem 5.1 Propädeutik zur Weisheit, Mensch zu sein 5.2 Mißglückter Versuch: Die Dritte Formel des Imperativs

§ 6

116

. .

Elimination göttlichen Namens

1. Religion als Kultur der Vernunft 2. Name Gottes als Faktum der Religion? 2.1 Grammatische Pluralität praktischer Vernunft 2.2 Kritik aller Offenbarung: Idee einer moralischen Anlage 2.3 Reine Mystik oder Negativität göttlichen Namens 2.4 Arbeit am fühlbaren Geheimnis: Elimination kultischer Zeichen 3. Dialektik radikaler Kultkritik: Jüdische Religion als politische Religion 4. Sakrament als politisch-eschatologisches Zeichen: signum prognosticon EXKURS: ESCHATOLOGIE UND ETHISCHE BESCHREIBUNG

Zusammenfassung: Hoffnung als Praxis guten Lebens 1. Religion als Kultur der Hoffnung 2. Das katechetische Programm der Religionsschrift 3. Semiotische Aporie: Ikonische und enthusiatische Hoffnung vm

116 119 123 123 125 127 131 131 134

137 137 140 142 143 144 147 148 152 153

159 159 163 165

§7

Rationale Mystagogie Kreatürliche Freiheit als Leben im Geheimnis lernen

1. .Revolution' und .Anlage': Anfangen ohne Anfang (Taufe) 2. Augenblickswahrheit und innere Lüge (Buße) 2.1 Gottes Sohn als Beispiel und Zeichen negativer Hoffnung . . . . 2.2 Erneuerung inneren Sinns 2.3 Vom inneren zum ikonischen Sinn? 3. Fühlbares Geheimnis? 3.1 Der erhabene Augenblick 3.2 Zufriedenheit - Ikonisches Zeichen des Unendlichen 3.3 Enthusiasmus - Zeichenloses Zeichen des Unendlichen 3.4 Leidenschaft der Freiheit - Semiotische Desiderate Zusammenfassung: Geheimnis des Reiches Gottes 1. Geheimnis als Lebensform geschöpflicher Freiheit 2. Unendlichkeit: Gott - alles in allem? 3. Dreifaches Geheimnis: Umformung der Tradition 4. Negativität als Frage nach ikonischen Zeichen

167 168 172 173 175 176 178 178 179 181 184 186 186 188 190 191

Zweiter Teil Grammatik und dichte Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen bei Franz Rosenzweig und Hermann Cohen

§ 8

Exposition der Frage

193

Gottesdienstliche Zeichen des göttlichen Namens Katechetische Theologie. Der Aufbau der Untersuchung Rosenzweig, Cohen und Levinas. Zum Forschungsstand Das .Bild' erwählender Liebe und das Problem des Anfangs

195 197 201 203

Präsenz und Externität göttlichen Namens

207

1. Das Bild dialogischer Liebe: Sch'ma und Jichud 1.1 .Stark wie der Tod' (Hhl 8,6) 1.2 Geltung und Reichweite des Namens

207 208 209

1. 2. 3. 4.

§ 9

EXKURS: JICHUD HASCHEM DES VERSÖHNUNGSTAGS

211

IX

2.

3.

4.

Grammatik des einzigen Namens (Sch'ma und Jichud) 2.1 Präsenz des Namens und homologische Verewigung 2.2 Einzigkeit als Idee und als Name bei Hermann Cohen Grammatik der Versöhnung (Widduj und Selicha) 3.1 Reinigung vor dem Namen und durch den Namen 3.2 Logik der Versöhnung bei Hermann Cohen .Abraham' als Ort der Geltung und Bewährung Zusammenfassung

§ 10 Elemente theologischer Propädeutik: ,Der Name' als Wort 1. 2.

3.

4.

Zwei Aufgaben einer theologischen Propädeutik des Namens ,Der Name' als logisches Grundelement 2.1 Was meint .Einführung' des Namens? 2.2 ,Der Name' als selbstbezügliches Zeichen 2.3 ,Der Name' als dialogisches Wort und Kultschrei 2.4 Reale Orientierung und Wort-im-Anfang 2.5 ,Der Name' - kein Name 2.6 Satzwerdung des Namens ,Der Name' als Satz: Metaphorizität 3.1 ICH BIN DA - Existenzsatz und Verheißungssatz 3.2 Decknotation als Index semantischer Spannung 3.3 ,Der da ist, der da war und der da kommt' Universelle Sätze als Regeln der Urteilskraft Unendlichkeit des Namens und Sätze über das Geheimnis Zusammenfassung

§ 1 1 Schöpfung-im-Anfang und Schöpfung-im-Wort 1.

2.

Chaos der Dinge und reale Orientierung 1.1 Reale Orientierung 1.2 Elementare Prädikation im Chaos der Dinge Schöpfung-im-Anfang 2.1 Metaphorik und kreatürliche Urteilskraft 2.2 Schöpfung-im-Anfang: Anfangen ohne Anfangenkönnen

§ 12 Messianische Ökonomie und Grammatik des Segens 1. 2.

X

Messianische Ökonomie Grammatik des Segens 2.1 Schöpfungssegen und wachsendes Leben

215 215 219 227 227 228 233 235

. . .

237 237 241 241 242 244 247 249 250 251 251 256 258 264 266

269 269 270 273 274 274 279

283 283 285 286

3. 4.

5.

2.2 Messianischer und eschatologischer Urteilssinn 2.3 Eschatologischer Segensgruß Erlernen von Geschöpflichkeit: Dasein der Dinge und Prädikation Elemente theologischer Propädeutik: Prädizieren und Benedizieren 4.1 Prädikation und prädikativer Satz 4.2 Güte im status promissionis 4.3 Diachronie und Schon-Da-Sein 4.4 Sabbatsegen - Messianischer Gruß und diche Zeit Weisheit und Gesetz?

. . . .

EXKURS: WEISHEIT IN SCHELLINGS .WELTALTER'

302

Zusammenfassung

307

§ 13 Ethik der messianischen Lebensform .Gesetz' 1. 2.

3. 4.

Buber und Rosenzweig über das Gesetz: Ethische Beschreibung Lebensform .Gesetz'und ihre Beschreibung 2.1 Das .Gebot, den Namen zu lieben' als Maß 2.2 Aspekte ethischer Beschreibung Werke als Früchte des Reiches Gottes beschreiben Elemente theologischer Propädeutik: Messianische Doxologie Zusammenfassung

309 ....

§ 14 Ikonische Zeichen: .Der Name' als Feuer 1.

2. 3.

287 289 290 292 292 294 296 299 301

Von der Apologetik zum Dialog 1.1 Unentscheidbare Differenz als Bedingung des Dialogs 1.2 Realpräsenz und kultische Zeit 1.3 These Dichte des Namens und Dialektik der Hoffnung (Rom 11,25-36) Ikonische Zeichen und dichte Beschreibung

309 312 312 314 320 324 330

333 333 333 336 339 339 343

...

§ 15 Dichte und Unendlichkeit des Namens - Der Versöhnungstag . 1. Repräsentierende Anamnese? 2. Ikonische Hoffnung Zusammenfassung: Ikonische Zeichen des Namens und Sakramente

346 347 348

.

355

XI

Schluß Leiblicher Name - Gebet im Geist Zur evangelischen Lehre vom Sakrament 1. 2. 3. 4.

Leiblicher Name. Theo-logischer Anfang Anamnetische Christusrepräsentation im Geist? Zwei Thesen, eine Aufgabe Stehen vor Gott im Geist

362 365 369 369

Anhang Liste der Sigel

372

Stellenregister Kant, Cohen, Rosenzweig

373

Begriffsregister

379

Verzeichnis der zitierten Literatur

393

XII

Einleitung

Unendlicher Name und ikonische Hoffnung Es ist ein merkwürdiges Dilemma der evangelischen Theologie im zwanzigsten Jahrhundert, daß ihre maßgebliche Dogmatik mit der Diagnose einsetzt, dem Protestantismus sei „eine ganze dritte Dimension (sagen wir einmal: die Dimension des ... Geheimnisses) abhanden gekommen"1, um nach 35 Jahren abzubrechen mit dem Verdikt: „Die Taufe antwortet auf das eine .Mysterium', das eine .Sakrament' der Geschichte Jesu Christi, seiner Auferstehung, der Ausgießung des Heiligen Geistes: sie selbst ist aber kein Mysterium, kein Sakrament."2 Mit der radikalchristologischen Neudimensionierung des Geheimnisses scheint dem Protestantismus endgültig die Dimension des Sakraments abhanden gekommen. Dieses Dilemma ist nicht neu. Das Abhandenkommen der Dimension Sakrament, einer kultischen Zeichendimension von genuiner Sichtbarkeit, tamquam visibile verbum3, reicht länger zurück. Der Wunsch nach Bereinigung der kirchlichen und theologischen Sprache um den etymologisch kontingenten Begriff Sakrament hat Tradition, große Tradition. Und bevor er laut werden konnte, mußte die Dimension des Sakraments bereits abhanden gekommen sein.4 Einsame Rufe - „im Sakramentsverständnis [sind] Eschatologie und Schöpfungslehre in den engsten, strengsten, aber auch problematischsten Zusammenhang gerückt"5 - benennen das Abhandengekommene und Vergessene präzise. Sie verhallen. Sie verhallen nicht ohne Grund. Die vorliegende Untersuchung schlägt daher nicht noch einmal den Weg radikalchristologischer Neudimensionierung des Geheimnisses im Sakrament und des Sakraments als Geheimnis ein, der zufolge Gott als Geheimnis der Welt in Jesus Christus als dem einen Sakrament der Kirche auf die Welt wartet.' Die Untersuchung gräbt vielmehr an den

K. Barth, Vorrede zu: Die Kirchliche Dogmatik 1,1, IXf [1932]. K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik IV,4, 112 [1967], 3 A. Augustinus, In Iohannis Evangelium Tractatus, 80,3, CChr. SL 36,529. 4 Zum Wunsch, den „sogenannten allgemeinen Begriff" Sakrament aus der kirchlichen und theologischen Sprache wieder .hinwegzuschaffen': F.D.E. Schleiermacher: Der christliche Glaube, § 143, 364. Schon hier begegnet er im Zusammenhang neuer christologischer Konstruktion von Taufe und Abendmahl: § 143, 366; Leitsatz zu § 127, 278. 5 E. Jüngel, Sakrament, 29. 6 Vgl. E. Jüngel, Sakrament, 40 (Schlußthese). 1

2

1

großen Traditionsschichten neuzeitlicher, radikalchristologischer Offenbarungstheologie und Offenbarungsphilosophie vorbei und hinter sie zurück. Ihre Fragen, auf eine allgemeine Form gebracht, lauten: -

-

-

Ob nicht im Widerspruch und in der unaufhebbaren Differenz der göttlichen Namen, des trinitarischen Namens und des Tetragramms, das letzte göttliche Geheimnis verborgen und verheißen ist; ob nicht der wahre göttliche Name im Aussprechen stets auch verschwiegen bleibt, gerade weil die Homologie des trinitarischen Namens (wie auch des Tetragramms) unhintergehbar ist; und ob nicht eben darin Gottes Unendlichkeit bestehe; ob die unaussprechliche, unauslotbare Tiefe des göttlichen Namens in genuinen ikonischen Zeichen oder im .Sakrament' öffentlich sichtbar wird; ob nicht die alte Definition vom Sakrament als tamquam visibile verbum unausgeschöpften semiotischen Sinn enthält; ob also ikonische Hoffnung des unendlichen Namens im Sakrament mehr sehen als in worthafter Homologie sagen kann; schließlich: Was es bedeutet, Hoffnung zu erlernen, die all dies weiß; Hoffnung, die sich als negative Einsicht bestimmt und als ikonisches Sehen vollzieht; Hoffnung, die ungesuchte, authentische Dialogizität des Glaubens begründet.

Um ein mögliches Mißverständnis gleich anfangs zu vermeiden: Gefragt wird nach dem im Namen Jesus Christus' verheißenen Geheimnis der Gerechtigkeit und Wahrheit des trinitarischen Namens Gottes und daher nach Jesus Christus als dem Sakrament in den Sakramenten. Gefragt werden kann nur in der Perspektive christlicher, evangelischer, dogmatischer Theologie. Doch wird diese Perspektive nicht radikalchristologisch aufgebaut. Das hat weitreichende Konsequenzen für Antworten auf die genannten Fragen. Gefragt wird nach der Zukunfts-Freiheit Gottes, dessen Verheißung in Jesus Christus so ihr Ja gefunden hat, daß ,wir' zu Gottes Lobpreis ,das Amen rufen* können (2Kor 1,20), - ohne daß die kontradiktorische Homologie ,des Namens' (Ex 3,14; Dtn 6,4) ungültig, widerlegt und widerlegbar ist. Die Frage nach der Dimension des Geheimnisses, die keine dritte Dimension ist, beginnt mit dem Staunen darüber, daß das logische Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten, das doch die logische Mindestanforderung an jede Aussage ist, auch an die Assertionen des christlichen oder jüdischen Glaubens und an die Sätze ihrer Theologie, nicht unbesehen die Regel göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit ist. Die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit übersteigt das begründet Aussagbare, ohne die wohlbegründbaren Aussagen der Theologie und die begründeten Assertionen des Glaubens zu denunzieren oder zu relativieren.

2

Das schlechterdings Erstaunliche, das Unbegreifliche und Unaussprechliche der Hoffnung kann erkannt und ausgesagt werden - und zwar eben als solches. Hoffnung ist von begreifbarer Unbegreifbarkeit. Sie gilt Gottes Unendlichkeit, dem Geheimnis seiner Freiheit, seiner unbegrenzten Zukünftigkeit.7 Wir erwarten von Gott mehr, als wir begründet und sinnvoll aussagen können - das können wir, scheinbar paradox, aussagen. Wir können es sogar sprach-, erkenntnis- und zeichenkritisch ausarbeiten. Das Geheimnis der Hoffnung, ausgesprochen in der Doxologie von Rom 11,33-36, vollzieht sich als .Paradoxologie'.8 Wenn irgendwo, dann geht kontrollierbare Rede hier über in unverfügbares Reden. Doch worüber sich nicht reden läßt, darüber ist erst recht nicht zu schweigen. Das Geheimnis des göttlichen Namens zeigt sich nämlich. Es zeigt sich in nicht-sprachlichen, nicht-repräsentierenden .sichtbaren' oder ikonischen Zeichen. Die Frage nach diesen genuinen Zeichen ist der Ort der Frage nach dem Sakrament. Die begreifbare Unbegreifbarkeit der Hoffnung wird in .Sakramenten' als Zeichen des Geheimnisses göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit fühlbar, sichtbar, beschreibbar. Die Kontingenz der ursprünglichen patristischen Begriffe sacramentum und mysterium muß gar nicht bestritten werden; übrigens auch nicht die Kontingenz der begriffsgeschichtlichen Konzentration auf kultische Zeichen in der westlichen Theologie spätestens seit Augustin. Begriffshistorische Fragen9 sind aber zu trennen vom Status des semiotischen Grundbegriffs Sakrament in christlicher Theologie. Dessen Verwendung ist neu und klarer zu bestimmen, damit dem Protestantismus die Dimension des Geheimnisses nicht vollends abhanden kommt: Das Sakrament ist, als Gedächtniszeichen und als reale Vergegenwärtigung des auferweckten Gekreuzigten, Zeichen ikonischer Hoffnung des noch nicht aussagbaren Geheimnisses des göttlichen Namens}0

7 Zum trinitarisch-eschatologischen Begriff göttlicher Unendlichkeit als zeitlicher Unendlichkeit und unbegrenzter Zukünftigkeit: R.W. Jenson, The Triune Identity, 163-175 (deutsche Ubersetzung: E. Maurer, Der lebendige Gott, 147-155); ders., Systematic Theology I, 214-223. Jensons Texte sind das Klarste, was gegenwärtig zu dieser Frage zu lesen ist. 8 Nach einem Wortspiel Henning Schröers. 9 Zum Beispiel die hochinteressante Frage des nicht-kultischen, typologisch-eschatologischen, nicht: geschichtstheologischen Sinns von sacramentum und mysterium, die im Folgenden der Sache nach neu aufzunehmen ist. Genannt sei stellvertretend und ohne Zustimmung zur problemgeschichtlichen Konstruktion: W. Pannenberg, Systematische Theologie ΠΙ, 51-62.369-404. 10 Hier liegt die Sakraments-Definition von Thomas von Aquin zugrunde. Sie hat für die ganze Untersuchung heuristischen Rang: „sacramentum proprie dicitur quod ordinatur ad significandam nostram sanctificationem. In qua tria possunt considerari ... Unde sacramentum est et signum rememorativum eius quod praecessit, scilicet passionis Christi; et demonstrativum eius quod in nobis efficitur per Christi passionem, scilicet gratiae; et prognosticum, idest praenuntiativum, futurae gloriae". (Thomas von Aquin, STh ΠΙ q.60 a.3 c)

3

Der Gottesdienst kann zum paradigmatischen Ort des Erlernens und der produktiven Erkenntnis des göttlichen Geheimnisses werden (ohne daß sacramentum nur auf kultische Zeichen einzuschränken wäre). Das Erlernen des göttlichen Geheimnisses im Sakrament Jesus Christus' verlangt Arbeit, setzt Erkenntnis-, Sprach- und Zeichenkritik voraus, wissendes Nichtwissen. Nur auf diesem Weg läßt sich eine Theorie dichter Beschreibung sakramentaler Zeichen aufbauen, die den Anspruch einlöst, innerhalb der Grenzen der Homologie des göttlichen Namens im Namen Jesus Christus* sichtbare Hoffnung zu beschreiben, die über diese Grenze hinaus reicht, und zwar im Namen Jesus Christus'. In der Differenz christlicher und jüdischer Homologie und Lebensform wird dann göttliche Freiheit als Geheimnis kreatürlicher, humaner Freiheit beschreibbar und erlernbar. In der Tat also: Im Verständnis von Geheimnis und Sakrament rücken ,Eschatologie und Schöpfungslehre in den engsten, strengsten, aber auch problematischsten Zusammenhang'.

1. Hoffnung als endlicher Sinn fürs Unendliche: Geheimnis Das Geheimnis Gottes, die unbegrenzte Zukünftigkeit und Freiheit Gottes, paradigmatisch erlernt im Widerspruch der göttlichen Namen, wird in der vorliegenden Untersuchung zu einer Aporetik der Theologie entfaltet. Während katechetische Theologie ins Geheimnis einführt, arbeitet metatheoretische Theologie11 (oder .wissenschaftliche Theologie'12) dieses Geheimnis zu einer Aporetik aus. Gottes Geheimnis kommt in Aporien der Erkenntnis-, Sprachund Zeichenkritik oder in einer metatheoretischen Aporetik der Theologie zur Darstellung: „Apone der Theologie benennt das, was herkömmlicherweise das .Mysterium des Glaubens' genannt wird", und zwar „unter den Bedingungen seiner rationalen Beschreibbarkeit*"3. Das Geheimnis der Hoffnung kann noch nicht ausgesagt werden. Aber gerade auf dieser Grenze entsteht ein genuines wissendes Nicht-Wissen, Thema theologischer und philosophischer Eschatologie. Das Geheimnis der Hoffnung kommt daher unter den Bedingungen rationaler Beschreibung in bestimmten Aporien der Eschatologie zur Darstellung. Diese Aporien können wiederum in strukturelle Probleme überführt und höchst verschiedenartig gelöst oder bearbeitet werden. Wie dies geschieht, entscheidet über den Charakter von Theologien.14 Die genauere Ein11

Zum Begriff Metatbeorie der Theologie: G. Sauter, Kritik, 229.218f. Zur Unterscheidung katechetisch-kirchlicher, dogmatisch-kirchlicher und wissenschaftlicher Theologie: I.U. Dalferth, Wissenschaftliche Theologie, 199-128. Die Durchführung dieser Unterscheidung bei Dalferth wirft allerdings mehr Fragen auf, als die übersichtliche Unterscheidung zu lösen verspricht. 13 G. Sauter, Kritik, 355. 14 Zum Begriff Charakter. G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 262-280: Der Charakter der Dogmatik „ist durch Aussagen über Gottes Sein, Gottes Offenbarung und Gottes Handeln" bestimmt, „durch die theologische Antwort auf die Fragen ,Wer ist Gott', den wir anrufen?', 12

4

sieht in den Zusammenhang und die Vermittlung von Geheimnis und Sakrament verlangt deshalb den nicht unbeschwerlichen Umweg über eine exemplarische und charakteristische Aporetik. Strukturelle Aporien und Probleme sind dabei übrigens nicht mit materialen Themen der Theologie (Topoi) zu verwechseln, durch die theologische Probleme systematisch miteinander verknüpft werden. Dies zu leisten, ist Aufgabe dogmatischer Theologie. An der dogmatistischen Ungeduld gegenüber der Aporetik, die auszuarbeiten ist, wenn die Furcht vor dem unbegreifbaren Geheimnis Gottes den Anfang der Weisheit bildet, scheitern gutwillige Dialogversuche zwischen jüdischer und christlicher Hoffnung.15 Die skeptische Version dieser Aporetik der Unendlichkeit des göttlichen Namens führt zum ,postmodernen' Negativismus.16 Der kontradiktorische, begründet unentscheidbare Widerspruch der christlichen und jüdischen Homologie des göttlichen Namens bildet in der vorliegenden Untersuchung den Zugang zur Frage nach dem eschatologischen Geheimnis göttlicher Unendlichkeit. Unterstellt wird, daß die theologische Theoriebildung, neben dem radikalchristologisch-offenbarungstheologischen Typ und Charakter, mindestens einen zweiten eschatologisch-verheißungstheologischen Typ und Charakter christlicher Theologie kennt. In ihm wird die Eschatologie und Pneumatologie Referenzrahmen der Orientierung und Begründung, wenn auch nicht selten eine problematisch negativistische Eschatologie.17 Die Herausbildung dieses eschatologischen Charakters von Theologie wird in dieser Untersuchung am Beispiel der Religionstheorien Immanuel Kants, Hermann Cohens und Franz Rosenzweigs dargestellt. Daß sich seine Theoriegeschichte nicht nur aus den Quellen des Christentums, sondern auch aus den Quellen des Judentums speist, dürfte für den genannten Typ und Charakter von Religionstheorie und Theologie spezifisch sein. Was bedeutet dies für die essentiell dialogische Konstitution christlicher Eschatologie und Theologie? Auf diese Frage ist zurückzukommen. Nun hat man eingewandt, daß „Geheimnisse ... bestaunt, nicht gelöst werden [müssen]", weil sich die „echten Geheimnisse ... der genauen Bestimmung als unlösbare Probleme oder Aporien entziehen"18. Dieser Einwand enthält ein Wahrheitsmoment. Das Geheimnis des göttlichen Namens wird in der Tat in

,Wie begegnet Gott uns, wie treffen wir auf ihn?' und ,Wer sind wir im Verhältnis zu Gott?'" (263). 15 Ein Beispiel: F.-W. Marquardt, Was dürfen wir hoffen. 16 Ein Beispiel: J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen; ders., Bindestrich. 17 Es sei verwiesen auf zwei Beiträge des Verfassers, die in diese Sicht einführen: Art. Verheißung; Aporien und Charaktere. " D. Ritsehl, Logik, 129.

5

der theologischen Theorie reduktiv dargestellt: unter Bedingungen rationaler Beschreibung. Die drei genannten Religionstheorien haben allerdings den nicht geringen Vorzug, dies explizit zu reflektieren. Sie zeigen nämlich, warum Religionstheorie, verstanden als Metatheorie von Theologie und bestimmt als Eschatologie, aufgrund dieser ihrer bestimmten Aporetik die Form katechetischer Theologie annimmt: Sie wird zur mystagogischen Theologie, zur Einführung ins Erlernen des Geheimnisses und ins Staunen über das Geheimnis. Es ist also richtig, daß das Geheimnis Gottes zu bestaunen ist. Aber es trifft nicht zu, daß Bestaunen des Geheimnisses der rationalen Beschreibung und Bestimmung entgegensteht. Im Gegenteil: Zu erinnern ist an eine Tradition rationaler Mystagogie, nach welcher „das Geheimnis ... nur nach langsamer Entwickelung der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsätzen, also nur durch Arbeit, fühlbar werden kann"19. Daß das begreifbar unbegreifbare Geheimnis durch kritische .Arbeit* erlernbar wird, und daß es durch Erlernen .fühlbar', ja .sichtbar' werden kann, ist der Kernsatz des Programms rationaler Mystatogie. Dieses Programm hat in Immanuel Kant seinen hervorragenden Vertreter. Es unterscheidet sich ebenso vom platonischen πάθημα φρόνησις20 wie vom aristotelischen logisch-metaphysischen μάθημα21, sofern dieses μάθημα zum mystagogischen πάθημα in einen „unüberbrückbaren Gegensatz ... getreten"22 ist. Der erste Hauptteil der Untersuchung ist der Metatheorie des .Geheimnisses' in der kritischen Philosophie Immanuel Kants gewidmet. Eine Reihe von Gründen führen zu dieser Wahl, deren sachliche Triftigkeit selbstverständlich erst die Durchführung erweist: Kant arbeitet erstmals die Frage der Hoffnung als Zugang zum Geheimnis Gottes aus. Es ist gerade die absolute Freiheit Gottes, typisiert und symbolisiert als richterliche und insofern schöpferische Souveränität, die ihm als jenes wahre .Ende aller Dinge' gilt, das von begreifbarer Unbegreifbarkeit bleibt. Absolute Freiheit Gottes wird als Geheimnis mit jener praktischen, negativkreatürlichen Freiheit erlernt und fühlbar, zu der die Stimme des Gesetzes anweist. Freiheit Gottes, als unbegrenzte Zukünftigkeit, wird im Gesetz als Lebensform kreatürlicher Freiheit .verheißen'. Es ist eines, daß Kants Rede von .Verheißung' und .Hoffnung' stets und aufs Höchste fragwürdig bleibt. Ist sie doch beständig begleitet von den beiden Gefahren säkularer Eschatologie: dem nihilistischen Negativismus und der politischen Theologie. Diese Dialektik rationaler Eschatologie, die Kant

" I. Kant, Ton, Β 419; 5,393. Phaidon 79d; zur philologischen Interpretation: H. Dörrie, Leid und Erfahrung, 333f; zur philosophischen Interpretation: G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, 227-231.258-282. 21 Aristotelis qui ferebantur Librorum Fragmenta, fragmentum 15, 31,11-14. 22 H. Dörrie, Leid und Erfahrung, 337, vgl. 334-337. Zur Gesamtfrage: § 7. 20

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sieht, wird aber im folgenden zurückgeführt auf eine ungelöste Aporie Kants, freilich keineswegs nur Kants: die Elimination des göttlichen Namens in der Religionstheorie und Theologie. Elimination des göttlichen Namens aus der Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft ist keineswegs problemvergessene Sistierung. Doch eine Religionstheorie aufgrund eliminierten Namens aufzubauen, ist jenes aporetische Unterfangen, das mit Kant beginnt. Die Konsequenz dieser Elimination des göttlichen Namens ist die Elimination kultischer Zeichen, des Gebets, des Gottesdienstes, des Sakraments. Hellsichtig erkennen Hermann Cohen und Franz Rosenzweig, die jüdischen Philosophen, diese Aporie: Elimination gottesdienstlicher Zeichen ist Symptom des eliminierten Namens in der Religion. Es ist gewiß lohnend, Kants Grundoperation der Namenselimination im Prozeß religiöser Individualisierung, konfessioneller Pluralisierung und religiöser Emanzipation zu reflektieren. Es steht Kant ja selbst klar vor Augen, daß die alte metaphysische, natürliche Theologie und Religion im Prozeß dieser Aufklärung zur politischen Theologie und Religion mutiert, eine Mutation, die noch in der Ersten Kritik bei Kant selbst zu beobachten ist. Diese Mutation natürlicher Theologie zur politischen Theologie wird zentraler Gegenstand der Kritik praktischer Vernunft und ihrer Dialektik. Aber die Elimination des göttlichen Namens ist nicht nur Voraussetzung dieses Prozesses religionstheoretischer Aufklärung, sondern zugleich Inbegriff seiner theologischen Dialektik. In ihr gründet die Dialektik der Vernunftreligion. So kommt es, daß Kant jüdische Religion insgesamt als politische Religion denunziert und als Fehlform rationaler Religion sistiert. Ein anderes aber ist es, daß Kant vielleicht zum ersten Mal in der Moderne, jedenfalls aber auf exemplarische Weise, göttliche Freiheit als das Geheimnis endlicher, kreatürlicher Urteilsfreiheit praktisch exponiert. Diese negative (nicht: negativistische) Eschatologie Kants zeigt sich vor allem in der Spätschrift ,Das Ende aller Dinge' (1794), die Georg Picht mit gewissem Recht als Kants „eigentliche Theologie" charakterisiert.23 Diese eigentliche Theologie endet mit dem kaum verhohlenen Erstaunen vor jener Liebe, die historisch von Jesus gelebt wurde und die Kant als höchstes Gut beschreibt, das zu erhoffen sei, um nicht der Dialektik der Hoffnung zwischen Negativismus und politischer Theologie zu unterliegen.24 25 G. Picht, Hier und Jetzt I, 64f: „Von Hegel unterscheidet sich Kant dadurch, daß diese eigentliche Theologie' jenseits der Grenzen der bloßen Vernunft liegt. Sie ist .eigentlich', weil sie nicht mehr Metaphysik ist." 24 Kants Spätschrift formuliert die Antinomie jeder modernen Eschatologie. Bestechend klar beschreibt sie R. W. Jenson (The Triune Identity, 171f; übersetzt bei E. Maurer, Der lebendige Gott, 152): „Das Versprechen, daß [am Ende] etwas herauskommt, muß irgendetwas versprechen, muß sich ausrichten auf einen spezifizierbaren, beschreibbaren Zustand ... Aber dann wird es zweifelhaft, ob eine eschatologische Verheißung überhaupt etwas bedeuten kann, denn wenn sich eine eschatologische Verheißung auf einen bestimmten Zustand bezieht, was ist, wenn dieser Zustand eintritt?" Diese Antinomie ist in der Tat „der dialekti-

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Liest man Kants Kritiken von diesem Ende her, wird man gewahr, daß darin vielleicht zum ersten Mal in der Moderne, jedenfalls aber auf exemplarische Weise, die erfahrungskonstitutiven Grundbegriffe von der Ontotheologie (genereller und spezieller Metaphysiken) auf die negative Eschatologie als Referenzrahmen hin umgestellt werden - oder zumindest umgestellt werden sollen. Die Frage, was wir hoffen dürfen, bildet so den Maßstab der gesamten Kant'schen Kritik. Das eschatologische Geheimnis der Freiheit Gottes kommt daher in Kants Kritiken als exemplarische Aporetik zur Darstellung. Das möchte die folgende Analyse zeigen. Ein neuer, nämlich eschatologischer Begriff von Geheimnis führt dazu, daß bestimmte, sich immer wieder stellende Aporien in neuer Weise in strukturelle Probleme überführt werden und neue Problemlösungen erfahren. In dieser Aporetik stellt sich praktische Welterkenntnis als Hoffnung und Hoffnung als endlicher, kreatürlicher Urteilssinn dar. Hoffnung erweist sich als endlicher, d.h. negativ-kreatürlicher, Sinn fürs Unendliche. Daß Kants Problematisierung und Problemlösung theologisch zu kritisieren sind, ist dabei von fast schon banaler Richtigkeit. Viel aufschlußreicher ist es aber, zu sehen, wie das eschatologische Verständnis des göttlichen Geheimnisses in einen nicht-vollständigen, aber exemplarischen Kanon von strukturellen Problemen überführt wird. Hoffen erweist sich dann als genuines Erkennen und Handeln, Bezeichnen und Beschreiben, Fühlen und Sehen, das die transzendentale Theorie eher sprengt als krönt. Diese Aporetik umfaßt, vorläufig beschrieben, folgende Probleme: (1) ein genuines Begründungsverfahren, das die Grundlage für die Erlernbarkeit des Geheimnisses darstellt; (2) einen bestimmten Vorschlag für das Verstehen von .Existenz' bzw. .zeitlicher Existenz'25, der die Stelle offenhält, um die fühlbare, reale Relation endlicher Freiheit zum unendlichen Gott nicht durch reduktive Bestimmungen von .Existenz* undenkbar zu machen; (3) sprachkritische Bestimmungen über den Urteils- oder Aussagecharakter der Sätze rationaler Theologie und über die Metaphorik biblischer Gottesrede als Verheißung; (4) die Frage nach nicht-sprachlichen, ikonischen Zeichen rationaler Hoffnung, genauer: die Frage nach ästhetischen oder historischen Zeichen rationaler Hoffnung und ihrer Beschreibung, unter Ausschluß kultischer Zeichen; (5) zusammenfassend: die Frage nach einem endlichen Urteilssinn der Hoffnung, den wir abgekürzt eschatologischen Urteilssinn nennen.

sehe Motor der Säkularisation, die das Abendland für eine nihilistische Eschatologie empfänglich gemacht hat, für eine Vision der leeren ungebundenen Zukunft. Die Antinomie ist nur in einem Fall zu lösen: wenn die eschatologische Verheißung Liebe ankündigt, jene spezifische Liebe, die historisch von Jesus gelebt wurde." Dies ist die Antwort Kants: § 3,3.4. 25 „Transzendentale bzw. hermeneutische ... Logik wird gerade in der sog. Modalität des Urteils auf die Zeitlichkeit der Existenz hingewiesen." (H. Lipps, Untersuchungen, 42) 8

Das Ziel des ersten Hauptteils ist also, diese Aporetik, die Kants Rede vom .Geheimnis' voraussetzt, auszuloten und sachlich in einer exemplarischen Aporetik zu präzisieren. Im ersten Hauptteil wird dazu eine konzentrierte Interpretation der Hauptschriften Kants vorgelegt. Das Geheimnis der Hoffnung als Maßstab der Kant'schen Kritik erschließt sich erst in wechselseitiger Beleuchtung der kritischen Hauptwerke und der Religionsphilosophie Kants. Sie verweisen aufeinander wie kritische Aporetik und rationale Mystatogie. Was trägt diese metatheoretische Aporetik für christliche Theologie und ihr Geheimnis aus? Auf den ersten Blick wenig! Doch wer meint, sich das Ausloten der Aporetik ersparen zu können, läuft Gefahr, in einige Untiefen der kirchlich-dogmatischen Lehre vom Geheimnis zu geraten, wenn er es nicht vorzieht, im Trüben und Seichten zu fischen. Diese Untiefen lassen sich an Karl Rahners epochemachender Lehre vom Geheimnis exemplifizieren. Für diese, wie für jede besonnene dogmatische Lehre vom Geheimnis ist die trinitarische Struktur des göttlichen Geheimnisses essentiell. Rahner schlägt daher zu Recht einen bestimmten materialen „Kanon der drei absoluten Geheimnisse" vor.26 Seine Definition lautet: , 3 s gibt diese drei Mysterien im Christentum, nicht mehr und nicht weniger, so wie es drei Personen in Gott gibt, und diese drei Mysterien sagen das eine: daß Gott sich durch Jesus Christus in seinem Geist uns selbst, wie er in sich ist, mitgeteilt hat, damit das unsagbar über uns und in uns waltende namenlose Geheimnis in sich selbst die nahe Seligkeit des in die Liebe sich selber aufhebenden erkennenden Geistes sei."27

Rahners „grundsätzlich keiner Erweiterung fähiger Kanon"28 von Geheimnissen ist, entgegen dem Anschein, in seinen Grundzügen klar oder als klar rekonstruierbar. Nur im Kern bleibt er unterbestimmt: der behaupteten Na· menlosigkeit des absoluten Geheimnisses. Die trinitarische Struktur des .Geheimnisses' ist konstitutiv. Doch wie ist dieses Geheimnis, das im trinitarischen Namen Gottes und seiner biblischen Offenbarung gründet, mit dem „Begriff eines einzigen Geheimnisses schlechthin, das der einzige Gott in seinem Verhältnis zur kreatürlichen Erkenntnis ist"29 vermittelt? Dogmatisch gilt das trinitarisch-christologische Geheimnis des göttlichen Namens als Kanon. Metatheoretisch, also auf der Ebene der transzendentalen Religionstheorie. ist der Begriff des einen, einzigen, absoluten und namenlosen, göttlichen Geheimnisses grundlegend. Die Aporie, daß in diesem .Geheimnis' der göttliche Name elimininert ist, oder einfacher: die Aporie, daß wir zur namen-

26 27 28 29

K. Rahner, Begriff des Geheimnisses, 99. Ebd. Ebd. K. Rahner, Begriff des Geheimnisses, 66 (Kursive HA).

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losen göttlichen Unendlichkeit nicht beten können, ist bei Rahner nicht hinreichend geklärt. Es sei denn, radikales Verschweigen wäre als Anbetung des Namens im Geist und in der Wahrheit zu verstehen. Genau dies ist die Unklarheit oder, positiv formuliert: die Alternanz, die bleibt.30 Diese Unklarheit weist auf den unklaren, metatheoretischen Status und die theo-logisch unterbestimmte Vermittlungsleistung von ,Geheimnis' an der Schnittstelle von dogmatischer und wissenschaftlicher Theologie oder, traditioneller formuliert, an der Schnittstelle von dogmatischer Theologie, spezieller Metaphysik und allgemeiner Ontologie. Man kann nicht sagen, daß diese metatheoretische Aporetik in der evangelischen Theologie hinreichend oder auch nur nachhaltig diskutiert ist. Daß sich der Status von ,Geheimnis' und die durch diesen Begriff angezeigte theologische Aporetik und Methodologie gegenüber der Tradition grundlegend gewandelt haben, läßt sich an Symptomen klar ablesen: Die traditionelle Verwendung von .Geheimnis' war (a) zunächst material-topisch orientiert und formulierte einen trinitarisch-soteriologischen Kanon von Geheimnissen; sie leistete (b) die Grenzziehung zwischen der natürlichen Vernunft und dem Glauben als einer übernatürlich erleuchteten Vernunfterkenntnis (durch den Begriff der articuli fidei mixti et puri); sie setzte dabei (c) das Bezugssystem konsensfähiger spezieller Metaphysiken und Ontologien voraus, - konsensfähig darin, daß die Frage nach der Wirklichkeit als sinnvoll galt.31 Die veränderte Aporetik zeigt sich demgegenüber symptomatisch, (a) wenn vom .absoluten Geheimnis' singularisch gesprochen wird, so daß z.B. der dreieinige Gott ontologisch als Geheimnis der Welt gilt; wenn sich (b) der materiale Kanon der Geheimnisse signifikant verändert und Topoi, die vormals auch der natürlichen Vernunft einsichtig sein sollten, v.a. Kreatürlichkeit als Weltlichkeit von Welt, jetzt als Geheimnis gelten, während umgekehrt frühere secreta der Offenbarung (z.B. die Gottmenschheit Jesu) jetzt zum öffentlichen Geheimnis des Gottesdenkens werden; wenn (c) die Distinktion von Vernunft und Glaube am Ereignis göttlicher Liebe als .Geheimnis' des endlichen, erkennenden und im Wort vom Kreuz aufgehobenen, sich selbst aufhebenden Geistes neu justiert wird. An diesen Symptomen ist faßbar, daß sich die Aporetik des Geheimnisses in der evangelischen Theologie verändert hat. Doch wie diese tektonische Verschiebung zu beschreiben und zu konzeptualisieren ist, ist keineswegs klar. Einstweilen werden sich in der evangelischen Theologie weiterhin divergente, mehr oder minder ausgearbeitete Konzepte von .Geheimnis* finden.32 Diese sind Indikatoren divergierender 30 Daraus speisen sich divergente Rahner-Interpretationen: Führt Rahner ins Geheimnis als einer bestimmten Lebensform ein? Hat seine Theologie den Charakter einer Mystagogie göttlicher Unendlichkeit (so: K. Fischer, Mensch, 19-82)? Oder prinzipialisiert Rahner diese trinitarische Mystagogie (so: P. Eicher, Offenbarung, 369-420; J.B. Metz, Glaube, 199-203)? 31 Besonders klar ist dieser Geheimnis-Begriff nochmals im Ersten Vatikanischen Konzil zusammengefaßt: Dogmatische Konstitution ,Dei Filius', v.a. DH 3004f, D H 3015 (Geheimnisse [Plural] im eigentlichen Sinne), D H 3016 (Grenzen der ratio fide illustrata) und DH 3041; zur Rezeption im Vaticanum Π: D H 4206. 32 G. Ebeling, Geheimnis, 201-208; ders., Gott und Wort, 413-432; E. Jüngel, Gott, 334-357; W . Pannenberg, Systematische Theologie I, 128-132.231-234.279-281; G. Sauter,

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radikalchristologischer oder pneumatologisch-eschatologischer Charaktere evangelischer Dogmatik. Schlüsselfragen, wie die bei Rahner skizzierten, sind erst noch auf die Tagesordnung zu setzen. Die folgende Untersuchung bewegt sich auf der Ebene der Theorie christlicher Theologie, um deren Aporetik genauer zu bestimmen. Sie leistet einen Beitrag zur Theorie der Theologie als pneumatologischer Eschatologie. Drei Fragen sind leitend: -

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Welche Aporetik bildet sich, wenn Gottes Verheißungsname und sein Geheimnis Grund und Grenze christlicher und jüdischer Rede von Gott sind? Läßt sich die charakteristische Alternanz einer Religionstheorie der Hoffnung beschreiben, deren grundlegende kritische Operation die Elimination des göttlichen Namens ist (Kant)? Ist vom Standpunkt namenstheologischer Eschatologie (Rosenzweig und Cohen) eine Dialektik der allgemeinen Religionstheorie namhaft zu machen, gerade weil sie Hoffnung namenlos negativistisch bestimmt?

Im Verfolgen dieser Fragen führt der Weg nicht direkt zur dogmatischen Lehre vom trinitarischen Geheimnis des lebendigen Gottes, seiner Unendlichkeit33. Vielmehr wird gezeigt, was es für Aporetik und Charakter christlicher Theologie bedeutet, diese Lehre eschatologisch aufzubauen; und es wird gezeigt, wo und wie katechetisch ins Geheimnis einzuführen ist.

2. Ikonische Zeichen der Hoffnung: Sakrament Die Rede vom .Geheimnis' steht in der evangelischen Theologie in der Regel unverbunden neben der Frage nach dem metatheoretischen, semiotischen und dogmatischen, christologischen oder sotenologischen Sinn der Rede von .Sakrament'. Zumeist fehlt schon, und zunehmend mehr, das Verständnis, daß der dogmatische Begriff .Sakrament' zugleich metatheoretisch-semiotischen Sinn haben müßte.34 Dies kontrastiert wiederum auffällig mit der katholischen Diskussionslage.

Kritik, 229-331; D. Ritsehl, Logik, 127-129; F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 3,109.320. 311. 358. W. Härle, Dogmatik, 95f.236.247. Erst zögerlich findet sich in evangelischen Lexika das Stichwort .Geheimnis', z.B.: J.v. Lüpke, Geheimnis. 33 Einen interessanten Vorschlag bietet im Anschluß an die Arbeiten von R.W. Jenson: E. Maurer, Der lebendige Gott, 146-157.221-229 zur trinitarischen Struktur des eschatologischen Geheimnisses Gottes und der darin begründeten relationalen Ontologie. 34 Eine Ausnahme bildet E. Jüngel: Sakrament, 11-61; Kirche als Sakrament?, 311-334; Gottesdienst, 151-162. Eine besonnene Skizze bietet: U. Kühn, Sakramente, 205-231.

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Erneut sei an Karl Rahner erinnert. Rahner reflektiert den dogmatischen Zusammenhang von Christologie, Ekklesiologie und Soteriologie durch einen analogen Begriff von Sakrament als Realsymbol göttlicher Gnade und Selbstmitteilung.35 Er bezieht diese Symboltheorie des Sakraments mystagogisch auf den Begriff des absoluten und trinitarischen Geheimnisses.36 Jesus Christus gilt als absolute Vermittlung göttlichen Heils, verstanden als eschatologische Öffentlichkeit des Volkes Gottes, als „Konsekration der einen Menschheit... in der Menschwerdung und dem Kreuzestod"37. Die Gegenwart dieses Christusheils, der neuen Menschheit und Bürgerschaft im Reich Gottes, begegnet in der Kirche als .Ursakrament'.38 Die .Sakramente' als Selbstvollzüge von Kirche als Volk Gottes repräsentieren dieses Heil in den konkreten Lebenssituationen des einzelnen. Die Öffentlichkeit des Christusheils teilt sich in ihnen als Gliedschaft am Leib Christi und als Bürgerschaft der neuen Menschheit öffentlich mit und wird zugleich durch sie bezeugt.39 „Kirche als unzerstörbare, als Kirche der unfehlbaren Wahrheit und als Kirche der Sakramente ... als (für das Ganze der Kirche) auch in der subjektiven Gnade der Menschen unzerstörbar heilige (und darin sogar selbst noch Glaubensmotiv, nicht nur Glaubensgegenstand seiende) ist wirklich das erfüllte Symbol dafür, daß Christus da-geblieben ist als das siegreiche Erbarmen."40 Daß Rahners dogmatische Lehre vom Ursakrament für evangelische Theologie kaum rezipierbar ist, scheint konsensfähig: Die Externität Jesu Christi im Evangelium stehe dem ekklesiologischen Sakramentsbegriff entgegen. Taufe und Abendmahl seien gottesdienstliche, kultische ,Empfangshandlungen'41 oder sakramentale Feiern des einen Sakraments Jesus Christus, jedenfalls nicht realsymbolische Repräsentation Jesu Christi. Sie könnten nicht aus dem Selbstvollzug einer selbst sündlosen Kirche verstanden werden. Vielmehr

K. Rahner, Kirche und Sakramente. K. Rahner, Theologie des Symbols, 275-311,291, wonach im Hintergrund der Ontologie des Realsymbols „immer schon der Gedanke an das Mysterium der Trinität stand". 37 Ebd., 13. „Christus ist die geschichtliche Realpräsenz des eschatologisch siegreichen Erbarmens Gottes in der Welt ... in einem die Sache und ihr Zeichen, sacramentum und res sacramenti" (15). „In dieser Dimension des politeuma des Heiles (vgl. Phil 3,20) ist er das sakramentale Urwort Gottes ..." (16). 31 E b d , 17. 39 Die konziliare Rezeption ist sehr präzise: Die Kirche sei „in Christus gleichsam das Sakrament bzw. Zeichen (signum) und Werkzeug (instrumentum) für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit des ganzen Menschengeschlechts" (Lumen gentium 1, D H 4101, vgl. LG 8, D H 4118). Zu den subtilen Differenzen in der Rede von Ursakrament, Wurzelsakrament und Sakramenten: W. Pannenberg, Systematische Theologie ΠΙ, 53-55. 40 K. Rahner, Theologie des Symbols, 298f. Die späte, nicht-ekklesiologische, kreuzestheologische Rede vom Sakrament, die sich bei Rahner andeutet (ders., Überlegungen, 405-429), kann hier ausgeklammert werden. 41 W. Eiert, Der christliche Glaube, 439f; G. Ebeling, Dogmatik 3, 321. Vorausgesetzt ist die Konzentration auf die sakramentale Handlung, nicht mehr nur auf die Elemente: U. Kühn, Sakramente, 77-80 (im Anschluß an Melanchthon). 35 36

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bringe gerade das Selbstverständnis der Kirche als peccatrix maxima die Externität des Evangeliums zum Ausdruck.42 In den ökumenischen Konvergenzdokumenten wird dieser Dissens als offenes Problem lediglich markiert.43 Doch wo hat die Diskussion überhaupt anzusetzen? Der wichtigste Vorschlag zur Präzisierung des status controversiae lautet: „für ein ökumenisch akzeptables Verständnis der Kirche als realsymbolischer Repräsentation Jesu Christi" sei „die Klärung des Handlungscharakters der repraesentatio"44 konstitutiv. In der Tat ist der Begriff anamnetischer Christusrepräsentation fast zur ökumenischen Zauberformel, jedenfalls aber zur Verständigungsformel evangelischer Sakramentslehren geworden.45 Ist also die semiotische und pragmatische Klärung der Sakramente als realsymbolischer Repräsentation Jesu Christi (oder des Reiches Gottes in Jesus Christus) der ökumenische Königsweg? Demgegenüber lautet die Ausgangshypothese dieser Untersuchung: Die ekklesiologische und sakramentstheologische Problemstellung wird entscheidend verkürzt, wenn der Begriff der (Chrisxus-)Repräsentation einseitig in den Vordergrund geschoben wird. Vielmehr sind differenziertere semiotische Kategorien einzuführen, um beschreiben zu können, wie in den Sakramenten das in Jesus Christus offenbare und verborgene, eschatologische Geheimnis des trinitarischen Namens mitgeteilt wird (1). Erst auf dieser Basis läßt sich neu nach dem Zusammenhang von Sakrament, Kirche und Reich Gottes fragen (2). (1) Die Forderung nach differenzierteren semiotischen Kategorien - die sich übrigens auch in der jüngeren katholischen Diskussion gegenüber der Ontologie des Realsymbols erhebt44 - richtet sich nicht auf eine einfache dogmatische Umakzentuierung, gleichsam ,νοη der Anamnese zur Hoffnung'. Auch eschatologische Interpretationen des sakramentalen Handelns sind nämlich bei näherem Hinsehen geprägt und regiert von der Vorstellung realsymbolischer Repräsentation im Sakrament. Aufgrund langer Tradition wird Repräsentation dabei nur allzu oft mimetisch verstanden: als Verähnlichung in der anamnetischen oder antizipativen Darstellung.47 Ob das gegenwärtige sak-

42 E. Jüngel, Kirche als Sakrament?, 329-331; G. Wenz, Einführung, 253-258; vermittelnd: W. Pannenberg, Systematische Theologie ΙΠ, 51-62. 43 Lehrverurteilungen Bd. 1, 77-88, v.a. das Fazit: „Die fundamentale Bedeutung der Sakramente für die kirchliche Praxis erfordert eine gründliche Erörterung des Kirchenverständnisses hinsichtlich des Zusammenhangs von Wort Gottes - Sakrament - Kirche." (88) 44 E. Jüngel, Kirche als Sakrament?, 321. Zur Kritik des Begriffs .Repräsentation' in der katholischen Schultheologie des Sakraments: H. Assel/F. Mildenberger, Grundwissen Dogmatik, 220-223.250f.267-270. 45 Untereinander recht verschiedene Entwürfe bieten: P. Brunner, Zur Lehre vom Gottesdienst, 343f, vgl. 228-238; U. Kühn, Sakramente, 73.312.; W. Pannenberg, Systematische Theologie ΙΠ, 314-369, v.a. 340.343; G. Wenz, Für uns gegeben, 242-249. 46 Th. Freyer, Sakrament, 21-35, mit weiterer Literatur. 47 Das zeigen zahlreiche patristisch-liturgische Beispiele in G. Wainwrights Buch: Eucharist and Eschatology, 42-93. Wainwrights Anliegen, die patristisch-liturgische Eschatologie der

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ramentale Handeln Vergangenes oder Zukünftiges oder Zukünftiges im Vergangenen repräsentiert, um dem Repräsentierten verähnlicht zu werden, ist, gegenüber der vorherrschenden Zeichentheorie, zweitrangig. Dogmatische Variationen der Repräsentationstheorie sakramentalen Handelns sind semiotisch viel weniger innovativ, als es den Anschein hat und nötig ist. Die zeitgenössische, analytische Zeichentheorie bietet hier Alternativen: Weder ist Ähnlichkeit für Repräsentation konstitutiv, noch ist Repräsentation der wichtigste Referenzmodus sakramentaler Zeichen. Um die Differenz zur Repräsentationstheorie (oder Darstellungstheorie48) sakramentalen Handelns vorläufig sprachlich anzudeuten, nennen wir Sakramente nicht realsymbolische Repräsentationshandlungen, sondern ikonische Zeichen.49 Der Charakter ikonischer Zeichen der Hoffnung ist über die geläufige Symbol- und Repräsentationstheorie sakramentaler Zeichen hinaus neu zu bestimmen. Die Untersuchung wird dazu die semiotischen Kategorien: Exemplifikation, metaphorischer Ausdruck und dichte Beschreibung einführen. Sie erlauben zu präzisieren, was die thomistische Sakramentsdefinition andeutet: Gottesdienstliche Zeichen haben nicht nur effektive und repräsentative, sondern prognostische Bedeutung. Sie exemplifizieren ein noch nicht aussagbares Geheimnis und bringen es metaphorisch zum Ausdruck; sie eröffnen und verlangen gerade darin eine unabschließbare, dichte sprachliche Beschreibung, in welcher dieses öffentliche Geheimnis produktiv (nicht nur explikativ) erkannt und dialogisch beschrieben wird. Entwickelt aus der transzendentalen und analytischen Theorie der Ästhetik, sind diese semiotischen Kategorien höchst fruchtbar, wenn sie in der katechetischen Theologie des Gottesdienstes zur Anwendung kommen: An gottesdienstlich-liturgischen Beispielen wird mit ihrer Hilfe ein pneumatologisch-eschatologisches Verständnis ikonischer Zeichen des göttlichen Namens demonstriert.50

Eucharistie neu zur Geltung zu bringen, verlangt weiterreichende Problematisierungen der Repräsentationstheorie des Sakraments. 48 E. Jüngels Theorie der Kirche und des Gottesdienstes erneuert die semiotische Kategorie Repräsentation bzw. Darstellung programmatisch: E. Jüngel, Kirche als Sakrament?, 442f.442-456; ders., Gottesdienst, 304f; daneben: P. Cornehl, Gottesdienst, 64f.83f. Demgegenüber behaupten wir, daß nur durch Kritik an diesen Kategorien das Anliegen Jüngels durchzuführen ist: „Es wäre wohl zu fragen, ob der Protestantismus mit dieser Dimension des sich offenbarenden Geheimnisses nicht eine entscheidende Dimension gerade des docere evangelium verloren hat. Zur Wahrheit des Evangeliums gehört die Herrlichkeit seiner Klarheit." (E. Jüngel, Gottesdienst, 304) 49 ,Zeichen' bedeute vorläufig: Sprachhandlungszeichen (z.B. Zusagen, Gebete), nichtsprachliche liturgische Handlungszeichen (Gebärden) oder liturgische Zeichen (Gewänder). 50 Von liturgisch-ästhetischen Zeichen und der metatheoretischen Frage ihrer dichten Beschreibung auszugehen, nicht von der dogmatischen Sakramentslehre, ist eine methodische Grundentscheidung. Dieselbe methodische Grundentscheidung wird übrigens in einer Reihe neuerer katholischer Sakramentstheologien getroffen, z.B. Th. Freyer, Sakrament, 12-15. 14

Material durchgeführt wird diese Absicht in einer Interpretation von Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung und Hermann Cohens Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Diese beiden Religionstheorien verstehen sich erklärtermaßen selbst als produktive Kritik und Fortführung der Kant'schen Religionstheorie. Sie arbeiten den Messianismus bzw. die Eschatologie des göttlichen Namens als Referenzrahmen ihrer Religionstheorien aus. Im Zusammenhang der Frage nach der Beschreibung ikonischer Zeichen der Hoffnung haben beide Religionstheorien darüberhinaus zwei entscheidende Vorzüge: Sie spitzen die Aporetik des Geheimnisses semiotisch zu: Rosenzweigs und Cohens Religionstheorien sind die im 19. und 20. Jahrhundert exemplarischen jüdischen Theorien kultischer Zeichen des göttlichen Namens.51 Hellsichtiger als protestantische Theologen erkennen Hermann Cohen und Franz Rosenzweig: Die Elimination kultischer Zeichen in der Religionstheorie Kants ist das Symptom des eliminierten Namens. Deshalb führen sie das semiotische Programm Kants gegen Kant durch: als Grammatik und dichte Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen des göttlichen Namens. Der göttliche Name, nicht .Schall und Rauch', sondern .Wort und Feuer', stellt sich in kultischen Zeichen der Hoffnung dar. Der begründet unentscheidbare Widerspruch dieser Zeichen im jüdischen und christlichen Gottesdienst ist der Ort, wo das Geheimnis des Namens, seine Unendlichkeit, erlernt wird. Es teilt sich in dichten Zeichen der Hoffnung mit. Darüber hinaus umfaßt insbesondere die Religionstheorie Rosenzweigs, die im Kern als Theologie des göttlichen Namens zu lesen ist, nicht nur eine Grammatik gottesdienstlicher Sprachzeichen: der Homologie, Benediktion und Doxologie des göttlichen Namens. Sie integriert diese Grammatik einer umfassenderen Theorie gottesdienstlicher Zeichen, welche nichtsprachliche, liturgische Zeichen einbezieht und als sichtbaren Ausdruck' der Unendlichkeit des göttlichen Namens dicht beschreibt. Kultische Zeichen des göttlichen Namens können nicht letztlich in grammatische Elemente zerlegt und analysiert werden. Ihre (semantische und syntaktische) Dichte verlangt eine genuine, diskursiv-sprachliche Beschreibung, die sich dem Problem der Ubersetzung von Dichte in Diskursivität stellt.52 Dieses Problem, bezogen auf bestimmte liturgische Zeichen des göttlichen Verheißungsnamens, nennen wir abkürzend das Problem dichter eschatologischer Beschreibung.53 51

Zu dieser Einschätzung: G. Scholem, Franz Rosenzweig, 526-529; J. Taubes, 52-55; L. Trepp, 9.23f.l91f.; M. Yaffe, 216f. 32 Es sei, als vorläufiges Beispiel, an die dichte Beschreibung,ungegenständlicher' pikturaler Werke oder .ausdrucksdichter' musikalischer Werke erinnert. 53 Die Verwendung des Terminus: dichte Beschreibung schließt übrigens nicht primär an die Kulturanthropologie Clifford Geertz' an (ders., Dichte Beschreibung, v.a. 7-43; ders., Religiöse Entwicklungen, v.a. 138-160; zur Rezeption: G. Lindbeck, Lehre, 166f). Der semiotische Terminus .Dichte' (density) und die Frage dichter Beschreibung exemplifizierender und metaphorischer Ausdruckszeichen folgt primär Nelson Goodmans Zeichentheorie und Ästhetik

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Entscheidend wird für diese Grammatik und dichte Beschreibung kultischer Zeichen die Interferenz verbaler und non-verbaler, grammatischer und ikonischer Zeichen des göttlichen Namens (Wort und Sakrament). 54 Sie setzt die kategoriale Differenz von Repräsentation und Exemplifikation in der Referenz kultischer Zeichen voraus. Daß sakramentale Zeichen den noch nicht aussagbaren ,Namen' exemplifizieren wird dann interessanter als ihre Repräsentation realer oder idealer, vergangener oder zukünftiger .Dinge'. Daß sie sichtbare Hoffnung auf den göttlichen Namen im leiblichen Namen Jesus Christus' metaphorisch zum Ausdruck bringen 55 und dichte, eschatologischpneumatologische Beschreibungen dieser Hoffnung begründen, ist eine semiotisch fruchtbarere Vermutung, als die radikalchristologische Hypothese v o m realsymbolischen Ausdruck göttlichen Selbstseins und göttlicher Selbstmitteilung im Sakrament. 56 Die dogmatische Lehre v o m Sakrament fußt also auf einer theologischen Zeichentheorie. Ihr Bezug auf gottesdienstliche Beispiele ist essentiell. Der Aufbau dieser Zeichentheorie vollzieht sich primär in F o r m einer katechetischen Mystagogie. Darauf ist die dogmatische Lehre von den Sakramenten zu beziehen. Im Kern ist diese eschatologisch-pneumatologische Zeichentheorie eine Theorie metaphorischen (nicht: realsymbolischen) Ausdrucks des göttlichen Namens und seiner Unendlichkeit. Die Interferenz von W o r t und Sakrament, grammatischer und ikonischer Zeichen ist neu, dichter zu beschreiben.

(ders., Sprachen). C. Geertz' Terminus dichter (thick) Beschreibung geht von G. Ryle aus (Dichte Beschreibung, 9-11). Zweifellos läßt sich aber Geertz' semiotischer Kulturbegriff mit der Frage nach dichter Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen verbinden. Für Geertz ist Religion kein in Elemente zerlegbares, rekonstruierbares und allgemein charakterisierbares kulturelles System (ebd., 25). Sie stellt als kulturelles Symbolsystem auslegbarer Zeichen vielmehr einen Kontext dar, in dem Ereignisse, Verhaltensweisen oder Institutionen dicht beschreibbar sind (ebd., 21). Seine methodische Maxime, „von der sehr intensiven Bekanntschaft mit äußerst kleinen Sachen" auszugehen (ebd., 30), wird in den Analysen des zweiten Hauptteils ebenso befolgt, wie der Hinweis auf die zentrale, methodische Stellung des Rituals für die religiöse Symbolbildung (ders., Relgiöse Entwicklungen, 144f). 54 Die Interferenz von Wort und Sakrament ist eine Schlüsselfrage der theologischen Zeichentheorie. Sie ist die Pointe in Augustins Formel vom verbum visibile. Karl Rahners Symboltheorie widmet sich dieser Frage eindringlich: K. Rahner, Wort und Eucharistie. 55 .Ausdruck' ist, das sei vorläufig bemerkt, von Konnotationen wie .Expressivität, Erlebnisausdruck' oder auch ,Selbstvollzug im Anderen' vollständig freizuhalten. 56 Realsymbolischer Ausdruck ist der Grundbegriff in K. Rahners Ontologie des Symbols: „das Seiende ist von sich selbst her notwendig symbolisch, weil es sich notwendig ausdrückt', um sein eigenes Wesen zu finden" (Theologie des Symbols, 278. vgl. 284) Der vierte Grundsatz dieser Ontologie zeigt die fundamentaltheologische Pointe: „Das Heilstun Gottes am Menschen vom Anfang seiner Grundlegung bis zu seiner Vollendung geschieht immer so, daß Gott selbst die Wirklichkeit des Heils so ist, daß sie gegeben und vom Menschen ergriffen wird im Symbol, das jene Wirklichkeit nicht als abwesende (und nur versprochene) vertritt, sondern diese Wirklichkeit durch das von ihr abgebildete Symbol selbst (exhibitiv) anwesend sein läßt" (ebd., 303).

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(2) Erst auf dieser Basis läßt sich präziser über das Verständnis von Kirche im Christusmysterium Auskunft geben. Es ist in hohem Maße präzisierungsbedürftig, wenn Kirche in der evangelischen Kritik an Rahner durch die Struktur christologisch-anthropologischen Personseins bestimmt wird. Das Selbstverständnis der Kirche als simul iusta etpeccatrix überträgt ja eine komplexe christologisch-anthropologische Formel unvermittelt auf die Kirche. Ist das Ergebnis zwar verschieden, so ist das Verfahren im Grund demjenigen Rahners ähnlich: Ein christologisch-anthropologischer Begriff - dort Realsymbolik als personaler Selbstvollzug im anderen, hier Realsymbolik als synekdochisches Personsein in der Gleichzeitigkeit von Sünde und Gerechtigkeit - wird per analogiam auf das Kirchesein von Kirche angewandt. Nicht diese anthropologische Figur, wohl aber ihre ekklesiologische Analogisierung ist unterbestimmt. Angesichts ökumenischer Sackgassen kann ein neuer Begriff vom Sakrament weder direkt auf eine dogmatische Lehre vom Sakrament noch direkt auf eine dogmatische Lehre von der Kirche zusteuern. So notwendig eine dogmatische Klärung in beiden Hinsichten auf evangelischer Seite gegenwärtig ist, so umfassend müssen die Vorarbeiten und Aufräumarbeiten sein.57 Vor ökumenischen Konsens- oder Dissensformeln zur Sakramentalität der Kirche, ist daher nach der metatheoretischen Bedeutung von .Sakrament' für eine Theorie von Kirche zu fragen. Diese Frage wird nicht zur Rede von Kirche als Ursakrament führen. Rahners Deduktion der Kirche und Sakramente aus einer radikalchristologischen Symboltheorie ist aber nicht nur in diesem Ergebnis, sondern schon im methodischen Aufbau zu konterkarieren. Der semiotisch neu zu bestimmende Begriff .Sakrament' ist zunächst für eine deskriptive Theorie gottesdienstlicher Zeichenhandlungen des göttlichen Namens einzusetzen. Diese bildet wiederum ein Paradigma für eine deskriptive Theorie von Kirche. Diese deskriptive Theorie von Kirche umreißt dann das Aufgabenfeld der Dogmatik, u.a. einer dogmatischen Lehre von der Kirche. Nur im Zuge dieses methodischen Aufbaus leuchtet es ein, daß und inwiefern eine Theorie .sakramentaler oder ikonischer Zeichen' für ein Verständnis von Kirche unverzichtbar ist. Der Sakramentsbegriff hat seinen metatheoretischen Ort in der Beschreibung von Kirche und präzisiert hier den Zusammenhang von Kirche und Reich Gottes. Er präzisiert den Zusammenhang von partikularer Geltung und universaler Reichweite kirchlicher Zeichen des göttlichen Namens, ohne daß Kirche dogmatisch als „Sakrament des Reiches Gottes"58 zu bestimmen wäre. In der dogmatischen Lehre von der Kirche hat der Sakramentsbegriff keine Funktion und keinen Platz! Es ist eines, daß der Zusammenhang von Kirche aus Juden und Heiden und Reich Gottes für das

57 Zur dogmatischen Lehre vom Sakrament erscheint vom Verfasser in naher Zukunft ein Studienbuch unter dem Arbeitstitel: Was ist ein Sakrament? Der Ausblick auf eine evangelische Lehre vom Sakrament, der diese Untersuchung schließt, bildet dafür die Grundlegung. 51 So, nach dem Vorschlag J. Moltmanns, W. Pannenberg, Systematische Theologie ΠΙ, 55.

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neutestamentliche Christusmysterium konstitutiv ist.59 Ein anderes aber ist es, daß die sachgemäße Entfaltung dieses Zusammenhangs unklar geworden ist, seitdem Kirche zum zentralen Symbol des universalen Reiches Gottes avanciert ist. Der Aufstieg der Kirche zum Realsymbol eschatologischer Bürgerschaft und neuer Menschheit geht einher mit der Elimination (z.B. Kant) oder Verkirchlichung (z.B. Schleiermacher oder Rahner) der ikonischen Zeichen des göttlichen Namens. Denn diese Zeichen bleiben dem Selbstvollzug von Kirche extern, weil sie die universale Reichweite der Verheißung des Reiches Gottes an der Kirche zum Ausdruck bringen. Kirchliche .Empfangshandlungen' exemplifizieren die stets größere Reichweite des göttlichen Namens. Sie bringen ihn zum Ausdruck. In ihnen wird Kirche zum Ausdruck des Volkes und Reiches Gottes. Doch sie repräsentiert nicht das Volk und Reich Gottes, ebensowenig wie sie die wahre Anbetung des göttlichen Namens gültig antizipiert. Dies ist der Punkt, an dem die dichte Beschreibung ikonischer Zeichen und das Geheimnis des göttlichen Namens aneinander stoßen: Ikonische Zeichen bringen als kirchliche Zeichen die universale Reichweite des Namens über die dogmatischen Grenzen der Kirche hinaus zum Ausdruck, seine Unendlichkeit. Die Untersuchung im zweiten Hauptteil geht mithin davon aus, daß die pneumatologisch-eschatologische Beschreibung der geglaubten Kirche bei einer beschreibenden Theorie gottesdienstlicher Zeichen anzusetzen hat. In dieser Beschreibung kirchlicher Kernpraktiken kommen metatheoretische Aporien zum Austrag und zur Entscheidung. Beides ist für die dogmatische Lehre von der Kirche, auch für einen kritischen dogmatischen Begriff vom Sein der Kirche, unabdingbare Voraussetzung: „Warum sollte die Dogmatik, gerade auch die evangelische Dogmatik, nicht mit einer Lehre von der Kirche beginnen können, die ihr Angewiesensein auf das Kirchentum in all seiner dogmatisch fragwürdigen und bedenkenswerten Faktizität aussagt? In einer solchen theologischen Kirchentheorie wären die Vorklärungen am Platze, die zu dem Satz des Credo ,Ich glaube die Kirche als Werk Gottes' hinführen, ohne ihn zu begründen oder zu verdrängen."60 Eine Reihe deutschsprachiger und angelsächsischer protestantischer Theologien arbeiten in diesem Sinne auf eine Theorie der Kirche hin.61 Schlägt diese Untersuchung aber nicht, so wird man fragen, einen eigenartigen Umweg ein, wenn sie jüdische Theorien gottesdienstlich-eschatologischer Zeichen für metatheoretische Klärungen christlicher, evangelischer Theologie

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Zur Interpretation vom Rom 11,25-32.33-36 bzw. IKor 2,6-10; Kol l,26f; 2,2f; Eph 3,4-7.8-12; Rom 16,25f: § 14,2. 60 G. Sauter, Dogmatik I, 69. 61 Genannt seien: D. Ritsehl, Logik, 130-137.159-167; O. Bayer, Theologie, 395-532; F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1, 205-218; 2, 235-245; G. Wainwright, Gottesdienst; G. Lindbeck, The Nature of Doctrine; R. Hütter, Theologie; B. Wannenwetsch, Gottesdienst. 18

fruchtbar zu machen sucht? Der ideengeschichtliche Zusammenhang eschatologischer Religionstheorien von Kant über den Neukantianer Cohen bis zu Rosenzweig mag einleuchten, zumal sich die ideengeschichtlichen Perspektiven neuprotestantischer Theologie diesbezüglich auffächern. Doch die sakramentstheologische Zuspitzung mag artifiziell anmuten, .ausgedacht'. Ist nicht das Sakrament mit dem Wesen des Judentums schlechterdings unverträglich, gerade weil sich dieses auf das Geheimnis des göttlichen Namens selbst richtet?62 Nun mag allerdings zunächst erinnert werden, daß die Frage nach alttestamentlichen Sakramenten seit je ein Topos christlicher Sakramentslehre ist. Protestantische Sakramentslehre pointierte dabei charakteristischerweise stets die größere Ähnlichkeit in der Unähnlichkeit zwischen alt- und neutestamentlichen Sakramenten. Diesen Topos einer Verwandtschaft der Sakramente im Verheißungscharakter erneuerte zuletzt Gerhard Ebeling: „Wie sich in der Verschiedenheit katholischen und evangelischen Sakramentsverständnisses die konfessionelle Grunddifferenz als eine soteriologische darstellt, das macht man sich am besten von einem Topos her klar, der uns heute an sich sehr fern liegt, der aber sachlich ungemein aufschlußreich ist: der Frage nach dem Unterschied alttestamentlicher und neutestamentlicher Sakramente."63 Ebeling wendet hier die traditionelle Kritik, nach welcher das evangelische Sakramentsverständnis auf die Stufe der Sakramente des alten Bundes zurückfalle, weil nur im alten Bund die sakramentalen Zeichen sola promissione und sola fide wirksam gewesen seien, ins Positive: „Freilich stoßen wir hier [sc. in dieser Kritik] insofern auf eine zutreffende Beobachtung, als das Verständnis der Gegenwart Christi und des durch ihn eröffneten Heils in genuin reformatorischer Fassung ungleich stärker wieder eschatologische Züge annimmt ... Reformatorische Theologie bestreitet es darum, daß der Vorzug der neutestamentlichen Sakramente gegenüber den alttestamentlichen in der Ablösung des bloß Signifikativen durch das Kausative in Gestalt eines signum efficax liege ... Im alten wie im neuen Bund geht es der Sache nach um dasselbe, nur daß durch das Gekommensein Jesu Christi die promissio erst rein als promissio ergriffen, der Glaube erst rein als Glaube erfaßt und gelebt wird."64

Warum sollte es - jenseits der historischen Kontroverslagen und Uberbietungstopoi - nicht möglich sein, moderne jüdische Theorien gottesdienstlicher Zeichen zu rezipieren, um den eschatologischen Charakter des christlichen Sakraments, zusammen mit seinem anamnetischen und effektiven Charakter, dichter zu beschreiben und dogmatisch präziser zu bestimmen. Die Theorie gottesdienstlicher Zeichen hat semiotische Innovationen wahrlich nötig! Doch dazu sind, z.B. bei Franz Rosenzweig, bereits hervorragende Vorarbeiten geleistet.

" L. Baeck, Wesen, 5f. G. Ebeling, Dogmatik 3, 310. " G. Ebeling, Dogmatik 3, 311 (Kursive HA).

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In der neueren Liturgik ist der Zusammenhang von jüdischer und christlicher Liturgie längst eine fruchtbare Arbeitshypothese.'5 Allerdings wird diese Hypothese nahezu ausnahmslos historisch, nicht semiotisch und dogmatisch durchgeführt. Eine praktische Liturgik, die sich von der namenstheologischen Aporie der Wahrheit gottesdienstlicher Zeichen dispensiert, übersieht zugleich die semiotischen Aspekte dieser Frage zu ihrem Schaden. Humanwissenschaftliche Zeichentheorien bleiben hier defizitär.66 Ihre Rezeption in der Praktischen Theologie stößt daher zu Recht auf Kritik.67 Die theologische Kritik der humanwissenschaftlich-zeichentheoretischen Liturgik steht allerdings ihrerseits in der Pflicht. Verlangt ist eine pneumatologisch· escbatologiscbe Zeichentheorie6I! Es gibt gute dogmatische, historische und liturgietheoretische Argumente für den genannten Umweg. Volle Valenz gewinnen diese Argumente aber erst im Rahmen einer deskriptiven Kirchentheorie. Diese wird künftig auf einen beschreibungsrelevanten Begriff vom eschatologischen Geheimnis Gottes nicht verzichten können, sofern das Gegenüber von Kirche und Israel konstitutiv in diese Theorie von Kirche eingeht. „Weil nur Gott darüber urteilen kann, wer .Israel' und wer ,die Kirche' ist, wissen beide noch nicht, wer sie wirklich vor Gott sindWenn Dogmatik auf diese faktische Kirche angewiesen ist, bedarf sie zu ihrer Beschreibung der Rede vom .Geheimnis' und vom .Sakrament'. Wie .Kirche' und .Israel' in ihren kultischen Zeichen beschrieben werden, ist die Probe darauf, ob und wie das kontradiktorische, unentscheidbare Gegenüber von Kirche und Israel als Geheimnis Eingang in die Grundlegung dogmatischer Theologie findet: Kirche ist in ihren Zeichen, in grammatischen und ikonischen Zeichen, zukünftig und verborgen. Grammatik und Semiotik bringen dies zur Geltung. Die Rede vom Geheimnis Gottes wird zur Frage der Methode von Theologie. Darin bildet sich eine entscheidende und legitime geschichtliche Verschiebung in den pragmatisch-ekklesiologischen Bedingungen christlicher Theologie ab.70 Nicht die vielbeschworenen schicksalhaften Umformungsprozesse

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J. Roloff, Gottesdienst; H.-Chr. Schmidt-Lauber, Eucharistie; Th.J. Talley, Berakah. Systematisch-theologische und anthropologische Grundlegungen des Kultes zerfallen heute - zum Schaden beider. Ein Beispiel bietet K.-H. Bieritz, Anthropologische Grundlegung, 99: „Raum und Zeit, Gegenständlichkeit und Leiblichkeit sind die wichtigsten Kategorien, in die sich die Geschöpflichkeit des Gottesdienstes fassen läßt." Transzendentale Termini werden hier unvermittelt schöpfungstheologisch re'ifiziert. Metatheoretisch und semiotisch bleiben daher solche Aussagen unklar. Sie zu klären, ist Aufgabe einer Theologie des Gottesdienstes. Dies ist wiederum die Basis jeder anthropologischen Grundlegung des Gottesdienstes. Nicht Abbruch, sondern Steigerung des interdisziplinären Dialogs ist also erforderlich. 67 G. Wainwright, Systematisch-theologische Grundlegung, 72-95. 48 Das fordert zu Recht: M. Meyer-Blanck, Der Ertrag semiotischer Theorien, v.a. 211-215. " G. Sauter, Rechenschaft, 310. 70 Die Rede von pragmatisch-ekklesiologischen Voraussetzungen impliziert einen bestimmten Begriff religiösen und kirchlichen Handelns (dazu: R. Hütter, Theologie, 46-61.201-268). Die historischen Entdeckungszusammenhänge oder Kontexte von Theologie sind kategorial von 66

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neuzeitlichen Christentums, sondern das im Zuge jüdischer Emanzipation im Prinzip gleichberechtigte Gegenüber mindestens zweier Kulte und Gottesdienste des göttlichen Namens ist die entscheidende tektonische Verschiebung der christlichen Theologie der neueren Zeit. Die daraus resultierende, essentiell dialogische Konstitution christlicher Eschatologie und Theologie ist irreversibel. Die Frage nach einer Theorie der Beschreibung, im zweiten Hauptteil zugespitzt auf die Frage nach der Grammatik und dichten Beschreibung kultischer Zeichen des göttlichen Namens, durchzieht die Untersuchung und verklammert beide Hauptteile. Kultische Zeichen sind Beispiele der Hoffnung. Einführung in ihren Gebrauch heißt, eschatologischen Urteilssinn zu lehren, einen Urteilssinn, der die Grenze des Aussagbaren, Erkennbaren und Begründbaren kennt. Diese Einleitung kann schließen mit einem Vorgriff auf das Ende, den Ausblick auf eine evangelische Lehre vom Sakrament als Teil einer Semiotik des göttlichen, trinitarischen Namens und seines Geheimnisses. Worum es geht, zeige ein vorläufiges Beispiel. Das allsonntägliche gottesdienstliche Credo gilt gemeinhin als Paradigma eines Konsenses, der, in Antwort auf das gehörte Evangelium, die Begründung der Gemeinde ausspricht. Der Konsens im Glaubensbekenntnis spricht aus, was den Gottesdienst konstituiert: der trinitarische Name. Aber die Geltungsgrenzen dieses sprachlichen Konsenses sind nicht die Grenzen der Reichweite dieses Verheißungsnamens. Die im sprachlichen Konsens geeinte und als solche grammatisch beschreibbare Gemeinde verlangt daher nach dichter Beschreibung: „Der Heilige Geist versetzt uns so unmittelbar in Gott, daß wir dies gar nicht mittelbar, durch irgendeine Wahrnehmung aneinander und noch nicht einmal mittels der Sprache erkennen können. Der Geist ist weder nur subjektiv noch intersubjektiv - obwohl er beides auch ist - , sondern transsubjektiv, m.a.W.: er begründet das ,Wir' und darum auch das Einverständnis von Menschen."71 An diese Beschreibung schließen sich weiterführende Fragen an: Kennt etwa dieses Wir-im-Geist, die ,vor Gott stehende' Gemeinde, Mitteilungsformen zwischen ekstatischer Geistunmittelbarkeit und sprachlicher Verständigung? Zeigt etwa die liturgische Gebärde, z.B. die ,transsubjektive Handlung' des Essens und Trinkens, ein Sein-in-Christus, das als solches zugleich als Sein-imGeheimnis des unendlichen Namens zu beschreiben ist? Kommt in bestimmten gottesdienstlichen Zeichen ein transsubjektives Wir sichtbar zum Aus-

pragmatisch-ekklesiologischen Voraussetzungen zu unterscheiden. Nur dann wird klar, warum produktive Innovationen in der Theologie nicht .schicksalhafte' Umformungsprozesse nachvollziehen, sondern Begründungszusammenhänge unter neuen, pragmatisch-ekklesiologischen Voraussetzungen innovativ zur Geltung bringen. Zur Frage: Verf., Aporien und Charaktere, 6-8. 71

G. Sauter, Ekstatische Gewißheit, 52; vgl. ders., Einführung, 210-212. 21

druck, das sich sprachlicher Verständigung entzieht und das in keiner Identitätskonstruktion erfaßt werden kann? Was heißt dann Sich-Zeigen, ZumAusdruck-Kommen oder Sichtbarkeit} Was meint eschatologisch dichte Beschreibung solcher Zeichen? In einem, freilich genau zu erläuternden, präzisen Sinn wird sich zeigen: Im selben Maße, in dem wir Sakramente als sichtbare Verheißung verstehen lernen, erlernen wir das Wort der Verheißung als hörbares und sagbares, wenn auch nicht widerspruchsfrei aussagbares Geheimnis.

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Erster Teil

Hoffnung und Geheimnis bei Immanuel Kant § 1 Exposition der Frage. Ihr Ort in der Kant-Interpretation Am Ende der Kritik der reinen Vernunft stellt Kant die Frage: „Was darf ich hoffen?" (KrV, Β 833; 4,677) Auf diese Frage antwortet zwölf Jahre später, ihrem eigenen Anspruch nach, Kants Religionsschrift. „Mein schon seit geraumer Zeit gemachter Plan der mir obliegenden Bearbeitung des Feldes der reinen Philosophie ging auf die Auflösung der drei Aufgaben: 1) Was kann ich wissen? (Metaphysik) 2) Was soll ich thun? (Moral) 3) Was darf ich hoffen? (Religion); welcher zuletzt die vierte folgen sollte: Was ist der Mensch? (Anthropologie ...). Mit beikommender Schrift: Religion innerhalb der Grenzen ec. habe [ich] die dritte Abtheilung meines Plans zu vollführen gesucht, in welcher Arbeit mich Gewissenhaftigkeit und wahre Hochachtung für die christliche Religion, dabei aber auch der Grundsatz einer geziemenden Freimüthigkeit geleitet hat, nichts zu verheimlichen, sondern, wie ich die mögliche Vereinigung der letzteren mit der reinsten praktischen Vernunft einzusehen glaube, offen darzulegen."1 Diese nachträgliche Selbstbeschreibung ist, wie stets bei Kant, wörtlich genau zu nehmen. Sie erweist sich aber gerade dann, wie nicht selten bei Kant, als nachträgliche Stilisierung, die eine viel komplexere Frage und Genese auf einen etwas zu eindeutigen Nenner bringt: Die Kritik der reinen Vernunft (1781) mündet in der Tat in das durch die drei berühmten Fragen umrissene Programm einer Bearbeitung des Feldes der reinen Philosophie und der dem Menschen natürlichen Metaphysik. Diese Bearbeitung der reinen Philosophie sollte mit der Hoffnungsfrage ihren Abschluß finden.2 Das Programm der Transzendentalen Methodenlehre vom Ende der Ersten Kritik 3 gehört zu den frühesten Teilen dieser Kritik. Es enthält - dies ist unsere Generalthese - mit der Frage nach Hoffnung den Maßstab der Philosophie Kants.

1 Kant an den Tübinger Theologen Carl Friedlich Stäudlin vom 4.5.1793, Brief 574 [541], A A 11, 429. - Zur Quellenangabe: Angegeben werden zuerst die Seitenzahlen) der ersten (A) oder zweiten (B) Auflage des betreffenden Textes. Sodann wird die entsprechende Bandund Seitenzahl der Werk-Ausgabe von W . Weischedel verzeichnet. 2 Die danach folgende Anthropologie in pragmatischer Hinsicht' (1798) ist ein Sp'atwerk, das nur in seinen fragmentarischen Fragen, v.a. seiner Zeichentheorie, von Interesse ist. 3 Zweites Hauptstück ,Der Kanon der reinen Vernunft', KrV, Β 823-859; 4,670-695.

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1. Hoffnung

als Urteilssinn. Kritik theologischer

Kant-Rezeption

Die Frage nach Religion wird jetzt mit der Frage nach Hoffnung geradezu identisch. Das ist eine Weichenstellung, deren Folgen für die theologische Theoriebildung im Generellen bekannt sind: Nicht mehr die allgemeine Ontologie und spezielle Metaphysik bilden das ontotheologische Bezugssystem theologischer Sätze, sondern die Eschatologie. Die Wirklichkeitsorientierung christlichen Glaubens ebenso wie die Theorie der Theologie werden eschatologisch ausgearbeitet. Die im Gefolge der Religionsschrift einsetzende praktisch-pragmatische Reinterpretation der Urteile christlichen Glaubens (als ,Wert-Urteile') und die damit verbundene affirmative, kulturprotestantische Eschatologie ist als problematische Wirkung Kants auf die evangelische Theologie im 19. Jahrhundert in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts oft genug kritisiert worden.4 Daß mit dem affirmativen Reich-Gottes-Ideal allerdings die Hoffnungsfrage Kants um das Geheimnis der Hoffnung als dem wahren .Ende aller Dinge' reduziert wird, bleibt dabei so gut wie immer verschwiegen.5 Die letzte große kulturprotestantische Kant-Interpretation, die 1899 erschienene, überaus scharfsinnige Analyse des 24jährigen Albert Schweitzer6 hätte allerdings lehren können, daß mit dieser affirmativen Eschatologie des Reiches Gottes als Verwirklichungsbedingung des moralischen Geschöpfes .Mensch' bewußt der geheimnislose Strang der Hoffnungsfrage Kants aufgenommen und als der einzig mögliche präsentiert wird. 7 Diese affirmative Rede vom Endzweck der Schöpfung muß sich fragen lassen, warum Kant das affirmative Ideal vom Reich Gottes unter dem Titel

einer Dialektik der praktischen Vernunft einführt. Die Dialektik des guten Willens in seinen Handlungen und die Dialektik des moralischen Gewissens als absoluter Selbstrichterschaft sind kritische Einsichten, die Nietzsche wieder geltend machte.

Jüngstes Beispiel: W. Pannenberg, Theologie und Philosophie, 203-215. Karl Barths Deutung der Kant'schen Religionsschrift rührt mehrfach an diese Frage: K. Barth, Protestantische Theologie, 268.272. Aber auch in ihr bleibt das kulturprotestantisch-neukantianische Kant-Bild maßgeblich. 6 Die Quintessenz der Arbeit lautet: Das ethische gemeine Wesen, die unsichtbare Kirche, sei die von Gott zu erhoffende Verwirklichungsbedingung der sittlichen Persönlichkeit des Menschen und deren Vollendung der Endzweck der Welt. Kants Hoffnungsfrage laute: „Wie ist die sittliche Persönlichkeit des Menschen als moralischen Geschöpfs ihrem Wesen und ihrer Vollendung nach auf dieser Welt möglich?" (A. Schweitzer, Religionsphilosophie, 199f.) 7 Vgl. A. Schweitzer, Religionsphilosophie, 4-13: Schweitzer will zwei Stränge der Hoffnungsfrage und zwei unvereinbare Religionsphilosophien Kants nachweisen: Die ethikotheologische,Religionsphilosophische Skizze' der Methodenlehre der Ersten Kritik werde in der Religionsschrift ausgeführt. Der kritisch-idealistische Strang habe im .religionsphilosophischen Plan' des Antinomien-Kapitels der transzendentalen Dialektik (Dritte und Vierte Antinomie: KrV, Β 566-595; 4,492-512) sein Programm (14-22). Zur kritischen Konfrontation des Freiheits- und Ideenverständnisses der .Skizze' und des .Plans': 23-70. 4 5

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Noch in der Kritik fixiert auf das überkommene Kant-Bild, übersah und übersieht man Kants kritische Eschatologie: seine Rede vom Geheimnis göttlicher Gerechtigkeit und sein Erstaunen vor dem, was biblisch , Verheißung' heißt. Man übersah und übersieht, daß Kants Frage nach Hoffnung verknüpft ist mit der unablässigen, sich in den Kritiken und der Religionsschrift mehr und mehr zerfransenden Frage, ob sich menschliche Hoffnung nicht als endlicher, kreatürlich-rezeptiver, nicht-transzendentaler und nicht-apriorischer Urteilssinn zu vollziehen habe. Man übersah und übersieht, daß die Hoffnungsfrage in einer Aporie endet, im Konflikt von endlich-rezeptiver, ästhetischer und dogmatisch-reiner, praktischer Urteilskraft. Man übersah und übersieht, daß die Kritik der Urteilskraft, insbesondere die Kritik der ästhetischen Urteilskraft methodisch der bedeutendste theologische Text Kants ist.8 Angesichts der massiven Rezeptionstraditionen, die sich zwischen die theologische Lektüre und den Kant'schen Text schieben, darf an den Rat eines Zeitgenossen Kants erinnert werden: Kant „hat auch auf Sie gewirkt, ohne daß Sie ihn gelesen haben. Jetzt brauchen Sie ihn nicht mehr, denn was er Ihnen geben konnte, besitzen Sie schon. Wenn Sie einmal später etwas von ihm lesen wollen, so empfehle ich Ihnen seine .Kritik der Urteilskraft'" 9 . Die ganze methodische Schwierigkeit der Hoffnungsfrage besteht - wie Gerhard Krüger in seiner wichtigen Untersuchung statuiert - „in der Einheit des theoretischen und praktischen Verhaltens. Als Erkenntnis beruht sie [sc. die Hoffnung] auf der inneren wesenhaften Einheit der praktischen und theoretischen Vernunft. Soll diese Erkenntnis als wahre und grundlegende Erkenntnis geübt und verstanden werden, dann müßte sie ... in der konkreten Einheit des Hoffens begriffen werden. Sie müßte sich, als eine theologisch denkende Welterfahrung des moralisch handelnden Menschen, in ursprünglicher Einheitlichkeit verstehen. Der Begriff νon dieser faktisch grundlegenden Erkenntnis [sc. des Hoffens] allerdings bleibt trotz aller Reflexion darauf, die noch das Opus posthumum Kants beherrscht, ungeklärt."10 Die Frage der Hoffnung ist die Frage nach einer genuinen Erkenntnis in der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft; die Frage nach einem genuinen Urteilssinn und einer genuinen Urteilsbegründung, die Frage nach einer genuinen Symbolisation der Welterfahrung - sie ist die Frage nach endlicher und zugleich reiner Urteilskraft des Menschen als eines reinen und zugleich rezeptiven Vernunftwesens.11 8 Hervorragende und grundverschiedene Kant-Interpreten wie K. Barth, R. Hermann und W. Pannenberg stimmen darin überein, daß sie die Dritte Kritik völlig ausgesparen: K. Barth, Protestantische Theologie, 243-247; R. Hermann, Religionsphilosophie, 55-86; W. Pannenberg, Theologie und Philosophie, 184-203. ' Goethe zu Eckermann, 11. April 1827, in: J.P. Eckermann, Gespräche mit Goethe, 215. 10 G. Krüger, Maßstab, 252. 11 Schleiermachers Subjektivitätstheorie antwortet auf diese Frage mit einer Wirklichkeitstheorie, die vom Geheimnis Gottes ausweisbar zu reden vermag. G. Ebeling erneuerte diese Antwort: G. Ebeling, Geheimnis, 201-208; Gott und Wort, 413-432; Wirklichkeitsver-

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Die Leistung der sog. ontologischen Kantinterpretation12 - im Blick auf unsere theologische Frage nach dem Geheimnis der Hoffnung - besteht (a) im Nachweis, daß die Hoffnungsfrage nur als methodische Frage nach endlicher und rein praktischer Urteilskraft sachgemäß verstanden ist. Sie besteht (b) im Hinweis, daß dieses Junktim programmatisch in der Transzendentalen Methodenlehre aufgestellt wird (das meint Kants Bemerkung vom .schon seit geraumer Zeit gemachten Plan'); die Frage der Hoffnung werde dort als Programm einer „ganz neuen und bisher unversuchten Wissenschaft" formuliert, nämlich als „Kritik einer α priori urteilenden Vernunft" 13 . Sie besteht (c) im Nachweis, daß erst mit der kritischen Einsicht in die Faktizität praktischer Freiheit in der Zweiten Kritik die Frage der Hoffnung und das Programm einer Kritik praktischer Urteilskraft angegangen werden kann. Praktische apriorische Urteilskraft (die .reinste praktische Vernunft') öffnet erst den Zugang zur Hoffnung als genuiner Erkenntnis. Indem diese Interpretation die Frage der a priori urteilenden praktischen Vernunft als Kants ursprüngliche Frage identifiziert, steht sie im expliziten Kontrast zur Frage nach der a priori begründenden Vernunft im nachkantischen Idealismus und zur Frage nach der Theorie wissenschaftlicher Erfahrung im Neukantianismus. Nicht die Transzendentale Deduktion und ihre Begründungstheorie14, nicht die Transzendentale Ästhetik und Analytik, sondern die Transzendentale Methodenlehre der Ersten Kritik, das Faktum der Vernunft der Zweiten Kritik und die Kritik praktischer und ästhetischer Urteilskraft bilden hier die zentralen Referenztexte, von denen aus die Erste Kritik interpretiert wird. Der Selbstverständlichkeit, mit der in theologischen Darstellungen die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile α priori als die ursprüngliche Frage Kants dargestellt wird (KrV, Β 19; 3,59)15, obgleich diese Frage doch erst in den .Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik' (1783) und in der Zweiten Auflage der Ersten Kritik (1787) so dominierend wird, ist damit widersprochen. Gerade diese Selbstverständlichkeit erweist sich bei näherem Hinsehen als Folge idealistischer und neukantianischer Kant-Deutungen.16

ständnis, 96-115; Gottesbewußtsein, 116-136. Zu beider Kritik: H. Assel, Aufbruch, 313-350; Einleitung, 21f.25. 12 Zu nennen sind vor allem die Analysen von Gerhard Krüger, welche die frühe Kant-Interpretation Martin Heideggers übertreffen; Heinz Heimsoeth, Transzendentale Dialektik; Persönlichkeitsbewußtsein; Motive; Manfred Riedel, Urteilskraft; Georg Picht, Kants Religionsphilosophie; Einheit von Kants Kritik der Vernunft; in bestimmter Hinsicht auch Hannah Arendt, Urteilen. 13 Brief an Garve, 7. August 1783, A A X, 318 (Kursive HA). 14 Dazu v.a.: D. Henrich, Identität und Objektivität. 15 Als prominente Beispiele dazu erneut: K. Barth, Protestantische Theologie, 242-245; R. Hermann, Religionsphilosophie, 55-59; W. Pannenberg, Theologie und Philosophie, 184f. 16 Dazu: M. Riedel, Urteilskraft, 11-20.

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2. Reine und rezeptive Urteilskraft. Kants semiotiscbe Aporie

Die Kritik der reinen praktischen Urteilskraft exponiert endliche Kreatürlichkeit praktischer Freiheit und ihrer Welt nicht affirmativ, sondern negativ. Das wird am klarsten in der berühmten Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs ausgesprochen. Sie will gerade jene praktische Freiheit, die sich unter der Idee der Autonomie a priori bestimmt, ins Geheimnis endlicher, kreatürlicher Freiheit einführen. Um diese negative Kreatürlichkeit als Frage, aber auch als Aporie der Methode und Begründung verstehen zu können, ist es entscheidend, wahrzunehmen, daß das .Faktum der Vernunft' akroamatisch-diskursiv exponiert wird. Gegen die autarke Letztbegründung der Vernunftgrundsätze als Axiome in einem intuitiven Sehen von absoluter und monadischer Selbstgewißheit läßt sich praktische Vernunft vom Faktum des Imperativs zu einer reinen und rezeptiven Vernunft bestimmen, die sich selbst ins fühlbare Geheimnis ihrer Freiheit einführt. Das ist auch eine theologisch bedeutsame Weichenstellung! Hält Kant doch damit zumindest die Stelle offen für ein praktisches Verstehen der Geschöpflichkeit von Freiheit, das Schöpfung nicht im Sinne vorkritischer metaphysischer Theologie als Ursprung und Verursachungsrelation denkt. Inwiefern ein praktisches Verstehen der Geschöpflichkeit von Freiheit möglich sei, ist die Ausgangsfrage für die Dritte Kritik und für die Religionsschrift, die explizit versuchen, menschliche Freiheit als Leben im Geheimnis der Geschöpflichkeit zu lehren. Von der Zweiten Kritik an, die zum kategorischen Imperativ als Faktum der Vernunft erst durchstößt, ist nicht mehr der Gegensatz von Freiheit und Naturkausalität das Schlüsselproblem der praktischen Metaphysik Kants. Vielmehr stellt die Korrelation von „geschöpflicher' Freiheit und ,erhabener' Freiheit Gottes die Aporie seiner Philosophie dar. Ihr aporetischer Charakter kristallisiert sich im eschatologischen Begriff vom fühlbaren Geheimnis der Freiheit.17 Geheimnis wird zur ,Lebensform1 praktischer Freiheit.18 Die Frage der Hoffnung wird deshalb in der Dritten Kritik zur Frage nach einer endlichen,

17 Der Begründungszusammenhang von Freiheit und eschatologischem Geheimnis stellt vermutlich den einzigen, allerdings gewichtigen systematischen Zusammenhang zu Luthers De servo arbitrio dar. Diese Hypothese wird im Folgenden aber weder entfaltet noch verifiziert. Tiefreichende calvinistische Wurzeln von Kants Religionstheorie, seiner vorkritischen Gottesbeweiskritik sowie seines vorkritischen Verständnisses von .Existenz' sind in den Untersuchungen von J. Bohatec; H.G. Redmann; J. Schmucker, Gottesbeweise; ders., Ontotheologie, detailliert dargelegt. " Daß Moral und Religion über die Begriffe der .Lebensform' oder .Kultur der Vernunft' zu vermitteln sind, zeigt v.a. die konstruktivistisch-sprachanalytische Kant-Interpretation Friedrich Kambartels überzeugend. Allerdings werden wir uns mit der von Kambartel und Reiner Wimmer vorgelegten Deutung der Religionsphilosophie Kants als reiner Mystik kritisch auseinandersetzen.

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reflektierenden Urteilskraft, die gleichsam die Überraschung ihrer eigenen Wirklichkeit und ihres Gelingens voraussetzt, um sie dann in ihren Möglichkeitsbedingungen zu erläutern. Daß Urteilskraft die Möglichkeitsbedingungen dieses Gelingens soweit als möglich in sich selbst zu reflektieren sucht, ist die aporetische Konsequenz der transzendentalen Frage. Daß sie ihrer und ihrer Mitwelt kontingenten Besonderheit und selbstzwecklichen Kreatürlichkeit darin zumindest nicht zu widersprechen hofft, erklärt, warum Kant zugleich nach nicht-apriorischer Erkenntnis, nach negativer Weisheit sucht. Die Kritik dieser Urteilskraft hat darum die Struktur einer sukzessive sich entdeckenden Selbstanalyse, nicht diejenige einer transzendentalen Deduktion. Kants Versuch, praktische Freiheit als Leben im Geheimnis zu exponieren, findet allerdings nicht ,die' Hoffnung als .grundlegende' Erkenntnis in der ursprünglichen Einheit theoretischer und praktischer Vernunft. Erst recht gelingt es Kant nicht, dieses Vermögen so zu exponieren, daß es sich selbst in ursprünglicher Einheit begreifen könnte. Diese Aporie, die Gerhard Krüger analysiert hat, eröffnet eine fruchtbare Aporetik, wenn wir uns von der Annahme lösen, Hoffnung müsse als grundlegendes Vermögen expliziert werden! Daß Hoffnung als endlicher Urteilssinn entdeckend zu analyiseren ist und sich nicht selbst transzendental-deduktiv begreifen und begründen kann; daß sie gerade nicht als das grundlegende Vermögen der Vernunft gelten kann; daß Hoffnung im System der Vermögen vielmehr „sans lieu, proprement atopique"19 ist: das ist eine Aporie, die dem ursprünglichen Kant'schen Plan der .Bearbeitung des Feldes der reinen Philosophie' zwar schlechterdings zuwiderläuft, die aber den eigentlichen Fortschritt in der theologischen Methode darstellt, der von Kant zu lernen ist. Es ist also eines, daß Kant in der Tat nach der ursprünglichen Einheit der Vernunft als Urteilskraft sucht. Ein anderes aber ist es, zu beobachten, wie sich dabei die intendierte Theorie ,der' Urteilskraft und ,der' Hoffnung zersetzt. Was dabei entdeckt wird, sind plurale Urteilstypen, Formen praktischer Weisheit. Diese Urteilsweisen sind in ihrer Apriorität jeweils von den Beispielen mitbestimmt, an denen sie geübt und entdeckt werden. Kants Ausspruch, daß Beispiele der „Gängelwagen" der Urteilskraft sind, wird also mutatis mutandis auf seine transzendentale Urteilstheorie selbst angewandt: „Beispiele [sind] der Gängelwagen der Urteilskraft, welchen derjenige, dem es am natürlichen Talent derselben mangelt, niemals entbehren kann." (KrV, Β 173f; 3,185) Da es dem Menschen in der Tat am natürlichen Talent der Hoffnung, als einer Weise von Urteilskraft, ermangelt, bedarf seine Hoffnung der externen und exemplarischen Beispiele, der Übung an diesen Beispielen und der Kritik. Was wir von Kant erwarten dürfen, ist keine Transzendentaltheologie der Hoffnung, aber eine Aporetik von Urteilstypen, deren genuine Urteile exemplarisch gültig und deren Verbindlichkeit

" P. Ricoeur, Hermeneutique, 40.

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unter der Idee eines konkreten sensus communis und seiner .Kunstregeln' zu explizieren sind. Aber gerade diese Aporetik ist theologisch aufschlußreich und der Ausgangspunkt der Analysen des zweiten Hauptteils: Es ist zunächst die Kritik des Geschmacks aus der Ästhetik des Schönen, die neue theologische Aufmerksamkeit verdient: Es ist der Geschmack als kognitives Gefühl und als innerer Urteilssinn; als Verfahren nicht-propositionaler, aber begründet zustimmungs- und widerspruchsfähiger Beschreibung; es ist der Geschmack als Geltungsgrund eines Mitteilungsraums, in dem ein genuiner sensus communis geübt wird, dessen Urteile von exemplarischer Gültigkeit sind; es ist der Geschmack als ein Sehen des Unbegreifbaren, aber in Zeichen beschreibbaren, als inexponible Anschauung, als gleichsam inneres und äußeres Sehen-Lernen und Beschreiben-Lernen erhoffter Kreatürlichkeit. Die Frage ist also, ob die theologisch gelesene Geschmackskritik Kants verborgene Beispiele einer Eschatologie der Sinne und des Sinns enthält? Von der Kritik des Geschmacks ausgehend ist es sodann die Beurteilung der Französischen Revolution als signum prognosticon, die kritisches Interesse verdient. Inwiefern enthält der problematische Begriff einer .wahrsagenden Geschichte als einer a priori möglichen Darstellung des beständigen Fortschritts zum Besseren' (Streit, A 132; 9,351) nicht auch die berechtigte Frage nach einer endlichen, bloß enthusiastischen, aber eben in dieser .Blindheit' erstaunlicherweise urteilsfähigen Beschreibung von Geschichtszeichen als Zeichen der Hoffnung? Unsere theologische Lesart der Kritik ästhetischer Urteilskraft, der Ästhetik des Schönen und des Erhabenen, wird vor allem durch die Kant-Interpretationen französischer Phänomenologen vorbereitet und angeregt. Zu nennen ist die Metaphorologie Paul Ricoeurs, vor allem aber die Phänomenologie .idolischen und ikonischen Sehens' Jean-Luc Marions und die Analyse des Erhabenen und des Enthusiasmus Jean-Frangois Lyotards. Ihre Ergebnisse werden verbunden mit den zeichentheoretischen Analysen Josef Simons. Sie stellen gegenwärtig die interessanteste, deutschsprachige Kant-Interpretation dar.

Das Grundproblem der eschatologischen Beschreibung von Zeichen .indemonstrabler' Hoffnung ist die Undarstellbarkeit der Freiheit, die im Rechtsanspruch des Gesetzes als .Geheimnis verheißen' ist. Darf praktische Orientierung im reinen Denken hoffen, daß ihr dieses Geheimnis in Zeichen fühlbar wird? Die Religionsschrift ist einer der Versuche, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß hier explizit das Gewissen - kurz gesagt - als „Urteilskraft des Gemüts oder des Gefühls"20 exponiert wird. Rationale Verantwortung erweist sich als ein praktischer Vollzug negativer

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M. Honecker, Ethik, 140. 29

Hoffnung. Dazu weist die genuin religiöse .Pflicht des menschlichen Geschlechts gegen sich selbst' an, die den Kern der Religionsschrift bildet: die Pflicht zum Ubergang in ein ethisches gemeines Wesen (vgl. RGV, Β 135137; 7,756f). Die Religionsschrift stellt den Versuch dar, ins Erlemen negativer Hoffnung an Zeichen des Geheimnisses einzuführen. Hoffnung ist in ihrem Erlernen angewiesen auf eine existierende Kultur der Vernunft, vor allem auf Sprachzeichen, in denen negative Hoffnung und Verantwortung erlernt und ausgeübt wird. Gegen die theologische Kritik seit Hamann ist die .transzendentale Relation von Vernunft und Sprache' bei Kant hervorzuheben. Das Gewissen, das sein Beanspruchtsein zu einem ethischen gemeinen Wesen in reinen i? einbegriffen typisiert, bedarf der Symbole, insbesondere sprachlicher Metaphorik. Unter diesen Symbolen nehmen wiederum die biblischen, enthusiastischen* Metaphern (Reich Gottes, Gericht, Rechtfertigung) für Kant den hervorragenden Rang ein. .Verheißung Gottes' ist dabei Metaphernmetapher: Sie charakterisiert die Metaphorik biblischer Rede insgesamt.21 Die Pflicht zum Ubergang ins ethische gemeine Wesen erinnert also an eine in der biblischen Religion bereits existierende Kultur praktischer Vernunft. Sie enthält die Anweisung zur Tradition, zur rationalen Kritik und Lehre dieser ethischen und eschatologischen Metaphern. Das Gewissen wird in der Religionsschrift unter der Idee eines sensus communis dargestellt, in dessen exemplarischer Ausübung sich ein ethisches gemeines Wesen unter einem göttlichen Richter, Regent und Gesetzgeber erhält und tradiert. Daß die Religionsschrift gleichwohl weit davon entfernt ist, theologisch eine befriedigende Lösung auf die Hoffnungsfrage darzustellen, weist auf das grundlegende Problem in Kants Zeichen- und Sprachtheorie hin: Die methodische Schwierigkeit der Hoffnung gründet im Konflikt zwischen der logischen Formalität des kategorischen Imperativs, der in reinen Verstandesbegriffen typisiert wird, und dem göttlichen Namen, der sich in Verheißungszeichen und ihrer semantischen, syntaktischen und semiotischen Metaphorik mitteilt.

3. Logischer Formalismus und Metaphorik des Namens. Kants Alternanz Daß die Religionsschrift methodisch keine befriedigende Lösung der Hoffnungsfrage bietet, so deshalb, weil in ihr das Gewissen als eschatologischer Urteilssinn weithin nach dem Maß der transzendentalen Ästhetik und Analytik der Ersten Kritik ausgelegt bleibt. Ausgerechnet das in der Ersten Kritik neuentdeckte Land des reinen Verstandes - der Stützpunkt, von dem aus sich Kant auf das Meer des Scheins wagen wollte, „um es nach allen Breiten zu durchsuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu hoffen sei" (KrV, Β 21

Die Metaphorologie und Begriffsgeschichte von .Verheißung' hat der Verf. dargestellt in: Art. Verheißung, HWP, Bd. 11, [erscheint 2001],

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295; 3,268) - hält den „herumschwärmenden Seefahrer" im Bannkreis von „leeren Hoffnungen" (KrV, Β 295; 3,267f).22 Obgleich wir die Frage nach dem Rechtsgrund synthetischer Urteile a priori als die maßgebliche Frage kritisieren, bleibt selbstverständlich das Problem der Urteilstheorie der Ersten Kritik bestehen! Die Analyse praktischer und vor allem ästhetischer Urteilskraft wird zwar die These bestätigen, daß es sich in den .Urteilen' dieser .nichtgegenständlichen' Urteilstypen nicht um kategoriale, synthetische Urteile a priori im Sinne der Ersten Kritik handeln kann. Das berechtigt einerseits dazu, sie unabhängig von der dort entwickelten Urteilstheorie zu analysieren. Die kaum zu unterschätzenden logischen und semantischen Probleme dieser Urteilstheorie, also der transzendentalen Ästhetik und Logik, können nicht explizit Thema der folgenden Untersuchung sein.23 Sie müssen allerdings beständig im Blick bleiben, sofern Kant mit der Kategorientafel der Ersten Kritik auch deren Urteilstheorie und den Anschauungsbegriff der Ersten Kritik auf die anderen Urteilstypen übertrug. Explizit zu nennen sind allerdings zwei zentrale Probleme der Satz- und Referenztheorie: Die .Existenz'-Begriffe Kants und die praktische Zeitlehre in ihrer Spannung zur transzendentalen Ästhetik der Ersten Kritik. Hier bleiben in der formalsemantischen Satztheorie Probleme offen, die Kant zu präzisieren verhilft. Allerdings ist auch das Gegenteil zu beobachten: Kants Frage nach Hoffnung durchbricht den Bannkreis der transzendentalen Ästhetik und Logik. Daß sie den Abbruch der transzendentallogischen Urteilstheorie und ihres Begründungsanspruchs verlangt, auf der sie doch stets auch aufbaut, gibt Kants Frage nach Hoffnung ihre eigenartige Alternanz. Kants Alternanz zeigt sich im Argumentationsbruch, in der Rücknahme gültiger Kategorialität und als ,materiale Gewissenhaftigkeit' oder .Behutsamkeit' im Bezeichnen (Theodizee, A 219; 9,120). Daß sich reines Denken Schönem oder auch Verheißenem überläßt (nicht: überlassen kann), um mehr zu denken, eben dies nennt E. Levinas seine Alternanz: „Die Philosophie kann, ohne diese .Gründe (raisons), die die Vernunft (raison) nicht kennt', dem Herzen zuzuschreiben, ... solche Gründe hinter den ontologischen Formen, welche ihr die Reflexion offenbart, verstehen. Der Sinn, den die Philosophie mit Hilfe dieser Formen sehen läßt, macht sich von den theoretischen Formen, die ihn sehen lassen, frei und kommt so zur Sprache, als ob diese Formen sich gerade nicht in dem

22

So sei, in Umkehrung der berühmten Passage KrV, Β 294f; 3,267f, pointiert. Die Orientierung der transzendentalen Logik an der Prädikations- und Satztheorie der traditionellen Logik, die transzendentale Bedeutungstheorie, die Problematik der Kategorientafel, z.B. das Problem der Negation, des unendlichen Urteils, oder der Modalkategorien, die Vorstellungstheorie von Erkenntnis, ihr Wahrheitsbegriff sind logische und semantische Probleme der transzendentalen Logik, die präsent sind, ohne im ersten Hauptteil explizit thematisiert zu werden. Die triftige logisch-semantische Kritik an Kants transzendentaler Logik wird vorausgesetzt. Sie ist Grundlage der Fragen im zweiten Hauptteil und wird dort explizit thematisiert. Dazu exemplarisch: E. Tugendhat, Vorlesungen, 80-89; W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik; W. Härle, Systematische Philosophie, 60-187. 23

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festsetzten, was sie sehen lassen und zur Sprache bringen. In einer unvermeidlichen Alternanz kommt und geht das Denken zwischen diesen beiden Möglichkeiten."24 Es waren und sind nicht zuletzt jüdische Interpreten, die Kants Texte als Dokument des Prozesses lesen, „in dem das Denken der Gottesidee bei ihrem Denker verläuft, des Prozesses nämlich zwischen dem Element ,Idee' in der Gottesidee und dem Element ,Gott' in ihr"25. Zeigt sich dieser Prozeß zwischen der logischen Idee des erhabenen, bildlosen Einzigen und ,dem Namen' (wie genauer zu sagen ist) in der Alternanz der Kant'schen Texte an? Die Gegenprobe auf diese Vermutung bildet Hegels klarsichtige und blinde Kritik der Kant'schen Verstandesreligion als ,judaisierend': Wie die Religion Kants, so sei die Religion des Einen „Verstandesreligion, insofern dieser Eine als Zweck sich gegen alle Realität erhält, und die jüdische Religion ist deshalb die Religion des hartnäckigsten, totesten Verstandes. Dieser Zweck, als Verherrlichung des Namens Gottes, ist formell, nicht an und für sich bestimmt, nur abstrakte Manifestation"26. Hoffnung des göttlichen Namens wäre im System der Vermögen der reinen Vernunft schlechterdings ortlos.27 Kant setzt das Geheimnis der Religion als Grenze ein, jenseits deren bloße Vernunft nicht ausweisbar zu reden vermag. So aporetisch dies bleibt, so unübersehbar ist dies Geheimnis Platzhalter. Doch wessen? Das ist die Frage.

4. Aufbau der Untersuchung Die Untersuchung setzt ein mit der Hoffnungsfrage und dem methodischen Programm einer a priori urteilenden praktischen Vernunft in der Ersten Kritik. Von diesem Programm führt kein gerader Weg zur .Verheißung' der rationalen Hoffnung. Das Fehlen eines adäquaten Begriffs von praktischer

24

E. Levinas, Gott, 270f (mit Zitat aus B. Pascal, Pensees et Opuscules, Paris 1953, Fragment 277). J. Simon, Schönheit, 252, statuiert, daß die „gnoseologisch-ästhetische Differenz" im System des Kantischen Denkens gegenüber der Differenz von Phainomena und Noumena den Primat habe. 25 M. Buber, Gottesfinsternis, 548f, über Kants Opus posthumum (vgl. ebd., 515). 26 G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion 2, 159. Hegels frühe .Entwürfe über Religion und Liebe' (1797/98), die sich mit Kants Idee des Erhabenen auseinandersetzen und in dem Vorwurf gipfeln, daß Kants Philosophie positive Religion bleibe, bilden die Grundlage dieses Urteils. Vgl. dazu: KU, Β 124f; 8,365 mit G.W.F. Hegel, .Entwürfe über Religion und Liebe', v.a. 243f. 254. 27 Dies bemerkt Franz Rosenzweig hellsichtig (Zweistromland, 68): „Ist etwa Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft doch der Schlüssel zu den Kritiken (gerade weil sie kein Stück des kritischen Systems ist)? Das wäre höchst merkwürdig als historische Einleitung des Idealismus, wo nachher die Religion durchaus im System vorkommt, beim Anfang aber nur Voraussetzung, nicht System teil wäre. (Genau weiterzudenken!)".

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Freiheit und von eschatologischer Urteilskraft führen die Hoffnungfrage in die Irre der Geschichtstheologie und politischen Theologie. Kants frühe Rede von der Verheißung des Gesetzes ist deren Symptom (§ 2). Diese ursprüngliche Frage und ihre Dialektik wird (§ 3) mit den Spätschriften konfrontiert, zunächst unter Auslassung der gesamten dazwischen liegenden Arbeit der Kritik. Die späte Religionsschrift setzt das Scheitern der Postulatentheologie der Zweiten Kritik und die Einsicht in die genuine Dialektik praktischer Vernunft voraus. Die Religionsschrift fingiert die Möglichkeit des Kriegszustands absoluter Selbstrichterschaft, die innere Selbstzerstörung ethischer Praxis. Das radikal Böse ist auf die Möglichkeit innerer Lüge des Gewissens hin zu lesen, seine radikale Privatheit und Unverantwortlichkeit. Weder darf das Zeitmaß des Gewissens Maß letztgültiger Gerechtigkeit sein noch kann es die Ewigkeit göttlichen Gerichts reflektieren; weder darf es humanes Dasein letztgültig rechtfertigen noch verwerfen; weder darf es andere hassen noch kann es sie als andere anerkennen. Diese Dialektik des Gewissens läßt Kant nach existierenden Kulturen des Gewissens fragen, nach dem inkommensurablen Augenblick mitgeteilter Gerechtigkeit Gottes; nach gegebenen (Sprach)Zeichen ethischer Verständigung als Teilgrammatik der Vernunft; nach humaner Liebe; mithin nach dem wahren ,Ende aller Dinge' in Gott. Von dieser verborgenen eigentlichen Theologie Kants in den Spätschriften fragt die Untersuchung zurück zur Theorie der Urteilskraft als Grundlegung rationaler Hoffnung (§§ 4 und 5). Die Kritik der Urteilskraft zeigt das Mißlingen einer Theorie der Urteilskraft als eines einheitlichen und grundlegenden Vermögens (§ 4). Freizulegen ist stattdessen ästhetische Urteilskraft als ein endlicher, nicht-apriorischer, rezeptiver Urteilssinn. Die Hypothese, daß die Aporie der Freiheitsfrage nicht der Determinismus, sondern die absolut anfangende göttliche Freiheit ist, wird im selben Zusammenhang an der Gottesbeweiskritik der Ersten und Dritten Kritik erhärtet und als Stachel transzendentaler (nicht: transzendental-logischer) Theologie erwiesen. Die semiotische Aporie reiner Urteilskraft spitzt der folgende Paragraph (§ 5) anhand der Kritik praktischer Urteilskraft aus der Zweiten Kritik zu. Diese exponiert den kategorischen Imperativ als Faktum der Vernunft und soll eben darin zur endlichen Verstandesweisheit hinführen. Dies begründet den Konflikt rein rationaler Typik und biblischer Metaphorik. Dieser Konflikt und seine Aporie, in welcher die Alternanz der Urteilskraft gründet, wird auf Kants negative Theologie hin zugespitzt, deren grundlegender Akt die Elimination des göttlichen Namens ist (§ 6). Den Abschluß bildet eine Analyse der Religionsschrift als rationaler Mystagogie, durch die sich das Gewissen das Geheimnis humaner und göttlicher Freiheit fühlbar zu machen sucht (§ 7). Das Geheimnis negativer Geschöpflichkeit und ihrer Zeichen soll als Lebensform humaner, kreatürlicher, ikonischer Freiheit erlernt werden. Wird so Hoffnung als Praxis guten Lebens fühlbar?

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§ 2 Hoffnung - Ursprüngliche Frage und Dialektik Die Hoffnungsfrage erhebt sich in der Ersten Kritik genau in jenem Moment, in dem Kant sich über die Eigenart seiner transzendentalen Logik und Methode als einer .praktischen Logik' und akroamatisch-diskursiven Methode (gegenüber der formalen Logik und geometrisch-mathematischen Methode) Rechenschaft zu geben versucht (KrV, Β 736; 4,609). Dies geschieht in der Transzendentalen Methodenlehre.1 Drei Fragen sind von Interesse. Was bedeutet es (1), daß Kant die Hoffnungsfrage im Kontext der Frage nach praktischer Urteilskraft und ihrer Begründung stellt? Der Kanonabschnitt begründet die Kardinalsätze des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele aus der Erfahrung moralischer Imperative. Er operiert dazu mit einer noch vorkritischen, aber (gegenüber der Dritten Antinomie) nicht mehr nur problematischen Idee praktischer Freiheit. Im frühen religionsphilosophischen Programm kommt so der Primat der Hoffnung als Zugang zur Religion und Theologie einerseits klarer zum Ausdruck als in der nachfolgenden kritischen Moralphilosophie. Andererseits verändert sich mit dem kritischen Verständnis praktischer Freiheit, wie es sich in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten anbahnt und in der Kritik der praktischen Vernunft formuliert ist, das frühe religionsphilosophische Programm völlig. Inwiefern kann aber erst (2) mit dem kritischen Begriff praktischer Freiheit angemessen nach Hoffnung gefragt werden? Die Vernunftkritik bleibt nicht bei der Disziplin der mathematisch-dogmatischen Vernunft stehen. Es muß „doch irgendwo einen Quell von positiven Erkenntnissen geben, welche ins Gebiete der reinen Vernunft gehören, und die vielleicht nur durch Mißverstand zu Irrtümern Anlaß geben, in der Tat aber das Ziel der Beeiferung der Vernunft ausmachen." (KrV, Β 823f; 4,670) Es sind „drei Kardinalsätze" (B 827; 4,673), denen das höchste positive Vernunftinteresse gehört: „die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele, und das Dasein Gottes" (KrV, Β 826; 4,672). In diesen Kardinalsätzen sind weder einfach die regulativen Ideen der transzendentalen Dialektik wieder aufgenommen (vgl. v.a. KrV, Β 566-595; 4,492-512) noch sind die späteren Postulate der reinen praktischen Vernunft vorweggenommen (KpV, A 220255; 6,252-275). Kant führt diese Kardinalsätze als , Verheißungen' des Gesetzes ein. Was heißt aber hier (3) .Verheißung'?

1

Dem Folgenden liegt deren Zweites Hauptstück zugrunde: Der Kanon der reinen Vernunft, KrV, Β 823-859; 4,670-695.

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1. Hoffnungsfrage und Urteilskraft in der Ersten Kritik In der religionsphilosophischen Skizze des Kanonabschnitts fragt Kant nach jenem „moralischen Glauben" (KrV, Β 856; 4,693), als dessen Platzhalter er hernach die Vernunftkritik (vielzitiert) proklamierte (vgl. KrV, Β X X X ; 3,33). Welchen Platz weist die Kritik dem Glauben an? Den Platz,subjektiv gewisser' Hoffnung einer .künftigen' Welt Gottes (vgl. KrV, Β 856f; 4,693). Die Erlaubnis zur Hoffnung soll Inbegriff des Vernunftglaubens werden. Dieser Versuch, dem Vernunftglauben eine neue, eschatologische .Heimat' zuzuweisen, antwortet auf Hamanns offenbarungs- und sprachtheologische Kritik der Vernunftreligion. Im Bündnis mit Humes skeptischen .Dialogen über die natürliche Religion' provoziert Hamann die kritische Frage nach dem vernünftigen Glauben als Frage danach, was wir hoffen dürfen.1 Allerdings ist entscheidend, wie Kant zur Hoffnungsfrage ansetzt: als Frage nach einem Kanon der reinen Vernunft. Mit der Erlaubnis zur Hoffnung wird schon in der ersten Kritik implizit die Urteilskraft praktischer Vernunft zum Thema, ist doch der .Kanon der Vernunft' ein geordnetes Gefüge (.System') von Urteilsgrundsätzen eines richtigen, nämlich praktisch angeleiteten Gebrauchs reiner Vernunft. „Ich verstehe unter einem Kanon den Inbegriff der Grundsätze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermögen überhaupt" (KrV, Β 824; 4,671) - gewisser Erkenntnisvermögen, d.h. jetzt: der reinen praktischen Vernunft. Anders als die theoretische Vernunft kennt die praktische Vernunft einen legitimen reinen Gebrauch, der nicht in die Vernunftdialektik führt:3 „Folglich, wenn es überall einen richtigen Gebrauch der reinen Vernunft gibt, in welchem Fall es auch einen Kanon derselben geben muß, so wird dieser nicht den spekulativen, sondern den praktischen Vernunftgebrauch betreffen, den wir also jetzt untersuchen wollen." (KrV, Β 824f; 4,671) Ja, erst die Frage nach dem Kanon reiner praktischer Vernunft vollendet das Programm, das der Ersten Kritik zugrundeliegt, die Absicht einer „Kritik der α priori urteilenden Vernunftund zwar „durch die kritische Untersuchung des .Transzendentalen' am praktischen Begriffsgebrauch"4. Die Methodenlehre enthält allerdings noch nicht das ausgeführte Gefüge der Urteilsgrundsätze reiner, praktischer Vernunft. Dieses findet sich erst in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ausgehend von der Analyse der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis formuliert Kant dort bekanntlich -

2 Zu dieser Vorgeschichte des Abschnitts: Vom Meinen, Wissen und Glauben (KrV, Β 848-859; 4,687-695, entstanden Juli/August 1780): Ph. Merlan, Hamann, 285-289; O. Bayer, Zeitgenosse, 28.33. 3 Zum Kanon allgemein-formaler und transzendentaler Logik, deren letzterer auf Verstand und bestimmende Urteilskraft eingeschränkt ist, während reine theoretische Vernunft gar keinen Kanon objektiv-gültigen apriorischen Gebrauchs kennt, sondern ganz und gar dialektisch ist: KrV, Β 170f; 3,183f, KrV, Β 193f; 3,198f; H. Heimsoeth, Dialektik, 744f. 4

M. Riedel, Urteilskraft, 89 (Kursive HA).

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zunächst im Übergang zur populären sittlichen Weltweisheit und von da aus im Übergang zur Metaphysik der Sitten - einen einzigen kategorischen Imperativ: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde." (GMS, BA 52; 6,51) Diesen obersten Ürteilsgrundsatz entfaltet die Grundlegungsschrift analytisch zum Gefüge der Formeln des kategorischen Imperativs, also zu einem System von Urteilsgrundsätzen reiner praktischer Vernunft. Demgegenüber erreicht jener kategorische Imperativ, den Kant am Ende der Ersten Kritik formuliert: „Tue das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu sein" (KrV, Β 836f; 4,679), das kritische Niveau der Grundlegungsschrift bei weitem nicht. Wegweisend für das Verständnis des kategorischen Imperativs ist die Methodenlehre allerdings in einer Hinsicht: Sie stellt klar, daß dieser Grundsatz reiner praktischer Vernunft akroamatisch-diskursiven Charakter hat. Er ermöglicht keine letztbegründete Erkenntnis, er läßt sich nicht axiomatisch-demonstrativ, sondern nur philosophisch, .durch lauter Worte' beweisen. Praktische Grundsätze erfordern - anders als die axiomatisch-intuitiven Grundsätze, die als erste, .klare und deutliche' Prinzipien einen deduktiven Letztbegründungszusammenhang eröffnen und zur mathematisch-demonstrativen Gewißheit führen - eine diskursive Exposition jener Erfahrungsdimension, die sie allererst ermöglichen. Diese diskursive Exposition ermöglicht und zielt auf eine vernünftige Einigung von .philosophischer Gewißheit'.5 „Man kann sagen - und das legt Kants wiederholter Vergleich der transzendentalen Logik mit einer universalen Grammatik des Denkens nahe -, daß in der Urteilsfällung auf den Kanon hinzuhören ist. Die Grundstellung des Kanons ergibt sich aus dem der Transzendentalphilosophie Eigentümlichen, - daß sie .außer der Regel (oder vielmehr der allgemeinen Bedingung zu Regeln), die in dem reinen Begriffe des Verstandes gegeben sind, zugleich a priori den Fall anzeigen kann, worauf sie angewandt werden soll.' Regeln lassen sich nur insofern denken, als man ihre Anwendbarkeit mitdenkt. Man muß sich a priori ihres Sachgehaltes und des Einzelfalles vergewissern, in dem er sich allererst entfaltet. Dazu muß man darauf hören, was der Kanon der Vernunft in ihren höchsten Grundsätzen ... ausspricht."6

Die Urteilsgrundsätze reiner Vernunft, auch die Grundsätze bestimmender Urteilskraft als Prinzipien mathematischer Naturwissenschaften, sollen als akroamatisch-diskursive Urteilsregeln gebraucht werden - dazu weist zu-

5

Vgl. Logik Jäsche § 35, A 172f; 5,542: „Grundsätze sind entweder intuitive oder diskursive. - Die erstem können in der Anschauung dargestellt werden und heißen Axiome (axiomata); die letzern lassen sich nur durch Begriffe ausdrücken und können Akroame (acroamata) genannt werden." Zur entsprechenden Unterscheidungeines demonstrativ-symbolischen vom diskursiv-sprachlichen Beweis, KrV, Β 762f; 4,627f; zur Eigenart philosophischer Definitionen, KrV, Β 754-758; 4,622-625. 6 Μ. Riedel, Urteilskraft, 43.

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mindest ihr oberster, praktischer Grundsatz an, das Akroam des kategorischen Imperativs! Verdeutlichen wir uns den Anspruch, der damit erhoben ist: Der kategorische Imperativ als oberste Regel aller Grundsätze und zugleich als Akroam kommt dadurch zustande, „daß sich die reine Vernunft dieses schlechthin gegebenen, gebietenden Gesetzes bedingungslos annimmt, als hätte sie es selbst gegeben"7. Reine praktische Vernunft ist - scheinbar paradox - „das eigentümlich spontane, insofern .gesetzgebende' Vermögen der praktischen Rezeptivität."8 Als oberster Urteilsgrundsatz verlangt der Imperativ zwar die Abstraktion von der Besonderheit menschlicher, ja kreatürlicher Vernunft überhaupt: „In der metaphysic der Sitten müssen wir von allen Menschlichen Eigenschaften, der Anwendung und ihren hindernissen in concreto abstrahiren und suchen nur den canon, welches eine reine und allgemeingültige idee ist."9 Gleichwohl soll dieser Kanon kein Axiom, sondern ein Akroam sein: Durch das Vermögen praktischer Vernunft ist der Mensch reines und rezeptives Vernunftwesen zugleich. Dieser Anspruch weist voraus auf die rätselhafte Charakterisierung des vernommenen Imperativs als ,Faktum der Vernunft' und auf die genuine praktische Faktizität der Freiheit. Zugleich soll dieser Imperativ oberste Urteilsregel aller anderen Urteilsgrundsätze sein. Bekanntlich bestimmen nun diese Grundsätze gerade aufgrund ihrer Apriorität die menschliche Vernunft als endlich, sinnlich, anschauungsbedürftig und diskursiv. Und es wird sich zeigen, daß gerade der kategorische Imperativ zu negativer Kreatürlichkeit anweist. Er ist die selbst rein vernünftige Anweisung zum menschlichen Vernunftgebrauch. Dieses Problem spitzt sich in der Frage einer praktischen Metaphysik zu: Worauf wir hoffen dürfen, soll durch menschliches, diskursives Denken auf Grund des reinen Imperativs exponiert werden. Deshalb bedarf insbesondere dieses menschliche Denken und .Verheißungen', so daß „wir es in einem Kanon der reinen Vernunft nur mit zwei Fragen zu tun [haben], die das praktische Interesse der reinen Vernunft angehen, und in Ansehung deren ein Kanon ihres Gebrauchs möglich sein muß, nämlich: ist ein Gott? ist ein künftiges Leben?"10 In der Transzendentalen Methodenlehre sind die genannten beiden Fragen identisch mit der Frage nach Hoffnung. Und wir verstehen jetzt, warum das Denken, das sich dieser Fragen und also der Hoffnungsfrage annimmt, „praktisch und theoretisch zugleich" (KrV, Β 833; 4,677) sein soll. 7

G. Krüger, Maßstab, 250. G. Krüger, Maßstab, 250. ' Reflexion 6822, AA 19, 172 (zwischen 1776 und 1778). Die Grundlegungsschrift wird nicht nur von unumgänglich sinnlichen und materialen Zweckbestimmungen moralischer Handlungen abstrahieren, sondern von allen spezifisch menschlichen Bedingungen und Einschränkungen: GMS, BA 35; 6,40. Die Formeln des kategorischen Imperativs gelten für alle vernünftigen Wesen, seien sie nun Menschen oder außerirdische Wesen (nicht: Engel). 10 KrV, Β 831; 4,676; die Fortsetzung bestätigt an dieser Stelle nur den vorkritischen Begriff von praktischer Freiheit, die „durch Erfahrung" (KrV, Β 831; 4,675) erkannt wird. !

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„Hoffen ist ein Verhalten des Menschen als solchen, sofern er zugleich bloß vernünftiges Wesen ist. Was ich wissen kann, das sagt mir die reine Vernunft im Hinblick auf das, was ich tun soll, indem ich selbst bei dieser Kritik etwas hoffen darf... Die methodische Schwierigkeit dieser wahren Metaphysik besteht in der Einheit des theoretischen und praktischen Verhaltens ... Soll diese Erkenntnis als wahre und grundlegende Erkenntnis geübt und verstanden werden, dann müßte sie im Hinblick auf den moralischen Maßstab aller Erkenntnis, in der konkreten Einheit des Hoffens begriffen werden. Sie müßte sich, als eine theologisch denkende Welterfahrung des moralisch handelnden Menschen, in ursprünglicher Einheitlichkeit verstehen."11 Die Frage nach einem Kanon reiner praktischer Urteilskraft fragt nach der Hoffnung als genuiner Weltorientierung endlicher praktischer Freiheit. Daran ist Kants Programm zu messen.

2. Der geschichtstheologische Fehlschluß Kant analysiert im Kanonabschnitt der Ersten Kritik noch nicht das Gefüge der moralischen Imperative. Er fragt aber nach ihrem Inbegriff: „... dieser Inbegriff ist keineswegs identisch mit einem Kanon für den praktischen Vernunftgebrauch, als .Inbegriff der Grundsätze a priori des richtigen Gebrauchs', wenn darunter ein System von Grundsätzen verstanden wird. Er ist vielmehr das Reflexionsmodell für die Erstellung eines solchen Kanons." 12 Reflexionsmodell des Gefüges moralischer Imperative wird in der Methodenlehre das ,Ideal des höchsten Guts', die Idee einer gemeinsamen, wechselwirksamen, intelligiblen (also nicht nur menschlichen) Welt „als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft" (KrV, Β 832; 4,676). Diese Idee individuiert sich im Ideal Gottes, der Glückseligkeit in der Welt in Proportion zur Sittlichkeit als Würdigkeit glücklich zu sein, austeilt. Es ist entscheidend, das Begründungsverhältnis zwischen dieser Weltidee und ihrem Gottesideal präzise festzuhalten: die Gültigkeit des theologischen Ideals wie des Sittengesetzes erfährt „ihre eigentliche Fundierung aus der Idee einer gemeinsamen Welt und gemeinschaftlicher Beziehung ..., gedacht als ein Reich der Zwecke, in dem unsere Existenz nur einen Teil des Ganzen ausmacht."13 Inwiefern soll sich diese Idee einer gemeinsamen Welt von den kosmologischen Weltideen theoretischer Vernunft unterscheiden? Offenbar darin, daß sie jetzt am Leitfaden der praktischen Freiheit gewonnen wird und zur Hoffhungsweit führt, in der ,Gott alles in allem' sei. Sehen wir näher zu: Wie fragt Kant nach Hoffnung?

11

G. Krüger, Maßstab, 251. 1. Heidemann, Ideal, 287 (Kursive HA). 13 1. Heidemann, Ideal, 246, vgl. 280. 12

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„Die dritte Frage, nämlich: wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen? ist praktisch und theoretisch zugleich, so, daß das Praktische nur als ein Leitfaden zu Beantwortung der theoretischen, und, wenn diese hoch geht, spekulativen Frage führet. Denn alles Hoffen geht auf Glückseligkeit, und ist in Absicht auf das Praktische und das Sittengesetz eben dasselbe, was das Wissen und das Naturgesetz in Ansehung der theoretischen Erkenntnis der Dinge ist. Jenes läuft zuletzt auf den Schluß hinaus, daß etwas sei (was den letzten möglichen Zweck bestimmt), weil etwas geschehen soll·, dieses, daß etwas sei (was als oberste Ursache wirkt), weil etwas geschieht." (KrV, Β 833f; 4,677) Die Frage nach Hoffnung wird zur Frage nach Glückseligkeit als letztem möglichen Handlungs- und Weltzweck; diese Frage nach Glückseligkeit aber zielt auf den Ubergang vom praktischen Sollen zum theoretischen, ja spekulativen Wissen. Die Hoffnungsfrage in dieser frühen Form bleibt spekulativ-theoretisch. A m rettenden Leitfaden der praktischen Vernunft soll die Hoffnung eben dorthin tasten, wohin die spekulativ-theoretische Frage, „wenn diese hoch geht" (KrV, Β 833; 4,677), zielt: auf jenen „hohen P u n k t . . . nämlich den Begriff eines einigen Urwesens, als des höchsten Guts" (KrV, Β 846; 4,686). Daß Kant zum Problem praktischer Urteilskraft und genuiner Hoffnungserkenntnis noch gar nicht durchdringt, gründet, wie lange schon bemerkt, im Verständnis von praktischer Freiheit, das im Kanon-Abschnitt noch vorausgesetzt ist. Es ist vom bloß problematischen Begriff reiner, transzendentaler Freiheit (als einer Kausalität aus Freiheit), der am Ende der kosmologischen Antinomien stand, 14 merkwürdig unterschieden: „Die praktische Freiheit kann durch Erfahrung bewiesen werden" (KrV, Β 830; 4,675; Kursive HA). Gemeint ist die psychologische Konflikterfahrung jener praktischen Willkür, die - in die Entscheidung zwischen Forderungen aus reiner Vernunft und einer Vielfalt sinnlich-empirischer Zwecke und ihrer spontanen Anreize gestellt - sich aus vernünftiger Erwägung für Forderungen der Vernunft und gegen die unmittelbaren Neigungen und Bedürfnisse entscheiden kann, also für Zwecke, die erst „auf entferntere Art nützlich oder schädlich" (ebd.) sind. Der erfahrbare Konflikt der Willkürfreiheit beweist (oder erläutert?) die praktische, objektive Gesetze der Freiheit verordnende Vernunft. „Es gibt einen praktischen Gebrauch der reinen Vernunft, nämlich eine Kausalität der Vernunft. Er ist uns als empirisches Faktum im freien Willen gegeben ... Die transzendentale Freiheit spielt keine Rolle im Bereich der Moralität, welche nur den freien Willen betrifft." 15 Vom vorausgesetzten Freiheitsbegriff her folgerichtig ist der moralische Imperativ: „Tue das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu sein." (KrV, Β 836f;

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Der Kanon praktischer Vernunft setzt die, zumindest problematische, Möglichkeit eines intelligiblen, freien Charakters voraus. Die problematische Möglichkeit dieser Selbstbeurteilung - Kernstück des transzendentalen Idealismus - führt Kant bekanntlich in der Auflösung der Dritten Kosmologischen Antinomie ein, vgl. KrV, Β 560-587; 4,488-506. 15 Μ. Gueroult, Kanon, 436.

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4,679) Die Abgrenzung der moralischen von den pragmatischen Gesetzen wird noch nicht durch das ,rein formale' Kriterium der Gesetzmäßigkeit der Willensmaxime, sondern durch die Apriorität des Willenszwecks gewonnen, zu dem deshalb unbedingt verpflichtet werden kann (vgl. KrV, Β 828; 4,673f). Wenn Glückseligkeit der letzte empirische Zweck der Willkür ist, die sich in entsprechenden Klugheitsregeln steuert, so erweist sich eben das Sittengesetz darin, daß es alle pragmatischen Gesetze unter die unbedingte, apriorische Bedingung der Würdigkeit, glücklich zu sein, stellt. Es fällt leicht, diesen kategorischen Imperativ als zirkuläre moralische Handlungsregel zu kritisieren.16 Doch damit wird die Pointe des Gedankens verfehlt: Dieser kategorische Imperativ zielt nicht auf die Ableitung konkreter, situativer Handlungsnormen, sondern auf das Selbst- und Weltverständnis des Subjekts und auf seine praktische Selbstbeurteilung. Er zielt nicht auf die Frage der Befolgung von Gesetzen nach Maximen, sondern auf die Beurteilung der Sittlichkeit. „Die Beurteilung der Sittlichkeit, ihrer Reinigkeit und Folgen nach, geschieht nach Ideen, die Befolgung ihrer Gesetze nach Maximen." (KrV, Β 840; 4,482) Zwar hat sich der kategorische Imperativ zu moralischen Gesetzen und zu Handlungsmaximen zu entfalten. Doch verfolgt Kant nicht diesen Gedanken weiter. Es geht ihm vielmehr um die Beurteilung der Sittlichkeit ihrer Reinheit und ihren Folgen nach: Inwiefern können die in der konflikthaften Zweckbeurteilung als frei erfahrenen Handlungen einem freien Subjekt zugerechnet werden, von dem offen bleiben kann, ob es sich (unter dem Schema eines empirischen Charakters) als intelligibler, freier Charakter erkennen kann?17 Diese Frage nach der Erfahrungsdimension der praktisch freien Handlungen führt auf den Ansatz zum Verständnis von ,Geschichte': „Die reine Vernunft enthält also ... in einem gewissen praktischen ... moralischen Gebrauche, Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, nämlich solcher Handlungen, die den sittlichen Vorschriften gemäß in der Geschichte des Menschen anzutreffen sein könnten. Denn, da sie gebietet, daß solche geschehen sollen, so müssen sie auch geschehen können, und es muß also eine besondere Art von systematischer Einheit, nämlich die moralische, möglich sein, indessen daß die systematische Natureinheit nach spekulativen Prinzipien der Vernunft nicht bewiesen werden konnte, weil die Vernunft zwar in Ansehung der Freiheit überhaupt, aber nicht in Ansehung der gesamten Natur Kausalität hat, und moralische Vernunftprinzipien zwar freie Handlungen, aber nicht Naturgesetze hervorbringen können. Demnach haben die Prinzipien der reinen Vernunft, in ihrem praktischen ... Gebrauche, objektive Realität." (KrV, Β 835f; 4,678f)

Der moralische Imperativ als Grundsatz praktischer Vernunft konstituiert die Erfahrungsdimension .Geschichte', aus der er seine objektive Realität in " G. B. Sala, Gott, 373 Anm. 5. 17 Vgl. KrV, Β 831; 4,675.

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freien Handlungen beweist. Der moralische Imperativ und damit,Geschichte' sind an dieser Stelle allerdings ganz nach Analogie der Grundsätze reiner theoretischer Vernunft verstanden: „Nun enthält die ganze reine Vernunft in ihrem bloß spekulativen Gebrauche nicht ein einziges direktsynthetisches Urteil aus Begriffen" (Dogmata). Sie enthält Grundsätze. Ein Grundsatz „heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum, weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht, und bei diesem immer vorausgesetzt werden muß" (KrV, Β 765; 4,630).18 Nur weil und solange dieses Verständnis vom Imperativ als Grundsatz vorliegt, kann praktische Freiheit aus (.geschichtlicher') Erfahrung bewiesen werden. Nicht von ungefähr wird .Geschichte' als eine besondere Art von systematischer Einheit, als System freier Handlungen, aus der Analogie zur Idee einer systematischen Natureinheit erläutert. .Geschichte' steht für die Idee einer moralischen Welt, die Idee einer Totalität, die freilich - anders als die konstitutive Idee der systematischen Natureinheit - nicht mehr antinomisch sein soll. Aber kann die Idee einer in Sollenserfahrungen konstituierten Menschengeschichte, einer gemeinsamen, intelligiblen moralischen Welt19, wirklich zum Reflexionsmodell für den Kanon reiner praktischer Vernunft werden? Leisten die daran anschließenden, späteren Unterscheidungen einer nach Rechtsfortschritten unter der Idee ewigen Friedens zu beurteilenden .allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht' und einer antagonistischen, aber durch die Idee eines wachsenden .Reiches Gottes' zu beurteilenden Tugendgeschichte wirklich jene praktische Orientierung, die eine kritische Hoffnung genannt zu werden verdient? Die hier eingeführte Idee von Geschichte bleibt nicht nur klärungsbedürftig; sie ist, so die These, Grund einer genuinen Dialektik praktischer Vernunft: Der Geschichtstheologie als Grundform politischer Theologie. Dies ist bereits in der Ersten Kritik grundgelegt: Ihr moralischer Imperativ soll dazu anweisen, sich selbst als Bürger einer idealen moralischen, wie auch immer .geschichtlichen' Welt inmitten der sinnlichen, naturgesetzlich bestimmten Welt zu beurteilen. Sogar die Reinheit der Sittlichkeit beurteilt sich nach dieser Idee einer Welt, welche - abstrahiert „von allen Bedingungen (Zwecken) und selbst von allen Hindernissen der Moralität in derselben (Schwäche oder Unlauterkeit der menschlichen Natur)"20 - den sittlichen Gesetzen gemäß ist, einer Welt also, wie sie sein soll. „Die Idee einer moralischen Welt hat daher objektive Realität, nicht als wenn sie auf einen Gegenstand einer intelligibelen Anschauung ginge ..., sondern auf die Sinnenwelt,

" Erst in der Zweiten Kritik wird klar, inwiefern der kategorische Imperativ das einzige Dogma der kritisch-praktischen Vernunft ist. " Vgl. M. Gueroult, Kanon, 438f. 20 KrV, Β 836; 4,679. In der Religionsschrift wird der Schwäche und Unlauterkeit noch die Bösartigkeit hinzugefügt werden.

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aber als einen Gegenstand der reinen Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche, und ein corpus mysticum der vernünftigen Wesen in ihr, so fern deren freie Willkür unter moralischen Gesetzen sowohl mit sich selbst, als mit jedes anderen Freiheit durchgängige systematische Einheit an sich hat."21 Diese Idee eines corpus mysticum impliziert ein „System der sich selbst lohnenden Moralität" (KrV, Β 837; 4,680, Kursive HA). In dieser Welt genügt in der Tat der Imperativ: Tue das, wodurch du würdig wirst, glücklich zu sein. Doch zwei Grundprobleme lassen Kant davor zurückschrecken. Sie nötigen dazu, eigens nach Hoffnung zu fragen. Zunächst: Was begründet die Hoffnung auf eine notwendige Verknüpfung von Sittlichkeit, als Glückswürdigkeit, und Glückseligkeit? Darf sich das freie Geschichtswesen und das bedürftige Naturwesen in proportionierter Harmonie verstehen? Sodann: Was begründet die intersubjektive Kompossibilität moralischer und nicht-moralischer Freiheitsakte? Sind die nicht nur durch das Freiheitsgesetz, sondern stets auch durch Bedürfnisinteressen bestimmten, mit sich und untereinander im Kampf liegenden Geschichtswesen überhaupt moralisch überlebensfähig? Damit stellt sich die Hoffnungsfrage. Doch achten wir darauf, wie Kant sie an dieser Stelle formuliert: „wie, wenn ich mich nun so verhalte, daß ich der Glückseligkeit nicht unwürdig sei, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch teilhaftig werden zu können? Es kommt bei der Beantwortung derselben darauf an, ob die Prinzipien der reinen Vernunft, welche a priori das Gesetz vorschreiben, auch diese Hoffnung notwendigerweise damit verknüpfen." (KrV, Β 837; 4,679f, Kursive HA). Ein notwendiger Schluß theoretischer Vernunft soll von der Nicht-Unwürdigkeit zur Hoffnung auf Glückseligkeit führen! Die Notwendigkeit der Hoffnung ist durch Vernunft „in ihrem theoretischen Gebrauch" (ebd.) begründet. Dies nennen wir Kants geschichtstheologischen Fehlschluß. 3. , Verheißung' als Kategorie politischer Theologie Daß die Ideen Gottes22 und der .künftigen' Welt23, vermittelt über die Idee des corpus mysticum, als .Verheißungen' notwendigerweise mit dem moralischen Gesetz verknüpft sind - darauf spitzt sich hier die Hoffnungsfrage zu. 21

KrV, Β 836; 4,679. Η. Heimsoeth, Dialektik, 761 Anm. 186 führt die Idee des corpus mysticum auf Kants Platon-Rezeption zurück; R. Wimmer, Kritische Religionsphilosophie, 59, auf Augustins Interpretation des Leibes Christi. Diese letzte Behauptung bleibt unerfindlich. 22 ,Gott' gilt als Ideal des höchsten ursprünglichen Gutes, d.h. als „Idee einer solchen Intelligenz, in welcher der moralisch vollkommenste Wille, mit der höchsten Seligkeit verbunden, die Ursache aller Glückseligkeit in der Welt ist, so fern sie mit der Sittlichkeit ... in genauem Verhältnis steht", KrV, Β 838; 4,681. 23 Auch die Rede von einer künftigen Welt ist wohl platonisierend zu verstehen: Nicht eine zukünftige oder verheißene Welt, sondern eine intelligible Welt, in der wir immer sind, ohne sie anschauen zu können, sei gemeint: H. Heimsoeth, Dialektik, 765.

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Mit dem latent theoretischen Schluß vom Gesetz auf die Verheißung bleibt jedoch der Anspruch der Hoffnung auf genuine, praktische Orientierung, die sich in .Verheißungen', also in genuinen Hoffnungssätzen, formuliert, weit unterschritten. Die Unklarheit über den Status des moralischen Imperativs und der praktischen Freiheit, das latent spekulative Reflexionsmodell des höchsten Gutes und die fehlende Reflexion auf eine wahrhaft praktische Urteilskraft führen dazu, daß Hoffnung als genuine Erkenntnis gar nicht in den Blick kommt. Dieses Problem kristallisiert sich in der Unsicherheit, mit der Kant den Begründungszusammenhang von ,Gesetz' und .Verheißung' expliziert. Hier, im synthetischen Schluß, der Imperativ und Hoffnung verknüpft, müßte sich ja das Hoffen als genuines Vermögen bewähren. Vier bezeichnende Stellen seien angeführt. Die erste Stelle repräsentiert den Stand vor der Ersten Kritik: (1) „Die Moral führt also natürliche Verheißungen mit sich, denn sonst könnte sie uns nicht verbinden."1* (2) „Ganz anders ist es mit dem moralischen Glauben ... Da ... die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, daß sie es sein soll), so werde ich unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben, und bin sicher, daß diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch meine sittliche Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht entsagen kann, ohne in meinen eigenen Augen verabscheuungswürdig zu sein."25 (3) „Ohne also einen Gott, und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung ... Selbst die von aller Privatabsicht freie Vernunft, wenn sie, ohne dabei ein eigenes Interesse in Betracht zu ziehen, sich in die Stelle eines Wesens setzte, das alle Glückseligkeit andern auszuteilen hätte, kann nicht anders urteilen".26 (4) „Die Sittlichkeit an sich selbst macht ein System aus, aber nicht die Glückseligkeit, außer, so fern sie der Moralität genau angemessen ausgeteilet ist."27 Diese Angemessenheit ist aber nur durch den weisen Urheber einer intelligiblen Welt und ein künftiges Leben möglich. „Daher auch jedermann die moralischen Gesetze als Gebote ansieht, welches sie aber nicht sein könnten, wenn sie nicht a priori angemessene Folgen mit ihrer Regel verknüpften, und also Verheißungen und Drohungen bei sich führten."28 Auf engstem Raum finden sich in der Ersten Kritik drei unterschiedliche Verknüpfungen von Gesetz und Verheißung: Der moralische Glaube (2) steht in einem der frühesten Stücke der Kritik der reinen Vernunft der vorkritischen Lehre von der natürlichen Verheißung (1) noch sehr nahe. Die Verbindlichkeit

24 25 26 27 21

Moralphilosophie Collins, AA 27/1, 308, Kursive z.T. HA, vgl. 285.304. Vom Meinen, Wissen und Glauben: KrV, Β 856; 4,693, Kursive z.T. HA. Aus dem Kanonabschnitt: KrV, Β 840f; 4,682f. Aus dem Kanonabschnitt: KrV, Β 839; 4,681. Aus dem Kanonabschnitt: KrV, Β 839; 4,68 If.

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des Gesetzes wird aus der Verheißung begründet - also vorkritisch.29 Die Notwendigkeit dieser Begründung wird auf das Gefühl der Selbstachtung, also die gefühlte Integrität persönlicher moralischer Identität zurückgeführt. Der Kanonabschnitt, der nach dem Abschnitt: Vom Meinen, Wissen und Glauben, verfaßt wurde, ist, so gesehen, bereits die Korrektur des vorhergehenden Begriffs vom .moralischen Glauben' in dessen Kern: dem Verhältnis von Gesetz und Verheißung. Jetzt zielt Kant auf eine nicht-eudämonistische Verbindlichkeit der Pflicht, ohne über deren Begründung ins Klare zu kommen. Das zeigt sich (3) an der vorkritischen Rede von der subjektiven Triebfeder moralischen Handelns: Die Verheißung des Gelingens ermöglicht es, daß moralische Wahrheit subjektive Wirklichkeit wird. Noch interessanter ist, daß die Verbindung von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit über die Argumentationsfigur des unbeteiligten Beobachters vermittelt wird. Die Bedeutung dieser Argumentationsfigur für Kant ist strittig.30 Unstrittig ist jedoch, daß die Argumentation eines interesselosen Beobachters nicht praktisch-konativer, sondern theoretisch-kognitiver Natur ist.31 Und genau dies bleibt auch Kants letzter Versuch, Gesetz und Verheißung zu synthetisieren. Es ist die systementwerfende, architektonische Vernunft, die eben aus dieser ihrer ,Natur' der Synthesis von Gesetz und Verheißung apriorische Notwendigkeit verleiht. Diese Synthesis gründet im platonischen .Geistesschwung', „von der kopeilichen Betrachtung des Physischen der Weltordnung zu der architektonischen Verknüpfung derselben nach Zwecken, d.i. nach Ideen, hinaufzusteigen" (KrV, Β 375; 4,325). Getragen ist dieser Schwung von der Idee einer „Verfassung von der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen, daß jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann (nicht von der größten Glückseligkeit, denn diese wird schon von selbst folgen)" (KrV, Β 373; 4,323f)! Das System der Moralität, das Kant im Kanonabschnitt in Anlehnung an die platonische Republik, freilich in ungleich höherer Abstraktion als gemeinsame, moralische und intelligible Welt entwirft, fordert aus der inneren Notwendigkeit der architektonischen Vernunft die Erweiterung zum System proportionaler Glückseligkeit. Die Synthesis apriori von Moral und Hoffnung auf Gott speist sich - so gesehen - aus der Notwendigkeit architektonischer Vernunft, welche „die absolute Totalität der Synthesis auf der Seite der Bedingungen" (KrV, Β 393; 4,337) erschließt. Die Rede von Verheißung und vom Gesetz als Gebot bleibt innerhalb der Grenzen spekulativer Vernunft. Die vorgängige Idee einer moralischen Welt, die Idee des höchsten Guts, die

29 Eine Fülle weiterer Stellen zu Kants vorkritischer Lehre von der natürlichen Verheißung bei M. Albrecht, Dialektik, 93 Anra. 293. 30 Vgl. L.W. Beck, Kommentar, 42-47.227f.236.253f, auch zur angelsächsischen Moralphilosophie. Zur Diskussion: M. Albrecht, Dialektik, 177-183. 31 L.W. Beck, Kommentar, 227f: „Ein unbeteiligter Beobachter kann es nicht billigen, wenn die Glückseligkeit und die Würdigkeit, glücklich zu sein, nicht ausgeglichen sind ... Die [theoretisch-dogmatische] Vernunft fordert zu ihrer eigenen Befriedigung (nicht zur Befolgung des Gesetzes ...) ein System der Zwecke."

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dem Imperativ vorangeht und ihn eigentlich immer noch begründet, vermittelt den Übergang v o m Sollen zur Hoffnung einer künftigen Welt. Es gilt also beides: „Das System der Metaphysik, auf -welches unsere Methodenlehre hinaussieht, ist ein teleologisches Gefüge ... - und zwar ein solches, das unter ... der gesetzgebenden Sinnbestimmung eines .letzten Zwecks' der reinen Vernunft steht: darin alles ihr Interesse, ,das spekulative sowohl als das praktische', vereinigt ist" 3 2 . Aber diese teleologische Metaphysik verdankt sich der archäologischen

Vernunft, also der auf die Totalität der Bedingungen in einem

Vernunftprinzip rückschließenden Vernunft. 3 3 Den bleibend spekulativen

Cha-

rakter seiner teleologischen Metaphysik scheint Kant sogar schärfer zu sehen, als einige seiner wichtigsten Interpreten, wenn er v o m System der Vernunftidee schreibt: „Zuletzt wird man auch gewahr: daß unter den transzendentalen Ideen selbst ein gewisser Zusammenhang und Einheit hervorleuchte, und daß die reine Vernunft, vermittelst ihrer, alle ihre Erkenntnisse in ein System bringe. Von der Erkenntnis seiner selbst (der Seele) zur Welterkenntnis, und, vermittelst dieser, zum Urwesen fortzugehen, ist ein so natürlicher Fortschritt, daß er dem logischen Fortgange ähnlich scheint."

der Vernunft

von den Prämissen

zum

Schlußsatze

(KrV, Β 394f; 4,338; Kursive H A ) 3 4

Anstatt auf eine praktische Weltorientierung führt die Hoffnungsfrage in der Ersten Kritik auf eine spekulativ-theologische Weltidee. Kant antwortet auf die

H. Heimsoeth, Dialektik, 790 mit Zitat aus KrV, Β 832; 4,676. Vgl. dazu KrV, Β 355-368.377-396; 4,311-320.327-339. 34 Dazu fügt Kant in der Zweiten Auflage der KrV folgende Anmerkung an: „Die Metaphysik hat zum eigentlichen Zwecke ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, so daß der zweite Begriff, mit dem ersten verbunden, auf den dritten, als einem notwendigen Schlußsatz[!], führen soll. Alles, womit sich diese Wissenschaft sonst beschäftigt, dient ihr bloß zum Mittel, um zu diesen Ideen und ihrer Realität zu gelangen ... In einer systematischen Vorstellung jener Ideen würde die angeführte Ordnung, als die synthetische, die schicklichste sein; aber in der Bearbeitung, die vor ihr notwendig vorhergehen muß, wird die analytische, welche diese Ordnung umkehrt, dem Zwecke angemessener sein, um, indem wir von demjenigen, was uns Erfahrung unmittelbar an die Hand gibt[!], der Seelenlehre, zur Weltlehre, und von da bis zur Erkenntnis Gottes fortgehen, unseren großen Entwurf zu vollziehen." (Zum traditionellen Sinn einer .synthetischen' und .analytischen' Lehrart, vgl. Prol. § 5 Anm.). Für Heinz Heimsoeth (Dialektik, 68-70) und Georg Picht (Religionsphilosophie, 6f.595-605) ist diese Anmerkung der Zweiten Auflage das Gesamtprogramm von Kants neuer Metaphysik. Beide betonen, daß Kant an dieser Stelle mit der Rede von der Realität der Ideen bereits die Postulatenlehre der KpV voraussetze, also die kritische praktische Philosophie. Doch zweierlei spricht gegen diese Interpretation. Zunächst: Kant spricht vom notwendigen, affirmativen Schluß auf Unsterblichkeit, also doch wohl: Glückseligkeit in Proportion zur Würdigkeit. In der KpV wird aber dieser Schluß unter dem Titel einer Dialektik der praktischen Vernunft verhandelt. Sodann: Kant will in seiner analytischen Darlegung des großen Entwurfs von dem ausgehen, .was uns Erfahrung unmittelbar an die Hand gibt', um von da aus zum Welt- und Gottesbegriff zu schließen. Kant geht also vom Begriff der arbiträren Freiheit aus, von einer praktischen Freiheit, die „durch Erfahrung bewiesen werden kann" (KrV, Β 830; 4,675), um auf den moralischen Weltbegriff und Gottesbegriff zu schließen. Kants Anmerkung enthält also nur die Summe des Kanonabschnitts. 32 33

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Hoffnungsfrage mit dem theoretischen Gottesideal einer individuierten Totalität, so sehr er dieses praktisch verstehen will: „Diese Moraltheologie hat nun den eigentümlichen Vorzug vor der spekulativen, daß sie unausbleiblich auf den Begriff eines einigen, allervollkommensten und vernünftigen Urwesen führet, worauf uns spekulative Theologie nicht einmal aus objektiven Gründen hinweiset, geschweige uns davon überzeugen konnte ... Dagegen, wenn wir aus dem Gesichtspunkte der sittlichen Einheit, als einem notwendigen Weltgesetze, die Ursache erwägen, die diesem allein den angemessenen Effekt, mithin auch für uns verbindende Kraft geben kann[!], so muß es ein einiger oberster Wille sein, der alle diese Gesetze in sich befaßt. Denn, wie wollten wir unter verschiedenen Willen vollkommene Einheit der Zwecke finden?" (KrV, Β 842f; 4,683f) Es ist eine Folge des spekulativen Charakters der Moraltheologie, wenn Kant sogar eine reinterpretierte Physikotheologie für möglich hält, die vom moralischen, ,inneren' Reich der Zwecke aus „die Zweckmäßigkeit der Natur auf Gründe [bringt], die a priori mit der inneren Möglichkeit der Dinge unzertrennlich verknüpft sein müssen, und dadurch auf eine transzendentale Theologie, die sich das Ideal der höchsten ontologischen Vollkommenheit zu einem Prinzip der systematischen Einheit nimmt, welches nach allgemeinen und notwendigen Naturgesetzen alle Dinge verknüpft, weil sie alle in der absoluten Notwendigkeit eines einigen Urwesens ihren Ursprung haben." (KrV, Β 844; 4,685) ,Gott' als Ideal ontologischer Vollkommenheit kehrt - am Leitfaden moralischer Teleologie - am Ende der Kritik der reinen Vernunft als höchstes ursprüngliches Gut wieder. Im Ubergang vom .Imperativ* der erfahrbaren, arbiträren Freiheit zur .Verheißung' wird die Idee des .corpus mysticum' zur ratio cognoscendi eines .Gottes', - der heimlich die spekulative ratio essendi dieser Freiheit und ihrer Hoffnung geblieben ist. Wie ist dieses Ergebnis zu werten? Das am Leitfaden moralischer Teleologie erschlossene Ideal ist nicht einfach eine Restitution vorkritischer Theologie. Es ist vielmehr ein genuines Produkt der Dialektik der Aufklärung. Die skizzierte Geschichtstheologie ist - so unsere Hypothes für die weitere Untersuchung der Ansatz zu einer neuen Form politischer Theologie. Der arbiträre Freiheitsbegriff des Kanonsabschnitts ist sicher noch kein kritisch-praktisches Konzept, reflektiert aber ein Kernproblem der Theorie politischen Handelns: Die Kontingenz des freien Anfangens oder Nicht-Anfangens, die im Handeln oder Unterlassen gleichwohl zu verantworten ist. „Sie [sc. die Menschen politischer Praxis] wußten, daß eine Handlung nur frei heißen kann, wenn sie durch nichts Vorangegangenes beeinflußt oder verursacht ist, und doch, daß sie alsbald zu einer Ursache alles Folgenden wird, einer Rechtfertigung bedarf".35 Freies Anfangen und Verantwortung bilden Charakteristika politischen Handelns. Angesichts des Abgrunds dieser arbiträren Freiheit, also angesichts der skizzierten beiden Grundprobleme, stellt Kant in der Ersten Kritik die Frage nach

35

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H. Arendt, Vom Leben des Geistes Π, 200.

Hoffnung und Verheißung. Das Zurückschrecken vor dem Abgrund anfangender Freiheit läßt die politische Theologie entstehen. Die transzendentaltheologische Antwort, die Kant gibt, also die erneute Begründung von Freiheit in Gott als individuierter Totalität geschichtlicher Freiheit, verstrickt sich in genau jene Dialektik reiner Vernunft, gegen welche sich die Erste Kritik eigentlich richtet. Die .Verheißung' der Ersten Kritik ist daher das trügerische Versprechen einer ihre Grenze verkennenden theoretischen Vernunft an eine noch vorkritische praktische Vernunft, die - dem „herumschwärmenden Seefahrer" gleich - im Bannkreis der „leeren Hoffnungen" bleibt (vgl. KrV, Β 294f; 3,267f). Mit der biblischen Verheißung hat diese Verheißung nur den Namen gemein. Sie ist eine Kategorie politischer Theologie.

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§ 3 Dialektik des Gewissens und negative Hoffnung Ein gutes Jahrzehnt nach der Ersten Kritik hat sich die Szene gewandelt: Die Kritik der Urteilskraft und die Religionsschrift setzen das Widerfahrnis der Hoffnung voraus. Der biblischen .Verheißung' gilt das Staunen·. (Vernunft) Glaube „ist ein Vertrauen auf die Verheißung des moralischen Gesetzes; aber nicht als eine solche, die in demselben enthalten ist, sondern die ich hineinlege, und zwar aus moralisch hinreichendem Grunde" (KU, Β 462 Anm.; 8,603). Mit der biblischen Rede von der .Verheißung Gottes', „hat diese wundersame Religion in der größten Einfalt ihres Vortrages die Philosophie mit weit bestimmteren und reineren Begriffen der Sittlichkeit bereichert ..., als diese bis dahin hatte liefern können, die aber, wenn sie einmal da sind, von der Vernunft frei gebilligt, und als solche angenommen werden, auf die sie wohl von selbst hätte kommen und sie einführen können und sollen" (KU, Β 463 Anm.; 8,603). Vernunft läßt sich .Verheißung' widerfahren. Aber sie bleibt darin transzendentale Vernunft, daß sie nach dem Grund sucht, um die Verheißung auch aus sich zu beurteilen und frei billigen zu können. Kann das unter den Bedingungen transzendentaler Vernunft nur bedeuten: Verheißung auch aus Vernunft zu begründen? Die Alternanz zwischen dem Staunen über die biblische Rede aus .Verheißung' und der Reflexion dieser Rede aus moralisch hinreichendem Grund bildet die hermeneutische Hypothese für den Dritten Abschnitt der Religionsschrift und die Spätschrift ,Das Ende aller Dinge' (1794). Nach welcher Seite hin wird die Alternative entschieden? Oder soll und braucht diese Alternative gar nicht entschieden werden? Erweist sich vielleicht gerade darin das .Geheimnis' der Verheißung, daß differente Orientierungen in der Hoffnung begründet unentscheidbar bleiben, aber gerade deshalb in einem argumentativen Dialog stehen können? Daß Kant die biblische Verheißung auf vernünftige .Hoffnung' reduziert, ist ein gängiger theologischer Vorwurf. Man mag dazu auf die Erste Vorrede der Religionsschrift verweisen: „Moral also führt unumgänglich zur Religion, wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert, in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll." (RGV, Β IXf; 7,652) Verheißung des Gesetzes würde auf der Linie dieser These bedeuten, daß im göttlichen Willen dasjenige Endzweck ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein soll: das höchste Gut, symbolisiert als Reich Gottes. Dieser Versuch, den kategorischen Imperativ über das zu verwirklichende Gute aus moralisch hinreichendem Grund zur Verheißung des höchsten Gutes zu erweitern, reduziert .Verheißung' in der Tat. Aber gegen die gängige theologische Kritik ist zu zeigen, daß solche Reduktion in eine Dialektik der praktischen Vernunft hineinführt, die Kant auf 48

seine Weise erkennt. Diese Einschätzung teilen wir mit Paul Ricoeur: „L'experience religieuse devient ansi l'occasion propre d' une nouvelle sorte d' heteronomie, affectant non plus le principe de la moralite, mais la visee de ce que la Dialectique de la raison pratique avait appele l',objet complet de la volonte'. Le mal dans la religion tend alors a devenir le mal de la religion."1 Das Ideal des höchsten Gutes führt in eine genuin eschatologische „pathologie de la totalite"2.

