Fürstäbtissinnen: Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband 9783412219123, 9783412224851


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Fürstäbtissinnen: Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband
 9783412219123, 9783412224851

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Symbolische Kommunikation in der Vormoderne Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst Herausgegeben von Gerd Althoff, Barbara Stollberg-Rilinger und Horst Wenzel

Teresa Schröder-Stapper

Fürstäbtissinnen Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen ­Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Exzellenzclusters »Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne« an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster aus Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder sowie der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Frank Schneider, Wuppertal Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22485-1

Inhaltsverzeichnis VVorwort .......................................................................................................... IX  

Einleitung ..........................................................................................................1 1.1.  Gefährdetes Weiber=Regiment ................................................................1  1.2.  Zwischen Adels-, Stifts- und Geschlechtergeschichte ......................5  1.3.  Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte ....................... 13 

 

Stift und Äbtissin .......................................................................................... 23 2.1.  Geistliches Frauenzimmer-Stift, Kayserlich frey weltliches Stift, Fürstlich Frauenzimmer-Stift – Versuch einer Definition ................................. 23  Geistlich oder weltlich? ....................................................................... 26  Adelig oder nicht adelig? .................................................................... 27  Mittel- oder unmittelbar, land- oder reichsständisch? ................... 31  Verfasstheit ........................................................................................... 32  2.2.  Fürstin-Äbtissin.................................................................................... 37  Darf eine Maitresse Äbtissin werden? ................................................ 37  Die freie Wahl ...................................................................................... 44  Coadjutorie ........................................................................................... 45  Wahl, Postulation, Konfirmation, Introduktion ............................. 47  Wahlkapitulation .................................................................................. 49 

 

Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben ................................. 51 3.1.  Geben .................................................................................................... 59  Strategien: Verwandtschaftliche Beziehungen, ….......................... 63  … Geld,… ............................................................................................ 67  … Patronage, … .................................................................................. 69  … Recht, … ......................................................................................... 74  … und Ausdauer.................................................................................. 78  Wahlabsprachen und freies Wahlrecht ............................................. 81  Reine Versorgung?............................................................................... 82  Freiwillig oder erzwungen?................................................................. 88 

VI

Inhaltsverzeichnis

3.2.  Nehmen ................................................................................................. 95  Leben am Hof ...................................................................................... 95  Heimliche Kurfürstin ........................................................................ 100  Stiftsresidenzen .................................................................................. 104  Unterhalt ............................................................................................. 107  Geldsorgen.......................................................................................... 111  Rat, Beistand und Vermittlung ........................................................ 116  Druckmittel ......................................................................................... 122  3.3.  Wiedergeben ....................................................................................... 127  Verwandtschaftliche Besetzungspolitik.......................................... 127  Gescheiterte Familienpolitik ............................................................ 130  Grenzen verwandtschaftlicher Besetzungspolitik ........................ 133  Politische Loyalität ............................................................................ 135  Verwandtschaftlich-ständische Interessengemeinschaft ............. 138  Unter Freunden.................................................................................. 140  Enttäuschte Erwartungen................................................................. 145  Sanktionen .......................................................................................... 148  3.4.  Zwischenresümee: Politiken der Verwandtschaft ........................ 156   

Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren ...................... 161 4.1.  Verhandeln.......................................................................................... 164  Das Kapitel als Mitregent ................................................................. 166  Wahlkapitulation, Verfahren, Vertrag ............................................ 169  Zwei Herrschaftsmodelle ................................................................. 176  Gefährliche Uneinigkeit .................................................................... 178  Städtische Konkurrenten .................................................................. 181  Verteiltes Recht .................................................................................. 185  Bier, Wein und Schnaps.................................................................... 191  Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen ......................................... 194  Streit um die Kanzel .......................................................................... 211  Der Sturm auf das Rathaus .............................................................. 215  Verbündete des Schutzherrn............................................................ 219  Schutz- oder Sturmherr? ................................................................... 225  Besetzung ............................................................................................ 233  Aneignung ........................................................................................... 249  Widerstand .......................................................................................... 259 

Inhaltsverzeichnis

VII

Verhandlung ....................................................................................... 275  Schutz- und kein Landesherr ........................................................... 285  4.2.  Regieren ............................................................................................... 288  Ordnungen, Gesetze und Befehle ................................................... 289  Asyl in Herford .................................................................................. 292  Die Äbtissin säkularisiert .................................................................. 296  Räte, Sekretäre, Archivare ................................................................ 303  Externe Berater .................................................................................. 315  Deliberiren, Resolvieren, Referiren, Expediren ........................................ 322  Gesandtschaft ohne Vollmachten ................................................... 333  Der ‚gute‘ und der ‚schlechte‘ Ratgeber ......................................... 335  4.3.  Repräsentieren .................................................................................... 341  Mit Pauken und Trompeten............................................................. 343  Der laute Adventus .............................................................................. 347  Erzwungene Huldigung .................................................................... 357  Thronen und investieren .................................................................. 364  Gehen hinter dem Sakrament .......................................................... 368  Das Bild der Äbtissin ........................................................................ 373  4.4.  Zwischenresümee: Herrschaft im Wandel ..................................... 379  5. 

Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren ................... 387 5.1.  Partizipieren ........................................................................................ 389  Knien vor dem Kaiser....................................................................... 390  Inkognito in Regensburg .................................................................. 399  „Drehscheibe Regensburg“ .............................................................. 402  Lagerbildung im corpus evangelicorum ................................................. 407  Umstrittene Kreisstandschaft .......................................................... 411  Bürde und Würde .............................................................................. 417  5.2.  Prozessieren ........................................................................................ 423  Vertrauen in den Kaiser .................................................................... 424  Zwischen Wetzlar und Wien............................................................ 427  Mandata, Rescripte und Kommissionen ............................................ 430  Informalität des Verfahrens ............................................................. 437  Zwischen Justiz und Politik ............................................................. 444  Des Kaisers rechter Arm .................................................................. 448 

VIII

Inhaltsverzeichnis

Des Kaisers kurzer Arm ................................................................... 455  Vertrauensverlust ............................................................................... 467  5.3.  Protegieren .......................................................................................... 470  Die Wahl am falschen Ort ............................................................... 473  Kassation, jus devolutum und Kommission ...................................... 479  Kaiserlicher Wahlkommissar ........................................................... 486  Erste Bitte ........................................................................................... 490  5.4.  Zwischenresümee: Unter dem Schutz von Kaiser und Reich .... 499   

Resümee ....................................................................................................... 505

7. 

Äbtissinnen und Coadjutorinnen der Stifte Essen, Herford und Quedlinburg seit 1650 ................................................................................ 519 7.1.  Essen .................................................................................................... 519  7.2.  Herford ................................................................................................ 522  7.3.  Quedlinburg ........................................................................................ 527 

 

Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis............................................... 531 8.1.  Abbildungen ....................................................................................... 531  8.2.  Abkürzungen ...................................................................................... 532 

9. 

Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................... 537 9.1.  Ungedruckte Quellen ........................................................................ 537  9.2.  Druckschriften ................................................................................... 540  9.3.  Gedruckte Quellen ............................................................................ 544  9.4.  Literatur ............................................................................................... 548 

10.  Register ......................................................................................................... 615 10.1. Personenregister ................................................................................. 615  10.2. Ortsregister ......................................................................................... 630

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 an der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie überarbeitet und um neu erschienene Literatur ergänzt. Wer glaubt, ein Buch würde einsam am Schreibtisch geschrieben, der irrt. Vielmehr handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt, an dem viele teilhaben – wie viele weiß man erst, wenn man am Ende des Schreibprozesses zurückblickt. Auch dieses Buch wäre ohne das Zutun vieler nicht geschrieben oder zweifellos sehr viel schlechter geschrieben worden. Daher möchte ich mich für die vielfältige Unterstützung bedanken, die ich in den letzten Jahren erfahren habe. Zu außerordentlichem Dank verpflichtet bin ich meiner Doktormutter Barbara Stollberg-Rilinger, die meine große Begeisterung für die frühneuzeitliche Geschichte geweckt und genährt hat. Sie ist der Projektidee mit großer Offenheit begegnet und hat die Arbeit durch alle ihre Entwicklungsstufen mit Anregungen und Kritik, aber auch der nötigen wissenschaftlichen Freiheit begleitet, so dass am Ende ein anderes Buch herausgekommen ist, als zunächst gedacht. Daneben gilt mein großer Dank Michael Sikora, der nicht nur das Zweitgutachten übernommen hat, sondern schon früh mein Interesse für die Adelsgeschichte geweckt und mir viele wichtige Anregungen und Ratschläge gegeben hat. Daneben bedanke ich mich bei Gerd Althoff, der zusammen mit Barbara Stollberg-Rilinger die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ‚Symbolische Kommunikation in der Vormoderne‘ möglich machte. Ein japanisches Sprichwort besagt: Kein Weg ist lang mit einem Freund an deiner Seite. Ich hatte zahlreiche solcher Freunde. Wesentlichen Anteil am Gelingen meiner Dissertation hat Stefanie Rüther, die mit ihren scharfsinnigen Fragen und ihrer konstruktiven Kritik meine Arbeit und damit auch meine Forscherpersönlichkeit vorangebracht hat, gleichzeitig aber auch über den eigentlichen wissenschaftlichen Kontext hinaus immer ein offenes Ohr für mich hatte. Ein besonderer Dank gilt Lorenz Baibl, mit dem ich mich während, aber auch noch nach Ende unserer Bürogemeinschaft immer wieder beratschlagen durfte und der bis zum Schluss nie müde wurde, mit mir über die Fürstäbtissinnen nachzudenken. Großen Anteil an der Arbeit haben darüber hinaus meine ‚alteuropäischen‘ Mitstreiter, denen ich zahlreiche Hinweise und Ratschläge verdanke: Matthias Bähr, David Crispin, Megumi Hasegawa, Florian Kühnel, Daniel Lizius, Kristina Rzehak, Merle Schütte, Daniel M. Steinke und Kristina Thies. Ein besonderer Dank gilt

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Vorwort

Maximilian Schuh, der in den letzten Wochen und Tagen vor Abgabe die Nerven behielt. Ebenso verbunden und dankbar für den interdisziplinären Austausch bin ich den Freunden von ‚Old Europe‘: Ruth Ebach, Tim Karis, Julia Koch und besonders Eva Baumkamp, meiner Verbündeten in Sachen Drucklegung. Nach meinem Weggang aus Münster haben mich die Göttinger Kollegen mit offenen Armen empfangen und mir manch neue fachliche Perspektive eröffnet. Hierfür danke ich Steffen Hölscher, Antje Kuhle, Tim Neu, Volker Schlüter, Jana Schütte und besonders Marian Füssel, der die Konzeption der Arbeit durch seine konstruktive Kritik und seine Anregungen nicht wenig geprägt hat. Zudem danke ich Ute KüppersBraun, die mich an ihren profunden Kenntnissen und ihrem Material zum Essener Stift hat teilhaben lassen und sich stets als Gesprächspartnerin zur Verfügung gestellt hat. Den Mitarbeitern der zahlreich von mir besuchten staatlichen und privaten Archive, Bibliotheken und Museen danke ich für ihre Unterstützung und Hilfsbereitschaft. Stellvertretend für alle möchte ich namentlich Jens Heckl aus dem Landesarchiv NRW Abt. Münster hervorheben, der mir im Herbst 2007 die Angst vor alten Handschriften nahm. Das Exzellenzcluster ‚Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne‘ hat mir wahrlich ‚exzellente‘ Rahmenbedingungen ideeller wie materieller Art geboten, ohne die diese Arbeit so nicht hätte geschrieben werden können. Mit dem wesentlichen Anteil zu den Druckkosten hat es ebenso wie die evangelische Kirche in Mitteldeutschland zum raschen Erscheinen des Buches beigetragen. Ich bedanke mich zudem bei den Sprechern und Mitgliedern der DFG-Graduiertenkollegs ‚Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts‘ an der Universität Göttingen und ‚Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage: Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln‘ an der Universität Duisburg-Essen, die mir den nötigen Spielraum ließen, um die Arbeit abzuschließen und zum Druck zu bringen – insbesondere Frank Rexroth und Alice Handt. Ganz besonders möchte ich mich schließlich bei meinen Freunden und meiner Familie bedanken, die immer an mich glauben und mir die nötige Erdung geben. Mein innigster Dank gilt meinem Mann Philipp, der alle Höhen und Tiefen, welche die Erarbeitung einer Dissertation mit sich bringt, mit mir gemeinsam durchschritten hat und mein steter Rückhalt war und ist, sowie meinen Eltern Annette und Georg, die mich bedingungslos unterstützen. Ohne sie wäre ich heute nicht dort, wo ich bin. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Essen, im September 2014

Teresa Schröder-Stapper

Einleitung 1.1. Gefährdetes Weiber=Regiment 1.1. Gefährdetes Weiber=Regiment

Die Besetzung der höchsten politischen Ämter durch Frauen gilt in der Gegenwart als Kennzeichen von Gleichberechtigung und Modernisierung. Dies hängt nicht zuletzt mit der weitverbreiteten Vorstellung zusammen, dass Frauen erst mit der Einführung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts – in Deutschland im Jahre 1919 – „Politikfähigkeit“ erlangt hätten. Tatsächlich ist jedoch mit dem Ende des Alten Reiches im Jahr 1806 und der vorausgegangenen Säkularisation das Wissen um die legitime Herrschaftsausübung von Frauen in der Vormoderne verloren gegangen. Bis dahin galt die Herrschaft adeliger Frauen als Regentinnen in den weltlichen Territorien und als Äbtissinnen der reichsunmittelbaren Damenstifte als selbstverständlich.1 Das Amt der Äbtissin und Fürstin eines der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte bot hochadeligen Frauen eine in der Reichsverfassung verankerte Möglichkeit zu eigenständiger Herrschaftsausübung. Die Herrschaftsbeteiligung von Frauen war im staatstheoretischen Diskurs der Frühen Neuzeit keinesfalls unumstritten. Vielmehr wurde Frauen wiederholt die Herrschaftsbefähigung abgesprochen, wie beispielsweise durch den französischen Staatstheoretiker Jean Bodin. Er erklärte in seinen Six livres de la République 1576: Wie bereits gesagt, sollte die Monarchie streng auf der männlichen Thronfolge aufbauen, weil die Gynokratie im klaren Widerspruch steht zu den Gesetzen der Natur, die dem männlichen Geschlecht und nicht etwa der Frau die Gaben der Stärke, der Klugheit, des Kämpfens und des Befehlens verliehen hat.2

Mit dieser Einstellung stand er keinesfalls alleine. Trotz anders lautender Stimmen wie der des Staatsrechtlers Veit Ludwig von Seckendorff, der sich in seinem ‚Handbuch für Regenten‘ dafür aussprach, auch die adeligen Töchter auf die Übernahme der Herrschaft vorzubereiten,3 dominierte die Vorstellung von der weiblichen Nachrangigkeit, wie sie seit der Spätantike in ____________ 1 2 3

Vgl. WUNDER, Herrschaft und öffentliches Handeln, S. 27. BODIN, Sechs Bücher über den Staat, Buch VI., Kap. 5, S. 449. SECKENDORFF, Teutscher Fürstenstaat, Bd. 1, S. 54.

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1. Einleitung

theologischen und juristischen Texten kolportiert wurde.4 So kam es, dass die frühneuzeitliche Diskussion über die Regierungs(un)fähigkeit von Frauen, in die sowohl Argumente der antiken Anthropologie und des römischen Rechts als auch der querelle des femmes Aufnahme fanden, das Weiber=Regiment als wider das natürliche und göttliche Recht einstufte.5 Dem gegenüber stand jedoch die Praxis im Alten Reich, wo an der Spitze der kaiserlich freiweltlichen Damenstifte hochadelige Frauen ganz selbstverständlich Herrschaft ausübten. Eine Besonderheit stellt die Verbindung geistlicher und weltlicher Gewalt in den Händen der Äbtissin dar. Hierbei handelt es sich um ein Spezifikum des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, wo geistliche Kurfürsten, Fürsten, Äbte und Äbtissinnen nicht nur kirchliche Amtsträger, sondern auch Landesherren bzw. -frauen waren. Die Äbtissinnen der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte standen nicht nur ihren Konventen vor, sondern übten aufgrund der bis in die Anfangsphase zurückreichenden päpstlichen Exemtion der Stifte episkopale Rechte aus. Sie besetzten Kirchenpfründen, zogen den Zehnten ein, hatten geistliche Jurisdiktionsrechte inne und gestalteten das gesamte Kirchenwesen in den ihnen unterstellten Pfarreien. Als Frauen waren sie lediglich von allen Weihe- und Seelsorgeaufgaben ausgeschlossen. Darüber hinaus regierten sie als weltliche Landesfürstinnen ein kleines reichsunmittelbares Stiftsterritorium, wo sie Steuern und Zölle erhoben, Gesetze erließen, Recht sprachen und Münzen prägten. Als reichsunmittelbare Landesherrinnen waren sie Fürstinnen des Reiches mit Sitz und Stimme auf Kreis- sowie Reichstagen und beteiligten sich anteilsmäßig an den Reichslasten. Dementsprechend erkannten sie keine andere Obrigkeit über sich an als den Kaiser. Die Reformation bedrohte die Existenz der geistlichen Staaten, von denen mehrere als deren Folge in weltliche Fürstentümer umgewandelt wurden.6 Gerade die Institution Damenstift überlebte die Reformation jedoch vielfach unbeschadet. Mehrere norddeutsche Stifte schlossen sich der neuen Lehre an und existierten als evangelische Einrichtungen weiter.7 Die Gründe hierfür wurden vor allem in der sozialen Funktion der Stifte für den Adel ____________ 4

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Vgl. KOCH, Das weibliche Geschlecht im Normensystem; PUPPEL, Zur Konstruktion der Ausnahme. ZEDLER, Art. Weiber=Regiment, Bd. 54, Sp. 106-108. Vgl. PUPPEL, Die Regentin, 14f.; DIES., Gynaecocratie; WUNDER, Gynäkokratie. Vgl. LOTTES, Die geistlichen Staaten, S. 102-105; SCHINDLING, Reichskirche und Reformation; WOLGAST, Hochstift und Reformation. Hierzu gehörten auch die Stifte Herford und Quedlinburg.

