Gedichte der Gebrüder Wolf: Eine Auswahl [Reprint 2019 ed.]
 9783111506920, 9783111139821

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JAHRESGABEN DER GESELLSCHAFT FÜR ELSÄSSISCHE LITERATUR . V1

GEDICHTE DER GEBRÜDER WOLF:

STRASSBÜRG VERLAG VON KARL J. TRÜBNER 1916.

GEDICHTE DER GEBRÜDER

WOLF.

EINE A U S W A H L .

E I N G E L E I T E T UND

HERAUSGEGEBEN

VON

PROFESSOR EUGEN MÜLLER, OBERLEHRER AM PROGYMNASIUM IN OBEREHNHEIM.

Mit vier /arbigen Bildern nach Aquarellen J. Buchschmuck von Carl Spindler.

STRASSBURG V E R L A G VON K A R L J . T R Ü B N E R 1916.

Wolfs.

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.

Druck von M. Du Mont Schmuberg, Straßburg.

Vorwort. Die Gedichte der Oebrüder Wolf können als Einführung zii der im vorigen Jahre unter dem Titel „Deutsehe Dichtung im Elsaß von 1815 bis 1870" von E. v. Borries herausgegebenen Blätenlese elsässischer Dichter des neunzehnten Jahrhunderts gelten. Zwei Jahre später als der Nestor der in iener Auswahl vertretenen Dichter, Karl August Lamey, geboren, sind die im beginnenden Mannesalter 1806 und 1812 dahingeschiedenen Zwillinge von Oberehnheim in ihrer Dichtkunst ganz im achtzehnten Jahrhundert stecken geblieben, während Iener, wenn auch zunächst an den Mustern dieser Zeit gebildet, in seinem langen, bis über die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hinausreichenden Leben doch noch vom Hauche unserer großen Klassiker berührt worden ist. Aber die Brüder Wolf sind auch in anderer Hinsicht, und zwar im besten Sinne, Kinder des Zeitalters der Autklärung, da» an die angeborene Oüte des Menschenherzens glaubte, für Humanität auf allen Gebieten, für Völkerverbrüderung, für weitherzigste Duldung schwärmte. Ein eigenartiges Geschick hat diese sanften Seelen eine der blutigsten Perioden der Völkergeschichte erleben und in gewissem Stnne an ihren Ereignissen teilnehmen lassen. In dem alten Reichsstädtchen, das in den gesegneten Vorhügeln des der Schutzpatrontn des Landes geheiligten Berges liegt, erscheinen die Herolde des Umsturzes mit dem Blutgerüst, und von den gewaltigen Wogen der Revolutionskriege wird der eine der beiden Brüder aus dem Frieden seiner Heimat herausgerissen. Auch bei diesen beiden Elsässern erkennen wir wieder, daß es nicht die Revolution gewesen ist, die das Elsaß für Frankreich gewann, sondern der Kriegsruhm und namentlich die ordnende und organisierende Tätigkeit Napoleons. Von den Taten der Revolution wenden sich die in den patriarchalischen

Verhältnissen der Kleinstadt and im Schatten des OdüienKlosters aufgewachsenen Brüder mit Abscheu ab, und wenn sie den Kaiser verherrlichen, so geschieht es in erster Linie im Hinblick aal den Frieden, den er der Welt bringen wird. Es ist rührend zu sehen, wie der eine der beiden Brüder überaü, wo ihn die Züge der republikanischen und später der kaiserlichen Heere hinführen, auf den Spuren der deutschen Dichter wandelt, wie er das Glück, im Hause des hochbewunderten Geßner in Zürich zu weilen, kaum zu fassen vermag, wie er in Ottensen das Grab des kürzlich verstorbenen Klopstock, in Halberstadt Gleims „Hüttchen" besucht und in Empfindsamkeit schwelgt. So ist die Seele dieser Elsässer durchaus deutsch; sie blieb deutsch trotz der Begeisterung für Napoleon und fand darin keinen Widerspruch, weil sie noch ganz von den weltbürgerlichen Idealen der Aufklärung beherrscht war. Die Zeiten haben sich gewandelt, die Weltbürgerüchkeit ist der nationalen Staatsgesinnung gewichen, die ihre weltgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen hat. Mit Rührung wird man in unserer eisernen Zeit die anspruchslosen Gedichte der beiden Brüder lesen, denen eine rauhe Gegenwart den kindlichen Glauben an eine schönere Zukunft, der sich auch in ihren sanftgetönten Aquarellen widerspiegelt, nicht rauben konnte. Daß Karl Spindler, dessen Kunst in demselben Boden wie die Poesie der Oberehnhetmer Zwillinge wurzelt, mit zarter Hand und feinem Verständnis deren poetische Gebilde belebt hat, kann als eine besonders glückliche Fügung betrachtet werden; ihm sei auch an dieser Stelle herzlichst gedankt. Ebenso ist es uns eine angenehme Pflicht, dem Herrn Bürgermeister und dem Gemeinderat der Stadt Oberehnheim, die durch eine bereitwilligst gewährte Beihüfe die zeitgerechte Ausstattung des Werkchens ermöglicht haben, für das hierdurch bewährte künstlerische und vaterländische Interesse aufrichtigst zu danken. Straßburg i. E.. März 1916, im zwanzigsten Monat des großen Krieges. Der Vor stand, der Gesellschaft für Elsässische

Literatur.

Einleitung. Das vorliegende Büchlein ist dem Andenken zweier Männer gewidmet, denen, wie der verdienstvolle Lokalhistoriker Abbé J. Gyss von Oberehnheim mit Recht sag}, bei günstigeren Zeitverhältnissen und weniger frühem Hinscheiden bei der Nachwelt ein wohlverdienter Ruhm nicht entgangen wäre. Es sind die Gebrüder Wolf oder, wie sie sich selbst in ihren Dichtungen nennen, die Zwillinge von Oberehnheim. Sie lebten und dichteten gegen Ende des 18. und im Anfang des 19. Jahrhunderts, zu einer Zeit also, in der infolge der großen französischen Revolution und der napoleonischen Kriege die Poesie im Elsaß fast völlig verstummt war oder nur in außergewöhnlichen Fällen ihre Stimme hören ließ. Merkwürdig wie ihr Leben muten ans auch ihre Dichtungen an, die ein gut Stück geistiger Geschichte des Elsasses aus der Revolutionszeit und der napoleonischen Epoche enthalten und in ihrer an deutsche Muster der klassischen Zeit angelehnten Form zeigen, wie stark noch am Ende des 18. Jahrhunderts das literarische Leben unseres Landes durch deutsche Vorbilder bestimmt wurde. Johann Theobald und Josef Blasius Wolf erblickten am 2. Februar 1774 in Oberehnheim das Licht der Welt und wurden, da man für das Leben der Neugeborenen fürchtete, bereits am nächsten Tage in der altehrwürdigen Kirche des Städtchens getauft. Die Zwillinge sollen eine ganz merkwürdige Schädeibildung mit zur Welt gebracht haben; sie sahen aus, als hätten sie Käppchen auf, was die Hebamme zur Bemerkung veranlaßte: „Aus diesen Kindern wird mal was ganz Besonderes werden." Der Vater, Georg Wolf, das Oberhaupt einer mit Kindern reich gesegneten Familie, war ein in dürf1

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tigen Verhältnissen lebender Winzer, der sich in seinen Mußestunden gerne mit Malerei and Bildschnitzerei beschäftigte, und dem die Zwillinge ein gewisses Talent zur Dichtkunst nachrühmen. Diese Geistesgaben scheinen sich in besonderem Maße auf seine Jüngsten vererbt zu haben. Mit inniger Dankbarkeit gedenken noch später die Zwillinge des wackeren Mannes, ,4er in die ländlichen Herzen Einfalt und Tugend ergoß". (Dem kranken Vater. Jos. Blas.) Seine Kinder zur Einfachheit und Arbeitsamkeit, zur tiefen, teder Heuchelei fremden Religiosität und zu einem frohen Genießen der schönen Gottesnatnr zu erziehen, war diesem biederen Manne aus dem Volke eine wahre Herzenssache, und er selbst war und blieb bis an sein Lebensende in allen diesen Tugenden seiner Familie ein leuchtendes Vorbild. Oft hat die bittre Not an die Türe der Familie geklopft, besonders zu Zeiten, von denen der ¡unge Theobald singt: „Oft schlägt die Traub' uns ihre Wohltat, — ach! — Des kargen Schweißes Lohn, Hartherzig ab, und dann — umsonst war er. Des armen Landmanns Fleiß." (Joh. Theob.) Heiße Gebete wird man dann wohl zu Odilia, der Schutzpatronin Ehnheims, emporgesandt haben, deren Geburtshaus in nächster Nähe stand, und deren Gotteshaus in bläuliche'Ferne aus dunklem Waldesgrün zur Vaterstadt herübergrüßte. Gar oft sind die Kinder in Begleitung ihrer Eltern und Geschwister an Niedermütister und dem Odilienbrünnlein vorbei zur Grabstätte der Tochter Atlichs gewallt. An den Weiden der Ehn entlang führte sie der Weg iiber fruchtbare Felder und blumige Wiesen durch das romantische Klingenthal hinauf zur grünen Wildnis des mächtigen Berges, von dessen Höhe sie das herrliche Elsaß, die völlig paradiesische Gegend, bis zu den fernen Schweizerbergen überblicken konnten: Jugenderlebnisse und Jugendeindrücke, die später in den Gedichten ihren poetischen Niederschlag erhalten und gefunden haben. 2

Vom Jahre 1779 an besuchten die Zwillinge die Volksschule ihrer Vaterstadt, an der je ein Lehrer für die deutsche and französische Sprache wirkte, und deren Aufsicht dem damaligen Rektor Guntz und seinem Vikar Schulz anvertraut war. Die beiden Geistlichen erkannten bald die ganz außergewöhnlichen Geistesgaben der Zwillinge. Sie suchten die Knaben in jeder Hinsicht zu fördern und fanden in dem Baron von Oberkirch die Persönlichkeit, die sich auf ihre warme Befürwortung bereit erklärte, für die weitere Ausbildung der Knaben Sorge tragen zu wollen. So wurden sie denn nach Straßburg gebracht, wo sie eine der höheren Schulen besuchten, um dann an der Universität den klassischen. Studien obzuliegen. Leider fließen für die Kenntnis des Straßburger Aufenthalts die Quellen sehr spärlich, so daß wir uns bescheiden müssen, an der Hand der Gedichte das Bild jener Straßburger Studienzeit vor unsern Augen wieder erstehen zu lassen. Auch in Straßburg zeichneten sich die beiden Jünglinge durch rasche Auffassungsgabe, große Wißbegierde und unbezwingliche Lust am Lesen aus, die sie von den jugendlichen Spielen und Vergnügungen ihrer Altersgenossen fernhielt. Ihr Charakter zeigt schon frühe jenen Zug zum Ernsten und Vertieften, der ihnen stets eigen geblieben ist. Josefs Lieblingslektüre bilden Homer, Vergil und Horaz, während Theobald sich gerne in die reichbewegte Geschichte des Elsasses, besonders in die Lokalgeschichte Straßburgs vertieft, eine Neigung, die vielleicht durch den freundschaftlichen Verkehr mit Johann Friese, dem bekannten Jugendlehrer und Verfasser der „Vaterländischen Geschichte", noch gefördert wird. Beiden aber gemeinsam ist die hohe Begeisterung für die Werke der zeitgenössischen deutschen Dichter. Klopstocks Messias ist ihnen das hohe Lied, und des Dichters überströmende Empfindsamkeit, sein Idealismus für Gott und Sittlichkeit, sowie sehte an Homer gebildete Sprache durchglühen die gleichgestimmten Seelen der Jünglinge. Goethes und Schillers Jugenddichtungeh werden gelesen, und dem „Harfner Lenorens", G. A. Bürger, bringen sie ihre jugendliche Huldigung dar. Die reinste Freude aber 1*