1. Dialektik des moralischen Gottesbeweises Kant begründet im Zentrum der Ersten Vorrede zur Religionsschrift die Erweiterung der Moral zur Religion mit einem neuen .moralischen Gottesbeweis'. Dieses Argument, das übrigens nur in Form einer langen „schwierigen Fußnote"3 vorgetragen wird, gilt chronologisch als der letzte publizierte Gottesbeweis Kants. Es faßt Kants Postulatentheologie zusammen. Aber handelt es sich hier überhaupt noch um einen Gottesbeweis? Unsere Hypothese ist, daß dieses Argument gerade nicht die abschließende, reife Form des Kant'schen Gottesbeweises bildet4; es hebt vielmehr diesen Beweis selbst auf, indem es ihn als Grundlage jener Dialektik der Hoffnung erweist, um deren Kritik es in der Religionsschrift eigentlich geht! Der Ort des Arguments bildet den Schlüssel zu seinem Verständnis: ,Gott' wird in der Vorrede der Religionsschrift nur vorläufig als regulatives Ideal praktischer Urteilskraft eingeführt. Diese Idee Gottes „gehört zum Verbände und zugleich zur Läuterung aller konkreten [sc. Begriffe], die nachher in die angewandte Theologie und Religionslehre hineinkommen mögen"5. Betrachten wir kurz den Kontext, in dem Kant diese Idee zu beweisen sucht, um die behauptete Vorläufigkeit dieses Arguments zu beleuchten! Von der Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft unterscheidet sich dieses Argument schon darin, daß in der Religionsschrift die anthropologischen Voraussetzungen andere sind: Die Religionsschrift nimmt (a) nicht mehr nur den reinen freien Willen endlicher Vernunftwesen in den Blick, sondern das ,krumme Holz' der menschlichen Willkür in der Erfahrung. Sie macht deshalb gerade nicht vom Begründungsprinzip des kategorischen Imperativs Gebrauch, sondern wird eine Pflicht sui generis einführen.6 1

P. Ricoeur, Hermeneutique, 40. Ebd., 39. 3 L.W. Beck, Kommentar, 253. 4 So G. B. Sala, Frage nach Gott, 454, als Zusammenfassung seiner gesamten Analyse. 5 Ton, A 411f Anm; 5,389 Anm. 6 Vgl. M. Riedel, Vernunft und Urteilskraft, 141: „Gerade weil das Prinzip [sc. der praktischen Vernunft] auf Erfahrung nicht direkt anwendbar ist, weil die Menschen von Natur weder vernünftiger Einsicht zugänglich noch von Natur mit einer moralischen Anlage versehen oder durch moralische Umstände sonderlich begünstigt sind, bedarf es der systematischen Er2

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Kant erweitert (wie schon in der Zweiten Kritik) die rein formale Willensautonomie zur unumgänglichen materialen Zweckbeziehung des guten Willens. Aber der Religionsschrift geht es bei dieser Erweiterung um die reflektierende Beurteilung des handelnden Menschen - genauer: um die Grenze des Gewissens, das den Menschen als gut oder böse freispricht oder verurteilt 7 und das als .sich selbst richtende moralische Urteilskraft' definiert wird. 8 Das moralische Argument am Beginn der Religionsschrift hat Grundlegungsfunktion für diese Kritik des Gewissens als des humanen Urteilssinns der Hoffnung. Das Gewissen trägt daher (b) in der Religionsschrift von Beginn an das Signum pluraler Denkungsart. Es soll als sensus communis exponiert werden. Nicht mehr nur das Problem der Selbstbeurteilung, sondern die Frage konsensueller Urteilsfindung unter wirklichen, bedürftigen Menschen (nicht nur reinen Geistern) wird sich als zentral erweisen. Der Ubergang zu diesem Standpunkt der faktischen Pluralität geschieht aus dem Prinzip der Moral selbst, wie ein Gedankenexperiment der Ersten Vorrede dartut: „Setzt einen Menschen, der das moralische Gesetz verehrt und sich den Gedanken beifallen läßt ..., welche Welt er wohl durch die praktische Vernunft geleitet erschaffen würde, wenn es in seinem Vermögen wäre, und zwar so, daß er sich selbst als Glied in dieselbe hineinsetzte, so würde er sie nicht allein gerade so wählen, als es jene moralische Idee vom höchsten Gut mit sich bringt, wenn ihm bloß die Wahl überlassen wäre, sondern er würde auch wollen, daß eine Welt überhaupt existiere, weil das moralische Gesetz will, daß das höchste durch uns mögliche Gut bewirkt werde, ob er sich gleich nach dieser Idee selbst in Gefahr sieht, für seine Person an Glückseligkeit sehr einzubüßen, weil es möglich ist, daß er vielleicht der Forderung der letztern ... nicht adäquat sein dürfte; mithin würde er dieses Urteil ganz parteilos, gleich als von einem Fremden gefället, doch zugleich für das seine anzuerkennen sich durch die Vernunft genötigt fühlen, wodurch der Mensch das in ihm moralisch gewirkte Bedürfnis beweist, zu seinen Pflichten sich noch einen Endzweck, als den Erfolg derselben, zu denken." (RGV, Β Vmf; 7,651f) Am Beginn der Religionsschrift erweitert sich reine praktische Vernunft zu einer Denkungsart, die für sich das parteilos gefällte Urteil übernimmt, daß eine Welt überhaupt existieren soll und der Mensch als freies, verunglückbares, unerklärlich böses, gleichwohl aber verantwortliches menschliches Wesen unter anderen menschlichen Wesen in ihr. Das ist - mit Hannah Arendt zu reden - der Ubergang zur ,Natalität' (c). Mit voller Schärfe erhebt sich die Frage, wie die „Tatsache, daß Menschenwesen, neue Menschen, wieder und wieder durch die Geburt in der Welt erscheinen" uns mehr sagen kann, „als

Weiterung der .reinen' praktischen Vernunft und ... einer kritischen Verständigung über die Situation des bedürftigen, an seiner Welt leidenden und verzweifelnden Menschen." 1 Vgl. MST § 1, A 98-103; 7,572-576. 8 RGV, Β 288; 7,860.

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daß wir, kraft unseres Geborenseins, dazu verdammt sind, frei zu sein"?' Die Frage der rationalen Hoffnung wird zur Frage, wie ,wir' an dieser humanen Freiheit .Gefallen' finden können, ohne sie aus guten Handlungen oder guten Absichten selbst zu rechtfertigen. Genau dies ist nämlich die Dialektik der Hoffnung, gegen die sich die Religionsschrift richtet: Hoffnung als latente, letztbegründende Selbstrechtfertigung aus dem vermeintlich guten Endzweck. Die Frage nach dem Gewissen als humanem Sinn und Gefühl der Hoffnung angesichts des radikal Bösen (a), humaner Pluralität (b) und humaner Natalität (c) bestimmt die Religionsschrift und die daran anschließende Spätschrift ,Das Ende aller Dinge'. In etwas abweichender Reihenfolge wird diese Problematik im Folgenden exponiert: § 3,2 Konflikt der Interpretation und innere Lüge; § 3,3 Zufriedenheit und Natalität; § 3,4 Liebe und Pluralität. Die allen drei Fragen zugrundeliegende Dialektik wird zuvor entfaltet.

Der Handlungsbegriff der Ersten Vorrede unterschreitet dieses Problemniveau eindeutig, eben weil er erst vorläufigen Status hat. Wie in der Zweiten Kritik wird zunächst allein das teleologische Verständnis von Handeln als Zweckverwirklichen vorausgesetzt. Ausgehend von der empirisch und subjektiv unumgänglichen Handlungsteleologie, führt Kant den aus der Zweiten Kritik bekannten Begriff eines objektiven Endzwecks ein, der durch bloße praktische Vernunft aufgegeben wird: den Begriff eines höchsten, in der Welt möglichen Gutes als „Beziehungspunkt der Vereinigung aller Zwecke" (RGV, Β VIII; 7,651). Das moralische Gottesargument, das darauf aufbaut, kann schon aus diesem Grund nur vorläufig sein. Was begründet, so gesehen, die Verbindlichkeit, sich das höchste Gut zum Endzweck zu machen, also den Pflichtbegriff um die (Tugend-)Pflicht zum höchsten in der Welt möglichen Gut zu erweitern?10 Die Triftigkeit dieser Erweiterung ist für das Argument Kants entscheidend, denn diese Pflicht ist aus dem moralischen Gesetz nicht analytisch zu folgern: Das Gesetz macht nämlich „die Pflicht zum Gegenstande der größten Achtung, ohne uns einen Zweck (und Endzweck) vorzulegen und aufzugeben, der etwa die Empfehlung derselben und die Triebfeder zur Erfüllung unserer Pflicht ausmachen müßte. Alle Menschen könnten hieran auch genug haben, wenn sie (wie sie sollten) sich bloß an die Vorschrift der reinen Vernunft im Gesetz hielten. Was brauchen sie den Ausgang ihres moralischen Tuns und Lassens zu wissen, den der Weltlauf herbeiführen wird? Für sie ist's genug, daß sie ihre Pflicht tun; es mag nun auch mit dem irdischen Leben alles aus sein, und wohl gar selbst in diesem Glückseligkeit und Würdigkeit vielleicht niemals zusammentreffen." (RGV, Β Xlf Anm.; 7,654)

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H. Arendt, Leben des Geistes, Π, 200; vgl. Π, 190. Zum Begriff der .Tugendpflicht' vgl. MST Einleitung IX, A 28-30; 7,525-527. 51

L'äßt Kant hier - wie in seiner berühmten Schilderung Spinozas (vgl. KU, Β 427-429; 8,579f) - die Möglichkeit der „völligen Sinnlosigkeit" aufblitzen, „zu der seine Konzeption des Ethischen folgerichtig führt"; nähme also „das rein formale Gesetz, dessen Verbindlichkeit nicht vom Guten als Objekt stammt, ... den Menschen absolut zum Nichts hin in Anspruch"; bricht Kant deshalb - „gegen die Logik des Systems, aber von der Logik der Sache gleichsam bezwungen"11 - radikal mit dem ersten Grundsatz seiner Moralmetaphysik, nach welchem „überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich [ist], was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille" (GMS, Β 1; 6,18), d.h. ein Wille formaler Gesetzmäßigkeit? Sicher nicht! Immerhin macht diese Einschätzung das Uberraschende des bei Kant nun Folgenden deutlich: „Nun ist's aber eine von den unvermeidlichen Einschränkungen des Menschen und seines (vielleicht auch aller andern Weltwesen) praktischen Vernunftvermögens, sich bei allen Handlungen nach dem Erfolg aus denselben umzusehen, um in diesem etwas aufzufinden, was zum Zweck für ihn dienen und auch die Reinigkeit der Absicht beweisen könnte, welcher in der Ausübung (nexu effectivo) zwar das letzte, in der Vorstellung aber und der Absicht (nexu finali) das erste ist. An diesem Zwekke nun, wenn er gleich durch die bloße Vernunft ihm vorgelegt wird, sucht der Mensch etwas, was er liehen kann; das Gesetz, also, was ihm bloß Achtung einflößt, ob es zwar jenes als Bedürfnis nicht anerkennt, erweitert sich doch zum Behuf desselben zu Aufnehmung des moralischen Endzwecks der Vernunft unter seine Bestimmungsgründe, das ist, der Satz: mache das höchste in der Welt mögliche Gut zu deinem Endzweck; ist ein synthetischer Satz a priori, der durch das moralische Gesetz selber eingeführt wird, und wodurch gleichwohl die praktische Vernunft sich über das letztere erweitert, welches dadurch möglich ist, daß jenes auf die Natureigenschaften des Menschen, sich zu allen Handlungen ... außer dem Gesetz noch einen Zweck denken zu müssen, bezogen wird (welche Eigenschaft desselben ihn zum Gegenstande der Erfahrung macht), und ist ... nur dadurch möglich, daß er das Prinzip a priori der Erkenntnis der Bestimmungsgründe einer freien Willkür in der Erfahrung überhaupt enthält, sofern diese ... dem Begriff der Sittlichkeit, als Kausalität in der Welt, objektive, obgleich nur praktische Realität verschafft." (RGV, Β ΧΠί Anm.; 7,654f) Kant hört auch angesichts drohender Sinnlosigkeit der Pflicht nicht auf, kritisch zu denken! Moralische Verzweiflung und das daraus resultierende Bedürfnis moralischer Glückseligkeit12, mithin die Frage nach einem Endzweck, in dem sich der moralische Erfolg, ja die Reinheit der eigenen Absicht darstellt, bleiben „eine von den unvermeidlichen Einschränkungen des Men11

Alle Zitate aus: G.B. Sala, Frage nach Gott, 454. U m objektiv-moralische, nicht um subjektiv-empirische Glückseligkeit geht es hier! Das gilt auch gegen L.W. Beck, dessen Alternative, es handle sich hier um kein „.Bedürfnis der reinen Vernunft', sondern ein Bedürfnis der allzu menschlichen Vernunft" (Kommentar, 235), zu kurz greift. 12

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sehen und seines ... praktischen Vernunftvermögens"! Dieser Endzweck bleibt eine Idee theoretischer Vernunft, an der der Mensch in praktischer Hinsicht Liebenswertes sucht, um daraus die Reinheit seiner Absichten zu beweisen, seiner Willkür erfahrbare Motive und seiner Sittlichkeit objektive, obgleich nur praktische Realität zu verschaffen: Er ist „ein dialektisches Ideal der Vernunft"13. Der Frage, warum und in welcher Hinsicht Kant die Postulatenlehre und insbesondere die Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut unter dem Titel einer,Dialektik der reinen [praktischen] Vernunft' (KpV, A 198; 6,238) verhandelt, hat Michael Albrecht eine eingehende historische Untersuchung gewidmet.14 Auch wenn Albrecht systematische Konsequenzen seiner detaillierten Arbeit nicht immer klar ausspricht, so bietet er doch eine genaue Analyse der .Dialektik der reinen praktischen Vernunft', auf der wir aufbauen können. Zweifellos ist die eigenartige Pflichtformel: „Wir sollen das höchste Gut (welches also doch möglich sein muß) zu befördern suchen?" (KpV, A 225; 6,255) das Schlüsselglied im Gottespostulat der Zweiten Kritik. Wird in dieser Pflichtformel, entgegen der in der Analytik durchgeführten Kritik (vgl. KpV, A 197; 6,237), nun doch das höchste Gut materialer Bestimmungsgrund des Willens? Offensichtlich sieht Kant das höchste Gut so eng mit dem moralischen Gesetz verbunden, daß er die mögliche Existenz desselben als Bestimmungsgrund des Willens begreift. Die bei Albrecht erwogene Begründung dieser Erweiterung der Bestimmungsgründe des Willens aus der sonst drohenden .Sinnlosigkeit' des Handelns, muß sich eingestehen, daß der Kant-Text dafür keinen Anhalt bietet.15 Der Schlüsselsatz für ein mögliches Verständnis der problematischen Pflichtformel findet sich bei Kant hingegen gleich zu Beginn der Dialektik der reinen praktischen Vernunft: Die reine praktische Vernunft sucht „zu dem praktisch-Bedingten (was auf Neigungen und Naturbedürfnis beruht) ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als Bestimmungsgrund des Willens, sondern, wenn dieser auch (im moralischen Gesetze) gegeben worden, die unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft, unter dem Namen des höchsten Guts." (KpV, A 194; 6,235)16 Das Höchste Gut - sei es auch das Vernunftideal eines Reiches Gottes auf Erden - wird ein dialektisches Ideal der Vernunft, sofern in ihm das Verlangen nach theoretischer Totalität am Werke ist. Der gute Wille selbst - so die These Kants - wird dann in der Suche nach der unbedingten Totalität seines Gegenstands dialektisch. Sein

13 L.W. Beck, Kommentar, 227. „Die Vernunft kann ein Chaos der Zwecke nicht hinnehmen; sie fordert ihre apriorische Verknüpfung zu einem System. Ein unbeteiligter Beobachter kann es nicht billigen, wenn die Glückseligkeit und die Würdigkeit, glücklich zu sein, nicht ausgeglichen sind. Aber weder in der Natur noch im Sittengesetz kann Kant mehr als eine kontingente Verbindung zwischen beiden auffinden. Die Vernunft fordert zu ihrer eigenen Befriedigung ... ein System der Zwecke." (227f)

M. Albrecht, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, 1978. M. Albrecht, 164: „Das Handeln aus Pflicht würde in einem eigenen, einschränkenden Sinn zum .Selbstzweck'. Nicht das Handeln, sondern das Leben selbst könnte hier .falsch' genannt werden". 16 Dazu: M. Albrecht, 56-72. 14

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Totalitätsverlangen entwirft unvermeidlich das Ideal des Höchsten Gutes, eine moralische Welt als Endzweck und postuliert dafür die Existenz eines moralischen Gottes. Angesichts dieser eingesehenen Dialektik der reinen praktischen Vernunft gehe Kant nun - das ist das Entscheidende - zur Frage nach einer reflektierenden Urteilskraft praktischer Vernunft als kritischer Hoffnung über. Der Schluß vom praktischen Endzweck auf den Grund seiner Möglichkeit, also auf einen Welturheber und Regierer, der zugleich moralischer Gesetzgeber sei, kann nur für die reflektierende, nicht aber für die bestimmende Urteilskraft praktischer Vernunft gelten (KU, Β 433; 8,583)! „Der moralische Gottesbeweis wird also durch die .praktische reflektierende Urteilskraft' ([KU] Β 434) geführt."17 Warum folgt der Analytik eine Dialektik der reinen praktischen Vernunft? Weil sich die Hoffnung als genuines Problem neben der Exposition des kategorischen Imperativs erweist: „... wenn es einerseits zwei deutlich unterschiedene Fragestellungen (nach dem Bestimmungsgrund des Willens und nach der Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft) gibt und wenn andererseits beide Fragestellungen nach Kants Festlegungen von der reinen praktischen Vernunft beantwortet werden, dann müssen doch wohl zwei praktische Aufgaben angenommen werden."18 Es bedarf eines praktischen Weltbegriffs, welcher der Versuchung, das Gute in seiner Totalität zu imaginieren, und der darauf gründenden eitlen Hoffnung entgegenarbeitet. Das ist eine Aufgabe der Kritik praktisch-bestimmender Urteilskraft (Typik). Und es bedarf eines Begriffs der Hoffnung als humaner Orientierung auf der Grundlage dieses praktischen Weltbegriffs; dies ist Aufgabe einer praktisch-reflektierenden Urteilskraft (Symbolik). Kritische Beachtung verdient dabei Kants Rede vom Liebesbedürfnis der Vernunft. Das Bedürfnis der Vernunft allein ermöglicht - wie die wichtige Schrift ,Was heißt: Sich im Denken orientieren?' formuliert „sich im Denken, im unermeßlichen und für uns mit dicker Nacht erfülleten Räume des Übersinnlichen, ... zu orientieren"™. Kants Anspruch, die kritische ,Heautonomie' des Vernunftbedürfnisses zu verteidigen, ist unübersehbar.20 Es als

M. Albrecht, 182. M. Albrech:, 183. 19 Denken, A 311; 5,271. 20 Zu beachten ist Kants Verteidigung gegen Wizenmann, KpV, A 259 Anm.; 6,278: es ist „ein Vemunftbedürfnis, aus einem objektiven Bestimmungsgrunde des Willens, nämlich dem moralischen Gesetze entspringend, welches jedes vernünftige Wesen notwendig verbindet, also zur Voraussetzung der ihm angemessenen Bedingungen in der Natur a priori berechtigt, und die letztern von dem vollständigen praktischen Gebrauche der Vernunft unzertrennlich macht." (vgl. KpV, A 255-263; 6,276-281) Noch konziser: Denken, A 316; 5,274: „Nun bedarf die Vernunft, ein solches abhängiges höchstes Gut, und zum Behuf desselben eine oberste Intelligenz als höchstes unabhängiges Gut, anzunehmen: ... um dem Begriffe vom höchsten Gut objektive Realität zu geben, d.i. zu verhindern, daß es zusamt der ganzen Sittlichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existierte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich begleitet. Es ist also nicht Erkenntnis, sondern gefühltes Bedürfnis der Vernunft ..." Dazu merkt Kant an, daß dieses Gefühl nicht unmittelbares, sondern 17 18

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Bedürfnis zu kennzeichnen, am Endzweck etwas zu lieben, scheint glücklich formuliert. Hält diese Formel doch wie keine andere fest, daß .Glückseligkeit' bei Kant moralisch qualifiziert ist. Erweitert sich die Achtung vor dem Gesetz zur Liebe des Endzwecks, so könnte sich eben in der Reinheit dieser Liebe in der Tat „auch die Reinigkeit der Absicht beweisen". Erst wenn Kants Rede vom reinen (Liebes)Bedürfnis der Vernunft in seiner grundlegenden Funktion erkannt ist, zeigt sich die Virulenz seiner Dialektik: Wird nicht im Bedürfnis reiner Liebe zum Endzweck das Orientierungsbedürfnis der Vernunft zum Rechtfertigungsbedürfnis? Das Uberraschende und Singulare am moralischen Argument der Religionsschrift21 ist ja, daß hier die Liebenswürdigkeit des Endzwecks die Reinigkeit der Absicht beweisen soll. Diese Frage stellt sich umso mehr, als Reiner Wimmer jüngst eine interessante, im Wittgenstein'schen Sinne mystische Interpretation dieser Rede vom Liebesbedürfnis vorgelegt hat: die amour desinteresse als .Grundeinstellung zum Leben im ganzen', zeige sich in der Unenttäuschbarkeit durch Welt und Menschen.22 Es bleibt dieser Interpretation gegenüber die Frage, warum Kant das Bedürfnis reiner Liebe zum höchsten Gut als unvermeidliche Einschränkung der Menschen (und vielleicht aller Vernunftwesen) kennzeichnet. Die Einführung der Rede von ,Gott' auf der Grundlage humanen Vernunftbedürfnisses partizipiert an der Dialektik des Liebesbedürfnisses, das stets zugleich begrenzte Orientierung und irreführende Rechtfertigung begründet. Das Gesetz, das eigentlich nur Achtung einflößt, erkennt zwar jenes Bedürfnis nach dem rechtfertigenden Zweck nicht als moralkonstitutiv an, wohl aber als moralkonstituiert. Es kann sich in ihm wiedererkennen und sich zur Aufnahme des Endzwecks unter seine Maxime erweitern. So erweitert dieses Bedürfnis das Gesetz um den moralischen Endzweck als materiale Pflicht. Kann man dieser Dialektik durch Sistierung des materialen Endzwecks zugunsten reiner, ungegenständlicher Liebe begegnen? Sollte mithin, auch über Kants theistische Rede hinaus, ,Gott' als synkategorematisch erlernter Ausdruck und Inbegriff uninteressierter Liebe präzisiert werden? Oder könnte

vermitteltes Vernunftgefühl sex: „Die Vernunft fühlt nicht; sie sieht ihren Mangel ein, und wirkt durch den Erkenntnistrieb das Gefühl des Bedürfnisses." (a.a.O. Anm.) 21 Auch gegenüber dem parallelen Argument der Kritik der Urteilskraft § 89 (KU, Β 439443; 8,588-590). 22 Vgl. R. Wimmer, Religionsphilosophie, 210f: Der moralische Glaube kann „anonym in dem Sinne sein, daß sich im Leben eines Menschen zeigt, daß er weder von sich noch von anderen Menschen moralisch schlechthin enttäuscht werden kann ..." (210). Diese unerfahrbare, bestenfalls sich zeigende, ins Herz ausgegossene Liebe faßt Wimmer als mystische Erfahrung. Angelpunkt von Wimmers Interpretation ist Kants Begriff moralischer Glückseligkeit: „Der mystische, mit allem geeinte Mensch liebt sich selbst, jeden Menschen, die ganze Wirklichkeit wie durch ein Nichts hindurch, nämlich grund- und zwecklos, ja gegen den Anschein ihrer Nichtigkeit. Theistisch wird dann von einer Liebe gesprochen, die alles in Gott und Gott in allen liebt und anbetet." (217)

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sich die mögliche Selbstrechtfertigung auch noch in dieser Lebenshaltung prekär, ja destruktiv auswirken? Diese Frage wird im Dritten Stück der Religionsschrift explizit. Daraufhin, auf die dort sich zeigende Dialektik, muß das moralische Argument der Vorrede der Religionsschrift interpretiert werden.

2. Ethischer Naturzustand: Konflikt der Interpretation

und innere Lüge

Die Tugendpflicht zum Reich Gottes kann zur „Tyrannei des Himmelreichs"23 führen. Diese Einsicht steht im Zentrum der Religionsschrift. Kant entwirft hier die polemische Fiktion 24 eines ethischen Naturzustands: „So wie der juridische Naturzustand ein Zustand des Krieges von jedermann gegen jedermann ist, so ist auch der ethische Naturzustand ein Zustand der unaufhörlichen Befehdung durch das Böse, welches in ihm und zugleich in jedem andern angetroffen wird, die sich ... einander wechselseitig ihre moralische Anlage verderben, und selbst bei dem guten Willen jedes einzelnen, durch den Mangel eines sie vereinigenden Prinzips sich, gleich als ob sie Werkzeuge des Bösen wären, durch ihre Mißhelligkeiten von dem gemeinschaftlichen Zweck des Guten entfernen, und einander in Gefahr bringen, seiner Herrschaft wiederum in die Hände zu fallen."25 Die Fiktion eines ethischen Naturzustands - die „öffentliche wechselseitige Befehdung der Tugendprinzipien" (RGV, Β 135; 7,756, Kursive z.T. HA) offenbart die möglichen Folgen der unerkannten Dialektik praktischer Vernunft (also der Aufnahme der Pflicht zum Endzweck in die Willensmaxime aufgrund reinen Liebesbedürfnisses). Kant geht jetzt zu einem Handlungsbegriff über, der nicht mehr am Zweckverwirklichen, sondern an der konsensuellen Handlungsbeurteilung und -Verantwortung interessiert ist. Jetzt wird die Frage moralischer Richterschaft virulent, also das Problem des Gewissens. Nicht zufällig entwickelt Kant die Fiktion des ethischen Naturzustands aus der Analogie zum Hobbes'schen juridischen Naturzustand als einem Kriegszustand: Der juridische Kriegszustand formuliert die Fiktion, daß „ein jeder selbst Richter über das sein will, was ihm gegen andere recht sei, aber auch für dieses keine Sicherheit von andern hat, oder ihnen gibt, als jedes seine eigene Gewalt" (RGV, Β 135 Anm.; 7,756, Kursive HA). Die polemische Fiktion des ethischen Naturzustand denkt den Zustand jener Richterschaft zu Ende, in der ein jeder selbst Richter über das sein will, was ihm anderen gegenüber als schlechthin liebenswert gilt. Das Insistieren auf der eigenen Idee vom ,Reich Gottes' kann gegenüber anderen nur auf die eigene gute Absicht rekurrieren, - und sieht sich deren radikalem Verdacht ausgesetzt.

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So formuliert Franz Rosenzweig, Stern, 302, vgl. Mt 11,12; Luk 16,16 und § 14,2. Zu polemischen Fiktionen als Teil der kritischen Methode: § 4,1. RGV, Β 134; 7,755 Konjekturen nach AA, Kursive z.T. HA.

Wie komplex sich die moralische Selbst- und Fremdbeurteilung von Handlungen und Handlungszwecken auf dem Niveau Kants darstellt, zeigt sich in dieser polemischen Fiktion eines ethischen Naturzustands.26 Gerade die kritische Einsicht in die Unerkennbarkeit der empirischen Willensmotive angesichts der dogmatischen Maximenbestimmung der reinen praktischen Urteilskraft führt zur .Kasuistik' als einer .Übung' der Urteilskraft, „wie die Wahrheit solle gesucht werden" (MST, A 56; 7,544). Entscheidend ist dabei die richtige Interpretation und Benennung von Handlungsmomenten und Handlungsabsichten, wie Josef Simon zeigt. Der Zustand innerer Lüge, in der sich der Mensch über wahre Absichten und Motive täuscht, wird dabei dringlich: „Es bleibt ,kasuistisch' zu fragen, mit welchem ,Namen' für eine Tugend oder ein Laster eine einzelne Handlung in einer bestimmten Situation zu benennen ist, z.B. ob ein gewisser ,Sprechakt' mit dem ,harten Namen' der Lüge belegt werden soll oder nicht."27 Vorausgesetzt ist dabei die grundlegende kritische Unterscheidung der Sprache des Rechts und der Ethik: „Der Handelnde muß als der .angeborene Richter über sich selbst' in eigener .Urteilskraft' oder in seinem,Gewissen'selbst wissen, unter welchen Handlungsbegriff er seine Handlung subsumieren ... soll. Als ihrer selbst .gewisse' Gewissensentscheidung, und eigentlich nur so, ist die .Benennung' der Willkür entzogen."28 Zur Frage wird damit, warum das Gewissen überhaupt der öffentlichen Sprache bedarf, warum es nicht ,privatsprachlich' verfaßt sein darf, und wie es zu seiner Sprache kommt. 29 Es ist zunächst der mögliche Konflikt von rechtlicher und ethischer Handlungsinterpretation selbst, der hier zur Übersetzung nötigt.30 Gerecht ist aber in diesem Konflikt, „wer sich an die Gesetze hält, wie Menschen sie erlassen haben, auch wenn er sich selbst bessere denken könnte. Die .besseren' wären dann die, die nach seiner Vorstellung .bessere' Bedingungen erzwingen könnten, unter denen die Willkür des einen mit der anderen zugleich bestehen kann. Könnte jeder seine Vorstellungen vom jeweils Besseren zum Gesetz machen, wäre der Zwang an die jeweils subjektive Vorstellung seiner Notwendigkeit gebunden, und es käme ... zum Streit aller gegen alle."31 Gerecht ist, wer sich aus ethischem Grund zwingt, sein Urteil zurückzustellen und sich geltendem Recht fügt, welches sich darin als geltend erweist, daß es den Streit der Handlungsinterpretationen abbrechen kann.

Der ethische Selbstzwang zur Unterwerfung unter die (Gewalt-)Herrschaft des Rechts ist für rechtsstaatliche Gerechtigkeit als juridischer Friedenszu-

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Vorauszusetzen ist die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Zweite Kritik, vor allem aber die Tugendlehre der Metaphysik der Sitten. Wichtig insgesamt: J. Simon, Zeit, 296-310. 27 J. Simon, Zeit, 300f, mit Verweis auf MST § 9. A 83; 7,562. 21 J. Simon, Zeit, 301, mit Verweis auf MST § 13 (Kant allerdings spricht MST §13, AlOOf. Anm.; 7,574 vom „inneren Richter"). 29 Die Aufklärung der .metaphysischen Anfangsgründe' der Tugendlehre umfaßt diese Sprachklärung, vgl. MSR, Einleitung Π Β 7-13; 7,319-323 und MST, A 2-10; 7,508-513. 30 Dazu J. Simon, Zeit, 302f („Der Richter muß sein Urteil .nach außen' rechtlich begründen, aber vor sich selbst moralisch verantworten"). 31 J. Simon, Zeit, 303.

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stand unabdingbar. Er wäre aber für ein ethisches gemeines Wesen ein „Widerspruch (in adiecto) ... Weh aber dem [politischen] Gesetzgeber, der eine auf ethische Zwecke gerichtete Verfassung durch Zwang bewirken wollte! Denn er würde dadurch nicht allein gerade das Gegenteil der ethischen bewirken, sondern auch seine politische untergraben und unsicher machen."32 Dadurch spitzt sich der mögliche Konflikt der Handlungsinterpretationen zum Kriegszustand (nicht zum Krieg) ethischer Selbst- und Fremdbeurteilung im Gewissen zu. Die Fiktion eines ethischen Naturzustands stellt den Kriegszustand einer permanenten Gewissensreflexion und wechselseitigen Verdächtigung dar. Er beruht auf der möglichen Privatsprachlichkeit des Gewissens als absoluter Richterschaft: Hier wäre jeder selbst Richter über jenen Endzweck, den er für und anstelle aller anderen zum höchsten Gut bestimmt, ohne sich ihnen auch nur verantworten zu können. Das gute Gewissen kann weder irren, noch von anderen Menschen verantwortet werden. Es steht gerade deshalb im Zustand prinzipiellen Verdachts .innerer Lüge' (ein Verdacht, der durch die mögliche Berufung auf ,Gott' als letzten, einzigen und ausschließlichen Richter gerade seine Pointe erhielte) - in der Tat: eine „öffentliche wechselseitige Befehdung der Tugendprinzipien."33 Man mag zur weiteren Explikation auf Nietzsches .Hauptsatz' verweisen, nach welchem es „keine moralischen Phänomenesondern nur „eine moralische] Interpretation dieser Phänomene [gibt]. Diese Interpretation selbst ist außermoralischen Ursprungs,"34 Doch schon Kant kann die .Kasuistik' des Gewissens in seiner Handlungsinterpretation hellsichtig, wenn auch beiläufig, „als eine Art Dialektik des Gewissens" bezeichnen (RGV, Β 288; 7,860). Die Fiktion des ethischen Naturzustands erweist die Dialektik des guten Willens in der Idee des höchsten Gutes, die sich zuletzt im möglichen Terrorzustand der sich selbst und andere richtenden Gewissen manifestiert. Die Revolution von 1789 und ihr Verlauf bildet dafür nur den Entdeckungszusammenhang. Aber es unterscheidet Kant von Nietzsche, daß er angesichts dieser Möglichkeit zur Hoffnungsfrage als außermoralischer Frage übergeht, wenn auch aus moralisch hinreichendem Grund. Die Frage nach einer öffentlichen,

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RGV, Β 132; 7,754. Das .oberste Prinzip der Tugendlehre' lautet ja: „handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann." (MST, A 30; 7,526). Es ist symptomatisch, daß es für Wimmer „vorderhand nicht einzusehen ist, daß und wie Tugendprinzipien miteinander in Konflikt, ja in Widerstreit geraten können" (191). Wimmers mystische Interpretation der Idee des höchsten Guts hat sich der Aporie der amour desinteresse - Thema z.B. von Albert Camus' Die Pest - nicht gestellt. 34 F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1885-1887, in: Kritische Studienausgabe 12, hg. v. G. Colli/M. Montinari, 2. A. München/Berlin 1988, 149. Dazu: J. Simon, Zeit, 305: „Wo einer zur Entschuldigung anführen mag, daß er ,so etwas', wie der moralische .Name* es benennt, gewiß nicht tun .wollte', kann ein anderer einen gezielten .Willen', gerade ,so etwas' zu tun, am Werk sehen und damit Schuld zuweisen. Auch das Wort .Wille' wäre dann eventuell schon eine Interpretation." 33

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ethischen Sprache des Gewissens wird dabei nicht schon als gelöst vorausgesetzt. Der ethisch-argumentative Diskurs ist angewiesen auf .gegebene' Sprachzeichen und eine Kultur der Verantwortung, die es überhaupt erst erlauben, sich mit sich und anderen über Handlungen zu orientieren und ethisch .behutsam' zu verständigen, so daß das in der Handlungsinterpretation Entscheidbare begründet entschieden und das Unentscheidbare begründet unentscheidbar bleibt. Kritische Einsicht in die Grenze des Gewissens ist dabei gerade Grund seiner Geltung als sich selbst richtende Urteilskraft. Darf man darauf hoffen? Daß eine öffentliche ethische Sprache .schon da' ist, daß insbesondere eine .wundersame Religion in der größten Einfalt ihres Vortrages die Philosophie mit weit bestimmteren und reineren Begriffen der Sittlichkeit bereichert, als diese bis dahin hatte liefern können' ist, angesichts des möglichen ethischen Naturzustandes, das am wenigsten Selbstverständliche. Umgekehrt nimmt sich praktische Vernunft das Recht, diese gegebenen Begriffe ,frei zu billigen und sie als solche anzunehmen* (KU, Β 463 Anm.; 8,603). Der Konflikt der Handlungsinterpretation wird also zum Streit um Interpretationssprachen und Interpretationen. Oder genauer und im Blick auf unsere Kant-Analyse: Er wird zum Konflikt zwischen einer reinen praktischen Urteilskraft und ihrer juridischen Typik (z.B. .ethisches gemeines Wesen') und einem enthusiastischen Hoffnungssinn und seiner biblischen Metaphorik (z.B. .Reich Gottes' und .Gericht'), die sich übrigens auch selbst in theologischen Symbolen vereindeutigt und reduziert. Daß und wie dieser Konflikt ausgetragen wird, ob er argumentativ geführt werden kann oder nicht, ist Symptom einer existierenden Kultur der Vernunft, die sich in ihm erhält und generiert, ohne durch Vernunft letztbegründet zu sein. Der Konflikt der Interpretation verlangt, in der Analyse von Kant-Texten von Fall zu Fall genau darauf zu achten, inwieweit biblische Metaphern problematisch reduziert werden und inwieweit Kant seine moralmetaphysischen Termini durch diese Metaphern alterieren läßt.

3. Augenblickliche Hoffnung: Zufriedenheit und Natalität Die skizzierte Dialektik des Gewissens, seine mögliche innere Lüge, enthält einen nicht-moralistischen Begriff des radikal Bösen. Die dialektische Erweiterung von Moral zu Religion, durch welche in der Vorrede der Religionsschrift Gottes Existenz begründet wird, wirkt auf die Religion selbst zurück. Das Böse in der Religion wird zum Bösen der Religion. Diese Folgerung seiner polemischen Fiktion zieht Kant nicht in der Religionsschrift, sondern in der kurzen, entlegenen Spätschrift: ,Das Ende aller Dinge' (1794). Georg Picht charakterisiert diese Schrift mit gewissem Recht als Kants „eigentliche Theologie". In diesem singulären Text Kants zeige sich, „welche Bedeutung 59

der Begriff des .Endzwecks' im Horizont der .eigentlichen Theologie' gewinnt." 35 Hoffnung richtet sich auf das .Gericht Gottes, des Schöpfers'. Die Fiktion des ethischen Naturzustands wird jetzt als Kriegszustand utopischer und anti-utopischer Weltentwürfe dargestellt. Reden von Gott, Handeln, praktisches Urteilen und ihre Theorie (Ethik der Ethik) bleiben hier gerade nicht in der Hoffnung des .Richtspruchs'. Im Namen der Hoffnung wird vielmehr das Hoffen überschritten. Die Antinomie der Utopien und AntiUtopien mit Letztgeltungsanspruch begründet paradoxerweise gerade die .Religionsgeschichte' . 36 „Daher auch die von Zeit zu Zeit veränderten, oft widersinnigen, Entwürfe zu schicklichen Mitteln, um Religion in einem ganzen Volk lauter und zugleich kraftvoll zu machen; so, daß man wohl ausrufen kann: Arme Sterbliche, bei euch ist nichts beständig, als die Unbeständigkeit! ... Schon oft ist gesagt worden, der gegenwärtige Plan ist der beste; bei ihm muß es von nun an auf immer bleiben; das ist itzt ein Zustand für die Ewigkeit. ,Wer (nach diesem Begriffe) gut ist, der ist immerhin gut, und wer (ihm zuwider) böse ist, ist immerhin böse* (Apokal. ΧΧΠ, 11): gleich als ob die Ewigkeit, und mit ihr das Ende aller Dinge, schon itzt eingetreten sein könne; und gleichwohl sind seitdem immer neue Plane, unter welchen der neueste oft nur die Wiederherstellung eines alten war, auf die Bahn gebracht worden, und es wird auch an mehr letzten Entwürfen fernerhin nicht fehlen." (Ende, A 515.516f; 9,186f) Die Sistierung der Hoffnung ist das „widernatürliche (verkehrte) Ende aller Dinge, welches von uns selbst, dadurch daß wir den Endzweck mißverstehen, herbeigeführt wird" (Ende, A 509; 9,182). Das Mißverständnis der Hoffnung auf das .künftige Gericht' zerstört jede mögliche Gewissens-Kultur, weil das, was in ihr begründet als gut oder böse verantwortet werden kann, gerade nicht endgültig als gut oder böse gelten darf und soll. Göttliche Gerechtigkeit, das wahre Ende aller Dinge, wird durch ein Idol von Gerechtigkeit ersetzt, in dessen Namen absolute Richterschaft ausgeübt wird. So kommt Kant zu einem Satz, der die Rede von Gott, „in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll" (RGV, Β IXf; 7,652) geradezu auf den Kopf stellt: „Das Ende aller Dinge, die durch der Menschen Hände gehen, ist, selbst bei ihren guten Zwecken, Torheit·, das ist, Gebrauch solcher Mittel zu ihren Zwecken, die G. Picht, Hier und Jetzt I, 64f. Wenig hilfreich: H.A. Salmony, Das Ende aller Dinge. Zu diesem Begriff Kants: J. Bohatec, 616. Die Dialektik der .Religionsgeschichte' ist zu unterscheiden von der .äußeren Kirchengeschichte' und ihrem „beständigen Kampf zwischen dem gottesdienstlichen und dem moralischen Religionsglauben" (RGV, Β 184; 7,788; vgl. RGV, Β 183-206; 7,788-803). Die Dialektik der Religionsgeschichte manifestiert sich in den eschatologischen Antinomien von Allversöhnung und Dualismus (Ende, A 499-503; 9,177-179), von praktischem Unsterblichkeitsglauben (Postulatentheologie der Zweiten Kritik, Vorstellung eines Purgatoriums) und mystischem Nihilismus (Ende, A 509-514; 9,182185). 35 36

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diesen gerade zuwider sind. Weisheit, d.i. praktische Vernunft in der Angemessenheit ihrer dem Endzweck aller Dinge, dem höchsten Gut, völlig entsprechenden Maßregeln, wohnt allein bei Gott; und ihrer Idee nur nicht sichtbarlich entgegen zu handeln, ist das, was man etwa menschliche Weisheit nennen könnte. Diese Sicherung aber wider Torheit, die der Mensch nur durch Versuche und öftre Veränderung seiner Plane zu erlangen hoffen darf, ist mehr ,ein Kleinod, welchem auch der beste Mensch nur nachjagen kann, ob er es etwa ergreifen möchte'·, wovon er aber niemal sich die eigenliebige Überredung darf anwandeln lassen, vielweniger darnach verfahren, als ob er es ergriffen habe." (Ende, A 514f; 9,1851) Trotz kontrahierter Anspielung auf Phil 3,12-14 - das .Kleinod' der himmlischen Berufung Gottes in Jesus Christus, also der Gottesgerechtigkeit aus Glauben - bleibt Kant diesseits biblischer Verheißung: Die begriffene Unbegreiflichkeit göttlicher Weisheit ermöglicht .negative Weisheit', die danach trachtet, der in jeder Affirmation dialektischen Idee der eschatologischen Gerechtigkeit Gottes zumindest nicht sichtbar zu widersprechen. Wird Hoffnung damit zur negativistischen Bewegung, die weiß, daß sie hofft, nur indem sie nicht weiß, was sie hofft - ein Nicht-Wissen, das gegen den Schein innerweltlicher Erlösung stets neu erarbeitet sein will? Adornos negative Theologie insinuiert dies: „Daß keine innerweltliche Besserung ausreichte, den Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; daß keine ans Unrecht des Todes rührte, bewegt die Kantische Vernunft dazu, gegen Vernunft zu hoffen."37 Die kritische Destruktion des Unsterblichkeitspostulats kann für diese Lesart ein Beispiel bieten: Warum retrahiert die Religionsschrift und vollends ,Das Ende aller Dinge* das in praktischer Absicht so .natürliche' Unsterblichkeitspostulat, um wider Vernunft zu hoffen? In der Tat, weil dieses Vernunftpostulat den Toten keine Gerechtigkeit widerfahren lassen kann: „die Vorstellung eines unendlichen Fortschreitens zum Endzweck ist doch zugleich ein Prospekt in eine unendliche Reihe von Übeln, die, ob sie zwar von dem größern Guten überwogen werden, doch die Zufriedenheit nicht Statt finden lassen, die er [sc. der Mensch] sich nur dadurch, daß der Endzweck endlich einmal erreicht wird, denken kann." (Ende, A 513; 9,184) Paulus nennt demgegenüber allerdings einen Grund der Hoffnung: den Glauben an die Verheißung, daß ,ich von Christus Jesus ergriffen bin'und in Christus Jesus von der Gerechtigkeit Gottes. Aber auch dieses Ergriffensein durch den gekreuzigten Jesus Christus kann ja nicht einfach in einen eschatologischen Prospekt überführt werden, weil die Rede von Gottes .Wille', Gottes .Handlung* oder .Gottes Reich als Endzweck' kreuzestheologisch obsolet geworden 37 „Das Geheimnis seiner [Kants] Philosophie ist die Unausdenkbarkeit der Verzweiflung ... Er hielt an den metaphysischen Ideen fest und verbot dennoch, vom Gedanken des Absoluten ... überzuspringen in den Satz, das Absolute sei darum. Seine Philosophie kreist, wie übrigens wohl eine jede, um den ontologischen Gottesbeweis. In großartiger Zweideutigkeit hat er die eigene Position offen gelassen... Verschmäht hat er den Ubergang zur Affirmation" (Negative Dialektik, 378).

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ist: Verheißene Gerechtigkeit, die im Gekreuzigten ihr Ja' und im Glauben ihr ,Amen' (,es werde wahr') findet (2Kor 1,20), teilt sich auf Hoffnung hin mit, fortschreitend, nicht fortschrittlich, sondern fortwährend. „So kann Hoffnung aussprechen, was sie nicht weiß, indem sie zurückläßt, was nicht aus Gott stammt. Das kann sie aussprechen - und darin besteht der Unterschied zwischen einem ,reinen' Hoffnungsakt, der sich über jede seiner Materialisationen hinausschwingt, und einer Hoffnung, die nichts für sich beansprucht, die auch nicht weiß, was sie will, sondern nur wollen kann, was Gott will."38 Theologische Eschatologie bleibt nicht negativistisch, weil Gerechtigkeit Gottes sich in bestimmten, intern begrenzten Assertionen mitteilt. Sie exemplifiziert sich, wie zu zeigen ist, in dichten, sakramentalen' Zeichen. In diesen Zeichen kann sie beschrieben werden, wobei dieses Beschreiben ein infiniter, dialogischer Lernprozess zu bleiben hat.39 Theologische Eschatologie bietet also eine genuine Lösung der Aporie, daß Reden von Gott, Handeln und praktisches Urteilen und ihre Theorie in der Hoffnung des verheißenen Handelns Gottes im Geist bleiben sollen. Kants Hoffnung ist weder negativistisch noch assertorisch im theologischen Sinn. Sie sucht in negativen Zeichen zur Darstellung zu bringen, was undarstellbar ist: kreatürliche Freiheit als Weisheit, das Geheimnis der Hoffnung. Die angemessene Exposition schon dieser Aporie wird allerdings nicht selten verfehlt. Das ist das spezifische Problem der Spätschriften. Daß Hoffnung, als menschliche Weisheit, ,ein Kleinod ist, welchem auch der beste Mensch nur nachjagen kann, ob er es etwa ergreifen möchte', daß sich also auch Kant selbst korrigiert, erweist ein Vergleich der Religionsschrift mit der späteren Schrift über ,Das Ende aller Dinge'. Die Negativität der Hoffnung ist jeweils Ausgangspunkt. Gottes Gericht, seine Gerechtigkeit, ist die Grenze des Gewissens. Aber wie das Geheimnis der Freiheit negativ, als wissendes Nichtwissen, zur Darstellung zu bringen ist und sich zeigen kann, bleibt doppeldeutig: Negativität wird zur .schlechten Unendlichkeit', wenn sie das Geheimnis in der Anschauungsform der transzendentalen Ästhetik zur Darstellung bringen will. Für das sich selbst anschauende Gewissen wird die Idee göttlicher Gerechtigkeit am unendlichen Fortschritt des moralischen Selbst scheinbar darstellbar, verstrickt sich aber in unauflösbare Widersprüche. Das zeigt sich im Ersten und Zweiten Abschnitt der Religionsschrift: Es ist hier wieder eine biblische Metapher, das Bild eines .Herzenskündigers', unter der die Idee göttlichen Gerichts reflektiert wird. Doch wird hier die biblische Metapher problematisch reduziert: Dieser Herzenskündiger soll anschauen können, was dem inneren Sinn des Gewissens unanschaulich bleiben muß. Wir können unsere Gesinnung „von einem Herzenskündiger in seiner reinen intellektuellen Anschauung" (RGV, Β 85;

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G. Sauter, Eschatologische Rationalität, 171 (genauer: „sondern nur Gott will"). Dies ist Thema des Zweiten Hauptteils, v.a. in den §§ 10.12-13.15!

7,720) beurteilt denken, für den die .neugeborene' Gesinnung, „als ein vollendetes Ganze, auch der Tat (dem Lebenswandel) nach" (ebd.) gilt. Dem intelligiblen Herzensgrund, in der Gesinnung, soll die plötzliche und einmalige Lebensbekehrung widerfahren sein. Aber sie wird für das Gewissen zur beständig bereits geschehenen Revolution. Was an sieb Revolution ist, erscheint für das sich in der Präsenz des inneren Sinnes anschauende Gewissen als allmählich fortgehende, unendliche Refom. An die Stelle des revolutionären Ubergangs von der Lüge zur Wahrheit im intelligiblen Charakter tritt der unendliche Fortschritt von der Unwahrhaftigkeit zur Wahrhaftigkeit im empirischen Charakter, über den das Gewissen richtet.'10 Hoffnung wird als möglicher innerer Fortschritt anschaubar: Der Fortschritt in einer Lebensspanne läßt das Postulat zu, daß diese Zeitspanne beliebig verlängerbar (oder verkürzbar) ist, ohne daß der mögliche Fortschritt aufhörte. Den für unser Gewissen als unendlich postulierbaren Fortschritt können wir für uns analogisch im Urteil des intelligiblen Herzenskündigers vorstellen, der diesen unendlichen Fortschritt so ansieht, als ob der Mensch durch sich selbst einmal und ein-für-allemal vom Bösen zum Guten übergegangen sei. Der Herzenskündiger sieht in seiner intelligiblen Anschauung als Übergang vom Bösen zum Guten, was wir in unserer Selbstbeurteilung als unendlichen Fortschritt zum Besseren nur hoffend postulieren können. Was uns als unendliche Asymptote anschaubar ist, überschaut der Herzenskündiger im Nu, sofern er gleichsam die Reihenregel sieht.41 Offensichtlich ist die Aporie dieser Grundfigur die Zweideutigkeit des Gewissens: Praktische Urteilsweisheit als korrelative Richterschaft im Urteil Gottes mutiert zur Anschauung des göttlichen Gerichts per analogiam. Allerdings wird sich das kritische Gewissen der unvermeidlichen Dialektik seiner Selbstanschauung bewußt. Hoffnung gibt es deshalb nur als negativistische Bewegung. Nur unter der virtuell unendlichen Dialektik von Hoffnungsanschauung und Kritik leuchtet die negative Hoffnung eines eschatologischen Erkanntseins durch Gott auf! Sie wird in der Idee des Herzenskündigers nolens volens analogisch vorgestellt. Vom Standpunkt des sich anschauenden Gewissens aus ist das unendlich fortschreitende Selbst zwar Schein, aber durchschaubarer Schein, der in der bloß natürlichen Beschränkung der Selbstwahrnehmung gründet.42 Die Idee des ein- für allemal gut gewordenen homo noumenon ist also - wie Kant in seiner Spätschrift gegenüber der Religionsschrift einräumt - im Grunde eine antinomische Urteilsregel des sich beurteilenden Gewissens: „Die Regel des praktischen Gebrauchs der Vernunft dieser Idee gemäß will also nichts weiter sagen, als: wir müssen unsre Maxime so nehmen, als ob, bei allen ins Unendliche gehenden Verändrungen vom Guten zum Bessern, unser moralischer Zustand, der Gesinnung

Vgl. RGV, Β 54f; 7,698f. Vgl. RGV, Β 85f; 7,720. 42 H. Heimsoeth, Metaphysische Motive, drückt unfreiwillig, aber präzise den theoretischspekulativen Charakter aus, den diese Unterscheidung von Selbsterscheinung und Selbstsein bei Kant wieder annehmen kann, wenn er schreibt: „Die unendliche Dauer der unsterblichen Seele ist etwas anderes als die ,Ewigkeit' Gottes; sie ist in Wahrheit eine .Reihe', die nur Gott in einem Blicke überschaut. Es ist unsere sinnliche Beschränktheit, die solche Reihe und Dauer eben nur als zeitliche sich vorstellen kann" (224, Kursive HA). 40 41

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nach, (der homo noumenon,,dessen Wandel im Himmel ist* [Phil 3,20]) gar keinem Zeitwechsel unterworfen wäre." (Ende, A 511; 9,183) Aber diese Regel der Selbstbeurteilung ist nicht zu halten, weil sie wiederum nur die Differenz zwischen der Gerechtigkeit des homo noumenon und der bleibenden Ungerechtigkeit des sich selbst erfahrenden Menschen (homo phainomenon) statuiert. Jener kann seine Gerechtigkeit nicht an diesen mitteilen, so daß dem Menschen wiederum nur der „Prospekt in eine unendliche Reihe von Übeln" (Ende, A 513; 9,184) bleibt. Der Büß- und Tugendkampf, zu dem die Religionsschrift anleitet, ist unendlich. Dann aber wird diese Buße hoffnungslos. Gottes Gerechtigkeit kann nicht an das Gewissen mitgeteilt werden: Dieses Dilemma ist die Quintessenz des Ersten und Zweiten Stücks der Religionsschrift. Der Grund für das Dilemma schlechter Unendlichkeit liegt tiefer, nämlich in der Anschauungsform von Zeit, in der das Gewissen den moralischen Charakter in der Differenz von empirischem und intelligiblem Charakter zur Darstellung bringt, und die per analogiam auf die .intellektuelle' Anschauung des Herzenskündigers projiziert wird. Diese Zeit kann nicht Maß göttlicher Gerechtigkeit sein. Nun möchte die Religionsschrift jedoch in eine Hoffnung einführen, die sich nicht in das Dilemma schlechter Unendlichkeit verstrickt. Diese Hoffnung läßt sich aus der Idee des Herzenskündigers nicht begründen, wie Kant nachträglich eingesteht. Der Mensch, der dem kategorischen Imperativ gehorcht, darf erwarten, „unerachtet seiner beständigen Mangelhaftigkeit doch überhaupt Gott wohlgefällig zu sein ..., in welchem Zeitpunkte auch sein Dasein abgebrochen werden möge" (RGV, Β 85f; 7,720f, Kursive HA). Daß der Tugendkampf, also der unendliche Fortschritt von Unwahrhaftigkeit zur Wahrhaftigkeit43, abgebrochen werden kann, daß Buße aufgrund mitgeteilter Gerechtigkeit endlich ist, ist Hoffnung wider die in der transzendentalen Zeit anschaubare Hoffnung. Sie gründet nicht in der ReflexionsIdee des Herzenskündigers, sondern im eigentlichen Ende aller Dinge: dem Gericht als Übergang „aus der Zeit in die Ewigkeit" (Ende, A 495; 9,175): „das Begnadigungs- und Verdammungs-Urteil des Weltrichters ist... das eigentliche Ende aller Dinge in der Zeit, und zugleich der Anfang der (seligen oder unseligen) Ewigkeit, in welcher das jedem zugefallne Los so bleibt, wie es in dem Augenblick des Ausspruchs (der Sentenz) ihm zu Teil ward." (Ende, A 497f; 9,176) Für die Gewissensreflexion ist die Idee dieses Gerichts nicht nur im inneren Zeitsinn nicht anschaubar. Vielmehr wird der Versuch, diese Idee anzuschau-

43 Die erste Pflicht gegen sich selbst wird die Pflicht zur „Höllenfahrt des Selbsterkenntnisses" (MST, A 104; 7,576), welche allein „den Weg zur Vergötterung" (ebd.) bahnt - wie Kant, die Sentenz seines Königsberger Freundes und Meta-Kritikers Hamann variierend, zu sagen vermag. Aber es dürfe dies nicht als Pflicht gegen Gott, als Regel des Bußgebets, verstanden werden, soll die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis nicht in der mystischen Gefühlstheorie enden (vgl. Kants Kritik derselben Sentenz, Streit, A 86; 9,324).

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en, zum Widerfahrnis realer Zeit. Das reflektierende Gewissen muß, „um sich in einen solchen Zustand hineinzudenken, doch überhaupt etwas denken ...; Denken aber [enthält] ein Reflektieren ..., welches selbst nur in der Zeit geschehen kann." (Ende, A 51 If; 9,184) Das ,Machen' der Gewissensidee des Gerichts kostet Zeit. Da Zeit vergeht, indem diese Idee gemacht wird, wird auch diese Hoffnungsidee definitiv mißlingen, „so daß man wohl ausrufen kann: Arme Sterblichef!], bei euch ist nichts beständig, als die Unbeständigkeit"? (Ende, A 515; 9,186) Aber die Pointe ist nicht, daß auch diese Anschauung der Hoffnung destruiert werden muß, sondern daß darin Zeit nichtanschaubar widerfährt: als reale Zeit. Der reflektierend intendierte Ubergang aus Zeit in Ewigkeit (beides Modi idealer Zeit), wird zum widerfahrenden Ubergang aus idealer in reale Zeit. Dieser Ubergang kann zum Anfang humaner Weisheit und negativer Hoffnung werden, wenn in ihm das Geheimnis endlicher Freiheit fühlbar wird. Arbeit der Reflexion soll dieses Geheimnis möglicher kreatürlicher Freiheit als augenblickliche Selbstzufriedenheit fühlbar machen. Das ist das Programm rationaler Mystagogie. Doch solche augenblickliche Selbstzufriedenheit widerfährt in Zeichen, ist in ihnen dargestellt und mitgeteilt. Zeichen des Naturschönen und Kunstschönen sind ein Beispiel dieser Symbolik der Hoffnung. Der Freilegung des äußeren und inneren Sinns, der in Symbolen augenblickliche Hoffnung widerfahren läßt und kreatürliche Freiheit als Zufriedenheit fühlbar macht, gilt die Arbeit der Reflexion. Zufriedenheit als freie Bedürftigkeit ist negatives Kreaturgefühl·. Einverständnis mit dem Geborensein als Mensch und Gefallen an humaner Freiheit, ohne sie aus Handlungen, ihrem Endzweck und ihren Maximen zu rechtfertigen und überzubegründen.

4. Inkommensurable Zeit der Gerechtigkeit: Liebe und Pluralität Die Antinomien der Eschatologie und die Dialektik der Religionsgeschichte mit ihrem unvermittelten Anspruch auf göttliche Offenbarung nötigen zur Reflexions-Arbeit. Aber die kritischen Reflexions-Begriffe von Gott, Gottes Reich und Gerechtigkeit sind vernunftgemachte Ideen, die unanschaubar bleiben müssen, indemonstrabel.44 Sie reflektieren das augenblickliche Widerfahrnis von Kreatürlichkeit paradox, während dieses fühlbare Geheimnis der

44 Diese Paradoxie spricht Kant z.B. am Ende der Religionsschrift aus: „Es klingt zwar bedenklich, ist aber keineswegs verwerflich, zu sagen: daß ein jeder Mensch sich einen Gott mache, ja nach moralischen Begriffen (begleitet mit denen unendlich-großen Eigenschaften, die zu dem Vermögen gehören, an der Welt einen jenen angemessenen Gegenstand darzustellen) sich einen solchen selbst machen müsse, um an ihm den, der ihn gemacht hat, zu verehren ... Aus bloßer Offenbarung, ohne jenen Begriff vorher, in seiner Reinigkeit, als Probierstein, zum Grunde zu legen, kann es also keine Religion geben und alle Gottesverehrung würde Idololatrie sein. " (RGV, Β 257 Anm.; 7,839f)

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Freiheit ,inexponibel' bleibt, von begreifbarer Unbegreifbarkeit.45 Diese Figur wiederholt sich und verschärft sich, wenn Kant die utopische Vernunft auf ein eschatologisches Faktum verweist, das im kritisch-transzendentalen Sinn grundlos ist: „Das Christentum hat, außer der größten Achtung, welche die Heiligkeit seiner Gesetze unwiderstehlich einflößt, noch etwas Liebenswürdiges in sich. (Ich meine hier nicht die Liebenswürdigkeit der Person, die es [das Christentum] uns mit großen Aufopferungen erworben hat, sondern der Sache selbst: nämlich der sittlichen Verfassung, die Er stiftete; denn jene läßt sich nur aus dieser folgern.) Die Achtung ist ohne Zweifel das Erste, weil ohne sie auch keine wahre Liebe Statt findet; ob man gleich ohne Liebe doch große Achtung gegen jemand hegen kann. Aber wenn es nicht bloß auf Pflichtvorstellung sondern auch auf Pflichtbefolgung ankommt, wenn man nach dem subjektiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem, wenn man ihn voraussetzen darf, am ersten zu erwarten ist, was der Mensch tun werde, nicht bloß nach dem objektiven, was er tun soll·, so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur (zu dem, was die Vernunft durchs Gesetz vorschreibt, genötigt werden zu müssen) ... Das Christentum hat zur Absicht: Liebe, zu dem Geschäft der Beobachtung seiner Pflicht überhaupt, zu befördern, und bringt sie auch hervor; weil der Stifter desselben nicht in der Qualität eines Befehlshabers, der seinen Gehorsam-fordernden Willen, sondern in der eines Menschenfreundes redet, der seinen Mitmenschen ihren eignen wohlverstandnen Willen, d.i. wornach sie von selbst freiwillig handeln würden, wenn sie sich selbst gehörig prüften ans Herz legt." (Ende, A 518f; 9,187f) ,Liebe' wird als sittliche Verfassung des Christentums in der Topik der Triebfederlehre eingeführt. Doch ist sie weder deontologisch (Liebe zum Gesetz als Ideal der Heiligkeit) noch teleologisch (Liebe zum Endzweck als Ideal der Tugend) bestimmt, sondern als Triebfeder erweiterten Urteilens, wie übrigens auch Achtung als Anerkennung jetzt konsensuell bestimmt ist. Liebe ist freie, weder erzwingbare noch interessenbedingte, Aufnahme des Willens eines anderen unter meine Maximen. In ihr zeigt sich eine genuine erweiterte oder .liberale' Denkungsart. Gemeint ist eine Urteilspraxis, die sich am ehesten von der erweiterten Denkungsart ästhetischer Urteilskraft her erläutern läßt. Noch klarer als in der Idee eines ästhetischen sensus communis impliziert diese .liberale Denkungsart' reale Andere und wirkliche Mitteilung in einem genuinen sensus communis. Angesichts der möglichen Privatsprachlichkeit des Gewissens ist das Faktum einer sittlichen Verfassung und Kultur der Gewissenhaftigkeit transzendental unableitbar. An dieses Faktum ist nur zu erinnern. Erinnert wird das .Liebenswürdige' des .Christentums' als eines Faktums konkreter .sittlicher Verfassung'. Singular ist dieses,Faktum der Religion', weil es weder

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Hegels Kritik dieses Dilemmas ist unübertroffen: Glauben und Wissen, 323f.

durch Vernunft noch durch Geschichte begründet werden kann. „Ob Vernunft und Geschichte eine Religion begründen können." (Reflexion Nr. 8098, AA 19, 642,11-13). So fragt sich Kant in einer seiner breviloquenten Reflexionen aus jener Zeit. Die Antwort: „Nein! aber wohl eine Kirche, worin Religion und Cultur einander unterstützen." (Ebd.) Das Faktum des Christentums, das Faktum, daß solche Liebe da ist, gründet im Willen seines Stifters - so, daß dieser Stifterwille in seiner Mitteilung, als Christentum, da ist. Das Christentum bringt ,Liebe auch hervor'. Nicht als zu verwirklichender Zweck, sondern als genuin .gegebene' Wirklichkeit ist es liebenswürdig. „Das ist die moralische Liebenswürdigkeit, welche das Christentum bei sich führt ... und welche (was merkwürdig ist) zur Zeit der größten Aufklärung, die je unter Menschen war, sich immer in einem nur desto heilern Lichte zeigt." (Ende, A 52 If; 7,189f) Die Wirklichkeit dieser Verfassung freien Anerkennens gründet in der .Verheißung' der .Menschenfreundlichkeit' Gottes in der Person Jesu. Sie wird nicht christologisch begriffen, sondern jesulogisch exemplifiziert. Der Menschenfreund teilt nicht Güter, sondern Güte mit. .Verheißung* ist diese Mitteilung von Güte: „Also muß man jener Verheißung nicht den Sinn beilegen, als sollten die Belohnungen für die Triebfedern der Handlungen genommen werden. Die Liebe, wodurch eine liberale Denkart an einen Wohltäter gefesselt wird, richtet sich nicht nach dem Guten, was der Bedürftige empfängt, sondern bloß nach der Gütigkeit des Willens dessen, der geneigt ist, es zu erteilen" (Ende, A 521; 9.189)44. Jesus, als .Menschenfreund' (MST, A 158; 7,612), fesselt durch Selbstmitteilung, also in freier, nichtautoritärer Herablassung zu den Bedürftigen: Mitteilung von Güte ist zugleich „Beherzigung der Gleichheit unter Menschen, mithin die Idee, dadurch selbst verpflichtet zu werden, indem man andere durch Wohltun verpflichtet" (MST, A 158; 7,612f). Diese Herablassung offenbart Wohltäter und Bedürftige „gleichsam als Brüder unter einem allgemeinen Vater, der aller Glückseligkeit will" (MST, A 158; 7,613). Die genuine Öffentlichkeit einer Gemeinde Christi wird „noch am besten mit der einer Hausgenossenschaft (Familie) unter einem gemeinschaftlichen, obzwar unsichtbaren, moralischen Vater verglichen werden können, sofern sein heiliger Sohn, der seinen Willen weiß, und zugleich mit allen ihren Gliedern in Blutsverwandtschaft steht, die Stelle desselben darin vertritt, daß er seinen Willen diesen näher bekannt macht, welche daher in ihm den Vater ehren, und so untereinander in eine freiwillige, allgemeine und fortdauernde Herzensvereinigung treten" (RGV, Β 144; 7,762, Kursive HA). Christentum steht bei Kant also für eine mögliche Vernunftkultur, für die weder rechtlich erzwingbare noch moralisch anzuerkennende Öffentlichkeit des Gewissens und seiner genuinen Gerechtigkeit, die sich jedem Tauschverhältnis entzieht. 46

Kant bezieht sich hier (Ende, A 520f; 9,189) auf Mt 5,12: „Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel alles wohl vergolten werden".

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Sie gründet in Menschenfreundlichkeit, die sich mitteilt, und dort, wo sie gilt, erlaubt, Richterschaft über sich und andere auszusetzen, um Menschenfreundlichkeit mitzuteilen. Kants begriffliche Exposition bleibt an dieser Stelle de facto defizitär. Wichtiger ist aber, daß Inexponibilität auch de iure unvermeidbar ist. Kant erinnert hier an das Faktum einer Öffentlichkeit göttlicher Gerechtigkeit, in welcher Vergebung und Schuld nicht kommensurabel sind, d.h. sich der Idee formaler Strafgerechtigkeit, ihrer Imputation und Tauschrelation von Verbrechen und Strafe, Schuld und Sühne entziehen. Dies ist die Öffentlichkeit unverrechenbarer Liebe, welche in ihrer Mitteilung inkommensurabel ist, ohne von schlechter Unendlichkeit zu sein. Pluralität freier Geister wird zu dialogischer Unendlichkeit des Geistes in unerschöpflich individueller Zeit. Zurecht pointiert Josef Simon diese Möglichkeit in seiner Interpretation von Kants Text: „Die Zeit entzieht sich ... .zuletzt' jedem Tauschverhältnis und jeder ihr entsprechenden Gerechtigkeit. Die Zeit des anderen ,ist' der Andere. Seine und meine Zeit sind nicht vergleichbar ... Aber der ,Geist ... kann die Negation seiner individuellen Unmittelbarkeit, den unendlichen Schmerz ertragen, d.h. in dieser Negativität affirmativ sich erhalten und identisch für sich sein.' Es kommt kein Ressentiment auf, wenn dieser Geist ,da' ist und Zeit daher keine Rolle spielt. Das wäre der Zustand einer Gerechtigkeit, die allem .seine' Zeit zuteilt, ohne zu vergleichen. Sie bestünde in der absoluten Inkommensurabilität und damit auch in der Unerschöpflichkeit der Zeit, die wir je haben und auch sind. Nur das Gemessene kann .erschöpft' werden, die Zeit selbst aber nicht"?47

47 J. Simon, Zeit, 310. Zur Explikation dieser dichten Beschreibung: § 13,2 (317 Anm. 31) und § 14,3 (343f).

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§ 4 Alternanz der Urteilskraft Die Hoffnungsfrage am Ende der Ersten Kritik lautet: „Die dritte Frage, nämlich: wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdenn hoffen? ist praktisch und theoretisch zugleich, so, daß das Praktische nur als ein Leitfaden zur Beantwortung der theoretischen, und, wenn diese hoch geht, spekulativen Frage führet." (KrV, Β 833; 4,677) Zehn Jahre später, in der zweiten Vorrede zur Kritik der Urteilskraft, wird diese Frage ungleich präziser und prekärer formuliert. Die neue Formulierung bildet die Basis für jene Alternanz des Hoffens, welche die Spätschriften bestimmt: „Ob nun zwar eine unübersehbare Kluft zwischem dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Ubersinnlichen, befestigt ist, so daß vom ersteren zum anderen {also vermittelst des theoretischen Gebrauchs der Vernunft) kein Übergang möglich ist ... so soll doch diese auf jene einen Einfluß haben, nämlich der Freiheitsbegriff soll den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen; und die Natur muß folglich auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme. - Also muß es doch einen Grund der Einheit des Übersinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff praktisch enthält, geben, wovon der Begriff, wenn er gleich weder theoretisch noch praktisch zu einem Erkenntnisse desselben gelangt, mithin kein eigentümliches Gebiet hat, dennoch den Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der einen, zu der nach Prinzipien der anderen, möglich macht." (KU, Β XlXf; 8,24/f; Kursive z.T. HA) Was unterscheidet beide Formen der Hoffnungsfrage? Das präzisere Verständnis von Urteilskraft ineins mit dem Neuverständnis des prekären Ubergangs, den sie zu vermitteln hat: In der zweiten Formulierung ist als genuin reflektierende Urteilskraft präzisiert, was zuvor unklar als zugleich theoretische und praktische Hoffnung bezeichnet wurde, die faktisch auf die spekulative Theologie zurückführte. Erst mit der Frage nach einer Urteilskraft, die weder theoretisch noch praktisch sein soll, wird der spezifische Charakter der Hoffnung als realer Orientierung zum Thema. Diese Differenz setzt das kritische Verständnis von Freiheit voraus. Das .Faktum der Vernunft', dessen Exposition die Zweite Kritik gewidmet ist, begründet eine reine praktische Urteilskraft, die den Willen a priori bestimmt und sich praktische Weltorientierung verschafft. Damit stellt sich die Frage nach dem Zusammenspiel dieser praktisch-bestimmenden Urteilskraft mit der reflektierenden Urteilskraft.1 1 Da die praktische Urteilskraft erst im nächsten Paragraphen analysiert wird, muß die Darstellung vorgreifen. Doch empfiehlt es sich, zuerst wichtige Aspekte reflektierender

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Manifest wird der Bruch in der Hoffnungsfrage zunächst im Gottesbegriff: Die Frage nach Hoffnung führt in der Ersten Kritik am praktischen Leitfaden auf ein affirmatives, latent geschichtstheologisches Gottesideal. Die Dritte Kritik verabschiedet diese affirmative Theologie. Der ,hohe Punkt spekulativer Vernunft' wird zum hypothetischen .Grund' reflektierender Urteilskraft. Die Idee ,Gott' begründet keine doktrinale Erkenntnis, sondern durch sie reflektiert sich Urteilskraft als endliches, kontingentes, spezifisch humanes Erkennen. Hoffnung als Urteilssinn wird im Gefüge der Vermögen ortlos, atopisch. Dieser Hypothese widerspricht allerdings die Behauptung, daß Urteilskraft den Ubergang zwischen den Vermögen vermittle, also selbst das grundlegende Vermögen transzendentaler Topik sei. Darin deutet sich die eigenartige Alternanz der Urteilskraft an: Sie vollzieht sich zugleich als reale Orientierung und als Reflexion der Reflexion. In der Spannung zwischen der Hoffnung als endlicher Orientierung in der Welt und ihrer vermeintlich grundlegenden Funktion im System der Vermögen liegt der Grund, weshalb der Begriff dieses Erkennens trotz aller Reflexion darauf ungeklärt bleibt. Diese Hypothesen bestimmen den folgenden Gedankengang: Der erste Abschnitt widmet sich Kants Kritik der Ontotheologie in der Ersten Kritik. Göttliche Freiheit, absolutes Anfangen, ist die Aporie, die zur Kritik des ontologischen Arguments nötigt. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit dem ,Gott' der reflektierenden Urteilskraft. Die Frage konzentriert sich auf den Status kategorialer und nicht-kategorialer .Existenz' als realer Relation, mithin auf die Frage realer, nicht-apriorischer Wahrnehmung und Orientierung. Der zweite Abschnitt widmet sich der Alternanz der Urteilskraft, die das Vorhaben einer einheitlichen Theorie der Urteilskraft problematisiert. Der vierte Abschnitt entwickelt, ausgehend von der ästhetischen Urteilskraft, Aspekte eines an exemplarischen Zeichen erlernten endlichen Sinns und Gefühls, Kants Hoffnung.

1. Gott als Idol und Abgrund - Negativität und Gottesbeweiskritik Mit dem abbreviativen Postulat der frühen Hoffnungsfrage: Daß etwas sei, weil etwas geschieht, spielt Kant auf das ontotheologische Ideal der absoluten Notwendigkeit Gottes als oberster Vollkommenheit an (omnitudo realitatis). Im Blick ist jener ,Gott', der im Zentrum der Kritik des kosmologischen und ontologischen Gottesbeweises steht. Die Pointe der Kritik dieser Beweise liegt in der Kritik der Frage nach dem unbedingt notwendigen Sein Gottes überhaupt. Das unausweichliche Vernunftbedürfnis, nach dem Unbedingten als Urteilskraft darzustellen. Die Alternanz in Kants Theorie der Urteilskraft wird sich dann in ihren Gründen weiter erschließen.

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konstitutivem Prinzip zu fragen, sofern überhaupt nach Bedingungen der Möglichkeit gefragt wird, antizipiert dialektisch schon immer ein Absolutes; es dementiert aber gerade dadurch die Möglichkeit endlicher Erkenntnis. Diese ontotheologische Aporie formuliert Kant in der singulären Passage, welche seine Kritik der beiden Gottesbeweise zusammenfaßt und die neue Regel eines regulativen Gebrauchs des Gottes-Ideals formuliert: „Die unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange den schwindelichten Eindruck nicht auf das Gemüt; denn sie mißt nur die Dauer der Dinge, aber trägt sie nicht. Man kann sich des Gedanken nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden zu lassen." (KrV, Β 641; 4,543) Die Interpretation dieser Schlüsselstelle wird nicht selten zur Stellungnahme über die Konditionen theologischen Denkens ,nach Kant'. Eberhard Jüngel und Georg Picht stellten Kants Rede vom Abgrund Gottes (abyssos Det) ins Zentrum ihrer kritischen Anamnese philosophischer Theologie. Ein kurzer Blick auf diese beiden prominenten Interpretationen zeigt zwei exemplarisch verschiedene Lesarten. Beide sind der These Heideggers verpflichtet, daß Kants Frage nach der absoluten Position Gottes (,Gott ist') der .geheime Stachel' der transzendentalen Denkform sei. Kants Rede vom Abgrund Gottes wird also von beiden als Aporie dieser Denkform interpretiert. Nach Eberhard Jüngels Diagnose droht sich das transzendentale ,Ich-denke' in der absoluten Position Gottes als unbedingte Notwendigkeit selbst aufzuheben: „Die unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft." (KrV, Β 641; 4,543) In der Kritik der reinen Vernunft kommt es deshalb nur zu einem problematischen Wesensbegriif Gottes (Gott als omnitudo realitatis Inbegriff durchgängiger Bestimmtheit), verstanden als regulatives Ideal reiner Vernunft. Das Postulat des ,Seins' Gottes hingegen folge als Postulat der praktischen Vernunft erst aus dem Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt moralischer Glückseligkeit).2 Jüngel identifiziert diese Konstellation als .Grundaporie' neuzeitlichen Gottesdenkens theologisch: Um sich nicht selbst zu zersetzen, muß sich die denkende Subjektivität zwischen Wesen und Dasein Gottes setzen und damit Gottes

2 KpV, A 225f; 6,256; dazu: F. Mildenberger, Glaube als Voraussetzung, 162f; R. Wimmer, Religionsphilosophie 19-88; G. Picht, Kants Religionsphilosophie, 487-573; G.B. Sala, Frage nach Gott, 356-425.

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Sein (als unbedingte Notwendigkeit) zersetzen.3 Diese Lesart reduziert Kants Aporie mit Hegel zur ontotheologischen Aporie der Reflexionsphilosophie.4 Sie setzt ihr ein Denken Gottes entgegen, das im Glauben an das Wort vom gekreuzigten Christus standnimmt, um Gott als den von sich her kommenden zu denken und darin das neuzeitliche Gottesdenken neu zu denken: als Erfahrung mit der Erfahrung des Wortes vom Kreuz.5 Georg Pichts frühe, fragmentarische Interpretation der Religionsphilosophie Kants nimmt demgegenüber Kants Rede vom abyssos dei zum Angelpunkt, um der unaufhebbaren Dialektik endlicher Reflexion Rechnung zu tragen. „Der bisherige Grund der theoretischen Erkenntnis ist durch die transzendentale Dialektik zum wahren Abgrund für die menschliche Vernunft geworden, und diesen Abgrund als Abgrund offenzuhalten, also sowohl auf den Satz ,Gott ist', wie auf den Satz ,Gott ist nicht' bewußt, auf Grund reflektierter Erkenntnis, zu verzichten, das ist jene Selbsterkenntnis der Vernunft, in der sich die Grundlegung jedes möglichen Wissens vollzieht. Grundlegung der Erkenntnis ist die Einsicht, daß menschliche Erkenntnis, weil sie endlich ist, Erkenntnis über einem Abgrund ist."6 Gerade in dieser begreifbaren Unbegreiflichkeit Gottes sei Freiheit endlicher Subjektivität gewährleistet.7 In Kants Rede vom Abgrund Gottes koinzidiert die ontotheologische Aporie mit der Eröffnung neuer, praktischer Freiheitsmetaphysik, die Picht in der völkerrechtlichen und ökologischen Utopie ewigen Friedens implementiert.8 Allerdings kommt Picht in seinen späteren Vorlesungen zur Naturphilosophie und Ästhetik erneut auf Kants Rede vom abyssos dei zurück. Er gibt ihr jetzt eine emphatische, reflexions- und subjektivitätskritische Wendung. Identität der Erfahrung gilt jetzt nicht mehr als ermöglicht im freien Subjekt, das seine Identität als Freiheit je vollzieht, sondern in der aporetisch aufscheinenden Einheit der Zeit in ihren Modi.9 Kants abyssos dei wird negativistisch auf Zeit als Horizont der Phänomenalität der Phänomene bezogen: „Der .Abgrund für die menschliche Vernunft', der abyssus Dei: das ist ein Gottesbegriff, der sich mit der transzendentalen Idee, die Kant mit dem Namen ,Gott' bezeichnet, nicht zur Deckung bringen läßt. Hier öffnet sich ein Nichts des Denkens, von dessen Erfahrung dann der frühe Hegel ausgeht ... Wir können vom Nichts nicht anders sprechen, als wie es unserer Erfahrung zugänglich ist. Wir erfahren das Nichts mit jedem Atemzug, denn wir erfahren dabei das Kommen und Sich-Entziehen von Zeit. Wir erfahren damit, daß wir uns in der Zeit in E. Jüngel, Gott, 16-44; 138-203, v.a. 52f. „Es bleibt über dieser absoluten Endlichkeit [des Reflexionssubjekts] und absoluten Unendlichkeit [des Begriffs der Glückseligkeit] das Absolute als eine Leerheit der Vernunft und der fixen Unbegreiflichkeit und des Glaubens, der, an sich vernunftlos, vernünftig darum heißt, weil jene auf ihre absolute Entgegensetzung eingeschränkte Vernunft ein Höheres über sich erkennt, aus dem sie sich ausschließt." (G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 294f.) 5 E. Jüngel, Gott, 203-227. 6 G. Picht, Kants Religionsphilosophie, 182. 7 A.a.O., 604f. * Dazu: G. Picht, Einheit von Kants Kritik der Vernunft; Kants transzendentale Grundlegung des Völkerrechts; Philosophie und Völkerrecht. 9 Wie sehr sich Pichts Verständnis der Modalkategorien ändert, zeigt ein Vergleich von: Kants Religionsphilosophie, 486, und: Der Begriff der Natur und seine Geschichte, v.a. 199-292.373-380. 3

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einer Schwebe über einem Abgrund befinden. Durch die Erfahrung dieses Schwebens entdecken wir die Transparenz der Zeit, die sich in allen zeitlichen Phänomenen manifestiert. Aber wofür die Zeit transparent ist, können wir nicht denken. Wir schweben über jenem Nichts des Denkens, das Kant den Abgrund der Vernunft genannt hat."10 Diese zeitphilosophische Interpretation der Rede vom .Abgrund', verbindet sich bei Picht mit einer weitgefächerten Reflexion der Darstellbarkeit (mimesis) und der Darstellungsformen dieses .Nichts des Denkens'. Sie bildet das Leitthema der Kunstphilosophie Pichts und führt zu einem Verständnis mythischer Epiphanie der Zeit. Diese mythische Epiphanie der Zeit wird der Offenbarung Gottes im Kreuz Jesu auf das Schärfste entgegengesetzt.11 Für unsere Frage ist aufschlußreich, daß Picht an versteckter Stelle die Sakramentshandlungen von Taufe und Abendmahl als Mitteilungsform des Anderen der Zeit in der Zeit ins Spiel bringt. Die singulare Bedeutung der Sakramente besteht für Picht darin, daß sie jenes Andere als Differierendes der Zeit mitteilen, ohne es zum Differenten metaphysischer .Ewigkeit' zu verfestigen: „Im Sakrament gewinnt Gestalt, was für das Denken undurchdringlich ist, und was Sprache nicht erreichen kann; dadurch entsteht überhaupt erst der Raum der Kirche. Hier stoßen wir an das Nichts des Denkens. Ich habe das nicht von außen her gesagt. Getauft werden wir auf den Tod von Christus Jesus (Rom 6,3). Ebenso unmittelbar ist das Abendmahl auf seinen Tod am Kreuz bezogen. Der Empfang der Sakramente verwandelt uns in Menschen, die wissen, daß nur im Durchgang durch den Tod, daß nur im Austritt aus der Zeit jene Wahrheit eröffnet wird, die sich in Leiden, Tod und Auferstehung des Menschen Christus Jesus bezeugt. Die Sakramente müssen Handlungen sein, weil Wort und Lehre hier zerbrechen und das Geschehen selbst, also die Geschichte, die .historia abscondita' der christlichen Kirche sich im Raum dieser Kirche ereignet. ... Sie [die Sakramente, verstanden als .Handlungen'] sind das Riff, an dem das Boot der Philosophie und aller theologischen Imitationen von Philosophie zerbricht. Eben deshalb sind sie philosophisch wichtiger als die gesamte Lehrtradition der christlichen Kirchen."12 Die skizzierte Denkbewegung Pichts ist im Ganzen fragmentarisch und in vielen Einzelaussagen unausgearbeitet und unscharf. Sie ist in ihrem Zugleich von negativistischer Metaphysik-Kritik und latent metaphysischem Verantwortungsbegriff widersprüchlich und problematisch.13 Anregend für das Verständnis von Kants abyssus dei als Verständigung über die Bedingungen von Theologie bleibt sie jedoch darin, daß sie sich in eine Tradition

G. Picht, Einleitung, 19.24. Dazu: ders., Epiphanie; Modalitäten; Glauben und Wissen. " G. Picht, Kunst und Mythos, 437.447f.523-588. 12 G. Picht, Theologie, 383f (statt Rom 6,3 versehentlich Rom 3,6 gedruckt). Vgl. Kunst und Mythos, lOf; Glauben und Wissen, 260f. 13 Zu Recht diagnostiziert M. Theunissen, Einheit im Denken, 364f, bei Picht eine „widersprüchliche Stellung zur Metaphysik ..., weil Picht Metaphysik nicht nur überwinden, sondern auch bewahren will. Wenn Metaphysik tatsächlich das in der technisch-wissenschaftlichen Welt Realität gewordene Denken ist, das alles Seiende der Subjektivität des Menschen überantwortet, dann sagt Picht gleichzeitig ja und nein zu ihr: nein nach der dem Vergangenen zugewandten, ja nach der dem Zukünftigen zugewandten Seite seiner Zeitdiagnose." 10

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stellt, die auf Schellings .Weltalter' und .Philosophie der Offenbarung' zurückreicht. In dieser Tradition wird Kants abyssos dei als negativistisches Denken schöpferischer Freiheit interpretiert. Dieser hegelkritische, negativistische Einsprang ins erfahrende Erkennen der Positivität der Namensoffenbarung kehrt in Franz Rosenzweigs,Stern der Erlösung' wieder, „dem größten Werk in der Nachfolge der Weltalter"14. Dort wird durchgeführt, was bei Picht Andeutung bleibt: der Ubergang grammatischer Analyse der Namensoffenbarung in eine eschatologische Beschreibung des Gottesdienstes und bestimmter liturgischer Zeichen als Exemplifikation und Ausdruck des göttlichen Namens, seines .Geheimnisses' oder seiner Unendlichkeit. Die Interpretation der Rede Kants vom Abgrund Gottes hat mit Jüngel und Picht zwei Interpretationstypen vor sich, die auf die idealistische Konkurrenz Hegels und Schellings verweisen. Unsere Untersuchung folgt der zweiten Linie. Sie unterstellt, daß Kants Differenz von absoluter Notwendigkeit Gottes und absoluter Kontingenz des Daseins „ein in philosophische Verwahrung genommenes konstitutives Element aus dem biblischen Schöpfungsglauben ist"; gerade in Kants Kritik des ontologischen Arguments wird erneut deutlich, daß „die Idee des ontologischen Gottesbeweises ein und vielleicht sogar das wesentliche Mal ist, das der christliche Schöpfungsgedanke dem Geist der europäischen Metaphysik zugefügt hat".15 Allerdings: Nicht die weitmaschige Frage nach Metaphysikkritik ist von Interesse, vielmehr die Frage nach den Konditionen endlicher Urteilskraft und ihrer Orientierung, die sich in der Kritik des ontologischen Arguments herausbildet, aber erst mit der Analyse reflektierender Urteilskraft ihr Thema gewinnt. Was heißt es, wenn .Gottes absolute Notwendigkeit' - die reine, aus sich anfangende Kausalität, unter deren Idee Kant die absolute Freiheit des Schöpfers zu reflektieren sucht - , sich der Vernunft als Ideal aufdrängt, dessen sie sich nicht erwehren, das sie aber auch nicht ertragen kann? Wie ist es zu verstehen, wenn Vernunft in dieser ,schwindelichten' Schwebe den absolut freien Gott in einer eigenartigen Wende sich selbst nach der Bedingung seiner Möglichkeit fragen läßt: ,aber woher bin denn ich'? Kant geht hier - nach der Kritik des im ontologischen Argument zugrundegelegten Begriffs von .Existenz' als transkategorialem Prädikat 16 - in die Rhetorik des Erhabenen über. Die Referenz an Albrecht Hallers hochgeschätzte Ewigkeitsdichtung, noch mehr aber der erhabenheitsrhetorische Topos „Abgrund" beweisen dies.17 Doch sollte man sich hüten, die Rede vom Abgrund Gottes affirmativ zu verstehen. Kant steigert durch den Kunstgriff des fiktiven göttlichen Selbstgesprächs seine argumentative Kritik zur ironischen Polemik. Der Kunstgriff, Fiktionen (oder Hypothesen) polemisch zu übersteigern, um die in Wahrscheinlichkeiten spekulierende reine Vernunft durch ihre eigene Absurdität zu

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M. Theunissen, Negative Theologie, 376 Anm. 61. H.-G. Geyer, Gedanken, 125f. Dazu: H.G. Redmann, Gott und Welt. " Dazu § 4,3. 17 Die Fülle Kantischer Bezüge auf Hallers .Unvollkommene Ode über die Ewigkeit' (1736) ist übersichtlich zusammengestellt bei: H. Heimsoeth, Dialektik, 501f Anm. 146. 15

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disziplinieren, ist in der Methodenlehre der Ersten Kritik explizit diskutiert. „Hypothesen sind also im Felde der reinen Vernunft nur als Kriegswaffen erlaubt, nicht um darauf ein Recht zu gründen, sondern nur es zu verteidigen. Den Gegner aber müssen wir hier jederzeit in uns selbst suchen. Denn spekulative Vernunft in ihrem transzendentalen Gebrauche ist an sich dialektisch. Die Einwürfe, die zu fürchten sein möchten, liegen in uns selbst. Wir müssen sie, gleich alten, aber niemals verjährenden Ansprüchen, hervorsuchen, um einen ewigen Frieden auf deren Vernichtung zu gründen. Außere Ruhe ist nur scheinbar. Der Keim der Anfechtungen, der in der Natur der Menschenvernunft liegt, muß ausgerottet werden; wie können wir ihn aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ja selbst Nahrung geben, Kraut auszuschießen, um sich dadurch zu entdecken, und es nachher mit der Wurzel zu vertilgen? Sinnet demnach selbst auf Einwürfe, auf die noch kein Gegner gefallen ist" (KrV, Β 805f; 4,658; Kursive HA).11 Ziel dieser polemischen Fiktion ist es, im metaphysischen Kriegszustand der Vernunft mit sich selbst eine Entscheidung herbeizuführen: „Die vor aller Erfahrung abgesonderte Vernunft kann alles nur a priori und als notwendig oder gar nicht erkennen; daher ist ihr Urteil niemals Meinung, sondern entweder Enthaltung von allem Urteile, oder apodiktische Gewißheit" (KrV, Β 803; 4,656). Dieses Entweder-Oder von Urteilsenthaltung und apodiktischer Gewißheit spitzt sich im ontologischen Argument definitiv zu. Trotzdem kann die Kritik dieses Arguments nicht zur Entscheidung kommen. 19 Ihr Fazit lautet: „Es mag wohl erlaubt sein, das Dasein eines Wesens von der höchsten Zulänglichkeit, als Ursache zu allen möglichen Wirkungen, anzunehmen, um der Vernunft die Einheit der Erklärungsgründe, welche sie sucht, zu erleichtern. Allein, sich so viel herauszunehmen, daß man so gar sage: ein solches Wesen existiert notwendig, ist nicht mehr die bescheidene Äußerung einer erlaubten Hypothese, sondern die dreiste Anmaßung einer apodiktischen Gewißheit... Die ganze Aufgabe des transzendentalen Ideals kommt darauf an: entweder zu der absoluten Notwendigkeit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgendeinem Dinge die absolute Notwendigkeit desselben zu finden. Kann man das eine, so muß man auch das andere können; denn als schlechthinnotwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus seinem Begriffe notwendig ist. Aber beides übersteigt gänzlich alle äußerste Bestrebungen, unseren Verstand über diesen Punkt zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu beruhigen." (KrV, Β 640f; 4,542f) Deshalb bedient sich Kant jetzt der Hypothese im polemischen Sinn. Die Schärfe dieser polemischen Ubersteigerung richtet sich in der Tat gegen Kants H.J. Iwand, Glaubensgerechtigkeit, 249, über Luthers Polemik im Sakramentsstreit: „Gehört es nicht zum Wesen des Denkens und der Lehre, daß geistige Fehlentwicklungen rechtzeitig unter die Lupe genommen werden, damit offenbar wird, um was es sich bei solchen scheinbar richtigen, harmlosen, einleuchtenden sophistischen Thesen handelt? Oft wird das den Vertretern solcher Häresien kaum bewußt sein." 19 Daß auch das kosmologische Argument auf das ontologische Argument zurückführt, zeigt Kant KrV, Β 631-640; 4,536-542, vgl. v.a. das Fazit, KrV, Β 638-640; 4,541f. 18

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eigene Theologie. In der frühen Beweisgrundschrift von 1763 findet sich eine nahezu gleich lautende Betrachtung, die bis ins einzelne als Kontrapunkt zu hören ist, zeigt sie doch die Stimme der Anfechtung, die aus der eigenen Vernunft erwächst: „Die Summe aller dieser Betrachtungen führet uns auf einen Begriff von dem höchsten Wesen, der alles in sich faßt, was man nur zu gedenken vermag, wenn Menschen aus Staube gemacht es wagen, ausspähende Blicke hinter den Vorhang zu werfen, der die Geheimnisse des Unerforschlichen vor erschaffene Augen verbirgt. Gott ist allgenugsam. Was da ist, es sei möglich oder wirklich, das ist nur etwas, in so ferne es durch ihn gegeben ist. Eine menschliche Sprache kann den Unendlichen so zu sich selbst reden lassen: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne in so ferne es durch mich etwas ist." (EMBg, A 180; 2,723ί) Die Synopse beider Stellen zeigt, daß die Kritik der reinen Vernunft die biblische Metapher des Versöhnungstagrituals meidet, deren sich die frühe Schrift bedient. Warum? Weil diese Metapher sich gegen den in die Geheimnisse des Unerforschlichen ausspähenden Blick selbst kehrt. Diese Rück-Spiegelung (Reflexion) des ausspähenden Blicks ereignet sich in der Ersten Kritik mit der in das göttliche Selbstgespräch eingefügten Frage: .Aber woher bin denn ich?' Sie ist die entscheidende polemische Pointe. Wie präzise Kant formuliert, zeigt sich daran, daß er jetzt nicht mehr nur eine geliehene menschliche Sprache für Gott sprechen läßt. Dieser Vorbehalt ist jetzt getilgt. Es reflektiert sich im Begriff des absolut Notwendigen in der Tat das Denken des Absoluten ,an und für sich selbst', die reine Vernunft in ihrer genuinen ,Natur'. ,Gott' und Vernunft, als Denken des Absoluten, werden ununterscheidbar. Es ist nämlich der „eigentümliche Grundsatz der Vernunft überhaupt (im logischen Gebrauche) ...: zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird" (KrV, Β 364; 4,318). Danach gilt, daß, „wenn das Bedingte gegeben ist, so sei auch die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben" (ebd.). Reine Vernunft fragt aufsteigend (prosyllogistisch) nach der Totalität der Bedingungen und setzt darin diese Totalität schon als gegeben voraus.20 Die vorausgesetzte Totalität der Synthesis kann auf zweierlei Weise gedacht werden (vgl. KrV, Β 389; 4,334f): Entweder wird sie in einem schlechthin aus sich selbst einsichtigen Ersten gedacht, das als solches Grund ist, also die Totalität der Bedingungen möglich macht, darin

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Vgl. KrV, Β 388; 4,334; dort auch die Unterscheidung aufsteigend-prosyllogistischer und absteigend-episyllogistischer Reihen von Vernunftschlüssen, vgl. Heimsoeth, 61-63. „Man sieht leicht, daß die reine Vernunft nichts anders zur Absicht habe, als die absolute Totalität der Synthesis auf der Seite der Bedingungen (es sei der Inhärenz, oder der Dependenz, oder der Konkurrenz), und daß sie mit der absoluten Vollständigkeit von Seiten des Bedingten nichts zu schaffen habe." (KrV, Β 393; 4,337)

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aber selbst „unabhängig von irgendwelchen kosmologischen Gründen"21 ist. Oder die ganze, unbegrenzte Reihe der Bedingungen wird selbst als die Totalität enthaltend gedacht, gesetzt auch, „daß wir niemals dahin gelangen könnten, sie zu fassen, und die ganze Reihe muß unbedingt wahr sein, wenn das Bedingte, welches als eine daraus entspringende Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll."22 Im ontologischen Argument wird zugleich über dieses Entweder-Oder entschieden, d.h. über die ,Natur' der reinen theoretischen Vernunft als Vermögen, auf Prinzipien zu schließen. Zu welcher Entscheidung führt Kants polemische Fiktion? Im fiktiven Monolog der monadischen Absolutheit, die nichts mehr außer sich hat, sondern „alles erfüllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr übrig läßt, d.i. der Realität nach unendlich ist" (KrV, Β 612; 4,524), der nur noch als innerer Monolog möglich ist, offenbart sie sich als abgründig, grundlos: „aber woher bin ich denn?" Die unausweichliche Frage nach dem Unbedingten spiegelt leer in sich zurück und läßt das Denken des Absoluten haltlos schwebend zurück: „Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden zu lassen." (KrV, Β 641; 4,543) Hegel sah in diesen Worten Kants den spekulativen Karfreitag als Moment der höchsten Idee selbst sich ereignen, um, der Bewegung des absoluten Begriffs folgend, das absolute Denken Gottes aus diesem Abgrund auferstehen zu lassen.23 Dem stellen wir eine andere Interpretation gegenüber: Kants Rede vom Abgrund Gottes zielt auf einen polemischen Begriff vom Idol. Mit den Worten das französischen Phänomenologen Jean-Luc Marion: „Er [der Vernunftbegriff Gottes] offenbart sich, aber gerade so verbirgt er sich um so mehr in seiner Eigenschaft als Spiegel, in dem der Gedanke unsichtbar die Lokalisation seines Vorstoßes so zurückerhält, daß das Unanzielbare [Gott, der die Wahrheit ist] sich von einer durch den Begriff aufgehobenen Absicht fixiert, disqualifiziert und verlassen findet."24 Für diese Lesart spricht der Zusammenhang, in dem Kants Kritik des ontologischen Arguments steht. Die polemische Fiktion Kants verortet die spekulative, nach Wahrheit fragende Vernunft in einer Schwebe, in der sie sich in allen eingeschränkten Weltwesen als Idolen spiegeln kann, - um sich mit ihrer Frage nach Wahrheit in deren Begriff fixiert, disqualifiziert und verlassen zu finden. Kant deutet diese Einsicht bereits in der Einleitung zur Kritik der Gottesbeweise an: „Diesem Begriffe [sc. des einigen höchsten Wesens, das als Urgrund aller Dinge aus sich schlechthin notwendig sei] kann eine gewisse Gründlichkeit nicht bestritten

21

Heimsoeth, z.St., 63 Anm. 88, mit Verweis auf den ontologischen Gottesbeweis und die Definition Gottes als causa sui im ersten Satz von Spinozas Ethik. 22 Ebd., Kursive HA. 23 G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 432f. 24 J.-L. Marion, Dieu sans l'etre, 26f; deutsche Übesetzung: Idol und Bild, 119f.

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werden, wenn von Entschließungen die Rede ist, nämlich, wenn einmal das Dasein irgend eines notwendigen Wesens zugegeben wird, und man darin übereinkommt, daß man seine Partei ergreifen müsse, worin man dasselbe setzen wolle." (KrV, Β 615; 4,525) Aber was könnte zu diesem Entschluß zwingen? „Es wird uns vielmehr unbenommen bleiben, alle übrige eingeschränkte Wesen eben so wohl für unbedingt notwendig gelten zu lassen, ob wir gleich ihre Notwendigkeit aus dem allgemeinen Begriffe, den wir von ihnen haben, nicht schließen können." (KrV, Β 616; 4,526) Die Schwebe der Vernunft als Vermögen, auf das Unbedingte zu schließen, in welchem Schluß es als Ideal schon vorausgesetzt ist, ist ein Zustand, in welchem sich diese Vernunft im Begriff eines jeden eingeschränkten Wesens als ihrem Idol spiegeln kann. Die mögliche Spiegelung in pluralen .Göttern' manifestiert den .wahren Abgrund', dem es nichts kostet die größte wie die kleinste Vollkommenheit verschwinden zu lassen.25 Vernunft kann ihr Bedürfnis nach absolut notwendigem Sein „als den letzten Träger aller Dinge" (KrV, Β 641; 4,543) in einer antinomischen Pluralität von Absoluta begreifen, - in deren Begriff sie sich, d.h. ihre Frage nach Wahrheit, disqualifiziert und verlassen findet. Nicht der spekulative Tod .Gottes', sondern das Leben der Götter ist Inbegriff dieser Dialektik der Vernunft. Hans-Georg Geyers pointierte These, „daß der Spitzensatz der Philosophie sub conditione der ontologischen wie der theologischen Differenz in der Frage der Gotteserkenntnis die Doppelthese von der hypothetischen Notwendigkeit und der kategorischen Unmöglichkeit eines ontologischen Gottesbeweises ... ist"26, ist noch unvollständig. Denn diese Schwebe kann zum Grund der skizzierten Dialektik werden. Wandelt sich deshalb Kants polemische Hypothese des absoluten Monologs zur polemischen Kritik? Kant läßt ja unmittelbar nach diesem Monolog das Ideal zum bloß regulativen Vernunftideal zusammenschrumpfen, das seine einzige Realität von dem, allerdings unausrottbaren, Vernunftbedürfnis nach Totalität erborgt. Geringer noch als allerlei arkane Kräfte der Natur, die von erfahrbarer Wirkung sind, aber unerforschbar bleiben, verdient diese Idee nun nicht einmal, ,unerforschlich' zu heißen. Kant verwirft hier seine eigene vorkritische Rede vom .unerforschlichen Geheimnis Gottes'. Die Kritik des intentionablen, unerforschlichen Geheimnisses eröffnet erst die Möglichkeit eines kritischen Verständnisses für das nicht-intentionable, widerfahrende Geheimnis negativer Kreatürlichkeit! Zunächst wird allerdings das vormals Unerforschliche in seiner bloßen Funktionalität restlos aufgeklärt: „Ein Ideal der reinen Vernunft kann aber nicht unerforschlich heißen, weil es weiter keine Beglaubigung seiner Realität aufzuweisen hat, als die Bedürfnis der Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden. Da es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch nicht als ein solcher unerforschlich; 25 26

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Vgl. H. Heimsoeth, Transzendentale Dialektik, 467f. H.-G. Geyer, Gedanken, 127.

vielmehr muß er [AA: es], als bloße Idee, in der Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden, und also erforscht werden können; denn eben darin besteht Vernunft, daß wir von allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sei aus objektiven, oder, wenn sie ein bloßer Schein sind, aus subjektiven Gründen, Rechenschaft geben können." (KrV, Β 642; 4,544) Diese Depotenzierung im polemischen Fortissimo glänzt - Kennzeichen götzenpolemischer Rede - durch fast satirische Obertöne.27 In dieser Redeform wird nicht weniger als die restlose Aufklärung der ideenproduzierenden Vernunft behauptet, als sei Vernunft ihrer eigenen Dialektik entkommen. Doch was legitimiert den Philosophen zu dieser polemischen Rede? Es ist eines zu behaupten, daß Kants götzenpolemische Kritik seiner eigenen Theologie von der Wahrheit biblischen Schöpfungsglaubens zehrt. Ein anderes ist es zu konstatieren, daß Kant selbst daran festhält, der Dialektik, die sich in Idolen spiegelt, durch eine kritisch geklärte Rede von der Idealität Gottes zu entkommen. Immer neue Reflexionen zur Unterscheidung eines anthropomorphistischen .Idols' vom selbstgemachten und doch anbetungswürdigen Ideal der Urteilskraft im Spätwerk belegen dies. Ein Vorgriff verdeutlicht, worum es geht: In wünschenswerter Schärfe äußert sich Kant in der späten Schrift ,Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie' (1796) zur Sache. Diese Schrift ist für Kants urteilskritische Rede vom Geheimnis zentral. In den folgenden Sätzen ist nicht nur die Postulatentheologie der Zweiten Kritik und ihre Kritik in der Methodenlehre der Dritten Kritik vorausgesetzt. Auch die Kritik der Urteilskraft mit ihrem problematischen Begriff eines übersinnlichen Substrats muß mitgehört werden: „Der transzendentale Begriff von Gott, als dem allerrealsten Wesen, kann in der Philosophie nicht umgangen werden, so abstrakt er auch ist; denn er gehört zum Verbände und zugleich zur Läuterung aller konkreten, die nachher in die angewandte Theologie und Religionslehre hineinkommen mögen. Nun fragt sich: soll ich mir Gott als Inbegriff ... aller Realitäten, oder als obersten Grund derselben, denken?" (Ton, A 41 If Anm.; 5,389) Gott als Inbegriff welthafter Realitäten in ihrer Vollkommenheit wäre „ein anthropomorphistischer Begriff, der, wenn er, wie unvermeidlich ist, ins Praktische gezogen wird, alle Religion verdirbt, und sie in Idololatrie verwandelt." (Ton, A 413 Anm.; 5,390)28 Anders jedoch, wenn die reflektierende Urteilskraft sich einen Begriff von Gott als Grund aller Realität macht: „Mache ich mir aber vom ens realissimum den Begriff als Grund aller Realität, so sage ich: Gott ist das Wesen, welches den Grund alles dessen in der Welt enthält, wozu wir Menschen einen Verstand anzunehmen

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Zu Kants Vorliebe für Satire: F. Kaulbach, Kant, 17. Zu diesem religionskritischen Begriff von Idololatrie (bzw. Fetischdienst oder Afterdienst): KU § 89, Β 439-443; 8,588-590 und RGV, Β 269-287; 7,847-859, v.a. RGV, Β 275; 7,85 If. 2>

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nötig haben (z.B. alles Zweckmäßigen in derselben); er ist das Wesen, von welchem das Dasein aller Weltwesen seinen Ursprung hat, nicht aus der Notwendigkeit seiner Natur (per emanationem), sondern nach einem Verhältnisse, wozu wir Menschen einen freien Willen annehmen müssen, um uns die Möglichkeit desselben verständlich zu machen. Hier kann uns nun, was die Natur des höchsten Wesens (objektiv) sei, ganz unerforschlich ... gesetzt sein, und doch (subjektiv) diesen Begriffen Realität in praktischer Rücksicht... übrig bleiben; in Beziehung auf welche auch allein eine Analogie des göttlichen Verstandes und Willens mit dem des Menschen und dessen praktischer Vernunft angenommen werden kann ... Aus dem moralischen Gesetz, welches uns unsere eigene Vernunft mit Autorität vorschreibt... geht nun der Begriff von Gott hervor, welchen uns selbst zu machen die praktische reine Vernunft nötigt." (Ton, A 413f Anm.; 5,390f) Die pointierte Rede vom selbstgemachten und anbetungswürdigen Gottesideal wird geradezu zum Topos Kant'scher Gottesrede. Sie ist bewußt anstößig: „Daß der Mensch keinen anderen Gott verehre, als den er sich einstimmig mit dem moralischen Gesetze macht."29 Das Ideal der Urteilskraft ist, anders als das anthropomorphe Idol, anbetungswürdig: „Die Theophanie macht also aus der Idee des Plato ein Idol, welches nicht anders als abergläubisch verehrt werden kann; wogegen die Theologie, die von Begriffen unsrer eigenen Vernunft ausgeht, ein Ideal aufstellt, welches uns Anbetung abzwingt, da es selbst aus den heiligsten von der Theologie unabhängigen Pflichten entspringt." (Ton, A 415 Anm.; 5,391) Das Gottesideal reflektierender Urteilskraft ist von begreifbarer Unbegreifbarkeit. Es wird als solches symbolisiert, etwa nach Analogie menschlicher praktischer Vernunft als göttlicher Verstand oder Wille, um darin Regeln der Urteilskraft darzustellen und zu stiften.30 In dieser Symbolisierung kann es Anbetung abnötigen. Dieses vernunftgemachte, negativ symbolisierte, anbetungswürdige Ideal eines hypothetischen göttlichen Grundes ist das Rätsel der Kant'schen Theologie. Nun hat allerdings die Idee eines hypothetischen Grundes der Urteilskraft in ihrem Vollzug genuine Orte, z.B. die Frage, wie alles .Zweckmäßige' erkannt werden könne. Es sind dies Phänomene, welche sich dem Vorentwurf von Gegenständlichkeit als mechanischer Kausalität entziehen und als selbst organisierte, kontingent Besondere unter Regeln gebracht und übersichtlich dargestellt werden wollen. Am sich von sich her darstellenden, kontingenten Besonderen entsteht die Frage nach reflektierender Urteilskraft als realer, humaner Orientierung und als transzendentaler Reflexion der Refle-

Reflexion 8101, AA 19,643; vgl. Ton, A 414f Anm.; 5,391: „Wenn daher einer von den Kraftmännern ... sagt: ,er verachte denjenigen, der sich seinen Gott zu machen denkt'·, so gehört das zu den Eigenheiten ihrer Kaste, deren Ton (als besonders Begünstigter) vornehm ist. Denn es ist für sich selbst klar: daß ein Begriff, der aus unserer Vernunft hervorgehen muß, von uns selbst gemacht sein müsse." 50 Vgl. KU § 57, KU, Β 234-245; 8,444-452 und § 59, KU, Β 254-260; 8,458-463. 29

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xion. Diese innere Polarität oder Alternanz der Urteilskraft in ihrer vollzugshaften Erkenntnis von Besonderem muß Aufschluß über das Rätsel ihrer Gottesidee liefern.

2. Humane Orientierung und Reflexion der Reflexion Daß die reflektierende Urteilskraft und ihre Gottesidee „der interessanteste Punkt des Kantischen Systems"31 sei, ist die Voraussetzung des frühen Idealismus noch in seiner fulminanten Kritik. Die theologische Rezeption der Dritten Kritik folgte dieser Vorgabe: Die Kritik reflektierender Urteilskraft gilt als Ubergang zum frühen Idealismus.32 So rücken jene Textstücke der Dritten Kritik ins Zentrum, die eine spekulative Theorie von Urteilskraft indizieren. Es ist zunächst die (Zweite) Einleitung, welche die Einheit der Urteilskraft in ihren verschiedenen Urteilstypen darzulegen sucht und in der Idee des übersinnlichen Substrats den Übergang zwischen Naturbegriff und Freiheitsbegriff ermöglicht sein läßt. In der reflektierenden Urteilskraft finde Kant, so Hegel, „die Region der Identität dessen, was in dem absoluten Urteil ... Subjekt und Prädikat ist", die Identität, welche „allein die wahre und alleinige Vernunft ist".33 Es sind sodann jene ^Anmerkungen' der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft (KU, § 57), welche die dreifach differenzierte Idee des übersinnlichen Substrats als inexponible ästhetische Idee und als indemonstrable Vernunftidee bestimmen. Gerade durch die Feststellung der Inadäquanz von formaler Anschauung und begrifflichem Verstand gewinnt der Begriff der symbolischen Darstellung der Vernunftidee durch die Einbildungskraft (KU, § 59) Bedeutung. Das Schöne als Symbol des Sittlichen ermöglicht den Übergang von Natur- zur Freiheitswelt. Mit der Frage nach Ermöglichung dieser Symbolisation sieht der Geschmack auf das Intelligibele hinaus, „wozu ... selbst unsere oberen Erkenntnisvermögen [sc. Verstand, Urteilskraft und oberes Begehrungsvermögen] zusammenstimmen, und ohne welches zwischen ihrer Natur, verglichen mit den Ansprüchen, die der Geschmack macht, lauter Widersprüche erwachsen würden. In diesem Vermögen [des Geschmacks] sieht sich die Urteilskraft nicht, wie sonst in empirischer Beurteilung, einer Heteronomie der Erfahrungsgesetze unterworfen: sie gibt in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz, so wie die Vernunft; es in Ansehung des Begehrungsvermögens tut; und sieht sich, sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen verknüpft ist, bezogen, in

51 G . W . F . Hegel, Glauben und Wissen, 322; F.W.J. Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie oder Über das Unbedingte (1795), Ausgewählte Schriften 1, 122-132. H.-F. Fulda/R.-P. Horstmann, Hegel und die .Kritik der Urteilskraft'. 32 Die Rezeptionsgeschichte der Dritten Kritik skizzieren F. Kaulbach/V. Gerhardt, Kant, 98-102. 33 G . W . F . Hegel, Glauben und Wissen, 322.

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welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen, auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird." (KU, Β 258f; 8,461) In der Kritik der teleologischen Urteilskraft gewinnt schließlich jenes Intelligible spekulative Bestimmbarkeit, vor allem in den § 76 und 77 der Kritik teleologischer Urteilskraft. Es wird reflektiert als Idee eines intellektuell anschauenden, urbildlichen Verstandes, in dem Möglichkeit und Wirklichkeit, absolute Freiheit und Handlungskontingenz, Mechanismus und Teleologie als identisch zu denken sind. Aber nur als für sie selbst unerkennbare Idee der Urteilskraft kann diese höchste Idee eines absolutnotwendigen Wesens den scheinbar kontingent gelingenden Vollzug von Urteilskraft ermöglichen. Erst in der Ethikotheologie der Methodenlehre der Dritten Kritik gewinnt diese Idee, die zunächst nicht theologisch eingeführt wird, explizite subjektive Bestimmung als Gott moralischen Glaubens.34 Die spekulative Einheit der Urteilskraft in ihren Typen und Phänomenen, ihre Ermöglichung in der differenzierten Idee des übersinnlichen Substrats, welches die Differenz von .Außen' und .Innen' und damit den Ubergang von Natur in Freiheit vermittelt, schließlich die theologische Bestimmung dieser Idee bilden jenen Fragenkomplex, der die frühidealistische Kritik anstößt. Die folgende Interpretation setzt anders an. Genauer: Sie verfährt im Gegenzug dazu. In theologischer Hinsicht ist die Analyse der Urteilskraft dort am interessantesten, wo sie sich als entdeckende Analyse aus (ästhetischen) Beispielen aufbaut, ansetzend beim noch nicht transzendental exponierten Gefühl der Lust und transzendentaltheologisch .interesselos'. Das Folgende ist also ein Versuch, die Vielschichtigkeit reflektierender Urteilskraft freizulegen.35 Die der Transzendentaltheorie querlaufenden Einsichten der Dritten Kritik sollen als theologische Chance begriffen werden. In drei Schritten wird der Begründungsaufbau der Dritten Kritik gleichsam abgetragen: In diesem Abschnitt (§ 4,2) wird der Fortschritt vom ästhetischen zum teleologischen und ethikotheologischen Urteilen rekonstruktiv skizziert und zugleich Aporien einer einheitlichen Theorie der Urteilskraft verzeichnet, welche die ,nicht-transzendentale' Lesart motivieren. Im nächsten Abschnitt wird mit dem Problem göttlicher Existenz die theologische Aporie der transzendentalen Theorie der Urteilskraft skizziert und ebenfalls nicht-tran-

Dazu Hegels vernichtendes Schlußurteil: Glauben und Wissen, 327f. Die Erste Einleitung nennt vier unterschiedliche Funktionen reflektierender Urteilskraft, mit denen sich jeweils ein eigener Begriff von transzendentaler Zweckmäßigkeit verbindet: (1) Die Integration der Mannigfaltigkeit empirischer Erkenntnisse zu logischen Systemen. Vorausgesetzt ist dabei, daß die Natur als Inbegriff der gesetzmäßig verknüpften Erscheinungen die Hervorbringung solcher Systeme zuläßt. (2) Die Beschreibung der vorkommenden Erscheinungen, um empirische Gattungs- und Artbegriffe zu bilden. Voraussetzung ist, daß Natur eine solche Einteilung getroffen habe. (3) Die Erfassung und Beschreibung einzelner Naturformen als Organismen bzw. Funktionszusammenhänge. Vorausgesetzt ist ein reales System in einem existierenden Objekt. (4) Die ästhetische Urteilskraft, die an einem einzelnen Gegenstand eine Zweckmäßigkeit ohne bestimmten objektiven Zweck wahrnimmt, aber nur für das Auffassungsvermögen des Subjekts (vgl. J. Kulenkampf, Logik, 52f). 34 35

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szendental gelesen. Der abschließende Abschnitt hebt Aspekte ästhetischer Urteilskraft hervor, die auch für ein Verständnis von Hoffnung als einem nicht-transzendentalen Sinn und Gefühl von bleibender Bedeutung sind. Die Kritik reflektierender Urteilskraft antwortet auf die offene Frage nach Hoffnung als einer geschöpflichen und in diesem Sinne: moralischen Urteilspraxis. Diese These Gerhard Krügers ist ein Erbe, das kritisch anzutreten ist. Krüger siedelt den Anlaß zur Kritik der Urteilskraft im Phänomen des .Besonderen' an, und zwar im Besonderen als desjenigen Allgemeinen, das von der Kontingenz des Einzelnen nicht zu trennen ist. Manifest werde dies in der unableitbaren und unabschließbaren, gleichwohl wissenschaftlich darstellbaren Systematik besonderer empirischer Naturgesetze. Erklärungsbedürftig sei also die Tatsache der gesetzesfähigen Erkenntnis besonderer Naturphänomene und ihre Systematisierbarkeit zu empirischen Naturgesetzen. Hier kann Vernunft als bestimmende Urteilskraft nicht mehr einfach der Natur die Gesetzesform vorschreiben.36 Es ist aber darüber hinaus das Besondere in der Kontingenz seiner Selbstorganisation, das jetzt erst zum Problem wird.37 Wie kann dieses Andere der Vernunft, das sich darstellt und mitteilt, erkannt werden und apriori als erkennbar bestimmt werden? Das Angeschaute als Wirkliches und Besonderes, das erkannt wird kraft seines Gedachtseins, ist im Hinblick auf sein Erkanntsein zufällig, denn das Erkennen begründet es nicht als Wirkliches. Diese Zufälligkeit ist Ausdruck der Verfassung des Verstandes, seinen Objekten nicht dadurch, daß er sie hervorbringt, auch schon Wirklichkeit verleihen zu können; das bedeutet umgekehrt, „daß der Verstand, der Wirkliches, d.h. von sich Verschiedenes erkennen will, dieses in dessen Charakter der Zufälligkeit muß erkennen können."38 Kant geht in der Dritten Kritik hinter die Zweistämmigkeit der Erkenntnis zurück, sofern er das Zusammenstimmen von Anschauung und Begriff im

36 Basis dieser These ist die Zweite Einleitung der KU, v.a. Abschnitte 4 und 5 (KU, Β XXV-XXXVni; 8,251-260). Krüger setzt also bei der erstgenannten Funktion der Urteilskraft an. Dazu bereits: KrV, Β 670-693; 4,563-579 (vgl. J. Kulenkampff, Logik, 52; vgl. 219f Anm. 8). 37 Dazu: KU § 64, KU, Β 284-288; 8,480-483. Der eigentümliche Charakter der Dinge als innerlich zweckmäßig, als Naturzweck zeigt sich darin, daß sie nur verstanden werden können, wenn ihnen Selbsthervorbringung durch rekursive Selbstorganisation als Beurteilungsprinzip supponiert wird: Jiin organisiertes Produkt der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist" (B 295f; 8,488). Naturzweck ist es, „wenn es von sich seihst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung ist" (KU, Β 286; 8,482). Es ist die Zufälligkeit der Form eines Dings in Beziehung auf die (theoretische) Vernunft, die dazu führt, der Hervorbringung dieses Dings selbst (teleologische) Vernunft (Wille) zu supponieren. 311 W. Bartuschat, Ort, 207 (Kursive HA), vgl. 91. Zu Recht betont Bartuschat, daß dieses Problem über die Analyse der heuristischen, theorieentwerfenden reinen Vernunft im hypothetischen Gebrauch hinausgeht, wie sie in der Methodenlehre der Ersten Kritik geboten wird: Das Kontingenz-Problem ist im Rahmen der doktrinalen Philosophie kein Thema!

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triftigen Urteil nicht mehr nur voraussetzt, sondern in seiner Ermöglichung zu explizieren trachtet. Die reflektierende Urteilskraft soll als jenes Vermögen aufgehellt werden, das sich durch sich, durch sein transzendentales Prinzip der Zweckmäßigkeit, dazu bestimmt, vom besonderen, sich selbst organisierenden und darstellenden Außen her bestimmt zu werden.39 Sie läßt dieses Besondere so begegnen, daß es im Zusammenspiel der Vermögen als zweckmäßig für Vernunft erkannt werden kann. Das nicht nur wissenschaftstheoretische, sondern ontologische Problem des kontingenten Besonderen wäre, folgte man Krüger, schöpfungsphilosophisch zu entziffern: Die Urteilskraft kann nicht umhin, die systematische Ordnung des gegebenen Besonderen auf einen Verstand zurückzuführen. Doch dieser Verstand soll der göttliche sein. Die besonderen Gesetze müssen „nach einer solchen Einheit betrachtet werden, als ob gleichfalls ein Verstand (wenngleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte" (KU, Β XXVII; 8,253). „So beruht die Möglichkeit der konkreten Erfahrung auf der Autonomie' Gottes. Die Phänomenalität ist die für uns .zweckmäßige', uns verfügbare .Seite' der theologischen Noumenalität der Welt. Faktisch bedeutet diese Seinserkenntnis ein Hinnehmen des von Gott gegebenen Seins ... [Sie] erfordert faktisch den Begriff eines rezeptiven Verstandes, des Denkens als einer Ein-Sicht. ™w Aber dieser affirmativen Schöpfungsphilosophie verweigert sich Kant zu Recht: Seine naturwissenschaftlich orientierte methodologische Reflexion anerkennt nur Kontingenz des Einzelnen bzw. Existenz als Position. Es bleibt auch in der Dritten Kritik unmöglich, ein Besonderes als an ihm selbst teleologisch oder zweckbestimmt zu supponieren. Formale Zweckmäßigkeit kann nur ein transzendentales Prinzip der reflektierenden Urteilskraft sein, ein Gesetz, das diese sich selbst vorschreibt, ohne es zugleich objektiv gültig setzen zu dürfen. Der Eindruck, als habe das transzendentale Prinzip der Urteilskraft nur forschungsheuristischen Sinn, entsteht nicht von ungefähr. Hier liegt in der Tat der Zwiespalt der Dritten Kritik: „Der rätselhafte Ausdruck .Heautonomie', der die Methodik der ganzen .Kritik der Urteilskraft' beherrscht, drückt daher die Aporie der Kritik aus: den bleibenden Widerstreit zwischen ihrer Sache und ihrem Selbstverständnis."41 Diesem Widerstreit zwischen Schöpfungsphilosophie und Methodologie gilt es nachzuspüren. Die Frage nach kreatürlicher Urteilskraft verkompliziert sich dadurch lehrreich. Die besonderen, selbstorganisierten und sich dem Erkennen darstellenden und mitteilenden Naturformen indizieren exemplarisch, daß ihre Beschreibung und gesetzmäßige Systematisierung nicht nur in der Spontaneität der 39

Zum Terminus .transzendentales Prinzip': KU, Β XXIX; 8,254; zum Begriff .Heautonomie', Erste Einleitung KU, Η 32; 8,203. 40 G. Krüger, Maßstab, 266. 41 G. Krüger, Maßstab, 267.

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sich im Zusammenspiel ihrer Vermögen mit sich identifizierenden Vernunft ermöglicht sein kann.42 Wie läßt sich dann das gelingende Urteil beschreiben? Das ist die Frage, die in der Dritten Kritik gestellt wird, aber keine eindeutige Antwort erhält. Der Begriff des Naturzwecks birgt „in sich den doppelten Gedanken des Bestimmtseins und des Nicht-Bestimmtseins des Besonderen durch die Urteilskraft"43. Die Position des gegenstandskonstitutiven Bezugs des Urteils ist von der Negation dieses Bezugs begleitet: Das teleologische Urteil setzt das Bewußtsein einer latenten Bestimmung des Besonderen durch die Urteilskraft voraus. Es ist aber zugleich Reflex einer Bestimmtheit des Urteils durch das an sich selbst bereits bestimmte und sich als solches mitteilende Besondere. Bestimmt also die teleologische Urteilskraft letztlich die Gegenständlichkeit ihrer Gegenstände kraft ihrer Spontaneität, doch so, als ob nicht sie es wäre, die sie bestimmt? Oder widerfährt der teleologischen Urteilskraft die noumenal-.kreatürliche' Zweckmäßigkeit ihrer spezifischen Gegenstände als ob sie es wäre, die sich als .Zwecke an sich' begegnen läßt? Das Argument für die zweite Antwort kann bei der Selbstzweckformel der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ansetzen: Kant problematisiert die Erkenntnis besonderer, als zweckmäßig .gegebener' Naturformen, um die Möglichkeit noumenaler Geschöpflichkeit zu eröffnen. Das Geschäft der Vernunftkritik setzte nämlich, um in Gang zu kommen, die Überschreitung der mechanistischen Weltansicht durch die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich voraus. Es ist die Leistung der Urteilskraft, diese Unterscheidung für den Ubergang von Natur zu praktischer Freiheit zuzubereiten. Urteilskraft setzt dazu ihrerseits das praktische Wissen um die .Selbstzwecklichkeit' alles Seienden voraus. Die Zweite Formel des kategorischen Imperativs formuliert diese .Selbstzwecklichkeit' für die Menschheit: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest." (GMS, Β 66f; 6,61) Die Rede vom Dasein des Menschen (bzw. der Vernunftnatur) als „Zweck an sich" (GMS, Β 64; 6,59) ist als sich selbst begrenzendes, negatives Wissen um seine Kreatürlichkeit zu interpretieren. ,Zweck an sich', so pointiert Kant, müsse „hier nicht als ein zu bewirkender, sondern selbständiger Zweck, mithin nur negativ gedacht werden" (GMS, Β 82; 6,71). Er gilt als Zweck, „dem niemals zuwider gehandelt, der also niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck in jedem Wollen geschätzt werden muß. Dieser kann nun nichts anders als das Subjekt aller möglichen Zwecke selbst sein, weil dieses zugleich das Subjekt eines möglichen schlechterdings guten Willens ist." (Ebd.)44

J. Simon, Reflektieren, 379f, betont den Beispielcbarakter der organisierten Körper. K. Marc-Wogau, Studien, 21. Zum Programm dieser dialektischen Analyse Marc-Wogaus, Vmf und 31f. 44 Die Voraussetzung, die hier gemacht ist, benennt Ernst Tugendhat recht präzise: Das Argument, „nicht über sich .disponieren' zu dürfen, muß auf diejenigen überzeugend wirken, 42

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Der kategorische Imperativ zwingt zum Respekt vor der Menschheit in der eigenen und anderen Person als Zweck an sich. Dieser negative, praktische Respekt fungiert als Typus45: „Was der Rechtsanspruch des Menschen objektiv verständlich, aber auch nur verständlich ... macht, das wird in der bewundernden Betrachtung der geschaffenen Natur fühlbar ... Hat man einmal in der zweiten Formel des Imperativs die bloß typische Bedeutung der Menschheit für die Moralität erkannt, dann wird die ganze Kritik der Urteilskraft zum nachträglichen Kommentar für diesen Abschnitt. Die Natur als Schöpfung und in ihr die Natur des Menschen als des letzten Zweckes macht dann das Sittengesetz als das übersinnliche Substrat der ganzen Zweckordnung bestimmbar ... Die Natur belehrt insgesamt durch die Schönheit das Gefühl, durch den Anspruch des Menschen (als ihres letzten Zweckes) im Recht auch den Verstand. .Sieh die Schöpfung an und mache deine natürliche Bestimmung im moralischen Gehorsam wahr': so könnte man die zweite Formel umschreiben."46 Im erweiterten, ästhetischen und teleologischen Urteilen, gewinnt der Mensch, der moralisch existiert, Zugehörigkeit zur Welt, die ihre Kreatürlichkeit für ein negatives, praktisches und momentanes .Wissen' oder kognitives Gefühl anzeigt. „Die Schöne[n] Dinge zeigen an, daß der Mensch in die Welt passe und selbst seine Anschauung der Dinge mit den Gesetzen seiner Anschauung stimme."47 Jetzt zeigt sich, was reflektierende Urteilskraft als praktische Orientierung in humaner Hoffnung leisten sollte: Die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding, die der Verstand der Ersten Kritik trifft, gewährleistet nur, daß Freiheit und Freiheitswelt überhaupt vorausgesetzt werden können, ohne daß die Antinomie der Vernunft droht. Die praktische Vernunft bestimmt das .übersinnliche Substrat in uns', den intelligiblen Charakter des Willens, durch den kategorischen Imperativ. Sie würde aber mit der Idee des Höchsten Gutes, falls sie durch diese Idee das .übersinnliche Substrat außer uns' dogmatisch bestimmen wollte, in einen dialektischen Welt-Begriff zurückfallen.48

die christlich denken, und zweifellos hat das auch Kant getan. Aber man muß bezweifeln, daß sich das christliche Argument, daß mein Leben mir von Gott gegeben ist und ich daher nicht frei darüber verfügen darf, noch einen Sinn behält, wenn es säkularisiert wird. Man sieht hier, daß Kant faktisch mit einem schillernden Begriff von .Zweck an sich' operiert" (E. Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 154). 45 Typus ist der „Begriff des [moralischen] Gesetzes selbst, insofern er ein .Reich' oder eine .Welt' definiert" (L.W. Beck, Kommentar, 154). 46 G. Krüger, Moral, 98. 47 Reflexion 1820a, AA 16. 127 (Konjektur HA). 4 " „Der Verstand gibt, durch die Möglichkeit seiner Gesetze a priori für die Natur, einen Beweis davon, daß diese von uns nur als Erscheinung erkannt werde, mithin zugleich Anzeige auf ein übersinnliches Substrat derselben; aber läßt dieses gänzlich unbestimmt. Die Urteilskraft verschafft durch ihr Prinzip a priori der Beurteilung der Natur, nach möglichen besonderen Gesetzen derselben, ihrem übersinnlichen Substrat (in uns sowohl als außer uns) Bestimmbarkeit durch das intellektuelle Vermögen. Die Vernunft aber gibt eben demselben

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Reflektierende Urteilskraft soll daher als Vermögen des sich vollziehenden Übergangs zwischen dem moralischen Gehorsam und seiner genuinen Handlungswelt vermitteln.49 Das Urteilen vollzieht an Beispielen eine Bewegung, die für Hoffen als praktisches Wissen Platz schafft, indem sie die Differenz zwischen intelligibler Freiheit und Handlungswelt als Differenz füreinander bestimmbar macht. Dazu reflektiert sie beide als in einem übersinnlichen Substrat gegründet. Genauer: Sie reflektiert beide als in ihrem übersinnlichen Substrat gegründet. Die Idee des übersinnlichen Substrats ist für die reflektierende Urteilskraft das Von-Woher ihres eigenen exemplarischen Vollzugs als praktisches Wissen der Hoffnung. Indem sie so diesem ihrem übersinnlichen Substrat Bestimmbarkeit verschafft, macht sie das übersinnliche Substrat in uns sowohl als außer uns bestimmbar, ohne es zu bestimmen. Das Ideal eines Grundes alles Zweckmäßigen gewinnt genau an dieser Stelle seine neue Funktion. Ihr übersinnliches Substrat reflektiert die Urteilskraft als Grund alles Zweckmäßigen, um es hernach ethikotheologisch zu bestimmen. „Auf dieses übersinnliche Substrat führt die K.d.U. hin als etwas, das anzunehmen die Urteilskraft gezwungen wird, wenn sie erklären will, wie eine Beziehung von Gliedern, die unter der ausdrücklichen Bedingung der Heterogenität der Glieder steht, möglich sein kann. Sie führt darauf hin als auf eine notwendige Annahme, ohne erklären zu können, wie die Glieder im Ubersinnlichen gründen, und damit auch ohne erklären zu können, wie das übersinnliche Substrat die geforderte Beziehung ermöglicht."50 Die Hinführung zum übersinnlichen Substrat der Urteilskraft geschieht in einer Weise, daß es als Grund lediglich bestimmbar wird. Dazu reflektiert sich die Urteilskraft an sich selbst als abhängig von dieser Idee eines Grundes. Vom Grund kann aber nur in dieser indirekten Weise, als Reflexion der Reflexion, die Rede sein. Der berühmte § 76 der Dritten Kritik, in dem die Urteilskraft dem übersinnlichen Substrat Bestimmbarkeit als ihrem Grund, oder besser: als VonWoher ihres Begründetseins verschafft, hat die Gestalt einer episodischen Erläuterung und bloßen Anmerkung. „Vielleicht aber sind nie auf so wenigen Blättern so viele tiefe Gedanken zusammengedrängt worden, als in der Kritik der teleologischen Urteilskraft §.76. geschehen ist."51 Die Gestalt einer episo-

durch ihr praktisches Gesetz a priori die Bestimmung; und so macht die Urteilskraft den Ubergang vom Gebiete des Naturbegriffs zu dem des Freiheitsbegriffs möglich." (KU, Β LV-LVI; WW 8,272) 49 Genauer noch: Urteilskraft vermittelt den Ubergang in heautonomer Reflexion. „Die Pointe ist ... die, daß die Kritik der Urteilskraft einen Ubergang von dem einen [theoretischen] Teil der Philosophie zum anderen [praktischen] und damit eine Verbindung zwischen beiden dadurch ermöglichen soll, daß sie die Möglichkeit des Ubergangs, die für jeden der beiden Teile problematisch ist, selbst thematisch macht." (W. Bartuschat, Ort, 249) 50 W. Bartuschat, Ort, 256. 51 F.W.J. Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795), Ausgewählte Schriften 1, 132 Anm. 1.

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dischen Erläuterung ihres Vollzugs ist charakteristisch für die Art und Weise, in der die reflektierende Urteilskraft ihrem Von-Woher allein Bestimmbarkeit verschaffen kann. Sie unterbricht sich selbst, sie unterbricht ihre auf bestimmte, einzelne Naturformen angewiesene Reflexion und wird zur Metareflexion auf diesen Vollzug. „Die Urteilskraft ist in ihrem Vollzug nicht auf das übersinnliche Substrat bezogen; erst die Reflexion auf die dem Vollzug selbst nicht bewußten Bedingungen der Möglichkeit von ihm führt auf das übersinnliche Substrat hin. Gleichwohl gelangte die Reflexion nicht zum übersinnlichen Substrat, gäbe es nicht einen Vollzug, auf den sie reflektiert. Denn er ist es, der im ästhetischen Urteil eine Leistung vollbringt, in deren Folge das Gefühl der Lust auftritt als der Index dafür, daß in dieser Leistung eine Zusammenstimmung von heterogenen Gliedern gelingt. Dieses Gelingen hat das übersinnliche Substrat zur unabdinglichen Voraussetzung, die in dem Akt, dem es gelingt, jedoch unthematisch ist." 52 Der beispielgebundene Urteilsvollzug unterbricht sich durch die Frage nach dem Grund seiner Möglichkeit. Die reflektierende Urteilskraft setzt also gleichsam die Überraschung ihrer eigenen Wirklichkeit, ihres Gelingens voraus, um sie dann in ihren Möglichkeitsbedingungen zu erläutern. Sie nimmt die Struktur einer sukzessive sich in ihrer Möglichkeit entdeckenden Selbstanalyse an. Der Ausgang v o m widerfahrenden Gefühl der Lust ist damit ebenso vereinbar, wie der episodische Charakter der Einsicht in das eigene Begründetsein. Wolfgang Bartuschat hat diese Interpretation des systematischen Orts der Kritik der Urteilskraft vorgeschlagen. Sie gilt ihm als Begründung der Reflexionstheorie ohne Letztbegründung: „daß das Subjekt in der Bestimmung eines Zufälligen sich selbst bestimmt, indem es an sich ein Vermögen erfährt, von dem es unabhängig von jenem Akt des Bestimmens nicht schon wußte, ist durch die in den beiden anderen Kritiken vorgestellten Vermögen des reinen Verstandes und der reinen Vernunft nicht begründbar. Das urteilende Subjekt soll ein Verständnis von sich erst erlangen in einem Vollzug, der solches in sich aufnimmt, das nicht von einem schon Bekannten her gedacht wird. ... Im Auftreten eines Gefühls der Lust, bei dem das Subjekt sich fühlt und darin an sich etwas erfährt, nämlich daß ihm etwas gelungen ist, das eigens glücken muß, weil es nicht schon von vornherein auf das Vermögen des Subjekts bezogen ist, erweist sich die reflektierende Urteilskraft als besonderes Vermögen, das angenommen werden muß als Grund dieses Gefühls. In diesem Vermögen ist die Weise des Reflektierens ästhetisch, denn sie stellt einen Vollzug dar, der sich selbst genügt und nicht an einem Telos orientiert ist, im Hinblick auf das das anschaulich Gegebene zu beurteilen wäre."53 Die beanspruchte Allgemeingültigkeit des ästhetischen Gefühls führt zur Frage nach dem zugrundeliegenden transzendentalen Urteilsgrundsatz, der allein verbürgt, daß das Gefühl nicht nur empirisch-subjektiv ist. Die Kritik der ästhetischen Urteilskraft formuliert in ihrer Selbstreflexion dieses Prinzip aber noch rein subjektiv und formal. Erst die Analyse der

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W. Bartuschat, Ort, 259. W. Bartuschat, Ort, 240.

teleologischen Urteilskraft vollzieht eine Wendung zum Objekt: Sie bringt die Bestimmtheit der Natur in ihrer Unabhängigkeit und Bezogenheit zum urteilenden Subjekt hinzu, manifest in den zweckhaften Naturformen. Das teleologische Urteil nötigt zum Überschritt vom ästhetischen, rein subjektiven, transzendenzlosen Vollzug zum Hinblick auf eine als Zweck auftretende Idee, von der aus erst ein mögliches Können des Subjekts in Ansehung einer kontingent-besonderen Naturform begründbar wird. Das Lustgefühl ist jetzt nicht mehr konstitutives Moment der teleologischen Urteilskraft, weil sie den zureichenden Grund für das Auftreten eines solches Gefühls angeben will. Jetzt wird nach Bedingungen der Möglichkeit des Gelingens des Urteilsbezugs gefragt. Das Gelingen wird also nicht mehr nur als Widerfahrnis vorausgesetzt, sondern in seiner Begründung aufgehellt. Die sachlich notwendige Abfolge einer Analyse ästhetischer und teleologischer Urteilskraft resultiert - so verstanden - nicht aus einer heterogenen Kombination verschiedener Urteilstypen und Gegenstandsbereiche, sondern aus der zu liefernden Begründung für die Urteilskraft als heautonomes Vermögen. Das ästhetische und teleologische Urteilen stehen für verschiedene Betrachtungsweisen, welche die Möglichkeit einer reflektierenden Urteilskraft, die als transzendentale auftreten will, erweisen sollen; „einmal eine Betrachtung, die die Urteilskraft von innen faßt, als sich vollziehendes besonderes Vermögen, zum anderen eine Betrachtung, die auf den Vollzug dieses besonderen Vermögens reflektiert, um diesen in dem zu fassen, was er ist, und darin anders als wie ihn dieses Vermögen weiß, nämlich auf Strukturmomente hin"54, die auf dem Standpunkt ästhetischer Urteilskraft noch verschlossen bleiben. So gesehen zielt die Dritte Kritik weit über eine Typologie bestimmter Urteilsformen hinaus, nämlich auf eine Theorie der Urteilskraft, welche das Problem der Externität und der Begründung des Urteilens, zumindest im Rahmen der Reflexionstheorie, abschließend präzisiert. Die Argumente für eine einheitliche Theorie der Urteilskraft in der Dritten Kritik 55 müssen allerdings Urteilskraft als ins exemplarische Phänomen versenkte Einzelreflexion mit Urteilskraft als Reflexion der Reflexion als konsistent vermittelt denken. Doch ob diese Vermittlung in der Dritten Kritik gelungen ist, bleibt die Frage. Urteilskraft, die sich selbst als Reflexion ihrer Reflexion versteht, bildet das eigentliche Problem der Dritten Kritik. In der Reflexion ihrer Reflexion setzt sich Urteilskraft das übersinnliche Substrat als regulatives Prinzip ihres Vollzugs voraus56, also die Idee eines übersinnlichen Grundes. Sie ist es, welche die Idee dieses Grundes bestimmbar macht, indem sie ihn nun unter der Analogie eines intuitiven Verstandes oder eines schöpferischen Willens denkt. Sie ist es, die diese Idee als absolutes Sein und absolute Freiheit zu denken vorgibt, ohne sie zu erkennen. Die Urteilskraft des § 76 ist diese metareflexive Urteilskraft. Mit ihrem Zwiespalt stellen sich entscheidende Probleme:

54

W. Bartuschat, Ort, 243. Bartuschats vorbildlich klare Analyse steht exemplarisch für eine Reihe weiterer Versuche in der Kantphilologie der letzten 30 Jahre. Dazu F. Kaulbach/V. Gerhardt, Kant, lOOf. 56 Vgl. KU, Β 342.343.344 (8,520.521.522); weiterhin KU, Β 345 (8,522). 55

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Einerseits ist offensichtlich, daß die metareflexive Urteilskraft ihrer Idee eines übersinnlichen Substrats - also der Idee Gottes als absoluter Notwendigkeit oder als absolut wirksamer Freiheit oder als intellectus archetypus wirklich nur Bestimmbarkeit als einer regulativen Idee verschaffen will.57 Diese Idee soll allein für den reflektierenden Gebrauch der Urteilskraft in ihrer Vermittlung von Anschauung und Verstand unter der Bedingung der Zweistämmigkeit menschlicher Erkenntnis gelten. Sie bleibt für diese Erkenntnis ansonsten ein „unerreichbarer problematischer Begriff" (KU, Β 341; 8,519). Der phänomenorientierte Vollzug der reflektierenden Urteilskraft bedarf der ständigen Konfrontation der Idee eines vollständigen Bestimmtseins des Besonderen durch einen Verstand überhaupt mit dem faktischen Nicht-Bestimmtsein des Besonderen als Zufalligen. Vernunft setzt dazu für die Urteilskraft die Idee eines Verstandes voraus, der als intuitiver intellectus archetypus zu denken ist. Nur die spezifische, exemplarische Erschließungskraft der Urteilskraft im Vollzug verschafft der darin vorausgesetzten Idee Bestimmbarkeit - als absolute Notwendigkeit oder als absolut wirksame Freiheit oder als intellectus archetypus, in dem Mechanismus und Teleologie koinzidieren. Die Erkennbarkeit der Idee an sich für einen intuitiven Verstand impliziert keine Erkenntnis für uns, für den endlichen, humanen, diskursiven Verstand (KU, Β 367; 8,537). Ja, für diese Idee, sofern sie in ihrem Ansichsein gedacht wird, muß nicht einmal eine transzendentale Möglichkeit nachgewiesen werden. Es genügt die bloß logische Nicht-Widersprüchlichkeit zu zeigen. Sie ist dadurch gewährleistet, daß die Zufälligkeit des diskursiven menschlichen Verstands keinen Widerspruch enthält. Ein anderer intuitiver Verstand ist an sich denkbar, wenn auch nicht für uns erkennbar. Aber wenn teleologische Urteilskraft in ihrem Vollzug leistet, was sie als transzendentales Vermögen leisten sollte, so kann es nicht bei bloßer Bestimmbarkeit ihres übersinnlichen Substrats bleiben. Impliziert ist vielmehr die Erkenntnis des Absoluten als Grund. Darin zeigt sich die andere Seite der Urteilskraft: Urteilen als eine Reflexion der Reflexion ist ein latentes apriorisches Bestimmen. In dieser Ambivalenz gründet nicht nur der Widerspruch zwischen einem schwachen', heuristischen Verständnis teleologischer Kausalität und ihrem .starken', realistischen Verständnis im Begriff des Naturzwecks.58

57

Vgl. KU § 77, Β 345; 8,522. Zur unklaren Unterscheidung von Bedingtsein durch die Zweckvorstellung (Idee des Ganzen) und Bestimmtsein durch den Zweck (das Ganze): KU, Β 291; 8,485; KU, Β 349f; 8,525. Dazu insgesamt die ausgezeichnete Analyse von K. Marc-Wogau, Studien, 225-239 und deren Fazit (238f): „Sofern aber über die Realität dieses übersinnlichen Grundes nicht entschieden werden kann, sofern also die eigenartige Bestimmtheit der Organismen nicht mit Sicherheit auf diesen Grund als etwas Reales zurückgeführt werden kann, muss sie der mechanischen Verknüpfungsart widersprechen. Die Annahme der Gültigkeit des Mechanismus für alle Naturprodukte ist dann nur aufrechtzuhalten, wenn man der angegebenen Bestimmtheit der Organismen objektive Gültigkeit abspricht. Zu dieser letzteren Alternative scheint Kant hinüberzugleiten". 58

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Am Grund dieser Unentschiedenheit über das Verhältnis von Mechanismus und Teleologie zeigt sich vielmehr die ungeklärte Relation von exemplarischer Reflexion und apriorischer Bestimmung in der reflektierenden Urteilskraft, eine .Dialektik', die im unentschiedenen Status der Idee eines übersinnlichen Substrats als dem ,allerrealsten Wesen' manifest wird. Diese Aporie der Urteilskraft als Reflexion der Reflexion interpretieren wir nun als Hinweis, gegenläufig zum Aufbau der Dritten Kritik nach jenem nicht-apriorischen Urteilen zurück zu fragen, das sich im Widerfahrnis des besonderen Anderen, also im kognitiven Gefühl des Geschmacks entdeckt. Aus der Not soll also eine Tugend werden: Urteilskraft als Reflexion der Reflexion liefert mit ihrem Ideal keine transzendentale Begründung, vielleicht aber eine heuristische Hypothese, um an Beispielen eine Urteilskraft zu entdecken, die sich als kognitives Gefühl und nicht-propositionale Beschreibung vollzieht. Dieser Typ der Urteilskraft ist bei Kant paradigmatisch in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft analysiert. Dazu wird die theologische Aporie reflektierender Urteilskraft nochmals neu interpretiert: Als Frage nach dem Sein des allerrealsten Wesens als Grund. Der folgende Abschnitt skizziert, inwiefern sich bei Kant im Verfolg dieser Frage der Existenz-Begriff zerfranst, so daß der Begriff kontingenter Existenz des Besonderen Beispiel einer .Existenz' wird, die weder die kategoriale Geltung reinen Verstandes, noch die transkategoriale Geltung reiner praktischer Vernunft beansprucht. Kennt Kant einen Begriff von .Existenz' im nicht transzendental-logischen Sinn?

3. Existenz:

Position,

Prädikation,

reale

Relation

„Nun wird aber und bleibt für Kant die Frage, ob und wie und in welchen Grenzen der Satz .Gott ist' als absolute Position möglich sei, der geheime Stachel, der alles Denken der .Kritik der reinen Vernunft' antreibt und die nachfolgenden Hauptwerke bewegt."62 Martin Heidegger verortet mit dieser Leitthese Kants Frage nach Existenz in seiner eigenen Frage nach einem Denken der ontologischen Differenz, für das „sowohl das Sein als auch das Seiende je auf ihre Weise aus der Differenz her erscheineneiner Differenz, die „durchaus gegenstandslos bleiben kann."64 Aber Heideggers Frage interessiert nur, insofern sie die Konditionen eines Urteilens erfragt, welches das konkret begegnende Besondere zu seiner eigenen Würde freigibt. Inwiefern indiziert das interesselose Wohlgefallen, welches das singuläre ästhetische Urteil begleitet, eine „Befreiung unserer selbst zur Freigabe dessen, was in sich 62 63 64

M. Heidegger, Kants These, 14. M. Heidegger, Identität und Differenz, 61, vgl. 61-65. M. Heidegger, Identität und Differenz, 62.

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eine eigene Würde hat, damit es sie rein nur habe"?65 Befreiung zur Freigabe - so wird hier Heautonomie der Urteilskraft verstanden, die „in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz [gibt]" (KU, Β 258; 8,461). In der ästhetischen Heautonomie, in der Lust der Reflexion, die zugleich Freigabe des Widerfahrenden ist, sieht sich die Urteilskraft „sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Ubersinnlichen verknüpft ist, bezogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen, auf gemeinschaftliche und unbekannte Art, zur Einheit verbunden wird." (KU, Β 258f; 8,461) Kant zeigt diese Ermöglichung des interesselosen Wohlgefallens in der ästhetischen Urteilsanalytik nur als Rätsel an." Erst die Kritik der teleologischen Urteilskraft arbeitet, wie im vorigen Abschnitt skizziert, die .ontotheologische' Begründung reflektierender Urteile in ihrer Gottesidee aus. Heideggers These, daß die absolute Position Gottes jene Aporie sei, welche die transzendentale Denkform schließlich zu dieser Analyse der Urteilskraft treibt, zielt darauf, bei Kant selbst ungenannte Voraussetzungen offen zu legen.67 Kants These über das Sein lautet: „Sein ist offenbar kein reales Prädikat, d.i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könnte. Es ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst." (KrV, Β 626; 4,533, Kursive HA) Bereits der vorkritische Kant unterscheidet die absolute Position, das Existentialurteil, von der logischen Position und von der realen Prädikation, ohne dieses Urteil in seiner Verstandesrelation weiter erläutern zu können.68 Diese frühe Bestimmung von .Existenz* als Position, nicht Prädikation ist in Freges und Russells Theorie genereller Existenzsätze aufgenommen. Doch diese Analyse des Existentialurteils ist insbesondere im Blick auf bestimmte singulare Existenzsätze nicht vollständig, wie vor allem Ernst Tugendhat gezeigt hat.69 Kants Frage ist durch die Reduktion singulärer und genereller Existenzsätze auf den Existenzquantor nicht überholt. Deshalb bleibt die weitere Entwicklung Kants von Interesse: 65

M. Heidegger, Nietzsche I, 129. KU, Β 238; 8,446. Der frühe Heidegger interpretiert dieses Rätsel als Bezogenheit ,in sich selbst hinein', in die transzendentale Einbildungskraft und ihre Zeitlichkeit: M. Heidegger, Kant Gesamtausgabe, 250 und 160 Anm. a. im Kontext von 156-203. 67 Zum heuristischen Hintergrund seiner Metaphysikkritik vgl. Identität und Differenz, 54f.66-69; und: Kants These, 9.17.20. 61 Kant, EMBg, A 8; 2,632f (Konjektur nach AA): „So einfach ist dieser Begriff [von Dasein und Existenz], daß man nichts zu seiner Auswickelung sagen kann, als nur die Behutsamkeit anzumerken, daß er nicht mit den Verhältnissen, die die Dinge zu ihren Merkmalen haben, verwechselt werde." 69 Vgl. § 10,3 und E. Tugendhat, Vorlesungen, 312-314.337f.390.467f. 66

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Die Erste Kritik bestimmt das Existentialurteil als Position und zugleich als Prädikation sui generis: „Handelt es sich aber bei der absoluten Position um den objektiven Gebrauch von Sein im Sinne von Dasein und Existenz, dann wird für die kritische Besinnung nicht nur deutlich, sondern bedrängend, daß auch hier eine Relation gesetzt wird und somit das ,ist' den Charakter eines Prädikats, wenngleich nicht eines realen, empfängt."70 Welcher Natur ist diese Prädikation? ,Sein' als bloße Position ist kein reales (ontisches), sondern ein transzendentales (ontologisches) Prädikat: „Das .bloß' meint das reine Verhältnis der Objektivität der Objekte zur Subjektivität der menschlichen Erkenntnis. Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit sind Positionen der verschiedenen Weisen dieses Verhältnisses. Die verschiedene Gesetztheit wird bestimmt aus dem Quell der ursprünglichen Setzung. Dies ist die reine Synthesis der transzendentalen Apperzeption. Sie ist der Urakt des erkennenden Denkens."71 Die Unhintergehbarkeit der Anschauung für das Erkennen erweist die Position in ihren verschiedenen Modi als Position von Affektionsweisen. Sie entwerfen die Gegenständlichkeit des Gegenstandes vor und zwar auf die Einheit des Urteils: ,dies ist..." „Das Denken ist eingesenkt in die durch die Sinnlichkeit betroffene, d.h. endliche Subjektivität des Menschen. ,Ich denke' heißt: ich verbinde eine sinnlich gegebene Mannigfaltigkeit von Vorstellung aus dem Vorblick auf die Einheit der Apperzeption, die sich in die begrenzte Vielfalt der reinen Verstandesbegriffe, d.h. der Kategorien, gliedert... Die Gesetztheit (Position), d.h. das Sein, wandelt sich zur Gegenständigkeit."72 Genau dies wird zum kritischen cantus firmus Heideggers: Die Frage nach dem Sein als einer genuinen Prädikation bleibe damit im Horizont des Denkens.73 Diese Kritik zielt zunächst auf die Urteilsgrundsätze reiner Vernunft und auf die transzendentale Apperzeption als oberstem Urteilsgrundsatz der synthetischen Einheit aller Vorstellungen. Die „systematische Auslegung des Seins des Seienden, d.h. der Gegenständlichkeit des Gegenstandes der Erfahrung [kann] nur in Grundsätzen erfolgen."74 Entscheidend seien dabei Kants modalontologische Urteilsgrundsätze als Weisen des Verhältnisses von Objektivität und Subjektivität. In ihnen kristallisiere sich die Begründungsfrage des transzendentalen Denkens. ,JDie Modalitäten sind Prädikate des jeweils erforderlichen Verhältnisses [zwischen Objekt und Erkenntnis-, nicht mehr nur Verstandesvermögen]. Die Grundsätze, welche diese Prädikate erklären, formulieren das für das mögliche, wirkliche, notwendige Dasein eines Gegenstandes

M. Heidegger, Kants These, 14. M. Heidegger, Kants These, 26. 72 M. Heidegger, Kants These, 20f. 7J M. Heidegger, Kants These, 26.30.32.33f.36. 74 M. Heidegger, Kants These, 22. Dazu (als Zwischenglied zwischen der frühen und späten Interpretation): M. Heidegger, Ding, v.a. 238-246. In der späten Kant-Interpretation gilt der oberste Urteilsgrundsatz synthetischer Einheit der Apperzeption, der „Quell der Grundsätze" (KrV, Β 198; 3,201) als Ubergangsstation zu Hegels Logik, in welcher die in sich kreisende Bewegung von Grundsätzen „selbst die Absolutheit des Seins ist" (Kants These, 22). 70 71

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Erforderliche. Deshalb belegt Kant diese Grundsätze mit dem Namen Postulate. Sie sind solche des Denkens in dem zweifachen Sinne, daß die Forderungen einmal aus dem Verstand als dem Quell des Denkens stammen, sodann zugleich für das Denken gelten, insofern es durch seine Kategorien das in der Erfahrung Gegebene zum existierenden Gegenstand bestimmen soll."75 Als Postulate des empirischen Denkens überhaupt muß ihnen jedes Urteil über einen Gegenstand der Erfahrung genügen. Eben diese Einsicht in das Wesen der modalen .Postulate des empirischen Denkens überhaupt' als transzendentaler Prädikationen bestimmt Kants These über das Sein in der Ersten Kritik: Sein „ist bloß die Position eines Dinges, oder gewisser Bestimmungen an sich selbst" (KrV, Β 626; 4,533). Für Heidegger heißt das: Sein ist Position der Modi an sich selbst als Modi der Gegenständlichkeit des Gegenstandes. Heideggers Interpretation unterschlägt allerdings, daß Sein als Position eines Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst gilt. Offenbar will Kant aber gerade mit diesem disjunktiven (nicht explikativen) .oder' anzeigen, daß die Urteilskopula ,ist' nicht nur die Modi der Gegenständlichkeit als Postulate des empirischen Denkens überhaupt impliziert; sie setzt vielmehr zugleich „das Prädikat beziehungsweise auf das [erkennende, urteilende] Subjekt" (KrV, Β 627; 4,533). So sehr nun diese Beziehung durch Erfahrung und also durch die genannten Postulate vermittelt ist, so wenig kann „eine Existenz außer diesem Felde [der Einheit der Erfahrung]... schlechterdings für unmöglich erklärt werden"; sie ist freilich (für die theoretische Vernunft) „eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können." (KrV, Β 619; 4,535) Kants These über das Sein läßt also eine pragmatische Verwendung der Existenzbehauptung offen. Diese bestimmt nicht a priori die Gegenständigkeit des Gegenstands, sondern lokalisiert und relationiert das .erkennende' Subjekt und seinen .Gegenstand' in einem Erfahrungsfeld, das vom Feld transzendentaler Erfahrbarkeit unterschieden ist!76 Diese Möglichkeit hält den Platz frei für nicht-propositionale Erkenntnisweisen von .Existierendem', z.B. dem .Schönen'. Lokalisierung und Relationierung in der Existenzbehauptung vollzieht sich, wie Josef Simon zeigt, durch Rücknahme und Destruktion der transzendentalen Kategorien, insbesondere der Modalprädikate: „Während es in der Kritik der reinen Vernunft um die objektive Gültigkeit der Urteile ihrer logischen Form nach geht, geht es, komplementär dazu, in der Kritik der Urteilskraft um die Destruktion der logischen Urteilsform als der Form definitiven Erkennens und damit um den transzendentalen Aspekt der Lösung des urteilenden Subjekts aus der Form seines jeweiligen Ansehens von etwas als bestimmt und um seine Freiheit gegenüber allen getroffenen Bestimmungen."77

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M. Heidegger, Kants These, 25f. 1.U. Dalferth, Gott, 41f; Religiöse Rede, 591. 77 J. Simon, Schönheit, 274; vgl. ebd., 256: „Die vierfache Bestimmung des Schönen ist nichts anderes als die vierfache Aufhebung der Formen jeder Bestimmung aus der Not eines 76

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Heideggers These, daß in Kants Modalprädikaten eine allgemeine Ontologie enthalten sei, die in der Dritten Kritik erneut zur Ontotheologie werde, sofern der Grund der Unterscheidung der modalen Verhältnissetzungen im § 76 der Dritten Kritik theologisch bestimmt wird, ist also zu widersprechen. Es gilt sehr viel genauer die Differenz zwischen der bestimmenden Urteilskraft und ihrem Vorentwurf von Gegenständlichkeit und der reflektierenden Urteilskraft wahrzunehmen, die gerade durch die Rücknahme dieses Vorentwurfs zu ihrer Erkenntnis kommt.78 Die dem theoretischen Verstand unumgänglich notwendige Unterscheidung von Möglichkeit und Wirklichkeit ist in der Zweistämmigkeit der Erkenntnis begründet. Aber diese Zweistämmigkeit ist selbst als kontingente Verfassung menschlichen Erkennens erkennend zu vollziehen: „Nun beruht aber alle unsere Unterscheidung des bloß Möglichen vom Wirklichen darauf, daß das erstere nur die Position der Vorstellung eines Dinges respektiv auf unsern Begriff und überhaupt [auf] das Vermögen zu denken, das letztere aber [das Wirkliche] die Setzung des Dinges an sich selbst (außer diesem Begriffe) bedeutet ... Die Sätze also: daß Dinge möglich sein können, ohne wirklich zu sein, daß also aus der bloßen Möglichkeit auf die Wirklichkeit gar nicht geschlossen werden könne, gelten ganz richtig für die menschliche Vernunft, ohne darum zu beweisen, daß dieser Unterschied in den Dingen selbst liege." (KU, Β 340f; 8,518f) Inwiefern gilt die Unterscheidung von Möglichkeit und Wirklichkeit aber für den Gebrauch der menschlichen Erkenntnisvermögen und seiner Formen objektiver Realität, ohne für Dinge an sich selbst bewiesen zu sein? Inwiefern treten (Denk-) Möglichkeit und (Anschauungs-)Wirklichkeit für den diskursiven Verstand unhintergehbar und gültig auseinander? Sofern die Idee eines absolutnotwendigen Wesens für reflektierende Urteilskraft als subjektives Prinzip gelten kann, ohne daß sie diese Idee erkennen und als solche erfahren kann: „Denn, wenn er [der Verstand] es denkt (er mag es denken wie er will), so ist es bloß als möglich vorgestellt. Ist er sich dessen, als in der Anschauung gegeben bewußt, so ist es wirklich, ohne sich hiebei irgend etwas von Möglichkeit zu denken. Daher ist der Begriff eines absolutnotwendigen Wesens zwar eine unentbehrliche Vernunftidee, aber ein für den menschlichen Verstand unerreichbarer problematischer Begriff. Er gilt aber doch für den Gebrauch unserer Erkenntnisvermögen, nach der eigentümlichen Beschaffenheit derselben, mithin nicht vom Objekte und hiemit [nicht] für jedes erkennende Wesen: weil ich nicht bei jedem das Denken und die Anschauung, als zwei verschiedene Bedingungen der Ausübung seiner Erkenntnisvermögen, mithin

temporären Ansehens von etwas als bestimmt aus beschränkter Perspektive. .Etwas* ist das Schöne überhaupt nur im .Modus" der Aufhebung der Formen des Urteils oder als verschwindendes .Etwas'." 78 Dies nennt J. Simon (Schönheit, 252), wie bereits erwähnt, die fundamentale „gnoseologisch-ästhetische Differenz" im System des Kantischen Denkens.

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der Möglichkeit und Wirklichkeit der Dinge, voraussetzen kann."79 In ihrer (Gottes)Idee reflektiert humane Urteilskraft das Von-Woher-Ihres-So-Seins in ihrem faktischen, primär emotionalen Urteilsvollzug, indem sie sich durch diese Idee als kontingentes Erkenntnisvermögen kontingenter Erkenntnisse erkennt: „Es kommt hier also auf das Verhalten unseres Verstandes zur Urteilskraft an, daß wir nämlich darin eine gewisse Zufälligkeit der Beschaffenheit des unsrigen aufsuchen, um die als Eigentümlichkeit unseres Verstandes, zum Unterschiede von anderen möglichen, anzumerken. Diese Zufälligkeit findet sich [sc. auch] ganz natürlich in dem Besondern, welches die Urteilskraft unter das Allgemeine der Verstandesbegriffe bringen soll" (KU, Β 346; 8,523). Die Relation zwischen erkennendem Verstand und zu erkennendem Besonderen soll als kontingente oder genuin reale Relation negativ kreatürlich reflektiert werden. Das endliche, nicht-apriorische kognitive Gefühl des Urteilssinns soll als gültig erwiesen werden, ohne daß die .Existenz' eines Schöpfers bzw. eines .schlechthin notwendigen Wesens' als Grund affirmativ behauptet werden muß, was in die alte Aporie zurückführen würde. „Die Kritik an der rationalen Theologie der metaphysischen Tradition könnte also auch so umschrieben werden, daß der menschliche Verstand nicht (in Begriffen) auf einen ihm überlegenen, unbeschränkten Verstand ... .schließen' könne, sondern nur im .Gefühl' seiner Urteilskraft mit ihm verbunden sei. Nicht in einem apriorischen Begriff von einem .Vermögen', sondern im Gefühl der Lust hat die reflektierende Urteilskraft ihr Selbstbewußtsein als besonderes Vermögen gegenüber dem beschränkten Verstand. Wenn auch kein allgemeiner Begriff des Vermögens der Erkenntnis der Natur nach besonderen Gesetzen vorgegeben sein kann und ihr Gelingen dem Verstand deshalb jederzeit als .zufällig' erscheinen muß, so ist dieses .Gefühl der Lust' doch .auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig'. Man könnte hier also von einem .transzendentalen Gefühl der Lust' sprechen, in der sich die Urteilskraft mit einem vermögenderen Verstand als unserem eigenen verbunden fühle."80 - So sehr diese Analyse ästhetischer Urteilskraft der These von der Rückkehr zur Ontotheologie in der Dritten Kritik vorzuziehen ist, so gilt Heideggers Kritik in bestimmter Hinsicht zu Recht: Urteilskraft als Reflexion der Reflexion übersteigt ihr Selbstbewußtsein als Gefühl und scheint sich letztlich doch im apriorischen Begriff von sich als .Vermögen' zu begründen, um in Begriffen auf einen vermögenderen Verstand zu reflektieren.81 Die Entdeckung dieser Reflexion der Reflexion ortet Heidegger im Amphibolie-Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft.82

79

KU, Β 341; 8,519, Konj. η. AA; Kursive z.T. HA. J. Simon, Schönheit, 264; vgl. ebd., 266: „Die transzendental-Zogwcte Überlegung führt hier aus ihr selbst an ihre Grenze." " M. Heidegger, Kant Gesamtausgabe, 249-254. 82 In diesem zentralen Abschnitt der Ersten Kritik, zwischen Transzendentaler Analytik und Dialektik, wird der Gebrauch der Anschauungsformen und Kategorien im Ubergang zur 80

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Kant entwerfe dort das Programm einer transzendentalen Topik, „wie in der Vergleichung [der Vorstellungen] das Verglichene überhaupt gemeint ist - ob ontisch - oder ontologisch; ob zur Sinnlichkeit gehörig oder zum reinen Verstand, Β 324"83. In der Reflexion auf die Reflexionsbegriffe (v.a. Materie und Form als Bestimmbarkeit und Bestimmung), die in dieser Topik zur Verwendung kommen, werde die transzendentale Reflexion nochmals überschritten. Es geht jetzt um „die formalen ontologischen (!) Möglichkeiten des Vergleichens überhaupt unangesehen des transzendentalen Ortes der Vorstellungen."84 Denken als Reflexion „gibt als einfaches Setzen den Horizont vor, darin dergleichen wie Gesetztheit, Gegenständigkeit erblickt werden kann ... Das Denken als Reflexion der Reflexion meint dagegen das Verfahren, wodurch, sowie das Instrument und Organon, womit das im Horizont der Gesetztheit erblickte Sein ausgelegt wird. Denken als Reflexion meint den Horizont, Denken als Reflexion der Reflexion meint das Organon der Auslegung des Seins des Seienden."85 Daraus resultiert die obligate Kritik Heideggers: „In Kants These über das Sein als Position, aber auch im ganzen Bereich seiner Auslegung des Seins des Seienden als Objektivität und objektiver Realität waltet das Sein im Sinne des währenden Anwesens."86 Die Idee Gottes als .Grund', also die Begründung des Urteilsvollzugs durch Reflexion der Reflexion im Gebrauch der Idee eines intuitiven Verstandes, nähme (so gesehen) zurück, was in der Entdeckung des ästhetischen Urteilens gewonnen wird. Noch die Wahrnehmung der Kontingenz der realen Relation würde im apriorischen Begriff der Urteilskraft von sich selbst, in der Reflexion der Reflexion, vorentworfen und generiert. Noch im .transzendentalen Gefühl der Lust' wäre die Urteilskraft nur so mit einem vermögenderen Verstand verbunden, wie es der Vorentwurf von Relationalität erlaubt und generiert. Kants Rede vom unwillkürlichen .Machen Gottes als Grund' ist das Indiz, daß er diese Problematik des transzendentalen Gefühls in seiner Symbolisierung sah."7 Es stellt sich also die Aufgabe, am Beispiel der ästhetischen Urteilskraft ein nicht-apriorisches und nicht-propositionales Wahrnehmen und Beschreiben zu analysieren, dessen Vollzug in Form einer Destruktion des transzendentallogischen Begründungszusammenhangs überhaupt zu exponieren ist. Wir lesen also die Dritte Kritik gegen ihren Begründungsaufbau, gleichsam rückwärts: Die Kritik der ästhetischen Urteilskraft ist als kontrollierte Rücknahme der Theorie der Urteilskraft als Reflexion der Reflexion zu interpretieren. Im Verstehen ohne (bestimmten) Begriff zeigen sich grammatische (Kunst)Regeln des Urteilens, die nicht unter die kategoriale Regelhaftigkeit

Frage nach dem Gebrauch der Vernunftideen reflektiert: KrV, Β 316-349; 3,285-307. Hier stellt sich das Problem einer .transzendentalen Topik' und einer Dialektik reflektierender Urteilskraft: KrV, Β 324; 3,291. 83 Μ. Heidegger, Kant Gesamtausgabe, 252. 84 Ebd., Kursive HA. 15 M. Heidegger, Kants These, 34. 86 M. Heidegger, Kants These, 33. 87 Darin ist Kants Dritte Kritik der Schleiermacher'schen Grundlegung der Glaubenslehre im Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit überlegen.