1.1. Gefährdetes Weiber=Regiment

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sowie ihrer politischen Bedeutungslosigkeit gesucht.8 Spätestens mit dem Westfälischen Frieden war die Existenz der Damenstifte fest in der Reichsverfassung verankert.9 Nichtsdestoweniger wurde im Westfälischen Frieden das Prinzip der Säkularisierung geistlicher Staaten etabliert, das die Reichspolitiker bis zur Säkularisation 1803 nicht mehr losließ.10 Mitte des 18. Jahrhundert wurde die Kritik an den geistlichen Staaten und der Verbindung von geistlicher und weltlicher Gewalt im aufklärerischen Gedankengut immer lauter.11 Im Rahmen der Kritik an der inneren Verfassung der geistlichen Staaten wurden ihnen Mängel hinsichtlich moderner Territorialstaatsbildung vorgeworfen, woraus sich bis in die Moderne das Paradigma der Rückständigkeit geistlicher Staaten speiste.12 Eine weitere Besonderheit der Reichsverfassung stellt die Vielzahl mindermächtiger Stände dar, die das Bild des Reiches als das eines ‚Flickenteppichs‘ geprägt haben. Die Äbtissinnen der Damenstifte zählten wie viele andere geistliche Amtsträger und kleine bis mittlere weltliche Fürsten und Grafen zu diesen mindermächtigen Reichsständen. Die Grundlage ihrer Herrschaft waren Kleinstterritorien von wenigen Quadratkilometern. Mitunter verfügten sie gar nicht über ein geschlossenes Territorium, sondern vereinten lediglich verschiedene Herrschaftsrechte in ihrer Hand. Aufgrund der Kleinräumigkeit ihres Herrschaftsbereichs fehlte es den mindermächtigen Reichsständen gegenüber den großen, vor allem weltlichen Territorialherren nicht nur an personellen und ökonomischen Ressourcen, wodurch sie mit ihnen im Prozess der Territorialisierung nicht Schritt halten konnten. Vielmehr wurden einzelne geistliche und mindermächtige Staaten ____________ 8

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Vgl. MUSCHIOL, Die Reformation, das Konzil von Trient und die Folgen, S. 173; WIESNER, Gender, Church, and State, S. 59f.; DIES., The Reformation of the Women, S. 199. Im Westfälischen Frieden wurde die Existenz aller freie[n] weltliche[n] Stifter neben den anderen geistlichen Staaten in Besitzstand und konfessioneller Ausrichtung wie im Normaljahr 1624 festgelegt (IPO, Art. V, § 14). Zudem wurden sämtliche Kurfürsten, Fürsten und Stände des Römischen Reiches in ihren alten Rechten, Vorrechten, Freiheiten, Privilegien, der ungehinderten Ausübung der Landeshoheit in geistlichen als auch weltlichen Angelegenheiten, Herrschaften, Regalien sowie in deren Besitz bestätigt (IPO, Art. VII, § 1). Vgl. LOTTES, Die geistlichen Staaten, S. 107f. Vgl. zur Wahrnehmung geistlicher Staaten in der Aufklärung sowie deren Wurzeln WEBER, Zur Wahrnehmung und Einschätzung der geistlichen Staaten. Zur Aufklärung allg. vgl. STOLLBERG-RILINGER, Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Peter Herrsche hat in seinen Studien das Paradigma der Rückständigkeit geistlicher Staaten verworfen und stattdessen ihren Alternativcharakter zum aufgeklärten, ‚absolutistischen‘ Staat nach dem Vorbild Preußens betont. Vgl. HERRSCHE, Intendierte Rückständigkeit; DERS., Barrieren gegen den Fortschritt.

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1. Einleitung

zum begehrten Objekt ihrer mächtigen Nachbarn.13 Schutz suchten die mindermächtigen Reichsstände angesichts der zunehmenden territorialen Konkurrenz bei Kaiser und Reich.14 Die Herrschaft der Äbtissinnen war insofern gleich in dreifacher Hinsicht gefährdet: aufgrund ihres Geschlechtes, ihres säkular-geistlichen Status und ihrer mindermächtigen Stellung. Dennoch bestanden die Stifte Herford, Quedlinburg und Essen bis zur Säkularisation in den Jahren 1802/03 fort. Im Zentrum der nachfolgenden Untersuchung steht daher die Frage nach den Handlungsspielräumen der Äbtissinnen als mindermächtigen politischen Akteuren und ihren Strategien zur Verteidigung ihrer reichsunmittelbaren Herrschaft und Reichsstandschaft. Ziel ist es, die spezifische Beschaffenheit der Herrschaft der Fürstin-Äbtissin eines kaiserlich frei-weltlichen Damenstiftes zu analysieren und deren Rahmenbedingungen abzustecken. Damit wird ein Beitrag zur Erforschung vormoderner Herrschaft, zur Aufschlüsselung der Verfasstheit des Alten Reiches sowie zur Dekonstruktion des Ausschlusses von Frauen aus der politisch-religiösen Sphäre geleistet. Der Begriff Herrschaft weckt verschiedene Assoziationen. Herrschaft wird hier nicht als ein soziologischer Terminus im Sinne Max Webers verstanden,15 sondern vielmehr als die Beschreibung eines Gemeinwesens oder Personenverbandes, der auf der ungleichen Verteilung von Rechten und Privilegien beruhte. Um Missverständnisse zu vermeiden und keine falschen Assoziationen zu wecken, wird im Folgenden stattdessen auf den Begriff der Konfiguration Stift zurückgegriffen. Hierunter verstehe ich eine spezifische Konstellation von Personen, deren Zugang zu bestimmten Rechten und deren räumliche Verortung.

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Vgl. LOTTES, Die geistlichen Staaten. Vgl. ARETIN, Reichsverfassung und Mindermächtige; BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung; SCHNETTGER, Kleinstaaten in der Frühen Neuzeit. Vgl. WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, Teilbd. 4: Herrschaft.

1.2. Zwischen Adels-, Stifts- und Geschlechtergeschichte

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1.2. Zwischen Adels-, Stifts- und Geschlechtergeschichte 1.2. Zwischen Adels-, Stifts- und Geschlechtergeschichte

Im Alten Reich gab es elf Damenstifte,1 die sich nicht zuletzt in ihrer konfessionellen Ausrichtung unterschieden. Daneben fallen weitere Unterschiede beispielsweise mit Blick auf die innere Verfassung oder den Umfang des Grundbesitzes der Stifte auf, die erst in einer vergleichenden Studie zu Tage treten. Bei näherer Betrachtung muss daher eine klare Heterogenität innerhalb der Stiftslandschaft des Alten Reiches konstatiert werden. Zur Untersuchung der Herrschaftskonfiguration Stift ist es daher nötig, mehrere Stifte in der Analyse zu behandeln, um ein Spektrum unterschiedlicher Ausformungen aufzumachen. Um der konfessionellen Pluralität des Reiches Rechnung zu tragen, fiel die Auswahl der Fallbeispiele auf die in ihrer konfessionellen Zuordnung verschiedenen Stifte Herford (reformiert), Quedlinburg (lutherisch) und Essen (katholisch) – auch wenn die Zusammensetzung der beiden evangelischen Stifte einer klaren konfessionellen Differenzierung nicht standhält.2  Gleichzeitig zeichnen sich die drei Stifte durch eine Reihe von Gemeinsamkeiten aus: angefangen bei ihrem ähnlichen Entstehungskontext im 9. bzw. 10. Jahrhundert sowie ihrer weiteren Genese bis hin zu ihrer geographischen Lage im kaiserfernen Norden des Reiches und ihrer hochadeligen Exklusivität. Darüber hinaus war es allen drei Konventen auf Grundlage von Schenkungen, Privilegierungen und verliehenen Rechten im 13. Jahrhundert gelungen, eine eigene kleine, reichsunmittelbare Landesherrschaft aufzurichten, die in der Frühen Neuzeit zur Grundlage ihrer Reichsstandschaft wurde. Schließlich sahen sie sich im 17. und 18. Jahrhundert ganz ____________ 1

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KÜPPERS-BRAUN, Dynastisches Handeln von Frauen, S. 225. Küppers-Braun benennt darin die folgenden reichsunmittelbaren Stifte der Rheinischen Prälatenbank: Essen, Buchau, Quedlinburg, Herford, Gernrode, Niedermünster in Regensburg, Obermünster in Regensburg, Gandersheim, Thorn; sowie der Schwäbischen Prälatenbank: Andlau, Lindau. In Herford setzte sich das reformierte Bekenntnis erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts durch. Dies galt darüber hinaus nur für die Äbtissinnen und Kanonissen. Denn in der Stiftskirche wurde der lutherische Ritus beibehalten, während Äbtissin Elisabeth von der Pfalz den reformierten Gottesdienst nur in der Wolderuskapelle durchsetzen konnte. Zudem wurde mit Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf Mitte des 18. Jahrhunderts mit Unterstützung des preußischen Königs eine Lutheranerin zur Äbtissin gewählt. Ihre Wahl entschädigte sie für das Amt der Äbtissin im lutherischen Stift Quedlinburg, wo stattdessen mit Anna Amalie von Preußen eine Reformierte an die Spitze gelangte. Vgl. zu Herford BEI DER WIEDEN, Die konfessionellen Verhältnisse, S. 267-279.

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1. Einleitung

ähnlichen Problemen ausgesetzt, wie etwa der zunehmenden Herrschaftskonkurrenz durch ihren gemeinsamen Schutzherrn, den preußischen König. Dieses Wechselspiel aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten macht die Gegenüberstellung der jeweiligen Handlungsspielräume und -strategien besonders ertragreich und erlaubt überhaupt erst die Formulierung verallgemeinernder Aussagen. Der Untersuchungszeitraum der Arbeit umfasst die Zeit zwischen dem Westfälischen Frieden (1648), mit dem die Existenz der geistlichen Staaten in der Reichsverfassung grundsätzlich festgeschrieben wurde, und der Säkularisation (1802/03), die das Ende (fast) aller geistlichen Staaten bedeutete.3 In dieser Zeit sahen sich die mindermächtigen Reichsstände mit begrenztem, zum Teil verstreuten Territorialbesitz und fragmentierten, sich überlagernden Hoheitsrechten der Etablierung großer Territorialstaaten gegenüber. Hinzu trat im 18. Jahrhundert, ausgelöst durch den Geist der Aufklärung sowie eben die Ausbildung großflächiger Staaten, die immer lauter werdende Kritik an geistlichen Territorien sowie Klein-Staaten, die ihre Rückständigkeit und Antiquiertheit anprangerte. Während die historischen Wurzeln der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte im Hochmittelalter, insbesondere Quedlinburgs und Essens, und die Äbtissinnen mit Nähe zum Königs- bzw. Kaiserhaus ein breites Interesse in der Forschung sowohl aus kirchen- als auch adelsgeschichtlicher Perspektive auf sich gezogen haben,4 sind Arbeiten zur Frühen Neuzeit selten.5 Zwar ____________ 3

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Bereits im Sommer 1802 bemächtigten sich preußische Regierungsvertreter der Stifte Herford, Quedlinburg und Essen auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen Napoleon und Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Der am 25. Februar 1803 gefällte Reichsdeputationshauptschluss legitimierte dieses Vorgehen lediglich im Nachhinein. Besitzergreifungspatent für die Abteien Essen, Werden und Elten (6. Juni 1802): Essen Münster Archiv A Pfarrei Nr. 434; Bericht aus den Allgemeinen Politischen Nachrichten (5. Aug. 1802) über die Besitzergreifung des Stifts Essen, zitiert nach MEYER, Geschichte des ehemaligen freiweltlichen adeligen Damenstiftes und der Bürgermeisterei Stoppenberg, S. 112; Reichsdeputationshauptausschuss § 3 (25. Febr. 1803), in ZEUMER (Bearb.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, S. 509-528; Kaiserliche Ratifizierung (27. April 1803), in ebd., S. 529-530. Aus kirchengeschichtlicher Perspektive war es vor allem die Unterscheidung zwischen Kloster und Stift, welche die mittelalterliche Forschung lange beschäftigt hat. S. hierzu u. Kap. Geistliches Frauenzimmer-Stift, Kayserlich frey weltliches Stift, Fürstlich Frauenzimmer-Stift – Versuch einer Definition. Aus adelsgeschichtlicher Perspektive sind vor allem die Gründung, die Verflechtung in die adeligen Personenverbände und die Funktion der geistlichen Institutionen innerhalb dieser Personenverbände als Orte der Memoria und der Herrschaftsrepräsentation in den Blick genommen worden. Vgl. u.a. ALTHOFF, Ottonische Frauengemeinschaften; DERS., Gandersheim und Quedlinburg; BERGHAUS, SCHILP,

1.2. Zwischen Adels-, Stifts- und Geschlechtergeschichte

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erfuhr die Erforschung der geistlichen Staaten, zu denen auch die kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte gezählt werden können, in den letzten Jahren einen Auftrieb,6 so dass mit Forschungstraditionen wie der „Rückständigkeit“ geistlicher Staaten und der Regierungsunfähigkeit geistlicher Fürsten gebrochen wurde.7 Der Fokus dieser Forschungen liegt aber häufig auf den geistlichen Kurfürstentümern und Fürstentümern.8 Die mit Frauen besetzten Reichsklöster und -stifte werden ebenso wie die reichsunmittelbaren Äbte und Pröpste in den Überblickdarstellungen lediglich als Annex knapp behandelt.9 Gleichwohl bieten insbesondere Untersuchungen, welche die Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen bei der Besetzung von Domherrenstellen bis hin zur Position des Kurfürsten sowie bei der Ausübung kirchlicher Ämter betont haben,10 Anknüpfungspunkte für die hier vorlie____________

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SCHLAGHECK (Hg.), Herrschaft, Bildung und Gebet; BORDARWÉ, Die Frühgeschichte des Herforder Stifts; CRUSIUS, Im Dienst der Königsherrschaft; EHLERS, Der helfende Herrscher; FREMER, Äbtissin Theophanu; KROKER, Kaiser, Könige und fromme Frauen; PARISSE, Die Frauenstifte und Frauenklöster in Sachsen; RADDATZ, Vertraute; SCHILP, Gründung und Anfänge; DERS., Die Gründungsurkunde. Nachdem in der Reihe „Essener Forschungen zum Frauenstift“ und auf den darin aufgearbeiteten Tagungen des Essener Arbeitskreises zur Erforschung der Damenstifte anfänglich vor allem mittelalterliche Themen behandelt wurden, werden seit geraumer Zeit immer wieder epochenübergreifende sowie explizit frühneuzeitliche Aspekte in den Blick genommen. Zuletzt die Sammelbände in der Reihe KÜPPERS-BRAUN, SCHILP (Hg.), Frauenkonvente im Zeitalter der Konfessionalisierung; SCHILP (Hg.), Frauen bauen Europa; sowie die Tagung des Arbeitskreises 2013 zu Damenstiften im Barock. Vgl. zuletzt die Sammelbände AMMERER, HANNESSCHLÄGER, NIEDERKORN, WÜST (Hg.), Höfe und Residenzen geistlicher Fürsten; BRAUN, MENNE, STRÖHMER (Hg.), Geistliche Fürsten und Geistliche Staaten; BRAUN, GÖTTMANN, STRÖHMER (Hg.), Geistliche Staaten im Nordwesten des Alten Reiches; WÜST (Hg.), Geistliche Staaten in Oberdeutschland. Vgl. HERRSCHE, Intendierte Rückständigkeit; DERS., Barrieren gegen den Fortschritt; ANDERMANN, Die geistlichen Staaten. Vgl. u.a. BRAUN, Studien zur Funktion und zum Selbstverständnis; BRENDLE, Der Erzkanzler im Religionskrieg; MENNE, Herrschaftsstil und Glaubenspraxis; SCHINDLING, Die geistlichen Fürsten und die Reichskirche; DERS., Reichskirche und Reformation; WÜST, Geistlicher Staat und Altes Reich; DERS., Das Fürstbistum Augsburg. Ausnahmen bilden Arbeiten zum südwestdeutschen Raum, der eine hohe Dichte an Stiftsund Klosterterritorien aufwies, vgl. u.a. HERRSCHE, Die südwestdeutschen Klosterterritorien; HÖLZ, Die Politik geistlicher Staaten. Vgl. BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung; SCHWARTZ, Die frühneuzeitliche Adelskirche; WOLGAST, Die Reichsabteien im Verfassungssystem des Alten Reiches. Vgl. BRAUN, Seelsorgebischof oder absolutistischer Fürst?; DUHAMELLE, The Making of Stability; MAURER, Das Haus Fürstenberg; REINHARDT, Zur Reichskirchenpolitik der