gewähren ihnen neben Klopstocks religiösem Epos die Idyllen Solomon Geßners, „Der früh der Knaben glühender Stirne schon Den ersten Dichterfunken entlockete. Als an des Rhenus Weidenufern Fern von dem lärmenden Spiel der Schüler Die Zwilling' irrten." (An Heinrich GeBner. Jos. Blas.) Erheben sie sich mit Klopstock gerne über das Alltagsleben, so flüchten sie mit GeBner oftmals in eine erträumte Welt von Hirten, die ebenso wie sie rein und treu in ihrer Liebe sind, Vater und Mutter ehren und in den bescheidensten Verhältnissen glücklich und zufrieden dahin leben. Daneben entzückt sie das Naturgefühl des modernen Theokrit, der so fein die Stimmungen der Natur beobachtet und in der Kleinmalerei dieser empfindsamen Welt unter den Dichtern kaum seinesgleichen hat. Daß nicht auch ihre Heimat solche Dichter wie Klopstock und GeBner besitzt, schmerzt sie tief, und eine ihrer feurigsten Oden, angestimmt zum Lobe der großen deutschen Vorbilder, schließt mit der Aufforderung an Alsatiens Dichter, jenen nachzueifern, sie zu erreichen. Auch noch in einer anderen Hinsicht zeigen sich die Zwillinge mit Geßner geistes- und wesensverwandt. Wie er, so wissen auch sie mit Pinsel und Palette umzugehen, und die kleinen, zierlichen Aquarelle, mit denen diese Auswahl geschmückt ist, muten uns wie ein Stückchen Poesie an. Auch das aus jener Zeit stammende Bildnis ihres viel älteren Stiefbruders, des Bildhauers Lorenz Hubert, der sich in dem schönen Kreuzweg auf dem Oberehnheimer Friedhof und in vielen Christusbildern landauf, landab verewigt hat, sowie das seiner Frau sind duftig, frisch lind lebenswarm gehalten und verraten ein nicht gewöhnliches Talent auf diesem Gebiete. Unter den damals an Straßburgs altehrwürdiger alma mater wirkenden Lehrern gedenken die Zwillinge unter anderen des J. J. Oberlin, der deutsche mit klassischer 4

Altertumswissenschaft verband, ferner des berühmten Hellenisten Schweighäuser, in dessen Familie die beiden Brüder verkehrt zu haben scheinen. Geleitet und beeinflußt von solchen Männern, durch die Straßburg auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft seine alte Anziehungskraft bewahrt, wagen die Zwillinge im Kreise gleichaltriger Genossen, unter denen wir bekannte elsässische Namen von gutem Klange treffen, den ersten dichterischen Flug. Noch kaum sechzehn Jahre alt, unternimmt es Theobald, die schöne Idylle Geßners „Daphne" in eine antik aufgebaute Ode umzuformen, deren erste Strophe also lautet: „Nicht den blutbespritzten, kühnen Helden, Nicht das Schlachtfeld singt die frohe Muse, Schüchtern flieht sie das Gewühl, die leichte Flöt' in ihrer sanften Hand." Und Josef Blasius verdeutscht schon im Jahre 1789 in freier Weise die bekannte Ode des Horaz: Vitas hinnuleo me similis, Chloe (carm.1, 23.) Die Übertragung der Ode, die ohne merkliche Verstöße gegen das Metrum in asklepiadeischem Versmaß wiedergegeben ist, zeugt von großem Sprach- und Formtalent des jugendlichen Verfassers. Den Jahren 1789—1794 gehört eine große Anzahl von Gedichten an, die sich als Heimatsoden und -lieder bezeichnen lassen. Die Stätten der ersten Kindheit und frohen Jugendzeit finden in ihnen poetische Verklärung. Josef besingt die Vaterstadt mit ihren rebumkränzten Höhen, auf denen besonders im Herbst zur Zeit der Weinlese fröhliches Leben herrscht: „Weinstöck' nun durchirren am bollwerkähnlichen Hügel, Winzergelächter vernehmen auch möchf ich und Lieder der Mädchen! Alles ist Leben, Vergnügen alles, Zufriedenheit alles. Karren im Hohlweg knirschen, es schäumt in den schwappelnden Fässern. 5

Mühsam steigt das Biittchen

am Rücken der wackeren Löhner Auf und ab; ihm iächelt entgegen der glückliche Eigner: Aber, begeisternder Herbst, du bist des besonderen Lied's wert." (Die Weiden am Ehnus.) Gerne lauscht er dem Wellengemurmel der Ehn: „Unter der Nacht der Weiden, im kühlen Erlengesäusel, Wo, an das Bord sich lehnend, er sinnt auf Lieder für Freunde. Hierher folgt die Muse dem Dichter und setzet die Flöte An die göttlichen Lippen und ruft antwortenden Hügeln."

Mit ihren Freunden durchstreifen beide gar oft den kleinen, dunkeln Tannenforst bei Bernhardsweiler oder eilen an dem romantisch gelegenen Siedermünster vorbei zu den grauen Altertumsdenkmälern des Sagenreichen Odilienbergs, der Johann Theobald zu ,4em Morgengesang auf Hohenburg" begeistert: ,J)a wälzten ihrer Waffen Trotz Die stolzen Römer drauf, Und eine Feste weit und hoch Schaut über's niedre Land. Die Zeit riß sie bald nieder; Schutt Bezeichnet bald den Ort. Bis Attich ihn der Einsamkeit Und dem Gebete weiht. Nun wandelt auch der Zum heitgen Tisch Wo einst das schnöde Merkur und Teut

Altar sich des Herrn, Opferblut gedampft.

Und Menschenlieb und Einigkeit Zog ein in's heil'ge Zelt Der Landestöchter; unter sie Streut ihrer Tugend Licht Odilia." 6

Die fürstliche Wundertäterin selbst und ihre große Nachfolgerin, die Äbtissin Herrad, auch des Gesanges kundig, ziehen in Oden, Idyllen und Elegien an unserm Auge vorüber. Enthalten auch die Gedichte besonders in formaler Hinsicht mancherlei Mängel und lassen sie noch eine starke Anlehnung an Geßnersches Sprachgut erkennen, so sind sie doch auch wieder reich an selbstempfundenen dichterischen Schönheiten, die um so anerkennenswerter sind, als die Zwillinge damals noch in sehr jugendlichem Alter stehen und nicht gerade unter sehr günstigen Zeitumständen die Dichtkunst pflegen. An das schon im Jahre 1789 entstandene Gedicht „Furchtsamkeit" reihen sich im nämlichen und in den darauffolgenden Jahren einige Liebesgedichte, die nicht nur wegen ihrer Frühreife, sondern auch wegen ihrer Form beachtenswert sind. Denn neben der Ode und Idylle, sowie der besonders von Geßner bevorzugten rhythmischen Prosa begegnet uns zum erstenmal in ihnen die gereimte Strophe. Darnach lassen sich diese Gedichte in zwei, aach inhaltlich verschiedene Gruppen zusammenfassen. Ganz nach Geßnerschem Vorbild seufzt der Rinderhirte Lykas über die Untreue seiner Geliebten: JLr setzt sich in die angenehmen Schatten der alten Bäume und klagt seine Leiden, indes sich gattende Vögelchen um ihn hüpfen, hin und her flattern und froh sind, sich hier gefunden zu haben. Dann legt er die Faast unter das Kinn, blickt starr vor sich und singt: . . . . Ich will dich meiden, finstrer Ort! o Einsamkeit! wie bitter bist du mir, sonst meine Freude, wo ich voll glücklicher Sehnsucht ihr entgegenharrte, bis sie, ähnlich der Nymphe des Haines, plötzlich hinter mir stand, ungesehen, mich umfassend mit beiden Armen, die Augen zärtlich mir drückend! — Kommt ihr zu mir, meine treueren Gespiele! — angenehme Gesellschaft! — Du zottiger Hüter meiner Herden, der dort am Bächlein herumschweift, und du, Ziegenbock, der du furchtsam ihm ausweichst — kommt, mit euerm Schmeicheln mich zu zerstreuen! Scherzet mit mir! umsonst 7

— in eurer stammen Gesellschaft kann ich keine empfindsamen Freuden genießen, wie ich sie mit meiner schönen PhiUis genossen habe Also klagte der treue Lykas, und um sich von seinem Unmute zn zerstreuen, wollte er die silberstimmige Flöte den sanft sich spaltenden Lippen nun nahen; aber er legte sie wieder traurig hin; denn die bitteren Tränen rieselten über seine glühenden Wangen hernieder wie Bäche, und seine Brust pochte wie vor Angst. —" (Lykas 1792; Joh. Theob.) Tityrus liebt die unschuldige Phillis, die schönste der Schnitterinnen, und für sie fleht er: „Schattet, schattet umher, Erlen und Weiden am Bach, Meiner Geliebten weiße Stirn' und die rosigen Wänglein! Aber küsset ihr ab, Lüfte, den triefenden Schweiß! Und du, Hütchen, o deck' ihr zartes Köpflein von oben. Daß nicht Sonnenglut schwärze der Schnitterin Haut!" (Tityrus. 1794.) Den Übergang zur zweiten Gruppe mag die elsässische Idylle „Liebesgeschwätze" bilden. Franz und Therese sitzen schon seit dem frühen Morgen am beblümten Hange und vergessen über ihren Llebesschwüren und -küssen die Arbeit, bis sie endlich von der hinzukommenden Mutter des Mädchens in ihrem „Liebesgeschwätze" gestört werden. Ganz andere Töne klingen uns aus den Liebesgedichten der zweiten Gruppe entgegen. Es ist die Stimme der mit der Liebe tändelnden Anakreontik Hagedorns, Gleims und verwandter Dichter. Der Elsässer Knabe möchte, wie die kleine Biene um die Weinbeere summt, sein Mädchen ,jimgaukeln". Der junge Gärtner hält Zwiesprache mit der duftenden Rose, die er der Geliebten zur Namenstagsfeier überreichen will. In dem kleinen Winterliedchen Joh. Theobalds ,An die Sonne" spricht sich die Sehnsucht der Liebenden nach dem Frühling aus, der die lugendlichen Herzen wieder höher schlagen läßt: 8

„Wo ich ApolT geweihet Im Schatten saß, Wie sieht's dort aas? beschneiet Ist Grund und Gras. Oft sang zu meiner Seiten Mein Dorchen schön. Gelagert bei den Weiden, Die nackt letzt steh'n. Behorcht von niemand schallte Da mancher Kuß, Unschuld'ge Liebe wallte Im Überfluß. Ach! hin ist Freud' und Frieden In der Natur, O Doris! seit wir schieden Von Trift und Flur." Die Huldigungen, die in diesen Gesängen den angebeteten Schönen dargebracht werden, gelten aber nicht mehr den erträumten Figuren der Hirtinnen Geßners; hinter dem Dorchen, dem Ännchen oder Beliehen verbergen sich die lieblichen Töchter und Nichten des Bürgermeisters Horrer, der in den hochgehenden Wogen der Revolution auf kurze Zeit die Schicksale der Stadt Oberehnheim leitete. Das weltgeschichtliche Ereignis, wie es sich in Straßburg, in der Vaterstadt und in der nächsten Umgebung vor ihren Augen abspielt, regt den dichterischen Geist der Zwillinge zu tief ergreifenden, packenden Schilderungen an, und wir verdanken dieser Zeit eine ganze Anzahl von Gedichten, die den blutigen Verlauf der Revolutionszeit widerspiegeln. Wie Klopstock und andere deutsche Dichter lubän auch sie dem Anbruch der neuen Zeit entgegen, wenden sich aber sofort voll Abscheu ab, als die Gewalttätigkeiten, Roheiten und Mißhandlangen bekannt werden, denen die Bürger, Frauen und Mädchen ihrer Vaterstadt durch die Revolutionäre ausgesetzt sind. 9