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des Verstandes zu bringen sind. Urteilen als dieses nicht-apriorische, regelhafte Wahrnehmen und Beschreiben vollzieht sich in der Destruktion der Verstandeskategorien je am exemplarischen Einzelnen. Dieses widerfährt als Gefühl, um Behutsamkeit im Beschreiben abzugewinnen. Urteilen als solche Zurücknahme und Freigabe, nennt Kant ,materiale Gewissenhaftigkeit' oder .Behutsamkeit' im Bezeichnen (Theodizee, A 219; 9,120). Uber den nicht mehr transzendental-logischen Status materialer Gewissenhaftigkeit im Bezeichnen ist aus der Dritten Kritik mehr zu lernen als aus der Religionsschrift. „Aus diesem Gewissen kann eine philosophische Bestimmung der ,schönen Natur* nur als gewissenhaft-kritische Destruktion der kategorialen Formen einer möglichen logisch-ontologischen Naturbestimmung begriffen werden, nicht aber als positiv-begriffliche Bestimmung einer anderen Natur als der .wahren' gegenüber der .wirklichen'."88 Mit den kategorialen Formen einer möglichen logisch-ontologischen Naturbestimmung werden die Reflexionsbegriffe als die formalen ontologischen Möglichkeiten des Vergleichens überhaupt zwischen ontischen und ontologischen Bestimmungen destruiert. Diese Destruktion transzendentaler Topik nimmt schließlich auch den transzendental-logischen Begriff von Wahrheit zurück. Dieser transzendentallogische Begriff von Wahrheit, basierend auf Urteilskraft als einer Reflexion der Reflexion, lautet: „Die Warheit ist die zusammenstimmung der Erkenntniß mit dem obiect (durch die Erkenntniß desselben), also mit sich selbst" (Reflexion 2127, AA 16,245). Dieser Wahrheitsbegriffs, der die transzendentale Topik voraussetzt, wird nicht überboten, sondern begrenzt und destruiert. Gewissenhafte Bestimmung der schönen Natur kann deshalb gar keine positiv-begriffliche Bestimmung einer anderen Natur als der .wahren' gegenüber der .wirklichen' geben wollen. Ihr Bezeichnen vollzieht sich in diesem Sinn nicht-propositional. Inwiefern kann materiale Gewissenhaftigkeit überhaupt noch als Vollzug .transzendentalen Gefühls' bezeichnet werden? Die Antwort wird sein: Insofern sie der transzendentalen Korrelation von Vernunft und Sprache' unterliegt. .Transzendental' meint jetzt: indifferent gegenüber den kategorialen Formen logisch-ontologischen Bestimmens und gegenüber den metareflexiven Unterscheidungen von Form und Materie, Grund und Begründetem.89 In dieser möglichen Indifferenz vollzieht sich Alternanz der Urteilskraft. Die reale Relation des Gefühls zu seinem Von-Woher vollzieht die in der transzendentalen Theorie mögliche Selbstbegrenzung transzendentaler Logik. Dieser Übergang ist der Ort der Rede vom .Geheimnis' bei Kant.

8! 89

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J. Simon, Schönheit, 273. M. Riedel, Urteilskraft, 48.

4. Hoffnung als Sinn und Gefühl Ästhetisches Urteilen ist bei Kant Paradigma eines praktischen Urteilens, das sich als fühlbare Hoffnung endlicher, humaner Freiheit vollzieht und versteht. Praktische Orientierung vollzieht sich als .behutsame' und doch regelhafte Beschreibung an nicht-beliebigen Beispielen. Wenn diese Beispiele so beschrieben und mitgeteilt werden, daß sie sich als signa prognostica des .Endes aller Dinge' zeigen können, wird Hoffnung für sich und andere negativ fühlbar gemacht. Die Geschmackskritik liefert das propädeutische Beispiel für Probleme, die z.B. auch in der Urteilsbildung über den prognostischen Sinn in historisch .unerhörten Begebenheiten' auftreten.90 Ontologisch geht es darum, Besonderes und Kontingentes als solches in seiner Regelhaftigkeit wahrzunehmen; zeichentheoretisch geht es darum, selbstbezügliche, exemplifizierende Zeichen als solche zu beschreiben; eschatologisch geht es darum, signa prognostica mitzuteilen, ohne in die geschichtstheologische Dialektik zu verfallen. Negative Weisheit ist gültige und vorläufige Einsicht, die hoffen darf, dem wahren Ende aller Dinge wenigstens nicht zu widersprechen. Sie bleibt in humaner Kreatürlichkeit. Auf die an exemplarischen Zeichen augenblicklich widerfahrende Hoffnung, die in Sinn und Gefühl das .Geheimnis' göttlicher Gerechtigkeit und Güte unter seiner vernunftgemachten Symbolisierung .anbetet', richtet sich die Hoffnung. Wichtige Aspekte der Urteilskraft als Sinn und Gefühl werden am Beispiel des Geschmacksurteils dargestellt (1.-6.) und anschließend auf die geschichtlich-politische Urteilsbildung übertragen (7.). Im Rahmen der Gesamtuntersuchung geht es jetzt um Umrisse einer Theorie des Urteilssinns, die sich für eine kritische Rede vom .Geheimnis' konstitutiv ist.

4.1 Innerer Sinn und kognitives Gefühl In der Analyse des Geschmacks bietet Kant eine Theorie der Beschreibung. Die Exposition des Schönen und seiner Mitteilung im Geschmacksurteil vor dessen transzendentaler Deduktion zeigen Konditionen einer Urteilskraft, die eine exemplarisch wahrnehmende, regelgeleitete und explorative, konsensuelle Beschreibungskunst ist. Bekanntlich reflektieren sich für Kant im Geschmacksurteil über das besondere .Schöne' nicht bloß die Empfindungen der äußeren Sinne, sondern der lustvolle Vorstellungszustand des freien Zusammenspiels der Vermögen von Einbildungskraft und Verstand, also ein innerer Sinn. Das Schöne, welches nur in der bloßen Beurteilung gefällt, widerspiegelt das Gefallen an der 90

Das erlaubt es H. Arendt, Kants Kritik ästhetischer Urteilskraft als Kritik politischhistorischer Urteilskraft zu interpretieren.

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Urteilsfreiheit. Sie wird aber nur insoweit als Lust empfunden, als sie im Urteil über das Schöne allen anderen mitteilbar ist, ohne auf einen bestimmten Begriff gebracht zu sein: Der Geschmack ist ein genuiner Gemeinsinn. Die Analyse des ästhetischen Urteils verlangt, das Bedingungsgefüge von äußerem, sinnlichem Widerfahrnis, dem inneren Sinn als Urteilsreflexion und der durch einen sensus communis vermittelten Mitteilung zu erhellen: Um die Geschmacksempfindung - das scheinbar unmittelbare und unmitteilbare sinnliche Empfinden dieses meines Schmeckens, dieses meines Riechens etc. - überhaupt mitteilbar zu machen, bedarf es einer doppelten Reflexion. Zunächst überführt Einbildungskraft Geschmack und Geruch, Gehör und Gefühl ins Geschmacksurteil." Sinnliche Empfindung wird durch Einbildungskraft repräsentiert und als Gefühlszustand der Lust reflektiert. Das ästhetische Urteil ,Das ist schön' fungiert als Index eines Zustands uninteressierten und freien Wohlgefallens.92 Zum „Schlüssel zur Kritik der Geschmacks" (KU, Β 27; 8,295) wird die (komplexe) Frage des § 9 der Dritten Kritik: Ob im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust der Gegenstandsbeurteilung vorangehe oder folge?93 Die Auflösung findet Kant in der allgemeinen und genuin notwendigen Mitteilbarkeit des Geschmacksurteiles: Ginge Lust vorher, so wäre sie bloße Empfindung und das Urteil bloße Expression mit lediglich privater Gültigkeit. „Also ist es die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes in der gegebenen Vorstellung, welche, als subjektive Bedingung des Geschmacksurteils, demselben zum Grunde liegen, und die Lust an dem Gegenstande zur Folge haben muß." (KU, Β 27; 8,295) Inwiefern? „Die Erkenntniskräfte, die durch diese Vorstellung ins Spiel gesetzt werden, sind hiebei in einem freien Spiele, weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt. Also muß der Gemütszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühls des freien Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einem Erkenntnisse überhaupt sein." (KU Β 28; 8,296) Dies freie Spiel zwischen der repräsentierenden Einbildungskraft, die an diesem Schönen immer neue Züge entdeckt, und dem Verstand, der nach einer unbekannten Regel ihrer Subsumtion sucht, ist unabschließbar: Nicht eine bestimmte Erkenntnis, sondern das freie Spiel als Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt wird mitgeteilt.94 Dies freie Spiel als Harmonie der Erkenntnisvermögen ist der Grund der Lust des Wohlgefallens, - weil und sofern wir diesen Gemütszustand allen anderen im Geschmacksurteil .notwendig4 ansinnen können. Wir können es anderen ansinnen, sofern ästhetische Urteile α priori möglich

" Vgl. Kants Unterscheidung eines Sinnen-Geschmacks von einem Reflexionsgeschmack: KU, Β 22; 8,291f. 92 Vgl. KU, Β 8f; 8,282f, sowie KU, Β 15; 8,287. " Diese Frage darf nicht empirisch-zeitlich oder empirisch-kausal verstanden werden. 94 .Mitteilung' bei Kant meint: ,mit anderen teilen, andere teilnehmen lassen'.

100

sind. Das hat die Deduktion reiner ästhetischer Urteile zu zeigen.95 In der Tat knüpft Kant im Zentrum der Deduktion, im § 39, direkt an die Exposition des § 9 an, um die apriorische .Mitteilbarkeit' der Lust am Schönen (also nicht nur ihre Mitteilung) zu rechtfertigen: Ästhetische Urteile als apriorische Urteile ermöglichen die Reflexionslust am Schönen, weil diese Lust die Auffassung eines Gegenstandes ausschließlich »vermittelst eines Verfahrens der Urteilskraft' begleitet, „welches [Verfahren] sie [die Urteilskraft] auch zum Behuf der gemeinsten Erfahrung ausüben muß: nur daß sie es hier [sc. bei der gemeinsten Erfahrung], um einen empirischen objektiven Begriff, dort aber (in der ästhetischen Beurteilung) bloß, um die Angemessenheit der Vorstellung zur harmonischen (subjektiv-zweckmäßigen) Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen [sc. Einbildungskraft und Verstand] in ihrer Freiheit wahrzunehmen, d.h. den Vorstellungszustand mit Lust zu empfinden, zu tun genötigt ist. Diese Lust muß notwendig bei jedermann auf den nämlichen Bedingungen beruhen, weil sie subjektive Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis überhaupt sind, und die Proportion dieser Erkenntnisvermögen ... auch zum gemeinen und gesunden Verstände erforderlich ist, den man bei jedermann voraussetzen darf." (KU, Β 155; 8,388) Es ist nun eines, daß Kant in der Apriorität und Allgemeinheit dieses Verfahrens der Urteilskraft die subjektive Notwendigkeit und allgemeine Mitteilbarkeit des ästhetischen Urteils ermöglicht sein läßt. Ein anderes ist es aber, im Gegenzug die Frage zu stellen, warum dieses in der gemeinsten, d.h. in aller theoretischen, Erfahrung ausgeübte Verfahren der Urteilskraft ausschließlich durch bestimmte Gegenstände, „die dafür bestimmte Formeigenschaften aufweisen müssen, und zwar in der Art eines Gefühls, zu Bewußtsein'"6 kommt? Die Zweideutigkeit der Urteilskraft kehrt in diesem Problem wieder: In der Geschmacksreflexion, die doch ein ganz subjektives Verfahren sein soll, verschwindet das besondere Schöne als urteilsermöglichendes Widerfahrnis gerade nicht in die Allgemeinheit des Begriffs. Es tritt sogar in seiner Besonderheit, in seinen Formeigenschaften, in eminenter Weise hervor. Bleibt also die subjektive Geschmacksreflexion des inneren Sinnes äußeres Widerfahrnis? Indiziert sie sogar gesteigerte gegenständliche Erfahrung? Die Spannung zwischen der apriorisch-transzendentalen Begründung der Notwendigkeit und Allgemeinheit ästhetischer Urteile und ihrem genuinen Gefühl, das als interesseloses Wohlgefallen ,ohne Begriff' reflektiert wird, charakterisiert das ästhetische Urteil. Sie wirft die entscheidende Frage auf: In der Tat handelt es sich beim ästhetischen Urteil um ein Urteil „das sich, indem es sich auf einen bestimmten einzelnen Gegenstand bezieht, zugleich

95 96

Vgl. dazu v.a. KU, §§ 30-40 (KU, Β 131-161; 8,371-392). J. Kulenkampff, Logik, 201.

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reflexiv auf die allgemeinen Bedingungen seines Zustandekommens bezieht und das folglich die Vorstellung von einem bestimmten Gegenstand und den Gedanken an die bloße \JtXzAskraft miteinander verknüpft."97 Ein weiteres Mal zeigt sich das Zugleich der Gefühlsreflexion der äußeren Sinne und des inneren Sinns, die beim besonderen Außen bleiben, und einer .intellektuellen' Reflexion dieser Reflexion, die jene einfache Reflexion überschreitet. Im selben Maß, in dem es zu gelingen scheint, die Mitteilbarkeit des urteilenden Gefühls transzendental zu begründen, scheint der genuine Charakter dieses Gefühls abgeblendet zu werden. Diese Aporie ist in der Alternanz der Urteilskraft als Gefühl und als transzendentallogischer Reflexion begründet. Das Recht transzendentaler Deduktion des ästhetischen Urteils ist aber zweifelhaft. „Man kann das hier gegebene Problem auf die Frage zuspitzen: Ist das Gefühl der Lust am Schönen eine bloße Folge und bloß in diesem Sinne Ausdruck des freien Spiels der Erkenntniskräfte, oder ist es in dem Sinne Ausdruck des freien Spiels der Erkenntniskräfte, daß es Wissen vom Vorliegen des freien Spiels der Erkenntniskräfte und Wissen davon einschließt, daß diese sich in einem für Erkenntnis überhaupt schicklichen Verhältnis zueinander befinden, und davon, daß dieses schickliche Verhältnis nicht für den Urteilenden, sondern für jedermann gelte?"98 Für Kant scheint das Letztere zu gelten: Als begründet und mitteilbar gilt das Gefühl der Lust im Geschmacksurteil nur, wenn es ein reflexives Wissen vom freien Spiel der Erkenntniskräfte enthält. Aber wird die Mitteilbarkeit des Gefühls für den Urteilenden wirklich dadurch begründet, daß dieses Gefühl ein Wissen um die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt impliziert? Nun stellt sich Kant selbst der .mindern Frage', auf welche Art wir uns der Übereinstimmung der Erkenntniskräfte im Geschmacksurteil bewußt werden, „ob ästhetisch durch den bloßen innern Sinn und Empfindung, oder intellektuell durch das Bewußtsein unserer absichtlichen Tätigkeit, womit wir jene ins Spiel setzen" (KU, Β 30; 8,297). Wäre das Bewußtsein des Zusammenstimmens intellektuell, im Begriff des Gegenstandes, so wäre es auf die absichtliche, bestimmende, schematisierende Verstandesspontaneität zurückzuführen. Dann aber wäre das Urteilen kein freies Spiel der Vermögen mehr. Der Urteilsvorgang bliebe zudem, wie in jedem theoretischen Urteil, anonym. Im Geschmacksurteil wird aber seine Anonymität gelüftet. Er kann nur als Empfindung im inneren Sinn bewußt werden, sofern nur im inneren Sinn die veranlaßte, absichtslose und nicht begriffsgeleitete Belebung der Vermögen erfahrbar wird: „Die Belebung beider Vermögen (der Einbildungskraft und des Verstandes) zu unbestimmter, aber doch, vermittelst des Anlasses der gegebenen Vorstellung, einhelliger Tätigkeit, derjenigen nämlich, J. Kulenkampff, Logik, 84. " J. Kulenkampff, Logik, 203. 97

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die zu einem Erkenntnis überhaupt gehört, ist die Empfindung, deren allgemeine Mitteilbarkeit das Geschmacksurteil postuliert." (KU, Β 31; 8,297f.) In seiner empirischen Beschreibung des Geschmacks (nicht in seiner urteilslogischen Deduktion) statuiert auch Kant: Die Belebung zum freien Spiel vermittelst des besonderen ästhetischen Anlasses wird als Gefühl ,bewußt', als .kognitiver Gemütszustand*. Der Terminus ,kognitiver Gemütszustand', den wir aus der Zeichentheorie Nelson Goodmans übernehmen, hintergeht also die Vexier-Alternative Kants, ob im urteilslogischen Sinn das Gefühl der Beurteilung oder die Beurteilung dem Gefühl vorangehe: „Die meisten der Schwierigkeiten, mit denen wir uns herumgeschlagen haben, lassen sich ... der dominierenden Dichotomie zwischen dem Kognitiven und dem Emotionalen zuschreiben ... Dies versperrt ... die Einsicht, daß Emotionen in der ästhetischen Erfahrung kognitiv funktionieren. Das Kunstwerk wird sowohl mit Gefühlen als auch mit den Sinnen erfaßt."" Die Rücknahme der Dichotomie trifft auch Kants Beschreibung des inneren Sinnes als einer bewußten Empfindung: „bei einem Verhältnisse, welches keinen Begriff zum Grunde legt... ist auch kein anderes Bewußtsein desselben, als durch Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung belebten Gemütskräfte (der Einbildungskraft und des Verstandes) besteht, möglich." (KU, Β 31; 8,298, Kursive HA) Die Lust des Wohlgefallens, in der sich das erleichterte Zusammenspiel von empirischer Einbildungskraft und empirischem Verstand vollzieht, indiziert durchaus ein Verstehen und Erkennen. Es weiß um den unbestimmten Inbegriff möglicher empirischer Erkenntnisse, welche ein besonderes Schönes veranlaßt. Sie impliziert aber nicht zugleich das transzendentale Wissen um das formelle Zusammenstimmen von transzendentalen Erkenntnis vermögen. Kant hingegen interpretiert den im Gefühl implizierten Bezug auf .Erkenntnis überhaupt' als Reflexion des allgemeinen, transzendentalen Verfahrens der Urteilskraft, das jeder Gegenstandserkenntnis zugrundeliegt und sie ermöglicht. Das freie Spiel ist die einhellige Tätigkeit der bloßen transzendentalen Erkenntnisvermögen der Einbildungskraft und des Verstandes. Doch die Notwendigkeit dieses Schritts leuchtete nur ein, wenn das Projekt einer einheitlichen Theorie der Urteilskraft sich als triftig erwiese. 4.2 Nicht-propositionale

Beschreibung

und

Kunstregeln

Der Widerspruch gegen Kants transzendentalen Fundierungsschritt ergibt sich aus dem Charakter des Geschmacks selbst: Geschmack steht für die empirische Urteilsbildung eines inneren Sinns und bezieht sich auf Einzelnes. Er „bringt also konkret leistende und nicht transzendentale Erkenntniskräfte in

99

N. Goodman, Sprachen, 228. 103

Funktion".100 Er imaginiert - z.B. im Falle eines bestimmten Musikstücks bestimmte Klangfarben und Farbkontraste, Rhythmen und Taktwechsel, harmonische Verhältnisse etc. und bezieht sie auf einen Verstand, der sie in eine zumeist sprachliche Mitteilung bringt, deren Zustimmungsfähigkeit nicht (transzendental-)logisch beschrieben werden muß. Die Fülle der ästhetischen Eindrücke eröffnet eine finite und .dichte' Beschreibung, die unabschließbar ist und nicht in Gegenstandsbestimmtheit zu enden braucht, gleichwohl ein stimmiges Ganzes mitteilt. Zum Geschmacksurteil und seiner Lust gehört das Bewußtsein, die unerschöpfliche Fülle des Anschauens überhaupt beschreibend zur Sprache bringen zu können, „in concreto zu einer Bestimmung gelangen zu können - ein Bewußtsein, das gegenüber den transzendentalen Bedingungen der Erkenntnis keinen Sinn hätte."101 Dieses Bewußtsein reflektiert sich im Gefühl des Gefallens. Das freie Spiel von Einbildung und Verstand reflektiert sich als Lust vermittels einer ästhetischen Urteilsbildung, die nicht durch das Verfahren kategorialen Urteilens bestimmt ist. Daß in dieser Beschreibung zustimmungsund widerspruchsfähige Sätze gebildet werden, die aber keine propositionalen Urteile darstellen, scheint Kant mit der paradoxen Formel von einem kategorialen Urteilen ohne bestimmte Kategorien zu intendieren102. Geschmack steht also für eine nicht-propositionale, zustimmungsfähige Beschreibung.103 Geschmacksbildung ist nicht-propositionale, zustimmungsfähige Beschreibungskunst. Das ästhetische Urteilen als ein .Buchstabieren' bestimmter Anschauungen folgt eigenen .Leseregeln'. Das nicht-transzendentale Verständnis dieser .Regeln' führt auf den Begriff der Kunstregel: Geschmacksbildung ist vermittelt durch Kunstregeln mitteilungsfähiger Beschreibung. Diese werden an guten Beispielen gefunden und im Mitteilungsvorgang beständig weiter geübt, präzisiert, erweitert oder auch innovativ durchbrochen. Es sind Regeln erlernbarer Urteilskunst. Das Kunstwerk dient dem Geschmacksurteil als Muster „zum Richtmaße oder Regel der Beurteilung" (KU, Β 182; 8,406). Kunstregeln begründen keine doktrinale Erkenntnis, wohl aber die Möglichkeit von Kritik und Verständi-

100

J. Kulenkampff, Logik, 95. Ebd., 96. 102 Dem ästhetischen Urteilen das kategoriale Urteilen als negativen Bestimmungsgrund zu unterstellen, ist der Sinn von Kants Bestimmung: „Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt." (KU, Β 32; 8,298) Ästhetisches Urteilen kann kategoriales Urteilen voraussetzen, sofern das Schöne verobjektiviert und im Rahmen theoretischer Objektivität beschrieben werden kann; aber die Eigenart ästhetischer Beschreibung besteht ja gerade in der .behutsamen' Destruktion dieser Objektivität. 103 .Proposition* bedeute hier: Eine wahrheitsdefinite oder dialogdefinite Aussage, deren Bedeutung von dem konkreten Sprecher und Zuhörer unabhängig ist und die aufgrund dieser beliebigen Austauschbarkeit bedeutungsinvariant wiederholbar ist. Kants Definition des Geschmacks als sensus communis aestheticus, nicht logicus, formuliert diese Nicht-Propositionalität, vgl. KU, Β 160; 8,392. 101

104

gung im Geschmacksurteil.104 Der Begriff der .Kunstregel' vermittelt ein Dreifaches: Er nivelliert nicht die innovative, kreative, regelverändernde, regelbrechende oder neue Regeln setzende Exemplarität des Kunstwerks in seiner Beschreibung. Er hält die durchaus erlernbare, wiederholbare und prüfbare Regelgerechtheit des Beschreibens und des zu Beschreibenden im Blick. Und er deutet an, warum es Aufgabe der Kritik ist, diese Rede zu begleiten, ohne sie systematisch zu begründen und vorgreifend zu konstruieren.105

4.3 Sensus communis Fragen wir noch einmal: Warum setzt Kant kategorial an, obgleich das ästhetische Widerfahrnis gerade durch Aufhebung der kategorialen Urteilsformen beschreibbar wird? Offenbar, weil das ästhetische Betrachten nur als Mitteilung angemessen exponiert wird. Schon die Tatsache, daß dieses Besondere betrachtet werden soll, macht eine Unterscheidung geltend. Solches Unterscheiden wird im Urteil: ,Dies ist schön' explizit, sofern dieses Urteil impliziert: ,Dieses soll von allen betrachtet werden'. Das Geschmacksurteil bildet „weniger den definitiven Schluß als die Eröffnung einer unabsehbaren Folge von Beschreibungen des schönen Gegenstandes als den Ergebnissen der ästhetischen Betrachtung, die gar nicht beansprucht, Erkenntnis zu sein, wohl aber, daß ihre Wahrnehmungen als Ergebnisse des freien Zusammenspiels von Einbildungskraft und Verstand keine bloßen Phantasmen, sondern nachvollziehbare Phantasien sind"106. Zur Mitteilbarkeit dieser Phantasien gehört, daß sie opponierbar, diskutabel und konsensfähig sind. In diesem Sinne ist die Modalität des Geschmacksurteils zu verstehen, nicht im Sinne einer Gegenstandsbestimmung: „Schön ist, was ohne Begriff als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens erkannt wird." (KU, Β 68; 8,324) Die Notwendigkeit des ästhetischen Urteils ist eine exemplarische, „d.i. eine Notwendigkeit der Beistimmung aller zu einem Urteil, was wie Beispiel einer allgemeinen Regel, die man nicht angeben kann, angesehen wird" (KU, Β 62f; 8,320). Urteilen als Subsumtion unter eine allgemeine, aber unbekannte Regel ist zunächst prinzipiell irrtumsfähig: „Man wirbt um jedes andern Beistimmung, weil man dazu einen Grund hat, der allen gemein ist; auf welche Beistimmung man auch rechnen könnte, wenn man nur immer sicher wäre, daß der Fall unter jenem Grunde als Regel des Beifalls richtig subsumiert

104

Vgl. KU, Β 181-183; 8,405-407. Dieses Verständnis von .Kunstregel' ist für analoge theologische Verwendung offen: Zum .explorativen', nicht präskriptiven Charakter theologischer Regeln: H.G. Ulrich, Regeln, 151-174; zur Kreativität der Regelbildung: I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 226-231; zum nicht-doktrinalen Charakter von Kunstregeln, deren Anwendung nicht wieder auf Regeln gebracht werden kann: F.D.E. Schleiermacher, Kurze Darstellung, §§ 18.132. 106 J. Kulenkampff, Logik, 111. 105

105

wäre."107 Dieser Vorbehalt wirft Licht auf die Idee eines sensus communis, die Kant als Bedingung der Möglichkeit der (subjektiven) Notwendigkeit des Urteils einführt. Er ist gleichsam die Idee eines anrufbaren Vermögens, die Idee eines gemeinschaftlichen Urteilsgefühls, deren Status zu klären ist, und die selber nur in Beispielen exemplarischer Gültigkeit zugänglich ist: Sie kann nur exponiert werden auf dem Wege einer .entdeckenden Analyse' der ästhetischen Einzelurteile. „Diese unbestimmte Norm eines Gemeinsinns wird von uns wirklich vorausgesetzt: das beweiset unsere Anmaßung, Geschmacksurteile zu fällen." (KU, Β 67; 8,323) Nur im Wege der entdeckenden Analyse tatsächlicher Urteile wird „eine Eigenschaft unseres Erkenntnisvermögens aufgedeckt, welche, ohne diese Zergliederung, unbekannt geblieben wäre" (KU, Β 21; 8,291). Nichtsdestoweniger versucht Kant im Rahmen der Deduktion den Geltungsanspruch dieser Idee apriorisch zu rechtfertigen: „Unter dem sensus communis aber muß man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines Beurteilungsvermögens verstehen, welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluß haben würde. Dieses geschieht nun dadurch, daß man sein Urteil an anderer, nicht sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mögliche Urteile hält, und sich in die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert" (KU, Β 157; 8,389). Die Maxime, das Urteil unter die Idee eines sensus communis zu stellen, leitet den anderen, fundamentalen Reflexionsakt des Urteilens. Kant differenziert diese Verfahren der Abstraktion in die drei Maximen der vorurteilsfreien, erweiterten und konsequenten Denkungsart. Diese Verfahrensregeln der Urteilsbildung legen die idealische Norm eines sensus communis in Verfahrensmaximen auseinander. Insbesondere die Maxime der erweiterten Denkungsart charakterisiert Kants sensus communis: Ein „Mann von erweiterter Denkungsart" (KU, Β 159; 8,391) erweist sich daran, daß er sich - bei noch so geringen Erkenntnisgaben - „über die subjektiven Privatbedingungen des Urteils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzt, und aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urteil reflektiert" (ebd., Konjektur nach AA). Das Urteilen unter der Idee eines sensus communis ist - anders als Denken und Wollen - prinzipiell nicht einsam möglich. Andere Menschen sind die Möglichkeitsbedingung seiner Wahrheit. Urteilen geschieht unter der Idee eines pluralism' der Denkungsart - „sich

107

106

KU, Β 63f; 8,320; der analoge Vorbehalt KU, Β 67; 8,323.

nicht als die ganze Welt in seinem Selbst befassend, sondern als einen bloßen Weltbürger zu betrachten und zu verhalten" (Anthropologie, Β 8; 10,411). Es setzt Öffentlichkeit, Publizität voraus, weil es durch seine eigenartig subjektive Notwendigkeit den Meinungsstreit ebenso benötigt wie ermöglicht. Diese Verfahrensmaximen sind jedoch nur notwendige Bedingungen des exemplarischen Urteils, nicht hinreichende: Sie leiten die Urteilsbildung im allgemeinen an, garantieren aber nicht die Triftigkeit des ästhetischen Einzelurteils. Der Streit über das ästhetische Einzelurteil kann nur im wirklichen Streit, nicht antizipativ entschieden werden. Deshalb bleibt der Vorbehalt der richtigen Subsumtion unter eine unbekannte Regel bestehen. Was meint dieser bleibende Vorbehalt?

4.4 Exemplarische Gültigkeit Hannah Arendt, die der Maxime der erweiterten Denkungsart eine eindringliche Interpretation gab, deutet an, warum diese Maxime als bloße Verfahrensmaxime unterbestimmt bleibt. Urteilskraft - als „ein besonderes Talent ..., welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will" (KrV, Β 172; 3,184) bedarf der Beispiele als „Gängelwagen" (KrV, Β 174; 3,185). „In der Kritik der Urteilskraft, d.h. bei der Behandlung der reflektierenden Urteile, wo man nicht ein Besonderes einem Begriff unterordnet, hilft einem das Beispiel ... Die Beispiele leiten und fuhren uns, und das Urteil nimmt dadurch exemplarische Gültigkeit' an. Das Beispiel ist das Besondere, das einen Begriff oder eine allgemeine Regel in sich enthält oder von dem angenommen wird, daß es sie enthält ... Das Urteil hat exemplarische Gültigkeit in dem Maße, in dem das Beispiel richtig gewählt wird."™ Die bloß exemplarische Gültigkeit des Geschmacksurteils, die seine mögliche Strittigkeit, ja Unentscheidbarkeit impliziert, braucht nicht als Mangel zu gelten. Sie besagt, daß Geschmacksurteile wirklich mitgeteilt werden müssen. Darauf weist, recht verstanden, die Maxime der erweiterten Denkungsart hin: Sie setzt die universelle Reichweite ihrer Urteile voraus, die aber nur in einem generellen Geltungsbereich von tatsächlich Urteilenden zu bewähren ist - im Wissen, daß kein noch so genereller Konsens die Verbindlichkeit der Regel begründet, mit der alle übereinstimmen können sollen. Insofern eröffnet jeder erreichte Urteilskonsens weitere Mitteilung, die Zustimmung ansinnt. Es gilt also in der Tat, daß „das Urteil eine spezifische Gültigkeit besitzt, niemals jedoch universal gültig ist. Seine Ansprüche auf Gültigkeit

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H. Arendt, Das Urteilen, llOf. Die Rede von den .Tiefen der menschlichen Seele', in welchen Urteilskraft ihre Handgriffe vollbringe (vgl. KrV, Β 180f; 3,190), ist nach der ,idealischen Norm' eines sensus communis zu interpretieren.

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können sich niemals über den Bereich jener anderen hinaus erstrecken, an deren Stelle sich die urteilende Person bei ihren Erwägungen begeben hat"109. 4.5 Ikonisches Sehen Reflektiert die ästhetische Lust ein freies Spiel von Einbildung und Verstand, das seinen Bestimmungsgrund nicht im Bezug auf apriorische Erkenntnis überhaupt hat, so ist der Kantischen Deduktion apriorischer ästhetischer Urteile zwar einerseits im Zentrum widersprochen. Kants Exposition ästhetischer Urteile kann aber als entdeckende und beschreibende Analyse dieses Urteilens neu gelesen werden.110 Diese Beschreibung unterscheidet sich von einer bloß empirischen Beschreibung darin, daß die entscheidenden Beschreibungstermini (wie z.B.,innerer Sinn',,Reflexionsgeschmack',,Reflexionslust' oder,freies Spiel der Vermögen') nicht nur empirischen, sondern, wie gezeigt, genuin transzendentalen Status haben. Das Festhalten an allgemeiner Mitteilbarkeit des Schönen, die Aussicht auf möglichen universellen Konsens im Geschmacksurteil, ist ein Hauptgrund, weshalb Kant den Geschmack durch genuin transzendentale Termini expliziert. Unterscheidet man die hypothetische Universalität von der konkreten Generalität der Mitteilung, so bereitet der Widerspruch gegen die Begründung der Lust im transzendentallogischen Verfahren der Urteilskraft weniger Probleme. Es entsteht eben im ästhetischen Urteil, „genau genommen, gar kein Urteil: die Urteilsintention, die ohne Gesichtspunkt ist, sinkt in sich selbst zurück, ihre Beziehung auf den Gegenstand wird zum Sehen oder zur Betrachtung"™. Die eigentlich interessante Frage ist dann, „was in transzendentaler Hinsicht eine solche Betrachtung, was ein solches Sehen ist, das weder mit Urteilen noch mit bloß passiver Empfindung kongruiert"112. Nun bietet Kant durchaus einen Ausblick auf ein nicht-formales, genuin transzendentales Anschauen, wie bereits Hegel anmerkt.113 Im Begriff der .ästhetischen Idee' und ihrer Symbolisation im Schönen umschreibt Kant Anschauung als eine inexponible Betrachtung. Die ästhetische Idee, die keine Erkenntnis werden kann, „weil sie eine Anschauung (der Einbildungskraft) ist, der niemals ein Begriff adäquat gefunden werden kann" (KU, Β 240; 8,447f), indiziert ein freies Zusammenspiel von Einbildungskraft und Vernunft. In diesem Zusammenspiel wird ein genuines Sehen erlernt, das beschreibbar und aussagbar, aber nicht propositional aussagbar ist. Der Terminus .ästhetische

H. Arendt, Das Urteilen, 205, Anm. 155, vgl. 212 Anm. 102. J. Kulenkampff, Logik, 28f.l07: „es ist deshalb kein Zufall, daß die .Deduktion' nur eine zweite Analytik ist." (107) 111 J. Kulenkampff, Logik, 90. 112 Ebd., 110 (Kursive HA). 113 Vgl. G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, 323f. 109 110

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Idee' charakterisiert - mit einer Formulierung Jean-Luc Marions - selbstbezügliche, .anschauungsgesättigte' Zeichen, die unter keinen abschließend bestimmenden Begriff gebracht werden können und sollen. Solche Zeichen eröffnen eine nicht abzuschließende Beschreibung, in der ein genuines, nichtempirisches ,ikonisches Sehen'erlernt werden kann. Sie werden aber als genuine Zeichen nicht erst durch ikonisches Sehen konstituiert.114 Daß Kant hier von einer gleichsam intellektuellen Sichtbarkeit spricht, sollte nicht verwundern: Die „Chiffreschrift ..., wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht" (KU, Β 170; 8,398), fordert die .interpretierende' praktische Vernunft heraus.115 Das ist eine Behauptung, die problematisch bleibt, gleichwohl nicht vorschnell kritisiert werden soll: Denn hier zeigt sich bei Kant eine eigenartige Externität der reinen praktischen Vernunft! Die interpretierende praktische Vernunft nimmt an dem, was interesselos gefällt, ein intellektuelles Interesse. Sie empfindet ,Lust' an seinerExistenz' (KU Β 162; 8,393), Lust daran, daß überhaupt Schönes in der Natur ist: „Der, welcher einsam ... die schöne Gestalt einer wilden Blume ... betrachtet, um sie zu bewundern, zu lieben, und sie nicht gerne in der Natur überhaupt vermissen zu wollen, ob ihm gleich dadurch einiger Schaden geschähe, vielweniger ein Nutzen daraus für ihn hervorleuchtete, nimmt ein unmittelbares und zwar intellektuelles Interesse an der Schönheit der Natur. D.i. nicht allein ihr Produkt der Form nach, sondern auch das Dasein desselben gefällt ihm". (KU, Β 166f; 8,396) Das ästhetisch interesselose und intellektuell interessierte praktische Gefallen an der Existenz der wilden Blume lehrt, „ohne Eigennutz zu lieben"116. Inwiefern? Das Dasein der wilden Blume teilt sich als Zweck an sich mit und zeigt augenblickliche Präsenz ,kreatürlicher' Freiheit ex negative an. Gefühlt wird .Existenz' und .Präsenz', die sich der kategorialen Existenz und Repräsentanz entzieht. Sie versetzt den einsamen Menschen in eine Relation von genuiner Realität. Durch die wilde Blume belehrt, findet er sich als in die Welt passend, an jenem Ort, zu dem der kategorische Imperativ anweist. Jedoch: „Die objektive Realität, also die Darstellung des Vernunftgesetzes, zu der sich der Mensch genötigt sieht, wird von der Natur vorgemacht"117. Intelligible, moralische Freiheit ist das Geheimnis humaner Kreatürlichkeit, die undarstellbar bliebe, würde sie nicht durch die wilde Blume angezeigt, vorgemacht und mitgeteilt, eben indem sie lehrt, ohne Eigennutz zu lieben. Freiheit findet in der Liebe zur wilden Blume, der weißen Lilie118, einen Platz in der Welt. Im ikonischen Sehen der Liebe exemplifiziert sich ikonische Freiheit. „Die Liebe zur Welt erschafft die Welt für mich, paßt mich in sie ein", indem sie bestimmt, „zu wem und zu was ich

114 115 116 117

J.-L. Marion, Etant donne, 309-325. Zu den Metaphern .Buchstabieren' und .Interpretieren': M. Riedel, Urteilskraft, 44-60. Nachlaßreflexion, zitiert bei H. Arendt, Das Urteilen, 98. dort ohne Nachweis. G. Krüger, Moral, 98. Vgl. KU, Β 172; 8,400.

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gehöre".119 Das Naturschöne, das intellektuell interessiert, .innerlich' gesehen und gehört wird, ist Zeichen des im Gesetz .verheißenen Daseins' der Freiheit. „Der Gesang der Vögel verkündigt Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit seiner Existenz." (KU, Β 172; 8,400) Für Kant ist das intellektuelle Gefallen am Naturschönen der Selbstzufriedenheit wahlverwandt, die sich als reines moralisches Gefühl ankündigt.120 Die reine praktische Urteilskraft, welche die Stimme des Gesetzes auslegt, soll erst den Schlüssel zur Chiffre der sichtbaren Blume und des hörbaren Gesangs bieten.121 Erst die dogmatisch-apriorische, alles Interesse niederschlagende Urteilskraft reiner praktischer Vernunft bringt im endlichen Menschen das praktische Interesse hervor, „daß die Ideen (für die sie im moralischen Gefühl ein unmittelbares Interesse bewirkt) auch objektive Realität haben, d.i. daß die Natur wenigstens eine Spur zeige, oder einen Wink gebe, sie enthalte in sich irgend einen Grund, eine gesetzmäßige Ubereinstimmung ihrer Produkte zu unserm von allem Interesse unabhängigen Wohlgefallen ... anzunehmen" (KU, Β 169; 8,397f).122 Aber nichts spricht dagegen, die Verwandtschaft zwischen der bewundernden Liebe für die wilde Blume und der Achtung für das Gesetz nicht auch umzukehren und sie für das Verständnis praktischer Urteilskraft fruchtbar zu machen. Dann wird die Intellektualität des praktischen Interesses gerade in seiner Ikonizität, seiner Exteriorität und Sinnlichkeit pointiert, nicht in seiner erhabenen Undarstellbarkeit.

4.6 Zusammenfassung Die ästhetische Urteilskraft, der Geschmack als ,eine Art von sensus communis' (KU, Β 156; 8,388, Uberschrift zu § 40) entdeckt sich in exemplarischen Urteilen. Die Exemplarität eines Beispiels kündigt sich im kognitiven Gemütszustand der Lust oder Unlust an. Das Geschmacksurteil ist Reflexion und Mitteilung der Exemplarität des Kunstwerks oder Beispiels. Es setzt das Widerfahrnis des Schönen als ein nicht nur subjektiv-sinnenhaftes Empfinden

H. Arendt, Das Urteilen, 215, Anm. 149, vgl. 195. Dazu Abschnitt § 7,3. 121 Das Gemüt kann „über die Schönheit der Natur nicht nachdenken, ohne sich dabei zugleich interessiert zu finden. Dieses Interesse aber ist der Verwandtschaft nach moralisch; und der, welcher es am Schönen der Natur nimmt, kann es nur sofern an demselben nehmen, als er vorher schon sein Interesse am Sittlichguten wohlgegründet hat. Wen also die Schönheit der Natur unmittelbar interessiert, bei dem hat man Ursache, wenigstens eine Anlage zu guter moralischer Gesinnung zu vermuten" (KU Β 169f; 8,398). m Wir haben das „Vermögen einer intellektuellen Urteilskraft, für bloße Formen praktischer Maximen ... ein Wohlgefallen a priori zu bestimmen, welches wir jedermann zum Gesetze machen, ohne daß unser Urteil sich auf irgend einem Interesse gründet, aber doch ein solches hervorbringt" (KU, Β 168f; 8,397). 120

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voraus: Das Schöne widerfährt dem inneren Sinn in einem genuinen Sehen, Hören, Empfinden, in welchem Widerfahrnis des Sinns und der Sinne die Sinnlichkeit der transzendentalen Ästhetik der Ersten Kritik zurückgenommen wird. Das Geschmacksurteil eröffnet und verlangt die Mitteilung dieses Gemütszustands an bestimmte, andere Menschen in einer konkreten, nicht transzendentalen Öffentlichkeit. Beispiele erweisen in der Mitteilung, Zustimmung oder Bestreitung ihre Exemplarität. Sie können nur auf einen sich jeweils einstellenden Konsens oder Dissens hin mitgeteilt werden. Dasjenige, was die Beispiele exemplifizieren oder zum Ausdruck bringen, wird in der Beschreibung dieser Beispiele konsensuell gewonnen. Es wird darin aber nicht erst konstituiert. Die Exemplarität des Beispiels und der im Umgang mit ihm gewonnenen Urteile gründen nicht im logisch-transzendentalen Geltungsanspruch der reflektierenden Urteilskraft als Reflexion der Reflexion. Sie werden mitgeteilt und zur Zustimmung angesonnen. Konsensfindung, die begründeten Widerspruch und Streit, ja Unverständnis und Unverstehbarkeit nicht ausschließt, vermittelt sich durch Kunstregeln. Der Geschmack ist Paradigma eines exemplarischen, nicht-propositionalen (oder nicht-apophantischen), aber diskursiv-beschreibenden, zustimmungsfähigen sensus communis, Paradigma eines inneren Sinns in den äußeren Sinnen, der eine nicht-empirische, gleichwohl sinnliche Erkenntnis erlaubt. Im zweiten Teil der Untersuchung wird Franz Rosenzweigs These von der Sichtbarkeit der Hoffnung in gottesdienstlichen, grammatischen und ikonischen Zeichen im Zentrum stehen. In der dichten eschatologischen Beschreibung dieser Zeichen wird ein genuines, ikonisches Sehen erlernt und mitgeteilt. Die skizzierte Theorie des ästhetischen Urteilssinns wird dort vorausgesetzt und fortgeführt. Dabei erweisen sich drei weitere Termini der nachkantischen Zeichentheorie als außerordentlich fruchtbar: Exemplifikation, metaphorischer Ausdruck, dichte Beschreibung. Sie sind der Symboltheorie Nelson Goodmans entnommen. 123 Goodmans Symboltheorie ergänzt, korrigiert und konterkariert Kants Analyse v.a. im Blick auf die Theorie ästhetischer Form, also im Blick auf ästhetische Zeichenformen, Zeichenreferenzen und Symbolisationsweisen. Die hier vorgelegte kritische Interpretation der Dritten Kritik ist im Grunde auf diese Ergänzung und Korrektur hin angelegt.

123 N. Goodman, Sprachen (Seitenangaben im Text des folgenden Exkurses beziehen sich auf die deutsche Ausgabe von 1997). Goodmans Unterscheidungen werden verwendet, ohne seine voraussetzungsreiche nominalistische Sprachtheorie explizit zu diskutieren und unbesehen zu rezipieren. Dazu: N. Goodman, Weisen der Welterzeugung; zur Kritik: H. Putnam, Erneuerung, 141-171.

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5. EXKURS: EXEMPLIFIKATION, AUSDRUCK, DICHTE BESCHREIBUNG

Ästhetische Werke (z.B. musikalische Aufführungen, Dramen, Tänze, Bilder) gelten in Goodmans Symboltheorie als besondere Sorte von Zeichen, die für eine Zeichentheorie paradigmatischen Rang gewinnen können. Sie werden im Sinne dieser Theorie bestimmt: (a) durch ihre differenten Bezugnahmeweisen: Denotation und Repräsentation bzw. Exemplifikation und metaphorischer Ausdruck; sowie: (b) durch die Merkmale der verschiedenen Sprachen, durch die ein Werk jeweils definiert wird: diese können syntaktisch und semantisch dicht sein (wie die pikturale Repräsentation, z.B. bei bestimmten Bildern, Skizzen, aber auch Diagrammen), syntaktisch artikuliert (wie die Sprache im üblichen Sinne, z.B. bei literarischen Texten) oder syntaktisch und semantisch artikuliert (wie die Notation, z.B. bei Musikpartituren oder Tanzbewegungen); schließlich erhebt sich (c) die Frage, was Beschreibung meint, die zwischen den differenten Bezugnahmeweisen und differenten .Sprachen' hin und her übersetzt. Es sind die je am konkreten Beispiel wahrzunehmenden Interferenzen von werkdefinierender .Sprache', Bezugnahmeweisen und Beschreibungssprache, die mit Hilfe dieser Theorie genauer unterschieden werden können. Hier liegt der Anknüpfungspunkt der Rezeption!124 (1) Exemplifikation: „Was zum Ausdruck gebracht wird, wird metaphorisch exemplifiziert" (88). Grundlegend ist in dieser Bestimmung zunächst die Unterscheidung von denotativer Bezugnahme (Beispiel: Namen und Prädikatoren denotieren singuläre oder klassifizierbare Dinge) und exemplifizierender Bezugnahme. Sie unterscheiden sich durch Differenz in der Bezugnahmerichtung. Kantisch gesprochen: Denotation schematisiert, Exemplifikation reflektiert. .Proben' exemplifizieren eine Vielzahl verbaler oder nicht-verbaler (oft aber verbalisierbarer) Etiketten125 oder Eigenschaften; und sie besitzen diese Eigenschaften zugleich (60). Beispielsweise kann ein bestimmtes Stoffstück Probe für Farbe, Muster, Qualität, für Handgewebtes oder Maschinengewebtes, für Hochlohn- oder Billiglohnprodukte, für Montags- oder Dienstagsfabrikate, für den Nutzen oder die Zweckmäßigkeit von Baumwollpflanzen oder auch Probe für ,Probe' sein. „Ist Besitz intrinsisch, so ist Bezugnahme es nicht; und welche Eigenschaften eines Symbols nun gerade exemplifiziert werden, hängt davon ab, welches besondere Symbolsystem in Kraft ist.'' (60) (2) Metaphorischer Ausdruck·. Ausdruck als metaphorische Exemplifikation meint, daß Proben jene Etiketten oder Eigenschaften, die sie exemplifizieren, tatsächlich, aber nur figurativ (metaphorisch) besitzen (vgl. 58.60f). Beispielsweise drückt ein in düsteren Grautönen gemaltes Bild mit Bäumen und Klippen am Meer tiefe Traurigkeit aus (oder: ,Moll'). „Was Traurigkeit ausdrückt, ist metaphorisch traurig. Und was metaphorisch traurig ist, ist tatsächlich, 124

Dem dient die vollständige Ausklammerung der Wert-Frage, also der Frage nach dem Schönen, in dieser Ästhetik: „Die Symptome des Ästhetischen sind keine Wertzeichen" (235). 125 Der voraussetzungsreiche Terminus .Etikett' (60-64) wird hier nicht näher diskutiert.

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aber nicht buchstäblich traurig, das heißt, es gerät unter die Herrschaft irgendeiner übertragenen Anwendung eines mit,traurig' koextensiven Etiketts."™ Zugrunde liegt der Metaphern-Begriff Goodmans (vgl. 76-88): „Zum Verständnis der Metapher muß man ... einsehen, daß ein Etikett nicht isoliert, sondern in seiner Zugehörigkeit zu einer Familie funktioniert. Wir kategorisieren durch Mengen von Alternativen." Ein Etikett steht nicht nur für eine einfache Verwendungsregel, sondern für ein Verwendungsschema; die „Gesamtheit der Extensionsbereiche der Etiketten in einem Schema könnte man Sphäre nennen." (76) .Buchstäblich traurig' bemißt sich also an dieser eingeführten, konventionellen Verwendung von .traurig'. Metaphorik überträgt ein Begriffsschema aus seiner Heimatsphäre in eine fremde Sphäre und sortiert und organisiert dadurch diese fremde Sphäre neu: Sie ist eine .kalkulierte Kategorienverwechslung' (77). „Dadurch, daß eine Metapher auf diese Weise eine Neuorientierung eines ganzes Netzwerkes von Etiketten mit sich bringt, gibt sie teilweise Aufschluß über ihre eigene Entwicklung und Entfaltung." Der Gewinn dieser Definition von Ausdruck als metaphorischer Exemplifikation besteht darin, daß der .Ausdruck' eines Werkes am Werk selbst, seiner Weise der Bezugnahme und seinem im Moment geltenden Symbolsystem, expliziert werden kann.127 .Ausdruck' als produktionsästhetische Expression eines inneren Gefühls, als Selbstobjektivation o.ä. kann eliminiert werden, ebenso aber auch .Ausdruck' als rezeptionsästhetischer Begriff (.Einfühlung' o.ä.). Nach dieser Bestimmung kann unser Bild Traurigkeit oder Molltöne ausdrücken, auch wenn dies vom Maler nicht intendiert sein sollte und auch wenn es (noch) von keinem Betrachter so beschrieben wurde: „Was zum Ausdruck gebracht wird, wird demnach [sc. figurativ] besessen, und was ein Gesicht oder ein Bild ausdrückt, das müssen keine (können aber) Emotionen oder Vorstellungen sein, die der Schauspieler oder der Künstler hat oder die er vermitteln möchte, auch keine Gedanken oder Gefühle des Betrachters oder einer abgebildeten Person und auch keine Eigenschaften von etwas anderem, das in anderer Weise mit dem Symbol in Beziehung steht. ... ich reserviere den Terminus .Ausdruck' zur Unterscheidung des zentralen Falles, in dem die Eigenschaft zum Symbol selbst gehört - ohne Rücksicht auf Ursache, Wirkung, Intention oder Inhalt ... Die Eigenschaften, die ein Symbol ausdrückt, sind sein Eigentum. Aber sie sind erworbenes Eigentum. Sie sind nicht die heimischen Merkmale, durch die die als Symbole dienenden 126

N. Goodman, Sprachen, 88 (Kursive HA). Der Begriff eines figurativen, tatsächlichen, aber nicht buchstäblichen Besitzes ist kontraintuitiv, aber in hohem Maße zweckmäßig. Kant fehlte in der Analyse der Idee des .Naturzwecks' der teleologischen Urteilskraft der Terminus .metaphorischer Besitz'. Nicht zuletzt deshalb schwankt die Idee des .Naturzwecks' zwischen einer ontologischen und einer heuristischen Verwendung hin und her, also gleichsam zwischen einer buchstäblich-tatsächlichen und einer .bloß' metaphorischen. - Es dürfte nicht schwer fallen, Beispiele der Abendmahlstheologie zu finden, in denen Elemente tatsächliche, aber nicht buchstäbliche Eigenschaften metaphorisch ausdrücken! 127

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Gegenstände und Ereignisse buchstäblich klassifiziert werden, sondern sie sind metaphorische Importe. Bilder bringen eher Klänge oder Gefühle zum Ausdruck als Farben." (88f) Werke sind durch ihre notationalen, sprachlichen oder repräsentationalen Symbolsysteme (.Sprachen') als je verschiedene Werktypen definiert und unterschieden. Diese Unterscheidung gründet in der Unterscheidung von fünf Merkmalen von Symbolsprachen. Die Symbolsysteme Notation, Sprache und Repräsentation sind durch die fünf Kriterien: syntaktische Artikulation, semantische Artikulation, semantische Dichte, syntaktische Diche und schließlich syntaktische Fülle unterschieden.128 (3) Dichte Beschreibung: Werke als Exempel besitzen die von ihnen metaphorisch ausgedrückten Eigenschaften, selbst wenn sie noch nicht beschreibend rezipiert oder noch nicht genau genug benannt sind. Gleichwohl ist die sprachliche Beschreibung dessen, was metaphorisch ausgedrückt wird, nicht belanglos, sondern in anderer Weise konstitutiv: Beschreibung konstituiert zwar nicht die Symboleigenschaften, aber findet für sie denotierende semantische Prädikate. Die semantische und syntaktische Dichte, in der etwa pikturale Werke repräsentieren oder musikalische Werke ausdrücken129, ihr vermeintlich »unaussprechliches Geheimnis', wird in einer diskursiven Beschreibungssprache sprachlich strukturiert und fokussiert. Und umgekehrt nötigen exemplarische Werke dazu, die Beschreibungssprache auf die in ihr mögliche semantische Dichte hin beständig zu verfeinern, also etwa immer präzisere Unterscheidungen oder .Maßeinheiten' zu finden oder neue, ebenso mögliche Beschreibungen oder .Messungen' auszuprobieren. Dichte Beschreibung wird nach dem Paradigma des Messens inversiv geregelt (vgl. 215-222): „Pikturale Exemplifikation ist also in Wirklichkeit ein invertiertes Anzeige- oder Meßsystem; und pikturaler Ausdruck ist ein besonderes System metaphorischer Exemplifikation."130 Erst die Definition von 128 Dazu N. Goodman, Sprachen, 123-206. Exemplarisch sei die Definition syntaktischer Dichte angeführt: „Ein Schema ist syntaktisch dicht, wenn es unendlich viele Charaktere bereitstellt, die so geordnet sind, daß es zwischen jeweils zweien immer ein drittes gibt. Solch ein Schema weist immer noch Lücken auf, etwa wenn die Charaktere allen rationalen Zahlen entsprechen, die entweder kleiner als 1 sind oder nicht kleiner als 2. In diesem Fall wird die Einfügung eines Charakters, das der 1 entspricht, die Dichte zerstören" (133, vgl, 132-134). Semantische Dichte entscheidet sich an Ambiguität, Disjunktivität der Erfüllungsklassen und semantisch endlicher Differenzierung (vgl. 144-149). Fülle bzw. Abschwächung von (pikturaler bzw. diagrammatischer) Repräsentation entscheidet sich am Reichtum oder der Armut der Symbolmerkmale (vgl. 212f). Partituren (im Standardnotensystem) bedienen sich einer Notation, die syntaktisch und semantisch artikuliert ist, Skripte einer syntaktisch artikulierten, aber semantisch dichten Sprache, Bilder einer syntaktisch und semantisch dichten Repräsentation. 129 Wie pikturale Werke Töne ausdrücken können, so können Musikwerke, z.B. moderner elektronischer Musik, aufgrund ihrer nicht mehr notationalen Partituren nach dieser Theorie auch piktural repräsentieren. 130 N. Goodman, Sprachen, 218.

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gerätspezifischen Toleranzbereichen erlaubt an sich korrektes Messen (mit diesem Meßgerät). Tolerable Ungenauigkeit ermöglicht Meßbarkeit. Die Aufgabe dichter Beschreibung kehrt diese Regel um! Da es hier keine Toleranzbereiche geben kann, gibt es keine finite, korrekte Messung: „Von den zahllosen Eigenschaften, die ein Bild besitzt... bringt es nur diejenigen metaphorischen Eigenschaften zum Ausdruck, auf die es Bezug nimmt. Die Herstellung bezugnehmender Beziehungen ist eine Frage des Aussonderns bestimmter Eigenschaften, auf die sich die Aufmerksamkeit richtet, der Auswahl von Verknüpfungen mit bestimmten anderen Gegenständen. Der wortsprachliche Diskurs ist nicht der unbedeutendste unter den vielen Faktoren, die solche Verknüpfungen stiften und verstärken helfen. Wenn hier auch nur Auswahl stattfindet, so läuft Auswahl aus einer solchen Fülle an Auswählbarem doch ... praktisch auf Konstituierung hinaus ... Reden erzeugt nicht die Welt oder gar Bilder, sondern Reden und Bilder haben daran teil, einander und die Welt, wie wir sie kennen, zu erzeugen." (91) Es erheben sich so als Pointe die Fragen: - Wie ist die syntaktische und semantische Dichte des metaphorischen Ausdrucks pikturaler, musikalischer, skripturaler, architektonischer, choreographischer oder auch liturgischer Zeichen in diskursiver Sprache zu beschreiben (oder zu denotieren)131? - Wie bestimmt umgekehrt die Grammatik einer Beschreibungssprache die Aussonderung und Artikulation exemplifizierter Eigenschaften? - Wie erfolgt im Hin- und Herwechseln zwischen den Symbolsystemen ein genuines Lernen? Was wir fortan abgekürzt dichte Beschreibung nennen, ist, genauer gesagt, eine diskursive Beschreibung dichter Zeichen in einer syntaktisch unbegrenzten und semantisch dichten Sprache, die in Wechselwirkung mit dem Beschriebenen ausgelotet wird.

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In der knappen abschließenden Definition metaphorischen Ausdrucks ist diese Frage mit enthalten: „Wenn a b ausdrückt, dann (1) besitzt a b oder wird von ihm denotiert; (2) dieser Besitz oder diese Denotation ist metaphorisch; und (3) bezieht sich α auf b." (96) 115

§ 5 Typik - Symbolik - Metaphorik 1. ,Faktum der Vernunft' als selbstbezügliches Zeichen Die Schlüsselstelle der Religionsschrift lautet: „Daß aber jemand nicht bloß ein gesetzlich, sondern ein moralisch guter (Gott wohlgefälliger) Mensch, d.i. tugendhaft nach dem intelligiblen Charakter (virtus noumenon), werde, welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, keiner andern Triebfeder weiter bedarf, als dieser Vorstellung der Pflicht selbst: das kann nicht durch allmähliche Reform, so lange die Grundlage der Maximen unlauter bleibt, sondern muß durch eine Revolution in der Gesinnung im Menschen (einen Ubergang zur Maxime der Heiligkeit derselben) bewirkt werden; und er kann ein neuer Mensch, nur durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch eine neue Schöpfung (Ev. Joh. ΙΠ,5; verglichen mit l.Mose 1,2), und Änderung des Herzens werden." (RGV, Β 54; 7,698) Diese Revolution ist gemeint, wenn Kant zuvor vom ,in uns gegebenen Gesetz' spricht: „Wäre dieses Gesetz nicht in uns gegeben, wir würden es, als ein solches, durch keine Vernunft herausklügeln, oder der Willkür anschwatzen: und doch ist dieses Gesetz das einzige, was uns der Unabhängigkeit unsrer Willkür von der Bestimmung durch alle andern Triebfedern (unsrer Freiheit) und hiemit zugleich der Zurechnungsfähigkeit aller Handlungen bewußt macht." (RGV, Β 16 Anm.; 7,673, Kursive HA) Diese beiden Stellen bilden den Zugang zur Religionsschrift, weil sie die Revolution des Herzens', das „Prinzip der reinen Vernunftreligion" (RGV, Β 180; 7,786), mit dem Prinzip der praktischen Philosophie vermitteln: dem Faktum der reinen praktischen Vernunft'. Das Faktum der reinen praktischen Vernunft wird am Menschen als Revolution der Gesinnung symbolisiert. Die Religionsschrift kann dazu verleiten, das Symbol der .Revolution gleich einer Neuschöpfung' aus der vorausgesetzten Anthropologie des radikal Bösen zu erläutern. Die Grundlegung der Moralmetaphysik, die nach einem Kanon des Vernunftgebrauchs fragt, insistiert ja in der Tat auf Reinheit von allen anthropologischen Voraussetzungen. Sie nimmt keine Rücksicht auf das .krumme Holz' der menschlichen Natur1. „Der Satz vom angebornen Bösen ist in der moralischen Dogmatik von gar keinem Gebrauch: denn die Vorschriften derselben enthalten eben dieselben Pflichten, und bleiben auch in der derselben Kraft, ob ein angeborner Hang zur Übertretung in uns sei, oder nicht." (RGV, Β 60; 7,702) Das Prinzip der praktischen Vernunft und das Prinzip der Vernunftreligion können nicht durch das radikal Böse miteinander vermittelt sein! Vielmehr

1 Zu den fünf Stufen der Reinheit und zur komplexen Vermittlung zwischen .Faktum' und .Revolution': L.W. Beck, Kommentar, 63.

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ist, dies die erste These, schon die Rede vom Faktum der Vernunft auf die negative Darstellung der Kreatürlicbkeit praktischer Freiheit hin zu interpretieren, auf eine Typik der Faktizität, welche durch die Religionsschrift anthropologisch symbolisiert wird. 2 U m .Kreatürlichkeit' als Aporie der praktischen Metaphysik wahrzunehmen, ist es entscheidend, daß Kants Rede vom ,Faktum der Vernunft' jene neue akroamatische Darstellungsform, die Kant in der Transzendentalen Methodenlehre avisiert, grundlegt. Gegen die autarke Letztbegründung der Vernunftgrundsätze als Axiome in einem intuitiven Sehen von absoluter und monadischer Evidenz bestimmt sich praktische Vernunft im Faktum des Imperativs als Akroam zu einer diskursiven Typik und Symbolik undarstellbarer humaner Freiheit. Das ist auch eine theologisch weitreichende Weichenstellung! Hält Kant doch zumindest die Stelle offen für ein praktisches Verstehen der Geschöpflichkeit von Freiheit, das Schöpfung nicht mehr im Sinne der alten metaphysischen oder der neuen politischen Theologie als Ursprung und Verursachungsrelation denkt und darstellt. Ob und inwieweit diese praktische Darstellung möglich sei, ist die Ausgangsfrage der Religionsschrift. Dies ist die zweite These, die in diesem Kapitel zu entwickeln ist. Von der Zweiten Kritik an, die erst zum kategorischen Imperativ als Faktum der Vernunft durchstößt, ist nicht mehr der Gegensatz von Freiheit und Naturkausalität das Schlüsselproblem der praktischen Metaphysik Kants. Vielmehr bezeichnet die praktische Korrelation von geschöpflicher Freiheit und göttlicher Freiheit»das eigentliche und fundamentale Rätsel" der Kant'schen Philosophie. 3 Dies ist die dritte These. Sie ist in der Kritik des ontologischen Arguments grundgelegt. Gegenüber dem urteilspraktischen Begriff von faktischer Freiheit im,Hören* des sich aufdringenden Imperativs fallen die, keineswegs seltenen, Versuche Kants, die Geschöpflichkeit der Freiheit auch archäologisch, durch den hypothetischen Begriff einer reinen, nicht zeitlich-schematisierten Kategorie von Kausalität zu explizieren, in die Denkform dogmatischer Metaphysik zurück.4 Sie dienen lediglich der Apologetik gegenüber dem kosmologischen und theologischen Determinismus der dogmatischen 2 Der im Blick auf Kants Text durchaus richtige Nachweis, daß der negative Begriff von Freiheit als spontaner, indifferenter Willkür, wie ihn auch die Zweite Kritik enthält, den Begriff des radikal Bösen in der Religionsschrift schon vorbereitet (vgl. L.W. Beck, Kommentar, 191-193 im Zusammenhang von 169-193), indiziert eher einen zweideutigen Begriff von Freiheit als transzendentaler Willkür bei Kant selbst. 3 Daß „die Freiheit eines dependenten, der Präszienz des geistigen Urprinzips und also einer Prädetermination unterliegenden Weltwesens das eigentliche und fundamentale Rätsel" der Kant'schen Philosophie sei, zeigt H. Heimsoeth, Metaphysische Motive, 221, mit einer Fülle von Belegen, auch wenn sein Problemformulierung unpräzise ausfällt. 4 Vgl. exemplarisch: KpV, A 179-185; 6,226-230 (zur Kritik: L.W. Beck, Kommentar, 194f); RGV, Β 58f Anm.; 7,701; RGV, Β 178f Anm.; 7,785 (hier kommt Kant mit der Idee der freien göttlichen Erwählung als eines bloß allsehenden Wissens in der überzeitlichen Ordnung der Freiheit der altlutherischen Lehre von der scientia media dei nahe).

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Metaphysik: theoretische Philosophie hat die Funktion der spekulativen Apologetik für die Moral."* Hochproblematisch sind allerdings die Rückwirkungen dieser apologetischen Nötigung auf die praktische Philosophie genau dann, wenn Kant aus dieser Nötigung heraus mit einem bloß problematischen Begriff von transzendentaler Freiheit als indifferenter, absoluter Spontaneität arbeitet. Daß die praktische Exposition faktischer Freiheit als genuiner Urteilspraxis beständig von einem bloß problematischen Begriff transzendentaler Freiheit als absolut anfangender Kausalität konterkariert ist, macht die Hauptschwierigkeit der folgenden Interpretation aus. Der kategorische Imperativ ist als Akroam zu begreifen, wie seine Einführung zeigt: „Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen, weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z.B. dem Bewußtsein der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben), herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen Anschauung gegründet ist, ob er gleich analytisch sein würde, wenn man die Freiheit des Willens voraussetzte, wozu aber, als positivem Begriffe, eine intellektuelle Anschauung erfodert werden würde, die man hier gar nicht annehmen darf. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben anzusehen, wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend (sie volo, sie iubeo) ankündigt." (KpV, A 55f; 6,141f, Kursive z.T. HA) Nicht der kategorische Imperativ, sondern das Bewußtsein des kategorischen Imperativs ist das singulare, ,sich für sich selbst uns aufdringende' Faktum der VernunftAber ist diese Pointierung triftig? Offenbart sich im ,Wissen' des moralischen Gesetzes, als Faktum für die Vernunft, nur die Selbstgesetzgebung der Vernunft, so daß sich „im Faktum für die reine Vernunft nur das Faktum der reinen Vernunft"7 widerspiegelt? Doch diese Selbstbezüglichkeit enthält gerade das entscheidende Neue: Kant tilgt in der kritischen Moralphilosophie die vorkritische, direkt theologische Konnotation der Rede vom Faktum entschieden! In der überlieferten Definition galt Offenbarung als ,significatio[nem] mentis devinae creaturis a Deo factam'.8 In der Religionsschrift kehrt die ,significatio mentis devinae creaturis a Deo factam' in der Rede vom ,in uns gegebenen Gesetz' wieder, - der Offenbarungsbegriff ist jedoch jetzt peinlich genau vermieden. Die Sistierung des moralmetaphysischen Begriffs von der Gesetzes-Offenbarung des Schöpfers ist Kants kritische Innovation. Daraus folgt die vierte, wichtigste These: Das Faktum der Vernunft ist das innere Hören eines fremden Gesetzes als eines selbstgegebenen.

5 G. Krüger, Moral, 166. Nur in jenem präzisen Sinn, den Krüger der Kant'schen .Apologetik' gibt (vgl. 164-236), wird dieser Begriff im Folgenden gebraucht! ' Kants Formulierungen sind aber nicht immer eindeutig: L.W. Beck, Kommentar, 159f. 7 L.W. Beck, Kommentar, 162f (Kursive z.T. HA). 8 Vgl. Religionslehre Pölitz, in: Kants Vorlesungen über Rationaltheologie, AA 28.2/2, 1117.

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Dazu wird dieses Gesetz als reines selbstbezügliches Zeichen dargestellt, und zwar nach dem Paradigma der Logik als reine Form der Gesetzmäßigkeit. Das Wissen dieses Faktums ist nicht vom transzendentalen Ich-denke her zu verstehen. Es ist Bewußtsein des dem Menschen Fremden, und das in einem radikal anderen Sinn als bei der Anschauung empirischer Faktizität, deren nächste Analogie es doch sein soll:9 „die eindringliche Kraft sollizitiert hier nicht zur Gegenwirkung des Sicherhaltens, sondern überwältigt gänzlich, indem sie das verfügende Vorstellen selbst gefangen nimmt"™ Das Eindringliche wird als solches spontan gewußt und zugeeignet, und zwar so, daß es in diesem Wissen nicht angeschaut wird. Die Analogie zur empirischen Faktizität beruht allein auf der .Eindringlichkeit' des Faktums der Vernunft, gerade nicht auf seiner Anschaulichkeit.11 Das Gewußtwerden des Gesetzes ist paradoxerweise als reines Wissen selbst passiv, rezeptiv, und zwar, wie es scheint, rezeptiv ohne Rezeptivität. Als rezeptives Wissen ohne Rezeptivität ist es Wissen jenseits der reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit. Wie läßt sich die Eigenart dieses genuin praktischen Wissens des Imperativs bestimmen, welches seine Gegenstände, die Begriffe des Guten und Bösen a priori hervorbringt und sie, anstatt sie anzuschauen, praktisch symbolisiert?12 Das ist die Frage. 2. Reine als rezeptive Urteilskraft: Gewissen Von der Ästhetik der praktischen Vernunft kann eine zureichende Antwort auf die eigenartig passive Rezeption des Gesetzes nicht erwartet werden. Vielmehr ist sie als Lehre von den Triebfedern durchgeführt: Sie wird zur Ästhetik des reinen Gefühls der Achtung, die sich allein der Frage stellt, wie das Subjekt als sinnliches Wesen durch die Grundsätze reiner praktischer Vernunft affiziert sein kann. Achtung ist das von allen empirischen Affekten unterschiedene, .durch einen Vernunftbegriff selbstgewirkte Gefühl'13. Sie ist das Bewußtsein der Unterordnung aller Bestimmungsgründe des Willens unter das Gesetz und seinen Vernunftbegriff des Guten. Da der Begriff des moralischen Gefühls in diesem Sinne festgelegt ist, kann durch ihn die Rezeption des Gesetzes in ihrer genuinen Faktizität nicht exponiert werden. Das mag der Grund sein, weshalb Kant diese Rezeption an einer singulären Stelle geradezu in Analogie zum Instinkt erläutert, freilich so,

9 Kant nennt denn auch den sich aufdringenden Imperativ .gleichsam ein Faktum' (Vgl. KpV, A 96; 6,171; KpV, A 163; 6,215. 10 G. Krüger, Moral, 193. 11 G. Krüger, Moral, 194. 12 Vgl. KpV, A 160f; 6,213f. " GMS, Β 16 Anm.; 6,28. Vgl. KpV, A 131; 6,194.

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daß der Begriff „Instinkt"14 dazu dient, die genuine moralische Rezeption des Gewissens zu charakterisieren: „Das Gewissen ist ein Instinkt, sich selbst nach moralischen Gesetzen zu richten. Es ist kein bloßes Vermögen, sondern Instinkt."15 Der Instinkt des Gewissens indiziert - darin unterscheidet er sich vom tierischen Instinkt - ein genuines Verstehen. Verstanden wird das Faktum der Vernunft in der rezeptiven, anschauungslosen Abhängigkeit von ihm, wenn es urteilend in Gebrauch genommen wird. Urteilend in Gebrauch genommen wird das Gesetz als Grundsatz praktischer Vernunft, wenn durch es die Gegenstände reiner praktischer Vernunft allererst hervorgebracht werden. Es ist das „Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen Vernunft" (KpV, A 110; 6,180), daß die Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft, also die Begriffe des Guten und Bösen nicht am Anfang stehen, sondern durch dieses spontane, nicht-anschauliche Urteilen nach dem Gesetz a priori hervorgebracht werden, ein Hervorbringen, in welchem sich das Faktum der Vernunft selbst darstellt. Gerade die genuine Faktizität des Faktums der Vernunft verlangt praktische Urteilskraft, die durch das Gesetz in einem gleichsam instinktiven Urteilsakt (als Synthesis apriori) die Willensmaxime bestimmt. Wer die im Faktum der Vernunft provozierte praktische Urteilskraft als Gewissen exponiert, sieht sich allerdings vor die mächtige Wirkungsgeschichte neuzeitlicher Gewissenstheologie gestellt, hinter welcher Kants praktische Urteilskraft nahezu zu verschwinden droht. In dieser Tradition, die sich in der Tat auf viele Äußerungen Kants berufen kann, wird das Gewissen zumeist anthropologisch vom bösen Gewissen her verstanden, das Schuld zurechnet, eben darin aber in die Verantwortung für das Gesollte stellt. Als Faktum der Vernunft gilt die, wenn auch psychoanalytisch angefochtene, ,Grundgegebenheit des Menschseins': das schuldfähige, ,böse', aber gerade darin Freiheit voraussetzende GewissenDas Gewissensurteil rufe, über einzelnen Handlungen, den .ganzen Menschen* in seinem nur durch ihn selbst verantwortbaren, individuellen Personsein vor sich.17 Hochproblematisch wird dies allerdings, wenn sich darauf nun die Unterscheidung von intelligiblem und empirischem Charakter aufbaut. Diese Unterscheidung bleibt bloß kritizistisch: Kant läßt sich mit ihr in der Tat vom ,Phänomen' des bösen Gewissens und der Schuldimputation leiten, weil dieses Phänomen für die Kritik der reinen Vernunft und ihr Verständnis von Freiheit entscheidend ist. Die problematisch-apologetische Platzhalterschaft des imputativen Gewissens bietet den Schlüssel

14 Als Instinkt gilt die „innere Nötigung des Begehrungsvermögens zur Besitznehmung dieses Gegenstandes, ehe man ihn noch kennt" (Anthropologie, Β 245; 10,599, Kursive z.T. HA; Anthropologie, A 234f; 10,606f), „ein gefühltes Bedürfnis ... wovon man noch keinen Begriff hat" (RGV, Β 20 Anm; 7,676). 15 Vgl. Eine Vorlesung Kants über Ethik, hg.v. P. Menzer, 161. 16 A. Freund, Gewissensverständnis, 73-101. 17 A. Freund, Gewissensverständnis, 58-72.105-113.

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zum Geschäft der Kritik. Das Phänomen der Imputation eröffnet die kritizistische Unterscheidung von Erscheinung und Ding, mit der die transzendentale Ästhetik der reinen Anschauung steht und fällt. Die reine theoretische Vernunft der Ersten Kritik unterscheidet sensibles und intelligibles Sein aber nur von außen her - spekulativ. Das .richtende Gewissen* als Mittler des Ubergangs vom Standpunkt theoretischer zu praktischer Vernunft verbürgt scheinbar die Identität der reinen Vernunft, vor allem die Identität der problematisch-intelligiblen Freiheit mit der faktisch-praktischen Freiheit. Dieses apologetische' Interesse bestimmt die Explikation: An den Richtersprüchen „desjenigen wundersamen Vermögens in uns, welches wir Gewissen nennen" (KpV, A 175; 6,223) interessiert die „Reue über eine längst begangene Tat bei jeder Erinnerung derselben" (KpV, A 176; 6,224). Reue nämlich ist die „schmerzhafte, durch moralische Gesinnung gewirkte Empfindung, die so fern praktisch leer ist, als sie nicht dazu dienen kann, das Geschehene ungeschehen zu machen, und sogar ungereimt sein würde ..., aber, als Schmerz, doch rechtskräftig ist, weil die Vernunft, wenn es auf das Gesetz unserer intelligibelen Existenz (das moralische) ankommt, keinen Zeitunterschied anerkennt, und nur frägt, ob die Begebenheit mir als Tat angehöre, alsdenn aber immer dieselbe Empfindung damit moralisch verknüpft, sie mag jetzt geschehen, oder vorlängst geschehen sein" (KpV, A 176f; 6,224, Kursive HA). So wird das ,böse Gewissen', obgleich praktisch leer, die Brücke zur intelligiblen Welt einer praktischen Metaphysik. Die Aporie der Mitteilung zwischen intelligiblem und empirischem Charakter, die sich die Apologetik mit der Unterscheidung von empirischem und intelligiblem Charakter einhandelt, zeigt sich immer dann, wenn Kant ein unerklärliches, transkategoriales Verhältnis der Verursachung zwischen intelligiblem und empirischem Ich unterstellt.18 Dieses Problem kehrt wieder, wann immer das Gewissensurteil als Grunddatum einer Theorie religiöser Subjektivitäts&o/wiifHtion gilt." Es gilt aber jetzt zu zeigen, daß Kants Analyse des Gewissens als praktischer, eschatologischer Urteilskraft gerade nicht bloß kritizistisch zu verstehen ist und nicht in eine Theorie religiöser Subjektkonstitution zurückführt. Kant definiert Gewissen - nicht zufällig am Ende der Religionsschrift - allerdings wirklich als sich selbst richtende moralische Urteilskraft}" „Man könnte das Gewissen auch so definieren: Es ist die sich selbst richtende moralische Urteilskraft; nur würde diese Definition noch einer vorhergehenden Erklärung der darin enthaltenen Begriffe

" „Dieser intelligibele Charakter könnte zwar niemals unmittelbar gekannt werden, weil wir nichts wahrnehmen können, als so fern es erscheint, aber er würde doch dem empirischen Charakter gemäß[!] gedacht werden müssen, so wie wir überhaupt einem transzendentalen Gegenstand den Erscheinungen in Gedanken zum Grunde legen müssen, ob wir zwar von ihm, was er an sich selbst sei, nichts wissen." (KrV, Β 568; 4,493) Der intelligibele Charakter, „der die transzendentale Ursache von jenem [sc. empirischen] ist" (KrV, Β 574; 4,497), bleibt gänzlich unbekannt, „außer so fern er nur durch den empirischen als das sinnliche Zeichen desselben angegeben wird" (ebd). Der intelligibele Charakter, „wovon jener [empirische] nur das sinnliche Schema ist" (KrV, Β 581; 4,502). " Η. Assel, Aufbruch, 142-146.152-154.264-304. 20 Bekanntlich statuiert Kants Methodenlehre, „daß in der Philosophie die Definition, als abgemessene Deutlichkeit, das Werk eher schließen, als anfangen müsse" (KrV B, 758f; 4,625). Die Religionsschrift ist insgesamt als entdeckende Analyse des Gewissens zu interpretieren!

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gar sehr bedürfen. Das Gewissen richtet nicht die Handlungen als Kasus, die unter dem Gesetz stehen ...: sondern hier richtet die Vernunft sich selbst, ob sie auch wirklich jene Beurteilung der Handlungen mit aller Behutsamkeit (ob sie recht oder unrecht sind) übernommen habe, und stellt den Menschen, wider oder für sich selbst, zum Zeugen auf, daß dieses geschehen, oder nicht geschehen sei."21 Allerdings erhält das Gewissen erst in der Religionsschrift (und in der Tugendlehre) diesen Rang. In der Kritik der reinen praktischen Vernunft ist die Urteilskraft praktischer Vernunft vom menschlichen Gewissen zu unterscheiden. Praktisches Urteilen entscheidet hier nämlich über die Art und Weise zu sein. Als Urteilskraft richtet sie nicht (.moralistisch') über einzelne Handlungen, sondern entscheidet das Sein der Vernunft selbst als ein Sein entweder in der Wahrheit oder in der Unwahrheit. Eben darum entscheidet der kategorische Imperativ als oberster Urteilsgrundsatz den Kanon der Urteilskraft. Weil ihr die gesamte Analyse dieser praktischen Urteilskraft zugrundeliegt, ist die am Ende der Religionsschrift gegebene Definition des Gewissens in der Tat äußerst erklärungsbedürftig. Das richtende menschliche Gewissen eröffnet in der Zweiten Kritik zur praktischen Urteilskraft als dem Sein in der Wahrheit nur den Zugang: „Die Einzigkeit [sc. des Faktums der Vernunft] liegt in der Offenbarung des Sittengesetzes durch die Stimme der reinen praktischen Vernunft in uns, ein Faktum, das Kant im Blick auf das ,Urteil, welches die Menschen über die Gesetzmäßigkeit ihrer Handlungen fällen' [KpV, A 57], für so .unleugbar' hält, daß er die gesuchte Deduktion des Gesetzes aus einem vorhergehenden Begriff (des Guten, der Vollkommenheit, ja, selbst der Freiheit im Sinne der Spontaneität) ausdrücklich preisgibt. Das Faktum läßt sich nur in all seinen Momenten exponieren. Und die Exposition läßt dann die Erkenntnis zu, ,worin sich reine Vernunft bei uns in der Tat als praktisch beweist' [vgl. A 72]. Sie zeigt, daß dieses Faktum ,für uns' mit dem ,Bewußtsein der Freiheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja, mit ihm einerlei ist' [vgl. A 72], ohne daß wir fragen könnten, ob das Gesetz das .Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft' und dieses mit einer im tranzendentalen ,Ich' verankerten Selbstgewißheit der Freiheit gleichbedeutend sei. Nach Kant verhält es sich genau umgekehrt. Das Vernunftfaktum dient zum Prinzip der Deduktion des sonst ungewissen, ja gänzlich unerkennbaren Vermögens des Handelns aus Freiheit".22 Der ontologiscbe Charakter des kategorischen Imperativs als Urteilsgrundsatz schlägt sich in der sprachlich präzisen Formel des kategorischen Imperativs in der Grundlegungsschrift nieder. Er weist zu jener Maxime an, durch die (nicht·, von der23) ,du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.' Das Paradoxon der Methode der praktischen Philosophie trägt nur dem ontologischen Charakter des praktischen Wissens Rechnung: Wenn es nicht auf Handlungen, d.h. auf Zweck und Erfolg ankommt, sondern auf die

21 22 23

RGV, Β 288; 7,860, Kursive z.T. HA. Vgl. RGV, Β 103f; 7,732. M. Riedel, Vernunft und Urteilskraft, 113. So der Konjekturvorschlag der Akademie-Ausgabe AA 4,631.

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Notwendigkeit des Willens zu ihr (aus Achtung fürs Gesetz), dann heißt das: „es kommt auf die Art und Weise an, wie der Mensch im Wollen überhaupt existiert. Das .Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen Vernunft', daß der Begriff des Guten und Bösen nicht am Anfang steht..., ist im denkbar radikalsten Sinne zu nehmen: weder die ,gute' Tat, noch etwa die ,gute' Gesinnung kann zugrunde gelegt werden".24 Die Formel des Sittengesetzes weist vielmehr erst an zur praktischen Erkenntnis der Ausdrücke ,gut* und ,böse', indem sie fragt: „wie ist ihr Sein möglich"Ρ

3. Der Formalismus und seine theologische Aporie 3.1 Darstellung undarstellbarer Freiheit Praktische Urteilskraft lehrt, genötigt durch das Faktum der Vernunft, gehorchend zu verstehen, was geboten ist. Deshalb schließt Kant an die Analyse des Faktums der Vernunft eine explizite Analyse praktischer Urteilskraft an.26 Das ist gegenüber der Grundlegungsschrift neu, auch wenn dort in den verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs praktische Urteilskraft implizit schon ausgeübt wird! Es ist praktische Urteilskraft, welche die alleinigen Objekte der praktischen Vernunft, das Gute und Böse, durch das zuvor exponierte objektive Gesetz dogmatisch hervorbringt und sich darin signifikant von der anschauungsbedürftigen, bestimmenden Urteilskraft der Ersten Kritik unterscheidet. Das praktische Urteilen wird, ausgehend von der juristischen Hermeneutik, als apriorische ,Imputation' von Handlungen in der Applikation' des Sittengesetzes analysiert.27 Die Urteilskraft praktischer Vernunft vollzieht die Zurechnung möglicher Handlungen α priori, indem sie den guten, d.h. gehorsamen Willen (wie dann auch das Gefühl der Achtung im konkreten Subjekt) unmittelbar hervorbringt. Die Aufgabe der durch die Kategorien urteilenden reinen praktischen Urteilskraft besteht darin, die mannigfaltigen Momente einer möglichen galten Handlung zu spezifizieren' und der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen (vgl. KpV, A 115; 6,184), d.h. „am Leitfaden der Kategorien zu beurteilen, unter welchen Bedingungen sich die moralisch unbestimmte Maxime zum moralisch bestimmten Gesetz qualifizie-

G. Krüger, Moral, 65. Ebd. 26 Sie ist Thema des Zweiten Hauptstücks der Analytik der praktischen Vernunft (KpV, A 100-127; 6,174-191): Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft (KpV, A 100-119; 6,174-186), und: Von der Typik der reinen praktischen Urteilskraft (KpV, A 119-127; 6,186-191). Dieses Hauptstück liegt im Folgenden zugrunde. 27 Zur Analogie der Termini: Imputation, Applikation und Spezifikation in der juristischen Hermeneutik, M. Riedel, Urteilskraft, 104-109. 24 25

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re."28 Die entscheidende Frage an eine objektgerichtete Handlung ist ja, ob wir sie wollen dürften, wenn sie in unserer Gewalt wäre. Mithin muß die moralische Möglichkeit der Handlung vorangehen (vgl. KpV, A 101; 6,174). Die mannigfachen Momente einer konkreten Handlung und ihre moralisch noch unbestimmte Maxime werden aufgrund der moralisch möglichen .guten' Handlung qualifiziert, deren Maxime allein durch das Gesetz bestimmt wäre. Die reine praktische Vernunft urteilt dabei a priori, also ohne eines Kanons der Urteilskraft zu bedürfen: „für sie ist die Ubereinstimmung zwischen dem Begriff und seinem Gegenstand kein Problem, weil die praktischen Begriffe a priori die .Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung) selbst hervorbringen.' [KpV, A 116] Sie bedarf seiner nicht, sofern sie das problematische Urteil über die moralische Möglichkeit des Guten durchs Sittengesetz dogmatisch darstellen kann. Sie braucht dafür nur die Funktion der reinen praktischen Urteilskraft, die das Gesetz auf den Fall einer in der Sinnlichkeit möglichen Handlung anwendet."29 Weil die reine praktische Vernunft dogmatisch urteilt, bedarf sie selbst keines Kanons, sondern kann zum Kanon, zum „Inbegriff der Grundsätze a priori des richtigen Gebrauchs gewisser Erkenntnisvermögen überhaupt" (KrV, Β 824; 4,671) werden. „Sie ist in ihrer Weisheit wahrhaft aufgeklärt, sie bedarf keiner Aufklärung. Vielmehr ist sie der Ursprung der Möglichkeit alles aufklärenden Vernunftgebrauchs ... Die moralische Vernunft stellt sich selbst dar und bedarf nur Verdunkelungen gegenüber beständig der Verteidigung durch die dienende praktische Urteilskraft." 30 Deshalb ist das .Anhören der ehernen Stimme der Pflicht' das, „was Archimedes bedurfte, aber nicht fand: ein fester Punkt, woran die Vernunft ihren Hebel ansetzen kann, und zwar, ohne ihn weder an die gegenwärtige, noch eine künftige Welt, sondern bloß an ihre innere Idee der Freiheit, die durch das unerschütterliche moralische Gesetz, als sichere Grundlage darliegt, anzulegen, um den menschlichen Willen, selbst beim Widerstande der ganzen Natur, durch ihre Grundsätze zu bewegen"31. Der kategorische Imperativ stellt sich durch die ihm dienende praktische Urteilskraft a priori selbst dar. Sie bringt den Willen in die Wahrheit. In der Selbstdarstellung des Gesetzes wird das Gesetz selbst gewußt (exponibel), aber nicht verstanden (deduzierbar). Verständlich (ableitbar aus dem Faktum der Vernunft) wird dagegen die Möglichkeit der praktischen Freiheit als zueignend gehorchendes Wissen des Gesetzes. Verstehen der Möglichkeit der Freiheit meint nicht Begreifen. Einsicht in praktische Freiheit resultiert aber auch nicht aus einem blinden, unmittelbaren Gehorchen. Sie ist ein urteilendes Erlernen jenes „Geheimnis[ses], welches nur nach langsamer Entwickelung der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsätzen, also nur durch Arbeit, fühlbar werden kann" (Ton, Β 419; 5,393). Einsicht in die Möglichkeit

A.a.O., 120f (Kursive HA). M. Riedel, Urteilskraft, 124. 30 G. Krüger, Moral, 134. " Ton, A 419; 5,393. 2t

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der Freiheit gründet in ihrer praktischen Darstellbarkeit durch die praktische Urteilskraft als „Selbstbewußtsein der Vernunft, das sie von ihrem eigenen Gehorsam hat"32. Diese Darstellung vollzieht sich als Exposition des Faktums der Vernunft.33 Diese Exposition zeigt, daß dieses Faktum ,für uns' mit dem „Bewußtsein der Freiheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerlei sei" (KpV, A 72; 6,155). Erst am Ende dieser Exposition wird aber, gerade durch die deutliche Erkenntnis der Möglichkeit der Freiheit in der Exposition des Gesetzes, das Geheimnis dieser Freiheit fühlbar. „Und so begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Notwendigkeit des moralischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine Unbegreiflichkeit, welches alles ist, was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Prinzipien strebt, gefodert werden kann." (GMS, Β 128; 6,102, Kursive z.T. HA) Das urteilend erarbeitete, erlernte, fühlbare und als solches nur indirekt mitteilbare Geheimnis der Freiheit als eingesehene Unbegreiflichkeit des Faktums der Vernunft ist Platzhalter der Kreatürlichkeit praktischer Freiheit innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft. Das Geheimnis des Vernehmens des Gesetzes „ist nicht empirisch (der Vernunft zur Auflösung aufgestellt), sondern a priori (als wirkliche Einsicht innerhalb der Grenze unserer Vernunft) gegeben, und erweitert sogar das Vernunfterkenntnis, aber nur in praktischer Rücksicht, bis zum Ubersinnlichen" (Ton, A 419; 5,393).

3.2 Die Aporie des Formalismus Wie kein anderer hat Gerhard Krüger die Aporie jener Urteilspraxis, die sich im Gehorsam selbst das objektive Gesetz als absolut verbindliches Faktum der Vernunft vorausdenkt, benannt.34 „Die reine Vernunft, praktisch gebraucht, ist kein menschlicher Wille; der Wille ... ist im Gegensatz zur menschlichen Willkür, die die Handlung bestimmt, der Bestimmungsgrund der Willkür selbst... und er übt wie ein fremdes Wesen einen echten Zwang auf die Willkür aus. Es ist das Paradoxon der Moral (daher das, was Kritik herausfordert), daß nichtsdestoweniger der Mensch diesen Zwang ausüben soll, kein strafender Gott. Aus dieser Verlegenheit erwächst philosophisch die echte Problematik des Formalismus. Wie hat man sich die Vernunft zu den-

32

G. Krüger, Moral, 195. Vgl. KrV, Β 757f; 4,624f; Logik Jäsche, A 220f; 5,574f. 34 Krüger setzt Heideggers Hermeneutik der Faktizität des Gesetzes voraus, widerspricht ihr aber in den entscheidenden Punkten (G. Krüger, Moral, 68 Anm. 1). Heidegger bestätigt im nachhinein die Analyse Krügers: Die Kant unterstellte fundamentalontologische Frage sei bei Kant selbst „getrieben von der metaphysial specialis - Theologie" (so die Selbstkorrektur: M. Heidegger, Kant Gesamtausgabe 202 Anm. a, vgl. 207.) 33

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ken, die übermenschlich rein und doch vom Menschen gebraucht ist?"35 Für die Frage nach einem reinen und zugleich menschlichen, praktischen Vernunftgebrauch scheint nur die Logik als Paradigma möglich und entsprechend also nur die reine Form der Gesetzmäßigkeit als Bestimmungsgrund praktischer Vernunft. Die reine Form der Gesetzmäßigkeit muß sich dann für den Menschen in verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs darstellen. Noch nicht darin liegt die Aporie, daß vom Menschen aus reine praktische Vernunft als unbegreifliches Faktum des Gesetzes gedacht werden muß. Zurecht schließt Kant es aus, Freiheit als theonome Verursachung zu denken. Vielmehr liegt die Aporie darin, daß der logische Formalismus als Paradigma der Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit den praktischen Charakter des Faktums der Vernunft gefährdet und damit die von Kant intendierte Faktizität der praktischen Urteilskraft im Vollzug konterkariert. „Wenn die Formeln [des kategorischen Imperativs] nicht aus dem empirischen Leben, sondern trotz ihrer Menschlichkeit aus dem Gesetz stammen sollen, dann bleibt zunächst nichts andres übrig als die formale logische Idee dieses Gesetzes. Aber da diese Idee wesentlich praktisch (Gebot) ist, muß sie von sich aus sich dem Menschen erschließen und sehen lassen, was sie ,enthält' ... Das Wesen der Moral muß von der logischen Idee des unbedingten Gesetzes aus im Hinblick auf die gebotene Anwendung, d.h. im Hinblick auf eine Art Selbstdarstellung dieser Idee für die praktische Vernunft des Menschen erörtert werden. Selbstdarstellung ist die Formel als die des gebietenden Gesetzes, das sich an den Menschen richtet. Aber sofern sie sich an den Menschen richtet, stellt sich das Gebot als sein Prinzip dar, dessen er ableitend mächtig ist. Darin liegt einerseits die geschichtliche Aporie der Aufklärung, andrerseits doch aber auch das legitime Motiv, daß der Mensch selbst gehorchen und selbst die Anweisung zum Sein als Gehorchender denken muß ... So ergibt sich ein Leitfaden der Formulierung des Sittengesetzes: die praktische Vernunft des Menschen muß eine Darstellung der formal-logischen Idee des unbedingten Gesetzes gestatten, die sich als Selbstdarstellung dieser Idee bedeutsam verstehen läßt."36 Die Formulierung des kategorischen Imperativs als Maxime reiner Gesetzmäßigkeit darf nur indirekt und praktisch verstanden werden. „Das ist die Aporie des Formalismus, die daraus entsteht, daß Kant eine über menschliche Vernunft hinaus liegende Bindung des Menschen doch vom Boden der Aufklärung aus expliziert. In der geschichtlichen Situation, in der Kant sich befindet, gibt es offenbar nur diesen einzigen Weg."37 Damit ist eine Hermeneutik der Formeln des kategorischen Imperativs aus der Grundlegungsschrift gefordert, die den Titel einer Hermeneutik der Faktizität praktischer Freiheit, auch gegen Kant, beansprucht. Sie ist für die Religionsschrift ausschlaggebend, sofern dort die Faktizität praktischer Freiheit 35 36 37

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G. Krüger, Moral, 76. A.a.O., 78f. A.a.O., 78.

als Leben im Geheimnis dargestellt wird. Um zu dieser kritischen Rede vom Geheimnis zu gelangen, muß freilich die Selbstdarstellung des Gesetzes durch die Urteilskraft in den Formeln des Imperativs als .Typen' bzw. .Symbolen' praktischen Urteilens voll entfaltet werden. Diese .Typen' könnten, so verstanden, zu Platzhaltern einer „praktischen Ontologie der Schöpfung" werden.38 Sie weisen an zu lernen, wie die Welt als geschaffene ist, genauer: wie sie zu sein hat, und der Mensch in ihr. In den Typen praktischen Urteilens wird die reine Gesetzmäßigkeit als Unbedingt-Gutes so dargestellt, daß unmittelbar zur praktischen Freiheit als einer Weise, in der Welt zu sein, angeleitet wird. Der Typus einer besten Welt, eines Reiches Gottes, dient allerdings nicht mehr als dialektisches Ideal des höchsten zu verwirklichenden Gutes. Er leitet vielmehr indirekt zur Geschöpflichkeit als Lebensform der praktischen Freiheit, indem es die Unbegreiflichkeit dieses Guten in der Welt begreifbar werden läßt. Das praktische Urteilen ist im selben Maße, in dem es diese Unbegreiflichkeit praktischer Freiheit in der Welt begreift, auf Hoffnung hin angelegt.

4. Typik und Metaphorik: Pluralität und Konflikt der Interpretation Ist es erlaubt, Kants Typik eine Hermeneutik der Faktizität praktischer Freiheit zu unterstellen, die auf eine praktische Ontologie geschöpflicher Hoffnung hinzielt? Die Gegenfrage lautet: Kann ohne diese Hermeneutik die Religionsschrift überhaupt verstanden werden? Die .Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' unterstellt ja im Titel die Möglichkeit einer eigenartigen Erkenntnis der Dinge an sich: „Grenzen ... setzen immer einen Raum voraus, der außerhalb einem gewissen bestimmten Platze angetroffen wird, und ihn einschließt; Schranken bedürfen dergleichen nicht, sondern sind bloße Verneinungen ... Unsre Vernunft aber sieht gleichsam um sich einen Raum vor die Erkenntnis der Dinge an sich selbst, ob sie gleich von ihnen niemals bestimmte Begriffe haben kann, und nur auf Erscheinungen eingeschränkt ist." (Prol., A 166f; 5,227) Erkenntnis der Dinge an sich hält sich indirekt-reflektierend auf der Grenze: „Da aber eine Grenze selbst etwas Positives ist, welches so wohl zu dem gehört, was innerhalb derselben, als zum Räume, der außer einem gegebenen Inbegriff liegt, so ist es doch eine wirkliche positive Erkenntnis, deren die Vernunft bloß dadurch teilhaftig wird, daß sie sich bis zu dieser Grenze erweitert, so doch, daß sie nicht über diese Grenze hinaus zu gehen versucht ..." (Prol., A 181; 5,237) Kant bahnt damit kritisch einen eigenen Begriff symbolischer Erkenntnis der Vernunftidee Gottes in ihrem Weltverhältnis an. Er hält mit der Möglichkeit einer Erkenntnis auf der Grenze die Stelle für eine Symbolik der Schöp-

38

A.a.O., 75. 127

fung offen: „Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sein. Denn alsdenn eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus, wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei, und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphism, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht... Eine solche Erkenntnis ist die nach der Analogie, welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweener Dinge, sondern eine vollkommne Ähnlichkeit zweener Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet." (Prol., A 175f; 5,232f) Kant expliziert solche Erkenntnis nach der (Verhältnis-)Analogie im § 59 der Kritik der ästhetischen Urteilskraft. .Analogie' steht jetzt für ein Verfahren der Reflexion, für eine aktuelle Analogiebildung durch die Einbildungskraft. Sie ist für das Erkennen auf der Grenze zunächst eine Anweisung zum metaphorischen oder symbolischen Sprachgewinn, nicht ein Verfahren der begrifflichen Objektbestimmung. Dazu deckt sie die vollkommene Ähnlichkeit der Regeln der Reflexion über Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Relata auf. Kant verwendet in diesem Zusammenhang bekanntlich als Beispiel die Metapher des Körpers für den nach inneren Volksgesetzen regierten Staat, und die Metapher der Handmühle für den absolutistisch beherrschten Staat.39 „Denn zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel [AA: den Regeln], über beide und ihre Kausalität zu reflektieren." (KU, Β 256; 8,460) Die indirekte, .symbolische' Darstellung ermöglicht es der Urteilskraft, ,ein doppeltes Geschäft' zu verrichten: „erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung [sc. genauer: auf einen Sachverhalt], und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand [sc. auf einen ganz anderen Sachverhalt], von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden." (Ebd.) Dieser Begriff des Symbolisierens setzt die transzendentale Korrelation von Sprache und reiner praktischer Vernunft voraus. Reine Vernunftideen und Verstandesbegriffe werden nicht nachträglich .anwendend* symbolisiert bzw. schematisiert. Sie verdanken sich vielmehr schon immer der Analogiebildung, wie Kant weiß. „Unsere Sprache ist voll von dergleichen indirekten Darstellungen, nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält. So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), abhängen (von oben gehalten wer39 Die Wahl von Metaphern aus der Staatslehre ist nicht zufällig, sofern sich als Pointe der Überlegung erweist, daß das rechtlich typisierte ethische gemeine Wesen durch die Metapher vom Reich Gottes zu symbolisieren ist.

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den), woraus fließen (statt folgen), Substanz ..., und unzählige andere nicht schematische, sondern symbolische Hypotyposen, und Ausdrücke für Begriffe nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben." (KU, Β 257; 8,460) Die Kategorien als scheinbar unwandelbare Formbegriffe reinen Verstands setzen in ihrer Verwendung die Analogie von Wortbegriffen voraus, welche die Regel ihrer Reflexion immer schon mit anleitet: „dieses Faktum dürfen wir das semantische Apriori der Vernunft nennen"40, wobei .semantisches Apriori* selbstverständlich die semantischen und syntaktischen Aspekte von Metaphorik (als kalkuliertem Kategorienfehler) umfasst.41 Das Problem von reiner Vernunft und Sprache wird bei Kant differenzierter reflektiert, als es manche Kritik Hamanns ahnen läßt.42 Hamanns Metakritik begründet die Verschränkung von Ästhetik und Logik affirmativ schöpfungs- und namenstheologisch und führt dies sprachontologisch durch.43 Für Kants negativ-theologische Exposition endlichen Urteilens gilt hingegen: „Vernunft und Sprache gründen in einer Relation, die sich nicht wiederum,begründen' läßt, weil sie die Bedingung der Möglichkeit von Begründung darstellt. Ich möchte sie die transzendentale Korrelation von Vernunft und Sprache nennen, wobei ich hier unter .transzendental' verstehe: indifferent gegenüber den Unterscheidungen von ,Materie' und ,Form', ,Grund' und ,Begründeten' [sie]."44 Es verdient bereits Beachtung, daß Kant an der zitierten Stelle jene Kategorien als Beispiel wählt, die ihrerseits die Reflexion der Idee Gottes als allerrealstes Wesen und als Grund anleiten. Im negativen Erkennen auf der Grenze spielen nicht-schematisierte Kategorien mit der reinen Vernunftidee Gottes zusammen. Der spekulative Diskurs ist dazu aber auf Symbolregeln natürlicher und biblischer Sprache angewiesen. „Wenn man eine bloße Vorstellungsart schon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn sie ein Prinzip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes ist, was er an sich [AA: sei], sondern der praktischen, was die Idee von ihm für uns und den zweckmäßigen Gebrauch derselben werden soll, wohl erlaubt ist): so ist alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch" (KU, Β 257; 8,460f, Kursive HA). Man muß dies im Blick halten, wenn Kant umgekehrt auf der kritischhermeneutischen Funktion der Gottesidee zur Läuterung der biblischen Gottesrede insistiert: „Der transzendentale Begriff von Gott, als dem allerrealsten Wesen,... gehört zum Verbände und zugleich zur Läuterung aller konkreten, die nachher in die angewandte Theologie und Religionslehre hineinkommen mögen." (Ton, A 41 If Anm.; 5,389) Was ist gemeint, wenn der Begriff des allerrealsten Wesens, der zur Läuterung biblischer Gottesrede dient, zugleich

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M. Riedel, Urteilskraft, 60. Zu diesem Verständnis von Metaphorik: § 4,5. 42 O. Bayer, Zeitgenosse, 179-192, v.a. 187f. 43 Präzise dargestellt durch O. Bayer, Α priori willkürlich, v.a. 132-138. 44 M. Riedel, Urteilskraft, 48. 41

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zum Verbände jener Gottesrede gehört, die er läutern soll? Die analogische Verwendung von Regeln metaphorischer Rede im begrifflichen Diskurs stellt nicht nur eine .Läuterung' und .Abtötung' der Metapher im Begriff dar. Sie ist zugleich eine ,Aufhebung' der Metapher, die ein .Leben des Begriffs' ermöglicht, in dem er zum Verbände der konkreten Begriffe zugehörig bleibt.45 Bei Kant kündigt sich dies in der Alternanz seiner theologischen und religionsphilosophischen Begriffe an, die uns im Blick auf Kants Religionsschrift und ihrem Versuch, .Verheißung' praktisch zu reflektieren, interessiert. In diesem Versuch stellt sich zwischen Symbolregeln und Begriffsregeln eine Spannung her, welche eine grammatische Pluralität der Vernunft indiziert. Aus dieser lebt die Alternanz der Urteilskraft. Erkennen auf der Grenze transzendentaler Logik vollzieht sich mithin im Konflikt der Interpretation: „Die Interpetation ist dann eine Diskursmodalität, die an der Uberschneidungslinie von zwei Sektoren, dem des Metaphorischen und dem des Spekulativen operiert ... Einerseits will sie die Klarheit des Begriffs, andererseits versucht sie, die Dynamik der Bedeutung zu bewahren, die vom Begriff unterbrochen und fixiert wird. Eben diese Situation betrachtet Kant in dem berühmten Paragraph 49 der Kritik der Urteilskraft. Er nennt ,Geist, in ästhetischer Bedeutung' ,das belebende Prinzip im Gemüte'."46 Es ist die ästhetische Idee als genuine Darstellung der Vernunftidee durch die Einbildungskraft, die den begrifflichen, kategorialen Verstand dazu zwingt, sich zurückzunehmen und mehr zu denken. „Die schöpferische Einbildungskraft ist nichts anderes als diese Forderung an das begriffliche Denken." Die Lebendigkeit der Sprache, exemplarisch in der semantischen und syntaktischen Metaphorik, überträgt „den Schwung der Einbildungskraft auf ein ,mehr denken* auf die Ebene des Begriffes ... Dieser Kampf um das ,mehr denken' unter Anleitung des .belebenden Prinzips' ist die ,Seele' der Interpretation."47 Kants Religionsschrift ist Vollzug praktischer Interpretation christlicher Gottesrede, sofern sie sich auf der Grenze und im Konflikt von reiner praktischer Typik und Reflexion biblischer Hoffnungsmetaphorik vollzieht. Das Programm dieser Interpretation auf der Grenze und im Konflikt von .Gesetz' und .Verheißung' fokussiert die bereits angeführte Bemerkung der Dritten Kritik: Mit der Rede von .Verheißung*, „hat diese wundersame Religion in der größten Einfalt ihres Vortrages die Philosophie mit weit bestimmteren und reineren Begriffen

P. Ricceur, Metapher, 270. P. Ricceur, Metapher, 284 (vgl. KU, Β 192; 8,413). Zum Interpretations-Modell der Vernunftkritik bei Kant und ihrem Ort in der transzendentalen Topik als einer Reflexion der Reflexion: M. Riedel, Urteilskraft, 57f. 47 P. Ricceur, Metapher, 284f. 45

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der Sittlichkeit bereichert..., als diese bis dahin hatte liefern können, die aber, wenn sie einmal da sind, von der Vernunft frei gebilligt, und als solche angenommen werden, auf die sie wohl von selbst hätte kommen und sie einführen können und sollen." (KU, Β 463 Anm.; 8,603). Gegenüber dem möglichen Selbstmißverständnis der Urteilskraft, die (Verheißung' restlos in die Begründungsform reiner praktischer Vernunft zu überführen scheint, gilt es zu zeigen, daß die Religionsschrift Interpretation bleiben sollte, „parce que c'est en dehors de la circonscription de la raison que s'inscrit la caractere inscrutable de l'origine du mal, de l'origine de la representation christique implantee dans nos coeurs, du don additionnel de la grace que la croyance confesse, enfin de l'institution qui donne visibilite au Royaume de Dieu sur terre." 48 Diese Interpretation im Konflikt und in der Alternanz zwischen reiner praktischer Typik und biblischer Hoffnungsmetaphorik „donne corps ä une intelligence de Pesperance en tant que replique d'un genre unique a Paveu du mal radical."49 Die Frage ist, ob und wie sich die biblische Metaphorik in ihrer bleibenden Externität und in ihrer enthusiastischen Hoffnung in der Reflexion ans Gefühl und an die Typik praktischer Vernunft mitteilt und inwiefern nicht. Die reinen Typen der praktischen Urteilskraft dürften nicht bleiben, was sie apriori sind, wenn biblische Metaphorik ihre Regel und ihren Kanon alteriert. Dieser Konflikt der Interpretation zwischen reiner Typik des Gesetzes und biblischer Verheißungsmetaphorik ist nun zu explizieren. Er entscheidet sich an der Darstellungsform der Religionsschrift.

5. Praktische Typik: Programm und Problem 5.1 Propädeutik zur Weisheit, Mensch zu sein Die aktuelle Analogiebildung der Urteilskraft baut die Brücke, die es der praktischen Typisierung ermöglichen soll, ,zur Welt zu kommen'. Die Typik des moralischen Gesetzes nämlich verlangt nach dieser Vermittlung, weil die Idee der rein formalen moralischen Gesetzmäßigkeit nur über reine und komplexe Verstandesbegriffe, wie dem der gesetzesbestimmten .Natur', als praktischen .Symbolen' (Bildern) darstellbar wird. Dem Gesetz einer intel-

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P. Ricoeur, Hermeneutique, 40, vgl. 20. ' Ebd. (Kursvie HA). Im Sinn des sich im Konflikt der Interpretation sprachlich mitteilenden Geistesschwungs ist etwa Kants Bekenntnis zur Bibel zu verstehen: „Ich lese die Bibel gern und bewundere den Enthusiasm in ihren neutestamentischen Lehren" (AA 23, 451). Enthusiasmus der neutestamentischen Lehren meint den Hoffnungsaffekt, der sich in biblischer Metaphorik an das ruhige selbstbeherrschte moralische Gefühl der Achtung vor dem Gesetz mitteilt und es erweitert, indem es ,mehr* fühlen läßt als bloße Achtung vor dem Gesetz: Liebe und Hoffnung. 4

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ligiblen Kausalität aus Freiheit kann kein auf Anschauung angewiesenes (zeitliches) Schema zur Anwendung in concreto dienen. „Hier ... ist es nicht um das Schema eines Falles nach Gesetzen, sondern um das Schema (wenn dieses Wort hier schicklich ist) eines Gesetzes selbst zu tun, weil die Willensbestimmung (nicht der Handlung [Konj. AA: die Handlungen] in Beziehung auf ihren Erfolg) durchs Gesetz allein, ohne einen anderen Bestimmungsgrund, den Begriff der Kausalität an ganz andere Bedingungen bindet, als diejenige sind, welche die Naturverknüpfung ausmachen." (KpV, A 121; 6,187f) Das vermittelnde Erkenntnisvermögen zur Natur kann deshalb nur der Verstand, nicht die Einbildungskraft sein. Exemplarischer Typus wird deshalb in der Zweiten Kritik die verstandeskonstituierte, bloß formale Naturgesetzlichkeit50. Die Regel der praktischen Urteilskraft, die Kant an dieser Stelle angibt, lautet: „Frage dich selbst, ob die Handlung, die du vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein Teil wärest, geschehen sollte, sie du wohl, als durch deinen Willen möglich, ansehen könntest." (KpV, A 122; 6,188) Daß Kant in der Zweiten Kritik nur den formalen Naturbegriff als einzigen Typus diskutiert, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in der Typik insgesamt um einen moralischen Weltbegriff geht, der an .Natur' als Typus nur paradigmatisch exemplifiziert wird. Typus ist der „Begriff des Gesetzes selbst, insofern er ein .Reich' oder eine .Welt' definiert."51 Genauer: Der Typus leitet, gerade durch die Verstandesreinheit der Typen, ein praktisches In-der-Welt-Sein des Verstandes an, der sich zur Darstellung dieses In-derWelt-Seins Bilder (nicht Schemata) zu verschaffen sucht: „Die Darstellung des Sittengesetzes für den Menschen bedarf der Anschauung, weil der Verstand diskursiv ist. Wirklich ein Bild von der Sache, wie es der Mensch bedarf, gibt der Typus allein nicht. Auch der Typus ist eine Vorstellung von einem Verfahren der Bildbeschaffung. Aber das Bild kann hier nun doch nicht die Sache selbst darstellen, sondern nur den Verstandesakt, der sich an ihm vollzieht, als solchen."52 .Typen' (oder .praktische Symbole') sind Anweisungen zum praktischen Verstandesgebrauch, in denen sich das Beanspruchtsein durch das unbedingt Gute darstellen kann. Die ihnen wahlverwandten .Bilder' (oder Hoffnungsbilder) müssen den Charakter von lebendigen Metaphern tragen, die ein Wahr-werden indirekt, analogisch darstellbar machen, so wie der praktische Verstand am Typus wahr werden soll. Typen und Hoffnungsbilder leiten ein Wahr-Werden des Selbst an, - und zwar nicht im Sinne seiner Selbstverwirklichung durch Handeln, sondern im Sinne eines Wahrwerdens der Weltwahrnehmung und der Weltbeurteilung! Es ist entscheidend, daß diese .Symbole' Anweisungen sind, sich im Übergang vom praktischen Freiheitsakt zum 50 51 52

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Vgl. KpV, A 122; 6,188. L.W. Beck, Kommentar, 154. G. Krüger, Moral, 84.

theoretischen Wissen zu (ver)halten, und das heißt auch: im Übergang von praktischer Noumenalität zu theoretischer Phänomenalität. Es wäre dies das Wahrnehmen und Urteilen „in der konkreten Einheit des Höffens", das sich als „theologisch denkende Welterfahrung des moralisch handelnden Menschen, in ursprünglicher Einheitlichkeit verstehen" müßte.53 Als genuines Verfahren zur Beschaffung von ,Hoffnungsbildern' erweist sich die Typik allerdings wiederum vor allem darin, daß sie anleitet, Symbole zu entdecken, indem sie einen möglichen Verstandesakt des Hoffens wider naheliegende, aber dialektische Hoffnungsformen offenhält. Sie richtet sich gegen das empiristische und mystische Mißverständnis des Guten in der Welt: Das erhoffte Gute in der Welt darf einerseits nicht als zu verwirklichendes ,Glücksgut' und Zweck einer Handlung verstanden werden; dies wäre das empiristische Mißverständnis des erhofften Guten als ,Werk'. Das Gute in der Welt soll andererseits nicht als gegenwärtig Vorhandenes hoffend angeschaut werden, indem es schematisiert wird; dies wäre das mystische Mißverständnis des verheißenen Guten als eines empirisch Anschaubaren und propositional Aussagbaren.54 Die Typik hält, so gesehen, den Platz frei für das Hoffen, - und zwar als einer menschlich-kreatürlichen Weisheit. „Im .Handle so ...' ist der Mensch, sofern er bloß vernünftiges Wesen sein soll, als der ,Fall' bereits gesetzt. Dadurch bekommt nun die an sich theoretische Struktur der Symbolik ihren wesentlich praktischen Charakter: die ,Kunst' des Existierens zeigt sich als die Kunst weise zu werden."55 Kant avisiert einen praktisch angeleiteten Verstandesgebrauch, der sich vom selbstmächtigen, sich selbst erhaltenden Verstandesvermögen der transzendentalen Apperzeption, aber auch vom reinen, dogmatischen Verstandener der Typik, unterscheidet wie kreatürliche Weisheit von souveräner Wissenschaft. Gerade diese Weisheit wäre, so der vorkritische Kant, die dem Menschen als Menschen nötige .Wissenschaft': „Wenn es irgend eine Wissenschaft giebt, die der Mensch wirklich bedarf, so ist es die, welche ich lehre, die Stelle geziemend zu erfüllen, welche dem

" G. Krüger, Moral, 251. Gegen den Empirism der praktischen Vernunft, „der die praktischen Begriffe, des Guten und Bösen, bloß in Erfahrungsfolgen (der sogenannten Glückseligkeit) setzt" (KpV A 125; 6,190), und gegen ihren Mystizism, welcher das „was nur zum Symbol dienete, zum Schema macht, d.i. wirkliche, und doch nicht sinnliche, Anschauungen (eines unsichtbaren Reichs Gottes) der Anwendung der moralischen Begriffe unterlegt und ins Uberschwengliche hinausschweift" (ebd.) statuiert Kant: „Dem Gebrauche der moralischen Begriffe ist bloß der Rationalism der Urteilskraft angemessen, der von der sinnlichen Natur nichts weiter nimmt, als was auch reine Vernunft für sich denken kann, d.i. die Gesetzmäßigkeit, und in die übersinnliche nichts hineinträgt, als was umgekehrt sich durch Handlungen in der Sinnenwelt nach der formalen Regel eines Naturgesetzes überhaupt wirklich darstellen läßt." (ebd.) 55 G. Krüger, Moral, 87, vgl. 88 (zur ersten Formel des kategorischen Imperativs): „Das Gesetz ist nach dem Typus nur so darstellbar, daß ich es als durch meinen Willen zum Naturgesetz werdend denke" (vgl. 207f). 54

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Menschen in der Schöpfung angewiesen ist, und aus der er lernen kann, was man sein muss, um ein Mensch zu sein."56 Das Geschäft der Kritik führt allerdings zur Einsicht, daß praktische Vernunft gerade aufgrund der Reinheit der Verstandestypik zu dieser Weisheit, die auf Schöpfung zu hoffen lehrt, kritisch hinführt, aber nicht selbst Weisheit sein kann. Die Typik als Verfahren praktischer Urteilskraft ist nur die propädeutische Voraussetzung jenes Urteilens, das selbst „sans lieu, proprement atopique" ist57, weil es weder der theoretisch-schematisierenden noch der praktisch-typisierenden Urteilskraft zugerechnet werden darf.

5.2 Mißglückter Versuch: Die Dntte Formel des Imperativs Was soll der Mensch werden, um Mensch an seinem geschöpflichen Ort zu sein und zu bleiben? Die scheinbar überraschende Antwort lautet: Er soll autonom sein. Genauer: Er soll sich selbst unter der Jdee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens" (GMS, Β 70; 6,63) betrachten. Autonomie ist jenes praktische Selbstverständnis, das ein Beanspruchtsein durch die Idee der rein formalen Gesetzmäßigkeit als vernünftige Selbstgesetzgebung vollzieht: „Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als selbstgesetzgebend, und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann), unterworfen, angesehen werden muß." (GMS, Β 70f; 6,64, Kursive z.T. HA) Diese sog. Dritte Formel des kategorischen Imperativs muß als praktisches Symbol gelesen werden, durch welches sich die Idee des Gesetzes selbst als freier Wille darstellt. Das juridische Symbol für den menschlichen Willen unter dem Gesetz ist der allgemeine, an keinerlei Privatinteressen gebundene Gesetzgeber, der sich selbst an sein Gesetz bindet, ihm unbedingt verantwortlich ist - und gerade darin die über ihm stehende Herrschaft des Rechts in der Ausübung gehorsam anerkennt. „Der menschliche Wille ist nie uninteressiert, d.h. nie rein. Er kann aber als Symbol des reinen Willens gedacht werden, d.h. unter dem direkt darstellbaren juridischen Begriffe eines Gesetzgebers, der für das von ihm gegebene Gesetz unbedingt eintritt. In dem Verstandesbegriff des menschlichen Gesetzgebers wird die Idee des Unbedingt-Guten indirekt demonstrabel, und in ihm soll sie durch unsere Handlungen direkt anschaulich werden ... Das .Selbst' im Begriff der Selbstgesetzgebung meint nicht die unbedingte, nur sich selbst gehorchende schöpferische' Freiheit, die sich selbst nach einem Gesetze treu sein will, sondern die unbedingte Verantwortung gegen das Gesetz, der sich gerade die Freiheit

56 57

1. Kant, Fragmente aus dem Nachlaß, 323. Dazu: G. Krüger, Moral, 58-62. P. Ricceur, Hermeneutique, 40.

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selbst nicht entziehen darf."58 Die Idee der unbedingten Verantwortlichkeit gegen das Gesetz (also nicht die Idee der Gesetzgebung selbst, sondern die in ihr implizierte Verantwortlichkeit gegen ein selbstgegebenes Gesetz) führt zum formellen Begriff der Religion als „Gewissenhaftigkeit" (MST, A 102; 7,575) und zur Idee Gottes als Herzenskündiger und Richter: Die Selbstgesetzgebung des Menschen kann gerade nicht in personam seine Richterschaft über sich (und andere) einschließen. Daß der im praktisch-juridischen Symbol eines Selbstgesetzgebers sich verstehende autonome Wille nicht absolut selbstmächtig, sondern sich selbst entzogen ist, weil er sich durch sich selbst der Herrschaft des Gesetzes übereignet, bewährt sich deshalb in einem dem Autonomie-Symbol anhängenden, „sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke" (GMS, Β 74; 6,66). „Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hiedurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objektive Gesetze, d.i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen auf einander, als Zwecke und Mittel, zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke (freilich nur ein Ideal) heißen kann." (GMS, Β 74f, Kursive z.T. HA) Die praktischen Symbole der Natur, der Autonomie und des Reichs der Zwecke zusammengenommen führen zur Rekonstruktion der vollständigen Formel des Kategorischen Imperativs: „Alle Maximen aus eigener Gesetzgebung sollen zu einem möglichen Reich der Zwecke als einem Reich der Natur zusammenstimmen."59 In diesem Reich der Zwecke aus Autonomie ist jeder zugleich Glied und Oberhaupt - allerdings mit bezeichnender Einschränkung: „Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen Gesetzen selbst unterworfen ist. Es gehört dazu als Oberhaupt, wenn es als gesetzgebend keinem Willen eines andern unterworfen ist. Das vernünftige Wesen muß sich jederzeit als gesetzgebend in einem durch Freiheit des Willens möglichen Reiche der Zwecke betrachten, es mag nun sein als Glied, oder als Oberhaupt. Den Platz des letztern kann es aber nicht bloß durch die Maxime seines Willens, sondern nur alsdann, wenn es ein völlig unabhängiges Wesen, ohne Bedürfnis und Einschränkung seines dem Willen adäquaten Vermögens ist, behaupten." (GMS Β 75; 6,66f, Kursive z.T. HA) Der kategorische Imperativ in seinen verschiedenen Formeln gewinnt in der Grundlegungsschrift unvermutete, ja unbegründete theologische Relevanz.60 Die implizite praktische Geschöpflichkeit der Glieder im Reich der Zwecke kann Kant in der Grundlegungsschrift durch die Unterscheidung des ,Ober51

G. Krüger, Moral, 103. Zur Rekonstruktion dieser sog. Formel lila und ihren Varianten: GMS, Β 66; 6,61 und H.J. Paton, Imperativ, 225. „Formel IHa ist ... die umfassendste aller Kantischen Formeln." 60 Vgl. H.J. Paton, Imperativ, 229. 59

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haupts' von den .Gliedern' im Reich der Zwecke nur vorläufig und mißverständlich andeuten.61 Erst die Einsicht in das Verfahren der praktischen Urteilskraft, die den freien Willen unter der Idee der Autonomie darstellt, indem sie ihm zugleich die Richterschaft über sich selbst entzieht und der Verantwortung gegenüber einem nicht-menschlichen Richter unterstellt, klärt die Souveränität und absolute Freiheit des Oberhaupts. Nicht primär als Gesetzgeber, sondern als souveräner Richter erweist sich Gott als Schöpfer. Die polemische Fiktion des ethischen Naturzustandes, der absoluten Richterschaft der Menschen über sich und andere, hat in der Idee eines Reichs der Zwecke ihren Maßstab, sofern dieses praktische Symbol zum Urteilsenthalt über die eigene und fremde Person und zugleich zur begrenzten, vorläufigen Verantwortung nicht nur des Handelns, sondern auch der Urteilsbildung anweist. Daß dieser Urteilsenthalt sich in actu als Praxis kreatürlicher Verantwortung erweisen möge, welche dem ,Ende aller Dinge' zumindest nicht widerspricht, das ist Kants Hoffnung, ohne daß Vernunft diese Hoffnung allein aus sich begründen kann und wollen kann. Deshalb muß im Dritten Stück der Religionsschrift der reine Verstandestypos des Reichs der Zwecke unter der biblischen Metapher eines verheißenen Reiches Gottes reflektiert werden.

Das zeigt sich etwa angesichts der Frage, worin sich denn nun eigentlich das Oberhaupt des Reiches von dessen Gliedern unterscheidet? Kant gibt unklare Auskünfte: Ist es die völlige Unabhängigkeit Gottes? Aber worin besteht diese? Darin, daß für Gott der Imperativ nicht Pflicht, sondern Natur ist? (GMS, Β 76; 6,67) Darin, daß er von schlechthin unbedürftiger Freiheit und moralisch allmächtig ist? Oder schließlich darin, daß er als Gesetzgeber keinem Willen eines anderen unterworfen ist? (GMS, Β 75; 6,66) 61

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§ 6 Elimination göttlichen Namens Vor dem Hintergrund der Fiktion des ethischen Naturzustands bildet das Zentrum der Religionsschrift eine neue Pflicht, die „der Art und dem Prinzip nach, von allen andern unterschieden" ist (RGV, Β 136; 7,757): „Der Mensch soll aus dem ethischen Naturzustande herausgehen, um ein Glied eines ethischen gemeinen Wesens zu werden" (RGV, Β 134; 7,755). Das Besondere dieser Pflichtformel hebt Kant sehr nachdrücklich hervor: „Hier haben wir nun eine Pflicht von ihrer eignen Art, nicht der Menschen gegen Menschen, sondern des menschlichen Geschlechts gegen sich selbst. Jede Gattung1 vernünftiger Wesen ist nämlich objektiv, in der Idee der Vernunft, zu einem gemeinschaftlichen Zwecke, nämlich der Beförderung des höchsten, als eines gemeinschaftlichen Guts, bestimmt. Weil aber das höchste sittliche Gut durch die Bestrebung der einzelnen Person zu ihrer eigenen moralischen Vollkommenheit allein nicht bewirkt wird, sondern eine Vereinigung derselben in ein Ganzes zu eben demselben Zwecke, zu einem System wohlgesinnter Menschen erfordert, in welchem und durch dessen Einheit es allein zu Stande kommen kann, die Idee aber von einem solchen Ganzen, als einer allgemeinen Republik nach Tugendgesetzen, eine von allen moralischen Gesetzen (die das betreffen, wovon wir wissen, daß es in unserer Gewalt stehe) ganz unterschiedene Idee ist, nämlich auf ein Ganzes hinzuwirken, wovon wir nicht wissen können, ob es als ein solches auch in unserer Gewalt stehe: so ist die Pflicht, der Art und dem Prinzip nach, von allen andern unterschieden." (RGV, Β 135-137; 7,756f) Aus dem ethischen Naturzustand herauszugehen, um ein Glied eines ethischen gemeinen Wesens (des .Reiches Gottes') zu werden - dieser Imperativ ist das eigentliche .Prinzip der Vernunftreligion'. Aber warum handelt es sich um eine Pflicht sui generis? Was heißt es, daß diese Pflicht auf ein Ganzes gehe, wovon wir nicht wissen ob es in unserer Gewalt stehe? Scheitert das ,Du kannst, denn du sollst'? Soll es sich durch diese Pflicht selbst begrenzen?

1. Religion als Kultur der Vernunft Man kann Kants Pflicht-Formel säkularisieren und sie allein auf ihren urteilspraktischen Gehalt hin lesen. Sie figuriert dann als Prinzip einer Kantischen Ethik des Dialogs. In der Religionsschrift tritt explizit ein „Dialogprinzip an zentraler Stelle unter den abgeleiteten Moralprinzipien" auf.2

1 „Das Wort .Gattung' ... bezeichnet ... nicht die Gesamtheit der Merkmale, die den Kollektivbegriff .Mensch' bilden, sondern die Reihenfolge der Generationen (.Zeugungen'), in denen sich die Menschengeschichte in Raum und Zeit aufbaut". Die Individuen sind dann „als Glieder der Generationen Teile des realen Ganzen einer ins Unendliche (Unbestimmbare) gehenden Reihe von Zeugungen" (M. Riedel, Urteilskraft, 168f). 2 A. Wellmer, Ethik und Dialog, 48.

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Insbesondere Albrecht Wellmer legte jüngst eine Version der Diskursethik vor, die dem diskursethischen Letztbegründungsanspruch im Namen Kants widerspricht: Vor die Aporie des gemeinsamen moralischen Weltbezugs und der angemessenen Situations- und Selbstdeutung gestellt, erweitere sich Kants Ethik zu einer Ethik der Urteilskommunikation. Es gehe ihm um die Frage, wie der moral point of view in besonderen, d.h. komplexen, präzedenzlosen und konfliktträchtigen Situationen in moralischer Weise zur Geltung zu bringen sei. Die Frage der Moralhegründung und ihrer dogmatischen Applikation sei vom moralischen Diskurs der Beteiligten, d.h. fehlbarer Menschen, nicht zu trennen. „Moralischer Diskurs und moralische Urteilskraft sind daher ihrem Gegenstand nach nicht voneinander verschieden; praktische Vernunft äußert sich als moralische Urteilskraft."3 Kants kritische Leistung liege in der Unterscheidung von Recht und Moral, also in der Einsicht, daß das rechtsphilosophische Modell der souveränen Verfassungskonstitution und der verfahrensformalen, zwangsrechtlichen Normenapplikation, Situations- und Handlungsinterpretation, gerade kein Modell eines ethischen gemeinen Wesens sein könne.4 Die unbedingte Pflicht zur Öffentlichkeit weist mithin an, das Faktum' wechselseitiger Anerkennung als eine für alle Formen menschlichen Zusammenlebens konstitutive und nicht hintergehbare Dimension moralisch wahrzunehmen. In der .Pflicht der Menschheit gegen sich selbst' wird dieses Faktum als vernünftiges Faktum reflex; sie verlangt die moralische Anerkennung der Anerkennungsreziprozität. Zweifellos läßt sich so die zentrale moralanthropologische Einsicht Kants, die Leidenschaftlichkeit des Menschen als sein Angewiesensein auf die Mitwelt, eindeutiger in die moralische Urteilspraxis einzeichnen, als Kant dies gelingt. Der Imperativ der Religionsschrift bedeutete also: Wie der Mensch in den Leidenschaften auf andere angewiesen ist, so soll er auch in der Moralität auf andere angewiesen bleiben: „... er soll seine Bestimmung zur Geselligkeit bedingungslos wahr machen. Er soll aus seiner nur scheinbar geselligen, in Wahrheit privaten Existenz heraustreten und als selbständiger einzelner ... doch zugleich in wahrhafter Öffentlichkeit leben." 5 Der Schein der Geselligkeit gründet freilich, wie wir sahen, nicht nur in der bewußten, aber versteckten Privatheit der Interessen. Das radikal Böse indiziert eine mögliche innere Lüge des Gewissens, in der gerade die ethische Sprache und die Selbstverständigung außermoralischen Zwecken dient. Hinter diesem kritischen Verhältnis zur ethischen Sprache, erst recht aber hinter dem Begriff inkommensurabler göttlicher Gerechtigkeit bleibt Wellmer zurück, wenn er das praktische Wissen um die Bedingungen des guten Lebens als Anerkennung der in der Sprache aufgehobenen, rächenden Gewalt und Gerechtigkeit verletzter Anerkennung bestimmt.6 Die bloße Faktizität von Anerkennungsverhältnissen könne

3

A. Wellmer, Ethik und Dialog, 137. A. Wellmer, Ethik und Dialog, llf. 5 G. Krüger, Moral, 104. 6 A. Wellmer, Ethik und Dialog, 143 Anm. 1. Der explizit theologische Bezug auf .Gottes Bund' und seine .Gerechtigkeit' besteht zu Unrecht! 4

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aufgrund ihrer Sprachlichkeit als Faktum der Vernunft ins rationale Urteilen eingeholt werden, und deshalb zu einem praktischen Wissen werden. Immerhin ist Wellmer darin zuzustimmen: Das „Faktum eines Lebens unter Bedingungen der Vernunft" kann nur als Pflicht sui generis formuliert werden, weil zu ihr nicht gezwungen, sondern nur an sie erinnert werden kann. Nur durch Erinnerung kann, durch Erinnerung soll aber auch diese ,Kultur der Vernunft' für jede neue Generation bewahrt, weitergegeben und neu angeeignet werden. Daß praktische Vernunft ihre Grundlage in einer existierenden Kultur der Vernunft habe, hat bereits zuvor differenzierter Friedrich Kambartel formuliert.7 Kambartels Begriff einer .Kultur der Vernunft' schließt an Kant und an Wittgensteins Begriff der .Lebensform' an. Er zielt auf eine Kritik ethischer Begründung durch formale Begründungsprinzipien und weist demgegenüber auf den Zusammenhang von praktischer Situation und Lebensform hin: „Unter einer .Lebensform' will ich eine Weise der Orientierung verstehen, welche alle unsere Lebenssituationen und Lebensverhältnisse durchzieht; welche immer zur Anwendung kommt, oder doch immer zur Anwendung kommen kann. So sind etwa Einstellungen zum Leben zu verstehen. Und man kann auch die Ansprüche der Moralität, das Ethische, eine Form des Lebens nennen ... Im Falle des Einzelnen und seines Lebensverständnisses mag man vielleicht differenzierend von einer (praktischen) Einstellung reden; im Falle der moralischen Form des öffentlichen Lebens bietet sich die Ausdrucksweise .moralische Kultur' an".8 Es ist die Pointe der Pflicht zum ethischen gemeinen Wesen, daß sie Kulturen praktischer Urteilskraft bereits voraussetzt (neben ,Moral' also auch .Religion)', und unter Voraussetzung des Lebens in verschiedenen .Kulturen' nach einer darin möglichen .Vernunftkultur' fragt. Kambartel weist zurecht darauf hin, daß verschiedene Kulturen durch die Frage nach einer vernünftigen Lebenspraxis vermittelt sind: „Das Verhältnis von Religion und Moral kann nicht das der Ableitung von Normen oder Wertungen aus Glaubenssätzen sein. Die Verbindung der Religion mit der Moral muß immer über das Leben (über die Gestalt, die ein Leben im Ganzen annimmt) hergestellt werden."9 Wird diese Fragestellung an die Religionsschrift gerichtet, so erhält Kants Behauptung Sinn, daß die Religionsschrift „gar keine Würdigung des Christentums" (Streit, A XVI; 9,270) beabsichtigt: „Denn eigentlich enthält es [sc. dies Buch] nur die Würdigung der natürlichen Religion." (Ebd.) Selbst wenn solche Äußerungen Kants die drohende Wöllnersche Zensur voraussetzen, so sind sie doch darin authentisch, daß es in der Religionsschrift um das Christentum als .natürliche Religion' geht.Natürliche Religion'ist aber ein Gefüge von Grundsätzen praktischen Urteilens, eine Teil-Grammatik praktischer

7 8 9

F. Kambartel, Welt, 27-43. A.a.O., 47, vgl. 34f.l55f. A.a.O., 100-102; 102.

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Vernunft, die in eine existierende Lebensform eingebettet ist. Kants Frage nach natürlicher Religion' als Teil-Grammatik praktischer Vernunft anerkennt das Faktum .eigentlicher Religion'; abgekürzt formuliert: die Lebensform .Christentum', theologisch formuliert: das .Sein in Christus als Sein in der Gerechtigkeit Gottes'.10 Natürliche Religion darf nicht zur eigentlichen Religion re'ifiziert werden. „Es kann zwar von einer .Religion innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft', die aber nicht aus bloßer Vernunft abgeleitet, sondern zugleich auf Geschichts- und Offenbarungslehren gegründet ist und die nur die Übereinstimmung der reinen praktischen Vernunft mit denselben {daß sie jener nicht widerstreite) enthält, die Rede sein. Aber alsdann ist sie auch nicht reine, sondern auf eine vorliegende Geschichte angewandte Religionslehre, für welche in einer Ethik, als reiner praktischen Philosophie, kein Platz ist." (MST, A 182f; 7,629, Kursive z.T. HA) In der Unterscheidung und Vermittlung von natürlicher Religion' und ,eigentlicher Religion' verhandelt also Kant das Problem der Unterscheidung und Vermittlung einer praktischen Urteilsgrammatik in einer Lebenspraxis, die in differente und nicht aufeinander reduzierbare Kulturen eingebettet ist. Die Religionsschrift als angewandte Religionslehre stellt die Grundsätze reiner Vernunftreligion indirekt und vermittelt dar als Grammatik oder Urteilssystem einer bestimmten bestehenden, religiösen Lebensform, des Christentums. Ihr Ziel ist, diese Lebensform als Lebensform praktischer Vernunft zu Reflektieren'. Das schließt, zumindest bei Kant, nicht aus, daß die Grammatik praktischer Vernunft dadurch selbst alteriert und erweitert werden kann. Inwiefern bleibt dieser Aspekt durch Kambartels Konzept einer kritischen Vermittlung von Religion und Moral unüberholt?

2. Name Gottes als Faktum der Religion? Praktische Vernunft reflektiert die christliche Religion als eine ihr mögliche Lebensform. Sie rekonstruiert dazu .natürliche Religion' als Grammatik dieser Lebensform, ohne selbst eigentliche Religion begründen zu wollen. .Eigentlich' aber wird Religion für Kant ,als Kirche' (als die .sichtbare Vorstellung, das Schema eines unsichtbaren Reiches Gottes auf Erden'): „Man versteht unter Religion nicht allein die Lehre aller Menschenpflichten als Göttlicher Gebote (also nicht blos dieselbe objectiver Bedeutung) sondern auch zugleich den Glauben an die Mittel deren sich die Vorsehung bedient sie (als Kirche) zu gründen und zu erhalten (also in subjectiver Bedeutung). Jene macht nur einen Theil von dem Umfange der letztern aus. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft enthält alles das was eigentlich Religion ausmacht. Der Glaube der Göttlichen Mittel in Ansehung der

10

Vgl. S 3,3.4.

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Gründung derselben unter Menschen enthält außer jener noch mehr oder was eigentlich die Religion ausmacht" (Vorarbeiten zur RGV, AA 23, 95). Die Öffentlichkeit des ethischen gemeinen Wesens vollzieht sich bei Kant als genuin sprachlich vermittelte, doch nicht nur diskursive Urteilspraxis. Vermittelt ist sie durch die Kultur einer bestimmten religiösen, ethisch-eschatologisehen Sprache, genauer noch: durch die Kultur eines heiligen Buches. Die Angewiesenheit praktischer Vernunft auf existierende Gewissenskultur ist gemeint, wenn Kant von Kirche spricht, die durch das Gnadenmittel einer heiligen Schrift gegründet sei. Diese heilige Schrift indiziert das Faktum eigentlicher Religion, welche nicht durch Vernunft und Geschichte gegründet werden kann11. Es durch vernünftige und historische Schriftexegese zu erinnern und so in Urteilsgebrauch zu nehmen, daß Religion und Kultur einander unterstützen. Das führt zur praktischen Hermeneutik von Verheißung und Gesetz (in dieser Reihenfolge): „Glücklich!12 wenn ein solches den Menschen zu Händen gekommenes Buch, neben seinen Statuten als Glaubensgesetzen, zugleich die reinste moralische Religionslehre mit Vollständigkeit enthält, die mit jenen (als Vehikeln ihrer Introduktion) in die beste Harmonie gebracht werden kann, in welchem Falle es ... das Ansehen, gleich einer Offenbarung, behaupten kann." (RGV, Β 153f; 7,768) Die gelesene und ausgelegte Bibel ist als das „Gnadenmittel des Göttlichen oder menschlichen Gebrauchs" (Vorarbeiten zur RGV, AA 23, 95) zur „Stiftung und Erhaltung einer Kirche" (ebd.) in den Gebrauch praktischer Vernunft zu nehmen. Kants Kritik des historischen Systems der Offenbarung ist als Kritik der biblischen und dogmatischen Theologie seiner Zeit durchgeführt. Die kantphilologische Interpretation der Religionsschrift seit Josef Bohatec hat gezeigt, daß die zeitgenössische biblische und dogmatische Theologie die Explikation der Vernunftreligion bis ins Detail bestimmt. Die Ergebnisse der Kantphilologie erschließen sich in ihrem sachlichen Grund, wenn es zutrifft, daß es in der Religionsschrift: Urteilskraft ist, die das theologische Urteilsgefüge als Teilgrammatik praktischer Vernunft rekonstruiert. Umgekehrt fällt Licht auf Kants Theologieverständnis: Theologie fungiert als historisches Lehrsystem kirchlicher Schriftanwendungen.

Mit seinen vier .Philosophischen Grundsätzen der Schriftauslegung'13 arbeitet Kant im ,Streit der Fakultäten' diese Hermeneutik reduktiv aus: Die Bibel ist

11

So die bereits in $ 3,4 mitgeteilte Reflexion Nr. 8098, AA 19, 642,11-13. Hier merkt Kant an: „Ein Ausdruck für alles Gewünschte, oder Wünschenswerte, was wir doch weder voraussehen, noch durch unsre Bestrebung nach Erfahrungsgesetzen herbeiführen können; von dem wir also, wenn wir einen Grund nennen wollen, keinen andern, als eine gütige Vorsehung anführen können." 13 Vgl. Streit, A 49-71; 9,303-315. Zentral sind die Dritte und Vierte Regel (Streit, A 5862; 9,308-310), welche mittels der Idee der moralischen Anlage (Streit, A 60; 9,308- 310) das Geheimnis göttlicher Gerechtigkeit als Lebensform praktischer Freiheit exponieren. Die vier .philosophischen Grundsätze der Schriftauslegung' fassen die Religionsschrift zusammen. 12

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als göttliches Wort zur Gründung und Erhaltung eines Reiches Gottes auf Erden so in Gebrauch zu nehmen, daß der gottesdienstlich institutionalisierte Glaube und die christliche Dogmatik zumindest verschwinden können. So scheint sich die Alternative zu stellen: Verlangt die Bibel als göttliches Wort einen Pluralismus von Grammatiken, die sich als irreduzibel, aber auch inkommunikabel erweisen? Oder ist von grammatischer Pluralität innerhalb der einen Kultur der Vernunft zu sprechen?14 Es wird sich zeigen, daß eine Antwort diese Alternative als zu kurz gegriffen zurückweisen muß: Die heilige Schrift als Verheißung zu lesen, verlangt ein escbatologisches und dialogisches Verständnis von Wahrheit und Gerechtigkeit des göttlichen Namens.

2.1 Grammatische Pluralität praktischer Vernunft „Die moralische Argumentation ist weder die Grundlage noch die Form der praktischen Rationalität in ihrer Gänze."15 Der rechtmäßige Konflikt der Urteilspraktiken ist zunächst als Konkurrenz der Fakultäten institutionalisiert. Die lokale Selbständigkeit der jeweiligen Urteilspraxis erweist sich darin, daß sie sich der anderen gegenüber verantworten kann. Von der philosophischen Seite erfordert dies, die .Philosophischen Grundsätze der Schriftauslegung' offenzulegen. Was an diesen Grundsätzen jetzt interessiert, ist der Urteilsstandpunkt, der mit ihnen eingenommen wird. Kant kennzeichnet ihn als den Standpunkt ,authentischer' Schriftauslegung: „Auf solche Weise müssen alle Schriftauslegungen, so fem sie die Religion betreffen, nach dem Prinzip der in der Offenbarung abgezweckten Sittlichkeit gemacht werden ... Auch sind sie alsdann nur eigentlich authentisch, d.i. der Gott in uns ist selbst der Ausleger, weil wir niemand verstehen, als den, der durch unsern eigenen Verstand und unsere eigene Vernunft mit uns redet, die Göttlichkeit einer an uns ergangenen Lehre also durch nichts, als durch Begriffe unserer Vernunft, so ferne sie rein-moralisch und hiemit untrüglich sind, erkannt werden kann." (Streit, A 70, 9,3141) Wird mit diesem Standpunkt authentischer Schriftauslegung nicht doch jeder andere Urteilsstandpunkt ausgeschlossen? Kann hier noch von einer experimentierenden Standnahme gesprochen werden, die nur im Streit mit einer anderen möglichen Standnahme bleibt, was sie zu sein beansprucht: Urteilspraxis, nicht Begründung eigentlicher Religion?

14

„Die grammatische Pluralität oder Vielfalt, welche eine Kultur der Vernunft bestimmt, darf eben nicht mit Pluralismus verwechselt werden, dem Pluralismus widerstreitender Meinungen über die ... Grammatik der Rationalität" (F. Kambartel, Welt, 38, vgl. 43). 15 F. Kambartel, Welt, 39.

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2.2 Kritik aller Offenbarung: Idee einer moralischen Anlage Zu dieser Frage findet sich in den Vorarbeiten zur Zweiten Vorrede der Religionsschrift eine bemerkenswerte Reflexion, die sich wie eine Antwort avant la lettre lesen läßt: „Es liegt aber in der Natur der Vernunft, daß sie nicht fragmentarisch aufgesammelte Begriffe und Grundsätze in einem Aggregat zusammensetzt sondern nothwendig auf Einheit und Selbständigkeit ihrer Erkenntnis als Systems ausgeht. Daher darf es dem biblischen Theologen gar kein Anstoß seyn wenn jene behauptet sie sey für sich selbst die ganze Religion und die Bibel könne wegfallen ohne daß dadurch die Religion ihrem Geiste nach aus der Menschen Kentnis käme denn es kann wohl seyn daß sie als Offenbahrung" (Vorarbeiten zur RGV, A A 23, 94f) - hier bricht die Reflexion ab. Wogegen sich Kant sträubt, ist offensichtlich die Konsequenz des Gedankens: Gründet etwa Vernunftreligion als .Offenbarung Gottes' in der „Göttlichkeit eines Ursprungs ..., der höher ist als alle Vernunft (in der theoretischen Nachforschung der Ursache), und [sc. ist] daher, sie besitzen, nicht Verdienst, sondern Gnade"? (Streit, A 60; 9,309) Völlig zurecht verweigert sich Kant dieser Konsequenz. Sie würde in den „vernunfttötende[n] Mystizism" führen (Streit, A 94; 9,328). Dieser faltet sich zwar historisch in die Spener-Franckische und Mährisch-Zinzendorfsche Antinomie aus (Streit, A 88f; 9,325). Doch diese historische Antinomie steht nur für die unvermeidliche Antinomie zweier Religionssekten (nicht: Kirchensekten), die sich auf das mystische Gefühl übernatürlicher Gnadenmitteilung, also auf die innere Erfahrung übernatürlicher Offenbarung, berufen (Streit, A 83f; 9,322). Angesichts dieser Antinomie einer behaupteten vernunftreligiösen Offenbamngserfahrung nimmt Kant eine entscheidende Präzisierung seines Standpunkts vor, die man zu Recht als prinzipielle Kritik des Offenbarungsbegriffs umschrieben hat.16 In der Tat: „Den unmittelbaren Einfluß der Gottheit als einer solchen fühlen wollen ist, weil die Idee von dieser bloß in der Vernunft liegt, eine sich selbst widersprechende Anmaßung." (Streit, A 90, 9, 326) Wie in der Kritik der reinen Vernunft, in der die kosmologischen Antinomien zur kopernikanischen Wende und ihrer doppelten Standnahme führen, so nötigt die vernunfttötende Antinomie zu einem neuen Standpunkt jenseits aller möglichen Offenbarungserfahrung. Kant bezieht den neuen Standpunkt der moralischen Anlage: „diese moralische, von der Menschheit unzertrennliche Anlage in uns ist ein Gegenstand der höchsten Bewunderung, die, je länger man dieses wahre (nicht erdachte) Ideal ansieht, nur immer desto höher steigt: so daß diejenigen wohl zu ent-

" R. Wimmer, Religionsphilosophie, 181 (vgl. Streit, A 90; 9,326): „Die Behauptung einer supranaturalen Offenbarung, Erfahrung oder Begegnung Gottes läßt sich nicht nur nicht beweisen, sondern definitiv, und zwar begriffsgrammatisch, widerlegen, weil schon der (vermeintliche) .Begriff' einer übernatürlichen Erfahrung bzw. der Versuch, einen solchen zu bilden, ,an sich selbst ein Widerspruch ist'". 143

schuldigen sind, welche, durch die Unbegreiflichkeit desselben verleitet, dieses Übersinnliche in uns, weil es doch praktisch ist, für übernatürlich ... halten; worin sie aber sehr fehlen; weil die Wirkung dieses Vermögens alsdann nicht unsere Tat sein, mithin uns auch nicht zugerechnet werden könnte, das Vermögen dazu also nicht das unsrige sein würde. - Die Benutzung der Idee dieses uns unbegreiflicherWeise beiwohnenden Vermögens ... enthält nun die echte Auflösung jenes Problems (vom neuen Menschen)" (Streit, A 92f; 9,328, Kursive z.T. HA). Was heißt es, von der Erfahrung der Offenbarung zu abstrahieren, ohne Offenbarung überhaupt auszuschließen, „die α priori für sich selbst besteht"? (Vorarbeiten zur RGV, AA 23, 96) Zwei konkurrierende Interpretationen sind möglich.

2.3 Reine Mystik oder Negativität göttlichen Namens? Geht Kant mit der Idee einer übersinnlichen Anlage angesichts der Antinomie mystischer Gefühlstheorie zur reinen Mystik über? Reine Mystik chiffriere »Offenbarung' als unbegreifbare Selbstbestimmung des noumenalen Menschen, die von der Bestimmung durch einen Gott in uns ununterscheidbar sei: „Das Gesetz dieser Vernunft tritt dann wie eine Offenbarung vor den sinnlich und verstandesmäßig orientierten Menschen, als eine Offenbarung allerdings, die ihm nur als homo phaenomenon wie fremd und von außen gegenübertritt, von der er aber in praktischem Glauben gewiß sein kann, daß es sein eigenes Gesetz ist, das er sich selbst gibt, insofern er homo noumenon ist. Solche Offenbarung transzendiert mithin nicht seine Natur (als Geistnatur), der er allerdings nicht wissend gegenübersteht, sondern mit der er sich nur praktisch (glaubend und handelnd) identifizieren kann."17 Klarer wäre es dann allerdings, auf ,Offenbarung' ganz zu verzichten: „Zum Kern jeder wahren Religion müßte der Satz zählen, daß wir uns, wenn wir unseren religiösen Reden einen Realitätsbezug geben wollen, nicht außerhalb unseres Lebens (der Grenzen unseres Lebens) aufstellen können ... Die religiösen Formeln und Sätze vergegenwärtigen das richtig verstandene Leben selbst. Sie bedürfen dazu keiner externen (transzendenten, supranaturalen) Stütze, weder semantisch (für ihr Verständnis) noch, was ihren Wahrheitsanspruch angeht."1' Elimination von ,Offenbarung' führt so zum Versuch, Grundtermini christlicher Rede von Gott als ,synkategorematisch erlernte' Rede zu interpretieren. Anstatt von Gott ist von bestimmten, praktischen Einstellungen zum Leben im ganzen zu sprechen - ein Versuch, der Kants Religionskritik mit Wittgensteins Ethik vollendet. Es ist aufschlußreich, wie diese Reduktion ein mystisches Verständnis von .Geheimnis' zur Folge hat: „Das Grundgeheimnis eines reinen moralischen 17

R. Wimmer, Religionsphilosophie, 182. " F. Kambartel, Welt, 100 (Kursive HA). 144

Vernunftglaubens, das die Quelle aller besonderen Glaubensgeheimnisse ist, besteht in der Unbegreiflichkeit der Vereinbarkeit von menschlicher noumenaler Freiheit und als unabdingbar anzusehender göttlicher Mitwirkung zum moralischen Endzweck des einzelnen Menschen und der Menschheit in einem ethischen Gemeinwesen."19 Vernunftglaube meint, sich in diesem Geheimnis als Lebensform praktischer Vernunft vorzufinden und darin zu urteilen. Dies sei der von Kant intendierte kultlose, richtig schweigende „Geist des Gebets" (RGV, Β 302; 7,871).20 Dieses kultlose und kultkritische Verständnis von Geheimnis formuliert Friedrich Kambartel exemplarisch klar: „Wenn wir das Mysterium des Lebens (das Leben) unverstellt gesehen haben, können wir beruhigt sterben, es gibt darüber hinaus nichts Neues auf der Welt, das uns der Tod entziehen könnte ... Das ist der Trost der Religion".21 Jedoch: Warum gilt Kants Kritik, in zunehmender Schärfe, gerade dieser reinen Mystik?22 Diese Frage markiert weit mehr als nur das kantphilologische Problem einer mystischen Interpretation. Vielmehr liegt Kants Kritik reiner Mystik - so unsere These - das negative Wissen darum zugrunde, daß Wahrheit .eschatologisch' aussteht, weil sie ihr inkommensurables Maß in göttlicher Gerechtigkeit hat. Das ist aber der Grund, weshalb ,der göttliche Name' (,Gott' als ,der Name') nicht auf bloß synsemantisch erlernte Verwendungen reduziert werden kann: „Nimmt man den [sc. eschatologischen] Wahrheitsanspruch christlicher Rede ... ernst, dann ist die designatorische Funktion von ,Gott' und der damit intendierte referentielle Akt wesentlich für sie und kann nicht systematisch durch Bezugnahme auf andere Gegenstände ersetzt und so eliminiert werden."23 Nun nimmt Kant den eschatologischen Wahrheitsanspruch christlicher Rede in der Tat ernst, wenn anders er diese Rede als Verheißung reflektiert, um sie als Lebensform der Selbstzufriedenheit, der Liebe, der Verantwortlichkeit und eben darin als Lebensform des Geheimnisses kreatürlicher Freiheit in Gebrauch zu nehmen. Aber dennoch vollzieht er eine entscheidende Elimination. Diese Operation bildet Anfang und Grundlegung alles Weiteren: Der göttliche Name, das .Faktum der Religion', wird reflektiert als Faktum der Vernunft.24 Das genuine Hören und ikonische Sehen des göttlichen Namens, der sich gibt, wird eliminiert. Elimination des göttlichen Namens reflektiert ,den Namen' als absolut negatives, selbstreferentielles Zeichen: als Stimme des Gesetzes. So wird die Negativität der Hoffnung transzendental grundgelegt, um als enthusiastische Hoffnung fühlbar zu werden. Das negativistische Geheimnis signalisiert den eliminierten Namen.

" R. Wimmer, Religionsphilosophie, 184.246f; ders., Opus Posthumum, 219-270. Vgl. R. Wimmer, Religionsphilosophie, 214; F. Kambartel, Theo-Logisches, 34; ders., Welt, lOlf. 21 F. Kambartel, Welt, 101. 22 Vgl. D. Henrich, Begriff, 40-59. 2 3 1.U. Dalferth, Gott, 28. 24 Zur ,Gabe des göttlichen Namens' als Faktum der Religion: § 9 und 10. 20

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Dies ist das Wahrheitsmoment der zutiefst problematischen These Lyotards: „Die .negative Darstellung* ist das Zeichen der Präsenz des Absoluten, und sie ist oder gibt das Zeichen nur dadurch, daß sie den Formen des Darstellbaren entzogen ist. Das Absolute bleibt also undarstellbar ... Aber die Einbildungskraft kann in der Leere, die sie jenseits ihrer ,Zusammenfassungs'kapazität entdeckt, seine .Präsenz', fast wie eine Wahnvorstellung, signalisieren."25 Der Verzicht auf .Offenbarung' erhält, so verstanden, einen anderen Sinn: Weil .Offenbarung' fast unausweichlich als archäologisches Erkenntnisprinzip mißverstanden wird, deshalb ersetzt Kant diesen Terminus durch die Idee der moralischen Anlage. Durch sie begründet er die Eschatologie praktischen Urteilens als rationale Lebensform und Kultur, um sie symbolisch exponieren zu können. Entscheidend dafür ist die Elimination des göttlichen Namens, des Faktums der Religion. Die Pointe der Idee der Anlage ist also einerseits ihre Unterscheidungsleistung gegenüber der Dialektik reiner Mystik.26 Mit der Idee der moralischen Anlage schafft sich das Gewissen als praktische Urteilskraft die Grundlegung, um eschatologische Rechtfertigung und Verifikation offen zu halten, ohne Offenbarungstheologie zu restituieren. Der archäologische Begriff von .Offenbarung' würde in der Tat menschliche Urteilskraft auf das metaphysische Axiom, daß Gleiches nur durch Gleiches zu erkennen sei, zurückwerfen.27 Die Idee der Anlage eröffnet aber andererseits die praktische Mystagogie, die nach dem Faktum der Vernunft als göttlicher Stimme von sich aus anfangend fragen kann, um sich selbst in negative Hoffnung einzuführen. Allein durch die negative Hoffnung der Richterschaft Gottes ist die nicht-archäologische Rede von Gott als Gesetzgeber und Schöpfer legitimiert, zu der Kant in seinen Spätschriften kommt: „(Weil nichts die Freyheit beweiset als das moralische Gesetz in mir durch den categorischen Imperativ, dieser aber eben darum allgebietend und allgewaltig, d.i. das Subject dieser hohen Würde Gott ist, so ist Gott selbst, der Menschen zum Menschen selbst gebietet, also ein Andrer, der doch aber Gott und der Ewige ist.) Religionsglaube als Geschichtsoder Vernunftglaube. Der erste [sc. Geschichtsglaube] setzt Offenbarung

25 J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 172.257f. Der exoterischen Rede von der Präsenz des Absoluten entspricht die esoterische Rede vom .Geheimnis der göttlichen Stimme' und vom ,zu erhandelnden göttlichen Namens', ders., Ein Bindestrich, 23.27.29.135. Problematisch ist Lyotard in seiner negativistischen Reduktion von Negativität auf die Analytik des Erhabenen, vgl. § 7,2.3. 26 Reflexion 8105, AA 19. 647-649 zeigt Kants Absicht, sowohl die Identifikation der Natur als Gnade (reine Mystik) wie die Identifikation der Gnade als Natur (pietistische Gefühlstheorie) dialektisch zu zersetzen, „das eine so wie das andere Princip durch die Entgegensetzung zweyer Theorien - sich beyde zernichten zu lassen" (a.a.O., 648). Kant formuliert dies übrigens als Kritik an Willmans, der Kants Religionsphilosophie als reine Mystik im Sinne der Separatisten interpretiert hatte, vgl. Streit, A 115-127; 9,340-347. 27 Vgl. Reflexion 8101, AA 19, 643f (1794/95).

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voraus und ist empirisch; der zweyte ist α priori begründet, aber nur für die practische Vernunft und nicht von Zeit und Ort abhängig. Muß nicht jederzeit die Vernunft es seyn, welche das Bedürfnis selbst einer Offenbarung fühlt und so nur ein sinnliches Mittel zu dieser Beruhigung auffaßt oder sich selbst a 28

2.4 Arbeit am fühlbaren Geheimnis: Elimination kultischer Zeichen In nuce ist in dieser Reflexion das Programm der Religionsschrift enthalten: Im eigentlichen Religionsglauben wird der kategorische Imperativ als Gebot Gottes symbolisiert, der Menschen zum Menschen selbst gebietet. Das Faktum der Vernunft wird keineswegs als göttliche .Offenbarung' restituiert. Vielmehr führt Autonomie auf das gefühlte Bedürfnis einer .Offenbarung', durch das sich rationale Hoffnung orientiert: Sie bedarf des Richters. Das führt zum Religionsglauben, der als Geschichtsglaube davon ausgeht, daß der Richter in einer heiligen Schrift redet. Kann Kant deshalb biblische Rede als Verheißung gelten, so ersetzt er göttliche Offenbarung durch die Idee der moralischen Anlage, mittels derer sich Gewissen als äußeres und inneres Hören reflektiert. Durch die „Idee dieses uns unbegreiflicher Weise beiwohnenden Vermögens" (Streit, A 93; 9,328, Kursive HA) stellt sich das Gewissen in die Erwartung göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit als weiterer Sphäre, die Vernunftreligion unter sich begreift, ohne daß Vernunftreligion sie in sich begreifen kann (RGV, Β XXIf; 7,659). Es ist das .Geheimnis' dieser sich selbst entdeckenden Urteilspraxis des Gewissens, daß Gott als Richter, als Gesetzgeber und als Regent Gerechtigkeit frei mitteilen können, ohne daß dies affirmativ behauptet wird. Dieses Geheimnis der Religion wird durch kritische Arbeit als Geheimnis der Vernunft fühlbar. Das Hören der .ehernen Stimme' des Gesetzes „regt durch das Erstaunen über die Größe und Erhabenheit der inneren Anlage in der Menschheit, und zugleich die Undurchdringlichkeit des Geheimnisses, welches sie verhüllt (denn die Antwort: es ist die Freiheit, wäre tautologisch, weil diese eben das Geheimnis selbst ausmacht), die ganze Seele auf ... und diese Bewunderung ist eben das aus Ideen erzeugte Gefühl, welches, wenn, über die Lehren der Moral von Schulen und Kanzeln, noch die Darstellung dieses Geheimnisses eine besondere oft wiederholte Beschäftigung der Lehrer ausmachte, tief in die Seele eindringen, und nicht ermangeln würde, die Menschen moralisch besser zu machen. ... Das ist nun das Geheimnis, welches nur nach langsamer Entwickelung der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsätzen, also nur durch Arbeit, fühlbar werden kann. - Es ist ... a priori (als wirkliche Einsicht innerhalb der Grenze unserer Vernunft) gegeben, und erweitert

28

Reflexion 8105 (1799), AA 19, 647 (Kursive z.T. HA).

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sogar das Vernunfterkenntnis, aber nur in praktischer Rücksicht, bis zum Übersinnlichen: nicht etwa durch ein Gefühl, welches Erkenntnis begründete (das mystische), sondern durch ein deutliches Erkenntnis, welches auf Gefühl (das moralische) hinwirkt." (Ton, Β 418f; 5,392f) Die öffentliche Urteilspraxis des Gewissens als sich im Geheimnis göttlicher Gerechtigkeit orientierendes Hoffnungsgefühl zu exponieren, ohne sie theonom zu begründen, ist Sinn der Religionsschrift. Darin folgt sie der akroamatischen Methode, die ihre Beweise durch Worte führt. Nicht durch intuitive, sondern nur durch diskursive Erkenntnis, nur nach langsamer Entwicklung der Begriffe des Verstandes und sorgfältig geprüften Grundsätzen, also nur durch Arbeit, kann das Geheimnis fühlbar werden. In den „Parerga der Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft" (RGV, Β 63 Anm.; 7,704) wird diese Orientierung als reflektierender Glaube bezeichnet.29 Die Aporie dieses Glaubens ist sein Negativismus, unter der ihm das eschatologische Geheimnis Gottes allein mitteilbar wird. Daß Kants reflektierender Glaube auf das eschatologische Geheimnis göttlicher Gerechtigkeit stößt, zugleich aber kultische Zeichen dieses Geheimnisses destruiert, insbesondere Gebet und Sakrament·. Taufe, Absolution und Herrenmahl - das ist die Aporie der Religionsschrift, die uns zu beschäftigen hat. Die Aporie der radikalen Kultkritik Kants ist Symptom des eliminierten göttlichen Namens. Legitimität und Dialektik der Kultkritik Kants liegen hier untrennbar ineinander. 3. Dialektik radikaler Kultkritik: Jüdische Religion als politische Religion Praktische Vernunft reflektiert christliche Religion als mögliche Lebensform. Natürliche Religion ist die Grammatik dieser Reflexion. Sie darf nicht selbst eigentliche Religion begründen wollen! Gerade dies ist die Versuchung der natürlichen Religion (als bloßer Urteilsgrammatik): Sie möchte selbst eigentliche Religion begründen, einen Kult der Vernunft aus reiner Pflicht gegen Gott. Die Dialektik des Gewissens als eschatologischer Urteilskraft30 manifestiert sich im Kult der Vernunft. Die singuläre und ultimative Schärfe der Kultkritik Kants31 resultiert aus der Einsicht in diese Dialektik. Die Kritik des christlichen Gottesdienstes als ,Afterreligion' und ,Pfaffentum', in der die Religionsschrift kulminiert, wirkt heute (selbst auf hervorragende Kantinterpreten) peinlich, weil sie Kant als .typischen Aufklärer' zu zeigen scheint. Das 29 Im selben Zug, in dem Kant in der Vorrede zur Zweiten Auflage .Offenbarung' kritisch eliminiert, expliziert er in dieser Anmerkung, die er erst der Zweiten Auflage beifügte, die Gnadenwirkungen Gottes: Wunder, Geheimnisse und Gnadenmittel. 50 Vgl. S 3,1.2. 31 Dazu: W. Schmidt-Biggemann, Art. Kult, HWP 4, 1300-1309, v.a. 1303-1305.

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Gegenteil ist jedoch der Fall: Das Verständnis natürlicher Religion als eigentlicher Religion, begründet in der metaphysischen Pflicht zur Gottesverehrung, also die Begründung eines Kultes der Vernunft, fand Kant vielmehr in der aufklärerischen Moralphilosophie von Wolf und Baumgarten vor; er vertrat diesen affirmativen KultBegriff bis 1783/84 noch selbst.32 Es ist keineswegs zufällig, daß mit dem Durchbruch zur Kritik, also mit der Grundlegung praktischer Vernunft im ,Faktum der Vernunft', die Idee der Offenbarung und zugleich die Idee eines Kultes der Vernunft der Polemik verfällt: Ein Kult der Vernunft würde rationale Hoffnung auf mögliche Kreatürlichkeit definitiv zerstören. Kant mußte den metaphysischen ,Kult'aufheben, um zum Hoffen Platz zu bekommen. Gerade im Blick auf die Kritik des christlichen Gottesdienstes als mögliche Idololatrie betont Kant zu Recht, er habe sich in der Religionsschrift „keine Abwürdigung desselben [sc. des Christentums]... zu Schulden kommen lassen" (Streit, A XVI; 9,270). Nur die Begründung des christlichen Glaubens als natürliche Religion und infolgedessen die Ausübung des christlichen Kultes als .Staats-' und .Bürgerreligion' wird in der Religionsschrift .abgewürdigt'. Diese Kritik gilt der Bibel als der positiven Lehrgrundlage der von der landesherrlichen Religionsgesetzgebung legitimierten öffentlichen Landesreligion. Sie gilt der Theologie als staatlicher Fakultät, sofern sie die Ausbildung staatlich legitimierter Religionsbeamter (,Pfaffen') gegenüber dieser Religionsgesetzgebung zu verantworten hat. Sie gilt vor allem dem christlichen Gottesdienst als der öffentlichen Ausübung der naturrechtlich begründeten (und möglicherweise staatlich positivierten) Religionspflicht. Diese naturrechtliche Begründung des christlichen Gottesdienstes und Gebets fand Kant in der reformierten Dogmatik Stapfers, seinem Referenztext, vor." Die Kritik des öffentlichen Gottesdienstes und der Sakramente Taufe und Abendmahl im Vierten Stück der Religionsschrift und ihre .Abwürdigung' zu sozialpsychologischen Vehikeln der Vemunftreligion ist von dieser vernunftkritischen Stoßrichtung her zu interpretieren: Sie zielt auf den moralmetaphysisch-naturrechtlichen Begriff der Pflicht gegen Gott. Theologisch zentral daran ist Kants Kritik am moralmetaphysischen Begriff von ,Kult' und .Gerechtigkeit Gottes'. Darauf hat sich das Interesse zu konzentrieren: Vernunftreligion als ,Kult' auszuüben, gründet in der Amphibolie der Reflexionsbegriffe ,Form' und .Materie'.34 Sie gründet damit in der Verwirrung praktischer als symbolisierender Urteilskraft, die in ihrem Verständnis von Pflicht Form und Materie verwechselt. Zur Debatte steht mit dieser Frage nicht weniger als die Dialektik der praktischen Typik und Symbolisation selbst, mithin die Frage einer Dialektik der Hoffnung. Das ist der Grund,

32 33 34

Vgl. F. Delekat, 341f bzw. 356f. Vgl. J.F. Stapfer, Grundlegung, 10,640f.559. Dazu: J. Bohatec, 421.429-439.457-526. Vgl. MST, A 18If; 7,628f; KrV, Β 316-349 (3,285-307); KrV, Β 322-324; 3,289-291.