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1. Einleitung

gende Arbeit. Diese Untersuchungen stehen im Kontext der Wiederentdekkung des Adels als Untersuchungsgegenstand der historischen Forschung, der seitdem sowohl in der Sozial- und Politik- als auch in der Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit angemessene Würdigung erfährt.11 Sie brechen zudem mit der häufig in der traditionellen Adelsgeschichte vorherrschenden Behandlung der Reichskirche und nicht zuletzt der Damenstifte und -klöster als reinen Versorgungsinstitutionen zur „Abschichtung“ nachgeborener Söhne und Töchter,12 wo stattdessen ausschließlich der dynastischpolitischen Nutzen adeliger Heiratspolitik betont wurde.13 Die hier vorliegende Arbeit schließt vielmehr an kulturgeschichtliche Fragenstellungen an, die nach der Zuschreibung, Aneignung und Wahrnehmung spezifischer Rollen- und Rollenerwartungen in adeligen Verwandtschaftsverbänden fragen. Die wenigen expliziten Studien zu den kaiserlich frei-weltlichen Damenstiften lassen sich verschiedenen Forschungstraditionen zuordnen. Hierzu gehören zunächst die Stiftsgeschichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Sie haben einen lokalgeschichtlichen Zuschnitt.14 Ihr Ziel ist eine umfassende Darstellung der historischen Ereignisse im Stift von dessen Gründung bis zur Auflösung. Die Äbtissinnen werden darin häufig zu Inhaberinnen „unbedeutende[r] Rollen in der Geschichte von Stift und Stadt […], gleichsam [zu] Zuschauerinnen“ degradiert.15 Zu Fragen nach Rechtsund Besitzverhältnissen im Stift, der inneren Verfassung und deren Grund____________

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Pfalz-Neuburger Dynastie; SCHRAUT, Verwandtschaftsbeziehungen; DIES., Das Haus Schönborn; DIES., Dynastische Herrschaftssicherung, S. 205-220; DIES., Die Bischofswahl im Alten. Vgl. ASCH, Europäischer Adel, S. 2; zuerst bei REIF, Westfälischer Adel; sowie zuletzt CONZE, JENDORFF, WUNDER (Hg.), Adel in Hessen; CARL, WREDE (Hg.), Zwischen Schande und Ehre; GERSMANN, LANGBREIDTNER, RÖßNER-RICHARZ (Hg.), Adelige Lebenswelten; SIKORA, Der Adel in der Frühen Neuzeit; grundlegend PRESS, Adel im Alten Reich. Vgl. HUFSCHMIDT, Adelige Frauen im Weserraum, S. 88; SCHWARTZ, Die frühneuzeitliche Adelskirche. Schwerpunkt im Spätmittelalter, aber mit fortgeltenden Befunden für die Frühe Neuzeit; SPIEß, Familie und Verwandtschaft, S. 370f. Vgl. MARRA, Allianzen des Adels; MUTSCHLER, Haus, Ordnung, Familie; KNÖFEL, Dynastie und Prestige. Vgl. FRITSCH, Geschichte des ehemaligen Reichsstifts, Teil 2; KLEEMANN, Kulturgeschichtliche Bilder aus Quedlinburgs Vergangenheit; LORENZ, Werdegang von Stift und Stadt Quedlinburg; NORMANN, Herforder Chronik; PAPE, Sancta Herfordia; SCHWETTMANN, Beiträge zur Geschichte. LORENZ, Werdegang von Stifts und Stadt Quedlinburg, S. 185.

1.2. Zwischen Adels-, Stifts- und Geschlechtergeschichte

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lagen kann auf strukturgeschichtliche Studien zurückgegriffen werden,16 die allerdings kaum die Akteure und ihr Handeln berücksichtigen sowie die Stifte häufig isoliert betrachten. Zuletzt wurden vor allem sozialgeschichtliche Fragen an die Institution Damenstift gestellt. Diese Untersuchungen interessieren sich für die personelle Zusammensetzung, die Funktion und das Alltagsleben. Besonderen Wert für nachfolgende Studien haben die in diesem Kontext entstandenen prosopographischen Arbeiten, die für einige Stifte vorliegen.17 Zu den Stiften Herford und Quedlinburg fehlte bis zuletzt eine Gesamtdarstellung aus jüngerer Zeit. Stattdessen sind mehrere Einzelbeiträge erschienen, die unterschiedliche Themen wie die konfessionelle und personelle Zusammensetzung behandeln.18 Jüngst erschien eine Gesamtdarstellung zum Stift Quedlinburg, welche die Geschichte des Stifts von seinen mittelalterlichen Anfängen über die Säkularisation hinaus bis in die preußische Ära behandelt.19 Angesichts des langen Untersuchungszeitraumes er____________ 16

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Zu Herford COHAUSZ, Herford als Reichsstadt und papstunmittelbares Stift; KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford. Zu Quedlinburg WEIHRAUCH, Die Güterpolitik des Stiftes, Teil 2; DERS., Die Güterpolitik des Stiftes Quedlinburg, Teil 1. Zu Essen ARENS, Die beiden Kapitel des Stiftes Essen; BETTEKEN, Stift und Stadt Essen; HOEDERATH, Die geistlichen Hoheitsrechte; DERS., Die Landeshoheit der Fürstäbtissinnen von Essen; HÖRGER, Die reichsrechtliche Stellung der Fürstäbtissinnen; WEIGEL, Aufbau und Wandlungen der Grundherrschaft; DERS., Studien zur Verfassung und Verwaltung des Grundbesitzes des Frauenstifts Essen. Fehlerhaft hingegen FÜRSTENBERG, „Ordinaria loci“; HANKEL, Die reichsunmittelbaren evangelischen Damenstifte. Einer solchen verfassungsgeschichtlichen Forschungstradition verpflichtet sind auch die Studien, die im Rahmen der Reihe „Germania Sacra“ erscheinen. Vgl. GOETTING, Gandersheim; KOHL, Freckenhorst; THEIL, Buchau am Federsee. Für Herford BEI DER WIEDEN, Die Dekanessen und Koadjutorinnen der Reichsabtei Herford; DERS., Die Herkunft der Äbtissinnen der Reichsabtei Herford; DERS., Die Äbtissinnen der Reichsabtei Herford. Für Quedlinburg KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, hier: S. 45-104. Für Essen DIES., Frauen des hohen Adels. Zu Quedlinburg zuletzt die Beiträge des Sammelbandes BLEY (Hg.), Kayserlich – frey – weltlich. Für diese Arbeit von besonderem Interesse sind die Beiträge von KÜPPERSBRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation; VOLLMUTH-LINDENTHAL, Die Äbtissin von Quedlinburg als Stadt- und Landesherrin; VÖTSCH, Die Äbtissin von Quedlinburg als Reichs- und Kreisstand; GÖSE, Beschränkte Souveränität; SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg. Zu Herford die Beiträge von Thorsten Heese und Helge Bei der Wieden, insbesondere HEESE, Getrübtes Familienidyll; DERS., Der Liebesbrief der Äbtissin Friederica; DERS., Von Mohren und Menschen; DERS., Mit Schulterband und Schleife; DERS., Trägerinnen und Träger des Herforder Damenstiftsordens; BEI DER WIEDEN, Münzrecht als Hoheitsrecht; DERS., Die konfessionellen Verhältnisse. Vgl. KASPER, Das Reichsstift Quedlinburg.

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1. Einleitung

schöpft sich die Arbeit jedoch vielfach in deskriptiver Ereignisgeschichte und einer vereinfachten Darstellung. Ute Küppers-Braun hat für das Stift Essen eine umfassende sozialgeschichtliche Monographie vorgelegt, in der sie sowohl die inneren Strukturen als auch das Alltagsleben von Äbtissin und Stiftsdamen beleuchtet.20 Sie hat vor allem auf die soziale Funktion der Stifte für den Hochadel als Orte weiblicher Sozialisation sowie ständisches Kontrollorgan für die Ebenbürtigkeit adeliger Familienverbände hingewiesen und damit die Vorstellung einer ausschließlichen Versorgungsfunktion der Stifte widerlegt.21 Während Küppers-Braun die Einbindung von Äbtissin und Stift in einen größeren Kontext wie das Reich nur am Rande streift,22 nimmt Jochen Vötsch in einem Aufsatz zum Stift Quedlinburg um 1700 ausdrücklich dessen Stellung zwischen dem Kaiser und benachbarten Reichsständen in den Blick und skizziert deren Einflussnahme auf die Angelegenheiten des Stifts. Dabei bleibt die Rolle, welche die Äbtissinen und ihre Berater spielten, jedoch unterbelichtet.23 Erst allmählich nähern sich einzelne Forschungen der Institution Damenstift auch aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Sie verfolgen einen betont praxeologischen Ansatz und berücksichtigen dabei die Verflechtung der Äbtissinnen in verschiedene Beziehungszusammenhänge wie die Verwandtschaft.24 Insbesondere zu Äbtissinnen aus großen Dynastien sind bis heute immer wieder auch biographische Skizzen erschienen,25 die jedoch wie die zuletzt publizierte „Biographie in Einzeldarstellungen“ von Elisabeth von der Pfalz keine er____________ 20 21

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Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels; DIES., Macht in Frauenhand. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Ahnenproben des hohen Adels in Dom- und kaiserlichfreiweltlichen Damenstiften; DIES., Anmerkungen zum Selbstverständnis des hohen Adels; DIES., Lebensentwürfe adeliger Frauen in frei-weltlichen Damenstiften; DIES., Hochadelige Frauen des kaiserlich-freiweltlichen Damenstifts Essen; DIES., Frauentestamente. Zuletzt hierzu aber mit Blick auf niederadelige Stifte DÜSEDER, Die Bedeutung der Klöster und Stifte für den Adel. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Dynastisches Handeln von Frauen. Vgl. VÖTSCH, Zwischen Kursachsen, Preußen und dem Kaiser. Eine ähnliche Perspektive nehmen die Arbeiten von Bernhard Theil zum schwäbischen Damenstift Buchau ein. Vgl. THEIL, Hochadelige Damenstifte zwischen Reichsverfassung und Diözesanbischof; DERS., Damenstift Buchau am Federsee zwischen Kirche und Reich. Vgl. KLAPP, Das Äbtissinnenamt; DIES., Stift, Familie, Geschlecht; MEIER, Standesbewusste Stiftsdamen. Vgl. ASCHERFELD, Maria Kunigunde von Sachsen; DEBUSCH, Anna Amalia von Preußen; KÜPPERS-BRAUN, Fürstin-Äbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach; PUPPEL, Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen; SCHÖNBORN, Mit Herz und Verstand; SCHRÖDER, Maria Kunigunde von Sachsen; SCHULZ, Johanna Charlotte Markgräfin von Brandenburg.

1.2. Zwischen Adels-, Stifts- und Geschlechtergeschichte

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schöpfende Darstellung bieten.26 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Äbtissinnen als politische Akteure in den Arbeiten nicht oder nur stark marginalisiert vorkommen. Küppers-Braun erklärt gar, dass die Äbtissinnen nur selten politische Entscheidungen zu treffen gehabt hätten, sondern sich aufgrund ihrer mindermächtigen Stellung in der Regel den Forderungen der benachbarten Territorialherren gefügt hätten. Innenpolitisch hätten die Räte die Geschicke des Stifts gelenkt. Daher könne, so Küppers-Braun, „die Rolle der Herrscherin […] ausgeklammert werden“.27 Dieser Einschätzung widersprechen die Erkenntnisse der Geschlechtergeschichte der vergangenen vier Jahrzehnte, die sehr wohl weiblichen Akteuren einen Platz im politischen Feld der Vormoderne eingeräumt hat.28 Es ist ihr Verdienst, das Diktum des generellen Ausschlusses von Frauen aus der politisch-religiösen Sphäre widerlegt zu haben, indem sie die Anwendung der dichotomen Kategorien öffentlich-privat, wie sie sich erst im bürgerlichen Zeitalter zum Ende des 18. Jahrhunderts herausbildeten,29 auf die Verhältnisse in der Vormoderne als anachronistisch entlarvt hat. Nach zahlreichen Studien zur bäuerlichen und städtischen Gesellschaft hat die Geschlechtergeschichte Mitte der 1990er Jahre auch den Adel als Untersuchungsgegenstand wiederentdeckt.30 Seitdem wurde auf dem Gebiet des ____________ 26

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In besagtem Sammelband fehlt beispielsweise nicht nur ein Beitrag zum Verhältnis Elisabeths von der Pfalz zu ihrer Herkunftsdynastie, sondern auch zur Beziehung zwischen der Äbtissin und ihrem Vetter Friedrich Wilhelm, dem brandenburgischen Kurfürsten, der sie bei der Aufnahme ins Stift unterstützt hat und mit dem sie zeitlebens eine enge Freundschaft verband. S. u. Kap. Unter Freunden. BEI DER WIEDEN (Hg.), Elisabeth von der Pfalz. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 22f. Natalie Zemon Davis hat bereits Mitte der 1970er Jahre politische Handlungsspielräume von Frauen vor allem in der frühneuzeitlichen Stadt in den Blick genommen. Vgl. ZEMON DAVIS, Women on top; DIES., Women in Politics/Frauen, Politik und Macht. Vgl. darüber hinaus KÜHNE, Staatspolitik, Frauenpolitik, Männerpolitik; OPITZ, Weibliche Herrschaft und Geschlechterkonflikte; DIES., Staatsräson kennt kein Geschlecht. Vgl. zur Ausbildung von Geschlechtscharakteren an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert HAUSEN, Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“; HONEGGER, Die Ordnung der Geschlechter. Vgl. zum Geschlechterverhältnis im bürgerlichen Zeitalter DUDEN, Das schöne Eigentum; FREVERT, Bürgerliche Meisterdenker; DIES., Geschlechterdifferenzen; HABERMAS, Frauen und Männer. Vgl. CRAWFORD, Perilous Performances; HARTMANN, Zwischen Geschlechterordnung und politischer Ordnung; KÜPPERS-BRAUN, Dynastisches Handeln von Frauen; JANSEN, The Monstrous Regiment; OPITZ, Hausmutter und Landesfürstin; WUNDER, Regierende Fürstinnen; DIES., Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung; DIES., Herrschaft und öffentliches Handeln. Zuletzt KELLER (Hg.), Gynäkokratie; hier weiterführende Literatur.

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1. Einleitung

Alten Reiches vor allem die Herrschaft vormundschaftlicher Regentinnen, Erbfürstinnen und Witwen untersucht.31 Zuletzt sind auch Studien hinzugekommen, die sich der Rolle der Frauen in der frühneuzeitlichen Diplomatie widmen.32 Matthias Schnettger weist jedoch zu Recht darauf hin, dass „die Reichsäbtissinnen bislang deutlich weniger Beachtung […] gefunden haben“, obwohl „sie sich als ertragreiche Forschungsfelder weiblicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit geradezu [anbieten]“. Eine Untersuchung der Äbtissinnen der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte als politische Akteure kann diese Lücke schließen.

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Zur bäuerlichen und städtischen Gesellschaft u.a. WUNDER, „Er ist die Sonn`, sie ist der Mond“; ULBRICH, Shulamit und Margarete; WERKSTETTER, Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Vgl. u.a. zu vormundschaftlichen Regentinnen BUCKREUS, Der Körper einer Regentin; PUPPEL, Die Regentin; RAWERT, Regentin und Witwe; zu Erbfürstinnen SANDER (Hg.), Das Fräulein und die Renaissance; zu Witwen FREIST, Religious difference; KÜHN, Eine „unverstorbene Witwe“; LÖWENSTEIN, Hofhaltungen fürstlicher Frauen und Witwen; SCHATTKOWSKY (Hg.), Witwenschaft in der frühen Neuzeit; sowie übergreifend LILIENTHAL, Die Fürstin und die Macht; SCHÖDL, Frauen und dynastische Politik. Vgl. BASTIAN, Verhandeln in Briefen; DIES., ‚Diplomatie kennt kein Geschlecht‘; DADE, Madame de Pompadour.