Sie wissen uns zu erzählen von der vandalischen Zerstörung der Heiligenbilder, Kreuze und Grabdenkmäler, von der Verwüstung des Odilianischen Gotteshauses, von der Einkerkerung lieber Verwandten und Freunde, von der Flucht der eidweigernden Priester. Und als nun der Vater ihrer Schwägerin, der Bäcker Dominikus Speiser, auf dem Marktplatz zu Oberehnheim dem Henkerbeil des Eulogius Schneider zum Opfer fällt, da rufen sie Gottes Zorn und Gericht auf das verblendete Volk herab, das den guten König und die Besten des Volkes dahingeschlachtet hat. In der Ode „Am Tage der Hinrichtung Ludwigs XVI." (1793) bricht Johann Theobald in die Klage aus: „0! du verdientest nicht, du, solchen Undank Vom unglücklichen Volke, Vielgeliebter! Wolltest gutes: selber sie schufen sich das Böse — die Blinden! Die ihr erwürgtet ihn mit eignen Händen, Kinder! war er Tyrann, der Vater? — Schwer drückt, Sprach er, als ihn krönte das Erbrecht, diese Krone den Jüngling. Aber ihr helfet sie mir tragen, meine Lasten, stehet mir bei, ihr Landesält'sten! Von der Stund' an dämmerte schon der Der ihn verewigt.

— Reichstag,

Laß mich bezeichnen, da des Toten Urne Fehlet, einen bemoosten Stein: hier will ich Für die schwachen Herrschenden einsam, für die Völker hier beten, Welche die Freiheit und ihr Glück begeistern. Daß der Furie Wut sie sich nicht schlachten Wechselweis: statt Landeserrettern, Henkern Küssen die Hände." Ihr Zorn richtet sich aber auch gegen die Dichter, die ihre Kunst in den Dienst der blutigen Bewegung stellen. Dem befreundeten August Lamey, dem Sänger der dekadischen Lieder, schleudert Joh. Theobald die Worte entgegen: 10

„Dort schau den Ehrsiichtling! in der Rotten Kreis Wie tobt er! Flammen facht er, ein Windstoß, an Und prahlt auf steiler Höh' und lachet, Wenn nun des Stürzenden Fall herannaht. Allein schon stürzt er selber; die Rächerin, Die Eulog' strafte, schmettert das Götzenbild Herab; wieviele kleine Götter Schuf sich das Volk und zerschlug sie wieder! Auch ihn, den Dichter, der sie im Liede pries, Trifft Hohn. Der Nachwelt richtenden Griffel führt Gerechtigkeit; der Torheit Larve Vor der Unsterblichen Ernst entsinket." (Meine Ehrsucht. 1793.) In den beiden Phantasien für das Klavier ,J)ie Vergeltung" und „Den neuen Märtyrern" ruft Josef Wolf nochmals die Erinnerung an die Schreckenstage des Sommers 1794 wach, die endlich mit dem Sturze und der Hinrichtung Robespierres enden. Mit Freude begrüßen sie diesen Tag, den neunten Thermidor, der den Schreckensherrschern endlich die Bette entreißt, der die Kerker leert und die blassen Opfer wieder der Freiheit schenkt. (Cangue, 1795; Joh. Theob.) Einige Gedichte der Jugendzeit haben durch die Zwillinge oder durch Freunde, denen sie gewidmet waren, in Straßburger öffentlichen Blättern oder literarischen Zeitschriften weitere Verbreitung gefunden. Doch die von den Brüdern mit Vorliebe gepflegte Oden- und Schäferpoesie findet selbst in Freundeskreisen nicht ungeteilten Beifall, und bald sehen sich die ¡ungen Dichter gezwungen, gegen die in manchen Punkten wohlberechtigte Kritik Stellung zu nehmen und ihre Kunst zu verteidigen. Sie tan dies in den Gedichten „Entheiligung", „Der Dichter und der Bauer", J)er Dichter und der Parodisierer"; es muß hier aber auch noch kurz einer poetischen Erzählung gedacht werden, die sich vielleicht auf eine wahre Begebenheit beziehen mag. 11

In der dem Zwittingsbruder gewidmeten Idylle „Der Dichter" erzählt Josef Wolf in launiger Weise, wie einst der mit der Gabe des Liedes beschenkte Hirte Daphnis bei einem patriotischen Feste in der nahen Stadt den Helden und Retter des Landes besang. Als er nun mitten im Liede einmal innehielt, um zu atmen, ,jnerkt' er, es lachten die Hörer. Bäurisch, so hieß es, klänge die Sprach', eintönig die Flöte. Und zerrissen im Innern verließ er betroffen und schamrot Eilend die Stadt und kehrte blutenden Herzens zurücke In den Schoß der Natur, auf die lieben heimischen Triften, Wo die Einfalt glücklich lebt, sich selber genügsam." Da kommt der Niedergebeugte zur Bildsäule des Hirtengottes Pan. Vor den Augen des Gottes schwört er, die Flöte niemals mehr zu berühren, und schon will er sie am Boden zerschmettern, da unterbricht ihn donnernd die Bildsäule: „Schwöre nicht, du Verzagter!

Was klagst du, ländlicher Dichter? Singe du fort des Herzens Erguß, o singe die Tugend Deines reinen Herzens! Doch sagwer hieß die Triumphe Und der Städter Gepräng" dich preisen? Bleib an der Quelle, Laß von dem Morgen- und Abendrot dich wieder begeistern, Labe am heißen Mittag die Brüder im Schweiße der Mühen Mit dem fröhlichen Klang! Nimm wieder die ländliche Rohrpfeif' Mutig zur Hand und preise die Freuden des Landes den Hirten! Wisse! Die Musen legten auf den schallenden Mund dir. Was du sangst, wenn Einfalt und ländliche Tugend dein Lied war." Aber auch in den literarischen Kreisen des Elsasses erhebt sich von verschiedenen Seiten scharfer Widerspruch. Er richtet sich ebenso gegen die von den Brüdern bevorzugte antike Odenform der meisten Dichtungen wie gegen die bewußte Anlehnung an Geßner und Klopstock, deren 12

Schöpfungen nicht mehr recht zu dem Zeitgeist der aufgeklärten Revolutionsiahre passen wollen. Der literarischen Fehde fehlt es nicht an Schärfe, und wie tapfer die Angegriffenen sich ihrer Gegner zu erwehren wissen, ersieht man am deutlichsten aus Theobalds feuriger Ode ,J)ichtergenie", die Elias Stöber gewidmet ist. Die Jungen Dichter wissen ja selbst, daß ihre Erzeugnisse trotz eifrigsten Strebens nach Reinheit der Form in mancher Beziehung noch zu unreif sind, um sich den kritischen Augen einer breiten Öffentlichkeit darbieten zu können• In den Oden an Pfeifet und die übrigen alsatischen Dichter gestehen sie ihre Schwäche auch freimütig und bescheiden ein, hoffen aber, in Zukunft Tüchtigeres und Besseres zu leisten. Den Lorbeerkranz des wahren Dichters glauben sie ledoch nur erreichen zu können durch fleißigeres Studium und vollkommnere Nachahmung ihrer bisherigen Vorbilder, wie überhaupt durch die Pflege der deutschen Sprache, der sie in der Ode „Weiser Ausspruch" — nach Form und Inhalt stark an Klopstocks Ode Jtte beiden Musen" erinnernd — den Vorzug vor der französischen und englischen einräumen. — Schon im Anfang der neunziger Jahre machten sich bei dem zartgebauten Johann Theobald die ersten Sparen eines tückischen Lungenleidens bemerkbar, das ihn zwang, dem bisher eifrig betriebenen Studium zu entsagen. Freunde und Gönner nahmen sich des kränkelnden Dichters an und verschafften ihm eine Hauslehrer- und Erzieherstelle bei dem Straßburger Notar Nötinger, der ihn gleichzeitig auch auf seiner Schreibstube beschäftigte. Wie aus den Gedichten ,J)er Praktikant an die Muse" und ,4er Schreiber und der Poet" hervorgeht, scheint es anfangs an kleinen Mißhelligkeiten zwischen Nötinger und dem niedergedrückten, oftmals reizbaren Theobald nicht gefehlt zu haben. Doch der Schatten, der über dem Verhältnis der beiden ideal veranlagten Naturen lag, schwand bald, und die Widmungen, die sich in noch heute vorhandenen, zum Teil sehr wertvollen Bücherwerken von der Hand Nötingers an Theobald finden, legen Zeugnis davon ab. mit welcher Liebe und Teilnahme man im Hause Nötinger dem kranken Jüngling begegnete. 13

Leider verschlimmerte sich das Brustübel immer mehr, und so sah sich Theobald im Jahre 1797 oder 1798 aal den Rat der Arzte gezwungen, endgültig Straßbarg zu verlassen und wieder nach der Vaterstadt Oberehnheim überzusiedeln, in deren freier Luft er von dem quälenden Leiden Genesung zu finden hoffte. In der Familie seines schon genannten Stiefbruders Lorenz Hubert fand er liebevolle Aufnahme und Pflege. Sein Gesundheitszustand scheint sich auch wirklich vorübergehend gebessert za haben. Den Straßburger Freunden preist er wie einst in gesunden Tagen die Reize und Schönheiten des Landlebens oder richtet an Johann Friese, den langjährigen Freund der Familie, schwungvolle Oden, in denen er bedeutsame Stoffe aas der vaterländischen Geschichte behandelt. Doch die Hoffnung auf Wiederherstellung der zerrütteten Gesundheit erwies sich als trügerisch. Nach einigen Jahren wurde er auf einem Balle von einem plötzlichen Unwohlsein befallen, stürzte zu Boden und starb in den Armen seiner rasch hinzueilenden Freunde am 6. November 1806 im dreiunddreißigsten Lebenslahr. Sein Leichnam wurde auf dem idyllisch gelegenen Friedhof der Vaterstadt beigesetzt, wo nicht ganz sechs Jahre später in der nämlichen Gruft auch die sterblichen Reste seines innigstgeliebten Zwillingsbruders die letzte Ruhestätte finden sollten. Mit Theobald Wolf war nicht nur ein liebenswürdiger Mensch, sondern auch eine tief empfindende Dichternatur aas dem Leben geschieden, die mit keinem andern deutschen Dichter so viele Übereinstimmung und verwandte Züge aufweist wie mit dem Hannoveraner Hölty, der gerade dreißig Jahre vorher im Alter von 28 Jahren demselben tückischen Leiden erlegen war. Wie bei Höltys Dichtkunst fällt uns auch bei Theobald der Zag zum Stillen, Ruhigen und Feierlichen auf. Die Stille der Gegend, das Schweigen des Waldes, das Murmeln der Quelle, die Rahe des Friedhofs bilden oft den Hintergrand der Gedichte. Auch Theobald ist wie Hölty ein Dichter der Natur und des Landlebens infolge einer Anlage, die durch viele Jugendumstände entwickelt und gefördert wurde. Er kennt die kleinsten Abwechselangen der Natur, 14