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weshalb Kant im Zentrum seiner Kultkritik nochmals die Frage nach Wahrheit und Schein anthropomorpher Symbolisierung aufwirft:35 Die Amphibolie der Reflexionsbegriffe Form und Materie (die Verwechslung des reinen Vernunftobjekts mit seiner Symbolisation, vgl. KrV, Β 326; 3,292) führt dazu, daß die vernunftreligiöse Pflicht sui generis: der Übergang ins ethische gemeine Wesen, verkehrt wird. In Wahrheit leitet diese Metaregel an, alle Pflichten als Pflicht der Menschheit gegen sich selbst zu verstehen (und darin als vor Gott zu verantwortendes, nur insofern göttliches Gebot). Dialektisch wäre es, sie als materiale Pflicht gegen Gott selbst mißzuverstehen. Wir sollen durch das Gesetz unserer Vernunft Andere und uns selbst stets auch als Zwecke an sich, als mögliche Geschöpfe achten. Wir dürfen aber nicht glauben, darin Gott selbst als Schöpfer zu achten und ihm einen Dienst zu erweisen; „nur die moralischen Verhältnisse des Menschen gegen den Menschen [sind] für uns begreiflich ... was aber zwischen Gott und dem Menschen hierüber für ein Verhältnis obwalte" (MST, A 188; 7,632), übersteigt die Grenzen der Ethik und ist uns schlechterdings unbegreiflich. Bedürfte Gott der Achtung, so bedürfte sein Recht der Anerkennung. Gott aber ist Richter, der über Verbrechen und Schuld entscheidet, eben weil seine Ehre nicht selbst zurechenbar verletzt werden kann. Richterschaft gründet in unverletzbarer, weil inkommensurabler Gerechtigkeit.36 Die definitive Kritik am Kult als Pflicht gegen Gott und des metaphysischen Begriffs von Schuld als Verletzung dieser Pflicht, will der vernünftigen Hoffnung einer guten Schöpfung die Stelle frei halten. Anderenfalls wäre diese Hoffnung, auch nur als Möglichkeit der Vernunft, nicht zu retten. Erneut greift Kant zum Mittel der polemischen Fiktion, um diesen „Keim der Anfechtungen, der in der Natur der Menschenvernunft liegt" (KrV, Β 805; 4,658) auszurotten: Könnte wirklich Gott selbst in seinem Recht verletzt werden, so hätte seine Gerechtigkeit „bei der etwanigen großen Menge der Verbrecher, die ihr Schuldenregister immer so fortlaufen lassen" (MST, A 187; 7,632) den Zweck der Schöpfung nicht in die Liebe seiner Geschöpfe zu setzen, sondern in die strenge Ausübung der Strafe als seiner Ehre. Angesichts des radikal Bösen hätte die Weltschöpfung selbst „unterbleiben müssen, die ein, der Absicht ihrer Urhebers, die nur Liebe zum Grunde haben kann, so widerstreitendes Produkt geliefert haben würde" (MST, A 188; 7,632). Der Nihilismus des metaphysischen Kults ist der wahre Grund des Opfers in den 35

Vgl. RGV, Β 256-260; 7,839-841. „Es ist aber doch in der Idee einer Gerechtigkeitsausübung eines Wesens, was über allen Abbruch an seinen Zwecken erhaben ist, etwas, was sich mit dem Verhältnis des Menschen zu Gott nicht wohl vereinigen läßt: nämlich der Begriff einer Läsion, welche an dem unumschränkten und unerreichbaren Weltherrscher begangen werden könne; denn hier ist nicht von den Rechtsverletzungen, die Menschen gegen einander verüben und worüber Gott als strafender Richter entscheide, sondern von der Verletzung, die Gott selber und seinem Recht widerfahren solle, die Rede, wovon der Begriff transzendent ist ..." (MST, A 184f; 7,630) 36

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Kulten: Das möglich Un-Recht, überhaupt zu sein, verlangt, durch Opfer kompensiert zu werden, die den Schein von Versöhnung erzeugen.37 Würde der christliche Gottesdienst begründet aus dieser Pflicht zum Opfer als Sühne verletzter Ehre, die jederzeit vernichten könnte, so würde er zur politischen Religion. Politische Religion jedoch, polemisch zu Ende gedacht, kann keine Hoffnung kennen. Inbegriff dieses Kults ist das Opfer, das nie genugtut, weil nur Vernichtung der Schöpfung annähernd kommensurable Strafe wäre. Temporalität wäre dann Index dieser Gerechtigkeit. Erst die radikale Kritik der Vernunftreligion als ,Kult* schafft Platz für ein Verständnis von .Religion' als mitweltlicher und (ex negativo) kreatürlicher Lebensform praktischer Freiheit als Inbegriff der Hoffnung. Es ist das Bewußtsein, die Kritik des Kults als Kritik am Kult der Vernunft vollendet zu haben, die Kant zur berühmten Einschätzung seiner Epoche bringt: „Fragt man nun: welche Zeit der ganzen bisher bekannten Kirchengeschichte die beste sei, so trage ich kein Bedenken, zu sagen: es ist die jetzige.."™ Allerdings, und dies ist der entscheidende Punkt einer Dialektik der Aufklärung bei Kant selbst: Durch seinen polemisch-negativen Begriff von ,Kult' verstellt Kant das eschatologische Verständnis gottesdienstlicher Zeichen als genuiner Zeichen der Hoffnung. Kant destruiert für lange Zeit das genuine Verständnis kultischer Zeichen als Symbole der Hoffnung. Er eliminiert mit dem göttlichen Namen kultische, ikonische Zeichen als Zeichen des göttlichen Namens. Er verschüttet vor allem die Erkenntnis, daß sichtbare Hoffnung des göttlichen Namens und seiner Unendlichkeit in genuinen gottesdienstlichen Zeichen fühlbar wird. Er destruiert den Zusammenhang von Geheimnis und Sakrament. Das klare Symptom dieser Dialektik ist Kants antijudaistische Polemik gegen jeden jüdischen Kult. Dieser wird geradezu als Inbegriff politischer Religion denunziert: „Der jüdische Glaube ist, seiner ursprünglichen Einrichtung nach, ein Inbegriff bloß statutarischer Gesetze, auf welchem eine Staatsverfassung gegründet war; denn welche moralische Zusätze ... ihm angehängt worden sind, die sind schlechterdings nicht zum Judentum... gehörig. Das letztere ist eigentlich gar keine Religion, sondern bloß Vereinigung einer Menge Menschen, die ... sich zu einem gemeinen Wesen unter bloß politischen Gesetzen, mithin nicht zu einer Kirche formten ... Daß diese Staatsverfassung Theokratie zur Grundlage hat..., mithin der Name von Gott, der doch hier bloß als weltlicher Regent, der über und an das Gewissen gar keinen Anspruch tut, verehrt wird, macht sie nicht zu einer Religionsverfassung."39 Kants „Mißurteil über das Judentum" trifft jüdische Religionsphilosophie und Theologie an ihrem „empfindlichsten Punkt". Es wurde ihm gerade von

Vgl. RGV, Β 256; 7,839 bzw. RGV, Β 259 Anm.j 7,840. " RGV, Β 197f; 7,797. Dazu: J. Bohatec, 433-435.457-477. 39 RGV, Β 186; 7,789f; RGV, Β 189f; 7,792. 37

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Hermann Cohen, dem Begründer des Neukantianismus, „nicht verziehen".40 Nicht zufällig gilt Hermann Cohens und Franz Rosenzweigs denkerisches Bemühen einer neuen eschatologischen Theorie des jüdischen Gottesdienstes und seiner Zeichen. Pointe dieser Theorie ist der Nachweis des genauen Gegenteils: Gottesdienst im göttlichen Namen ist Kritik aller politischen Religion und Theologie, Vollzug eschatologischen Urteils über Geschichte: „Israels Ewigkeit ist ... seine Unabhängigkeit von der Geschichte und seine Fähigkeit, die Menschen als jederzeit reif für das Gericht zu betrachten, ohne daß sie das Ende der Geschichte mit seinem angeblich abschließenden Sinn abwarten müßten."41 Diese neue eschatologische Theorie gottesdienstlicher Zeichen ist für christliche Theologie von höchstem Interesse - angesichts einer Theoriegeschichte der Reduktionen.

4. Sakrament als politisch-eschatologisches Zeichen: signum prognosticon Hannah Arendt hat Kants Analyse des Geschmacks als verkappte Theorie politischer Urteilskraft reinterpretiert.42 Diese Deutung erfuhr triftigen Widerspruch.43 Richtig bleibt Arendts Fingerzeig, daß Kants Kritik der Urteilskraft im Kern als Kritik politischer Theologie und Religion gelesen werden kann, die sich nicht zuletzt gegen die latente Geschichtstheologie der Ersten Kritik richtet.44 Kants Analyse ästhetischer Urteilsbildung läßt sich für eine Theorie ethisch-politischer Urteilsbildung reformulieren. Uber Arendt hinaus ist aber der eschatologische Charakter dieser Theorie zu pointieren. Das Ergebnis ist überraschend: Kants Begriff einer,wahrsagenden Geschichte als einer α priori möglichen Darstellung des beständigen Fortschritts zum Besseren' (Streit, A 132; 9,351), seine berühmteste Probe politisch-eschatologischer Urteilsbildung, ist im Kern eine ethisch-eschatologische Transformation des Begriffs,Sakrament': sacramentum ist das unerhörte Geschichtszeichen, signum rememorativum, demonstrativum et prognosticon α priori wahrsagender Geschichte. Der politischeschatologische, nicht geschichtstheologische Sinn von Sakrament als zeichenvermittelte ethisch-eschatologische Öffentlichkeit substituiert das eliminierte kultische Sakrament und seine gottesdienstlich-eschatologische Öffentlichkeit. Dies ist eine vergessene Kehrseite der Kultkritik Kants. Der Befund ist also paradox, denn es fällt bei Kant erneut auseinander, was zusammengehört, nun

40 Das berichtet Franz Rosenzweig über Hermann Cohen (Einleitung in die Akademieausgabe der jüdischen Schriften Hermann Cohens, in: Zweistromland, 177-223, 213 Anm. 31). Die posthum zu veröffentlichende Metakritik Cohens zu Kants Antijudaismus muß als verschollen gelten. 41 E. Levinas, Rosenzweig, 120f. 42 H. Arendt, Das Urteilen; daneben: dies., Vom Leben des Geistes Π. 43 Vgl. J.-F. Lyotard, Der Enthusiasmus. Kants Kritik der Geschichte. 44 Vgl. § 2,2.3.

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aber mit umgekehrten Vorzeichen: Wie in der theologischen Theoriegeschichte des Begriffs sacramentum der kultisch-rituelle Begriff des sacrum signum den eschatologisch-politischen Begriff des typologischen Vor-Zeichens (myste• rium, sacramentum) verdrängte, beginnend mit Augustin, abschließend im Hochmittelalter, so substituiert jetzt der eschatologisch-politische Begriff des signum prognosticon den kultischen Begriff des Sakraments.45 Doch das sacrum signum ist exemplarisches signum prognosticon, wenn anders der Gottesdienst exemplarisches geschichtlich-politisches Handeln ist. Dieser Zusammenhang, der z.B. für Cohen und Rosenzweig essentiell ist, muß in der Theorie des Gottesdienstes erst wieder gewonnen werden. EXKURS: ESCHATOLOGIE UND ETHISCHE BESCHREIBUNG

Den Referenzrahmen der folgenden Analyse bildet eine theologische Theorie ethisch-politischer Urteilsbildung im eschatologischen Begründungszusammenhang.46 Die kritische Unterscheidung und Vermittlung eschatologischer und politischer Beschreibung politischen Handelns ist für ethische Urteilsbildung und politische Verantwortung essentiell. Das wird sofort deutlich angesichts defizitärer eschatologischer Beschreibungen politischen Handelns, die das politische Handeln und die darin sich zeigende und mitteilende Freiheit überbegründen.47 Die geschichtstheologische Überbegründung politisch-revolutionären Handelns aus begriffener oder erinnerter Geschichte und antizipierter Zukunft Gottes fuhrt zur politischen Theologie: Glaube wird dann z.B. beschrieben als geschichtlich-gesellschaftliche Praxis in solidarischer Hoffnung auf den Gott Jesu, der als Gott der Lebenden und Toten (Opfer) alle ins Subjektsein ruft und darin das Subjekt eschatologischer Glaubenspraxis bildet.48 Politisch-ökonomische Gegensätze werden apokalyptisch chiffriert. Die gesellschaftskritische Frage nach (De)Legitimation von Herrschaft überdeckt die ethische Frage nach Verantwortbarkeit politischen Handelns. „Der Schrecken vor dem Abgrund [sc. der Freiheit] läßt die politische Theologie entstehen."49 Im Begriff von Handlungsfreiheit als kontingentem Anfangen und im Begriff von Urteilsfreiheit als Verantwortung trifft sich demgegenüber Eschatologie mit politischer Ethik: Die Kontingenz des freien Anfangens oder Nicht-Anfangens, die im Handeln oder Unterlassen zu verantworten ist, gilt als Grundfrage politischer Praxis.50 Ohne daß es sich in seinem Anfangen begründet und ohne daß es den unabsehbaren Wirkungsraum seiner Folgen ermessen kann, soll politisches Handeln Gründe nennen und, vorausblickend auf sein Ende, Folgen verantworten können?1 Eschatologie als Lehre vom .Ende aller Dinge' im letztgültigen Urteil (.Gericht Gottes') und von der Verheißung (also von Gottes im Namen Jesu gültiger VerheiZur Problemgeschichte: W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 369-389, v.a. 381f. Im Anschluß an H. Arendt hat H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, v.a. 175-253.299311, Grundlegendes für diese Theoriebildung geleistet. Seine Untersuchung ist im Folgenden durchgängig vorausgesetzt und wird v.a. in § 13 fortgeführt. 47 H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 264.303f. 4 ' J. B. Metz, Glaube, 44-74; J. Moltmann, Kommen Gottes, 44-48.150-154. 4 ' H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 305. 50 H. Arendt, Vom Leben des Geistes II, 200, bereits entfaltet in § 3.3. 51 H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 271. 45 44

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ßung, zuletzt noch den Tod neuschöpferisch zu überwinden, um alles in allem gewesen zu sein, IKor 15,28) definiert die ethische Situation durch Berufung auf Gottes Handeln im Geist:52 Der schöpferische Geist Gottes erfüllt Gericht und Verheißung schon jetzt am Handeln und an Handelnden; er gewährt neues Leben mit Gott im Glauben und auf Hoffnung. Dieses neue Leben im Handeln zu beschreiben, ist Aufgabe der Ethik. Die genuine Vergegenwärtigung des verheißenen .Gerichts über die Werke' durch den Geist ist die Krise menschlichen Handelns und ethischen Urteilens, begründet aber zugleich Handeln und Urteilen in der .Freiheit von den Werken'. Kritische Unterscheidung der Werke von der Person und Neuschaffung der Person über ihren Werken und im Urteilen über sie gehören zusammen: Handlungen stehen weder mit ihren Voraussetzungen noch mit ihren Folgen allein in menschlicher Hand; sie können gerade deshalb begrenzt verantwortet (wichtig z.B. für die Frage nach der Freiheit zur .politischen' Verantwortung) und ethisch begründet werden. Die eschatologische Begrenzung menschlicher Handlungen durch Gottes Handeln und seine Gerechtigkeit umreißt also den Raum konkreter Handlungsverantwortung. Die Zeit moralisch beurteilbaren Handelns (.Geschichte') und dessen höchstes Gut (.Realutopien') sind nicht Maß aller Dinge. Verantwortlichkeit soll vom Rechtfertigungsbedürfnis der Person und ethische Begründung freien Handelns von Letztbegründung menschlicher Freiheit unterschieden bleiben. Gerade dann können Handlungen als .Früchte des Geistes' beschrieben werden (Gal 5,22), in denen die Freiheit des Glaubens und der Hoffnung in erfüllten Werken der Liebe und der nüchternen Geduld mitgeteilt wird. 53 In ihnen finden sich Personen im Geist am Ort konkreter Nächstenschaft vor (Reich Gottes). Dieses Einbezogen- und Verwandelt werden des (.inneren und äußeren') Menschen in den Zusammenhang göttlichen Handelns und in die Urteilsfreiheit des Gewissens ist als neues Leben mit Gott (Reich Gottes) zu entfalten. Hier setzt die Frage nach der Ethik der Urteilsfreiheit als einer .Ethik der Ethik' an: „Es gehört zu dieser dem .Geist' entsprechenden Ethik, daß sie als Tun des Menschen gesehen auch selbst .ethisch' beschrieben und beurteilt werden kann, weil sie sich in ihrem Vollzug nicht absolut zu begründen sucht, sondern als .begründete' Ethik versteht. So ist eine ,Ethik der Ethik' im Blick".54 Die eschatologische De52

H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 226: „Die Berufung auf Gottes Handeln im Geist definiert die ethische Situation als die Gegenwart der ,Freiheit' der Ethik - und dies in zweierlei Hinsicht: im Blick auf die ,Zeit' des Handelns Gottes, die im Geist gegenwärtig wird und die die Bindung menschlichen Handelns an die eigene .Zeit' begrenzt - und im Blick auf die, Wirklichkeit' des Handelns Gottes, die die Bindung menschlichen Handelns an die Wirklichkeit seiner Erfahrung begrenzt. In solcher zweifachen Begrenzung seiner Unfreiheit findet der Mensch die .Freiheit' seiner ethischen Situation. Wir fragen von da nach der,Ethik'als einer Tätigkeit des Menschen." 53 H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 275 (vgl. 242-253): „Wie ist aufgrund dieser Gegenwart von Freiheit [sc. eines Christenmenschen] Politik denkbar? ... Für die .Freiheit von den Werken' ... gilt, daß für sie das politische Handeln ein ,äußeres' Werk bleibt, keine den Menschen bestimmende Praxis, sondern die Mitteilung der .Gegenwart' der Freiheit. So gesehen geht es um die Befreiung des politischen Handelns selbst - um seine Freiheit von den .Werken', auch in der Erwartung des Gerichts nach den Werken." 54 H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 226. 154

finition menschlichen Handelns im Handeln Gottes konstituiert also Ethik und Ethik der Ethik: Sie entfalten die Forderung, daß Reden von Gott, Handeln und praktisches Urteilen und ihre Theorie (Ethik der Ethik) in der Hoffnung des verheißenen Handelns Gottes im Geist bleiben sollen. Kant formuliert dieses Problem, wie hinreichend gezeigt, als Frage nach negativer Hoffnung: Angesichts der Rechtfertigungsbedürftigkeit freien Handelns gilt es, dieses urteilend zu verantworten, ohne das wahre Ende aller Dinge affirmativ zu antizipieren. Die Freiheit, die der kategorische Imperativ ,verheißt', kann nicht .verwirklicht' und .dargestellt' werden. Inwiefern kann sie gleichwohl im Handeln aufgefunden und beschrieben werden? Es ist Kants Begriff einer,wahrsagenden Geschichte als einer α priori möglichen Darstellung des beständigen Fortschritts zum Besseren' (Streit, A 132; 9,351), auf die sich das kritische Interesse zu richten hat. Kant führt ihn ein im Blick auf die unerhörte geschichtliche .Begebenheit' seiner Zeit: die öffentliche Beurteilung der Französischen Revolution. Inwiefern zeigt sich in dieser Begebenheit das Vermögen wahrsagender Geschichte, also einer historischen Urteilsbildung, die geschichtliche Hoffnung begründet? Historische Urteilsbildung kann sich nicht direkt auf die Moralität des revolutionären Handelns richten wollen, etwa unter Anwendung des kategorischen Imperativs als Urteilsmaßstab. Die Freiheit des kategorischen Imperativs ist das im geschichtlichen oder politischen Handeln Undarstellbare. Die Frage ist vielmehr: Inwiefern eröffnet und erlaubt - nicht die Revolution selbst mit ihren ungeheuren Greueln!, sondern - die öffentliche Beurteilung der Revolution die Prognose einer moralischen Tendenz im Menschengeschlecht? „Es ist bloß die Denkungsart der Zuschauer, welche sich bei diesem Spiele großer Umwandlungen öffentlich verrät, und eine so allgemeine und doch uneigennützige Teilnehmung der Spielenden auf einer Seite, gegen die auf der andern, selbst mit Gefahr, diese Parteilichkeit könne ihnen sehr nachteilig werden, dennoch laut werden läßt, so aber (der Allgemeinheit wegen) einen Charakter des Menschengeschlechts im ganzen, und zugleich (der Uneigennützigkeit wegen) einen moralischen Charakter desselben, wenigstens in der Anlage, beweiset, der das Fortschreiten zum Bessern nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon ein solcher ist" (Streit, A 143; 9,357f, Kursive z.T. HA). Die revolutionäre Öffentlichkeit zeigt exemplarisch eine kritisch-historische und genuin eschatologische Urteilsbildung, welche die Ereignisse im Urteilsaustausch als .Revolution' und signum prognosticon bildet. Urteilsbildung vollzieht zunächst jene doppelte Reflexion, die aus der Geschmackskritik bekannt ist: (a) Es vergegenständlicht das Ereignis als erzählbare Geschichte, als exemplarische Begebenheit. „Ist Urteilskraft unser Vermögen, das sich mit der Vergangenheit befaßt, so ist der Historiker der Mensch, der sie erkundet und, indem er sie erzählt, über sie zu Gericht

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sitzt."55 Die Kant interessierende Frage ist nicht: Wie wird moralisch oder politisch gewertet?, sondern: Worauf richtet sich das Urteil im historischen Ereignis? Was ist erzählbar und unter welchem Gesichtspunkt wird in der Beschreibung das Geschichtszeichen erst mitkonstituiert? Die Rechtfertigungsbedürftigkeit der menschlichen Freiheit in ihrem Anfangen bleibt bestehen, ja, sie tritt angesichts einer Revolution ins volle Licht, die „mit Elend und Greueltaten dermaßen angefüllt ... [sc. ist], daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie, zum zweitenmale unternehmend, glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschließen würde." (Streit, A 143f; 9,358) Gerade in dieser Begründungsbedürftigkeit des Anfangens ist aber „die Kraft zum Urteilen verwurzelt. Sie nämlich läßt das Urteilen als Konsensfindung begreifen. Konsensfindung ist dann nicht die Herstellung einer gemeinsamen Uberzeugung, sondern das Auffinden des Mitteilbaren ... In ihrer Urteils-Gestalt bleibt sie [sc. die Urteilsfreiheit] ausgerichtet auf das Handeln Gottes, das solche Freiheit gewährt ... Gottes Handeln bestimmt den Menschen ... als den, der so urteilen und handeln soll, daß Gott zu seinem ... Handeln kommt."54. Inwiefern trifft dies aber auch für Kant zu? Das Urteilen nimmt (b) im Erzählen Stellung, es sitzt zu Gericht, indem es andere als Richter anruft. Es genügt nicht, daß das Urteil nur mitteilbar ist; es muß mitgeteilt werden. Das Singuläre der in der Mitteilung sich bildenden Revolutionsöffentlichkeit ist für Kant die sich einstellende, ,so allgemeine und doch uneigennützige Teilnehmung' für eine Seite: der sich einstellende Urteilskonsens, der gerade in seiner Parteilichkeit uneigennützig ist - ,interesselos'. Kant nennt dies Enthusiasmus' und hebt ausdrücklich hervor, „daß wahrer Enthusiasm nur immer aufs Idealische und zwar rein Moralische geht ... und nicht auf den Eigennutz gepfropft werden kann." (Streit, A 145; 9,359) Die Dritte Kritik erläutert dazu: „Die Idee des Guten mit Affekt heißt der Enthusiasm." (KU, Β 121; 8,362) Nun kann reine praktische Vernunft an diesem Affekt eigentlich kein Wohlgefallen finden, weil er blind ist und die freie Überlegung der moralischen Grundsätze hindert. „Ästhetisch gleichwohl ist der Enthusiasm erhaben, weil er eine Anspannung der Kräfte durch Ideen ist, welche dem Gemüte einen Schwung geben, der weit mächtiger und dauerhafter wirkt, als der Antrieb durch Sinnenvorstellungen." (KU, Β 121; 8,363) Enthusiasmus ist negativistischer Jioffhungsaffekt': „Indem er die extreme Spannung hervorruft, die ... sich subjektiv als Schrecken vor dem Verlust der Darstellung und als ,Schwung' (B 125) auf das hin, was diese letztere übersteigt, das heißt auf die absolute Kausalität [sc. der Freiheit] hin äußert, bezieht der Enthusiasmus das Denken auf ,;mutige' (B 122) affektuelle Weise

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H. Arendt, Das Urteilen, 15. H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 306.

auf das Gesetz."57 Das Denken, das im Beschreiben und Urteilen bis zum Wahnsinn mutig auf das Gesetz bezogen wird, stimmt darin dem Rechtsanspruch des Gesetzes auf praktische Freiheit aller Menschen zu. Dieser Rechtsanspruch des Gesetzes verlangt auch eine republikanische Verfassung, weil nur diese „ihrer Natur nach so beschaffen ist, den Angriffskrieg nach Grundsätzen zu meiden, ... wenigstens der Idee nach" (Streit, A 144; 9,358). Der Anspruch auf eine republikanische Verfassung ist also eine Folge des Rechtsanspruchs des Gesetzes auf die Freiheit aller Menschen. Im singulären historischen Moment .verrät' sich so die öffentliche Denkungsart eines ethischen gemeinen Wesens: Es stellt sich ein interesseloses Gefallen am Rechtsanspruch auf verfassungsrechtliche Souveränität ein, sofern sich darin der Rechtsanspruch des Gesetzes auf Freiheit anzeigen kann. Deshalb zeigt sich in der Beurteilung der Revolution der .Charakter des Menschengeschlechts' als moralischer, .wenigstens in der Anlage'. Es ergibt sich also in Kants Analyse der revolutionären Öffentlichkeit ein eigenartiges Zugleich von Verurteilung der Revolutionshandlungen selbst, Gefallen an der JSvolution einer naturrechtlichen Verfassung" (Streit, A 148f; 9,360) und Enthusiasmus des Gesetzes und seiner .Freiheitsverheißung'. Inwiefern handelt es sich aber darin um eine Begebenheit, welche „das Fortschreiten zum Bessern nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon ein solcher ist" (Streit, A 143; 9,358f, Kursive HA)? In der Beantwortung dieser Frage besteht die Strittigkeit des Kant'schen Begriffs wahrsagender Geschichte. Kant vollzieht eine (c) dritte Urteilsreflexion und scheint erneut in Geschichtsphilosophie zu verfallen. Das Faktum der revolutionären Öffentlichkeit wird zum ,unvergeßbaren Grund' 58 der Hoffnung auf die negative Weisheit der Menschengattung. Diese zeigt sich freilich keineswegs in einer fortschreitenden Verwirklichung des Rechtsanspruchs des Gesetzes, also gleichsam als .Befreiungsgeschichte' (ein für Kant widersinniger Begriff), sondern in der Zurückdrängung des Krieges unter der Idee des Völkerrechts als Bedingung für jene Freiheit, die das Gesetz beansprucht.59 Diese Differenzierung ist genau zu beachten, wenn Kant die unerhörte Begebenheit der Revolutionsöffentlichkeit - in einem höchst eigenartigen und bemerkenswerten Rückgriff auf die thomistische Definition von .Sakrament' - als „Geschichtszeichen (signum rememorativum, demonstrativum, prognosticon)" charakterisiert (Streit, A 142; 9,357).

57 J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 174; Lyotard nennt die enthusiastische Anspannung paradox die .wahre Gesundheit des Denkens', die darin besteht, an der Sehnsucht nach dem Absoluten erkrankt zu sein: Die Freiheit des Gesetzes widersetze sich ihrer Darstellung, eine Enttäuschung, die bis zum Wahnsinn gehen kann. „Doch gerade dieser Wahnsinn ist gut, zunächst weil er heilbar ist, aber vor allem weil er für einen Augenblick das Absolute .gleichsam anschaulich' macht (B 97)". 58 Streit, A 149; 9,361. 59 Streit, A 160; 9,367.

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Die genaue Definition lautet bei Thomas: „sacramentum proprie dicitur quod ordinatur ad significandam nostram sanctificationem. In qua tria possunt considerari... Unde sacramentum est et signum rememorativum eius quod praecessit, scilicet passionis Christi [causa sanctificationis]; et demonstrativum eius quod in nobis efficitur per Christi passionem, scilicet gratiae [forma sanctificationis]; et prognosticum, idest praenuntiativum, futurae gloriae [finis sanctificationis]".60 Wird damit das konkrete historische Urteil zur Geschichtstheologie? Wird Urteilskraft zum Vermögen geschichtsphilosophischer Sinnfindung, ja Sinnstiftung? Möchte sie nicht im Geschichtszeichen jenen Grundsatz auffinden, der sich als Ermöglichungsgrund allen künftigen Fortschritts erweisen kann} In der Tat formuliert Kant: „Es muß irgend eine Erfahrung im Menschengeschlechte vorkommen, die, als Begebenheit, auf eine Beschaffenheit und ein Vermögen desselben hinweiset, Ursache von dem Fortrücken desselben zum Besseren, und (da dieses die Tat eines mit Freiheit begabten Wesens sein soll) Urheber desselben zu sein; aus einer gegebenen Ursache aber läßt sich eine Begebenheit als Wirkung vorhersagen, wenn sich die Umstände eräugnen, welche dazu mitwirkend sind. Daß diese letztere sich aber irgend einmal eräugnen müssen, kann, wie beim Kalkül der Wahrscheinlichkeit im Spiel, wohl im allgemeinen vorhergesagt, aber nicht bestimmt werden, ob es sich in meinem Leben zutragen und ich die Erfahrung davon haben werde, die jene Vorhersagung bestätige." (Streit, A 141, 9,356f) Kants Konzept wahrsagender Geschichte zeigt Urteilskraft in actu, die einen geschichtlichen Fortschritt der »Legalität in pflichtmäßigen Handlungen" (Streit, A 156; 9,365) zu prognostizieren erlaubt, sofern sie das enthusiastische Interesse an Legalität in der Tat als ein- für allemal gültiges Geschichtszeichen beschreibt. Sofern diese Begebenheit unvergeßlich ist und sofern sie ein Fortschreiten zum Bessern nicht allein hoffen läßt, sondern selbst schon wirkt, ist sie signum rememorativum et demonstrativum. Aber ist diese Begebenheit darin signum prognosticon, daß sie ein weltbürgerliches Publikum verheißt, in dessen Urteilen Geschichte als Verheißungssubstitut beständig reproduziert und vergewissert wird? Wird die Wahrsagung, die sich in der öffentlichen Denkungsart der Zuschauer der Französischen Revolution unvergeßlich entdeckt, im unabsehbaren, aber wahrsagbaren Fortschritt der menschlichen Gattung erfüllt, weil hier „der Wahrsager die Begebenheiten selber macht und veranstaltet, die er zum voraus verkündigt" (Streit, A 132; 9,351)? Dann würde in der Tat gelten, daß der Schrecken vor dem Abgrund revolutionären Handelns politische Theologie entstehen läßt. Diese Deutung ist keineswegs ohne Anhalt am Text; sie kann vor allem auf

60 Thomas von Aquin, S.Th. ΠΙ q. 60 a. 3 c. (Klammereinfügungen HA). Nicht zufällig greift Kant auf die thomistische Sakramentsdefinition zurück, sofern er noch die Vielschichtigkeit des patristischen Sakramentsbegriffs enthält.

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die Wirkungsgeschichte in den nachfolgenden Geschichtsphilosophien verweisen. Gleichwohl ist in Kants Rede vom signum prognosticon eine particula veri enthalten, die für eine Theorie ethisch-eschatologischer Beschreibung Bestand hat: Das Faktum der revolutionären Öffentlichkeit ist lediglich der .unvergeßbare Grund' der Hoffnung auf die negative Weisheit der Menschengattung, d.h. auf eine Weisheit, die hoffen darf, dem wahren Ende aller Dinge im Handeln wenigstens nicht zu widersprechen. Signum prognosticon ist die unerhörte Begebenheit also in einem doppelten Sinn: Gerade der blinde, affektive Enthusiasmus erlaubt die geschichtliche, rationale Wahrsagung, daß das praktische Interesse an Legalität, an Verfassungsfreiheit und Völkerrecht, in der menschlichen Geschichte nicht definitiv zum Verstummen zu bringen ist. Der Rechtsanspruch auf verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Freiheit im Rechtsanspruch des Gesetzes ist in der Tat auch zu .machen'. Aber der Rechtsanspruch des Gesetzes auf Freiheit aller, die Kant'sche .Verheißung' des Gesetzes, läßt sich geschichtlich weder machen noch wahrsagen. Diese Verheißung kreatürlicher Freiheit bleibt im Geschichtszeichen verborgen; das wahre Ende aller Dinge im Urteilsspruch des Richters steht aus. Und nur sofern es ausstehende Wahrheit bleibt, ist eine wahrsagende Geschichte möglich. Weil es als Geschichtszeichen die Hoffnung negativer Weisheit begründet, weil es aber zugleich das Geheimnis kreatürlicher Freiheit offenhält, deshalb gilt Kant die unerhörte Begebenheit als signum prognosticon.

Zusammenfassung: Hoffnung als Praxis guten Lebens 1. Religion als Kultur der Hoffnung Die Erweiterung rationaler Ethik zur urteilspraktischen Vernunftkultur durch eine Pflicht sui generis setzt bei Kant den negativen Begriff eschatologischer Gerechtigkeit, das Symbol des göttlichen Richters, voraus. Sie kann (oder: könnte) anerkennen, daß Lebensformen) und Kultur(en) eschatologischer Verantwortung aufgrund von, d.h. im negativen Konsens mit genuiner, göttlicher Gerechtigkeit bereits existieren. Allerdings fragt sie nach Kultur der Vernunft in existierenden Kulturen: „Also kann nur ein solcher als oberster Gesetzgeber eines ethischen gemeinen Wesens gedacht werden, in Ansehung dessen alle wahren Pflichten, mithin auch die ethischen zugleich als seine Gebote vorgestellt werden müssen; welcher daher auch ein Herzenskündiger sein muß, um auch das Innerste der Gesinnungen eines jeden zu durchschauen, und, wie es in jedem gemeinen Wesen sein muß, jedem, was seine Taten wert sind, zukommen zu lassen. Dieses ist aber der Begriff von Gott als einem moralischen Weltherrscher. Also ist ein ethisches gemeines Wesen nur als ein Volk unter göttlichen Geboten, d.i. als ein Volk Gottes, und zwar nach 159

Tugendgesetzen, zu denken möglich." (RGV, Β 138f; 7,758, Kursive z.T. HA) Nicht weil Pflichten göttliche Gebote sind, sind Handlungen zu verantworten; vielmehr weil Pflichtgemäßheit des guten Willens, gerade unter der Idee der Autonomie, nur vor Gott verantwortet werden kann, können Pflichten als göttliche Gebote gelten. Der Grund: menschlicher Wille bleibt anerkennungsbedürftig, weil er sich als dem Gesetz verantwortlich bestimmt. Anerkennungsbedürftigkeit darf nicht durch intersubjektive Anerkennung befriedigt werden. Vielmehr steht Anerkennung und Verurteilung einzig und allein einem ,Herzenskündiger' zu, der, als .Oberhaupt' im Reich der Zwecke, nicht derselben Anerkennung bedarf. Weil Gottes Gerechtigkeit nicht ethischer, erst recht nicht rechtlicher Anerkennung und Rechtfertigung bedarf, deshalb kann er .Herzen* richten. Diese richterliche Souveränität ist für Kant der wahre Grund des Mißlingens aller Versuche zur Theodizee: „.Wollt ihr', sagt er [sc. Hiob, vgl. Hi 13,7-11.16], ,Gott verteidigen mit Unrecht? Wollt ihr seine Person ansehen? Wollt ihr Gott vertreten? Er wird euch strafen, wenn ihr Personen anseht heimlich! - Es kommt kein Heuchler vor Ihn.'"61 Indem sich die Menschen gerade durch das selbstgegebene Gesetz als genuin anerkennungsbedürftig bestimmen, bleiben sie Glieder im Reich der Zwecke, eine Stellung, die ihnen paradoxerweise wechselseitige moralische Achtung als .Zwecke an sich' ermöglicht. Zweck an sich, ex negative .Geschöpfe' sind sie, weil sie nicht in Wahrheit durch ihresgleichen moralisch anerkannt oder verurteilt werden können, - auch nicht durch sich selbst. Sie können sich selbst im eigenen Namen weder lossprechen noch verdammen: „Es ist ein Großer Unterschied dazwischen, daß ein Mensch sich selbst tadelt; denn er kann sich doch bessern oder durch verdienstliche Handlung das ersetzen, was er verbrochen hat. Aber sich selbst verdammen durch ein peccatum, welches er als immortal ansieht, kann er nicht; sondern, da er doch bey einer Lüge mit Vorsatz Böses thut und sich verwerflich macht oder findet, so verdammt ihn nicht er selbst, sondern er ist sich bewust, daß ihn ein Anderer Höherer, aber doch in seiner Menschheit residirend, aber doch allgemeingültig verdammt. Niemand kann sich selbst verfluchen."62 Daß der Mensch nur von Gott als dem Richter und Herzenskündiger zu rechtfertigen oder zu verurteilen ist, ist seine genuine Würde. Daß allein der Herzenskündiger richten kann, weil er keiner kommensurablen Ehre bedarf, ist seine inkommensurable Ehre.63 „In der Achtung vor der gesetzgebenden Person des andren kommt das pragmatische Ansehen zu seiner moralischen Wahrheit, und zwar dadurch, daß alles persönliche Ansehen dem des Ge-

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Theodizee, A 215; 9,118 (Konjektur nach AA). So notiert die Reflexion 8107 (wohl um 1800) AA 19, 649f (vgl. die Reflexion 8110, um 1800, AA 19. 650); MST, A 177f; 7,626 (innerer Widerspruch selbst auferlegter und an sich vollstreckter Bußstrafen, „denn die muß immer ein anderer auflegen" MST, A 176; 7,626). ° Zur Ehre Gottes als letztem .Zweck der Schöpfung': KU, Β 422 Anm.; 8,575f; KpV, A 235f; 6,262f; MST, A 187f; 7,632. 62

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setzes, genauer: daß alles menschliche Ansehen der Ehre Gottes weicht. Mit dem Schöpfer zugleich wird die anerschaffene Würde des Menschen durch den moralischen Gehorsam sichtbar."64 ,Religion' - so läßt sich jetzt zusammenfassen - ist freie Anerkennung eschatologischer Richterschaft Gottes für uns, weil Gott an ihm selbst Richter ist. Sie vollzieht sich als gewissenskritische Restriktion und Konstitution von Richterschaft über sich und über andere aufgrund der Idee der Autonomie. Darin unterscheidet sie sich von reiner Mystik. Sie ist in actu Ubergehen in ein .ethisches Gemeinwesen', in eine existierende Kultur des öffentlichen praktischen Urteils unter Vorbehalt göttlicher, inkommensurabler Gerechtigkeit. Ihre Sprache soll als Teil-,Grammatik' praktischer Vernunft reflektiert werden, ohne daß damit der Anspruch verbunden ist und verbunden sein kann, eigentliche Religion vollständig zu reflektieren oder gar zu begründen. Diese Kultur wird erinnert. Sie soll tradiert, gelehrt und erlernt werden. Die Pflicht zum Ubergang ins ethische gemeine Wesen weist zur generationenübergreifenden Lehre eines bestimmten ethischen und eschatologischen Sprechens und Symbolisierens an. Sie rechnet mit der Alternanz der Urteilskraft als Quelle philosophischer und theologischer Innovation: Die genuin vernunftreligiöse Pflicht der Menschheit gegen sich selbst verlangt den Ubergang in eine praktische Weisheit, die ihre Gewissensurteile und Handlungsinterpretationen der Kritik durch Andere auszusetzen und sie dazu in eine ethische Sprache und ihre .Grammatik' zu übersetzen hat. So sehr also humane Verantwortung, das Gewissen, auf eine existierende ethische Sprache angewiesen ist, so sehr generiert sie diese im Vorgang des Ubersetzens. Sie beansprucht, die existierende ethische Sprache durch ihre reine praktische Typik auch zu .reinigen'.65 Die Hoffnungsmetaphorik des heiligen Buches, als Grundlage mindestens zweier existierender Teil-,Grammatiken' der Vernunft, ist Grund der Hoffnung auf dialogisch-plurale, kreatürlich-verantwortbare gute Lebenspraxis trotz möglicher innerer Lüge. Diese Praxis guten Lebens wäre negative geschöpfliche Weisheit. Solche Weisheit, vermittelt durch kritische Arbeit, vollzogen als mit-weltliche Orientierung und Behutsamkeit im Bezeichnen, wird augenblicklich fühlbar. Dann zeigt sich rationale Urteilsfreiheit als gutes Leben im Geheimnis. Güte des Lebens wird fühlbar und ikonisch sichtbar. Dies ist das Geheimnis der Religion. Die Symbole eschatologischer Richterschaft, göttlicher Gerechtigkeit und Ehre symbolisieren schöpferische Freiheit als Unendlichkeit; dies jedoch so, daß metapyhsische Aseität und Notwendigkeit, also die Idee absoluter göttlicher Freiheit nicht zum Abgrund vernünftigen freien Handelns werden. Die Praxis guten Lebens im Geheimnis schöpferischer Freiheit unterscheidet sich präzise an diesem Punkt von der politischen Religion und ihrer UberbegrünG. Krüger, Moral, 105. Dieser Sprachklärung gehört zur Klärung der .metaphysischen Anfangsgründe' der Tugendlehre: MSR, Einleitung Π Β 7-13; 7,319-323 und MST, A 2-10; 7,508-513. 64

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dung freien Handelns. Über den späten Kant hinaus führt dann allerdings folgende Frage: Ist nicht gerade göttliche Freiheit, die unbedürftig ethischer und rechtlicher Anerkennung ist, Inbegriff göttlicher Liebe? Erwiese sich Gottes unbedürftige Freiheit nicht gerade - in Gottes Menschenbedürftigkeit? „Gottes .Menschenbedürftigkeit' ablehnen kann das Christentum, weil es sie dem Sohn zuschreibt, das Judentum[,] weil es sie auf das Volk gehen läßt... Gott hat nur dies eine Bedürfnis, aber dies hat er: die Bedürftigkeit des Menschen ... nicht die Stärke sondern die Schwäche (und also die Freiheit) des Menschen ist Gottes Bedürfnis."66 Doch zu dieser Theologie kann Kant sich nicht verstehen. Er eliminiert vielmehr die Gabe des Namens, das Faktum der Religion, um willen der einen, in sichpluralen Vernunftkultur. Urteilskraft reflektiert ,den Namen' als absolut negatives, selbstreferentielles Zeichen und begründet darin negativistische (nicht mehr nur negative) Hoffnung: Das Geheimnis Gottes im Geheimnis guten Lebens wird enthusiastisch fühlbar, zeichenlos blind, in wahnhafter Begeisterung. Die grundlegende Operation der Elimination vermittelt sich durch die Idee moralischer Anlage. Im klaren Wissen um das Faktum der Vernunft als Rezeption ohne Rezeptivität steht sie am Anfang kritischer Arbeit, die sich fühlbar macht, was stets zum Abgrund werden kann. Die Stimme des Gesetzes, typisiert als absolute logische Form, stellt sich am Menschen dar, zunächst als Instinkt des Gewissens. Aufgrund des ,uns unbegreiflicher Weise beiwohnenden Vermögens' inneren Hörens (reflektiert als moralische Anlage) gelingt es, das Uberwältigende zur Darstellung zu bringen als korrelative Urteilspraxis im Gewissen, typisiert als dijudikatorisches Richteramt des Gewissens (vgl. MSR, Β 29; 7,334). Der Mensch ist Mitrichter und insofern Mitgesetzgeber, eine Mitgesetzgeberschaft, in der er seine Faktizität als Autonomie auslegt: „Der Mensch ist Mitgesetzgeber und Mitrichter; und zwar ist er Mitgesetzgeber gerade in dem Sinne des Richteramtes. Seine Autonomie ist nichts andres als die richerlicher Loyalität... So rückt der Begriff der Autonomie des Menschen in nächste Nähe zum Gewissen. Der Mensch soll sich selbst seine Handlungen als Taten anrechnen (imputieren); er ist nicht Richter im vollen Sinne: er kann nicht .rechtskräftig* (imputatione iudicaria s. valida), mit Strafgewalt zurechnen, aber doch eine ,beurteilende Zurechnung (imputatio diiudicatoria)' üben ... Die menschliche Autonomie ist das dijudikatorische Richteramt, das der kategorische Imperativ durch seine Formeln zu üben gebietet. Das unwillkürliche Bewußtsein von dieser Forderung aber, das dem Gebrauch der geforderten ,Denkmittel' vorangeht und das auch erst nötigt, sich selbst als einen Richter typisch vorzustellen, ist das Gewissen.""

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F. Rosenzweig, Zweistromland, 66. G. Krüger, Moral, llOf.

2. Das katechetische Programm der Religionsschrift Praktische Weltorientierung stellt sich in reinen Typen und in Symbolen unterschiedlicher Dichte, Diskursivität und Referenz dar. Autonomie impliziert ein Reich der Zwecke und führt zugleich zur Unterscheidung zwischen Oberhaupt und Gliedern in diesem Reich. Die Differenz zwischen Oberhaupt und Gliedern wird erst in der Religionsschrift durchgehend durch Rechtsbegriffe typisiert und durch biblische Metaphern symbolisiert. Die Rechtsphilosophie, vor allem die Staatslehre stellt Verstandesbegriffe bereit, die das Gesetz als Typen seiner Darstellung vorzeichnet. Der juridische Horizont der moralischen Ontologie bestimmt weithin Kants Symbolisierungen guten Lebens.68 Am Leitfaden juridischer Typik reflektiert die Religionsschrift Gott als .Herzenskündiger'.69 Der .Herzenskündiger' (d.h. Herzenskundige) ist eschatologisch-pneumatologische Metapher des Rechtsbegriffs von Souveränität. Vom Typus richterlicher Souveränität her erschließt Kant am Leitfaden der Drei-Gewalten-Theorie staatlicher Souveränität Gott zugleich als obersten Regent und Gesetzgeber. Weil Kant Theologie durch reine Rechtsbegriffe typisiert und in biblischen Metaphern symbolisiert, läßt sich für die Rede vom .Herzenskündiger' keine Abhängigkeit Kants von Vorlagen aufzeigen.70 Sie ist genuine Interpretation biblischer Gottesprädikation. Nicht zufällig stößt Kant bei seiner Bibellektüre auf diese eschatologisch-pneumatologische Prädikation Gottes. Erwägenswert ist als Referenz Rom 8,26f.28-30 (v.a. V.26f). Noch präziser findet sich aber die dreifache juridische Typik Gottes aus der Religionsschrift in der lukanischen Rede vom .Herzenskündiger' (Apg 15,7-9, duplex legomenon):71 „Jr Menner, lieben Brüder/Jr wisset/ das Gott lang vor dieser zeit/ vnter vns erwelet hat/ das durch meinen mund/ die Heiden das wort des Euangelij höreten vnd gleubten. Vnd Gott der Hertzkündiger zeugete vber sie/ vnd gab jnen den heiligen Geist/ gleich auch wie vns/ vnd macht kein vnterscheid zwischen vns und jnen/ Vnd reinigete jre Hertzen durch den Glauben." Gott, der Herzenskündiger, kennt allein das Geheimnis der Erwählung des einen Volkes Gottes aus Juden und Heiden in der Berufung durch das Evangelium; er bezeugt es durch die Gabe jenes Geistes, der die Herzen reinigt. Die Gabe des Geistes im Hören auf das Evangelium als Berufung und die dadurch ermöglichte Reinigung der Herzen durch den Glauben an das Evangelium sind die beiden Werke des Herzenskündigers zur Erwählung des Gottesvolkes.

" G. Krüger, Moral, 106; vgl. J. Bohatec, 557f. " .Herzenskündiger' als zentrale Gottesidee noch in: MST § 13 (A 98-103; 7,572-576). 70 Der Begriff des .Herzenskündigers' findet sich nirgends in J.F. Stapfers Grundlegung zur wahren Religion ([-ΧΠ, Zürüch 1746-1753), die J. Bohatec als wichtigste theologische Quelle Kants nennt. Die bei Bohatec angegebenen Parallelstellen in Stapfers Werk (8,536f; 10,272f; 10,213-230) behandeln die Königsherrschaft Christi über die Kirche und zeigen keinerlei Parallelen zu Kants Symbolik des Herzenskündigers! 71 Zitiert wird nach der Lutherübersetzung von 1545, deren Wortlaut Kant noch im Wesentlichen vorlag.

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Der Begründungszusammenhang von Berufung, Reinigung und Erwählung kehrt in der Religionsschrift präzise wieder. Das zeigt sich exemplarisch an den Einführungen der Rede vom .Herzenskündiger' in der Religionsschrift: Er ist derjenige, der allein die Wiedergeburt als Revolution des Herzens anerkennen kann72 und derjenige, der allein die Buße als völlige Reinigung des Herzens zurechnen kann.73 Vollständig bestimmt ist das Symbol des Herzenskündigers aber erst durch die Symbolik der Erwählung zum Gottesvolk, deren Reflexion vermittelt ist durch die Pflicht zum ethischen gemeinen Wesen. Es gilt auch für die Rede vom .Herzenskündiger' die methodische Regel, daß philosophische Werke Begriffe nicht definieren, sondern exponieren. Eine vollständige Exposition ist deshalb erst am Ende eines Werkes erreicht. Dabei verfährt die Exposition einer .Erfahrung* synthetisch: Die im Ersten Stück der Religionsschrift grundlegende Idee einer Gewissensrevolution ist als Ubergang ins ethische gemeine Wesen unter die Herrschaft des Herzenskündigers erst im Dritten Stück durch die Pflichtformel sui generis vollständig exponiert.

Die Pflicht aus dem ethischen Naturzustand herauszugehen, dem möglichen Terrorzustand absolut moralischer Verdächtigung eines jeden gegen jeden und gegen sich selbst, ist Selbstanweisung, unter Vorbehalt des Herzenskündigers zu urteilen. Diese mögliche Dialektik des Gewissens verlangt, Hoffnung auf den Herzenskündiger zu erlernen, in dessen Urteil das Urteilen des Gewissens still gelegt wird, um sich überhaupt öffentlich in begrenzten Aussagen vollziehen zu können. Diese Pflicht formuliert also einen Gewissensgrundsatz, der, ohne selbst Erfahrungssatz zu sein, Urteilsunfreiheit und Urteilsfreiheit des Gewissens zugleich erfahren läßt. Das macht die Pflicht, ins ethische gemeine Wesen überzugehen, zur Pflicht sui generis. Wir behaupten also, daß sich in der Religionsschrift der kategorische Imperativ unter dem Typus des ethischen gemeinen Wesens und dem eschatologischen Symbol des Reiches des Herzenskündigers als Hoffnung korrelativer Urteilsfreiheit so darstellt, daß endliche Freiheit und kreatürliche Unfreiheit .gleichzeitig' erfahren werden kann. Diese .Fühlbarkeit' geschöpflicher Freiheit als Geheimnis der Hoffnung vollzöge sich im inkommensurablen Augenblick.74

Vgl. RGV, Β 55; 7,689. Vgl. RGV, Β 85; 7,720 und insgesamt RGV, Β 84-105; 7,719-733. 74 Vgl. als vorkritische Form dieser Hoffnung Kants Bekenntnis im berühmten Brief an Johann Caspar Lavater vom 26.4.1776, Brief 99, AA 19. 175-179 (Brief 99): „Sie verlangen mein Urtheil über Ihre Abhandlung vom Glauben und dem Gebethe. Wissen Sie auch an wen Sie sich deshalb wenden? An einen, der kein Mittel kennt, was in dem letzten Augenblicke des Lebens Stich hält, als die reineste Aufrichtigkeit in Ansehung der verborgensten Gesinnungen des Herzens und der es mit Hiob vor ein Verbrechen hält Gott zu schmeicheln und innere Bekenntnisse zu thun ... Wenn wir das Geheimnis, von dem was Gott seiner seits 72

73

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Die Religionsschrift führt Schritt für Schritt,katechetisch', d.h. akroamatischdiskursiv, ins kritisch erarbeitete und erlernbare, fühlbare Geheimnis dieser Freiheit ein. Sie muß als Hinführung zur Pflicht sui generis und darin zum guten Leben, als Einführung ins dreifach symbolisierte Geheimnis des Herzenskündigers und darin in augenblickliche Hoffnung interpretiert werden.75

3. Semiotische Aporie: Ikonische und enthusiatische Hoffnung Die Religionsschrift muß sich allerdings der Tatsache stellen, daß reine praktische Urteilsfreiheit, die keines Kanons bedarf, weil sie Wahrheit des Imperativs dogmatisch darstellt und darin selbst Kanon aller Urteilskraft ist, auf das böse Gewissen, auf innere Lüge trifft. Die Theorie des radikal Bösen formuliert, daß praktische Urteilskraft als humanes Gewissen dem Imperativ als Gesetz der Wahrheit und „Maxime der Selbsterhaltung der Vernunft"76 widerstrebt. Der Begriff des Gewissens, als einer sich selbst richtenden moralischen Urteilskraft, wie auch der Begriff der Weisheit werden dadurch zutiefst aporetisch. Diese Aporie der Freiheit muß Kant, Konsequenz seiner Grundlegung, eliminieren: „Nur das Moralisch-Gesetzwidrige ist an sich selbst böse, schlechterdings verwerflich, und muß ausgerottet werden; die Vernunft aber, die das lehret, noch mehr aber, wenn sie es auch ins Werk richtet, verdient allein den Namen der Weisheit" (RGV, Β 70; 7,710). Es ist die charakteristische Schwierigkeit der Religionsschrift, daß sie in der Exposition des menschlichen Freiheitskonflikts zwischen dem Rechtsanspruch des bösen und des guten Prinzips eine entdeckende Analyse des urteilenden Gewissens enthält, zugleich sucht aber das Gewissen sich selbst über seine Bosheit und deren Uberwindung aufzuklären. Dies ist die religionstheoretische Pointe der Alternanz der Urteilskraft. Das Programm der Religionsschrift kann in seiner Durchführung doppelt gelesen werden: Die Religionsschrift führt ein ins Erlernen von .Religion'; sie führt ein in existierende Kultur(en) der Hoffnung und ins Geheimnis menschenmöglicher, kreatürlicher Weisheit im dijudikatorischen Gewissen, das sich darüber selbst entdeckt. Doch über weite Passagen hin entspricht diese Lesart nicht dem Text: Unter dem Titel der mit sich identischen, bloßen

thut, auch gar nicht wüsten, sondern nur überzeugt wären: daß bey der Heiligkeit seines Gesetzes und dem unüberwindlichen Bösen unseres Herzens, Gott nothwendig irgend eine Ergänzung unsrer Mangelhaftigkeit in den Tiefen seiner Rathschlüsse verborgen haben müsse, ... so sind wir in demienigen was uns angeht hinreichend belehrt ..." (a.a.O., 176, Kursive HA). 75 Diesen schrittweise einführenden Charakter der Religionsschrift verkennen J. Bohatec, 335 und A. Schweitzer, 169, völlig. 76 Denken, A, 329 Anm.; 5,283.

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Vernunft vollzieht sich das transzendental/ogwc^e Programm einer Selbstbegründung ohne Letztbegründung, vermittelt durch Urteilskraft als Reflexion der Reflexion. Die Typik und Symbolik des Gewissens als ikonischer Hoffnung steht so in Konflikt mit der Unterscheidung von noumenalem und phänomenalem Charakter, durch die sich das Gewissen als sich selbst richtende Urteilskraft anschaut. Das Gewissen eliminiert in der Religionsschrift die Hoffnung göttlichen Namens, vollzieht diese Elimination aber als Selbstaufklärung durch den Kanon reiner Gesetzmäßigkeit. Die Idee moralischer Anlage als Anlage zur Gewissenhaftigkeit wird für Kant „das, was Archimedes bedurfte, aber nicht fand: ein fester Punkt, woran die Vernunft ihren Hebel" (Ton, A 419; 5,393) der Selbstaufklärung ansetzen kann. Gewissen wird dadurch allerdings in eine unendliche Selbstaufklärung zurückgenommen, die nicht hoffen kann, ihre eigene Unwahrheit je in der Zeit zu überwinden. An die Stelle ikonischer Hoffnung tritt schlechte Unendlichkeit und negativistischer Enthusiasmus. „Inhalt und Methode [sc. der praktischen Ontologie] befinden sich von vornherein in ein und derselben Aporie, deren Grund die Freiheit zum Bösen ist ... Nur die Schwere dieses Problems konnte Kant zum Festhalten an der dogmatischen Aufklärung veranlassen."77 Der Riß zwischen logischem Formalismus und eschatologischer Kreatürlichkeit geht durch die Religionsschrift. Er ist Grund ihrer Alternanz. Er kristallisiert sich in der Rede vom Geheimnis. Der abschließende Paragraph zeigt, daß die Aporie, die sich in Kants Rede vom Geheimnis manifestiert, ihr Symptom im Verlust kultischer, insbesondere ikonischer Zeichen hat.

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G. Krüger, Moral, 210.

§ 7 Rationale Mystagogie Kreatürliche Freiheit als Leben im Geheimnis lernen „Der religiöse Kult muß der gemeinsamen Vergegenwärtigung der wahren religiösen Lebenseinstellungen dienen, wenn er anderes sein soll als die Inszenierung eines Aberglaubens ... Die höchste Form des Kultes wäre das richtig verstandene und geführte Leben selbst, ohne daß daneben eine eigene und eigentümliche religiöse Praxis bestünde. Daher ist in den religiösen Dingen das richtige Schweigen über sie immer die höhere Form gegenüber der besonderen religiösen Rede und Praxis."1 Diese Bemerkungen umreißen das Programm einer rationalen Mystagogie. Diese hat in Kant ihren hervorragenden Vertreter. Das richtige Schweigen gilt dem durch Arbeit der Kritik fühlbar gewordenen, öffentlichen Geheimnis (mysterium) der Freiheit. Solche Mystagogie richtet sich polemisch gegen das intuitiv-erotische, offenbarte Geheimnis (secretum), das im .vornehmen mystagogischen' Ton autoritär verkündet wird.2 Die Religionsschrift stellt eine Form negativer katechetischer Theologie dar, deren genuin praktische Methode bis ins Programm der Transzendentalen Methodenlehre zurückreicht und die gesamte Kritik zusammenfasst. Sie ist also nicht als problematischer Prototyp idealistischer Religionsphilosophien zu lesen3, sondern als neue katechetische Theologie, als rationale, autonome Mystagogie. Es ist nun eines, daß heute die polemische Stoßrichtung der kritischen Mystagogie angesichts mystagogischer Töne, die als Symptom der Dialektik der Aufklärung zu verbuchen sind4, so aktuell ist wie zu Kants Lebzeiten. Ein anderes aber ist es, daß diese Mystagogie sich in jener Alternanz der Vernunft hält, die hinreichend expliziert wurde. Im negativen Geheimnis kreatürlicher Freiheit, das mit Gründen richtig schweigt, ist der göttliche Name, seine Gerechtigkeit und Wahrheit eliminiert. Deshalb muß theologische Kritik dort, wo kritische Philosophie schweigt, nachfragen, um das Geheimnis wieder zur Aporie zu machen. Es ist symptomatisch, daß der rationalen Mystagogie religiöse Rede und Praxis als mindere Form des Kultes oder als Aberglaube gelten (die sie oft

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F. Kambartel, Welt, 102. Diese Polemik kann die platonische Mystagogie nicht pauschal treffen. Diese hält vielmehr gegenüber der kantischen Mystagogie wichtige Einsichten bereit, wie G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, 227-231.258-282, zeigt. Inwieweit die patristische Mystagogie der neuplatonischen Zeichentheorie folgt und inwieweit sie einen eigenständigen Typus darstellt, ist strittig. Zur Frage: Cyrill von Jerusalem, Mystagogische Katechesen, 56-86; v.a.Theodor von Mopsuestia, Katechetische Homilien 2,239-296; Pseudo-Dionysius Areopagita, Hierarchie, 1-25; Chr. Riedweg, Mysterienterminologie. Sicher ist, daß sich Kants autonome Mystagogie auch gegen den autoritären Charakter kirchlicher Mystagogie richtet. 3 W. Jaeschke, Vernunft, 9-134. 4 Zum Beispiel M. Josuttis, Der Weg in das Leben, v.a. 260-297. 2

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genug und stets auch sind!). Demgegenüber bilden für die Theologie Grammatik und Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen des göttlichen Namens die Paradigmata eschatologischer Urteilskraft des Glaubens, also der Hoffnung. Richtig zu schweigen und die Richtigkeit dieses Schweigens argumentativ zu vertreten, wird im Kult des göttlichen Namens erlernt und ist an kultischen Zeichen übersichtlich darzustellen. Sie sind auch unverzichtbare Elemente einer Grammatik und Kultur der Vernunft. Dies aufzuweisen, ist Thema des Zweiten Hauptteils. Der abschließende Erweis der Aporie rationaler Mystagogie, Thema dieses Paragraphen, ist dazu die Voraussetzung. Kants Religionsschrift als rationale Mystagogie reflektiert und reduziert zentrale kultische Zeichen (Sakramente) christlichen Glaubens: die (Geist)Taufe als Symbol der Gewissensrevolution, das neue Leben der Buße und des Gebets als Symbol des Tugendkampfes, die Öffentlichkeit des Abendmahls als Symbol der Öffentlichkeit des ethischen gemeinen Wesens, vermittelt durch signa prognostica. Es wäre reizvoll, die zentralen katechetischen Stücke christlicher Mystagogie als Subtexte der Religionsschrift zu unterlegen. Doch nicht mehr die gesamte Religionsschrift wird daraufhin interpretiert.5 Es genügt der exemplarische Nachweis, daß die Hoffnung der Religionsschrift defizitär bleibt - gemessen am entwickelten Programm. 1. Revolution' und Anlage': Anfangen ohne Anfang (Taufe) Das Faktum der Vernunft als Revolution in der Gesinnung" (RGV, Β 54; 7,698) ist Erkenntnisgrund der gesamten Anthropologie und Eschatologie der Religionsschrift. Diese setzt voraus, „daß der, den sie angeht, in der erforderlichen guten Gesinnung schon wirklich sei, auf deren Behuf (Entwickelung und Beförderung) aller praktische Gebrauch moralischer Begriffe eigentlich abzweckt" (RGV, Β 102; 7,731). Unter dieser Voraussetzung führt die Religionsschrift ins Hoffen ein. Die Form dieser Einführung und der Gebrauch der Begriffe ist der Schlüssel zur Religionsschrift. Dabei ist es entscheidend, wie die Idee der Anlage zur Persönlichkeit „als eines vernünftigen und zugleich der Zurechnung fihigen Wesens" (RGV, Β 15; 7,673) gebraucht wird, um das Faktum der Vernunft eschatologisch zu exponieren und das Faktum der Religion zugleich negativistisch zu eliminieren. Die Kunst dieser Mystagogie besteht darin, anzufangen ohne einen absoluten Anfang. Es ist erstaunlich, wie das ursprünglich archäologische .Faktum der Vernunft' jetzt wiederkehrt: Das passivum divinum seiner Einführung setzt voraus, daß das ,Faktum für die Vernunft' weise verstanden sein will: „Wäre 5 Das Dritte Stück ist bereits in § 6,1.2 und § 3,1.2 analysiert. Wesentliche Probleme des Ersten, Zweiten und Vierten Stücks sind andernorts dargestellt: Revolution der Gesinnung, § 5,1; radikal Böses, § 3,2; Rechtfertigung und Mitteilung göttlicher Gerechtigkeit, § 3,1.3.4; Symbol des Herzenskündigers, § 6 (Zusammenfassung); Dialektik der Kultkritik, § 6,2.3.

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dieses Gesetz nicht in uns gegeben, wir würden es, als ein solches, durch keine Vernunft herausklügeln, oder der Willkür anschwatzen: und doch ist dieses Gesetz das einzige, was uns der Unabhängigkeit unserer Willkür von der Bestimmung durch alle andern Triebfedern (unsrer Freiheit) und hiemit zugleich der Zurechnungsfähigkeit aller Handlungen bewußt macht." (RGV, Β 16 Anm.; 7,673, Kursive HA) Die Form der indirekten Exposition zeigt, wie jetzt, nach den drei großen Kritiken, die Antwort auf die Hoffnungsfrage sich an der Form indirekter Mitteilung des Hoffens entscheidet: Es wäre unwahr und hoffnungslos, wenn das .Faktum der Vernunft' direkt theologisch identifiziert würde, als „significatio mentis devinae creaturis a Deo factam"h, so sehr diese Definition nachhallt. Das In-uns-gegebensein des Gesetzes wird als .Revolution' und als .Wiedergeburt' reflektiert.7 Das Faktum der Vernunft, symbolisiert als Revolution', restituiert einen Rechtszustand und Eigentumsanspruch rechtskräftig, einmalig und anknüpfungslos. .Geschöpflichkeit' symbolisiert den Rechtsanspruch des Gesetzes, der an den Menschen ergeht und sich an ihm entscheidet. Als anknüpfungsloses Widerfahrnis (,eine Art von Wiedergeburt und Neuschöpfung') erweist sich dieser Anspruch, indem es den Menschen seiner Reflexionsvermögen enteignet, um ihn ,danach' allererst wieder damit zu belehnen: „Der Mensch ist nicht ein Eigentum von sich selbst"8. Nach der juridischen Symbolik der Religionsschrift gilt Gottesebenbildlichkeit als ursprünglicher Besitzanspruch der .Stimme' des Gesetzes, die den Menschen mit den Gütern der Erde und zuerst: mit sich selbst belehnt: „Der Mensch war ursprünglich zum Eigentümer aller Güter der Erde eingesetzt (I.Mos. 1,28), doch, daß er diese nur als sein Untereigentum (dominum utile) unter seinem Schöpfer und Herrn, als Obereigentümer (dominus directus), besitzen sollte." (RGV, Β 106; 7,734) Das revolutionäre Faktum weist an zum indirekt kreatürlichen, d.h. zum freien und zugleich verantwortlichen Gebrauch der Vermögen. „Es gibt immer eine ,Instanz' des Daseins, die das Gewissen beherrscht. Die Freiheit im ganzen ist existentiell, d.h. im Gewissen zur Entscheidung gezwungen; sie ist

' Zu dieser vorkritischen Definition: § 5,1. 7 RGV, Β 54; 7,698 vgl. § 5,1. Diese Passage ist autobiographisch transparent für die Lebensbekehrung Kants .gleichsam durch eine Explosion', vgl. Anthropologie, Β 268f; 10,636: „Der Mensch, der sich eines Charakters in seiner Denkungsart bewußt ist, hat ihn nicht von der Natur, sondern muß ihn jederzeit erworben haben. Man kann auch annehmen: daß die Gründung desselben, gleich einer Art der Wiedergeburt, eine gewisse Feierlichkeit der Angelobung, die er sich selbst tut, sie und den Zeitpunkt, da diese Umwandlung in ihm vorging, gleich einer neuen Epoche, ihm unvergeßlich mache ... Vielleicht werden nur wenige sein, die diese Revolution vor dem 30sten Jahre versucht, und noch wenigere, die sie vor dem 40sten fest gegründet haben." 8 Eine Vorlesung Kants über Ethik, hg. v. P. Menzer, Berlin 1924, 207. 169

keine Indifferenz".9 So wahr über das Gewissen entschieden ist, so wahr ist es frei: „... aber die Beherrschung und Regierung der höchsten Weisheit über vernünftige Wesen verfährt mit ihnen nach dem Prinzip ihrer Freiheit, und was sie Gutes oder Böses treffen soll, das sollen sie sich selbst zuzuschreiben haben." (RGV, Β 107; 7,735) Die Chiffrenschrift des reinen Gesetzes soll ah der mit ,weißer Tinte' ins Gewissen geschriebene Souveränitätsanspruch des Schöpfers auf die Welt authentisch .buchstabiert' und .interpretiert' werden.10 Die Revolution am Gewissen ist Revolution des Gewissens. Das macht die ganze Schwierigkeit der Religionsschrift aus. Jenes .Vermögen', welches die Revolution als Revolution reflektiert, ist selbst Kind der Revolution. Das Gewissen exponiert die Revolution, indem es sie in eine Urteilspraxis überführt; es kann nicht begründend dahinter zurückfragen. Nur indem es Freiheit exponiert, wird es selbst entdeckend analysiert - was nicht ausschließt, daß es als anthropologische Anlage vorausgesetzt ist. Die Revolution erweist sich also nicht im neuen, .guten' Willen oder in .besseren' Handlungsmotiven, die auf ein reines .Herz' schließen lassen. Das endgültige Urteil darüber bleibt dem Gewissen verwehrt. Der neue Mensch hofft auf Gerechtigkeit, indem er sich neu beurteilt. Er beurteilt sich neu, indem er sich wahr beurteilt. Wie kann zur Wahrheit des Gewissens, als zur negativen Weisheit, angeleitet werden? Darum geht es in der Religionsschrift: Das Gewissen soll unter dem Vorbehalt des Herzenskündigers urteilen. Es hofft, im Urteil des Herzenskündigers zu urteilen, genauer: diesem zumindest nicht zu widersprechen. Urteilen im Urteil Gottes wäre eigentliche Weisheit, das Ende aller Dinge. Wahr zu werden, bedeutete: Geschöpf zu sein. Die Gewissensrevolution setzt allerdings zugleich die sich selbst erhaltende Vernunft in ihre volle Souveränität!11 Aus ihr geht auch das Gewissen als

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G. Krüger, Moral, 29f. Aufschlußreich ist, wie Kant Hamanns Metapher von Gottes Autorschaft reflektiert: Hamann liest die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis im Hören auf die biblische Gottesgeschichte vom Standpunkt einer Lebensbekehrung aus. Sie mündet ins Bekenntnis zur Lebensautorschaft Gottes (O. Bayer, Zeitgenosse, 74f.82f). Kant buchstabiert diese Metaphorik juridisch·. Im Faktum der Vernunft - „ein göttlicher Machtspruch, oder (welches in diesem Falle auf eins hinausläuft) ... ein Ausspruch der selben Vernunft" (Theodizee, A 212; 9,116) - wird die Chiffre der rein formalen Gesetzmäßigkeit durch den Gesetzgeber selbst authentisch ausgelegt: „da wird Gott durch unsre Vernunft selbst der Ausleger seines durch die Schöpfung verkündigten Willens; und diese Auslegung können wir eine authentische Theodizee nennen. Das ist aber alsdann ... Auslegung... einer machthabenden praktischen Vernunft, die ... als die unmittelbare Erklärung und Stimme Gottes angesehen werden kann, durch die er dem Buchstaben seiner Schöpfung einen Sinn gibt. Eine solche authentische Interpretation finde ich nun in einem alten heiligen Buche [sc. Hiob] allegorisch ausgedrückt (Theodizee, A 212f; 9,116; Kursive z.T. HA). 11 Vgl. Denken, A, 329 Anm.; 5,283. 10

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bloßes Selbstverhältnis, als sich selbst richtende Urteilskraft hervor! Das autarke Gewissen nimmt das Widerfahrnis der Revolution reflektierend in sich zurück. Es ist Reflexion der Reflexion: „die sich selbst richtende moralische Urteilskraft" (RGV, Β 288; 7,860). Diese Alternanz des Gewissens entscheidet sich an der Funktion seiner anthropologischen Grundlegung durch die .Anlage* zur Persönlichkeit. Die Anlage zur Persönlichkeit ist ja paradoxerweise die Anlage zur Selbstenteignung.12 Sie wird, entscheidend für alles Weitere, als Zurechnungsfähigkeit bestimmt: Persönlichkeitswürde ist das Anrecht, unter dem Rechtsanspruch Gottes zu stehen. Sie ist erst vollständig entfaltet, wo sich Gewissen als sensus communis in der Öffentlichkeit des Volkes Gottes reflektiert. Als uns unbegreifbar beiwohnendes Vermögen ist diese Anlage nicht „gleich einem Raub" zu eigen (Phil 2,6), sondern soll, nach dem .Beispiel' Jesu gebraucht werden: „Die Benutzung der Idee dieses uns unbegreiflicher Weise beiwohnenden Vermögens und die Ansherzlegung derselben, von der frühesten Jugend an und fernerhin im öffentlichen Vortrage, enthält nun die echte Auflösung jenes Problems (vom neuen Menschen) und selbst die Bibel scheint nichts anders vor Augen gehabt zu haben, nämlich nicht auf übernatürliche Erfahrungen und schwärmerische Gefühle hin zu weisen, die, statt der Vernunft, diese Revolution bewirken sollten: sondern auf den Geist Christi, um ihn, so wie er ihn in Lehre und Beispiel [!] bewies, zu dem unsrigen zu machen, oder vielmehr, da er mit der ursprünglichen moralischen Anlage schon in uns liegt, ihm nur Raum zu verschaffen." (Streit, A 93f; 9,328) Zwar setzt die Reinigung des radikal verkehrten Herzens die Anlage für die Persönlichkeit voraus: Wenn das reine Herz möglich sein soll, so muß „eine Anlage in unserer Natur vorhanden sein ..., worauf schlechterdings nichts Böses gepfropft werden kann" (RGV, Β 19; 7,675). Es ist dies die „Empfänglichkeit der Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden Triebfeder der Willkür" (RGV, Β 18; 7,674). Der Hervorgang des reinen Herzens aus dem verkehrten Herzen wird aber nicht etwa begründet aus dieser .Anlage', auf die nichts Böse gepfropft werden kann. Der gute Charakter

12 .Moralisches Gefühl' und .Gewissen' sind zunächst Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüts für Pflichtbegriffe überhaupt, vgl. MST, A 35; 7,530. In der Religionsschrift kehren sie als verkehrtes und reines bzw. beständiges ,Herz* (vgl. Ps 51,12!) und als .Gewissen' wieder. Wird die reine praktische Vernunft, rechtlich typisiert, zur Legislative, so ist das Herz die Willkürfreihevt, rechtlich typisiert: die Exekutive·, Gewissen, also die sich selbst richtende moralische Urteilskraft, gilt typisiert als Judikative. Der Herzensgrund ist der „Keim des Guten" (RGV, Β 38; 7,687), die Anlage zur Persönlichkeit, auf die nichts Böses zu pfropfen ist, das Phänomen des bösen Gewissens. - In der Religionsschrift haben die anthropologischen Begriffe eine gegenüber MST veränderte Funktion. Das hat Kant nicht immer klar genug ausgearbeitet.

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wird nur durch Revolution „erworben" (RGV, Β 17; 7,674). Der Begriff der .Anlage' ist also ein Reflexionsinstrument, wie es faktische Freiheit im Vollzug ihres Urteilens verlangt, um jene metaphysischen Freiheitsbegründungen auszuschließen, die kreatürliche Urteilsfreiheit aus Erschrecken vor dem Abgrund humaner Freiheit im Abgrund absoluter Freiheit versinken lassen. Freiheit soll nicht begriffen, sie soll nicht begründet, sondern sie soll beansprucht und verantwortet werden; dazu bedarf sie, obgleich undarstellbar, der indirekten Darstellung. Die Idee der moralischen Anlage leistet die Grundlegung der Verantwortung und Darstellbarkeit von Freiheit, die jeder Begründung von Freiheit entgegenarbeitet. Das wird sofort einsichtig, wenn man sich den Gedankengang der Religionsschrift ohne diese Idee vorstellte. Freiheit könnte ohne diese Idee nicht mehr in ihrer absolut anfänglichen Spontaneität als Chiffre negativer Geschöpflichkeit offengehalten werden. Ihre Geschöpflichkeit würde erneut in die Aporie eines metaphysisch-theologischen Ursprungsverhältnisses zurückfallen. Die Anlage zur Persönlichkeit ist also ein Standpunkt, welchen das Gewissen einnimmt, um sich ins Geheimnis der Freiheit einüben zu können. Post revolutionem rechnet das Gewissen zu und bildet Begriffe, um differenziert zurechnen zu können, im Wissen darum, daß die Kommensurabilität des Zurechnens inkommensurable göttliche Gerechtigkeit als ihr Geheimnis eliminiert. So führt das Gewissen sich selbst in eine sich erneuernde Urteilspraxis ein und zugleich ins Geheimnis eschatologisch neuer Gerechtigkeit.

2. Augenblickswahrheit und innere Lüge (Buße) Die Revolution oder Wiedergeburt entscheidet den Menschen als Persönlichkeit' ein- für allemal. Das Vernunftfaktum ist von einer Augenblicklichkeit, die immer schon vergangen ist. Kant beschreibt sie in einer höchst paradoxen Formulierung: „In dem Prinzip der reinen Vernunftreligion, als einer an alle Menschen beständig geschehenen13 göttlichen (ob zwar nicht empirischen) Offenbarung, muß der Grund zu jenem Überschritt zu jener neuen Ordnung der Dinge liegen, welcher, einmal aus reifer Überlegung gefaßt, durch allmählich fortgehende Reform zur Ausführung gebracht wird, so fern sie ein menschliches Werk sein soir (RGV, Β 180; 7,786 Kursive HA). Was meint Kant mit dem Paradox einer beständig vergangenen Augenblicklichkeit? Eine nicht-repräsentierbare Externität der Stimme des Gesetzes, zeitlich symbolisiert als ,DiachronietU\ Was nötigt Kant zu diesem Begriff einer beständig geschehenen, diachronen Revolution? Der Verweis auf das radikal Böse und

" In der Ersten Auflage formulierte Kant: „als einer beständig geschehenden und das allein scheint transzendentalphilosophisch sinnvoll. Sachlich jedoch ist die andere Formulierung richtig: die Gabe des Gesetzes ist beständig - bereits geschehen. 14 Zu diesem Begriff von E. Levinas: § 12,4.3

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seine Kennzeichnung als «intelligible Tat' scheint die naheliegende Antwort. Doch die beständig geschehene Einmaligkeit der Revolution von der einmaligen' intelligiblen Tat des radikal Bösen her zu verstehen, stellte die Begründung auf den Kopf. Nirgends wird die Revolution in Analogie zum zu überwindenden Bösen eine intelligible Tat genannt.15 Gerade weil sie als „eine einzige unwandelbare Entschließung" (RGV, Β 55; 7,698) dem Menschen zugerechnet werden soll, muß dies auffallen.

2.1 Gottes Sohn als Beispiel und Zeichen negativer Hoffnung Aus dieser Beobachtung folgt eine Interpretationsregel: Das Erste Stück der Religionsschrift enthält keine Anthropologie des radikal Bösen! Die .ursprüngliche Anlage zum Guten' wie der »Hang zum Bösen' sind, als bloß funktionale Grundlegungsbegriffe, von der Revolution als Konstitution des ethischen gemeinen Wesens her zu interpretieren (also vom Dritten Stück aus). Das Paradox der Methode, daß nur von der Pflichtformel her die Begriffe von Gut und Böse und alle anthropologischen Aussagen vollständig zu gewinnen sind, gilt - mutatis mutandis - auch für die Religionsschrift. Das radikal Böse setzt sachlich den Begriff des Guten (das ,Reich Gottes' als negativer Zweck, nicht als affirmative Größe) voraus: „das erste wahre Gute, was der Mensch tun kann, sei, vom Bösen auszugehen, welches nicht in den Neigungen, sondern in der verkehrten Maxime, und also in der Freiheit selbst zu suchen ist." (RGV, Β 69 Anm.; 7,710, Kursive HA) Wie das simul totus iustus, totus peccator als Regel des christlichen Gebets in der Taufe gründet, so daß sich Sündenbekenntnis und Buße an der Taufverheißung bemißt, so bemißt sich das erste wahre Gute: das Gewissensurteil .radikal böse', an der Pflicht sui generis, der Pflicht zum Ubergang ins Volk Gottes. Kant nennt die Revolution deshalb nirgends eine .intelligible Tat', weil sie als Gründung des Volkes Gottes sich in einer singulären Pflicht darstellt, für die das ,Du kannst, denn du sollst' nicht gilt: Die Befreiung des Gewissens zur wahren Öffentlichkeit richtet sich zwar als Sollen an den Menschen, setzt aber diese Öffentlichkeit schon voraus. Die vollständige Bestimmung des radikal Bösen kann also das Erste Stück der Religionsschrift gar nicht geben. Wenn es das erste wahre Gute ist, vom Bösen auszugehen, so wird darin öffentlich gemacht, worin das radikal Böse als .Sünde' besteht16: Nicht nur in der äußeren, sondern in der inneren Lüge. Hier zeigt sich ein Begriff vom Bösen, der über seine Explikation als Maximenverkehrung im verkehrten Herzen hinausgeht. Die Lüge ist das formale

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Die unglücklich formulierte Ausnahme in RGV, Β 26; 7,679 bestätigt gerade diese Regel. " Das Sittlich-Böse als Sünde ist die „Übertretung des moralischen Gesetzes, als göttlichen Gebotes" (RGV, Β 95; 7,727). 173

Böse17. Sie besteht im Sich-nicht-Richten-lassen, in der radikalen Privatisierung des Gewissens, das absolute Richterschaft ausübt. Diese zehrt von der ethischen Wahrheit, daß das Gewissen nicht zu verrechtlichen sei und deshalb im ethischen Naturzustand zu verbleiben habe. Erst die polemische Fiktion des ethischen Naturzustands, die diese Versuchung zu Ende denkt, bringt aber das radikal Böse in diesem Anspruch an den Tag. Mit einem Wort: Lüge meint Verleugnung der Öffentlichkeit des ethischen gemeinen Wesens und der darin geltenden Gerechtigkeit, die das privatsprachliche Gewissen seiner radikalen Privatheit enteignet. Der vollständige Begriff des radikal Bösen wird daher erst am Ende der Religionsschrift erreicht: im Begriff des Kultes als Idololatrie. .Religion' wird im Kult, sofern dieser als politische Religion an die Stelle der Öffentlichkeit des ethischen gemeinen Wesen tritt, selbst zur Lüge. Dieser Kult macht ,Gott' zum ,Vater der Lüge'.18 Es ist deshalb in sehr präzisem Sinn das erste Gute, dieses radikal Böse eschatologisch zu veröffentlichen. Der Jesus der Johannestaufe abseits des Kultes symbolisiert insofern das ,Beispiel1 des Gott wohlgefälligen Menschen und zugleich das Zeichen des nahen Reiches Gottes'. Eschatologische Veröffentlichung des Bösen ist dargestellte Revolution von Herz und Gewissen: Die wichtigste sprachphilosophische Anmerkung der Religionsschrift bietet in nuce eine Hermeneutik des christologischen Symbols dieser Gottessohnschaft als eines Beispiels für eschatologische Urteilskraft. Die Rede von Gottes Liebe in der Hingabe des Sohnes Gottes und in der Erniedrigung Jesu Christi bis ans Kreuz ([oh 3,16; Phil 2,5-11), wird unter dem Titel eines „Schematism der Analogie (zur Erläuterung)" (RGV, Β 82 Anm.; 7,718) verhandelt. ,Wir' brauchen dieses .Symbol' der Hingabe und Erniedrigung in Jesu Leben und Tod „notwendig" (RGV, Β 82 Anm.; 7,719), um die Idee Gott wohlgefälliger Menschheit „in ihrer moralischen ganzen Vollkommenheit" (RGV, Β 73; 7,712) „durch ein Beispiel zu belegen"19. Was heißt das? Beispielhaft ist Jesus Christus nicht als Vorbild handelnder Nachahmung, sondern als Symbol der Begrenzung sich selbst richtender Urteilskraft, die als Umkehr in actu Zeichen (signum rememorativum, demonstrativum et

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„Es kostet den Falschen nichts diese einzige würde der Menschheit, nämlich warhaftigkeit, zu verlassen. - Die Lüge (deren Anfänger der Teufel genannt wird aber auch der erste Neider) ist ein formales Böse, welches in keinem Verhaltnisse gut seyn kan." (Reflexion 8096; AA 19, 641). " „La theorie du mal, en effet, ne trouve pas son achevement dans l'essai fameux - pourtant publie separement - Sur le mal radical, mais accompagne le deploiement de la religion dans sa triple texture, comme la perversion specifique et, peut-on dire des maintenant, la perversion croissante qui affecte toutes les mediations religieuses. Tout se passe comme si Γ extreme du mal n'etait atteint qu'avec la pretention a la totalisation caracteristique de la religion a son niveau institutionnel. Mais la reciproque est egalement vraie: la restauration de la puissance d'agir ... ne commence pas au debut du livre Π, mais est anticipee au cceur meme du livre I, avec le theme de la ,dispostion' au bien" (P. Ricceur, Hermeneutique, 21). " RGV, Β 82 Anm.; 7,719. Zur Funktion des .Beispiels' für die Urteilskraft: § 4,4.4.

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prognosticon) des nahen Reiches ist. Das Gewissen braucht dieses Beispiel. Kant beruft sich nicht zufällig auf die johanneische Sendungschristologie: Jesu Personwürde gründet nicht in messianischem Selbstbewußtsein, sondern in der Exemplarität seines Urteilsenthalts über sich. Dieser Urteilsenthalt provoziert das Urteil anderer über seine .Sendung', ohne daß seine Personwürde, als Zweck an sich, dadurch begründet wäre. „Eben derselbe göttlichgesinnte, aber ganz eigentlich menschliche Lehrer würde ... von sich, als ob das Ideal des Guten in ihm leibhaftig... dargestellt würde, mit Wahrheit reden können. Denn er würde alsdann nur von der Gesinnung sprechen, die er sich selbst zur Regel seiner Handlungen macht, die er aber, da er sie als Beispiel für andere, nicht für sich selbst sichtbar machen kann, nur durch seine Lehren und Handlungen äußerlich vor Augen stellt: ,Wer unter euch kann mich einer Sünde zeihen?'"20 Das Symbol des sich entäußernden Gottessohns ist Beispiel negativer (nicht: negativistischer) Hoffnung: Es formuliert nicht metaphysische Erkenntnis Gottes, sondern reflektiert die Regel, unter der sich praktische Hoffnung göttliche Gerechtigkeit allein Jaßlich machen kann" (RGV, Β 82 Anm.; 7,719), und zwar als Regel negativen Urteilsvollzugs: „La figure christique represente plus qu' un simple heros du devoir, moins qu' une kenose effective de l'absolu lui-meme, mais, dans les limites strictes de la theorie de l'analogie, un authentique schematisme de l'esperance."21

2.2 Erneuerung inneren Sinns Die Rede von der einmaligen Revolution' symbolisiert, daß durch das Faktum der Vernunft ein Enteignungsanspruch an den Menschen ergeht, der sich nicht wiederholt, weil er sich nicht zu wiederholen braucht. In der Anerkennung des Anspruchs besteht das Gewissen: Es ist entweder in dieser Anerkennung, oder es ist nicht. „Das Gewissen ist ein Bewußtsein, das für sich selbst Pflicht ist." (RGV, Β 287; 7,859) Die Anerkennung dieses Rechtsanspruchs ist nicht mit der Pflicht zur Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit zu verwechseln, so sehr die Pflicht zur Wahrhaftigkeit, als erste Pflicht gegen sich selbstn, in ihm impliziert ist. Der Rechtsanspruch der Wahrheit ist dem Rechtsanspruch des Bösen, also der Lüge, inkommensurabel. Das radikal Böse ist intelligible Tat, die sich wiederholen muß, solange Zeit bleibt. Die Idealität und Unendlichkeit der Zeit - das einzige mögliche Mittel, ein Dasein als

RGV, Β 82f; 7,718, Kursive HA, mit Zitat Joh 8,46. P. Ricoeur, Hermeneutique, 32. Es sei darauf verwiesen, daß Karl Barth im Zweiten Römerbriefkommentar (z.B. 216) eine vergleichbare negative Christologie und Analogie des Kreuzes im Rahmen radikaler Eschatologie entwickelt. 22 Vgl. MST § 13-15, A 98-105; 7,572-577, und wiederum die Unterscheidung von einer unmöglichen Pflicht gegen Gott, MST § 18, A 108f; 7,579f. 20 21

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Größe vorzustellen und also Sinn-Bild der duratio noumenon im Unsterblichkeitspostulat - begründet deshalb keine Hoffnung, sondern führt zu Hoffnungslosigkeit. Das radikal Böse bleibt, solange Anschauung von Zeit überhaupt bleibt. Genauer noch: Zeit als duratio phainomenon einer aeternitas noumenon muß selbst als innere Lüge durchschaut werden: Die Anschauung des Erhofften führt in die Dialektik der Hoffnung. Daher müßte die Exposition der Revolution Zeit als Anschauungsform hinter sich lassen. Als .Revolution* ist das .Faktum der Vernunft' für den Menschen das Neue, beständig geschehen (nicht: ,immer wieder' neu) und unwiederholbar. Sie eröffnet keine neue Zeitanschauung gegenüber einer alten, unwahren, sondern läßt sich überhaupt nicht anschauen; sie ist Faktum reiner Vernunft. Weil sie Weisheit und also einen rezeptiven, endlichen Verstand ohne Rezeptivität verlangt, so soll in ihr ,Zeit' weder anschaulich noch unanschaulich widerfahren. Wie aber? Der Übergang aus dem ethischen Naturzustand ins ethische gemeine Wesen verlangte die Erneuerung des inneren Sinns als Erneuerung der Sinne zu einem ikonischen Sehen jenseits von Anschauung und Unanschaulichkeit; zeitliche Schematisierung des Verstandes erweist sich in der Revolution der Gesinnung als ein συσχημαΐίζειν τω αίώνι τούτω (Rom 12,2)! Das Vermögen der Zeitanschauung soll nicht mehr souverän zu eigen sein. Die Idealität der Zeit, deren Signum die repräsentierende Einbildungskraft ist, soll jetzt gebraucht werden, als habe man nicht (IKor 7,29-31): in .augenblicklicher' Hoffnung. Negative Weisheit bedeutete also, Mitwelt und Selbst ikonisch zu sehen (nicht: anzuschauen), so daß sie sich von sich her zeigen können, als Zweck an sich im augenblicklichen Gefühl. Daß zumindest die Religionsschrift dieser Forderung faktisch nicht gerecht wird, mindert keineswegs die Forderung eines genuinen Zeitsinns mitweltlichen, transzendentalen Gefühls, oder genauer: der Achtung und Liebe.

2.3 Vom inneren zum ikonischen Sinn? Praktische Weisheit vollzöge sich als augenblickliche, mitweltliche Achtung, Liebe und auch Hoffnung, die für repräsentierende Anschauung immer schon geschehen sind. Das Dilemma des Eingespanntsein zwischen Repräsentation und Augenblicklichkeit spitzt sich für Kant in der Frage des Zeitsinns zu; denn das Geschäft der Kritik beruht auf der transzendentalen Ästhetik. Die Erste Kritik hält wenigstens den Platz für andere, praktische Zeitwahrnehmungen frei: Zeit ist ^faktisch - auch wenn er [sc. Kant] dies nicht als These ausgesprochen hat - nicht nur Form des inneren, sondern auch des äußeren Sinnes ... Form des äußeren Sinnes, d.h. einer Art, wie wir von den Dingen .außer uns' affiziert werden, ist die Zeit als jeweils gegenwärtiger, diskreter, einziger Augenblick. Da dieser aber das eigentliche Zeitliche an der Zeit ist, liegt darin der entscheidende, für alles andere fundamentale Zug des 176

Wesens der Zeit."23 Als zeitlich Gegebenes ist das Ding außer uns stets auch nicht anschaulich, nicht verfügbar, der Gesetzgebung des menschlichen Verstandes nicht unterworfen; „es entzieht sich uns, wir können bei ihm nicht verweilen, es nicht behalten. Mit anderen Worten: als zeitlich Gegebenes ist es das unerkennbare Ding an sich. ... auch die Dinge an sich [sc. können] in gewisser Weise empirisch,gegeben' werden, nämlich in der paradoxen Form der unanschaulich, wesenhaft .flüchtigen' Augenblicklichkeit."24 Die transzendentale Realität der Zeit als Augenblick ist die Weise, wie wir den Dingen außer uns ausgesetzt und auf sie angewiesen sind. Ihre Plötzlichkeit unterbricht nicht nur, sondern fundamentiert die Kontinuität verstandesgeleiteten Vorstellens. Das Bewußtsein des eigenen Daseins als Daseins in der Zeit ist also mitnichten ,unmittelbares' Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir, sondern selbst zeitlich und zeichenhaft vermittelt (wobei der innere Sinn wiederum über diesen äußeren Zeitsinn vermittelt sein soll).25 Doch das ,Ich-bin', das Kant dem von der Außenwelt isolierten cartesianischen ,Ego-cogito' als transzendentalen Realbezug in vermeintlicher Unmittelbarkeit voraussetzt, bleibt unterbestimmt. Es böte sich an, „diesem sich in die Zeit erstreckenden Ich-bin leiblichen Charakter zu verleihen."2' Im Horizont praktisch verstandener Mitwelt symbolisierte sich faktisches, sinnlich-leibliches und dialogisches Selbstseinkönnen in genuinem Zeitlichsein. „Dann würde die Interpretation der Zeit, der Problematik des echten und des unechten Miteinanderseins entsprechend, an der Möglichkeit konkreter menschlicher Einigung orientiert werden müssen."27 Doch eben diese Bestimmung unterbleibt weithin. Sie ist, vom späten Kant ausgehend, nur über diesen hinaus zu erreichen.28

23 G. Krüger, Zeit, 287 (Kursive z.T. HA). Entscheidend für Zeit als Form des äußeren Sinns ist nicht die Zeitanalyse der transzendentalen Ästhetik, sondern die berühmte Widerlegung des problematischen und dogmatischen Idealismus, KrV, Β 274-279; 3,254-257. Das Schlüsselargument findet sich (samt Korrektur aus Β XXXIX) in KrV, Β 275f; 3,255. Seine Quintessenz lautet: „das Bewußtsein meines eigenen Daseins ist zugleich ein unmittelbares Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir." Dieses unmittelbare Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir ist .augenblicklich*. 24 G. Krüger, Zeit, 288: „Dabei ist entscheidend, daß es ,eben dieselben Gegenstände' sind (Β XXVI), die an sich und als erscheinende, in der Zeit und im Raum .gegeben' werden." 25 „... Allein hier wird bewiesen, daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar sei, daß nur vermittelst ihrer, zwar nicht das Bewußtsein unserer eigenen Existenz, aber doch die Bestimmung derselben in der Zeit, d.i. innere Erfahrung, möglich sei." (KrV, Β 276f; 3,255f) 26 F. Kaulbach, Wissenschaft, 145. Das Ich-bin „ist eine dritte Gestalt des Ich-denke, deren Ort sich in dem Niemandslande zwischen den Bereichen des Α priori und des Α posteriori befindet"; F. Kaulbach, Wissenschaft, 138-148; ders., Kant, 84-87.324-326. 27 G. Krüger, Moral, 190. 21 Die Interpretation der Spätschrift Vom Ende aller Dinge thematisierte genau dies: § 3,3.4.

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3. Fühlbares Geheimnis? 3.1 Der erhabene Augenblick Kreatürliche Mitwelt affiziert als reines Gefühl. Kant nennt als ausgezeichnete Weise dieser plötzlichen Affektion die bewundernde „Betrachtung der tiefen Weisheit der göttlichen Schöpfung an den kleinsten Dingen und ihrer Majestät im großen" (RGV, Β 307; 7,873f). Wie die Zweite Kritik in ihrem berühmten Schluß, so arbeitet die Religionsschrift „durch fortgesetzte Läuterung und Erhebung der moralischen Gesinnung dahin ..., daß dieser Geist des Gebets allein in uns hinreichend belebt werde" (RGV, Β 305f; 872f). Die erhabene Majestät der Schöpfung im Großen, das absolute Ganze als rein intellektuelles Maß, wird an der astronomischen Unermeßlichkeit des Universums, am bestirnten Himmel, anschaubar.29 Der „bestirnte Himmel über mir" (KpV, A 288; 6,300) zwingt die sukzessiv auffassende und re-präsentierende Einbildungskraft zu Verknüpfungen, die ins unermeßlich Große gehen müssen, „mit Welten über Welten und Systemen von Systemen" (KpV, A 289; 6,300). Die sinnlich-anschauliche Zusammenfassung der Einbildungskraft wird dadurch mit Gewalt bis an ihre Grenze getrieben, weil sie nur ein zeitliches Maximum anschaulicher Synthesis, als ein Zugleich von Anschauungen, leisten kann. Am erschütternden, demütigenden, ja vernichtenden, von Unlust begleiteten, Scheitern der repräsentierenden Einbildungskraft offenbart sich die Bindung des inneren Sinns an reale Zeit als Augenblicklichkeit. Jedoch trifft sich im Augenblick der Bewunderung des Himmels Unlust mit Lust, sinnliche Demütigung mit intellektueller Erhebung·. „Das Gefühl der Unangemessenheit unseres [sc. Einbildungs-] Vermögens zur Erreichung einer Idee, die für uns Gesetz ist, ist Achtung." (KU, Β 96; 8,344)30 So wird der Ώ Die Stimme der Vernunft fordert die Totalität der Synthesis: „Das Unendliche aber ist schlechthin ... groß ... Aber, was das Vornehmste ist, es als ein Ganzes auch nur denken zu können, zeigt ein Vermögen des Gemüts an, welches allen Maßstab der Sinne übertrifft." (KU, Β 92; 8,341) „Nun ist das eigentliche unveränderliche Grundmaß der Natur das absolute Ganze derselben, welches ... zusammengefaßte Unendlichkeit ist. Da aber dieses Grundmaß ein sich selbst widersprechender Begriff ist ... so muß diejenige Größe eines Naturobjekts, an welcher die Einbildungskraft ihr ganzes Vermögen der Zusammenfassung fruchtlos verwendet, den Begriff der Natur auf ein übersinnliches Substrat ... führen, welches über allen Maßstab der Sinne groß ist, und daher nicht sowohl den Gegenstand, als vielmehr die Gemütsstimmung in Schätzung desselben, als erhaben beurteilen läßt." (KU, Β 94; 8,342) Diese Größe ist der bestirnte Himmel. 30 Die Bewegung in diesem Gefühl ist gegenwendig: „Die Qualität des Gefühls des Erhabenen ist: daß sie ein Gefühl der Unlust über das ästhetische Beurteilungsvermögen an einem Gegenstande ist, die darin doch zugleich als zweckmäßig vorgestellt wird; welches dadurch möglich ist, daß das eigne Unvermögen das Bewußtsein eines unbeschränkten Vermögens desselben Subjekts entdeckt, und das Gemüt das letztere nur durch das erstere ästhetisch beurteilen kann." (KU, Β 100; 8,347) Dieses unbeschränkte Vermögen ist die „Idee des

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bestirnte Himmel zur Demütigung, in welcher das ,reine' Gefühl der Achtung aufspringt. Vermittelt sind beide allein durch die Negativität der,Präsenz' im ^Augenblick '.31 Diese gegenwendige Gefühlsbewegung wird subreptiv dem unermeßlich Großen, also dem Himmel, selbst zugeschrieben. Sie gilt in Wahrheit als Achtung dem eigenen moralischen Selbstsein, der intellektuellen Existenz als Person: Achtung geht jederzeit nur auf Personen, niemals auf Sachen." (KpV, A 135; 6,197) Reine praktische Vernunft übt jenen Zwang auf die sinnliche Anschauung, am unermeßlich Großen die sinnliche Welt auf .unendliche' Freiheit, jenes übersinnliche Substrat hin zu überschreiten, welches ihr und unserem Vermögen zu denken zugrundeliegt (KU, Β 94; 8,342). In der erhabenen Affektion durch das schlechthin Große erweist so der Augenblick am fühlbarsten seine transzendentale Realität und seine kritische Bedeutung. In der Negativität der Präsenz, im erhabenen Augenblick wird intellektuelle Existenz als Person fühlbar und bestimmbar.

3.2 Zufriedenheit - Ikonisches Zeichen des Unendlichen Der Augenblick der Erschütterung stößt ex negativo auf Mit-Welt als Schöpfung. Doch wie? Das demütigende und intellektuell erhebende Gefühl der Achtung stellt sich duplizitär dar: als bedürftige Selbstzufriedenheit und enthusiastische Begeisterung. Das moralische Gesetz schlägt „den Eigendünkel nieder" (KpV, A 130; 6,193), also die Lust oder das Wohlgefallen am eigenen Dasein, das sich pragmatisch' am selbst verwirklichten Glück bemißt.32 Wir fühlen im Faktum der Vernunft insofern bloß „eine negative Wirkung ..., die ... vornehmlich der Tätigkeit des Subjekts, so fern Neigungen die Bestimmungsgründe desselben sind, mithin der Meinung seines persönlichen Werts Abbruch tut (der ohne Einstimmung mit dem moralischen Gesetze auf nichts herabgesetzt wird)" (KpV, A 139; 6,200, Kursive z.T. HA). Nur diese Demütigung können wir auf die Wirkung des Gesetzes als Bestimmungsgrund des Willens zurück-

absoluten Ganzen" (KU, Β 101; 8,347), die Vernunft als Vermögen intellektueller Zusammenfassung. 31 „Bemerkenswert am erhabenen Gefühl ist also die doppelte Entkräftung des Prinzips der Sukzession: zum einen eine Entkräftung im eigentlichen Sinne, die sich dem .Regressus' der Einbildungskraft verdankt, zum anderen eine Entkräftung oder besser gesagt Entzeitlichung, die sich der ,Präsenz' der Idee der Vernunft verdankt ... Das erste ,Zeit-Nichts' bedroht das Erkenntnisvermögen, das zweite ,Zeit-Nichts' begründet das reine Begehrungsvermögen." (f.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 164f.) 32 „... man gefällt sich selbst, wie ein Kaufmann, dem seine Handlungsspekulationen gut eingeschlagen, und der sich wegen der dabei genommenen Maximen seiner guten Einsicht erfreut." (RGV, Β 51 Anm; 7,696) Man mag an das Gleichnis von .Habsucht' und .Torheit' des .reichen Bauern' aus Lk 12,15-21 denken. 179

führen; denn das Faktum der Vernunft läßt sich nur denkend exponieren, nicht direkt fühlen. „Da dieses Gesetz aber doch etwas an sich Positives ist, nämlich die Form einer intellektuellen Kausalität, d.i. Freiheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem subjektiven Widerspiele, nämlich den Neigungen in uns, den Eigendünkel schwächt, zugleich ein Gegenstand der Achtung, und, indem es ihn [sc. den Eigendünkel], sogar niederschlägt, d.i. demütigt, ein Gegenstand der größten Achtung, mithin auch der Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen Ursprungs ist, und a priori erkannt wird. Also ist Achtung fürs moralische Gesetz ein Gefühl, welches durch einen intellektuellen Grund gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das einzige, welches wir völlig a priori erkennen, und dessen Notwendigkeit wir einsehen können." (KpV, A 130; 6,193f, Kursive z.T. HA) Achtung ist sinnliche Demütigung pragmatischer Selbstzufriedenheit und indirekt darin intellektuelle Erhebung. Diese Erhebung begreift sich als reine Achtung des Gesetzes, fühlt aber „bloß Selbstbilligung" (KpV, A 143; 6,202). Dieses Gefühl der Selbstbilligung ist für Kant singulär! „Hat man aber nicht ein Wort, welches nicht einen Genuß, wie das der Glückseligkeit, bezeichnete, aber doch ein Wohlgefallen an seiner Existenz, ein Analogon der Glückseligkeit, welche das Bewußtsein der Tugend notwendig begleiten muß, anzeigete? Ja! dieses Wort ist Selbstzufriedenheit, welches in seiner eigentlichen Bedeutung jederzeit nur ein negatives Wohlgefallen an seiner Existenz andeutet, in welchem man nichts zu bedürfen sich bewußt ist." (KpV, A 21 If; 6,247) Die „unbedingte Achtung fürs Gesetz" (RGV, Β 59; 7,701) enthält eine unter dem Gegenteil der Demütigung verborgene, indirekte, intellektuelle Selbstbilligung, die wiederum „das innere Prinzip einer ... uns möglichen Zufriedenheit" (RGV, Β 51 Anm.; 7,696) ist. Zufriedenheit ist also jenes Gewissensgefühl, in welchem negatives Wohlgefallen an eigener Existenz mitweltlich widerfahrt und geschöpfliche Güte als negative Hoffnung präsent wird: Gefühl guten Lebens. Das Geborensein zur Freiheit verantworten zu können und nicht rechtfertigen zu müssen, ist Grund der Freude,33 Zufriedenheit ist Gefühl ikonischer Freiheit, die nicht mit negativistischer Weltlosigkeit zu verwechseln ist. „Der Gesang der Vögel verkündigt Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit seiner Existenz." (KU, Β 172; 8,400) Ikonische Freiheit ist nicht autark, weit- und bedürfnislos, sondern von freier Bedürftigkeit, die sich affizieren läßt. „Freiheit und das Bewußtsein derselben, als eines Vermögens, mit überwiegender Gesinnung das moralische Gesetz zu befolgen, ist Unabhängigkeit von Neigungen, wenigstens als bestimmenden

35 Zufriedenheit symbolisiert sich als Freispruch des Gewissens. Der Mensch kann sich weder Strafe noch Lossprechung selbst zuteilen. Der rechtskräftige Spruch, dem das Gewissen frei zustimmen kann und soll, ergeht „über den Menschen, ihn loszusprechen oder zu verdammen ...; wobei zu merken ist, daß der erstere [sc. Freispruch] nie eine Belohnung ..., sondern nur ein Frohsein, der Gefahr, strafbar befunden zu werden, entgangen zu sein, enthalte" (MST, A 103; 7,575f).

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(wenn gleich nicht als affizkrenden) Bewegursachen unseres Begehrens, und ... der einzige Quell einer notwendig damit verbundenen, auf keinem besonderen Gefühle beruhenden, unveränderlichen Zufriedenheit, und diese kann intellektuell heißen." (KpV, A 212; 6,247, Kursive z.T. HA) Intellektuelle Zufriedenheit läßt sich affizieren und lernt, an der .schönen Gestalt einer wilden Blume', erhoffte Kreatürlichkeit ikonisch zu sehen und sich selbst darin zu fühlen. Wäre also Selbstzufriedenheit das ikonische Zeichen schöpferischer Freiheit und richerlicher Souveränität, gerade in deren Nicht-Abbildbarkeit? Dafür gibt es Anhaltspunkte bei Kant: „Die Freiheit selbst wird auf solche Weise (nämlich indirekt) eines Genusses fähig, welcher nicht Glückseligkeit heißen kann, weil er nicht vom positiven Beitritt eines Gefühls abhängt, auch genau zu reden nicht Seligkeit, weil er nicht gänzliche Unabhängigkeit von Neigungen und Bedürfnissen enthält, der aber doch der letztern ähnlich ist, so fern nämlich wenigstens seine Willensbestimmung sich von ihrem Einflüsse, frei halten kann, und also wenigstens seinem Ursprünge nach, der Selbstgenügsamkeit analogisch ist, die man nur dem höchsten Wesen beilegen kann." (KpV, A 213f; 6,248, Kursive z.T. HA) 3.3 Enthusiasmus - Zeichenloses Zeichen des Unendlichen Das ex negativo kreatürliche Gefühl der Zufriedenheit bleibt allerdings namenlos. Doch diese Namenlosigkeit ist zeichenloses Zeichen: Zeichen enthusiastischer Freiheit. Das Gefühl des Erhabenen entdeckt in der Ohnmacht gegenüber einer übermächtigen Natur die Anlage zur Persönlichkeit als Vermögen, uns als von der Natur „unabhängig zu beurteilen" (KU, Β 105; 8,350). Sie läßt „eine Überlegenheit über die Natur [fühlen], worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz andrer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns angefochten ... werden kann" (ebd., Kursive HA). Neben das praktisch-kreatürliche, augenblickliche Existenzgefühl der Zufriedenheit tritt so das negativistische „Geistesgefühl"34 der Erhabenheit der eigenen intelligiblen Bestimmung35: „Aber eines ist in unserer Seele, welches, wenn wir es gehörig ins Auge fassen, wir nicht aufhören können, mit der höchsten Verwunderung zu betrachten, und wo die Bewunderung rechtmäßig, zugleich auch seelenerhebend ist; und das ist: die ursprüngliche moralische Anlage in uns überhaupt ... die Unbegreiflichkeit dieser eine göttliche Abkunft verkündigenden Anlage muß auf das Gemüt bis zur Begeisterung wirken, und es zu den Aufopferungen stärken, welche ihm die Achtung für seine KU, Η 67; 8,231, zur Interpretation: J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 206-208. Das Gefühl des Erhabenen in der Natur ist Achtung für unsere eigene Bestimmung, vgl. KU, Β 96; 8,344 u. KpV, A 157.158; 6,211.212. Zur reinen Innerlichkeit des Erhabenen vgl. KU, Β 78; 8,331. 34

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Pflicht nur auferlegen mag." (RGV, Β 57-59; 7,700-702, Kursive HA) Der Negativismus des erhabenen Gefühls ist das zeichenlose Zeichen der Präsenz des Absoluten im Gemüt, dessen Name eliminiert ist: „... die Einbildungskraft kann in der Leere, die sie jenseits ihrer ,Zusammenfassungs'kapazität entdeckt, seine ,Präsenz', fast wie eine Wahnvorstellung, signalisieren."36 Der Negativismus, in der das Geheimnis fühlbar wird, bleibt aporetisch. Er ist in der Gefahr, das Unanschauliche als Unanschauliches - anzuschauen. Die Katechese der Religionsschrift endet im aporetischen Schweigen. Sie führt in jenen „Geist des Gebets" (RGV, Β 302; 7,871), der „ohne Unterlaß" (ebd.) in uns stattfinden soll und der eben dazu das Gebet, verbale und nonverbale Zeichen, transzendieren muß. Nirgends kristallisiert sich die Rücknahme des Gewissens ins reine Selbstverhältnis schärfer und härter als in der Rücknahme des Gebets in den Geist des Gebets. Das Gebet wird zum Gespräch „eigentlich mit sieb selbst" (RGV, Β 304f; 7,872). Wegen der theoretischen Absurdität der Vorstellung, .sinnlich' zu Gott zu sprechen, muß das Gebet in den zeit- und sprachlosen Geist des Gebets aufgehoben werden: „... denn der Mensch mag nun laut beten, oder seine Ideen innerlich in Worte auflösen, so stellt er sich die Gottheit als etwas vor, das den Sinnen gegeben werden kann, da sie doch blos ein Princip ist, das seine Vernunft ihn anzunehmen zwingt. Das Daseyn der Gottheit ist nicht bewiesen, sondern es wird postulirt, und es kann also blos dazu dienen, wozu die Vernunft gezwungen war, es zu postuliren ... Daher kommt es auch, daß Derjenige, welcher schon große Fortschritte im Guten gemacht hat, aufhört zu beten"37. Unter dem Titel rigoroser Wahrhaftigkeit zwingt Moralität zum Gebetsverzicht, der in Wahrheit Ausdruck der Dialektik der Anschauungsform ist. Das Gefühl des Gebets bleibt so zutiefst alternant und mit ihm das Gefühl des .Geheimnisses'. Wenn irgendwo, dann verwickelt sich hier „das Denken der Gottesidee bei ihrem Denker" in einen unentschiedenen Prozeß, „des Prozesses nämlich zwischen dem Element .Idee' in der Gottesidee und dem Element .Gott* in ihr", oder genauer: zwischen der Idee und dem göttlichen Namen.38 Man höre die Alternanz der Kant'schen Rede! Der bestirnte Himmel hat die Kraft, „das Gemüt nicht allein in diejenige dahin sinkende, den Menschen gleichsam in seinen eigenen Augen vernichtende Stimmung, die man Anbetung nennt, zu versetzen, sondern es ist auch, in Rücksicht auf seine eigene moralische Bestimmung, darin eine seelenerhebende Kraft, daß dagegen Worte, wenn sie auch die des königlichen Beters David ... wären, wie leerer Schall verschwinden müssen, weil das Gefühl aus einer

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Vgl. J.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 172. 257f. Hier setzt Lyotards Begriff vom Geheimnis der göttlichen Stimme an, vgl. ders., Ein Bindestrich, 23.27.29.135. 37 Reflexion zur Religionsphilosophie 8092, AA 19, 637f (1788-1790). 38 M. Buber, Gottesfinsternis, 548f. 182

solche Anschauung der Hand Gottes [Zufügung von B] unaussprechlich ist" (RGV, 307; 7,874, Kursive z.T. HA).39 Aber: Ist die Bewunderung des bestirnten Himmels „nur verschwindender Anlaß" für die erhabene Bewunderung der eigenen moralischen Persönlichkeit als reiner Intelligenz?40 Jedoch: Das Gefühl weist notwendig einen Platz in der unsichtbaren und sichtbaren Welt an! Das Gefühl der Achtung fängt „von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstände spürbar ist, und mit welcher {dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich nicht, wie dort, in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne"? (KpV, A 289; 6,300, Kursive HA)41 Aber: Ist diese Verknüpfung des unsichtbar-persönlichen und sichtbar-leiblichen Selbst anderes als die Herrschaft, durch welche die gottgleiche Intelligenz das tierische Geschöpf in uns mehr und mehr sich unterwerfen soll? Jedoch: Lehrt praktische Weisheit nicht, sich gerade in der Transzendenz des kategorischen Imperativs, der über das endliche Wesen hinaushebt, zugleich als endlich, als (mit)geschöpflich zu verstehen? Aber: Müßte für das leiblich-sinnliche, kreatürliche Selbst das Gefühl der ,Anschauung der Hand Gottes' dann nicht auch mitteilbar sein? Erforderte das Gewissensgefühl als eine Art von sensus communis nicht der Mitteilung? Die Negativität des Erhabenen ist die crux des Kant'schen Mysteriums. Das fühlbare Geheimnis kreatürlicher Freiheit verlangt die semiotische Frage, inwiefern dieses Geheimnis augenblicklich, sinnlich-leiblich und mitweltlich mitzuteilen sei. Es verlangt - um es abkürzend zu pointieren - die Frage nach endlichen Zeichen des unendlichen Namens Gottes. Dies ist die Frage nach dem Gebet und dem Sakrament. Selbstverständlich ist von Kant keine theologische Theorie kultischer Zeichen zu erwarten. Doch die Funktionalisierung des öffentlichen Gebets und Gottesdienstes zur ethischen Feier wird zum Index allzu souveräner Aufklärung.42 Nur als moralische Selbstaffektion hat die Rede zu Gott, die namentliche Anrede und Anrufung, Geltung.

Die berühmtere Parallele der Zweiten Kritik (KpV, A 288f; 6,300) ist hinzuzuziehen. F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 3, 456 Anm. 3, vgl. 456-458. 41 H. Heimsoeth, Theologisches, 86-108. Die ästhetische Geistesstimmung des Erhabenen sei von der praktischen Existenz-Erfahrung des Schlusses der Zweiten Kritik scharf zu unterscheiden (95 Anm. 21)! 42 Das öffentliche Gebet ist „zwar kein Gnadenmittel, aber doch eine ethische Feierlichkeit" (RGV, Β 306 Anm.; 7,873; vgl. RGV, Β 307 Anm.; 7,873). 39

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3.4 Leidenschaft der Freiheit - Semiotische Desiderate Die semiotische Aporie der Religionsschrift führt zum Schlüsselproblem der praktischen Philosophie, zur Typik als Konflikt der Interpretation, zurück. Kants Erhabenheitsrhetorik liegt die Topik des Achten Psalms (ein Psalm Davids) zugrunde43: „HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel! Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, daß du vertilgest den Feind und den Rachgierigen. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt." (Ps 8,2-6) Daß die Topik des bestirnten Himmels zentral ist, ist mehr als bekannt. Unbekannt ist aber, daß Kant auch den anderen Psalm-Topos aufnimmt, wenn auch an entlegener Stelle: Die Macht, die sich ,der Name' aus dem Mund von Kindern und Säuglingen zurichtet. Das unmündige Geschrei des vitalen Bedürfnisses ist nicht-intentionale Doxologie. Die arme Kreatur lobt ,den Namen', der keiner Anerkennung, aber der kreatürlichen Schwäche bedarf. Kant interpretiert Armut und Bedürftigkeit im Geschrei der Kinder als Ausdruckszeichen der Freiheitsleidenschaft: J a das Kind, welches sich nur eben dem mütterlichen Schöße entwunden hat, scheint, zum Unterschiede von allen andern Tieren, bloß deswegen mit lautem Geschrei in die Welt zu treten; weil es sein Unvermögen, sich seiner Gliedmaßen zu bedienen, für Zwang ansieht und so seinen Anspruch auf Freiheit (wovon kein anderes Tier eine Vorstellung hat) so fort ankündigt ... So erweckt nicht allein der Freiheitsbegriff unter moralischen Gesetzen einen Affekt, der Enthusiasm benannt wird, sondern die bloß sinnliche Vorstellung der äußeren Freiheit erhebt die Neigung, darin zu beharren oder sie zu erweitern, durch die Analogie mit dem Rechtsb e g r i f f e bis zur heftigen Leidenschaft."44 Im Geschrei, das die Mitwelt nicht nur physisch zwingt, nehmen die Neugeborenen in ihrer äußersten Bedürftigkeit von dieser Mitwelt Freiheit in Anspruch. Im wechselseitigen Zwang stellt sich Freiheit leidenschaftlich dar. Diese Leidenschaftlichkeit von .Freiheit' ist eine erstaunliche, aber nicht unvorbereitete Erweiterung des Freiheitsbegriffs bei Kant: Leidenschaften näm-

43 Kant greift den Topos des bestirnten Himmels aus Johann Spaldings .Bestimmung des Menschen' auf, Spalding legt dort explizit den Achten Psalm zugrunde: H. Stephan, Spaldings Bestimmung des Menschen, 45f. 44 Anthropologie, Β 230f; 10,603f, Kursive z.T. HA.

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lieh „gehen eigentlich nur auf Menschen und können auch nur durch sie befriedigt werden" (Anthropologie, Β 232; 10,605). Im unmündigen Geschrei wird mitweltliche Freiheit beansprucht. Diese rühre „von einer dunkeln Idee ... von Freiheit und der Hindernis derselben, dem Unrecht" (Anthropologie, Β 230 Anm.; 10,603) her. In kindlicher Freiheitsleidenschaft sei die dunkle Idee des Rechts als Befugnis zum (wechselseitigen) Zwang impliziert.45 Entsprechend gebe es nur ein einziges Recht, das als angeboren in Anspruch genommen werden kann: Jreiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.*"'6 Das Recht, das sich im kindlichen Geschrei der Freiheitsleidenschaft dunkel anzeigt, ist in der Fiktion des ethischen Naturzustandes vorausgesetzt. Das leidenschaftliche Recht auf Freiheit kann in den ethischen Kriegszustand führen. Praktische Weisheit bestünde darin, in der „Wechselwirkung der Menschen mit ihren unbedingten Ansprüchen auf Recht - man könnte sagen: auf mitweltliche leidenschaftlich geforderte Autorität" 47 den Rechtsanspruch des Gesetzes als Würde der Kreatur aufzufinden. Es ist eines festzustellen, daß Kant neben dem Enthusiasmus auch die Pathetik der bedürftigen Leidenschaft und Zufriedenheit kennt, schließlich die Pathetik der Hoffnung und Liebe, diese aber faktisch nicht in eine praktische Zeichentheorie überführt, welche lehrte sinnliche Zeichen als typisierten Rechtsanspruch zu lesen. Das Interesse am positiv-formalen Zwangsrecht als Inbegriff von Gerechtigkeit läßt die Frage nach sprachlicher Mitteilung als ,Zeichen' einer nicht-kommutativen bzw. nicht-distributiven inkommensurablen Gerechtigkeit nicht aufkommen: „Die bloß deskriptive Behandlung des Phänomens der Mitwelt in der Anthropologie ist daher der eigentliche Grund aller Aporien der Kantischen Lehre von Rechtsgesetz und Rechtsschema und der gesamten Lehre von der Lebenserfahrung."48 Ein anderes aber ist es, dieses Desiderat einer praktischen Zeichentheorie als Aporie der Kant'schen Urteilstheorie namhaft zu machen. Selbstzweckliche Würde als praktisch-typische Chiffre der Geschöpflichkeit teilt sich in Ausdruckszeichen mit, die praktische Beschreibung verlangen. Jn, mit und unter der,äußeren' Erscheinung erscheint uns das .innere' Wesen der Sache. Unsere Rezeptivität ist nicht nur sinnlich, sondern auch .geistig' - wobei durch das Wort .geistig' gerade auch dies ausgedrückt werden soll, daß sich das Unsinn-

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„Recht und Befugnis zu zwingen bedeutet also einerlei" (MSR, Β 36; 7,340). MSR, Β 45; 7,345. Das Lebensrecht wird als Freiheitsrecht in Anspruch genommen. 47 G. Krüger, Moral, 94. 41 G. Krüger, Moral, 96, vgl. 168f. 44

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liehe sinnlich manifestiert."49 Hoffnung als sensus communis schließt Leidenschaftlichkeit als Signum geschöpflicher Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit ein: eine Pathetik.50 In Ansätzen durchgeführt hat Kant diese Forderung nur in seiner Ästhetik des Schönen. Die Unendlichkeit göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit wird, mangels semiotischer Unterscheidungen, der Hoffnung nur im erhabenen, negativistischen, unmitteilbaren Enthusiasmus zugänglich, als Reflexion der Reflexion bestimmungsloser Vollzug intelligibler Existenz. Der göttliche Name, dieses absolute Zeichen, ist eliminiert, ohne als sinnlich-pathisches, mitteilsames Zeichen überhaupt infrage gekommen zu sein.

Zusammenfassung: Geheimnis des Reiches Gottes Die Revolution, in welcher die moralische Anlage als Charakter und das Gewissen als moralischer Gemeinsinn entschieden werden, ist der Anfang der Katechese, die durch Arbeit der Kritik ins .Geheimnis' der Freiheit führt. Durch praktische Exposition der Revolution führt sich Gewissen, als Sinn und Reflexion der Reflexion, selbst ins fühlbare Geheimnis geschöpflicher Freiheit ein. Absolute Freiheit, göttliche Souveränität, rechtlich typisiert als Richterschaft, Regentschaft und Gesetzgeberschaft des göttlichen Reiches, ist dieses Mysterium. Mit der Reduktion des Gewissens ins Geheimnis, vermittelt durch die Selbstanweisung zum Ubergang ins ethische gemeine Wesen, endet die Katechese im Dritten Stück der Religionsschrift. Der katechetische Charakter der Religionsschrift wird jetzt als Mystagogie ausdrücklich. Die Anmerkung zum Dritten Stück ist ihr Fokus. In ihr versammeln sich die skizzierten Probleme.

1. Geheimnis als Lebensform geschöpflicher Freiheit Das Gewissen entdeckt sich, indem es sich als praktischer Gehorsam unter dem Gesetz durch die Idee der Anlage und der Revolution exponiert, also das Geheimnis der Freiheit fühlbar macht: „Es ist unmöglich, a apriori und objektiv auszumachen, ob es dergleichen Geheimnisse gebe, oder nicht. Wir werden also in dem Innern, dem Subjektiven unserer moralischen Anlage, unmittelbar nachsuchen müssen, um zu sehen, ob sich dergleichen, in uns finde." (RGV, Β 209; 7,805, Kursive HA) 49

G. Krüger, Religiöse und profane Welterfahrung, 83; Einsicht und Leidenschaft, 138-282. Friedrich Schillers Ästhetik widmete sich bekanntlich als erste diesem Desiderat einer Pathetik: R. Homann, Art. Pathetisch, das Pathetische, in: HWP 7,168-177, v.a. 170-173; Kants Replik: RGV, Β llf; 7,669f. 50

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Der Ursprung der Freiheit ist jene Aporie, die offen gehalten werden muß: .Schöpfung* kann nur als Lebensform der Freiheit fühlbar, sie darf nicht als ihr ontotheologischer Grund begriffen werden; dies aber ist zu begreifen. Ontotheologisch ist Freiheit die Aporie, das Geheimnis schlechthin·, „der uns unerforschliche Grund dieser Eigenschaft aber ist ein Geheimnis, weil er uns zur Erkenntnis nicht gegeben ist." (ebd.) Freiheit als ontotheologisches Ursprungsverhältnis zu denken, ist die Versuchung praktischer Vernunft, die in politischer Theologie und Nihilismus endet.51 .Schöpfung' soll als Lebensform der Freiheit exponiert werden; für die reine praktische Vernunft, die nicht nach dem guten Leben fragt, sondern rigoros befiehlt, ist Freiheit noch „kein Geheimnis" (ebd.). Sie wird erst der Hoffnung als Geheimnis Gottes fühlbar: als Lebensform der Freiheit, die erlaubt, Güte der Freiheit zu fühlen. Hoffnung muß dazu selbst als genuin endlicher, kreatürlicher Sinn fürs Unendliche exponiert werden. Sie ist im System der Vermögen ortlos, also weder spekulativ-theoretisch zu verorten, wie noch in der Ersten Kritik, noch praktisch-dogmatisch, wie in der Typik der Zweiten Kritik. Am ehesten bietet die Dritte Kritik einen Zugang zur Endlichkeit der Hoffnung, sofern Hoffnung als reale Orientierung, als kognitives Gefühl, als Urteilssinn, als sensus communis und eben darin als behutsam bezeichnendes Gewissen zu beschreiben ist. Daß Urteilskraft sich stets zugleich als Reflexion der Reflexion in apriorische Selbstbegründung zurücknimmt, freilich ohne sich darin letztzubegründen, erwies sich als die Alternanz der Kant'schen Hoffnung. Der Konflikt zwischen selbstbegründet-reiner und zeichenbedürftiger Hoffnung, beispielhaft in Kants Reflexion der Verheißungsmetaphorik, wiederholt sich in der Darstellung der ,heiligen Geheimnisse' der Hoffnung. Soll Hoffnung auf Gottes Reich Lebensform der Freiheit sein, wozu die Gewissenspflicht zum ,Reich Gottes' anweist, so führt das zu einer Urteilspraxis korrelativer Richterschaft, die als vollzugshafte Kreatürlichkeit gefühlt werden darf, obgleich Kreatürlichkeit als Geheimnis schlechthin unbegriffen bleiben muß: „Aber eben diese Freiheit ist auch allein dasjenige, was, wenn sie auf das letzte Objekt der praktischen Vernunft, die Realisierung der Idee des moralischen Endzwecks angewandt wird, uns unvermeidlich auf heilige Geheimnisse führt." (ebd.) 51 „Wir können uns die allgemeine unbedingte Unterwerfung des Menschen [sc. als Bürger eines ethischen Staates] unter die göttliche Gesetzgebung nicht anders denken, als sofern wir uns zugleich als seine Geschöpfe ansehen; eben so, wie Gott nur darum als Urheber aller Naturgesetze angesehen werden kann, weil er der Schöpfer der Naturdinge ist. Es ist aber für unsere Vernunft schlechterdings unbegreiflich, wie Wesen zum freien Gebrauch ihrer Kräfte erschaffen sein sollen; weil wir, nach dem Prinzip der Kausalität, einem Wesen, das als hervorgebracht angenommen wird, keinen andern innern Grund seiner Handlung beilegen können, als denjenigen, welchen die hervorbringende Ursache in dasselbe gelegt hat, durch welchen (mithin durch eine äußere Ursache) dann auch jede Handlung desselben bestimmt, mithin dieses Wesen selbst nicht frei sein würde." (RGV, Β 215f.; 7,810)

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2. Unendlichkeit: Gott - alles in allem? Die theologische Pointe von Autonomie als korrelativer Richterschaft erweist sich, wenn Vernunft sich selbst als jener Gesetzgeber versteht, dessen Gesetz unvermeidlich auf heilige Geheimnisse führt. Erst mit der Pflicht: „Der Mensch soll aus dem ethischen Naturzustande herausgehen, um ein Glied eines ethischen gemeinen Wesens zu werden" (RGV, Β 134; 7,755) ergeht jene Selbstanweisung zur mitweltlichen Humanität, durch welche die moralische Anlage entschieden und zugleich ihr Geheimnis benennbar und fühlbar wird. „Also läßt sich die göttliche, heilige, mithin bloß freie Wesen angehende Gesetzgebung mit dem Begriffe einer Schöpfung derselben durch unsere Vernunfteinsicht nicht vereinbaren, sondern man muß jene schon als existierende freie Wesen betrachten, welche nicht durch ihre Naturabhängigkeit, vermöge ihrer Schöpfung, sondern durch eine bloß moralische, nach Gesetzen der Freiheit mögliche Nötigung, d.i. eine Berufung zur Bürgerschaft im göttlichen Staate bestimmt werden. So ist die Berufung zu diesem Zwecke moralisch ganz klar, für die Spekulation aber ist die Möglichkeit dieser Berufenen ein undurchdringliches Geheimnis." (RGV, Β 216; 7,810, Kursive HA) Praktische Vernunft verpflichtet zur .Bürgerschaft in einem Reich Gottes', erkennt aber, daß diese Pflicht nicht nur der Art, sondern dem Prinzip nach von allen anderen verschieden ist: Sie fordert, auf Gott zu hoffen. Du sollst hoffen, dich im .Augenblick' der Revolution im .Reich Gottes' vorzufinden. Diese Hoffnung soll aufgefunden werden, ohne daß sie herzustellen ist. Sie zeigt sich: sei es im Gefühl der Zufriedenheit und der spielerischen Lust am mitweltlichen Dasein; sei es im Enthusiasmus; sei es in der menschenfreundlichen Denkungsart der Liebe, deren .merkwürdiges' Dasein an die erschienene Menschenfreundlichkeit Gottes erinnert: „Das Reich Gottes auf Erden: das ist die letzte Bestimmung des Menschen ... Christus hat es herbeygerükt."52 Die Religionsschrift kann sich nicht auf dieses transmoralische Reich Gottes richten, auf das Faktum der Religion. Sie fragt nach dem ,Reich Gottes' als Teilkultur der Vernunft und Symbol des rechtlich typisierten, ethischen gemeinen Wesens, ohne allerdings .eigentliche' religiöse Hoffnung in Abrede zu stellen! Die Paradoxie der Pflicht zum .Reich Gottes' liegt in der Indirektheit der Selbstanalyse und Selbstdarstellung, darin, daß die Selbstanweisung als Pflicht ergeht, aber nicht auf Verwirklichung zielt, sondern auf Erneuerung der Wahrnehmung des inneren Sinns und der äußeren Sinne. Rationale Praxis weist sich selbst in hoffende Erwartung: „Weil der Mensch die mit der reinen moralischen Gesinnung unzertrennlich verbundene Idee des höchsten Guts (nicht allein von Seiten der dazu gehörigen Glückseligkeit, sondern auch der notwendigen Vereinigung der Menschen zu dem ganzen Zweck) nicht selbst realisieren kann, gleichwohl aber darauf hinzuwirken in sich Pflicht antrifft,

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Reflexion 1396, AA 15/2, 608.

so findet er sich zum Glauben an die Mitwirkung oder Veranstaltung eines moralischen Weltherrschers hingezogen [!], wodurch dieser Zweck allein möglich ist, und nun eröffnet sich vor ihm der Abgrund eines Geheimnisses, von dem, was Gott hiebei tue, ob ihm überhaupt etwas, und was ihm (Gott) besonders zuzuschreiben sei, indessen, daß der Mensch an jeder Pflicht nichts anders erkennt, als was er selbst zu tun habe, um jener ihm unbekannten wenigsten unbegreiflichen Ergänzung würdig zu sein." (RGV, Β 210f; 7,806, Kursive z.T. HA) Verheißung des .Reiches Gottes' und des .Gerichts Gottes' kann im Gewissen nur weise, also indirekt verstanden werden. Aber moralische Urteilspraxis soll sich als innerer Gottesdienst verstehen, als Leben in den Geheimnissen des Reiches Gottes. Sie soll Gottes .Handeln' als Richter, Versöhner und Schöpfer als Geheimnis erwarten, ohne daß göttliches Handeln in die Maximen aufgenommen werden kann. In der Pflicht zum ethischen gemeinen Wesen bestimmt sich die Praxis der Freiheit zu dieser Erwartung. Daß es Kant nicht wirklich gelingt, diese Erwartung als Erneuerung der Wahrnehmung, des Sinnes und der Sinne, zu explizieren, bleibt zu erinnern. So sieht sich praktische Weisheit in eine ungeheure Nahe Gottes versetzt, auf die sie angewiesen sein soll und die ihr doch begreifbar unbegreiflich und unanschaulich bleibt. Aber muß sie unmitteilbar bleiben? Daß „Gott alles in allem ist" (RGV, Β 204; 7,802) ist das „Geheimnisvolle, über alle Grenzen möglicher Erfahrung Hinausreichende, bloß zur heiligen Geschichte der Menschheit Gehörige, uns also praktisch nichts Angehende" (RGV, Β 204 Anm.; 7,802). Kant verweist auf Newtons Versuch, die Ursache der Schwere der Körper als reale göttliche Allgegenwart in der Erscheinung zu verstehen (als omnipraesentia phainomenon). Diese Vorstellung wird jetzt nicht mehr einfach verworfen, sie will vielmehr weise verstanden sein. Kant deutet sie als praktisch-weisheitliche Reflexion des Gravitationsgesefzes: Die Schwere als Symbol göttlicher Allgegenwart in der Vereinigung der Körper zur Welt kann keinen ontotheologischen Begriff des Schöpfers begründen, „(denn das Dasein Gottes im Raum enthält einen Widerspruch), aber doch eine erhabene Analogie" (RGV, Β 209f. Anm.; 7,805) des Geheimnisses der Vollendung der Verheißung (IKor 15,23-28) als Vereinigung der Geschöpfe, ihrer Zusammengehörigkeit und Verwandtschaft. Eben „so würde es auch dem Versuch ergehen, das selbständige Prinzip der Vereinigung der vernünftigen Weltwesen in einem ethischen Staat einzusehen, und die letztere daraus zu erklären. Nur die Pflicht, die uns dazu hinzieht, erkennen wir; die Möglichkeit der beabsichtigten Wirkung, wenn wir jener gleich gehorchen, liegt über die Grenzen aller unserer Einsicht hinaus" (RGV, Β 210 Anm.; 7,805). Das transsubjektive (nicht intersubjektive), Wir' des ethischen gemeinen Wesens, Inbegriff der Vollendung, Versöhnung und Schöpfung, ist im strengen Sinne alleiniges „heiliges Geheimnis (mysterium) der Religion" (RGV, Β 210 Anm.; 7,806). Es ist das, „was nur Gott tun kann, wozu etwas selbst zu tun unser Vermögen, mithin auch unsere Pflicht übersteigt" (ebd.). 189

3. Dreifaches Geheimnis: Umformung der Tradition Es ist die Gegenprobe auf die vorgelegte Interpretation der Religionsschrift als rationale Mystagogie, daß Kant den Begründungszusammenhang der Religionsschrift von diesem Geheimnis her (analytisch) rekapituliert: Im Gewissen als praktischer Weisheit kann Gott nur als Souverän seines Volkes typsiert werden, dessen „dreifache obere Gewalt (pouvoir)" alleiniger Rechtsgrund der korrelativen Richtersprüche des menschlichen Gewissens ist.53 So sehr wir in der .Pflicht der Menschheit gegen sich selbst' das unbedingte Sollen zu hören haben, so sehr impliziert die Pflicht, weise verstanden, jene theologisch denkende Welterfahrung der Hoffnung, die der Maßstab des Unternehmens der Kritik ist. Der „Abgrund eines Geheimnisses, von dem, was Gott hiebei tue, ob ihm überhaupt etwas, und was ihm ... besonders zuzuschreiben sei" (RGV, Β 210f; 7,806) läßt sich deshalb in „drei uns durch unsre eigne Vernunft geoffenbarte Geheimnisse einteilen" (RGV, Β 215; 7, 810). Die Selbstverpflichtung zur Bürgerschaft im Reich Gottes führt zur differenzierten Einsicht in Geschöpflichkeit als Lebensform der Freiheit und zwar als dreifaches Geheimnis: Als Berufung weist der Anspruch dieser Pflicht an, die verfassunggebende Gesetzgebung in diesem Reich nur wahrzunehmen, nicht selbst zu beanspruchen: als Bürger' sollen wir uns hier vorfinden, anstatt uns selbst als letztinstanzliche Rechtssubjekte zu setzen. Berufung setzt den Verzicht auf absolute Richterschaft voraus und wird gelebt als ,dijudikatorische* Richterschaft. Als Genugtuung weist sie an, den Richtspruch des bösen Gewissens nicht an sich selbst zu vollziehen: als Bürger sollen wir unsere kreatürliche Würde erhalten lassen, anstatt uns selbst zu verwerfen oder zu entwürdigen.54 Genugtuung wird gelebt als Erneuerung des Sinns zur Zufriedenheit. Als Erwählung weist sie zur Ehre Gottes, die nicht von uns erwählt werden kann, aber durch uns frei anerkannt werden will. Das setzt den Verzicht voraus, das Faktum der Vernunft letztzubegründen. Die Anerkennung der in der Stimme des Gesetzes verborgenen Ehre, darf auf ihr Wahrwerden hoffen. Kant nimmt hier die reformierte Lehre von den decreta Gottes auf (Schöpfung und Vorsehung als decretum generale und Erwählung als decretum speciale55). Er bestimmt sie aber eschatologisch als Aspekte des rechtlich typisierten Reiches Gottes. 53 Die eigenartige Anmerkung RGV, Β 211f; 7,807 möchte das korrektive Ineinander von menschlichem und göttlichem Richterspruch vorstellen. 54 Im Blick ist Hiobs Selbstverfluchung (Hi 3)! Erhaltung als praktisch-rechtlicher Terminus meint: Aufhaltung des Strafgerichts, voraussetzend Genugtuung für rechtmäßig verhängte Strafen, vgl. Reflexion 8086, AA 19, 630. 55 Zur reformierten Dekretenlehre und der Unterscheidung von decretum generale et speciale praedestinationis·. H. Heppe/E. Bizer, Dogmatik, 107-109 (109-120). Die lutherische Lehre von den opera ad extra essentialia, insbesondere der opera potentiae (Schöpfung, Vorsehung und Vollendung) ist zu beachten: C.H. Ratschow, Lutherische Dogmatik 2, 157.

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In dieser Neubestimmung zeigt sich in nuce die Umstellung des gesamten dogmatischen Begründungsgefüges von der Ontotheologie auf die Eschatologie: .Geheimnis' steht vor Kant an der Vermittlungsstelle zwischen den articuli fidei mixti und den articuli fidei puri. Die articuli fidei mixti gelten als auch der Vernunft zugängliche Lehren. Sie umfassen: Existenz, Macht und Güte Gottes im Zusammenhang seiner Schöpfung, Erhaltung, Regierung und Vollendung der Welt. Die articuli fidei puri handeln von den Geheimnissen Gottes: Trinität, Erbsünde, Menschwerdung und Sühnetod Jesu, deren Erkenntnis nur in der Offenbarung und also in der Schrift (als theologischem Erkenntnisprinzip) begründet sind.54 Wie gezeigt, beansprucht das urteilende Gewissen jetzt, die Offenbarungsgeheimnisse innerhalb der Grenzen der Vernunft einsehen zu können. Dazu werden diese Lehren pragmatisiert, also als Grammatik von Religion als Lebensform praktischer Vernunft interpretiert, und zwar im Wege pragmatischer Selbsteinführung. Vernünftige Aneignung der ursprünglichen Offenbarungsgeheimnisse und Aufhebung der Sakramente Taufe, Buße und Abendmahl gehen Hand in Hand. Umgekehrt werden die ontotheologischen articuli fidei mixti jetzt zum dreifachen eschatologischen Geheimnis, wobei das eschatologische mysterium des Reiches Gottes pragmatisiert wird: Geschöpflichkeit wird Lebensform der Freiheit als Urteilspraxis der Hoffnung im Geheimnis Gottes.

4. Negativität als Frage nach ikonischen Zeichen Nicht zufällig stößt Kant bei seinen Bibellektüren auf Mk 13,11: „Euch ist's gegeben, daß ihr die Geheimnisse des Himmelreiches verstehet". Er glossiert: „Des innern Gottesdiensts"57. Kants Rede vom inneren Gottesdienst bleibt zweideutig: Er kann zur souveränen inneren Andacht, zum negativistischen Geistesgefühl der unbegreiflichen moralischen Anlage werden. Aber .Reich Gottes' meint auch: erhoffte Geschöpflichkeit als Lebensform der Freiheit, praktische Mitgeschöpflichkeit im Gewissen als sensus communis. Sie beruft sich auf das augenblickliche Hören einer Stimme, die für das Anschauen beständig schon vergangen ist, weil sie sich der Repräsentation der Einbildungskraft entzieht, nicht aber dem ikonischen Sehen. Diese Alternanz kristallisiert sich im Mitteilungscharakter des Kant'schen Geheimnisses: Ob und wie das Geheimnis mitzuteilen sei, ob und wie es .sinnlich' wahrgenommen, ,weise' verstanden und beschrieben und zur Zustimmung angemutet werden könne? Kant nimmt immer wieder Anlauf, um sich über diese transzendental befremdende und doch praktisch grundlegende Erkenntnis des eschatologischen Geheimnisses klar zu werden. Kennzeichnend ist für all diese Reflexionen, daß sie die Aporie der Mitteilung des Geheimnisses als Aporie des Übergangs von praktischer Weisheit zum spekulativen Begriff formulieren: „In allen Glaubensarten, die sich auf Religion be-

56 D. Hollaz, Examen, I, 57: „Articuli fidei puri sunt partes doctrinae Christianae de mysteriis divinis captu rationis humanae sibi relictae superioribus, divinitus tarnen revelatis." 57 Reflexion 8112, AA 19, 652.

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ziehn, stößt das Nachforschen ... unvermeidlich auf ein Geheimnis, d.i. auf etwas Heiliges, was zwar von jedem einzelnen gekannt, aber doch nicht öffentlich bekannt, d.i. allgemein mitgeteilt werden kann. - Als etwas Heiliges muß es ein moralischer, mithin ein Gegenstand der Vernunft sein, und innerlich für den praktischen Gebrauch hinreichend erkannt werden können, aber, als etwas Geheimes, doch nicht für den theoretischen·, weil es alsdann auch jedermann müßte mitteilbar sein, und also auch äußerlich und öffentlich bekannt werden können." (RGV, Β 207f; 7,803, Kursive z.T. HA)58 Daß Kant mehrfach auf diese Formel zurückkommt,59 ist ein Indiz, daß sie abbreviativ und ungenügend bleibt. Es trifft ja nicht zu, daß das Heilige, das gekannt wird, nicht allgemein und öffentlich mitzuteilen wäre. Soll nicht seine Darstellung, als Mitteilung des Gefühls der Bewunderung, sogar „von Schulen und Kanzeln [sc. herab] eine besondere oft wiederholte Beschäftigung der Lehrer" (Ton, A 418; 5,393) sein? Wenn Kant trotzdem darauf beharrt, daß das Geheimnis zu verschweigen, weil nicht allgemein mitzuteilen sei, so setzt er einen Begriff von Mitteilung voraus, der am Paradigma theoretischer Intersubjektivität orientiert bleibt: „Geheimniß ist im theoretischen Verstände: was man nicht wissen kann, [sc. und deshalb] im practischen: was nöthig ist zu verbergen."60 Der Begriff einer genuin praktischen Symbolisation und des Gewissens als Hoffnungssinn wäre möglich und durch die Kritik des Geschmacks vorbereitet: Das Schöne als ikonische, beschreibbare, mitteilungs- und zustimmungsfähige Idee läßt fragen, ob nicht das inexponible Geheimnis ikonisch zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu fühlen und zu beschreiben ist. Aber die Darstellungsform der Religionsschrift wird dieser Möglichkeit nicht gerecht. So bleibt die Erhabenheitstopik eines Mysteriums, das sich negativ anzeigt, ohne mitteilbar zu sein.61 Im negativistischen Geheimnis kristallisiert sich die Aporie des Hoffens bei Kant. Es ist dies jene namenstheologische, methodische und semiotische Aporie der Kant'schen Philosophie, die am Beginn der Untersuchung genannt wurde und jetzt vollständig entwickelt ist. Für die Frage nach ikonischer Hoffnung des göttlichen Namens und seiner Unendlichkeit im Zweiten Hauptteil bildet sie den Ausgangspunkt.

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Die Entgegensetzung: .innerlich' - .äußerlich* ist erst in Β eingefügt. Sie nimmt zweifellos die Unterscheidung: .esoterisch' - .exoterisch' aus Reflexion 8084, AA 19, 629 auf. 59 RGV, Β 210 Anm.; 7,805; RGV, Β 215; 7,809; RGV, Β 217f; 7,811f; RGV, Β 218 Anm.; 7,812 nehmen diese Bestimmung weniger präzise und vollständig auf. 60 Reflexion 8084, AA 19,629. 61 „...das von der ethischen Maxime bereitete Gefühl ist in der ästhetischen Ordnung nicht mit dem erhabenen Gefühl, sondern mit dem Gefühl des Schönen zu vergleichen ... Die Sittlichkeit impliziert also intrinsisch die Forderung nach ihrer allgemeinen Mitteilbarkeit und ist darin dem Gefühl des Schönen analog ... Das Erhabene entzieht sich dagegen sowohl der einen als auch der anderen Forderung nach allgemeiner Mitteilung" Q.-F. Lyotard, Analytik des Erhabenen, 261.262.263).

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Zweiter Teil

Grammatik und dichte Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen bei Franz Rosenzweig und Hermann Cohen

§ 8 Exposition der Frage „... das Jüdische ist meine Methode, nicht mein Gegenstand ..."' Die Religionsphilosophie Hermann Cohens2 (1842-1918) und die .Theologie' Franz Rosenzweigs3 (1886-1929) nahmen im deutschsprachigen und nehmen im französischen, angelsächsischen und israelischen Judentum heute eine bedeutende, ja herausragende Stelle ein.4 Im Leben und Werk dieser beiden exponierten Gestalten des deutschen Judentums vor seiner Vernichtung bereitet sich im ersten Drittel des Jahrhunderts eine .Heimkehr' (t'schuva) in die jüdische Lebensform vor, die in der prekären und bedrohten Lage des emanzipierten Judentums die kontroversen Optionen von Assimilation, Sozialismus und Zionismus zu übergreifen sucht.5 Kann in der Situation des deutschen Diaspora-Judentums und seiner im Scheitern begriffenen Emanzipation die jüdische Lebensform neu erlernt werden? Kann sie in konkreter .Symbiose' mit christlichen Lebensformen erlernt werden, die begründet ist durch „engste Verwandtschaft: die der Wahrheit'"?

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F. Rosenzweig, BT, 720 (Brief an Hans Ehrenberg, September 1921). Insbesondere in seinem Hauptwerk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, 1. Auflage 1919, 2. Auflage 1929, Nachdrucke der 2. Auflage 1966.1978.1988. Religion der Vernunft wird im Rahmen des Gesamtwerks interpretiert: H. Cohen, Werke. 3 In seinem Hauptwerk Der Stern der Erlösung, 1. Auflage 1921, 2. Auflage 1930, 3. Auflage 1954, 4. Auflage 1976 (Bd. Π der Gesammelten Schriften), seitenidentisch mit der 5. Auflage 1988. Der Stern der Erlösung wird im Zusammenhang des Gesamtwerks interpretiert: F. Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften. 4 Dies ist dokumentiert in drei Kongreßbänden zu Rosenzweigs hundertstem Geburtstag: Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886-1929); The Philosophy of Franz Rosenzweig. 5 Zur Biographie Rosenzweigs: S.211-214. Zur Biographie Cohens: Franz Rosenzweigs berühmte und umstrittene .Einleitung in die Akademieausgabe der jüdischen Schriften Hermann Cohens' (Z, 177-223). 6 E. Levinas, Vorwort, 13. 1

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Der jüdische Gottesdienst, die Heiligung und Einigung ,des Namens', nimmt in dieser .Heimkehr' (.Rückkehr' und .Umkehr') den konstitutiven Rang ein. In ihm werde - wie Rosenzweig 1917 in seiner Programmschrift zur Erneuerung jüdischen Lernens formuliert7 - die jüdische Lebensform beständig erlernt und lernend fortgebildet: Wem Sidur und Machsorim „kein versiegeltes Buch bedeuten, der hat das .Wesen des Judentums' mehr als erfaßt, er besitzt es als ein Stück Leben in seinem Innern, er besitzt eine .jüdische Welt'.*' (Z. 462) Im Kult hat das Erlernen der messianischen Lebensform .Gesetz' nicht seinen einzigen, wohl aber seinen paradigmatischen Ort: „Das lebendige tätige Verständnis des Gottesdienstes ist der Faden, an den kristallgleich sich ansetzen kann, was dem Judentum zu seiner Fortdauer allezeit nottut: eine jüdische Welt."8 Die gottesdienstliche Lebensform und Kultur als Paradigma der messianischen Lebensform des Gesetzes wird bei Cohen wie bei Rosenzweig in der Perspektive der Hoffnung erlernt. Dies charakterisiert sie als Vertreter eines Judentums, das der Kantischen Philosophie verpflichtet ist. Zugleich begründet es die Differenz zwischen Cohens Messianismus und Rosenzeigs Eschatologie. Mit der messianischen Idee der einen weltgeschichtlichen Zukunft unter dem einzigen Gott ist für Cohen die Idee der wahrhaft politischen Wirklichkeit und des theodizeeischen Sinns der Geschichte verbunden. Einigung und Heiligung des göttlichen Namens im Gesetz, vor allem stellvertretendes Mit-Leiden des erwählten Volks inmitten geschichtlicher Antagonismen sei das messianische Symbol dieser Zukunft, und zwar, entgegen christlicher Eschatologie, das einzig mögliche. Bleibt aber Cohens Insistieren auf dem messianischen Charakter vernünftiger Hoffnung und Ethik selbst in der Hoffnung, d.h. unter dem Widerspruch durch ein eschatologisch neues, gescbichtstranszendentes Handeln Gottes? F. Rosenzweig fragt hingegen nach Vermittlung eschatologischer Hoffnung und messianischem Leben in jüdischer Ethik: Im jüdischen Gottesdienst wird eschatologische Hoffnung des göttlichen Namens erlernt, die weiter reicht als das Gesetz; gerade deshalb kann in der messianischen Lebensform des .Gesetzes', in der ewiges Leben des erwählten Volkes aufzufinden und mitzuteilen ist, dieser Name exklusiv bewährt werden. Dialogische Unvereinbarkeit der exklusiven Lebensformen jüdischer und christlicher Hoffnung schließt eschatologische Wahrheitsverwandtschaft nicht aus - im Gegenteil: Sie ist ihr .Geheimnis', der Schnittpunkt im Unendlichen des göttlichen Namens. „... in dem Augenblick, wo ich ... zum ersten (und einfüralle-) Mal die Hoffnung erlebte, war die objektive Grundlage (der Schnittpunkt im Unendlichen) gefunden ... Auf dieser Grundlage steht seitdem alles bei mir".'

7 F. Rosenzweig, Zeit ists ... (Ps. 119,126). Gedanken über das jüdische Bildungsproblem des Augenblicks, Z, 461-481, 462. 8 Z, 463 (Kursive HA); vgl. BT, 257f.261.263-265. ' Brief Franz Rosenzweigs an Rudolf Ehrenberg vom 25.8.1919, BT, 642f.

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1. Gottesdienstliche Zeichen des göttlichen Namens Hoffnung kann nur vermittelt über die messianische Lebensform .Gesetz' und zwar insbesondere vermittelt über ihr gottesdienstliches Paradigma beschrieben werden. Diese Lebensform und Kultur ist nicht vollständig auf andere Lebensformen und Kulturen abzubilden und als Teil humaner Vernunftkultur zu rekonstruieren. Sie muß erlernt worden sein, um dann in ihrer Grammatik, ihrer Kultur und ihrer dialogischen Wahrheit begriffen und beschrieben werden zu können. Dies ist ein theologisch und philosophisch zentraler, kritischer Grundsatz. Soll die Rationalität der Hoffnung, der Verheißung und des Geheimnisses, aus den Quellen des Judentums oder aus den Quellen des Christentums für einen wirklichen Dialog dargestellt werden, so muß aus diesen Quellen gelebt werden. Erst wenn die biblischen Texte, die gottesdienstlichen Gebete, die liturgischen Formulare und Handlungen ,im Namen des Einzigen' und ,in Abraham' erlernt worden sind, ist es möglich, die Aporie zu ermessen, die darin besteht, daß dieselben Texte, Gebete, liturgischen Formulare und liturgischen Handlungen in kontradiktorisch widersprechender Geltung verwendet werden, im ,trinitarischen Namen Gottes' und ,in Jesus Christus' - und umgekehrt. Dieser Widerspruch tritt in seiner kontradiktorischen Schärfe erst zutage, wenn nicht nur die oberflächengrammatischen und historischen Traditionszusammenhänge dieser Zeichen beschrieben werden, sondern wenn sie in ihrer Einbettung in die jeweilige Lebensform und Kultur beschrieben werden. Der Stern der Erlösung ist für diese kulturelle Grammatik und Beschreibung ein paradigmatischer Text deutschsprachiger jüdischer .Theologie' im 20. Jahrhundert. Franz Rosenzweig sucht mit ihm offenzulegen, wie er als assimilierter, völlig in der wissenschaftlichen, historistischen, philosophischen und nicht zuletzt protestantisch-theologischen Kultur des ersten Jahrhundertdrittels beheimateter Jude die Faktizität seiner messianischen Lebensform .Gesetz' und ihrer Sprachspiele neu erlernt. Er arbeitet Methoden grammatischer und dichter Beschreibung dieser Lebensform und Kultur aus, die bis heute theologisch innovativ sind. Und er gebraucht sie, um zu beschreiben, daß und wie das Sein im Gesetz im faktischen, an der Oberfläche weitgehend gesetzesfremden, jüdisch-aschkenasischen Gottesdienst immer schon erlernt und geltend gemacht wird, und zwar christentumskritisch geltend gemacht wird. Wir nennen Rosenzweigs grammatische und dichte Beschreibung der messianischen Lebensform Gesetz am Beispiel der gottesdienstlichen Zeichen insgesamt eine eschatologische Beschreibung. Damit zeigen wir an, daß die Offenlegung der Geltungsdifferenz der Verheißungszeichen letztlich stets auf das noch ausstehende Geheimnis ,des Namens' und seiner Wahrheit orientiert bleibt. Die jüdische Homologie des Namens, die Benediktion und die Doxologie ist, wie die christliche Rede und zugleich grundverschieden von ihr, Rede aus Glauben auf Hoffnung.

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Die messianische Lebensform ist in der ,Gabe des Namens' begründet: im Verheißungsnamen ICH BIN DA (Ex 3,14b), auf welche die Heiligung und Einigung des Namens antwortet, wofür die Homologien des Sch'ma Jisrael und des Jichud Haschern das Beispiel bilden. Sie wird im Erlernen des Gesetzes erhalten und fortgebildet. Im .lebendigen und tätigen' Erlernen der gottesdienstlichen Zeichen bauen sich die Elemente der Urteilsbildung auf, die in den vielfältigen Lebenssituationen angewandt, fortgeführt und erweitert werden, und in deren Gebrauch sich die jüdische Welt erbaut. Weil ein bestimmtes Lernen, eine bestimmte Urteilsbildung, eine bestimmte Methode in der Lebensform .Gesetz' vorausgesetzt ist, deshalb kann Rosenzweig behaupten, daß die Ethik des Gesetzes „Lehr- und Lern-Ethik" (BT, 787) sei. Der Stern der Erlösung, dem als zweites Lebenswerk ein Kommentar über „die Grundsätze, die Gesetze, .das Gesetz'" folgen sollte10, wird daher konsequent als namenstheologisches Prolegomenon zum Erlernen des Gesetzes, als methodische Vorschule und eben darin als Ausdruck einer genuinen .Heimkehr' ins Gesetz interpretiert. Das Erlernen des Gesetzes als einer ,mit dem Namen gegebenen 'Lebensform ist selbst schon und sogar im eminenten Sinne .Werk' des Gesetzes. Dies könnte als transzendentalpragmatische Figur verstanden werden; und es ist in der Tat in der Sache begründet, daß sich Cohen und Rosenzweig am ehesten an Kants Urteilstheorie anschließen. Aber über die transzendentalpragmatische und analytische Theorie von Religion als Kultur humaner Rationalität (vgl. § 6,2) führen Cohen und Rosenzweig genau darin hinaus, daß gottesdienstliche Zeichen zum Beispiel des Lernens und des Erlemens des Lernens werden, weil der göttliche Name als Faktum der Religion für sie nicht zu eliminieren ist.11 Der Gottesdienst ist Ort elementaren Erlernens des Gesetzes, wobei das elementare Erlernen des Lernens selbst schon Werk des Gesetzes ist, so daß der Gottesdienst als zentrales Element der Lebensform .Gesetz' darin auch beständig erhalten und fortgebildet wird. Lernen, Lernen des Lernens, Urteilsbildung und Urteilstheorie werden damit explizit (namens)theologisch aufgebaut. Dabei ist zu beachten, daß sie

10 BT, 762, vgl. 764; 784; 951; 1196. .Grundsätze' bezieht sich wohl auf mischnische Mathnithot; auf Baraithot aus mischnischer Zeit, die nicht in der Mischna Platz fanden; auf talmudische Halachot. 11 .Zeichen' sei vorläufig (.strukturalistisch-linguistisch') eingeführt als (primär sprachliche) Verständigungshandlung, also als Zeigehandlung, die auf Zeigehandlungsschemata zurückgreift. „Redend gebrauchen wir vereinbarte, für wiederholte Aktualisierung verfügbare Schemata von Zeigehandlungen oder kurz: Zeichen, z.B. Wörter." Sprache (langue) dient als Zeichensystem der Verständigung, der aktuellen Rede (parole). (W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 58, vgl. 53-64.) Dieser Zeichenbegriff, v.a. sein implizites Verständnis von Handlung, Verständigung, Referenz, Prädikation, Begründung oder Verifikation, wird im folgenden schrittweise theologisch modifiziert, bis schließlich aus theologischem Grund der Zeichenbegriff selbst erweitert wird. Uber die theologische Diskussion informiert weitgespannt: M. Meyer-Blanck, Der Ertrag semiotischer Theorien, v.a. 194-202.

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differenzierte Valenz besitzen: Sie begegnen auf der Ebene des primären Lernens, des propädeutisch explizierten Erlernens dieses primären Lernens und schließlich in der metatheoretischen Frage nach der Methode dieser Lernform in Differenz zur rationalen Mystagogie. Den Charakter des primären Lernens pointiert Rosenzweig in einer merkwürdigen Analogie: „Das jüdische .Lernen' ist keine Theologie. Es entspricht in seiner Bedeutung für uns etwa eurem Sakrament. Wenn ich [sc. lehrend] vor Juden spreche, so ist das wie eure Abendmahlsgemeinschaft." (BT, 728) Diese rätselhafte Bemerkung ist abbreviativ: Sie trifft nur den Charakter primären, gottesdienstlichen Lernens. Sie erklärt nicht, ja sie verwischt, daß dieses Lernen reflex wird und im Stern der Erlösung sogar Lehre ausbildet. Sie läßt unerwähnt, daß für Rosenzweig die Methode dieser Lehre und .Theologie' das genuin Jüdische war. Auch darin ist diese Analogie problematisch, daß sie einen bestimmten, Hegel'schen Sakramentsbegriff als Modell christlicher Gottesdienst- und Zeichentheorie insinuiert. Gleichwohl bildet die umfassende Explikation und Kritik ihrer Aspekte, Gründe und Folgerungen, zuletzt ihrer Folgerungen für einen möglichen eschatologischen Begriff ikonischer Zeichen oder Sakramente das Ziel der folgenden Untersuchung: Inwiefern baut der Stern schrittweise eine Grammatik gottesdienstlicher Zeichen auf? Wie wird der Gebrauch dieser Zeichen namenstheologisch begründet? Inwiefern wird Urteilsbildung, insbesondere die Geltungsgrenze dieser Zeichen mit erlernt? Inwiefern sind gottesdienstliche Zeichen ein .Beispiel' für Hoffnung als Urteilssinn? Inwiefern trägt diese Grammatik der Reichweite des Verheißungsnamens Rechnung, der über die Grenze der gottesdienstlichen Zeichen hinausreicht? Welchen Status hat die Rede vom Geheimnis des göttlichen Namens und inwiefern wird dieses Geheimnis in ikonischen Zeichen mitgeteilt? Das Lernen der gottesdienstlichen Zeichen wird zum Erlernen des Geheimnisses ,des Namens' und darin zum Erlernen genuiner Hoffnung. Diese Hoffnung findet in liturgischen Zeichen ihren Ausdruck.

2. Katechetische Theologie. Der Aufbau der Untersuchung Theologie nimmt im Stern der Erlösung die Form einer im göttlichen Namen orientierenden Katechese an, und zwar als Einführung in seinen gottesdienstlichen Gebrauch, der Paradigma der Heiligung des Namens in der Lebensform des Gesetzes ist.12 In der Durchführung dieser Arbeitshypothese interpretieren wir die dafür zentralen Teile des Sterns der Erlösung.

12

So auch R. Schaeffler, Vernunft und das Wort, 63-69.79-89. Neben den großen historischen Typen rationaler Mystagogie und katechetischer Theologie (Kant, Piaton und Patristik) bilden logische Propädeutiken für diese Arbeitshypothese den engeren Entdeckungszusammenhang, insbesondere: W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik; W. Kamiah, Anthropologie; E. Tugendhat, Vorlesungen; Propädeutik. 197

Interpretation meint: Bestimmte, für die Frage exemplarische Textpassagen, bisweilen nur intuitive Aussagen oder Bemerkungen, werden als Argumente in ihren Begründungsschritten aufgebaut.13 Fehlende Zwischenglieder werden kritisch angemerkt, ergänzt oder aus anderen Texten beigebracht. Der intuitive, rhetorisch-poetische Sprachgestus des Sterns der Erlösung wird durch logische und semiotische Termini vereindeutigt und reduziert. Er wird bewußt reduziert. Es ist nämlich eine der zentralen Fragen der Grammatik gottesdienstlicher Zeichen, warum und inwiefern in ihr rhetorische Bilder und semantische, syntaktische und semiotische Metaphorik einen konstitutiven, nicht nur ornamentalen Rang hat. Es zeigt sich, daß das Erlernen der gottesdienstlichen Zeichen explorative Urteilskraft erfordert, weil grammatische Regeln Kunstregeln sind. Aber umgekehrt gilt auch: Die konstitutive Bedeutung der Regelübertragung und des Regelbruchs für das Erlernen solcher Urteilskraft setzt einen explizit eingeführten und im Kernbestand dialogisch finiten Regelzusammenhang voraus! Die Polarität von Regel und explorativer Übertragung oder Durchbrechung charakterisiert das Erlernen des Lernens. Die sukzessive Einführung elementarer Zeichen am Beispiel gottesdienstlicher Zeichen beginnt (§ 9) mit der grammatischen Beschreibung der Homologie ,des Namens* im Sch'ma Jisrael und Jichud Haschern, im Schuldbekenntnis Widduj und in der Bitte um Vergebung Selicha (Verkündigung der dreizehn Eigenschaften oder Gnadennamen Gottes). Die ,Gabe des Namens', wie wir statt .Offenbarung' zu sagen vorziehen, seine Präsenz und Externität, bildet den Anfang des Lernens. Die logische Explikation ,des Namens' (§ 10) erweist diesen Anfang als legitimen theo-logischen Anfang: Sie analysiert das homologisch-dialogische ,Wort' von Ruf und Anrufung als eigentliche Einführungssituation. Sie weist den weiteren Weg, sofern sie den Ubergang vom dialogischen Ruf und Anruf zur Glaubensaussage in der Satzwerdung ,des Namens' im Tetragrammaton begründet. Der Name wird zum grundlegenden Verheißungssatz: ICH BIN DA (Ex 3,14b). Mit dem Schritt von der Einführung zur wirklichen Verwendung

13 So wird, um die wichtigste Auslassung zu benennen, das gesamte Erste Buch des Stern (S, 1-99) keiner expliziten Analyse unterzogen. Die .dialogische Logik', mit deren Elementen unsere Interpretation arbeitet, könnte in ihrem Kontrast zur dort verwendeten .Ursprungslogik' durchaus eigens ausgearbeitet werden. Aber die .Umkehrung' von der sprachtranszendenten transzendentalen Ursprungslogik zur sprachkritischen dialogischen Logik, die der Übergang vom Ersten zum Zweiten Teil des Stern unternimmt (S, 91-123), wird in unserer Interpretation vorausgesetzt und durchgeführt. Sie wird am Beispiel (nämlich Cohens und Rosenzweigs Analyse des Schema Jisrael) erläutert. Und sie ist implizit das Thema, wenn es um die Lebendigkeit der Sprache, die .Sprachbewegung' als .Organon' des Schöpfungsglaubens geht. - Daß der Erste Teil des Stern in seiner Anlage wie in bestimmten Passagen Anregung zu schöpferischer Fortführung sein kann, ist dadurch unbestritten; um nur zwei Beispiele zu nennen: E. Levinas, Totalität und Unendlichkeit; sowie W. Benjamin, Ursprung des Trauerspiels. Zu seiner Interpretation: St. Moses, System und Offenbarung, 33-70; H.J. Adriaanse, 467-499; R. Gibbs, 40-45; H.-J. Goertz, Tod und Erfahrung; N.N. Samuelson, 643-656; W. Schmied-Kowarzik, 51-90; R. Wiehl, Logik und Metalogik, 623-642.