1.3. Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte

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1.3. Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte 1.3. Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte

Ausgangspunkt ist die These von den Äbtissinnen der kaiserlich freiweltlichen Damenstifte als politischen Akteuren, deren Handeln sich im Spannungsfeld von Möglichkeiten und Grenzen bewegte. Mit dem politischen Handeln der Äbtissinnen greift die Arbeit ein Forschungsdesiderat auf. Die Herrschaftsrechte der Äbtissinnen wurden im Zuge der Formierung des vormodernen Territorialstaates durch die Arrondierungsbestrebungen ihrer mächtigen Nachbarn bedroht. Dennoch ist es ihnen gelungen, ihren reichsunmittelbaren und reichsständischen Status bis 1802/03 zu wahren. Im Folgenden wird hier die Einbindung der Äbtissinnen in bestimmte Handlungszusammenhänge rekonstruiert, um sowohl deren Nutzen zur Verteidigung ihrer Herrschaft als auch die Spezifik ihrer Herrschaft als Äbtissin und Fürstin der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte zu analysieren. Erst die Etablierung der „Kulturgeschichte des Politischen“ hat den Blick der Geschichtsforschung auch auf begrenzte politische Handlungsoptionen wie die der Äbtissinnen geöffnet.1 Ihr Verdienst ist es, die Orientierung an Maßstäben des modernen Staates verdrängt und stattdessen die „Vielschichtigkeit von Herrschaft“ in der Vormoderne betont sowie die zuvor übersehenen Herrschaftsträger auf unterschiedlichen Ebenen in den Blick genommen zu haben.2 Im Fokus stehen die Diskurse und Praktiken der Akteure, vermittels derer sie sich über die Herrschaftsstrukturen verständigten und diese realisierten. Von besonderem Interesse sind solche Interaktionen, in denen unterschiedliche Deutungen aufeinanderstießen. Denn gerade in Konflikten zeigt sich „die fundamentale Bedeutung von Vorstellungen, Zuschreibungen und symbolischen Praktiken für jede politisch-soziale Ordnung“.3 Die akteurszentrierte Perspektive der ‚Kulturgeschichte des Politischen‘ hat zugleich Anknüpfungspunkte für geschlechtergeschichtliche Überlegungen eröffnet. Mit ihrem breit rezipierten Aufsatz „Gender as a Useful Category in Historical Analysis“ setzte die amerikanische Historikerin Joan W. Scott Mitte der 1980er Jahre einen Meilenstein für die historisierende Geschlechterforschung und hob die Bedeutung von Geschlecht als Unter____________ 1 2 3

STOLLBERG-RILINGER, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? FREIST, Staatsbildung, lokale Herrschaftsprozesse und kultureller Wandel, S. 14. STOLLBERG-RILINGER, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 21. Vgl. auch DARTMANN, FÜSSEL, RÜTHER (Hg.), Raum und Konflikt.

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1. Einleitung

suchungskategorie für die Geschichtsschreibung hervor.4 Die Kategorie Geschlecht kann aber keinesfalls einen Absolutheitsanspruch für die Konstituierung des Subjekts für sich behaupten. Heide Wunder hat bereits Anfang der 1990er Jahre deutlich gemacht, dass die Kategorie Geschlecht gerade für die frühneuzeitliche ständische Gesellschaft keineswegs „die universelle Strukturierungskraft wie in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts besaß“.5 Stattdessen wurde in den letzten Jahren wiederholt auf das Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie hingewiesen. Geschlecht muss in Relation zu anderen sozio-kulturellen Ordnungsmustern wie Stand, Status und Konfession oder verwandtschaftlichen Beziehungen, Herrschaftsverhältnissen und geschlechterspezifischen Zuweisungen gesehen werden, die gemeinsam den Akteur konstituieren, sein Handeln bedingen sowie „den Zugang zu und die Verfügung über soziale[…], herrschaftliche[…] und kulturelle[…] Ressourcen“ regulieren.6 Geschlecht ist keine abstrakte Größe, sondern konstituiert sich erst in den Beziehungsgeflechten, welche die Akteure miteinander bilden. „Es gibt keinen Menschen, der nicht in ein Netzwerk von Personen verflochten ist“, so der Soziologe Norbert Elias 1970 in „Was ist Soziologie?“.7 Elias bildet damit den Hintergrund für Forschungen, welche die ‚Vernetzung‘ oder ‚Verflechtung‘ der Akteure „als Ergebnis und Basis sozialer Interaktion“ rekonstruieren.8 Damit einher geht die Frage nach der Determiniertheit der Akteure durch die Einbettung in Beziehungsnetze. In der Interdependenztheorie Norbert Elias` begegnen die einzelnen Akteure in Relation zu anderen Akteuren.9 Sie bilden gemeinsam ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten, „innerhalb dessen sich dem Einzelnen ein Spielraum für individuelle Entscheidungen eröffnet, und das zugleich den Entscheidungschancen des Einzelnen Schranken setzt“.10 Innerhalb dieses Entschei____________ 4

Vgl. SCOTT, Gender as a Useful Category; dt. Übers.: Gender: Eine nützliche Kategorie;

ULBRICHT, Aus Marionetten werden Menschen. 5 6

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WUNDER, „Er ist die Sonn`, sie ist der Mond“, S. 264. Vgl. GRIESEBNER, Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie; DIES., Historisierte Körper; HOHKAMP, Im Gestrüpp der Kategorien, S. 7. ELIAS, Was ist Soziologie?, S. 139. REINHARDT, „Verflechtung“, S. 236. Vgl. hierzu HÄBERLEIN, Brüder, Freunde und Betrüger; REINHARD, Freunde und Kreaturen; DERS., „Verflechtung“ als Konzept; REINHARDT, Macht und Ohnmacht. Zu historischen Anwendungen der Figurationssoziologie von Norbert Elias vgl. RUPPEL, Verbündete Rivalen; DIES., Geschwisterbeziehungen im Adel; zuletzt, aber ohne theoretische Tiefe NATER CATIER, Zwischen Konvention und Rebellion. ELIAS, Die höfische Gesellschaft, S. 57f.

1.3. Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte

15

dungsspielraumes hat der Akteur die Wahl, es eröffnen sich ihm „Gelegenheiten, die ergriffen oder versäumt werden können“.11 Die Beziehungen und Abhängigkeiten spiegeln die Verhaltenslogik des Beziehungsnetzes oder – mit dem Begriff von Elias – der Figuration wider und schreiben diese fort. Struktur und Handlung bilden somit eine Einheit. Die einzelnen Beziehungen sind „in ihrer Grundstruktur durch den Aufbau der Gesellschaft bestimmt“,12 aber nicht determiniert. Denn der Aufbau der Gesellschaft wird umgekehrt wiederum durch Beziehungen der Akteure hergestellt. Durch die Analyse individueller Beziehungen lassen sich Aussagen über die Figuration gewinnen und umgekehrt. Um die spezifische Beschaffenheit der Herrschaft der Fürstäbtissinnen der Reichsstifte angemessen zu fassen, gilt das Hauptaugenmerk der Verflechtung der Äbtissinnen in unterschiedliche Beziehungsnetze sowie ihrer Position innerhalb der Netze. Die damit verbundenen Abhängigkeiten, die nicht selten quer zueinander standen, strukturierten die Handlungsspielräume der Äbtissinnen als politische Akteure. Konstitutiv für die Handlungsspielräume der Äbtissinnen sind die nachfolgenden Figurationen: Verwandtschaft – Lokalgewalten – Reichverband. Verwandtschaft Seit den 1970er Jahren gilt die ‚Familie‘ als wichtiges Untersuchungsfeld der historischen Forschung. Die frühen Arbeiten waren jedoch noch stark auf die Dimension des ‚ganzen Hauses‘ fokussiert, noch dazu begrenzt auf bäuerliche und bürgerliche Schichten.13 In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Forschungsinteresse nicht nur auch dem Adel zugewandt, sondern die Perspektive der Untersuchungen ist – beeinflusst durch französische und angloamerikanische Studien – um verwandtschaftliche Beziehungen erweitert worden.14 Auf diese Weise wird eine an modernen Konzepten wie der ‚Kernfamilie‘ ausgerichtete Perspektive vermieden, die für frühneuzeitliche Verhältnisse viel zu kurz greift, wo beispielsweise auch der geistlichen Ver____________ 11 12 13

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DERS., Die Gesellschaft der Individuen, S. 76. Ebd., S. 42. Vgl. u.a. BRUNNER, Das „Ganze Haus“; DÜLMEN, Kultur und Alltag, Bd. 1; EHMER, MITTERAUER (Hg.), Familienstruktur und Arbeitsorganisation; FREITAG, Haushalt und Familie; MITTERAUER, SIEDER (Hg.), Vom Patriarchat zur Partnerschaft; MITTERAUER, Grundtypen alteuropäischer Sozialformen; DERS., Familiengröße – Familientypen – Familienzyklus; SIEDER, Sozialgeschichte der Familie. Vgl. den Forschungsüberblick zur mittelalterlichen Verwandtschaftsforschung und ihren Strömungen bei JUSSEN, Perspektiven der Verwandtschaftsforschung; ROSENBAUM, Verwandtschaft in historischer Perspektive; SABEAN, TEUSCHER, Kinship in Europe.

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1. Einleitung

wandtschaft durch Patenschaft eine große Bedeutung beigemessen wurde.15 Zwar dominierte in der Adelsforschung noch lange eine auf den agnatischen Dynastieverband zugeschnittene Herangehensweise,16 obwohl schon KarlHeinz Spieß Anfang der 1990er Jahre in seiner Studie über den spätmittelalterlichen Hochadel das Nebeneinander von agnatischem Familienverbund der Dynastie, kognatischen Verwandtschaftsbeziehungen und nicht blutsverwandter Schwägerschaft konstatiert hatte.17 Heide Wunder hat einige Jahre später für die Frühe Neuzeit ausdrücklich die Forderung nach einer geschlechtsspezifischen Erweiterung des Konzeptes der Dynastie erhoben, um auch nachgeborene Söhne und Töchter sowie deren Nachkommen in den Blick zu nehmen.18 Im Anschluss daran sind zuletzt Onkel-Neffen-, Tanten-Nichten- und Geschwisterbeziehungen untersucht worden.19 Zentrales Ergebnis dieser Forschungen ist die historische Wandelbarkeit von Familien-, Dynastie- und Verwandtschaftsstrukturen sowie deren Konstruktionscharakter. Wer jeweils dazugehörte und was das für denjenigen und seine Handlungsspielräume bedeutete, war das Ergebnis von Aushandlungs-, Zuschreibungs- und Aneignungsprozessen.20 Diese Erkenntnisse werden in der nachfolgenden Analyse aufgegriffen und nicht nur die Einbindung der Äbtissinnen in verwandtschaftliche Beziehungsnetze analysiert, sondern auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen für ihr Handeln in den Blick genommen. Auf diese Weise wird ein Beitrag zur geschlechtsspezifischen Erweiterung des Konzeptes der Dynastie geleistet. Lokalgewalten In Anlehnung an praxeologische Ansätze wie die Feldtheorie von Pierre Bourdieu wurde vormoderne Herrschaft als „soziale Praxis“ begriffen und vor allem aus interaktions- und kommunikationstheoretischer Perspektive ____________ 15 16

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Vgl. ALFANI, Geistige Allianzen; MITTERAUER, Geistliche Verwandtschaft. Vgl. HECHT, Anhalt und die Dynastie der Askanier; KUNISCH, NEUHAUS (Hg.), Der dynastische Fürstenstaat; NEUGEBAUER, Die Hohenzollern; ZÖTTLEIN, Dynastie und Landesherrschaft. Vgl. SPIEß, Familie und Verwandtschaft, S. 494-496, 530f.; analog hierzu NOLTE, Familie, Hof und Herrschaft; ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation. Vgl. WUNDER, Dynastie und Herrschaftssicherung, S. 15f. Vgl. HOHKAMP, Eine Tante für alle Fälle; DIES., Tanten; MAURER, Das Haus Fürstenberg; RUPPEL, Verbündete Rivalen; SCHRAUT, Verwandtschaftsbeziehungen; DIES., Das Haus Schönborn. Vgl. BOURDIEU, Praktische Vernunft, S. 130; REXROTH, SCHMIDT, Freundschaft und Verwandtschaft, S. 11.

1.3. Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte

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behandelt.21 In diesem Zusammenhang sind zuletzt vor allem das Verhältnis zwischen Untertanen und Herrschaftsträgern sowie die Bedeutung von lokalen Gewalten für die Vermittlung von Herrschaft untersucht worden.22 Herrschaft wird in diesen Studien nicht mehr von oben nach unten gedacht, sondern als ein Kräftefeld,23 in dem verschiedenste Akteure auf unterschiedlichen Ebenen Herrschaft ausübten.24 Damit wurde die bipolare Struktur zwischen Herrschenden und Beherrschten aufgebrochen und traten Ungleichheiten zwischen Herrschenden ebenso wie zwischen Beherrschten zum Vorschein. Herrschaft erscheint somit nicht mehr als das Resultat von Zwang, sondern vielmehr als Ergebnis von Vermittlung, Konsensfindung und Akzeptanz.25 Die so gebildete Herrschaftsordnung war nicht statisch, sondern im Fluss. Sie wurde immer wieder in Interaktion der Akteure neu austariert und hergestellt. Besonderen Stellenwert wurde in der jüngeren Forschung hier Formen symbolischer Kommunikation wie Ritualen, Zeremonien und Repräsentationen eingeräumt.26 An diese Forschungstraditionen anschließend werden nicht nur die Aushandlungs-, Zuschreibungs- und Aneignungsprozesse, sondern auch die unterschiedlichen Akteursgruppen in den Blick genommen, die an diesen Prozessen mitwirkten und damit die strukturellen Rahmenbedingungen vormoderner Herrschaft mitgestalteten. Ein solcher Zugang verspricht Aufschlüsse sowohl über die spezifische Konfiguration Stiftsherrschaft der Fürstäbtissin als auch über die Funktionsweise mindermächtiger Herrschaft im Allgemeinen.

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LÜDKE, Herrschaft als soziale Praxis, S. 12f. Vgl. BOURDIEU, Entwurf einer Theorie der Praxis; SCHLÖGL, Der frühneuzeitliche Hof; DERS., Interaktion und Herrschaft; DERS., Vergesellschaftung unter Anwesenden. Vgl. BRAKENSIEK, Herrschaftsvermittlung im alten Europa; DERS., Lokale Amtsträger; DERS., Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger; HÄBERLEIN (Hg.), Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis; LANDWEHR, Policey im Alltag; LÖFFLER, Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess. Den Begriff des Kräftefeldes hat Alf Lüdke als Beschreibungskategorie zur Analyse von Herrschaftsverhältnissen eingeführt. LÜDKE, Herrschaft als soziale Praxis, S. 12f. Vgl. SABEAN, Das zweischneidige Schwert, S. 38f. Vgl. BRAKENSIEK, Akzeptanzorientierte Herrschaft; MAGER, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Vgl. konzeptionell SCHLÖGL, GIESSEN u.a. (Hg.), Die Wirklichkeit der Symbole; STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation; DIES., Zeremoniell, Ritual, Symbol. Vgl. Anwendungen in ANDRES, GEISTHÖVEL, SCHWENGELBECK (Hg.), Die Sinnlichkeit der Macht; STOLLBERG-RILINGER, Höfische Öffentlichkeit.

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1. Einleitung

Reichsverband Das Interesse am Alten Reich ist in der Frühneuzeitforschung seit Mitte des 20. Jahrhunderts ungebrochen. Die zahlreichen Forschungen haben zu einer Neubewertung des im 19. Jahrhundert geringgeschätzten und als Verfallsprodukt klassifizierten Reiches sowie zu einer Aufwertung seiner Leistungen als Friedens- und Rechtsverband geführt.27 In diesem Zusammenhang sind vor allem die mittlerweile zahlreichen Forschungen zum Reichskammergericht zu nennen.28 Der Reichshofrat hat zwar bisher weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen, aber durch das Erschließungsprojekt „Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrates“ wird nun auch hier eine bessere Ausgangslage für die Quellenrecherche und damit für die verschiedenen laufenden Untersuchungsprojekte geschaffen.29 Diese beschäftigen sich nicht zuletzt mit den Besonderheiten des Reichshofrates als multifunktionaler Behörde, die Gerichts-, Regierungs- und Verwaltungsaufgaben übernahm. Hierzu gehören der flexible Verfahrensgang, die verschiedenen Personenkreise sowie das Verhältnis zwischen Justiz und Politik.30 Während auch die weiteren Reichsinstitutionen verschiedentlich das Interesse der Forschung geweckt haben,31 steht eine systematische Untersuchung der „Kleinstaaten“ ____________ 27

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Vgl. zuletzt STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider. An dieser Stelle sei zudem auf die verschiedenen Überblicksdarstellungen ARETIN, Das Alte Reich; GOTTHARD, Das Alte Reich; HARTMANN, Kulturgeschichte des Heiligen Römischen Reiches; NEUHAUS, Das Reich in der frühen Neuzeit; sowie Sammelbände verwiesen: DUCHHARDT, SCHNETTGER (Hg.), Reichsständische Libertät; PRESS, Das Alte Reich; DERS. (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung; SCHILLING (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation; SCHNETTGER (Hg.), Imperium Romanum. Vgl. zuletzt BÄHR, Die Sprache der Zeugen; sowie die vielfältigen Veröffentlichungen in der „Schriftenreihen der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung“ sowie in der Reihe „Quellen und Forschungen zur Höchsten Reichsgerichtsbarkeit“, u.a. BAUMANN, Die Gesellschaft der Frühen Neuzeit; DIESTELKAMP (Hg.), Das Reichskammergericht; JAHNS, Das Reichskammergericht und seine Richter; OESTMANN, Hexenprozesse; SAILER, Untertanenprozesse. Das Erschließungsprojekt „Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrates“ ist an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen angesiedelt. Vgl. u.a. BAUMANN, OESTMANN, WENDEHORST, WESTPHAL (Hg.), Funktionsträger für Kaiser und Reich; DORFNER, Die Reichshofratsagenten; ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers; PETRY, Konfliktbewältigung als Medienereignis; UHLHORN, Der Mandatsprozess; WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung. Vgl. v.a. die Arbeiten zum Reichstag, u.a. FRIEDRICH, Drehscheibe Regensburg; HAUGMORITZ, Corpus Evangelicorum; SCHINDLING, Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags; sowie zu den Reichskreisen DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise in der