die dem Städter, der nur zuweilen ins freie Feld blickt, unbemerkt bleiben. Seine Seele versteht die Einfalt, die fromme Sitte und Denkart des Landmanns, mit dem er im trauten Verkehr aufgewachsen ist. Mit Hölty teilt er die tiefe Melancholie, die ihn besonders bei dem Gedanken überwältigt, die schöne Welt und Natur, seinen geliebten Zwilling und die vielen Freunde vielleicht schon bald verlassen zu müssen. Dieser gedrückten, oft grüblerischen Stimmung entspringen vielleicht auch einige Marienoden, die dem Andenken seines berühmten Landsmannes, des Lyrikers Balde, geweiht sind, sowie die geistlichen Lieder, die alle der Gedanke an den baldigen Tod durchzittert. Den ergreifendsten Ausdruck aber findet diese Seelenstimmung in der an den geliebten Zwillingsbruder gerichteten Ode: „Mein Schwanengesang". Die wuchtigen Trochäen, in denen das Gedicht fast durchweg gehalten ist, klingen sie nicht wie die dumpfen Töne der Trauer- und Totenglocke? „Mitgenossin meiner steten Schmerzen, Düstre, bange Schwermut! Du umschwebst den Kranken und vergällest Jede kleine Freude. Bleibe denn bei mir! — und weil die schwarze Traurigkeit den Dichter Oft begeistert, so bereif die Seele Vor zu einem Liede! Die den siechen Körper ausgeschöpfet Und untauglich leder Härter'n Arbeit machte; sie, die schwere Krankheit, o wie laut sagt Sie dem Siechen, daß sie gleich dem stillen See solang' am Borde Naget, bis dies' lockre Teilchen Erde In den Abgrund sinket." 15

Den Todeskeim im Herzen tragend, klammert er sich nach Art solcher Kranken ans Leben, überschaut noch einmal die Reize der Natur and gedenkt der Freunde und des Bruders. Von fürchterlichen Schmerzen überwältigt kann er das Lied kaum endigen: „Wie vor dem Tode Noch der Schwan anhebet Und aus allen Kräften fortschreit, bis er Nicht mehr kann, die Jungen Anstarrt und verstummt — so kann ich nicht mehr. Du, du füllst mein Herze, Allerliebster Bruder! zwingest meine Nerven, daß sie beben. Daß die Wehmut des gepreßten Herzens Mir die Wangen schwemmet." Die Klage tönt dann in die Worte aus: „Habe ich dies Schwanenlied gesungen, Deiner würdig, Bruder! Ach! so schall' es, bin ich nicht mehr, unsre Bruderlieb' der Nachwelt!" Ein nicht viel längeres, aber um so wechselvolleres Leben war Josef Blasius Wolf beschieden. Bei dem allge meinen Aufgebot im Jahre 1795, das die Zwillinge auf immer trennte, wurde Josef für tauglich befunden und in das 76. Linieninfanterieregiment eingereiht, das in dieser Zeit in Straßburg neu formiert wurde. In den Reihen dieses Regiments hat Josef beinahe vierzehn Jahre gestanden und in manchen, zum Teil schweren Kriegszeiten halb Europa durchzogen. Der funge Dichter und angehende Gelehrte muß also die Feder mit dem Schwerte vertauschen. Anfangs scheint Josef dem rohen Waffenhandwerk keinen allzu großen Geschmack abgewonnen zu haben. Es setzt manchen Tadel und Vorwurf von Seiten des Sergeanten ab, und als der Dichtersoldat wieder einmal beim Exerzieren einen Fehler macht, da schleudert ihm der Hauptmann das Wort „Vous n'avez point 16

d'idées" entgegen, das ihn aus allen seinen Himmeln reißt. Doch gleich gewinnt das Vorkommnis bei Josei dichterische Form, und während der Hauptmann immer noch weiter gegen den Träumer wettert, mißt er wohl im stillen schon die Silben zu einer seiner gelungensten Oden. Doch bald trat an die Stelle des einförmigen und eintönigen Lebens in der Kaserne und auf dem Exerzierplatze das bewegte Feldlager. Nach dem Friedensschluß mit Preußen im Jahre 1795 plante die Direktorialregierung einen dreifachen Angriff auf Österreich, und das 76. Regiment gehörte zu der Armee, die unter Moreaus Führung vom Oberrhein her durch Schwaben und Bayern gegen Wien vorrücken sollte. Bei Gambsheim, nördlich von Straßburg, setzte das Regiment über den Rhein, und in einem bei dem Dorfe gelegenen Haine dichtete Josef das Gedicht ,An mein Vaterland", worin sich deutlich die Sehnsucht des /ungen Soldaten nach Ruhe und Frieden ausspricht. Der Feldzug verlief unglücklich. Moreau mußte, von dem Erzherzog Karl bedrängt, den Rückzug über den Schwarzwald und den Rhein nach dem Elsaß antreten, wo auch das 76. Regiment in verschiedenen Orten Winterquartier bezog. Bald nach dem Feldzag wurde Josef des Dienstes in der Front enthoben und fand in der Schreibstube oder beim Stabe des Regiments mannigfache Verwendung. Auch aus diesem sowie den nächsten Jahren liegen verschiedene Gedichte Josefs vor. Doch Ton und Inhalt stimmen nicht mehr zu den früheren Dichtungen. Im Mittelpunkt der meisten steht die Gestalt Napoleon Bonapartes, der beinahe zwanzig Jahre lang die Welt unausgesetzt in Atem hält und das alternde Europa aus den Angeln zu heben scheint. Wie läßt der ¡unge Dichter diese gewaltige Erscheinung auf sich wirken, wie spiegelt sich der Feldherr selbst und seine Taten in den Dichtungen Wolfs wieder? Die inneren und äußeren Wirren der Revolutionszeit haben die Entfremdung des Elsasses vom früheren Mutterland eingeleitet, die Kriege der ¡ungen Republik, die Waffentaten ihrer Heere, das Feldherrngenie des ersten Konsuls und späteren Kaisers haben sie vollendet. Als die ersten Nachrichten von den Siegen des lugendlichen Generals aus Italien eintreffen, da jubelt ihm auch 2

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das Elsaß, dessen Söhne von ¡eher mit Lust und Liebe Soldat gewesen sind, in beinahe überschwenglicher Weise zu, und seine Dichter stimmen ihre Leier zum Lob und Preis des kühnen Feldherrn. Unserm Dichter ist Napoleon nicht der Ehrsüchtling, der um eigenen Ruhmes wülen zum Schwerte greift. Die Kriege, die so viele Opfer an Gut und Blut fordern, werden ihm von den falschen Kabinetten Europas aufgenötigt. Doch die Republik braucht diese Feinde nicht zu fürchten: „Seht ihn dort an der Stirn des Heer's, Das mit ihm nimmer wanken kann! Er greifet nach der Hand des Feind's Und fordert Frieden — oder siegt." (Die Schweizer an Bonaparte. Jos. Blas.) Der Dichter wiegt sich auch gern im Traume von einer glänzenden Zukunft, einem neuen Zeitalter, in dem das Glück nicht nur des französischen Volkes, sondern von ganz Europa durch die besten Gesetze des Vaters des Vaterlandes gegründet sein wird. Dann werden Künste und Wissenschaften im neuen Glänze erstrahlen, und die Dichter können sich wieder würdigeren Stoffen zuwenden als dem wilden Jauchzen der Sieger, dem Stöhnen der Verwundeten und dem Röcheln der auf dem Felde der Ehre zu Tode Getroffenen. Doch die Ereignisse der nächsten Jahre sollten die Erfüllung dieses Wunsches in weite Ferne rücken. Schon im Jahre 1798 finden wir Josef Wolf mit der Armee Schauenburgs, der auch das 76. Regiment zugeteilt ist, in der Schweiz. Während Basel und Bern ohne ernstlichen Widerstand den Feinden die Tore öffneten, wehrten sich die kleinen Kantone hartnäckig und heldenmütig gegen die Franzosen. Das 76. Regiment hatte mittlerweile Zürich besetzt, und der Zufall wollte es, daß Josef Wolf auf längere Zeit im Hause Geßners einquartiert wurde. Geßner selbst war zwar schon 1788 gestorben, aber seine Witwe lebte noch, und die ebenso umsichtige wie liebenswürdige Frau Judith leitete, unter18

stützt von ihrem Sohne Heinrich, dem Schwiegersohne Wielands, die angesehene Buchhandlang ihres verstorbenen Gatten. In diesem Hause, das schon Staatsmänner, Gelehrte und Künstler aus allen Ländern beherbergt hatte, fand auch der ¡unge Elsässer gastliches Obdach. In dem Zimmer, das ihm eingeräumt wird, blickt das Bild seines Lieblingsdichters auf ihn hernieder, und wenn er die Werke des Verstorbenen zur Hand nimmt oder die zierlichen Radierungen und Aquarelle des Meisters und seines Sohnes Hans Konrad bewundert, die „stolzen Verherrlicher des Namens Geßner". dann findet er, von tiefer Bewegung überwältigt, kaum Worte, um dem Schicksal für diese Gunst zu danken: „0 Schicksal! diese Gunst dem Verbanneten Im Kriegeswirbel hattest du aufbewahrt! Dies Wunder! gar bin ich bewirtet Unter des göttlichen Sängers Dache!" Gerne möchte er letzt wieder zur Palette greifen oder seine Saiten für neue Hirtengesänge stimmen: „Doch meiner Leier Saiten, sie tönen nicht; Der Pinsel sudelt. Tränenbenetzt, von Scham Ganz Übergossen, rafT ich scheu mich Auf, von dem Geiste geschreckt der Künste, Und schleiche schluchzend hin, wo die Feder harrt In der Kanzlei. Die Schreiber, sie heißen dort, Wenn sie nun des Verstörten öftre Irrungen spöttelnden Mundes merken. Mich ,Men Verliebten", raten die Ursach' nicht; Du selber, Sohn des Dichters, errätst sie nicht, Des tief erschütterten, geraubten Sinnes unglückliche, ernste Ursach'." (An Heinrich Geßner, 1798; Jos. Blas.) Die pietätvolle Verehrung, die er dem Gatten und Vater entgegenbringt, gewinnt dem ¡ungen Dichter bald die Zunei2»