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des Gottesnamens in der Glaubensaussage erhebt sich das theologische Problem der begründeten Geltung. Theologisch führt dies zur Frage nach dem Wo der Namensanrufung (also zur Frage nach dem Geltungsbereich) und zur Unterscheidung der Einführung ,des Namens' vom Anfang seiner geschichtlichen' Offenbarung: ein geschichtlicher Anfang und sein Text, ein bestimmtes Wo und eine bestimmte Sprachgemeinschaft sind im Erlernen ,des Namens' im homologischen Dialog impliziert. Wir verfolgen Rosenzweigs Namenstheologie bis zu jenem Punkt, an dem sich erstmals die Frage stellt, was es für das Verständnis von Wahrheit bedeutet, daß sich zwei kontradiktorisch widersprechende Homologien in der Verheißung des Namens begründen: das Sch'ma Jisrael und die Homologie Kyrvos Jesus\ Im Durchdenken dieser Frage zeigt sich, inwiefern Glaubenssätze, die sich auf eine dieser Homologien begründend zurückführen, ausweisbar ,Sätze ins Geheimnis' heißen können: Sie gründen in ihrem begründet unentscheidbaren Widerspruch im Geheimnis der eschatologischen Wahrheit ,des Namens', seiner Unendlichkeit. In der begründeten, aber nicht letztbegründeten Verwendung von Sätzen in Glaubensaussagen ist schon ein bestimmtes Verständnis von Geschöpßichkeit und realer Orientierung erlernt. Es unterscheidet Franz Rosenzweig z.B. vom Dialogismus Martin Bubers, daß er an der prädikativen Aussage und am (universellen) Satz als legitimen, wahrheitsfähigen und nicht bloß abkünftigen Redeformen des Namensglaubens festhält. Exemplarische Aspekte der Prädikation werden im Stern der Erlösung schöpfungstheologisch entfaltet (§§ 11 und 12): Die irreduzible Metaphorik der Glaubensrede und darin die .Lebendigkeit' der Sprache bildet den elementaren Zugang zur Geschöpflichkeit der Sprache14 und jener Urteilskraft, die sich als Glaube und Hoffnung vollzieht. Diese weitreichende These wird erneut analytisch rekonstruiert: Die These von der Geschöpflichkeit der Vernunft im Glauben interpretiert die irreduzible, semantische und syntaktische Metaphorik propositionaler Rede und den explorativen Charakter logischer Regeln als Kunstregeln. Die Bedingungen von Verständigung, realer Orientierung und konsensualer Sprachverwendung trotz der Pluralität der Kulturen und Rationalitäten werden jetzt also namenstheologisch begründet, nicht mehr transzendentalpragmatisch durch das Konzept der einen, pluralen Vernunftkultur.15 Erlernen von Geschöpflichkeit in sprachlichen und symbolischen Welterschließungen impliziert die Aufgabe übersichtlicher Darstellung ihrer Gründe. Entscheidend wird dann z.B. die Polarität von Zeitlichkeit der Glaubensrede und Universalität theologischer Sätze als grammatischer Regeln dieser Rede. Konstitutive und plurale Zeitlichkeit religiöser, also jüdischer und christlicher, Rede impliziert ja den Begriff

14 Dieser Gedanke bildet eine Brücke zur hermeneutischen Theologie: A. Zak, Sprachvernunft, 16.117; die ausgezeichnete Monographie zur Schriftübersetzung von Buber und Rosenzweig von H.-C. Askani führt dies durch, v.a. 305-335. 15 Ergebnisse von § 4,4; § 5,4 und S 6,1.2 werden hier aufgenommen und theologisch fortgeführt.

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der .göttlichen Ökonomie'. Versöhnung, (Neu-)Schöpfung und Vollendung in Christus als christlicher Begriff göttlicher Ökonomie ist aber unvereinbar mit dem jüdischen Begriff göttlicher Ökonomie aus Schöpfung, Offenbarung und Erlösung. Diese Unvereinbarkeit bildet sich in der Zeit-Differenz von Sabbat und Sonntag exemplarisch ab. Diese Differenz ist, als Gültigkeitsbedingung jüdischer und christlicher Rede, z.B. im Sabbat- und Sonntagsgebot, nicht noch einmal auf ein Drittes (z.B. auf ein naturrechtliches Feiertagsgebot) zu reduzieren. Wie in der Religionsschrift so wird daher im Stern die Unendlichkeit dessen, der verheißt, alles in allen gewesen zu sein, zum Geheimnis und dies Geheimnis zur geschöpflichen Lebensform in den pluralen religiösen Lebensformen und Kulturen als Orte kreatürlicher Freiheit. Nur verweist dieses Geheimnis jetzt auf den göttlichen Namen über allen Namen und seine Hoffnung. Innerhalb dieser Grenze läßt sich Verbindlichkeit realer Orientierung und Kommunikabilität der Orientierungen aufbauen. Das wird an der Praxis jüdischer Benediktion, als ausgezeichneter Form der Weltorientierung jüdischen Glaubens durch prädikative Rede, gezeigt. Der Stern erreicht sein Ziel mit der messianischen Doxologie: „ER ist gut!" (§ 13). Das Erlernen des Gesetzes ist als gutes, kreatürliches Leben neu erlernt, wenn dieses exemplarische Urteil in seinem Begründungszusammenhang, seiner Öffentlichkeit und seiner Reichweite erlernt worden ist. Erlernt ist diese Doxologie und ihr gutes Leben, wenn man weiß, was man tut, wo man sich befindet, was man hoffen darf und vor allem: was man noch nicht sagen und wissen kann, wenn man Güte des Lebens im ,Segen des göttlichen Namens' anerkennt. Die messianische Doxologie des Namens ist Anerkennung der Wahrheit (Treue) der Verheißung. Sie wird hier nicht über Kreuz und Auferstehung Jesu, sondern über dem Gesetz gesprochen: Das Gesetzeswerk des .ewigen Volkes' ist erlösendes Handeln. So sehr sich darin der kontradiktorische Widerspruch der Doxologien zeigt, so sehr wird allerdings zu betonen sein, daß nach Rosenzweig das Urteil „ER ist gut!" eine eschatologische Beschreibung des Gesetzeswerks als Frucht des Reiches Gottes eröffnet: Das Erlernen des Lernens ist vor allem anderen ein Erlernen der Doxologie ,des Namens' über dem Werk! So sehr darin die namenstheologische Geltung der messianischen Lebensform .Gesetz' gegenüber dem Sein-in-Christus verteidigt wird, so sehr wird gerade in der messianischen Doxologie die Reichweite des Namens als innere Grenze ihrer Geltung anerkannt (§ 14). Das Erlernen des Gesetzes am Beispiel gottesdienstlicher Zeichen führt so an seine eigene innere Grenze: die Reichweite und Externität des Namens. In allen gottesdienstlichen Zeichen wird die Hoffnung mitgelernt, mit der die täglichen jüdischen Gebete enden: „an jenem Tag wird ER der Einzige sein und sein Name der einzige" (Sach 14,9). Die Hoffnung auf die Einzigkeit des Namens wird von Rosenzweig bestimmt als Hoffnung auf Läuterung der Lippe: „Dann aber wandle den Völkern ich an eine geläuterte Lippe, - daß sie alle ausrufen Seinen Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen ... An jenem Tag brauchst du dich nicht zu schämen all deiner Handlungen, womit du mir 200

abtrünnig wurdest" (Zeph 3,9.11). Der Rede und dem Zeichen, die ,den Namen' bekennen und bekennen sollen, bleibt die eschatologische Wahrheit des Namens extern: Dies ist das .Geheimnis des Namens' im Geheimnis guten Lebens. Die Konsequenz ist, daß gottesdienstliche Zeichen nicht nur denotieren, sondern exemplifizieren: Sie sind eschatologische Zeichen, die mehr ausdrücken als ausweisbar ausgesagt werden kann. Genauer: Sie drücken aus, was nur negativ ausgesagt werden kann, in begründet unentscheidbaren Aussagen. Namenstheologische Unendlichkeit drückt sich in ikonischer Dichte dieser Zeichen aus. Die Externität des Namens zeigt sich so am kanonischen Text der Heiligen Schrift, welcher der literalen Aneignung in Israel und Kirche stets auch extern bleibt. Doch nicht dies steht im Zentrum des Stern. Es ist vielmehr der Zusammenhang von Namensgeheimnis und .sakramentalen', gottesdienstlich-liturgischen Zeichen. Exemplarisch ist die Liturgie des Versöhnungstags (§ 15). Ikonische oder Ausdruckszeichen nennen wir diese Handlungen, weil in ihnen die Hoffnung auf den Namen jenseits aller Namen sichtbar zum Ausdruck kommt. Diese Zeichen erlauben also beides: dichte Beschreibung, in welcher Hoffnung im wirklichen Dialog erlernt wird; und dichte Erfahrung des Friedens, der in ihnen sichtbar zum Ausdruck kommt und der weiter reicht als das Selbstbewußtsein der Gemeinde. 3. Rosenzweig,

Cohen und Levinas.

Zum

Forschungsstand}6

Die Liturgie des Versöhnungstages bildet das latente Paradigma des Sterns der Erlösung. Die Grammatik ihrer Sprachzeichen und die dichte eschatologische Beschreibung ihrer liturgischen Zeichen exemplifizieren das Geheimnis des Namens. Mit dieser grammatischen und semiotischen Interpretation wird Rosenzweigs katechetische .Theologie' gegen die Religionsphilosophie Hermann Cohens und auch gegen die Ethik Emmanuel Levinas' profiliert. Selbstverständlich bleibt die erstere als sachliche Voraussetzung, die letztere als produktive Fortführung gültig: Die zentrale Stellung der .Versöhnung' des Versöhnungstages (Kappara, Bedeckung, Reinigung) bahnt sich bei Hermann Cohen an. Die Rationalität der Kappara wird am Beispiel des Schuldbekenntnisses und der Vergebungsbitte (Widduj und Selicha) (rekonstruiert. Der öffentliche Gottesdienst erlangt die Geltung eines irreduziblen vernunftkulturellen Instituts. Gegenüber der prinzipiellen Kultkritik Kants bildet dies vor allem eine methodische Innovation: Religionsphilosophie begreift sich als Urteilslogik gottesdienstlicher Zeichen. Allerdings behauptet Cohens Religionsphilosophie noch einmal die systematische Einheit der Vernunft in der Idee Gottes als Wahrheit und das messiani-

16 Eine Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur bis 1990 bieten: L. Anckaert/B. Casper, 1990. Den aktuellsten internationalen Literaturbericht bietet: H.-C. Askani, 10-37.

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sehe Volk als .Symbol der messianischen Menschheit* (RV, 295.487). Das Verdienst der Väter bildet den „theodiceeischen Leitgedanken der Geschichte." (RV, 373) Orientiert am .theodiceeischen Sinn' der Geschichte droht die Korrelation von Schuldbekenntnis und Vergebung als Restitution ethischer Handlungs- und Zurechnungsfähigkeit funktionalisiert zu werden. Es wirkt wie eine innerjüdische Antwort auf diesen Messianismus, dessen innere Dialektik jetzt nicht mehr zu thematisieren ist, wenn Emmanuel Levinas als Quintessenz des Sterns der Erlösung statuiert: „Heutzutage Jude sein wollen heißt also, noch bevor man an Moses und die Propheten glaubt, das Recht haben, zu meinen, daß die Bedeutung eines Werkes vom Willen her, der es gewollt hat, wahrer ist als von der Totalität, in die es sich einfügen läßt".17 Nicht der idealistische Messianismus Cohens, sondern das von Rosenzweig namhaft gemachte eschatologische Urteil über die Geschichte sei der .älteste Anspruch' Israels18: „Israels Ewigkeit ist ... seine Unabhängigkeit von der Geschichte und seine Fähigkeit, die Menschen als jederzeit reif für das Gericht zu betrachten, ohne daß sie das Ende der Geschichte mit seinem angeblich abschließenden Sinn abwarten müßten."19 Mit dieser These ist in der Tat die Einsicht getroffen, die Rosenzweig von der Konversion ins Christentum zurückhielt und seine .Heimkehr' ins Judentum einleitete. Erneut wird dabei die Liturgie des Versöhnungstages zum Geltungsgrund dieses Anspruchs: Die Homologie des nur Israel gegebenen Namens {Jichud Haschern) enthält das Privileg, schon beim Vater zu sein. Aber die bisher prominenteste, produktive Fortführung des Sterns der Erlösung durch Levinas rückt diese Wiederentdeckung primär in philosophiehistorische Perspektive und in eine typisierte antiidealistische Front. Levinas selbst bleibt aber, wie die Kritik des Werks vom Willen her klar genug zeigt, dem ersten Satz der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten verpflichtet. Dies gilt umso mehr, als Levinas .Leben' als „Ubergang zum Anderen"10 und darin als „das ursprüngliche Faktum von Religion" ansetzt: „Bevor sie Bekenntnis ist, ist die Religion das pulsierende Leben selbst, in dem Gott zum Menschen in Beziehung tritt und der Mensch zur Welt. Religion als die Grundstruktur des Seins, vorgängig zur Totalität des Philosophen."21 Die Innovation der Reli-

E. Levinas, Zwei Welten, 63. " Ebd., 60f: „Dieser älteste Anspruch ist der Anspruch des Judentums, gesondert in der politischen Geschichte der Welt zu existieren. Es ist der Anspruch, diese Geschichte zu beurteilen, das heißt den Ereignissen gegenüber, welche innere Logik sie auch immer verbindet, eine Unabhängigkeit zu bewahren, es ist der Anspruch ein ewiges Volk zu sein." " E. Levinas, Rosenzweig, 120f. 20 E. Levinas, Vorwort, 16. 21 E. Levinas, Zwei Welten, 44; Totalität und Unendlichkeit, 150-170. „Das Judentum ist nicht mehr nur eine Lehre, deren Sätze richtig oder falsch wären, die jüdische Existenz selber ... ist ein wesentliches Ereignis des Seins, die jüdische Existenz ist eine Seinskategorie.'' (Zwei Welten, 34) Daß es sich bei den zitierten Äußerungen um Frühschriften handelt, die nicht repräsentativ für die spätere Entwicklung Levinas sind, ist unverkennbar. 17

202

gionsphilosophie Cohens: der Ansatz zu einer theologischen Analyse gottesdienstlicher Zeichen als Elemente der Urteilsbildung, wird bei Levinas nicht aufgenommen. Diesbezüglich steht Levinas näher beim Kant der Religionsschrift als beim Cohen der späten Religionsphilosophie.22 Cohen und Levinas leisten je auf ihre Weise fruchtbare und problematische Beiträge zu den Analysen und Aporien der verschiedenen Typen von Urteilskraft, die uns, von Kant herkommend, beschäftigen. Innerhalb dieser Konstellation sehen wir den genuinen Beitrag des Sterns der Erlösung in der skizzierten Grammatik und dichten Beschreibung gottesdienstlicher Zeichen als Elemente eschatologischer Urteilsbildung. Die methodische Innovation Cohens wird im Stern durchgeführt. Sofern der Stern eine propädeutische .Theologie' darstellt und einen dialogisch-argumentativen Wahrheitsbegriff entwickelt, ist er durch Levinas nicht überholt und in seiner sprachanalytischen und zeichentheoretischen Anlage methodisch klarer und theologisch fruchtbarer. Daß Hoffnung ein an Beispielen erlernbarer, regelgeleiteter und explorativer, beschreibender und dialogischer Urteilssinn sein könnte, und daß sie einen genuinen Begriff vom Geheimnis des Namens voraussetzt, diese Einsicht bildet das Proprium des Stern. Indem sie den Stern als Grammatik und Semiotik gottesdienstlicher Zeichen charakterisiert, stellt sich unsere Analyse in den Zusammenhang sprachanalytischer und liturgietheoretischer Interpretationen, die vor allem im deutschsprachigen Katholizismus23 und im angelsächsischen Judentum24 gepflegt werden. Indem sie in der Methode des Stern seine genuine Innovation sieht, unterscheidet sich unsere Interpretation von der Rezeption messianischer Topot des Stern, wie sie im deutschsprachigen Protestantismus üblich ist.25 „...das Jüdische ist meine Methode, nicht mein Gegenstand" (BT, 720): Dieses polemische Diktum verlangt Rechenschaft über jene Hoffnung, die wir aussprechen können, und mehr noch über jene, die nicht auszusprechen ist. Die Furcht vor dem Geheimnis des Namens ist Anfang der Weisheit und der Methode.

4. Das ,Bild' erwählender Liebe und das Problem des Anfangs Unsere Analyse setzt im Zentrum des Stern ein: mit dem Bild des .Augenblicks' erwählender Liebe und der .allzeiterneuerten Geburt der Seele' aus

22 Levinas' produktive Fortführung liegt in der phänomenologischen Anthropologie, die (z.B. im Begriff .Diachronie') für die Interpretation unabdingbar ist. 23 Paradigmatisch sind die Arbeiten von B. Casper; H.-J. Goertz; R. Schaeffler. 24 Beispielhaft sind die Arbeiten von N.N. Glatzer; E. Fackenheim; P. Mendes-Flohr; G. Rose; N. Rotenstreich; E.T. Charry; M.D. Yaffe. Der Zusammenhang von Kant, Kantianismus und jüdischer Philosophie wird in ihnen viel intensiver wahrgenommen als in kontinentaleuropäischen Interpretationen. 25 F.-W. Marquardt, Eschatologie 3, 198-212.212-235.

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dem Namen Gottes (S, 174-209). Wir setzen uns mit diesem Einsatz über die Systemform des Stern hinweg. Diese Systemform, die an Schellings Weltalter und Philosophie der Offenbarung anschließt, ist für die Genese des Stern aus der zeitgenössischen Idealismus-Rezeption zwar von hoher Bedeutung. Aber Rosenzweigs Idealismus-Kritik stellt nur den Entdeckungszusammenhang des Stern dar. Sie wird in der Forschung überschätzt. Die Analyse des namenstheologischen Begründungszusammenhangs, auf welche sich die vorliegende Untersuchung konzentriert, wird diesen Entdeckungszusammenhang berücksichtigen, wo es sachlich geboten erscheint. Die spekulative Offenbarungsund Schöpfungsphilosophie Schellings, ihre Vermittlung göttlicher und menschlicher Weisheit im Ubergang zur Positivität von Erkenntnis und Freiheit, und die Logik des unendlichen Urteils bei Hermann Cohen bilden eine Brücke zwischen Kants negativer Theologie und Rosenzweigs Namenstheologie.26 Aber das Problem des Anfangs wird in der folgenden Interpretation anders gestellt. Das Programm erzählender Philosophie der Offenbarung nötigte Schelling zu immer neuen Versuchen negativistischer Konstruktion des Anfangs der Offenbarung, die schließlich in eine Sackgasse führen: Das freie „Aussichselbstherausgehen des Absoluten" bleibt das archäologische .Problem aller Philosophie', an dem sie scheitert.27 Die Frage des Anfangs führt beim mittleren und späten Schelling zur subjektivitätstheoretischen Konstruktion des Anfangs der Erzählung.2' Zweifellos beschäftigte Rosenzweig dies in der Konzeptionsphase des Stern? In unserer Analyse hat die Frage des Anfangs einen methodisch anderen, analytischen Status. Gefragt ist, „womit wir jeweils theologisch zu reden beginnen, worauf sich theologische Aussagen beziehen, von wo sie ausgehen und auf was sie verweisen."30 Die namenstheologische Frage nach dem Anfang geht von der Homologie des Namens aus, die auf die Gabe des Namens, seine Präsenz und Externität, verweist. Die Gabe des Namens im .dialogi26

Dazu: J.L. Marion, Systeme, 429-442, v.a. 441f; R. Gibbs, Correlations, 40-45; St. Moses, System und Offenbarung, 36-43; W. Schmied-Kowarzik, Franz Rosenzweig, 51-90. 27 Z, 37 (Rosenzweigs Einleitung zur Edition des .Altesten Systemprogramms'). 28 F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück (1813), Einleitung, 200-206 [576-582]: .Gottes Geschichte', als das höchste Gewußte kann erst erzählt werden, wenn sich das Erkennen, in dem dieses Ur-Bild der Dinge „als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild" schläft" (200 [576]), vor den Anfang des freien Aussichheraustretens des Absoluten gebracht hat, so daß darin Gottes Vergangenheit selbst spekulativ reflektiert wird. „Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hülfe käme?" (202 [578]) M. Schröter, dessen Schelling-Deutung Rosenzweig kannte (vgl. BT, 157f), zeigt Schellings psychologisch-subjektivitätstheoretischen Ansatz (Weltalter Fragmente, XXIV-XXVI). 29 „Meine Unsicherheit über die Methode meines Denkens besteht darin: ich weiß nicht, wo das .Denken' anfangen (bzw. auch aufhören) muß und das .Erzählen' aufhören bzw. anfangen. Ich habe schon manchmal gemeint, man müßte alles .erzählen' (vgl. Schelling in ... .Die Weltalter' in der Einleitung über historische Philosophie). Ich werde darüber nicht klar werden, ehe ich nicht angefangen habe." (BT, 291, 11.11.1916, an E. Rosenstock-Huessy.) 30 G. Sauter, Analytisches Denken, 162.

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sehen Wort' stellt die theo-logische Einführungssituation des Namens dar. Sie verweist auf den geschichtlichen Anfang der ,Satzwerdung des Namens' (Ex 3,14) zurück, worauf alle Verwendungen des Gottesnamens zurückgeführt werden können. Dieser Anfang ist allerdings aus bestimmten Verwendungen des Namens erst zu rekonstruieren, wobei die tatsächliche Verwendung des Namens in der Namenshomologie des Schema Jisrael und des Jichud Haschern den Ausgangspunkt bildet. Von diesen Homologien ausgehend, fragt der Stern zurück auf die theologische Einführung und den geschichtlichen Anfang des Namens. Die Positivität dieses Neu-Anfangs als .Offenbarung' ist nicht negativ zu konstruieren, sondern im Begründungsaufbau praktisch-logisch zu exponieren. Sie stellt sich am Beispiel dar: in der Alternanz der Glaubenserkenntnis als Urteilssinn, als Selbstbezüglichkeit des Namens, in der nicht aufzulösenden Metaphorik prädikativer Rede der Hoffnung, in der Form ethischer Beschreibung ihrer Lebensform und im theologischen Begriff der Unendlichkeit des Namens, vollzogen als Ubergang zur ikonischen Dichte des Namens. Zwei Mißverständnisse sind zu vermeiden: Die Homologie des Namens bildet auch biographisch den Ausgangspunkt des Stern, und doch bietet der Stern keine Existentialphilosophie oder -theologie. Der existentielle Anfang ist als namenstheologischer Anfang der Umkehr reflektiert. Dieser namestheologische Anfang stellt aber auch keinen logischen Anfang dar: Die namenstheologische Katechese beginnt nicht mit dem transzendentalen Argument, daß wir immer schon sprechen und beanspruchen, uns im Sprechen zu verständigen. Die Homologie des Namens ist keine alltagssprachliche Redesituation, auf die rekurriert werden kann, u m den transzendentalen Anspruch schon immer befolgter Regeln geltend zu machen.

Angesichts der Aporie erzählender Philosophie zeigt der Stern einen bedenkenswerten Ausweg: Die Einführung in die Grammatik gottesdienstlicher Zeichen beginnt jeweils mit der rhetorischen Erzählung eines Bildes. Im Stern werden drei Bilder erzählt: das Bild der Offenbarung des Namens an die Seele (S, 174-193), das Bild der Schöpfung der Welt im göttlichen Wort (S, 124137) und das Bild der Erlösung der geschaffenen Dinge im Werk des Gesetzes (S, 229-240). Die rhetorische, von poetischen Elementen des Hohelieds durchsetzte Erzählung des Augenblicks erwählender Liebe und der .allzeiterneuerten Geburt der Seele' aus dem göttlichen Namen bildet den Anfang. Der Augenblick erwählender Liebe wird im ,Bild des Liebenden und der Geliebten in ihrer weltlosen Zwiesprache' beschrieben.31 Dieses ,Bild' ist nicht daraufhin zu befragen, was es abbildet. Zu erinnern ist an Wittgensteins Begriff religiöser Bilder. „Wenn ich sage, daß er [sc. der Glaubende] ein Bild verwendet, ist das bloß eine grammatische Bemerkung: [Was ich sage,] kann nur durch die Konsequenzen verifiziert werden, die er zieht oder nicht zieht... Alles,

31

Zum biblischen Zusammenhang: F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 3, 240-263.

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was ich charakterisieren wollte, waren die Schlüsse, die er zieht"32. Das ,Bild der Liebenden und der Geliebten in ihrer weltlosen Zwiesprache' ist eine .Wurzelmetapher', die in ihrer „Lebensverankerung und Verwobenheit ins Gesamt der Erfahrung und des Handelns"33 instruierend einführen. Dieses Bild wird durch die Konsequenzen verifiziert, die daraus gezogen werden. Die im Stern erzählten Bilder haben rhetorischen Status: Sie führen in eine bestimmte Verwendung gottesdienstlicher Zeichen, zum Beispiel in den Dialog von Sch'ma Jisrael und Jichud Haschern ein, und damit in eine bestimmte Form der Erfahrung, des Handelns, des Urteilens. Das Bild ,des Liebenden und der Geliebten in ihrer weltlosen Zwiesprache' wird so erzählt, daß dadurch dieser Dialog (z.B. als genuine Verwendung des Gottesnamens) grammatisch beschrieben und (z.B. als selbstbezügliche Gabe des Namens) namenstheologisch exponiert werden kann. Die im Stern erzählten .Bilder' der Offenbarung, der Schöpfung und der Erlösung bildenLehrerzählungen'. Sie sind darauf zu befragen, was aus ihnen für die Verwendung gottesdienstlicher Zeichen folgt. Diese erzählten Bilder sind von Schellings Programm einer erzählenden Philosophie abzurücken: Sie stehen hinsichtlich ihrer Narrativität in der rhetorischen Tradition der narratio als „zusammenhängende^] Ankündigung der Beweisführung" (probationis continua propositio).34 Solche rhetorischen Erzählungen beziehen ihre Überzeugungskraft daraus, daß sie eine Beweisführung eröffnen, die sie beglaubigt. In den drei Teilen des Stern eröffnen diese Bilder jeweils die beschreibende Grammatik bestimmter gottesdienstlicher Zeichen der Gemeinde (der Namenshomologie, der prädikativen Benediktion, der messianischen Doxologie); die Namenstheologie dieser Sprachzeichen und die Hermeneutik eines exemplarischen Textes der kanonischen Schrift (Hhl, Gen 1, Ps 115). Der Text als Text begründet nicht nur Praxis, sondern bringt zugleich die Externität des Namens zum Ausdruck. Dieser Zusammenhang von rhetorischem Bild, grammatischer Beschreibung, Namenstheologie und Texthermeneutik bildet einen methodischen Aufbau, der in seinem instruktiven Charakter bisher noch nicht wahrgenommen wurde, geschweige denn untersucht ist. Er wird nicht in jedem der folgenden Abschnitte neu in seinen Einzelheiten dargestellt. Am Beispiel des Bildes der Erwählung, mit dem die Untersuchung einsetzt, wird er jedoch in bestimmten Aspekten näher erläutert.

32 L. Wittgenstein, Vorlesungen über den religiösen Glauben, 110 (Kursive HA). Der Bildbegriff hat keinerlei abwertenden Sinn; vgl. H. Putnam, Erneuerung, 198f. 33 1.U. Dalferth, Religiöse Rede, 654, über den Bildbegriff Wittgensteins, vgl. ebd. 648-668.

34

Quint. IV, 2,79 (ob es sich in den res gestae der narratio um res factae oder res fictae

handelt, ist dabei für die rhetorische Funktion nicht von Belang). Zur narratio·. H. Lausberg, Handbuch, 163-190; R. Barthes, Rhetorik, 82f: „Die Narration ist also keine Erzählung (im romantischen ... Sinn), sondern eine Argumentationsprotasis."

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§ 9 Präsenz und Externität göttlichen Namens ,„Gott kannst du nicht mit einem Andern reden hören, sondern nur, wenn du der Angeredete bist.' - Das ist eine grammatische Bemerkung."1 „Der Name ist also in Anwesenheit des Genannten nicht aus-, sondern nur anzusprechen, und jeder Name. Aller Name steht ursprünglich im Vokativ. Erst wenn sein Träger herausgegangen ist, kommen die andern Kasus in Frage. Spricht man den Namen eines Anwesenden aus, ohne ihn anzusprechen, so fühlt sich der, wenigstens in diesem Augenblick, so etwas wie .herausgesetzt'. Gott geht aber nie heraus, und die Versuche, seinen Namen auszusprechen, hätten nur Sinn als Versuche, ihn herauszusetzen. Das ist aber wirklich die Absicht. Wenigstens gegenüber dem ,alten Judengotte' ... Denn allerdings, es kommt nur darauf an, ob der Name in meinem Mund ein angesprochener und nicht nur ein ausgesprochener ist. Droht ihm Gefahr, das letztere zu werden, so rette ich mich in einen neuen Namen, der, bloß zwischen mir und dem andern gesprochen, den alten überdeckt. Der erste wird mir dann unaussprechlich, obwohl er durch den zweiten noch durchschimmert und stumm mitgesprochen wird; aber der zweite wird zum eigentlichen Namen, ansprechbar für den, der dazugehört. Wer künstlich auf den alten zurückzugreifen versucht, schließt sich selber aus dem Kreis der Dazugehörigen aus."2

1. Das Bild dialogischer Liebe: Sch'ma und JichucP Das Bild des Augenblicks erwählender Liebe und der .allzeit erneuerten Geburt der Seele' aus dem Namen Gottes (S, 174-209) bildet das Zentrum des Stern. Es wird in einzigartiger metaphorischer Prägnanz erzählt. Der Aporie, daß der göttliche Name hier ausgesprochen, ja vertextet wird, begegnet der Text durch eine Strategie des Ansprechens im Aussprechen. Mehrdeutige intertextuelle Referenzen zeigen an, daß das Aussprechen im Text ein bestimmtes Ansprechen voraussetzt und instruiert. 4 Dazugehörigkeit soll durch den Text angeleitet und evoziert werden. Dieser Anleitung unter Vorbehalt

L. Wittgenstein, Zettel 717, in: ders., Zettel, 429. F. Rosenzweig, J H , lOOf. 3 Das Tetragramm wird im folgenden, wie in der Schriftübersetzung von Buber und Rosenzweig, durch das deutsche Personalpronomen in Versalien notiert. Andere Decknotationen (nach Mendelssohn oder Luther) in Zitaten (der EWIGE, der HERR) werden in Versalien notiert. In der Regel werden hebräische Worte, v.a. Termini, bei ihrem ersten Auftreten in (ZAW-)Umschrift angegeben (unvokalisiert, wie in den Quellen bei Rosenzweig und Cohen). Bei liturgischen Textstücken folgt die vereinfachte Transkription den Standardwerken von I. Elbogen und L. Trepp. 4 Rosenzweigs Text ist auch biographisch transparent für Rosenzweigs Rekonversion vom Herbst 1913 und auf den Briefwechsel mit Margrit Rosenstock 1918/19; dazu: H.M. Stahmer, Letters of Franz Rosenzweig to Margrit Rosenstock-Huessy. 1

2

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des Namens dient die Intertextualität des rhetorischen Bildes dialogischer Liebe.5 Es schützt auf diese Weise „die Geheimnisse durch Aussprechen besser ... als durch Verschweigen"6.

1.1,Stark wie der Tod' (Hbl 8,6) Das rhetorisch erzählte Bild des Augenblicks erwählender Liebe zwischen ,dem Namen' und der ,Seele' referiert zunächst beständig auf das Hohelied. Anfang und Ende der Lehrerzählung bilden zwei widersprüchliche Interpretationen von Hhl 8,6, worin dialogische Liebe im Hohenlied selbst reflex wird. Heißt es am Beginn: „stark wie der Tod [sc. ist Liebe]. Das ist, wie alle irdische Liebe, nur ein Gleichnis" (S, 174), so am Ende: „Alles Vergängliche mag nur ein Gleichnis sein; die Liebe ist nicht ,nur', sondern ganz und gar und wesentlich Gleichnis; denn sie ist nur scheinbar vergänglich, in Wahrheit aber ewig." (S, 224) Der Widerspruch fungiert als Leseanweisung. Irdische Liebe ist vergänglich und endlich, also im Vergleich mit göttlicher Liebe nur .Gleichnis'. Die zweite Aussage formuliert eine grammatische Regel: Gleichnis ewiger als augenblicklicher Liebe ist Liebe in ihrer Zwie-Sprache. Die Sprachbewegung des Dialogs im Hohenlied ist Gleichnis der Sprachbewegung von Namensruf und Namensanrufung im Schema Jisrael.7 Die allegorische Auslegung des Hohenlieds, die vom selbstverständlichen Wissen ausgegangen sei, „daß in der Sprache der Unterschied von .Immanenz' und .Transzendenz' erlischt" (S, 222), wird zur grammatischen: Gleichnis erwählender Liebe ist die erotische Zwiesprache im Hohenlied, ist die Sprachbewegung der Liebe (vgl. S, 222-224). Rosenzweigs rhetorische narratio dieser Liebe instruiert die dialogische Homologie des göttlichen Namens, in welchem der Unterschied von Immanenz und Transzendenz, den eine bestimmte Sprachtheorie statuiert, substituiert und präzisiert wird. Dieser Unterschied weicht der neuen, präziseren Unterscheidung von Präsenz und Externität des göttlichen Namens in seiner Homologie: Der Name, der sich augenblicklich gibt und seine Verewigung durch die Homologie der .Seele' evoziert, bleibt der Homologie zugleich extern. .Der Name' wird homologisch verewigt, nicht aussagend repräsentiert. Darin zeigt sich seine singulare Dichte oder anders: die Herrlichkeit göttlichen Namens. Der göttliche Name begründet die Homologie, doch so, daß darin zugleich die innere Grenze dieser Homologie begründet wird. Diese innere Grenze

5 Rhetorik und Eschatologie von Intertextualität sind luzide dargestellt bei: R. Hays, Echoes, 122-192. 6 G. Scholem, Zehn unhistorische Sätze, 265. 7 Zum Terminus .Sprachbewegung*: E. Fuchs, Hermeneutik, 126-134.211-265; H. Lipps, Untersuchungen, 12f.20.24. Zur Explikation: § 11,2.

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kennzeichnet die homologische Rede als Rede aus Glaube auf Hoffnung. In der Gleichzeitigkeit von erkannter Unreinheit („Weh mir, denn ich werde geschweigt, denn ich bin ein Mann maklig an Lippen und bin seßhaft inmitten eines Volkes maklig an Lippen, - denn den König, IHN den Umschatten, haben meine Augen gesehn!", Jes 6,5 BR) und erhoffter Reinigung („Dann aber wandle den Völkern ich an eine geläuterte, gereinigte Lippe, daß sie alle ausrufen SEINEN Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen", Zeph 3,9 BR) bewegt sich die Homologie.

1.2 Geltung und Reichweite des Namens Gottesdienstlich-dialogische Homologie bilden die zweite intertextuelle Referenz der Rosenzweig'schen narratio. Diese, für den nichtkundigen Leser verstecktere, Referenz nennt Rosenzweig explizit: In der Beschreibung der Liebe zeige sich unwillkürlich der genuin jüdische Erwählungsglaube und seine Hoffnung. Dieses intuitiv Jüdische könne nur eine grammatische Analyse aufklären: „Dazu müßte man es [sc. das ganze Buch] Satz für Satz kommentieren, besonders II 2 [sc. den Text von S, 174-209], wo neben der offenkundigen (durch die Zitate) Beziehung auf das ,Α.Τ.' [sc. das Hohelied] eine verstecktere auf die jüdische Liturgie hergeht und die Reihenfolge der Kategorien z.T. bestimmt."8 Liturgische Sprachzeichen, insbesondereJichud und Schema, auf Widduj und Selicha bilden die Elemente dialogischer und erwählender Liebe (S, 193-206). Der augenblickliche Dialog erwählender Liebe kann in bestimmten liturgischen Texten wiederholt, er kann in bestimmter Hinsicht sogar erlernt werden. Er soll so erlernt werden, daß der Name als gegenwärtiger angesprochen, aber nicht als arbiträr zu vergegenwärtigender ausgesprochen wird. Die Sprache der Liebe ist flüchtig und augenblicklich. Aber das täglich wiederholte Sch'ma Jisrael (sm' ysr'l) ist ihr Beispiel: der Vokativ, der Namensanruf, der erwählt; die verdeckte Preisgabe des einzigen Namens; und das Gebot des Liebenden, IHN zu lieben. „Höre Jisrael: ER unser Gott, ER Einer! Liebe denn IHN deinen Gott Mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht."9

' BT, 637f, an Hans Ehrenberg, 7.7.1919. 9 Übersetzung und Kolon-Aufteilung nach der Schriftübersetzung von Buber-Rosenzweig. Pronomina in Versalien indizieren die Deckaussprache des tetragrammaton. Die Kolonaufteilung im dritten Kolon ( - Sprechabsatz, Atemzug-Einheit, Sinnzeile) notiere die Differenz von Gottesliebe und Nächstenliebe: Gottesliebe fülle den Kolon und stehe ohne direktes Objekt,

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Die Sprache dieser Liebe, dieser Vokativ, diese verdeckte Nennung und dieses Gebot der Liebe dieses Namens, bildet den Zugang zur Erwählung als allzeit erneuerter Geburt der Seele. Das Sch'ma Jisrael10 bildet das Zentrum des täglichen jüdischen Morgen- und Abendgebets. Es stellt Dtn 6,4 in den Zusammenhang dreier Benediktionen und formt es als Dialog zwischen Gott und Gemeinde: -

-

-

-

Die erste Benediktion Jozer (ywsr)(,Gott, der das Licht erschaffen und die Finsternis gebildet', Jes 45,7) und die Keduscha (mit dem Trishagion, Jes 6,3) der Seraphim und Ophanim, in welche die Gemeinde einstimmt; Die zweite Benediktion Ahaba rabba oder Ahabat olam ('bbb rbb oder 'hbt 'wlm) (.Gottes ewige Liebe in der Offenbarung des Namens und der Lehre des Gesetzes'); Das Sctfma Jisrael im engeren Sinn (Dtn 6,4): Dieses wird vom Vorbeter halb rezitiert {Sch'ma), sodann unterbrochen durch Baruch scbem als Responsion der Gemeinde. Dann folgt das Liebesgebot (Wababta): „Höre, Israel, ER, unser Gott, ER Einer! Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig11 Liebe denn IHN, deinen Gott, mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht." Dtn 6,5-9; 11,13-21; Num 15,37-41; Die dritte Benediktion Ge'ulla (g'wlh) (.Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten und Bitte um künftige Erlösung Judas und Israels').12

Die das Sch'ma Jisrael rahmenden Benediktionen bestimmen den mit Namen genannten als Schöpfer, Erwählender und Erlöser. Die Präsenz des Namens begründet die temporale Staffelung von Offenbarungsgegenwart, Schöpfungsvergangenheit und Erlösungszukunft, die göttliche Ökonomie. Diese simultane Ökonomie wird im Stern sukzessive erzählt.13 Die Dialoghandlung von Sctfma und Baruch schem·. Anruf mit Namen, Gabe des einzigen Namens, Homologie des Namens, bildet dafür den Anfang.

das erst im nächsten Kolon als Name folge (im Hebräischen konstruiert mit .Akkusativ'). Im Unterschied dazu habe die Nächstenliebe ihr direktes Objekt im selben Kolon: „Liebe Deinen Genossen/Dir gleich" (im Hebräischen an dieser Stelle konstruiert mit .Dativ'), vgl. A. 167: zu Dtn 6,4-5, und A, 140: zu Num 19,18. 10 Wir unterscheiden im folgenden: Sch'ma Jisrael im weiteren Sinn - die ganze Sequenz; Sctfma Jisrael im engeren Sinn - Dtn 6.4; Sctfma - die erste Halbzeile: „Höre, Israel, der Ewige, unser Gott, der Ewige ist einzig!" 11 Baruch Schem (angelehnt an Ps 72,19) wurde bereits im Jerusalemer Tempel als Erwiderung beim Aussprechen des Gottesnamens gebraucht. Später ging es in den ursprünglich alternierenden Vortrag des Sctfma Jisrael ein (Elbogen, 22.25f). 12 Sidur, 33-40. Zur Geschichte: Elbogen, 16-26; Trepp, 24-28. Die Anordnung der Stücke findet sich bereits in der Mischna (Ber 1,2.4) und geht auf die Tempelzeit zurück. 13 Dazu die §§ 9.11 und 12.13; zum Gesetz der Simultaneität und Sukzession: § 12 Exkurs.

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Selfma und Baruch Schern stellen für Rosenzweig wie für Cohen die grundlegende Homologie des jüdischen Glaubens dar. Ihre eschatologische Präsenz werde am Ende des Versöhnungstags ausdrücklich, im Jichud (yhwd oder 'hd)u der siebenmaligen Verkündung göttlicher Einzigkeit. Jichud steht nach dem letzten Gebet des Versöhnungstags und vor Wochentagsbeginn, begeht also die Schwelle zwischen eschatologischer Erlösung und Alltagsleben und darin die singulare Nähe zwischen ,dem Namen' und dem .ewigen Volk'. Ne'ila, das letzte Gebet des Versöhnungstages, schließt die zehn Bußtage von Neujahr bis zum Versöhnungstag ab, in denen Gericht und Vergebung begangen wurden. Jetzt, am Ende dieser zehn »Tage des Erschauerns' bittet Jichud um Versiegelung im Buch der Vergebung und des Lebens. Es begeht „die Stunde der Sündenvergebung im eigentlichen Sinne"15, bevor die Himmelstore mit dem Anbruch der Nacht geschlossen werden.16 Nach dem Eintritt der Nacht, gleichsam im Momeht des Torschlusses, beten „bei geöffneter heiliger Lade" Vorbeter und Gemeinde „mit größter Andacht": Höre, Israel, ER, unser Gott, ER Einer! einmal Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig! dreimal ER, er allein ist Gott! siebenmal.17 Dann wird die Lade geschlossen, das Schofar geblasen.

EXKURS: JICHUD HASCHEM DES VERSÖHNUNGSTAGS

Die siebenmalige Homologie des Namens des Einzigen, die Einigung Gottes (Jichud), bildet einen wichtigen Schlüssel für Rosenzweigs eschatologische Beschreibung des Versöhnungstages. Für den im Sommer 1913 zur Konversion ins Christentum Entschlossenen bestätigte und begründete die Feier des Versöhnungstages im Oktober 1913 in Berlin die Rückwendung und Heimkehr ins Judentum. Das Jichud steht am Ausgangspunkt einer Theologie, welche die Hoffnung auf den einzigen Namen und die dichte Herrlichkeit dieses Namens als Stern der Erlösung begreift: Der Name als Verheißung begründet die Geltungsdifferenz der jüdischen und der christlichen Homologie und

14 Rosenzweig nennt (aschkenasisch) dieses Gebet Echod (BT, 165; 447); Cohen (RV, 48) präzisiert es ausdrücklich durch den rabbinischen Terminus Jichud. Der Name des Gebets (Machsor Versöhnungstag, 361) lautet entsprechend: yhwd him (Jichud Haschem). 15 1. Elbogen, 152. " Historisch erwuchs Ne'ila aus dem Gebet zur Stunde des Torschlusses im Tempel (Elbogen, 152f). Diese Reminiszenz liegt dem Titel des Epilog zum gesamten Stern zugrunde (S, 465-472): ,Tor' (ins Leben). Auch dies ist ein Indiz dafür, daß der gesamte Stern im Grunde den einen Augenblick des Jichud expliziert. 17 Machsor Versöhnungstag, 361. Trepp, 150, hebt den zahlenmystischen Sinn der siebenmaligen Wiederholung hervor (sieben Himmelsphären führen bis vor Gottes Thron).

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ihrer Grammatiken; zugleich aber kommt die Reichweite des Namens dieser Differenz zuvor, weil der Name, der die Wahrheit dieser Homologien begründet, ihnen auf bestimmte Weise extern bleibt. Dieses .Geheimnis' der Hoffnung erlaubt, die begründete Rückkehr zum eigenen Judentum von der Letztbegründung seiner Wahrheit (.Absolutheit') zu unterscheiden. Dies bildet die Basis des wirklichen, argumentativen Gesprächs mit Christen und christlicher Theologie, ohne Ermäßigung der Unvereinbarkeit ihrer Homologien. „Mein ganzes Erlebnis war auch damals [sc. 1909-1913] nicht Christus (ein Glaubenserlebnis)[,] sondern Christen (ein Liebeserlebnis). Mein Glaubenserlebnis blieb wie du wohl weißt in jener ganzen Zeit mir unverändert als jüdisches gegenwärtig. Und in dem Augenblick, wo ich, am ersten Tag in Berlin [1913], zum ersten (und einfüralle-) Mal die Hoffnung erlebte, war die objektive Grundlage {der Schnittpunkt im Unendlichen) gefunden, ... der Widerspruch zwischen diesen beiden Erlebnissen war da geschlichtet. Auf dieser Grundlage [sc. des Himmels der Zukunft] steht seitdem alles bei mir."18 Die begründete Rückkehr zum Judentum macht gegen die Einzigkeit Jesu als Weg, Wahrheit und Leben (Joh 14,6) das Bekenntnis zum einzigen Namen als die Berufung Israels zum ewigen Volk namhaft. Dieses exklusive Bekenntnis enthält das Privileg, schon beim Vater zu sein. Es enthält, verbunden damit, den Anspruch, „gesondert in der politischen Geschichte der Welt zu existieren. Es ist der Anspruch, diese Geschichte zu beurteilen, das heißt den Ereignissen gegenüber, welche innere Logik sie auch immer verbindet, eine Unabhängigkeit zu bewahren, es ist der Anspruch ein ewiges Volk zu sein."19 Der Makel ahistorischer Existenz Israels20 erweist sich für Rosenzweig jetzt als das älteste jüdische Privileg, nämlich als Privileg, „die Menschen als jederzeit reif für das Gericht zu betrachten, ohne daß sie das Ende der Geschichte mit seinem angeblich abschließenden Sinn abwarten müßten."21 Zugehörig zum ewigen Volk, wird für Rosenzweig die Konversion „nicht mehr notwendig und daher, in meinem Fall, nicht mehr möglich. Ich bleibe

1! Brief Franz Rosenzweigs an Rudolf Ehrenberg vom 25.8.1919 (BT, 642f, Kursive HA). Zur genauen Datierung der Rekonversion zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur 1913 und ihren Hintergründen: R. Horvitz, Warum ließ Rosenzweig sich nicht taufen?, 79-96. " E. Levinas, Zwei Welten, 60f. 20 Rosenzweigs Entschluß zur Konversion wurde durch Eugen Rosenstocks fulminante Kritik des Judentums und seiner völlig ahistorischen und apolitischen Natur ausgelöst. Die Fulminanz der Kritik hallt noch drei Jahre später, in Rosenstocks Brief vom 30.10.1916, nach: „Der Jude stirbt für kein Vaterland und für keine Mission. Er lebt deshalb, weil er die Schranke des Lebens nicht erlebt, von einer gespenstischen Widerspiegelung alles wirklichen Lebens, das ohne das Todesopfer und die Nähe des Abgrundes undenkbar ist. Damit Juda lebe, hängt der einzelne Jude von dem Erfolge, von der Zahl seiner Kinder, ab. Er ist ein Paragraph des Gesetzes; c'est tout." (BT, 280) Am klarsten analysiert diese Frage: A. Altmann, Rosenzweig on History, 128-130; ders., Franz Rosenzweig and Eugen Rosenstock, 258-270. 21 E. Levinas, Franz Rosenzweig, 120f.

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also Jude." 22 Mit dem Israel und nur Israel offenbaren Namen und in seiner Bezeugung ist für Israel bereits alles vollendet: Die eschatologischen Bußtage zwischen Rosch haschana und Jörn kippur stellen Israel (mit den Sündern und stellvertretend für sie) ins Gericht, das in Ne'ila mit der Versiegelung ins Buch des Lebens (oder Todes) endet. Die durch den Namen vor dem Namen Gereinigten und Reinen bekennen (für und anstelle der Sünder) den einzigen Namen. Die Heiligung des Namens als Heiligung der geschaffenen .Dinge* durch das Gesetz als messianiscbe Lebensform des .ewigen Volkes' ist dann Bewährung des ihm gegebenen Namens. Der früheste Beleg für diese Unterscheidung von Messianismus und Eschatologie findet sich im September 1916 (Z, 91): Rosenzweig unterscheidet diese Welt (h'wlm hzh), das sind die messianischen Tage, die schon „heute" sind und doch „noch im Kommen"23, und die kommende

Welt Gottes, (h'wlm hb), die kein Auge je gesehen hat (Jes 64,3)

in welcher Gott alles in allem sei. Zu unterscheiden ist die messianische Geltung des Namens: das ,ewige Volk', das den Namen ,in Abraham' hört und im .Gesetz' bewährt, und die eschatologische Reichweite des Namens. Die Homologie des Namens des Einzigen nimmt präzise jenen Ort ein, der für den christlichen Glauben durch seine fundamentale Homologie des Namens Jesu besetzt ist: „κύριος Ιησούς - Jesus ist der Herr" (Phil 2,11; Rom 10,9; IKor 12,3; 2Kor 4,5; Kol 2,6).24 Durch Kreuz und Auferweckung ist Jesus der Name über allen Namen verliehen (Phil 2,9). Der Anspruch, daß Israel in der Homologie des Namens des Einzigen bereits jenseits des Gerichts stehe und von dort aus sein genuines Urteilsrecht ausübe, trennt die Grammatik der Bekenntnisse, deren Geltung in der Logik des ihnen gegebenen Namens gründet. Dies formuliert Rosenzweig in einem berühmten Brief einige Wochen nach seiner .Heimkehr': „Das Christentum erkennt den Gott des Judentums an, nicht als Gott aber als den .Vater Jesu Christi'. Es hält sich selbst an den .Herrn', aber weil es weiß, daß nur er der Weg zum Vater ist. Er bleibt als der Herr bei seiner Kirche alle Tage bis an der

22

BT, 132f, 31.10./1.11.1913. Dabei muß nochmals differenziert werden, um die traditionelle Messias-Erwartung integrieren zu können: „Die Ankunft des Messias ist eben schon .heute', aber er ist noch nicht gekommen; es ist noch nicht das rechte .Heute'" (Z, 91). Die traditionell-personale MessiasErwartung bleibt ein Fremdkörper. Sie hat im Stern keine Bedeutung. Generell gilt zur Verwendung von ,messianisch\ JAessias': Im Vordergrund steht die messianische Lebensform .Gesetz*. Der Messias (wie sein Prototyp David) gilt demgegenüber als der exemplarische Mensch und Sünder. der durch Gott gereinigt wird und vor Gott sich reinigt: „... der Mensch in und aus seinen Sünden, und anders nicht, zum Werkgenoß Gottes berufen und Gott selbst der wahre und einzige Erlöser." (fH. 158) Durch die Auseinandersetzung mit dem Zionismus gewinnt der politische Messianismus in den 20er Jahren jedoch an Bedeutung. 24 .Kyrios Jesus!' ist Rechtsakt, nicht Glaubensbekenntnis: J. Gnilka, Philipperbrief, 128f. 23

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Welt Ende. Dann aber hört er auf, Herr zu sein, und wird auch er dem Vater Untertan sein, und dieser wird - dann - Alles in Allem sein [IKor 15,28]. Was Christus und seine Kirche in der Welt bedeuten, darüber sind wir einig: es kommt niemand zum Vater denn durch ihn [Joh 14,6]. Es kommt niemand zum Vater anders aber wenn einer nicht mehr zum Vater zu kommen braucht, weil er schon bei ihm ist. Und dies ist nun der Fall des Volkes Israel (nicht des einzelnen Juden). Das Volk Israel, erwählt von seinem Vater, blickt starr über Welt und Geschichte hinüber auf jenen letzten fernsten Punkt, wo dieser sein Vater, dieser selbe, der Eine und Einzige - .Alles in Allem'! - sein wird. An diesem Punkt, wo Christus aufhört der Herr zu sein, hört Israel auf erwählt zu sein; an diesem Tage verliert Gott den Namen, mit dem ihn allein Israel anruft; Gott ist dann nicht mehr ,sein' Gott. Bis zu diesem Tage aber ist es Israels Leben, diesen ewigen Tag in Bekenntnis und Handlung vorwegzunehmen, als ein lebendes Vorzeichen dieses Tages dazustehen, ein Volk von Priestern, mit dem Gesetz, durch die eigene Heiligkeit den Namen Gottes zu heiligen."25

Diese im christlich-jüdischen Dialog vielleicht meistzitierte Äußerung Rosenzweigs hat zentralen Stellenwert. Aber sie darf nicht als Resultat mißverstanden werden. Sie ermäßigt die Unvereinbarkeit der Homologien nicht, im Gegenteil. Sie markiert gerade deshalb den Einsatzpunkt der namenstheologischen Bemühung Rosenzweigs. Mit ihr beginnt das Wiedererlernen eschatologischer Urteilskraft und des messianischen Lebens im Gesetz. Dieses erhält im Stern die Form katechetischer Einführung in den göttlichen Namen und sein logisches und ikonisches Geheimnis: An beispielhaften gottesdienstlichen Sprachzeichen wird die Rückkehr in die Lebensform Gesetz erlernt. Gerade weil darin die Unvereinbarkeit der Namenshomologien erlernt wird, geht diese Einführung am Ende zu bestimmten liturgischen Zeichen über, in der sich die größere Reichweite des Namens ikonisch, nicht logisch anzeigt und die Differenz der Geltungsbereiche durchkreuzt. Die Reichweite des Namens über allen Namen führt über die frühe apologetische Konstruktion des Gegenübers von Judentum und Christentum hinaus zur dichten dialogischen Beschreibung der Hoffnungszeichen des Namens, in denen sich das Geheimnis anzeigt, ohne abschließend ausgesagt und behauptet werden zu können.26

25 BT, 134f, 31.10./1.11.1913. Daß sich diese Einsicht tatsächlich aus dem Jichud expliziert, bestätigt ihre Wiederholung im Juni 1914: „Das 'hd [.Einer1] am Schluß des ywm kpwr [Versöhnungstag] enthält das, was für den Christen - .Gott alles in allem' - erst nach dem Ende der Erde liegen kann. Oder: für den Christen hat der vorjüngste Tag (mit der Ankunft des Messias) bereits begonnen, während ihm der jüngste absolut zukünftig liegt. Uns umgekehrt" (BT, 165 Tagebuch vom 27.6.1914). Die Rede vom .vorjüngsten Tag' weicht ab 1916 dem Begriff des .messianischen Heute*. 26 Der keineswegs selbstverständliche Stellenwert der eschatologischen Hoffnung führt zur Abkehr vom Messianismus Hermann Cohens. Cohen setzt demgegenüber noch 1918 das messianische Handeln, welches das Gottesreich in der Geschichte sichtbar herbeiführt, der eschatologischen Hoffnung der Christen entgegen: „Von wahrhafter Tiefe und dabei von höchster Klarheit ist der Satz des Talmud [sc. Ber 34b], nach welchem Maimonides sich gerichtet hat;

214

2.1 Präsenz

2. Grammatik

des einzigen

Namens

des Namens

und homologische

(Sch'ma und Jichud)

Verewigung

„Stark wie der Tod ist Liebe" (Hhl 8,6). Dieses rhetorische Bild charakterisiert die Zwiesprache der Liebe als Gleichnis der Zwiesprache erwählender Liebe. Das Bild der Liebe, die stark ist wie der Tod, sei „das einzige, was über die Liebe gesagt, aus-gesagt ... werden kann; alles andre kann nicht ,über' sie gesagt .werden', sondern nur von ihr selber gesprochen" werden (S, 225). Es bildet nicht ab, sondern charakterisiert die ,weltlose' Zwiesprache von Sch'ma, Baruch Schern und Jichud. Im Augenblick seiner Präsenz gibt sich der Name an ,die Seele' preis; er wird in der Antwort der .Seele' verewigt. Der Name wird im Bekenntnis verewigt. Er selbst gibt sich nur augenblicklich. Die Liebe des Liebenden ist neue, erste Liebe: „ereignetes Ereignis ... zugleich schicksalhafte Gewalt über das Herz, in dem sie erwacht, und doch so neugeboren, so - zunächst - vergangenheitslos, so ganz dem Augenblick, den sie erfüllt, und nur ihm selbst entsprungen" (S, 178). Augenblickliche Liebe ist anfänglich und frei. Sie kann weder auf intentionalen Willen noch auf Bedürftigkeit zurückgeführt werden. Sie sei Sich-Offenbaren. Liebe „ist nicht Eigenschaft des Liebenden ... Sondern Liebe ist momenthafte Selbstverwandlung, Selbstverleugnung des Menschen; er ist gar nichts andres mehr als Liebender, wenn er liebt ... der Mensch stirbt in den Liebenden hinüber und steht in ihm wieder auf. Bedürftigkeit wäre eine Eigenschaft. Wie aber hätte eine Eigenschaft Platz in dem engen Räume des Augenblicks?" (S, 182) Der Name, der sich gibt, wird zum Ruf der Auserwählung: Sch'ma Jisrael! Er unterbricht, genauer: er sondert aus und stellt vor das Angesicht.27 „Der Jude ist durch das 'hd, das er ruft, ausgeschaltet aus der lebendigen Weltgeschichte, ist ans Ende der Welt gestellt, das sm'ysr'l ist immer der Ruf der Todesstunde. Das 'hd als das andre gegenüber aller Welt (und als das Eine nur, weil es dies schlechthin andre ist), so haben es auch die jüdischen Reli-

,alle Propheten haben nur geweissagt für die Tage des Messias', aber von der künftigen Welt gilt: ,ein Auge hat sie nicht gesehen, außer dir Gott allein. Er mache es wirklich dem auf sie Harrenden' Qesaja 64,3)" (RV, 363). .Hoffnung' ist bei Cohen negativ konnotiert als blinde, deshalb schwankende Erwartung eines für die Erkenntnis Undurchdringlichen: „Die Unsterblichkeit aber gehört unter die Geheimnisse Gottes; sie ist ein Gegenstand der menschlichen Hoffnung. Die messianische Zukunft wird so dem Gebiete der Hoffnung entrückt, weil sie unmittelbar zum Gottesglauben selbst gehört. Die messianische Zuversicht wird dem Schwanken und der Ungewißheit enthoben, mit denen Hoffen und Harren nun einmal verbunden scheinen. Sie gehört daher schlechthin zur Gotteserkenntnis, und sie bekräftigt dieselbe als Liebe zu Gott." (RV, 364) 27 „Die Offenbarung ist der Seele das Erlebnis einer Gegenwart, die auf dem Dasein der Vergangenheit zwar ruht, doch nicht darin haust, sondern im Lichte des göttlichen Antlitzes wandelt" (S, 174). „O Glück des Volkes, die den Schmetterruf kennen! Du, im Lichte Deines Antlitzes gehen sie" (Gebet nach dem Schofarblasen an Rosch haschana, vgl. Ps 89,16). 215

gionsphilosophen verstanden." (Ζ, 622) Das Sch'ma Jisrael ruft aus dem privativen Nichtsein28 vor das Angesicht des Einzigen. Das Hören dieses Rufs .stillt' die Seele: „Die Seele ist in Gottes Liebe stille wie ein Kind in den Armen der Mutter ... Diese Stille der Seele in ihrer aus der Nacht des Trotzes auferstandenen Treue ist das große Geheimnis des Glaubens" (S, 191, vgl. Ps 131,2). Stille der Reflexion beschreibt die Wachheit interesselosen Hörens, dem es nicht mehr um sein Sein zu tun ist: „Ich schlief, doch mein Herz war wach. Horch mein Geliebter klopft" (Hhl 5,2).29 .Seele* bedeutet die passive „Eigenschaft des Geliebt-seins" (S, 189), die bestimmte Wachheit für die Stimme des Freundes, Hören des Herzens. Die Antwort der Seele ist nichts als der Versuch, den Augenblick zu verewigen, in dem sich der Name zu hören gab. Die Gegenwart des Namens wird in der Antwort zur vergegenwärtigten, verewigten. Baruch Schern, der liturgische Lobwunsch, der Sclfma Jisrael unterbricht, um den gehörten Namen zu segnen, ist exemplarischer Ausdruck dieser .Sehnsucht' nach einer Präsenz, die sich in der Aussage nicht repräsentieren, wohl aber in der Benediktion .verewigen' läßt: „Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig." Diese Verewigung der erwählenden Liebe im Lob des .ewigen Volks' formuliert die Benediktion Ahabat olam, die das Sch'ma Jisrael einleitet: „Mit ewiger Liebe hast du uns geliebt"30. Ohne die liturgische Sequenz von Ahabat olam und Baruch Schern zu nennen, aber mit unverkennbarer Anspielung auf sie, kommentiert Rosenzweig: „Der treue Glaube der Geliebten bejaht die im Augenblick gebundene Liebe des Liebenden und verfestigt auch sie zu einem Dauernden. Das ist die Gegenliebe: der Glaube der Geliebten an den Liebenden. Der Glaube der Seele bezeugt in seiner Treue die Liebe Gottes und gibt ihr dauerndes Sein. Wenn ihr mich bezeugt, so bin ich Gott, und sonst nicht ... Der Liebende, der sich in der Liebe preisgibt, wird in der Treue der Geliebten aufs neue geschaffen und nun auf immer. Das .auf ewig', das die Seele im ersten Uberschauertwerden von der Liebe des Liebenden in sich vernimmt, ist keine Selbsttäuschung ... es erweist sich als eine lebendige, schöpferische Kraft, indem es die Liebe des Liebenden selber dem Augenblick entreißt und sie einfürallemal - verewigt." (S, 191) Allerdings: Die Verewigung des Namens in der Antwort der Seele bleibt Bekenntnis aus Glauben auf Hoffnung. Die sprachliche Homologie bleibt stets zugleich hinter der bestimmten Präsenz des Namens zurück; ihre Verspätung, die den Dagewesenen nur noch er-

28 Zu diesem klärungsbedürftigen Begriff vom Nichtsein als nihil privativum (μή ών, vgl. Rom 4,17; IKor 1,31!) Kants Tafel der Begriffe des Nichts (KrV, Β 348f; 3,307): „Realität ist etwas, Negation ist nichts, nämlich, ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kälte (nihil privativum).· (KrV, Β 348; 3,306) 29 Ε. Levinas, Vom Bewußtsein zur Wachheit, in: Gott, 44-78. 30 Beginn der Beracha Ahaba im Abendgottesdienst; nach Saadja, der sich an Jer 31,3 anlehnt, bei jeder Verwendung der Benediktion (Trepp, 26; Elbogen, 20).

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innert, und ihre Erwartung, die den Kommenden dringlich sucht, charakterisieren sie: „Ich öffnete meinem Geliebten: Doch der Geliebte war weg, verschwunden. Mir stockte der Atem: Er war weg. Ich suchte ihn, ich fand ihn nicht. Ich rief ihn, er antwortete nicht ..." (Hhl 5,6). Die Paradoxie einer Verewigung des Geliebten im eigenen sprachlichen Ungenügen ist eine charakteristische Sprachbewegung und kennzeichnet die lyrisch-rhetorische Figur der dissimilitude: Im Vergleich von Liebe und Tod wird gerade das Unvergleichliche und Singulare der Liebe pointiert.31 Die Redefigur lyrischer dissimilitudo bildet eine Grundfigur im Hohenlied: „Die Kraft jener grundlegenden Verneinung äußert sich auch darin, daß das Hohe Lied als einziges unter allen biblischen Büchern anhebt mit einem Komparativ, - .besser denn Wein* [Hhl 1,2]; die Eigenschaft ist hier verglichene, also perspektivisch von einem alle andern Punkte verneinenden .Standpunkt' aus gesehene, nicht rein in ihrer Gegenständlichkeit daseiende und da, wo sie ist, seiende." (S, 225) Das dissimtle als Figur metaphorischen Negierens spielt an, um zu verneinen und Einzigartigkeit zu insinuieren. Sie durchläuft die Beispielkette verneinter Metaphern (z.B. des konventionell Vollkommenen), um in der Ähnlichkeit zu verunähnlichen.32 In der Verneinung sind umgekehrt die verneinten semantischen Bereiche als gültige vorausgesetzt. „Rhetorically, the act of positing a dissimile and then lavishly developing it has a backlash effect: ... connotations bleed over from the denied images to the entity with which they are discompared."33 Die Seele durchläuft die metaphorische Verneinung geschöpflicher Prädikationen, um in der Einzigkeit des unaussprechlichen Namens Ruhe zu finden. „In diesem Sieg der lebendigen, gottgeliebten Seele über das Sterbliche ist alles gesagt ..., nämlich nichts über sie selbst, sondern nur über ihr Verhältnis zur Schöpfungswelt ... Sie schwebt darüber" (S, 226). Das Gleichnis der Liebe, die .stark wie der Tod' ist - als Einführung in die Zwiesprache von Ruf und Anbetung - beschreibt so zum einen Gottes Präsenz im Namen, der sich gibt und im Augenblick der Offenbarung in die Seele .hinüberstirbt'; sie beschreibt zum anderen seine Verewigung im Bekenntnis der .Seele', des .ewigen' Volks: Mit ewiger Liebe hast du uns geliebt. Diese Korrelation nennt Rosenzweig: Offenbarung.

31 Zur rhetorischen Figur der dissimilitudo in der alten Rhetorik: H. Lausberg, Handbuch, §§ 420,2; 423,1b; 558; 421: „das exemplum wird als Träger einer gültig gemeinten Ernstbedeutung in den Dienst der causa genommen: die Eigenbedeutung des exemplum ist ein spielerisches Mittel zur Erreichung des Zieles der Ernstbedeutung." (ebd., 232) 32 Als Paradigma stehe Shakespeares Sonett 18: „Shall I compare thee to a summer's day? Thou art more lovely and more temperate: Rough winds do shake the darling buds of May, And summer's lease hath all too short a date: Sometime too hot the eye of heaven shines, And often is his gold complexion dimm'd; And every fair from fair some time declines, By chance, or nature's changing course, untrimm'd; But thy eternal summer shall not fade Nor lose possession of that fair thou ow'st; Nor shall Death brag thou wander'st in his shade, When in eternal lines to time thou grow'st: So long as men can breathe or eyes can see, So long lives this, and this gives life to thee." 33 R. Hays, Echoes, 142, vgl. 140-142.148f.152 (zu 2Kor 3,1-4,6).

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Gegen die Identifizierung von Gott und Volk bzw. Gott und Vernunft bei Martin Buber und Hermann Cohen führt Rosenzweig bereits in seinem ersten unpublizierten Aufsatz Atheistische Theologie .Offenbarung' als „Zentralbegriff" ein (Z, 125; vgl. Z, 687-697). Es ist allerdings fraglich, ob der Rückgriff auf den Terminus .Offenbarung' die berechtigte Kritik an Cohens Konstruktion von Sch'ma und Jichud angemessen zum Ausdruck bringt und nicht vielmehr neuerliche Probleme birgt. Worum geht es? Cohen konstruiert göttliche Einzigkeit und göttliche Einigung im Jichud durch den logischen Begriff der Korrelation: „Die Einzigkeit Gottes bedingt sein Verhältnis zur Vernunft des Menschen. Und die Vernunft des Menschen, als Schöpfung Gottes, bedingt sein Vernunftverhältnis zu Gott, daher aber auch den Vollzug dieses Vernunftverhältnisses in der Offenbarung" (RV, 95). Dabei wird allerdings diese Korrelation in einer Weise ursprungslogisch entfaltet, die der Externität des Namens nicht mehr gerecht wird. Der .Ursprung der Offenbarung in der Vernunft' bedeute, daß den Sätzen der Offenbarung, „wie sogar der Einheit Gottes und der Schöpfung, ... Vernunftsätze als Prinzipien zugrunde gelegt [werden]. So wird die Vernunft zur Wurzel gemacht für den Inhalt der Offenbarung. Und es kann daran kein Anstoß genommen werden, weil die Korrelation von Gott und Mensch diese Korrelation des göttlichen Geistes zum menschlichen, als eine Art [!] von Identität der logischen Vernunft zur unausweichlichen Konsequenz macht." (RV, 96) Die ursprungslogischen Erzeugungsbegriffe (Ideen) der Vernunft drohen damit aber zur Gabe ohne Geber zu werden. „Dieses Ewige, als die Grundlage der Vernunft für allen Inhalt der Vernunft, nennt der Jude Offenbarung ... Der technische Ausdruck ist: .die Gabe der Thora' [mtn twrh] ... Da ist von keinem Geheimnis, von keiner Entschleierung (Revelatio) die Rede." (RV, 97) Diese triftige Kritik am Terminus .Offenbarung' verstellt aber durch die ursprungslogische Konstruktion dann erneut die Gabe des Namens. Deshalb kehrt Rosenzweig zur problematischen Rede von Offenbarung zurück. Tatsächlich aber ist der Begriff .Gabe' geeigneter, um die Korrelation von Präsenz und Verewigung in der Homologie auszudrücken. Daher nennen wir ,Gabe oder Selbsthingabe des Namens', was Rosenzweig .Offenbarung' bezeichnet.34 .Offenbarung' ist korrelatives Dasein: Namensverheißung, Bewährung des Namens in homologischer Sprachbewegung und Läuterung dieser Homologie durch den verheißenen Namen. Von Beginn an interpretiert Rosenzweig diese Grundfigur durch die midraschische Maxime, nach welcher sich der göttliche Name in die Hand der Zeugen gibt: „Wenn ihr mich bezeugt, so bin ich Gott, und sonst nicht."35 Wahrheit und Treue ( J mt) der Namens

34 Verwiesen sei auf Jean-Luc Marions Phänomenologie der Faktizität als Gabe (ders., Etant donne). Die Gabe göttlichen Namens als Liebe begründet doxologische Differenz zwischen dem barmherzigen Gott und den Sündern, worin die ontologische Differenz auf die fundamentalere Differenz des Guten und der Gerechtigkeit zurückgeführt wird: J.-L. Marion, Dieu sans l'etre, 81-148, 114f; Intimität durch Abstand, 218-227. Zu Marion und Rosenzweig: Systeme, 429-442, v.a. 442. 35 S, 191, vgl. Z, 696. Zur Herkunft von Rabbi Simeon bar Yochai und den Belegstellen im Midrasch: M. Idel, Kabbalah, 163.242 Anm. 4. Gegen die Maimonideische Kritik an der anthropomorphen Attribution Gottes, poinitert Rosenzweig ausdrücklich die .anthropomor-

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Verheißung ICH BIN DA bewährt sich nur im freien Zeugnis derer, die ihn nennen und bekennen: ER IST DA. Der Name gibt sich so, daß gerade die Bezeugung dieser Gabe zu ihrer Erfüllungsbedingung wird. Der sich mit dem Namen ICH BIN DA verheißt, ist im Zeugnis und sonst nicht, wobei ,sein' meint: .wahrsein', ,veritatives Sein'. Deshalb hat der Glaube zu urteilen und darf nicht schweigen: „Gott selber macht sich, nicht menschlicher Vorwitz ihn, von der Bezeugung des Menschen abhängig, er .verkauft sich' nach einem tiefsinnigen Gleichniswort dem Menschen - wer aber .verkaufen' konnte, der hat auch auf den Kaufpreis Anspruch" (Z, 696). Aber gerade weil der Name, der sich gibt, Anerkennung im Zeugnis sucht, wird die Grenze der sprachlichen Homologie zur Frage: In ihrer Verewigung des Namens bleibt die Homologie hinter der Präsenz des Namens zurück. Die Reichweite oder die Herrlichkeit des Namens ist nicht identisch mit dem Geltungsbereich seiner Bezeugung, ohne daß dadurch diese Bewährung des Namens dementiert würde. Das Gebot der Heiligung des Namens gebietet das Zeugnis des Glaubens. Es begründet aber auch, warum und was zu hoffen ist: zu hoffen ist auf die Reichweite und Herrlichkeit des Namens. Das Gebot der Heiligung des Namens wird zur Bitte um Heiligung des Namens und zur Hoffnung auf Läuterung der Lippe. Mit dieser Verheißung endet das tägliche jüdische Gebet: „An jenem Tag wird ER der Einzige sein und sein Name der einzige" (Sach 14,9 BR). Diese Verheißung enthält die andere Verheißung der geläuterten Lippe: „Dann aber wandle den Völkern ich an eine geläuterte Lippe, - daß sie alle ausrufen SEINEN Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen ... An jenem Tag brauchst du dich nicht zu schämen all deiner Handlungen, womit du mir abtrünnig wurdest" (Zeph 3,9.11 BR). 2.2 Einzigkeit als Idee und als Name bei Hermann Cohen Die beschreibende Grammatik des Sch'ma Jisrael wird zur Logik des göttlichen Namens, seiner Geltung, seiner Reichweite, seiner Wahrheit (§ 10). Diese methodische Anlage des Stern setzt das Beispiel und Vorbild Hermann Cohens voraus. Ohne Cohens erzeugungslogische Konstruktion des Sch'ma Jisrael als unendliches Urteil ist Rosenzweigs propädeutische Logik des Namens nicht denkbar. Cohens Analyse präzisiert die Korrelation des Sch'ma und Jichud erheblich. Sie zeigt allerdings auch pointiert den Konflikt zwischen dem Element ,Idee' und dem Element ,Name'.36 Die Dialektik dieses Prozesses besteht darin, daß die Konstruktion der Idee der Einzigkeit das Bephe' Verewigung Gottes in Baruch schem: „in dem eingeschobenen ytbrk smw [Gesegnet sei sein Name] steckt, dem Rambam unbewußt, die andre Hälfte der Wahrheit": Ewig sei Gottes augenblickliche Liebe als im Bekenntnis verewigte (Z, 626). 36 Vgl. § 6,2.

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kenntnis zum göttlichen Namen fordert. Die erzeugungslogische Konstruktion der monotheistischen Idee driftet, entgegen der Intention ihres Autors, zur logischen Analyse des göttlichen Namens.37 Diese unterirdische Drift zu skizzieren, ist die eine Intention dieses Abschnitts. Cohens Kampf um reine Erkenntnis von Einzigkeit als Idee in ihren unreinen anthropomorphen Namen läßt sich nicht nur auf seinen radikalen Platonismus zurückführen. Er ist auch ein Kampf um Reinheit des einzigen Namens in platonischer Rüstung.38 Dies zu skizzieren, ist das andere Ziel des Abschnitts: Der göttliche Name erfordert als bloßer Name (Nominator) Kritik. Dies nicht nur aus logischem Grund, sondern aus theologischem: Die Homologie des Namens gilt nur in der Hoffnung auf Reinigung der Lippe (Zeph 3,9.11). (1) Konstruktivität und Leidenschaft reiner Erkenntnis Ausgangspunkt ist die Präzisierung göttlicher Einheit {'hd) zur Einzigkeit iyhwd). .Einzigkeit' ist die monotheistische Grundlegungsidee: Das Sch'ma Jisrael bekenne und erkenne nur eine Art von Sein und nur ein einziges Sein: „Gott ist dieses einzige Sein." (RV, 48) Diese Einzigkeit vollzieht sich als funktionale Korrelation39. Einzigkeit Gottes „stellt gleichsam die Funktion dar, in welcher diese Substanz sich vollzieht" (RV, 48). Nun gilt: „Gott erkennen heißt: Gott bekennen" (RV, 58). Das Sch'ma Jisrael als Homologie ist Akt praktischer Vernunft, in welchem sich Einzigkeit vollbringt. Erst im Bekenntnis wird „Gottesverehrung zur eigentümlichen Gotteserkenntnis" (RV, 59). Doch dieses Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes wird grundgelegt im Vernunftakt, durch den die Idee der Einzigkeit erzeugt wird. Im erzeugenden Vernunftakt bringt sich die Idee der Idee selbst zur Erkenntnis und vollbringt faktitiv ihre Einigung (vgl. RV, 48). Indem die Idee der Einzigkeit faktitiv ihre Einigung vollbringt, verschwindet alles andere Sein und wird „zum Nichts" dieses einzigen Seins (RV, 48).

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.Logik' bedeutet bei Cohen reine, sprach- und vorstellungstranszendente Ursprungslogik. Mit der triftigen Kritik der Kantschen .Repräsentation' und .Synthesis' (LrE, 25-28) geht allerdings Kants transzendentale Relation von Vernunft und Sprache verloren. Die .Logik der reinen Erkenntnis' war daher schon zu ihrer Zeit überholt: Freges, Russells und bald schon Wittgensteins formalsemantisch und satztheoretisch ansetzende Logistik trat an ihre Stelle (H. Scholz, Abriß, 47-69). Erst sie bereiten wirksam die .unterirdische Drift' zur logischen Analyse der natürlichen Sprache vor (M. Dummett, Ursprünge, 14-23). " G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, 227-283. 39 Korrelation ist Grundlegung und Zwecksetzung im wissenschaftlichen Urteil: „Die Korrelation ist eine wissenschaftliche Grundform... des Urteils. Ihr allgemeiner Name ist der des Zwecks. Wo eine Begriffsbildung angestellt wird, da wird eine Zwecksetzung aufgestellt. Eine Zweckbeziehung ist es, die wir zwischen Gott und Mensch, wie zwischen Gott und Natur ansetzen. Wenn wir fragten, wie wir zu dieser Korrelation von Gott und Mensch kommen, so ist die Antwort: so verfährt das Urteil in der Zwecksetzung, welche ihre allgemeine Form in der Begriffsbildung überhaupt hat." (BR, 47. vgl. LrE, 358-360)

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Der Vernunftakt, der die Idee des einzigen Seins erzeugt, darin aber die erzeugende Vernunft selbst als das relative Nichts dieses Seins hervorbringt, wird als negatives unendliches Urteil konstruiert. Zwei für Cohens transzendentale Urteilslogik genuine logische Operationsmittel werden dazu geltend gemacht: die Privativität (nicht: Negativität) des jeweiligen Nichtseins (expliziert an der logischen Partikel μή40); und das sog. unendliche Urteil, das aus jeweiliger, relativer Unbestimmtheit (Privation) bestimmten Geltungswert, bestimmte Realität erzeuge (vgl. LrE, 86f). Beide Operationsmittel sind nur verständlich auf der Basis der fundamentalen Cohenschen Kritik an Kants Realitäts- und Existenzbegriff und an Kants Zweistämmigkeit der Erkenntnis. 41 Kants Zweistämmigkeit des Erkennens: empirische und reine Sinnlichkeit als konstitutive Bedingung von Erkenntnis, kritisiert Cohen radikal. Die Idee einer realen sinnlich-leiblich vermittelten Zeiterfahrung, die bei Kant der idealen Anschauungsform .Zeit' komplementär ist, entfällt.42 Raum und Zeit werden zu Kategorien erzeugenden, reinen Denkens (LrE, 81.188-196.230-234). Cohen arbeitet diese fundamentale Kritik am transzendentalen Realbezug Kants erstmals aus in der Schrift Das Prinzip der Inßnitesimalmethode. Diese Schrift kritisiert Kants Grundsatz der Antizipation der Wahrnehmung. Kants Fehler sei die Verwechslung der Kontinuität der intensiven Größe des wissenschaftlichen Gegenstands mit der Kontinuität ihres subjektiv-psychologischen Bewußtwerdens (derpsychophysikalischen Kontinuität der Empfindung): „Erfahrung ist mathematische Naturwissenschaft ... Ein Gegenstand hat objektive Realität, d.h. Realität als Objekt der Erfahrung ..., genau dann, wenn er als Fall eines Gesetzes bestimmbar ist ... Einen Gegenstand als real denken heißt also, ihn als gesetzlich geltenden, als unter Gesetze subsumierbaren und nicht als bloß daseienden denken ... Geltung charakterisiert die Seinsart des wissenschaftlichen Gegenstandes, nicht Wirklichkeit oder Dasein."43 Die intensive Größe ist demnach nicht Größe der Empfindung, sondern kontinuierliche Maßeinheit, aus der eine physikalische Realität durch die (transzendental, also nicht rein mathematisch interpretierte) Infinitesimalmethode erzeugt wird. „Das Unendlichkleine wird denn auch nie als reale, aktual unendlichkleine Größe verstanden, es hat insofern kein Sein, schon gar nicht ein anschauliches..., sondern es wird als realisierendes Element des Denkens, das Erzeugen, Konstruieren ist, in seinem Geltungswert für die Erkenntnis ausgelegt ... Die Differentiale sind also nicht selbst real, sondern bloß Ausdruck der erzeugenden (Denk-Mittel) der Realität"44. Die logisch-operationale (nicht ontologische) Verwendung des privativen Nichts, bringt „den Ursprung desjenigen Begriffs zur Definition ..., der das Problem bildet. So wird das sogenannte, aber keineswegs so zu verstehende Nichts zum Operationsmittel, um das jedesmalige Etwas, das in Frage

40 Im Unterschied zur Negation durch die logische Partikel ov>: H. Cohen, LrE, 84-87. Zur anti-hegelschen Spitze dieser Logik der Negation: LrE, 89f.ll2-114. 41 Zur Interpretation: H. Holzhey, Ursprung und Einheit 1; J. Stolzenberg, Oberster Grundsatz, 76-94. Daran anschließend: J.F. Lohmann, 67-117. 42 Zum transzendentalen Realbezug Kants: $ 4,2; $ 7,2.3. 43 P. Schulthess, 11*. 44 P. Schulthess, 31*. Zur Kritik: W. Flach, 23-32.

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steht, in seinem Ursprung, und dadurch erst eigentlich zur Erzeugung und zur Bestimmung zu bringen." (LrE, 89) Die Idee der Einzigkeit, als Ursprung der durch Elemente Realität erzeugenden Vernunft, hat den logischen Status einzigen Seins. Bereits Maimonides korrigiere, so Cohen, in diesem Sinne die aristotelische Theologie durch urteilslogische Reflexionen, wodurch ontologische Erhaltungslehre zur logischen Schöpfungslehre werde45: Nicht durch negierte affirmative, sondern durch negierte privative Begriffe wird diese Idee bestimmt. Als paradigmatisches Urteil gilt: ,Gott ist nicht träge*. Weder wird einfach ein affirmatives Prädikat (,ist ruhend') noch ein negiertes zugesprochen (,ist unbewegt'), sondern vermittelt durch Negation des Denkelements wird die Idee der Einzigkeit erweitert und bestimmt. Cohen setzt dazu stillschweigend voraus, daß .Beharrlichkeit' (so wird .Trägheit' im Sinne moderner Dynamik reinterpretiert) als logisches Korrelat und realisierendes Element (Erzeugungsidee) von Bewegung und Ruhe (als wissenschaftlicher .Realität') gilt (LrE, 240-245). Nicht als ontologischer, sondern als logischer Grund der Bewegung gilt die Idee der Einzigkeit. Nicht als das Beharrende der Bewegung und Ruhe, sondern, vermittelt durch Negation von Beharrung, als Schöpfermacht und Ursprungsaktivität gilt das einzige Sein. Einsicht in die Idee der Einzigkeit, vermittelt durch die Negation (Anhypothesis) der Idee (Hypothesis) der Beharrung, bestimmt die Idee der Einzigkeit als schöpferischen Ursprung: „Die Schöpfung ist kein heterogener Begriff in oder zu seinem Sein, sondern dies gerade bedeutet sein Sein als Einzigkeit: daß das Werden in ihm mitgedacht ist, mithin aus ihm hervorgehen, aus seinem Begriffe hergeleitet werden muß." (RV, 74) Werden wird damit nicht ins Sein Gottes verlegt, vielmehr gilt Sein als hinlänglicher, korrelativer Ursprung des Werdens. „Diese Hinlänglichkeit der Ursache aber erschöpft sich in ihrer logischen Bedeutung, und sie wird entstellt durch die Übertragung der logischen Bedeutung auf einen materiellen Hergang." (RV, 74) So konstatiert Cohen: „Wenn Gott an dem Attribute der Nichtträgheit erkennbar wird, so wird er als Schöpfer erkennbar, so wird die Schöpfung in seinen Begriff aufgenommen. Und das Rätsel der Schöpfung wird somit durch die Definition aufgelöst. Denn diese Schöpfung bedeutet jetzt vielmehr das Sein Gottes, welches das Sein des Ursprungs ist. Und das Werden hat nunmehr seinen Grund in dem Ursprung dieses Seins ... Aus diesem Begriffe heraus, aus der Einheit dieser Begriffe des einzigen Seins und des unendlichen, privativen Ursprungs findet das gedankliche Problem der Schöpfung seine vollständige Lösung ... Die positive Bestimmung Gottes liegt in denjenigen negativen Attributen, welche nicht die Positivität, sondern die Privation ausschließen." (RV, 75f)

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Zur Theologie des Buches Lambda der aristotelischen Metaphysik: K. Oehler, Beweger.

Der Begriff, der als logisches Korrelat der Ursächlichkeit des Einzigen zur Definition gebracht wird, ist keine einzelne Bestimmung, keine .Realität', sondern das diskursive Denken selbst: Einsicht in die Idee der Einzigkeit vollzieht sich an ihr als Werden durch diese Ursprungsidee. Diese Konsequenz veranlaßt Rosenzweig zum lakonischen Urteil, in dem sich sein Bild vom Denkweg Cohens zusammenfaßt: „Die Vernunft, die im [sc. erzeugungslogischen] System Voraussetzung ist, wird hier wirklich geschaffene, offenbarte Vernunft. Cohen selbst würde sich entsetzen, wenn wir ihm diese Folgerung auf den Kopf zusagten" (2, 226). Zu Recht wird damit eine Alternanz reiner Vernunft diagnostiziert, die Rosenzweig sofort theologisch bestimmt. Vorsichtiger formuliert: Einsicht in die Idee des Einzigen vollzieht sich als bedürftige, sterbliche Leidenschaft des Denkens, das doch zugleich konstruktiver Erzeugungsgrund dieser Idee ist.44 Das Pathos des Denkens im ausgezeichneten Augenblick, in dem sich ihm ,der Name' als Name in Namen gibt, bleibt bei Cohen unbedacht. Nur als Idee, nicht als Name könne Gott wahrhaft geliebt werden: „Die realisierende Kraft der Idee wird nirgends so deutlich, wie an der Liebe zur Idee. Wie kann man eine Idee lieben? Darauf ist zu antworten: Wie kann man etwas anderes lieben als eine Idee? Liebt man doch sogar in der sinnlichen Liebe nur die idealisierte Person, nur die Idee der Person." (RV, 185) So bleibt der für die Explikation der religiösen Korrelation entscheidende Begriff des .Heiligen Geistes' idealistisch: „Die Idee Gottes ist die Idee des heiligen Gottes, die Idee des heiligen Geistes, als des Geistes der Heiligkeit, das ist des Geistes der Sittlichkeit. Die Sittlichkeit aber ist nur insofern ein Reich der Wirklichkeit, als dieses ein Reich der Handlung darstellt" (RV, 186). (2) Heiliger Geist als Vollzug realer Relation Die Alternanz der Cohenschen Vernunft erweist sich in der Religionsschrift in der Theologie des .Namens': Die Grundlegung statuiert, daß das einzige

46 Diese Dialektik des platonischen nous und eros in der hypothesis-anhypothesis-Dialektik hat Gerhard Krüger gegen den Marburger Piatonismus geltend gemacht: „Dem dämonisch gespannten Wesen des Eros, kraft dessen er zugleich sterblich und unsterblich ist, entspricht eine Spannung im Wesen seines Gegenstandes: die Idee ist zugleich ,sterblicher' Begriff und göttlich Seiendes." (Einsicht und Leidenschaft, 223) „Die Dialektik, die sich mit der .Gemeinschaft' der Ideen befaßt, sieht, wie sich die Hypothesen aufheben, weil jede einzelne zwar als sie selbst mit Notwendigkeit in .Einem', nämlich in sich selbst, bleibt, als das Eine eines Anderen aber ... von etwas Fremdem getroffen wird, das ihrem eigenen Wesen widerspricht ... Ein und dasselbe Mathema - auch die Hypothesis des Einen - .wird' etwas, was es vorher nicht war: das reine Eine ... wird .dann' vieles Andere und vor allem auch Seiendes; indem es viele Andere ist, .wird' es bald dieses Andere, bald sein Entgegengesetztes, u.a. bald Eines, bald Vieles, bald Ruhendes, bald Bewegtes. Wo der Eros führt, der stets der Körperstufe bedarf..., da kann dieses .Geschehen' und seine .Zeit' nur in .Erinnerung' an das Geschehen des Sinnlich-Zeitlichen verstanden werden. Daher wird... der ausgezeichnete Augenblick des Umschlags (μεταβολή) der Begriffe ineinander ausdrücklich untersucht" (ebd., 276f).

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Sein zugleich Seiendes für die Vernunft, Person, werden müsse, um sich an der Vernunft zu vollziehen. Seiendes wird das einzige Sein als Name. Das einzige Sein wird der ,ICH BIN' vom Dornbusch (Ex 3,14f). „,So sollst du den Israeliten sagen, der ,ich bin' hat mich zu euch gesandt'. Also nicht Jahwe habe Mose gesandt, sondern in dieser Zeitform der ersten Person soll Mose auf die Frage der Israeliten nach dem Namen seines Gottes diesen Namen benennen. So bestimmt wird das Sein als dasjenige benannt, was in dem Namen die Person Gottes bezeichnen soll. Wenn das noch nicht Philosophie ist, so ist es sicherlich doch Vernunft in dem Ursinn dieses Wortes." (RV, 50) Das Singuläre dieses .Namens', sei die Unterscheidung des Seins vom sinnlichen, erfahrbaren Dasein, die in der Namensgabe angezeigt wird. Auf den Namen als Namen, als theo-logisches Zeichen, wird nicht reflektiert! ,Der Name' gilt Cohen nämlich logisch nur als Kennzeichnung (,der einzige Seiende'). Die fundamentale namenslogische Bedeutung des ,ICH BIN DA' von Ex 3,14f (§ 10) ist unbedacht. Stattdessen wird der Jtampf gegen den Anthropomorphismus" als die „Seele der jüdischen Religionsbildung" ausgerufen (RV, 48). Der göttliche Name hat in der Korrelation des einzigen Seins und der Vernunft, die der Heilige Geist ist, funktional-signifikativen Sinn. Er fungiert als Organ und Medium heiligen Geistes in der Versöhnung des Einzigen mit Israel als Symbol messianischer Menschheit: Durch den Geist und insofern durch den göttlichen Namen reinigt und heiligt der Einzige und reinigt und heiligt sich Israel vor ihm. 47 Wie der Name Organ der Reinigung durch den Einzigen im Geist ist, so ist das Bekenntnis des Namens Organ der Korrelation vor dem Einzigen im

47 Das .nahe Wort' von Dtn 30,11-14 ist „Geist" (RV, 94). Mit dieser Identifikation gelingt es, die andere Seite der Korrelation zu konstruieren: „wo Gott schafft, da entfaltet sich sein einziges Sein als die Grundlage für das Werden, welches kraft dieses Seins Grund und Bedeutung erlangt ... Auch von Gott aus betrachtet, ist die Vernunft die Bedingung, vermöge welcher Gott in Korrelation treten kann zum Menschen. Und diese Korrelation ist begründet in dem Begriffe des einzigen Seins. Denn dieses bedeutet die Voraussetzung zum Werden. Wie das Sein daher die Voraussetzung der Grundlage ist, so ist das Werden für die Entfaltung der Grundlage die Voraussetzung, also der Mensch. Diese gegenseitige Bedingtheit vertritt die Korrelation ... In der Erkenntnis des Menschen von Gott tritt gemäß der Korrelation die Reziprozität ein. Es ist, als ob das Sein Gottes erst in der Erkenntnis des Menschen aktuell würde. So gewaltig setzt sich die Korrelation ins Werk. Der Mensch ist nicht mehr nur das Geschöpf Gottes, sondern seine Vernunft macht ihn kraft seiner Erkenntnis und für dieselbe gleichsam wenigstens subjektiv zum Entdecker Gottes. So wird es verständlich, wie der Geist zum Grundbegriffe der Religion wird, zum Vermittlungsbegriffe zwischen Gott und Mensch, zum vollziehenden Begriffe der Korrelation ... Gott ist einzig, dies bedeutet jetzt: Gott ist Geist." (RV, 102f) Die christologiekritische Pointe ist unübersehbar: Heiliger Geist steht für logische Korrelation, welche christologische Vermittlung substituiert. „Nur die Korrelation hält die Vereinigung in den Schranken der Abstraktion. Die Vereinigung ist keinerlei sachliche Verbindung. Gott und Mensch müssen getrennt bleiben, sofern sie vereinigt werden sollen." (RV, 122)

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Geist. Die Heiligung des Namens, freilich als teleologische Handlung der Reinigung im Geist, wird zum Inbegriff des Gesetzeswerks. „.Alle deine Handlungen seien zum Namen Gottes' ... Der Name Gottes, das ist das einzige Ziel der menschlichen Handlung ... Der Name Gottes ist gleichbedeutend mit dem Gottesreiche." (RV, 402f; vgl. RV, 507) In der Messianität des kultischen Gebets vollendet sich diese Korrelation: Im Gebet, in der Heiligung des Namens, vollzieht sich die Wahrheit Gottes als intersubjektive Urteils- und Gewissenstugend der Wahrhaftigkeit48. „,Das Siegel des Heiligen, gelobt sei er, ist Wahrheit.' [Schab. 55a]... So wird selbst für Gott die Wahrheit zum höchsten Ausdruck seiner selbst. Nicht die Einheit wird sein Siegel, sondern die Wahrheit." (RV, 441) Die Tugend des Gebets ist .Andacht' (kwnh): „In der Andacht des Gebetes wird die Einheit des Bewußtseins gegründet ... Daher ist das Gebet die Grundform, die Grundtat der Religion. Denn in diesem Ziele des Gebetes auf Wurzelung des Bewußtseins, in der Wahrhaftigkeit tritt Gott hervor, als das Gegenglied der Korrelation. Gott ist der Gott der Wahrheit, und der Mensch soll der Mensch der Wahrhaftigkeit werden. Darum betet der Mensch zu Gott." (RV, 442f) Das Gebet ist .Mittel' der Selbstheiligung, sofern es im Gebet als messianischer Praxis der Gemeinde wurzelt: „Das Gebet begründet die Gemeinde ... So wird das messianische Gottesreich von der Zukunft in die Gegenwart hineingebetet, durch das Gebet der Gegenwart schon lebendig gemacht." (RV, 448) Das „messianische Gebet ist das Sprachorgan der Menschheit, des Menschen als Menschheit, geworden ... So ist das Gebet die eigentliche Sprache der Religion. Und alles Denken dieser Sprache, von Gott und vom Menschen, alles Denken dieser Korrelation bliebe Theorie, wenn nicht das Gebet die Sprachhandlung würde, in welcher der Wille lebendig wird an allen Mitteln des Denkens. Die Andacht des Gebetes ist der Wille der Religion." (RV, 463) Im Gebet der Gemeinde um das Reich wird die Gemeinde als Reich Gottes antizipativ begründet. Dieser Messianismus des Namens und Gebets bei Cohen entgeht aber der Dialektik praktischer Vernunft und ihrer Idee des höchsten Guts nicht.49 Die Hoffnung auf Läuterung der Lippe (Sach 14,9 und Zeph 3,9.11), wird zum Ziel unendlicher, gerade darum in jedem geschichtlichen Moment antizipierbarer Handlungsgewißheit.50 Wichtiger ist allerdings, daß Rosenzweig diese Dialektik des Messianismus zum Anlaß nimmt, um die Grundlegung des Gebets und des Namens durch den funktionalen Begriff der Korrelation im

41 Zu Wahrheit und Wahrhaftigkeit als absoluter Tugend der Dekalogethik, RV, 476-489. Gott als einziges Sein .existiert' weder, noch ,lebt' er: Wahrheit ist sein Wesen. „Nur Wahrheit allein ist der Geltungswert, der dem Wesen Gottes entspricht." (RV, 480) 49 § 2,2.3 und § 3,1.2. 50 Cohen erwartete in nächster Zukunft die Bekehrung des trinitarischen Christentums zum reinen, jüdischen Monotheismus: BT, 449f (22.9.1917), 1150 (23.5.25) und JH. 203.

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Ansatz zu kritisieren.51 Im selben Moment, in dem die Korrelation zwischen dem gerechten Richter und dem sich bekehrenden Sünder ins Zentrum rücke, ändere sich der funktional-erzeugungslogische Begriff der Korrelation. Sie wird zur realen Relation.52 Gott „muß ... dem Notschrei jenes einzigen Individuums ,vor Dir allein habe ich gesündigt' die einzige Antwort geben, die ihm helfen kann und die nur Er, der Einzige, geben kann: ,Ich verzeihe nach deinem Worte'." (Ζ, 206)53 Die Realität dieser Relation ist nicht zu konstruieren. Versöhnung verlangt genuine Zeit (den Tag der Versöhnung) und den bestimmten Ort (,in Abraham'). Sie gilt nur im göttlichen Namen und in seiner Homologie, im dialogischen Wort von Ruf und Anrufung. Doch beansprucht Rosenzweig, mit dieser Namenslogik nur fortzubauen, wo Cohen „unbewußtermaßen die Grundlagen einer neuen Logik" legte (Z, 209f).54 Erkenntnis der Versöhnung ist nur im Aussprechen des Namens zur gegebenen Zeit ,in Abraham'. ,Der Name' ist nicht Organ funktionaler Korrelation, sondern Faktum der Religion, nicht zu konstruieren, sondern nur zu exponieren als Faktizität homologischer Korrelation.55 Cohens spätes Diktum, nach welchem der „Monotheismus ... ein psychologisches Mysterium" sei („Wer das nicht anerkennt, der versteht ihn nicht in seiner Tiefe")56, indiziere bei Cohen eine neue Logik ,des Namens' als Name und als Faktum der Religion aus den Quellen des Judentums.

51 Dazu: Einleitung in die Akademieausgabe der Jüdischen Schriften Hermann Cohens, Z, 177-223; daneben das Vortragsskript: Uber Hermann Cohens .Religion der Vernunft', Z, 225-227; und die späte Kritik der Davoser Disputation zwischen E. Cassirer und M. Heidegger: Vertauschte Fronten, Z, 235-237. 52 Zum Ubergang von transzendentaler Logik zu realer Relation: § 4,3. 53 In der Tat durchzieht der 51. Psalm die gesamte Religionsschrift Cohens als Paradigma: RV, 25 (Ps 51,6); RV, 119.443 (Ps, 51,12); RV, 247 (Ps 51,7); RV, 462 (Ps, 51,19)! 54 Vgl. Z, 86; 60lf; BT, 1015. 55 Der Begriff .Korrelation' bahne beim späten Cohen den „Einsprang in das Dasein" an (Z, 237), wie Rosenzweig die Davoser Disputation zwischen dem Cohen-Schüler Cassirer und Heidegger kommentiert. 54 Dieses Diktum aus Cohens später Vorlesung über die Lyrik der Psalmen teilt Rosenzweig in Z, 211 mit. Damit sei die religionsphilosophisch-psychologische Kultursynthese gesprengt. Religion hat im System keinen Ort, auch nicht denjenigen der Grundlegung, welche der Psychologie zukommt. Nur diese Systemtranszendenz begründe ihre Universalität (Z, 208). Zur Frage: D. Korsch, Individualität als Gesetz, 287.291.

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3. Grammatik 3.1 Reinigung

der Versöhnung

(Widduj und Selicba)

vor dem Namen und durch den Namen

„Mit ewiger Liebe hast du uns geliebt, EWIGER, unser Gott ... Unser Vater, unser König, um unserer Väter willen, die auf dich vertraut und welchen du Satzungen des Lebens gelehrt, begnadige uns und belehre uns! ... Erleuchte unsere Augen in deiner Lehre, verknüpfe unser Herz mit deinen Geboten, einige unser Herz, deinen Namen zu lieben und zu fürchten, daß wir in Zeit und Raum ewiglich nicht zuschanden werden."57 Dem Bekenntnis der Einzigkeit geht die Bitte um das Geeinigtwerden des Herzens durch Gott voran. Einigung des Herzens in der Liebe zu Gott gründet in der Reinigung des Herzens durch Gott. Reinigung des Herzens durch Gott offenbart das uneinige Herz, das vor Gott rein, aber an sich böse ist, erweist also den .Streit der beiden Triebe des zwiegespaltenen Herzens'.58 Die Einigung des Herzens durch Gott setzt die Unterscheidung von .Seele' und .Charakter' im Schuldbekenntnis voraus: „Das ist die Scham, die sich vor den geliebten Mund legt, der bekennen will; er muß seine vergangene und noch gegenwärtige Schwachheit bekennen, indem er seine schon gegenwärtige und zukünftige Seligkeit bekennen möchte. Und so schämt sich die Seele, der Gott sein Liebesgebot zuruft, ihm ihre Liebe zu bekennen; denn sie kann ihre Liebe nur bekennen, indem sie ihre Schwachheit mitbekennt und dem ,Du sollst lieben' Gottes antwortet: Ich habe gesündigt." (S, 200)59 Diese Explikation des Schuldbekenntnisses mag rechtfertigungstheologisch vertraut klingen. Sie erweist sich aber als der Rechtfertigung in Christus und der Grundregel ihrer Anthropologie (simul iustus et peccator) inkommensurabel. Das zeigt schon die unmittelbare Fortsetzung: Das Schuldbekenntnis sei der Versöhnung so gewiß, daß es der lautgewordenen Vergebung nicht mehr bedarf: „nicht Gott braucht sie von ihrer Sünde zu reinigen, sondern im Angesicht seiner Liebe reinigt sie sich selber ... sie bedarf dieser förmlichem Absolvierung jetzt nicht mehr ... Dies Bekenntnis [der Sünde] aber ist ihr schon höchste Seligkeit; denn es umschließt die Gewißheit, daß Gott sie liebt. Nicht aus Gottes, sondern aus ihrem eigenen Munde kommt ihr diese Gewißheit." (S, 201) Benediktion Ababat olarn, Sidur, 35f; Übersetzung zum Teil nach Trepp, 26. Der .Streit der beiden Triebe* des zwiegespaltenen Herzens (Dtn 30,15!) ist zentrales Motiv des .Fürsprachegebets', das als Einzelgebet - einem individuellen Bußspiegel gleich vor dem Beginn von Kol Nidre gebetet wird. Das Gebet endet mit Ps 51,12 (Lau, 189f). 59 Der Trotz des Selbst ist seine (selbstverständlich nicht psychologisch oder biographisch zu verstehende) .Vergangenheit', ist der „geheime Ursprung der Seele" (S, 190): „Nicht so, daß etwa in der geliebten Seele noch selber Trotz wäre; dieser Trotz ist in ihr ganz Treue geworden; aber die Kraft des Festhaltens, welche die geliebte Seele gegen die Liebe, mit der sie geliebt wird, bewährt, diese Kraft der Treue stammt ihr aus dem in sie eingegangenen Trotz des Selbst." (S, 190) 57 5!

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Die Inkommensurabilität von Versöhnung im Namen (Kappara, Bedeckung, Reinigung) und Versöhnung in Christus zu erweisen, um Christologie aus der .Religion der Vernunft' zu eliminieren, ist die esoterische Pointe der Religionsphilosophie Hermann Cohens.60 Die Unvernunft der Christologie erweise sich an der Logik der Kappara. Diese wird aus den Gebeten des Versöhnungstages rekonstruiert. Rosenzweig kannte Cohens Analyse vor der Abfassung des Stern (vgl. BT, 514f). Bis zu einer bestimmten Grenze ist seine grammatische Beschreibung der Kappara dadurch geprägt. Wenn es gelingt, diese Grenze zu bestimmen und die Differenz zwischen Cohens und Rosenzweigs Verständnis von Versöhnung aufzudecken, dann zeigt sich, inwiefern der Stern bereits in die Grammatik von Sch'ma, Jicbud, Widduj und Selicha die Unterscheidung von Geltung und Reichweite des Namens einbaut.61

3.2 Logik der Versöhnung bei Hermann Cohen Der Makarismus Rabbi Akibas, mit dem der Mischnatraktat Joma schließt, bildet Motto und Zentrum der .Religion der Vernunft': „Heil Euch Israel! Wer reinigt Euch und vor wem reinigt Ihr selbst Euch? Es ist Euer Vater im Himmel."62 Dieser Makarismus formuliert die .Korrelation' der Versöhnung. Cohen rekonstruiert sie aus zwei zentralen Gebetssequenzen der Versöhnungstagsliturgie: aus dem (in jedem der Jom-Kippur-Gottesdienste wiederholten) Sündenbekenntnis ( W i d d u j f 3 und aus der Verkündigung der dreizehn Eigenschaften Gottes (Selicha)M. Die erzeugungslogische Konstruktion wird zur Analyse gottesdienstlicher Zeichen. Die Korrelation der Versöhnung ist nur im öffentlichen Gehet der Gemeinde. Die Kultkritik Kants findet bei Cohen ihre eigentliche Metakritik. 60 Rosenzweig tradiert diese esoterische Pointe und ein Logion Cohens (aus einem unpublizierten Nachlaß-Aufsatz) über die Gottessohnschaft Jesu: es habe „noch niemand daran geglaubt ..., in neunzehnhundert Jahren noch niemand!!!" (BT, 447, 22.9.1917) 61 „Er [Cohen] ist doch eben der richtige alte Jude und hätte im Verhör mit Jesus bei der kritischen Stelle auch seine Kleider zerrissen und gerufen: ,was bedarf es weiter Zeugnis!' [Mt 26,65]. Das hätte ich [Rosenzweig] wohl auch getan, aber gefragt hätte ich noch weiter." (BT, 447) 62 mjoma 8,9; Β Joma 85b. Der Makarismus schließt jenen Traktat ab, der Liturgie und Theologie des Versöhnungstages regelt. Zur veränderten Zitation Akibas durch Cohen: F. Rosenzweig, Z, 212; J.J. Petuchowski, Dialektik der Kappara, 196. 63 Der (lange) Text des akrostichisch geordneten Widduj findet sich z.B. in Machsor Versöhnungstag, 48-51. Von besonderer Bedeutung ist, daß in ihm keinerlei kultisch-rituelle Vergehen bekannt werden. Seine (sehr viel kürzeren) Varianten und seine Genese ist dargestellt bei: Trepp, 132-134; Elbogen, 149-151. 64 Zum Text von Selicha u.S. 23 lf. Zur Genese und Bedeutung: Elbogen, 222.224f. „Gott lehrte Moses, sie zu beten; so oft Israel sündigt, soll es vor mir nach dieser Ordnung beten, und ich vergebe ihm seine Sünden" (bRHSh 17b). - Zur Entwicklung der Selichot (Bitten um Vergebung) als Gattung des jüdischen Gebets: Elbogen, 221-229.

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(1) ,Vor dem Namen': Vom Opfer zum Tag der Umkehr Widduj wird eingeleitet durch das Gebet Ravs65: „Du kennst die Geheimnisse der Welt und das Verborgenste und Verhüllteste alles dessen, was lebt. Du durchforschst alle Gemächer unseres Inneren und prüfst Nieren und Herz. Nichts ist vor dir verborgen und nichts verhüllt deinen Augen gegenüber."66 Ravs Gebet erkenne die Sünde als das Geheimnis des menschlichen Charakters, der in seiner Sünde als Einzelseele von Gott gemustert und gezählt werde (vgl. RV, 258). Im Schuldbekenntnis vor Gott wird das Individuum (als Fall des Gesetzes) zum Ich! Das radikal Böse wird bei Cohen zur Grundlegungsidee: Ideen sind „Grundlegungen ..., die in ihrer Fruchtbarkeit den Prüfstein ihrer Richtigkeit haben. Eine solche Grundlegung ist das Individuum, ist die Sünde, ist die Sünde des Individuums." (RV, 216) Sünde sei „Durchgangsbegriff", um den Menschen als unvertretbares Ich begreifen zu können. Die Idee ,Sünde' begründet die Idee der .Versöhnung' „des Menschen mit den Widersprüchen, die sein Individuum nicht zur Einheit des Ich kommen lassen ... Die Sünde vor Gott führt uns zur Erlösung durch Gott. Die Erlösung durch Gott führt uns zur Versöhnung des Menschen mit sich selbst. Und diese erst führt uns in letzter Instanz zur Versöhnung des Ich mit Gott ..., die das Individuum zur Reife bringt als Ich." (RV, 220f) Also erneut eine Theorie der Versöhnung als Theorie religiöser Subjektivität? So wurde und wird Cohen in der protestantischen Theologie rezipiert.67 Im folgenden wird eine andere Interpretation vorgelegt: Die Logik des gottesdienstlichen Gebets wird in der anthropologischen Unterscheidung von Individuum und Ich grundgelegt. Die Rekonstruktion dieser Logik ist die Pointe und, zumindest für die nachfolgende jüdische Theologie, die eigentliche Wirkung Cohens: Umkehr durchbricht den Zusammenhang von Sünde und Strafe (Ez 18,2123!). Diese Möglichkeit der Selbstverwandlung macht das Individuum zum Ich." (RV, 225)68 Der Selbstverwandlung durch Gott korreliert die Selbstheiligung vor Gott durch den Menschen: „Werft ab von euch alle eure Missetaten, an denen ihr gesündigt habt und machet euch ein neues Herz und einen neuen Geist." (Ez 18,31) Buße, Heimkehr umschreibt die Urteilskorrelation der Reinigung durch Gott und vor Gott. Inwiefern? JDas [ausgesprochene] Bekenntnis der Sünde ist die Buße, die der Sünder auf sich nehmen muß." (RV, 228) Dazu bedarf er des öffentlichen Instituts der

65

Zu Abba Areka, gen. Rab/Rav: Strack, 136f. Zu seinem Gebet (bjom 87b): Elbogen, 150.262-264; Trepp, 205. 66 Machsor Versöhnungstag, 48. 67 Zuletzt in den ausgezeichneten Analysen D. Korschs, Individualität als Gesetz, 293f. " „Individuum war der Mensch in der Erkenntnis seiner eigenen Sünde. Ich aber wird er in der Machtbefugnis, sich selbst ein neues Herz und einen neuen Geist zu schaffen" (RV, 226). 229

Buße, eines Bekenntnisses der Gemeinde. Moralische Selbstbestrafung wie rechtlich exekutierte Buße sind selbstwidersprüchliche Ideen.69 Die einzige Öffentlichkeit der Buße ist deshalb die .Gemeinde': „So ist die Gemeinde entstanden, als die einzig entsprechende Einheit für die einzige Aufgabe der Religion." (RV, 230) Das öffentliche Bekenntnis ,vor Gott' in der Gemeinde löst (nach dem Ende des Tempels) das signifikative Opfer des Versöhnungstages ab; es substituiert nicht das Opfer!70 Keines der aus dem Tempel übernommenen Rituale stellt „einen Bezug zum tatsächlichen Opfergeschehen her, etwa dem Besprengen mit Blut ... Die heute gängige Vorstellung, daß das Gebet einen Ersatz für das Opfer darstellt, ist in Wirklichkeit ein Gedanke, der relativ spät in der [rabbinischen] Literatur auftaucht."71 Schon in der Generation nach der Zerstörung des Tempels wurde stattdessen entschieden, „daß es der Tag der Versöhnung als solcher sei, der die Entsühnung bewirke, auch dann, wenn es kein Opfer gab, denn es konnte keines dargebracht werden."72 Die Institution des öffentlichen Schuldbekenntnisses (Widduj) am von Gott bestimmten und eingeräumten Tag, insofern die Institution der Kultgemeinde, verbürgt Gottes Deklaration der Sünde als unwissentliches Vergehen (Schegaga, sggh73): „diese Erklärung ... durfte der Mensch sich selbst nicht geben; er würde sonst seine Selbsterkenntnis schädigen. Diese Rechtfertigung kann ihm nur eine öffentliche Instanz gewährleisten." (RV, 234) Die synagogale Liturgie des Versöhnungstages kann auf das priesterliche Opfer verzichten, weil es jene Sühnung nur anzeigte, die der Gemeinde allein durch Gott und vor Gott eingeräumt ist. Das (wortlose!) priesterliche Handeln beim Opfer ist in keinem Sinn Satisfaktion und Absolution, sondern Darstellung der durch Gott,heute' eröffneten Umkehr. „Nur der einzige Gott in seiner wahrhaften Einheit kann die Erlösung bewirken. Diese Konsequenz macht das Opfer anschaulich. Denn bei ihm wird ein Tier geopfert; kein Mensch, geschweige ein gottesartiges Wesen. Und kein Gott opfert, geschweige er selbst und sich selbst; sondern nur der Priester ist der Sachverständige des Opferkultus. Über diesen Priester und über den Altar hinaus, an dem er 69 Zur Antinomie absoluter Selbstrichterschaft: § 3,2 und der Aporie strafrechtlich typisierter Gerechtigkeit Gottes § 3,4. 70 Sh. Safrai, Versöhnungstag, 51f. 71 Sh. Safrai, Versöhnungstag, 49. 72 Sh. Safrai, Versöhnungstag, 48. 73 Zum Begriff Schegaga: R. Knierim, Art. ,sgg, sich versehen', THAT 2, 869-872: Irrtum im Sinne von unwissentlichem, unbeabsichtigtem Versehen (870). „Insgesamt ist anzunehmen, daß der Begriff ungeachtet der subjektiven Verfassung des Täters das objektive Resultat einer Tat als nicht vorsätzliches, ungewolltes Versehen bezeichnet" (871). Voraussetzung ist, daß auch umgekehrt subjektiv unwissentliche Sünde als objektive Störung der göttlichen Weltordnung gelte. „Die Gefahr unwissentlicher, aber nichtsdestoweniger vollverantwortlicher Verirrung zeigt den Menschen als total abhängig von Gottes Enthüllung ..., Leitung ... und Gericht oder Vergebung" (872).

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hantiert, wird der Blick des opfernden Israeliten emporgehoben zu dem Gotte, vor dem er steht. Dies bedeutet der durchgängige Ausdruck ,vor Gott'. Nicht vor dem Opfer, nicht vor dem Priester steht der Mensch, so daß er vor ihm der Reinheit teilhaft werden könnte, sondern ,vor Gott sollt ihr rein werden."'74 Das Opfer symbolisiert Geltung ,vor Gott', die bestimmte Zeit und den bestimmten Ort der Umkehr, die im Urteil Gottes (der Deklaration von Sünde als Schegaga) begründet ist und zu der und an dem dieses Urteil gilt: „Λη diesem Tag entsühnt man euch, um euch zu reinigen. Vor dem Herrn werdet ihr von allen euren Sünden wieder rein." (Lev 16,30) Der eingesetzte Tag zur Umkehr, nicht das Opfer, ist entscheidend.75 (2) ,Durch den Namen': Einigung Gottes und Einigung des Herzens Die Aufgabe der Selbsterneuerung ist unendliche Wiederholung des Moments der Umkehr. „Die Aufgabe selbst ist das Ziel; die unendliche Aufgabe ist das unendliche Ziel ... Nur der Mensch selbst kann die Selbstheiligung vollbringen; kein Gott kann ihm dabei helfen." (RV, 239f) Aber Unendlichkeit und Endlichkeit der Buße bedingen einander: Cohens kritischer Begriff der Unendlichkeit menschlicher Buße erweist sich darin, daß solche Unendlichkeit durch Gott beendet werden kann. „Die Selbstheiligung muß zu dem unendlichen Abschluß kommen in der Vergebung der Sünde durch Gott." (RV, 242) In der Vergebung der Sünde erweist sich Gottes Gerechtigkeit als Güte: „Abgesehen davon, ob es uns allein gelingen könnte, die Aufgabe unserer selbständigen Arbeit zu lösen und die Befreiung zu erreichen, so ist es für die Korrelation mit Gott, ist es für den Begriff Gottes selbst notwendig, daß er und er allein der Erlöser sei; daß er allein diese Erlösung vollführe als das Verzeihen ... der Sünde. Im Sinne der Theodizee könnte man sagen: die Sünde werde dadurch erklärbar, daß Gott sie vergibt. Das Wesen Gottes ließe sich nicht in seiner Vollendung begrifflich erkennen, wenn nicht die Sündenvergebung seine eigentliche Leistung wäre." (RV, 242f) „Die Sündenvergebung wird die eigentliche Spezialität der Güte Gottes. ... Auf die Sündenvergebung wird alsdann der ganze monotheistische Gottesdienst begründet. Und in ihr prägt sich das besondere Attribut der Güte [Gottes] aus." (RV, 244) Diese Sätze entfalten das Kerngebet jüdischer Schuldbekenntnisse und Vergebungsbitten (Selichot): die Verkündigung der dreizehn Eigenschaften Gottes (nach Ex 34,6f), Selicha (sdr slyhh). Der biblische Text lautet: „ER ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue. Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, läßt aber (den Sünder) nicht ungestraft."7'' Die Liturgie des Versöhnungstages ändert die-

74 H. Cohen, RV, 235 (christentumskritisch zugespitzt: RV, 399). Zur Legitimität dieser These Cohens: J.J. Petuchowski, Dialektik der Kappara, 188f. 75 Zu Opfer und Sühne bei Rosenzweig: § 15,1. 76 Zur innerbiblischen Reflexion dieser Namen Gottes: Ex 34,6f; Num 14,18; Ps 86,15; 103,8-11 (Negation!); 111,4; 145,8; Joel 2,13; Jona 4,2; Nah 1,3; Neh 9,17.31.

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sen Text scheinbar gewaltsam: „Der Ewige zog an seinem Angesichte vorüber und rief: ,Der Ewige, der Ewige, allmächtig, barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Gnade und Wahrheit, bewahrt die Gnade bis ins tausendste Geschlecht, verzeiht Missetat, Frevel und Sünde, und befreit von Schuld. So verzeihe unseren Fevel und unsere Sünde und nimm uns zum Eigentum."77 Die Kennzeichnung ,der Strafende' (Ex 34,7: „er läßt nicht ungestraft" wnqb l' ynqh) wird zum Gnadennamen: „er macht rein" - wnqh. Selicba wird zum Inbegriff der Kappara und ihres Geheimnisses: Die Verkündigung der Eigenschaften Gottes sei die eigentliche Verkündigung des Geheimnisses Gottes: „Die Verbindung zwischen Gerechtigkeit und Liebe bei Gott ist das Geheimnis seines Wesens. Wir haben nur diese als seine Attribute zu erkennen. Die Einheit dieser Attribute ist das Wesen, ist die Substanz Gottes. Wir würden das Wesen Gottes begreifen können, wenn wir die Verbindung begreifen könnten, welche in der Einheit Gottes zwischen Gerechtigkeit und Liebe sich ewig vollzieht." (RV, 258) Während der Einigung Gottes im Bekenntnis wird das Herz im Heiligen Geist geeinigt (Ps 51,12), indem ihm im Bekenntnis vergeben wird.78 Selicha ist korrelative und effektive Sprachhandlung, Inbegriff der Reinigung durch Gott und vor Gott. „Und dieser Satz ist das höchste Triumphlied dieser Tage. Der Mensch wird neu geboren. Er empfängt von neuem den heiligen Geist, den Geist der Heiligkeit, den der göttliche Geist in den menschlichen Geist einpflanzt." (RV, 260) Der Kreis schließt sich: Die Logik der Kappara erweist sich in der Korrelation von Selicha. Der Makarismus Akibas erweist die wahre Einzigkeit Gottes im Ausschluß des Mittlers: „Kein Mensch reinigt euch; und auch kein Mensch, der zugleich ein Gott sein soll. Kein Sohn Gottes soll euch reinigen, sondern euer Vater allein. Und auch vor keinem anderen Mittelwesen sollt ihr euch reinigen, sondern nur wenn Gott der einzige und alleinige Zielpunkt eurer Selbstreinigung ist, nur dann kann sie vollbracht werden ... Gott ist der Einzige, weil vor ihm der Mensch allein sich selbst zu läutern vermag." (RV, 261, Kursive HA) Allerdings ist gegen Cohen zu betonen: Selicha bedarf keines Mittlers, wohl aber der bestimmten Zeit, der Tage von Rosch haschana bis Jom Kippur. Es gilt an dem Tag, an dem Gericht und Erlösung in der Zeit vorweg genommen wird. Die von Gott gewährte Zeit, die Stunde und der Tag der Versöhnung durch ihn und vor ihm, sind offenbar entscheidend für die Geltung von Selicha?9 Genau an diesem Punkt führt Rosenzweig die Explikation der Kappara einen entscheidenden Schritt weiter: Er fragt nach dem Wo? der Gerichtsdo-

Machsor, Versöhnungstag 105, vgl. 108 u.ö.; dazu Trepp, 135f. Vernunft als Geist - rwh - genauer: als heiliger Geist (nach Ps 51,12: RV, 119.443!), wird erst in RV zum Inbegriff der Korrelation. Zur Genese: A. Poma, Einleitung zur BR, 30*", H. Cohen, Der heilige Geist (1915), in: Jüdische Schriften 3, 176-196. 79 mAv 4,17: „Eine Stunde der Reue und guter Taten in dieser Welt ist mehr wen als das ganze Leben in der kommenden Welt". 77 78

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xologie, die den Gnadennamen Gottes rühmt. Ihr hermeneutischer Ort80 wird jetzt ausdrücklich: ,vor dem Namen' bedeutet ,in Abraham*. Der Ort der Wahrheit, des Hörens und der wahren Nennung des Namens, ist Abraham'. Die Geltung des Namens ,in Abraham' unterscheidet sich von derjenigen ,in Christus' (also hier gegen Rom 4,1-25). Aber die Anerkennung zweier Geltungsbereiche der Verheißung hebt die exklusive Alternative Cohens auf: Die Reichweite des Namens ist nicht identisch mit dem Ort seiner Bewährung! Nicht durch den quasi-priesterlichen Mittler, sondern ,in Christus' .durch den Geist' versöhnt ,der Vater'. 4. yAbrabam' als Ort der Geltung und Bewährung Die Grammatik des Dialogs hat einen Ort: Dem namenanrufenden Sch'mat antwortet das: .Hier bin ich!' - ein Ich von .reiner Bereitschaft, reinem Gehorsam, ganz Ohr' (S, 196). Die biblische Referenz ist nicht beiläufig: Das .Hier bin ich!' (hnny) ertönt in dieser Verwendung erstmals im Munde Abrahams. Mit ihm setzt die Erzählung von Isaaks Bindung ein (Gen 22,1.7.11). Die Ortsbeschreibung von Gen 22,1-19 ist in nuce eine Beschreibung des Geltungsbereichs des Dialogs von Sch'ma und Jichud: „Die Gottesvorstellung der Juden ist nicht sowohl Ursache als vielmehr Symptom ihrer Auffassungsund Darstellungsweise."81 Was geht im Dialog von Gen 22,1 vor sich? Rosenzweig antwortet darauf (S, 194-196) mit einem scheinbar assoziativen Rückbezug des Dialogeinsatzes von Gen 22,1 auf Gen 3,9: „Gott, der Herr, rief den Adam und sprach: Wo bist Du?" ^idam', verstanden als hermeneutischer Ort, ist bestimmt „durch die zornige Frage der Liebe ..., die da schreit: .Adam, wo bist du?"*82 und durch die im Antworten des Adam (Gen 3,10-12) ausbleibende Antwort .Hier bin ich!'.83 Gen 3.9 formuliert den Ruf, auf den Gen 22,1 antwortet (und auf den Jesus Christus mit sich selbst .für die vielen' antwortet)84. Unterstellt ist bei Rosenzweig, daß der biblische Text von Gen 3 und 22 bereits selbst das „Grundprinzip der talmudischen und rabbinischen Exegese" übt, „wonach zum Verständnis der Bedeutung eines Verses die Frage gefunden werden muß, auf welche dieser antwortet".85 So verstanden umschreibt das zeit- und raumlose, motiv- und grundlose: „Abraham? und Abrahams Antwort J^ier hin ichΓ einen genuinen .Ort': vor dem Angesicht! E. Fuchs, Hermeneutik, 111. E. Auerbach, Mimesis, 12. zu Gen 22,1; zu Gen 22,1-19: E. Auerbach, Mimesis, 7-30. 82 Ε. Fuchs, Marburger Hermeneutik, 8. 83 „Diese Frage nach dem Du ist das einzige, was von ihm schon bekannt ist. Aber diese Frage genügt dem Ich, sich selbst zu entdecken; es braucht das Du nicht zu sehen ... Das Ich entdeckt sich in dem Augenblick, wo es das Dasein des Du entdeckt, durch die Frage nach dem Wo des Du behauptet." (S, 195) 84 F. Gogarten, Jesus Christus, 49-60, 56f; ders., Luthers Theologie, 78.87. 85 S. Moses, Dialogische Struktur, 109. 80 81

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,Ιη Abraham' und ,vor dem Angesicht' rückt ,Gott' ins Verborgene, und zwar in eine bestimmte Verborgenheit zurück. „Daher kommt es, daß der Gott im Heidentum ein höchst lebendiges, sichtbares Antlitz hat und durchaus nicht als ein verborgener Gott empfunden wird, während der Glaube ganz deutlich spürt, daß er von einem Gott, der nicht offenbar würde, gar nichts weiß, sondern Gott an sich ihm ein .verborgener Gott' ist, derselbe Gott, der vor seiner Umkehr aus der Verborgenheit ins Offenbare dem Unglauben gar nicht verborgen schien." (S, 175f) Das höchst lebendige sichtbare Antlitz kehrt sich ,in Abraham' in die Verborgenheit: vor seinem Angesicht stehend wird Gottes .Gerechtigkeit' zur verborgenen. Die Antwort ,Hier bin ich!' ist in concreto die „Stille der Seele in ihrer aus der Nacht des Trotzes auferstandenen Treue" (S, 191). Gen 22,1 umschreibt den Ort des Sch'ma Jisrael: den Namens-Vokativ und ein Hören, das in das hinneni Abrahams eintritt: „Des Juden ... Wiedergeburt ist nicht seine persönliche, sondern die Umschaffung seines Volks zur Freiheit im Gottesbund der Offenbarung ... Abraham, der Stammvater, und er der Einzelne nur in Abrahams Lenden, hat den Ruf Gottes vernommen und ihm mit seinem .Hier bin ich' geantwortet." (S, 440) Dieses Verdienst der Väter erinnert die Benediktion Ahabat olam: „Unser Vater, unser König, um unserer Väter willen, die auf dich vertraut und welchen du Satzungen des Lebens gelehrt, begnadige uns und belehre uns!"86 ,In Abraham' wird der göttliche Name mit Recht genannt und das namenlose Schweigen mit Recht gebrochen. Die Bindung (Akeda) Isaaks bildet den Rechtsgrund des Gebets an den Vater um Gebot und Belehrung, während das Kreuz Christi den Rechtsgrund des Freimuts des Gebets an den Vater, der Gotteskindschaft und Miterbenschaft mit Christus bildet (Rom 8,1-17). Der entscheidende Unterschied im Hören und Bekennen der Verheißung - so Franz Rosenzweig an Eugen Rosenstock - gründe in „Moriah" und „Golgatha" (BT, 284). Das hinneni Abrahams enthalte die genuine Bereitschaft zum Opfer des Sohnes der Verheißung: „Abraham aber opferte [im Gegensatz zu Agamemnon] nicht etwas, nicht ein Kind, sondern den .einzigen' Sohn und was mehr ist: den Sohn der Verheißung und dem Gott dieser Verheißung ..., deren Inhalt nach menschlichen Begriffen unmöglich wird durch dieses Opfer; nicht umsonst gehört diese Perikope unsern höchsten Feiertagen87; es ist das prototypische Opfer nicht der eigenen Individualität (Golgatha), sondern der völkischen Existenz, des .Sohns' und aller zukünftigen Söhne (denn wir berufen uns vor Gott auf dieses Opfer oder vielmehr auf diese Opferbereitschaft und zwar die des Vaters, nicht die ... des Sohnes). Der Sohn

" Im Eingang des Morgengebets wird zuvor an die Abrahamskindschaft erinnert: „Aber wir sind dein Volk, Kinder deines Bundes, Kinder Abrahams, der dich liebte" (Sidur, 7). 87 Gen 22,1-24 ist Tora-Lesung am zweiten Tag von Rosch haschana (Trepp, 260); AkedaDichtungen finden sich in den verschiedenen Gottesdiensten an Jom Kippur (Trepp, 231f). 234

wird wiedergegeben: er ist nun nur noch Sohn der Verheißung."88 Berufung auf Abrahams Opferbereitschaft erklärt nicht die Bereitschaft zur Wiederholung seines Opfergangs. Stellvertretung durch Abraham ist konstitutiv für das ,Sein in Abraham': „Kein Jude kann auf seinen Sohn, den Sohn der Verheißung, verzichten; Abrahams Verzicht geschah eben für alle kommenden Generationen, damit hinfort keiner mehr ihm nachtun müsse."89 Hören und Bekennen meint, in den Glauben Abrahams einzutreten, der Gottes Verheißung .bewährt'; und es meint, in die Hoffnung Abrahams einzutreten, vor dem Angesicht als .bewährt' zu gelten. „Er aber vertraute IHM; das achtete er ihm als Bewährung" - so übersetzen Rosenzweig und Buber .Gerechtigkeit' (sdqh) in der Schlüsselstelle Gen 15,6 (und von da an konstant).90 Abraham gilt als der Bewährte (sdq) - so möchten wir formulieren - , weil und insoweit sich an seinem Sohn der Verheißung (Gen 22,16) Gottes Gerechtigkeit erweisen wird. Zweifellos ist im Stern .Israel· in der Abrahamkindschaft leiblichen Hörens, Gehorchens und Glaubens der Verheißung der .Sohn der Verheißung'. Aber dadurch gilt Gal 3,16 nicht als widerlegt („Abraham und seinem Nachkommen wurden die Verheißungen zugesprochen [nach Gen 22,16]. Es heißt nicht: .und den Nachkommen', als wären viele gemeint, sondern es wird nur von einem gesprochen: und deinem Nachkommen·, das aber ist Christus"). Vielmehr wird der „Begriff der Bewährung der Wahrheit zum Grundbegriff" der „messianische[n] Erkenntnistheorie" Rosenzweigs (ND, 158f). Die eschatologische Reichweite des göttlichen Namens ist so zu bestimmen, daß er am doppelten Ort seiner Geltung im begründet unvereinbaren und unentscheidbaren Widerspruch der Homologien zur dialogischen Hoffnung anleitet. Die Differenz der Bewährung (als Sein-in-Abraham, als Glaube-inChristus) zeigt das Geheimnis der göttlichen Gerechtigkeit an.

Zusammenfassung 1. „Liebe ist stark wie der Tod" - dieses rhetorische Bild führt ein ins Zentrum der Namenstheologie Franz Rosenzweigs: in die Präsenz und Externität ,des Namens' in seiner Homologie. Der Name gibt sich in einer Präsenz, die sich der Vergegenwärtigung im Aussagesatz entzieht. Eben darin begründet er die Homologie als Satz aus Glaube auf Hoffnung. Die Gabe des Namens begründet die Homologie (Jichud Haschern, Sctfma Jisrael). Die grammatische Beschreibung von Jichud und Sch'ma Jisrael bildet deshalb den Anfang des Erlernens der messianischen Lebensform. Die bleibende Externität in der Gabe des Namens nennen wir: die Dichte seiner Herr-

" BT, 284 (7.11.1916). " BT, 462 (wiederum an Rosenstock, 2.10.1917). 90 Vgl. H.-C. Askani, 167-173. Paradigmatische Stellen waren: Gen 15,6; Gen 6,9; Hab 2,4.

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lichkeit. Sie führt zur grundlegenden Unterscheidung der synchronen und diachronen Reichweite des Namens und seiner messianischen Geltung. Dieser namenslogischen Unterscheidung entspricht die Unterscheidung von messianischem Glauben und eschatologischer Hoffnung. Einführung in die Homologie des Namens ist stets zugleich Einführung in die Hoffnung auf die Läuterung der Lippe. Die wahre Homologie des göttlichen Namens steht aus. 2. Die Auseinandersetzung mit Hermann Cohens ursprungslogischer Konstruktion von Jichud und Sch'ma Jisrael führt zu zwei Präzisierungen: Der homologische Glaube ist zeitbedürftig, augenblicklich: Die „Sehnsucht nach seiner [sc. des Einzigen] Ewigkeit vergeht dem Menschen, der Gottes Gegenwärtigwerden in dieser Weltzeit erfährt und erhofft ... Vor der lebendiggewordenen Zeit lernt das Verlangen des Menschen nach Ewigkeit zu schweigen" (Z, 815). Für den späten Cohen wird Religion zum Ort von Faktizität, vollzogen in der Homologie - particula veri der von Cohen eliminierten Kantschen Frage nach göttlicher Existenz als realer Relation. In der Präsenz des Namens lernt homologischer Glaube Faktizität. Rosenzweig exponiert sie als kreatürliche Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, als genuine Temporalität göttlicher Ökonomie. 3. Die grammatische Analyse von Widduj und Selicha, des Schuldbekenntnisses und der Doxologie der dreizehn göttlichen Gnadennamen, spitzt dies zu: Umkehr, Buße und Reinigung bedürfen der gewährten Gegenwart der Umkehr, des bestimmten Tags der Versöhnung. Im Schuldbekenntnis vollzieht sich eschatologische Existenz in der Gegenwart des Namens. In der Doxologie der in der Versöhnung inkommensurablen göttlichen Gerechtigkeit wird ,der Name' geeinigt (Selicha). Die midraschische Formel: „Wenn ihr mich bezeugt, so bin ich Gott, und sonst nicht", hält fest: In der Einigung des Namens durch die Sünder, die im Namen gereinigt sind, wird Einzigkeit des Namens, der zugleich gerecht und barmherzig ist, anerkannt. Diese Einigung Gottes im Bekenntnis der gereinigten Gemeinde gilt als das Geheimnis der Versöhnung. Anders als Cohen anerkennt Rosenzweig aber, daß dieses Geheimnis einen Ort hat. Die Gemeinde, welche die Einzigkeit des Namens erkennt und anerkennt, anerkennt zugleich die innere Grenze ihrer Homologie: die ausstehende Einzigkeit des Namens. 4. Rosenzweig präzisiert den hermeneutischen Ort der Homologie dialogisch: Sch'ma und Jichud, Widduj und Selicha gelten ,in Abraham', dem Ort der Bewährung. Die unvereinbare und kontradiktorische Differenz des Gehorsams und Glaubens ,in Abraham' (Gen 22,1) und ,in Christus' ist irreduzibel. Aber die in Abraham zugerechnete Gerechtigkeit unterliegt nicht dem Prinzip des ausgeschlossenen Dritten: Bewährung ,in Abraham' dementiert nicht Gerechtigkeit des Glaubens ,in Christus', obgleich sie ihr kontradiktorisch widerspricht. 236

§ 10 Elemente theologischer Propädeutik: ,Der Name' als Wort „In der Stunde, da man den Menschen zu Gericht führt, spricht man zu ihm: ... Hast du Zeiten bestimmt für die Thora?... hast du das Studium mit Weisheit (Methode) betrieben? Hast du den Satz erschlossen auf dem Grunde eines Satzes?"1

1. Zwei Aufgaben einer theologischen Propädeutik des Namens „Denn wahrhaftig, Name ist nicht ... Schall und Rauch, sondern Wort und Feuer. Den Namen gilt es zu nennen und zu bekennen: Ich glaub ihn." (S, 209) Diese sogenannte .Ur-Formel' des Stern faßt die Grammatik des Schema Jisrael zusammen und stellt sie unter den anspruchsvollen Titel einer .Logik' des Namens (S, 207-209): Die Beschreibung der Sprachbewegungen in Sch'ma, Jichud, Widduj und Selicha wird unter diesem Titel zur Frage nach Geltung und Reichweite ihrer Wahrheit. Die Frage ist, wie in dieser Grammatik ,wahr' bzw. .falsch' und wie in ihr .tatsächlich' oder .wirklich' verwendet werden. Allerdings: Der Titel einer .Logik des Namens' ist nicht nur angesichts des faktisch im Stern Geleisteten zu anspruchsvoll und belastet das tatsächlich Geleistete mit zu weitreichenden Ansprüchen. Er formuliert zudem (und das ist wichtiger) die Aufgabe, die zu leisten ist, ungenau. Es geht darum, am Sprachhandeln paradigmatische Einsichten für das Erlernen des Gesetzes überhaupt zu gewinnen: Die Heiligung des Namens ist Inbegriff des Gesetzeswerkes. Die Frage nach der Heiligung des Namens wird zur Vorschule des dialogischen Begriffs von Verifikation und eschatologischer Wahrheit. Deshalb sprechen wir von einer theo-logischen Propädeutik des Namens.2 Die bisherige Beschreibung führte zur Unterscheidung von Geltungsbereich des Namens (Sein-in-Abraham, Sein-in-Christus) und Reichweite. In der (biblischen) Metaphorik der Ur-Formel kehrt dieses Problem in den Metaphern .Wort' und .Feuer' wieder: .Der Name' gibt sich dem .Wort' des Bekenntnisses, das .wahr' zu sein beansprucht; er bleibt ihm zugleich extern, .Feuer' der Herrlichkeit des Namens. Damit sind zwei Aufgaben einer Logik des göttlichen Namens benannt: .Wahr' oder .falsch' können (1) nur Sätze sein (allerdings nicht nur assertorische Sätze). Deshalb muß nach der Bedeutung .des Namens' im Satz gefragt werden. Doch diese Frage führt - und dies erst ist charakteristisch für Rosen-

1

Schab, 31a. Raschis Erklärung zur letzten Frage: „die Erschließung eines Satzes auf Grund eines anderen, das ist Erkenntnis." (RV. 106) Zu Schab 31a: RV, 106-108; S, 450f. 2 In Anlehnung an: W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 230f. - .Theologisch' und ( Theo-logisch' sind im folgenden äquivalent; ebenso .logisch' und .logisch propädeutisch'. 237

zweigs Projekt - zurück auf die „Satzwerdung des Tetragrammatons" selbst3. Das jüdische Bekenntnis des Namens begründe sich, so heißt es noch tastend im Stern, aus der historischen Offenbarung' dieses Namens (S, 208f). Später (im Zusammenhang der Schriftübersetzung) wird Ex 3,14 zur entscheidenden theo-logischen Einführungssituation: „ I C H BIN D A schickt mich zu euch" (Ex 3,14bß BR). Der Name begegnet biblisch bekanntlich nicht nur als tetragrammaton, sondern auch als di- und trigrammaton.4 Aber diese Gottesnamen werden (a) erst im tetragrammaton als ,der Name' festgelegt. Und erst (b) in der Satzwerdung des tetragrammatons ist entschieden, daß sich der Name des Einzigen nur von sich aus identifizierbar macht. Mit dieser Einführung entscheidet sich (c), inwiefern ,der Name' in Sätzen gültig und wahr verwendet wird: Der sein Dabeisein und sein Kommen Verheißende und am Sprecher Erweisende wird durch den Namen vom Sprecher .angesprochen', nicht .ausgesprochen': „,Er nennt sich 'hyh [ICH BIN DA]; wir nennen ihn yhyh [ E R IST D A ] . " " Ex 3,14 stellt die theologische Einführungssituation des Gottesnamens dar, aufgrund deren erst nach seiner historischen Einführung gefragt werden kann.6 Die Selbstvorstellung der Stimme aus dem Dornbusch ist „ein Transparentwerden des Namens, und zwar des ganzen Namens, in welchem er voninnenheraus sich ganz als Sinn offenbart." (A, 95) Dies zu explizieren, ist die erste Aufgabe einer Logik des Namens. Dabei entstehen eine Reihe von Fragen: -

Welchen Status hat der Namenssatz, der Dasein behauptet, indem er Dabeisein verheißt? Was meint Begründung und Verifikation der Namens-Homologie und der Sätze über den Namen? Inwiefern generiert der Name und der Namenssatz den kanonischen Text? Inwiefern hat er „als eine Kraft der Wandlung und Neubildung ... das

3 A, 95 (Kursive HA). Die folgenden Zitate stammen aus den in dieser Frage zentralen Arbeitspapieren zur Verdeutschung von Ex 3,13f: A, 93-96. 4 Die Esoterik der Namensgrapheme - magischer Namenssymbole und Buchstabenfiguren mit 12, 42 oder 72 Buchstaben, gewonnen aus anagrammatischer Permutation der vier Konsonanten des tetragrammatons - spielt in Rosenzweigs Logik des Namens keine Rolle. Seine Logik bekämpft vielmehr die Grundlage dieser Zeichen-Spekulation, das „eigentliche Unglück der Kabbala ... die Emanationslehre" (G. Scholem, Zehn unhistorische Sätze, 269). Die wichtigsten rabbinischen Belege dieser Esoterik übersetzt und interpretiert: G.A. Wewers, Geheimnis und Geheimhaltung, 124-134; die wichtigsten kabbalistischen Belege finden sich in der klassischen Interpretation bei G. Scholem, Name Gottes, 31-68. 5 Auf diese grammatische Erklärung des tetragrammatons durch Raschi (der sich selbst auf einen Midrasch stützt) beruft sich Rosenzweig: A 94.95 Anm. 8. Sein exegetischer Hauptgewährsmann ist dabei Benno Jacob. 6 Zur epistemisch-historischen und logisch-eschatologischen Identifikation: I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 588-602.

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Buch gebildet ..., - er selber Zeugnis eines Augenblicks der Offenbarung, der sich nun dem Leser in tausend Augenblicken der Erkenntnis wiederholt und erneuert" (Z, 814)? Nun stößt (2) das aus dem Namenssatz begründete und in Abraham bewährte Bekenntnis auf Widerspruch. Im Namen Gottes selbst wird der Bewährung und Begründung des Bekenntnisses widersprochen. Das Bekenntnis des Namens Gottes ,in Christus' führt ja nicht nur zu einer anderen .historischen Offenbarung', sondern behauptet die genuine theologische Einführung des Namens in Kreuz und Auferweckung Jesu. Dafür stehe Phil 2,8-117: Christus Jesus „erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr' - zur Ehre Gottes, des Vaters." Die Ubererhöhung (ΰπερυψοϋν LXX Ps 96,9) des bis zum Tod am Kreuz Gehorsamen als die Gnadengabe (έχαρίσατο) des Namens kyrios an ihn - dies ist hier die theologisch paradigmatische Einführung des Namens. Gott erwählt den gekreuzigten Jesus und gibt an ihm seinen wahren Namen kund: Er begnadigt8 Jesus mit dem Namen9. Diese erwählende Gabe des Namens ist Rechtsgrund der Homologie der Christen: »κύριος Ιησοϋξ - Jesus ist der Herr" (Phil 2,11). Die Homologie nimmt die universale, öffentlich sichtbare Akklamation durch die Mächte als jetzt geschehend vorweg (fes 45,23).10 Auch hier reicht also der Name des Herrn Jesus weiter als seine ausweisbare Geltung. (Noch-)Herrschaft und (Schon-)Unterwerfung der Geist-Mächte (Phil 2,10) ist nur ein Aspekt dieser Frage. Daß sich im Namen Jesu (d.h. unter Nennung des Namens Jesu) vor Jesus jedes Knie sich beuge, dem widerspricht die jährliche Proskynese an Jom kippur vor dem ausgesprochenen tetragrammaton allein. Diese Differenz charakterisiert die Homologie als Satz aus Glauben auf Hoffnung. Aus Glauben akklamiert die Homologie bereits jetzt die sichtbare Herrschaft Jesu. Ist damit das Geheimnis Gottes der Gemeinde in ihrer Homologie offenbar und wird von ihr akklamiert, so bleibt das Geheimnis Gottes in der Differenz der Homologien selbst: Auf Hoffnung hin akklamiert die Gemeinde, weil sie an diese Grenze ihrer Homologie 7 Zur Sprachlogik von Phil 2,8-11 bereits: H. Assel, Aufbruch, 422-426; das dort Ausgeführte wird an dieser Stelle erweitert. ' Nur an dieser einzigen Stelle im Neuen Testament wird von einer Begnadung Jesu gesprochen (J. Gnilka, Philipperbrief, 125). Zur hermeneutischen Explikation von Phil 2: E. Fuchs, Hermeneutik, 77f.110f.174f. Zur dogmatischen Explikation der Rede von der Erwählungjesu durch die Gabe des Namens: F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 2, 386-393; Chr. Link, Spur des Namens, 431-435. 9 Zur neueren Diskussion des kyrios-,Titels* und zu aramäischen und hebräischen Äquivalenten als Deck-Namen für Gott (nicht für das Tetragramm!): J.A. Fitzmyer, 811-820. 10 Zur Veränderung des Sinns von Jes 45,23 in Phil 2,10: J. Gnilka, Philipperbrief, 126f.

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selbst stößt. Darauf dürfte das (wahrscheinlich paulinische) Interpretament hinweisen: „zur Ehre Gottes, des Vaters" (Phil 2,11, vgl. IKor 15,24).n Der Name wird Wort im Bekenntnis des Jichud. Dieses widerspricht dem Anspruch, daß nur im Namen Jesu Gott als Vater wahr und gültig in der Not genannt wird. Sich kontradiktorisch widersprechende universelle Sätze12 unterliegen aber nicht zwangsläufig dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten. .Wahr' und .falsch' müssen dann allerdings in der Logik des Namens so eingeführt werden, daß die Ausweisung der einen Behauptung als .wahr' nicht notwendig die entgegensetzte Behauptung als unwahres Bekenntnis des Namens erweist. Ist also .wahr' mit Bezug auf die Entscheidbarkeit in argumentativen Dialogverläufen, also (in Analogie zur .dialogischen Logik') dialogisch einzuführen? Was meint Begründung und (Un-)Entscheidbarkeit widersprechender Homologien - und was nicht?13 Was bedeutet es für den Glauben, diese Grenze zu wahren? Das Feuer des Namens, seine Unendlichkeit, ist nicht Schranke, sondern Grenze: Die widersprechenden Homologien können begründet werden, wenn diese Grenze gewahrt bleibt. Aber auch diese Grenze wird gewahrt, indem sie in der Hoffnung überschritten wird. Inwiefern ist also .Feuer' Metapher einer Hoffnung auf die Herrlichkeit des Namens, die sich sichtbar zeigt und beschreibbar ist, ohne ausgesagt werden zu können?14 Eben diese Grenze zeigt sich schließlich in der Verwendung des Namens selbst an. Weil das Tetragramm selbst auf ein ausstehendes Geheimnis weist, deshalb führt die Logik des Namens Decknamen des Tetragramms ein. .Der Name' kann noch nicht wahr genannt werden: „UND SEIN NAME EINER (Sach 14,9). Wieso .einer'? Ist sein Name jetzt nicht einer? Rab Nachma-barJizchaq hat gesagt: nicht wie diese Welt ist die zukünftige Welt. (In) diese(r) Welt wird er mit ,jod-he' geschrieben und mit ,aleph-daleth' gesprochen. Aber in der zukünftigen Welt wird er ganz einer sein. Er wird gesprochen mit ,jod-he' und geschrieben mit ,jod-he'."15

J. Gnilka, Philipperbrief, 130f (vgl. auch: IKor 3,23; 11,3; Rom 15,7). Der Widerspruch der Homologien des Namens gilt im Stern als ausschließender (kontradiktorischer), nicht nur als unverträglicher (konträrer). - Zum Terminus .universeller Satz': G. Sauter, Kritik, 318f. 13 .Begründung' (ebenso wie .Bewährung') ist also jetzt als ein fünfstelliges Prädikat zu bestimmen: Ein Glaubenssatz wird begründet (bewährt) für jemand gegenüber einem widersprechenden Anderen aufgrund eines bestimmten Ausweisungsverfahrens vor Gott. 14 Chr. Link, Spur des Namens, 427, poinitert die „auffallende Verbindung des Namens mit dem Attribut der Herrlichkeit (kabod, doxa: Jes 42,8; Joh 12,28 u.ö.), das auf eine grundsätzlich noch vor uns liegende .eschatologische' Wirklichkeit hinweist und den Träger dieses Namens an eine noch ausstehende Zukunft... bindet. Mit dem Namen tritt die uns verborgene .letzte' Fülle Gottes in die Gegenwart ... und schafft sich ... ein weltliches Szenarium". 15 bPes 50a, Übersetzung nach G.A. Wewers, Geheimnis und Geheimhaltung, 126. 11

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2. ,Der Name' als logisches Grundelement

2.1 Was meint,Einführung' des Namens? Die Logik des Namens setzt nicht als selbstverständlich voraus, daß gehört und gesprochen wird. Sie beginnt auch nicht mit dem anthropologischen Grundsatz, daß der Mensch das Lebewesen sei, das Logos hat!16 ,Der Name', der sich gibt, hat vielmehr die Form des „unmittelbar in einem entspringenden, gesprochenen, vernommenen und vollzogenen Gebots" (S, 207). Der Name führt sich ein als konkretes Gebot: zu hören! Er führt sich ein unter dem Namensvokativ: ,Höre, Israel!', .Abraham!' (Gen 22,1), ,Mose, Mose!' (Ex 3,4), .Samuel!' (lSam 3,4.6.8.10). Der Name als Vokativ befiehlt nichts außer zu hören. Dieses Hören wird nicht auf Ermöglichungsbedingungen zurückgeführt. Man ist versucht zu sagen: Es ist Faktum des Namens - in Differenz zum Hören des kategorischen Imperativs als dem Faktum der Vernunft. Aber noch diese Entgegensetzung würde eine Vergleichbarkeit insinuieren, die nicht besteht. Anders als beim kategorischen Imperativ ist das ,Du' des Gebots nicht Fall der Idee des Gesetzes, vielmehr nur Name.17 Diese gebietende Stimme gibt sich dem Hörer, indem sie sich zurückzieht und verschwindet: Sie ist schon geschehen, freilich nicht .beständig schon geschehen'. Sie wird nicht als apriorische Stimme des Gesetzes der Selbsterhaltung der Vernunft identifiziert, sondern nur als der bestimmte Name (das Tetragramm), der sich verspricht. Der Folgesatz, die Verkündigung dieses Namens, „ER, dein Gott, ist einig-einzig" spricht aus, was im „(Höre) Israel!" enthalten ist. Der kategorische Imperativ fordert Hingabe an das Gesetz und kann sie fordern. Der Name, der sich verspricht, macht nur die Autorität der Bitte geltend: „Ein Absolutes, das zum Menschen spricht: nimm mich in dich auf! So spricht eben die .Wahrheit' nicht; sie sagt dem Menschen: gib dich mir hin". (Z, 119f) Auch das Liebesgebot (Wahabta) ist folgerichtige Explikation des ersten ,//öre/'. Der Hinweis auf diese folgerichtigen Explikationen des anfänglichen Imperativs hat im jetzigen Zusammenhang methodischen Sinn: Für das richtige Verständnis der von Rosenzweig intuitiv durchgeführten Logik des Namens erscheint uns wichtig, die Einführungssituation von den Verwendungssituationen des Namens zu unterscheiden. Die Einführungssituation kann reduzieren:

16 Das unterscheidet die Logik des Namens von einer Anthropologie, die mit dem aristotelischen Grundsatz des animal rationale beginnt: z.B. W. Kamiah, Anthropologie § 1, 27-31. 17 Es gebe, so statuiert Rosenzweig in seiner .Anleitung zum jüdischen Denken', kein Wesen, keinen Begriff des Judentums, sondern nur ein „Höre Israel", ein „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein". Und diesem Ruf beim Namen antwortet das Bekenntnis des Namens, in welchem .Israel' ist: „vom Hören zum Reden." (Z, 601f)

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Die Geltung einstelliger Elementaraussagen hängt „im wesentlichen nur vom Vergleich der Verwendung des Prädikators gegenüber dem Gegenstand in der Aussage mit seiner vorhergegangenen Einführung außerhalb einer Aussage zur Unterscheidung der Gegenstände" ab. „Diese Einführung aber läßt sich ... nur in einer Lehr- und Lernsituation für die miteinander Redenden rekonstruieren ... am Anfang eines Wissens über Gegenstände und über den Lehrenden resp. Lernenden gibt es keine Unterscheidung des Sachverstands vom Irrtum und der Aufrichtigkeit von der Täuschung. Das Geltungsproblem für Aussagen ebenso wie für Maximen besteht noch nicht."18 Als logisches Grundelement liegt der Name, der sich als Namensvokativ einführt und als Namensruf oder Namensschrei beantwortet wird, noch vor den elementaren satzförmigen Explikationen des Jichud, Baruch Schern und W'ahabta. Diese werden im Gebrauch des Namens erlernt; sie gehören schon in die Verwendungssituation.19 Von Bedeutung ist dies, weil es die stilisierte Einführungssituation „nicht mit zusätzlichen Bedingungen zu belasten [gilt], die erst auf einer entwickelteren Stufe der Sprach- und Handlungspraxis überhaupt formulierbar sind"20.

2.2 ,Der Name' als selbstbezügliches Zeichen ,Der Name' als Wort wird nur zusammen mit bestimmten menschlichen Eigennamen gebraucht (,der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs'), also nur in bestimmter korrelativer Verwendung gelernt: Der Name steht „in erster Linie nicht für einen Referenten, sondern für eine Geschichte und ein Beziehungsgefüge, in die er einführt."21 Das Tetragramm zu verwenden lernt, wer lernt, .Israel' als .ewiges Volk' anzusprechen. Vom Gott der Väter redet falsch, wer von Abraham, Isaak und Jakob spricht, als wären sie tot (vgl. Mk 12,26f par). Gott als ,Vater' anzurufen, impliziert, Jesus als .Herrn' ,im Geist' zu akklamieren. Aber dies sind bereits komplexe Verwendungen. Elementar gilt:

" K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 118f. " Daß die Stufen der Einführung und Verwendung des Namens theologisch elementar sind, ist keine neue Erkenntnis: Das elementare „Ich bin der HERR, dein Gott" wird erst in usu zu Verheißung oder Gebot. Es dürfte durchaus berechtigt sein, im Sinne der logischen Unterscheidung zwischen Einführung und Verwendung zwischen dem Wort Gottes und Verheißung und Gebot bzw. Evangelium und Gesetz zu unterscheiden. Die Unterscheidung von Evangelium und Gesetz gehört in komplexe Verwendungssituationen des Wortes Gottes und wird nur gleichzeitig erlernt. 20 K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 120. 21 H.-P. Großhans, Theologischer Realismus, 246. Die Fortsetzung ist fraglich: „Im Blick auf den Gottesnamen ,Gott, der Vater, Sohn und Heilige Geist' ist es die Geschichte Gottes mit sich selbst, mit den Menschen und mit der Welt, für die er steht und in die er einführt." Entgangen ist Großhans, daß F. Mildenberger eine Gotteslehre ausgearbeitet hat, nach welcher „Gottes Name als Inbegriff seiner Geschichte" gilt (Biblische Dogmatik 2, 385-406).

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Der Name führt sich ein als namentlicher Ruf an den, den er erwählt, und führt den Erwählten ins Dabeisein Gottes ein, indem er sich ihm als der für ihn allein anzurufende Name gibt. Der Name führt sich als vokativische Anrede und als allein anzurufender Name ein. So versuchen wir Rosenzweigs Äußerung namenslogisch zu präzisieren: „Name ist nur im Genanntwerden lebendig, der Vokativ ist sein einziger casus rectus, schon der Nominativ casus obliquus." (BT, 1162) Aber ist nicht noch elementarer anzusetzen? Ist nicht ,der Name' als ,Wort und Feuer' selbstbezügliches Zeichen, keineswegs nur Sprachzeichea} Tatsächlich exemplifiziert ,der Name' nicht nur Sprachzeichen: Namen und Namenssatz, sondern auch nicht-verbale Zeichen (z.B. bestimmte liturgische Gebärden).22 ,Der Name' ist nicht nur Sprachzeichen, er ist von den ihn denotierenden Sprachzeichen des di-, tri-, tetragrammatons (yh, yhw, yhwh) zu unterscheiden. Jedoch: Eingeführt und erlernt wird der Name zuerst als dialogisches Wort, als Ruf und Antwort. Er wird als Sprachzelchen des di-, tri-, tetragrammatons schrittweise in der Antwort erlernt. Und ein entscheidender Punkt ist erreicht, wenn gesagt werden kann: ,Der Name' wird in diesen Namen ausweisbar ,wahr' erlernt; er ist der, als der er angerufen wird; er wird als der Name genannt, als der er sich anfangs vorstellt. Eben dieser Punkt dürfte mit dem tetragrammaton und mit der Satzwerdung des Namens von Ex 3,14 erreicht sein: ,Er nennt sich 'hyh [ICH BIN DA]; wir nennen ihn •yhyh [ER IST DA].' In Ermangelung anderer Termini nennt Rosenzweig diese Einsicht in die Selbstbezüglichkeit des Namens „ein Transparentwerden des Name[n]s [sie!], und zwar des ganzen Namens, in welchem er voninnenheraus sich ganz als Sinn offenbart.'' (A, 95) Aber problematische Termini wie .Transparenz', .voninnenheraus' oder .Offenbarung' sind zu ersetzen. Stattdessen ist vom schrittweisen Erlernen des selbstbezüglichen Zeichens ,der Name' zu sprechen.23 Im Munde des Angeredeten wird .der Name' als Wort erlernt: als Laut, Name, Namenssatz und Bedeutung, und zwar als jener Laut, Name und Namenssatz erlernt, den ,der Name' exemplifiziert.24

22 Zur Terminologie: § 4.5. Daß der Name Gottes nicht nur Wort, sondern Bild und Klang wird, pointiert: G. Bader, Gott nennen, 306-354, v.a. 353f. 23 „Selbst-Bezugnahme [von Zeichen] ist eine ziemlich knifflige Sache" (N. Goodman, Sprachen 65 Anm. 9). Gleichwohl sind Goodmans Theoreme (ebd.) zur Orientierung hilfreich. Sie seien als Grundlage unserer Begriffsverwendung angeführt: „(a) Wenn χ y exemplifiziert, dann denotiert y x. (b) * und y denotieren einander dann und nur dann, wenn sie einander exemplifizieren, (c) χ exemplifiziert * dann und nur dann, wenn χ χ denotiert, (d) Wenn χ y exemplifiziert und mit ihm koextensiv ist, dann denotiert und exemplifiziert χ χ." 24 Es braucht gar nicht behauptet zu werden, daß der Name sich nicht über einen vorgängigen Rahmenbegriff ,Gott' einführt. Die Unterscheidung von Name und Begriff ist ja auf der Stufe der logischen Einführung noch gar nicht erlernt. Manche theologische Kontroverse wird mit der logischen Unterscheidung von Einführung und Verwendungssituation hinfällig.

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2.3 ,Der Name' als dialogisches Wort und Kultschrei Rosenzweig rekonstruiert die Genese des tetragrammaton nur dem Anschein nach historisch. Wir schlagen aber vor, seine Rekonstruktion als schrittweise logische Einführung des Namens zu lesen - vom Namensschrei hin zur Satzwerdung des tetragrammatons.25 Logisch elementar ist das digrammaton, ,der Name' als „Gott-Schrei" oder „Kultschrei" (2, 814), jener Name und jene Namensverwendung, die z.B. im Kultruf Hallelu-Jah! Sprachzeichen geworden ist (christlicher Theologie gilt „Abba!" als elementares Beispiel, Rom 8,15). Der Namensruf sei Wort im Urständ der Begegnung: „Also das was grade ein Gottname zum Unterschied von allen Eigen- und Dingnamen ... immer bleiben sollte." (Z, 811) Einerseits teilt die Logik des Namens das vielzitierte aristotelische Urteil, nach dem das Gebet zwar Wort, aber weder wahr noch falsch sei.26 Der Namensruf - Grundelement des Gebets - ist in der Tat noch nicht wahr oder falsch. Denn in ihm wird ,der Name' als Wort eingeführt und anfänglich erlernt, und zwar so elementar, daß die Frage nach seiner Wahrheit noch gar nicht formulierbar ist (sie stellt sich erst in Verwendungssituationen). Trotzdem ist der Namensruf, das Gebet, namenslogisch von Belang, eben weil mit ihm ,der Name' eingeführt wird. So ist zwar der Namensruf selbst noch nicht wahr oder falsch, aber die Wahrheit finiter theologischer Aussagen bemißt sich daran, daß der finite theologische Satz .offen' bleibt für Anrufung und Anrede des Namens, daß er also z.B. zu .erwartungsvoller Rede' anleitet. Es mag sich andererseits die Frage erheben: Ist der unartikulierte Schrei nicht noch elementarer?27 Dafür könnte Rosenzweigs eigene Beschreibung des Augenblicks der Erwählung angeführt werden: „Beschreibung des Ganges, der zum Augenblick der Wahl führt... Irgend so einen Moment, wo er ganz mit sich allein war, hat jeder. Und wo dieses .Alleinsein' ausbrach in eine Frage, einen Schmerzensschrei, einen Freudenruf, in dem er wahrnahm, daß er grade da nicht allein war. Nachher hat man die Sicherheit, gewählt zu haben."28 Doch was elementar erlebt wird, soll ja hier als theo-logisch elementar begriffen werden. Die rekonstruierte Einführungssituation soll die Frage bear25 Historisch ist das Tetragramm primär: E. Jenni, 702. Zudem gilt: „Bei der Verwendung des Gottesnamens in den [kanonischen] Texten ist zunächst die Gebetsanrede im Vokativ von den übrigen Gebrauchsweisen abzuheben. Die Anrede findet sich rund 380 x" (706). 26 Aristoteles, De interpretatione, 17a4; vgl. BT, 1015! 27 Dazu: G. Bader, Melancholie und Metapher, v.a. 37-64. 28 Z, 649. Die unausgebildete, aber biographisch zentrale Form des Gedankens findet sich BT, 292 (an E. Rosenstock, 11.11.1916): „... ich glaube es gibt im Leben alles Lebendigen Augenblicke oder vielleicht nur einen Augenblick, wo es die Wahrheit spricht. Man braucht also vielleicht überhaupt nichts über das Lebendige sagen, sondern man muß nur den Augenblick abpassen, wo es selber sich selber ausspricht. Der Dialog, den diese Monologe untereinander bilden, ... halte ich für die ganze Wahrheit."

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beitbar machen, inwiefern und wo von .Wahrheit* der Erfahrung zu sprechen ist, wie also ,wahr' und .falsch' namenstheologisch einzuführen sind. Theologisch elementar ist, was durchaus als unartikulierter Schrei erlebt werden mag, aber als gültiges Wort, als Sprachhandlung theologisch beschreibbar ist. Genauer: Theologisch elementar ist, daß der Schrei als Namensruf gilt, also als solcher beschrieben wird, selbst wenn er nur als unartikulierter Schrei erlebt wird.29 Erst das Wort, das als Namensruf gilt, ist .Urständ' der Begegnung, die für die Frage nach .wahr' und .falsch' offen ist. Der bloß unartikulierte Schrei bliebe letztlich .Privatschrei'. Er bliebe dem .Chaos' unterworfen, weil er es als .Chaos' nicht gültig benennen kann. Im unartikulierten Schrei fehlt noch und gilt noch nicht diese erste Unterscheidung der Logik des Namens.30 Der Namensschrei hingegen beansprucht .den Namen' als Wort und unterscheidet eben damit gültig das Chaos von dem, der allein im Chaos anzurufen ist. Insofern der Namensschrei diese Unterscheidung geltend macht, ist er nicht mehr einsam und privat. Er ist Sprachhandlung par excellence. Er beansprucht .den Namen' als Wort, also als Gottesnamen - und zwar ,in Abraham' oder ,in Christus'.31 Methodisch ist mit dieser letzten Bemerkung aber schon wieder vorgegriffen. Der Namensschrei ist - vor allem anderen - die erste, elementare Unterscheidung, die Unterscheidung dessen, der allein im Chaos anzurufen ist, vom Chaos, die Unterscheidung .des Namens' vom .Chaos'.32 Bei ihrem ersten, noch ganz intuitiv formulierten Auftreten wird die Formel vom Namen als Wort und Feuer bereits in genau diesem Sinn bestimmt: „Das Grenzenlose (.Absolute'!) steigt zur Erde nieder und zieht von hier aus, von dem Orte seines Niedersteigens, Grenzen in das Meer des Raums und die Strömung der Zeit. Das ists. Oben und unten ... Nord, Süd, Ost und West... Vergangenes und

29 Rom 8,26f beschreibt diese externe, mitgeteilte Geltung pneumatologisch. Auch Rosenzweig kann die Gabe des Namens pneumatologisch beschreiben: „Der Mensch wird wachgerufen, zur Geistesgegenwart gezwungen ... Der Name befreit ihn von diesen Gesetzen [seiner Vergangenheit]. Er ruft ihn aus der Welt, in der sein Tun gefangen war, hinein in sich selbst, in seine Gegenwart ..., über die, solange der Name genannt wird, keine Vergangenheit und kein Außen Macht hat ... Die Gabe der Geistes-Gegenwart wird dem Menschen jeden Augenblick vom Herrn der Zukunft geschenkt" (Buechlein, 87f.89). 30 So ist - um die Analogie zu bilden - Rom 7,24 der nachträglich explizierte einsame Schrei vor dem Namen, wie er an sich selbst weder erlebt noch artikuliert wird: „Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?" Daß das unartikulierte Seufzen der Kinder Gottes durch das Eintreten des Geistes bei ihnen und vor Gott zum Namensruf wird, der Gehör beansprucht und erhält, ist die Hoffnung der Kreatur in ihrem unartikulierten Seufzen, das noch der Nichtigkeit (Rom 8,20) unterworfen ist, weil ihr diese Erstlingsgabe des Geistes fehlt (Rom 8,23-26). Zur Frage: G. Bader, Melancholie und Metapher, 66-68. 31 Rom 7,25 und 8,1 wechselt deshalb von der Ich- in die Wir-Form. 32 „Was heißt ein Gott haben oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten." (M. Luther, Großer Katechismus, Auslegung des Ersten Gebots, BSLK 560,9-13.)

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Zukünftiges ... Die Welt ist geordnet ... Eben durch das Einbrechen des Namens in das Chaos des Unbenannten, das so und auch anders heißen kann (und das überhaupt ,auch anders kann'), ist der Schauplatz und der Inhalt der Weltgeschichte entstanden ... Gott ist nicht alles, sondern ,νοη ihm und zu ihm' ist alles. ... Er ist nur einiges, genau gesagt sogar nur eines, der Punkt des Herniedersteigens, der Horizont in dem sich Himmel und Erde berühren."^ Der Namensschrei ist fundamentale Unterscheidung, sofern er den einzigen Namen nennt und vom privativen Chaos des (Noch-) Nichtbenannten unterscheidet. Eben dadurch ist der Anfang elementarer Unterscheidungen im Chaos der Dinge gesetzt: Anfang und Wiederholung, Schrei und Sprachzeichen (Wort), .Himmel' (Gottes) und ,Erde' (des Chaos), Vergangenes und Zukünftiges. Der Name eröffnet reale Orientierung\ Mit dieser logischen Explikation des Namensschreis stellen wir Rosenzweig in die sprachlogische Tradition der Cohenschen Logik, behaupten aber, daß diese erst bei Rosenzweig zur Logik des Namens als Wort wird. Rosenzweig bleibt auf der Linie Cohens, wenn er das »Chaos* der Schöpfung (Tohuwabohu Gen 1,2) als das relative, privative .Nichts' des Namens (nicht mehr des: Einzigen Seins) statuiert. Dieses privative .Nichts' ist also vom logischen „Undinge" des nihil negativum (Kant, KrV Β 348; 3,307) zu unterscheiden. Die Behauptung einer creatio ex nihilo wird von Cohen wie Rosenzweig als logisches Mißverständnis abgelehnt. Allerdings: Die Aporie der Existenzfrage bleibt gestellt (indiziert durch das Beiwort ,real'). Die Frage ist, wie sie namenslogisch in ein strukturelles Problem überfuhrt werden kann. Der Namensruf, der dem Anruf mit Namen korreliert, ist logischer Anfang. Nichts anderes als diesen logischen Anfang stellt Rosenzweig fest, wenn er statuiert, das mit Namen angeredete Ich habe „nicht mehr seinen Ort in der Welt, seinen Augenblick im Geschehen, sondern es trägt sein Hier und Jetzt mit sich herum; wo es ist, ist ein Mittelpunkt, und wo es den Mund öffnet, ist ein Anfang." (S, 208) Trotz der quasi-psychologischen Ausdrucksweise ist es als logisches Postulat zu verstehen, wenn Rosenzweig fordert, daß das theologische Ich „in der Welt seinem Erlebnismittelpunkt einen Mittelpunkt, seinem Erlebensanfang einen Anfang" fordere. (S, 208) Der Name als dialogisches Wort und die Unterscheidung des Namens vom Chaos der Dinge bildet die Grundlage, auf der weitere elementare Unterscheidungen eingeführt werden.35 Entscheidend ist, daß dabei zumindest der Anspruch erhoben wird, Schritt für Schritt folgernd vorzugehen.