1.3. Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte

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oder „Mindermächtigen“ aus reichsverfassungsgeschichtlicher Perspektive hingegen noch aus.32 Zwar wurde in der Forschung wiederholt die Bedeutung der kleinen und mittleren Reichsstände für die Reichsverfassung sowie deren „Reichspatriotismus“ betont, aber kaum dargelegt, wie sich dies konkret niederschlug.33 Ihre Zugehörigkeit zum Reich beziehungsweise zu den Reichsständen war keinesfalls fixiert, sondern wurde beispielsweise von Herrschaftskonkurrenten bestritten. Vielmehr hat vor allem Barbara Stollberg-Rilinger in ihren Studien zum Alten Reich betont, dass sich die Reichsstandschaft in einem komplexen „Zusammenspiel von konkreten, sinnhaften, bedeutungsträchtigen Handlungen“ immer wieder realisieren musste.34 Hierzu gehörte vor allem die regelmäßige Einnahme von Sitz und Stimme auf Reichs- und Kreistagen. Daneben traten die kaiserliche Belehnung, die alleinige Verantwortung vor den Reichsgerichten sowie die Beitragsleistung zu den Reichslasten. An diese Forschungen anschließend stellt sich die Frage nach den Formen der Partizipation der Äbtissinnen am Reich und deren Bedeutung in der Konkurrenz um die reichsunmittelbare Herrschaft. Ziel ist es nicht nur, die Stellung der Äbtissinnen im Reich, sondern auch die Rolle von Kaiser und Reich im Stift in den Blick zu nehmen. Hierzu wird mitunter die Perspektive der Äbtissinnen und Stifte verlassen, um auch die auf Kaiser und Reichsinstitutionen wirkenden Interdependenzen zu analysieren. Dieser Zugang trägt der bereits Mitte der 1970er Jahre aufgestellten, jedoch selten eingelösten Forderung Peter Moraws und Volker Press´ Rechnung, Reichs- und Landesgeschichte notwendig miteinander zu verknüpfen, und leistet damit einen Beitrag zur Entschlüsselung der Verfasstheit des Alten Reiches.35 Die Materialgrundlage der Untersuchung bilden die Stiftsarchive der drei ausgewählten Stifte. Der Fokus liegt hier auf der archivalischen Überliefe____________ 32

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Verfassung des alten Reiches; DERS., Die deutschen Reichskreise; NEUHAUS, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis; SCHNEIDER, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis. Vgl. die Forderung bei SCHNETTGER, Kleinstaaten in der Frühen Neuzeit, S. 606f. Vgl. ARETIN, Reichsverfassung und Mindermächtige; DUCHHARDT, Kleinstaaten; SCHINDLING, Mindermächtige Territorien. In keiner der Darstellungen werden die Äbtissinnen der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte auch nur erwähnt. Vgl. BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 25, 37-41; ARETIN, Reichsverfassung und Mindermächtige, S. 189. STOLLBERG-RILINGER, Die Zeremonielle Inszenierung des Reiches, S. 238. Vgl. auch DIES., Politische Partizipation als Inszenierung; DIES., Des Kaisers alte Kleider; DIES., Die Symbolik der Reichstage. Vgl. MORAW, PRESS, Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte, besonders: S. 102.

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1. Einleitung

rung der Äbtissin und ihrer weltlichen und geistlichen Beamten.36 Die Überlieferung des Kapitels und der weiteren Stiftsämter wird mit Blick auf die Beziehung zur Äbtissin sowie für die Zeit der Vakanzen hinzugezogen. Es handelt sich vornehmlich um die Korrespondenz der Äbtissinnen und ihres Regierungspersonals mit dem Kapitel, den Herkunftsfamilien, den Reichsinstitutionen, dem jeweiligen Schutzherrn, den territorialen Nachbarn, verschiedenen anderen Reichsständen, der umliegenden Stadt als Korporation, unter Umständen dem Ordinariat sowie der Kurie. Außerdem kommt das zusätzlich anfallende Aktenmaterial der Kanzlei hinzu. Daneben treten die Überlieferungen der verschiedenen Haus- und Familienarchive der Äbtissinnen, in denen ihre Privatbriefe sowie ihr Nachlass verwahrt werden. Die Gegenüberlieferung der jeweiligen Korrespondenzpartner wurde aufgrund des Umfangs nicht in Gänze hinzugezogen. Zumindest die Überlieferung des Schutzherrn aus den Archiven in Dresden und Berlin, des Reichskammergerichtes aus den verschiedenen Landesarchiven sowie des Reichshofrates und der Reichshofkanzlei aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien wurde aber weitestgehend berücksichtigt.37 Schließlich sind aus dem Umfeld der drei Stifte verschiedene Druckschriften in Archiven und Bibliotheken überliefert, welche die Außendarstellung der Stifte vornehmlich in Krisensituationen illustrieren. Nach einigen grundlegenden Bemerkungen zur Institution Damenstift sowie zum Amt der Äbtissin wird auf Grundlage dieses Quellenmaterials im Folgenden die Positionierung der jeweiligen Äbtissin innerhalb der drei Beziehungsnetze (Verwandtschaft, Lokalgewalten, Reichsverband) analysiert. Dabei wird kein Wert auf Vollständigkeit gelegt, sondern es werden vielmehr signifikante Fallbeispiele herausgegriffen. Ziel ist es, Grenzen und Möglichkeiten politischen Handelns der Reichsäbtissinnen zu umreißen, also ihren durch Stand, Status, Geschlecht, Konfession und Amtsstellung strukturell bedingten Handlungsspielraum zu skizzieren sowie das Spektrum an unterschiedlichen Gestaltungsoptionen darzustellen. Es geht demnach nicht darum, erneut die Frage nach weiblichen Handlungsspielräumen anzu____________ 36

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Bei den wörtlichen Zitaten wurde die zeitgenössische Orthographie und Zeichensetzung beibehalten. Abkürzungen wurden der besseren Lesbarkeit halber teilweise aufgelöst. Doppelte Datierungen nach Julianischem und Gregorianischem Kalender wurden übernommen und in der Form ‚alter Stil/neuer Stil‘ wiedergegeben, ansonsten gilt der Gregorianische Kalender. Vor allem die Bestände des Reichshofrates zum Stift Essen waren teilweise in desolatem Zustand durch Wasserschaden und Schimmelbefall. Hinzu kam die noch immer schwierige Recherchesituation im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, dessen Akten in weiten Teilen nur rudimentär verzeichnet sind.

1.3. Herrschaftsgeschichte als Verflechtungsgeschichte

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strengen, sondern vielmehr danach zu fragen, wie Akteurinnen diese strukturell gegebenen Handlungsmöglichkeiten mit Leben füllten. Im Mittelpunkt der Analyse stehen das Handeln und die Praktiken der Äbtissinnen und ihres Umfeldes sowie deren Einbettung in einen größeren Handlungszusammenhang. Hierzu werden die drei Figurationen getrennt voneinander untersucht. Es handelt sich dabei um eine analytische Trennung, die der besseren Darstellbarkeit geschuldet ist. Tatsächlich überschneiden sich die Figurationen nicht wenig, stehen mitunter quer zueinander oder gehen ineinander auf. Bindeglied ist die jeweilige Äbtissin. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird die analytische Trennung, wo nötig, durchbrochen und es werden Querverweise hergestellt. Im Resümee werden dann die Ergebnisse der Kapitel noch einmal thesenhaft zusammengefasst und zueinander in Beziehung gesetzt. Es geht schließlich auch darum, das Verhältnis der verschiedenen Figurationen und ihre Hierarchisierung in den Blick zu nehmen, das heißt, wie sich die in der Reichsverfassung verankerte reichsunmittelbare Herrschaft zu den Interessen der Verwandtschaft und der Herrschaftskonkurrenz unter den Lokalgewalten verhielt.

Stift und Äbtissin 2.1. Geistliches Frauenzimmer-Stift, Kayserlich frey weltliches Stift, Fürstlich Frauenzimmer-Stift – Versuch einer Definition 2.1. Versuch einer Definition

Danach hielt der Kaiser in Aachen eine allgemeine Reichsversammlung ab, wo er mit ganzer Hingabe zeigte, welchen Eifer er in seinem Herzen für den Gottesdienst trug. Denn als er die Bischöfe und die vornehmste Geistlichkeit der heiligen Kirche versammelt hatte, ließ er ein Buch mit der Regel des kanonischen Lebens verfassen und in Kraft setzen, worin die vollständige Verfassung des ganzen Standes enthalten ist [...]. Darin ließ er auch alle Vorschriften über Speise und Trank sowie jegliche anderen Dinge des täglichen Bedarfs aufnehmen, damit alle, Männer wie Frauen, welche Christus dienen, durch keinerlei Mangel behindert, in freier Knechtschaft sich auf den Dienst am Herrn aller Menschen besinnen könnten […].1 Die Vita Hludowici des Astronomus beschreibt hier die Ereignisse im Jahr 816, als Kaiser Ludwig der Fromme eine Synode zu Aachen abhielt, um dort den cultus divinus im Rahmen der Karolingischen Reformen zu erneuern und die akuten Missstände zu beseitigen. Die Aachener Synode schrieb für alle monastischen Gemeinschaften die Ordensregel des Hl. Benedikt von Nursia vor. Gleichzeitig wurden ihr zwei Canones zur Seite gestellt, die den Kanonikern und kanonisch lebenden Frauen als Alternative zur benediktinischen Observanz dienen sollten. Damit trug die Synode den zahlreichen Gemeinschaften weiblicher Religiosen Rechnung, die keiner strengen Regel folgte. Erstmalig wurde hier zwischen streng monastischem und weltgeistlichkanonischem Leben in einer religiösen Gemeinschaft unterschieden und damit der Grundstein gelegt für die Differenzierung zweier religiöser Lebensformen für Frauen in Kloster oder Stift.2 Die Institutio sanctimonialium weist dabei durchaus Parallelen zur Benediktsregel auf:3 Beide schreiben beispielsweise eine strenge Klausurierung ____________ 1 2

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ASTRONOMUS, Vita Hludowici Imperatores, S. 374–377. Vgl. ANDERMANN, Zur Erforschung mittelalterlicher Kanonissenstifte; CRUSIUS, Das Kanonissenstift als Forschungsproblem. Institutio sanctimonialium Aquisgranensis (IS); Prolog zur Institutio canonicorum und zur Institutio sanctimonialium.

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2. Stift und Äbtissin

der Nonnen und Kanonissen sowie den Gebetsdienst vor.4 Darüber hinaus zeichnen sich die Vorschriften der Institutio sanctimonialium jedoch durch ein höheres Maß an Flexibilität und weltlicher Bequemlichkeit aus. Sie gestatteten den Kanonissen Eigentum,5 die Nutzung eigener Häuser und Wohnungen innerhalb der Klausur sowie die Anstellung von persönlichem Dienstpersonal.6 Diese Regelungen erinnern bereits stark an die Stiftskurien von Essen und Herford im 17. und 18. Jahrhundert. Dabei handelte es sich um einzelne Häuser im Umkreis der Stiftsfreiheit, in denen die Stiftsdamen zu mehreren oder alleine gemeinsam mit ihrer Dienerschaft wohnten.7 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es jedoch auch Stifte wie Quedlinburg und Buchau, in denen Äbtissin, Dignitäten und Kanonissen auf engem Raum zusammenlebten.8 Das Nebeneinander von strengen Klausurbestimmungen und der Betonung der vita communis einerseits sowie andererseits der Möglichkeit eigenen Besitzes, separater Wohnungen und persönlicher Dienerschaft in der Institutio sanctimonialium offenbart deren inhaltliche Wiedersprüche. Diese inhaltlichen Divergenzen verdeutlichen den Kompromisscharakter der Institutio sanctimonialium, welche die verschiedenen Interessen der auf der Aachener Synode anwesenden Gruppen und Akteure (Adel, Klerus, Herrscher) und die örtlichen Begebenheiten der unterschiedlichen Gemeinschaften zu berücksichtigen versuchten. Dadurch erhielt die Institutio sanctimonialium weniger den Charakter einer fixen Regel, sondern vielmehr den eines Rahmens, in dem sich die einzelnen Frauengemeinschaften individuell einrichten konnten. Dieser Umstand spiegelt sich auch in der Wirkung der Institutio ____________ 4 5 6 7

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Vgl. BORDARWÉ, Klausur und Regel, S. 184. IS, Can. 9, S. 444. IS, Can. 23, S. 454; IS, Can. 21, S. 452. Für Essen sind solche Kurien bereits seit dem 14. Jahrhundert belegt. Vgl. zu Essen KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 217f., 221-228; DIES., Macht in Frauenhand, S. 136f. In Herford lösten wohl schon im 13. Jahrhundert einzelne Kurien die Gemeinschaftsräume im Stift ab. Vgl. FABER-HERMANN, MEIER, Zwischen Schein und Wirklichkeit, S. 301f.; WEMHOFF, Vom Klostergebäude zur Kurie, S. 74. In Quedlinburg befanden sich sowohl die Abtei als auch die Dechanei sowie die Propstei in direkter Nachbarschaft auf dem Burgberg. Gemeinsam mit einem Wohntrakt für Stiftsdamen und Hofstaat bildet alles bis heute – mit Ausnahme der Propstei, die 1846 ausbrannte – einen Gebäudekomplex, in dem jedoch Äbtissin, Pröpstin, Dechantin und Kanonissin für sich lebten. Vgl. DAS SCHLOSSMUSEUM. Katalog, S. 4. In Buchau lebten alle Insassen hingegen zusammen im Stiftsgebäude. Jede Kanonissin bewohnte darin ein oder mehr ihr zugewiesene Zimmer. Erst 1771 wurden großzügigere Appartements eingerichtet. Auch die Mahlzeiten wurden gemeinsam eingenommen. Zu Buchau vgl. THEIL, Buchau am Federsee, S. 113f.

2.1. Versuch einer Definition

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sanctimonialium wider. Die Forschung konnte keine Gemeinschaft ausmachen, die im Zuge der Aachener Beschlüsse die Regelungen der Institutio sanctimonialium eins zu eins umgesetzt hätte.9 Überhaupt hat sich die Frage nach der Ausrichtung von Frauenkommunitäten als problematisch erwiesen. Für keines der drei hier behandelten Stifte, die allesamt nach 816 gegründet wurden, lässt sich mit Sicherheit feststellen, ob es sich ursprünglich um eine streng monastische oder eher kanonische Gemeinschaft gehandelt hatte. Vielmehr muss bis weit ins Spätmittelalter und auch darüber hinaus von einem breiten Spektrum an Ausgestaltungsmöglichkeiten zwischen den Polen streng monastischen Lebens im Kloster und weltlichen Lebens im Stift ausgegangen werden.10 Referenz hierfür sind nicht zuletzt die vielfach synonym gebrauchten, zunächst lateinischen und dann deutschen Begriffe: monasterium, congregatio, societas oder Stift, Kommunität, Abtei.11 Als Stift werden im 17. und 18. Jahrhundert neben den hier behandelten säkularen Gemeinschaften auch die Konvente verschiedener monastischer Orden wie die AugustinerChorfrauen von Mannheim, die Benediktinerinnen von St. Georgen am Längsee oder die Zisterzienserinnen von St. Marienthal bezeichnet.12 Die Bezeichnungen als kayserlich frei weltliches Stifft Herford, kayserlich freye[s] Reichsstift Quedlinburg oder kaiserlich frey[…] weltliches Stifft Essen entstanden als Selbst- und Fremdbenennung überhaupt erst im Verlauf der Frühen Neuzeit und unterstrichen vor allem den reichsunmittelbaren und reichsständischen Status der drei hier behandelten Stifte.13 Denn zu den Unterscheidungs____________ 9

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Vgl. GERCHOW, Sächsische Frauenstifte, S. 15; SCHILP, Norm und Wirklichkeit, S. 100113; DERS., Die Wirkung der Aachener Institutio sanctimonialium. Zur mittelalterlichen Forschung vgl. u.a. CRUSIUS, Das Kanonissenstift als Forschungsproblem. Zur Frühen Neuzeit vgl. den Sammelband ČAPSKÁ, FORSTER, MAEGRAITH, SCHEIDER (Hg.), Zwischen Aufbruch und Ungewissheit. Die Herausgeberinnen und AutorInnen haben besonderen Wert drauf gelegt, insbesondere nach den Gemeinsamkeiten stiftischen und klösterlichen Lebens von Frauen zu fragen und die strengen Grenzen zu verwischen. Vgl. auch BRENNER, Zwischen geistlichem Leben und ständischem Prestige. Allesamt Begriffe, die auch die IS für beide Formen religiösen Lebens gebraucht. Vgl. SCHILP, Die Institutio sanctimonialium Aquisgranensis, S. 63. Unerwähnt bleiben hier die klerikalen, männlichen Gemeinschaften in Kollegiat- und Domstiften. Vgl. hierzu CRUSIUS (Hg.), Studien zum weltlichen Kollegiatstift; HERRSCHE, Die deutschen Domkapitel. Zu einzelnen Kollegiat- und Domstiften vgl. die Arbeiten erschienen in der Reihe Germania Sacra. Essen wurde erstmals als kaiserlich frey[…] weltliche[s] Stifft[…] im kaiserlichen Lehnbrief für Maria Clara von Spaur 1588 benannt. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 117. In Quedlinburg lässt sich die Eigenbezeichnung bis ca. ins Jahr 1540 zurückverfolgen. Vgl. BLEY, Einführung, S. 7. In Herford taucht diese Bezeichnung erst Mitte des

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2. Stift und Äbtissin

merkmalen von Frauengemeinschaften gehört nicht allein die Differenzierung zwischen Kloster und Stift, also monastischer und säkularer Lebensform, sondern ebenso die Frage nach der ständischen Zusammensetzung der Gemeinschaft und des Ranges der Kommunität innerhalb der ständischen Gesellschaft. Für alle drei Merkmale gilt, dass sie sich insbesondere in der Anfangsphase der drei hier untersuchten Konvente im Fluss befanden und erst im Verlauf des Hoch- und Spätmittelalters zunehmend eindeutigere Konturen annahmen.