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gung der ganzen Familie Geßner, and es entwickelt sich zwischen ihr und Josef Wolf eine Freundschaft, die bis zum Tode des letzteren bestanden hat. Doch diese Idylle mitten im Kriegslärm wurde ¡äh unterbrochen, als die Nachricht eintraf, daß die kleinen Kantone um den Vierwaldstättersee ihren Widerstand gegen die Franzosen fortsetzten. Wolfs Regiment wurde sofort nach Süden beordert, und das Bataillon, zu dem er gehörte, bezog in dem Flecken Schwyz und dessen nächster Umgebung Quartier, um die rebellischen Bauern in Schach zu halten. Hier kam es anfangs April 1799 zu einem blutigen Zusammenstoß. Beinahe 6000 Bauern hatten sich zusammengerottet und griffen die Franzosen unvermutet an, die von dem Hauptkontingente abgeschnitten waren. Die Verluste des Bataillons waren beträchtlich; ungefähr 300 Tote und Verwundete bedeckten den Kampfplatz, während die Gefangenen fast ohne Ausnahme von den erbitterten Bauern niedergemetzelt wurden. Nur durch Zufall entging unser Dichter dem sicheren Tode. In dem Augenblick, als ein Schweizer zum tödlichen Schlag gegen den verwundeten Gefangenen ausholt, erkennt der Knecht seines bisherigen Logierwirtes den jungen Elsässer wieder und fällt dem Angreifer in den Arm. Im nahen Walde verbindet er ihm seine Wunden und leistet dem völlig Erschöpften, der sich durch sein menschenfreundliches Benehmen auch hier in Feindesland stille Freunde erworben hatte, die erste Hilfe. Nach dem für die Franzosen siegreichen Kampf bei Schönenbuch, in nächster Nähe von Schwyz, wurde das stark gelichtete Regiment nach Zürich zurückgezogen, und Josef Wolf fand zum zweitenmal in Geßners Haus Quartier, wo er dank der sorgsamen Pflege, die ihm von seifen der Witwe Geßners zuteil wurde, bald wieder völlig genas. Die für unsern Dichter so glücklich abgelaufene Begebenheit hat Johann Theobald, der damals schon wieder in Oberehnheim weilte, in einer der Frau Judith Geßner gewidmeten Ode „Rettung meines Bruders" festgehalten, von der nur einige Strophen mitgeteilt seien:

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Erhielt er mir den Zwilling, als lauter letzt Die Kugeln pfiffen, banger der Morgenstern In Blut getränkt sein Haupt umsauste, Wunden ihn rings, ihn der Tod umgaben, Mein Geßner? — Er, er war's in der lattigen Gestalt des edeln Knechtes, der Rettung bracht': Zurück! dem Manne tut kein Leid, ihr Schweizer! — so fordert es euer Geßner Von euch! Spricht's, steinern staunen die Würger aaf, Umarmen beid'; entsunken die KeuT erstarrt: Sei unser Freund! Verzeih' den Rächern! — Aber im Schatten des stillen SihlwaUTs Verflog ihn lener, stimmte die Leier ihm Und schenkte huldvoll eine der eigenen Syringen ihm und lehrt" ihn neue Weisen: schon prüft sich der lange Dichter. Auch du, des Guten Witwe, o würdigej Sei ihm nicht abhold, die du den Franken nährst. Oft an des Unerreichten Denkmal Weint er wie Cäsar vor Alexander." Aber auch Josef weiß die ihm zuteil gewordene Gastfreundschaft zu würdigen, und am seiner Verehrung für den großen Idyllendichter Ausdruck zu geben, widmet er der Familie Geßner neben einigen Oden mehrere Idyllen, die meistens leider nur im ersten Entwarf vorzuliegen scheinen. In ihnen wechseln idyllische Schilderungen der sonst so friedlichen Hirtentäler und ihrer Bewohner mit düsteren, packenden Kriegsszenen ab und geben ein anschauliches Bild, mit welchem Heldenmut sich die kleinen Kantone, in Erinnerung an die Tage von Morgarten und Sempach, gegen ihre Bedrücker gewehrt haben, und mit welchen Kriegesgreueln das eroberte Gebiet heimgesucht worden ist. Kein Wunder, daß unser Dichter, dem es so recht gegeben war, an Lust und Freude, wie an Trauer und Schmerz seiner Nebenmenschen teilnehmen zu können, sich nach Ruhe und Frieden, nach gl

Entlassung aus dem Militärdienste sehnte. Aber auch das erste Jahr des neuen Jahrhunderts, das achte der Republik, brachte ihm nicht die Erfüllung seines Herzenswunsches. Nachdem Bonaparte im November 1799 als erster Konsul an die Spitze der französischen Regierung getreten war, wurde der Krieg gegen die Verbündeten mit größter Energie fortgesetzt und in Italien und Deutschland zugunsten Frankreichs entschieden. Während Bonaparte nach dem Übergang über den großen St. Bernhard die Österreicher unter Melas bei Marengo besiegte, drang Moreau im Frühjahr 1800 vom Rheine her durch Schwaben nach Bayern vor. Wolf bekleidete in diesem Jahre, wie schon im Spätlahr 1799 unter Massena, die Stelle eines Sekretärs im Generalstabe Moreaus, den er in dem flammenden Aufruf beim Beginn der Feindseligkeiten als den Sieger im bevorstehenden Feldzug bezeichnet und verherrlicht. Nach mancherlei Gefechten Im Schwarzwald und in Schwaben setzte sich die Armee über Ulm gegen die Festung Ingolstadt in Bewegung, wo Mitte Juli die Nachricht eintraf, daß zwischen den kämpfenden Parteien ein Waffenstillstand vereinbart worden sei. Die Tage der Waffenruhe benützte Wolf dazu, um der Hauptstadt Bayerns einen Besuch abzustatten. Einer seiner ersten Wege führt ihn, den Naturfreund, in Münchens berühmten „Englischen Garten", jenen Park, von dem er singt: „Zur Lust dem Fürsten wardst du, zur Lust gepflanzt Der BuhTrin Kehle, Tempel der Nachtigall! Verführung, Pracht und Langeweile Wandeln hier feiernd um deinen Altar, Wann jetzt die Sonne sinket. Ihr Strahl rings Hügel, Mauern Mich finden hier die sanfte Frieden! — indes das

Noch rötet stolz and Türme; laß Rahe, Gewitter fortschleicht."

Und während er unter dem Laubdach eines alten Baumriesen ausruht und auf das Flüstern der Natur horcht, er23

greift namenloser Kummer sein Herz, wenn er mitten in diesem Bild des tiefsten Friedens der Greuel des Krieges gedenkt, die er seit fünf Jahren mit wunder Seele hatte schauen müssen. Wie wollte er dem Schicksal danken, wenn der vorläufige Waffenstillstand zu einem endgültigen Frieden führen würde! Allein schon am 28. November wurden die Feindseligkeiten wieder aufgenommen, und nach einem Kampf bei Ampfing kam es am 3. Dezember 1800 zur blutigen Entscheidungsschlacht bei Hohenlinden, an der auch Josefs Regiment ruhmreichen Anteil nahm. Moreau besiegte die verbündeten Österreicher und Bayern, die unter dem Befehl des jungen Erzherzogs Johann standen, vollständig und bahnte sich dadurch den Weg nach Wien. Schon hatte man sich der Hauptstadt Österreichs auf 20 Wegstunden genähert, als am 25. Dezember 1800 durch den Waffenstillstand von Steyer die Feindseligkeiten beendigt wurden. Unmittelbar nach der Schlacht bei Hohenlinden war Wolf vom Stabe zum Regiment zurückgekehrt und blieb mit ihm bis zur Unterzeichnung des Friedens zu Lunivüle am 9. Februar 1801 in Oberösterreich. Erst Ende März sah unser Dichter die Heimat wieder, ohne aber Zeit zu finden, von Neubreisach aas seine Lieben, besonders seinen kranken Zwillingsbruder, zu besuchen. Denn schon anfangs April marschierte das Regiment nach Belgien, das im Friedensschluß mit dem ganzen linken Rheinufer an Frankreich gefallen war. Am 20. April traf das Regiment auf der Zitadelle von Antwerpen ein, wo es bis zum Frühlahr 1803 verblieb. Waren es auch zum Teil ganz neue Bilder, die sich hier der Seele des Dichters aufdrängten und ihn zu mancher poetischen Schilderung begeisterten, so vergaß er doch nicht über dem reichbewegten Leben an den Ufern der Scheide sein Elsaßland, die Reize der Schönheiten der Heimatberge, die idyllische Ruhe im Tal der Magel. Den ergreifendsten Ausdruck findet diese Heimatliebe und Heimatlust in der Dichtung „Wunsch nach Frieden", die, an seinen Zwillingsbruder gerichtet, zu den besten Oden Josef Wolfs gehört. Doch die Hoffnung des Dichters anf Frieden und damit aal Rückkehr nach der Heimat erwies sich wieder trügerisch. 23

Zwar hatte Napoleon 1802 zu Amiens Friede mit England geschlossen, das sich zur Räumung Ägyptens and zur Heransgabe Maltas verstehen mußte. Da aber England der Ausführung der Friedensbedingungen nur zögernd nachkam, sah Napoleon darin einen Friedensbruch und ließ im Frühfahr 1803 Hannover besetzen. Das 76. Regiment erhielt Befehl, die bisherige Garnison Antwerpen zu verlassen und sich nach Hannover zu begeben, wo es zu dem Heere gehörte, das zunächst unter Mortier, dann unter dem milderen Bernadotte 26 Monate lang das Land besetzt hielt. Wie fünf Jahre früher der Feldzug in der Schweiz unsern Dichter in die Familie Geßners führte, so verdankte er dem Aufenthalt in Hannover die Bekanntschaft und Freundschaft eines Mannes, der ihm nicht nur das tielere Verständnis Klopstocks erschloß, sondern auch auf sein dichterisches Schaffen überhaupt den größten Einfluß gewann. Den ersten längeren Urlaub benützte Wolf zu einem Ausflug nach Hamburg, um im nahen Ottensen das Grab des Messiasdichters zu besuchen, der nicht lange vorher, am 14. März 1803, die Augen zum ewigen Schlummer geschlossen hatte. Durch Zufall lernte er in Hamburg beim Besuche der dortigen Bibliothek den Professor Ebeling kennen, der bis zum Tode Klopstocks zu den vertrautesten Freunden des Dichters gehört hatte. Ebeling, der am Gymnasium Lehrer der Geschichte und der griechischen Sprache war und gleichzeitig auch die Stelle eines Stadtbibliothekars bekleidete, fand an dem ¡ungen Elsässer Gefallen und lud ihn als Gast in sein Haus ein. Bei dieser Gelegenheit legte ihm Wolf einige seiner Oden und Idyllen vor und erbat sich von dem Gelehrten ein kritisches Urteil über seine Dichtungen. Ebeling erkannte sofort das poetische Talent Wolfs und versprach dem Iungen Dichter, eine Anzahl Oden in Hamburger Blättern zu veröffentlichen, um auf diese Weise ein größeres Lesepublikum mit den deutschen Dichtungen eines französischen Sergeanten bekannt zu machen. Ebeling tat aber noch mehr für seinen Schützling. Bei einem zweiten Aalenthalt Wolfs in Hamburg, während dessen er wieder als Gast im Hause des Professors weilte, stellte Ebeling unsern 24