" B T 413 bzw. 414 (Brief an Gertrude Oppenheim, 30. bzw. 31.5.1917). 34 Die Identifikation von .Offenbarung' mit .realer Orientierung' ist schlüsselhaft; sie geht auf die Kontroverse mit Eugen Rosenstock zurück, B T 276.277.278; .Urzelle' Z, 125. 55 Vgl. § 12,3.4 und § 13,4.

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2.4 Reale Orientierung und Wort-im-Anfang Der nächste Schritt ist die Unterscheidung von Wiederholung und Anfang. Anfängliches Angerufensein und anfänglicher Ausruf wird wiederholbares Wort und Sprachzeichen, Name als .Kultruf'. Damit ist ein wichtiger Schritt zurück zur wirklichen ~Himtx\.%verwendung getan. „Mit Recht... darf verlangt werden, von den Redeeinführungssituationen wieder zu den Redeverwendungssituationen zurückzukehren, von denen wir ausgegangen waren, weil deren Anspruch, eine Orientierung des Menschen in der Welt und unter seinesgleichen zu ermöglichen, das Geltungsproblem, speziell das Wahrheitsproblem für Aussagen, erst erzeugt."* Vor dem Hintergrund dieser methodischen Forderung lesen wir in der Logik des Namens die Sätze: „Das eigene Erlebnis, das am eigenen Namen hängt, braucht also Begründung in der Schöpfung, jener Schöpfung, die wir vorhin schon als Schöpfung der Offenbarung, als historische Offenbarung bezeichneten." (S, 208f)37 Mit dem Schritt von der Einführung zur wirklichen Verwendung des Gottesnamens im Satz erhebt sich das theologische Problem der begründeten Geltung. Es kommt in der Verwendung des Namens nicht nur darauf an, daß allein ,Gott' angerufen wird, sondern daß ,Gott' im ausweisbar .rechten' Glauben, daß der .rechte' Gott angerufen wird.38 Theologisch ist dies die Frage nach dem Wo der Namensanrufung. Wir beschrieben diesen Ort als In-Abraham oder In-Christus-Sein. So kommt es jetzt (über die Unterscheidung von Einführung und Wiederholung hinaus) zur Unterscheidung der .pneumatologischen' Einführung vom .geschichtlichen' Anfang (der Offenbarung von der .historischen' Offenbarung): Im Schritt zurück zur begründeten Verwendung wird erlernt, daß ein bestimmtes Wo, eine bestimmte Sprachgemeinschaft, eine bestimmte Wirklichkeit, ein bereits zurückliegender Anfang im ersten Erlernen schon impliziert waren. Wenn dieses Wo .historische' oder geschichtliche' Offenbarung genannt wird, so gilt Begründung freilich nicht einfach als historisch rekonstruierte Rückführung der eigenen Namensverwendung auf eine historische Einführung. Der Anspruch realer Orientierung im Namen beschreibt diese geschichtliche Gabe des Namens als Ereignis sui generis. Deshalb spricht Rosenzweig von der Schöpfung der Offenbarung (charakteristischerweise nicht von der .neuen Schöpfung' der Offenbarung, 2Kor 5,17): „Solche Begründung muß, weil in der Welt, raum36

K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 120f (Kursive HA). Dieser Satz bezieht sich zurück auf S, 204: „Die Geschichtlichkeit des Offenbarungswunders ist nicht sein Inhalt - der ist und bleibt seine Gegenwärtigkeit aber sein Grund und seine Gewähr. Erst in dieser seiner Geschichtlichkeit, dieser .Positivität', findet der selbsterlebte Glaube ... nun auch die höchste ihm mögliche Gewißheit. Diese Gewißheit geht jener Seligkeit nicht voran, aber sie muß ihr folgen." 18 Das zeigt sehr schön Luthers zweistufige Auslegung des Ersten Gebots: auf die Einführung von ,Gott* (bei der sich die Frage nach wahr und unwahr noch gar nicht stellt) folgt die Frage nach der rechten Verwendung von ,Gott': BSLK 560, 9-16.17-24! 37

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zeitlich sein, gerade damit sie der absoluten Gewißheit des Erlebens, seinen eigenen Raum und seine eigene Zeit zu Haben, Grund geben kann. Die Begründung muß dem Erleben also in der Welt sowohl einen Mittelpunkt wie einen Anfang stiften, den Mittelpunkt im Raum, den Anfang in der Zeit. Diese beiden zum mindesten müssen benannt sein, mag auch sonst noch die Welt im Dunkel der Namenlosigkeit liegen." (S, 209) Auch diese elementaren Unterscheidungen dienen dazu, das Wo der rechten Verwendung des Namens zu umschreiben, um von der rekonstruierten Einführung des Namens zu elementaren Verwendungssituationen zu führen. Sie legen die Grundlage, damit ausweisbar gesagt werden kann: ,in' Abraham, ,in' Christus wird der Name wahr, wird der tatsächliche Name angerufen. Die Voraussetzung für ein theologisch geklärtes Verfahren der .Wahrheitsfindung' ist die klarere Verwendung dieses ,in' und seiner Wirklichkeitsannahmen! Indem er in Abraham oder in Christus redet, geht der Glaube vom Namensruf zum Satz über. Jede Aussage über Gott bleibt dabei an die erste und an die anfängliche Einführung des Namens rückgebunden, und zwar so, daß von der ersten zur anfänglichen Einführung des Namens zurückgefragt wird: „Die Vergangenheit, in die auch sie [die beim Name gerufene Seele] zurücksieht in dem Augenblick, wo sie ihrer Gegenwärtigkeit die Form der Aussage geben möchte, wird ihr nur sichtbar, indem sie mit dem Licht der Gegenwart in sie hineinleuchtet." (S, 207, Kursive HA) Die Spannung zwischen der ersten und der anfänglichen Einführung des göttlichen Namens im Dialog von Ruf und Anrufung und ihrer Verwendung in der Aussage ist charakteristisch für die Logik des Namens und bindet sie an die kanonische Schrift und an die .Gemeinde' zurück. Der Text vertritt die Externität des Anfangs in der Zeit, die .Gemeinde* die Externität des Wo im Raum (den Mittelpunkt im Raum). Die .historische' Namensoffenbarung als Grund gegenwärtiger Orientierung im Namen nennen wir den Namen als Wort-im-Anfang: Damit der Name als gegenwärtiges Wort Gottes in Ruf und Anrufung wahr sein kann, muß ein anfängliches Wort Gottes gewesen sein: „Es muß ein Wo, einen noch sichtbaren Ort in der Welt geben, von wo die Offenbarung ausstrahlt, und ein Wann, einen noch nachklingenden Augenblick, wo sie den Mund auftat. Beides muß, nicht mehr heut, aber einstmals, ein einziges gewesen sein, ein ebenso in sich einiges wie heut mein Erlebnis; denn es soll mein Erlebnis auf Grund stellen." (S. 209) Aber ist nicht .der Name', sofern er Wort-im-Anfang und .sichtbares' Wo gewesen sein soll und zwar in anfänglicher Identität, ,leibliches Wort-im-Anfang' (ohne christologische Konnotationen)? Das Tetragramm denotiert diesen Namen als .leibliches Wort im Anfang'. Der vierbuchstabige Verheißungsname ICH BIN DA/ Er IST DA sei „ebenso alt wie die Bibel, mit andern Worten: es ist wirklich die Spur des im dritten Kapitel des Exodus berichteten Ereignisses am Dornbusch (bzw. für den, der lieber an Literatur glaubt als an Ereignisse, die Spur jener Erzählung und ihres .Verfassers')" (Z, 813). Die nonchalance dieser Äußerung ist berechtigt, wenn klar bleibt, daß das Tetragramm die den Text generierende Verheißung 248

denotiert und in diesem (logischen, nicht historischen) Sinne .ebenso alt wie der biblische Text' ist.39 Diese Hypothese ist von religionshistorischen oder literaturhistorischen Hypothesen und Darstellungsweisen von Ex 3,14f also kategorial verschieden. Uber sie entscheidet der Nachweis, daß und inwiefern die gültige Verwendung des Gottesnamens, sei es in kultischen, sei es in kanonischen Aussagen und Texten, logisch dieses bestimmte Wort-im-Anfang voraussetzt: „Mag in der Nachwirkung das räumliche Statt-gefunden-haben und das zeitliche Geschehen-sein der Offenbarung heute in getrennten Trägern fortleben, in Gottes Gemeinde jenes, in Gottes Wort dieses, einmal muß es mit einem einzigen Schlage gegründet sein. Grund der Offenbarung, Mittelpunkt und Anfang in eins, ist die Offenbarung des göttlichen Namens. Aus dem geoffenbarten Namen Gottes leben ihr Leben die verfaßte Gemeinde und das verfaßte Wort bis auf den heutigen Tag, bis auf den gegenwärtigen Augenblick und bis in das eigene Erlebnis." (S, 209) Der generative Status des Tetragramms erweist sich nun zunächst ex negativo. Auch wenn sich die namenslogische These vom generativen Status des Namens nicht durch oberflächengrammatische Beobachtung oder traditionsgeschichtliche Rekonstruktion erheben läßt, so kann sie doch die grammatische und traditionsgeschichtliche Analyse anleiten. Es zeigt sich, daß das tetragrammaton in der Selbstvorstellungsformel ,Ich bin yhwh' neue Sprachhandlungen (z.B. Rechtssätze, Gebote) generiert oder die Verwendung und Bedeutung bestehender Sprachhandlungen, z.B. in der sog. Erkenntnisaussage oder im sog. Erweiswort, neu regelt. Im Gebrauch der Sprache könnte sich anzeigen, daß ,Geschichte' nicht sowohl neu gedeutet als vielmehr .Erfahrung' von Ereignissen als .geschichtlich' genuin geregelt ist.40

2.5 ,Der Name' - kein Name Der entscheidende Schritt von der Namenseinführung zur Namensverwendung besteht darin, den Gottesnamen in Aussagen situationsunabhängig verwenden zu können. Die situative Einführung muß in situationsunabhängige Verwendung überführt werden. Dazu muß der Gottesname ,Name' (Nominator) werden. Diese Entwicklung habe auch der Gottesname genommen, sofern er vom zweibuchstabigen Kultschrei („durch Zufügung der altsemiti39 Der generative Status des ICH BIN DA verträgt sich mit dem Befund, daß dieser Name in den kanonischen Texten kaum (Hos 1,9) genannt ist (G. von Rad, Theologie 1, 194f). Literarisch ist Ex 3,14f Vorwegnahme der Sinai-Theophanie: W.H. Schmidt, Exodus 1-6, 146. 40 Walther Zimmerli hat diese namens(theo)logische These gegen eine traditionsgeschichtliche Konstruktion der Kontinuität alttestamentlicher Gottesrede verfochten: W. Zimmerli, Ich bin Jahwe; ders., Erweiswort, 125f; Erkenntnis Gottes, 104: „Durch die Hereinnahme der Formel der Selbstvorstellung Jahwes in die im Bereich des Zeichengeschehens und Gottesurteils wurzelnde Erkenntnisaussage wird zum Ausdruck gebracht, daß im ganzen Erkenntnisvorgang ... Jahwe das alleinige Subjekt bleibt." Zum Gesamtprogramm: ders., Grundriß, 10-48. - Auf die .Selbstvorstellungsformel' verweist Rosenzweig mehrfach: BT, 1160; Z. 812.

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sehen Nominalendung κ", Z, 814) zum regelrechten Namen (Nominator) yhw geworden sei. Aber die logische Einführung des Namens als Gebetsruf verlangt de jure an dieser Stelle die Weichenstellung, die de facto im kanonischen Text vollzogen ist: Im kanonischen Text begegnet der Gottesname nur noch oberflächengrammatisch als Nominator. Charakteristisch ist hingegen die Tilgung dieser Verwendungsweise, und zwar einerseits durch Tilgung des dreibuchstabigen Gottesnamens, andererseits durch Einführung der Deckaussprache für das tetragrammaton. Das erstere zieht das letztere nach sich: Rosenzweigs These ist, daß das trigrammaton im biblischen Text nur noch aus Personennamen erschließbar sei, und bewußt, d.h. logisch notwendig getilgt wurde. Falsch sei nämlich die Verwendung des Gottesnamens als bloßer Nominator (wie auch als bloße Kennzeichnung, z.B. ,der Seiende', ,das Sein', oder als bloßer Prädikator, wie möglicherweise in Hhld 8,6). Weil das trigrammaton aber als bloßer Name verwendet werden konnte, muß es „bewußt getilgt oder bewußt gemieden sein - oder auch beides." (Z, 812) Diese Tilgung bedeutet selbstverständlich nicht, daß Gottesnamen und erst recht ,Gott' nicht faktisch als Nominatoren verwendet würden! Sie stellt jedoch klar, daß dies eine abkünftige und logisch nicht ausweisbare Verwendungsweise ist. Weil diese Indirektheit aber am Zeichen des trigrammaton nicht darzustellen war, sondern nur am vierbuchstabigen Gottesnamen, deshalb sei es im kanonischen Text bewußt getilgt und durch das tetragrammaton ersetzt worden: „Verstehen läßt sich das nur so, daß das Tetragrammaton dem Trigrammaton gegenüber nie bloßer Name war, sondern immer mit dem vollen Spannungswert seiner theologischen Ladung auftrat, mit der es am Dornbusch gefüllt worden war." (Z, 813)

2.6 Satzwerdung des Namens Das tetragrammaton ist Name und beinamenhafter Satz in einem. Diese Entdeckung der grammatischen Erklärung des tetragrammaton galt Rosenzweig als seine eigentliche namenslogische .Neuerung' (vgl. A, 94). Dieses Entdekkungsbewußtsein ist nur berechtigt, wenn die logische (also nicht etwa die etymologische) Tragweite der grammatischen Erklärung im Blick ist. Die grammatische Erklärung von E x 3,14 findet sich, wie erwähnt, bereits bei Raschi: ,Er nennt sich 'hyh [ICH BIN DA]; wir nennen ihn yhyh [ER IST DA].' hwh gilt dabei als grammatische Nebenform zu byh, ebenso yhwh als Nebenform zu yhyh.*1 Raschi erklärt das Dasein als Dabeisein. Gestützt wird diese Deutung durch den Midrasch zu E x 3,14a: „Sprach zu Mosche der Heilige-gelobt-sei-er: Geh, sag Israel: - Ich bin mit ihnen gewesen in dieser Sklaverei, und ich werde mit ihnen sein in der

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Mit Verweis auf Pred 2,22; vgl. weiter: Gen 27,29; Jes 16,4; Pred, 11,3; Neh 6,6.

Sklaverei der Fremdherrschaften." (A, 95 Anm. 3) Das 'hyh sei an dieser einzigen Stelle (Ex 3,14bß) das momenthafte „Aufleuchten" der Namensbedeutung, „so daß also kein Teil des Namens vom Sinn undurchleuchtet bleibt ... und andrerseits die Flamme des Sinns an keiner Stelle über die Fläche des Namens hinausschlägt" (Z, 812). Die Identifizierung von Name und (Verheißungs)Satz führt dazu, daß in der Ubersetzung Buber-Rosenzweigs 'hyh wie sonst nur das Tetragramm selbst mit Versalien notiert ist: „ICH BIN DA schickt mich zu euch" (Ex 3,14bß BR).42 Die logische Einführung geht also vom Namensruf (digrammaton) zur Gottesbezeichnung (trigrammaton) und vom bloßen Nominator zum Verheißungsnamen und -satz, aufgrund dessen die Verwendung des Namens als bloßer Name ausgeschlossen wird (Z, 814). Der Gottesname wird zum .namenlosen Namen'.43 Anders formuliert: Die auf der primären logischen Stufe unproblematische Geltung des Namens als Rufname, wird auf der zweiten Stufe situationsinvarianter Rede problematisch. „Zwischen Reden und Handeln muß [sc. jetzt] ein über das bloße Verstehen des Sinns der Wörter hinausgehender kontrollierbarer Zusammenhang eingeführt werden, der als Begründbarkeit von Rede erscheint."44 Eben für diese Begründung der genuinen Namensverwendung, die zugleich Begründungsalternativen ausschließt, ist die Satzwerdung des Namens in Ex 3,14f elementar! 3. ,Der Name' als Satz: Metaphorizität 3.1 ICH BIN DA - Existenzsatz und Verheißungssatz Der Versuch, die Satzwerdung des Namens mit sprachanalytischen Mitteln zu beschreiben, erweist die genuine semantische Selbstbezüglichkeit des ICH BIN DA: Der sich in diesem Namen vorstellt, lokalisiert und identifiziert sich in der Tat allein ,νοη sich aus' (wir sprechen nicht mehr von .Offenbarung'). Aber was heißt das? Der Gottesname scheint durch das leb bin da als Kennzeichnung bestimmt (die ein Bündel weiterer Kennzeichnungen impliziert). Jedoch: Nicht ,der ICH BIN DA' stellt sich vor (wie die Septuaginta übersetzt: ό ών). Nicht um eine Kennzeichnung handelt es sich beim Namenssatz, sondern um einen elementaren Satz, genauer: um den internen Existenzsatz .ICH BIN DA'. Im internen Existenzsatz kristallisiert sich aber die Frage der Bezugnahme (Referenz) und der Verifikation von Namen in elementaren Sätzen überhaupt, also eine

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Zur Etymologie: E. Jenni, Art. yhwh, 703; W.H. Schmidt, Exodus 1-6, 173f. 175-179. K.H. Miskotte, Götter, 128. 44 K. Lorenz, Wahrheitsbegriff, 121. 43

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Grundfrage des Satzverstehens.45 Die Frage nach dem Verstehen von Namen (als singulare Termini) im Satz führt zu ihrer spezifizierenden, identifizierenden und vor allem zeitlich lokalisierenden Funktion: Sie teilen Dinge nicht (wie sortierende Prädikatoren) in Beispiele und Gegenbeispiele auf; vielmehr sondern Namen (in prädikativen Sätzen des genannten Typs) Einzelnes aus, unterscheiden es als unvergleichlich von anderem und verorten es an einer bestimmten, einzelnen Wahrnehmungs- und Raumzeitstelle im System der Raumzeitstellen.46 „Es sind diese zwei Seiten - die Situationsunabhängigkeit im Situationsbezug - , die in der Rede von der Verifizierbarkeit von Klassifikationen, die sich auf Wahrnehmbares beziehen, vorausgesetzt sind."47 Dabei gelte eine wechselseitige, geordnete Abhängigkeit zwischen der Mannigfaltigkeit der identifizierbaren und lokalisierbaren Dinge bzw. Ereignisse und dem System der Raum- und Zeitstellen.48 Hinsichtlich der Verifikation kommt jedoch dem System der Raumzeitstellen als der „Totalität möglicher Verifikationssituationen" Priorität zu: Es gilt als „universales VerifikationsfeldV Deshalb führen Aussagen, in denen Namen oder Kennzeichnungen als Referenten auftreten, auf elementare interne Existenzsätze, z.B. Ich bin, Er ist, Ν ist, zu, die analytisch umgeformt werden können: ,Ich bin meine Zeit', ,Er ist seine Zeit', ,N ist seine Zeit' (x existiert an tj. 5 0 Es stellt sich damit die Frage, was dieses ,ist' (bzw. ,existiert an t n ') der Anwesenheit in einem Raumzeitbereich bedeutet; die Frage also, inwiefern darin eine genuine Existenz von Individuellem behauptet wird, die sich vom Existenzquantor unterscheidet: „es gibt zwei Existenzbegriffe, mit zwei ver-

45 Zur Funktion und Bezugnahme von Eigennamen (der natürlichen Sprache) in prädikativen Sätzen mit zeitlichen bzw. räumlichen Sortalprädikaten (also in raumzeitlich-gegenständlichen Aussagesätzen): E. Tugendhat, Vorlesungen, 358-469. Tugendhat schränkt seine Untersuchung auf die genannten Satztypen ein (klammert also abstrakte Gegenstandsbereiche wie z.B. Zahlen, Klassen aus, ebd., 500). Aber für die Zwecke unserer theologischen Propädeutik ist gerade der von ihm untersuchte Typus des elementaren prädikativen Satzes zentral. 46 E. Tugendhat, Existence, 87 (als Reformulierung der Kantschen .Anschauung'). Zur Unterscheidung von .Kennzeichnung' und .Eigenname' und zur Präzisierung von Lokalisation als Existenzbehauptung: E. Tugendhat, Vorlesungen, 376-384.407-424. - .Kennzeichnung' ist formal eine Wortgruppe aus Zeigewort bzw. Artikel und Prädikator, bei der nicht von vornherein feststeht und festzustehen braucht, ob sie auf einen wirklichen oder fingierten Gegenstand referiert. 47 E. Tugendhat, Vorlesungen, 450. 41 E. Tugendhat, Vorlesungen, 464. 49 E. Tugendhat, Vorlesungen, 468. 50 Die Explikation interner Existenzsätze konnte als ontologische Schlüsselfrage gelten, wofür nur Martin Heideggers Diktum angeführt sei: „Die Frage nach dem, was die Zeit sei, hat unsere Betrachtung auf das Dasein verwiesen, wenn mit Dasein gemeint ist das Seiende in seinem Sein, das wir als menschliches Leben kennen; dieses Seiende in der Jeweiligkeit seines Seins, das Seiende, das wir jeder selbst sind, das jeder von uns in der Grundaussage trifft: Ich bin. Die Aussage .Ich bin' ist die eigentliche Aussage vom Sein vom Charakter des Daseins des Menschen" (Zeit, 11).

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schiedenen Grammatiken, denjenigen, der im ,es gibt' bzw. im Existenzquantor zum Ausdruck kommt, und den singulären (prädikativen) Existenzbegriff, der einen Zeit- und gegebenenfalls Ortsbezug impliziert."51 Wenn also das Verstehen von Namen im Satz analytisch auf (interne) Existenzsätze zurückführt, so können diese Sätze als für das Satzverstehen schlüsselhafte Satzform gelten. Aber was heißt, diesen Satz zu verstehen? Der Versuch, den Satz der Form ,N ist (seine Zeit)' formalsemantisch zu analysieren, endet aporetisch: Der interne Existenzsatz macht zwar eine genuine Existenz von Individuellem geltend, welche der triftigen kantischfregeschen Kritik am Begriff individueller Existenz nicht unterliegt. Mit ihm liegt also eine ausweisbar genuine Verwendung der Kopula ,sein' im Satz vor. Aber die Frage nach ihrer Bedeutung geht ins Leere: Die Existenz des ,Ich' sei als temporales Dasein zu bestimmen und könne nur durch Untersuchung des Zeitpunkts seines behaupteten Daseins verifiziert werden: Zeit erweise sich als letztes Verifikationsfeld gegenüber den in diesem Feld vorkommenden Gegenständen. Diese Auskunft bleibt aporetisch. Was meint, den Zeitpunkt des Da-Seins oder die Zeit als letztes universales Verifikationsfeld individueller Existenz untersuchen? Das ist ungeklärt.52 Theologisch ist diese Aporie aber aufschlußreich: Die formalsemantische Analyse des Satzes ,Ich bin da' würde Zeit als letztes Verifikationsfeld auch eines göttlichen Namens bestimmem. Nun erwies sich aber als Grundsatz der Eschatologie: Göttliche, inkommensurable Gerechtigkeit ist umgekehrt Maß individueller Zeit!53 ,Gott' und .göttlich' würde also primär die singuläre Verifikation dieses Namens regeln: Obgleich als Name, gebraucht im Satz, dem Verifikationsfeld meßbarer Zeit unterworfen, bemißt sich zugleich an diesem Namen, als göttlichem Namen, individuelle Existenz in der Zeit überhaupt. Erst diese Spannung markiert das theologische Problem der Referenz. Sie ist im Tetragramm konzentriert. Rosenzweigs Analyse von Ex 3,14 pointiert zunächst, daß ICH BIN DA unbesehen seiner Satzform - nicht primär als Aussagesatz fungiert. Dieser Satz behauptet nicht primär das Dasein Gottes, sondern verheißt sein Dabeisein. .Dasein' ist transitiv, der Namenssatz also pragmatisch zu verstehen. „Denn das hebräische hyh ist ja nicht wie das indogermanische ,sein' seinem Wesen nach Kopula, also statisch, sondern ein Wort des Werdens, Eintretens, Geschehens." (BT, 1161) Das ICH BIN DA behauptet eine reale Relation. Real heißt diese Relation, sofern in ihr „zwar Erfahrbarkeit Existenz, Existenz aber nicht Erfahrbarkeit impliziert und deshalb gesondert bestimmt

51

E. Tugendhat, Selbstbewußtsein, 176. E. Tugendhat, Aufsätze, 13; vgl. ders., Vorlesungen, 468; Propädeutik, 197-199; und, die Aporie zusammenfassend: Aufsätze, 126-128. 53 Dazu § 3,4. 52

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werden muß." 54 Was wir bisher als Externität des Namens in seiner Präsenz grammatisch an der Homologie beschrieben haben, läßt sich logisch möglicherweise präzisieren: Der Name bleibt dem homologischen Satz, den er begründet und der ihn vergegenwärtigend verewigt, stets zugleich extern, weil sich das in ihm verheißene Dabeisein nicht am Verifikationsfeld des elementaren Satzes bemißt. Behauptet wird ein Dabei-Sein, das nicht der zeiträumlichen Gegenständlichkeit als letztem Verifikationsfeld unterliegt, gleichwohl identifiziert, spezifiziert und lokalisiert werden kann. Diese Spannung in der Referenz des Namens liegt der metaphorischen Rede vom Kommen Gottes zugrunde. „Gott nennt sich nicht den Seienden,... sondern dir Gegenwärtigen, bei dir Anwesenden oder vielmehr zu dir Kommenden, dir Helfenden." (BT, 1161) byh wird in ICH BIN DA assertorisch und promissorisch verwendet - und deshalb metaphorisch als ,zu dir Kommen' beschrieben. Die Rede vom Kommen, vom Advent und der Verheißung Gottes indiziert also die „Metaphorisierung der Referenz" durch die Satzwerdung des Namens. 55 Die Differenz von assertorischem Existenzsatz und pragmatischem Verheißungssatz in der Satzwerdung des Namens nennt Rosenzweig den „vollen Spannungswert seiner theologischen Ladung", mit der er „am Dornbusch gefüllt worden war." (Z, 813) Diese Charakterisierung, die intuitiv zur ,Metaphernmetapher' der .Spannung* greift 56 , indiziert namenslogisch eine bestimmte Verdoppelung der Referenz. Uberlegenswert - im Kontrast zur Cohenschen Explikation des Namens als funktionaler Korrelation - scheint die Explikation dieser Spannung als realer Relation. Die reale Relation, die mit der Namensverheißung behauptet ist, läßt sich nur in doppelter Differenz explizieren: Der im Namen als der in seinem Kommen unterscheidbar, identifizierbar und lokalisierbar Gegenwärtige ist gleichwohl kein raumzeitliches Ding. Die Sprecher, die den Benannten mit dem Namen lokalisieren und identifizieren, sind selbst raumzeitlich, müssen sie sich aber zugleich im Nennen „auch in Gottes eschatologischem Identifikationssystem lokalisieren lassen, ohne deshalb von Gott und voneinander ununterscheidbar zu werden." 57 Anders gesagt: Das Ausgeliefertsein des Namens als Verheißungswort an die Menschen impliziert das Ausgeliefertsein der Menschen ans Gericht ihrer Werke. Mit dem Tetragramm gebildete Sätze lokalisieren ein bestimmtes, sichtbares öffentliches Dabeisein des Benannten, so daß Widerspruch und Zustimmung möglich sind. Darum können „die Völker sagen: Wo ist denn ihr Gott?", wie in Ps 115,2.58 Aber

54

I.U. Dalferth, Gott, 41; vgl. 40-44. Dalferth reformuliert damit den (.problematischen') Kantischen Existenzsatz: $ 4,3. 55 P. Ricceur, Metapher, 227, vgl. 252-304. 56 Zur Explikation: P. Ricceur, Metapher, 181-183.239. 57 1.U. Dalferth, Gott, 48. 51 Zu Ps 115 (hier nach der Einheitsübersetzung): S, 258-265 und § 13,4.

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das .System der Raumzeitstellen' kann nicht das letzte Verifikationsfeld dieses Dabeiseins sein. Die polemische Antwort lautet deshalb ganz logisch: „Unser Gott ist im Himmel·, alles, was ihm gefällt, vollbringt er" auf Erden, Ps 115,3. Die Behauptung des Namens im Glaubenssatz versetzt den Sprecher in eine bestimmte Strittigkeit: Er geht über in die Geltung göttlicher Gerechtigkeit und damit in die neue, unerschöpfliche Zeit, die Präsenz des Namens (wenn man so will: ,ins eschatologische Identifikationssystem des Namens'), dem gegenüber das raumzeitliche Verifikationsfeld nicht mehr letztgültig ist (als .vergangen' symbolisiert wird). Die Spannung der Verifikationsfelder markiert eine Aporie des homologischen Satzes und der theologischen Aussage: Indem er (qua Satz und Aussage) mit Namen vergegenwärtigend ausspricht, glaubt er den Genannten als Richter und spricht ihn als kommenden Gott an.59 „Diese Aporie genau zu formulieren und sie nicht mit falschen Fragestellungen zu belasten, ist die vielleicht schwierigste, aber auch praktisch bedeutungsvollste Aufgabe der Theologie".60 Diese Aporie wird überlastet, wenn isoliert nach dem Sinn .temporaler Existenz' gefragt wird.61 Wir überführen sie deshalb in die (.pragmatische1) Frage, wie (und wo!) sich diese Unterscheidung und Verdoppelung der Referenz in der Verwendung bestimmter Sprachzeichen in inhaltlich bestimmten Sprachhandlungen (Texten, Formularen) wie der Homologie, der Benediktion, der Doxologie niederschlägt und wie theologische Aussagen (als universelle Sätze) zu dieser bestimmten Verwendung anleiten. Ein Beispiel war bereits die Unterscheidung der Präsenz ,des Namens' und seine Vergegenwärtigung durch Namen. Sie führt zu konkreten Regeln der Namensverwendung, die sich textuell in der Decknotation niederschlagen. Diese Unterscheidung führt auf die Unterscheidung zwischen Präsenz und Zukunft (.Advent') Gottes im Namen.62 Eine weitere Frage ist, wie in der abgeschlossenen theologischen Aussage zwischen einer vorkritischen und einer kritischen Vergegenwärtigung Gottes zu unterscheiden ist. Man kann dies die .Diachronie' des Namens im Aussagesatz nennen, um anzuzeigen, daß geläufige Unterscheidungen (z.B. zwischen .Futur' und .Advent') um die einzufüh-

59 Die Rede von Vergegenwärtigung impliziert nicht notwendig eine Repräsentationstheorie von .Erkenntnis*. Die Theorie der elementaren Aussage (Referenz, Prädikation, Projektion und Verifikation) bildet einen genuinen Begriff der Vergegenwärtigung durch den Satz. Dazu: W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 132.139; W. Kamiah, Anthropologie, 68; insgesamt: E. Tugendhat, Vorlesungen, 459-464. 60 G. Sauter, Kritik, 242. 61 So bestimmt die Frage E. Tugendhat, Vorlesungen, 468. Wo nach .Zeit als umfassendem Horizont der Erfahrung' gefragt wird, scheint uns die unumgängliche Aporie ähnlich überlastet: G. Picht, Zeit und ihre Modalitäten, 362-374; Chr. Link, Schöpfung, 446-454. 494-512. 62 Zu den Termini .Präsenz' und .Advent* bereits: H. Assel, Aufbruch, 320-325.391-394. 449-452 bzw. 371f.391-394.

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rende Unterscheidung zwischen propositionaler .Vergangenheit* (als Schema abgeschlossener, wahrheitsdefiniter oder zumindest dialogdefiniter .Tatsächlichkeit' 63 ) und .Diachronie' zu erweitern sind.64 Die Frage nach der begründeten Verwendung von Sprachzeichen (Namen, Prädikatoren, Sätzen) und nach metaphorischer Referenz wird also nicht durch eine Theorie metaphorischer Referenz beantwortet, sondern durch die Analyse von Beispielen, an denen Urteilskraft die konkrete metaphorische Verwendung von Sprachzeichen erlernt. Universelle, theologische Aussagen sind dann Sätze über diese Verwendung, Regeln der Urteilskraft. Was Rosenzweig den ,Spannungswert' des Namens .vom Sinai her* nennt, kann als die Metapborizität des Namens näher bestimmt werden. Der Name habe „eine Kraft der Wandlung und Neubildung", welche „die Sprache gewandelt, das Buch gebildet hat, - er selber Zeugnis eines Augenblicks der Offenbarung, der sich nun dem Leser in tausend Augenblicken der Erkenntnis wiederholt und erneuert." (Z, 814) Diese Kraft der Wandlung erweise sich vor allem anderen an der Verwendung von ,Gott' selbst. Die Ineinssetzung von ,Gott' und ,yhwh' erzeuge jene semantische Spannung, die zum .metaphorischen' Gebrauch von .Gott' führe. „Und eben diese Ineinssetzung ist es, die mit ihrer aus dem ICH-BIN-DA-Ruf vom brennenden Dorn hervorschlagenden Glut in den Gottesnamen die ganze Bibel in eins schmiedet, indem sie überall die Gleichung des Gottes der Schöpfung mit dem mir, dir, jedem Gegenwärtigen vollzieht" (Z, 810). Diese weitreichende These verlangt sorgfältige Prüfung. Es wird sich dabei in der Tat immer wieder zeigen, daß semantische, syntaktische und semiotische Metaphorik aus der Verwendung der gottesdienstlichen Zeichen nicht zu eliminieren ist. Um diese generative Kraft vorläufig zu charakterisieren, kann das Tetragramm Grundmetapher oder Wurzelmetapher genannt werden.65

3.2 Decknotation als Index semantiscber Spannung Nicht die dialogistische Behauptung eines .ewigen Du, das seinem Wesen nach nicht Es werden kann' 66 trägt der semantischen Spannung des Namenssatzes Rechnung. Die oberflächengrammatisch mehrdeutigen Verwendungen von .Gott' können aber auch nicht durch Reduktion auf eine rational rekonstruierte (z.B. synkategorematische) Verwendung von ,Gott' geklärt werden. 67 Vielmehr ist zu fragen, wie die Verwendung des Namens in den verschiedenen Satzformen so geregelt werden kann, daß an der Aussage selbst die besondere Verwendung des Gottesnamens im Satz für und durch die Sprecher angezeigt wird. Nicht Sprachzeichen als solche referieren, sondern Sprecher

63

W. Kamiah/ P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 140. Zur Herkunft des Terminus .Diachronie': § 12,4.3. 65 Zu diesem Terminus: P. Ricoeur, Metapher, 233-236; I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 226. 66 Dazu: M. Theunissen, Andere, 335-346. 67 Dazu: F. Kambartel, Theo-Logisches, 67f; J. Track, Untersuchungen, 261-280. 64

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(einer Sprachgemeinschaft in einem bestimmten sprachlichen Kontext) durch den bestimmten Gebrauch der Sprachzeichen.68 Dazu wird die Verwendung des tetragrammatons gleichsam mit dem Index einer Decknotation versehen. Die Decknotation ('dny, adonai), die die Verwendung des tetragrammatons (als Lexem und Phonem) regelt, schützt den Begegnungsnamen davor, durch Gebrauch im Satz zum bloßen Namen, Prädikator oder zur Kennzeichnung abzusinken. Durch die Identifizierung von ,yhwh' mit ,Gott' (exemplarisch im Schfma) wird die semantische Spannung in der Verwendung auch auf ,Gott' übertragen: „Die Deckaussprache ihrerseits deutet einmal den Sinn des Namens insofern an, als auch sie Gott als den nennt, der nicht in seinem Sein, in seinem Wesen verharrt, sondern sich ins da-Sein, in die An-wesenheit herniederneigt; und zugleich deutet sie durch ihre grammatische Unverträglichkeit mit dem logischen Fluß des Texts" (Ζ, 814) die Metaphorizität des Namens an. Die Schriftübersetzung von Buber und Rosenzweig transformiert die Decknotation ('dny, adonai) bekanntlich in die deutschen Pronomina, die als Versalien notiert werden: DU, ICH, ER. ,Herr' habe, entgegen seinem hebräischen Ursprung, in deutscher Ubersetzung die exklusive Vokativität verloren. Deshalb dürfe das tetragrammaton in der Ubersetzung nicht als .Herr' notiert werden. Die Notation als Du, ICH, ER ersetze „das Dirgegenwärtigsein des Originals durch ein Mirgegenwärtigsein der Ubersetzung. Da bietet sich nun, da die vokativische Lösung sich als zu grotesk von selber verbietet, das persönliche Fürwort, das ja in seinen drei Personen nichts andres bezeichnet als die drei Dimensionen des Mir-Gegenwärtigseins: die Anredbarkeit, die Vernehmbarkeit, die Beredbarkeit." (BT, 1162) Das Pronomen der zweiten Person Du gilt als die Quelle des ICH und ER .Gottes', der zuerst der Anredende, und insofern auch der Angeredete und Beredete sei. Zweierlei ist wohl hervorzuheben: Die kontingente deutsche Pronominalreihe wird damit namenslogisch normiert. Weil die logische Einführungssituation des Namens der Dialog von Berufung und Anrufung ist, soll jede Verwendungssituation von ,ybwh' oder ,Gott' an dieser logischen Einführungssituation Du ausweisbar sein, ohne darauf reduziert werden zu müssen. Damit erübrigt sich die mißverständliche theologische Kennzeichnung Bubers, der Begriff eines .ewigen Du, das seinem Wesen nach nicht Es werden kann*. Rosenzweig erweist die semantische Spannung, die das indexierte Tetragramm in die Verwendung von ,Gott' (oder eines seiner Äquivalente) einträgt, an der klassischen deutschen Deckaussprache für das Tetragramm, das die Mendelssohn'sche Schriftübersetzung einführte: ,der Ewige'. Dieses historische Beispiel ist von sachlichem Belang. Es leitet zum nächsten Schritt über: Mendelssohn substituiert scheinbar den biblischen Gottesnamen durch den Schlüsselbegriff der vorkritischen rationalen Theologie (Z, 805f). Das .ewige

" Zu Herkunft und Aspekten dieses Grundsatzes des .internen Realismus': H.-P. Großhans, 32f.223. 257

und notwendig existierende Wesen' in der Kennzeichnung ,der Ewige' normiert und alteriert scheinbar die Verwendung des Tetragramms: Der Verheißungsname wird zur ,Idee' des ens necessarium. Allerdings führt nun Mendelssohn selbst diese Deckkennzeichnung im Kommentar und der Übersetzung zu Ex 3,14f ein (Z, 803f). Diese Einführung identifiziert umgekehrt die Idee des .Ewigen' mit dem ICH BIN DA und seiner Bedeutung. Indem ,der Ewige' den Verheißungsnamen ICH BIN DA scheinbar normiert und reduziert, wird die Bedeutung von ,der Ewige' durch den Verheißungsnamen ICH BIN DA selbst alteriert. Durch seine Kenose in den Augenblick des Rufs wandelt der Name die Idee der Ewigkeit, die im gestuften Aufstieg aus der Zeit im Nu ,als Grund der Dauer in der Zeit' widerfährt." „Die Sehnsucht nach seiner Ewigkeit vergeht dem Menschen, der Gottes Gegenwärtigwerden in dieser Weltzeit erfährt und erhofft... Vor der lebendiggewordenen Zeit lernt das Verlangen des Menschen nach Ewigkeit zu schweigen" (Z, 815). Der Ewige, identifiziert mit dem ICH BIN DA von Ex 3,14 wird zum sich Verheißenden, zum .Kommenden' und .Handelnden', der .lebendiggewordene Zeiten' zeitigt. Doch was heißt das?

3.3 ,Der da ist, der da war und der da kommt' Universelle Sätze als Regeln der Urteilskraft Gegen die zeitgenössische (dialogistische und dialektische) Reduktion der Rede von Gott auf nicht-propositionale Aussagen pointiert Rosenzweig folgerichtig auch die Frage der Begründung theologischer Aussagen. Diese Reduktion kann, wie Rosenzweig frühzeitig beobachtet, die theologische Begründungsaporie der Glaubensaussage nicht in ein bearbeitbares Problem überführen. Die bloße Negation der Aussage scheitert schon am transzendentalen Argument. Noch die Kritik an der Aussage wird in Aussageform vorgetragen und nimmt also ihre Geltung und Begründetheit in Anspruch - sei es auch in der beständigen Negation oder Dialektik. Das transzendentale Argument (in seiner bewußtseinstheoretischen Form, in der es Rosenzweig ins Feld führt) rekurriert auf die transzendentale Deduktion (genauer: auf ein bestimmtes Verständnis der Idee transzendentaler Deduktion), welche Begründung aus der Idee der Begründung letztbestimmt.70 Die Begründungsforderung beziehe ihren Anspruch daraus, „daß die Negation der Wahrheit nicht imstande ist, das reflexive Zurückkommen des Denkens auf diese Negation zu verhindern, ein reflexives Zurückkommen, das in dieser

" G. Krüger, Einsicht und Leidenschaft, 278-280, vgl. 138-282. Zu Recht betont Krüger, daß die platonische Sehnsucht nach dem Ewigen aus seiner Berührung und Zeugung nicht Vergottung oder Teilhabe, sondern wahre Existenz in der Zeit begründet. 70 Dazu S, 428-432; BT, 824f (Rosenzweigs Kritik an Bubers Ich und Du). Den gültigen Nachweis der Buberschen Aporie führt: M. Theunissen, Der Andere, 243-373. 258

Negation die Aussage einer Wahrheit erfaßt, die sich an die Stelle der Negation der Wahrheit setzt: allem reflexiven Zurückkommen verheißene und gewährte Bejahung, die bis hinein in das Bedeuten des Nichts Sein anerkennt."71 Die Aussage und ihr Aufweis, der zu sehen veranlaßt, und also das Wissen als originär gebendes Bewußtsein, bleiben so gegenüber ihrer versuchten Reduktion „die letzte Rechtsquelle aller vernünftigen Behauptungen."72 E. Levinas reformuliert diese Apriorität der Geltungsbedingungen in ihrem obersten Grundsatz als Synchronie der Aussage. Synchronie, die erste Setzung des transzendentalen Ich, das „Wunder der Vorstellung" sei reine Gegenwart, die „Leere der Zeit, die als Ewigkeit gedeutet wird".73 Sie bestimmt sich geradezu durch den Ausschluß von Passivität.74 Rosenzweigs These von der Satzwerdung des Namens muß demgegenüber auch als Ansatz zu dem Versuch gelesen werden, dem transzendentalen Argument (als einer bestimmten Theorie der Aussage und Aussagebegründung) nicht bloß unabgegoltenen Widerspruch entgegenzusetzen. Die Frage nach Begründung kann allerdings den transzendentalen (Letzt-)Begründungsanspruch nicht überbieten wollen. Vielmehr setzt er bei der genuinen Kontextualität und Externität der Glaubensrede und theologischen Aussage an: ,Der Name' bestimmt durch seine Einführung und Satzwerdung seine Verwendung in Benediktion und Erzählung, in Gebot und Homologie, in Bitte, Dank und schließlich im theologischen Aussagesatz. Seine Verheißung als Rechtsquelle der Glaubensrede weist diese an, die jeweilige Zeit der Rede wahrzunehmen, ohne daß dadurch situationsinvariante Aussagen unmöglich würden. Differenz wie Zusammenhang der finiten Aussage und der kontextgebundenen Rede kann in ein intuitives Bild gebracht werden: „Wenn Gott uns nahkommt, erkennen wir freilich nur das Unaussagbare. Aber das ist nicht unsre Pflicht ..., sondern wir können gar nicht anders ... Wenn wir also anfa[n]gen, es auszusagen, geschieht das wohl, weil es selber uns das Sagen, das noch so mangelhafte, möglich macht, indem es - nein, indem er, Gott, von uns zu weichen beginnt, sich von uns entfernt. Indem er sich von uns entfernt, gibt er sich uns als den Fernen zu erkennen, und wenn er ganz fern ist, nämlich wenn er sich ganz

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E. Levinas, Gott, 267. E. Levinas, Gott, 267. 73 E. Levinas, Totalität und Unendlichkeit, 176. 74 E. Levinas, Totalität und Unendlichkeit, 176. „Das Selbe, das sich auf das Andere bezieht, lehnt alles ab, was seinem eigenen Augenblick, seiner eigenen Identität äußerlich ist, um in diesem Augenblick, der von nichts abhängig ist - reine Grundlosigkeit -, alles das als .verliehenen Sinn', als Noema wiederzufinden, was abgelehnt worden war. Die erste Bewegung der Vorstellung ist negativ: Sie besteht darin, in sich den Sinn einer Exteriorität wiederzufinden und auszuschöpfen, die gerade in Noemata umgewandelt werden kann ... Ja, die Möglichkeit der Epoche definiert die Vorstellung." (ebd., 176) Dieser Augenblick der Vorstellung wird reflexiv als Selbstaffektion und Selbstbewußtsein: „Derselbe bleiben heißt, sich vorstellen ... Das Subjekt, das kraft der Vorstellung denkt, ist ein Subjekt, das seinem Denken lauscht" (ebd., 177). 72

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entfernt hat, können wir ihn sogar ... beweisen." Darin seien sogar „Sätze wie ,Gott ist heilig' oder sogar ,Gott ist'" begründet.75 Das Bild der .(unmittelbaren, unaussagbaren) Nähe' und der .(vermittelten, aussagbaren) Ferne' bleibt jedoch leer, wenn es keinen ausweisbaren Sinn erhält. Um theologisch sachgemäß nach der Begründung des propositionalen Gehalts und nach der Rechtfertigung des Behauptens zu fragen, ist die Wahrnehmung und Unterscheidung von .Zeiten der Ökonomie Gottes' (so interpretieren wir die Rede von .Nähe' und .Ferne') vorausgesetzt. Rosenzweig spricht nicht von .Ökonomie', sondern vom .Welttag Gottes' und seinen Zeiten .Schöpfung, Offenbarung, Erlösung' (in Anlehnung an Schellings .Weltalter'). Wenn wir stattdessen von Gottes ,oikonomüt' sprechen (Eph 1,10; 3,9), so ist dieses Wort nicht als .Heilsplan' zu übersetzen, sondern aktivisch: Veranstaltung, Durchführung, Verwaltung, Zeitigung. Das Wort fungiere als terminologischer Platzhalter: Gottes Verheißungshandeln läßt sich nicht angemessen als kausales oder teleologisches Handeln beschreiben: Er zeitigt Zeiten, .Tage des Herrn'.76 Es erfordert Urteilskraft, um zu unterscheiden, wie das Da-sein Gottes, das im Kommen bleibt, anzusprechen und zu prädizieren ist und wie daraufhin ,Dinge' und .Seelen' anzusprechen und zu prädizieren sind. Die Frage nach Begründung und Rechtfertigung des jeweiligen Behauptens und der jeweiligen Behauptung setzt die gleichsam .übersichtliche Darstellung' ihrer .Zeitumgebung' voraus: Die Homologie in der Präsenz des Namens, die Doxologie seiner Güte in der Erwartung des Reiches, die Benediktion der geschöpflichen Dinge in ihrem diachronischen Schon-Da-Sein (um einige im Stern exemplarische Sprachhandlungen zu nennen) sind unabdingbar kontextuelle Sprachzeichen, deren Kontext jeweils ein bestimmtes Handeln oder Zeitigen Gottes ist. Die Wahrnehmung dieses Zusammenhangs zwischen der Sprachhandlung und ihrer Gebrauchssituation, die für ihre Begründung in der Ökonomie Gottes vorausgesetzt ist, sowie der kritische Begriff der Ökonomie Gottes selbst verlangen Urteilskraft, die den jeweiligen Begründungszusammenhang übersichtlich darzustellen vermag. Im Sprachgebrauch „herrscht Urteilskraft, und nicht etwa die situationsinvariante Kontrollierbarkeit deduktiver sprachlicher Beziehungen ... Wesentlich ist hier eben, daß wir (unseren) Wörtern und Sätzen außerhalb einer übersehbaren Umgebung überhaupt keine genaue Bedeutung geben (oder ansehen) können. Daher besteht die eigentümliche Strenge des .Philosophierens' über die natürliche Sprache darin, übersichtliche Verhältnisse wiederherzustellen, wo uns der Zusammenhang zwischen Satz und Gebrauchssituation abhandengekom-

J H , 70f (gegen R. Bultmann); vgl. BT, 1059. Zum Terminus .Ökonomie': F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 1. v.a. 230-247; G. Sauter, Einführung, 157; F. Mildenberger/H. Assel, Grundwissen, 30-41. 75

76

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men ist."77 Theologische Urteilskraft, die Gebrauchssituationen darstellt und Begründungszusammenhänge aufsucht und darlegt, orientiert sich allerdings dazu selbst durch Regeln. Diese Regeln haben den Rang elementarer theologischer Aussagen. Obgleich sie auch objektsprachlich verwendet werden können, sind sie hier in ihrem Regelstatus (als Lehrsätze oder Grundsätze) von Interesse. Wir verstehen sie als regelhafte Explikationen des Namenssatzes. Es sind drei Urteilsregeln, die im Stern ausdrücklich expliziert werden: -

-

-

die messianische Doxologie: „ER ist gut" (z.B. Ps 73,1); sie in ihrem genuinen Behauptungsmodus und Geltungsanspruch zu erlernen, ist das Ziel des Stern; die eschatologische Doxologie: »ER tötet und macht lebendig" (lSam 2,6); dieser Satz leitet zur Wahrnehmung der eschatologischen Wahrheit Gottes an, deren Reichweite den bestimmten Geltungsbereich des Namens begründet und dialogisch offen hält; die sog. Unveränderlichkeitsformel·. „ER, der da ist, der da war und der da kommt".

Die sog. Unveränderlichkeitsformel ist nicht zufällig die traditionell jüdische Auslegung des Gottesnamens von Ex 3,14f.78 Diese Formel expliziert das ICH BIN DA namenslogisch (und nur darauf kommt es hier an), sofern sie klarstellt, daß mit diesem Satz Gottes Dasein behauptet und verheißen wird, ohne es der Verifikationsbedingung temporaler Existenz zu unterstellen. Insofern verstehen wir die Unveränderlichkeitsformel als einen ersten Folgesatz des ICH BIN DA; sie wird deshalb zuerst analysiert: Der Namenssatz wird durch die Unveränderlichkeitsformel als Verheißung näher bestimmt, die universelle theologische Aussagen nicht ausschließt, sondern erfordert und begründet: Der sich augenblicklich Vergegenwärtigende verheißt sein Kommen und verheißt, schon da gewesen zu sein, zuvor .schon da' gewesen zu sein. Deshalb kann formuliert werden: „Gott ist nicht alles, sondern ,νοη ihm und zu ihm' ist alles." (BT, 414). Oder: ,Gott ist nicht alles in allem' aber: Er verheißt, alles in allem gewesen zu sein (vgl. IKor 15,24). Bezogen auf diese Verheißung sind durchaus universelle theologische Aussagen möglich: „Nur weil dieser dir gegenwärtig Werdende dir immer gegenwärtig werden wird, wenn du ihn brauchst und rufst - ich werde dasein -, nur deshalb ist er dann unserm Nachdenken ... freilich auch der Immerseiende, der Absolute, der Ewige, losgelöst dann von meiner Bedürftigkeit und meinem Augenblick, aber doch nur loszulösen, weil jeder zukünftige Augen-

77 F. Kambartel, Philosophie der humanen Welt, 155f. Dort auch der explizite Bezug auf Wittgenstein: „Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung ... Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen." (L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen I, 122, S.302) 78 S. Amsler, Art. hjh, 485f; vgl. Apk 1,4.8; 4,8; 11,17; 16,5.

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blick eines jeden an der Stelle dieses meines jetzigen stehen könnte."79 Damit werden im Grunde Genese und Status theologischer Aussagen skizziert. Es zeigt sich, daß gerade die universelle Aussage (z.B. ,ER ist da, und war da und kommt'), also das abgeschlossene theologische Urteil, hypothetischen Status hat, während das situationsabhängige, zeitgebundene Sprechen des Glaubens assertorisch (im theologischen Sinn) reden kann. Umgekehrt sind universelle, abgeschlossene Aussagen notwendige Regeln der Urteilskraft, damit überhaupt begründet situationsabhängig und zeitgebunden geredet wird. Universelle Sätze sind Hypothesen, Sätze von hoher diachronischer Allgemeinheit und in ihrem Regelstatus von empirisch generellen Sätzen zu unterscheiden.80 Aber gerade durch sie wird es möglich, den Grad der Überprüfbarkeit des Redens von Gott anzugeben und zu erläutern, was unter der Unabgegoltenheit dieser Rede zu verstehen ist. Die Orientierungskraft dieser Sätze „erschöpft sich nicht in der Formulierung von Hypothesen von unbegrenzter Reichweite, sondern besteht außerdem in Präskriptionen geringerer Reichweite im Rahmen solcher Hypothesen. Das abgeschlossene (finite) theologische Reden verhält sich zum erwartungsvollen Reden wie universelle Aussagen zu begrenzten Präskriptionen. Darin besteht der Spielraum theologischer Produktivität"81 - bzw. der Spielraum theologischer Urteilskraft in ihrer Suche nach übersichtlicher Darstellung und Begründung. Die universelle Aussage steht in einem Begründungszusammenhang, der einen erkennbaren empirischen Ort hat und durch die Geltung des Namens und seiner Verheißung umrissen ist. „Es ist der Verständigungsraum .Kirche'" oder - wie wir jetzt hinzufügen - Jsrael', „der nicht nur angibt, wo so ... gesprochen wird, sondern der vor allem auch zeigt, wie solches Reden überprüft werden kann."82 Unter den universellen Sätzen (neben den genannten sind z.B. zu nennen: Rom 11,32: ,Gott hat alle [Juden und Heiden] in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen'; 2Kor 5,17; 2Kor 5,19; Rom 11,36a) kommt der ,Unveränderlichkeitsformel' der Rang zu, überhaupt zu umschreiben, was theologisch unter diachronischer Allgemeinheit zu verstehen ist. Sie umreißt die zeitlichen Erstreckungen der Ökonomie Gottes im Geltungsbereich des Namens. Welche Präskriptionen zieht Rosenzweig aus dem universellen Satz der Unveränderlichkeitsformel? Die Explikation des Namenssatzes durch den Unveränderlichkeitssatz begründet bei ihm vor allem 79

BT, 1161, vgl. insgesamt BT, 1158-1162 (Brief an M. Goldner, 23.6.1927). „.Diachronizität' ist ein Begriff, „der die zeitliche Erstreckung sowohl der Geltung von Aussagen wie auch ihrer Überprüfbarkeit zu erfassen sucht." (G. Sauter, Kritik, 355) Der Terminus wird also hier anders verwendet, als der in Anlehnung an Levinas angeführte Begriff .Diachronie'. Sachlich liegt freilich beiden Begriffen die Frage der bestimmten Zeitlichkeit der Glaubensrede und theologischen Aussagen zugrunde. " G. Sauter, Kritik, 265. Zu .Präskription' als Anweisung zu bestimmten Prüfverfahren und seiner .intuitionistischen* Wurzel: ebd., 92.62.358. 112 G. Sauter, Kritik, 319f. 80

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die Kritik des spekulativen .Dogmas' (wie des kabbalistisch-nihilistischen .Mythos'83) vom Werden Gottesl Dieser Widerspruch ist die Konstante in Rosenzweigs Konzept eschatologischer Urteilskraft von Beginn an: Eine der frühen Reflexionen nach dem Oktober 1913 zieht bereits diese Folgerung. Für Hegel sei Gott „in jedem Punkt seines Werdens eins mit dem betreffenden Punkt des Werdens der Welt. Das eben hat nachher Schelling umgestürzt. Auch für Schelling ist das Werden der Welt Werden Gottes, aber Gott und Welt bleiben zweie. Gott ist bei Schelling das Feste, Ruhende, das die Welt aus sich heraus gesetzt hat und nun allerdings in der Geschichte der Welt seine eigne Geschichte erfährt, indem nämlich die Welt sein geschichtsunterworfener Teil ist; Gott bleibt daher seiner eignen Geschichte noch immer transzendent."" Diese Behauptung der transzendenten Ruhe und Freiheit wird durch den Vorwurf .schlechter' Unendlichkeit nicht getroffen: Gott, so formuliert der Stern, .werde' in Schöpfung, Offenbarung und Erlösung bis zum Ende, aber dieses Werden bedeute kein Wachsen, kein Sichverändern; es sei unveränderliches Werden: „Denn zwar für Gott sind die Zeiten jenes [Welt]Tages eigne Erlebnisse; ihm ist die Schöpfung der Welt das Schöpferwerden, die Offenbarung das Offenbarwerden, die Erlösung das Erlöserwerden. So wird er bis zum Ende. Alles was geschieht, ist an ihm Werden. Und da doch alles, was geschieht, gleichzeitig geschieht und in Wahrheit die Offenbarung ja nicht jünger als die Schöpfung ist und schon deswegen auch die Erlösung nicht jünger als beide, so ist jenes Werden Gottes für ihn kein Sichverändern, kein Wachsen, kein Zunehmen, sondern er ist von Anfang an und ist in jedem Augenblick und ist immer im Kommen; und nur wegen dieses Zugleichs seines Immerwährend-, Allzeit- und Ewigseins muß man das Ganze als ein Werden bezeichnen." (S, 287f, Kursive HA) .Der war, der ist, der kommt' wird in der Benediktion, in der Homologie, in der Doxologie des Namens .verewigt'. Aber sofern Benediktion, Homologie und Doxologie sich ihrerseits auf ihre Verifikation durch Gott hin ausstrecken, ist Gott der Sieb-Verewigende. Er ist der Sich-Verewigende und Ewige: der Unendliche, nicht: der Werdende.85

" H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. BT, 161 (Tagebuch 23.6.1914), vgl. BT, 159.161f. 15 Umgeformt zur Regel der Urteilskraft liegt hier Schellings Gesetz der Simultaneität und Sukzession der Weltalter zugrunde. Dazu § 12,5 Exkurs. 84

263

4. Unendlichkeit des Namens und Sätze über das Geheimnis Es erscheint eine nicht unbedeutende Aufgabe, ein Verständnis der Unendlichkeit Gottes zu gewinnen, das zugleich die Behauptung eines Werdens, einer Veränderung Gottes ausschließt.86 Denn in gewisser Weise ist die Rede von der .Unendlichkeit' der Wahrheit der Verheißung die Konsequenz der Namenslogik im Stern. Diese Konsequenz kann hier nur dargelegt werden, ohne daß bereits ein geklärter Begriff von Unendlichkeit vorgeschlagen werden könnte. Noch einmal sei an das spezifische Problem angeknüpft, das dadurch entsteht, daß universelle theologische Sätze, die die Namensverheißung entfalten, in zwei Geltungsbereichen zur Anwendung kommen und dadurch zu widersprechenden Folgeaussagen führen. Dieser kontradiktorische Widerspruch sei am Beispiel der versöhnungstheologischen Sätze dargestellt: „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat." (2Kor 5,19) - „Heil Euch Israel! Wer reinigt Euch und vor wem reinigt Ihr selbst Euch? Es ist Euer Vater im Himmel." (mjoma 8,9; Β Joma 85b) Sollen beiden Aussagen in ihrem jeweiligen Geltungsbereich als in der Verheißung des Namens begründet gelten, so muß das Verfahren der Verifikation solcher Glaubensaussagen (die Verwendung von ,wahr' und falsch') nicht nur auf genuine Weise dialogisch aufgebaut werden. Es muß darüberhinaus auf die eschatologische .Wahrheit* (W) des Verheißungsnamens bezogen bleiben.87 Unter dem Titel der eschatologischen Wahrheit des Verheißungsnamens wird dann die Souveränität der .Gerechtigkeit Gottes' als der letztgültige Begründungszusammenhang der Aussagen des Glaubens verhandelt. In seiner .Gerechtigkeit' verifiziert Gott das von ihm Behauptete und richtet die Urteilskraft des Glaubens, um über der Glaubensaussage und am Sprecher sich selbst ,zu Ehre' zu bringen.88 Eschatologische Verifikation der Glaubensaussagen und eschatologische Rechtfertigung des Sprechers durch Gott kann dann allerdings nicht behaupten und gar nicht behaupten wollen, daß Gott in seiner Gerechtigkeit universal, sichtbar und öffentlich verwirklicht und vindiziert, was jetzt in Christus als begründet und wahr behauptet wird. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten kann nicht unbesehen als Prinzip eschatologischer Verifikation der Glaubensrede durch Gott gelten,89 Stößt hier " Die Erneuerung des Unendlichkeits-Begriffs fordert W. Pannenberg, Metaphysik, 20-33; Systematische Theologie 1, 429-456, ohne daß wir damit diesem Begriff eine kriterielle Bedeutung als Rahmenbegriff von Theologie zusprechen. 17 Z, 623: „Nun die Geschichte des Namens: beginnend mit seiner Nennung, fortfahrend mit seiner Verschweigung, durch die wir uns ans Ende stellen, seiner Ersetzung (selbst Verdrängung durch einen andern gemeinten Namen im Christentum), endend mit seiner Überflüssigmachung ... Auch Gottes Name ist am Ende nicht Schall und Rauch, nur Einer. Alle Schicksale des Namens setzen aber sein Ein-für-Allemal-Gegebensein voraus." " Ps 115,1: „Nicht uns, Du, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre, um deine Huld, um deine Treue!" 264

nicht vielmehr die theologische Explikation dieser Verifikation an eine Grenze (deren Betonung selbstverständlich nicht mit Wahrheitsskepsis zu verwechseln ist, sondern auf diese antwortet)? Diese Grenze der Urteilskraft zu wahren, heißt freilich zu statuieren: „Wir erwarten mehr, als wir aussagen können".90 Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten bleibt zwar (etwa zusammen mit dem Satz der Identität und des Nichtwiderspruchs) ein selbstverständliches formales Prinzip auch der Glaubensrede. Aber es ist entscheidend, daß der Satz vom ausgeschlossenen Dritten hinsichtlich sich kontradiktorisch widersprechender theologischer Sätze, die sich beide auf die Verheißung des Namens begründend zurückführen können, nicht zugleich als Regel der Logik des Namens gilt.91 Es ist eine unzulässige tbeo-logiscbe Grenzüberschreitung, wenn behauptet wird, eschatologische Verifikation bedeute Vindikation christlicher Sätze und Falsifikation kontradiktorischer jüdischer Sätze. (Selbstverständlich ist auch die entgegengesetzte Behauptung, daß beide Sätze durch Gott verifiziert werden, theologisch unzulässig). Solch unzulässigen Grenzüberschreitungen liegt latent ein Begriff aktueller Unendlichkeit Gottes zugrunde. Demgegenüber ist, im Rahmen einer dialogischen theologischen Logik des Namens, ein theologisches Verständnis von Unendlichkeit der Verheißung und Gerechtigkeit Gottes zu gewinnen.92 Die zitierten kontradiktorischen Sätze über die Versöhnung können ja durchaus im bestimmten Sinn als dialogdefinit, allerdings nicht als wahrheitsdefinit gelten.93 Von ihnen kann innerhalb der Logik des Namens zwar nicht gesagt werden, daß sie im argumentativen Dialog nach endlichen Schritten entscheidbar widerlegt und bewiesen werden können (also dialogdefinit .wahr* oder .falsch' sind). Wohl aber können sie als begründet nicbt-widerlegbar und also als entscheidbar unentscbeidbar gelten.

89 Die Theorie eschatologischer Verifikation, die - um nur ein prominentes Beispiel für viele weniger reflektierte zu nennen - I.U. Dalferth (Religiöse Rede, 689-702) skizziert, mündet in diese Behauptung: „Dann wird sich das, was jetzt nur als eine Möglichkeit [sc. der christlichen Rede von Gott] gegenüber anderen Möglichkeiten assertorisch vertreten läßt, als die wahre Möglichkeit erweisen, deren Wahrheit die anderen Möglichkeiten rückwirkend falsifiziert." (702) Aber bleibt eschatologisch neben der Liebe und dem Glauben nicht auch die Hoffnung (IKor 13,13)? Zur diesbezüglichen Auslegung: A. Schlatter, Paulus, 366f. 90 G. Sauter, Rechenschaft, 316, vgl. 310. 91 Zu dieser Unterscheidung von Prinzip und logischer Regel: V. Richter, Logik und Geheimnis, 199 Anm. 19. n Der mathematisch-intuitionistische Begriff potentieller Unendlichkeit kann dazu freilich nur eine Anregung bieten; zur Kritik: W. Pannenberg, Metaphysik, 27f; und bereits Kant, Beweisgrund (1763), A 186f (2,727f). 93 Zu dieser Unterscheidung: K. Lorenz, Art. Logik, dialogische, 402f. Wahrheitswertdefinite Aussagen sind in jedem Fall entscheidbar, entweder wahr oder falsch; dialogdefinite Aussagen sind in jedem möglichen kontrollierbaren Dialog über sie nach endlichen Schritten entscheidbar wahr oder falsch - oder, so fügen wir hinzu, entscheidbar unentscheidbar.

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Der Stern der Erlösung und die hinter ihm stehenden Kontroversen zwischen Franz Rosenzweig und Eugen Rosenstock-Huessy und Hans Ehrenberg sind darin exemplarisch, daß hier kontradiktorische theologische Sätze in einen wirklichen argumentativen theologischen Dialog gebracht sind mit dem Ergebnis, daß hier Widerlegungen jeweils widerlegbar sind. Theologische Sätze, deren Widerlegung widerlegt werden kann, ohne daß sie dadurch als bewiesen gelten, können als Sätze über das Geheimnis gelten. Solche Sätze beenden nicht, sondern ermöglichen den argumentativen Dialog. Dieser Dialog dient der Uberprüfung der Voraussetzungen in Glaubenssätzen; und er gilt der Kritik der Hoffnung als genuiner Erkenntnis der Verheißung des Namens. Wir können begründet sagen, warum und inwiefern wir von der Gerechtigkeit Gottes mehr erwarten, als wir ausweisbar und verifizierbar im Glauben behaupten können. Wir können damit auch begründet sagen, warum und inwiefern wir nicht sprachlich behaupten, was wir erhoffen. „Dieses Auseinanderfallen der Begriffe .Widerlegbarkeit der Negation' und .Beweisbarkeit* ist sowohl für die intuitionistische Logik als auch für die Logik der Sätze über das Geheimnis charakteristisch. Es ist nicht zufällig, daß dieser Unterschied gerade dort auftritt, wo die άπειρσν-Struktur der menschlichen Aktivität ins Spiel kommt.*"4 Diese Aporie nötigt nicht zum Abbruch des theologischen Fragens. Sie kann in ein neues .strukturelles Problem* überführt werden95, nämlich in die Frage: Wo und wie, d.h. in welcher nicht-sprachlichen Mitteilungs- und Zeichenform sich die Erwartung des Namens und göttlicher Gerechtigkeit .exemplifiziert*. Gottesdienstlich-liturgische, nicht-sprachliche Zeichen könnten sich als .exemplifizierender, metaphorischer Ausdruck* des Erwarteten erweisen. Dann kann erneut gefragt werden, wie solche .Ausdruckszeichen' der Hoffnung des Namens eschatologisch zu beschreiben sind.

Zusammenfassung 1. Endete der letzte Paragraph mit der Frage nach dem eschatologischen Geheimnis der Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes, so kann jetzt eine Antwort gegeben werden: Das Geheimnis des Verheißungsnamens besteht darin, daß sich in ihm kontradiktorisch widersprechende Homologien und Orte begründen können, und zwar so, daß sie jeweils voreinander die Wahrheit ihrer Homologie bewähren können. Die Homologien des Namens sind dialogisch finit in genau jenem Sinn, daß ihr Widerspruch entscheidbar unentscheidbar ist. Dieser Widerspruch dementiert die Wahrheit des Verheißungsnamens nicht. Er lehrt vielmehr seine Unendlichkeit und also die ausstehende Verheißung seiner Gerechtigkeit, auf die zu hoffen ist. Widerspruchsfreiheit 94 95

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V. Richter, Logik und Geheimnis, 205. Zur Terminologie: G. Sauter, Kritik, 256-260.

und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sind also ein Prinzip der Rede des Glaubens, aber keine Regel der Theo-logie. 2. Der traditionell theologische, material-topische Terminus .Geheimnis' stufte die Sätze der Trinitätstheologie, der Christologie und Erbsündenlehre, der Pneumatologie und Soteriologie und schließlich der Sakramentslehre als der natürlichen Vernunft (also der speziellen Metaphysik) unzugängliche, offenbarte Glaubenswahrheiten ein. Er ist durch den Terminus .Aporie' und die Aufgabe einer theologischen Aporetik zu ersetzen. Neue Gültigkeit als Schlüsselbegriff christlicher Theologie erlangt .Geheimnis' jetzt in logisch-metatheoretischer Verwendung, und zwar als Zentrum sei es homologischer, sei es negativer Namenstheologie. Sätze, die aus der logisch anfänglichen Christushomologie erschließbar und dialogisch begründbar sind, ohne im namenstheologischen Sinn schon wahrheitsdefinit zu sein (u.a. auch Sätze der genannten Lehrtopoi), sind Sätze über das escbatologische Geheimnis der Wahrheit und Gerechtigkeit,des Namens'. So verwendet, konzentriert sich im christlicheschatologischen Terminus .Geheimnis' die mögliche argumentative Auseinandersetzung mit kontradiktorischen, dialogisch finiten, aber nicht wahrheitsdefiniten Sätzen rationaler Mystagogie oder jüdischer Namenstheologie - und umgekehrt. 3. Diese These, deren negativer Voraussetzung der Erste Teil der Untersuchung gewidmet war, wurde im vorstehenden Paragraphen in Auseinandersetzung mit der Namenstheologie Franz Rosenzweigs entwickelt. Seine Theologie des Namens kristalliert sich in der sog. ,Ur-formel' des Stern: „Name ist nicht ... Schall und Rauch, sondern Wort und Feuer. Den Namen gilt es zu nennen und zu bekennen: Ich glaub ihn." (S, 209) Diese Formel charakterisiert zunächst, was in jüdischer Namenstheologie als Begründung des Redens zu Gott und über Gott gelten kann: Der Zusammenhang aller Verwendungen des Namens mit seiner Einführung als dialogisches Wort von (.erwählendem') Ruf und (.heiligender') Anrufung. Die Namenshomologie als Anfang der Einführung in die Lebensform .Gesetz' ist gerechtfertigt, sofern der vokativische Name (der .Gottschrei' oder .Kultruf') das logische Grundelement der Rede aus Glauben auf Hoffnung ist. 4. .Der Name', der sich als dialogisches Wort gibt, begründet nach Rosenzweig jede Verwendung im Verheißungssatz und auch im Aussagesatz: Er wird zum Verheißungssatz ICH BIN DA! (Ex 3,14). .Verheißung', so läßt sich generalisieren, umschreibt in Logiken des Namens nicht eine Redeform unter anderen, sondern charakterisiert die Verwendung und Verifikation der Sprachelemente im Satz, und zwar jeweils in einem bestimmten Geltungsbereich (in Abraham, in Christus). Auch im Stern der Erlösung hat .Verheißung' diesen logisch-veritativen Status (S, 278).

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5. Was grammatisch als Zugleich von Präsenz und Externität des Namens in der Homologie beschrieben wurde, erweist sich jetzt namenslogisch als die irreduzibel metaphorische Referenz des Namens im Verheißungssatz ICH BIN DA. Die Verwendung des Gottesnamens in Aussagen stellt die Sprecher in reale Relation zu ,Gott' als .Richter' ihrer Aussagen: Derjenige, den sie mit Namen in ihrem Verifikationsfeld identifizieren und lokalisieren, ist derjenige, der sie eben darin in seinem .eschatologischen Verifikationsfeld' identifiziert und lokalisiert. Uber ,Gott' redet, wer der Angeredete bleibt; ,der Name' ist nie bloß auszusprechen, sondern nur anzusprechen. Diese kann jetzt der grammatische und logische Grundsatz der Rede von ,Gott' heißen. 6. Diese Bestimmung der logisch anfänglichen Verwendung von ,Gott' verlangt, daß jede Verwendung von ,Gott' namenslogisch-eschatologisch rekonstruierbar sein soll, auch wenn anders bestimmte Verwendungen im faktischen Erlernen vorausgehen können und gerade weil anders bestimmte Rekonstruktionen dieses faktischen Erlernens zwar ausgeschlossen, aber nicht unmöglich sind. Beispielsweise widerspricht der namenstheologische Grundsatz, im Rahmen dieser Untersuchung, der negativen Theologie praktischer Mystagogie, die alle Verwendungen von ,Gott' auf das Faktum der Vernunft zurückführt. Die Elimination ,des Namens' galt uns daher als logische Grundoperation praktischer Mystagogie. Der Widerspruch möglicher Rekonstruktionen von ,Gott' und die daraus resultierende .Spannung' in den konkreten Verwendungen kann nicht überschritten, sondern nur wieder selbst als Aspekt der metaphorischen Referenz des Namens expliziert werden. 7. Die Decknotation des Namens als Index des logischen Grundsatzes am Namenszeichen selbst war eine wichtige Konsequenz. Der bestimmte Gebrauch universeller theologischer Sätze als Hypothesen und Präskriptionen war eine andere Konsequenz. Gerade weil die Redeformen des Glaubens zeitgebunden sind und - um überhaupt ausweisbare Bedeutung zu erlangen die übersichtliche Darstellung ihrer Gebrauchssituation verlangen, bedarf es Urteilskraft und universeller Sätze als präskriptiver Regeln.

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§11 Schöpfung-im-Anfang und Schöpfung-im-Wort „Deus enim vocat ea, quae non sunt, ut sint, et loquitur non grammatica vocabula, sed veras et subsistentes res, Ut, quod apud nos vox sonat, id apud Deum res est. Sic sol, Luna, Coelum, terra, Petrus, Paulus, Ego, tu etc. sumus vocabula Dei, Imo una syllaba vel litera comparatione totius creaturae. Nos etiam loquimur, sed tantum grammatice, hoc est, iam creatis rebus tribuimus appellationes. Sed Grammatica divina est alia, nempe ut, cum dicit: Sol splende, statim adsit sol et splendeat. Sic verba Dei res sunt, non nuda vocabula."1

1. Chaos der Dinge und reale Orientierung In der Präsenz des Namens kehrt die ,heidnische, plastische Welt' ins ,Chaos' zurück. Das Hören der Stimme geschieht im ,erhabenen Augenblick', in welchem die Stimme ,aus dem Feuer' spricht: „ihr hört Erschallen der Rede, doch ihr seht keine Gestalt" (Dtn 4,12 BR). ER spricht wie am Tag, da er Himmel und Erde erschuf, das Licht rief und Licht von Finsternis schied: „die Erde aber war Irrsal und Wirrsal" (Gen l,lf BR). Die gestaltlose Stimme aus dem Feuer ist die Stimme des Schöpfers des Himmels und der Erden. „Die Präsenz [des Gebots] ist der Augenblick, der das Chaos der Geschichte unterbricht und daran erinnert oder nur sagt, daß »etwas da ist', bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat. Das ist eine Vorstellung, die man mystisch nennen kann, da es sich um das Geheimnis des Seins handelt."2 In diesem Anfang gilt nur die erste elementare Unterscheidung: des Namens vom noch namenlosen Chaos. „Diese Fülle, dieses Chaos, ist der Erstling der Schöpfung, ... nachdem erst einmal - dies Dasein selber ins Dasein gerufen, die Welt geschaffen ist ... das Chaos ist in, nicht vor der Schöpfung", hingegen „der Anfang ist - im Anfang." (S, 148) Die „Schöpfung-im-Anfang" (Gen 1,1) ist die „versiegelte Weissagung" (S, 123) der „Schöpfung-im-Wort", also der ersten Unterscheidung im Chaos (Gen 1,3-31): „Gott sprach. Das ist das zweite. Es ist nicht der Anfang. Es ist schon die Erfüllung, die laute, des schweigenden Anfangs. Es ist schon das erste Wunder. Der Anfang ist: Gott schuf. Gott schuf. Das ist das Neue. Hier zerbricht die Schale des Geheimnisses." (S, 124) Das ,Chaos der Dinge' gilt als Grenze der versiegelten Weissagung der Schöpfung-im-Anfang. Mit jeder prädikativen Unterscheidung, die in die Grammatik der Schöpfung eingeführt und erlernt wird, soll (als Voraussetzung prädikativen Unterscheidens) die Erinnerung an das ,Chaos der Dinge' mitgelernt werden als Erinnerung an das Wunder, daß schon etwas da ist. Jedoch: „der sprachliche Ausdruck dieser Erlebnisse [ist] Unsinn ...! Wenn ich sage: ,Ich staune über die Existenz der Welt', mißbrauche ich die Spra1 2

M. Luther, Genesis-Vorlesung, Schluß des ersten Schöpfungstages, WA 42, 17,16-32. J.-F. Lyotard, Der Augenblick, 20.

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che'"3. Schöpfung-im-Anfang soll nicht als .mystische Vorstellung' bestaunt, sondern im Chaos der Dinge und seiner geduldigen Unterscheidung und Benennung bewährt werden. Das ,Dasein* der Dinge soll unterschieden und gesegnet, die Güte der Dinge soll erlernt und bewährt werden. - Solch vorab summierende Behauptungen bedürfen der Rechtfertigung. Sie ist Aufgabe dieses Paragraphen.

1.1 Reale Orientierung In der Gabe des Namens kehrt die »plastische Welt' ins .Chaos' zurück: Das .Plastische' kennzeichnet bei Rosenzweig ein bestimmtes Symbolsystem4, eine paradigmatisch mythische Weltwahrnehmung. Das Erlernen der gottesdienstlichen Zeichen und des Gesetzes wird im Stern als Heimkehr aus dem Plastischen (also aus einem gültigen Symbolsystem) in die Schöpfung dargestellt. .Schöpfung' steht, um zunächst grob zu kontrastieren, für die neue Symbolisation: ihre grammatischen Elemente, ihren Behauptungsmodus (dem Segnen der Dinge) und für eine bestimmte .Lebensform' der Geschöpflichkeit.5 Die Gabe des Namens wird logisch zum Anfang realer Orientierung im Chaos der Dinge. Das bedeutet, daß jetzt nicht mehr frei zwischen Symbolsystemen hin- und hergewechselt werden soll. .Schöpfung* zu erlernen, heißt: unterscheiden lernen zwischen der plastischen Gegenständlichkeit der Dinge und der Schöpfung-im-Wort.6 Das Zweite Gebot (Dtn 5,8f zusammen mit Dtn 4,11-18) führt also das Erste Gebot aus: Die Einzigkeit des anzurufenden Namens enthält das Verbot plastischer Repräsentation.7 Charakteristischerweise entfaltet Rosenzweig wie vor ihm schon Cohen das Verbot plastischer Repräsentation sehr grundsätzlich. Beide legen das Bilderverbot in kritischer Auseinandersetzung mit der transzendentalen Ästhetik Kants aus. Die theologischen Probleme dieser Ästhetik wurden aufgezeigt. Es ist daher auch eine theologische Reaktion, wenn Hermann Cohen die Transzendentalität der Anschauungsformen Zeit und Raum kritisch destruiert, um

3

L. Wittgenstein, Vortrag über Ethik, 14f; präzisierend: E. Tugendhat, Aufsätze, 124-126. „Ein (nicht notwendigerweise formales) Symbolsystem umfaßt sowohl Symbole als auch deren Interpretation, und eine Sprache ist ein Symbolsystem besonderer Art. Ein formales System ist in einer Sprache formuliert und hat ausgewiesene Grundausdrücke und Ableitungswege." (N. Goodman, Sprachen, 48 Anm. 32). 5 „Welche Art von Gegenstand etwas ist, sagt die Grammatik. (Theologie als Grammatik)", in diesem Falle die Schöpfungstheologie, L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 398 Nr. 37; vgl. H.-P. Großhans, 214-224.229-238. 6 Damit ist nicht die konventionelle Unterscheidung von Bild und Wort, von Repräsentation und verbaler Denotation, gemeint! Zur ihrer triftigen Kritik: N. Goodman, Sprachen, 48. Nicht die Binnenstruktur eines Symbols (piktural oder verbal), sondern die Wahl des Symbolsystems entscheidet über den Charakter eines Symbols (ebd., 213f). 7 Chr. Link, Bilderverbot, 58-85. 4

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sie zu Elementen bestimmter, wissenschaftlicher oder ästhetischer Weltkonstruktionen herabzustufen. Die „Idee des Seins von Anfang" (S, 146)8 erlaubt, solche Weltkonstruktionen zu gebrauchen, ohne ihren Elementen (Gal 4,3.9; Kol 2,8.20) zu unterliegen. Ihr transzendentallogischer Anspruch wird bestritten. Rosenzweig pointiert dies noch. Seine propädeutische Schöpfungstheologie verzichtet explizit auf transzendentale, fundierende Geltung. An die Stelle systematisch rekonstruierter Geltungsansprüche treten Beispiele und ihre Beschreibung: An Beispielen wird erlernt, zwischen plastischer Repräsentation und realer Orientierung zu unterscheiden.9 Rosenzweig fragt neu nach Konditionen genuiner Gegenständlichkeit des Glaubens, die sich der Schein-Alternative von gegenständlicher und nicht-gegenständlicher Wahrnehmung entzieht.10 Aber diese neue Frage löst sich nur mühsam aus dem Paradigma der transzendentalen Ästhetik. So notiert Rosenzweig, um ein typisches Beispiel der Konfusion zu erwähnen, während der Konzeption des Stern zu Kants These von der empirischen Realität und transzendentalen Idealität des Raums (vgl. KrV Β 44): „Das Verhältnis der Offenbarung aber ist zum Raum anders als zur Zeit. Die absolut gesetzte Zeit wird von der Offenbarung erst in die Welt gebracht (die Heiden wissen nichts davon), dagegen der absolutgesetzte Raum von ihr in der Welt erhalten wird" (Z,88). Wenig später korrigiert und präzisiert er: Kant habe die in der Realität bzw. Idealität der Zeit an sich bereits gelöste Frage der Realität bzw. Idealität des Raums eigens thematisiert, weil er sich über die verschiedenen Wurzeln dieser Anschauungsformen im klaren gewesen sei: „Streng genommen hätte ja die Idealität der Zeit die des Raumes involviert. Warum hat Kant den Raum dennoch extra behandelt? Offenbar weil er [sc. der Raum], obwohl von der Zeit verschlungen ..., dennoch eine eigene Wurzel hat, nämlich das Heidentum" (Z, 88, vgl. Z, 99). Im Lichte dieser Bemerkung erweist sich Rosenzweigs Konzeption der plastischen Welt (S, 12-16.46-58) als polemisches Konstrukt: Das Plastische, dessen Muster die griechische, nicht die moderne Plastik ist, bringt offenbar für Rosenzweig als ästhetisches Phänomen eine Phänomenalität zu tage, in welcher Idealität und Realität des Raums ineinanderliegen. Dies Ineinander von realer und idealer Form konstituiert den plastischen Schein und seine Magie. In den Worten Georg Pichts: „Der lebendige Löwe hat die Eigenschaft, kräftig zu sein. Das plastische Kunstwerk präsentiert seine Kraft als solche. Es bezahlt das damit, daß es nicht kräftig ist und niemanden verschlingen kann. Wie aber bringt es die Kraft zur Darstellung? Durch ihre totale Negation, nämlich durch seine Unbeweglichkeit. Der plastische Löwe ist in seine unveränderliche Kontur eingeschlossen ... Uber jeglicher Plastik liegt ein Bann, ja man muß es noch schärfer

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Idee bedeutet an dieser Stelle (wie bei Hermann Cohen): Hypothese, zweckmäßige Grundlegung, die steh in der Durchführung bewährt. ' Die prädikativen Unterscheidtingen, die der Glaube im Chaos der Dinge trifft, erheben keinen kategorialen Anspruch, S, 209-213; 257. Sie begründen auch keine wissenschaftliche Gegenständlichkeit, also durch methodische Abstraktion und Typisierung gewonnene logische Klassen und Hierarchien von Klassen. 10 Diese Differenz zum Personalismus betont W. Pannenberg, Anthropologie, 175-179. 271

formulieren: plastische Kunst ist überhaupt nichts anderes als das Vermögen, im Darstellungsraum der wirkenden Kräfte Bannformeln auszuprägen, denen diese Kräfte unterworfen werden. Plastik ist ihrem Wesen nach Magie."11 Der Bann des Lebendigen in die .innere Form oder Idee' erweckt den Schein der Dauer in der Zeit, den zwar das Werk (als Artefakt) dementiert, aber nicht auflöst, sondern behauptet.12 Inwiefern begründet der Name Gottes demgegenüber reale, zeiträumliche Orientierung? Sinnvoll beantwortet wird diese Frage, wenn sie beim Beispiel ansetzt und nach seiner Beschreibung fragt. Das Kunstwerk eröffnet seine genuine Welt." Rosenzweig exemplifiziert dies am Tempel als Wohnstatt des Namens·. „Erst indem die [Kunst-] Werke aus dem magischen Bannkreis ihres idealen Raums heraus und in einen wirklichen Raum hineingestellt werden, erst damit werden sie selber vollwirklich und hören auf, bloß Kunst zu sein. Nun aber gibt es nur eine Art vollwirklichen Raums in der Welt; denn der Raum, in dem die Welt selber wohnt, ist - zwar nicht von ästhetischer, aber von .transzendentaler' »Idealität*: seine Wirklichkeit ist nur wirklich in ihrem Verhältnis zu ihrem Gedachtwerden, aber nicht zum - Geschaffensein. Geschaffen ist nur die Welt, und der Raum wie alles Logische nur als ihr Teil; der Raum, in dem die Welt wäre, also der Raum der Mathematiker, ist nicht geschaffen. Daher es kommt, daß wenn man ... die geschaffne Welt unter den Formen des Raums betrachtet, man sie notwendig ihrer schlechthinnigen, über alle Möglichkeiten hinausgehobnen Tatsächlichkeit, die sie als Schöpfung hat, entkleidet und sie zum Spielball der Möglichkeiten verrelativisiert [sie!]. Vollwirklich ist erst der Raum, den auf Grund der geoffenbarten Raumrichtungen und Raumverhältnisse von Himmel und Erde, Zion und aller Welt, Bethlehem-Ephrata und den Tausenden Judas, die Baukunst schafft: erst von ihm aus, von den Punkten, die der Baumeister auf der Erdoberfläche, und den Maßen und Richtungen, die er innerhalb des Bauwerks festlegt, strahlt ein fester, unverrückbarer, ein geschaffener Raum, wo klein und groß, Mitte und Enden, oben und unten, Osten und Westen gilt, auch hinaus in die bis dahin zwar geräumige, aber selber unräumlich geschaffne Welt und verräumlicht sie." (S, 394f) Der Tempel als Wohnort des Namens stellt seine Welt auf, verräumlicht Welt und orientiert sie auf das Kommen Gottes.14 Reale Orientierung vollzieht sich beschreibend und vermittelt durch exemplifizierende liturgische Zeichen, z.B. durch den Kultraum als Exemplifikation

G. Picht, Kunst und Mythos, 360, vgl. 357-362.267-269.319f.567-569. Der ästhetische Begriff der .inneren Form* (S, 66) charakterisiert bei Rosenzweig die platonische Idee in der plastischen Repräsentation, (vgl. S, 51) Sie weise zurück auf den Mythos·. „Alle Kunst steht noch heutigen Tags unter dem Gesetz der mythischen Welt" (S. 41). Georg Pichts Vorlesungen über .Kunst und Mythos' und Jean-Luc Marions Analysen des Idolischen bieten die Durchführung dieser These. 13 Auf seine Weise zeigt dies M. Heidegger P e r Ursprung des Kunstwerkes, 29) am Kunstwerk des Tempels: „In-sich-aufragend eröffnet das [Kunst]Werk eine Welt und hält diese im waltenden Verbleib. Werksein heißt: eine Welt aufstellen." Kritisch: G. Picht, Kunst und Mythos, 558-569. 14 Das gilt selbstverständlich unbesehen der .Westung' des Jerusalemer Tempels. Vgl. Ex 40,34-38; Lev 9,23f; Ez 1,28; 19,8-17; 43,4.7; 40-48. Dazu: W. Zimmerli, Grundriß, 65-68. 11 12

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und Ausdruck der Präsenz des Namens. Diese Beschreibung ist allerdings voraussetzungsreich.15 Die schöpfungstheologische Explikation der elementaren Prädikation, also der sprachlichen Unterscheidung im Chaos der Dinge, ist als ihre nächste Voraussetzung zu klären.

1.2 Elementare Prädikation im Chaos der Dinge Der elementaren Unterscheidung des Namens vom Chaos folgt logisch die Unterscheidung des Anfangs von der Wiederholung, des Rufs vom Satz, des Himmels (als Ort göttlicher Gerechtigkeit) von der Erde (als Ort des Chaos), des Vergangenen vom Zukünftigen. Nun wird aber der Gebrauch von Namen als Namen nur erlernt, wenn er vom Gebrauch von Prädikationen unterschieden werden kann. Daraus ergibt sich der nächste Schritt. Prädikationen (oder Prädikatoren) seien hier Wörter, mit denen Unterscheidungen (wie: fester Körper/durchlässiges Gas) angezeigt und vollzogen werden. Prädikatoren heißen also Wörter, welche die Gegenstände in Beispiele und Gegenbeispiele einteilen und es erlauben, .etwas' als .Fall von', als .Beispiel für' anzusprechen. Prädikatoren können stets mehreren oder vielen Dingen zugesprochen werden. Sie sind von Namen (1) durch die Art der durch sie möglichen Unterscheidungen abgehoben. Denn Namen heben nicht Einzelnes als Beispiel für hervor. Vielmehr dienen Namen dazu, Einzelnes als Einzelnes, d.h. jeweils genau einen Gegenstand, anzusprechen. In bestimmten Kontexten erlauben Namen, Einzelnes als unvergleichlich von Einzelnem abzugrenzen. Namen können (2) Einzelnes rein sprachlich vergegenwärtigen (d.h. ohne deiktisches Aufzeigen, z.B. .Caesar'). Sie sind abgeschlossen. Prädikatoren hingegen sind ergänzungsbedürftig, ungesättigt (.eroberte Gallien').16 Der Glaube, der von der Anrede zum Satz übergeht, lernt mit der bestimmten Verwendung des Gottesnamens im Satz eine bestimmte Verwendung der Prädikation (zusammen mit exemplarischen Prädikatoren und ihren Regeln). Und er lernt, welchen Wahrheitsanspruch seine elementaren prädikativen Sätze projizieren und inwieweit sie zu bewähren sind.17 Der Stern führt also in .Schöpfung' ein, indem er die beispielhaften Unterscheidungen biblischer Texte (v.a. von Gen 1,1-31) oder Sprachzeichen (z.B. Segenshandlungen) grammatisch ordnet, den bestimmten Gebrauch der Prädikatoren charakterisiert, in ihrer logischen Geltung und Reichweite differenziert und auf das Erlernen der Lebensform .Gesetz' hin beschreibt. Dieser

15

Erst am Ende der Untersuchung wird daher ein durchgeführtes Beispiel gegeben: § 15. G. Frege, Funktion und Begriff, 29. 17 Die Verwendung von Ding wird zusammen mit der Unterscheidung von Name und Prädikator, also synsemantisch erlernt. Wenn im Deutschen Substantive, Adjektive, Verben oder zusammengesetzte Ausdrücke als Prädikatoren fungieren können, so kann also auch eine Handlung ein Ding sein. 16

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erlernbare Schöpfungsglaube bewährt die Güte der Schöpfung, indem er allmorgendlich neu das Chaos der Dinge durch elementare Prädikationen zu unterscheiden beginnt.18 Die alltägliche Wiederholung der Benediktionen setzt eingeführte Unterscheidungen voraus. Die Schöpfung-im-Wort (Gen 1,3-31) stellt die exemplarische (nicht notwendigerweise vollständige!) Einführung elementarer Unterscheidungen dar. Genau dies formuliert ein Grundsatz Rosenzweigs, den wir als Schlüssel zu seiner Schöpfungstheologie verwenden: „die Welt ist auf Grund ihrer Kreatürlichkeit, ihres immer neuen Geschaffenwerden/feoVmewj, schon gemacht; Gott hat sie auf Grund seiner ewigen Schöpfermacht schon geschaffen, und nur deshalb ist sie ,da' und wird allmorgendlich neu." (S, 146, Kursive HA) Dieser Grundsatz ist nun zu entfalten.

2. Schöpfung-im-Anfang 2.1 Metaphorik und kreatürlicbe Urteilskraft „Entscheidend ist ..., daß das Eintreten in das Reden von Gottes rettendem und neuschaffendem Handeln nicht heißt, daß nun die Welt der .menschlichen' Sprache verlassen wird. Es tritt vielmehr eine Rede der anderen gegenüber. So ist mit Paulus zu sagen: .stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern laßt euch eure Form verändern durch die (eschatologische) Erneuerung eurer Wahrnehmung und eures Denkens' [Rom 12,2]. Im Reden von Gott wird die Grenze ,der' menschlichen Sprache nicht als abstraktes Jenseits der Sprache, sondern als die Grenze zwischen ,altem' und .neuem' Reden kenntlich, aber sie wird an der Differenz zwischem diesem und jenem Reden kenntlich."19 .Neuschöpfung in Christus' oder .Heimkehr in Abraham' sind keine mysterienhaften Verwandlungen, vielmehr der Uberschritt vom alten und zum neuen Leben ,in Christus' oder vom fremden zum .ewigen Leben des Volkes'. Dieser Überschritt von der alten zur neuen bzw. von der politisch-historischen zur messianischen Lebensform wird als Differenz zwischen Symbolsystemen und Sprachen, ihren Regeln und ihrer Logik kenntlich. Metaphorik thematisiert den Ubergang von Sprache zu Sprache so, daß diese Differenz übersichtlich darstellbar wird. Die verschiedenen Sprachspiele stehen " Als Beispiel seien jene jüdischen Morgenbenediktionen angeführt, die elementare Unterscheidungen wiederholen und bewähren: beginnend mit dem Dank für die Rückgabe der Seele nach dem Schlaf, werden im Verlauf der Morgenbenediktionen erneut und eigens prädiziert: der Leib mit seinen Öffnungen und Höhlungen; die Seele, die einst eingehaucht wurde; die Unterscheidung von Tag und Nacht; die z.T. umstrittenen Unterscheidungen des Menschen vom Tier, des Juden vom Nichtjuden, des Freien vom Sklaven, des Manns von der Frau; im weiteren Verlauf des Morgengottesdienstes: Licht und Finsternis, Sonne und Himmelsleuchten, verschiedene Engel usw. (Sidur, 3-5.33f). " H.G. Ulrich, Von Gott reden lernen?, 180.

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nämlich „in einer dialogisch-dialektischen Beziehung und müssen sich nicht in .einer' alles in sich versöhnenden und vermittelnden Sprache vermischen".20 Metaphorik ist dabei, unter Aufnahme bereits erfolgter Analysen21, in der Polarität von Sprachpragmatik und Sprachstruktur wahrzunehmen: Sie ist ein Phänomen pragmatischen Sprachgebrauchs: „metaphor is that figure of speech whereby we speak about one thing in terms which are seen to be suggestive of another."22 Entscheidend war dabei u.a. die Entdeckung eines genuinen Handlungs- und Urteilstyps: Sprachhandeln impliziert reflektierende Urteilskraft und vollzieht sich stets auch als Kunst nach Kunstregeln. Zugleich ist Metaphorik ein Phänomen der (semantisch oder syntaktisch dichten oder diskursiven) Symbolstruktur einer Sprache: Metaphorik setzt eine etablierte, explizit oder implizit geregelte, logisch konstruierbare oder notational normierte Sprache, ein Begriffsschema und seine Sphäre, voraus. Metaphorik ist zudem, wie ebenfalls bereits gezeigt23, nicht nur Phänomen der Prädikation, sondern auch der Namens- und Satzreferenz und des Textverstehens24. Sie hat nicht nur semantisch-lexikalischen Status. Zu unterscheiden sind mithin drei Formen metaphorischer Sprachverwendung: „Die Ubertragung (Verwendung einer alten Äußerung in einem neuen illokutiven Sinn; z.B. ,es zieht' als Aufforderung [anstatt als Feststellung]), die Projektion, oder ... ,syntaktische Metapher' (Verwendung einer alten Komplexbildungsweise in einem neuen Sinn ...) und die (traditionell so genannte, nun in Abgrenzung als .lexikalisch' zu bezeichnende) Metapher."25 Insbesondere das Phänomen der syntaktischen Metapher diente und dient der Klärung intuitiver Einsichten, die Rosenzweig in seiner Grammatik des göttlichen Namens und der geschöpflichen Prädikation nur andeutet. Es erweitert den projektiven Charakter des Satzverstehens. Spontaner Bruch und Veränderung eingeführter syntaktischer Regeln erklären, daß eine die Regeln des Verstehens erst auffindende Urteilskraft im Satzverstehen unvermeidbar ist. Urteilskraft durchsetzt das Satzverstehen und bildet sich mit ihm. Dies zeigt sich beim Versuch, die natürliche Sprache durch das Vergleichsmedium einer semantisch normierten logischen Sprache als hinreichend klares Verständi-

H.G. Ulrich, Von Gott reden lernen?, 180f. Vgl. § 4,4.5 und § 5,4.5. 22 J.M. Soskice, Metaphor, 15. Metaphorik wird nicht nur rhetorisch verstanden. Sie hat den Status eines logischen Abstraktors. 23 Vgl. § 10,3. " Zur Metapher als Textphänomen: I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 218-227. 25 H.J. Schneider, Phantasie und Kalkül, 410f. Schneider nennt als simples Beispiel einer syntaktischen Metapher in einem (Wittgensteinschen) Sprachspiel den Satz: .Diese Platten sind drei'. Ein eingeführtes Komplexbildungsmittel (Zahlwort, eingeführt in der Verwendung: .Diese drei Platten sind unbrauchbar') taucht plötzlich an einer unüblichen, bisher von Dingeigenschaften (.unbrauchbar') besetzten Stelle im Satz auf, wodurch zu einem neuen Handlungszusammenhang übergegangen wird (Zählhandlungen). 20 21

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gungsmittel zu rekonstruieren26: „Solange nicht der Grundcharakter der Sprache auf ... drei Weisen (keine syntaktische Komplexität, Einfrierender Anwendungsmöglichkeiten oder Begrenzung der zugelassenen .Formen der Darstellung') verändert wird, werden auch bei dieser differenzierten Sprache Semantik und Syntax immer wieder auseinanderfallen. Dies ist ein Aspekt dessen, was man mit der Rede von der .Lebendigkeit' einer Sprache zum Ausdruck bringt."27 Anders gesagt: Satzverstehen läßt sich je am Beispiel nur als ein Zusammenspiel von Leistungen schematisierender und reflektierender Urteilskraft als Einbildungskraft beschreiben.2I Syntaktische Metaphorik als logischer Terminus erlaubt, die Lebendigkeit der Sprache und die Urteilsbewegung im Satz und im Satzverstehen übersichtlicher darzustellen. Er weist darauf hin, daß Satzverstehen eine Urteilsbewegung hervorrufen kann, die durch die projektive Verwendung semantischer oder syntaktischer Elemente induziert wird und erst im Entdecken des neuen Handlungszusammenhangs zur Ruhe kommt. Er erklärt, warum Satzverstehen explorative Urteilskraft verlangt, welche neue Gebrauchssituationen und die in ihr geltenden Regeln entdeckt und sie in ihrer Differenz und Ähnlichkeit zu bekannten Gebrauchssituationen und Regeln erkennt. Verstehen ist dann Sich-Verstehen-auf, Fortfahrenkönnen, exploratives Weiterführen in der neu eröffneten Sprache und Lebensform. Diese formale Beschreibung syntaktischer Metaphorik dient im folgenden zur Beschreibung inhaltlich bestimmter Glaubensrede. Da diese voraussetzungsreich ist, kann der Terminus syntaktische Metaphorik nur analog verstanden werden. Dazu sei nochmals an das Beispiel des Gottesnamens und des Namenssatzes erinnert: Als Nominator im Aussagesatz vergegenwärtigt (spezifiziert, lokalisiert und identifiziert) der Gottesname .Gott' raumzeitlich wie ein prädizierbares ,Ding', ein Aspekt des .Anthropomorphismus'. Er projiziert aber als metaphorischer .Name' (indiziert durch den Decknamen) die Rede zu .Gott' in seiner genuinen Präsenz. Den Satz versteht, wer den Gottesnamen im prädikativen Satz wie in seiner Gegenwart .ansprechend aussprechen' lernt.29 Erst auf der Basis dieses explorativen Fortführens und Suchens können Differenz und Ähnlichkeit der Bezugnahmeweisen beschrieben werden: „Diese Innovation des Sinnes bildet die lebendige Metapher ... Kann man nicht sagen, da£ die Metapherndeutung, indem sie auf den Trümmern des wörtlichen 26 H.J. Schneider, Phantasie und Kalkül, 472-515. Die Logische Propädeutik von W. Kamiah und P. Lorenzen und das daran anschließende Projekt semantisch normierter Orthosprachen gelten dabei als Paradigma. 27 H.J. Schneider, Phantasie und Kalkül, 514, vgl. 507f. 21 Vgl. H.J. Schneider, Phantasie und Kalkül, 565f. 29 Nicht bestimmte Namen und nicht bestimmte Prädikationen werden metaphorisch gebraucht, sondern die logisch-syntaktischen Elemente .Name' und .Prädikator' werden übertragen gebraucht. Es ist z.B. eine Regel der Verwendung des Prädikators (nicht von Prädikatoren), wenn Rosenzweig fordert: „Die .Anthropomorphismen' der Bibel sind durchweg Aussagen über gottmenschliche Begegnungen. Nie wird Gott ... beschrieben. Nie nämlich werden zwei oder mehr .Eigenschaften' untereinander in Beziehung gesetzt, wie es doch das Grundprinzip jeder Beschreibung ist" (Z, 737).

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Sinnes eine neue semantische Pertinenz erstehen läßt, auch eine neue Referenzperspektive eröffnet, die gerade durch die Aufhebung der Referenz entsteht, die der wörtlichen Deutung der Aussagen entspricht? Das Argument beruht auf der Proportionalität: die andere, gesuchte Referenz verhielte sich zur neuen semantischen Pertinenz wie die aufgehobene Referenz zu dem wörtlichen Sinn, den die semantische Impertinenz zerstört."30 Mit der Einführung des Begriffs .syntaktische Metapher' und dem Hinweis auf das explorative Erlernen und Entdecken von Regeln und Gebrauchssituationen im Sprechen wird eine intuitive Einsicht Rosenzweigs zur Klarheit gebracht: Die logischen Denkelemente seien Konstruktionselemente, „die den offenbaren Lauf der Sprache zusammensetzten, mathematische Elemente, aus denen die Bahnkurve [sc. der wirklichen Sprache] zu entwickeln ist... Jene Sprache der Logik ist die Weissagung einer wirklichen Sprache der Grammatik" (S, 121). Genauer: Die konstruierbaren Elemente des Sprechens und Urteilens lassen erst die irreduzible, nicht-ornamentale Metaphorik in der Sprache und im Sprachverstehen hervortreten. Das Beispiel für diese Polarität ist Hermann Cohens Konstruktion des Jichud HaSchern in ihrer Alternanz. Die ursprungslogischen Elemente werden in diesem Urteil projektiv verwendet, in einer Bedeutung, die sich gemessen an ihrer logischen Einführung nicht mehr ausweisen läßt. Das meint Rosenzweigs Bemerkung: JDie Vernunft, die im [sc. erzeugungslogischen] System Voraussetzung ist, wird hier wirklich geschaffene, offenbarte Vernunft. Cohen selbst würde sich entsetzen, wenn wir ihm diese Folgerung auf den Kopf zusagten" (Z. 226). Die metaphorische Verwendung logisch-syntaktischer Elemente in gottesdienstlichen Sprachzeichen wird zum Paradigma: „Hier, in diesem Verhältnis zwischen der Logik der Sprache und ihrer Grammatik, haben wir nun allem Anschein nach schon den gesuchten Gegenstand, der Schöpfung und Offenbarung verbindet... Die Weissagung der Urworte der Logik findet ihre Erfüllung in den offenkundigen Gesetzen der wirklichen Worte, den Formen der Grammatik." (S, 122) Die Grammtik der .Offenbarung' konzentriert sich auf exemplarische Sprachbewegungen: die dialogisch-vokative Namenshomologie, die benediktionale Prädikation und den doxologischen Satz ,ER ist gut'. Vorausgesetzt ist in dieser Grammatik, daß der .Urgedanke der Sprache' „zum methodischen Organon der Schöpfung geworden war" (S, 123). .Offenbarung' hat im Stern den engen Sinn einer Grammatik des Sch'ma Jisrael. Sie erhält in diesen Sätzen aber den weiten Sinn einer Logik der Sprachzeichen, die aus der Gabe des göttlichen Namens hervorgehen. Entsprechend hat .Schöpfung* den engen Sinn einer Grammatik prädikativer Benediktionen. Es hat aber im jetzigen Kontext den weiten Sinn des theologischen Begriffs von Metaphorik. Schöpfungs-

30

P. Ricoeur, Metapher, 226f; vgl. 192-208.236f.284f.

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theologie in diesem weiten Sinn umfaßt die theologische Kritik jedes konstitutiven, realistischen oder nominalistischen Bildes ,des' Wirklichkeitsbezug ,der' Sprache. Der suggestive Totalbegriff eines Ungedankens der Sprache ist irreführend. Er kann nur als kritischer Reflexionsbegriff gelten. Als solcher dient er dazu, den schöpfungstheo-logischen Status exemplarischer Sprachzeichen näher zu umschreiben: Die Sprachzeichen Benediktion, Homologie, Doxologie sind paradigmatisch, sofern sich in ihnen Alternanz vollzieht, Sprachhandeln sich als Widerfahrnis darstellt: In diesen Sprachhandlungen kann die Erneuerung des Sinns (Rom 12,2) widerfahren, der Ubergang in Sprache und Lebensform der Geschöpflichkeit. Solche Erneuerung wird bei Rosenzweig charakteristischerweise nicht als Neuschöpfung, sondern als gestaffelte Rückkehr in die anfängliche Schöpfung beschrieben: Die Lehre von der Schöpfung-im-Anfang enthalte „die versiegelte Weissagung, daß Gott Tag um Tag das Werk des Anfangs erneuert. Das Wort des Menschen ist Sinnbild: jeden Augenblick wird es im Munde des Sprechers neu geschaffen, doch nur, weil es von Anbeginn an ist und jeden Sprecher, der einst das Wunder der Erneuerung an ihm wirkt, schon in seinem Schoß trägt. Aber dies ist mehr als Sinnbild: das Wort Gottes ist die Offenbarung, nur weil es zugleich das Wort der Schöpfung ist. Gott sprach: Es werde Licht - und das Licht Gottes, was ist es? des Menschen Seele." (S, 123) Metaphorik ist nur Sinnbild der schöpferischen, projektiven Lebendigkeit der Sprache. Mehr als Sinnbild ist sie, wenn in dieser Lebendigkeit ein bestimmter Ort projiziert ist. Metaphorik projiziert dann den Ubergang ins Geschaffenwerden über dem Handeln. Diesen Übergang in die Mitgeschöpflichkeit, in die Zugehörigkeit der .Seele' zur .armen Kreatur' und der Kreatur zur .namengeborenen Seele', nennt der Stern .Erlösung durch das Gesetz', gemeinsame Rückkehr in Geschöpflichkeit als messianische Lebensform. Für dieses Geschaffenwerdenkönnen über dem Handeln ist sprachliches Handeln und insbesondere Metaphorik Paradigma. Eingeführte handlungstheoretische Unterscheidungen wie „Verwirklichung (Akt), Handlung, Herstellung und Bewegung" greifen nicht mehr und sind zurückzunehmen.31 Im Erlernen exemplarischer Sprachzeichen und ihrer (Kunst)Regeln bildet sich mit der Sprache die Lebensform neu, widerfährt das .Wunder der Erneuerung' an Menschen (Sprechern) und Dingen. Dieses „Wunder ist wesentlich .Zeichen'" (S, 105)32. Erneuerung des Sinnes und der Dinge ist Zeichen verheißener Rückkehr in die Schöpfung-im-Anfang, in die eschatologische Ruhe.

51

P. Ricoeur, Metapher, 295, im Kontext der Frage nach dem Ort der lebendigen Metapher, welche ,die Dinge in ihrer aktuellen Verwirklichung vor Augen führt' und ,im Aufblühen ihrer Erscheinung' zeigt (Aristoteles, Rhetorik 1411b 24f; 1412a 12). 32 Zeichen ist im Stern prophetisches Zeichen·. „Der Prophet... enthüllt voraussehend das von der Vorsehung Gewollte; indem er das Zeichen sagt ..., beweist er das Walten der Vorsehung" (S. 105). 278

2.2 Schöpfung-im-Anfang:

Anfangen

ohne

Anfangenkönnen

Die Schöpfung-im-Anfang begründet, warum der Glaube Tag für Tag neu anfängt, nicht: neu anfangen kann, im Chaos der Dinge zu unterscheiden, um im Prädizieren die Güte der Dinge zu bewähren; inwieweit er darin in der Tat produktiv und explorativ seine Welt aufbaut; und warum er gleichwohl im Unterscheiden und Erkennen das ,Schon-Da-Sein' der Dinge behauptet. Die Lehre von der Schöpfung-im-Anfang formuliert, warum handelnd und redend v o m ,Schon-Da-Sein' ausgegangen werden kann, ohne eine Ontotheologie von .Existenz' zu beanspruchen. Das Chaos der Dinge bleibt der „Erstling der Schöpfung ... dieses Chaos ist in, nicht vor der Schöpfung; der Anfang ist - im Anfang." (S, 148) Die rabbinische Unterscheidung von Schöpfung-im-Anfang (m 'sh br'syt) als Geheimnis und Schöpfung-im-Wort erhält damit neuen Sinn. 33 Die Unterscheidung von Schöpfung-im-Anfang und Schöpfung-im-Wort geht auf rabbinische Sprach- und Schweigeregeln zurück.34 Diese traditionelle Unterscheidung wird aber verändert: Die Schöpfung-im-Anfang (zusammen mit dem Thronwagen der Herrlichkeit Gottes, merkaba) galt nach dieser Regel inhaltlich als arcanum und funktional als secretum rabbinischer Theologie.35 Die Versuche magischer oder spekulativer Durchdringung der göttlichen Schöpfung, als Namens-Mystik oder NamensMagie36, wurden zunächst autoritär eingedämmt, nicht theologisch widerlegt. Erst als der Name Gottes (und zwar schon in der rabbinischen Theologie) nicht mehr als magisches göttliches Zeichen galt, konnte er als das die Tora generierende Zeichen, als Grundsatz reinterpretiert werden. Die Schöpfungsmittlerschaft des Namens wurde nicht mehr emanatistisch, sondern gesetzestheologisch interpretiert.37 Auf diesen praktischen Sinn der rabbinischen Esoterik beruft sich Hermann Cohen: Die

33 Diese Unterscheidung ist auch in der christlichen Lehrtradition geläufig, allerdings mit differentem Sinn: Die altprotestantische Lehre unterscheidet die creatio als productio ex nihilo pure negative (Gen 1,1 bzw. 1,1-3; articulus fidei mixtus) von der creatio ex materia quidem (Gen 1,4-31; articulus fidei purus): C.H. Ratschow, 2,163, §§ 161.164.166. Schleiermacher setzt die Zäsur zwischen Anfangsschöpfung als Gefühlssymbol und erhaltender Vorsehung (creatio continua): F.D.E. Schleiermacher, Dialektik, 301f. Das Verhältnis von vernünftiger und offenbarer Schöpfungserkenntnis kehrt sich bei ihm um. M G.A. Wewers, Geheimnis, enthält alle dafür einschlägigen rabbinischen Texte. Grundtext ist: Chag Π,Ι/BerR 1,1 (4,4-7)/tChag Π, la; Chag Π 7a (ebd., 4-13). Was vom Werk der Schöpfung bzw. vom Text in Gen 1 geheimzuhalten ist, blieb strittig (Wewers, Nr. 25; 84a-d; 94; S.121.164.247f). 35 G.A. Wewers (X, 240) unterscheidet zwei Stränge im rabbinischen Geheimnis-Begriff: eine inhaltlich motivierte Esoterik (das Geheimnis als arcanum des kosmologischen Anfangs) und eine funktional motivierte Esoterik (die Geheimhaltung, das secretum der dem schriftgelehrten Rabbinat vorbehaltenen Spekulation über die Anfangsschöpfung). 36 Dazu: G. Scholem, Name, 19f.28-31.53f; G.A. Wewers, Geheimnis, 124-131. 37 G.A. Wewers, Geheimnis, Text 82a-d, S.124-127.128-133.318 Anm. 38-40, v.a. 133: „Der Gottesname ist nicht mehr allein Gott, sondern primär von der gleichen Beschaffenheit wie die göttliche Offenbarung" im Gesetz.

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Schöpfung-im-Anfang sei Grundlegungs-Idee für das Wunder der beständigen Reinigung durch Gott und vor Gott; sie verbürgt je neu Umkehr und Leben des Sünders vor dem Namen. Das secretum rabbinischer Theologie wird zum mysterium der Vernunftreligion: „Nicht der Anfang bildet so sehr das Wunder, als vielmehr die Beständigkeit im Werden, der Bestand im Wechsel ... Die Erneuerung ist demgemäß nicht die Erneuerung aus dem Chaos oder aus dem Nichts - dann hätte es bei der Schöpfung sein Bewenden haben können. Die Erneuerung hebt vielmehr jeden Punkt im Werden wie einen neuen Anfang hervor" (RV, 80f, vgl. RS, 48f). Rosenzweig setzt namenslogisch an: Für ihn umschreibt Gen 1,4-31 die Einführungssituation elementarer Prädikationen und Unterscheidungen im Chaos der Dinge. Dieser Text lehrt elementare prädikative Unterscheidungen, elementare Prädikatorenregeln und einen bestimmten Gebrauch der Prädikation. Er lehrt die Grammatik von Schöpfung als Lebensform. Die oberflächengrammatische Gleichförmigkeit der Sätze in Gen 1 darf dabei nicht täuschen: Die Sätze in Gen 1,1-3 haben besonderen Status. Das ist der Sinn der Unterscheidung zwischen der Schöpfung-im-Anfang und der Schöpfungim-Wort. - ,Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde' (Gen 1,1); dieser Satz formuliert einen namenstheologischen Grundsatz, der über die Frage des logischen Anfangs im Prädizieren Rechenschaft gibt. Dieser Grundsatz hat weder ontologische noch kosmologische Valenz. - Die sog. Billigungsformel, die Behauptung der Güte des Daseins der Dinge (Gen 1,4a. 10b. 12b. 18b.21b.25b; V.31 ist ein Sonderfall), formuliert den Modus des Prädizierens als Benedizieren. Beide Regeln „make ... intrasystemare rather than ontological truth claims".38 Die Logik und Grammatik, die aus diesen Grundsätzen folgt, entwirft keine Referenztheorie noch antwortet sie auf Aporien von Referenztheorien. Weder zeitliche Existenzsätze (singuläre Existenzsätze, z.B. ,Ich bin, Ich bin meine Zeit') noch externe Existenzsätze (z.B. ,wie gut, daß überhaupt etwas ist') sind in ihr von Bedeutung. Die Kritik solcher Sätze als „Unsinn", als Mißbrauch des Aussagesatzes, kann dahingestellt bleiben.39 Doch geht sie von der Verwunderung aus, daß überhaupt Sprache schon da ist, auf die sich Heiden, Juden und Christen' in einer gemeinsam geteilten Welt verlassen, nicht: verlassen können. „... die Sprache ist wahrhaftig die Morgengabe des Schöpfers an die Menschheit und doch zugleich das gemeinsame Gut der Menschenkinder, an dem jedes seinen besonderen Anteil hat, und endlich das Siegel der Menschheit im Menschen. Sie ist ganz von Anfang, der Mensch wurde zum Menschen, als er sprach; und doch gibt es bis 31 39

280

G.A. Lindbeck, The nature of doctrine, 80, vgl. 69. L. Wittgenstein, Vortrag über Ethik, 14f.

auf diesen Tag noch keine Sprache der Menschheit, sondern die wird erst am Ende sein. Die wirkliche Sprache zwischen Anfang und Ende aber ist allen gemein und doch jedem eine besondere; sie verbindet und trennt zugleich." Aber sie wird „beherrscht von dem Ideal der vollkommenen Verständigung, das wir uns vorstellen unter der Sprache der Menschheit."40

Das apostrophierte, kontrafaktische Ideal der Verständigung weist nicht auf eine Theorie kommunikativen Handelns voraus.41 Trotz des transzendentalpragmatischen Klangs dieser Sätze: Es ist der religiöse Glaube an die Unreinheit der Sprache, der in der Präsenz des Namens gewonnen wird, und es ist die Hoffnung der gereinigten Lippe, die in diesen Sätzen zugrundeliegt. Sie lassen sich weder zu einer Theorie kommunikativen Handelns generalisieren, noch zur radikalen Skepsis einer Sprachtheorie, nach welcher das ,Geheimnis der Sprache', der göttliche Name, unhörbar geworden sei.42 Rosenzweigs Lehre von der Schöpfung-im-Anfang thematisiert kritischnamenstheologisch die Aporie der Verständigung, Begründung und Verifikation religiöser Rede und ist in dieser Hinsicht dem internen Realismus Hilary Putnams vergleichbar: „Der Gedanke, alles, was wir glauben, sei bestenfalls nur ,in unserem Sprachspiel wahr', ist nicht einmal ein kohärenter Gedanke: Ist denn die Existenz unserer Sprache selbst nur ,in unserem Sprachspiel wahr'? Ist unser Sprachspiel also etwas Fiktives?"43 Skeptischer Zweifel und schwache Letztbegründungen des Bedeutungsverstehens sind demnach Kehrseiten einer Medaille. Alltägliche Redepraxis verläßt sich darauf, „daß manche Dinge wahr, manche Dinge gerechtfertigt und manche Dinge vernünftig sind, aber das können wir natürlich nur sagen, wenn wir über eine geeignete Sprache verfügen. Uber diese Sprache verfügen wir tatsächlich, wir können es sagen und wir sagen es tatsächlich, obwohl die Sprache ihrerseits nicht auf einer metaphysischen Garantie wie der Vernunft beruht. Worauf beruht sie wirklich?"44 Die Antwort ist, Putnam zufolge, bestürzend schlicht: „508. Worauf kann ich mich verlassen? 509. Ich will eigentlich sagen, daß ein Sprachspiel nur möglich ist, wenn man sich auf etwas verläßt. (Ich habe nicht gesagt ,auf etwas verlassen kann'.)"45

Die namens- und also schöpfungstheologische Gammatik prädikativer Rede bildet eine theologische Form der Darstellung, in der gesagt werden kann, worauf man sich verläßt, also wo und inwiefern bestimmte prädikative Sätze begründet und gerechtfertigt sind. Diese Sätze sind Beispiele, die explorativ

40 41 42 43 44 45

S, 122, vgl. 162-164. J. Habermas, Der deutsche Idealismus der jüdischen Philosophen, 99-125. G. Scholem, Name Gottes, 70.271 (mit Verweis auf Kafka). H. Putnam, Erneuerung, 223. H. Putnam, Erneuerung, 224. L. Wittgenstein, Über Gewißheit, 131.

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erlernt und fortgeführt werden sollen. Metaphorik der in ihnen verwandten Sprachzeichen ist dann prinzipiell nicht zu reduzieren, sondern selbst theologisch zu beschreiben. Der kritische Grundsatz der Schöpfung-im-Anfang formuliert theologisch die Aporie, daß sich religiöse Rede im Erlernen einer Sprachpraxis auf Sprachzeichen verläßt, ohne sich auf systematisch rekonstruierte Bedeutungen verlassen zu können. Daß er nicht zum „Prinzip der faulen Vernunft" wird (KrV, Β 801; 4,654), gründet hier in der Hoffnung auf Reinigung der Lippe. Insofern formuliert er Geschöpflichkeit als Geheimnis der messianischen Lebensform .Gesetz' und des neuen Lebens ,in Christus'.

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§ 12 Messianische Ökonomie und Grammatik des Segens 1. Messianische Ökonomie Wie Maimonides und Cohen bestimmt Rosenzweig Schöpfung als „ruhige, wesenhaft ins Dauernde hinausgestellte, unendliche .Eigenschaft'" Gottes (S, 125).1 „Gott der Schöpfer ist wesentlich mächtig. Sein Schöpfertum also ist Allmacht, ohne Willkür zu sein. Gott, der in der Schöpfung Sichtbare, kann alles, was er will; aber er will nur, was er aus seinem Wesen wollen muß." (S, 125). Charakteristisch für Rosenzweig ist der Status solcher Aussagen: Sie gelten als Bild. Das Bild des wesentlich erschaffenden Gottes bildet nicht ab. Es begründet und instruiert Prädikation der Dinge als Geschöpfe.2 Das wesentliche Schöpfersein Gottes ist immerwährender Grund der Dinge, ihres allmorgentlich neuen Schon-Da-Seins. Die Korrelation von Schöpfercem und Geschöptwerden markiert eine wichtige Differenz: „So ist der Satz ,Gott schuf die Welt' uneingeschränkte Wahrheit nur für die Beziehung zwischen Gott und Welt; nur für sie gilt die Vergangenheitsform ... des Satzes; ... die Schöpfung der Welt braucht ihr Ende erst zu finden in der Erlösung; erst von dort aus ... und von dort aus gesehen dann allerdings unbedingt, müßte sie .Schöpfung aus Nichts' sein ... In der göttlichen Schöpfung aber am Weltmorgen braucht die Welt nicht ein .fertig' Geschaffenes .geworden' zu sein, sondern vorerst noch weiter nichts als - Geschöpf. Was von Gott aus gesehen Schöpfung ist, kann von ihr aus gesehen nur den Hervorbruch des Bewußtseins ihrer Geschöpflichkeit, ihres Geschaffenwerdens bedeuten ... Ihr Geschaffenwerden wäre von ihr selber her gesehen ihr Sich-Offenbaren als Kreatur. Als Kreaturbewußtsein, also als Bewußtsein nicht des einmal Geschaffenwordenseins, sondern des immerwährenden Geschöpfseins" strahlt es zurück auf das Schöpfersein Gottes, so, daß sich dieser darin als der Vorsehende bestimmt: die wechselseitige Zuwendung „vergegenständlicht sich im Gedanken der göttlichen Vorsehung" (S, 132f). Es wird also unterschieden zwischen Schöpfung (nomen acti) im Blick auf Gott und Schöpfung (nomen actionis) im Blick auf die Dinge: Das wesentliche Schöpfersein Gottes ist immerwährender Grund ihrer Erneuerung; die

1

S, 125.128.131; H. Cohen, RV 76. Zu Maimonides: D. Burreil, Knowing, 71-108. Kants ontotheologischer Abgrund (§ 4,1) ist negationsdialektische Voraussetzung der Rede vom Schöpfer: „Gottes Macht äußert sich mit reiner Notwendigkeit, weil und gerade weil ihr Inneres reine Willkür, bedingungslose Freiheit ist" (S, 128). Rosenzweig verdeckt hier aber unter dem Einfluß Schelling'scher Theosophie vom .Inneren und Äußeren Gottes* die klare Einsicht, daß Umkehrung innerer absoluter Willkürfreiheit ins wesentliche Erschaffen zugleich Alternanz im logischen Status der Rede impliziert: die ontotheologische Idee wird zum rhetorisch erzählten Bild. Dies unterscheidet Rosenzweig von Schellings Programm negativer und positiver Philosophie der Offenbarung. 2

283

anfängliche Schöpfung der Dinge ist eschatologische Verheißung. Die Pointe ist die Verschränkung beider Begriffe: Diese Verheißung, daß der Einzige alles in allem gewesen sein wird, ist in der Schöpfung-im-Anfang versiegelt. Nur Gott selbst in seiner Treue zur Verheißung in ihrer gestaffelten Erstreckung bewährt das anfängliche ,Sehr gut* (Gen 1,31). »Das Ja des Schöpfers ist stärker, gewichtiger, vorwärtstreibender als das Noch-Nicht der Welt!"3 Der gestaffelten Erstreckung der Anfangsverheißung, als der göttlichen Ökonomie, korreliert die gestaffelte Rückkehr der Dinge in die ihnen verheißene Schöpfung. Zum ersten Mal deutet sich hier der genuine .Messianismus der Welt als Schöpfung' an. Rosenzweigs Lehre vom Gesetz ist ohne diesen Messianismus nicht zu verstehen.4 Durch das Gesetz erlöst Israel im messianischen Handeln Dinge zur Rückkehr in die Schöpfung: „Der Augenblick der Schöpfung war zugleich der Augenblick der größten Freiheit, die er [der Schöpfer] ihr überhaupt gegeben hat. Nun nimmt er sie wieder ... Das Gesetz ist der Weg, auf dem die in der Schöpfung hinausgeschleuderte Welt ihren Weg zurück findet und Gott sich wieder einigen läßt." (Z, 627) Diese gestaffelte Ökonomie der Dinge und ihrer messianischen Wahrnehmung stellt für den Aufbau des Sterns „eine Schwierigkeit" dar, „deren Lösung jedoch ein Licht über den ganzen bisher zurückgelegten Weg werfen wird" (S, 243, vgl. 98f, 132). In der Tat wird dieser Messianismus der Dinge nur sukzessive entfaltet. Und erst am Ende der gesamten Darstellung wird er rückblickend formuliert: „die eigentümliche, uns schon mehrmals aufgefallene Verkehrung der Zeitfolge für die Welt erhält jetzt ihre anschauliche Bestätigung. Der Welt geschieht ja in ihrer Schöpfung das Erlebnis des Erwachens zum eignen offenbaren Bewußtsein ihrer selbst, nämlich zum Bewußtsein der Kreatur, und in der Erlösung erst wird sie eigentlich geschaffen, erst da gewinnt sie jene feste Dauerhaftigkeit, jenes beständige Leben statt des augenblicksgeborenen immer neuen Daseins. Diese Verkehrung der Zeitfolge, wo also für die Welt das Erwachen dem Sein vorhergeht, begründet das Lehen des ewigen Volks. Sein ewiges Leben nämlich nimmt ständig das Ende vorweg und macht es so zum Anfang" (S, 467, Kursive HA). Die jüdische Lebensform der Hoffnung unterscheide sich darin von der christlichen Hoffnung, wie sie das Harren der Dinge auf Erlösung wahrnehme. Diese messianische Wahrnehmung der Dinge ist nicht-kreuzestheologisch: Es ist nicht das Seufzen des Geistes in den bereits offenbar gewordenen Kindern Gottes vor Gott, in welchem die Kreatur mit ihnen und sie mit der Kreatur im Erharren der Hoffnung leibhaft aneinander gewiesen sind (Rom 8,26.23). Ort der Zusammengehörigkeit ist das .ewige Volk', das in seinem .messianischen Leben' bereits die sabbatlich vollendete Welt vorwegnimmt. .Die arme Kreatur' harrt des verwandelnden Werks, um in diesen sabbatlichen Frieden mitverwandelt zu werden: „Und das tut das ewige Volk. Es lebt für sich schon so, als ob es alle Welt und die Welt fertig wäre; esfeiert in seinen Sabhaten die sabbatliche Vollendung der Welt und macht sie zur

G. Sauter, Zukunft, 175. * Zur Darstellungsweise in diesem Paragraphen ist zu bemerken·. Vorgriffe sind unvermeidbar! Die Zweckmäßigkeit mancher in diesem Kapitel eingeführten Unterscheidung erhellt sich erst in ihrem Zusammenhang mit der Lehre vom Gesetz, die der nächste Paragraph enthält. 3

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Grundlage und zum Ausgangspunkt seines Daseins." (S, 467, Kursive HA) Während im Jichud das .ewige Volk' schon bei Gott ist, ist die Hoffnung der Kreatur noch nicht offenbar. Die zeitgenössische Diagnose einer .Verdinglichung" wird zum Entdeckungszusammenhang einer Lehre des Gesetzes, welche das messianische Handeln im Gesetz als .Verwesentlichung der armen Kreatur' entfaltet: „Kreatur allein ist also recht eigentlich das ,arme Geschöpf, das, sowie es sich, wie es das als Natur und überhaupt im Weltbegriff der modernen Wissenschaft tut, aus dem starken Schutz der göttlichen Vorsehung herauswagt, stets, weil in sich selbst wesenlos und also bestandlos, ins Nichts wegsinkt. Damit sie Gestalt werde, Reich und nicht bloß augenblicksgebunden erscheinendes Dasein, muß sie Wesen kriegen" (S, 247).'

2. Grammatik des Segens „Was von Gott aus gesehen Schöpfung ist, kann von ihr [sc. der Welt der Dinge] aus gesehen nur den Hervorbruch des Bewußtseins ihrer Geschöpflichkeit, ihres Geschaffenwerdens bedeuten ... Ihr Geschaffenwerden wäre von ihr selber her gesehen ihr Sich-Offenbaren als Kreatur." (S, 133) Die paradoxe Behauptung, daß die Dinge Gott ihr Geschaffenwerden offenbaren, in welcher Offenbarung sich Gottes schöpferische Erhaltung und Vorsehung vollzieht, beschreibt, so interpretieren wir, Charakteristika hymnischer Rede: Irdische und himmlische Geschöpfe kehren Tag für Tag, „ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme" (Ps 19,4), ihr .Dasein' dem Schöpfer zu (Ps 103,20-22; 145,10). Sie wenden sich dem zu, der ihrem .Dasein' im Schöpfungswort beständige Dauer verleiht und es als sich wiederholendes Dasein erhält. 7 Die worthafte Erschaffung dieses .Daseins der Dinge' legt den Grund für diese Hinwendung und Rückwendung des .Daseins' wie auch (z.B. in der Unterscheidung nach Arten bzw. Geschlechtern) den Grund für eine differenzierte Unterscheidungspraxis und Grammatik des Segnens.3 Die Bedeutung von Segnen (brk), die bei Rosenzweig zugrunde zu legen ist, geht aus von der Institution des Grußes (salutatio) und übersetzt brk mit: .Gedeihen fördern, durch Be- oder Auszeichnung hervorheben (signare); jemandem etwas Gutes sagen (benedicare)'. Die Grundbedeutung ist dabei: beachten, sich zuwenden; Aufmerksam-

s Vgl. die Abhandlung G. Lukacs' aus dem Jahre 1922: Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats. K. Löwith konnte in dieser Hinsicht Rosenzweig zu Recht den eigentlichen Zeitgenossen der Daseins-Analyse Heideggers nennen: K. Löwith, M. Heidegger und F. Rosenzweig, 72.83-85. 6 S, 246f skizziert Stadien der Verdinglichung des Dings unter den Stichworten: Verzauberung, Entzauberung und Verwesentlichung. 7 Exegetisch ist auf die Relation von Wortbericht und Tatbericht in Gen 1 zu verweisen: O.H. Steck, Schöpfungsbericht, 66-70; H. Seebass, Genesis I, 62.68. 8 Zum exegetischen Hintergrund: W.H. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 107.123.146f.

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keit lenken auf; sich als beachtet erfahren und Beachtung widerfahren lassen (im qal).9 Segnen gilt gleichsam als intensiver Gruß. Dies ist auch die Grundbedeutung im Stern: Segnen ist Gruß Gottes (gen. subj. und obj.), Aufleuchten seines Angesichts. Das Segnen Gottes findet sein Korrelat im Segnen Gottes durch die Geschöpfe und im Gruß der Erwählten.10 Dieses Segnen Gottes bewährt die Ökonomie des göttlichen Segens. Es unterscheidet sich darin, als wer Gott gegrüßt und anerkannt wird. Diese Differenz im einzelnen herauszuarbeiten, ist Aufgabe der Grammatik der Benediktion und der messianischen Doxologie. Der Segen wird aber nicht nur als Sprachzeichen, sondern zuletzt auch als exemplifizierendes, eschatologisches Zeichen verstanden: Als Proskynese vor dem Namen, in welcher der Name von der Gemeinde Besitz ergreift und sie zum endlichen Zeichen des Friedens und der Wahrheit wandelt: „Dies Leuchten des göttlichen Angesichts allein ist die Wahrheit. Sie ist keine für sich frei schwebende Gestalt, sondern allein das aufleuchtende Antlitz Gottes." (S, 465) Segnen verlangt Unterscheidung der Dinge und Zeiterii Im sog. 18-Bitten-Gebet (Amida) folgt auf die Heiligung des Namens („Du bist heilig, und dein Name ist heilig, und Heilige preisen dich jeden Tag"11) der Dank und die Bitte für die Gabe der Bina (bynh), des Urteilssinns als Unterscheidungssinn12: „Du begnadest den Menschen mit Erkenntnis (d't) und lehrst den Menschen Unterscheidung (bynh), begnade uns von dir mit Erkenntnis, Unterscheidung und Verstand (skt)." Der Talmud erläutert lakonisch: „Bina folgt auf Keduscha, weil Verstand aus der Heiligung Gottes entsteht" (bMeg 17b, vgl. Jes 29,23f). Die Benediktion über Dingen, Ereignissen und Geboten verlangt, die jeweilige Gebrauchssituation zu unterscheiden, um das differenzierte Dabeisein Gottes als die bestimmte Güte der Dinge und Ereignisse zu treffen.

2.1 Schöpfungssegen und wachsendes Leben13 Der in sich differenzierte Schöpfungssegen Gottes14 über den (tierischen) Lebewesen (Gen 1,20-22), über dem Menschen (adani) als Mann und Frau (Gen 1,28; vgl. Gen 5,1) und über dem Siebten Tag (Gen 2,3, vgl. Ex 20,11) spricht Dingen ein Doppeltes zu: sich wiederholendes .Dasein', welches auch dem

' Piel: jemanden oder etwas hervorheben; pual: beachtet gemacht werden; hitpael: Beachtung genießen, an der Beachtung teilhaben; nifal: sich als (gebührend) beachtet erleben: T. Arndt, Überlegungen, 49-54; M. Frettlöh, Gottes Segen, 36-56. 10 Zur strittigen Übersetzung des auf Gott bezogenen brk·. lobendes Danksagen: Keller/ Wehmeier, Art. brk, 361f. 11 Sidur, 42. 12 So z.B. auch Trepp, 75: Es geht bei bina „um das Verständnis der Unterschiede der Dinge der Welt. Die Erkenntnis des Unterschieds zwischen Sabbat und Wochentag gehört somit folgerichtig in diese Beracha." " Das in diesem Abschnitt vorgreifend Skizzierte wird in § 13,3 und 4 entfaltet. 14 Theologisch aufschlußreich kommentiert bei M. Frettlöh, Gottes Segen, 307-329.

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unbelebten .Dasein' zukommt 1 5 ; vor allem aber genuines, d.h. und nicht-teleologisches,,wachsendes

nicht-konatives

Leben'}''

.Leben' bedeutet hier: „Ubergang zum Anderen"17. Dieses Verständnis vom .wachsendem Leben' bildet schöpfungstheologisch die Grundlage, um das messianische Handeln im Gesetz als Frucht des Reiches Gottes zu beschreiben. .Wachstum des Lebens' bemißt sich nicht am Zeitfortschritt, sondern beschreibt Dinge unter dem Aspekt der Hoffnung, die sich gerade als Mangel an Sein und Wahrheit an ihnen zeigt. Dinge harren der Erlösung, verlangen „noch zu ihrem eigenen inneren Wachstum, dem prekären, weil nie seiner Dauer gewissen, Wachstum des Lebens, eine Wirkung aus einem Außen hinzu. Diese Wirkung durchwirkt ihre Lebendigkeit in der Tat der Erlösung" (S, 251). Erst ein „Dasein, das einmal ins Reich eingegangen ist, kann nicht wieder herausfallen, es ist unter das Einfürallemal getreten, es ist ewig geworden" (S, 250). Das Wachstum des Lebens ist in diesem Ubergang vorausgesetzt, aber davon zu unterscheiden.

2.2 Messianischer und eschatologischer

Urteilssinn1'

Die Praxis der Benediktion (als Beispiel des Gesetzeswerkes) verlangt, beständig zu unterscheiden: Dinge werden rubriziert, z.B. nach rein und unrein, Gesetze situativ appliziert, bestimmte Ereignisse und Anlässe segnend identifiziert. 19 Von besonderer Bedeutung ist in dieser Unterscheidungspraxis aber die Unterscheidung liturgischer Zeiten und Tage nach ihrer Heiligkeit (z.B. Werktag und Sabbat; Sabbat und Festzeit). Eine der Grundaussagen über die Entstehung des liturgischen Gebets nennt vier Grundformen des Gebets: „Die Männer der Großen Versammlung ordneten für Israel Berachot [Segnungen] und Tefillot [Bitten], Keduschot und Havdalot an"

15 Der Segen des Siebten Tages ist ein Sonderfall, s. Abschnitt 4.4 Zum Aspekt genuiner Wiederholung als Sinn des Segens, auch im Blick auf Gen 2,1-3: O.H. Steck, Schöpfungsbericht, 193f. Segen begründet nach dieser Deutung .Wiederholung, Institutionalisierung': In der regelmäßigen Paarung, in der Fortpflanzung wie auch in der Nahrungsaufnahme, in der Ehe, im (für Gott) regelmäßig wiederkehrenden Siebten Tag (ebd., 64f.l56). 16 Diesen Aspekt betont exegetisch z.B. W.H. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 148; H. Seebass, Genesis I, 76f (Segen nicht auf Fortpflanzung des Lebens zu verkürzen). 17 E. Levinas, Vorwort, 16. Das organische Leben ist nur Beispiel eines umfassenderen Lebensbegriffs: „Nicht bloß Lebewesen, sondern auch Institutionen, Gemeinschaften, Gefühle, ... Werke - alles, ja wirklich Alles kann lebendig sein." (S, 248) Was gesegnet werden kann, dem kommt .wachsendes Leben' zu. Daher ist alles, was benediktional prädiziert werden kann, lebendig. " Zur Entfaltung: §§ 13,2 und 3. " Die nicht-gottesdienstlichen Benediktionen werden in drei Gruppen unterteilt: Benediktionen vor und nach dem Genuß von Essen und Trinken o.a. (v.a. birkät häm-mazon, der Tischsegen); Benediktionen vor der Erfüllung von Geboten (birkot ham-mizwot); Benediktionen bei besonderen Anlässen (P. Schäfer, Benediktionen, 561f).

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(bBer 33a). Es gibt Versuche, diese Formen als elementare Unterscheidungshandlungen .jüdischen Lebens' zu interpretieren.20 Doch ist dabei zu differenzieren: Auf die hymnische Benediktion Gottes, die Grundform des Gebets, geht die Grundstruktur aller Gebete zurück. Sie besteht aus einer Konstanten: der Anrede Gottes, und einer Variablen: einem prädizierendem Relativsatz mit finitem Verb oder Partizip. Unbesehen von Varianten im attributiven Relativsatz, bleibt die Anrede Gottes konstant. Sie enthält in der Regel die Baruch-Formel, Deckname und Herrschaft Gottes: „Gelobt seist du, HERR, unser Gott, Herrscher der Welt ..."21 Hymnische Bekenntnisse (Berachot) und Bitten (Tefillot) bilden den Kern des frühen Gottesdienstes. Die Herausbildung des besonderen Sabbatgottesdienstes bringt die beiden anderen Formen hinzu: die Unterscheidung des Sabbats bzw. der heiligen Festzeit vom Werktag an ihrem Beginn in der Keduscha über dem Wein (und Brot) (z.B. Sidur, 99f); die Unterscheidung und Heiligung des Sabbats bzw. der heiligen Festzeit vom beginnenden Werktag an ihrem Ende in der Havdala über Wein, Gewürz und Licht (z.B. Sidur, 198).22 Rosenzweig pointiert innerhalb dieser (in sich differenzierten) Unterscheidungshandlungen die fundamentale Unterscheidung »dieser* und der .kommenden Welt'. Die Geltung der prädikativen Unterscheidungen wird insgesamt von der Reichweite des in der Anrede beanspruchten Namens abhängig gesetzt. Der Israel gegebene Name begründet Geltung und Geltungsbereich solcher Unterscheidungen (.die jüdische Welt', die messianische Lebensform .Gesetz'). Seine Reichweite übersteigt allerdings zugleich den Geltungsbereich dieser Unterscheidungen. Er reicht weiter als der Geltungsbereich des Gesetzes und durchkreuzt zu bestimmten Zeiten die in diesem Bereich geltenden Unterscheidungen: „Die Welt, die jüdische, wie sie unter der Kraft des unendlich verzweigten, über jedem Ding gesprochenen Segens ganz entdinglicht ist und ganz beseelt, auch sie ist doch eine doppelte und voller Zwiespalt in jedem Ding. Alles was in ihr geschieht, hat eine doppelte Beziehung, einmal auf .diese' und dann auf die .kommende' Welt. Dies Beieinander der zwei Welten, dieser und jener, bestimmt alles; das im Segensspruch beseelte Ding selber hat eine zwiefache Bestimmung; in .dieser' Welt dient es zum gemeinen Gebrauch, kaum anders als ob es ungesegnet geblieben wäre, aber gleichzeitig ist es jetzt einer der Steine geworden, aus denen sich die .kommende' Welt erbaut. Der Segen spaltet die Welt, um sie inskünftige wieder zu einen, aber gegenwärtig ist nur die Spaltung sichtbar. Diese Spaltung durchdringt das ganze Leben, als Gegensatz von Heilig und Gemein, Sabbat und Werktag, .Thora und Weg der Erde', Leben im Geist und Geschäft. Sie zerfällt, wie den Lebenstag Israels selber in Heilig und Gemein, so auch den ganzen Erdkreis wieder in Israel und Völker" (S, 341f).

Dazu: L. Trepp, 183f. 1. Elbogen, 241. Zur Entstehung dieser Standardform: P. Schäfer, Benediktion, 560f. 2 2 1. Elbogen, 240-244. 20

21

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Der messianische Unterscheidungssinn (bind) knüpft also die in sich differenzierten prädikativen Unterscheidungen an die fundamentale Unterscheidung .dieser' und der .kommenden' Welt. Aber die Geltungsgrenze der messianischen Lebensform Gesetz wird in der eschatologischen .Stunde' aufgehoben: „so werden auch des ewigen Lebens der künftigen Welt, das eben noch Israel allein vorbehalten schien, plötzlich nicht anders auch die Frommen und Weisen der Völker teilhaftig und die Gesegneten selber ein Segen. Ein solcher Wirrwarr von Widersprüchen entsteht, wenn man die Elemente des jüdischen Lebens als ruhende Elemente anzuschauen versucht." (S, 342) Weil die Geltung der prädikativen Unterscheidungen in der Geltung des Namens gründet (also als Unterscheidungen des Ersten, Zweiten und Dritten Dekaloggebots geltend machen), weil sie somit an Präsenz und Externität des Namens gebunden sind und weil in der Hoffnung auf den Namen die Geltungsgrenze überschritten wird, deshalb ist bina eschatologischer Urteilssinn.

2.3 Eschatologischer Segensgruß13 Inbegriff des eschatologischen Segens ist das leuchtende Angesicht des aaronitischen Segens (Num 6,24-26): In diesem Segen legt sich in der eschatologischen .Stunde' der Name auf die Kinder Israels und nimmt sie so zu Eigentum (Num 6,27), daß darin die universale Reichweite des Namens sich anzeigt. Diesem eschatologischen Segenszeichen des Grußes korreliert das eschatologische Zeichen des Grußes: die Proskynese vor dem Namen. Die paradigmatische Stunde dieses Segens sind die Feste der Erlösung: Neujahr und Jom kippur. In der eschatologischen Stunde, „die der zur rechten Zeit und am rechten Ort gesprochene Segen ... herbeizwingt[!], schweigt das Wort. Von ihr der vollendet-befriedeten [Welt] heißt es: Er lasse dir leuchten sein Antlitz" (S, 465). Der Friede (slwm, Genüge) des aufleuchtenden Angesichts reicht weiter als die prädikativen Unterscheidungen im Geltungsbereich des Gesetzes. Die Formen der Benediktion unterscheiden sich nach Zeiten in der gestaffelten Ökonomie Gottes. Die Grammatik des Segens setzt voraus: (a) die Unterscheidung des Daseins der Dinge und ihres wachsenden Lebens; (b) die Zeitigung wechselseitiger Erlösung von Ding und Seele in der messianischen Lebensform Gesetz; (c) das Aufleuchten des göttlichen Angesichts und das eschatologische Grußzeichen in der eschatologischen Stunde als endliches Zeichen der Unendlichkeit des Namens. Das Erlernen der benediktionalen Prädikation als Paradigma des Gesetzeswerks ist zugleich Erlernen der inneren Grenze messianischen Unterscheidens. Erlernt hat das Segnen erst, wer lernt, von diesem Unterscheidungshandeln unterschieden werden zu können.

23

Zur Ausführung: § 15.

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3. Erlernen von Geschöpflichkeit: Dasein der Dinge und Prädikation Nicht der menschliche Segen konstituiert die Güte des yDaseins' der Dinge; er bewährt die Hoffnung, daß dies .Dasein' schon da ist und daß es gut ist. Offenbar setzt der Terminus .Dasein* ein bestimmtes Verständnis von Prädikation voraus. Dieser schwierige Terminus bedarf daher genauerer Klärung: „Dasein bedeutet im Gegensatz zum Sein das Allgemeine, das des Besonderen voll und nicht immer und überall ist, sondern - darin von dem Besonderen angesteckt - fortwährend neu werden muß, um sich zu erhalten." (S, 134) Zweifellos stehen bei dieser Bestimmung von Dasein ontologische Termini wie .Gattung' und ,Art' Pate. Von .Gattungen' und .Arten' kann aber jetzt nicht mehr die Rede sein. Das ist angesichts mancher Äußerungen Rosenzweigs hervorzuheben, die ontologische Begriffe und biblische Metaphern vermengen: „Als solches fordert das Dasein in seiner ständigen Augenblickshaftigkeit das ständig erneuerte Geschaffenwerden heraus. Und als solches wird es denn auch von der Macht des Schöpfers ergriffen. Gottes Vorsehung ... geht in der Welt unmittelbar nur auf das Allgemeine, auf die .Begriffe', die .Arten', und auf die Dinge nur auf .ein jegliches nach seiner Art', auf das Besondere also nur vermittelst seines Allgemeinen und letzthin vermittelst des allgemeinen Daseins überhaupt." (S, 134f) Rosenzweigs Intention wird klarer, wenn diese Aussagen von der Maimonideischen Vorsehungslehre her interpretiert werden. Diese schließt göttliche Vorsehung für individuelle Dinge aus.24 Erst vermittelt durch das Werk des Gesetzes und das messianische Volk individualisiert sich Gottes Vorsehung für das individuelle Ding. Die Vorsehungslehre ist also auf die Lehre vom Gesetz hin angelegt.

Der Terminus ,Dasein' wird klarer, wenn man ihn mit der Funktion eines Typus und einer Rubrik vergleicht. Typen gibt es nicht. Sie sind aber auch von (abstraktiv erzeugten) Klassen zu unterscheiden, die es erlauben, allgemein über ein Individuum zu reden, d.h. mittels bestimmter Listen von Prädikatorenregeln, die es zum Element einer Klasse machen.25 Typen normieren, z.B. in der biologischen Systematik, und ermöglichen es erst, Ähnlichkeiten zwischen Individuen zu gewinnen, um sie prädikativ zu benennen und zu homogenen Klassen zusammenzufassen.26 Der Terminus,Dasein'hat ähnlich normativen Sinn, unterscheidet sich von der Funktion eines Typus darin, daß er nicht eine wissenschaftliche Systematik, also nicht der Abstraktion und Klassenbildung dient. Er regelt vielmehr gegenständlich-prädikatives Reden neu, dient also der gegenständlich-kon-

D. Burreil, Unknowable God, 71-108. Zu diesem Verständnis von Klasse und Abstraktion: W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 93f; M. Langanke, Die Natur ordnen, 23-27. 26 M. Langanke, Die Natur ordnen, 27f. 24 25

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kreten Rubrizierung. Bereits rubrizierte Bereiche werden neu rubriziert, z.B. jetzt nach der normativen Unterscheidung: rein und unrein.77 Daß im göttlichen Namen reale Orientierung begründet ist, meint, daß die bereits geordnete Welt der Dinge anders und neu geordnet wird, und zwar normiert nach dem geschöpflichen ,Dasein' der Dinge.28 Umgangssprachlich oder terminologisch sind Dinge immer schon rubriziert oder klassiert und entsprechend prädiziert, wobei auf unterschiedliche Weise normative Ordnungsgesichtspunkte zugrundeliegen. Auf die Neuregelung dieser Gesichtspunkte zielt der Terminus Dasein. Ein häufig genanntes Beispiel für diese Neunormierung ist die Rede von .großen und kleinen Lichtkörpern' in Gen 1,16.14-18. Anderweitige normative und latent oder explizit astraltheologische Unterscheidungen zwischen den Gestirnen werden polemisch neu geregelt. Dies geschieht unter dem Gesichtspunkt der Zeitmessung (,zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren') und darin unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung von Licht und Finsternis. Diese weist auf die erste Unterscheidung von Licht und Finsternis zurück (Gen 1,14.18, vgl. Gen 1,4).29 ,Tag' - um ein daran anschließendes, schwieriges, aber im folgenden bedeutsames Beispiel zu nennen - ist ein umgangssprachlicher oder terminologischabstraktiver Prädikator der Zeitmessung, der als sich wiederholende Standardeinheit periodischer Sternbewegungen oder konstruierbar-gleichförmiger Bewegungen galt oder gilt.30 In Gen 1 wird die Verwendung dieses Prädikators neu geregelt. Seine normierende Verwendung in der Glaubensrede, z.B. in der Unterscheidung und Segnung von Werktagen, Ruhetagen und Festtagen, setzt den eingeführten Prädikator, das Zeitmaß, voraus. Er widerspricht aber der impliziten Theologie der antiken astronomischen Standardbewegung. Die Alternative ist allerdings nicht eine Theo-Ontologie geschaffener Zeit, welche die Verwendung von ,Tag' als Zeitmaß überhaupt erst zu begründen hätte.31 Die Rede vom ,Dasein' der Dinge indiziert vielmehr, daß und inwiefern eingeführte Prädikatoren und ihre normativen Unterscheidungen neu geregelt

27 Als Beispiel sei die klassifizierende Rubrizierung der Tierwelt in Lev 11,1-47 genannt, die der Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren dient und nach den Rubriken Land, Wasser, Luft, hinsichtlich der Landtiere sodann z.B. nach Kriechtieren bzw. Paarzehern und Wiederkäuern aufgebaut ist. Zur logischen Grunddifferenz von Rubrizieren und Klassieren·. M. Langanke, Die Natur ordnen, 23f.28f. Zu polemischen Hintergründen der Listen z.B. W. Zimmerli, Grundriß, 113. 2S Man kann hier, im Unterschied zum Typus, vom ,Uniformitätscharakter' sprechen: „Als Oberbegriffe für Prädikatoren einer Rubrik und damit als Einteilungskriterien für Gegenstände schaffen Uniformitätscharaktere Uniformität zwischen Gegenständen, aber nicht Homogenität im Sinn von Klassenbegriffen" (M. Langanke, Die Natur ordnen, 22). 29 Chr. Link, Schöpfung, 363f.446-454. 30 P. Janich, Protophysik der Zeit, 180-217. 31 Dies ist ein Aspekt der Zeitlehre bei Augustinus, Confessiones, XI, 23.30;24.31 im Zusammenhang von XI, 3.5. Zur Kritik: P. Janich, Protophysik der Zeit, 265-271.

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werden und worin der dann metaphorische Gebrauch dieser Prädikatoren gründet. Er indiziert, inwiefern Ähnlichkeiten neu gesehen und also Prädikatorenregeln neu bestimmt werden oder anders gewonnen werden (z.B. in der Unterscheidung von sechs Arbeitstagen und einem Siebten Tag und ihrer Zusammenfassung als .Woche'). ,Dasein' regelt die prädikative Ordnung und Unterscheidung von Dingen (z.B. als Werktage, als Sabbat) und ihre Zusammenfassung unter eine Rubrik (Schöpfungs-Wochen, Schöpfungs-Jahre). Die Gültigkeit benediktionaler Unterscheidungen (z.B. der Keduscha, die unterscheidet „zwischen Heiligem und Unheiligem, zwischen Licht und Finsternis, zwischen Israel und den Völkern, zwischen dem siebenten Tag und den sechs Tagen der Arbeit") wird namenstheologisch begründet und in bestimmten Verhaltensweisen bewährt (z.B. der Sabbatruhe). Der über dem siebten Tag gesprochene Segen .beseelt' diesen Tag als Sabbat, als messianischen Tag. Er individualisiert ihn sogar als singulären, jüngsten Tag, als letzten Sabbat, der namentlich angesprochen wird. Das ist genauer zu entfalten.

4. Elemente theologischer Propädeutik: Prädizieren und Benedizieren Welche Art von Gegenstand etwas ist, sagt die Grammatik; darin erweist sich Theologie als Grammatik.32 Welcher Art das geschaffene, noch nicht erlöste Ding ist, die arme Kreatur, zeigt im Stern die Grammatik der Geschöpflichkeit: Ihr fehlt das Sprachzeichen des Namens. Aber ihr ,Stammwort' lautet:,... ist gut'. Sie charakterisiert Geschöpflichkeit im status promissionis. Diese Grammatik wird im Stern am Beispiel von Gen 1,3-31 entfaltet: Zusammen mit exemplarischen Unterscheidungen, ihren Prädikatoren und Regeln, wird in die Grammatik ein zentrales Element eingeführt: der elementare Prädikator und der prädikative Satz. Der Glaube erlernt durch prädikative Unterscheidungen reale Orientierung im Chaos und lernt dabei zugleich durch eine bestimmte Verwendung der Prädikation, was .wirklich', ,real' heißen kann.

4.1 Prädikation und prädikativer Satz Beschrieben wird ein vereinfachtes Sprachspiel. Die Beschreibung seiner Elemente erhellt die tatsächlichen, komplexeren Sprechhandlungen, z.B. die verschiedenen liturgischen und nicht-liturgischen Benediktionen. Noch nicht propädeutisch eingeführt waren ja bis jetzt jene Elemente, auf die z.B. der attributive Satz dieser Benediktionen (und viele andere Sprachhandlungen) beständig zurückgreifen: Prädikatoren, Indikatoren, Kennzeichnungen.33 32

L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 373 (S. 398). Segenssprüche zum Genuß kreatürlicher Dinge seien Beispiele (Sidur, 289-292): „[Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt,] der die Frucht des Weinstocks Erschaffende 35

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(a) Die elementare .Sprechhandlung' der Grammatik der Schöpfung ist die Prädikation: der Prädikator („das freie Sosein", S, 14234) und seine Prädikatorenregeln (der .Zusammenhang' bzw. die .Unverträglichkeit' der Prädikatoren, das ,Dasein'). Der Prädikator ist auch hier von Funktion und Status des Eigennamens zu unterscheiden. Das Ungesättigte und Ergänzungsbedürftige des bloßen Prädikators macht ihn für die Grammatik der Schöpfung so charakteristisch. Es fehlen in diesem Sprachspiel noch die vokativen Rufnamen (im eingeführten, theologischen Sinn). Symptomatisch ist die Verwendung von ,Adam' als Kennzeichnung (nicht: Name) und Prädikator zugleich, z.B. in Gen 2,7f; 3,8; 5,1. Was auch immer in dieser Grammatik Dingen zu- oder abgesprochen wird, sie werden nicht namentlich angesprochen und gerufen; sie bleiben .unbeseelte' Dinge. Weil diese Grammatik noch keine Namen kennt, können ihre Sprecher wohl auf Besonderes, nicht aber auf Individuelles Bezug nehmen: „Wie wenig es [sc. das Ding, dem prädiziert wird] an sich Individuum ist, wird klar, wenn wir nur einmal an den Eigennamen denken. Es ist nicht Individuum. Um es ... zu werden, muß es sich als Glied einer Mehrheit legitimieren. Erst die Vielheit gibt allen ihren Gliedern das Recht, sich als Individuen, als Einzelheiten zu fühlen; sind sie es nicht an sich, wie das im Eigennamen bezeichnete singulare Individuum, so doch gegenüber der Vielheit" (S, 143). (b) Diese Ergänzungsbedürftigkeit bleibt erhalten, wenn in der Folge Designatoren in die Grammatik der Schöpfung eingeführt werden. Diese haben zum einen die Form deiktischer Indikatoren (z.B. .dies'; bestimmte Pronomina)35, wozu auch lokale Indikatoren gehören (.über', .unter')36. Sie haben zum anderen die Form elementarer Kennzeichnungen (z.B. mit dem unbestimmten und bestimmten Artikel eingeführte Kennzeichnungen37). Die Pragmatik der Grammatik, ihre Bezogenheit auf bestimmte Sprecher und Sprechsituationen, zeigt sich auch darin, daß sie nur bestimmte modale und temporale, pronominale und adverbiale Indikatoren enthält, die das Vergangensein, das Schon-Da-Sein der Dinge vom Standpunkt des Sprechers aus darstellen.38 Bewegungen werden als partizipiale Eigenschaften des Schöp-

34

Die Beispiele in S, 141 belegen, daß der Prädikator nicht nur als oberflächengrammatisches Prädikat, sondern auch als Subjekt oder Objekt (z.B. Frucht, Weinstock, erschaffend) fungiert. 35 „Das .Dies' zeigt auf das Ding bloß hin und drückt in diesem Zeigen aus, daß hier ein .Etwas' zu suchen sei" (S, 142). 36 Deixis wird damit als Spezifikation und Lokalisation interpretiert, vgl. E. Tugendhat, Vorlesungen, 453-463; I.U. Dalferth, Gott, 40f. 57 W. Kami ah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 34.107f. I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 248-252. 38 Umgekehrt fehlen z.B. Modi wie der Imperativ, oder Pronomina, wie z.B. Du, die unmittelbar sprecherrelativ sind, also die Gegenwart des Sprechers voraussetzen.

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fers oder aber gleichsam als subjektlose Vorgänge in der Vergangenheitsform dargestellt; finite Verbformen werden in Partizipien und Infinitive umgewandelt, so daß „die Bewegung einfach in ihrer Tatsächlichkeit hingestellt wird" (S, 144), als Sachverhalt. Beispiele sind hymnisch-partizipiale Beschreibungen3' wie: „(ER) tötet und belebt" (lSam 2,6 BR), oder: „(Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt) der das Licht gebildet und die Finsternis geschaffen, Frieden stiftet und alles erschaffen" (Benediktion Jozer). Vor Augen stehen - um an die Übersetzung von Gen 1,1-2,4 durch Buber und Rosenzweig zu erinnern - die deutsche Syntax bewußt hebraisierende Formen wie: „Braus Gottes brütend allüber den Wassern" (Gen 1,2 BR)40, „Licht ward" (Gen 1,3 BR), „Abend ward und Morgen ward" (Gen 1,5 BR) „Es ward so" (Gen 1,7 BR), „Dies sind die Zeugungen des Himmels und der Erde: ihr Erschaffensein." (Gen 2,3 BR). 41 In diesen infinit beschriebenen Sachverhalten vollende sich „die Gegenständlichkeit des Geschehens, wie die im Artikel bestimmte Dinglichkeit die des Seins." (S, 145)

4.2 Güte im status promissionis .Stammwort' der Grammatik der Schöpfung ist das .schlechthin bejahende': „... (ist) gut" (S, 141f). Die Auszeichnung als Stammwort meint, daß, was immer Dingen als Dasein prädiziert wird, mit dem Anspruch prädiziert wird: Es ist gut, daß... Dabei handelt es sich weder um eine deskriptiv-attributive, noch um eine praktisch-präskriptive, noch um eine praktisch-absolute Verwendung von ,gut' 42 . Wie ist sein Status zu beschreiben? Die absolute Verwendung von ,ist gut' wird eingeführt in der sog. Billigungsformel von Gen I,4a.l0b.l2b.l8b.21b.25b (V.31 ist Sonderfall). Gen 1 gilt also wieder als theologische Einführungssituation: ,(Gott sah), daß es gut war'. Der Schöpfer bejaht damit das „Ding nicht einfach als Ding, sondern

35 Während der Imperativische Hymnus paradigmatisch für die Grammatik der Erlösung sein wird, ist der partizipiale Hymnus - der andere grundlegende alttestamentliche Hymnentyp beispielhaft für die Grammatik der Schöpfung. Dies trifft auch den exegetischen Sachverhalt: Hymnische Partizipialaussagen beschreiben „ein göttliches Tun, das sich in Schöpfung und Naturvorgängen vollzieht, aber auch in typischen Eingriffen in die Menschenwelt, und zwar zugunsten der Schwachen und Unterdrückten. Normalerweise fehlt in den Partizipialsätzen der Jahwe-Name" (F. Crüsemann, Hymnus und Danklied, 153). 40 Nicht so in der jetzigen Druckfassung der Ubersetzung. Der Ubersetzung dieses Verses widmete Rosenzweig einen Aufsatz, Z, 773-775. 41 Dazu: H.-C. Askani, Übersetzung, 225-228. 42 Zur Unterscheidung von Affirmationsmoment (Assertion, Imperativ, Optativ, Frage) und propositionalem Gehalt, sowie zur Unterscheidung von theoretischen und praktischen Affirmationsmodi: E. Tugendhat, Vorlesungen, 116-123.505-514; zusammenfassend: ders., Heideggers Seinsfrage, 116-121; zu den Verwendungsweisen von ,gut': Vorlesungen über Ethik, 49-64, v.a. 52-56.

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als Werk,... das Dasein als Schon-Dasein." (S, 168) Die absolute Billigung des Werks durch den Schöpfer verwendet das absolute ,gut' rein gegenständlich: Weder billigt der Schöpfer damit sich in seinem Werk, noch behauptet er dessen Vorzüglichkeit. „Zur Sicherung dieser reinen Gegenständlichkeit des ,er schuf' darf der Schöpfer auch keinen Namen haben, er ist nur ,Gott' schlechthin." (S, 168) Für Gott ist das Schöpfungswerk Vergangenheit. Dasein meint Schon-Da-Sein. Die Billigungsformel lautet für Gott: ,Und siehe, es war sehr gut'. Die Grammatik der Schöpfung konjugiert jedoch diese Billigungsformel auch durch die anderen Tempora: „Es [das Werk] war und ist und wird - ,gut'" (S, 168). ,Es war und ist und wird gut' präzisiert das veritative Sein des Daseins der Dinge43: Zu verifizieren, zu bewähren ist diese Güte messianisch durch das erwählte Volk und eschatologisch durch Gott selbst. Die Termini .Dasein',,Schon-Da-Sein', .Gut-Sein' indizieren verschiedene Bedeutungen von ,ist' in der Grammatik der Schöpfung: die rubrizierend-kopulative, die existenziell-diachrone und die veritativ-eschatologische.

Die Billigungsformel des Schöpfers über dem jeweiligen Tageswerk eröffnet Widerspruch bzw. Homologie und Bewährung. Das Schöpfungswerk, das für den Schöpfer abgeschlossen und gut ist, soll in seiner Güte frei bewährt werden. Uber dem Dasein soll Güte des Schöpfers bewährt werden: ER ist gut. Eröffnet wird (a) das noch namenlose Lob des Daseins als Dasein; (b) das namentliche Lob des Schöpfers: (a) Jeder Tag sagt dem anderen, eine Nacht tut der anderen die Ehre Gottes kund (Ps 19,3). Aber jeder Tag sagt es dem anderen, indem er selbst vergeht. Die endliche, sterbliche Bewährung der Güte durch das Dasein als Dasein wirft die Frage auf, ob der immer neue Tod die jeweils momenthaft bewährte Güte des Daseins nicht letztlich dementiert: Es wird gut? Im Lob Gottes stürzt die arme Kreatur, das Dasein, jeden Augenblick ins Vergehen zurück.44 Gleichwohl gilt: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut." (Gen 1,31) Das ,es war gut' des Schöpfers reicht weiter als der Tod. Es verheißt, daß selbst der Tod geschaffen ist und als solcher seinen Schöpfer zu loben hat. Diese Paradoxie pointiert der paradoxe Midrasch zu Gen 1,31: „,Gar sehr', so lehren unsre Alten, gar sehr - das ist der Tod"45. Das ,sehr gut* führt als letztes geschaffenes Dasein den Tod ein, der als Letztes über dieses geschöpfliche Leben hinausweise. „Der geschaffene Tod des Geschöpfs ist das Vorzeichen auf die Offenbarung des übergeschöpflichen Lebens." (S, 173) 45 Dieser Ausdruck wird in Analogie zur Unterscheidung verschiedener Bedeutungen von ,ist' verwendet: Existenz, Kopula, Identität, veritatives Sein. (E. Tugendhat, Seinsfrage, 90-107; Heideggers Seinsfrage, 116-121). 44 „Werden doch sogar nach einer talmudischen Legende die Engel - neue jeden Augenblick in unzähligen Scharen - geschaffen, um, nachdem sie vor Gott ihren Hymnus gesungen, aufzuhören, und in Nichts zu vergehen." (W. Benjamnin, Angelus Novus, 374). 45 S, 173; BerR IX,5; vgl. Z, 585.