Geistlich oder weltlich? Vornehmste Aufgabe aller drei Gemeinschaften nach ihrer Gründung im Hochmittelalter war die Gebetsverpflichtung für die Stifter und deren Sippe. In der Gestaltung des Tagesablaufs orientierte man sich dabei bis in die Frühe Neuzeit am klösterlichen Stundengebet. Diese religiöse Funktion verlor jedoch nicht erst mit der Reformation und auch nicht allein in den beiden dann evangelischen Stiften an Bedeutung, sondern galt bereits für die Zeit davor und ebenso für das katholische Stift Essen. Sie wich einer stärker sozialen Erziehungs-, Ausbildungs- und Versorgungsfunktion. Immerhin blieb im Stift Essen eine allerdings flexible und weniger umfangreiche Form des Chordienstes erhalten, die jedoch mit Ausnahme des Probejahres der neuaufzunehmenden Kanonissen – der sogenannten Residenz – nicht mehr verpflichtend war. Tatsächlich musste den Stiftsdamen im 18. Jahrhundert mit der Auszahlung von Präsenzgeldern ein finanzieller Anreiz für die Teilnahme am Chorgebet geboten werden. Bereits 1659 beschloss das Essener Damenkapitel, Gelder für die Teilnahme am Chorgebet auszuschütten, um den Chordienst zu intensivieren.14 Die Präsenzrechnungen des 18. Jahrhunderts belegen jedoch, dass ein Großteil der Stiftsdamen gar keine oder nur wenig Präsenz im Chordienst zeigte.15 In den beiden evangelischen Stiften lassen sich lediglich solche religiösen Elemente wie die Einbindung der Gottesdienstfeier in solenne Abläufe wie Wahlen, Regierungsantritte und Begräbnisse ausmachen, die sich auch in anderen höfischen oder städtischen Kontexten finden.16 ____________ 14

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17. Jahrhunderts auf. Vgl. MOSER, Von denen Teutschen Reichs=Ständen, der Reichs=Ritterschaft, auch denen übrigen unmittelbaren Reichs=Gliedern, S. 745. Vergleich zwischen den Stiftsdamen (8.3.1659): Münster LAV NRW R Stift Essen Akten, fol. 177-180. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 188-195. Vgl. zum Beispiel die Heilig-Geist-Messe als Eröffnungsmesse des Reichstages vor 1663 (STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 112-114) oder im Vorfeld von Rats-

2.1. Versuch einer Definition

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Die Religionsausübung der Mitglieder aller drei Stifte wurde jedoch zunehmend als Privatsache gehandhabt. So begegnet in Herford Elisabeth von der Pfalz, die sich mit führenden Köpfen der Quäker über philosophische Fragen austauschte,17 in Quedlinburg Anna Sophie von Hessen-Darmstadt, die ein frühpietistisches Andachtsbuch schrieb,18 und in Essen Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, welche die Niederlassung der Jesuiten unterstützte.19 Ging es um die Wahrung von Rechten oder die Balance konfessioneller Verhältnisse, konnte die Ausübung der Religion jedoch schnell zu einer politischen Frage mit großem Gewicht werden: so etwa als die Jesuiten immer mehr Einfluss auf die Politik der Essener Äbtissin gewannen, Anna Sophia von Hessen-Darmstadt als Verwandte lutherischer Glaubensverfechter zum Katholizismus überzutreten drohte oder die Herforder Äbtissin auf ihr Asylrecht pochte, als sie Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden auf der Freiheit aufnahm.20

Adelig oder nicht adelig? Über die ständische Zusammensetzung der hier behandelten Konvente in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens kann aufgrund der Quellenlage kaum gemutmaßt werden. Einzig über einige Äbtissinnen, bei weitem nicht alle, liegen Information zu Herkunft und Verwandtschaft vor. Eben diese stammten wie die königlichen Äbtissinnen von Quedlinburg und Essen nicht selten aus hochadeligen Familien. Jedoch kann weder von ihnen auf die anderen Äbtissinnen, geschweige denn auf die weiteren Konventsmitglieder geschlossen werden.21 Erst für das Spätmittelalter kann auf Grundlage einer breiteren Quellenbasis eine (hoch-)adelige Exklusivität für die Stifte Essen, Herford und Quedlinburg festgestellt werden. ____________

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wahlen (WELLER, Theatrum Praecedentiae, S. 163f.), Huldigungspredigten (HOLENSTEIN, Huldigung und Herrschaftszeremoniell, S. 26) oder fürstliche Begräbnisse (HENGERER (Hg.), Macht und Memoria). Vgl. BLANKE, Elisabeth und die Quäker. ANNA SOPHIA VON HESSEN-DARMSTADT, Der treue Seelenfreund. Zu Anna Sophia vgl. SCHRÖDER, Integration stiftischer Lebensweise. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Fürstin-Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, S. 67-69. S. u. Kap. Externe Berater; Asyl in Herford. Vgl. hierzu FELTEN, Wie adelig waren Kanonissenstifte. Franz J. Felten hat hier eindeutig nachgewiesen, dass die Frage nach der adeligen Exklusivität von Kanonissenstiften aufgrund der wenigen Informationen über die Konventsmitglieder entgegen der langläufigen Meinung älterer Forschungen nicht zu beantworten ist.

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2. Stift und Äbtissin

Im Stift Essen wurde erstmals 1347 die „Edelfreiheit“ als Voraussetzung für die Aufnahme postuliert.22 Wenig später werden Ahnenproben als Kontrollorgan für die „edelfreie“ bzw. hochadelige Herkunft der Kandidatinnen üblich.23 Vor der Aufnahme ins Stift musste die Kandidatin zunächst in Briefform, seit dem 17. Jahrhundert dann anhand prächtiger Wappentafeln ihre 16 hochadeligen Vorfahren nachweisen. Besondere Beachtung fand in diesem Zusammenhang die mütterliche Abstammung, da sich im Hochadel anders als im Niederadel die hochadelige Herkunft der Kinder von der Mutter herleitete.24 Daher haftete der Makel einer Ehe mit einer unstandesgemäßen Braut den Nachkommen dieser Verbindung unter Umständen noch über Generationen an. Die Prüfung der Ahnenprobe oblag in der Frühen Neuzeit dem Damenkapitel, das sich bei Unsicherheit gegebenenfalls Rat bei den Domstiften in Köln oder Straßburg holte. An dieser Praxis hielt man prinzipiell bis zur Säkularisation fest. Lediglich in den Jahren der Rekatholisierung überwog in Essen die katholische Glaubenstreue der Kandidatinnen ihren ständischen Rang.25 Allerdings sah man seit Beginn des 18. Jahrhunderts über Mängel in den Ahnenproben hinweg und begnügte sich mit der Stiftsmäßigkeit der jeweiligen (väterlichen) Familie, wenn diese bereits im Stift vertreten war.26 Ähnlich, aber weniger streng, handhabte man die Zugangskontrolle zum Stift Herford. Auch hier lässt sich adelige Exklusivität mit Gewissheit erst seit Ende des 15. Jahrhunderts festmachen.27 Ahnenproben sind für das Stift Herford nur in geringer Zahl überliefert.28 Es handelte sich dabei scheinbar ____________ 22 23

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Vgl. SCHILP, Soziale Differenzierung, S. 360-362. Vgl. hierzu und im Folgenden KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 52-59; DIES., Macht in Frauenhand, S. 37-39. Vgl. SPIEß, Ständische Abgrenzung, S. 181-183. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Soziale Differenzierung in Essen und Thorn, S. 369-387, hier besonders S. 375-377. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 58f. Vgl. FINK, Standesverhältnisse, S. 19. Georg Fink selbst war zwar bemüht, die These von der adeligen Exklusivität der bei ihm behandelten Frauenklöster zu bestätigen, seine Ausführungen zu Herford zeigen jedoch eindeutig die Lücken der Quellenlage auf. Vgl. hierzu FELTEN, Wie adelig waren Kanonissenstifte, S. 58f. Die erhaltenen neun Herforder Ahnentafeln sind in den Beständen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, Abt. Münster in der Sammlung „Aufschwörungen“ zusammengefasst. Die Besonderheit dieser Tafeln besteht darin, dass mit Ausnahme einer Tafel, die auf Pergament angefertigt worden ist, alle in bunter Farbe auf Blechschilder in Wappenform gemalt wurden. Unter den Exemplaren befindet sich unter anderem die Ahnentafel der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg, die dem Stift von 1729-1750 als Äbtissin vorstand. Vgl. Münster LAV NRW W Aufschwörungstafeln Nr. 1246.

2.1. Versuch einer Definition

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nicht um eine regelmäßige Praxis. Sie fand jedoch in solchen Situationen Anwendung, in denen die hochadelige Abstammung der Kandidatin angezweifelt wurde – so etwa Anfang der 1670er Jahre im Fall der Gräfin Anna Maria von Horn. Erst als dem Kapitel in der Ahnenprobe die Wappen der Grafen von Horn sowie verschiedene Dokumente zur Bezeugung der Reichsstandschaft vorgelegt wurden, gab es den Widerstand auf.29 Die Aufnahme neuer Stiftsdamen fiel, anders als im Stift Essen, in den Kompetenzbereich der Äbtissin. Sie musste im Vorfeld der Investitur diese jedoch den Kapitularinnen und Kapitularen anzeigen, so dass das Kapitel prüfen konnte, ob etwaige Einwände bestanden.30 Sahen die Mitglieder des Kapitels den exklusiven hochadeligen oder reformierten Status des Stifts bedroht, erhoben sie auf Grundlage des Herkommens Einspruch gegen die Aufnahme der Kandidatin.31 Obwohl die Herforder Äbtissinnen und Stiftsdamen des 17. und 18. Jahrhunderts fast ausschließlich dem Hochadel entstammten, war die ständische Kontrolle bei weitem nicht so streng wie im Stift Essen. Anfang der 1740er Jahre wurde zum Beispiel mit Henriette Amalie von Anhalt-Dessau, die Tochter Leopolds I. aus seiner unstandesgemäßen Ehe mit Anna Luise Föhse, aufgenommen. Im Stift Essen wurden hingegen die Töchter des in zweiter Generation standeserhöhten Fürsten Hartmann von Liechtenstein trotz ihrer nahen Verwandtschaft zur amtierenden Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt in den 1660er Jahren wiederholt abgewiesen.32 Aussagen über die ständische Zusammensetzung des Stifts Quedlinburg können für das gesamte Mittelalter kaum getroffen werden. Die Annales Quedlinburgenses berichten zwar, dass Königin Mathilde nur hochadelige ____________ 29

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Extractus Protocolli wegen streitiger installation der Graeffin von Horn, Canonissin (10. Okt. 1671): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 274. Memorial der Dekanissin und des Kapitels an die Äbtissin, Elisabeth von der Pfalz, im Umfeld der Investitur der Gräfin von Horn (11. Dez. 1671): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 274. In den 1690er Jahren waren es immer wieder Gerüchte um die vermeintliche Aufnahme lutherischer Stiftsdamen, die das Kapitel zu Protesten gegenüber der Äbtissin veranlassten. Siehe Protest des Kapitels wegen Konfessionszugehörigkeit der zu investierenden Kapitularinnen (2. Juli 1691): LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 292; Protest der Dekanissin Sophie Ernestine zu Lippe beim brandenburgischen Kurfürsten Friedrich I./III. wegen geplanter Aufnahme zweier lutherischer Kapitularinnen (4./14. Nov. 1696): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3099. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 275-277; DIES., Macht in Frauenhand, S. 54.

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2. Stift und Äbtissin

Frauen habe aufnehmen wollen,33 mit Ausnahme der ottonischen Äbtissinnen sowie einiger Nachfolgerinnen sind Herkunft und Abstammung der meisten Stiftsmitglieder jedoch unbekannt. Für die Frühe Neuzeit liegen ältere prosopographische Arbeiten vor, die aber fehler- und lückenhaft sind. Erst jüngst erschien jedoch eine prosopographische Studie, die alle Quedlinburger Äbtissinnen und Stiftsdamen sowie Kandidatinnen nach der Reforma-tion auflistet.34 Auf Grundlage dieser Studie lässt sich feststellen, dass im Quedlinburger Stift Äbtissinnen und Stiftsdamen aus hochadeligen Geschlechtern deutlich überwogen. Kandidatinnen mit zweifelhafter Herkunft wurden in der Regel, wenn auch unter Angabe anderweitiger Gründe wie mangelnder Volljährigkeit oder dem Fehlen einer freien Stelle, abgewiesen. Das Instrument der Aufschwörung als ständisches Kontrollorgan war jedoch nicht üblich.35 Als Kriterium für die Aufnahme wurde die Abstammung aus gräflichem oder fürstlichem Haus zudem erst Mitte des 18. Jahrhunderts schriftlich formuliert.36 Tatsächlich wurde die ständische Exklusivität im Stift Quedlinburg nicht so streng gehandhabt wie beispielsweise im Stift Essen. Denn unter Fürsprache der Äbtissin, die allein über die Aufnahme entschied, oder des einflussreichen Schutzherrn des Stifts gelang es Kandidatinnen mit zweifelhafter Abstammung wie Maria Aurora von Königsmarck dennoch, im Stift Aufnahme zu finden.37 Eine Beobachtung lässt sich für alle drei hier behandelten Stifte machen: Zu Beginn des 18. Jahrhunderts nahm nicht nur die Zahl fürstlicher Stiftsdamen deutlich zu, sondern es wurden auch nur noch Äbtissinnen mit fürstlicher Abstammung an die Spitze der Stifte gewählt.38 ____________ 33 34

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Vgl. Annales Quedlinburgenses, S. 54. Vgl. hierzu und im Folgenden KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation. Ute Küppers-Braun hat bei ihren Nachforschungen im Landeshauptarchiv Magdeburg, wo die Überlieferung des Stifts fast vollständig aufbewahrt wird, lediglich „eine einzige, äußerst schlichte Wappentafel (eher ein Konzept) für die letzte Kanonissin, Sophie Charlotte von Solms-Lich“ gefunden. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 36f. Siehe Pro Memoria (1738): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 3. Das Gleiche gilt für zwei weitere Stiftsdamen seit der Reformation. Zu Maria Aurora von Königsmarck vgl. SCHRÖDER-STAPPER, Maria Aurora von Königsmarck als Pröpstin des Stiftes Quedlinburg. Vgl. die Stiftsprosopographien in KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 307-379 (Essen); DIES., Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 45-104 (Quedlinburg); BEI DER WIEDEN, Die Dekanessen und Koadjutorinnen der Reichsabtei Herford; DERS., Die Herkunft der Äbtissinnen der Reichsabtei; DERS. Die Äbtissinnen der Reichs-

2.1. Versuch einer Definition

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Mittel- oder unmittelbar, land- oder reichsständisch? Ein drittes Kriterium zur Differenzierung weiblicher Konvente stellt deren Rang innerhalb der ständischen Hierarchie des Reiches dar. Alle drei hier untersuchten Stifte wurden bei bzw. bald nach ihrer Gründung durch Könige und Kaiser mit unterschiedlichen Gütern, Rechten und Privilegien ausgestattet.39 Hierzu gehörte die Aufnahme unter den königlichen Schutz, die Immunität und die freie Äbtissinnenwahl. Hinzu kam wenig später die päpstliche Exemtion. Auf Grundlage dieser Güter, Rechte und Privilegien konnten die Äbtissinnen der Stifte im Spätmittelalter die Herrschaft über ein kleines reichsunmittelbares Stiftsterritorium von wenigen Quadratmeilen etablieren. Den Kern der Territorialherrschaft machte die Wahrnehmung folgender Rechte aus: Höhere und Niedere Gerichtsbarkeit, Gesetzgebung, Erhebung von Abgaben.40 Im Herforder Stift verzichtete die damalige Äbtissin Ida von und zu Lippe 1256 allerdings auf ihr Territorium und auf die Möglichkeit, wie andere Äbtissinnen und Äbte, eine, wenn auch kleine Landesherrschaft zu errichten, indem sie dem Stadtmagistrat die fruchtbare Feldmark als dauerhaften Besitz überließ.41 Dennoch beanspruchten die Herforder Äbtissinnen des 17. und 18. Jahrhunderts die jura territorialia et episcopalia über die Stiftsfreiheit, einige exemte Höfe innerhalb der umliegenden Stadt und die semi-geistlichen Institutionen wie das niederadelige Damenstift St. Marien auf dem Berge vor Herford und bestanden auf die Reichsunmittelbarkeit des Stiftes. Keinesfalls identisch, aber doch mit dem Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit verbunden, war der sich ebenfalls im Spätmittelalter konstituierende Status als Reichsstand. Seit dem 13. Jahrhundert wurden die Äbtissinnen vom Kaiser in Belehnungsurkunden und Privilegienbestätigungen als Fürstin des Reiches oder princeps Imperii sacri Romani bezeichnet und somit zu den Reichsständen gezählt. Bei der Reichsstandschaft handelte es sich um keine feststehende Entität, vielmehr musste sich diese in bestimmten Handlungen der Äbtissin immer wieder aktualisieren. Hierzu gehörten die Einholung der kaiserlichen Belehnung, die Besetzung von Sitz und Stimme auf Reichs- und ____________ 39 40

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abtei Herford; HEESE, Trägerinnen und Träger des Herforder Damenstiftsordens (Herford). Vgl. EHLERS, Der helfende Herrscher. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Das Heilige Römische Reich, S. 29; BAHLKE, Landesherrschaft, Territorien und Staat, S. 26-44; REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt, S. 306314, 363-370. Vgl. RÜTHING, »Monstrum Westphaliae«, S. 17f.