Dichter dem französischen Gesandten Reinhardt vor und bat ihn, seinen Einfluß in Paris geltend zu machen, damit Josef Wolt nach beinahe neunjähriger Dienstzeit vom Militär entlassen würde. Reinhardt, ein Württemberger von Gebart und ein Jugendgenosse Schülers, verwandte sich auch wirklich beim französischen Kriegsministerium für Wolf und suchte durch Vermittlung eines Abbé Saalfeld in Hannover jenem eine Stelle als Lehrer der französischen Sprache an einem dortigen Institut zu verschaffen. Zum Danke dafür widmet Wolf sowohl Ebeling wie auch Reinhardt einige Oden, die sämtlich dem Andenken Klopstocks geweiht sind, der sein begeisternder Genius von Jugend auf gewesen und mit dem er, wie gerade aus diesen Oden hervorgeht, innig vertraut ist. Ebeling vermittelte Wolf auch die Bekanntschaft des Berliner Bibliothekars Biester, der seit 1799 die ,Jfeue Berlinische Monatsschrift" herausgab, eine Zeitschrift, die, im Sinne der Aufklärung gehalten, Männer wie Kant, die beiden Humboldt, Nicolai u. a. zu ihren Mitarbeitern zählte. Von Ülzen aus sandte Wolf, der im Mai 1804 zum Waguemestre seines Regiments befördert worden war, drei Gedichte zur Veröffentlichung in der Ji. B. M." an Biester. Es sind dies die Ode „Vous n'avez point d'idées" und die dem französischen Gesandten gewidmete Dichtung ,J(.lopstock", welche durch Ebelings Vermittlung bereits in den rHamburgischen Adreß-Comtoir-Nachrichten" erschienen war, ferner die Ode „Wunsch nach Frieden" (¡802), die bis letzt noch nicht im Druck vorgelegen hatte. In der Augustnummer veröffentlichte sie Biester unter dem Titel „Gedichte eines französischen Sergeanten" und versah sie mit einer Einführung an die Leser, von der nur folgendes mitgeteilt sei. Biester schreibt: ,J:ine sehr große Merkwürdigkeit liefern, soviel ich einsehe, die nachfolgenden Gedichte. Nicht, daß ein Franzose deutsche Verse macht; denn der Verfasser ist aus dem Elsaß gebürtig. Aber, daß ein Mann seines Standes so seine Sprache und seinen Geist ausgebildet hat oder aus einer früheren Zeit diese Bildung mit Kraft und Charakter beibehielt; daß er die edelsten deutschen Muster sich wählt, die nicht 25

einmal diesseits des Rheines und bei Leuten, die mehr als Sergeanten sind, allbekannt heißen können; daß er für seinen näheren Kreis nicht in Reimen und leichten Versarten schreibt, sondern in einer der erhabensten Gattungen der Dichtkunst — und mit wie glücklichem Schwünge! — sich versucht." Und bei der Ode „Kfopstock", deren erste Strophe eine bewußte Nachahmung des Horazischen: .findarum Quisquis studet imitari" enthält, und deren Schluß an Klopstocks ,4er Zärichersee" anklingt, weist Biester zwar auf einige Verstöße gegen das Metrum und Härten des Ausdrucks hin, verzeiht dies aber gerne dem genialischen Anfänger, zumal er nur aufmerksam gemacht zu werden brauche, um diese Fehler künftig zu vermeiden.— Wolfs Hoffnung, durch die Vermittlung Reinhardts seine Entlassung vom Militär zu erhdlten, ging nicht in Erfüllung. Der französische Kriegsminister bewilligte den Abschied nicht, und so mußte Wolf noch weitere vier Jahre bei seinem Regiment ausharren, mit dem er in den Jahren 1804—1808 von den Küsten des Atlantischen Ozeans durch Süddeutschland nach Österreich zog und von hier wieder über Jena und Magdeburg nach Berlin marschierte, um dann endlich nach dem Frieden von Tilsit im Osten Deutschlands, in den Wäldern Polens, den langersehnten Abschied aus dem Heer zu erhalten. Zwei Jahre hatte es schon gewährt, seitdem der Krieg zwischen dem wieder von Pitt geleiteten England und Frankreich erklärt worden war, ohne daß es bis letzt zu einem eigentlichen Schlag gekommen war. Um den gefährlichen Feind im eigenen Lande anzugreifen, plante Napoleon wie im Jahre 1798 eine Landung in England und sammelte zu diesem Zwecke ungeheure Truppenmassen im Hafen von Boulogne und an der ganzen Küste von Cherbourg bis TexeL Auch das 76. Regiment erhielt im Februar 1805 Befehl, Hannover zu verlassen und in Eilmärschen nach dem Lager von Montreuil an der Canche aufzubrechen, wo es schon anfangs März eintraf. Hatte Wolf früher in seinen Dichtungen die romantische Schönheit seiner Heimatberge oder die Erhabenheit der 26

Gletscherfirne und Bergriesen der Alpenwelt gepriesen, so bringt er letzt der grausen, harten Schönheit des Meeres seine Huldigung dar. Wenn Wellenrauschen und Windeswehen unsern Dichter träumen lassen oder das wildgrollende Meer und der pfeifende Sturm seine Nerven anregen, dann schaut er im Geiste die baldige Seeschlacht, welche die feindliche Flotte in einen Trümmerhaufen verwandelt und den furchtbaren Gegner seines Kaisers auf die Kniee zwingen wird. Die in freien Rhythmen gehaltene Dichtung .Am Ufer des Meeres", die er an Ebeling nach Hamburg sendet, birgt ein Stück herrlicher Meerespoesie in sich und zeigt uns den Dichter als einen für den mannigfachen Zauber des Meeres empfänglichen Menschen, der in der großartigen Schilderung des Seekampfes zu einem seiner Lieblingsthemen zurückkehrt: Menschlichkeit im Kriege auch den Feinden gegenüber. Von Tag zu Tag wartete man auf den Befehl zur Überfahrt ,jiach Ossians nebligem Eiland"; da beorderte Napoleon seine im Lager von Boulogne versammelten Streitkräfte plötzlich nach dem Rheine zurück. England hatte Rußland, Schweden und Österreich zur Koalition gegen Napoleon vereinigt, und nun sollte zunächst Österreich für England büßen. Am 30. August 1805 brach das Regiment Wolfs aus dem Lager von Boulogne auf und traf, ohne sich Ruhe zu gönnen, bereits am 26. September in Schlettstadt ein. Von diesem Gewaltmarsch konnte unser Dichter mit Recht sagen: J)och schnell Wie Parther auf ihrer trügerischen Flucht Standen gewandten Rückens Unsere Jünglinge am gelben Rhein, Sie, die erst noch der verrät"tischen Insel Zernichtung drohten." (Ode an die große Armee. 1805. Jos. Blas.) Der Kaiser sandte seinen Marschall Massena nach Italien gegen den Erzherzog Kari, während er selbst mit seinem Heer am 26. September den Rhein überschritt, um durch das mit ihm verbündete Bayern gegen Wien vorzudringen. 27

Schon am 17. Oktober zwang Napoleon die öst§rreicher unter General Mack zur Waffenstreckung in Ulm. Die Russen, welche bereits bis zum Inn gekommen waren, zogen sich nach Mähren zurück. Napoleon rückte die Donau entlang in Österreich ein, ließ Wien besetzen und schlug die vereinigten Russen und Österreicher in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz am 2. Dezember 1805. Trotzdem Wolf, der unterdessen zum Offizier befördert worden war, nicht selbst an der Schlacht teilgenommen hat, gibt er doch in der größten uns erhaltenen Dichtung in der Ode an die große Armee, eine lebendige Schilderung der von Napoleon auf den ersten Jahrestag seiner Krönung anberaumten und wohlvorbereiteten Schlacht, in der so mächtig die persönliche Überlegenheit des Imperators über das alte legitime Europa hervortrat. Die Ode, unter dem unmittelbaren Eindruck der Siegesmchricht gedichtet, wurde durch des Verfassers Bruder dem Unterpräfekten des Barrer Bezirks, Herrn Cunier ,4em Menschenfreund und Beschützer der Künste" zugeeignet; vielleicht mochte Josef Wolf hoffen, durch den Einfluß und die Vermittlung dieses Mannes letzt endlich seine langersehnte Entlassung erwirken und nach dem Elsaß zurückkehren zu können. Doch darf man nicht annehmen, der Dichter habe die Erfüllung seines Wunsches durch eine Schmeichelei dem Kaiser gegenüber erreichen wollen, vielmehr entspricht die in der Dichtung sich offenbarende Auffassung von Napoleon und seinen Taten einer Ansicht, die man damals auch außerhalb Frankreichs von dem lungen Kaiser hegte. Schon deshalb mag es nicht uninteressant sein, auf den Inhalt der sechzehn Seiten langen Ode etwas näher einzugehen. Die Ode beginnt mit einem Anruf an die Muse; sie soll den Dichter begeistern zu einem Lied, würdig Napoleons und seiner Taten. Der Vater des Vaterlandes hat bis letzt alle Feinde der langen Republik besiegt, er hat nach den blutigen Greueln der Revolution Ruhe und Ordnung im Innern geschaffen; ein neues Zeitalter, das des beseligenden Welt28

friedens und der wahren Humanität, zu sein.

schien angebrochen

„So folgt auf schwüle Mittagsgewitter Labende, lächelnde Abendkühle; Auf starren Winter der hüpfende Lenz, Auf bange, niederschlagende Nächte Der aUes aufrichtende Junge Tag." Doch die alten Gegner Frankreichs, mit denen Napoleon noch eben den Frieden von Lanivüle und Amiens geschlossen hatte, allen voran England, das sich in seiner Oberherrschaft zur See bedroht fühlt, zwingen dem ¡ungen Kaiser von neuem den Krieg auf. „Er dachte mit dem unsterblichen Friedrich: Ach! gönnen sie mir denn keine Ruhe Die Neider! vergießen wollen sie Mensehenblut, Es fließe! — Entreißen wollen sie mir Die mit Blut eroberte, eiserne Krone, Die Gekrönten! Der Ausgang entscheide, Ob ein Würdiger ich sie trage." Rasch entschlossen wirft Napoleon seine in Boulogne versammelten Heeresmassen in Eilmärschen nach Südosten. ,Jn ihren törichten Bundesgenossen gezüchtiget Sollen sie werden, Die meineidigen Krämer! Und den Bären scheuchen wir Mit Feuer in seine Höhle zurück. Bald, bald bauen sie uns selber Eine Brücke Nach St. James, Das die gestohlenen Schätze beider Indien Zurückblitzt." 29

Noch ehe drei Monate vergehen, muß das südliche Europa dem Zepter des Kaisers haidigen. Und tum folgt die poetische Schilderang der Schlacht selbst, die am ein Uhr mittags zugunsten der Franzosen entschieden war. Besonders verlustreich war der Tag für die Rassen, die an 30 000 Mann, darunter ihre ganze Artillerie verloren; unermeßlich war die Beute an Fahnen, Standarten and Kanonen; groß die Zahl der Gefangenen, die ihr Leben der Menschlichkeit des Siegers verdankten. „Beschämt forderte Franz Des menschlichen Siegers Hand; „Verzeihung!" — Napoleon reichte sie: „Es ruhe Das mörderische Spiel!" Und Alexander, der Menschenfreund, Denket an Pitt Und verbeißt sich die Lippen. Die Ode schließt mit dem Wunsche des Dichters, daß es dem Sieger vergönnt sein möge, den Frieden der Welt und das Glück der Völker endlich in dauerhafter Weise zu begründen. Während in Mähren die Entscheidung des Krieges fiel, kämpfte Wolfs Regiment südlich der Donau. Gleich nach dem Tage von Ulm war das Regiment, das zum äußersten rechten Flügel der Armee gehörte, durch das südliche Bayern gegen Innsbruck vorgerückt, hatte die Stadt besetzt und nahm dann hervorragenden Anteil an aßen Kämpfen, die gegen den Erzherzog Johann und seinen aus Italien herbeieilenden Bruder Karl geliefert wurden. Am 3. Januar 1806 erhielt das Regiment in Klagenfurt die Nachricht von dem am 26. Dezember 1805 zu Preßburg zwischen Frankreich und Österreich geschlossenen Frieden. Bald darauf räumten die Truppen die österreichischen Lande, und auch Wolfs Regiment trat froh den Rückmarsch nach dem Rheine an. Da erhielt das Regiment bei Memmingen plötzlich den Befehl 30