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(b) Diese mit dem prädikativen Dasein der Dinge behauptete Verheißung .übergeschöpflichen Lebens', erfüllt sich, wenn der Name des Schöpfers gesegnet wird: ER ist gut. Dieses ,absolute Urteil' gilt nicht der Schöpfung (es behauptet nicht antizipativ, ,daß alles gut war'), sondern es gilt dem Schöpfer, der verheißt, daß es gut war. Die Bewährung der Wahrheit (Treue) der Verheißung ist das übergeschöpfliche Leben der messianischen Doxologie. Diese Bewährung bedeutet nicht das Auffinden des .archimedischen Standpunkts' des absoluten Urteils, wohl aber den Ubergang auf den messianischen Standpunkt übergeschöpflichen, endlichen Lebens: „Tote können den Herrn nicht mehr loben, keiner, der ins Schweigen hinabfuhr. Wir aber preisen den HERRN, von nun an bis in Ewigkeit. Hallelujah!" (Ps 115,17f) Die Verheißung ,Es war und ist und wird gut' eröffnet das messianische Leben allen Fleisches, „daß alles Fleisch den Namen seiner Heiligung segne in Weltzeit und Ewigkeit" (Ps 145,10 BR). Die Behauptung der Güte der Dinge versteht also, wer die doppelte Projektion im schöpferischen Benedizieren versteht: Bewährt wird das verheißene Gut-gewesen-sein im vergehenden, iterativen Dasein. Bewährt wird es in der namentlichen Homologie des Schöpfers über dem Gesetzeshandeln.

4.3 Diachronie und Schon-Da-Sein46 .Erlösung' meint nicht die Utopie einer Welt, in der alles individualisiert und mit Eigennamen benannt wird. Selbst in einer solchen Welt blieben die Dinge prädizierbar. Erlösung meint Nennung mit Namen, welche prinzipielle Prädizierbarkeit im Augenblick negiert! Diese Individualisierung oder .Beseelung' des Daseins und wachsenden Lebens, impliziert, daß mit dem Ding seine Zeit .beseelt', also ver-ewigt wird. Begriffe sind Bedingungen der Möglichkeit, Objekte in ihrer Objektivität durch den inneren Zeitsinn zu reproduzieren und zu repräsentieren. Begriffe selbst sind immer schon (a priori) da. Auch dort, wo dieser Urteilstheorie mit gutem Grund widersprochen wird, orientiert sich die Theorie der Aussage, der Prädikation und ihrer Verifikation an der arbiträren Vergegenwärtigung von Dingen durch Sprache, setzt also Anthropologie und Ethik voraus. Welchen ausweisbaren Sinn hat demgegenüber die Behauptung eines nicht zu vergegenwärtigenden Schon-Da-Seins der Dinge und ihres Lebens? Rosenzweigs Rede vom Schon-Da-Sein soll offenbar eine Vergangenheit indizieren, die „älter ist als alle erinnerbare Vergangenheit und in der die Zeit sich in ihrer Dia-chronie, die stärker ist als die Ver-gegenwärtigung, beschreiben läßt, und zwar gegen alle Erinnerung und alle Antizipation, die diese Dia-chronie

44

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Chr. Link, Schöpfung, 449-454.

synchronisieren."47 Die Diachronie, die der Repräsentation von Sachverhalten in Aussagen entgegenläuft, gilt als die ,Spur' der Präsenz des göttlichen Namens. „Es gibt ... keine Synthese, die Gott und die Welt als zwei Wesen nebeneinanderstellte, die vor der Schöpfung koexistierten, die immer schon vergangen ist ...; es gibt keine Synthese, die sich wie ,Gott und Mensch' thematisch machen ließe, es sei denn als Offenbarung, in der der Mensch in der ganzen Schärfe und Gegenwart des Jetzt angerufen wird ..., in einem Jetzt, in dem selbst die Vergangenheit nur als vergegenwärtigt und daher ,ewig gegenwärtig' ist".48 Die Präsenz des Namens erlaubt, von ,Gott' in der Vergangenheit zu reden. Sie erlaubt, „von Gott wieder in der dritten Person zu sprechen und daraus (allein daraus) die Möglichkeit sogar vom Schöpfer zu sprechen" und von der Geschöpflichkeit, dem Schon-Da-Sein der Dinge.49 Hier schließt die Grammatik der Schöpfung an die Logik des Namens an: „Dies Sein der Welt ist ihr Schon-da-sein ... Was wir als die Gestalt erkannten, in der die Welt sich als Kreatur offenbart, das erkennen wir nun, wo wir das Dasein als Da-Sein, Schon-da-sein ... als das entscheidende Merkmal der Schöpfung überhaupt.'' (S, 146) Nach einer traditionellen, scholastischen Unterscheidung können Prädikatoren gegnerisch verwendet werden, also innerhalb des art- und gattungsmäßig eingeteilten Seienden und damit univok, auch wenn sie einen gewissen Vagheitsspielraum besitzen, der für ihre Anwendung auf immer neue Gegenstände notwendig ist. .Univok* heißt hier nicht mehr, als daß ein Ausdruck „an accustomed usage in established areas of discourse" hat.50 Die generische Prädikation stiftet bestimmte genetische Zusammenhänge der ,Dinge'. Wir sprachen hier von ,Dasein'. Davon zu unterscheiden ist die traditionelle Verwendung der Transzendentalien. Die Transzendentalien sind „equally at home in every category and mode of discourse"51. Sie werden unaufhebbar analog gebraucht. Da sich für sie kein etablierter Gebrauchskontext angeben läßt, haben sie keinen spezifizierbaren lexikalischen Gehalt. Auf der Basis dieser Unterscheidung ist es eine aufschlußreiche Frage, warum sie dennoch unverzichtbar sind: „What is most startling about the terms, then, is the fact that we find it useful, even necessary, to employ them".52 Es zeigt sich, daß Transzendentalien weder als Prädikatoren noch als Typen verwendet werden, sondern als Schemata, die die Bedingungen der Möglichkeit der Verwen-

E. Levinas, Gott, 125f. Levinas, Vorwort, 17: „... das Bindewort und in der Formel .Mensch und Welt' ist daher konkret nur in der Antwort des Menschen auf die Offenbarung und auf Gottes Liebe, in der Öffnung zur Welt als kommender, in der diese Welt zugleich auf ihre Art .ewig gegenwärtig' ist; diese Öffnung zur Welt ist ... eine Beziehung zur künftigen ... Welt und insbesondere eine Beziehung zu den anderen Menschen ... So gelangt man durch die Deformalisierang des Formalen zu den ,Urereignissen', den .Ekstasen' der Zeitlichkeit.'' 49 BT, 826 (vgl. Sidur, 279f; I.M. Lau, 63f). 50 D. Burreil, Analogy, 222. 51 Ebd. 52 D. Burreil, Analogy, 223, vgl. 23. 47 48

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dung von Prädikatoren und Typen darstellen: they „both indicate and exercise our capacity to reflect on what we are trying to do with the language we use".53 Rosenzweigs Terminus Schon-da-Setn leistet Vergleichbares: Er normiert, wie mittels Prädikatoren, Designatoren und Indikatoren in Sätzen prädiziert wird, und er erlaubt die schöpfungstheologische Beschreibung dieses Prädizierens. Der Grundsatz des ,Schon-Da-Seins' wird mit dem ersten Satz von Gen 1 eingeführt: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde". Dieser erste Satz, „wie er dem Schaffen vorweg die klare aktive Form der Vergangenheit und damit der Schöpfung ihre Wirklichkeit als Zeit gibt, verleiht auch dem Geschaffenen als Ganzem mit einem Schlage die ihm gebührende Form" des Schon-Da-Seins. Das .analogische' Schon-Da-Sein geht der .generischen' Prädikation (und ihrem ,es gibt') logisch voran. So ist es folgerichtig, wenn in dem Grundsatz, der dies statuiert ,der Himmel und die Erde' nicht selber als Prädikatoren eingeführt werden, sondern als singuläre Termini, genauer als Kennzeichnungen,54 ,Der Himmel' und ,die Erde' seien „das einzige, was seine Individualität nicht erst auf dem Umweg über die Vielheit bezieht" (S, 169). Gen 1,1 ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Grammatik der Schöpfung. Wenn in Gen 1,1 ,der Himmel und die Erde* als Kennzeichnungen eingeführt sind, so ist vorentschieden, wie auf Zeiten und Orte in dieser Grammatik referiert wird. Dinge sortieren sich nach ihrem besonderen Dasein, können aber an ihrem Ort und zu ihrer Zeit individuelle Existenz haben, sofern sie mit .ihrem Namen gerufen und genannt' werden. Die genuine örtlich-zeitliche Existenz der Dinge als Individua wird getroffen, wenn sie in ihrer Zeit, an ihrem Ort gut geheißen, gesegnet werden. So gilt zwar, daß Gottes Vorsehung nur auf Genera und Arten, nicht aber auf Individuelles geht. Der im Anfang den Himmel und die Erde schuf, verheißt aber dem Ding mit seinem Dasein seine Zeit und seinen Ort und darin seine Benennbarkeit mit Namen. Diese Exteriorität des Dinges im Dasein, die man die ,Spur' der Externität des Namens nennen mag, ist mit der Rede vom Schon-Da-Sein gemeint. Dinge zu ihrer Zeit anzusprechen und sie in diesem Sinn mit ihrem Namen zu rufen - dies ist Erlösung der armen Kreatur, ihre Rückkehr in die Schöpfung-im-Anfang.

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D. Burrell, Analogy, 225f. Diese Beobachtung verstellt sich Rosenzweig selbst, der an der Oberflächengrammatik haften bleibt, und behauptet .Himmel und Erde' würden als einzige im Text von Gen 1,1-31 sofort mit dem bestimmtem Artikel ausgezeichnet, während die Dinge durchgängig ohne Artikel eingeführt würden (S, 169). Wir interpretieren dies als intendierte Unterscheidung zwischen Prädikator und Kennzeichnung. 54

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4.4 Sabbatsegen - Messianischer Gruß und dichte Zeit Wie genau im Prädizieren der Dinge die Zeiten unterschieden werden, zeigt im paradigmatischen Text von Gen 1 die Prädikation des Siebten Tages als Voraussetzung des Sabbatgebots55: Die Segnung und Heiligung des Siebten Schöpfungstags (nur in Gen 2,3a, worauf sich das Sabbatgebot Ex 20,11 rückbezieht) (a) institutionalisiert diesen Tag: Der Siebte Tag wird als iteratives Dasein eingeführt, indem ,der Siebte Tag' (als einstweilen für Gott besonderer, ausgesonderter Tag) als Kennzeichnung eingeführt wird.56 Die eigentliche Tagesformel in Gen 2,1-3 fehlt aber (b). Der Siebte Tag habe als „auf Dauer gestellte Anordnung ... einer besonders ausgezeichneten Zeit" zu gelten57. Segnung und Heiligung, also seine Aussonderung für Gott, bestimmen den Siebten Tag als nicht nur iterativ wiederkehrenden. Die Billigungsformel über der Gesamtheit des geschaffenen Daseins vor dem Siebten Tag und die fehlende Tagesformel für den Siebten Tag kennzeichnet sein Dasein in der Tat als besonderes: „Der Schöpfungssabbat ist nicht begrenzt! Darum weist er, wie die auffallend parallel gestaltete Sinai-Theophanie (Ex 24,15b-28 [sic!18?] ...) andeutet, tatsächlich auf eine letzte, alles erfüllende Gegenwart Gottes in und mit seiner Schöpfung voraus."58 Diese besondere Auszeichnung, die sich in der Einführung des Siebten Tages anzeigt, wird in ihrem Sinn für Israel im Sabbat offenbar. Inwiefern? Dem Siebten Tag fehlt von Gott her der Charakter des Vergangenen, des Schon-Da-Seins. Das genuine Dasein des Siebten Tages, das ihn vom geschöpflich-iterativen Dasein der anderen Tage unterscheidet, besteht darin, daß er für Israel Zeichen des status promissionis der Schöpfung ist: Es war und ist und wird gut! Eben dies wird in seiner Feier als Sabbat bewährt: „Seiner Einsetzung gemäß war der Sabbat zuvörderst Erinnerung an das Werk des Anfangs und als solche dauernder, fester Grund des geistlichen Jahres; andrerseits war seine Einsetzung selber doch innerhalb der Schöpfung schon das erste Zeichen der Offenbarung - erscheint doch in den Worten der Einsetzung verhüllt zum ersten Mal in der Schrift der offenbarte Name Gottes5'; endlich aber ist er nun grade darin, daß er beides, sowohl Zeichen der Schöpfung wie erste Offenbarung ist, auch und sogar vor allem die Vorwegnahme der Erlösung. Was denn andres wäre die Erlösung als dies, daß sich Offenbarung und Schöpfung versöhnten!" (S, 348)

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Gen 2,2f ist nicht Sabbat-Ätiologie, sondern Voratissetzung des späteren Sabbatgebots. O.H. Steck, Schöpfungsbericht, 196 Anm. 829; W.H. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 156f (implizite Sabbatterminologie); H. Seebass, Genesis I, 88f. 57 Chr. Link, Schöpfung, 386 (Kursive z.T. HA). 58 Ebd. 59 Hingegen gilt von Gen 1,1-31: „Gott spricht, aber sein Wort ist noch als ob etwas in ihm spräche, nicht er selber." (S, 171) „Der Schöpfer offenbart sich in der Schöpfertat; das Schöpferwort, selbst das der letzten Schöpfung, ist kein ihn offenbarendes Wort des Offenbarers, sondern schließlich auch nur eine schaffende Tat des Schöpfers." (S, 172). 56

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Der besondere Segen am Sabbatbeginn (Kiddusch) und am Sabbatausgang (Havdalah) unterscheidet die Heiligkeit des Sabbat von allen anderen Tagen und Festtagen. Er bewährt die genuine Güte des Siebten Schöpfungsta.%es als „das erste Zeichen der Offenbarungu (S, 348) des Namens des Schöpfers: „Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du unterschieden zwischem Heiligem und Unheiligem, zwischen Licht und Finsternis, zwischen Israel und den Völkern, zwischen dem siebenten Tag und den sechs Tagen der Arbeit. Gelobt seist du, Ewiger, der unterschieden zwischen Heiligem und Unheiligem."60 Inwiefern gilt aber der wiederkehrende Siebte Tag und der wiederkehrende Sabbat Israels als Sabbat der erlösten Schöpfung? Insofern an jedem Sabbat der wiederkehrende Siebte Tag und Sabbat bereits als der letzte, messianische Sabbat mit Namen angesprochen wird. Rosenzweig verweist dazu auf das Sabbatlied der Vorabendliturgie, die Hymne Lecha dodi. Sie lautet im Refrain: „Auf mein Freund, der Braut entgegen, Königin Sabbat wollen wir empfangen!"61 Bei der letzten Strophe dieser Hymne: „Kehre ein in Frieden, Krone des Mannes, ja in Freude und Frohlocken, bei des erwählten Volkes Treuen, kehre ein, Braut, kehre ein, Braut!", steht die Gemeinde auf und wendet sich um, dem Synagogeneingang im Westen zu. Rosenzweig beschreibt diese Gebärde als messianischen Segensgruß62: „Das Allerheiligste im Tempel war im Westen. Dadurch bekommt das Umdrehen beim Ikh dwdy noch einen besonderen Sinn. Man betet sonst nach Jerusalem hin (d.h. man betet um die Ankunft des Messias), am Eingang des Sabbats betet man wie in Jerusalem, d.h. wie in der messianischen Zeit."63 Im Segensgruß wird der wiederkehrende Beginn des Siebten Tages als singulärer Augenblick gegrüßt und ,ver-ewigt'. Im Moment des Eintritts des Sabbats wird mit dem Siebten Tag die iterative Zeit gleichsam mit Namen genannt als lebendiggewordene Zeit. Dieser Gruß gründet in einer Gerechtigkeit, die allem .seine' Zeit zuteilt, ohne zu vergleichen. Sie besteht in der absoluten Inkommensurabilität und damit auch in der Unerschöpflichkeit der Zeit, die Menschen und Dinge je haben und auch sind. Gemessene Zeit kann erschöpft werden, diese Zeit selbst aber nicht.64

Sidur, 198, zur Erläuterung: L. Trepp, 75; I.M. Lau, 145f. Sidur, 84. Zum Autor, dem Safeder Kabbalisten R. Salomo Alkabatz: G. Scholem, Mystik, 313. 62 Selbstverständlich sind auch liturgiehistorische Deutungen möglich (Elbogen, 108; Trepp, 57; Lau, 122). Rosenzweig kann allerdings beanspruchen, eine ausweisbar messianische Beschreibung dieser Gebärde zu bieten. 63 BT, 154, Nr. 214; vgl. BT, 734.780. M Vgl. J. Simon, Zeit, 310, in § 3,4. 60 61

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Die Behauptung: ,Es war und ist und wird gut' versteht in ihrer projektiven Reichweite, wer Dinge zu ihrer Zeit zu benennen, zu unterscheiden und als gut zu bewähren weiß. Dazu muß Zeit selbst jenseits ihres kreatürlichen Maßes benannt, unterschieden und bewährt werden. Der Segen des Sabbats ist das Beispiel, wie der ,Tag' als kreatürliches in messianisches Maß verwandelt, und damit als Maß aufgehoben wird. Darin ist er, wie der Versöhnungstag, Zeichen göttlicher Gerechtigkeit: .dichte' Zeit. „Der Sabbat ist das Fest der Schöpfung, aber einer Schöpfung, die um der Erlösung willen geschah. Er ist offenbart am Ende der Schöpfung und als der Schöpfung Sinn und Ziel" (S, 349). 5. Weisheit und Gesetz? „Dem Schöpfer ... bieten sich die Dinge nur im allgemeinen Zusammenhang des ganzen Daseins. Nur durch dieses hindurch ergreift sie seine Schöpfung, ,ein jegliches nach seiner Art'. Aber daß dieses Allgemeine nicht wesenhaft Allgemeines ist, sondern ... momenthaft sich hervorringendes, das zeigt sich darin, daß dies göttliche Erfassen des Daseins nicht in der ein für alle Mal stattgehabten Schöpfung geschieht, sondern momenthaft, als zwar allgemeine, aber in jedem kleinsten besonderen Augenblick für das ganze Dasein sich erneuende Vorsehung, derart, daß Gott ,Tag um Tag das Werk des Anfangs erneuert'65. Diese allmorgendliche Vorsehung ist so das, was im Gedanken der Kreatur eigentlich angedeutet ist." (S, 135) Das Dasein der Dinge ist - wie dieser Passus nahelegt - selbst noch einmal durch ein Allgemeines mit Gottes Vorsehen vermittelt. Ausweisbarer Sinn läßt sich dieser Rede vom allgemeinen Zusammenhang des Daseins abgewinnen, wenn sie auf die .Weisheit' und ihre Schöpfungsmittlerschaft bezogen wird (Spr 8,1-36; Hi 28; Sir 24; Weish 7,22-8, l)66. Das Dasein der Dinge wird demzufolge durch Gottes Weisheit erhalten und bestimmt, welche zugleich die Einsicht in den weisen Zusammenhang des Daseins der Dinge vermittelt67: „Sie [die Weisheit] ist nur eine und vermag doch alles; ohne sich zu ändern, erneuert sie alles. Von Geschlecht zu Geschlecht tritt sie in heilige Seelen ein und schafft Freunde 65 Zitiert aus der Benediktion Jozer. „Gott, dem Gepriesenen, spenden sie [die Ophanim, Chajoth, Seraphim] liebliche Gesänge ... Herr der Wunder, erneuert täglich beständig das Schöpfungswerk" (Sidur, 35). 66 H. Gese, Die Weisheit, 84f: „Hier wird als Person gefaßt, was in engster Weise mit dem Personsein Gottes zusammenhängt und damit mit dem personalen Charakter von Offenbarung überhaupt." So komme „etwas typisch Alttestamentliches zum Vorschein ...: die personale Struktur der JHWH-Offenbarung, die auch die im menschlichen Erkenntnisfeld begegnende, selbsterkannte Wahrheit in der Gestalt der Weisheit personal von der einen göttlichen Aktivität her vermittelt sein ließ." 67 Zum logischen Sinn rhetorischer Personifikation: F. Mildenberger, Biblische Dogmatik 3, 292f.305f; zur Traditionsgeschichte: M. Wolter, Weisheit, 300f.312.

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Gottes und Propheten" (Weish 7,27). Es wirkt wie eine Auslegung von Weish 7,27a, wenn Rosenzweig das Bild der Vorsehung summiert mit dem Satz: „Gott in der Weisheit seiner Schöpfermacht die Welt ins Dasein rufend, die Welt durch ihr Dasein sich in ihrer Kreatürlichkeit gegenüber der göttlichen Vorsehung offenbarend" (S, 137). Aber was meint, daß .dieses Allgemeine nicht wesenhaft Allgemeines ist, sondern momenthaft sich hervorringendes'? Was meint die Behauptung, daß Weisheit gerade nicht alles erhält und erneut, sondern, selbst nur momenthaft, der sie erneuernden Vorsehung bedarf? Zweifellos fand Rosenzweig in Schellings Weltaltem eine spekulative Schöpfungslehre, in der Weisheit als vermittlungslogisch entscheidende Potenz in der Kontraktion und freien Kondeszendenz absoluter Identität bestimmt wird. 68 Schellings Begriff der Weisheit und ihrer Privation, ihres Mangels an Sein, ist in Rosenzweigs Formulierung vorausgesetzt.

EXKURS: WEISHEIT IN SCHELLINGS .WELTALTER' Die sich entfaltende Potenz Weisheit als Widerspruchseinheit von Privation und Affirmation kehrt an Schlüsselstellen der Potenzenlehre der Weltalter von 1813 wieder.69 (1) An der spielenden Weisheit (als Inbegriff des Möglichen und Unmöglichen, d.h. privativ Nicht-Seienden) erweist sich der sich in sich offenbarende Gott als Sein: Seine überseiende Freiheit70 stellt sich in der Unterscheidung des Möglichen und Unmöglichen als schöpferische Freiheit dar:71 „Aber alle diese Gestalten und Bildungen [sc. in der vor dem überseienden Gott spielenden Weisheit] haben für sich keine Wirklichkeit; denn die Natur selbst, aus der sie aufsteigen, ist gegen die allein wahrhaft seyende Gottheit in die Potentialität, in das Verhältniß eines beziehungsweise nicht Seyenden zurückgetreten, und bewahrt auch freiwillig dieses Verhältnis ... Also ist dieses ganze Leben zwar nicht schlechthin und völlig nichtig; aber gegen die Gottheit als ein Nichts, ein bloßes Spiel, das auf keine Wirklichkeit Anspruch macht ... Träume oder Visionen, die wohl wirklich werden könnten, wenn er den nicht seyenden riefe, daß sie seyend sey'n".72

61 Rosenzweig beruft sich (S, 48) explizit auf Schellings Weltseele als Interpretament der Weisheit von Spr 8; F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 252.276f [628. 652f]. Zur hohen Bedeutung der Weltalter für die Genese des Stem·. BT, 320; 655; Z, 148; auch Z, 33-37. 69 F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 240-242 [616-618]; 276-282 [652-658]; 288-290 [664-666]; 296-300 [672-676]; 335.339 [711.715], 70 „Freiheit oder der Wille, sofern er nicht wirklich will, ist der bejahende Begriff der unbedingten Ewigkeit, die wir uns nur außer aller Zeit, nur als die ewige Unbeweglichkeit vorstellen können [sie]. Dahin zielt alles, darnach sehnt sich alles. Alle Bewegung hat nur die ewige Unbeweglichkeit zum Ziel, und es ist alle Zeit, auch jene ewige Zeit, nichts anderes als die beständige Sucht nach der Ewigkeit." (Weltalter Bruchstück, 235 [611J. Ruhe Gottes ist nichtwollendes Wollen, reine Freiheit, reine Freude und Wonne der „Übergottheit" (ebd., 236 [612], die „verzehrende Schärfe der Reinheit" (ebd. 236 [612]). 71 „Diese Scheidung, dieses innere Auseinandergehen, das Werk der wahren Sehnsucht, ist die erste Bedingung alles Rapports mit dem Göttlichen" (Weltalter Bruchstück 240 [616j. 72 F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 280f [656f] (Original kursiv).

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(2) Die beständige Privation (das Nein, als welches sich überseiende Freiheit am Anderen manifestiert) wird an der sich beständig wiederholenden, aufsteigenden Weisheit („eine unablässige Theurgie"73) zur freien Affirmation (zum Ja der Freiheit, die in sich zurückgeht und eben darin sich selbst transzendiert74). Wird das ÜberSein Gottes an seiner Natur zum vernichtenden Willen, so doch auch, „zwar nicht mit gleich ursprünglicher Notwendigkeit, aber jenes vorausgesetzt doch nothwendig" (299 [675]), auch ewiges Ja, bekräftigende Liebe. Sonst wäre Gottes Ubersein nicht Wille, der nicht will, sondern bestimmter, nichts wollender Wille: „die Gottheit ist, als das Eins, und eben weil sie das Eins ist, sowohl das Nein, als das Ja und die Einheit von beiden." (299 [675]) „Eben weil die ewige Freiheit, kann sie sich gegen das Seyn nur als Nein, als Ja, und als Einheit beider verhalten ... Aber auch umgekehrt, nur weil sie gegen das Seyn sich so verhält, ist sie die ewige Freiheit. Wäre sie bloß Ja oder Nein, so müßte sie sich auf eine oder andere Weise des Seyns annehmen, es bejahen oder verneinen. Daß sie beides ist, und beides gleich wesentlich, das eben macht, daß sie die höchste Freiheit ist. Dieß alles mußte seyn, damit nie ein nothwendiger Grund der Welt gefunden werde, und offenbar hervorleuchte, daß alles, was ist, nur durch den allerfreiesten göttlichen Willen sey. Hier ist also auch der Wendepunkt zwischen Notwendigkeit und Freiheit. Bis hieher war der Fortschritt des Lebens ein nothwendiger; schreitet es von jetzt an fort, so ist dieß nur vermöge eines freien göttlichen Entschlusses."75 (3) Die in sich vermittelte Widerspruchseinheit ewiger Freiheit kann aus freiem Entschluß sich offenbaren. In dieser Wende wird „die Simultaneität zwischen den verschiedenen Gestalten [des Nein, des Ja und der Einheit] aufgehoben und in eine Folge verwandelt werden."76 Der Widerspruch in der höchsten Steigerung bricht die Ewigkeit und setzt „statt der Einen Ewigkeit eine Folge von Ewigkeiten (Äonen) oder Zeiten ... Aber eben diese Folge von Ewigkeiten ist es, was wir insgemein die Zeit nennen. In dieser Entscheidung also schließt sich Ewigkeit in Zeit auf" (302 [678]). Die Offenbarung tritt logisch zuerst als Weltalter der Vergangenheit, der Schöpfung hervor: Die Schöpfung ist aber gerade Verneinung des privativen nichtgöttlichen Seins. Sie wiederholt den innergöttlichen Widerspruch zwischen überseiender Freiheit und privativer Natur Gottes. Auch hier vermittelt Weisheit als Schöpfungsmittlerin die Selbsttranszendenz der Freiheit zur Liebe: „In demselben Akt also, da Gott sich zur Offenbarung entschloß, wurde zugleich entschieden, daß Gott als das ewige Nein Grund der Existenz des ewigen Ja seyn sollte; es wurde eben damit zugleich bestimmt, daß Gott als die ewige Verneinung des äußeren Seyns überwindlich seyn sollte durch die Liebe" (303 [678]). Die logisch vorrangige Schöpfung ist immer-schon-vergangene: Sie ist das durch Liebe verwundene und in den ewigen Anfang zurückgesetzte Nein als Grund des Ja.

F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 297 [673]. Vgl. M. Theunissen, Aufhebung des Idealismus; D. Korsch, Grund der Freiheit. 75 F.W.J. Schelling, Weltalter Bruchstück, 299f [675f]. Die Lust der Weisheit am Weisen (vgl. Spr 8,17; Weish 7,27f) erweise den Menschen in der Dialektik seiner Seele als „Verknüpfungspunkt des ganzen Weltalls", als jenes Geschöpf, welches „eigentlich die Fortpflanzung der anziehenden Bewegung bis ins Höchste vermittelte" (ebd. 297 [673]). 76 Weltalter Bruchstücke, 303 [679]. Zum Gesetz der Simultaneität und Sukzession: 310 [686]; Weltalter Fragmente, 175-178. 73 74

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Die Frage kann nur sein, was diese spekulative Weisheitslehre zur Klärung dessen beiträgt, was wir messianische Ökonomie nennen. Nur soweit sie daraufhin ausweisbaren Sinn hat, ist sie sachlich von Interesse.77 Uberseiende Freiheit des sich erniedrigenden, sich gebenden Gottes wird bei Rosenzweig namenslogisch verstanden. Die Figur der Simultaneität der Potenzen, die als Sukzession der Weltalter nach außen tritt, wird jetzt als messianische Ökonomie konsequent auf die Grammatik des Segens bezogen. Daß der göttliche Namen sich gibt und die Homologie des Namens, die Benediktion kreatürlicher Dinge und die Doxologie seiner Güte begründet, aber seinen kontradiktorischen Homologien zugleich extern bleibt wird Inbegriff seiner Unendlichkeit und überseienden göttlichen Freiheit. Schellings Begriff der Weisheit Gottes erlaubt, die Verschränkung von Vollkommenheit des Schöpfers und die Privation der Schöpfung zu denken. Hoheit und Vollkommenheit der schöpferischen Weisheit in ihrer Ökonomie (Weish 7,22-8,1) und Verborgenheit der Weisheit in der Schöpfung (Hi 28,1-28; Bar 3,9-38), und zwar gerade in der .fallenden* und .nichtigen* Zeit (Pred 1,2; 12,8; Hi 7,16; Ps 39,6), sind verschränkt. Diese Verschränkung, als welche .Weisheit' ist, begründet den status promissionis der geschaffenen, in die diachrone Vergangenheit zurückgesetzten Dinge. Diese Simultaneität von Vollkommenheit und Mangel der Weisheit in der Schöpfung ist konzentriertester „Ausdruck des Handelns Gottes selbst in seiner Offenbarung, die Verheissung und nicht Enthüllung (Apokalypsis) ist. Nicht nur unser Erkennen des schon für Gott, bei Gott Wirklichen ist im Noch-Nicht gehalten, sondern Gott hält sich mit dem, was er an uns tun will, noch zurück. Aber in seiner Verheissung verweist er auf die Fülle der Erfüllung, die immer dort, wo er an uns handelt, zum Vorschein kommt."78 Daher ist göttliches Handeln Sich-Verewigen des Ewigen. Schellings Freiheitsphilosophie bildet die Brücke zwischen Kants schöpfungsphilosophischer Negativität und Rosenzweigs namenslogischer Unendlichkeit.79 Die Aporie der Reflexionsphilosophie, der Abgrund der Idee des absolutnotwendigen Wesens, wird zum Ungrund des freien Aus-Sich-Heraustretens des Absoluten.80 In der späten Philosophie der Offenbarung wird der 77 Die ideengeschichtliche Frage nach Einflüssen tritt hier zurück. Zur Ideengeschichte: S. Moses, System und Offenbarung, 36-43; W. Schmied-Kowarzik, Franz Rosenzweig, 51-90; R. Gibbs, Correlations, 40-45. 71 G. Sauter, Zukunft, 367, vgl. 174-177; 295-307. 79 Vgl. E.T. Charry, Franz Rosenzweig and the Freedom of God. ,0 „Die Contraction des ersten wirkenden Willens, durch welche die uranfängliche Lauterkeit sich selber mit einem Seyn überkleidet, ist mit der unergründlichen That in Vergleich zu setzen, wodurch das menschliche Wesen sich vor aller einzelnen oder zeitlichen Handlung zu einem innerlich bestimmten Wesen zusammenzieht, oder sich das gibt, was wir Charakter in ihm nennen ... So nah liegt jedem Menschen der Ungrund der Ewigkeit, vor dem er sich entsetzt, wenn er ihm vor's Bewußtseyn gebracht wird." (F.W.J. Schelling, Weltalter Fragmente, 93).

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Ungrund der Freiheit zum Mangel an Sein in der Idee Gottes selbst: „es ist dieser in der Idee gehöhlte Mangel an Sein, diese in ihrer eigenen Sphäre nicht zu tilgende Negatität, welche das Motiv bereitstellt zum Übergang in die .positive Philosophie'. Diesen Ubergang aus dem Scheitern der negativen Philosophie selbst motiviert zu haben, das genau ist das methodologische Novum" der späten Philosophie der Offenbarung.81 Der in der .Weisheit Gottes' vermittelte Ubergang zur Positivität der Erfahrung führt zwar bei Schelling erneut zu unausweisbaren, und diesmal materialistischen Konstruktionen. 82 Wichtig ist aber, daß menschliche Weisheit jetzt in ihrer Posteriorität und Externität charakterisiert wird. Sie ist nicht „objektives Hervorbringen, sondern bloß ideales Nachbilden"·, Vernunft als Weisheit „ist nicht [mehr] der magische Beweger aller Dinge", in ihr „ist nur noch Wissen".83 Die Angewiesenheit auf die unvorgreifliche Zeit göttlicher Ökonomie ist der Grund, warum Kontingenz der Dinge widerfahren kann, obgleich göttliche Vorsehung geglaubt wird. Darum ist die Erkenntnis des Glaubens auf genuine Weise empirisch. Die Posteriorität der Weisheit gegenüber dem unvordenklichen Sein habe sich der transzendentalen Reflexion .spiegelverkehrt' dargestellt, also als Apriorität der Reflexionsprinzipien: Reflexion entwirft selbst noch die Idee Gottes als Idee ihres eigenen Grundes. Aber ihr widerfährt die Nicht-Identität des Absoluten in seiner Idee. Die inverse Ordnung, in der sich die Relation von Sein und Bewußtsein für die Reflexion darstellt, und damit die Nicht-Identität der Reflexion in der Idee des Absoluten, bedürfe der Kritik durch einen .apriorischen Empirismus': „Die positive Philosophie ... geht nicht bloß vom relativen, sondern vom absoluten Prius aus, und leitet nicht im notwendigen, sondern im freien Fortschritt... das Apriorische ab. Die positive Philosophie, die nur im freien Denken fortgeht, bedarf der Erfahrung zum Beweise. Zwar das absolute Prius bedarf keines Beweises, wohl aber die Folge des Abgeleiteten bedarf eines faktischen Nachweises und Beweises. Die Erfahrung wird zum mitwirkenden. Die positive Philosophie ist apriorischer Empirismus. Die Erfahrung, der sie zugeht, ist die gesamte Erfahrung ... so wie die Wirklichkeit nie geschlossen ist, so auch der Beweis nicht."84

M. Frank, Einleitung, 59, bezogen auf F.W.J. Schelling, Philosophie der Offenbarung 1841/42, 148-160. 82 W. Schulz, Vollendung des Deutschen Idealismus; J. Habermas, Dialektischer Idealismus. Nach der Wende zur positiven Philosophie gilt: „Sie [die erzeugende Weisheit], die das Sein wesen läßt, ist im Grunde - jenseits der reflexiven Verkehrung des Verhältnisses - das vom Sein Gewesene" (M. Frank, Einleitung, 65). Gott als das Anders-Sein-Könnende, also: Gott als Herr seines blinden Seins und als der vom blinden Sein Gewesene ist sich selbst durch Weisheit vermittelt, die der .Anfang seines Weges' ist (Philosophie der Offenbarung 1841/42, 187f mit Spr 8,22f). 13 F.W.J. Schelling, Initia philosophiae universae, 27. Zur Entdeckung der inversen Ordnung zwischen absolutem Subjekt und Reflexion: F.W.J. Schelling, Initia philosophiae universae, 43-46. 84 F.W.J. Schelling, Philosophie der Offenbarung 1841/42, 147. 81

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Das im Stern geübte neue Denken steht zweifelsohne in der Tradition dieser positiven Philosophie. Es gilt seinem Autor als „absoluter Empirismus" oder als „erfahrende Philosophie".85 Diese allzu schlagworthafte Selbstkennzeichnung führte nicht selten zu existentialen Interpretationen des Stern.86 Demgegenüber soll hier der konkrete Zusammenhang von Weisheit, als Inbegriff messianischer Ökonomie, und Gesetz hervorgehoben werden: Die daseienden Dinge seien bedürftig nach Sein: „Unter die Fittiche solchen Seins, das ihm Bestand und Wahrheit verleihen würde, drängt sich seine Kreatürlichkeit." (S, 134, Kursive HA) Da der Mangel an Sein zugleich als Mangel an Wahrheit beschrieben wird, ist die Unterscheidung zwischen Bedürfnis und Begehren einzuführen.87 Die Beschreibung der Kreatur als nach verliehenem Bestand und Wahrheit drängende, charakterisiert sie doppelt: Ihr Bedürfen ist zugleich zum leeren Begehren korrumpiert (Rom 8,20 ist dieser Wahrnehmung verwandt, aber grundverschieden). Es ist die entscheidende Frage, ob sich ein Kriterium angeben läßt, „um die überaus wichtige Frage zu beantworten, ob ein Begehren, das die Anmeldung eines Bedürfnisses veranlaßt, wirklich einem Bedürfnis entspricht. Seit Sokrates und Piaton war die Frage nach diesem Kriterium das Hauptproblem der antiken Ethik."88 In dieser Frage setzt bei Rosenzweig die Lehre vom Gesetz als Weisheit an: Das Gesetz ist Israels Weisheit, durch welche es korrumpiertes Begehren vom kreatürlichen Bedürfen unterscheiden soll. Jhkmh ist das antiheidnische Wort wo der Neuheide Ethos sagt. So ist das Wort schon im Deuteronomium gemeint: das [sc. das Gesetz] ist eure .Weisheit* [und euer Verstand vor den Augen der Völker]" (BT, 776 und Dtn 4,6; vgl. Sir 24,1-34; Bar 3,36-4,4). Die arme Kreatur wartet auf die Weisheit des Gesetzes, auf erfüllte Werke des Gesetzes, die messianisches Leben und sabbatlichen Frieden mitteilen. Dies wäre gutes Leben in der Doxologie des Schöpfers: ER ist gut. Das Bedürfnis der Kreatur nach Sein, ihre Armut weist die Richtung, „in der wir dies .einfältige Wort der Wahrheit* ... zu suchen haben." (S, 134) Das .einfältige Wort der Wahrheit', in der das Dasein der Dinge ins Sein kommt, ist die messianische Doxologie: ,ER ist gut!' Sie ist das paradigmatische Werk des Gesetzes. In ihr ist das Erste Gebot erfüllt. Im doxologischen Gesang erblüht die arme Kreatur mit der erwählten Gemeinde zum .ewigen Leben': „Allelujah, laudate DOMINUM!" (Ps 150,6) 85

Z, 161 bzw. 144; ebenso: Buechlein, 73-78. Exemplarisch die frühe Arbeit von E. Freund, Existenzphilosophie Franz Rosenzweigs; weiter: N . Rotenstreich, Philosophie der Existenz; Schmied-Kowarzik, Franz Rosenzweig, 91-120; H.-J. Goertz, Tod und Erfahrung. 17 W. Kamiah, Anthropologie, 54f: Bedürfnis ist nicht als berechtigtes Begehren zu definieren. Echte Bedürfnisse (z.B. Frischluft) können in bestimmten Situationen als berechtigte Begehren zurückgewiesen werden. Ebenso gibt es Bedürfnisse (Atemluft), die in der Regel nicht als Begehrungen bewußt werden. Begehren ist ein Fall von Sichverhalten, Bedürfnisse (z.B. Atmung) sind vorgegeben. 88 W. Kamiah, Anthropologie, 56. 86

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Zusammenfassung 1. Die ,zwei Glaubensweisen', die sich aus der Gabe des Namens begründen, sind vor und in das Geheimnis der Gerechtigkeit Gottes gestellt: Dies bestimmt ihr kontradiktorisches und dialogisches Gegenüber. Zugleich teilen sie je auf ihre Weise und mit jeweils eigenem Zugang grundlegende, produktive Aporien, die sich stellen, wenn Theologie sich als Theoriebildung begreift. Die Aporie prädikativer und propositionaler Glaubensrede bildet dafür das Beispiel: Wie stellt sich in einer Theologie des göttlichen Namens die Relation von homologischer und propositionaler, von religiöser und nicht-religiöser, alltäglicher Rede dar. Daß der Stern der Erlösung diese Aporie als exemplarisches schöpfungstheologisches Problem beschreibt, ist nicht überraschend. Auch traditionell wird die Aporie der wahrheitsfähigen Prädikation und der Verwendung der Prädikation in Aussagen in der schöpfungstheologischen Sprachlehre verhandelt. Charakteristisch ist vielmehr, daß nicht die Analogiefähigkeit prädikativer Rede, sondern ihre syntaktische Metaphorik Leitfrage wird, wenn Geschöpflichkeit der Sprache und der Sprecher theologisch zu entziffern ist. Der kritische Verzicht auf eine systematisch konstruierte und kontrollierte Bedeutungstheorie und die Polarität von syntaktischer Metaphorik und explorativem Urteilssinn gibt der Rede von Geschöpflichkeit in der messianischen Lebensform und Grammatik klaren und kritischen Sinn. Glaube an die Schöpfung-im-Wort verlangt, den Sprachgebrauch des Glaubens übersichtlich darzustellen: Es soll gesagt werden können, inwiefern der Glaube die Bedingungen seiner wahren und wirklichen Aussagen und seiner Weltorientierung in sich hat, inwiefern er also .seine Welt' erschafft und miterschaffen soll; und inwiefern sich seine prädikative Rede auf Bedingungen .außerhalb* ihrer selbst verläßt - und verlassen soll (nicht: kann). 2. Charakteristisch für den Stern ist sodann die materiale Entfaltung prädikativer Glaubensrede als reale Orientierung im Chaos der Dinge. Die Theorie prädikativer Rede wird also, im Unterschied zur traditionellen Analogielehre, nicht protologisch-ontologisch formuliert. Schöpfung-im-Anfang ist vielmehr aporetischer Grundlegungsbegriff des eschatologischen Geheimnisses des göttlichen Namens, .versiegelte Verheißung'. Der Namensglaube beansprucht keinen Standpunkt außerhalb der Sprache. Der ausgearbeitete Verzicht auf jedes konstitutive Bild von Sprache und Referenz ist ein Aspekt einer Schöpfungstheologie des Namens. 3. Die Lehre von der Schöpfung-im-Anfang entfaltet die Gabe des Namens als logischen Anfang weiter. Indem sich der homologische Glaube ,im Namen* vorfindet und indem er den allein anzurufenden Namen vom Chaos der Dinge unterscheidet, sind Sprachzeichen und also Dinge .schon da*. In die Homologie des Namens einzutreten, bedeutet Erlernen von Geschöpflichkeit. 307

Hinter das Chaos der Dinge, hinter Sprachzeichen und hinter zeiträumliche Existenz (als Verifikationsfeld des Satzes) braucht nicht zurückgefragt zu werden. Es soll allerdings im prädikativen Unterscheiden der Dinge die göttliche Unterscheidung des geschöpflichen Daseins, sein wachsendes Leben, seine Zeit und darin seine verheißene Güte erlernt, explorativ fortgeführt und bewährt werden. Die irreführende und sinnlose Frage: .Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts?', wird ersetzt durch die Frage: .Uber welchem Dasein, zu welchen Zeiten, über welchen Werken und in welchen Grenzen darf und soll vom Schöpfer gesagt werden: ER ist gut'? 4. Die alltägliche jüdische Benediktionspraxis ist ein Beispiel solcher realen Orientierung im Namen. Sie wird durch schöpfungstheologische Regeln, universelle oder grammatische Sätze, dimensioniert, begrenzt und strukturiert. Die Bilder der ,Schöpfung-im-Anfang' und der ,Schöpfung-im-Wort' verschränken verheißene Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung und erfahrbare Sehnsucht der ,armen Kreatur'. Diese Verschränkung bestimmt den Begriff messianischer Ökonomie und die temporale Staffelung von Schöpfung, Offenbarung, Erlösung. Für die ethische und eschatologische Beschreibung von Gesetzeswerken ist dieser Begriff grundlegend. 5. Dem beständigen Unterscheiden und differenzierten Prädizieren des Daseins der Dinge in der Benediktionspraxis (als einem Exempel des Lebens im Gesetz) liegt eine Grammatik der Prädikation zugrunde, die beides zu umschreiben sucht: daß im sprachlichen Handeln und Segnen tatsächlich das Dasein der ,Dinge' neu unterschieden, ihr bedürftiges und begieriges Leben wahrgenommen und .erlöst' und in seiner Güte behauptet wird; und daß eben darin nur ihr bereits unterschiedenes Dasein, ihr geschaffenes Schon-DaSein und ihre verheißene, zeitgebundene Güte geschöpflich bewährt wird. 6. Im Segen des Sabbats zeigt sich inkommensurable göttliche Gerechtigkeit als dichte, unerschöpflich individuelle Zeit. Im Eintritt des Sabbats wird unverrechenbare Liebe, welche in ihrer Mitteilung inkommensurabel ist, öffentlich begangen. Der Segen dieses Moments ist Segen der erlösten Schöpfung in der Pluralität freier Geschöpfe. Die Geste des Sabbatsegens ist ein ikonisches Zeichen des unendlichen Namens.

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§ 13 Ethik der messianischen Lebensform .Gesetz' 1. Buber und Rosenzweig über das Gesetz: Ethische Beschreibung Am 27. März 1922, nach der Publikation des Stern und bereits nach Ausbruch seiner Krankheit, nennt Franz Rosenzweig in einem Brief das Erlernen des Gesetzes „ein, nein das Zentralproblem meines Lebens (nach Abschluß des Sterns)" (BT, 761).1 Ziel dieses Lernens sei ein zweites Lebenswerk gewesen: „Ich hoffe (oder hoffte) im Stillen, daß ich eines Tages einmal in Jahrzehnten, die Grundsätze, die Gesetze, ,das Gesetz' weiß und dann noch einmal den Mund auftun und lehren kann."2 Zu dieser Lehre des Gesetzes kam Rosenzweig nicht mehr. Es ist jedoch aufschlußreich genug, daß Rosenzweig das lebenslange Erlernen des Gesetzes zur Voraussetzung der Lehre erklärt. Das Erlernen des Gesetzes aus Werken und ihrer Beschreibung bildet die Voraussetzung seiner Lehre vom Gesetz. Rosenzweig profilierte sie exemplarisch in seiner Auseinandersetzung mit Martin Buber über das Gesetz.3 Der Stern erwies sich im Urteil seines Autors während dieser Kontroverse als die Propädeutik zur Lehre des Gesetzes4. Die Analyse der Kontroverse dient also dazu, den Neuansatz Rosenzweigs präziser zu lokalisieren. Die Kontroverse um die Geltung des Gesetzes zwischen Buber und Rosenzweig ist im Kern - so die These - eine Kontroverse um die Konditionen praktischer Beschreibung des Werkes (und des Handelnden); und dies ist eine Frage praktischer Urteilskraft. Buber bleibt befangen in einer kantianisierenden Beschreibung des Gesetzes als Pflicht zur Heiligung. Gerade weil seine Kritik am Gesetz an reformatorische Gesetzeskritik anzuklingen scheint und der orthodox-jüdischen Gesetzestheologie scharf widerspricht, ist sie doch im Prinzip problematisch antinomistisch. Buber insistiert auf der absolut persönlichen Verantwortung ,vor dem Gesetz'5. Jeder Einzelne habe unter Einsatz seiner Berufung je aus dem positiv-historischen Gesetz das ihm geltende Gebot Gottes auszuwählen und

1 Biographisch einschneidend waren Heirat und Gründung eines jüdischen Hauses. Dies ist für die Tora-Theologie Rosenzweigs charakteristisch. Der Lebensanlaß stellt die Frage des Gesetzes und der erste Grundsatz lautet: „Unterschied [sc. von den Christen] ja, Scheidung nein. Wir wollen ein Haus, kein Ghetto. Bei uns soll jeder Jude essen können, den wir laden; aber wir wollen auch zu jedem Christen gehen können, der uns einlädt" (BT, 659, an Edith Hahn, 13.1.1920); Bildung und kein Ende, Z, 495-497. Es sind auch hier die Speisegesetze (kaschrut), welche Gesetzestheologie veranlassen (vgl. Gal 2,1-10; IKor 8-10; Rom 14-15). 2 BT, 762, vgl. 764; 784; 951; 1196. 3 Wichtig sind: M. Buber, Cherut, 122-144; F. Rosenzweig, Die Bauleute, Z, 699-712; weitere Texte werden ad hoc zitiert. Zur Interpretation: G. Bonola, Franz Rosenzweig und Martin Buber, 225-238. 4 Der Stern enthalte eine Theorie des Gesetzes in nuce, BT, 984 (25.8.1924); vgl. BT, 951. 5 Vgl. Buber an Rosenzweig, BT, 978 (13.7.1924).

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sei darin allein Gott verantwortlich. Gott ist kein Gesetzgeber, sondern der Mensch ist Gesetznehmer: eben weil ihn das Gesetz in die Versuchung führe, wie Gott sein zu wollen;6 eben weil ihm dasselbe Gesetz dann zur Anklage der Sünde werde; eben weil also das Gesetz zur Verurteilung, nicht zur Erlösung gegeben sei, Offenbarung nicht von Gott, sondern von dem Mittler Mose (Dtn 5,5f, vgl. Gal 3,19f);7 - eben deshalb gelte kein Gesetz und kein Rechtsspruch (Dtn 5,28) als solcher, sondern bei jedem einzelnen sei wieder und wieder zu fragen: „Ist das zu mir gesagt, mir zu Recht? So daß ich mich einmal zu ysr'l [Israel], das angeredet wird, zählen kann und ein andermal, viele andere Male nicht. Und wenn ich irgend etwas mit ungeteiltem Herzen mswh [mizwa] zu nennen vermag in meinem eigenen Leben, so ist es eben dies, daß ich so tue und so lasse."8 Aber die einsame Verantwortung des Prüfens und Wählens beschreibt das Gesetz als absolute Heiligkeit im Modus des Sollens, wobei .Sollen' Ausdruck der Differenz von Sünder und heiligem Gott ist und - schlimmer noch gerade als Sollen zum Seinwollen wie Gott verführt. Dieses Gestelltsein ,vor das Gesetz' - wie sie wenig später Kafka, der Hörer Bubers9, beschreibt droht vor dem Gesetz zu enden. Sie findet nicht ins Gesetz. Rosenzweig hingegen sucht nach dem Gesetz im ,Bund des Lebens' (lSam 25,29).10 Er geht aus von der „gott-menschliche[n] Wirklichkeit des Gebots", um sie je im Werk aufzufinden (BT, 1004). „Die Tat entspringt - ein Sprung auch hier! erst an der Grenze des bloß Tubaren, da wo die Stimme des Gebots augenblickshaft den Funken von ,Ich muß' zu ,Ich kann' überspringen läßt. Aus solchen Geboten und nur aus solchen erbaut sich das Gesetz." (Z, 708) Im Werk, sofern ex post die Stimme des Gebots in ihm identifiziert wird, ist das Gesetz aufzufinden und zu beschreiben. Im Beschreiben des im Werk .gegebenen' Gebotes könne das geschriebene und tradierte Gesetz erneut Verbindlichkeit gewinnen. Das orthodox-nomistische11, das liberal-autonomistische12 ' Buber an Rosenzweig, BT, 974 (24.6.1924): „Ich glaube nicht, daß Offenbarung je Gesetzgebung ist; und in der Tatsache, daß aus ihr immer Gesetzgebung wird, sehe ich die Tatsache des menschlichen Widerspruchs, die Tatsache des Menschen." Und die verschärfte Wiederholung dieses Axioms am Ende der Debatte, BT, 1039. Zur scharfen Kritik Bubers am orthodoxen Judentum: ders., Der Jude und sein Judentum, 112.125.136. 7 Buber an Rosenzweig, BT, 977. ' BT, 977, Brief Bubers an Rosenzweig vom 5.7.1924. 9 Franz Kafka, Vor dem Gesetz, Sämtliche Erzählungen, 148f, geschrieben Herbst 1914. Franz Kafka hörte die ersten Vorträge Bubers, die später in den Reden über das Judentum zusammengefaßt wurden, im Verein Bar Kochba in Prag (G. Bonola, 238). 10 Die Rede vom ,Bund oder Gebinde des Lebens' vermittelt schon bei Cohen die Anrechnung des Verdienstes der Eltern an die Kinder: „Gott gedenkt nicht sowohl der Liebe der Väter zu ihm, sondern der Liebe Gottes zu den Vätern, welche als der andauernde Grund der Geschichte Israels gedacht wird. Und an diesen Sinn des Satzes schließt sich der Folgesatz an: ,und er bringt den Erlöser ihren Kindeskindern.'" (H. Cohen, RV, 373, vgl. 371). " Zur Kritik: Z, 703f.629.631.763f. 12 Zur Kritik vgl. BT, 1001; S, 157-161, JH, 103f; 109f.

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und das dialogisch-antinomistische13 Verständnis von Gesetz erlangen hingegen die von ihnen intendierte Verbindlichkeit nicht.14 Das Gesetz bleibt unkenntlich, solange es nicht in Werken und einer bestimmten Lebensform besteht. Diese zu beschreiben und ihre Lernbarkeit darzustellen, ist die Aufgabe der Lehre vom Gesetz. .Theologie' stellt sich also im Stern als grammatisch-theologische Propädeutik bestimmter Sprachspiele und Texte dar, die zur Beschreibung der in ihnen vorausgesetzten Lebensform .Gesetz' hinführt.15 In welchem Sinne ist die Grammatik eingebettet in die Lebensform Gesetz? Sofern Sprechen nicht nur durch grammatische und logische Regeln geregelt ist, sondern durch eine Ubereinstimmung in (nicht technisch-pragmatischen) Urteilen, welche die Anwendung dieser Regeln bestimmt, d.h. in diesem Fall durch die gemeinsame Wahrnehmung dessen, was ,an der Zeit' oder was .Handeln' ist.16 .Gesetz' stehe also vorläufig für eine bestimmte Lebensform, die als gemeinsame Urteilsdimension vorausgesetzt ist, damit in Werken Gebote konsensuell aufgefunden und ausgesprochen werden können, und die eine bestimmte Wahrnehmung der Ökonomie Gottes impliziert, die wir ,messianisch' nennen: „Nicht daß die Juden auf den Messias hoffen, sondern daß sie auf ihn harren (d.h. ein Leben der Hoffnung führen), das macht ihren .Messianismus' zu mehr als einem Ismus, das macht ihn zu einem Glauben, einem Leben." (Z, 589) Die ethische Beschreibung der messianischen Lebensform .Gesetz' aus den Werken mit dem Ziel, das Erlernen des Gesetzes anzuleiten, meint nicht nur die Aufgabe, die in den Werken befolgten Gebote zu explizieren, sondern zugleich die in den Werken enthaltenen Erfüllungsbedingungen. Das Erlernen des Gesetzes geht einher mit dem Erlernen des Urteilssinns der Hoffnung. Rosenzweig führt so in gewisser Weise (und zwar gegen Bubers Kantianismus) Kants Frage nach einer historisch-politischen Urteilskraft weiter: Ihm geht es darum Widerfahrnisse und Handlungen als Werke des Gesetzes, und Werke des Gesetzes als Früchte des Reiches Gottes zu beschreiben, und dabei die Konditionen und Grenzen einer messianischen Urteilsöffentlichkeit freizulegen, die sich mit der Beschreibung jeweils erst herausbildet und nur durch

13 Zur Auseinandersetzung mit Bubers Antinomismus, vgl. Z, 699-712 (Die Bauleute) und die daran anschließende Korrespondenz: BT, 974-982.1039f. 14 Vgl. Z, 492f; 700-702; BT, 762f. 15 „Ethik kann ... verstanden werden als die Beschreibung derjenigen Lebensform, die mit dem Reden von Gott gegeben ist" (H.G. Ulrich, Was heißt: Von Gott reden lernen?, 188). " Diese Bestimmung ist voraussetzungsreicher als diejenige Wittgensteins, der Lebensform als formale Urteilsdimension einführt: „Richtig und falsch ist, was Menschen sagen·, und in der Sprache stimmen die Menschen überein. Das ist keine Übereinstimmung der Meinungen, sondern der Lebensform... Zur Verständigung durch die Sprache gehört nicht nur eine Ubereinstimmung in den Definitionen, sondern (so seltsam das klingen mag) eine Ubereinstimmung in den Urteilen." (L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 241f, 356).

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diese Beschreibung fortpflanzt.17 Die ethische Beschreibung der Lebensform .Gesetz' zielt auf ein sich im Erlernen herausbildendes neues „SystemfsJ von Straßen" (BT, 764). Nicht die Rekonstruktion eines .normativen Judentums' ist das Ziel, sondern das Auffinden des inneren Zusammenhangs der verschiedenen Wege des Judentums, ihrer Übereinstimmung in der Wahrnehmung der Zeit und der Zeiten je im Werk. Die beiden Fragen .Was dürfen wir hoffen?' und .Was sollen wir tun?' sind erneut in der Frage nach einem Urteilssinn und einem konsensuellen Handeln vermittelt, das einer (nicht-naturalistischen, nicht-historischen) Lebensform inkorporiert ist. 2. Lebensform ,Gesetz' und ihre Beschreibung Rosenzweig setzt zur Beschreibung dieser Lebensform nicht bei einer historischen Offenbarung des Gesetzes als Traditionsquelle an18, sondern bei der Gabe des Namens an Israel, diesem Ereignis sui generis: „Das Judentum ist nicht Gesetz. Es schafft Gesetz. Aber es ist es nicht. Es ,ist' Jüdewein" (BT, 762). Israel existiert (gleichsam enhypostatisch?) im Namen Gottes, der „sein unzugänglichstes Geheimnis [sc. ist] und doch hervorbrechend aus jeder Gebärde und aus jedem Wort, und aus dem unbeachtetsten am meisten.'' (Z, 493) Gesetzeshermeneutischer Schlüsseltext ist Dtn 30,11-14 (BR)19: „Denn dieses Gebot, das ich heuttags dir gebiete, nicht entrückt ist es dir, nicht fern ists ... Nein, sehr nah ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen, es zu tun." Dieses im Herzen nahe Wort des Gebots und die darin eröffnete Urteilskorrelation nannte Hermann Cohen Heiliger Geist20, Rosenzweig Israels Weisheit, praktiziert als Urteilssinn (t'm).

2.1 Das .Gebot, den Namen zu lieben' als Maß Der gebietende Gott steigt herab (Ex 19,20; 34,5; Num 11,25 u.ö.)21 und räumt Urteilsfreiheit ein: Gebot ist unbedingte Bitte, nicht Pflicht und nicht 17,Widerfahrnisse' meint hier: Ereignisse und Vorgänge (Altern, Tod, Schlaf, Geburt), konstitutiv bezogen auf menschliche Bedürftigkeit (W. Kamiah, Anthropologie, 36); im Terminus .Handlung' ist .Sich-Verhalten' (als generellerer Prädikator) und .Gewohnheit' (als speziellerer Prädikator) mitvertreten. Zum Ineinandergreifen von Widerfahrnis und Handlung (ebd., 34-40). Die Unterscheidung von .Bedürfen' und .Begehren' wurde bereits eingeführt. " Zur Möglichkeit historischer Kritik der Sinai-Offenbarung: Z. 703f. Darin ist sich Rosenzweig mit Buber bis zu einem gewissen Grad einig: BT, 974.976f.977.978. " Zur Bedeutung dieses Textes für die paulinische Hermeneutik des Gesetzes, v.a. in 2Kor 3,1-4,6: R. Hays, Echoes, 154-192. 20 Η. Cohen, RV 94f zu Dtn 30,11-14. 21 Vgl. Z, 82; 629; 631; BT, 979; 1040.

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Befehl. „Ein Absolutes, das zum Menschen spricht: nimm mich in dich auf! So spricht eben die .Wahrheit' nicht; sie sagt: gib mich dir hin ... aber nicht: wirke mein Werk, tue meinen Willen (was für eine Paradoxie das! der Allmächtige, statt seinen Willen selber zu tun, verlangt von uns, wir sollen ihn tun - und sind doch Staub und Asche). Indem aber dem Menschen dies gesagt wird, erhält seine Maßlosigkeit und Maßallerdinghaftigkeit ihr Maß und damit das gute Gewissen, alle Dinge zu messen"22. Das Gebot, den Namen zu lieben (Wahabta), wird zum Kanon, genauer: zum Maß des Gewissens. Kants Kritik des Liebesgebots behält also durchaus ihre Gültigkeit. „Ja gewiß, Liebe kann nicht geboten werden; kein Dritter kann sie gebieten und erzwingen. Kein Dritter kanns, aber der Eine." (S, 196) Dieses .Gebot' steht also unter dem Vorbehalt der Präsenz und Kondeszendenz des Namens, in der es zur .Bitte' wird. Das Gebot, den Namen zu lieben, kann deshalb als einziges nie Gesetzesform haben. Es ist vielmehr das Maß der Gesetzesform. Rosenzweig antwortet also auf die theologische Aporie des Formalismus23 mit der dialogisch-eschatologischen Ethik des Liebesgebots. „Deshalb, als das einzige reine Gebot, ist es das höchste aller Gebote, und wo es als solches an der Spitze steht, da wird alles, was sonst und von außen gesehen wohl auch Gesetz sein könnte, gleichfalls Gebot. So wird, weil Gottes erstes Wort an die sich ihm erschließende Seele das .Liebe mich' ist, alles, was er ihr sonst noch in der Form des Gesetzes offenbaren mag, ohne weiteres zu Worten, die er ihr .heute' gebietet, wird zur Ausführung des einen und ersten Gebots, ihn zu lieben." (S, 197f, vgl. Dtn 6,6; Ps 95,7)24 Dem Liebesgebot wird (scheinbar wie dem kategorischen Imperativ) in bestimmter Weise blind gehorcht. „Der Imperativ des Gebots trifft keine Voraussicht für die Zukunft; er kann sich nur die Sofortigkeit des Gehorchens vorstellen ... Das Gesetz rechnet mit Zeiten, mit Zukunft, mit Dauer. Das Gebot weiß nur vom Augenblick" (S,197). Aber hier vermittelt nicht reine praktische Urteilskraft zwischen innerem Hören und Tun, um Handlungsmomente zu spezifizieren und dem freien Willen zu imputieren, der seinen Zweck und seine Verfassung in praktischen Weltbildern entwirft. Vielmehr vermittelt hier praktischer Urteilssinn (t'm) und Brauch die Auffindung der messianischen Lebensform im jeweiligen Werk des Gesetzes.

22 Z, 119f (Oktober 1917). Diese Stelle hält den Moment der Entdeckung, d.h. der ersten klaren Formulierung des Konzepts des metaethischen Menschen fest. 23 Vgl. § 5,3. 24 Vom Kanon im strengen Sinn kann nicht die Rede sein, da es kein Regelgefüge gibt. Dazu Rosenzweig (BT, 789): „Was unterscheidet das Gesetz vom Satz? Eben die Unrubrizierbarkeit, die Unsystematisierbarkeit. Es hat keine Obersätze (außer dem als Gesetz, als Satz unmöglichen der Liebe). Es gibt keine wichtigen und unwichtigen. Nur dadurch erhält jede Gesetzeserfüllung die Note des Jetzt. Gegen jene [sc. deuteronomistischen Grundsätze, vgl. Dtn 11,32; 6,6]: .erfülle das Gesetz als wenn es heute geboten wäre' steht der kategorische Imperativ (jeder!) ,lebe dem Gesetz aus dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, handle - heute - so, daß die Maxime deines Willens Grundlage einer ewigen Gesetzgebung geben könnte.'"

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Diese Kunst ethischer Beschreibung des Gesetzes aus dem Werk und als Lebensform ist näher zu entfalten. 2.2 Aspekte ethischer Beschreibung Die nahe Stimme der Bitte wird durch das Werk und seine Beschreibung zum öffentlichen Gesetz Gottes.25 Urteilsmaß ist das Liebesgebot als Maß dieser Beschreibung. Denn die Lebensform Gesetz erhält sich und generiert sich durch das erwartete Handeln^öwnen, durch das augenblicklich widerfahrende Handelnmwise« und durch Beschreibung von Handeln als Werk des Gesetzes und als Frucht des Reiches Gottes: „eine einzige, Sitte und Gesetz in eins schließende Lebensform erfüllt den Augenblick und macht ihn ewig."26 Es ist nun eines, augenblickliches Handeln als widerfahrendes und eben darin gebotenes Werk zu beschreiben und dieses im Werk aufgefundene Gebot sachgemäß als Gesetz zu formulieren. Es ist ein anderes nach seinem Zusammenhang mit dem geschriebenen und tradierten Gesetz (Tora; Talmud, Tosefta: Halacha) zu fragen oder es darin wiederzuerkennen. Diese beiden Leistungen umfassen die eigentlich gesetzestheologische Beschreibung. Es ist ein Drittes, anthropologische Erfüllungsbedingungen der im Werk präsenten Lebensform zu explizieren. Es ist ein Viertes, das Werk darin als Verdienst innerhalb der Lebensform Gesetz und als Frucht des wachsenden Reiches Gottes eschatologisch zu beschreiben. Es ist ein Fünftes, sachgemäße gesetzestheologische, anthropologische und eschatologische Beschreibung als ethische Beschreibung in ihrem Zusammenhang zu analysieren und diese ethische Beschreibung selbst als ein genuines Handeln, als .Erlernen des Gesetzes' und Generieren der Lebensform .Gesetz' zu bestimmen. Eine Schwierigkeit des Stern besteht darin, daß verschiedene Beschreibungsweisen mitunter zugleich praktiziert werden. Zudem bietet Rosenzweig nur ihre propädeutische Explikation - mehr nicht. Die Entfaltung der Gesetzestheologie beginnt erst nach Abschluß des Stern und bleibt Fragment. Das gilt auch für ihre hermeneutischen Aspekte, die zudem am Beispiel der Schriftübersetzung Rosenzweigs bereits recht gut untersucht sind. Die anthropologische Explikation ist beispielhaft von Emmanuel Levinas durchgeführt (und wird deshalb in dieser Untersuchung nur gestreift). Unsere Untersuchung konzentriert sich - auf der Linie ihrer Gesamtfragestellung - auf die Frage eschatologischer Beschreibung als Aspekt des Erlemens des Gesetzes. Inwiefern wird mit einer bestimmten eschatologischen Beschreibung das Erlernen des Gesetzes selbst erlernt. Die anderen Fragen kommen nicht oder nur insoweit in den Blick, als sie zur Explikation der eschatologischen Beschreibung von 25 Rosenzweig nennt als Beispiel der Korrelation von Kondeszendenz und Urteilsfreiheit das Gleichnis des Rabbi Jizchak von Worki (BT, 982): M. Buber, Erzählungen, 810f. 26 S, 337 (Kursive HA), vgl. BT, 762; Z, 536; 832.

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Bedeutung sind. Der Skizze dieses Zusammenhangs dienten die vorangehenden und dienen die folgenden Bemerkungen dieses Abschnittes. (1) Brauch und Urteilssinn·. Der Ansatz bei der gegebenen Lebensform Gesetz, nicht beim Sollen, bringt es mit sich, daß der Rigorismus der Maximenanalyse (Kant, RGV Β 8-15; 7, 668-672) gleichsam zum Rigorismus ethischer Beschreibung der messianischen Lebensform Gesetz wird. Adiaphora werden ausgeschlossen: „Grade das, was die Orthodoxie grundsätzlich [sc. als im Gesetz ungeregeltes, »erlaubtes* Adiaphoron] freigegeben hatte, grade das muß jüdisch geformt werden. In den Raum, der außerhalb jener Grenzlinie lag, tritt der Minhag, der Brauch, und der Taam, der Sinn, also ein Positives an Stelle des negativen .Erlaubt*... Es darf grundsätzlich kein Bezirk des Lebens mehr preisgegeben werden. Um je ein Beispiel für die beiden Möglichkeiten zu sagen, die hier gemeint sind: wo jüdisch gegessen werden soll, da müssen die zahllosen nur mündlich von Mutter zu Tochter überlieferten Bräuche des Speisezettels ebenso unverletzlich sein wie die Trennung von Milch- und Fleischdingen; und wer am Sabbat einen Geschäftsbrief selber nicht aufmacht, darf ihn auch dann nicht lesen, wenn ein andrer ihn ihm öffnet. Überall muß dem Brauch und dem Sinn der gleiche Rang und die gleiche Unverbrüchlichkeit werden wie dem Gesetz.** (Z, 706) Der halachische Terminus mnhg (minhag, Brauch) wird durch den Begriff (t'm) erläutert, der, wie erwähnt, .Urteilssinn' meint (biblisch: Geschmackssinn, Geschmack; sodann: Takt, Scham, Witz, Urteilssinn, ,Herz'; schließlich: Urteil 27 ). Die paränetische Tradition, der Brauch, und ein genuiner Urteilssinn, der im Brauch das Gebotene aufzufinden weiß, sind kennzeichnend für Rosenzweigs Verständnis von Gesetz. Denn um die aufzufindende Nähe des Gebots im Handeln geht es (Dtn 30,11-14): „Gebot aber, Gebot das sich unmittelbar, im Augenblick wo es vernommen wird, in Tat umsetzt, muß das Gesetz wieder werden. Es muß die Heutigkeit wiederkriegen, die alle großen jüdischen Zeiten als die einzige Bewährung seiner Ewigkeit empfunden haben." (Z, 707f) In der Lebensform .Gesetz* wird so je im Gesetzeswerk das Gesetz Gottes wiederentdeckt. Die heutigen .Bauleute* des Gesetzes sind .Kinder* des Verdienstes der Eltern und .Ahnen* im Bund des Lebens: „... die letzte Wahl ist unserm Willen entzogen und unserm Können vertraut. Freilich, sowie das Können kann, kann es nicht mehr anders; es wird Nichtanderskönnen, Müssen ... Wie unser ganzes Sein, und in jedem Augenblick, vor die Aufgabe der Heimkehr gestellt ist ... so muß auch das Aufnehmen der Aufgabe durch unser ganzes Sein geschehen. Die Entscheidung, die aus dem Können geschieht, kann nicht irren, weil sie ja gar nicht zu wählen, nur zu gehorchen hat. Eben darum kann

H.W. Wolff, Anthropologie, 28f.84.121.254; dazu: Ps 34,9; Pred 31,18/lSam 25,33; Ps 119,66; Hi 12,20; Pred, 11,22; 26,16; Sir 25,18/Jona 3,7. 27

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auch keiner den andern zur Rede stellen, obwohl jeder den andern lehren kann und muß; denn was einer kann, weiß er nur selber ... Auch weiß keiner, ob nicht im Nichtkönnen des andern mehr Bauarbeit an der Lehre und am Gesetz geschieht als im eignen Können. Nur daß uns allen die Möglichkeit, zu können, gegeben ist, das wissen wir ... Darum dürfen wir erwarten, uns irgendwie und irgendwann in jedem Wort und in jeder Tat der Väter wiederzuflnden, und hoffen, daß unser Wort und unsre Tat für die Enkel nicht ungesprochen und nicht ungetan sein wird. Denn wir sind, die Schrift schreibt es, .Kinder' und sind, die Überlieferung liest es, .Bauleute'." (Z, 71 lf, vgl. Jes, 54,13) .Gesetze', die in den erzählten Werken der ,Väter' aufgefunden und in erzählten Werken aufbewahrt werden, umschreiben Erfüllungsbedingungen des .ewigen Lebens', das - wie die Benediktion nach der Toralesung sagt - mit dem Gesetz ins Volk eingepflanzt ist: „Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns die Lehre der Wahrheit gegeben und ewiges Leben in uns gepflanzt hat. Gelobt seist du, Ewiger, der die Tora gegeben."28 (2) Verdienst und Schuld: Das Werk wirkt innerhalb der Lebensform Gesetz als Segen oder Fluch, Verdienst oder Vergehen, d.h. es ist daraufhin zu beschreiben - wobei die charakteristische Asymmetrie von Segen und Fluch betont wird. 2 ' Die Imputationsfrage mit ihrem Interesse an der Konstitution des freien ethischen Subjekts erweist sich gegenüber der zu erlernenden anthropologischen Beschreibung als nachrangig und in ihrer modernen Fassung als kritikbedürftig. .Verdienst' oder .Vergehen' sind ja weder als soteriologische noch als strafrechtliche Termini von Interesse, sondern bezogen auf die messianische Lebensform. Nicht die Zuschreibung guter Werke zum handelnden Subjekt ist von Interesse, sondern die Identifikation des Werks als Frucht des Reiches Gottes in der messianischen Lebensform. Vor allem aber wird der strafrechtliche Sinn der Imputation, der dem Imputationsbegriff

28 Sidur, 58. Die Benediktion vor der Verlesung lautet: „Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der uns erwählt hat aus allen Völkern und uns die Thora gegeben hat. Gelobt seist du, Ewiger, der die Thora gegeben." (ebd.) Zu den Hymnen vor und nach der Toraverlesung, Sidur, 57f.59f; Trepp, 46-48. 29 Rosenzweig erneuert also die Rede von .Lohn' und .Vergeltung': Die Androhung von Unheil bis ins dritte und vierte Glied und die Verheißung von Heil bis ins tausendste Glied (Ex 20,5b.6; Dtn 5,9b. 10, vgl. Ex 34,7) zeige, daß Unheil begrenzt und sichtbar, Heil hingegen übernatürlich und grenzenlos sei. Die Strafe setze voraus, daß ein diesseitsewiges Volk existiere, in welchem zugleich Strafe und Unheil bis ins dritte und vierte Glied und Heil bis ins tausendste Glied möglich ist. „Bis ins tausendste Geschlecht' - das ist Metapher [der Hoffnung]. Dagegen .bis ins dritte und vierte Geschlecht' - das ist anschaulich gemeint: die Lebensdauer eines Menschen, der Enkel und Urenkel sieht und auf sie einwirkt. Also grade was Menschen Gutes tun, das überlebt sie! Das Heil ist unendlich, das Unheil ist begrenzt. Und zwar natürlich begrenzt, durch die Lebensdauer des Menschen. Während das Heil «&ematürlich grenzenlos ist. Warum aber überhaupt das Unheil? Weil ein Heil ein natürliches Unheil heilen muß, sonst ist es kein Heil" (BT, 779; vgl. JH, 108-110; BT, 536; Z. 608f).

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zugrunde liegt, in der hier zu übenden anthropologischen Beschreibung neu bestimmt. Die Idee strafrechtlicher Gerechtigkeit und individueller Imputation kann die Frage nach dem Verständnis eschatologischer Gerechtigkeit Gottes und die Frage nach dem Schuldbekenntnis im Angesicht Gottes nicht leiten. Rosenzweig löst sich frühzeitig von der Imputationstheorie Kants. In einer originären Interpretation von Jes 53 notiert er: „Die Gleichung von Individualschuld und Individualstrafe ist heidnisch, die von Individualschuld und Kollektivleiden ist offenbart. Durch die Kollektivbürgschaft der Einzelnen und Jesaja 53 wird sie konstituiert. Heidnisch ist nämlich der Gedanke, daß die Schuld bemeßbar sei, offenbart dagegen, daß sie .größer ist als daß ich sie tragen' könnte und mir also innerlich nur durch die unergründbare Gnade Gottes, äußerlich nur durch die unberechenbaren Leiden der Liebe abgenommen werden kann. So wird das Strafrecht verneint" (Z, III). 30 (3) Gesetzesform und ethische Hypothese: Die apodiktische Gesetzesform kann nicht mehr als principium cognoscendi transzendentaler Freiheit und moralischer Charaktergründung gelten. Der Charakter ist vom Werk und seinem Widerfahrnis aus in den Blick zu nehmen. Jetzt bleibt die Willensrichtung; aber sie ist nun nicht mehr einfürallemal festgelegt, sondern in jedem Augenblick stirbt sie und wird erneut." (S, 238) Die Gesetzesform projektiert die augenblickliche Befreiung von der moralischen Pflicht des Charakters ins finite Werk.31 Gesetze fungieren, gerade aufgrund ihrer scheinbar kategorischen Form (z.B. das Gebot, den Namen zu lieben; das Gebot der Nächstenliebe; der Dekalog), eher als .ethische Hypothesen'. 32 Das kategorische Sollen ist die Form des Hinweises auf die stets zu erwartende, weil verheißene Erfüllungssituation der Gesetze. Praktischer und hermeneutischer Urteilssinn: Gesetze projektieren, wie es sich verhält, wenn sie erfüllt sind; sie projektieren Erfüllungssituationen, in denen Werke dem Wählen entzogen und dem Können anvertraut sind. Sie formulieren bestimmte Anweisungen, aber in der Erwartung des Handelns Gottes. Sie projektieren ein Können, das dann zum Müssen wird, ein Werk, das Widerfahrnis ist. Sie verbinden - so Rosenzweig - projektierende Erzählung und lehrhaft-gebietende Pointe: Texthermeneutisch führt diese Beschreibung der Gesetze zur Entdeckung der „Einheit von Erzählung und Rechtsbegriffen" im kanonischen Text (BT, 706). Dieses ,Formgeheimnis der biblischen Erzählungen' expliziert Rosenzweig 1928 als Summe seiner übersetzerischen Erfahrung: In der biblischen Erzählung soll „genau wie im natürli-

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Eine scharfe theologische Kritik des Imputationsbegriffs findet sich in JH, 103f.l09f; BT, 945. Zur Gesamtfrage der Inkommensurabilität göttlicher Gerechtigkeit: § 3,4. 31 „... die Liebe des Nächsten bricht immer neu hervor; sie ist ein Immerwiedervonvornbeginnen;... Sie darf keine Vergangenheit haben und in sich selbst auch keinen Willen zu einer Zukunft, keinen .Zweck'; sie muß ganz in den Augenblick verlorene Tat der Liebe sein." (S, 240) 32 Vgl. G. Sauter, Hypothesen. 317

chen Gespräch, die Erzählung, soweit sie nicht Botschaft, also episch ist, sondern anekdotisch, also Lehre, das dialogisch Zweite sein: Antwort, nicht Frage, göttlicher Widerspruch und Zusatz zu eigenmenschlichem Spruch und Satz. Als [.epische'] Botschaft tritt sie an den Menschen heran, aber als [.anekdotische*] Lehre muß er sie herausfordern. Offenbarung geschieht ihm, aber Gebot erzwingt er durch sein Tun ... Offenbarende Botschaft, gebietende Lehre - beides ungetrennt will die biblische Erzählung sein." (Z, 82 lf) Als Beispiel dieses Ineinanders von erzählter Botschaft und herausgeforderter Lehre nennt Rosenzweig Gen 1,1-2,4: „Die Welt geschaffen und vollendet - aber erzählt wird es so, daß der Mensch nun weiß, weshalb er sechs Tage arbeiten und am siebenten nach vollendeter Arbeit feiern soll." (Z, 822) Projektierte Situation (gleichsam das Stichwort für das Gebot) und gelehrtes Gebot (gleichsam die situationsqualifizierende Pointe) bilden einen Dialog, der den biblischen Text selbst durchzieht und Texte als Momente eines Gesprächs aufeinander bezieht: „So hat die biblische Erzählung in sich selbst Stichwort und Pointe. Und jede Pointe kann wieder Stichwort für eine nächste werden. So daß unter Umständen eine Geschichte aufgespannt ist auf ein Gerüst einer ganzen Reihe gleicher oder formal zusammenhängender Worte oder auch formelhafter Sätze, die aber unter sich jedes mit dem nächstvorhergehenden wie die Wendungen eines schlagfertigen Dialogs zusammenhängen ... Die Bindungen und Verklammerungen können ganz dicht beieinander sitzen, sie können aber auch durch weite Strecken der Erzählung getrennt sein, ja sogar getrennte Erzählungen zu höheren erzählerischen Einheiten verschränken."33 Der biblische Text übt selbst das „Grundprinzip der talmudischen und rabbinischen Exegese, wonach zum Verständnis der Bedeutung eines Verses die Frage gefunden werden muß, auf welche dieser antwortet"34. Die lehrhafte Pointe erweist sich, wenn das Fragestichwort, die Situation, gefunden wird; die Situation wird zur messianischen, wenn der biblische oder rabbinische Lehrsatz sie als Stimme des Gebots pointiert. Daraus entsteht der „sich über viele Jahrhunderte hinziehende, nicht abbrechende Dialog der Geschlechter, dessen Protokoll der Talmud bildet", und dessen projizierte Lehrkontinuität „ein letzten Endes nicht eigentlich historisches Medium"35 darstellt: das Gesetz als Lebensform. Der an der Dialogik der Texte geschulte hermeneutische Urteilssinn ist der praktische und dieser praktische Urteilssinn ist der escbatologische* Erfüllungssituationen der Werke werden erwartet, zugleich aber sollen sie urteilend und handelnd getroffen werden. Diese Urteilskorrelation geschieht, wo und wann die Stimme des Gebots als Pointe der Situation erkannt wird. Als Stimme des Gebots soll sie wiedererkannt werden. Es ist diese Stimme, die im geschriebenen oder tradierten Gesetz, der .Weisheit Israels in den Augen der Völker' (Dtn 4,6), laut geworden ist. Diese (hier nur skizzierte)

33 Z, 822f, 817-829; vgl. BT, 1152f. Eine genaue Analyse dieser Technik und ihrer Bedeutung für Buber und Rosenzweig bei H.-C. Askani, 192-205.291f. 34 S. Moses, Dialogische Struktur, 109. 35 G. Scholem, Von Berlin nach Jerusalem, 67f; ders., Offenbarung und Tradition, 105. 36 Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 312-329.

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hochvermittelte Urteilskorrelation nennt Rosenzweig die „gott-menschliche Wirklichkeit des Gebots" (BT, 1004). Die bestimmte Verborgenheit dieser gott-menschlichen Wirklichkeit des Gebots wird scharf beleuchtet am Beispiel des jüdisch verstandenen Gebots der Feindesliebe·. Man werde, so bemerkt Rosenzweig zu Jehuda Halevis gleichnamigem Gedicht, der genuin jüdischen Feindesliebe (ebensowenig wie der missionarischen Feindesliebe der Bergpredigt) gerecht, wenn man sie „als ethische Forderung, also unter dem Gesichtspunkt der Unwirklichkeit, ansieht." (JH, 183) Die Wirklichkeit sei im Falle jüdischer Feindesliebe aber „nicht die einer mit den Gnaden des Siegens, sondern mit denen des Unterliegens begnadeten Gemeinschaft." (ebd.) Die Zeit zur Feindesliebe sei die Zeit der Verfolgung, wie sie Jehuda Halevi dichterisch beschreibe. Rosenzweig kommentiert: „das Wirkliche ist selten das unmittelbar Ausgesprochene; das Wort fällt, wenn es objektiv zu werden versucht, leicht in die Unwirklichkeit... Der Jude liebt im Feind den Vollstrecker des göttlichen Gerichts, das, weil er es auf sich nimmt - und es bleibt ihm im Gegensatz zu allen andern Menschen nichts andres übrig, denn er als einziger hat nicht die Juden zur Verfügung, die daran schuld sind -, zu seinem eigenen wird." 0H, 184).37 (4) Erlernen des Lernens: Das Auffinden, Beschreiben und Erlernen des Gebotes aus dem Widerfahrnis und dem Werk und das Auffinden der genuin messianischen, gott-menschlichen Wirklichkeit ist schließlich selbst in eminentem Sinn Werk des Gesetzes. Dieses .Erlernen des Gesetzes' gilt als exemplarische gottesdienstliche Handlung: „Das jüdische .Lernen' ist keine Theologie. Es entspricht in seiner Bedeutung für uns etwa eurem Sakrament. Wenn ich [sc. lehrend] vor Juden spreche, so ist das wie eure Abendmahlsgemeinschaft" (BT, 728). Wenn diese Analogie triftig ist, so ergibt sich daraus eine wichtige Konsequenz: Das Erlernen des Gesetzes ist gottesdienstliche Handlung. Als gottesdienstliche Handlung ist es selbst im bestimmten Sinn Werk des Gesetzes, durch welches die Lebensform Gesetz als gott-menschliche Wirklichkeit generiert wird. Das Erlernen des Lernens geht der eigentlichen Gesetzestheologie propädeutisch voran. Die Frage nach dem Erlernen des Lernens ist die Schnittstelle einer Theorie gottesdienstlichen Handelns und einer Theorie ethischen Handelns. Darin ist sie der Frage nach .Sakrament und Ethik' vergleichbar. Deshalb konzentrieren wir uns im folgenden auf diese Frage: Inwiefern wird in bestimmten gottesdienstlichen Handlungen und ikonischen Zeichen ein bestimmtes Lernen oder Beschreiben propädeutisch erlernt. Bei Rosenzweig liegen unterschiedliche Gebrauchsweisen von .Gesetz* vor. Diese sind nicht ausgearbeitet, sondern nur im Umriß vorhanden (Fragen wie z.B. diejenige nach dem Zusammenhang von Land und Gesetz; nach Typen der Verbindlichkeit; nach zeremonialgesetzlichen Regelungen u.v.m fehlen). Es mag aber hilfreich

37 B. Casper, Gebet, 146, zitiert aus einem unveröffentlichten Brief Rosenzweigs vom 11. November 1918 dessen frühzeitige Prognose künftiger deutscher Pogrome.

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sein, zusammenfassend Rosenzweigs wichtigste Unterscheidungen aufzuführen: (1) Das kanonisch-geschriebene Gesetz (Tora) und das rabbinisch-tradierte Gesetz (Talmud, Tosefta: Halacha) - nur davon spricht Buber - bezieht Rosenzweig erneut auf die paränetische Tradition, auf den Brauch (minhagj als Quelle der Halachot. (2) Das augenblicklich vernommene Gebot, den Namen zu lieben (Wahabta), ist das ,im Herzen' nahe Wort und das Urteilsmaß der Beschreibung des Werks und des Gesetzes. Es erfordert einen Urteilssinn (taam), der weder als praktische Symbolisation (Typik des kategorischen Imperativs) noch als praktischer Syllogismus (aus obersten praktischen Grundsätzen) zu bestimmen ist, vielmehr als Zeit- und Zeitigungssinn im Konsens oder Dissens mit der augenblicklichen Stimme des Gebots. (3) Im Werk ist das .ewige' göttliche Gesetz, die Weisheit Gottes, vorausgesetzt. Sie ist Inbegriff der Erfüllungsbedingungen des Gesetzeswerks als Verdienst im Bund des Lebens und als Frucht des wachsenden Reiches Gottes. Die Ökonomie Gottes verlangt die Unterscheidung zwischen dem kreatürlichen .Gesetz': das Dasein der Dinge und ihr wachsendes Lebens, und dem Augenblick der Verewigung des wachsenden Lebens durch das Werk der Liebe. (4) Diese gott-menschliche Wirklichkeit des Gesetzes bildet die messianische Lebensform Gesetz, die sich im Erlernen fortwährend erhält und erbaut, so daß selbst Gott das Gesetz täglich erlernt (nach AZ 3b, vgl. Z, 703f; S, 451f).

3. Werke als Früchte des Reiches Gottes beschreiben Handlungen bedürfen der Zeit, einer Erfüllungssituation, die messianisch zu nennen ist. In ihr wird das wachsende Leben der Dinge .beseelt' und in die Lebensform Gesetz hineinverwandelt. Ex post erweist sich das, was Handlung und Widerfahrnis war, als Frucht des wachsenden Reiches und wird doxologisch dem Namen zugeschrieben: ER ist gut. Der weltlose Dialog der ,Seele' mit Gott in Sclfma und Jichud gewinnt darin die Öffentlichkeit einer Urteilsdimension und Lebensform. Das Werk und seine konsensuelle Beschreibung als Frucht des Reiches werden selbst zum Exempel der Hoffnung, zur Frucht des kommenden Reiches Gottes, zum signum prognosticon38: ,Werk', zu welchem die Urteilsbildung vor Gott selbst dazugehört, weil in ihr die Handlung erst als Frucht des Reiches identifizierbar und beschreibbar wird, ist also ein Begriff eschatologischer Urteilskraft (dessen anthropologische und im engeren Sinne gesetzestheologische Aspekte jetzt abgeblendet bleiben). Das Gebot, den Namen zu lieben {Wahabta), und das Gebot der Nächstenliebe projektieren Erfüllungssituationen, aus welchen ex post Handlungen als Werke des

Der biblische Begriff enthält das eschatologische Verständnis von Handeln. Zum .Werk' als .Frucht' des Reiches Gottes: Ps 1,3; Mt 21,43 [Früchte der Gottesherrschaft]; Mk 4,26-29 [automate·, das Wachstum des Reiches ist unbegreiflich, ohne sichtbare Ursache]; Joh 15,5 [Frucht des Weinstocks]; Rom 6,22 [eure Frucht]; Gal 5,22 [Frucht des Geistes]; Eph 5,9 [Frucht des Geistes/des Lichtes]; Phil 1,11; 4,17; Hebr 12,11; Jak 3,18 [Frucht der Gerechtigkeit]). Zum Begriff signum prognosticon und der Frage nach Eschatologie und Ethik: § 6,4. 31

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Gesetzes und Werke als überraschende Frucht des Reiches Gottes zu beschreiben sind.39 Sie erweisen sich darin als Maßstab genuinen kommunikativen Handelns. Sofern es um ethische als eschatologische Beschreibung geht und diese eschatologische Beschreibung vor Gott selbst gottesdienstliches Werk sein soll, überrascht es nicht, wenn der Imperativische Hymnus zum Paradigma der Grammatik der Erlösung wird. Die Aufforderung zur Doxologie des Namens in seiner Königsherrschaft*0 über Widerfahrnissen, Gütern, Handlungen und ihren Geboten - also das Grundelement der Beracha - bildet das propädeutische Beispiel, an dem eschatologische Beschreibung und die in ihr implizierte Urteilsöffentlichkeit erlernt werden.41 Das dialogische Sein in der Gottesliebe soll die Öffentlichkeit einer Lebensform gewinnen. Dies ist Verheißung und Gebot der Nächstenliebe: „... nur im geheimsten Herzen mag sie [sc. die Seele] bei diesem ihrem Gang aus dem Wunder der göttlichen Liebe heraus in die irdische Welt der Alten Wort bewahren ... ,Wie Er dich liebt, so liebe Du.'" (S, 228)42 Die drei konstitutiven Elemente der Nächstenliebe sind: (a) Sie ist erfülltes Handeln, hat ihre bestimmte, aber inkommensurable Zeit (während Gottesliebe dialogisches Sein ist, nicht Werk); (b) sie ist Freiheit mitteilendes Handeln, .beseelt' den Nächsten, den die Liebe mit Namen nennt (,dir gleich') und mit dem zusammen sie den Kern der Öffentlichkeit bildet; (c) sie ist verantwortbares, beurteilbares, aber nicht zurechenbares Handeln, sofern sie in die öffentliche Homologie des Namens mündet.43 Diese Elemente werden in lakonischer Kürze in den drei Kola von Lev 19,18 (BR) dargestellt:

39 Nach diesem Grundsatz stellt also z.B. Luk 10,32-45 (vor allem im Grundbestand Lk 10,39-45) nur in dem Sinne eine ethische Beispielgeschichte dar, als dieses Gleichnis am Beispiel die genauere Wahrnehmung der Handlungssituation und ihre eschatologische Beschreibung anleitet. Gewiß kann dieses Gleichnis zur ethischen Beispielgeschichte gemacht werden: Das geschieht, wenn anstatt der dramatischen Struktur und Bewegung die Perspektive der Handelnden (Samariter, Levit, Priester bzw. Opfer) Thema der Interpretation wird (z.B. bei W. Kamiah, Anthropologie, 106-108). Bleibt die Auslegung bei der Struktur selbst, so erweist sich das Gleichnis als genauere Beschreibung der eschatologischen Erfüllungssituation der Nächstenliebe. Es beschreibt den eschatologischen Augenblick der Wirklichkeit des Gebots, indem es den Samariter als den überraschenden Nächsten eines unvorhersehbar Verunglückten darstellt: Nächstenliebe als unvorhersehbare, aber zu erwartende Frucht des Reiches Gottes. Zur Interpretation: W. Harnisch, Gleichniserzählungen, 280-282. 40 Zu dieser Standardform der Anrede Gottes in der Benediktion (mälküt): P. Schäfer, Benediktionen, 561. 41 Die vielverhandelte, fundamentalethische Frage nach dem Verhältnis von .Gebet und Ethik' erhält mit dem Ansatz bei der beracha eine neue Variante. 42 Das zitierte Wort in Schab 133b. Rosenzweig lernte diese Sentenz von Cohen, BT, 663. Zur Herkunft bei Cohen vgl. die genauen Nachweise A, 140 Anm. 3. 43 Zur Konstitution gottesdienstlicher Öffentlichkeit in der Selbstvorstellungsformel 'ny yhwh als Grund von Rechtsproklamation: W. Zimmerli, Ich bin Jahwe, 11-24; Erweiswort, 125.

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(a) (b) (c)

,liebe deinen Genossen dir gleich ICH"44

Interpretiert Rosenzweig Lev 19,18 durch die formelhafte Talmudsentenz , Wie ER dich liebt, so liebe Du', so bilden dieser Grundsatz und die andere abbreviative Sentenz: ,was ist die Erlösung sonst als dies, daß das Ich zum Er Du sagen lernt? (S, 305) die Angeln seiner Explikation der Nächstenliebe als Paradigma des Werks. Daß mit diesen Formeln kein Entsprechungsverhältnis zwischen Gottes Liebe und menschlicher Liebe postuliert wird, ist offensichtlich: ,Zu wollen, wie Gott will' ist eine ebenso dialektische Forderung wie ,zu wollen, was Gott will'. Aber auch Emmanuel Levinas', der das Liebesgebot auf die Exteriorität des ethischen Subjekts zuspitzt, macht erneut die Konstitution ethischer Subjektivität zum Schlüsselthema. Das läßt sich schon an Levinas' differenter Übersetzung von Lev 19,18 ablesen: „Liebe deinen Nächsten; dieses Werk ist wie du selbst... diese Liebe des Nächsten ist es, die du selbst bist."45 Auf der Linie der Frage nach den Konditionen eschatologischer Urteilskraft und Beschreibung ist demgegenüber der Zusammenhang von Werk, Mitteilung, Öffentlichkeit und Beschreibung hervorzuheben.44 Der Werkbegriff ist auf dieses genuine kommunikative Handeln hin angelegt. Es gilt der Grundsatz: Werke können eine Verheißung exemplifizieren und eine Hoffnung ausdrücken, die durch Handelnde nicht zu intendieren, wohl aber durch sie selbst oder andere zu beschreiben ist. Das Werk und seine Beschreibung wird dann zum signum prognosticon des wachsenden Reiches. Eine Handlung kann als Werk der Liebe praktisch-anthropologisch beschrieben werden. Dann tritt zum Beispiel ihr Widerfahrnischarakter scharf hervor. Solche praktischen Beschreibungen finden sich auch im Stern: „Unbestimmtheit... ist das Zeichen, unter dem die Tat der Liebe sich ihren Gegenstand zum Nächsten schafft" (S, 263); „aus dem unendlichen Chaos der Welt wird ihm ein Nächstes, sein Nächster, vor die Seele gestellt, und von diesem und zunächst nur von diesem ihm gesagt: er ist wie du." (S, 267) Geliebt wird der im Augenblick des Liebens Nächste, „der, einerlei was er vor diesem Augenblick der Liebe war und nachher sein wird, jedenfalls in diesem Augenblick mir nur der Nächste ist", als „Platzhalter" für alle möglichen Nächsten (S, 243).

44 Die Kolonaufteilung indiziert bereits - verglichen mit Dtn 6,4-6 - die Differenz von Gottesliebe und Nächstenliebe. Zur eigenartigen, in Lev 19,18f singulären grammatischen Dativkonstruktion: BT, 976; A, 140. 45 E. Levinas, Gott, 115f. 46 Vgl. H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 246.

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Zum Werk in eschatologischer Beschreibung wird eine Handlung aber, wenn sie (ob durch die Betroffenen oder den Chor der Beobachtenden) nicht dem sichtbaren menschlichen Handlungssubjekt zugeschrieben wird, sondern wenn sie als (metaphorischer) Ausdruck der Hoffnung des kommenden Reiches und seiner Gerechtigkeit beschrieben wird: als Frucht des Reiches Gottes. U m diese Beschreibung, die das Werk ex post dem kommenden Reich zuschreibt, geht es hier. Sie wird eröffnet und abgeschlossen durch das Lob: ER ist gut. Eine Handlung in ihren unabsehbaren Bedingungen und Folgen wird zum finiten Werk, wenn sie Betroffenen wie Handelnden gleichsam gegenübertritt und für sie die Hoffnung der Erlösung exemplifiziert und ausdrückt. Es wird dann keineswegs einfach Gott zugeschrieben, sondern über dem menschlichen Werk und seinen kontingenten Erfüllungsbedingungen wird der Verheißungsname .verifiziert': Ja, ER ist gut. Das Werk gerät als Frucht des wachsenden Reiches Gottes unter die Herrschaft des Reiches und seiner Gerechtigkeit. „So wirken Mensch und Welt hier in unauflösbarer Wechselwirkung aufeinander und miteinander ... Das Wirken entbindet die Tat aus dem Menschen, aber bindet die entbundene auch wieder hinein in die Welt. Und das Warten entbindet das Reich aus der Welt; denn wartete sie nicht, so schritte sie .fort' ins Unendliche und das Reich käme nimmer; aber dies Warten bindet auch wieder das Entbundene an das Wirken des Menschen. Aus dieser wechselweisen Bindung können sie also selber sich nicht lösen; denn indem sie sich selber entbinden, binden sie sich nur fester inund aneinander. Sie können sich selber nicht von einander lösen, sie können nur miteinander - er-löst werden, erlöst von einem dritten, der eines am andern, eines durch das andere erlöst ... Aber die Erlösung der Seele an den Dingen, der Dinge durch die Seele geschieht im gleichatmenden Zwiegesang der beiden, im Satz" ER ist gut. (S, 254f) Die eschatologische Beschreibung der messianischen Lebensform Gesetz im Werk richtet sich hier darauf, Eigenschaften oder Tugenden des Reiches Gottes wahrzunehmen, die ein Werk als Frucht des Reiches Gottes metaphorisch ausdrückt. Für diese Beschreibungsform lassen sich neutestamentliche Beispiele finden: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben ... Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht" (Gal 5,22.23).47 Das ER ist gut über dem Werk als Frucht des Reiches eröffnet den momentanen,

47 Hermann Cohens Religionsphilosophie schließt mit einer ausgeführten Tugendlehre (RV, 464-533), welche Eigenschaften Gottes und Tugenden des messianischen Volkes korrelativ entfaltet. Die Tugenden des Volkes gelten als Hoffnungssymbole messianischer Menschheit: „Das erwählte Volk wird zur erwählten Menschheit ... Denn es selbst wird nun zum Symbol. Der Mensch, das Volk darf Symbol werden, nur nicht der einzige Gott. Und mit dem Volke Israel wird seine ganze nationale Geschichte zu einer Symbolik." (RV, 487).

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flüchtigen Mitteilungsraum öffentlichen Erlernens der Hoffnung. In der Aufforderung zum Lob bildet sich eine Öffentlichkeit, in welcher ,wir' beschreiben und beurteilen, was da »mitten unter uns mit uns' geschehen ist. Genauer noch: Es entsteht ein Mitteilungsraum, in welchem ,wir' vor Gott beschreiben und beurteilen, was da .durch uns und mitten unter uns mit uns und an uns' geschah.48 Daß sich diese Öffentlichkeit ,vor Gott' bildet, dürfte für die ethische als einer eschatologischen Beschreibung des Werkes entscheidend sein. In ihr findet ja nicht weniger als der Ubergang in eine Urteilsperspektive und eine Urteilsöffentlichkeit statt. Der Imperativische Hymnus ruft Menschen und Dinge vor das Angesicht Gottes. Er begründet diesen Aufruf und damit seine Urteilsdimension im hymnischen Grundsatz·. ER ist gut. Dieser Satz spricht den Grund aus, durch den sich vor Gott eine Öffentlichkeit bilden kann, welche Widerfahrnisse und Handlungen als Werke des Gesetzes, Werke als Frucht des Reiches Gottes - und (wie sich noch zeigen wird) das wachsende Reich als Ausdruck und Exemplifikation der Herrlichkeit des Namens beschreibt. 4. Elemente theologischer Propädeutik: Messianische Doxologie Der Imperativische Hymnus wird im Stern zum beispielhaften .instruktiven Sprechhandlungsmuster'49, durch das sich die Öffentlichkeit der messianischen Lebensform .Gesetz' bildet. Er konstituiert die bestimmte Öffentlichkeit, die in der „Gemeinsamkeit des Gesanges" doxologisch urteilt und beschreibt (S, 258). (1) Hymnischer Imperativ: Elementar ist die Aufforderung des Hymnus: „Danket Jahwe! Ja, er ist gut ..." (z.B. Ps 107,1; 118,1; 136,1 u.ö.) oder auch, gleichsam an das innere Forum gewandt (im Hymnus des Einzelnen): „Lobe den Herrn, meine Seele ..." (z.B. Ps 103,1; Ps 104,l).50 Rosenzweig deutet die imperativisch-dialogische Aufforderung kohortativisch:

Vielleicht auch eine Öffentlichkeit, die beschreibt und beurteilt, was der Erfahrung nach ,mitten unter uns durch den Feind gegen uns', der unaussprechlichen Hoffnung nach aber ,für uns* geschieht. Beispiele solcher eschatologischer Beschreibungen finden sich bei: Chr. Münz, Gedächtnis, 211-218.401-442.483. 49 Zu instruktiven Sprechhandlungsmustern: I.U. Dalferth, Religiöse Rede, 194-207. Von Bedeutung ist vor allem die formale Struktur kausxiv-tautegoriscber Rede (ebd., 204-207), die eine Urteilsöffentlichkeit eröffnet, in welcher das Urteil bewährt wird, wobei die Frage, wer zur Öffentlichkeitskonstitution berechtigt ist, wesentlich wird. 50 Zum Rang des Imperativischen Hymnus als wichtigster hymnischer Form: F. Crüsemann, Hymnus und Danklied. Crüsemann zeigt am Beispiel des Mirjamliedes Ex 15,21, daß die Einleitung des Hymnus den Charakter der hymnischen Sprechhandlung entscheidet, und daß dieser Hymnentyp (anders als der partizipiale Hymnus) konkrete geschichtliche Heilsund Rettungstaten lobt und sie darin als solche mitkonstituiert.

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„die Aufforderung muß im Kohortativ stehen, einerlei ob dieser Unterschied vom Imperativ äußerlich erkennbar ist oder nicht; auch die scheinbare Aufforderung, das .Danket', darf nur den Sinn eines ,Laßt uns danken' haben; der Auffordernde dankt selber mit, ja er fordert nur auf, um selber mit danken zu können; der Auffordernde, indem er seine Seele und was in ihm ist, aufruft zu loben, ruft unmittelbar zugleich damit alle Welt auf, Meere und Flüsse und alle Heiden und die welche Gott fürchten: Lobet den Herrn!" (S, 259) Die hymnische Öffentlichkeit ist charakterisiert durch universelle Reichweite des Aufrufs und partikularer Geltung der hymnischen Aussage. Hier findet ein Wechsel des Standpunkts statt, der Ubergang ins .ewige Volk'. Die hymnische Rhetorik ist Rede im Namen dieses Volkes; daher kann sie die ganze zu erlösende Kreatur umfassen. (2) Dual: Der kohortativische Imperativ wird als dualischer näherbestimmt: „Statt des Plural, der die Dinge als einzelne Vertreter ihrer Art enthält, und statt des Singular, in welchem die Seele ihre Geburt erlebt, herrscht also hier der Dual, jene Form, die in den Sprachen nicht von Dauer ist, sondern im Laufe der Entwicklung vom Plural aufgesogen wird ... Aber nur scheinbar gibt sie so ihre Herrschaft an den Plural ab; in Wahrheit hinterläßt sie bei dieser Wanderung überall ihre Spuren, indem sie in dem Plural der Dinge allenthalben das Zeichen der Singularität setzt; wo einmal der Dual gehaftet hat, wo einer oder etwas zum Nächsten einer Seele geworden ist, da ist ein Stück Welt geworden, was es vorher nicht war: Seele." (S, 262)51 Rede im Dualis, dem konstitutiv mündlichen Numerus, bildet ein weiteres Merkmal der hymnischen Öffentlichkeit. Die kohortativisch-dualen Imperative, welche die Öffentlichkeit beschreiben, stellen eine produktive Sprechhandlung dar: Sie werden entfaltet (z.B. Ps 100,1-4; 96,1-3), sie erweitern sich zum namentlichen Aufruf (,Du', ,Ihr') von Engeln und Scharen, von Sonne, Mond und Sternen, von Himmel und Wasser über den Himmeln, von Seeungeheuern und Tiefen, Feuer, Hagel, Schnee, Nebel und Sturmwind, Bergen und Hügeln, Fruchtbäumen und Zedern ... (Ps 148,1-12, vgl. Ps 107, auch Dan 3,57-88); und der ganze Psalter schließt mit einem einzigen Aufruf zum Lob (Ps 150), mündend in den kultischen Namensruf: „Hallelu-jah!" Die beschreibend konstituierte Öffentlichkeit ist nicht transzendental-anonym verfaßt, ebensowenig dialogisch-freundschaftlich; sie ist weder mit wissenschaftlichen noch moralischen noch politischen Öffentlichkeiten, aber auch nicht mit deren klassischer Gegenöffentlichkeit zu verwechseln. Diese gottesdienstliche Öffentlichkeit ist aber auch vom einsamen Dialog der Gottesliebe verschieden. Sie anerkennt die Gegenwart eines Dritten, nicht eines unbeteiligten Beobachters, wohl aber, wenn man so sagen darf, die Gegen-

51

Zum Dualis: E. Rosenstock-Huessy, Angewandte Seelenkunde, 78 lf; 486-488; E. Cassirer, Philosophie der Symbolischen Formen 1, 206-208.

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wart zugehöriger ,Kinder Gottes'. Diese Gegenwart möglicher Dritter ist nicht bedeutungslos: Das moralische Urteil beruft sich auf die (transzendentale bzw. analytische) Figur des unbeteiligten Beobachters, in dessen Perspektive sich die Handelnden und Betroffenen (bzw. der Handelnde als inneres Forum) maximen- und emotionsrational verständigen und den sie als unparteiischen, vernünftigen, selbstbeherrschten und zugleich sensiblen Beobachter geltend machen.52 Es ist deshalb eine Reduktion, wenn E. Levinas statuiert: „Das Bewußtsein entsteht als Präsenz des Dritten ... Das Bewußtsein ist der Eintritt des Dritten - fortwährender Eintritt - in die Intimität des .face-a-face'"53. Hier gilt als Dritter nur der unbeteiligte Dritte der Beobachtung und Reflexion. Zwar gesteht Levinas zu, daß in der Spannung zwischen ethischer Beobachtung und phänomenologischer Beschreibung der Intimität die „ethische Sprache"54 eigentlich entsteht. Aber dabei ist übersehen, daß ,der Dritte' nicht nur als der unbeteiligte Beobachter vorkommt, sondern auch als der gleichsam Dritte-im-Dual, der das Forum der Kinder Gottes vertritt. Neben der phänomenologischen Beschreibung und dem ethischem Diskurs gibt es eine eschatologische Beschreibung, die zur Ausbildung .ethischer Sprache' beiträgt? Es ist mißverständlich, wenn Liturgie mit Ethik identifiziert wird: Liturgie „ist die Ethik selbst."55 Die Frage, inwiefern sich die hymnisch-gottesdienstliche Öffentlichkeit in genuin eschatologischer Beschreibung darstellt, die ethischanthropologische Beschreibungen mitenthält, bleibt unausgelotet. (3) Messianische Homologie als Grundsatz: Das Korpus des Hymnus „Ja, ER ist gut" kann deshalb so kurz sein, weil er „nur als eine Begründung solcher [doxologischer] Gemeinsamkeit" (S, 258) auftritt. Im Aufruf zum Lob werden die Dinge beseelt, vereinen sich Seele und Seele im Namen des Gelobten: „im gegen alles jenseitigen Dativ finden sich die Stimmen der diesseits getrennten Herzen." (S, 260) Die Homologie ,ER ist gut' spricht aus, was diese Öffentlichkeit begründet.56 Als „Grundwort" (ebd.), also als Urteilsgrundsatz, kon-

E. Tugendhat, Ethik, 296-299; W. Kamiah, Anthropologie, 73-82.93-102. E. Levinas, Jenseits des Seins, 348. 54 E. Levinas, Jenseits des Seins, 211 Anm. 53: „Die ethische Sprache ist der eigentliche Sinn der Annäherung, die sich vom Wissen abhebt. Keine andere als die ethische Sprache ist imstande, das Paradox aufzuwiegen, in das die phänomenologische Beschreibung gerät, wo sie ausgehend von der Enthüllung des Nächsten, seinem Erscheinen, ihn wahrnimmt in seiner Spur, die ihn als Gesicht zum Gebot macht, gemäß einer in der Vorstellung nicht-synchronisierbaren Diachronie." 55 E. Levinas, Die Spur des Anderen, 218 (Kursive HA). 56 Die folgenden Zitate stammen aus Rosenzweigs berühmten Brief an Martin Buber (BT, 824-827), der in nuce die spätere Kritik des Dialogismus vorwegnimmt. Franz Rosenzweig skizziert in diesem Brief eine Apologie des homologischen Satzes gegen dessen dialogistische Reduktion. Zur Interpretation: B. Casper, Franz Rosenzweigs Kritik an Bubers „Ich und Du", 225-238. 52

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stituiert das ,ER ist gut' eine genuine Dimension, aus welcher es sich als Grundwort beweist und in welcher es bewährt wird. Diese Dimension kürzt Rosenzweig als Wir-Es ab: Jch kann nicht wesentlich Es sagen, aber ER kanns und Wir könnens. (NB: in dem Wir-Es liegen die Antworten auf all jene Probleme, die von der Philosophie in dem Pseudo-Grundwort Ich-Es zu beantworten gesucht werden). Indem aber Wir Es sagen, wird Es zu - Es." (BT, 826) ,Wir-Es' steht mithin als Abbreviatur für eine bestimmte hymnische Öffentlichkeit: Israel als .ewiges' Volk mit der ihm zugehörigen, im Segen und im Gesetz erlösten .armen Kreatur'. (4) ,Ewiges' Volk als Lebensform und Kultur. In bestimmter Hinsicht ist in dieser Öffentlichkeit das Reich Gottes bereits gegenwärtig: „in der im Dank geschehenen Vereinigung der Seele mit aller Welt ist das Reich Gottes, das ja eben nichts ist als die wechselweise Vereinigung der Seele mit aller Welt, gekommen und alles jemals mögliche Gebet erfüllt." (S, 260) Dinge und ihr wachsendes Leben werden augenblicklich verwandelt in die hymnische Öffentlichkeit: Das .wachsende Leben' des Hauses Israel (Ps 115,12a), des Hauses Aaron (12b), der Gottesfürchtigen (13a), der Geschlechterfolge von Kleinen und Großen (13b) gerät im Hymnus unter die Herrschaft des Namens und wird ver-ewigt. „Tote können den Herrn nicht mehr loben, keiner, der ins Schweigen hinabfuhr. Wir aber preisen den Herrn von nun an bis in Ewigkeit. Halleluja." (Ps 115,17f)57 Die hymnische Öffentlichkeit drückt dann .ewiges Leben' aus, das sie tatsächlich, aber nicht buchstäblich besitzt.58 Die erste Tugend der messianischen Lebensform ist .ewiges Leben'. (5) Bewährung: Der Bestand des messianischen Volkes in der Bedrohung bewährt sichtbar vor den Völkern' das im Namen und der Namenshomologie behauptete Dabeisein Gottes bei Israel. Indem der Glaube ihn rühmt, teilt sich der Name an ihn mit. Das .ewige Leben' des Volkes bringt die Wahrheit des Namens sichtbar zum Ausdruck, es heiligt ihn. Im Wir der Doxologie ist „die Wahrheit... offenkundig, sichtbar vor den Augen alles Lebendigen."59 Was aber meint: .sichtbar vor den Augen alles Lebendigen bewähren'? Es meint nicht, daß die politisch-historische Existenz Israels Hoffnung sichtbar bewährt. Diese Fortexistenz trotz vieler „Kalamitäten" ist nicht unmittelbar „das natürlich-geschichtliche Monument der Liebe und Treue Gottes, in konkreter Gestalt der Inbegriff des frei erwählten und begnadeten Menschen,

57

Die Hallel-Psalmen 111-118, v.a. Ps 115, sind dafür paradigmatisch (S, 279-282). Zum metaphorischen Besitz als tatsächlichen, nicht buchstäblichen: § 4,5. Dazu Rosenzweigs Äußerung (S, 281): „.Aber Wir sind ewig' - hat unser großer Meister [sc. Hermann Cohen, Z. 221] als seiner Weisheit letzten Schluß ausgerufen, als er das letzte Mal vor Vielen über das Verhältnis seines Wir [Israel] zu seiner Welt [das Deutschland von 1920] sprach. Die Wir sind ewig; vor diesem Triumphgeschrei der Ewigkeit stürzt der Tod ins Nichts." 59 S, 280 (Kursive HA). 51

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als lebendiger Kommentar zum Alten Testament der einzige, dafür schlagende außerbiblische Gottesbeweis.'"*1 Das behauptete messianische Leben erfüllt sich durch die messianische Homologie, welche die Güte des göttlichen Namens bewährt. Darin ist Israels Existenz signum prognosticon, messianisches Zeichen, insofern dann auch politisch-historisches Zeichen (vgl. lKön 19,18). Geschichtszeichen ist dieses Zeichen im negativen Sinn: Es ist Zeichen, daß diese politisch-geschichtliche Existenz nicht ausschließlich politisch-geschichtlichen Bedingungen der Selbsterhaltung unterliegt." (6) Die innere Grenze der messianischen Doxologie: „Nicht uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deiner Huld und Wahrheit willen." (Ps 115,1, vgl. S, 280) Die Reichweite des Namens ist nicht identisch mit der hymnischen Öffentlichkeit. Gerade weil sie im Hymnus die Grenze der Geltung des Namens scharf zieht („Die Götzen der Völker sind nur Silber und Gold, ein Machwerk von Menschenhand ... Die sie gemacht haben, sollen ihrem Machwerk gleichen, alle, die den Götzen vertrauen" Ps, 115,4.8), stößt die hymnische Öffentlichkeit selbst auf ihre Grenze.62 Ihre Doxologie bedarf selbst der Verifikation und beansprucht sie: „es ist eine Forderung an die göttliche Wahrheit, daß den Wir dereinst Ehre gegeben wird" (S, 280). Diese Reichweite des Namens faßt ein anderer doxologischer Grundsatz zusammen: „Sagen sie einmal mmyt wmhyh! [er tötet und macht lebendig; lSam 2,6], dann haben Sie dies Grundwort gesagt und haben es ganz wesentlich gesagt." (BT, 825)63 Dieses Grundwort nannten wir eschatologiscbe Doxologie6*. Sie übersteigt das Lob der Güte des Schöpfers. Die Doxologie des tötenden und belebenden Gottes bekennt die eschatologiscbe Wahrheit und Gerechtigkeit als das Licht des kreatürlichen Lichts: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht" (Ps 36,10). Dieser doxologische Satz charakterisiert die der messianischen Homologie externe Wahrheit und Gerechtigkeit (Ps 36,6f) des souveränen Richters (Ps 22,4). Das zeigt sich schon an der Form des doxologischen Satzes selbst: „Nur jenes Weder-Noch von tot und lebendig, nur jener zarte Punkt, wo sich Leben und Tod berühren und in eins verschmelzen, verwehrt sich nicht dem bezeichnenden Wort. Gott lebt weder noch ist er tot, aber er belebt das Tote, er - liebt. Er ist der Gott der Lebendigen wie der Toten, grade weil er Karl Barth, KD IV,3, 1005f (Kursive HA). Sh. Eisenstadt, Transformation der israelitischen Gesellschaft, 828-843, v.a. 842. a Das klare Bewußtsein von dieser Grenze des Hymnus erweist sich daran, daß bestimmte polemische Teile des Hallel (Ps 115,1-11; Ps 116,1-11) an bestimmten Festtagen (z.B. am dritten Tag des Passah) nicht gesungen werden. Dies wird u.a. damit begründet, daß der Untergang der Ägypter nicht Teil der Fest-Freude sein könne (Trepp, 82.45). 63 Dieser Satz ist nahezu identisch mit der zweiten Benediktion der Amida (des 18-BittenGebets), die summarisch die Machttaten Gottes bekennt: „Du bist mächtig in Ewigkeit, HERR, belebst die Toten, du bist stark zum Helfen" (Sidur, 41). 64 Vgl. § 10,3.3. 60 61

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selber weder lebendig noch tot ist" (S, 423f, Kursive HA). Die Unendlichkeit des Namens, der sich der Doxologie mitteilt, um sie zu begründen und sie zu rechtfertigen, bleibt ihr extern. Dies nannten wir die Unendlichkeit der Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes. „Gott ist die Wahrheit. Wahrheit ist sein Siegel, daran er erkannt wird, auch wenn einst alles, woran er in der Zeit seine Ewigkeit zu erkennen gab, alles ewige Leben [sc. des ewigen Volks], aller ewige Weg [sc. des Leibes Christi], sein Ende fand, dort wo auch Ewiges sein Ende findet: in der Ewigkeit ... Es verwandelt sich: wenn es sich aber verwandelt hat, so ist das Verwandelte nicht mehr. Das Leben stieg ins Licht." (S, 423) Im doxologischen: ,ER ist gut!' ist der Geltungsbereich der Lebensform Gesetz eröffnet. Die aus dieser Öffentlichkeit Ausgeschlossenen, die Toten und die Ubergangenen, loben den Namen nicht. Diese Doxologie widerspricht der Homologie ,Kyrios Jesus!'. Wenn überhaupt, so ist an dieser Stelle von einer eschatologischen Erlösung Gottes zu reden, die in der messianischen Erlösung noch verborgen ist: „Die Erlösung erlöst Gott, indem sie ihn von seinem offenbarten Namen löst. Im Namen und seiner Offenbarung vollendet sich die in der Schöpfung angehobene Niederkunft der Offenbarung, ,1m Namen' geschieht fortan alles was geschieht. Heiligung wie Entweihung des Namens - es gibt keine Tat seit der Offenbarung, die nicht eins oder das andre wirkte; der Gang der Erlösung in der Welt geschieht im Namen und um des Namens willen. Aber das Ende ist namenlos, über allen Namen." (S, 426) Der Name über allen Namen ist Licht des Lichtes, oder ,Feuer'. Die Dichte des Namens kommt der Geltung der differenten Homologien zuvor. Die Frage ist, wo und wie sich nicht-aussprechbare Hoffnung auf den Namen über allen Namen zeigt und ausdrückt. (7),Dichte' - Licht und Feuer als Metapher ikonischer Unendlichkeit: Die Rede von der .Dichte des Namens', seiner »dichten Herrlichkeit', vom ,Licht des Lichts' oder vom ,Feuer des Namens' nimmt die Metaphorik des Stern auf, die an dieser Stelle begrifflich nicht reduzibel ist65. Unendlichkeit, als namenslogischer Begriff, wird dadurch jetzt als ikonische Unendlichkeit bestimmt, als Dichte, die sich in nicht-verbalen Zeichen anzeigt und mitteilt. Zu beachten ist zunächst, daß Rosenzweig metaphorisch die Unterscheidung kreatürlich-logischer und göttlicher Wahrheit einführt: „Im ersten ,Es werde Licht' ist sowohl das Licht dieser Welt geschaffen wie das andre, das Gott schied und aufsparte für jene Welt der Vollendung." (S, 436, unter Rekurs auf die talmudische Auslegung von Gen 1,3 in Chag 12a) Was in dialogisch finiten, geltungsfähigen sprachlichen Homologien bewährt werden kann, ist zu unterscheiden von der Reichweite des Namens und seiner nicht

65

H. Blumenberg, Metaphorologie, 12-46. 329

mehr logischen Wahrheit. Endliche Wahrheit ist an sprachliche Aussagen und Urteile gebunden. „Daß Gott schuf, dies vorbedeutungsschwere erste Wort der Schrift verliert seine Kraft nicht, bis alles erfüllt ist. Nicht vorher ruft Gott dies erste Wort, das von ihm ausging, wieder in seinen Schoß zurück ... Die letzte Wahrheit ist selber nur - geschaffene Wahrheit." (S, 463f) Inwiefern hat es dann aber Sinn, von göttlicher Wahrheit jenseits wahrer sprachlicher Aussagen - zu sprechen?66 Wo zeigt sich nicht auszusprechende Hoffnung des Namens über allen Namen so, daß sie sprachlich beschrieben werden kann?

Zusammenfassung 1. Der ethischen Reflexion Bubers setzt Rosenzweig die Frage nach ethischer Beschreibung der Lebensform .Gesetz' entgegen, die von der ,gott-menschlichen Wirklichkeit des Gesetzes', Israels Weisheit, ausgeht. In Handlungen ist die Stimme des Gebots aufzufinden, wiederzuerkennen und als lebendiges Gesetz zu erlernen. 2. Die Aufgabe ethischer Beschreibung der messianischen Lebensform .Gesetz' umfaßt verschiedene Aspekte, die ineinanderliegen und der Differenzierung bedürfen: gesetzestheologische, hermeneutische, anthropologische, eschatologische und fundamentalethische. Der eschatologischen Beschreibung der Handlung als Werk des Gesetzes, des Werkes als Frucht des wachsenden Reiches kommt besondere Bedeutung für das propädeutische Erlernen des Lernens in der ,gott-menschlichen Wirklichkeit Gesetz' zu. Liebe bestimmt, was Handeln und Gebot heißt: Handeln antwortet auf die Bedürftigkeit wachsenden Lebens, der armen Kreatur, um konative Begierde vom Bedürfnis nach Frieden zu unterscheiden. Das Gebot hat im messianischen Augenblick die Form der Bitte. Das wechselseitige erlösende Handeln von ,Ding' und ,Seele' ist Beseelung in dialogischer Unendlichkeit. Solches Handeln ist verantwortbar, beurteilbar, aber nicht zurechenbar. Es mündet in die öffentliche Homologie des Namens. Das Gesetzeswerk wird als Frucht des Reiches beurteilt, in welchem Urteil Hoffnung auf die Güte des Schöpfers zum Ausdruck kommt. Hoffnung in der messianischen Lebensform des Gesetzes ist Praxis guten, kreatürlichen Lebens

66 Dies wird behauptet: „Gott ist wahrhaftig der Herr. Als solcher offenbarte er sich in der Macht seines Schöpfertums. Wenn wir ihn im Licht der ewigen Wahrheit so anrufen - es ist der Schöpfer von Anfang, der Rufer des ersten .Werde Licht', den wir da anrufen ... Er ist ist wahrhaftig der Erste und der Letzte. Ehe denn Berge geboren wurden und die Erde sich wand in Wehen - von Ewigkeit zu Ewigkeit warst du Gott. Und warst von Ewigkeit, was du in Ewigkeit sein wirst: Wahrheit." (S, 464) 67 Kants negative Hoffnung als Praxis guten, kreatürlichen Lebens (§ 6 Zusammenfassung) findet hier ihr namenstheologisches Gegenstück.

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3. Die Formen ethischer Beschreibung, die z.B. um die Perspektive praktischer Selbstbeschreibung erweitert werden müßten, stehen insgesamt in einer bestimmten Öffentlichkeit. Begründet wird diese durch die messianische Doxologie. Sie spricht aus, was in aller ethischen Beschreibung beansprucht wird: nicht menschliches Rühmen, sondern der Ruhm des Namens ,ER ist gut'. Im Werk des Gesetzes als Frucht des Reiches erhält sich und generiert sich die Lebensform Gesetz, das messianische Volk. 4. Die messianische Doxologie bildet das Ziel der Einführung in Zeichen des Namens und seine Hoffnung: Wer die Elemente, die grammatischen und logischen Regeln, den Geltungsbereich und die Reichweite der messianischen Homologie erlernt, erlerat eben darin das Erlernen des Gesetzes neu und kehrt in die Lebensform und Öffentlichkeit des Gesetzes zurück. Die Analyse des Imperativischen Hymnus als Paradigma der messianischen Doxologie schließt deshalb die namenstheologische Einführung in diese Lebensform ab - bliebe nicht die Frage der Reichweite des Namens über diese Lebensform hinaus. Es bleibt die Frage, ob nicht jedes Werk als Frucht des Reiches und signum prognosticon mehr exemplifiziert und weiter reicht, als gegenwärtig beschrieben werden kann. 5. Ethische Beschreibung antwortet auf die Frage der Verallgemeinerung nicht durch Wechsel in die Perspektive des unbeteiligten Beobachters. Sie bleibt vor dem Forum der dem Namen zugehörigen .Kinder Gottes'. Deshalb gilt: „kein einzelnes Gebot, keine einzelne Mizwo ist einem Außenstehenden, mag er noch so guten Willens und Verständnisses sein, als .religiöse' Forderung begreiflich zu machen. Während uns jener allgemeinste theologische Zusammenhang [sc. von Erwählung und Gesetz] selbst doch erst da und dann lebendig wird, wo wir ihn selber als einzelnes Gebot erfüllen dürfen und er aus der Objektivität einer theologischen Wahrheit in das Du des Lobspruchs tritt: wenn der zur Tora Aufgerufene den vorherigen und nachherigen Dank für das Gesetz mit dem Dank für die .nationale' Erwählung aus allen Völkern und die .religiöse' zu ewigem Leben in eins schmilzt." (BT, 1003, Kursive HA) Im exemplarischen Augenblick und am paradigmatischen Werk erfolgt dieser Ubergang und Standpunktwechsel: „Wir wissen es [sc. das Gesetz] anders, nicht immer und nicht in allem, aber immer wieder und wieder. Denn wir wissen es nur, wenn wir - tun." (BT, 1003) Die rituelle Benediktion der Tora antizipiert diesen Ubergang, in welchem im Werk das Gesetz und im Gesetz .ewiges Leben' mit Gott aufgefunden wird. Dies ist die „gottmenschliche Wirklichkeit des Gebots": „in diesem Augenblick [des Tuns] wissen wir gar nichts andres als eben diesen Augenblick, ihn aber in der ganzen gottmenschlichen Wirklichkeit des Gebots, aus der wir sagen dürfen: Gelobt seist Du. Nur so ... ist Gott im einzelnen Gebot - nicht aus-, sondern nur anzusprechen. Wer ihn aussprechen möchte, dem wird der Unaussprechliche zum Unauffindbaren. Die Stimme des Gebieters vernimmt man nur im 331

Gebot." (BT, 1004) Aber diese .Stimme' spricht nicht nur vom Sinai her, sondern gleichsam aus der Zukunft der Verheißung: „Nicht also zwischen Göttlich und Menschlich geht ... die Scheidung ..., sondern zwischem einem [sc. Gesetz], dessen [sc. historische] Herkunft wir erkennen in aussprechbarer, mitteilbarer, formulierbarer Erkenntnis, und einem andern, dessen Herkunft wir nicht minder erkennen, aber nur in unaussprechbarer, unmitteilbarer und unmittelbarer Erkenntnis" (BT, 1005). Kehrt damit im Zentrum ethischer Beschreibung das Kantische ,mysterium' wieder? Das mysterium einer praktisch einsehbaren, doch unaussprechbaren, unmitteilbaren und unmittelbaren Erkenntnis?68 Keineswegs! Unaussagbarkeit steht jetzt für die dichte Herrlichkeit des göttlichen Namens in ikonischen Zeichen. Unmittelbarkeit steht für eine Hoffnung, die weiter reicht als die sprachliche Homologie und Doxologie, aber in diesen Zeichen beschrieben werden kann. Am Ende der katechetischen Einführung in das Erlernen des göttlichen Namens und des messianischen Gesetzes geht die ethische Beschreibung zur eschatologisch dichten Beschreibung ikonischer Zeichen des Namens über. „So wie sich .Unsagbarkeit' nach der Analyse in Dichte und nicht in ein Mysterium verwandelt, so wird .Unmittelbarkeit' zu einer Sache der Exemplifikation und nicht der Nähe - zu einer Funktion der Richtung und nicht der Distanz."69

" Vgl. § 7,3 und Zusammenfassung. " N. Goodman, Sprachen, 233.

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§ 14 Ikonische Zeichen: ,Der Name' als Feuer „Und in dem Augenblick, wo ich ... zum ersten (und einfüralle-) Mal die Hoffnung erlebte, war die objektive Grundlage (der Schnittpunkt im Unendlichen) gefunden ... Auf dieser Grundlage [sc. des Himmels der Zukunft] steht seitdem alles bei mir."1

1. Von der Apologetik zum Dialog 1.1 Unentscheidbare Differenz als Bedingung des Dialogs Die Verheißung Gottes (Gen 15,1-6; Rom 4,1-25) findet mindestens zwei kontradiktorische Antworten, die „beiden in aller Zeit unversöhnlichen Messiaserwartungen ...: die des kommenden und die des wiederkommenden" (Z, 159). Diese differenten Antworten sind weder als differente Hoffnungstraditionen noch als differente messianische Ideen zu rekonstruieren oder zu relativieren. Die begründet unentscheidbare Differenz der Homologien läßt sich nicht in einem dritten Beobachterstandpunkt vermitteln: „Der Andere antwortet anders auf diese [Gottes] Treue: nämlich im Nein zu diesem Christus und damit auch im Nein zur Anrufung Gottes, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Dieses andere Reden von Gott nötigt zu fragen, wie es mit der eigenen Antwort auf diese Treue bestellt ist, und wie sie sich zur Antwort des Anderen verhält."2 Diese Differenz fordert eschatologische Beschreibung der messianischen Lebensformen. Sie erlaubt erst den Dialog. Sie markiert nicht die Grenze sprachlicher Verständigung überhaupt.3 Postmoderne Skepsis wäre nicht weniger problematisch als das transzendentale Ideal von Kommunikation, dem sie widerspricht! Stattdessen ist nach konkreten, ikonischen Zeichen zu fragen, in denen die Namensverheißung allem menschlichen Nein und Ja zuvorkommt. Inwiefern begründen solche Zeichen „zwischen Christen und Juden die engste Verwandtschaft: die der Wahrheit"?4 Dieser konkrete Dialog kann zunächst Voraussetzungen aufdecken, die ohne das opponierende Gegenüber im blinden Fleck der Selbstwahrnehmung blieben. Rosenzweig setzt eine konkrete, nicht formale Symmetrie dieses Dialogs voraus. Der christlichen Mission antwortet die jüdische Apologetik der eigenen Lebensgestalt.5 Der Stern kann durchaus als neue Form apologetischer

1

F. Rosenzweig an R. Ehrenberg vom 25.8.1919, BT, 643. G. Sauter, Rechenschaft, 297. 3 Vgl. J.-F. Lyotard/E. Gruber, Ein Bindestrich. 4 E. Levinas, Vorwort, 13. 5 Lebensgestalt im Unterschied zu Lebensform zeige an: Authentische Beschreibung der Lebensform .Gesetz* ist von apologetischer Konstruktion der Lebensgestalt Judentum' methodisch zu unterscheiden. 2

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Theologie gelesen werden: als argumentativ-konstruktive Verteidigung der jüdischen Lebensgestalt angesichts der christlichen.6 Die geforderte Apologetik - so Rosenzweig - solle „nichts beschönigen, noch weniger einen angreifbaren Punkt umgehen, sondern gerade die bedrohtesten Punkte zur Basis der Verteidigung machen" (Z, 686). Der bedrohteste Punkt ist der Anspruch eschatologischen Urteils, und zwar auch über Christus und Christen. Er werde nur „mit der Wahrheit selbst, der ganzen Wahrheit nämlich, ent-schuldigt." (Z, 686) Daß dieser bedrohteste Punkt überhaupt thematisch wird, ist das am wenigsten Selbstverständliche. „Wer über das Judentum nachdenken sollte, der mußte irgendwie, wenn nicht seelisch, dann doch mindestens geistig, an die Grenze des Judentums gerissen sein." (Z, 679f) Der „wahre Zentralgedanke des Judentums", „der allein das Gesetz verständlich machen und allein die Erhaltung des jüdischen Volks erklären kann, der Gedanke der Auserwähltheit Israels" (Z, 677), des Schon-beim-Vater-Seins, sei nirgends unter jenen eschatologischen .Dogmen' jüdischer Theologie genannt, deren Leugnung den Juden seines Anteils an der künftigen Welt verlustig gehen lasse.7 Für die .Kirche als Leib Christi' gelte hingegen: Sie spreche in der Homologie ,Kyrios Jesus' aus, was sie begründet. Diese Homologie eröffnet die nicht abschließbare christologisch-trinitarische Explikation ihrer Gründe. Die Explikation der Gründe der Erwählung wird nicht theologisch, sondern nur doxologisch ,abgeschlossen', und zwar im Lob der »Gemeinde aus Juden und Heiden' (Eph 1,3-14). „Hier wird gerade das immer erneute Insbewußtseinheben der Grundlage des Daseins, in diesem Fall also die immer wiederholte Neuformulierung des christologischen Dogmas, zur inneren Bedingung für den äußeren Fortbestand der Gemeinschaft. Unzugängliches Geheimnis steht da gegen unerschöpfliches" (Z, 678). Diese Entgegensetzung in ihrer pointierten Konstruktion markiert aber nur den Ausgangspunkt. Die entscheidbare Unentscheidbarkeit der sich widersprechenden homologischen Sätze eröffnet gerade eine offene dialogische Situation, in der nach ikonischen Zeichen des .Geheimnisses' des Namens gefragt werden kann. In der Beschreibung dieser Zeichen kann die ausstehende Verheißung hypothetisch, experimentierend und auch kontrovers ausgelotet werden. Wir sprechen daher von einer dialogisch-eschatologischen Beschreibung, um sie von der ethisch-eschatologischen Beschreibung der Werke des Gesetzes zu unterscheiden, die den Geltungsbereich der Lebensform .Gesetz' konstituiert, aber auch begrenzt. Daß zwischen beiden Beschreibungsweisen ein innerer Zusammenhang besteht, ergibt sich aber schon daraus, daß die Beschreibung des Gesetzes selbst an eine innere Grenze stößt: 6

F. Rosenzweig im Aufsatz .Apologetisches Denken', Z. 679 (die nächsten Seitenverweise aus diesem Aufsatz.) 7 Vgl. z.B. die dreizehn Glaubensartikel Maimonides' und ihre (spätere) Poetisierung als gottesdienstliches Bekenntnis (Sidur, 2). 334

die Reichweite des Namens über die messianische Lebensform .Gesetz' hinaus. Der Übergang von der Apologetik zum neuen Dialog zeichnet sich bei Rosenzweig selbst ab: Apologetik überwiegt insbesondere in jener Phase, in der Rosenzweig seine jüdische Rekonversion gegenüber den konvertierten Eugen Rosenstock und Hans Ehrenberg verteidigt.8 Pointiert wird die Differenz der jüdischen und christlichen Lebensgestalt der Hoffnung als Differenz in der Wahrnehmung der Ökonomie Gottes: „Ich sehe, ich muß dir [sc. Hans Ehrenberg] das jüdische Verhältnis zum »Zwischenreich' etwas aus größerer Nähe (also etwas dialektischer) auseinandersetzen. Daß der Christ aus dem Anfang, der Jude aus dem Ende des Zwischenreichs lebt - so habe ich dir doch wohl geschrieben - genügt nicht. Also genauer: Das christliche Verhältnis zum Zwischenreich ist bejahend, das jüdische verneinend. Was wird bejaht bzw. verneint? das Zwischen. Wie bejaht man ein Zwischen? indem man einen Anfang positiv, als gewesen, ein Ende negativ, als noch nicht gewesen setzt. Das ist also nicht etwa dein [Ehrenbergs] Verhältnis zum Zwischenreich, sondern das christliche Verhältnis überhaupt. Das Positive ist aber immer das, wenigstens zunächst, Durchschlagende; so ist auch hier die Positivität des Anfangs das Begriffsbestimmende, das Setzende, Thetische; und erst die Dialektik der Entwicklung kann auch den negativen Anteil zu selbständiger Bedeutung bringen. Weiter gefragt: Wie verneint man ein Zwischen? Schärfer noch: wie drückt man in der Form des Zwischen aus, daß etwas nicht zwischen ist? ... Also wie verneint man in dieser Weise ein Zwischen? Indem man den Anfang negativ, als noch nicht gewesen, das Ende positiv, als schon gewesen, setzt, - also Anfang und Ende zwar nicht vertauscht, aber umwertet. Dies ist das Judentum. Der Anfang des Zwischenreichs, die Ankunft des Messias, ist noch nicht gewesen; das Ende, das Gottesreich, hat schon angefangen, ist schon da, ist für jeden Juden in dem unmittelbaren endgültigen Verhältnis zu Gott selbst, in dem täglichen rAufsichnehmen des Jochs des Himmelreichs' durch die Erfüllung des Gesetzes schon heute gegeben(BT, 560f, Kursive HA) Das Beispiel einer dialogisch-eschatologischen Beschreibung zeigt sich demgegenüber Jahre später in der Auseinandersetzung über Judenmission und Zionismus. Die Beendung der Judenmission ist die (im jüdisch-christlichen Dialog meistzitierte) Konsequenz der Rosenzweigschen Apologetik. In der Tat zog Rosenzweig sie in der Debatte mit Ehrenberg explizit genug: „Es wird auch weiter Judentaufen geben ... aber eine organisierte Judenmission darf es nicht geben. Das ist die kirchenpolitische Pointe des SternsAllerdings wird stets übersehen, daß Rosenzweig selbst diese apologetische Beschreibung revidiert, weil er ihre Grundlage revidiert. Das Entscheidende

1 Vgl. die brieflich dokumentierten Kontroversen mit Eugen Rosenstock-Huessy und Hans Ehrenberg zwischen 1913 und 1918: BT, 280-289.290-293.543f.553-556.558-563.577-580. 9 BT, 1076 (1.1.1926). Zu den zugrundeliegenden geschichtstheologisch-idealistischen Konzepten bei Rosenzweig: A. Altmann, Rosenzweig on History, 123-131.

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seiner späteren Retraktation ist dabei keineswegs die veränderte Haltung zur in der Tat problematischen und definitionsbedürftigen Judenmission! Entscheidend ist, daß die Apologetik auf Seiten Rosenzweigs und die Mission auf Seiten Ehrenbergs übergehen in einen offenen argumentativen und kontroversen Dialog über signa prognostica, welche die konstruierten Lebensgestalten durchkreuzen: Zeichen, die das Geheimnis der oikonomia Gottes anzeigen. Sie erfordern ein Sensorium für die Zukunft, in der Bestimmtes geschehen oder versäumt werden kann. Die Beurteilung konkreter Ereignisse, vor allem die nie abschlossene Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen politischen Zionismus10 als messianischem Zeichen ermöglicht Rosenzweig auch die Neubeschreibung der christlichen Mission als einer messianischen Praxis, wie sie Hans Ehrenberg in Analogie zum Zionismus bestimmt: „Deine Gleichung Judenmission-Zionismus hat mich überrannt. Also beide die in jeder Zeit durch das Ergebnis blamierten und doch um der Ernsthaftigkeit der Endzeiterwartung jederzeit vorwegzunehmenden endzeitlichen Verheißungen. Sozusagen die notwendigen und doch frevelhaften Experimente (zu deutsch: Gottversuchungen), ob die Zeit nicht vielleicht doch schon da ist. Und wegen der natürlichen Entgegengesetztheit der beiderseitigen Endzeithoffnungen jede dem andern gründlich zuwider."11

1.2 Realpräsenz und kultische Zeit Die sich hier abzeichnende methodische Ambivalenz zwischen Apologetik und Dialog prägt nun - so eine zweite These - Rosenzweigs Theorie des Festes und des Festjahres (S, 331-422). Fest und Festjahr werden als Paradigmen der jeweiligen Wahrnehmung der Ökonomie Gottes dargestellt: „In der alltäglich-allwöchentlich-alljährlichen Wiederholung der Kreise des kultischen Gebets macht der Glaube den Augenblick zur .Stunde', die Zeit aufnahmebereit für die Ewigkeit; und diese, indem sie Aufnahme in der Zeit findet, wird selber - wie Zeit." (S, 324) Der Sabbat und seine Woche als die Keimzelle des Kultes12 bestimmen die jüdische Festzeit messianisch. Das wurde

10 BT, 774 (12.4.1922): „Darf ich mich einer messianischen Bewegung entziehen? Weil sie nur möglicherweise messianisch ist? Welche wäre es nicht bloß .möglicherweise'?" Zur weiteren Annäherung v.a. BT, 1145 (17.5.1927)1 BT, 968f.977f.1139.U49f; auch JH, 218.251-255. - Dem steht die frühe, von Cohen bestimmte Kritik des Zionismus gegenüber: BT, 399f! 11 BT, 1153 (1.6.1927, Kursive HA). Dabei wird die verschiedene Bedeutung der Mission und der Zionstheologie hervorgehoben: „Aber wenn es so ist, dann wäre ich eher bereit, obwohl mir das noch gestern nachmittag undenkbar erschienen wäre, die Judenmission als christlich zulässig anzuerkennen als den Zionismus als jüdisch unzulässig. Du hingegen wohl umgekehrt. Und darin zeigt sich doch die verschiedene Wertigkeit der beiden." 12 „Die Woche ist mehr, als was sie als menschgesetztes Gesetz der Kultur ist: irdisches Gleichnis des Ewigen; als gottgesetztes Gesetz des Kults zieht sie das Ewige nicht bloß gleichnishaft, sondern in Wirklichkeit hinein ins Heute." Von ihr gehe „alle göttlich-über-

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bereits gezeigt. Der Sonntag, das Gedächtnis des auferweckten Gekreuzigten, orientiert demgegenüber, als Ursprung des christlichen Festjahres13, die Zeitwahrnehmung auf den christologischen Anfang hin. Aus dieser Differenz im messianischen und christologischen Ansatz konstruiert Rosenzweig die Differenz jüdischer und christlicher Festzeit. Diese Konstruktion zeigt allerdings klar die Grenze apologetischer Beobachtung: „Auf soziologischer Grundlage wird also hier Judentum und Christentum nebenund gegeneinander gestellt. Daraus ergibt sich eine Darstellung, die beiden nicht ganz gerecht wird" (ND, 156). Es dürfe nämlich nicht vom „eignen Bewußtsein der beiden" ausgegangen werden, also weder vom Gesetz noch vom Christus-Glauben, „sondern von der äußeren, sichtbaren Gestalt, durch die sie der Zeit ihre Ewigkeit abringen, beim Judentum also von der Tatsache des Volks, beim Christentum vom gemeindegründenden Ereignis" (ebd.). Konstruktive Apologetik suspendiert dialogische authentische Beschreibung (ND, 157). Die Konsequenz dieser methodischen Vorentscheidung zeigt sich am klarsten an der Konstruktion der christologischen Kultzeit als Realpräsenz. Zweifellos steht bei dieser Konstruktion Rosenzweigs Hegel-Kritik Pate14: Die liturgiehistorische Tatsache, daß der Sonntag und die beiden christlichen Festkreise Ostern und Weihnachten christologisch bestimmt sind, wird konsequent nach dem Paradigma sakramentaler Realpräsenz rekonstruiert, die als das gemeindegründende Ereignis gilt. .Sakrament' wird zum Inbegriff der Festzeit und des liturgischen Zeichens als Sakrament des Wortes (S, 397f), des Mahles (S, 404) und der Taufe (S, 415f). Dieser durchaus vielversprechende Ansatz wird von der Durchführung konterkariert. Methodisch wiederholt Rosenzweig nämlich Hegels Konstruktion der Christologie aus der spekulativen Logik der Realpräsenz Gottes als Geist der Gemeinde15: Die sakramentale Realpräsenz unterbreche das Zeitkontinuum, die Ewigkeit der Zeit, und konstituiere eine Zeit der Ewigkeit: „Solch Geschehen müßte von jenseits der Zeit kommen und in ein Jenseits der Zeit münden. In jeder Gegenwart zwar wäre es in der Zeit; aber weil es sich in seiner Vergangenheit und Zukunft unabhängig von der Zeit weiß, so fühlt es sich stark gegen sie. Seine Gegenwart steht zwischen Vergangenheit und Zukunft."16 Charakteristischerweise expliziert Rosenzweig die sakramentale Präsenz Jesu Christi dann

irdische Verewigung des Augenblicks aus", auch jene des Tages und des Jahres (S, 324). 13 H. Auf der Maur, 26-53; J. Roloff, Gottesdienst im Urchristentum, 48-54. 14 Dazu: F. Rosenzweig, Hegel und der Staat. 15 Vgl. W. Jaeschke, Die Vernunft in der Religion, 323-348 und die Textpassagen aus Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion in: „Versöhnung" als Thema der Theologie, 85-106. 16 S, 374. Zum (differenzierteren) Kontrast von „Ewigkeit der Zeit" und „Zeit der Ewigkeit": M. Theunissen, Negative Theologie der Zeit, 314f.

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aber nur anamnetisch, nicht eschatologisch: Sie vergegenwärtige das durch die Auferweckung verewigte Kreuz Christi in der Gegenwart der feiernden Gemeinde ebenso wie die jeweilige Gegenwart der feiernden Gemeinde unter dem Kreuz, in der Gegenwart des Gekreuzigten: „So ist dem Christen ... das Kreuz immer gegenwärtig ... Diese Gegenwärtigkeit macht nun das Osterfest auch zum eigentlichen Fest des Sakraments ... er [sc. der Festteilnehmer] muß das Haupt voll Blut und Wunden grüßen, unmittelbar von Angesicht zu Angesicht." (S, 406) Die Gegenwart Christi bestimmt die geschichtstheologische Epochensetzung: „Alle folgende Zeit von Christi Erdenwandel an bis zu seiner Wiederkunft ist nun jene einzige große Gegenwart, jene Epoche, jener Stillstand, jene Stundung der Zeiten, jenes Zwischen, worüber die Zeit ihre Macht verloren hat". (S, 375)17 Die fortwährende (nicht fortschreitende) Missionierung werde in dieser Epoche zur „Form ihrer Selbsterhaltung" (S, 379): Nur in der jeweils neuen Missionierung des jeweiligen historischen Augenblicks erweise sich, daß auch dieser Augenblick Moment der Gegenwart des Gekreuzigten sei.18 In der feiernden Gemeinde selbst, mit Hegel zu reden: in ihrem Selbstbewußtsein als Reich des Geistes, sei „Christus nicht Stifter noch Herr seiner Kirche, sondern Glied, er selber Bruder seines Bundes." (S, 382) In Christus würden die Feiernden, „Menschen verschiedensten Antlitzes" (S, 383), vergleichzeitigt: „Das ist der tiefste Grund, weshalb es in der heidnischen Welt, die ja eben die Zeitlichkeit ist, unmöglich war, seinen Nächsten zu lieben, wie sich selbst. Aber in der Ewigkeit [sc. des Geistes-als-Gemeinde] gibt es Gleichzeitigkeit ... so läßt sie alle die Verfeindeten, Grausamen, Neidischen, Beschränkten sich einander als Brüder erblicken in dem einen gleichen mittleren Augenblick der Zeit." (S, 383f)19 Diese scharfsinnige Rekonstruktion trifft gewiß die latente Vermittlungslogik, durch welche Christologie, Realpräsenz und Festzeit oft genug bestimmt waren und sind. Diesem radikalchristologischen Typ gilt die typisierte jüdische Kritik: Im christlichen Sakrament bleibe die Hoffnung auf das ausstehende Gericht Gottes und seine Erlösung ortlos}0 Der christologischen Real-

17

Im Hintergrund steht eine bestimmte Rezeption der augustinischen Geschichtstheologie und Eschatologie, vgl. Z, 101; BT, 358f; dazu. J. Wohlmuth, Jesu Weg, 70f. 11 Zu dieser Theorie-Praxis-Relation: F. Rosenzweig, Hegel und der Staat 2, 75-187: Nur „weil und wo das Vernünftige anerkannt wird als das zu Verwirklichende, [sc. dürfe und müsse] auch das Wirkliche als Verwirklichung des Vernünftigen erkannt werden" (176). Zustimmend M. Theunissen, Die Verwirklichung der Vernunft, 25-28. " Dieses Selbstbewußtsein der Abendmahlsgemeinschaft illustriert: D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 168f. J. Wohlmuth, Jesu Weg, 72-77, übersieht in seiner zustimmenden Darstellung die Ursprünge dieser Versöhnungslogik. 20 S, 407-409. Katholische Christologie und Liturgik versuchen neuerdings dieser Kritik zu begegnen. Das triduum paschale (die Feier von Kreuz und Auferstehung) wird eschatologisch reinterpretiert: J. Wohlmuth, Jesu Weg, v.a. 69-104.135-178; vgl. H. Heinz/K. Kienzler/J.J. Petuchowski, Versöhnung in der jüdischen und christlichen Liturgie. 338

präsenz ermangele das Noch-Nicht der Verheißung. Hingegen sei der jüdische Gottesdienst, insbesondere durch Neujahr und Versöhnungstag, eschatologisch bestimmt: „So drängt sich das christliche Bewußtsein, ganz versenkt in Glauben, hin zum Anfang des Wegs, zum ersten Christen, zum Gekreuzigten, wie das jüdische, ganz versammelt in Hoffnung, hin zum Manne der Endzeit" drängt, genauer: zur Hoffnung auf Gott selbst (S, 385f).21 So triftig allerdings diese Konstruktion sein mag, sie ist nicht Rosenzweigs letztes Wort.

1.3 These Rosenzweigs Theorie der Liturgie bietet, neben dieser Konstruktion, Beispiele einerdichten eschatologischen Beschreibung ikonischer Zeichen der Liturgie. Diese dichte Beschreibung liturgischer Zeichen des Geheimnisses des göttlichen Namens ist von hoher Innovationskraft. Sie enthält die Quintessenz der Grammatik und Logik des göttlichen Namens im Stern der Erlösung. Die Aporie der Wahrheit des göttlichen Namens, das Geheimnis im Erlernen des Namens wird in das semiotische Problem dichter Beschreibung seiner ikonischen Zeichen überführt. Damit führt Rosenzweig ein neues Paradigma argumentativen Dialogs zwischen jüdischer und christlicher Theologie ein.

2. Dichte des Namens und Dialektik der Hoffnung (Rom 11,25-36) Die göttliche Verheißung bestimmt die Grenze der Homologie und Doxologie, indem sie ihr zuvorkommt. Homologie und Doxologie, die daraußin ihre Geltungsgrenze überschreiten, können allerdings ,Gott versuchen*. Dies ist der namenstheologische Grund einer möglichen Dialektik der Hoffnung. 22 Die paulinische interzessorische Klage (1—5a) und Gerichtsdoxologie Gottes (5b)23 in Rom 9,1-5 (sie wird in Rom 10,1 aufgenommen) diene als Beispiel. In der Klage ist der Glaube „durch sein priesterthum ... gottis mechtig, denn gott thut was er bittet und wil"24. Diese Freiheit des Gebets - Luther entfaltet sie als Inbegriff christologisch begründeter Urteilsfreiheit - wird bei

21 Es sei „Quelle zugleich und Mündung alles jüdischen Messias glaubens", „daß schließlich Gott selbst der Erlöser [sei], ,er selbst und kein anderer'" (fH, 157). 22 Kants Dialektik der praktischen Urteilskraft und des Gewissens ist aufgenommen und transformiert, vgl. die Anspielung auf Kant S, 325. 23 E. Käsemann, Römer, 249f; U. Wilckens, Römer 2, 189. 24 M. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), WA 7, 28,15f.

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Rosenzweig Inbegriff messianischer Urteilsfreiheit25: Der Betende müsse geradezu lernen, „an seine Freiheit zu glauben. Er muß glauben, daß sie, wenn sonst vielleicht auch überall beschränkt, Gott gegenüber ohne Grenzen ist." (S, 296f) Weil ihm diese Freiheit eingeräumt ist, kann das Gebet versucht sein, in Gottes Verheißung einzugreifen und ihrem Wahrwerden vorzugreifen: „das Gebet ist eingespannt zwischen diese zwei Möglichkeiten; indem es sich vor Gottes Versuchung fürchtet, weiß es doch in sich die Kraft, Gott selber zu versuchen." (S, 297) Die eschatologische Beschreibung des Werks als Frucht des Reiches bleibt, sofern sie auf das Ende aller Dinge vorgreift, angefochten: „... die Tat der Liebe selber ist noch blind, sie weiß nicht, was sie tut ...; sie ist rascher als das Wissen; sie tut das Nächste, und was sie tut, dünkt sie das Nächste. Aber das Gebet ist nicht blind, es stellt den Augenblick und in ihm die soeben getane Tat und den grade entschlossenen Willen, Nächst-Vergangenes also und Nächst-Zukünftiges dieses einen einsamen Augenblicks, in das Licht des göttlichen Antlitzes. Es ist Bitte um Erleuchtung ... Das Gebet stiftet die menschliche Weltordnung." (S, 297f, Kursive HA) Menschliche Weltordnungen der Hoffnung werden gestiftet, wo im Gebet die Bitte um Erleuchtung sich erfüllt. Dem erhörten und erleuchteten Gebet zeigt sich die Tiefe des Reichtums der oikonomia Gottes.26 Doch sie zeigt sich so, daß eben in dieser offenbaren Tiefe ihr .Geheimnis' zukünftig bleibt.27

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K.H. Miskotte nennt dies das .ethisch-magische' Lebensgefühl („het ethisch-magisch levensgevoel") als Konstitutivum jüdischer Religion (Wezen, 372f.416.455.483.544Q. 26 το βάθος (πλούτου) Rom 11,33; vgl. IKor 2,10; in den Deuteropaulinen steht der Reichtum der Herrlichkeit' im Kontext der Rede vom eschatologischen Christusmysterion: Kol 1,27; 2,2; Eph 3,8; l,7.9f. Zum Hintergrund: M. Wolter, Weisheit, 311 Anm. 59. 27 Das paulinische und deuteropaulinische Verständnis von .Geheimnis' behält einen konstitutiv promissorischen Aspekt: „Weil in der Offenbarung das μυστήριΘν Gottes als solches enthüllt wird, wird mit seiner Verkündigung immer zugleich seine Verborgenheit offenbar. Der Gegensatz, der mit dem μυστήριον gesetzt ist, ist 1. der Gegensatz zwischen Einst und Jetzt Rom 16,25; Eph 3,5.9f; Kol 1,26; 2. der fortbestehende Gegensatz zwischen den Archonten der Welt und denen, die Gott lieben 1. Kor 2,6 ff. Dazu kommt 3. der Gegensatz zwischen Jetzt und Dereinst: in dem μυστήριον kündigt sich die kommende Verherrlichung der Glaubenden erst an. In ihm ist ,der Reichtum der Herrlichkeit' schon eingeschlossen, aber er ist zugleich noch darin eingeschlossen, Christus ist die Hoffnung der Herrlichkeit. In Christus sind die Schätze der Weisheit und der Erkenntnis noch verborgen (Kol 2,3). Das offenbarte Mysterium verhüllt also zugleich die endliche Vollendung das eschatologische Geschehen eröffnet sich vorerst nur im Wort, die Vollendung des Alls erscheint vorerst nur durch die Kirche, die δόξα kommt in der Verhüllung der θλίψεις (Kol l,24f; Eph 3,13)" (G. Bornkamm, μυστήριον, 828). Dieser Sicht widerspricht M. Wolters traditionsgeschichtliche Analyse der Revelationsschemata von Kol l,26f; Eph 3,4-7.8-12 und Rom 16,25f (ders., Weisheit, 306-311). Wolter sieht die temporale Gegenüberstellung auf das Einst und Jetzt beschränkt. Die Pointe der Revelationsschemata sei die israelkritische Substitution des Gesetzes als Weisheit Gottes durch das paulinische Evangelium (ebd., 317). Würde dies zutreffen, so müßten die Revelationsschemata als Fallbeispiele der Dialektik eschatologischer Urteilskraft gelten.

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Erneut seien Rom 9,1-5 und 11,25-32 Beispiel: Es gilt als .bestechende Hypothese'28, daß die prophetische Offenbarung des .Geheimnisses' von Rom 11,25b.26a der Bescheid auf die interzessorische Klage des Apostels sei: „Verstockung ist teilweise Israel widerfahren, bis zu dem Zeitpunkt, da die Vollzahl der Heiden eingegangen ist; und so wird ganz Israel gerettet werden".2' Prophetische Offenbarung als Bescheid auf interzessorische Klage stiftet hier eine .menschliche Weltordnung' der Hoffnung. Trotz (oder sogar wegen) des paulinischen Beispiels ist festzuhalten: Das erleuchtete Gebet kann zwar alles von Gott erbitten; es stößt aber gerade in der Erfüllung an seine innere Grenze. Die Tiefe des Reichtums Gottes ist zu dicht, um sprachlich abschließend artikuliert zu werden. Das ist auch die Grenze von Rom ll,25b.26a. Rosenzweig formuliert diese Einsicht grundsätzlich: „Das Gebet nämlich, wenn es erleuchtet, zeigt dem Auge das fernste Ziel ... Und so kommt das Gebet, das an sich keine magischen Kräfte hat, dennoch, indem es der Liebe den Weg erleuchtet, zu magischen Wirkungsmöglichkeiten. Es kann in die göttliche Weltordnung eingreifen. Es kann der Liebe die Richtung geben auf etwas, was noch nicht reif zur Liebe, noch nicht reif zum Beseeltwerden ist ... Solche Bevorzugung ist aber in Wahrheit Bevor-zugung, Hervorziehen der zögernd hergezogen kommenden Zukunft, ehe diese Zukunft nächst gegenwärtiger Augenblick und als solcher reif zur Verewigung geworden ist... aber das Himmelreich läßt sich nicht vergewaltigen, es wächst." (S, 301f)30 Wenn die offenbare Tiefe des Reichtums Gottes die Versuchung des Gebets begründet, so erhebt sich die Frage nach dem Gebet ,wie sich's gebührt' (Rom 8,26b). Die Antwort ist, daß nirgends anders als im Gebet selbst seine Grenze jeweils neu erlernt wird, und zwar als seine innere Grenze. Daraufhin ist die Schlußdoxologie von Rom 11,32.33-36 zu interpretieren: Diese Doxologie scheint aus dem „sie" (.teilweise Israel') und „ihr" (die Gemeinde aus Juden und Heiden) antizipierend ins „(uns) alle" überzugehen: „Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen" (Rom 11,32). Doch damit überschritte sie eine Grenze, die Paulus wahrt. Es trifft nicht zu, daß die Gerichtsdoxologie von Rom 11,33-36 wie die Akklamation von Phil 2,11 „die kosmische Huldigung antizipierend aufnimmt]". Vielmehr wird Hoffnung mit einem tief verwurzelten Verständnis aktueller Unendlichkeit verwechselt, wenn behauptet wird, daß im „Lobpreis der Gemeinde ... schon jetzt laut [wird], was einst alle Welt bekennen und mit

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U. Wilckens, Römer 2, 254, mit Bezug auf: U.B. Müller, Prophetie, 225-232. Übersetzung nach: U. Wilckens, Römer 2, 251. 30 Falls diese Interpretation zutrifft, dürfte Rosenzweigs Rede von der Versuchung des Gebets Luthers Auslegung der sechsten Vaterunser-Bitte nahe kommen, vgl. BSLK 514,2939; 685,40-688,37. 29

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ihrem Amen bestätigen muß."31 Das doxologische Wir von Rom 11,33-36 ist in der .Tiefe des Reichtums der Weisheit* verborgen. Es kann sprachlich nicht antizipiert werden. Die Doxologie wird zur ,Paradoxologie': „Die Doxologie wacht über die Hoffnung, daß von Gottes Handeln mehr und anderes erwartet wird als alles, was aus menschlicher Antwort darauf ersichtlich werden kann, möge nun die Antwort bejahend oder verneinend ausfallen."32 Das logisch Paradoxe markiert die innere Grenze des doxologisch Aussagbaren. „Erwählung und Hoffnung hängen aufs engste zusammen: Erwählungsglaube kann sich nur in der Hoffnung auf Gottes Treue aussprechen ... Durch die Hoffnung wird die Grenze zwischen dem, was wir sagen können, und dem, was wir noch nicht sagen können, markiert."33 Die am Beispiel von Rom 11,32.33-36 gewonnene Einsicht läßt sich generalisieren: Die Doxologie des Verheißungsnamens ist Sprachhandlung, als Sprachhandlung aber ist sie auch Text und Aussage. Als Proposition ist sie aber nur auszuweisen, wenn sie opponierbar ist. Dann würde sich zeigen, daß diese Doxologie christlich und jüdisch nach widersprechenden Regeln verstanden würde, deren Unentscheidbarkeit zwar entschieden, deren Verifikation aber unvorgreiflich ist. Würde die Doxologie durch die Gemeinde antizipiert, so führte dies in performativen Selbstwiderspruch: In jedem ,Wir* des Lobes würde das ,Ihr' tatsächlichen oder möglichen Widerspruchs ausgeschlossen. In diesem Sinne ist Rosenzweigs These gemeint, mit der die Grammatik der Erlösung schließt: Alle gesungene Doxologie der Güte Gottes sei noch Wort und als Wort kein Letztes. „Das Wort ist nie Letztes, ist nie bloß Gesprochenes, sondern immer ist es auch Sprechendes. Das ist ja das eigentliche Geheimnis der Sprache, dieses ihr eigenes Leben: das Wort spricht. Und so spricht aus dem gesungenen Wir das gesprochene Wort und spricht: Ihr." (S, 264) Was sich in dieser Paradoxie anzeigt, nennen wir Dichte des Namens, der mehr ,verheißt', als gegenwärtig sprachlich artikuliert werden kann. Es ist deshalb nur scheinbar widersinnig, vielmehr die zusammenfassende Pointe des bisherigen Gedankengangs, wenn gilt: „Im Blick auf das, was wir noch nicht sagen können - und dies ist etwas anderes als das, was wir uns nicht vorstellen könnten! -, könnte hoffentlich ein Gespräch von Israel und Kirche in Gang kommen: im Blick darauf, was keines von uns bisher aussagen kann, wovon wir aber nicht schweigen dürfen, weil Gott verheißungsvoll zu uns gesprochen hat ,auf vielerlei Weise ...' (Hebr. 1,1). Wenn wir aber davon reden, 51

E. Käsemann, Römer, 311 (Abschluß der Exegese von Rom 9-11). " G. Sauter, Rechenschaft, 299. 33 Ebd., 302. Zur Auslegung von Rom 9-11 insgesamt: W. Kraus, Paulinische Perspektiven, v.a. 166f: „, Gottesvolk' ist für Paulus ein Verbeißungsbegriff' (167). 342

schweigen wir zugleich: über das, was aus guten Gründen noch nicht gesagt werden kann"34. Die entscheidende methodische Frage lautet dann: Wie kann im Blick auf das, was sich nicht sagen läßt, ein Gespräch entstehen? Eine Antwort kann lauten: Zu reden über Hoffnung, die sich noch nicht aussagen läßt, heißt Reden über Hoffnung, die sich sichtbar zeigt. „Bei allem was geschieht, kannst du sagen, ob es Wiederholung (Erneuerung) der Offenbarung ist - dann ist es nämlich ... bloß Wort, wie das Gebet usw. - oder ob es Vorklang der Erlösung ist - dann ist es nämlich sichtbar. Auf die Sichtbarkeit kommt es an." (BT, 737) Diese überraschende und erläuterungsbedürftige These nimmt zunächst nur eine paradoxe Aussage des täglichen jüdischen Gebets auf: „Einzig Er, unser Gott, Er ist unser Vater, Er ist unser König, und Er in seinem Erbarmen wird nochmals vor den Augen aller Lebenden es hören lassen: Ich will euch zum Gotte sein."35 Daß die Doxologie an die innere Grenze des Gebets als Sprachzeichen stößt, läßt aufmerksam werden auf nicht-sprachliche Zeichen, in denen sich Verheißung exemplifiziert und Hoffnung ausdrückt. Liturgische Zeichen können als ikonische Zeichen Hoffnung .sichtbar hören' lassen. Dichte Beschreibung dieser Zeichen ist konstitutiv dialogisch. 3. Ikonische Zeichen und dichte Beschreibung Es ist eine geniale Intuition Rosenzweigs, den Dialog zwischen Kirche und Israel mit der Hypothese anzusetzen, daß sich in liturgischen Zeichen die den kontradiktorischen Homologien und ihrer Geltung zuvorkommende Dichte der Verheißung .sichtbar hören' lassen könnte. Für die Eschatologie des Stern gewinnen bestimmte liturgische Zeichen „eine ähnliche Organonstellung" wie die Grammatik der Sprachzeichen für die Explikation des jüdischen Erwählungsglaubens (S, 327): Die Formen der Grammatik „sind innerhalb des Wunders selber wieder das Wunder, offenbare Zeichen einer offenbaren Welt. Sie sind ihrer Welt genau gleichzeitig" (S, 327). Die grammatisch analysierten Sprachzeichen fungieren vornehmlich denotativ: Sie vergegenwärtigen sprachlich. Selbstverständlich fungieren auch viele liturgische Zeichen auf ,anamnetische' Weise repräsentativ, wie zum Beispiel die verschiedenen Zeichen des Passahmahls. Einige liturgische Zeichen fungieren jedoch in entgegensetzter Weise. „Sie sind das Licht, in welchem wir das Licht schauen, stille Vorwegnahme einer im Schweigen der Zukunft leuchtenden Welt."36 Solche Zeichen bringen Hoffnung zum Ausdruck. Sie exemplifizieren und fordern

G. Sauter, Rechenschaft, 318. Aus Keduschat haschem der Mussaf-Amida, Sidur, 126f (Kursive HA); Trepp, 70, Diese Gebetsformel wird zitiert: S, 206; BT, 737. 36 S, 327 (vgl. Ps 36,10). 34

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eschatologische Beschreibung heraus, die danach sucht, jene Hoffnung zu beschreiben, die sie anzeigen.37 Die innere Grenze der Doxologie als Sprachzeichen ist nicht die Grenze der Hoffnung, sondern läßt zum liturgischen Zeichen übergehen.38 Liturgische Zeichen bieten unbeschadet ihrer Konventionalität eschatologischen Neubeschreibungen Raum, sofern sie auch als exemplifizierende, nicht nur denotierende Zeichen fungieren können. „Daher kommt es, daß das Höchste der Liturgie nicht das gemeinsame Wort ist, sondern die gemeinsame Gebärde. Die Liturgie erlöst die Gebärde von der Fessel, unbeholfne Dienerin der Sprache zu sein, und macht sie zu einem Mehr als Sprache. In der liturgischen Gebärde allein ist die .geläuterte Lippe* vorweggenommen" (S, 329). Der Ubergang von Sprache zu Gebärde (von Symbolsystem zu Symbolsystem) ist auch Ubergang in der Referenzweise der Zeichen, Ubergang vom Gedächtnis des Vergangenen (Ps 111,4) zur Hoffnung. Am Beispiel des Versöhnungstages wird sich der Ubergang von Sprache und Gebärde, von Gedächtnis und Hoffnung als fließender erweisen als die Unterscheidung nahelegt. Ein und dasselbe liturgische Zeichen (z.B. die Proskynese am Versöhnungstag, aber auch das Brotbrechen des Herrenmahls) kann denotieren, repräsentieren und exemplifizieren. In liturgischen Gebärden wird nicht nur der Gabe des Namens an Israel gedacht. Es kommt darüber hinaus - dies ist die These - die zentrale Hoffnung der geläuterten Lippe von Zeph 3,9 und Sach 14,9 zum Ausdruck: JDann aber wandle den Völkern ich an eine geläuterte Lippe, - daß sie alle ausrufen Seinen Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen ... An jenem Tag brauchst du dich nicht zu schämen all deiner Handlungen, womit du mir abtrünnig wurdest", und: „An jenem Tag wird ER der Einzige sein und sein Name der einzige" (Zeph 3,9.11 und Sach 14,9 BR). Gebärden exemplifizieren den Namen, dessen Homologie noch aussteht. Rosenzweig tastet nach Begriffen, um seine Intuition zu operationalisieren. Anleihen bei einer Rhetorik des Unmittelbaren sind Symptome fehlender zeichentheoretischer Unterscheidungen. Die Tiefe des Reichtums Gottes, das Licht des Lichts, das Feuer des Sterns der Erlösung zeige sich schweigend: „Das Licht redet nicht, es leuchtet ... das Licht verschenkt, veräußert sich nicht wie die Sprache, wenn sie sich äußert, sondern es ist sichtbar, indem es ganz

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E. Levinas, Vorwort, 12, sucht auf seine Weise nach treffenden Termini: Liturgische Zeichen zeigen keinen „Mangel des Erkennens, sondern ein Mehr, das auf halbem Wege zwischen dem Bedeuten des Bedeuteten und seiner Erfüllung liegt". 38 Nach dem letzten Wort der Doxologie folgt nicht Schweigen, sondern die Proskynese vor dem Angesicht, das Sich-Zeigen des Namens: „Und alle Geschöpfe im Himmel und auf der Erde, unter der Erde und auf dem Meer, alles, was in der Welt ist, hörte ich sprechen: Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit. Und die vier Lebewesen sprachen: Amen. Und die vierundzwanzig Ältesten fielen nieder und beteten an." (Apk 5,13f)

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bei sich selber bleibt; es strahlt eigentlich nicht aus, es strahlt nur auf; es strahlt nicht wie ein Brunnen, sondern wie ein Antlitz, wie ein Auge strahlt, das beredt wird ohne daß sich die Lippen zu öffnen brauchen. Hier ist ein Schweigen ... das des Worts nicht mehr bedarf. Es ist das Schweigen des vollendeten Verstehens. Ein Blick sagt da alles." (S, 328) Aber dieses flüchtige Aufleuchten bedarf sehr wohl der Beschreibung und setzt den sprachlich vorstrukturierten Blick voraus - wie Rosenzweig ahnt: „Weil in der Ewigkeit das Wort erlischt im Schweigen des einträchtigen Beisammenseins - denn nur im Schweigen ist man vereinigt, aber die Vereinigten schweigen - darum muß der Brennspiegel, der die Sonnenstrahlen der Ewigkeit im kleinen Kreis des Jahres sammelt, die Liturgie, den Menschen in dieses Schweigen einführen. Auch in ihr freilich kann das gemeinsame Schweigen erst das Letzte sein, und alles was vorhergeht, ist nur Vorschule auf dies Letzte. In solcher Erziehung waltet noch das Wort. Das Wort selber muß den Menschen dahin führen, daß er gemeinsam schweigen lerne." (S, 342f) Auch die schweigende Gebärde und ihre Beschreibung wird erlernt - und solches Erlernen steht der Kritik offen. Dies ist an der paradigmatischen Hoffnungsgebärde auszuweisen, zu der Rosenzweigs Liturgik hinführt: der Proskynese des Versöhnungstages (Jes 45,23, vgl. Phil 2,10). Falsch soll eine Beschreibung eschatologischer Zeichen nicht nur heißen, wenn sie der Grammatik der Verheißung widerspricht. .Falsch* ist sie auch, wenn sie die Bezugnahmeweisen des Zeichens reduziert. Als Beispiel einer Fehlbeschreibung diene die kultische Proskynese in christlicher Liturgie. Die Proskynese hat ihren Ort in der Karfreitagsliturgie, insbesondere in der Kreuzesanbetung der Improperien. Unmittelbar vor dieser Sequenz, im Ubergang vom Wortgottesdienst zur Kreuzesverehrung und den Improperien, stehen die Karfreitagsfiirbitten, die mit dem Gebet für die Juden enden. Zu dieser letzten Fürbitte für die Juden lautete der traditionelle agendarische Vermerk (seit dem 8. Jh.): ad ultimum pro iudeis non flectant genua. Das Pontificale Romanum (gültig bis 1965) nennt als Grund für das Weglassen der Kniebeugung bei dieser Fürbitte die Tatsache, daß die Juden aus Spott die Kniee beugten vor dem leidenden Herrn.39 Die Proskynese verliert durch diese Beschreibung ihren Charakter als eschatologisches Zeichen. Sie droht zur einfachen religiösen Huldigungsgeste zu werden, in der sich eine religiöse Gemeinschaft von der anderen unterscheidet. So verdoppelt diese Beschreibung nicht nur die Differenz der Glaubensbekenntnisse. Die Beschreibung verdeckt vor allem, daß das ikonische Zeichen das zukünftige Geheimais exemplifiziert, daß sich im Namen über allen Namen alle Knie beugen sollen.·40

39 H. auf der Maur, Feiern, 109, der auf die stark antijudaistische Stoßrichtung der orientalischen und der abendländischen Improperientradition in der Karfreitagsliturgie seit frühester Zeit hinweist, 111. Zur konziliaren Änderung und zur Neuinterpretation: J. Wohlmuth, Weg, 146f; K. Richter, Ostern, 77f. 40 Auch die Gerichtsdoxologie des Improperiengesangs (Trishagion, Mi 6,3f; Jes 5,1-7), in der Gott als Richter Israel und Kirche gegenüber tritt, wird durch die Beschreibung des liturgischen Zeichens konterkariert.