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2. Stift und Äbtissin

Kreistagen sowie die Beitragsleistung zu den Reichsabgaben.42 Damit unterschieden sich diese Stifte von den vielen landständischen Stiften beispielsweise im Münsterland (Freckenhorst, Nottuln, Borghorst), die zwar über Grundbesitz und einzelne grundherrliche Herrschaftsrechte wie die Niedere Gerichtsbarkeit verfügten, aber im Hinblick auf andere Rechte der Botmäßigkeit eines anderen Herrn unterworfen waren. Die Äbtissinnen von Herford, Quedlinburg und Essen erkannten hingegen nur den Kaiser und, solange sie katholisch waren, den Papst als übergeordnete Herrschaftsinstanz an. Während sich also die Reichsunmittelbarkeit auf der Grundlage des mittelalterlichen Lehnswesens auf das unmittelbare Verhältnis zwischen dem Kaiser und der Äbtissin als seiner Vasallinnen und den Status des Stiftsterritoriums als allein vom Kaiser abhängiges Lehen bezog, beschrieb die Reichsstandschaft die Anteilhabe der Äbtissinnen an den Reichsinstitutionen.

Verfasstheit Weltgeistlicher Status, adelige Exklusivität, Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft markieren die gemeinsame Schnittmenge der drei hier untersuchten Konvente. Sie finden sich mehr oder weniger deutlich in der Bezeichnung als kaiserlich frei-weltliche Stifte wieder. Nichtsdestoweniger verbargen sich dahinter ganz unterschiedliche, historisch gewachsene Gebilde, die sich nicht nur – nach der Reformation – in der konfessionellen Ausrichtung unterschieden, sondern nicht unwesentlich auch in ihrer institutionellen Verfasstheit. Den Kern der Institution Stift bildeten die Abtei und das Kapitel.43 Beide Begriffe sind vielschichtig. Unter der Abtei verstand man nicht nur die Residenz der Äbtissin, sondern auch eine Personengruppe. Zur Abtei gehörten neben der Äbtissin ebenso ihre Räte, Diener und weiteres Gesinde. Im Untersuchungszeitraum war in der Abtei die Stiftsregierung oder -kanzlei sowie die Stiftskammer sowohl räumlich als auch personell angesiedelt. Das Kapitel bildete das Pendant zur Abtei. Seine Zusammensetzung konnte ganz unterschiedlich sein. Im Stift Essen gab es ein Generalkapitel, das sich aus dem Gräflichen oder Damenkapitel und dem Herrenkapitel zusammensetzte. Im Herrenkapitel hatte sich der zur Verrich____________ 42 43

S. u. Kap. Partizipieren. Diese Gegenüberstellung geht auf die ins Mittelalter zurückreichende Gütertrennung in Abtei- und Konventsgut zurück. Vgl. WEIGEL, Studien zur Verfassung und Verwaltung des Grundbesitzes des Frauenstiftes Essen, S. 54-74; GOETTING, Gandersheim, S. 160f.; KOHL, Freckenhorst, S. 117.

2.1. Versuch einer Definition

33

tung der Seelsorge notwendige männliche Klerus des Stifts seit dem 13. Jahrhundert mit eigenen Statuten, Kompetenzen und Besitzrechten institutionalisiert.44 Beide Kapitel waren streng hierarchisch gegliedert. An der Spitze des Herrenkapitels stand der Dekan, an der des Damenkapitels die Pröpstin. Ihr kam bis ins 18. Jahrhundert – wenn auch mit zunehmenden Einschränkungen – eine gewisse Entscheidungskompetenz zu. Sie bezog eigene Einkünfte aus dem Propsteigut, sie berief die Kapitelsitzungen des Damenkapitels ein und saß diesen vor, sie verwaltete den gesamten Besitz des Damenkapitels und sie verlieh als prima inter pares die vakanten Damenpräbenden.45 Eine Besonderheit des Essener Stifts bildete dessen landständische Verfassung.46 Schon Johann Jacob Moser bemerkte Mitte des 18. Jahrhunderts: Die Land-Stände weiblichen Geschlechts kommen selten vor in Teutschland.47 Die Essener landständische Verfassung entwickelte sich seit dem 16. Jahrhundert. Dieser Prozess kann mit dem Vergleich zwischen Äbtissin und den beteiligten Körperschaften von 1565 über „die Einberufung von Landtagen zur Steuerverordnung, -befreiung und Rechnungslegung“ als abgeschlossen gelten.48 Die Landstände setzten sich wie folgt zusammen: Den ersten Stand bildete das Gräfliche Kapitel, dem aufgrund „uralte[r] kapitularische[r] Rechte“ eine Teilhabe an der Regentschaft zustand.49 Das Kanonikerkapitel repräsentierte den zweiten Stand. Schließlich konstituierte sich der dritte Landstand aus Vertretern der beiden niederadeligen Damenstifte Stoppenberg und Rellinghausen sowie den adeligen Besitzern der verschiedenen Rittergüter an den Grenzen des Stifts, die in einem Lehnsverhältnis zur Äbtissin standen. Der Aspirantenkreis auf diese dritte Kurie war nie voll____________ 44

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Zum Essener Kanonikerkapitel vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 57-62; SCHILP, Der Kanonikerkonvent des (hochadeligen) Damenstifts; BRANDT, Das Herrenkapitel am Damenstift; ARENS, Die beiden Kapitel des Stiftes Essen. Gerade in diesem Punkt wurden ihre Kompetenzen zum Ende des 17. Jahrhunderts durch die Äbtissin eingeschränkt, die sich das Konfirmationsrecht bei Neuaufnahmen sichern konnte. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 48f.; DIES., Frauen des hohen Adels, S. 77-90. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, Die landständische Verfassung; VRIES, Die Landtage des Stiftes Essen. Zu Landständen im Allg. vgl. NEU, Die Erschaffung der landständischen Verfassung; TIEBEN, Politik von unten; WALZ, Stände und frühmoderner Staat; OER, Landständische Vertretungen. MOSER, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, Bd. 13,1, S. 477. KÜPPERS-BRAUN, Die landständische Verfassung, S. 112. Ebd., S. 128.

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2. Stift und Äbtissin

kommen fixiert, sondern immer wieder Änderungen unterworfen.50 Das „älteste und wichtigste Recht“ der Stände war – wie bereits im Vergleich von 1565 festgeschrieben – das der Steuerbewilligung, woraus sich weitere Zuständigkeiten, beispielsweise die Ausschreibung der Steuern, ihre Verwaltung und Kontrolle ableiten ließen.51 Die Kompetenzen und Rechte der Landstände in Abgrenzung zur Äbtissin waren jedoch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nirgends schriftlich geregelt, sondern beruhten auf dem Herkommen. Erst der Landesgrundvergleich von 1794 schuf hier Abhilfe. Im Herforder Stift gab es nur ein Kapitel, in dem die in der Frühen Neuzeit oft nicht mehr als vier Kapitularinnen und die vier Kapitulare gemeinsam saßen. Ursprüngliche Aufgabe der Kapitulare war die Seelsorge, die sie in einem wöchentlichen Rhythmus abwechselnd versahen. Hiervon zeugen die anderslautenden Bezeichnungen als hebdomendarii oder Wochenherren. Zwar wurden diese Bezeichnungen auch im 17. und 18. Jahrhundert beibehalten, eine seelsorgerische Aufgabe übernahmen die Kapitulare jedoch in der Regel nicht mehr. Sie waren vielmehr häufig als Räte in der Stiftsregierung tätig. Einberufung und Vorsitz oblagen bis ins 18. Jahrhundert der Dekanissin. Eine Pröpstin gab es in Herford nicht. Aufgrund der vielfach dauerhaften Abwesenheit der Kapitularinnen gewannen die in der Regel anwesenden Kapitulare an Einfluss. Infolgedessen ging zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Kernkompetenz, das Recht zur Wahl einer neuen Dekanissin, de facto an die Kapitulare über.52 Wie in Herford gab es auch im Quedlinburger Stift nur ein Kapitel, in dem jedoch allein die Stiftsdamen vertreten waren. Der (evangelische) Stiftsklerus hatte sich hier keine einflussreiche Position innerhalb der stiftischen Hierarchie sichern können. Anders als in Essen und Herford berief die Äbtissin die Kapitelsitzungen ein und war während dieser auch anwesend. In den beiden anderen Stiften hatte die Äbtissin weder Anwesenheitsnoch Stimmrecht im Kapitel, aus dem sie mit ihrer Wahl ausschied. In Quedlinburg folgte der Äbtissin an der Spitze der stiftischen Hierarchie die Pröpstin, die wie in Essen über eigene Besitztümer verfügte, jedoch weniger Einfluss auf die Belange des Stifts hatte.53 Abtei, Propstei und Kapitel waren jedoch nicht nur Bezeichnungen für Personengruppen, vielmehr waren mit der Zugehörigkeit zu der jeweiligen Personengruppe zugleich spezifische Besitzrechte verbunden. Bereits seit ____________ 50 51 52 53

Vgl. ebd., S. 110. Ebd., S. 117. S. u. Kap. Räte, Sekretäre, Archivare. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 31, 34

2.1. Versuch einer Definition

35

dem 10. Jahrhundert lässt sich im Stift Essen eine Entwicklung zur allmählichen Trennung der Stiftseinkünfte in Konvents-, Propstei- und Abteigut verfolgen.54 Wann diese Entwicklung in den anderen beiden Stiften einsetzte, die im 17. und 18. Jahrhundert ebenfalls eine Gütertrennung aufweisen,55 müsste im Einzelfall rekonstruiert werden. Das jeweilige Gut wurde von den einzelnen Organen durch eigens angestelltes Personal – hierzu gehörten im Untersuchungszeitraum neben den Stiftsräten in der Regel der Syndikus des Kapitels sowie Kapitel- und Propsteisekretäre – verwaltet. Dabei nahmen die Beamten der Abtei in Absprache mit den Kapiteln die Verwaltung der Stifts- bzw. Landeseinkünfte wahr. Eine Besonderheit des Quedlinburger Stifts war der sogenannte Stiftshauptmann. Er wurde bereits 1477 als gemeinsamer Beamter von Äbtissin und Schutzherr eingeführt.56 Der Stiftshauptmann gerierte sich aber zusehends als alleiniger Vertreter des Schutzherrn und geriet dadurch im 17. und 18. Jahrhundert nicht selten in einen Gegensatz zur Äbtissin.57 Überbleibsel des Dienstverhältnisses zur Äbtissin war die Unterbringung des Stiftshauptmannes auf dem Stift, seine Besoldung durch die Äbtissin und die Verpflichtung zu Gehorsam und Treue durch Eid, später Handschlag.58 Schließlich gehörten zum jeweiligen Stift ebenso alle Bewohner des nicht selten bescheidenen Stiftsterritoriums. Sie bildeten die Untertanenschaft des Stifts. Angesichts der hier skizzierten Unterschiede kann die Institution ‚kaiserlich frei-weltliches Damenstift‘ nur definiert werden, indem anhand weniger Merkmale ein Rahmen markiert wird, innerhalb dessen unterschiedliche Ausprägungen möglich waren. Hierzu gehören eben eine säkulare, an hochadeligen Standards ausgerichtete Lebensweise, der exklusive Zugang für den Hochadel sowie der Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft. Diese gemeinsamen Merkmale, zu denen auch noch die geographi____________ 54

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Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 27-30; WEIGEL, Studien zur Verfassung und Verwaltung des Grundbesitzes des Frauenstiftes Essen, S. 54-74. Vgl. die separate Rechnungslegung der Herforder Dekanissin oder der Quedlinburger Pröpstin in den Beständen der jeweiligen Stiftsarchive in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford sowie Magdeburg LHASA Rep. A20. Vgl. VÖTSCH, Zwischen Kursachsen, Preußen und dem Kaiser, S. 297. Zum Schutzherrn s. u. Kap. Schutz- oder Sturmherr? Vgl. zur Besoldung des Stiftshauptmannes: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. VII Nr. 23; Vergleich zwischen der Äbtissin Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld und dem Stiftshauptmann August von Spohr (6. März 1666): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. VI Nr. 15, fol. 109r-v.

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2. Stift und Äbtissin

sche Lage im Norden des Reiches gerechnet werden muss, erlauben, die hier ausgewählten Stifte unter einer gemeinsamen Fragestellung zu behandeln.

2.2. Fürstin-Äbtissin

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2.2. Fürstin-Äbtissin 2.2. Fürstin-Äbtissin

1689 offenbarte die Essener Stiftsdame Maria Franziska Truchseßin von Waldburg-Zeil ihrem Bruder: […] ich gebe nit so an Daglicht, daß ich gern Reichsfürstin wär.1 Gleichzeitig bat sie ihn um seine Unterstützung in den bevorstehenden Wahlverhandlungen durch seine guten Kontakte in Wien und Rom. Wenige Jahre später erklärte Maria Aurora von Königsmarck ihrem Schwager Carl Gustav von Löwenhaupt, ich fange nachgerade an einzusehen, daß es meine Bestimmung ist, Aebtissin [des Stifts Quedlinburg, Anm. d. Verf.] zu werden.2 Löwenhaupt hatte sich bereits im Vorfeld während seiner Anwesenheit am Kaiserhof in Wien um die kaiserliche Zustimmung zur Wahl seiner Schwägerin zur künftigen Äbtissin bemüht.3 Beide Frauen strebten demnach das höchste Amt an der Spitze des jeweiligen Stifts an. Beide scheiterten in der Konkurrenz mit anderen Kandidatinnen. Nichtsdestoweniger zeugen ihre Aussagen von der Attraktivität der Stellung als Äbtissin und Fürstin eines kaiserlich frei-weltlichen Damenstifts. Das Leben im Stift bot hochadeligen Frauen einen gesellschaftlich anerkannten alternativen Lebensweg neben einer standesgemäßen Ehe oder dem vielmals zurückgezogenen Leben als Unverheiratete im Kreis der Familie. Im Falle ihres Fortkommens bis in das Amt der Äbtissin an der Spitze eines der Reichsstifte war damit nicht einfach nur eine standesgemäße Stellung, sondern darüber hinaus der Rang einer Reichsfürstin, also unter Umständen die Möglichkeit des ständischen Aufstiegs, und die Ausübung reichsunmittelbarer Herrschaft verbunden. Welche formellen Qualifikationen musste eine Kandidatin jedoch mitbringen, um in das Amt der Äbtissin gelangen zu können, und wie vollzog sich dann die Bestellung einer neuen Äbtissin?

Darf eine Maitresse Äbtissin werden? Jede Kandidatin, die um Aufnahme in eines der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte bat, musste bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Dies galt ____________ 1

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Zitiert nach KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 68; DIES., Lebensentwürfe adeliger Frauen in frei-weltlichen Damenstiften. Der Originalbrief liegt im Fürstlichen Waldburg-Zeil`schen Gesamtarchiv Schloss Zeil, Bestand Wunibald 512, Leutkirchen und wurde für die Drucklegung nicht eigens eingesehen. Maria Aurora von Königsmarck an Carl Gustav von Löwenhaupt (April 1698), zitiert nach CRAMER, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S. 214. Vgl. MAI, Maria Aurora von Königsmarck, des Kayserlich Freiweltlichen Stiftes zu Quedlinburg Pröpstin, S. 236.