vorläufig in Bayern zu bleiben. Schwere Wolken ballten sich von neuem am politischen Horizonte zusammen. In Preußen, das seil 179S den großen Ereignissen taten' los gegenüber gestanden war, sah man sich endlich durch Napoleons Rüstungen zum Krieg gezwungen. Im Einverständnis mit Rußland und im Bunde mit Sachsen, Braunschweig, Weimar und Hessen-Kassel ordnete Friedrich Wilhelm III. die Aufstellung des Heeres im nördlichen Thüringen an. Mit gewohnter Raschheit zog Napoleon seine Truppen, die zum Teil noch vom vorjährigen Kriege schlagfertig dastanden, in Nordbayern zusammen und drang mit 200 000 Mann vom oberen Maine her in Thüringen ein. Daß auch Wolfs Regiment bei dem blutigen Ringen am 14. Oktober sich kriegerische Lorbeeren gepflückt hat, beweist das inhaltsschwere Wort, das auf seiner Fahne prangt: Jena — 1806. In unaufhaltsamem Siegeszuge ging es weiter nach Norden, Preußens Hauptstadt zu. Wie ein Ruhepunkt auf langem, ermüdendem Wege muten uns die wenigen Tage an, die unser Dichter auf dem Marsche gegen die Festung Magdeburg in Halberstadt verleben durfte. Gilbert, der Sekretär des Obersten, war zufällig bei Körte, dem Neffen des Dichters Gleim, einquartiert worden und verschaffte dem ihm befreundeten Wolf die Bekanntschaft mit dem fangen, würdigen Gelehrten und der noch lebenden Schwester Gleims. Im trauten, anregenden Verkehr mit dem etwa gleichalterigen Körte, der sich bereits durch die Herausgabe der Dichtungen E. Chr. v. Kleists und Gleims einen Namen gemacht hatte, verbringt Wolf einige Tage, wie sie ihm einst im Hause Geßners oder Ebelings beschieden gewesen waren. Gerne lauscht er den Mitteilungen über das Leben Gleims, der mit Klopstock so innig befreundet und nur wenige Wochen vor diesem gestorben war; und während schon die Kanonen um Magdeburg donnern, singt Wolf in Gleims Hüttchen ein Lied zum ehrenden Gedächtnis des Dichters, der während seines ganzen Lebens aufstrebenden Talenten eine müde, stets freundlich teilnehmende Gesinnung bekundet hatte: 31

„0 Zeiten! daß — (o Sitten! —) sie Vater Gleim, Der gerne Musensöhne beschützte, nicht. Die eisernen, zuletzt erlebte, Wollte der Gott und er nahm ihn zu sich. Indes, ob jene goldene Zeit verschwand, Lebt er in meinem Herzen dennoch mein Gott; Die Musen sind mir hold; den Pöbel Darf ich, so dürftig ich bin, verachten." (In Gleims Hüttchen gesungen.) Doch der Krieg duldete kein längeres Bleiben. Am 8. November kapitulierte Magdeburg, und am 17. November zog Wolfs Regiment in Berlin ein. Obwohl schon letzt Preußens Heer besiegt war, gab es noch für Napoleon ein hartes Stück Arbeit. Galt es doch, auch den Kampf gegen die Russen siegreich durchzuführen in einem Lande, das nicht nur wegen der strengen Winter gefürchtet war, sondern auch wegen des Tauwetters im Frühlahr, das die ohnehin verwahrlosten Straßen in Sümpfe verwandelte und in den verarmten Gegenden die Zufuhr des Heeres sehr erschweren mußte. Schon am 21. November finden wir Wolf in Frankfurt an der Oder, wo ihn die Nachricht von dem Tode seines Zwillingsbruders erreichte. Was ihm sein Bruder Theobald war, mit welcher Liebe er an dem Dahingeschiedenen hing, davon legen die beiden Oden „Nähe des Verstorbenen" und „Lebensgenuß" Zeugnis ab, die Josef Wolf unter dem frischen Eindruck der Todesnachricht in den Wäldern Polens dichtete. Doch die Zeit war nicht dazu angetan, lange trüben Gedanken nachzuhängen, wo vielleicht im nächsten Augenblick auch den überlebenden Bruder eine feindliche Kugel zu Boden strecken konnte. Im Februar 1807 kämpfte Wolfs Regiment gegen die Russen und Preußen auf den verschneiten Feldern von Eylau, wo Napoleon zum erstenmal den Feinden den Sieg nicht zu entreißen vermochte. Erst nach längerer Waffenruhe siegte der Kaiser am 14. Juni 1807 über die Verbündeten bei Friedland, dessen Namen ebenfalls als Ehrentag auf der Fahne des 76. Regiments sich verzeichnet findet. Im Frieden von Tilsit 32

(Juli 1807) verlor Preußen die Hälfte seines Gebietes und damit auch seine Großmachtstellung. Die Hauptlestungen blieben von den Franzosen besetzt, das übrige Land wurde erst nach Zahlung einer schweren Kriegskontribution im Laufe des nächsten Jahres geräumt. So mußte Wolf, obgleich ihm schon nach dem Frieden von Tilsit der Abschied bewilligt worden war, noch ein ganzes Jahr bei seinem Regiment bleiben, das bis in den Sommer 1808 die Gegend von Glogau besetzt hielt und erst im September in der Heimat wieder eintraf. Nach beinahe vierzehnjähriger Abwesenheit durfte der Dichter zum erstenmal wieder den Boden der Vaterstadt betreten, Angehörige und Bekannte umarmen und begrüßen, unter denen in der Zwischenzeit der Tod gar manche Lücke gerissen hatte. Freunde und Gönner nahmen sich des Zurückgekehrten an, dessen Gesundheit unter den Strapazen der langlährigen Kriege und des entbehrungsvollen Lagerlebens stark gelitten hatte, und suchten ihm eine seinen Kenntnissen entsprechende, würdige Lebensstellung zu verschaffen. Vor allem wandte ihm der erste Rektor der neugegründeten Akademie in Straßburg seine Fürsorge zu, Bernhard von Montbrison, der eine Baronin von Oberkirch zur Gemahlin hatte und im Schlosse zu Oberehnheim ansässig war. Dieser beeilte sich, Josef Wolf für das Lehrfach zu gewinnen und übertrug ihm an der kurz vorher gegründeten höheren Knabenschule im nahen Rosheim eine Lehrersteüe, welche Wolf nicht lange darauf mit der eines Professors am Kolleg in Weißenburg vertauschte. Doch schon im Sommer 1809 kehrte er als Vorsteher an die Schule in Rosheim zurück, der er fortan seine ganze Kraft widmete, die ihm aber auch Muße ließ, die zahlreichen Freunde im Elsaß, im übrigen Deutschland und in der Schweiz mit neuen Gedichten oder zierlichen Gemälden zu bedenken. Der Lehrtätigkeit, die ihm nicht nur die Liebe und Verehrung der Schüler und Eltern, sondern auch die volle Anerkennung der vorgesetzten Behörde eintrug, entriß ihn ein früher Tod am 3. Mai 1812 in Oberehnheim, wo er gerade bei seinen Eltern und Verwandten zu Besuch weilte. Die 3

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Graft, welche sechs Jahre früher sich für seinen Bruder geöffnet hatte, nahm nun auch ihn aaf. Welcher Wertschätzung und Hochachtung der Verstorbene in weiten Kreisen sich erlreut hatte, davon gab die imposante Trauerfeier Kunde, die am Sonntag, den 10. Juni 1812, nach Beendigung des Gottesdienstes auf dem Friedhof zu Oberehnheim an der Gruft des Dahingeschiedenen stattfand. Die öffentlichen Beamten von Oberehnheim und Rosheim, zahlreiche Bürger der beiden Städte, treue Freunde aus nah und fern, sowie die trauernden Zöglinge seiner Anstalt hatten sich mit den Familienangehörigen Wolfs an seinem Grabe zusammengefunden, wo Bernhard von Montbrison dem toten Dichter die ehrende Gedächtnisrede hielt. Nachdem Montbrison darauf hingewiesen hatte, wie durch das öffentliche Zeugnis der Achtung, der Liebe und der Trauer das Gedächtnis des Verstorbenen geehrt werden sollte, fuhr er fort: „Seiner Jugend, die nur der Arbeit gewidmet war, seinem beständigen Fleiße, seinen gründlichen Kenntnissen verdankte Wolf die Stelle, die er so ruhmvoll bekleidete, und die nur das Vorspiel war einer weit günstigeren Lage, als ihn der Tod dahinraffte. Er war selbst Schöpfer seines Glücks, und die günstige Lage, in der er sich befand, war sein eigenes Werk; denn das blinde Schicksal, das so ungleich seine flüchtigen Güter verteilt, hatte auch nicht eines derselben seiner Wiege noch seinem Hause zugedacht. Aber wahrlich, er hatte die wahre Größe, dielenige einer erhabenen Seele; wahre Reichtümer, die der Weisheit; die schmeichelhafteste Würde, lene einer reinen, edlen Denkart, dieses hohe Kleinod dessen, der bei Beförderung des Menschenwohles es empfindet, daß er hienieden die edelsten Pflichten erfüllt, and daß ihm ein wahrer Schatz zuteil wurde. Die Kenntnisse, der Eifer des Verstorbenen und die treue Erfüllung seiner Pflichten werden ein bleibendes Andenken an dem Orte stiften, der ihn beim Eintritt ins Leben begrüßte, und der seinen letzten Seufzer empfangen sollie. Ergriffen von jener verderblichen Krankheit, die in kurzer Zeit so viele Tränen kostete, und von 34

einem plötzlichen Schlage gerührt, den er selbst als tödlich erkannte, verließ er den Ort, den er bewohnte, und seine letzten Blicke auf seine Vaterstadt heftend, kam er, sie um den Schutz und die Ruhe des Grabes anzuflehen." Uber der Gruft der Zwillinge erhob sich bald ein bescheidenes Grabdenkmal. Auf der Vorderseite desselben ist eine Palette mit Pinsel sowie eine Lyra und ein Buch abgebildet, auf dem man die Worte liest: Oden und Idyllen. Darunter findet sich die Inschrift: „Josef Blaß. Wolf fand den 3. May 1812 in den Schatten des Todes seinen Zwillingsbruder Johann Theobald, mit dem er den 2. Hornang 1774 an das Licht trat. Den 3. Wintermonat 1806 trennte sie ein Zehreüeber. Blaßens Thränen waren noch nicht getrocknet, und diese Gruft eröffnet sich schon, um auch ihn einzuschließen. Die Vorsehung rief ihn in seine Vaterstadt, damit die im Mutterleibe schon eines waren, in dem Schöße der Muttererde auch wieder eines würden. Das in Rosheim herrschende Fieber fand ihn hier, und der Tod streckte den Dichter in das Grab." Auf der Rückseite des Grabmals sind zwei aasgelöschte Fackeln dargestellt, die vom nämlichen Stamm ausgehen und in ungleicher Höhe geknickt sind. Darunter liest man folgende Inschrift: „Uns sammelt alle Klein und Groß Die Muttererd in ihren Schoß; Sehten wir ihr ins Angesicht, Wir scheuten ihren Busen nicht. Straßburgs Hohe Schule bedauert ein teures Mitglied, Rosheims Lehranstalten einen eifrigen Vorsteher, Oberehnheim zwey geliebte Bürgerskinder und die Musen zween feurige Söhne der Dichtkunst. Ihre Gebeine erwarten hier die Posaune, die sie mit ihren verklärten Geistern wieder vereinen wird. — Gerührter Leser, schenke ihnen doch eine mitleidige Träne!" — Bald sank das Grabmal in Schutt und Trümmer, und auch die Gedichte der Zwillinge, deren Namen wohl kaum über die Mauern ihrer Vaterstadt und ihren engeren Be3»

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kanntenkreis hinaus erklungen waren, gerieten allmählich in Vergessenheit. Erst vor einigen Jahren wurde der Gedenkstein wieder ans Ucht gezogen, und bei der hundertjährigen Wiederkehr des Todestages Josef Wolfs regte sich in literarischen Kreisen unserer Heimat der Wunsch, durch eine kleine Auswahl der Gedichte die Erinnerung an die ZwUlinge wieder wachzurufen. Und wahrlich, dieses bescheidene Ehrendenkmal verdienen die beiden, wenn man auch in unserer heutigen Zeit Klopstock'scher Oden- und Geßner'scher Idyüendichtung nicht mehr das gleiche Interesse und Verständnis entgegenbringt wie im Ausgang des 18. Jahrhunderts. Zu einer Zeit, wo deutscher Sang im Elsaß fast völlig verklungen war, haben sie gedichtet und ihre höchsten und heiligsten Gedanken über Vaterland, ihre schöne Heimat, über Freundschaft, Gott und ländlich-stilles Glück der deutschen Sprache anvertraut, deren begeisterte Lobredner sie bis an ihr Lebensende geblieben sind. Unter den elsässischen deutschen Dichtern sollen auch die Namen der Zwülingsbrüder Johann Theobald und Josef Blasius Wolf aus Oberehnheim nicht vergessen werden!