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§ 1 5 Dichte und Unendlichkeit des Namens Der Versöhnungstag „Gesten sind Bewegungsmuster, die sich durch langen Gebrauch unter den Menschen eingebürgert haben ... Es gibt viele Gefühle, die sich auf so vielfache Weise zum Ausdruck bringen lassen, daß es ein einziges Muster für sie eigentlich nicht gibt. Zum Beispiel die Hoffnung hat keine Gestalt" 1 . „Daß vor Gott sich beuge jegliches Knie, bleibt die wahre Form, unter der die Erlösung gefeiert wird." (S, 411f)

Das Geheimnis der Hoffnung des Namens, der über allen Namen ist, zu erlernen, ist Ziel des Sterns der Erlösung. Die Unendlichkeit des Namens zeigt sich in ikonischen Zeichen der Liturgie als Dichte, welche die unaussprechliche Hoffnung exemplifiziert und metaphorisch ausdrückt. Sie zeigen an der Kultgemeinde, auf die sich der Name ,legt' (Num 6,27a), das leuchtende Angesicht an, jene translogische Wahrheit des Namens, die sich logisch als unentscheidbare Differenz der Homologien darstellt.2 Ikonische Zeichen drücken eine Reichweite der Namensverheißung aus, die über die ausweisbare Geltung der Sprachzeichen hinaus reicht. Negativität der Hoffnung ist also nicht das letzte Wort, vielmehr der Ubergang zur dichten Beschreibung ikonischer Zeichen: Diese sucht liturgische Gesten als Ausdruckszeichen nichtaussagbarer Hoffnung zu beschreiben. Liturgische Gebärden werden dazu nicht primär als denotative bzw. repräsentative Zeichen verstanden (die sie auch sind), sondern als exemplifizierende Ausdruckzeichen. Die nicht abschließbare, dichte Beschreibung ikonischer Kultzeichen, .Sakramente', ist eine genuine Quelle produktiver und innovativer, dialogischer Theologie des göttlichen Namens. Das wird abschließend an Rosenzweigs dichter Beschreibung des jüdischen Versöhnungstags dargestellt, insbesondere an der kultischen Proskynese dieses Tages. Der Kniefall in der Mussafliturgie des Versöhnungstages ist Zeichen des Gedächtnisses (signum rememorativum) an den Tempel und das hohepriesterliche Opfer des Versöhnungstages, während welchem einmal im Jahr der göttliche Name ausgesprochen wurde.3 Er wird aber, das ist das Neue im Stern, zugleich als Ausdruck der Hoffnung des Namens über allen Namen (signum prognosticon) beschrieben. Schließlich ist er auch Mitteilung göttlicher Gerechtigkeit, effektives Zeichen gereinigter Lippen (signum demonstrativum). D. Humphrey, The Art of Making Dances, New York, bei: N. Goodman, Sprachen, 56. „Dies Leuchten des göttlichen Angesichts allein ist die Wahrheit. Sie ist keine für sich frei schwebende Gestalt, sondern allein das aufleuchtende Antlitz Gottes." (S, 465) Namensausrufung und Namensauflegung bedeutet Deklaration eines Eigentumsrechts: K. Seybold, Der aaronitische Segen, 41.44. 3 pjoma 40d; bjoma 39b; TJoma Π,2. 1

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Der Stern der Erlösung, als katechetische Heimkehr ins Geheimnis oder in die Unendlichkeit des Namens, führt am Ende in die ikonische Dichte dieses Zeichens ein. Eine Theorie ikonischer oder .sakramentaler' Zeichen ist mithin für eine katechetische Theologie des göttlichen Namens unverzichtbar. 1. Repräsentierende

Anamnese*

Selbstverständlich steht der Kniefall durch sein gottesdienstliches Syntagma in einer Fülle denotativer und repräsentativer Bezugnahmen. Sein Kontext ist die große Erinnerung an den Tempeldienst des Versöhnungstags {Avoda), die wiederum eingebettet ist in eine Rekapitulation von Schöpfung, Abfall und Sintflut, der Erwählung, Gabe des Gesetzes und Einsetzung des levitischen und aaronitischen Priesterstamms. Aus der Erzählung von Schöpfung und Sinaioffenbarung geht der Pijut in die dramatische Vergegenwärtigung des kultischen Geschehens des Versöhnungstages über5, im Zentrum das dreifache Sündenbekenntnis des Hohenpriesters für sich, für die Priesterschaft, für die Gemeinde, während dessen der Hohepriester das Tetragramm ausspricht: „O Du, sie haben gesündigt, sie haben gefehlt, gefrevelt vor dir, dein Volk, das Haus Israel. Ο D u mit deinem heiligen Namen sühne doch die Sünden, die Verfehlungen, die Frevel, die sie gesündigt, gefehlt und vor dir gefrevelt, dein Volk, das Haus Israel. Wie in der Lehre deines Knechtes Mosche auf Ausspruch deiner Herrlichkeit geschrieben: Denn am heutigen Tag sühnt er euch, euch von allen euren Sünden, vor IHM werdet ihr rein". „Und die Priester und das Volk, die im Vorhofe standen, wenn sie hörten, daß der erhabene, ehrfurchtbare Name des Ewigen deutlich ausgesprochen in Heiligkeit und Reinheit aus dem Munde des Hohenpriesters kam, knieten sie nieder, bückten sich, warfen sich huldigend aufs Angesicht nieder und sprachen: Gelobt sei der Name der Ehre seines Reichs immer und ewig. Und er achtete darauf, den Namen zu vollenden mit den Huldigenden, und rief ihnen dann zu: Ihr werdet rein werden. Und du, Ewiger, in deiner Güte, laß rege werden dein Erbarmen und verzeihe der Gemeinde Jeschurun." 6

Der göttliche Name eröffnet im Blut- und Sühneritus des Hohenpriesters Versöhnung und neue Begegnung mit sich, Heiligung im Namen: vor IHM und durch IHN werdet ihr rein.7 Doch der hohepriesterliche Sühneritus wurde nach Machsor Versöhnungstag, 200-212. Dazu: L. Trepp, 140-142; I. Elbogen, 153.216f. Den Avoda-Pijjutim liegt ein altes Schema zugrunde: I. Elbogen, 217; L. Trepp, 141. 6 Machsor Versöhungstag, 206, vgl. 203f, Ubersetzung teilweise modifiziert nach L. Trepp, 140. Dieser Bericht geht nur vermittelt auf Lev 16 zurück. Die eigentliche Quelle sind v.a. die Kapitel 3,4,6 des Mischnatraktats Joma. Vgl. Sh. Safrai, Versöhnungstag, 32-41. 7 Daß Gott Versöhnung gewährt, betonen: J.J. Petuchowski, Zur Dialektik der Kappara, 195f; H. Gese, Die Sühne, 85-106. Zur kritischen Diskussion: C. Breytenbach, Versöhnung, 59-79; H. Merklein, Sühnetod, 155-183. 4 5

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der Zerstörung des Tempels unmöglich. Lediglich der Kniefall der synagogalen Mussaf-Liturgie nimmt die Geste des Tempelritus auf. Von daher entwikkelt sich die gängige Beschreibung: Die priesterlichen Konsekrations-, Opferungs- und Inkorporationszeremonien würden hier zu einer repräsentierendanamnetischen Gebärde verdichtet.8 Aber die Fülle der denotativ-repräsentierenden Bezüge der Mussaf-Liturige auf den Sühneritus (und darin womöglich auf die Sinai-Szene) schließt keineswegs aus, daß die Gebärde des Kniefalls zum eschatologischen Ausdruckszeichen werden kann. Dafür spricht, daß nicht der vollzogene Ritus in seiner Repräsentation, sondern die gewährte Zeit, die Stunde und der Tag der Versöhnung .durch ihn und vor ihm', für das Verständnis von Umkehr und Reinigung entscheidend sind. Der Kniefall am Jom Kippur erinnert und repräsentiert dann nicht primär den Sühneritus des Tempels (und die Sinaiszene): Er geschieht im und vor dem Namen über allen Namen. Das Stehen und Knien vor dem Richter ist also nicht primär anamnetisches, sondern eschatologisches Zeichen. Die Frage des Opfers stellt sich dann übrigens neu.9

2. Ikonische Hoffnung Rosenzweig stellt die Avoda in den festzeitlichen Kontext der gewaltigen Tage Neujahr und Versöhnungstag. Sie sind der eschatologischen Richterschaft Gottes gewidmet. Diese bestimmte Festzeit entscheidet, worauf die liturgischen Zeichen Bezug nehmen. In diesen Tagen stehen die Einzelnen als Gemeinde vor dem Richter: An Neujahr wird das Urteil geschrieben, an Jom

8 Das Musterbeispiel einer solchen Beschreibung bietet H. Gese, Sühne, 104: „wir sehen [sc. im zentralen Jom-Kippur-Ritus] kultisch abgebildet die Sinaiszene: Die von der Offenbarungswolke verhüllte göttliche Doxa und der vor Gott erscheinende Repräsentant Israels." Rosenzweig pointiert hingegen, daß der zentrale Jom-Kippur-Ritus die eschatologische Theophanie des künftigen Richters des Menschen als Menschen exemplifiziert. ' Das Opfer wird für Rosenzweig zum messianischen Zeichen des restituierten Friedens zwischen Gott und Welt. In der zwischen liberalen und orthodoxen Gemeinden strittigen Frage des Gebets um Wiederherstellung des Tempelopfers (D. Ellensen, Opfer und Versöhnung) bietet Rosenzweigs Liturgik eine originäre Alternative (BT, 737-739): Die messianische Sichtbarkeit des Friedens zeige sich nicht nur in der Beseelung der Dinge, sondern auch in der restituierten Herrschaft über die Dinge. Das im restituierten Tempel wiederherzustellende Opfer bringe diese restituierte menschliche Herrschaft über die Dinge zum Ausdruck, nämlich ihre Beschränkung um des Friedens willen. Sinn der deuteronomistischen Kultzentralisation und Opferbeschränkung sei gewesen, die Menge der Opfer auf das durch Gott geordnete Opfer zurückzufuhren (BT, 980). Das beschränkte, nicht alles aufopfernde Opfer „setzt voraus einen geordneten Stand der Dinge", wie er erst im messianischen restituierten Tempel erneuert ist. „Wenn jüdisch geopfert werden darf, ist die Ordnung der Dinge wie Gott sie will, hergestellt. Sie wird nicht durch Opfer hergestellt. Sondern das Opfer ist das sichtbare Zeichen, daß sie hergestellt ist." (739) Zum Sühne-Begriff: B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen; I.U. Dalferth, Kategorie des Opfers, 173-194.

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Kippur versiegelt. Dieses Stehen vor Gericht begeht Unetanne Tokef, eines der zentralen Gebete des Neujahrsfeste, auf dem das Dies irae fußt: „Wir wollen die Größe der Heiligkeit des Tages schildern, er ist furchtbar und ernst ... In Wahrheit, du bist der Richter, der zurechtweist, der weiß und Zeuge ist, der schreibt, besiegelt, zählt und berechnet und alles Vergessenen gedenkt, du öffnest das Buch des Gedenkens ... Am Neujahrstage werden sie eingeschrieben und am Tage der Versöhnung besiegelt, wie viele dahinscheiden sollen und wie viele geboren werden, wer leben soll und wer sterben, wer zu seiner Zeit und wer vor seiner Zeit ... Doch Rückkehr, Gebet und Wohltun wenden das böse Verhängnis ab! Denn wie dein Name, so ist dein Ruhm, schwer zu erzürnen, leicht zu besänftigen, du willst nicht den Tod des Todesschuldigen, sondern daß er von seinem Wandel ablasse und lebe ... dein Name entspricht dir, und du entsprichst deinem Namen, und uns hast du nach deinem Namen benannt. Tue es um deines Namens willen und heilige deinen Namen über denen, die deinen Namen heiligen."10 Begehen diese Festtage Gericht, Umkehr und Hoffnung, so sind ihre Zeichen eschatologisch zu beschreiben. Entscheidend ist dann der in der Liturgie begangene Ubergang zur ikonischen Sichtbarkeit des unendlichen Namens, seiner inkommensurablen Gerechtigkeit, seiner Unendlichkeit. Den Übergang der Symbolsysteme beschreibend darzustellen und zu erlernen, meint: dicht beschreiben. Dafür bietet Rosenzweig eine Probe: (1) Stehen vor Gott: Im Schuldbekenntnis des Versöhnungstags (Widduj) stehen die Schuldigen vor dem Richter aufrecht. Aufrechtes Stehen vor dem Richter sei nicht Zeichen der Ehrfurcht, sondern jener genuinen kreatürlichen Würde, zu welcher der Mensch erst in der Hoffnung findet.11 Im messianischen Volk stehe am Versöhnungstag der Mensch als solcher vor dem Richter: „die Wir sind an diesem Tage nicht die Wir des geschichtlichen Volks ... Sondern an diesen Tagen steht der Einzelne unmittelbar in seiner nackten Einzelheit vor Gott, in der Sünde des Menschen schlechtweg; nur diese menschliche Sünde wird in der erschütternden Aufzählung der Sünden, ,die wir gesündigt haben', genannt" (S, 360f). Das Sündenbekenntnis {Widduj) umfaßt daher nicht Verstöße gegen kultische oder rituelle Gebote, die nur Israel kennt. Bekannt wird die „Sünde des Menschen schlechtweg" (S, 361).12 Diese eschatologische Beschreibung des Stehens am Versöhnungstag wird sorgfältig vorbereitet.13 10 Machsor Neujahrsfest A, Mussaf, 107-109; dazu Trepp, 121.287f. „Trotz der erschauernden Ehrfurcht und dem Fasten sind diese Tage Festtage, die mit tiefer Seelenfreude erfüllt sind." (Trepp, 110). 11 Diese Beschreibung bereitet sich bei H. Cohen, RV, 256f, vor. 12 Vgl. H. Cohen RV, 256. Auch darin unterscheidet sich das Sündenbekenntnis des Versöhnungstages vom dreifachen hohenpriesterlichen Sündenbekenntnis im Tempel, das gerade die kultische Verunreinigung bekannte. 13 J. Taubes, Politische Theologie, 52, verkennt den eschatologischen Sinn. Zum .Stehen vor Gott im Geist* als eschatologisches Zeichen: G. Sauter, Einführung, 211f.

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(2) Kol Nidre: Dazu wird zunächst die umstrittenste Sequenz der gesamten Versöhnungstagsliturgie neu beschrieben: die Eingangssequenz Kol Nidre. Sie besteht aus der dreifachen Einladung an die, Übertreter' und der dreimal wiederholten Formel Kol Nidre. Kol Nidre gab dem Vorabendgebet des Versöhnungstages seinen Namen: Der Rabbiner und zwei Gemeindeälteste deklarieren als Gerichtshof die Aufhebung des synagogalen Bannes für die Dauer des Versöhnungstages: „Mit Autorität des Gerichtshofes in der Höhe und der Autorität dieses Gerichtshofes hier unten, mit Zustimmung des Allgegenwärtigen und mit Zustimmung der Gemeinde, erlauben wir, mit den Übertretern zu beten".14 Der Vorbeter singt (während die Gemeinde leise Wort für Wort wiederholt): »Alle Gelübde, Verbote, Bannsprüche, Umschreibungen und Nebenbezeichnungen derselben, Strafen und Schwüre, die wir geloben, schwören, als Bann aussprechen, uns als Verbot auferlegen von diesem Versöhnungstage an bis zum heilbringend herankommenden nächsten Versöhnungstage. Alle bereue ich, alle seien aufgelöst, erlassen, aufgehoben, ungültig und vernichtet, ohne Rechtskraft und ohne Bestand. Unsere Gelübde seien keine Gelübde, unsere Schwüre keine Schwüre." - „Verziehen werde der ganzen Gemeinde der Kinder Israel und dem Fremden, der in ihrer Mitte weilt, denn vom ganzen Volke geschah es aus Unwissenheit [schegagay."1* Rosenzweig kommentiert diesen forensischen Akt so: „,Mit den Sündern' ist sich Israel bewußt zu beten. Und das heißt ...: als Ganzes der Menschheit ,mit' einem Jeden. Denn Jeder ist ein Sünder. Mag die Seele von Gott dem Menschen rein gegeben sein, so ist sie nun hineingerissen in den Streit der beiden Triebe seines zwiegespaltenen Herzens. Und mag er in immer neu gesammeltem Willen mit Vorsatz und Gelübde immer neu das Werk der Einigung und Reinigung des zwiespältigen Herzens beginnen, - an der Scheide zweier Jahre, die die Ewigkeit bedeutet, wird ihm aller Vorsatz zu nichte, alle Weihe entweiht; alles gottzugekehrte Gelübde zerbricht, und was Sein wissendes Kind begann, das wird dem wähnenden - vergeben." (S, 361)16 Singular ist Kol Nidre, weil das Wähnen des Herzens (Wähnen übersetzt hier den Terminus schegaga), seine innere Lüge bekennt. Dies ist der Sinn der prospektiven Lösung von Gelübden, Verboten, Bannsprüchen, Strafen und Schwüren, die dem guten Willen entspringen. Der gute Wille wird zum Wähnen erklärt. Die

14 Übersetzung nach Trepp, 128; vgl. Machsor Versöhnungsabend, 17. Historische Erklärungen (z.B. Lau, 190f) überzeugen nicht. Zur Interpretation: J. Taubes, Politische Theologie, 48f; Art. Kol Nidre, in: EJ 10 (1971) 1166-1169. 15 Machsor Versöhnungsabend, 17. Es gilt die Regel: Wenn etwas dreimal wiederholt wird, ist es kein Gebet, sondern eine forensische Formel. Zur umstrittenen Herkunft und zu Uberlieferungsvarianten: Lau, 190f; Trepp, 128f; Elbogen, 153f, J. Taubes, 49f. Von Bedeutung für die Rezeption von Kol Nidre (gegen den Widerspruch des Rabbinats) ist die besondere Kantillation. 16 Zum .Streit der beiden Triebe': § 9,3.

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Wirklichkeit innerer Lüge wird vor Gott anerkannt.17 Kol Nidre benennt die Dialektik jener Pflicht, die im ethischen Idealismus die erste ist: Die Pflicht zur Sich-Selbst-Durchsichtigkeit und Selbst-Richterschaft. Es benennt die Dialektik humaner Zurechnung und Hoffnung. Es anerkennt die Unfreiheit, Zeit und Stunde des Guten wahrzunehmen: „Precisely because the individual's errors have been errors in wish, Rosenzweig seems to say, rather than errors in deed, as Cohen ... maintains, the miracle of Divine redemption through regular prayer ist required for their forgiveness. It follows that t'shuvah or repentance for Rosenzweig becomes not so much a .return' to the infinite ethical demands of the world, as a .return' to the .acceptable' daily, weekly, monthly, and yearly prayers of the Jewish liturgy ... For Rosenzweig, the necessary purification of the human heart therefore requires above all the ongoing regulating of the human heart by means of liturgical prayer."18

Rückkehr zum täglichen, wöchentlichen, monatlichen, jährlichen Gebet ist Erneuerung des Urteilssinn und der Sinne (des Herzens). Das kultische Gebet ist Praxis erneuerter Wahrnehmung der Zeit zum Guten, Einübung ins ,wachsende' Reich. Insofern wird Erharren und Erwarten der Zeit der Liebe bei Rosenzweig (nicht: Wahrhaftigkeit, wie bei Cohen) zur Kardinaltugend des Gebets. Nur das Werk zu seiner Zeit beschleunigt das Kommen des Reiches. Doch Rosenzweigs dichte Beschreibung von Kol Nidre geht noch darüber hinaus: Innere Lüge wird beschrieben als Dialektik messianischen Hoffens aufgrund der Dichte des Namens.19 Sie manifestiert sich in der Versuchung des Gebets, das Kommen des Reiches von Gott zu erzwingen. In Kol Nidre wird daher die Grenze zwischen Erwählten und Ubergangenen - sie ist identisch mit der Grenze der messianischen Lebensform Gesetz - aufgehoben. Mit Kol Nidre wird am Beginn des Versöhnungstages die Reichweite des göttlichen Namens über diese Grenze hinaus begangen. Der Name reicht extensiv und intensiv weiter, er ist von dichterer Herrlichkeit als die Homologie des Namens. Die messianische Gemeinde stellt sich mit Kol Nidre unter diese Verheißung: Sie hebt für die Dauer des Versöhnungstags den synagogalen Bann auf!20 Für einen Tag lang - es ist der Gerichtstag! - wird die gültige Scheidung zwischen Gesetzestreuen und Exkommunizierten (so die herkömmliche Deutung), zwischen Erwählten und Ubergangenen (so Rosenzweigs Beschreibung) ausgesetzt: Gottes Gericht ist Forum und Rechtsgrund der Erlaubnis, mit den .Übertretern' zu beten.

Zur Aporie innerer Lüge: § 3.2. " So der jüdische Liturgiewissenschaftler Martin D. Yaffe, Liturgy and ethics, 226. 19 Vgl. § 14,2. 20 Diesen historischen Hintergrund der Einladung an die Übertreter bei Rabbi Me'ir von Rothenburg betonen: Trepp, 128f; Elbogen, 154. 17

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(3) Avoda und Alenu: Die Proskynese der Erwählten mit den Übergangenen vor dem sich gebenden Namen in der Avoda-Liturgie wird Ausdruck der Hoffnung über das jetzt schon Aussagbare hinaus: Der Richter, der über Benediktion und Malediktion des göttlichen Namens thront (Ps 22,2), reinigt in der Proskynese die Lippen. Die Proskynese gilt dem König und Richter und darin dem eschatologischen Namen jenseits der offenbaren Namen, der sich beim Schall des Schofar zeigt.21 Sie geschehe „im Schauen der unmittelbaren Gottesnähe, also in einem Zustand, der über die irdische Bedürftigkeit des Heute hinausgehoben ist" (S, 359). Die Bitte um das Kommen des Reiches schweige an diesem Tag und gehe über in die Proskynese: Die Gemeinde „ergreift schon in der Gegenwart, im vollen Bewußtsein, daß die eigne Gemeinde noch nicht der Eine Bund alles Geschaffnen ist, den Augenblick der ewigen Erlösung: und was die Gemeinde sonst im Jahre nur sagt, hier tut sies: sie fällt aufs Angesicht vor dem König aller Könige." (S, 360) Der Kniefall begeht jene ikonische Hoffnung, die im zentralen Eröffnungsgebet Alenu zuvor angekündigt wird:22 „[Der Vorbeter stimmt an:] An uns ist, zu preisen den Herrn des Alls, dem Schöpfer alles Anbeginns Größe zu bringen. Denn er macht uns nicht gleich den Sippen der Erde ... [Die Gemeinde fällt auf die Knie, verbeugt sich und spricht mit] ... wir knien nieder und beugen uns vor dem König der Könige aller Könige, dem Heiligen, gesegnet sei er, [Der Vorbeter wiederholt die Worte, kniet nieder und verbeugt sich. Er fährt fort:] Er wölbt den Himmel und gründet die Erde, der Sitz seiner Ehre ist im Himmel oben und die Stätte seiner Macht in den höchsten Höhen. Er ist unser Gott, keiner sonst, in Wahrheit unser König, keiner außer ihm ... Darum hoffen wir auf Dich, Du, unser Gott, bald die Herrlichkeit Deiner Macht zu schauen, wenn die Greuel von der Erde verschwinden und die Götzen vertilgt werden unter der Herrschaft des Allmächtigen und alle Menschen Deinen Namen anrufen. Wenn Du alle Frevler der Welt sich Dir zu wenden läßt und alle Bewohner des Weltalls erkennen und wissen werden, daß jedes Knie sich Dir beugen und jede Zunge Dir Treue schwören muß Qes 45,23]. Vor Dir, Du, unser Gott, knien sie und werfen sich nieder und der Majestät Deines Namens bringen sie Ehre dar, wenn sie alle Dein Reich auf sich nehmen und Du allein über sie regieren wirst, bald und für immer und ewig ... wie es heißt: ER wird werden zum König über alles Erdland. An jenem Tag wird ER der Einzige sein und Sein Name der einzige [Sach 14,9]"23.

21 So die zentralen liturgischen Sequenzen des Neujahrsfestes: Malchijjot, Sichronot und Schofarot (Machsor Neujahrsfest A, 93-98.118-137; dazu: Trepp, 122-125). 22 Am Neujahrstag hat die Rezitation von Alenu ihren ursprünglichen Ort: Es leitet die Malchijjot, Sichronot und Schofarot ein, welche die Königsherrschaft Gottes preisen. Von hier aus gelangte es in die Avoda-Liturgie des Versöhnungstages. Zur Stellung von Alenu am Schluß des täglichen Gottesdienstes: Sidur, 65.93.118f; vgl. Trepp, 139.122. 23 Machsor Neujahrsfest A, 93f, modifiziert nach Trepp, 50f.l22. Machsor Versöhnungstag, 199.

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Bilden Kol Nidre, Widduj und Alenu das Syntagma der Avoda und ihrer Proskynese, so läßt sich zusammenfassen: - im paradoxen Geständnis innerer Lüge; - in der paradoxen Aussetzung exklusiver Erwählung durch Erwählte; - in der paradoxen Homologie mit unreiner Lippe zeigt sich die Herrlichkeit des Namens in der Proskynese, um durch sich zu heiligen, zu reinigen und zu erlösen. Der Name .legt sich auf', nimmt in Besitz. Die Paradoxie der Gebete, auf's Äußerste zugespitzt, wird im Kniefall zum absoluten Ubergang. Der Kniefall wird zum ikonischen Namenszeichen; er drückt Frieden aus. „Daher kommt es, daß das Höchste der Liturgie nicht das gemeinsame Wort ist, sondern die gemeinsame Gebärde ... In der liturgischen Gebärde allein ist die .geläuterte Lippe' vorweggenommen ... Unglaube und Glaube vereinen ihr Gebet" (S, 329). (4) ,Das Kleid der Gerechtigkeit': Steht der Einsame im Schuldbekenntnis .unmittelbar in seiner nackten Einzelheit vor Gott', so wird er durch den Namen, den Schöpfer, Offenbarer, Erlöser, gereinigt und .bekleidet'. .Der Name' gibt sich, um zu verhüllen, damit der Mensch im Namen niederfallen kann, ohne vor dem Namen zu vergehen. Kleidung ist Metapher für Kultfähigkeit, die göttlich gewährt wird, Nacktheit biblische Metapher für Schande, die Gottes Angesicht nicht erträgt.24 Kleidung ist Ausdruck von Gerechtigkeit: „Ein vollkommen sichtbares Zeichen stellt diesen Grundton der gewaltigen Tage, daß sie das Ewige für den Einzelnen unmittelbar in die Zeit hineinrücken, für ihre ganze Dauer fest" (S, 361): das Kleid am Versöhnungstag. Das weiße Gewand des Versöhnungstages bezeichnet die sühnende, sich mitteilende göttliche Gerechtigkeit, die allein erlaubt, im Namen niederzuknieen. Es bezeichnet die Ökonomie Gottes als Grund der Gerechtigkeit, die sich an die Sünder mitteilt: „Der Beter kleidet sich an diesen Tagen in sein Sterbekleid." (S, 361)25 Als leibliches Sterbekleid bezeichnet das liturgische Gewand der Feiernden ihre sterbliche Geschöpflichkeit.26 Als Hochzeitskleid, das der Mann erstmals vollständig an seinem Hochzeitstag unter

H. Seebass, Genesis I. 130 zu Gen 3,21; vgl. 2Kor 5,1-10. Der weiße Kittel ist und war, insbesondere in Deutschland (I. Elbogen, 500), das traditionelle Kleid des Versöhnungstags. Er trug den mittelhochdeutsch-jiddischen Namen,Sargenes': .Sargkleidung'. Als biblische Referenz gilt im zeitgenössischen Judentum, das den Brauch weißer Kleidung am Versöhnungstag weiterhin pflegt, u.a. Jes 1,18: „Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee". 26 Als Zeichen der Geschöpflichkeit werden Teile des Gewandes zu jedem Gottesdienst und an jedem Sabbat getragen (gemeint ist der große und kleine Tallit, der als Untergewand täglich und sabbatlich getragen wird, auch am Versöhnungstag, Lau, 19f). 24

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dem Brauthimmel trägt27, bezeichnet es zugleich Beseelung durch die Liebe, die stark ist wie der Tod. Als Sterbekleid der Seele bezeichnet es schließlich am Versöhnungstag das Stehen vor Gott: „wie in diesem [sc. Sterbekleid] der Mensch einst, wenn man es ihm anziehen wird, allein ist, so ist ers auch im Gebet dieser Tage. Auch sie stellen ihn in nackter Einsamkeit unmittelbar vor Gottes Thron ... Nun ist er reif zum Bekennen der eignen Schuld vor Gott in immer neuen Wiederholungen. Es gibt ja keine Schuld vor Menschen mehr." (S, 363) Doch steht die Seele ,nackt und einsam' vor Gott? Die Antwort ist das Zeichen des weißen Gewandes, sofern es nicht nur das Reifsein zum Gericht, sondern die .Uberkleidung mit dem himmlischen Haus' anzeigt (2Kor 5,2)! „Und solch gemeinsam-einsamem Flehen einer Menschheit in Sterbekleidern, einer Menschheit jenseits des Grabes, einer Menschheit von Seelen, neigt sein Antlitz der Gott, der den Menschen liebt vor seiner Sünde wie nachher ..., der barmherzig ist und gnädig, langmütig, voll unverdienter Huld und voll Treue, der seine Liebe aufbewahrt dem zweimaltausendsten Geschlecht und vergibt Bosheit und Trotz und Schuld und begnadigt den, der umkehrt. Also daß der Mensch, dem so das göttliche Antlitz sich neigte, aufjubelt in dem Bekenntnis: Er, dieser Gott der Liebe, er allein ist Gott" (S, 363f).

„Und wie die Offenbarung, indem sie etwas in der Schöpfung erweckt, was stark ist wie der Tod, diesem und mit ihm der ganzen Schöpfung ihre Neuschöpfung, die Seele, im Leben selber das Überirdische, entgegenstellt, so trägt der Bräutigam unterm Trauhimmel das Sterbekleid als Hochzeitskleid und sagt dem Tode, in dem Augenblick da er ganz eingeht in das ewige Volk [sc. durch Ehe und Zeugung], Kampf an, - stark wie er." (S, 362) Als Zeichen der Offenbarung wird das liturgische Gewand auch am Passahabend getragen. 27

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Zusammenfassung: Ikonische Zeichen des Namens und Sakramente „Daß vor Gott sich beuge jegliches Knie, bleibt die wahre Form, unter der die Erlösung gefeiert wird." (S, 41 lf) Der Name legt sich auf die anbetende Gemeinde und nimmt sie zu Besitz, .überkleidet' sie mit Gerechtigkeit; der Augenblick der Proskynese ist Ausdruck des Friedens. Die Proskynese in der Dichte ihres Bezugs (der Körper- und Gewandcode; die Zeit- und Raumsymbolik: Tempel und Sinai, Richtspruch und Versiegelung; die Sprachbewegungen von Kol nidre, Widduj, Avoda und Alenu) bringt die Dichte des Namens sichtbar zum Ausdruck. Es war Ziel der Interpretation, den Stern der Erlösung als Programmschrift katechetischer Theologie des Namens darzustellen, die folgerichtig zum Programm dichter eschatologischer Beschreibung der Hoffnungserfahrung in ikonischen Zeichen wird. Entscheidend für diesen Versuch ist die kategoriale Unterscheidung zwischen anamnetisch-repräsentativen und eschatologischexemplifizierenden, metaphorischen Ausdruckszeichen. Rosenzweig hat, ohne diese semiotischen Unterscheidungen zu verwenden, eine klare Intuition von den verschiedenen Bezugssystemen und den verschiedenen Bezugnahmeweisen kultischer Zeichen. Das zeigt seine Beschreibung eschatologischer Zeichen: Hoffnung „müßte lernen, frei zu werden von der Vorstellung der schon in der Welt vorhandenen Gestalt, und selber Gestalt hinstellen: sie müßte Gebärde werden. Denn die Gebärde allein ist jenseits von Tat und Rede; nicht die Gebärde freilich, die etwas sagen will... und auch nicht die Gebärde, die ein Tun des andern hervorlocken will; ... sondern die Gebärde, die ganz frei, ganz schöpferisch geworden ist und nicht mehr auf dieses oder jenes, auf diesen oder jenen geht; die Gebärde, die den Menschen ganz zum Sein, zu seiner Mensch-heit und damit zur Menschheit vollendet." (S, 413) Selbstbezügliche Bewegungen des Tanzes, die keine konventionellen Handlungsmuster darstellen, sondern noch ungesehene und unbeschriebene Rhythmen und dynamische Figuren exemplifizieren, sind Paradigma solcher Zeichen.28 „Diese Bewegungen so aufzufassen, als illustrierten sie wortsprachliche Beschreibungen, wäre natürlich absurd; die treffende Formulierung läßt sich nur selten finden. Eher ist das Etikett, das durch eine Bewegung exemplifiziert wird, wohl diese selbst; eine solche Bewegung, die keine vorgängige Denotation hat, übernimmt die Aufgaben eines Etiketts, das bestimmte Handlungen einschließlich seiner selbst denotiert. Hier wie häufig auch anderswo in den Künsten entwickelt sich das Vokabular zusammen mit dem, zu dessen Vermittlung es gebraucht wird."29

21 „... der Tanz und alles was sich aus ihm entwickelt, alle jene Selbstdarstellungen, bei denen es keinen Zuschauer gibt oder von rechtswegen geben dürfte" (S, 414). 29 N. Goodman, Sprachen, 70.

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Versuche, der Liturgie durch Dauerkreation neuer Zeichen und Gebärden auf die Sprünge zu verhelfen, gründen demnach in einem Mißverständnis. Entscheidend ist, .eingesetzte' Zeichen in ihrer unauslotbaren Dichte zu beschreiben. Die Unendlichkeit des trinitarischen Namens im christlichen Gottesdienst als ikonische Dichte neu zu sehen und neu zu beschreiben, setzt begriffliche Arbeit voraus, die jedoch von der unerschöpflichen Belebung neuen Sehens inspiriert ist. Das Vokabular der Beschreibung entwickelt sich mit dem, zu dessen Vermittlung es gebraucht wird. Darin besteht zu nicht geringen Teilen theologische Innovation aus dem Gottesdienst heraus. In der vorstehenden Untersuchung wurde gezeigt, wie sich im Stern der Erlösung solche neue Formen der Darstellung herausbilden: Das erneute Erlernen gottesdienstlicher Sprachhandlungen führt zur Grammatik und Logik des Namens und der Namen. Das erneute Erlernen der messianischen Lebensform Gesetz führt zur ethischen Beschreibung des Gesetzes und des Handelns nach der Tora. Die dialogische Bewährung der Geltung und Reichweite des Namens führt zum Ubergang von der apologetischen Konstruktion zur dichten, eschatologischen Beschreibung ikonischer Zeichen der Liturgie. Gerade weil sich in ikonischen Zeichen die extensive und intensive Reichweite des göttlichen Namens, die Dichte seiner Herrlichkeit, zeigt, erschöpft dieser reiche und komplexe Gewinn neuer und semantisch dichterer Kategorien solche Zeichen keineswegs! Im Gegenteil: Je präziser die semantische Struktur der Beschreibung ist, um so klarer zeigt sich die Unauslotbarkeit durch diskursive Beschreibung. Das Sehen, welche Eigenschaften ein ikonisches Zeichen exemplifiziert oder zum Ausdruck bringt, kann „mit der Verwendung eines skalenlosen Meßgerätes" verglichen werden; das Sagen der exemplifizierten Eigenschaften ist dann „eine Frage des Einpassens der richtigen Wörter aus einer syntaktisch unbegrenzten und semantisch dichten Sprache ... Sagen, was ein Bild exemplifiziert, ist wie Messen ohne Angabe von Toleranzbereichen."30 Je semantisch präziser die gefundene Beschreibung wird, um so klarer zeigt sich, daß die Dichte des Zeichens mit dem ,Meßgerät' theologischer Sprache zwar immer genauer, aber nicht definitiv zu messen ist. Die Aufgabe eschatologisch dichter Beschreibung ist also unabschließbar. Sakramente als ikonische Zeichen des Geheimnisses des göttlichen Namens begründen Theologie als Grammatik und dichte Beschreibung. Zusammenfassend läßt sich jetzt über Geheimnis und Sakrament, ihren metatheoretischen Status und ihre Vermittlungsdialektik, sagen:,Sakrament' fungiert als semiotischer Term, der kultische und nicht-kultische Zeichen als ikonische Zeichen bestimmt und ihre dichte Beschreibung regelt. .Geheimnis' fungiert als logischer Term31, der die innere Grenze ausweisbarer, dialogisch entscheidbarer VerwendunN. Goodman, Sprachen, 217. Zum Paradigma des Messens: § 4,5. Vgl. § 10,3. Präziser: .Geheimnis' fungiert in der Grammatik und Logik des Namens wie ein logischer Abstraktor, der die Verwendung von wahr und falsch regelt. 30 31

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gen sprachlicher Zeichen des göttlichen Namens formuliert und darin die genuine Wahrheit und Gerechtigkeit des göttlichen Namens, seine Unendlichkeit, beschreibt. Das ,Geheimnis des göttlichen Namens' begründet darüberhinaus, warum Theologie die Form katechetischer Theologie annimmt, also die Form einer Einführung in gottesdienstliche Zeichen, d.h. in den Übergang von grammatischen zu ikonischen Zeichen des Namens: Die Unendlichkeit des Namens, sein Geheimnis, exemplifiziert sich in der Dichte ikonischer Zeichen, in Sakramenten. Der Übergang zu einem doxologischen Reden, das sich der Verfügbarkeit entzieht, gerade darin aber ,den Namen' ausdrückt, wird paradigmatisch im Kult begangen und erlernt. Dies begründet die Irreduzibilität kultischer Zeichen in jeder Theologie, die mit dem göttlichen Namen beginnt, erfordert aber zugleich Arbeit an der kritischen Theorie des Kultes. Das prägt den Charakter katechetischer Theologie. Die Rede vom Geheimnis des Namens, verstanden als theologische Struktur32, formuliert die Unableitbarkeit dieses Übergangs, die Unverfügbarkeit dichter Erfahrung und die konstitutive Dialogizität ihrer Beschreibung. Das Erlernen des Lernens, die katechetische Theologie, kann enden, wenn Lernen in seiner Unableitbarkeit, Unverfügbarkeit und Unabschließbarkeit und in seiner Dialogizität erlernt ist. Die Beschreibung des Gottesdienstes wird bestenfalls semantisch präziser, dichter; der Gottesdienst selbst aber kann zur,dichten Erfahrung' werden. In ikonischen Zeichen besitzt die kultische Gemeinde die Unendlichkeit des Namens als Dichte, metaphorisch, nicht buchstäblich, aber tatsächlich.33 Nicht zufällig schreibt Rosenzweig .Eigenschaften' des göttlichen Namens und Angesichts der gottesdienstlichen Geste selbst als metaphorischen Besitz zu: -

Die Proskynese besitzt als endliches Zeichen die räumliche Inkommensurabilität des Namens, zugleich aber die unerschöpfliche Individualität des Raums, in der körperliche Personen sind: „Jene letzte ganz allmenschheitliche Gebärde des Kniefalls an unsern Erlösungsfesten ... sprengt jeglichen Raum, wie sie alle Zeit vertilgt. Im Talmud wird unter den Wundern des Heiligtums in Jerusalem auch dies genannt, daß die im geschlossnen Vorhof versammelte Menge so dicht bei dicht drängte, daß kein Plätzchen mehr frei war; aber im Augenblick, wo die Stehenden aufs Angesicht fielen, war noch unendlich viel Platz." (S, 414, vgl. Abot V, 8)

32 Zum wissenschaftstheoretischen Begriff der theoretischen Struktur, durchgeführt am Beispiel der christlichen Trinitätslehre: E. Maurer, Der lebendige Gott, 226-229. 33 N. Goodman, Sprachen, 233: „Eine Erfahrung ist insofern exemplifizierend, als sie es mit Eigenschaften zu tun hat, die durch ein Symbol exemplifiziert oder zum Ausdruck gebracht werden - also mit besessenen oder vorgezeigten Eigenschaften und nicht bloß mit Dingen, die das Symbol denotiert."

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Die Proskynese besitzt als Segensgruß des göttlichen Angesichts die dialogische Unendlichkeit des Angesichts, zugleich aber die unerschöpfliche Individualität der Zeit; die Zeit des Anderen ist dann der Andere, seine und meine Zeit sind nicht vergleichbar. Aber in der dialogischen Unendlichkeit des Angesichts ist die Negation der individuellen Unmittelbarkeit ertragbar. Das wäre der Zustand einer Gerechtigkeit, die allem .seine' Zeit zuteilt, ohne zu vergleichen. Sie bestünde in der absoluten Inkommensurabilität und damit auch in der Unerschöpflichkeit der Zeit, die wir je haben und auch sind34: „Das gemeinsame Knien vor dem Herrn der Dinge in aller Welt und der Geister in allem Fleisch öffnet der Gemeinschaft35, und freilich nur ihr und den Einzelnen nur in ihr, den Heraustritt in die Allgemeinschaft, wo jeder jeden kennt und ohne Wort ihn grüßt - von Angesicht zu Angesicht." (S, 359)3' Die Proskynese besitzt die logische Unendlichkeit des Namens, zugleich aber die kontradiktorische Unvereinbarkeit der Homologien der göttlichen Namen. In der jüdischen oder christlichen Homologie des Namens, und darin: im einsamen Dialog der Seele mit Gott kommt das ganze Volk Gottes zur Ruhe. Dieser „Gruß Aller an Alle [ist] erst die höchste Gemeinschaft, das Schweigen, das nicht mehr gestört werden kann." (S, 357)

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Diskursive Beschreibung des metaphorischen Ausdrucks ikonischer Zeichen nötigt zur Präzision der semantischen Struktur der Begriffe. Diese semantische Struktur bestimmt die antinomische Dialektik der Beschreibung, ihre genuine Lebendigkeit und unauslotbare Dichte: -

Inkommensurabilität des kultischen Raums und unerschöpfliche Individualität körperlicher Personen sind zugleich zu beschreiben; dialogische Unendlichkeit der Zeit und unerschöpfliche Individualität dialogischen Personseins im Gruß sind zugleich zu beschreiben; Unendlichkeit des Namens und Unvereinbarkeit der Namenshomologien sind zugleich zu beschreiben.

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Rosenzweig stößt daher nicht zufällig auf eine genuine Version der Unterscheidung eines localiter, diffinitive und repletive esse des Namens, der auf Vgl. § 3,4 Schluß. Die in Hörweite der Tora versammelte, im generationenübergreifenden Erlernen der Tora vermittelte Gemeinschaft. 36 Rosenzweig unterscheidet den messianischen Gruß am Ende des Passahmahls vom eschatologischen Gruß des Versöhnungstags: „Geht man jetzt [sc. nach dem Passahmahl] auseinander, so ist man nicht mehr unbekannt. Man grüßt sich, wenn man sich begegnet. Der Gruß ist dies höchste Zeichen des Schweigens: man schweigt, weil man einander kennt." (S, 357) Dieser Gruß bleibt aber gebunden an die messianische Hoffnung des Wiederaufbaus Jerusalems. Er ist noch nicht der Gruß aller an alle. Erst „dieser Gruß Aller an Alle" ist „die höchste Gemeinschaft, das Schweigen, das nicht mehr gestört werden kann." (S, 357) 34

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der Kultgemeinde liegt, sie in Besitz nimmt und ihr metaphorisch seine Eigenschaften mitteilt. Diese Mitteilung vollzieht sich nicht in Entsprechungen, sondern in gleichursprünglichen Gegensätzen, die nicht aufeinander abzubilden sind. In dieser strukturierten Antinomie und Inkongruenz bestimmen sie sich aber so, daß darin das unableitbare Ereignis dichter Erfahrung wirklich und beschreibbar wird: -

Die talmudische Legende aus Pirke Abot V,8 beschreibt, so gesehen, daß die Festteilnehmer, die den Tempelvorhof bzw. die Synagoge localiter, als körperliche Personen, ausfüllen, ihn aber als Gemeinde in der Proskynese zugleich diffinitive ausfüllen. Der Tempel und sein Vorhof, als Wohnort des präsenten Namens, ist von inkommensurabler Räumlichkeit. Der personalisierte Raum des Namens, in dem der Name ganz gegenwärtig ist, begründet körperliche Verräumlichung der Personen als Gemeinde des Namens, so daß ihr „co(e)rper nicht greifflich an eim ort ist/ vnd sich nicht abmisset nach dem räum des orts/ da es ist/ sonder kan etwa [einmal] viel raums/ etwa wenig raums einnemen"37. Die Beschreibung der Proskynese als Friedensgruß aller an alle, der Lebenden an die Toten und Kommenden, der Erwählten an die Ubergangenen impliziert, daß sich im Gruß die Ewigkeit und Wahrheit des Namens ausdrückt, ,der da ist, da war und kommt', der .tötet und belebt', und der „an allen o(e)rten ist vnd alle o(e)rte fullet/vnd doch von keinem ort abgemessen vnd begriffen wird nach dem räum des orts/da es [bzw. er] ist."38

-

Die Analogie zu Luthers Beschreibungsformen eines localiter, diffinitive und repletive esse göttlicher Präsenz im Sakrament ist insofern und insoweit nicht zufällig, als in Luthers Sakramentslehre die Struktur der Synekdoche, also eine bestimmte Struktur metaphorischer Übertragung, die Beschreibung des Sakramentsgeschehens regiert.39 Die Person Jesu Christi im Abendmahl wird als ,Leib' Christi dreifach beschrieben: als real präsenter .leiblicher Name', als ikonisches Zeichen des ,leibs brots' und ,Blutswein'40 im Element und als ,Geistleib' der Gemeinde, in welchem die unerschöpfliche Individualität der Person in Glaube, Liebe und Kreuz41 dicht erfahren wird. Die Unterscheidung des localiter, diffinitive und repletive esse Jesu Christi' als des leiblichen Namens Gottes und die beschriebene Kommunikation seiner Eigenschaften haben keinen ontologischen Status, sofern mit Ontologie Theorie der einen Wirklichkeit gemeint sein sollte, sondern semiotischen Status. Sie fungieren als semantische Struktur, durch welche die metaphorisch real, aber nicht

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M. " M. 39 M. 40 M. 41 M.

Luther, Luther, Luther, Luther, Luther,

Vom Vom Vom Vom Vom

Abendmahl Abendmahl Abendmahl Abendmahl Abendmahl

Christi. Christi. Christi. Christi. Christi.

Bekenntnis, Bekenntnis, Bekenntnis, Bekenntnis, Bekenntnis,

StA StA StA StA StA

4, 4, 4, 4, 4,

88,14-89,1. 89,28-30. 85,5-15; 185,1-186,27. 186,21.24. 153,20.

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buchstäblich besessenen Eigenschaften der Person Jesu im ,Leibsbrot' und im ,Blutswein' im gottesdienstlichen Augenblick, in dem sich der leibliche Name in den Elementen auf die Gemeinde legt, beschrieben werden können. Auch hier herrscht nicht Analogie als Repräsentation zwischen realer Präsenz Jesu, Elementen und dem Geistleib der Gemeinde, wie es der Begriff realsymbolischer Handlungen der Gemeinde suggeriert. Vielmehr ist die Relation von Personpräsenz und Realpräsenz (als res-Präsenz) oder die Relation von Realpräsenz (als res-Präsenz) und Gemeindehandeln von strukturierter Antinomik und Inkongruenz der Relata bestimmt. Sie beschreibt präzise das unableitbare Ereignis dichter Erfahrung im metaphorischen Ausdruck des Einen durch das Andere. Die Pluralität des ,Leibes Christi' ist so relationsontologisch zu beschreiben.42 Der Sprachgewinn dichter Beschreibung ist das eigentliche Erlernen des Geheimnisses Jesu Christi' im Sakrament. Solches Erlernen wirkt auf bereits gewonnene grammatisch-namenslogische Unterscheidungen zurück. Die Wechselwirkung von Wort und Sakrament und die gegenseitige Übertragung struktureller Eigenschaften dieser Symbolsysteme ist ein grundlegender und wichtiger Aspekt des Lernens.43 Die Suche nach dichten Beschreibungen des Gottesdienstes, seiner namenslogischen und ikonischen Zeichen, kann dann zu einer Quelle der Innovation werden, z.B. in der Lehre von Jesus Christus, von der Kirche, von den Sakramenten oder vom Menschen als Person-im-Geist. Sie begründet zugleich den dialogisch-eschatologischen Charakter dieser Lehrstücke: Im selben Maße, in dem wir Sakramente als sichtbare Verheißung des Namens verstehen lernen, lernen wir die Homologie des HERRN Jesus Christus, die eucharistische Benediktion und die Doxologie des trinitarischen Namens als hörbares und sagbares Geheimnis verstehen.

42 Proben einer dichten Beschreibung des Sakramentsgeschehens gibt E. Maurer, Der Mensch im Geist, 269-276, ausgehend von Luther-Texten. 43 N. Goodman, Sprachen, 239: „Musik kann nicht nur die Wahrnehmung anderer Töne beeinflussen, sondern auch die Wahrnehmung der Rhythmen und Strukturen dessen, was wir sehen."

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Schluß

Leiblicher Name - Gebet im Geist Zur evangelischen Lehre vom Sakrament* Die semiotische Struktur, die sich im Begriff .Sakrament' zusammenfaßt, entfaltete sich zur Dialektik grammatischer und ikonischer Zeichen und zur Aufgabe ihrer dichten Beschreibung. Die namenstheologische Struktur, die sich im Begriff ,Geheimnis' zusammenfaßt, entfaltete sich zur Dialektik der endlichen göttlichen Namen, des unendlichen göttlichen Namens und zur Aufgabe katechetischer Einführung in die unverfügbare, unableitbare und unabschließbare Anbetung des unendlichen Namens im endlichen Namen Gottes. Die Untersuchung schließt, indem sie von der semiotischen und namenstheologischen Grundlegung aus den weiteren Weg zu einer evangelischen Lehre vom Sakrament skizziert.1 Diese Skizze beschreibt exemplarisch. Sie stellt am Beispiel dar. Sie umreißt Grundzüge einer christologisch-namenstheologischen und pneumatologischeschatologischen Lehre vom Sakrament am Beispiel Abendmahl. Und sie wird - im Gegenüber zur Namenstheologie Hermann Cohens und Franz Rosenzweigs - die Dialektik von endlichen Namen und unendlichem Namen trinitarisch formulieren. Evangelische Abendmahlslehre wird heute von außen und von innen kritisiert. Zwei Einwände nehme ich in den ersten beiden Abschnitten auf. Gerade diese Kritik wird jedoch die Konzentration auf das .leibliche, äußere Wort' im Abendmahl vertiefen. Das .leibliche, äußere Wort'2 bleibt der Anfang evangelischer Abendmahlslehre. Ich werde aber pointieren: Im Abendmahl ist Jesus Christus' als leiblicher Name Gottes gegenwärtig. Den Grund des Abendmahls namenstheologisch zu vertiefen, ist die christologische Aufgabe heutiger Abendmahlslehre. Auf dieser Grundlage beschreibe ich sodann die Abendmahlsfeier als Gebets- und Zeichenhandeln der Gemeinde. In der ökumenischen Diskussion wird das Abendmahl als Eucharistie verstanden: * Dem Schluß liegt ein überarbeiteter Vortrag vom 12. Mai 2000 zugrunde, gehalten vor der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Münster. Anmerkungen und Verweise auf die Gesamtuntersuchung sind nachträglich hinzugefügt. 1 Dieser Skizze wird in erwartbarer Frist ein Lehrbuch zur Sakramentstheologie folgen, das in der Reihe Theologische Bücherei publiziert wird. 2 Confessio Augustana, Art. 5, BSLK 58,12f, deutsche und lateinische Fassung. 361

Dank an den Vater im Gedächtnis des Sohnes und im Herabrufen des Geistes.3 Ich werde aber diesen Zugang kritisch modifizieren: Essen von Brot und Teilen des Kelchs sind im Gebetshandeln der Eucharistie intensivstes Gebet und extensivste Mitteilung des Todes Jesu - gerade weil die Gemeinde in diesen Zeichenhandlungen schweigt, ißt und trinkt. Ihr Stehen vor Gott wird sichtbares Wort. Diese Empfangshandlung ist einzigartig. Ich nenne sie Gebet im Geist. Sie neu zu beschreiben, ist die pneumatologische Aufgabe heutiger Abendmahls- und Sakramentslehre in ökumenischer Absicht. Dazu der dritte Abschnitt.

1. Leiblicher Name. Theo-logischer Anfang „Die höchste Form des Kultes wäre das richtig verstandene und geführte Leben selbst ... Daher ist in den religiösen Dingen das richtige Schweigen über sie immer die höhere Form gegenüber der besonderen religiösen Rede und Praxis."4 Diese Sätze des Frankfurter Philosophen Friedrich Kambartel formulieren eine sehr klare Kritik am Abendmahl als religiöser Praxis. Religiöse Praxis, also auch das Abendmahl, ist nur in den Grenzen humaner Vernunftkultur bedeutungsvoll und wahr. Diese Haltung nenne ich rationale Mystik. Kambartel mißt der Religion einen ausweisbaren lebensweltlichen Ort zu: Religion sei Einstellung zum Mysterium des Lebens im Ganzen. Der Trost der Religion sei das widerfahrende gute Leben selbst. Haben wir dieses Leben unverstellt gesehen, dann können wir beruhigt sterben. Es gibt über das Leben hinaus nichts Neues auf der Welt. Religiöse Praxis vergegenwärtigt dieses richtig verstandene, gute Leben. Sie bedarf dazu „keiner externen ... Stütze"5. Möchte sie mehr, möchte sie zum Beispiel eine externe .Gegenwart Gottes' vergegenwärtigen, so richtet sich dagegen das richtige, mystische Schweigen. Nun ist aber das Abendmahl eine religiöse Praxis, die über das Leben als ganzes hinausweist: Es behauptet die reale Gegenwart und Vergegenwärtigung Gottes im toten und erhöhten Jesus. Es verkündet Tod und Kommen Jesu. Es vergegenwärtigt dieses bestimmte Jenseits des Lebens als Geheimnis guten Lebens. Reale göttliche Präsenz im Tod Jesu, in menschlichen Zeichenhandlungen vergegenwärtigt? Gegen diese .Abgötterei' richtet sich logische Kritik und richtiges Schweigen. Evangelische Abendmahlslehre kann sich dieser Kritik stellen. Sie soll sich aber auch einer dialogischen Situation stellen, in der ihr kultisches und sakramentales Handeln von außen her kritisch beschrieben wird. Sie soll sich dem präzisen Verdacht der .Abgötterei' stellen, den rationale Mystagogie und jüdische Namenstheologie in nicht zu überhörender Klarheit an sie richten. 5 4 5

Methodisch beispielhaft ist die sog. Lima-Erklärung: Taufe, Eucharistie und Amt, 18-28. F. Kambartel, Welt, 102, vollständig dargestellt in § 6,2 und § 7. F. Kambartel, Welt, 100.

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In dieser dialogischen Situation beginnt die hier zu skizzierende Lehre vom Sakrament des Abendmahls mit dem Ersten Gebot als Axiom. Sie beginnt mit der Frage nach dem Ersten Gebot im kultischen und sakramentalen Handeln. Die Frage nach Präsenz und Heiligung des göttlichen Namens im Sakrament bildet den theo-logischen Anfang reformatorischer Abendmahlslehre. Deshalb konzentriert diese sich so hartnäckig auf die reale Präsenz des göttlichen Namens (a) in Tod und Erhöhung Jesu, (b) in Brot und Wein und (c) im Essen des Brots und Teilen des Kelchs.' In der dialogischen Situation pluraler Vernunftkultur ist dieser Anfang neu zur Geltung zu bringen. Evangelische Abendmahlslehre beginnt mit dem Sich-Vergegenwärtigen des göttlichen Namens im Tod Jesu. Sie entfaltet zuerst das externe Begründungsereignis der realen Präsenz Jesu. Daran entscheidet sich, ob Beten und Handeln der Gemeinde überhaupt bedeutungsvoll und wahr sind - und inwieweit sie bedeutungsvoll und wahr sein können. In der Wahl dieses Anfangs war die reformatorische Sakramentslehre theo-logisch unübertrefflich klar. Im Zur-Geltung-Bringen dieses Anfangs jeder Sakraments- und Abendmahlslehre sehe ich auch den bleibenden Beitrag evangelischer Sakramentslehre zur ökumenischen Diskussion. Ich setze an bei der Verheißung über Brot und Wein, bei dem aller Anerkennung, allem Glauben, allem Gebet und allem Zeichenhandeln zuvorkommenden ,für euch' Jesu. In diesem ,für euch' Jesu wird der göttliche Name Wort, er wird Verheißungswort. Er wird ,äußeres, leibliches Wort'. Ja, er wird „heilig, göttlich Ding und Zeichen", wie der Große Katechismus pointiert7. Der göttliche Name wird .Dingwort', weil er im Tod Jesu zuvor leiblicher Name geworden ist. Dem gekreuzigten Jesus Christus ist der Name ,Kyrios' verliehen, zur Ehre Gottes des Vaters, wie Phil 2 formuliert. Diese Erhöhung Jesu Christi zum leiblichen Namen Gottes, unterschieden vom Namen des Vaters und zur Ehre seines Namens, wird im Abendmahl erinnert und gefeiert, verkündet und ausgeteilt.8 Der im Ersten Gebot und endlich in seinem Handeln am gekreuzigten Jesus Christus' sagt, wer er ist, sucht im Abendmahl nach Menschen, die diesen seinen trinitarischen Namen anerkennen. Er sucht nach der Gemeinde, die diesem Namen Recht gibt. Thema der Abendmahlstheologie ist das Ausgeliefertsein des göttlichen Namens als leiblicher Name im leiblichen Wort an die Gemeinde und deshalb das Ausgeliefertsein der Gemeinde an diesen Namen. Der Name, der in sich heilig ist, soll im Gebrauch dieses leiblichen Worts in ihr und an ihr geheiligt werden.

' Dies ist der namenstheologische Kern in der reformatorischen Warnung vor dem „Greuel" der Messe (Martin Luther, Schmalkaldische Artikel 11,2, BSLK, 416,8f) und vor ihrer „vermaledeyte[n] Abgötterey" (Heidelberger Katechismus 80, BSKORK, 169,4f), vgl. IKor 10,16f.21. Das Erste Gebot wird mittlerweile in zeitgenössischen katholischen Sakramentslehren kritischer zur Geltung gebracht als in evangelischen: Th. Freyer, Sakrament, 39. 7 M. Luther, Großer Katechismus, Von der Taufe, BSLK 694,29-34, 33f. 1 Vgl. § 10 dieser Untersuchung. 363

Es ist nun richtig zu sagen: Der Glaube anerkennt die Niedrigkeit des göttlichen Namens. Der Glaube .rechtfertigt* den Namen im leiblichen Wort. Nur im Glauben wird das zuvorkommende ,für euch' ,für uns' und ,für mich' gültig und gewiß. Aber dieser Glaube handelt im Abendmahl: er dankt dem Vater, er gedenkt des Sohnes, er steht auf, tritt zum Tisch des Herrn, nimmt Brot und Kelch, ißt und trinkt, er ruft darüber den Geist herbei. Das leibliche Wort glaubt und versteht, wer in ganz bestimmter Weise zum Gedächtnis Jesu handelt. Gerade weil das Abendmahl im leiblichen Namen begründet ist, sind diese Gebetshandlungen der Gemeinde als Zeichen des Namens zu beschreiben. Die Realpräsenz des Namens im leiblichen Wort zieht daher unweigerlich die Frage nach dem richtigen Gebrauch des Namens in seinen gottesdientlichen Zeichen nach sich. Auch in dieser Frage nach dem richtigen Gebrauch sakramentaler Zeichen - namenstheologischer und ethischer Kern der traditionellen Frage nach dem würdigen Gebrauch des Sakraments zeigt sich, wie konsequent evangelische Abendmahlslehre vom Ersten Gebot her begründet ist. Wer ist dann würdig? Anders gefragt: Kann das Zeichenhandeln der Gemeinde den göttlichen Namen repräsentieren? Kann es den zuvorkommenden leiblichen Namen im verborgenen Glanz seiner Präsenz kultisch in Gebrauch nehmen - wie es soll? Kann es über diesem leiblichen Namen Jesus Christus' den göttlichen Namen anbeten - wie dies der Name .Eucharistie' beansprucht? Diese Frage bewegt die Abendmahlshandlung: Eucharistie und Miserere nobis, „die Herzen in die Höhe!" und „erbarm dich unser!" - beides zugleich bestimmt diese Feier, ihre innere Spannung und Lernbewegung. Reale Präsenz des unendlichen göttlichen Namens im endlichen leiblichen Namen, in menschlichen Zeichenhandlungen vergegenwärtigt und repräsentiert? Dies kann nur behaupten, wer die Gegenwart des göttlichen Namens zugleich als Krise des eucharistischen Gebets beschreibt. Die logische Kritik des religiösen Kults wird jetzt zur theologischen Kritik der Eucharistie. Die Aporie christlichen Zeichenhandelns in der Eucharistie ist als öffentliches Geheimnis des trinitarischen Namens zu beschreiben. Meine Antwort auf die Frage nach der wahren Eucharistie lautet daher: Dem gegenwärtigen göttlichen Namen im leiblichen Namen kann nur jene Gemeinde Dank sagen, die weiß, daß sie nicht beten kann, wie sie soll, und die weiß, was sie noch nicht beten kann. Eucharistie, dieses Gebetshandeln der Gemeinde im Abendmahl, ist ein gutes Werk, das zu tun und zu erlernen ist. Aber auch dieses Handeln bleibt Werk und also unter dem Gericht über die Werke. Vielmehr aber: Ihm gilt die Verheißung des zukünftigen wahren Gebets zum einzigen Namen. Daß der HERR am Tage seiner Königsherrschaft „der einzige sein wird und sein Name der einzige", diese Verheißung künftiger Anbetung des einzigen Namens aus Sacharja 14,9 (vgl. Offb 19,6), mit welcher der jüdische Gottesdienst schließt, bleibt auch Hoffnung der christlichen Eucharistie.

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Das Geheimnis des göttlichen Namens im leiblichen Namen ist die Grenze der Eucharistie. Es ist das präzise Jenseits* der Eucharistie in der verbalen Gebetshandlung. Aber es sind nicht-sprachliche Zeichen eingesetzt, in denen die Hoffnung auf den einzigen Namen genuin zum Ausdruck kommt. Die innere Grenze der sprachlichen Eucharistie ist nicht die Grenze der Hoffnung überhaupt. Die Hoffnung kann zum non-verbalen Zeichen, zum sichtbaren Wort' und zum ,ikonischen Zeichen' des gemeinsamen Essens und Trinkens übergehen. Das Höchste der Abendmahlsfeier ist das gemeinsame Essen von Brot und das Teilen des Kelchs. Essen von Brot und Teilen des Kelchs wird zur dichten Erfahrung des göttlichen Namens im leiblichen Namen. Inwiefern ist dieses Zeichen dichte, non-verbale Gebetshandlung? Ich möchte antworten: Weil im Ubergang zum non-verbalen, ikonischen Zeichen paradoxerweise die .geläuterte, gereinigte Lippe* vorweggenommen ist. Dies ist die andere Verheißung, die dem eucharistischen Zeichenhandeln gilt, Zephanja 3,9 (BR): „Dann aber wandle ich den Völkern an eine geläuterte, gereinigte Lippe, - daß sie alle ausrufen SEINEN Namen, mit geeinter Schulter ihm dienen".' Die zukünftige Heiligung des göttlichen Namens mit geläuterter Lippe und die Hoffnung einer noch nicht sagbaren Anbetung des einzigen Namens sind für die Beschreibung der Zeichenhandlung von Brot und Kelch konstitutiv. Dieses Zeichen verkündet, von seiner Einsetzung her, den Tod Jesu als Ermöglichung des vollendeten Reiches Gottes.10 Gottes Name wird sich zu seiner Wahrheit bringen, weil er sich in Jesu Tod zur Wahrheit gebracht hat. Das Abendmahl bringt im non-verbalen, ikonischen Zeichen, im Essen von Brot und Teilen des Kelchs, diese Hoffnung auf das nahe Reich schon jetzt zum Ausdruck. Verkürzt zusammengefaßt: Das Abendmahl ist Sakrament des Leibes und Blutes Jesu und dann Sakrament des Namens Gottes, des erhofften Namens in seiner Einzigkeit.

2. Anamnetische Christusrepräsentation im Geist? Wir sind jetzt in der Lage, die wichtigste Entwicklung der evangelischen Abendmahlslehre in den letzten Jahrzehnte zu beurteilen: die Wiederentdekkung der eucharistischen Anamnese. Der Akzent hat sich ja gleichsam vom „Das ist mein Leib" auf das: „Solches tut zu meinem Gedächtnis" verschoben. 9

Sach 14,9 und Zeph 3,9, angewandt auf die Eucharistie und ihre eschatologische Beschreibung, sind die beiden Lehnsätze, die ich aus den dargestellten jüdischen Theorien des Gottesdienstes übernehme, s. $ 9,2, $ 10,4, § 14 und $ 15,2 dieser Untersuchung. 10 Diese These nimmt zwei Ergebnisse exegetischer Rekonstruktionen des letzten Mahls Jesu auf. (1) Das eschatologische Becherwort aus Mk 14,25 ist der Schlüssel zum Verständnis des letzten Mahls, wie zuletzt Helmut Merklein vorschlägt (Erwägungen, 172): Jesus erwartet darin über seinen Tod hinaus das Neutrinken des Bechers in der hereinbrechenden, sich vollendenden basileia. (2) Die Sühneverheißung ,für die vielen' ist abschließende Bekräftigung und Radikalisierung des Heilsangebots an Israel, wie Jürgen Roloff zeigt (Kirche, 51-57). 365

Oder genauer: Beides zugleich wird schwebend akzentuiert. Gegen die Konzentration auf das leibliche Wort in den Elementen, also auf die Frage der Präsenz Jesu, wird das eucharistische Gedächtnis der Gemeinde hervorgehoben: Im Gedenken der Gemeinde vergegenwärtige sich Jesus Christus durch seinen Geist selbst. Wie durch eine ökumenische Zauberformel scheinen sich mit dem Verständnis des Abendmahls als anamnetischer Christusrepräsentation alte Kontroversen zu lösen. Dem ökumenischen Wandel korrespondieren Reformen der Liturgie und eine veränderte Praxis der Gemeinden. „Der entscheidende Fortschritt über alle Schranken hinweg ... besteht darin, daß der ganze eucharistische Gottesdienst als Anamnese und diese Anamnese sozusagen als der ,Ort' der Realpräsenz Christi in der Feier des Abendmahls verstanden wird"11 - so eine Prognose. Wolfhart Pannenberg, von dem diese Prognose stammt, hat in seiner Lehre vom Abendmahl die Entwicklung eindrucksvoll zusammengefaßt. Ihm zuvor erweiterte Peter Brunner die reformatorische Konzentration auf die Konsekration der Elemente im Vollmachtswort und Befehlswort Jesu - bei Brunner der bleibende Grund der Abendmahlsrealität - um die effektive Repräsentation Jesu in der geistbestimmten Anamnese der Gemeinde.12 Ulrich Kühn verschob nach ihm den Akzent bereits eindeutig: Die Sakramentsfeier sei realsymbolische Handlung der Gemeinde im Geist. Die Gemeinde repräsentiere in ihrem symbolischen Glaubenshandeln Jesus Christus gegenüber dem Einzelnen. ,In, mit und unter' dem symbolischen Glaubenshandeln der feiernden Gemeinde sei Jesus selbst in der Hoheit seines göttlichen Wirkens gegenwärtig, um seine Gemeinschaft zu gewähren.13 Wolfhart Pannenberg verdichtet schließlich diese Verschiebung zu einem neuen Begriff vom Abendmahl als anamnetischer Christus-Repräsentation. Ich nenne Stichworte: Die Gegenwart Christi durch den Geist in seiner Gemeinde setzt die Gemeinde aus sich heraus und versetzt sie hinein in den Ursprung des Abendmahls in der Nacht des Verrats. Ist die Gemeinde im Gedächtnis bei Jesus Christus auf dem Weg zum Kreuz, so kommt Jesus Christus in der Hingabe seines Opfers darin zu ihr, in ihre Gegenwart. Die aktuale Gegenwart Christi im Geist-Gedächtnis der Gemeinde ist „Grund" seiner realen Gegenwart in Brot und Wein.14 Der Geist wandelt wie Brot und Becher so die Gemeinde in ihrer Gedächtnishandlung in den Leib Christi. Die Gemeinde wird zum Sakrament des Reiches Gottes und seiner universalen Festgemeinschaft. Die Gemeinde im Geist ist „,Sakrament des Reiches'"15. Die sachliche Ausgewogenheit Peter Brunners, die ökumenische Absicht Ulrich Kühns und die trinitarische Durchführung bei Wolfhart Pannenberg

11 12 13 14 15

366

W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 343. P. Brunner, Gottesdienst, 343f, vgl. 228-238; dazu: G. Wenz, Für uns gegeben, 242-249. U. Kühn, Sakramente, 312, vgl. auch 73. W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 356, vgl. 337-357. W. Pannenberg, Systematische Theologie 3, 59 (mit J. Moltmann).

wären je für sich darzustellen und zu würdigen. Stattdessen aber frage ich sogleich kritisch: Kann die neue Lehre vom Abendmahl, die sich seit Kühn und Pannenberg abzeichnet, eine zunehmende kirchliche Verengung des Abendmahls verhindern? Setzt nicht die Eigendynamik der Sakramentspraxis bald Beschreibungen eigener Art aus sich heraus? Rückgekoppelt an das Erlebnis gottesdienstlicher Bekenntnishandlungen entstehen Beschreibungen, nach denen die Gemeinde im Abendmahl ihre immer schon gegebene Christusgemeinschaft symbolisiert und feiert. Dies führt zu grundsätzlichen Anfragen: - Bleibt die fundamentale Differenz zwischen der realen Präsenz Jesu Christi und dem repräsentierenden Gedenken der Gemeinde erhalten? - Wird die Gemeinde im Abendmahl hier wirklich in ihrem sozialen und religiösen Selbstbewußtsein als versöhnte Gemeinde unterbrochen und herausversetzt in die „Nacht des Verrats", in die Krise ihrer Jüngerschaft? - Kann Gemeinde .Sakrament des Reiches Gottes' sein, wenn ihre wahre Heiligung des Namens noch aussteht? Diese Fragen zielen im Grunde auf eine präzisere Rede von der ChristusAnamnese. Präziser in zweifacher Hinsicht: Die eucharistische Anamnese der Kirche findet ihre Grenze an der Tiefe der Hingabe und des Gebets Jesu ,in der Nacht, da er verraten ward'. Und sie findet ihre Grenze an der Reichweite dieser Hingabe und dieses Gebets Jesu. Ich erläutere diese These. Die folgende Präzisierung der christologischen Referenz des sakramentalen Zeichenhandelns ist voraussetzungsreich. Die vorausgesetzte Christologie ist an anderer Stelle entfaltet.16 Ich nenne ausdrücklich drei Voraussetzungen: Das christologische Thema bestimme ich namens- und kreuzestheologisch. Zeichen referieren auf das Kreuz als Erhöhung Jesu zum göttlichen Namen und als versöhnendes Handeln Gottes in ihm und an ihm. Dies führe ich mittels eines christologisch-pneumatologischen Personbegriffs und einer Metaphorik des Todes Jesu durch.

Die eucharistische Anamnese findet ihre Grenze an der Tiefe der Hingabe Jesu ,in der Nacht, da er verraten ward'. Ich bestimme also die Referenz, den Bezug der Anamnese kreuzestheologisch und folge darin der frühen Christologie Luthers.17 Die dialektischen Formeln dieser Kreuzeschristologie lenken Gedächtnis und Hoffnung auf das Begründungsereignis des Abendmahls, das als Verheißung zu erzählen ist. Kreuzeschristologie leitet so zu einer Anamnese an, welche die größere Tiefe und Reichweite der Hingabe Jesu im Geist nicht zu repräsentieren trachtet, sondern in ihrer Einmaligkeit und Unendlichkeit zum Ausdruck bringt. Das möchte ich am Erzählzusammenhang von Abendmahlsstiftung und Gebet in Gethsemane verdeutlichen.

Vf., „... für uns zur Sünde gemacht...", 187-205. Insbesondere folge ich der christologischen Kurzformel, die Luther 1521 gegen Latomus geprägt hat: „Christus ... factus est peccatum metaphorice" (WA 8, 86,3lf). 16

17

367

- Gedenkt die Gemeinde im Abendmahl der Hingabe Jesu, so ist sie mit ihm in die Nacht des Verrats versetzt: in die Stunde der Krise der Jüngerschaft und in die Stunde des Gebets Jesu in Gethsemane. - Nicht die Jünger, sondern der Stifter des Mahls setzt sich in dieser Stunde dem Namen Gottes aus. Die Jünger schlafen in Gethsemane. Das Gebet Jesu vor dem Gott Israels ist dort „lautes Geschrei" (Hebr 5,7). Hier ist vom Seufzen des Geistes im Gebet Jesu zu reden, einem Seufzen, das Leib und Blut Jesu umfaßt.18 Das ,Selbstopfer' und Personsein Jesu ist von diesem Seufzen des Geistes in ihm her zu verstehen.19 - Jesus nennt in seiner Bitte das Kommende den Kelch Gottes (Mt 26,39; Mk 14,36). Der .Kelch' ist die Metapher des göttlichen Gerichts.20 Er steht für die Stunde, in der sich der göttliche Name zur Wahrheit bringt und den ganzen Menschen richtet, .verifiziert'. - Der, der zuvor das Abendmahl stiftete, setzt sich im Garten diesem Gericht aus. Was bedeutet es, wenn Jesus sich mit der Vaterunser-Bitte dieser Stunde aussetzt: „Es geschehe dein Wille" (Mt 26,42, vgl. Mk 14,36)? Es ist hart und provokant, diese Bitte wortwörtlich zu nehmen. Jesu Hingabe an den Kelch Gottes: „es geschehe dein Wille" ist, wortwörtlich verstanden, - Gerichtsdoxologie. „Es geschehe dein Wille" bedeutet: ,An dir allein habe ich gesündigt! Du hast recht in diesem deinem Gericht!' Man denke an Achans Gerichtsdoxologie 0os 7,19) oder an Davids Bekenntnis vor Nathan (2Sam 12,13). Uber dem Bekenntnis der Tat und des Täters wird der göttliche Namen anerkannt. Erst diese Zuspitzung verdeutlicht: In der Gethsemane-Perikope wird von Jesus Christus als peccatum metaphoricum Gottes erzählt. Auf ihn ist die Gerichtsdoxologie übertragen, die jeder sprechen soll und keiner sprechen kann. So wird der Austausch zwischen Christus und den Seinen an der Person Jesu erzählt: Der Sohn Gottes wird in Jesu Gebet und also in Jesu Person mit zur Sünde gemacht. Sünde wird zur „Sünde Gottes"21. - In diesem Gebet wird die Stunde der Krise ein- für allemal verwandelt. Das Gebet Jesu, in dem er .zur Sünde gemacht* ist, heiligt .für uns' in dieser Stunde den Namen. - Jesus Christus' wird in diesem Ereignis selbst leiblicher Name Gottes. Johannes erzählt dieselbe Stunde der Krise als Stunde der Verherrlichung Jesu durch den Vater floh 12,27-32). Im Namen Jesu ist der Name des Vaters verherrlicht und nur in diesem Namen wird er künftig verherrlicht. Deshalb sage ich: Die Hingabe und das Gebet Jesu haben eine Tiefe und eine Reichweite, die weit über die Grenzen des Gebets der Gemeinde hinaus reichen.

" Luk 22,44; vgl. M. Luthers Auslegung von Ps 22,2 mit Rom 8,29 und 2Kor 5,21 in den Operationes in psalmos (1519/21), WA 5, 607,29-33. " Hebr 9,14: Jesus hat sich selbst als ein Opfer ohne Fehl durch den ewigen Geist dargebracht. Dazu G. Bader, Symbolik, 237. 20 Vgl. Jer, 25,15; Jes 51,17; Ps 75,9; Jer 51,7; 49,12; Klgl 4,21; Ez 23,3lf; Hab 2,16f. 21 M. Luther, Wider Latomus, WA 8, 91,llf. 368

Ich fasse zusammen: Die liturgische Erneuerung der Eucharistie, Anamnese und Epiklese ist sachgemäß. Aber ökumenische Weitung der Abendmahlsfeier setzt sich nicht einfach in integrativer Abendmahlslehre fort. Die Logik der Lehre verlangt vielmehr konzentriertes pneumatologisches Durchdenken der liturgischen Reform vom namens- und kreuzestheologischen Anfang aus. Daraus resultieren zwei Thesen und eine Aufgabe. 3. Zwei Thesen, eine Aufgabe (1) Gebet und Gedächtnis der Gemeinde können Hingabe und Gebet Jesu nicht repräsentieren. Sie können Tiefe und Reichweite dieser Hingabe nicht ausschöpfen und ermessen. Diese Hingabe sprengt das Gedächtnis der Gemeinde. Dieses Gebet übersteigt ihre Eucharistie.22 In der Hingabe Jesu ist Gottes Name ein- für allemal geheiligt, das Erste Gebot bekräftigt. Teilnahme an der Hingabe Jesu ist im Abendmahl eingesetzt in Form von Nicht-Repräsentation. Dieser Einsetzung folgt die Gemeinde, indem sie vom verbalen Zeichen zum ikonischen Zeichen übergeht, vom Gebet zum richtigen Schweigen. (2) Essen von Brot und Teilen des Kelchs sind neu als dichtes Zeichen der Hoffnung (signum prognosticon) zu beschreiben. Die Gemeinde hat in Brot und Wein Anteil an Jesu Heiligung des göttlichen Namens. Sie hat Anteil an Jesus Christus' als leiblichem Namen Gottes. Zugleich bleibt ihr die wahre Anbetung des göttlichen Namens in ihm zukünftig verheißen. Daraus ergibt sich die Aufgabe: Das Abendmahlshandeln ist als metaphorischer Ausdruck des Namens Jesus Christus' und der in ihm begründeten Hoffnung zu beschreiben. Das sei abschließend am Beispiel vorgeführt. 4. Stehen vor Gott im Geist Die Gemeinde kann mit Jesus Christus nur beten im Gedächtnis daran, daß er für sie in der Stunde der Krise bittet. Das Abendmahl lenkt deshalb den Blick vom Gebet der Gemeinde auf die Gaben und auf das Gebet Jesu in der Nacht des Verrats. Tiefe und Reichweite des Gebets Jesu sind für die Gemeinde in den Gaben eingesetzt und präsent. Im Teilen von Brot und Kelch erhält sie Anteil am Gebetsopfer Jesu. Dann bittet der Geist in ihr mit ihm vor dem Vater (Rom 8,26.34). Der Geist bringt über dem Teilen von Brot und Kelch an der Gemeinde den Namen zur Wahrheit. Diese kann und soll jetzt schweigen im Wissen, was sie nicht mehr zu beten braucht und noch nicht beten kann. Im richtigen Schweigen über Brot und Wein als eingesetz22 Die Lima-Erklärung ist am entscheidenden Punkt der Opfer-Frage zu korrigieren, wenn sie behauptet: „In Danksagung und Fürbitte ist die Kirche mit dem Sohn, ihrem großen Hohenpriester und Fürsprecher, vereinigt" (Taufe, Eucharistie und Amt, 20 Nr. 8).

369

ten Gaben verkündet sie den Tod Jesu bis er kommt. Der Geist bringt an ihr das Opfer Jesu tiefer und weitreichender zum Ausdruck, als sie sprachlich auszusagen vermag. Das, gemessen an antiken Mysterien und postmodernen events, erlebnisarme Abendmahl ist dichter Ausdruck der Hoffnung. Es so zu beschreiben, ist ungewohnt. Ich gehe deshalb von einem Beispiel aus, das eher vertraut ist. Dietrich Bonhoeffer beschreibt in seinem Werk Sanctorum Communio die Abendmahlsgemeinde als Bekenntnisgemeinde: Die Predigtgemeinde sei Hörgemeinde, die Abendmahlsgemeinde sei Bekenntnisgemeinde. Der Kreis der Hörgemeinde sei weiter als der Kreis der Abendmahlsgemeinde, die den innersten soziologischen Kreis der Kirche darstellt. Bonhoeffer beschreibt den Gang zum Abendmahl als sichtbare Bekenntnishandlung. Diese Handlung sei nicht selbst gewählt, sondern eingesetzt. Der Ortswechsel vom Hören zum Bekennen im Abendmahl werde von Gott sichtbar anerkannt und versiegelt. Dies beschreibt Bonhoeffer an der großstädtischen Abendmahlsgemeinde: „Man hat es beklagt daß großstädtische AbendmaHsgemeinschaften darunter leiden müssen, daß sich die Teilnehmer nicht kennen ..., die Feier verliere an persönlicher Wärme. Dagegen ist zu fragen: ist nicht gerade eine solche Gemeinde eine überwältigende Predigt von der alle menschliche Gemeinschaft übersteigenden Bedeutung und Wirklichkeit der Heiligen?... Ist nicht gerade hier der Wirklichkeitsernst der sanctorum communio, in der Jude Jude und Grieche Grieche, Arbeiter Arbeiter und Kapitalist Kapitalist bleibt, und wo sie doch alle Leib Christi sind, viel eher gewahrt, als dort, wo jene Härte mild verschleiert wird? Wo das wirkliche Bekenntnis zur Gemeinschaft der Heiligen da ist, da kann die Fremdheit und ... Kälte nur die Glut des echten Feuers Christi anfachen"25.

Bonhoeffer beschreibt die Handlung des Abendmahlsgangs konsequent als Zeichen. Es ist durch den Wechsel seines Bezugssystems bestimmt. Es ist dies der Wechsel von der Hörgemeinde zur Bekenntnisgemeinde. Im räumlich unscheinbaren Gang von der Kirchenbank zum Altar geschieht ein Ortswechsel, eine Grenzüberschreitung. Hier tritt man aus der Sozialform des Hörens in die des Bekennens in Brot und Kelch über. Die sichtbare Anerkennung dieser Bekenntnishandlung durch Gott kommt an der Gemeinde metaphorisch zum Ausdruck: Die Glut des echten Feuers Christi zeige sich an ihr. Die Kälte der Großstadtgemeinde entfache allererst das echte Feuer Christi. Die Abendmahlsgemeinde werde zum sichtbaren Wort. Bonhoeffers dichte Beschreibung ist aber jetzt weiter zu führen. Neben die soziologische Beschreibung der Abendmahlsgemeinde tritt die pneumatologische Beschreibung: Die Gemeinde ist im Geist vor Gott gestellt. Wie der Geist die Gemeinde vor Gott vertritt, so vertritt er Gott bei ihr. Es ist jener Geist, der den göttlichen Namen in Jesu Gebet zur Wahrheit gebracht hat. Es

23

D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio, 168f.

370

ist jener Geist, der ihn an der Gemeinde Christi zur Wahrheit bringen will. Jetzt wird gefragt nach der Abendmahlshandlung als Gebet im Geist, also nach Tiefe und Reichweite der an dieser Handlung sichtbaren Verheißung. Dieses Zeichen, Teilen von Brot und Kelch, reicht tiefer und weiter, als die Grenzen der Bekenntnisgemeinde im Wort. In der soziologischen Beschreibung ist die Abendmahlsgemeinde der engste, innerste Kreis. In der pneumatologischen Beschreibung hat sie zugleich an einer Einheit teil, die ihren Kreis transzendiert, so weit transzendiert, daß sie dies noch gar nicht in ihr Bekenntnis einholen kann. Im Abendmahl tritt die gottesdienstliche Gemeinde, die im trinitarischen Namen Gottes begründet ist und die diesen Grund im Glaubensbekenntnis ausspricht, heraus in ein Stehen vor Gott, das sie in ihre sprachliche Homologie und Eucharistie noch nicht einholen kann. Dies ist das Werk des Heiligen Geistes über den Gaben von Brot und Wein. - Mit dem Abendmahl ist eine Zeichenhandlung eingesetzt, in welcher der leibliche Name Jesus Christus' als göttlicher Name bezeugt wird. An dieser Handlung teilnehmen bedeutet, in den anderen Handlungsformen des Gottesdienstes innezuhalten, aus ihnen herauszutreten, für eine bestimmte Zeit. Im Übergang zum Abendmahl wird nicht nur eine soziologische Grenze überschritten, sondern auch eine pneumatologische: hin zu einem Wir, das so unmittelbar in Gott versetzt ist, daß es sich noch nicht einmal mittels der Sprache erkennen und identifizieren kann. - Der Abendmahlsgang bezeichnet Gedächtnis des Gebets Jesu und Hoffnung auf die Vollendung des Reiches in der Einzigkeit des Namens. Die Eucharistie ist wahr und bleibt in Geltung. Und doch steht die Anbetung des Namens in seiner Wahrheit noch aus. Dies ist das Geheimnis der Hoffnung, das im Tode Jesu zu verkünden ist. - Es wird verkündet durch die Teilhabe an Brot und Kelch als Leib und Blut Christi. Sie unterbricht die Eucharistie wie eine Generalpause. Verkündet wird in ihr der Tod des Herrn, der in seinem Tod das Erste Gebot bewährt und den Namen verherrlicht hat. Auf ihn richtet sich die Hoffnung der Gemeinde, die weiß, was sie noch nicht sagen kann und nicht mehr zu beten braucht. - Das Abendmahl ist so Verkündigung des Kreuzes Jesu in schärfster, endlichster Form, in ausschließlicher Geltung. Es ist innerster Kreis der Kirche als Leib Christi. Es ist innigste Vereinigung mit diesem leiblichen Namen im Glauben. Und doch ist das Abendmahl zugleich Ausdruck der Hoffnung auf den göttlichen Namen in seiner Einzigkeit und Unendlichkeit. Daß das Endliche das Unendliche umfaßt, daß der endliche leibliche Name den unendlichen Namen umfaßt - das kann kein metaphysischer Satz sein. Es ist jene Hoffnung, die im Abendmahl begangen wird und die im Leben als Geheimnis des guten Lebens zu bewähren ist. Sie erlaubt die freimütige Auseinandersetzung mit jenen, die es für den Inbegriff der Unwahrheit halten, daß ,Gott' Name ist und daß dieser Name Jesus Christus' heißt. 371

Anhang Liste der Sigel Immanuel Kant KrV KpV KU GMS Prol. MS MSR MST RGV EMBg Denken Theodizee Ende Ton Streit Anthropologie Logik Jäsche AA

Kritik der reinen Vernunft Kritik der praktischen Vernunft Kritik der Urteilskraft Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können Metaphysik der Sitten Metaphysik der Sitten, Rechtslehre Metaphysik der Sitten, Tugendlehre Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes Was heißt: sich im Denken orientieren? Uber das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee Das Ende aller Dinge Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie Der Streit der Fakultäten Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Immanuel Kants Logik ein Handbuch zu Vorlesungen Akademie-Ausgabe

Hermann Cohen Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums RV Logik der reinen Erkenntnis LrE Der Begriff der Religion im System der Philosophie RS Franz Rosenzweig BT Briefe und Tagebücher 1: 1900-1918; 2: 1918-1929 S Der Stern der Erlösung Ζ Zweistromland. Kleinere Schriften zu Glauben und Denken JH Jehuda Halevi. Fünfundneunzig Hymnen und Gedichte Α Sprachdenken. Arbeitspapiere zur Verdeutschung der Schrift BR Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig

372

Stellenregister Kant, Cohen, Rosenzweig Die Schriften Kants, Cohens und Rosenzweigs sind in der Reihenfolge der Sigel aufgeführt. Kants Schriften werden nach den Seitenzahlen der Erst- (A) oder Zweitauflage (B) verzeichnet. KrVB XXX XXXIX 19

35 177

275f 276f 294f 324

26 35 107 28, 107 107 35 93 177 177 177 31, 47 97

326 348f 364 373 375 388f 393 394f 568 574 581 612 615 619 626 627

150 216 76 44 44 76 44, 76 45 121 121 121 77 78 94 92, 94 94

640f 641

75 71, 75, 77, 78

170f 172 173f 180f 193f 198 274-279

642 670-693 736 757f 758f 762f

79 83 34 125

72 96 101 110

122, 125 119 124 120

121 36 41 282 75 75, 150 34, 35 124 34 40 39, 45 37,40

115 116

123 181

121f 130 131 135 139 143 160f 163 175 176f

132 179, 180

179-185 194 197 198 211f 212 213f 225 235f 259 Anm 288 289

117 53 53 53 180 181 181 53, 71 160 54 178 178, 183

765 801 803 805 823f 824 826 828 830 831 832 38,45 833 23,24, 3 1 , 3 7 , 3 9 , 6 9 835f 40 836 36,40, 4 1 , 4 2 837f 42f 840 40 840f 43 842f 46 46 844 39 846 35, 43 856

119 179 179 180 119 119 121 121

KpV, A KU, Η 25 55f 57

54 118 122

32 67

84 181

373

KU, Β

238

92

240

108

MSR, Β

xixf

69

254-260

XXV-XXXVm

83

256

128

29

162

xxvn

84

257

129

36

185

XXIX

84

258f

82, 92

45

185

LV-LVI

87

286

83

8f

100

291

90

15

100

295f

83

80, 81

57, 161

MST, A

21

106

339-344

22

100

340f

27

100

341

90, 95, 96

30

58

30

102

345

89, 90

35

171

31

103

346

96

56

57

32

104

349f

90

83

57

34

89

42

160

46

82, 87, 95

7-13

95

2-10 28-30

57, 161 51

367

90

98-103

427-429

52

100f

57

48, 59, 131

433

54

102

135

62f

105

439

55

103

180

63f

106

462

48

104

64

67

106

463

48, 59, 131

108

175

68

105

158

67

78

181

176

160

92

178

94

178, 179

96

178, 181

GMS, Β 1

50, 163, 175

177f

160

18 lf

140, 149 150

52, 119

184f

100

178

16

37

187

150

101

179

35

37

188

150, 160

36

105

181

52

121f

156

64

125

32, 156

155

101

66f

85 85, 135

70

134

RGV, Β

156

110

74

135

vmf

50, 51

157

106

75f

136

IXf

48, 60

159

106

82

85

XI

160

104

128

125

xnf

162

109

XXIf

147

1

169

166f

109

168f

110

5

179, 180

6

148, 173

8

174, 175, 315

170

109

172

109, 110, 180

182

104

166f

127

llf

192

130

175f

128

13

56

80, 81

181

127

15

168

234-245

374

Prol., A

51 52, 53

186

16 Anm 116, 169 17 172 171 18 19 171 20 120, 189 21 189, 192 25 65, 151 26 173 30 183 171 38 179, 180 51 Anm 54 63, 116, 168, 169 164, 173 55 57-59 117, 182 59 180 116 60 165 70 73 174 82f 175 63, 64, 164 85 95 173 102 168 122 103 169 106 170 107 132 58 56, 137, 188 134 135 56 137 136 135-137 30, 137 138f 160 67 144 141 153f 117 178 116, 172 180 184 60 151 186 151 189f 151 197f 189 204 192 207f 209 186, 189 189, 190, 192 210f 190 21l£

215 187, 216 217f 256 256-260 257 259 275 287 288 50, 58, 302 304f 305f 306 Anm 307

190, 192 188 192 151 150 65 111 79 175 122, 171 145, 182 182 178 183 178, 183

EMBg, A 8 180

92 76

Denken, A 32 311 329 Anm

165, 170 54 165, 170

Theodizee, A 212 215 219

170 160 31, 98

Ende, A 495 497f 499-503 509 509-514 511 513 514f 515

64 64 60 60 60 64, 65 61, 64 61 65

516f 518f 520f 521

60 66 67 67

Ton, A 411f Anm 411 413 Anm 414f 418 419

49, 79, 129 79 80 79, 80 148, 192 124f, 166

Streit, A XVI 60 70 83f 86 88f 90 92f 93 94 132 141 142 143 144f 148f 156 160

139, 149 141, 143 142 143 64 143 143 144 147, 171 143 29, 152, 155, 158 158 157 155, 156, 157 156f 157 158 157

Anthropologie Β8 Β 23 Β 230f Β 232 A 234f Β 245 Β 268f

107 185 184, 185 184 120 120 169 375

RV

Logik Jäsche, A

mi

36 125

220f

Akademie-Ausgabe 4, 63 122 4, 631 122 10, 318 26 11, 429 23 15/2, 60 188 16, 127 86 19, 172 37 19, 175-179 164 16, 245 98 19, 629 192 19, 630 190 19, 637f 182 19, 641 174 19, 642 67, 141 19, 643 80, 146 19, 647-649 146f 19, 649 160 19, 650 160 191 19, 652 20, 439 141 23, 95 141, 143, 144 23, 96 144 131 23, 451 43 27/1, 308 28.2/2, 1117 118, 169

Fragmente, Nachlaß 323

134, 169

Ethik Menzer 207 376

169

25 48 50 58 59 74 80f 94 95 96 97 102f 106 122 185 186 216 220f 225 226 228 230 234 235 239f 242 244 247 256 258 260 261 295 363 364 373 399 402f 441 442f 448 462

226 211, 200, 224 224 220 220 222 280 224 218 218 218 224 237 224 223 223 229 229 229 229 229 230 230 231 231 231 231 226 349 229, 232 232 232 202 215 215 202, 310 231 225 225 225 225 226

463 480 487 507

225 225 202, 323 225

LrE 25-28 84-87 86f 89 112-114 240-245 358-360

220 221 221 221, 222 221 222 220

RS 48f

280

BT 132f 134f 154 157f 159 161 165 257f 261 280 284 291 292 320 358f 399f 414 447 449f 462 514f 536 560f

213 214 300 204 262 263 211, 214 194 194 212 234, 235 204 244 302 338 336 261 228 225 235 228 316 335

637f 642f 659 663 695 706 720 720 728 734 737 761 762 764 774 776 779 780 784 787 789 824f 826 945 951 968f 974 976 977 978 979 980 982 984 1001 1003 1004 1005 1015 1039 1040 1059 1076 1139

209 194, 212, 333 309 321 302 317 193 203 197, 319 300 343 309 196, 309, 31 If, 314 309, 312 336 306 316 300 309 196 313 258, 328 297, 327 317 309 336 310, 312 312, 322 310, 312, 336 309, 312 312 348 314 309 310 331 310, 319, 332 332 226, 244 310, 311 312 260 335 336

1145 1149f 1152f 1160 1161 1162 1196

336 336 318, 336 249 253, 254, 261 243, 257 309

S, Stern der Erlösung 1-99 12-16 41 46-58 48 51 66 105 121 122 123 124 125 128 131 132 133 134 135 137 141 142 144 145 146 148 157-161 168 169 171 173 174 174-209 175f

198 271 272 271 302 272 272 278 277 277, 281 269, 277, 278 205, 269 283 283 283 283 285 290, 306 301 302 293, 392 293 294 294 271, 274, 297 269, 279 310 295 298 299 295 208, 215 204, 207, 209 234

178 215 182 215 189 216 190 227 191 216, 218, 234 195 233 196 233, 313 197 313 200f 227 204 247 206 343 207 241, 248 208 238, 246, 247 209 237, 248, 249, 267 209-213 271 222 208 222-224 208 224 208 225 215, 217 226 217 228 321 238 317 240 317 243 284, 322 246f 285 247 285 248 287 250 287 251 287 254f 323 258 324, 326 258-265 254 259 325 260 326, 327 262 325 263 322 264 342 267 322 278 267 279-282 327 280 327, 328 281 327 287f 263 296f 340 377

301f 305 324 325 327 328 329 337 342 348 349 352 357 359 360 361 362 363 374 375 379 382 383 385f 394f 397f 404 406 407-409 411f 413 414 415f 423 426 428-432 436 440 450f 45 If 463f 465 467 465-472 378

56, 341 322 336, 337 339 343 345 344, 353 314 288, 289, 345 299, 300 301 327 358 352, 358 349, 352 349, 351, 353 354 354 337 338 338 338 338 339 272 337 337 338 338 346, 355 355 355, 358 337 329 329 258 329 234 237 320 330 286, 346 284, 285 211

Z, Zweistromland 33-37 37 66 82 86 88 91 99 101 111 119f 125 148 159 161 206 208 209f 211 212 213 225-227 226 235-237 237 462 463 492f 536 585 589 601f 608f 622 623 626 627 629 631 649 677 678f

302 204 162 312 226 271 213 271 338 317 241, 313 218, 246 302 333 306 226 226 226 226 228 152 226 223, 277 226 226 194 194 311, 312 314 295 311 241 316 216 264 219 284 310, 312 310, 312 244 334 334

686 334 696 218, 219 703f 310, 312, 320 706 315 707f 315, 310 71 If 316 737 276 763f 310 773-775 294 803f 258 805f 257 810 256 811 244 812 249, 250, 251 813 248, 250, 254 814 239, 244, 250f, 256f 815 236, 258 821f 318 832 314

JH, Jehuda Halevi 70f lOOf 103f 108-110 109f 158 183 184 203 218 251-255

260 207 310, 317 316 157, 317, 339 213 319 319 225 336 336

A, Arbeitspapiere 93f 93-98 94 95 140 167

238, 353 352 250 238, 243, 251 210, 321, 322 210

Begriffsregister Abendmahl 12, 73, 113, 149, 168, 191, 197, 337, 359, 361-369 Abgrund 47, 71, 73, 77f, 158, 161, 172, 189, 212, 283, 304 - Gottes (.abyssos dei') 71-79, 172 Abraham 233, 235, 238, 274 - ,in Abraham' 195, 233f, 236, 245, 247f, 267 Absolute, das 71, 76-78, 90, 146, 182, 304f, 313 Achtung 44, 51f, 54f, 66, 110, 119, 122f, 131, 150, 160, 171, 176, 178-180, 183 Ästhetik - transzendentale 31, 62, 121, 176, 270f - praktische 119, s.a. Achtung - s.a. das Schöne, Erhabene Affekt/Affektion 93, 119, 156, 178f, 183f s. a. Enthusiasmus, Gefühl, Leidenschaft Affirmation 61, 302f Ahabat olam 210, 216, 227, 234 Akroamatisch-diskursiv 27, 34, 36, 117, 148, 165 Alenu 352f, 355 Alternanz lOf, 30-33, 48, 70,131,167, 171, 182, 187, 191, 205, 223, 277f, 283 - der Urteilskraft 69, 81, 98, 102, 130, 161, 165 Amphibolie der Reflexionsbegriffe 149f Analogie 17, 41, 56, 80, 89, 119, 123, 129, 131, 174, 184, 197 Analyse, sich entdeckende 28, 82, 88, 106, 108, 165 Anamnese 13, 71, 347, 364-366 Anbetung 80, 182, 217, 367 - des Namens 10, 18, 361, 363f, 369 Anfang 5, 64f, 198, 203-205, 235, 246-249, 263, 269, 273, 278, 280, 299, 301, 303, 305, 307, 339, 361f Anfangen 46f, 70, 153, 156, 168 Angesicht 234, 289, 317, 344, 353, 357f Anlage, moralische 143f, 146f, 162, 168, 170-172, 181, 186f Anrede 183, 243f, 273, 288

Anruf/Anrufung 198, 226, 244, 246, 248, 257, 267, 333, s.a. Ruf Anschauung 29, 31, 36, 62f, 65, 81, 83, 86, 90, 93,95, 104f, 108, 119, 121, 128f, 132f, 176, 182f, s.a. Dialektik, Ikonisch - inexponible 108 - intellektuelle 41, 63f, 118 Antinomie 60, 65, 143f Aporie 4, 8f, 25, 27, 33, 62f, 70, 82, 84, 96, 117, 121-126, 138, 148, 172, 191, 255, 266f, 280-282, 304, 307 - des Formalismus 125f, 313 - der Ontotheologie 71f - der Urteilskraft 90f - der rationalen Mystagogie 168 - semiotische 33, 165, 184, 192 Aporetik 4-6, 8f, 15, 18, 20f, 28f Apperzeption, transzendentale 93, 133 ,arcanum' 279, s.a. Geheimnis Aufklärung 46, 67, 79, 124, 126, 151, 167, 183 Augenblick 33, 64, 164, 176-179, 188, 203, 205, 207f, 239, 244, 246, 248, 256, 258, 262f, 269, 278, 284, 295f, 300f, 313, 317, 32lf, 330f, 336, 338, 340f, 352, 355, 360 - beständig vergangener 172 Ausdruck 14f, 102, 113, 115, 323f, 352, 355, 367, 369 - exemplifizierender 266 - metaphorischer 14, 16, l l l f , 115, 266, 339, 358, 360 - realsymbolischer 16 Ausdruckszeichen 185, 266, 346 - anamnetisch-repräsentative 355 - eschatologische 348, 355 - exemplifizierende 346, 355 - liturgische 339 Aussage 261f, 296f, 307, 325, 330 - universelle 256, 26lf Aussagesatz 253, 259, 275, 280 Außen 82, 84, 102, 283, 287, s.a. Externität Autonomie 27, 50, 84, 118, 134-136, 147, 160-163

379

Avoda 347f, 352f, 355 Axiom 36f, 117, 146, 362 Baruch Schern 210f, 215f, 219, 242 Bedürfnis 39, 55, 65, 77f, 147, 155f, 306, 330 Begehren/Begierde 306, 330 Begegnung 244f, 276, 347 Begriff 9, 12, 33f, 36f, 41, 48, 53, 69, 75, 77f, 83, 95-97, 100f, 107, 122, 129f, 133f, 243, 296, 344 - absoluter 77, 130 - des Guten und Bösen 123 - Leben des 130 Begründungszusammenhang 43, 97, 153, 190, 260-262, 264 Behutsamkeit im Bezeichnen 31, 98, 161 Beispiel 28, 61, 82, 87, 91, 99, 106f, 110, 112, 171, 174f, 196, 198, 200, 203, 252, 256, 271-275, 277, 282, 292, 294, 299, 301, 321, 339, 341, 344 Bekenntnis 202, 213-217, 220, 224, 227, 229f, 232, 236-240, 288, 345, 368f Benediktion 15, 195, 200, 206, 210, 216, 234, 255, 259f, 263, 274, 277f, 286-289, 292, 304, 308, 316, 328, 331, 352, 360 Berufung 61, 163f, 190, 257, 309 Beschreibung 4-8, 17, 20, 24, 29, 62, 82, 84, 91, 97-99, 103-105, 108, 130, 168, 185, 195, 214, 244, 271f, 276, 294, 298, 306, 309-322, 345, 348, 355-359 - dichte 1, 4, 14-16, 21f, 104, l l l f , 114f, 193, 195, 201, 203, 332, 339, 343, 346, 351, 355f, 360, 364, 368 - eschatologische 15, 29, 74, 111, 153, 159, 195, 200f, 211, 314, 320-324, 326, 330, 333-335, 339f, 344, 349, 355f - ethische 153, 159, 205, 309, 311f, 314f, 321, 330-332, 356 - grammatische 195, 198, 206, 228, 235 Besondere, das 80-85, 90, 96, 99, 107 Betrachtung, s. Anschauung, ästhetische Bewährung 235f, 239, 295f, 308, 327 Bewußtsein 102, 118f, 122f, 125, 151, 175, 177, 180, 259, 283-285, 326, 337, 339 Bezugnahme, 112-114, 355, 367f Bibel 141-143, 149, 171, s.a. Heilige Schrift Billigungsformel 280, 294f, 299 Bild(er) 113, 115, 132f, 203, 205-208, 215, 259, 283, 307, 356, s.a. Typus Bina 286, 289

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Bitte 231, 241, 259, 288, 312-314, 330, 366 Böse, das 56, 59, 63, 119, 123, 166 - das radikale) 33, 51, 59, 116, 138, 150, 165, 173-176, 229 Brauch 315, 320 Buße 64, 164, 168, 172, 191, 229-231, 236 Charakter 19, 45f, 61, 103, 120-122, 133, 155, 171, 227, 317 - intelligibler 39f, 63f, 86, 116, 120f, 166 - phänomenaler 166 - der Theologie 4f, 11 Chaos 245f, 269-271, 273f, 279f, 292, 307 Credo 18, 21, 369, s.a. Bekenntnis Christentum 5, 9, 66f, 139f, 162, 195, 213f, 337 Christologie 11, 21, 175, 267, 337f, 360, 365 corpus mysticum 42, 46 Dabeisein 238, 243, 250, 253-255, 286, 327 Dasein 33, 75, 78, 80, 85, 93, 109,177, 238, 253, 257, 269f, 280, 284f, 287, 289, 291f, 294-296, 298-302, 308, 320, 334 - Gottes 34, 43, 71, 253, 260f, 290 s.a. Existenz, Faktizität, Faktum Deckname 250, 255-257, 268 Decknotation 240, 276, 288 decreta Gottes 190 Deduktion 17, 106, 108, 122 - transzendentale 28, 99, 102, 258 Demütigung, sinnliche 178-180 Denken 29, 31f, 36, 54, 65, 71-76, 91, 94f, 97, 221, 223, 259, 306 - absolutes 72, 76f - diskursives 37, 223 Denkungsart 50, 106f, 155, 157 - erweiterte, liberale 66, 106 - plurale 50 Denotation, s. Bezugnahme Determinismus 33, 117 Diachronie 172, 256, 262, 296f, 326 Dialektik 7, 10, 33, 35, 47, 51, 53-55, 63, 72, 78f, 90, 99, 219, 223, 258, 351, 358 - der Anschauung 182 - der Aufklärung 46, 151, 167 - des Gewissens 24, 33, 48, 58f, 148, 164 - der Hoffnung 6, 49, 51, 65, 150, 176, 339f, 351 - radikaler Kultkritik 148 - reiner Mystik 146

- reflektierender Urteilskraft 97 - praktischer Vernunft 24, 33, 35, 41, 48f, 54, 56, 58, 225 Dialog 2, 20, 48, 137, 195, 199, 201, 206, 208-210, 233, 248, 257, 265f, 318, 320, 325, 333-336, 339, 343 Dichte 15, 114f, 163, 235, 332, 343, 356358, 366 - ikonische 201, 205, 329, 356, 366 - des Namens 205, 329, 339, 342, 346, 351, 355, s.a. Unendlichkeit s.a. Beschreibung, Erfahrung Differenz 2, 4, 16, 19, 64, 69, 82, 87, 91, 95, 235f, 239, 246, 274, 333, 337, 345, 365 digrammaton 238, 243f, 251 dissimilitudo, lyrische 217 Doxologie 3, 15, 184, 195, 200, 236, 255, 260f, 263, 278, 304, 306, 321, 327-329, 332, 339, 341-344, 360 - messianische 200, 206, 261, 286, 296, 324, 328, 331 - eschatologische 261, 289, 341-344, 246 Dual 325 Ehre 150f, 160f, 190, 264, 328 Einbildungskraft, s. Urteilskraft Einführung, 118, 168, 241-244, 247f, 250f, 267, 274, 277, 332, 357 Einführungssituation, 241-244, 257, 280, 294 Einigung des göttlichen Namens 194, 196, 218, 227, 23lf, 236, 350 Einzige, der 213, 284, 352 Einzigkeit 122, 200, 217-220, 227, 232, 236, 270, 284, 352, 364, 369 Elimination 18, 137, 144, 162, 166, 186 - göttlichen Namens 7, 11, 15, 145f - kultischer Zeichen 7, 15, 147 Ende aller Dinge 6, 24, 33, 60, 64, 99, 136, 153, 155, 159, 170, 340 Endlichkeit, s. Geschöpflichkeit Endzweck 24, 48, 50-56, 58, 60f, 65f, 145 Enthusiasmus 131, 145, 156f, 159, 165f, 185f, 188 Entdeckungszusammenhang 58, 285 Erfahrung 34, 37-41, 45, 49, 52, 72, 84, 93f, 101, 103, 143f, 158, 164, 206, 221, 245, 249, 305, 355 - dichte 201, 357, 359f - mystische 55, 143

Erfüllungssituation 318-321 Erhabene, das 181, 184, 192 Erhebung, intellektuelle 178, 180 Erinnerung 121, 139, 269, 296, 299, s.a. Gedächtnis Erkennen auf der Grenze, s. Grenze Erkenntnis 4, 8f, 25-27, 34, 36f, 39, 43, 45, 52, 54, 64, 70-72, 81, 83f, 90, 93, 95f, 100, 102, 105, 123, 127-130, 170, 221, 266, 286, 305, 332 Erkenntnisvermögen 28, 35, 84, 95f, 103, 132 Erlernen 4, 21, 124, 165, 194, 196, 198200, 235, 237, 243, 247, 270, 273, 277, 282, 289, 292, 309, 311f, 314, 324, 332, 345, 356, 360 - des Lernens 198, 200, 319, 330, 357 Erlösung 61, 229, 23lf, 260, 263, 278, 283f, 287, 289, 294, 296, 298f, 301, 308, 310, 321-323, 329, 338, 342f, 352, 355 Erneuerung 274, 278, 283, 351, 366 Erwählung 117, 163f, 190, 244, 331, 334, 342, 347, 353 Erwartung 266, 317, s.a. Hoffnung Eschatologie 1, 4-8, 11, 15, 21, 24f, 62, 65, 146, 153, 168, 191, 194, 213f, 236, 253, 343 Eschatologie der Sinne und des Sinns 29, llOf, 176f, 188f Ethik 57, 137, 140, 153f, 159, 196, 296, 309, 319, 326, s.a. Gesetz, Liebe - der Ethik 60, 154f Etikett 112f, 355 Eucharistie 361-369 Ewigkeit 33, 60, 64f, 71, 73, 76, 152, 236, 258, 296, 302f, 315, 327, 329, 330, 336f, 345, 350, 359 Exemplifikation 14, 16, 111-113, 324, 332, 339 Existentialurteil 92f, s.a. Position, Relation Existenz 27, 54, 70, 74, 84, 91-98, 109f, 121, 138, 179, 236, 252f, 279, 298, 303, 307, 327f - des Besonderen 91 - Gottes 82, 96, 236 - intelligible 179, 186 - temporale 8, 255, 261 s.a. Faktizität, Position, Relation, Zeit Existenzsatz 92, 251-254, 267, 380 Externität 89, 109, 131, 198, 201, 204, 248, 258, 267, 289, 298, 305, 322, 339

381

- Jesu Christi 12 - des göttlichen Namens 200, 206-208, 218, 235, 254 Faktizität 18, 20, 117, 119f, 125f, 226, 236 - praktischer Freiheit 26, 37, 126f Faktum 39, 66, 68, 169 - der reinen Vernunft 26f, 33, 37, 69, 116-118, 120,123, 125f, 138, 146f, 149, 162, 168f, 175f, 179f, 190, 241 - der Religion 66f, 140f, 145f, 162, 168, 188, 196, 202, 226 s.a. Augenblick, kategorischer Imperativ Feindesliebe 319 Festzeit 337-339 Fiktion 56-60, 137, 185 - polemische 56, 59, 75, 77, 136, 150, 174, s.a. ethischer Naturzustand Formalismus 30-32, 123, 125f, 166, 313 Fortschritt 28f, 41, 45, 61-64, 152, 155, 157f Französische Revolution 29, 58, 155, 158 Freiheit 2, 29, 34, 39f, 42, 46, 72, 75, 86, 90, 92, 94, 109f, 117, 120, 122-126, 132, 147, 154-156, 170, 179, 184f, 187, 190f, 283f, 302f, 305, 339 - absolute 6, 74, 82, 89, 136, 172, 186 - anfangend-arbiträre 33,45,47, 166,186 - fühlbare 145, 164 - geschöpfliche 4, 6, 8, 27, 33, 62, 65, 117, 145, 159, 162, 164, 167, 183, 186, 200 - ikonische 33, 109, 179-181 - intelligible 39, 87, 109, 118, 121, 317 - praktische 26-28, 33f, 37-39, 43, 45, 85, 117, 119, 121, 124-127, 135, 157 - schöpferische 74, 134, 161, 181, 302 - überseiende 303f - unendliche 4, 6-8, 27, 33, 70, 74, 117 s.a Geheimnis, Lebensform, Urteilskraft Freiheitsleidenschaft 184f Frieden 72, 75, 284, 286, 289, 306, 330, 348, 353, 355 Frucht des Reiches Gottes 287, 311, 314, 317, 320-324, 330f, 340 Gabe ,des Namens' 145,162, 198,204, 206, 210, 218, 235f, 239, 245, 247, 266, 270, 277, 307, 312, 344 Gebärde, liturgische 22,243, 300, 312,344346, 348, 353, 355-357 382

Gebet 7, 145, 148, 168, 173, 178, 181-183, 187, 225-229, 234, 242, 244, 267, 288, 310, 318, 320, 327, 339-343, 351, 353, 361-369 Gebetshandlung 361-364 Gebot 43f, 147, 159f, 241f, 309-321, 330f - Erstes Gebot 270, 306, 362f, 369 Gebrauchssituation 260f, 268,275, 277,286 Gedächtnis 344, 361-367, 369 Gedächtniszeichen, s. signum rememorativum Gefallen 65, 99,104, 110, s.a. Wohlgefallen Gefühl 44, 51, 55, 82f, 86, 88f, 96-99, 101-104, 106, 110, 113, 123, 131, 148, 178-183 - ästhetisches, kognitives 29, 88, 91, 99, 187, s.a. Lust, Wohlgefallen - des Gebets, s. Anbetung - moralisches 110, 119, 171 - mystisches 143 s.a Achtung, Freiheit, Geheimnis Gegenwart 19, 189, 259,236, 276, 299, 228, 362-365 Geheimnis 1-15, 18, 20-29, 74, 76, 79, 98f, 109, 124-127, 144f, 162, 182, 186-192, 194, 200f, 214, 218, 228, 232, 235f, 240, 264, 266f, 269, 279, 28 lf, 307f, 312, 334, 336, 339-342, 345-347, 356, 360-369 - absolutes 9f, 12 - begreifbar unbegreifbares 6, 114, 192 - geschöpflicher Freiheit 27, 33, 62, 65, 125, 159, 167, 172, 183, 186 - negatives 33, 78, 167, 192, s.a. Negativismus - fühlbares 27, 65, 147, 165, 178, 183, 186 - öffentliches 10, 14, 167 - Gottes 2-6, 9-12, 20f, 25, 78, 148, 165, 172, 186f, 191, 239, s.a. Gott - des göttlichen Namens 3, 6, 9, 13, 19, 195, 197, 201, 203, 357 - der Hoffnung 3-5, 8f, 11, 13, 24, 26f, 48, 62, 148, 164, 191, 212, 266, 307 - der Religion 32, 147 s.a. Aporetik, ,arcanum', .mysterium', .secretum', ikonisch, Mysterium, Wahrheit Geist 9f, 21, 62, 68, 130, 154f, 163, 181, 225, 233, 245, 284, 323, 337f, 361, 363369 - des Gebets 145, 18 lf, 242

- Heiliger 1, 5, 223f, 232, 312, 369-371 Geistesgefühl, negativistisches 181, 191 Geistleib 359f, 369-371 Geltung 17, 21, 91, 138, 183, 231, 233, 236f, 242, 247, 251, 255, 258, 261f, 273, 288, 309, 325, 328f, 343, 346, 369 Geltungsbereich^) 233,237,261f, 264,267, 288f, 329, 331, 334 Gemeinsinn, s. sensus communis Gemeinde 21f, 67, 228, 230, 236, 239f, 248f, 334, 337f, 34lf, 348, 351f, 355, 357, 359-369 Gerechtigkeit 3, 17, 57, 64f, 67f, 99, 136, 142, 147, 150f, 153, 155, 167, 172, 185f, 23 lf, 300f, 308, 323, 328f, 347, 349, 353, 355, 357f - Gottes 25, 33, 60-62, 64, 68, 138, 140, 145, 147-149, 160f, 234-236, 264, 266, 307 s.a. Gericht, Imputation, Versöhnung Gericht 2, 33, 60, 62f, 65, 152-154, 189, 202, 211-213, 232, 237f, 254, 319, 349, 351, 354, 362, 364, 366 Gerichtsdoxologie 233, 340f, 345, 368 Geschichte 40f, 67, 73, 140f, 152, 194, 202, 249, 269 - wahrsagende 29, 152, 155, 157-159 Geschichtstheologie 33,38-42,46, 152, 158 Geschichtszeichen 29, 152, 156-159 Geschmack 29, 81, 99f, 103, 108, 110 Geschmackskritik 29, 99, 155 Geschmacksurteil 99-105, 107f, llOf Geschöpflichkeit 27, 33, 85, 117, 127, 135, 169f, 172, 185, 190f, 199, 270, 278, 282f, 285, 292, 297, 307, 353 s.a. Freiheit, Kreatürlichkeit Gesetz 29, 33f, 39f, 42-48, 50-55, 57f, 66, 69, 80, 84, 86, 92, 110, 118-120, 122-126, 130f, 134f, 137, 141, 144, 157, 171, 179f, 185, 194-196, 200, 205, 213f, 237, 270, 278, 284f, 287-289, 301, 306, 308f, 311, 313f, 316-321, 323, 327, 331, 334, 347, 356 - in uns gegebenes 116, 118 - messianisches 332 - Stimme des 6, 147, 162, 169, 172, 190, 241 s.a. Faktum, Kategorischer Imperativ, Lebensform, Werk Gesetzgeber 30, 48, 58, 134, 136, 146f, 159, 161, 188, 310

Gesetzmäßigkeit 69, 119, 122, 126f, 131, 133f, 166 Gewissen 24, 29f, 33, 48, 50f, 56-59, 62, 64, 66f, 98, 119-122, 138, 146-148, 154, 161f, 164-166, 169-171, 173-175, 180, 182, 186-188, 190-192, 313, 339 - böses 120f, 190 - dijudikatorisches 165 - imputatives 120 - Instinkt 119f, 162 s.a. Dialektik, Imputation, sensus communis, Urteilssinn Gewissenhaftigkeit 31, 66, 98, 135, 166 Gewissensrevolution 164, 168 Gewissheit 27, 36, 75, 122, 225, 227, 247f Glaube 2, 10, 24, 35, 61f, 72, 140, 154, 199, 209, 216, 234f, 239, 247f, 262, 264, 266268, 271, 273, 279f, 305, 307, 311, 327, 336, 339, 359, 362f, 369 - homologischer 236 - moralischer 35, 43f, 48, 55, 82, 148 Glaubensbekenntnis, s. Bekenntnis, Credo Glaubensrede 199, 259, 264-268, 274f, 291 Glaubensaussage 139, 255, 258, 264, 266 Gleichnis 208, 215, 217 Glückseligkeit 38-44, 50-55, 67, 71, 180, 188 Glückswürdigkeit 38, 40-44, 51, 53 Götter 78 göttlicher Name, s. Name Gottes Gott 1-8, 11, 20f, 25, 33f, 37f, 42-47, 49, 54f, 58, 61f, 64f, 70-74, 76-79, 82, 84, 90, 97, 125, 135, 142f, 147f, 154-156, 187, 189-191, 201, 207, 220, 222, 225, 227, 229-232, 234, 239f, 242f, 247, 256f, 259262, 264-266, 268, 274f, 278, 283-285, 289f, 295, 297, 299, 304f, 310-312, 317, 320, 323, 326-328, 331, 335f, 342, 350, 353f, 366-369, s.a. Name Gottes -

allerrealstes Wesen 79, 129 Gesetzgeber 136, 146, 161 Grund 79f Herzenskündiger 62-64,135,159f, 163, 164f, 170 - Ideal 46, 70f, 80 - Regent 30, 147, 151, 161 - Schöpfer 136, 146 - Souveränität 5, 136, 186 s.a. Absolutes, Ewigkeit, Existenz, Freiheit, Gerechtigkeit, Gericht, Liebe, Position, Richter, Versöhnung, Wahrheit

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Gottesbeweis 33, 49, 70f, 74f, 77f, 117, 328 Gottesdienst 4, 7, 15, 20f, 74, 183, 194f, 288, 357, 360 - christlicher 15, 149, 151, 356 - jüdischer 15, 152, 194 - innerer 189, 191 - öffentlicher 149, 201 Gottesidee, s. Idee Gottes Gottesname, s. Name Gottes Grammatik 15f, 20f, 33, 36, 140, 148, 168, 191, 193, 195, 201, 206, 212, 219, 237, 253, 269, 277, 280f, 292, 307f, 311, 356 - der Erlösung 294, 321, 342 - des göttlichen Namens 215, 275, 339, 356 - des Segens 285f, 289, 304 - der Schöpfung 293-298 - praktischer Vernunft 139f, 161 - kultischer Zeichen 15, 197f, 203, 205, 343 Grenze 4, 11, 21, 32, 44, 47, 50, 59, 62, 79, 91, 127-130, 178, 219, 240, 265, 269, 274, 308, 310, 333, 339-344, 351, 361, 368 - innere 200, 209, 236, 289, 328, 334, 341-343, 356, 363, 366 Grund 11, 20, 57-59, 61, 70, 76, 78, 80, 87, 89-91, 95-98, 128f, 249, 258, 283, 285, 299, 303, 305, 353, 365, 369 Grundsatz 35-38, 40-43, 88, 93f, 117, 119, 124, 139, 142, 268, 274, 280, 282, 298, 324, 326, s.a. Kanon, Regel Gut, das höchste 7, 38f, 42-46, 48, 50-54, 58, 61, 71, 86, 127, 137, 188, 225 Gute, das 48, 54, 56, 63, 119, 123f, 132f Güte 67, 99, 231, 270, 273, 279f, 286, 290, 294-296, 300, 304, 308, 328, 342, 390 Handeln/Handlung 8, 18, 22, 40, 46, 5153, 56f, 62, 65, 73, 120f, 123f, 132, 136, 158, 200, 206, 260, 274, 278, 311, 314f, 319-324, 330, 355f, 360, 368f - freies 41, 51, 122, 154 - G o t t e s 61f, 154-156, 189, 194, 304, 317, 342 - kommunikatives 281, 322 - politisches 46, 153-155 - sakramentales 13f, 73, 230, 362f s.a. Freiheit, Konsens, Praxis, Repräsentation, Sprache, Sprachhandlung, Werk Heautonomie 54, 84, 92 Heilige Schrift 142,147,161, 201,206, 248,

384

299, s.a. Bibel, Gesetz, Metapher, Metaphorik, Verheißung Heiligung des Namens 194, 196f, 213, 219, 225, 237, 286, 299, 309, 329, 347, 362, 364f, 367 Heiligkeit 66, 116, 287, 300, 310 Heimkehr 193f, 196, 202, 211, 213, 229, 270, 274, 307, 315, 347 Hermeneutik 125-127, 206, 317f - juristische 123 - praktische 141, 317f Herrlichkeit 235, 237, 240, 279, 324, 329, 332, 351, 353, 356 Herz 66, 116, 160, 164,170f, 227, 232, 312, 315, 320, 350, s.a. Gewissen Herzensgrund 63 Herzenskündiger 62-64, 135, 159f, 163165, 170 Hingabe 365-367 Hören, das 117, 145, 147, 162, 233f, 241, 269, 313, 368 Hörgemeinde 367f Hoffnung 1-9, 11, 13-15, 23-28, 30, 32-51, 54, 59-65, 69f, 86f, 99, 111, 127, 131, 133, 136, 147, 149-151, 154, 159, 164166, 168, 175f, 180, 185-187, 191f, 194f, 197, 199-201, 203, 209, 211f, 216, 220, 225, 235f, 239-240, 266, 28 lf, 284f, 287, 289, 311, 320, 323f, 327, 329-332, 335, 338-346, 349, 35 lf, 355, 363f, 367, 369 - augenblickliche 59-65, 165, 176 - Dialektik der 49, 51, 150, 176, 339 - ikonische 1, 2, 165f, 192, 348f, 352 - negative 30, 48, 63, 65, 146, 155, 162, 173, 175 - sichtbare 16, 151, 343, 348 s.a. Enthusiasmus, Gericht, Gott, höchstes Gut, Reich Gottes, sensus communis, Urteilssinn, Verheißung, Wahrheit Hoffnungsfrage 23-26, 30-38, 42-47, 54, 58, 69f, 83, 99, 168, 187 Hohelied 208, 217 homo noumenon 63f, 144 Homologie 2, 4f, 15, 162, 195f, 198f, 202, 204-206, 208-213, 216, 218-220, 226, 235f, 239f, 254f, 259f, 263, 266f, 277f, 295f, 304, 326-330, 332-334, 339, 343f, 346, 351, 353, 358, 360, 369 Hymnus 294, 321, 324, 331 Hypothese 16, 48, 70, 75, 78, 91, 262, 268, 317, 343

,Ich bin da' 196, 238, 243, 248, 250f, 253f, 256, 258, 261, 267 Ideal 24, 38, 42, 46, 48f, 53f, 66, 70f, 74f, 78-80, 87, 91, 127, 143 Idealismus 26, 39, 81, 204, 351 Idee(n) 29, 34, 38, 40f, 44f, 48f, 54, 56, 61f, 65, 70, 72, 77, 8 if, 86, 89-91, 95-97, 106, 113, 124, 126, 129f, 219f, 222f, 225, 241, 258, 271f, 283, 304 - Gottes 32, 42, 49, 81, 90, 92, 97, 129, 135, 182, 201, 305 Idol 60, 70, 77-80 Idololatrie 79, 149, 174 Ikonisch If, 33, 109f, 165f, 179-181, 192, 201, 205, 214, 329, 348, 352, 356, 361-371 s.a. Anschauung, Dichte, Freiheit, Geheimnis, Hoffnung, Sakrament, Sehen, Sinn, Unendlichkeit, Zeichen Imperativ 27, 34, 38-43, 45, 119, 138, 165, 324, s.a. Kategorischer Imperativ Imputation 68, 120f, 123, 316f Indikator 292f, 298 Individuum 229, 293, 339, 358 Instinkt, s. Gewissen Interferenz 17, 112 Israel 20, 152, 242, 262, 284, 288, 299f, 306, 310, 312, 323, 327f, 334, 341-346, 349f Jesus Christus lf, 4, 9, 11-13, 19, 61, 72f, 174, 188, 195, 227, 233f, 242, 245, 264, 274, 333f, 337f, 359f, 361-371 - ,in Christus' 200, 228, 233, 236, 247f, 267, 282 s.a. Kreuz, Menschenfreund, Geheimnis Jichud Haschern 196, 198, 202, 205f, 209, 211, 214f, 218, 228, 233, 235-237, 240, 242, 277, 285, 320 Jom Kippur 213, 232, 239, 289, 348f Judentum 5, 151, 162, 193-195, 213f, 226, 312, 334, 337 Kanon 8f, 35-39, 41, 116, 122, 124, 131, 165, 313 Kappara 201, 228, 232f Katechese 182, 186, 197, 205, s.a. Mystagogie, Propädeutik Kategorien 13f, 94, 104, 123, 129 Kategorischer Imperativ 27, 30, 33, 35-37, 40f, 48f, 54, 64, 85f, 109, 117f, 122-124, 126, 133-135, 147, 162, 164, 183, 241, 313, 320

Kennzeichnung 251, 256f, 292f, 298f Kirche 1, 12f, 17f, 20, 67, 73, 140f, 262, 334, 338, 342f, 345, 367, 369-371 Kol Nidre 227, 350f, 353, 355 Kommen Gottes 254, 260f, 263, 272, 351f - Jesu 362 Konflikt 33, 39, 51, 57, 130f, 142, 187 - der Interpretation 56-59, 127-131, 184 Konsens 17, 21, 64, 107f, 111, 156, 312, 320 Korrelation 27, 98, 117, 128f, 217-220, 223-226, 228f, 231, 236, 254, 283, 312, 318f Kreatur 285, 297, 306, 325 - arme 184, 278, 284f, 292, 295, 298, 306, 308, 327, 330 Kreatürlichkeit 10, 29, 65, 85f, 109, 149, 166, 187, 274, 306 - negative 27, 37, 78 - praktischer Freiheit 27, 117, 125 s.a. Freiheit, Geschöpflichkeit, Geheimnis Kreuz 10, 12, 72f, 174, 200, 213, 234, 239, 338, 359, 365, 367-369 Kriegszustand 33, 56-58, 60, 75, 185 Krise 364-367, s.a. Gericht Kult 149, 151, 167f, 194, 230, 336, 357, 361 - der Vernunft 148f Kultkritik 148, 150f, 201 Kultruf 247, 267 Kultschrei 244, 250 Kultur 59, 139, 141, 161f, 199, 327 - des Gewissens 33, 60, 66 - der Hoffnung 159 - der Vernunft 27, 30, 59, 137, 139, 142, 159, 168 Kunstregeln 97, 103-105, 111, 198f, 275, 278 Kyrios 0esus) 199, 213, 239, 329, 334, 362 Leben 53, 101, 126, 130, 144, 154, 167, 202, 234, 274, 280, 295f, 315, 320, 328 - ewiges 194, 284, 316, 327, 329, 331 - gutes 33, 138, 159, 162f, 165, 200, 306, 330, 36lf - im Geheimnis 27f, 126, 167, 189 - jüdisches 288f - messianisches 194, 214, 284, 296, 306, 311, 328 - wachsendes 286f, 289, 295-297, 308, 320, 327, 330 385

Lebensform 4, 10, 27, 33, 127, 139f, 145f, 148, 159, 190f, 194-196, 200, 205, 270, 274f, 278, 280, 314-321, 327 - geschöpflicher Freiheit 6, 151, 186f, 190f - jüdische/christliche 193f, 284 - messianische 195f, 213, 235, 277f, 307, 313, 316f, 327, 333 - Gesetz 194f, 200, 214, 267, 273, 282, 288f, 309, 311f, 314-316, 319f, 323f, 329-331, 334f, 351, 356 - praktischer Vernunft 140, 145, 191 Leib Christi 42, 334, 359f, 364, 366, 368f Leidenschaft 138, 184-186, 223 Lernen 30, 115, 194, 196-198, s.a. Erlernen Letztbegründung 27, 36, 88, 117, 138, 154, 165, 181, 212 Liebe 7, 9, 33, 51, 54f, 65-68, 109f, 131, 145, 150, 162, 176, 185, 188, 205, 207f, 215, 227, 232, 235, 302, 308, 317, 320, 327, 330, 340f, 351, 353f, 359 - dialogische 207-209 - erwählende 203, 209, 215 - göttliche 10, 174, 208, 216 Liebesgebot 241, 313f Liebesbedürfnis 54-56 Lippe, geläuterte 200, 219f, 225, 236, 281f, 344, 347, 353f Liturgie 20, 201f, 230f, 339, 344-346, 349, 353, 356 Liturgik 20, 151, 326, 345, 348 Lob 2, 295, 324-326, 328, 334, 342, s.a. Doxologie, Hymnus Logik 21, 52, 119, 126, 228, 265, 277, 280, 366 - dialogische 198 - des Namens 237f, 240f, 244-246, 248, 265, 267, 297, 339, 356 - formale 34 - praktische 34 - spekulative 337 - transzendentale 31, 35f, 98, 130 Lüge, innere 33, 51, 56-59, 138, 161, 165, 172f, 175f, 350f, 353 Lust 82, 88f, 96f, 100-104, 108-110, 178f - ästhetische 108 - der Reflexion 92, 101, 108 Maxime 36, 40, 43, 55f, 58, 63, 65f, 106f, 116, 120, 122-124, 126, 135, 218 Mensch 37, 39-41, 46, 49-58, 61-67, 72, 386

75f, 79f, 85f, 92, 107, 109-111, 116, 118, 120, 122f, 125-127, 131-138, 141, 143f, 146f, 150-152, 154-157, 160, 162, 169f, 172-174, 176, 182-185, 188f, 229, 231, 254, 278, 281, 297, 310, 312, 318, 327, 349f, 353-355, 366 Menschenfreund 66-68, s.a. Jesus Christus Menschheit 12, 18, 85f, 145, 147, 160, 174, 185, 280f, 323f, 354f Messianismus 194, 202, 213f, 225, 284, 311 Metapher 113, 128, 130, 132, 217, 237, 275-277, 316, 329, 367-371 - Metaphernmetapher 30, 354 Metaphorik 8, 113, 116, 127f, 161, 163, 199, 205, 237, 251, 256f, 274-278, 282, 355, 367-371 - biblische 30, 33, 59, 62, 76, 130f, 136, 163, 290, 353 - semantische 130, 198f, 256 - semiotische 198, 256 - syntaktische 130, 198f, 256, 276, 307 - des Namens 30-32, 251-263, 367-371 Metaphysik 10, 23f, 27, 37f, 45, 52, 72-74, 116-118, 121 Methode, s. akroamatisch-diskursiv Mitgeschöpflichkeit 191, 278 Mitteilung 68, 99f, 104f, 107, 111, 121, 191, 322, 359, s.a. sensus communis Moral 27, 43f, 46, 48-50, 59, 125f, 138f Moralität 39, 41-44, 54, 138f, 155, 182 Mystagogie 10, 16, 186 - rationale 6, 9, 33, 65, 146, 165, 167f, 190, 197 - patristische 167 Mysterium 1, 3f, 9, 12, 186, 191f, 226 - des Lebens 145, 361 - Jesus Christus 17f, 361-370 .mysterium' 167, 183, 189, 280, 332 Mystik, reine 27, 144-146, 161, 361 Name(n) 241, 241-246, 249f, 250-256, 273, 275, 292f, 296, 298, 300, 321, 325 Name Gottes 2-7, 9-11, 14-19, 21, 30-33, 74, 140-148, 151, 162, 166-168, 182-184, 186, 192, 194-201, 203-211, 213f, 219f, 215-220, 223-228, 234-236, 241, 244, 247-257, 258-268, 272f, 275-277, 279281, 286-289, 291-293, 295-300, 304, 307f, 312f, 317, 320f, 324-332, 333f, 339, 342, 346f, 351-353, 355-359, 362-364, 366f, 369

- Jesus Christus' 2, 4, 16, 213f, 239f, 361f, 366f, 369-371 - leiblicher 359f, 361-363, 367f, 369-371 - ,der Name' 199f, 208, 211, 223f, 226, 229, 231, 233, 329, 357-371 - Name über allen Namen 200, 213f, 329f, 345f, 348, s.a. Dichte - trinitarischer Name 2, 9, 13, 195, 356, 360, 361-371 - unendlicher 1-3, 5, 15, 22, 205, 264, 289, 308, 329, 346f, 349, 357f, 361, 370f - Wort und Feuer, s. Ur-Formel s.a. Deckname, Elimination, Geheimnis, Gott, Negativismus, Tetragramm, selbstbezügliches Zeichen Namenshomologie 206, 277, 327, 358 Namensruf 199, 209, 24 lf, 244-246, 248, 251, 325, s.a. Ruf Namensverheißung 254, 264, 333, 339, 346 Natalität 50f, 59-65 Naturgesetz 39f, 46, 83f, 132 Naturzustand, ethischer 56-60, 136f, 164f, 174, 176, 185, 188 Negation 85, 222, 258f Negativismus 6f, 62, 144f, 148, 179, 182f, 346, s.a. Enthusiasmus Negativität 62, 68, 70, 191, 304 Nichts 52, 72f, 216, 221, 246, 285, 302 Nihilismus 151, 187 Nominator, s. Name(n) Notwendigkeit 42, 44, 78, 80, 93, 101, 105f, 126, 283 - absolute 70-76, 90 Öffentlichkeit 12, 67f, 107, 111, 138, 141, 152, 157, 168, 171, 173f, 200, 230, 308, 320-322, 324-329, 331 - eschatologische 12, 152f - gottesdienstliche 152, 311, 325-328 - revolutionäre 157, 159 s.a. Dialog, Diskursethik, ethisches gemeines Wesen, Volk Gottes Ökonomie - göttliche 200, 210, 236, 260, 262, 284, 286, 289, 305, 311, 320, 335f, 340, 353 - messianische 283, 304, 306, 308 Offenbarung 2, 9, 65, 73f, 118, 122, 141144, 146-149, 172, 191, 199, 204-206, 215, 217f, 237, 239, 246f, 249, 256, 260, 263, 278, 283f, 295, 297, 299f, 303-305,

308, 310, 312, 318, 329, 341, 343, 353 - Elimination 144, 218 Ontologie lOf, 13, 16, 24, 95, 127, 359 Ontologisches Argument, s. Gottesbeweis Ontotheologie 8, 70,95f, 191, 279, 291, s.a. Aporie Opfer 151, 229-231, 234f, 348, 365-367 Orientierung 5, 24, 54f, 69f, 74, 81, 148, 161, 187, 248 - reale 70, 80, 199f, 246f, 269-272, 291f, 307f - praktische 29, 41, 43, 86, 99 s.a. Weltorientierung Paradox 3, 120, 122f, 125, 172f, 188, 217, 295, 326, 342, 353 Personsein 120 - christologisch 17, 367f Pflicht 30, 44, 49-52, 55f, 66, 80, 116, 124, 136f, 159f, 165, 173, 188f, 309, 312, 317, 351 - gegen Gott 148f - der Menschheit gegen sich selbst 137f, 150, 161, 190 Pflichtformel(n) 53, 137, 173 Pluralität 50f, 65, 68, 78, 127, 199, 308, 360 - grammatische 130, 142 Pneumatologie, s. Geist, Heiliger Position 84f, 91-98, 104, s.a. Existenz - absolute 71, 91, 93 - logische 92 Postulat 34, 61, 63, 70f, 94 Postulatentheologie 33, 49, 79 Prädikation 91-98, 114, 273-277, 280, 283, 289f, 292f, 296, 298f, 307 Prädikator 242, 250, 252, 256f, 273, 291293, 297f Präsenz 63, 109, 146, 179, 182, 198, 204, 211, 218, 254, 267, 276, 289, 337, 359f, 362 - ,des Namens' 207f, 210, 215-217, 219, 235f, 255, 260, 269, 272, 281, 297, 313, 363, 365 s.a. Augenblick, Gegenwart, Diachronie, Realpräsenz Präskription 262, 268, s.a. Beschreibung Praxis 33, 136, 159, 225, 361f Prinzip 2, 36, 40, 46, 49f, 52, 56, 69, 71, 77, 89, 95, 130, 142, 265 - der Urteilskraft 84 - der praktischen Vernunft 116

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- der Vernunftreligion 116, 137, 172 Privatsprachlichkeit 57f, 66 Privation 302-304 Propädeutik 131-134, 324-330 Proskynese 239, 286, 289, 344-346, 352f, 355, 357-359 Realpräsenz 336-339, 360, 362f, 369-371 Realsymbol 13, 17, 19, 366f Rechtfertigung 46, 55, 160, 227, 230, 264 Rechtfertigungsbedürfnis 55, 154-156 Referenz 31, 253-256, 267, 275, 277, 280, 307, 365, s.a. Bezugnahme Reflexion 31, 38, 41, 43, 48, 58, 64f, 67, 70, 72, 76, 79, 84, 87-92, lOlf, 103, 106, 108, 110, 128f, 131, 148, 189, 304f, 326 - der Reflexion 28, 70, 80f, 87, 89-91, 96-98, 100, 102, 111, 130, 155, 165, 171, 186f s.a. Amphibolie, Denken, Urteilskraft Regel 2, 36f, 40, 43, 63, 80, 100, 104f, 107, 113, 128-131, 175, 198f, 261, 265, 267, 275, 277, 342 - der Urteilskraft 80, 132, 256, 258, 262 s.a. Kategorien, Kunstregeln Reich 46, 132, 135, 160, 163f, 175, 186, 260, 285, 320-324, 330f, 340, 35 lf, 369 - Gottes 12, 17f, 24, 41, 48, 56, 59, 61, 65, 127f, 136f, 140, 142, 174, 187-191, 200, 225, 287, 311, 314, 317, 323, 327, 335, 364f, s.a. höchstes Gut, Zweck Reichweite 17f, 21, 107, 197, 237, 261f, 273, 288f, 301, 325, 331, 346, 365-368 - des Namens 235f, 328f, 335, 351, 356 Reinigung 163f, 171, 220, 224f, 227, 229, 232, 236, 280, 282, 348, 350 Relation 30, 70, 109, 129 - reale 8, 91-98, 223, 226, 236, 253f, 268 Religion 16, 24, 27, 34, 48f, 59, 66, 135, 137, 144-149, 151, 161f, 168, 191, 196, 202, 226, 361 - eigentliche 140-142, 149, 161 - natürliche 35, 139f, 149 - politische 7, 148, 151f, 161, 174 Religionstheorie 6f, 9, 11, 14, 18f, 27 Repräsentation 13f, 16, 112, 114, 191, 270f, 297, 339, 348, 360, 367 - anamnetische Christusrepräsentation 13, 364-366, 367 Revolution 63, 155-158, 168-170, 172f, 175f, 186, 188 388

- der Gesinnung 116 - des Herzens 116, 164 Rezeption ohne Rezeptivität 162 Rezeptivität 37, 119, 185 Richter, göttlicher 30, 56-58, 64, 135f, 150, 156, 159f, 189, 226, 255, 268, 328, 345, 348f, 352 Richterschaft 56, 58, 60, 63, 67, 135f, 150, 174, 186-188 - dijudikatorische 162, 190, 187f - eschatologische 146, 161, 348 Ritual 230 Ritus, s. Sühneritus Rubrik 290-292 Ruf 217, 226, 233, 243, 248, 258, 267, 273 Rückkehr 278, 284, 351, s.a. Umkehr Sabbat 284, 288, 292, 299-301, 308, 336 Sakrament 1-5, 7, 11-14, 16-22, 73, 148f, 152f, 157f, 166, 183, 191, 197, 319, 337f, 346, 355-357, 359-360, 361-371 - Jesus Christus 4, 12, 361-371 s.a. Ikonisch, Zeichen Satz 2, 8, 24, 31, 34, 72, 266, 276f, 282, 292, 298, s.a. Aussage, Verheißungssatz - universeller 258, 262, 264f, 268 - vom ausgeschlossenen Dritten 2, 240, 264, 267 Satzwerdung des Namens 238, 243, 250f, 254, 259 Sch'ma Jisrael 196, 198f, 205f, 208-210, 215f, 218-220, 228, 233-237, 257, 277, 320 Schöne, das 29, 31, 81, 94, 99-102, 108f, 111, 186, 192 Schon-Da-Sein 260, 279, 283, 295-299, 308 Schöpfer 74, 96, 118, 136, 146, 150, 189, 222, 269, 283, 294f, 300f, 304, 306, 328, 330, 353 Schöpfung 48, 74, 79, 86, 127, 134, 150f, 178f, 187-190, 247, 260, 271, 273f, 277f, 280, 283-285, 293-295, 297-301, 303f, 307f, 329, 347, 353 - Neuschöpfung 116, 274 - Schöpfung-im-Anfang 269f, 274, 278-282, 284, 298, 307f - Schöpfung-im-Wort 269f, 274, 279f, 307f Schuld 68, 316f, 354, s.a. Sünde Schuldbekenntnis 198, 201f, 227f, 230f, 236, 249, 353, s.a. Sündenbekenntnis

Schweigen 10, 167, 182, 234, 343-345, 358, 361f, 367 .secretum' 167, 279f, s.a. Geheimnis Seele 34, 130, 227, 278, 289, 313, 320, 325f, 330, 350, 354, 358f Segen 285-292,299-302, 304, 308, 316, 327 - Sabbatsegen 299f Segensgruß 289, 300, 357 Sehen 8, 29, 111 - ikonisches 2, 108f, 111, 145, 176, 191 - intuitives 27, 117 Sein 18, 78, 92-94, 97, 195, 221f, 224, 302f - absolutes 70f, 89, 91, 222 - intelligibles 121 - in Christus 140, 200, 369-371 s.a. Existenz, Position, Relation Selbstbeurteilung 39f, 50, 63f Selbstbewußtsein, s. Bewußtsein Selbsterneuerung 23 lf Selbstgesetzgebung, s. Autonomie Selbstheiligung 229, 231 Selbstrichterschaft 33, 351 Selbstvorstellung(sformel) 238f Selbstzufriedenheit 110, 145, 179-181 Selbstzweck(formel) 85 Selicha 198, 201, 209, 227f, 231f, 236f Semiotik s. Ikonisch, Symbolik, Typik, Zeichen, Zeichentheorie sensus communis 29f, 50, 66,100, 104-107, HOf, 171, 183, 186f, 191 Sichtbarkeit 1, 109, 111, 343, 348f Sidur 194 signum dcmonstrativum 3, 152, 158, 174, 347 signum prognosticon 3, 29f, 99, 152f, 155, 158, 168, 174, 195, 320, 322, 328, 331, 336, 346, 367 signum rememorativum 3, 152, 158, 174, 346 simul iustus et peccator 17, 173, 227 Sinn 4, 29, 59, 278 - innerer 63, 99-103, 107, 111, 175f, 178f - semiotischer 2, 10, 176, s.a. Urteilssinn - fürs Unendliche 8, 11 Sittengesetz 38-41, 53, 86, 122-124, 126, 132 Sittlichkeit 38-43, 48, 52f, 59, 131, 142, 223 Sollen 39, 41, 45, 190, 310, 315, 317 Souveränität 6, 136, 170, 264 - göttliche 186

- verfassungsrechtliche 157 Spannung 70, 101, 130, 156, 248, 253f, 256f, 326 Spiel, der Vermögen 100, 102-104, 108 Sprache 1, 57, 76, 98, 115, 128f, 274, 276f, 280f, 296, 307, 342, 344, 369 - ethische 58f, 138, 141, 161, 326 s.a. Grammatik, Handeln Sprachbewegung 208, 217f, 237, 355 Sprachgemeinschaft 247, 257 Sprachhandlung 232, 237, 245, 249, 255, 260, 275, 278, 325, 342, 356 Sprachspiel 195, 274, 281, 292, 311 Sprachzeichen 30, 33, 59, 206, 243f, 247, 255-257, 260, 273, 277f, 282, 286, 292, 307, 343f, 346 - liturgische 15, 209, 214, 277 Standnahme, experimentierende 142 Stellvertretung 235, 367f Staunen 2, 6, 25, 48 Stimme - des Gebots 310, 314, 318, 320 - des Gesetzes 6,147, 162, 169, 172,190, 241 Streit der Fakultäten 141 Subjektivität 25, 72f, 93, 121 Substrat, übersinnliches 81-91, 179 Sünde 17,173, 229-231, 280, 310, 349, 353, 366-371 Sündenbekenntnis 228, 347, 349 s.a. Bekenntnis, Schuldbekenntnis Sühneritus 347f Symbiose, Wahrheits- 193 Syllogismus, praktischer 320 Symbol 12, 16-18, 30, 59, 64, 81, 111-114, 116, 127f, 132-134, 163, 189, 224, 275, 366f - eschatologisches 164, 194 - juridisches 134 - praktisches 13 lf, 134-136 Symbolik 54, 65, 116, 127, 133, 151, 164f - juridische 169, s.a. Typik Symbolisation 25, 80f, 97, 99, 108, 128, 149f, 163, 192, 270, 320 Symbolsystem 112, 114f, 270, 274, 344, 349, 360 Synchronic 259 Synekdoche 359 System 35, 40-46, 52f, 70, 82-84, 140

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Tat, intelligible 173, 175 Taufe 1, 12, 73, 149, 168, 173, 191, 337 Tetragramm 2, 198, 207, 209, 238f, 240244, 248-250, 253f, 256-258, 347 s.a. Name Gottes Teleologie 46, 51, 82 Theologie 1-11, 19, 21, 24, 33f, 46, 49, 59f, 69-71, 76, 80, 113, 141, 143, 223, 271, 274, 278, 307, 311, 346 - katechetische 4, 6, 14, 167, 197, 201, 347, 355, 357 - natürliche 7, 96, 117 - negative 33, 61, 204 - politische 6f, 33, 41-47, 117, 152f, 158, 161, 187 - transzendentale 7, 28, 33, 46f, 59f Theorie der Theologie 5-11, 24 Theorie der Urteilskraft 28, 33, 70, 81f, 89, 97, 103, 152 Tiefe 366-371 - des Reichtums Gottes 340-342, 344 - der Hingabe Jesu 365-371 Tod 61, 73, 78, 235, 295, 328, 354, 361f, 364, 367, 369 Topik 66, 184, 192 - transzendentale 70, 97f, 130 Tora 237, 279, 314, 320, 331, 356, 358 Totalität 41, 44f, 47, 53f, 76-78, 178, 202 trigrammaton 238,243,249-251, s.a. Name Gottes Tugendkampf 64, 168 Typen 28, 31, 81f, 89, 127, 136, 163, 297f - praktischer Urteilskraft 28, 131, 203 Typik 33, 54, 59, 116f, 127, 130-134, 149, 161, 163, 165, 184, 320 Typus 86, 132f, 290, 338 Übersinnliche, das 54, 69, 81, 87, 92, 125, 144, 148 Umkehr 229-231, 236, 280, 348f Unbedingte, das, s. das Absolute Unbegreifbarkeit 3, 6, 29, 61, 66, 72, 80, 127, 145, 181 Unendlichkeit 1-3, lOf, 15, 17, 74, 183, 186, 188, 192, 199-201, 231, 240, 263266, 304, 341, 349, 356, 361, 369-371 - dialogische 68, 308, 330, 357f - des göttlichen Namens 3, 5, 15, 205, 264, 289, 329, 346f, 357f - schlechte 62, 64, 68, 166, 263 Unentscheidbarkeit 334, 342 390

Unveränderlichkeitsformel 261-263 Unterscheidung 105, 114, 146, 242, 245248, 255f, 260, 265, 269, 271, 273f, 278280, 285-289, 291f, 297f, 302, 306, 308, 320, 344, 355, 358, 360 Ur-Formel des ,Stern der Erlösung' 237f, 267, 333 Urteil 25, 29, 31, 50, 75, 85-89, 92f, 98, 101-107, 120, 132f, 136, 175, 206, 219f, 262, 277, 311, 320 - ästhetisches 82, 86, 88f, 91, 97, 99-102, 104f, 108 - eschatologisches 152, 161, 202, 334 - exemplarisches 107, 110 - Gottes 63, 231 - praktisches 60, 62, 99, 127, 139, 146, 155 s.a. Existentialurteil, Logik, Position, Prädikation, Regel, Satz Urteilsbildung 99, 103, 106f, 136, 196f, 320 - eschatologische 152, 155, 203 - ethisch-politische 152f - historische 99, 155 Urteilsdimension 311, 320, 324 Urteilsfreiheit 7, 100, 153f, 161, 164f, 172, 312, s.a. Freiheit Urteilsgefühl, s. Gefühl, sensus communis Urteilsgrammatik, s. Grammatik Urteilsgrundsätze, s. Grundsatz Urteilskonsens, s. Konsens Urteilskorrelation, s. Korrelation Urteilskraft, 25-29, 35-38, 57, 69f, 74, 7985, 91f, 95-103, 130-132, 152, 158, 161, 165, 176, 178, 191f, 203, 256, 258, 260262, 264f, 268, 274f - ästhetische 14, 25f, 29, 31, 33, 66, 70, 83, 89, 91, 96f, 110 - bestimmende 36, 54, 69, 83, 95 - eschatologische 33, 121, 148, 168, 174, 203, 214, 263, 320, 322, 339f - explorative 198, 203, 276 - geschöpfliche 25-27, 83f - moralische 50, 83, 121, 171 - praktische 25-27, 31, 34, 38f, 43, 49, 56, 59, 69, 110, 120, 122-126, 131f, 134, 136, 139, 146, 149, 309, 313, 339 - reflektierende 27, 54, 69, 70, 74, 79-89, 95-97, 111, 276 - sich selbst richtende 59, 121 - teleologische 85, 89f, 113 s.a. Alternanz, Symbolisation, Typik

Urteilspraxis 66, 118, 125, 138, 141f, 161, 170, 187, 189, 191 - öffentliche 147f Urteilsregel, s. akroamatisch-diskursiv, Kanon, Kategorien, Kunstregel, Regel Urteilssinn 24-26, 28f, 33, 50, 70, 96, 99, 187, 197, 286f, 307, 311f, 315, 320, 351 - eschatologischer 8, 21, 192, 287, 289, 318 - hermeneutischer 317f - praktischer 313, 317f .Vater' 67, 233-235, 240, 242, 361-363, 366 Verantwortung 30, 46, 59, 134, 135f, 145, 159, 161, 172, 309f verbum, tamquam visibile lf Verborgenheit 304, 319, 340 Verdinglichung 285 Verewigung 215-219 Vergangenheit 14, 155, 236, 256, 295-298, 303f, 337 Vergebung 68, 198, 202, 211, 227, 231 Vergegenwärtigung 3, 154, 167, 235, 255, 296, 347, 362-366 Verheißung 2f, 6, 8, 18, 21f, 25, 30, 37, 4248, 61, 67, 130f, 141f, 147, 153f, 173, 189, 199f, 211, 219, 233-235, 242, 248, 254, 259, 26lf, 264-266, 284, 292, 294f, 299, 304, 307, 32lf, 332-334, 336, 339f, 343, 345, 351, 360, 362-364, 368 - des Gesetzes 33f, 48, 159 s.a. Namensverheißung, Metaphorik Verheißungshandeln 260, 339 Verheißungsname 11, 15, 21, 196f, 248, 251, 258, 264, 266, 323, 342, s.a. Name Gottes Verheißungssatz 198, 251, 254, 267 Verifikation 146, 237f, 25lf, 263-265, 281, 296, 328, 342 Verifikationsfeld 252-255, 268, 307 Vernunft 26f, 30, 32-45, 48, 50-55, 59-61, 66f, 69, 74-78, 83, 98, 116-118, 120, 123, 125, 129f, 137, 145-149, 159, 162, 168f, 175f, 179f, 190, 199, 201, 236, 241, 281, 305 - praktische 24-26, 28, 32f, 35, 37, 3941, 47-54, 56, 59f, 71, 80, 86, 91, 109f, 116£, 119, 121-124, 128, 131, 138-140, 142, 145, 161, 179, 191, 220, 225 - reine 27, 32, 35-40, 42, 45, 47, 51, 75f, 88, 91, 121, 223

- rezeptive 27 - spekulative 45, 70f, 75, 77 - theoretische 35, 38, 41f, 47, 53, 77, 121 - utopische 66 Vernunftbedürfnis 54f, 70, 78 Vernunftdialektik, s. Dialektik Vernunftglaube 144, 147 Vernunftkultur 67, 139, 159, 162, 195, 199, 361 Vernunftreligion 7, 35, 116, 137, 140f, 143, 147, 149, 172, 280 Versöhnung 151, 189, 201, 224, 226-229, 232, 236, 265, 347f Versöhnungstag 76, 201f, 211, 228, 230f, 301, 339, 344-354, 358 Verstand 30, 36, 76, 79-82, 84, 86, 88-90, 94-96, 99f, 105, 132f, 176 Verwendung 247, 250, 267, 273 Verwendungssituation 241f, 244, 248, 257 Verzweiflung, moralische 52 Volk - ewiges 212f, 216f, 235, 242, 284f, 325, 327, 354 - Gottes 12, 18, 159, 163, 171, 173, 194, 295, 300, 323 - messianisches 201, 290, 323, 327, 331, 349 Vorsehung 283, 285, 290, 298, 301f, 305 Wahrheit 2, 3, 10, 12, 20, 44, 63, 77-79, 98, 107, 122, 124, 142, 145, 147, 159, 165, 167, 170, 175, 186, 195, 200f, 212, 218f, 225, 233, 235, 237, 241, 244f, 259, 261, 264, 266, 286f, 296, 306, 313, 327331, 333f, 346, 357, 359, 364, 368f s.a. Unendlichkeit, Verifikation Wahrheitsverwandtschaft 193f, 333 Wahrnehmen 70, 97f, 105, 132f, 250, 270f, 284, 311, 333, 335f, 351 W'ahabta 210, 241f, 313, 320 Weisheit 5, 33, 36, 63, 65, 124, 131, 133, 170, 178, 183, 203, 237, 301, 303-306, 312, 318, 342 - göttliche 61, 320 - kreatürliche 62, 133, 161, 165 - negative 28, 61, 99, 157, 159, 170, 176 - praktische 28, 161, 176, 183, 185, 189f Welt 1, 10, 38, 50-52, 86, 109, 127, 13 lf, 263, 269-272, 284, 288f, 361 - jüdische 194, 196 - künftige 35, 42, 45, 124, 288f 391

- intelligible 38, 42-44 - moralische 41, 44, 54 s.a. Typik Welterfahrung 25, 38, 133, 159, 190 Weltorientierung 44, 46, 69, 163, 200 Werk 133, 154, 254, 289, 295, 299, 301, 306-322, 331, 340, 363, 369 - des Gesetzes 196, 237, 290, 319, 324, 330, 334 Wesen, ethisches gemeines Wesen 30, 58, 137-139, 141, 145, 150, 157, 159, 161, 164, 168, 173f, 176, 186, 188f Widduj 198, 201, 209, 227-230, 236f, 349, 353, 355 Widerfahrnis 48, 65, 89, 91, lOOf, 105, 111, 169, 278, 311f, 317, 319-321, 324 Wiedergeburt 116, 164, 169, 172 Wiederholung 247, 273f, 336, 343, 354 Wille 24, 34, 39f, 46, 49f, 52-54, 56, 58, 66f, 69, 71, 80, 85f, 89, 118, 120, 123125, 134-136, 160, 170, 302f, 313, 350 - göttlicher 48, 61, 80 Wirklichkeit 10, 28, 44, 55, 67, 79, 82f, 88, 93, 95, 124, 240, 298, 302, 305, 310, 319-321, 330f, 350, 359 Wissen 39, 72, 85-87, 102f, 118f, 122, 124, 138, 145, 259, 367 Wohlgefallen 81, 91f, lOOf, 103, 105, 110, 156, 179f Wort 10, 15, 17, 21f, 72f, 142, 237, 240, 243-249, 278, 289, 312f, 319f, 330, 337, 342-346, 360, 368 - dialogisches 204, 226, 243f, 246, 267 - leibliches 361-364 - sichtbares 361, 364 Würde 160, 185, 190, s.a. Selbstzweck Würdigkeit 363

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Zeichen 14-21, 29, 62, 65, 70, 115, 146, 186, 214, 266, 278, 299-301, 331, 344346, 363f, 367f - anschauungsgesättigte 109 - endliche 183, 286, 357 - eschatologische 3, 14f, 19, 151, 201, 286, 328, 336, 345, 348, 355 - gottesdienstliche, kultische, liturgische 3f, 7f, 14f, 18f, 21, 111, 147f, 152, 155, 166, 168, 183, 193, 195-198, 200-203, 205, 214, 228, 270, 272, 237, 343f, 348, 355-357 - historische 8, 328 - ikonische, sakramentale 2-4, 8, 11, 1418, 20, 62, 191, 197, 308, 319, 332-334, 339, 343, 345-347, 355, 358, 360 -selbstbezügliche 109, 116, 119, 145, 162, 242f - zeichenlose(s) 181f s.a. Geheimnis, Ikonisch Zeichenhandlung 17, 361-364 Zeichentheorie 14, 16, 20, 23, 30, 103, 112, 167, 185, 203 Zeit 64f, 68, 72f, 174-176, 178, 253, 255, 258f, 271, 287, 291, 296, 299-305, 308, 311f, 320, 336f, 348, 351, 358 - inkommensurable 65-68, 300, 308 Zufriedenheit 51, 59-65, 110, 179, 180f, 185, 188, 190 Zukünftigkeit Gottes 3f, 6, s.a. Wahrheit Zukunft 14, 194, 236, 255, 313, 332, 337, 341, 343, 355 Zweck an sich 86, 109, 135, 150, 160, 176 Zweistämmigkeit der Erkenntnis 83, 90, 95, 221

Verzeichnis der zitierten Literatur Die Abkürzungen folgen dem „Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete" (LATG) von Siegfried Schwertner. Die Abkürzungen des Rabbinischen Schrifttums folgen der RGG 4 . Die Umschrift hebräischer Buchstaben folgt den Richtlinien der ZAW. Bei mehreren Titeln eines Autors bzw. einer Autorin ist der verwendete Kurztitel durch Kursive hervorgehoben. [ ] bedeutet: Einfügung durch den Autor.

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