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Gedichte.

An des Hoh'nburgs Fuße Hat sie die Liedermase der hohen Kunst Erzogen; sie der sanfteren Menschlichkeit Geweihet; sie durch langes Mühsal Strenge geprüfet und echt befunden. (Aue dem Epilog

an Prof.

Ebeling.)

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AN DIE MUSEN. (1791.)

Heiliget huldvoll auch des Wasgatfs Rücken. Musen! Wo ihr die Alpenhöh'n euch weihtet, Steigt von Jenen traurigen Schneegefüden Nieder am Alsa! Reizende Tempe winken längs des schönen Flusses Weizengestaden; oder liebt ihr, Wo dort bläulich kochet die Traub' am Hügel, Fröhlichen Lustgang? — Joh.

Theobali.

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ELEGIE. NIEDERMÜNSTER

UND

HOHENBURG.

(1793.) Zwei Sänger

Beide

ringe».

Sänger.

Nehmet uns auf, ihr hochaufragenden Wälder! ihr TälerI Kühle Gebüsche! durchschlüpft froh vom gefiederten Chor, Nehmet uns auf! — den Wandlern ihr wiUkomm'ne Gesellschaft! Ruhe der Einsamkeit, birg uns in deinem Schoß! Wonne der frommen Empfindung strömt durch die heiteren Sinne; Freundliche Täler! euch schlägt freundlich entgegen das Herz. Erster

Sänger.

Siehe! wie blitzt durch die Bogen der Bäume die wandernde Sonne! Schöner denn blendendes Gold — Gold der Menschen Idol! — Schöner im Spiegel des rinnenden Quells. — Sein leises Gemurmel Mit der Nachtigall Lied, heilig der sinkenden Nacht, Reizender tönt's als der festliche Jubel der schwärmenden Reigen, Wo dem Städtegewühl gähnend der Schlummer erschrickt. Zweiter

Sänger.

Rauschet nicht, wehende Niedermünster-Linden, mir furchtbar, Wenn ich forschenden Blicks bebe Gewölbe hindurch! Käuzchen schwingen aus ihren staubigen Nestern die Flügel — Schauerlich steht es da — ernst, das zerfall'ne Gemäu'r, Forscher, Aber mit Ruhm bekränzt; hier ist es, irrender besuchst, Der du mit wundem Fuß römische Trümmer Gräber der Helden bestaunst und rostige Waffen und Münzen, Vesten der Ritter, der Kraft ihres Armes getürmt. Hier isfs, wo die milde Äbtissin — Attikus Tochter — (Fromme Einfalt, du warst Sitte glücklicher Zeit) Trost und Genesung reichte den Siechen des ganzen Landes, Wandte das fürstliche Gold, Kranke zu pflegen, hier an. 40

Erster

Sänger.

Vaterländische Berg' und Täler! — der Frömmigkeit Denkmal Auf der felsigten Stirn, Hoh'nburg! trifft dich mein Blick Wie durchs zerriss'ne Gewölke den Stern der Liebe . . . gegrüßet Sei mir Altitona über dem Tannenwald! Unter euch tief, ihr heimischen Berge, donnert des Sommers Furchtbar segnender Arm, wann er schüttelt den Blitz, Mild steigt nieder und huldreich über die glänzende Eb'ne Lächelnd der Sohn des Mai's, duftige Rosen ums Haupt. Auch Freund Eisbart schenket uns scherzende Ruh' und Gesundheit, Wenn er in Wolken und Schnee hüllet die Felsenstirn Jener alten dort oben, der urkraftgliedrigen Riesen, Wo uns der Vorzeit Trutz prangt am zerfallenen Turm. Erster

Sänger.

Gleichend dem Aar, dem jungen, schau' ich in blauliche Ferne Unermeßlich! Hinab rudern mächt' ich entzückt — Lust! was entdeckt mein blinzendes Aug'? Wo ruhet mein Blick aus? Dörfer und Städte! wer zählt, Hügel und Ebenen, euch? — Zweiter Ewig beglückender Friede Dort streckt prangend Längs dem geschlängelten, Nachbars — dort aus

Sänger.

dir! reizender Garten am Alsa! — die Lehn' Erwins Sessel herauf wogenden Fluß an den Wänden des weisen dem Schnee glänzet die ferne Schweiz! —

Erster

Sänger.

Siehe! nicht wallt' ich hierher, die getürmten Felsen zu rühmen, Die wie zum Schutz die Natur diesen Gefilden gebaut. Einsamkeit! Du, welche die ernstere Seele des Denkers Kühn und begeisternd entrafft aus dem Getümmel der Welt, Richtend sie auf mit Gedanken an ihn, dess' erbarmendes Ohr mich Auch in der Wüste noch hört, Einsamkeit! sei mir gegrüßt! — Zweiter

Sänger.

Könnt' ich im Schatten der hundertjährigen Buchen und Eichen Oder der Linde, die dicht herhängt über den Pfad, 41

Ganz von den bösen Menschen getrennt, dich, Frieden der Seele, Kosten, den ich umsonst dort im Getümmel gesacht. Dich mit der heitern, geglätteten Stirn in der Einsamkeit endlich Haschen! — Ihr Klüfte, verhüllt mich dem Auge der Welt! — Erster

Sänger.

Du, die allein die Ruhe dem irrenden Flüchtling schenket. Wenn der Begierden Sturm feuriger in ihm erbraust, Weisheit! oder hörest du, Tochter des Himmels, dich lieber Nennen: Religion? — himmlische Schützerin, dir Fleh'n wir friedliche! — Die du fassend in beide Arme Sanft hinbringest, wo dort giftige Pfeile nicht mehr Treffen die frömmeren Jünglinge: sei uns zur Seif in der Wildnis, Gieße du, Göttliche, ganz deinen Segen auf uns! — Zweiter

Sänger.

Hier laß uns verachten des Reichtums nichtiges Blendwerk Und belächeln den Schmerz, welchen die Jugend beseufzt. Hier nicht klingt der Bogen der Liebe, nicht weckt dem getäuschten Herzen die Eifersucht schmerzliche Funken, hier strahlt Nicht der Ehrsucht schwindelnde Marmorhöhe, worauf man Nur durch Menschenbetrug steigt auf gleitendem Pfad. Hier lebt man der unsterblichen Welt ein schuldloses Eden, Seid ihr, o Täler, o Berg', ihr — ein Elysium uns. Beide

Sänger.

Und wann einst unschuldig genossen sie schwanden, die Tage Unseres Lebens, am Rand keine Torheit beseufzt Reuevolleres Alter, uns winkt ein heiterer Abend Aus dem Gewirre der Weit Ruhe in deinem Schoß: Möchten wir dann zusammen erblassen in diesen Tälern! Freunde! der ZwUlinge Staub scharret am Vogesus ein! Joh.

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Theobald.

FRÜHUNGSGESANG Ah

ZU

BERNHARDSWEILER.

Nötinger.

(1793.)

Wach glänzest du am frühen Sonnenstrahl, Wann noch die Eb'ne schWt, Wann träg' es noch um Ehnheim dämmert, schon Dein Balsam Düfte haucht, 0 werter Hügel! — Überglücklich ist. Wer dir im Schöße ruht. Nicht fern vom Rai des Waldquells, nicht vom Sturm Des dunkeln Tannentals! Dich kränzt der segensreiche Weinstock, dir Umblüht der Wiese Schmuck Den kühlen Fuß, wo Herden brüllen, wo Der Ochs im Hohlweg keucht. Dich grüßt mit mir der lunge Lenz und löst Der Erde lockern Schoß Und heilt die Wunden, die der Winter schlag, Durch laue Winde aus. Das Dunkel weicht; im Osten dämmert's schon. Das Licht des Tag's, wie hold Streut es Entzückung in die Brust! — wie schmückt Umher sich Berg und Tal! Wo ist die Säule um den grauen Fels? — Seht, wie der Bach herab Sich stürzt! Wie weh'n der Fichte Locken leicht, Die reifbelasteten! 43

0!

Blähet, Bäume! Raine, grünet bald! Wer könnte üb'rall schau'n! Hier gräbt in's Herz der Wiese sich ein OueU Wohltät'ge Adern aus. 0!

welche Aussicht, schönes Land, gewährt Dem Freunde der Natur Dein Anblick! — Heiter, sanft und rein ist sie, Wie Weilers Sitten sind. — Schont, Frühlingsstürme! Winter, schone du Der lieben Gegend doch! Roll' leise, Donner, über sie dahin! Du, Nord, verstumme du! Am Felsabhange laß uns oft, o Freund! Gelagert schauin das Land Der stolzen Rheinbewohner, schau'n den Fluß Und Straßburgs Riesenturm! JoM.

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Theobald.

DER PILGER AM ST.

ODILIENBRÜNNLEIN.

(1790.) Sei mir gegrüßet, heilige Quelle! weit Her über Felsen klomm ich herauf zu dir: Laß mich Erlabung trinken, mich in Stiller Betrachtung dies Wunder ehren! Wie reichlich rinnst du immer! 0 möchten mir Der Andacht Tränen also vom Augenlid Hernieder stürzen; möchte Reue So überschwemmen des Sünders Wangen! Joh.

Theobald.

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SOMMERREGEN IM

WASGAU.

Schwül ist's. Schon wölkt sich der Himmel. Noch streift kein Lüftchen im Busche. Nun aber beugt sich der Flügel des Hains Im lauten Geräusche. Möcht' ein erfrischender Regen Dich, Weinberg, tränken, euch, Felder! — 0! tröpfle reichlich und fruchtbar und mild Vom segnenden Himmel! Sieh! er entstürzet. Es rauschet. Die Erde füllt sich die Brüste. Sie säugt die dürstenden Kräuter. Schon schwimmt Die wankende Ähre. Dort in den Blättern des Baumes, Hier durch die Ranken des Weinstocks, Wie schallen lieblich die Tropfen! Es wächst Uns sichtbar die Traube. Joe.

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Blatiu*.

AN MEIN VATERLAND. (Gelungen im Hain zu Gambtheim.J