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2. Stift und Äbtissin

insbesondere für die Amtsträgerinnen und vor allem für die Äbtissin an der Spitze des Stifts. Zu den formellen Voraussetzungen gehörte zunächst die hochadelige und reichsständische Abstammung. Sehr streng wurde die hochadelige Abstammung im Stift Essen durch das Instrument der Ahnentafel überwacht.4 Hinzu kam als Zugangsvoraussetzung die jeweilige Konfession der Kandidatin. In Essen war die Aufnahme einer evangelischen Anwärterin nach der Rekatholisierung des Stifts undenkbar. In Herford und Quedlinburg war die konfessionelle Exklusivität weniger eindeutig fixiert. Die Wahlkapitulationen schrieben in beiden Stiften die Wahrung der Augsburgischen Konfession fest. Die Aufnahme vornehmlich reformierter Stiftsdamen im Herforder Stift seit der Mitte des 17. Jahrhunderts fußte nicht auf einer schriftlichen Regelung, sondern auf der konkreten Praxis, die sich aber immer mehr verstetigte, so dass der Versuch, lutherische Stiftsdamen in den 1690er Jahren zu investieren, den nachdrücklichen Protest des Kapitels hervorrief.5 Des Weiteren musste die Kandidatin ein bestimmtes Alter haben. Das kanonische Recht schrieb ein Alter von 30 Jahren vor.6 Nichtsdestoweniger gab es Möglichkeiten, diese Regeln zu umgehen, indem nämlich entweder der Papst – im Falle des katholischen Stifts – oder der Kaiser einen Dispens ausstellte. Ein solcher kaiserliche Dispens wurde 1680 für Elisabeth Albertine von Anhalt bei ihrer Wahl zur Herforder Äbtissin im Alter von 15 Jahren gewährt.7 Schließlich legte man neben diesen formellen Voraussetzungen (Abstammung, Konfession, Alter) viel Wert auf einen tugendhaften Lebenswandel und weitere, häufig nicht näher benannte vorangelegte Qualitäten. Hiervon zeugen die Recommendations-Schreiben, die in den drei norddeutschen Stiften Quedlinburg, Herford und Thorn im Vorfeld von Wahlen eingegangen sind:8 Der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg bescheinigte seiner Nichte, der nachmaligen Herforder Äbtissin Charlotte ____________ 4 5

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S. o. Vgl. Protest des Kapitels wegen Konfessionszugehörigkeit der zu investierenden Kapitularinnen (2. Juli 1691): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 292; Protest der Dekanissin Sophie Ernestine zur Lippe beim brandenburgischen Kurfürsten wegen geplanter Aufnahme zweier lutherischer Kapitularinnen (4./14. Nov. 1696): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3099. Sowohl Hans Goetting als auch Bernhard Theil haben dieses Alter für die Äbtissinnen der Stifte Gandersheim und Buchau festgestellt. Vgl. GOETTING, Gandersheim, S. 156; THEIL, Buchau am Federsee, S. 96. Kaiserlicher Dispens für Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau (15. April 1680): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 258. Ähnliche Recommendations-Schreiben lassen sich auch in der Essener Überlieferung finden.

2.2. Fürstin-Äbtissin

39

Sophie von Kurland, beispielsweise, dass bei ihr alle vorangeregte und andere zu dieser Abteylichen Würde erforderte hohe qualiteten vollkömblich sich befinden.9 Anna Dorothea von Sachsen-Weimar lobte beim Versuch, eine Coadjutorin zu wählen, gegenüber dem Kapitel die [bekandte] Pietät und [andere] Hochfürstliche Tugenden der Kandidatin Magdalena Sibylla von Sachsen-Weißenfels.10 Die spätere Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf wurde dem Kapitel aufgrund ihres sehr gütigen und frommen naturel sowie ihrer fürstlichen Tugenden und qualitäten empfohlen.11 Pfalzgraf Carl Philipp von Neuburg empfahl dem Kapitel des Stiftes Thorn seine Verwandte Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach als Äbtissin, weil dieselbe mit denen hierzu Erforderlichen Vortrefflichen aigenschafften undt stattlichen gemüthsgaben sattsams versehen sei.12 Besondere Fertigkeiten, welche die Kandidatinnen zum alltäglichen Regierungsgeschäft befähigten, wie Veit Ludwig von Seckendorff in seiner staatstheoretischen Schrift „Teutscher Fürstenstaat“ auch für die Erziehung fürstlicher Töchter gefordert hatte,13 scheinen hingegen keine Voraussetzung gewesen zu sein. Vielmehr bestimmten wohl neben Kenntnissen im Lesen, Schreiben und Rechnen das Erlernen von Sprachen sowie die Ausbildung musischer Talente und Handarbeiten die Ausbildung hochadeliger Töchter. Eine wichtige Rolle spielten darüber hinaus die religiöse Unterweisung und für den Adel typische Umgangsformen wie der Tanz, die Jagd und das Reiten.14 Kenntnisse über die Rechte des Stifts sowie deren Administration erlangten die Äbtissinnen oft erst mit dem Antritt des Amtes. Eine Ausnahme bildeten wohl diejenigen Kandidatinnen, die schon auf eine langjährige Karriere im Stift zurückblicken konnten und, wie beispielsweise ____________ 9

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Friedrich Wilhelm an die Fräulein von Nassau und Holstein (8./18. April 1688): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 1211. Protokoll über ein Treffen der Äbtissin mit dem Kapitel (20. Mai 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 3br-3er. Recommendations-Schreiben Christian Augusts von Holstein-Gottorf für seine Schwester an das Quedlinburger Kapitel (1. Juli 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 366r-367r. Karl Philipp von Pfalz-Neuburg an das Kapitel zu Thorn (2. Febr. 1717): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 40. SECKENDORFF, Teutscher Fürstenstaat, S. 171f. Vgl. KOLBACH, Aufwachsen bei Hof, S. 268-272. Für das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts liegen ansonsten kaum Arbeiten zum Hochadel vor. Besser erforscht ist der Niederadel vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Vgl. HUFSCHMIDT, Adelige Frauen im Weserraum, S. 100-109; LESEMANN, Zur Bildung und Sozialisation.

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2. Stift und Äbtissin

Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg als Pröpstin des Stifts Essen, bereits Einblicke in die Stiftsadministration bekommen hatten. Als in den 1690er Jahren die schwedische Gräfin und ehemalige Maitresse en titre des sächsischen Kurfürsten Maria Aurora von Königsmarck nicht nur um Aufnahme in das Quedlinburger Stift suchte,15 sondern mit Hilfe des Kurfürsten Friedrich August I./II., der zugleich Schutzherr des Stifts war, und der amtierenden Äbtissin ihre Wahl zu deren designierten Nachfolgerin anstrebte,16 griffen die Kapitularinnen in ihrem Widerstand verschiedene der ____________ 15

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Das Leben Maria Auroras erfreute sich immer wieder der Beliebtheit der Biographen. Problematisch ist der Aussagewert der Lebensbeschreibungen aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, deren Quellengrundlage auch aufgrund der geographischen Streuung der Überlieferung von Stockholm über Kopenhagen, Hamburg, Wolfenbüttel, Magdeburg bis nach Dresden nur schwer zu rekonstruieren ist. Vgl. CRAMER, Denkwürdigkeiten; MÖRNER, Maria Aurora von Königsmarck; BURG, Die schöne Gräfin Königsmarck. Sie enthalten Abschriften von Briefen und Schriftstücken, bleiben genaue Quellenabgaben jedoch schuldig. Trotzdem dienten sie als Referenz aller nachfolgenden Arbeiten, vgl. FIEDLER, Maria Aurora von Königsmarck; DELAU, Maria Aurora von Königsmarck; MAI, Maria Aurora von Königsmarck, des Kayserlichen Freiweltlichen Stiftes zu Quedlinburg Pröpstin; KRAUSS-MEYL, Maria Aurora Gräfin von Königsmarck. Zu Maria Aurora im Stift Quedlinburg vgl. SCHRÖDER, Maria Aurora von Königsmarck als Pröpstin des Stiftes. Maria Aurora hielt sich spätestens seit Herbst 1693 wiederholt zu Besuch bei der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar auf und suchte dort aus eigenem Antrieb, jedoch vorerst ohne Erfolg um Aufnahme als Kanonissin nach. Vgl. MÖRNER, Maria Aurora von Königsmarck, S. 213. Graf Birger Mörner hat in seiner Chronik zwei Briefe der Gräfin aus Quedlinburg abgedruckt, die auf den 26. Nov. und 20. Dez. 1693 datiert sind; vgl. ebd. S. 219-221, 222-224. Ein Schreiben des dänischen Gesandten von Meuchen am Hof zu Dresden an den dänischen Großkanzler Conrad Graf von Reventlow, in dem er Nachrichten der Gräfin von Königsmark über den Stand ihrer Aufnahmebemühungen in Quedlinburg weiterleitete (29. Nov. 1695), ist abgedruckt in: MÖRNER, Maria Aurora von Königsmarck, S. 322f. Nachdem ihre ersten Bemühungen um Aufnahme gescheitert waren, verstärkte sie ihr Engagement einige Jahre später. In der Zwischenzeit hatte sie einen Sohn zusammen mit Kurfürst Friedrich August (dem Starken) von Sachsen bekommen. Bereits bei der Geburt war das Verhältnis zwischen Maria Aurora und August aber bereits beendet. Friedrich Cramer gibt eine Bemerkung der Gräfin einen Tag nach der Geburt ihres Sohnes (29. Okt. 1696) wieder, wonach sie „kokett“ gefragt haben soll: „Bin ich denn nicht weise und fähig, endlich Koadjutorin zu sein?“ (vgl. CRAMER, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S. 127; MAI, Maria Aurora von Königsmarck, des Kayserlich Freiweltlichen Stiftes zu Quedlinburg Pröpstin, S. 236). Einige Zeit später soll sie gegenüber ihrem Schwager den eingangs zitierten Ausspruch getan haben (April 1698): „…ich fange nachgerade an einzusehen, daß es meine Bestimmung ist, Aebtissin zu werden“ (vgl. CRAMER, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, S. 214). August unterstützte die Bemühungen seiner ehemaligen Mätresse, indem er sich sowohl an die amtierende Äbtissin und das Kapitel als auch an den Kaiser wandte.

2.2. Fürstin-Äbtissin

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oben skizzierten Zugangsvoraussetzungen auf. Gegenüber Kaiser Leopold I. und Kaiserin Eleonore Magdalene protestierten sie gegen die Wahl der Gräfin von Königsmarck aufgrund ihres Status als außländische Person und hegten Zweifel an ihrer Integrität und Befähigung für das Amt der Äbtissin.17 Wurden diese Einwände gegenüber dem Kaiser noch vorsichtig formuliert, nahmen die Kapitularinnen gegenüber der Kaiserin kein Blatt mehr vor den Mund und beklagten unverhohlen den schlechten Lebenswandel, die mangelnde Gottesfurcht, die fehlende Tugendhaftigkeit und den niedrigen ständischen Rang der Gräfin. Weder ihre Stellung als Maitresse en titre noch die ‚heimliche‘ Geburt ihres Sohnes Moritz waren der reichsständischen Öffentlichkeit verborgen geblieben. Selbst im fernen Versailles soll sich Liselotte von der Pfalz über solche „unverschämten Sachen“ empört haben.18 Konnte aber eine Mätresse, die noch dazu Mutter eines unehelichen Kindes war, Stiftsdame oder gar Äbtissin eines kaiserlich freiweltlichen Damenstifts werden? Anders als in Frauenklöstern legten weder die Stiftsdamen bei ihrer Aufnahme noch die Äbtissin bei ihrer Wahl ein Keuschheitsgelübde ab. Vielmehr war der Aufenthalt in einem kaiserlich frei-weltlichen Damenstift für viele Stiftsdamen nicht mehr als eine Durchgangsstation, bevor sie sich verheirateten. Selbst die erwählten, vom Kaiser und – im Falle des katholischen Stiftes Thorn – vom Papst bestätigten Äbtissinnen konnten das Stift wieder verlassen, um sich zu verehelichen, so beispielsweise Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau, die nach sechs Jahren an der Spitze des Herforder Stiftes die Frau des Herzogs Heinrich von Sachsen-Weißenfels-Barby wurde.19 ____________

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Siehe das Schreiben des Kurfürsten an die Äbtissin und das Kapitel (3. Juni 1696): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8970/10; Projekt Friedrich August I./II. an Kaiser Leopold I. (o.D.): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8970/10. Vgl. auch KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 72. Quedlinburger Kapitel an Kaiser Leopold I. (28. Mai 1697) und Kaiserin Eleonore Magdalene von Pfalz-Neuburg (1. Juni 1697): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei Kleinere Reichsstände 415-3-4, fol. 182r-184v, fol. 186r-188v. Zitiert nach MÖRNER, Maria Aurora Königsmarck, S. 298. Vgl. Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau an das Herforder Kapitel, Bekanntgabe ihrer Resignation (29. März 1686): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 241. Die Aussage Michael von Fürstenbergs, dass selbst die evangelischen Äbtissinnen von Herford ein Versprechen zur Ehelosigkeit abgelegt hätten, muss daher korrigiert werden. Vgl. FÜRSTENBERG, „Ordinaria loci“, S. 128. Siehe auch die Beispiele aus dem Essener Stift bei KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 103. In Quedlinburg sind zwei Fälle von Coadjutorinnen belegt, die nach ihrer Wahl das Stift verlassen haben, um zu heiraten: einerseits Prinzessin Dorothea von Sachsen-Altenburg, die zunächst 1628 zur Coadjutorin postuliert wurde und schließlich 1633 Herzog Albrecht von Sachsen-

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2. Stift und Äbtissin

Ebenso gelangte mit der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg, Mutter von sechs Kindern, im Stift Herford eine Witwe in das Amt der Äbtissin. Die Aufnahme einer Witwe sowie deren Übernahme einer Führungsrolle blieb in der Frühen Neuzeit aber eine Ausnahme und ging mit einem gesteigerten Legitimationsbedürfnis der Befürworter gegenüber dem Kaiser einher.20 Ebenfalls Aufnahme im Stift Herford fand Mitte des 18. Jahrhunderts Henriette Amalie von Anhalt-Dessau, nachdem ihr Verhältnis zum Sohn des fürstlichen Hofjägers und Jagdzeugmeisters bekannt geworden war und sie einen Sohn geboren hatte.21 Auf die Bitte ihrer männlichen Verwandten hin, nahm ihre Tante, besagte Johanna Charlotte von Brandenburg, die Prinzessin 1742 im Stift auf.22 Obwohl Henriette Amalie ihren Eintritt ins Stift als Strafe empfand, und trotz ihrer Vergangenheit23 gelang ihr in den nächsten Jahren mit Hilfe des preußischen Königs eine steile Karriere im Stift.24 1763 wurde sie zur Dekanissin bestellt,25 1779 zur Coadjutorie gewählt.26 Für die Dauer der Amtszeit galt jedoch in allen nord____________

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Eisenach heiratete; andererseits Prinzessin Luise Ulrike in Preußen, die 1743 zur Coadjutorin gewählt wurde, aber bereits 1744 diese Stelle wieder resignierte, um den späteren König Adolf Friedrich von Schweden zu heiraten. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 59, 84. Vgl. Kap. Recht. Die einzige und grundlegende Biographie von Walther Schmidt ist kürzlich neu aufgelegt worden: SCHMIDT, Prinzessin Henriette Amalie von Anhalt-Dessau. Schmidt konnte auf Material im Dessauer Archiv zurückgreifen, das heute verschollen ist. Eine quellenkritische Ergänzung stellt der Beitrag von Edeltraut Dettmar und Norbert Michels im Katalog „Sammlerin und Stifterin: Henriette Amalie von Anhalt-Dessau und ihr Frankfurter Exil“ dar. DETTMAR, MICHELS, Aus dem Leben der Henriette Amalie Prinzessin von Anhalt-Dessau. Instrumentum Investiturae ac respective traditiae & apprehensae possessionis (30. April 1742): Dessau LHASA A 9c Nr. 13, Bl. 5ff.; zitiert nach HEESE, Aspekte einer Karriere, S. 53, Anm. 29. Vgl. den neu entdeckten Brief Henriette Amalies an ihre Schwester Leopoldine Marie, in welchem sie von Selbstmord angesichts des derartigen Gericht[s] spricht (8. Juli 1763), abgedruckt in GROßINSKY (Hg.), Sammlerin und Stifterin, S. 285f. Schon kurz nach dem Tod ihrer Tante suchte Henriette Amalie die Unterstützung des preußischen Königs Friedrichs II., um noch zu Lebzeiten der Dekanissin die Äbtissin und die Kapitulare auf ihre künftige Wahl zu verpflichten. Vgl. hierzu Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 827. Protokoll der Possessio (4. Februar 1764): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 267. Eigentlich hatte das Stift Herford zu diesem Zeitpunkt bereits eine Coadjutorin – Landgräfin Charlotte von Hessen-Kassel. Diese litt jedoch unter starken, gesundheitlichen Problemen. Henriette Amalie erreichte erneut mit der Unterstützung des preußischen

2.2. Fürstin-Äbtissin

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deutschen kaiserlich frei-weltlichen Damenstiften die Verpflichtung zur Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit, auch wenn diese nicht eigens beeidet wurde. Schwangerschaften während der Regierung, wie sie 1587 und 1712 im Stift Gandersheim vorgekommen waren, wurden mit Amtsverlust und Ausschluss geahndet.27 Konnte nun eine Mätresse und Mutter eines Sohnes Äbtissin werden? Die Beispiele Johanna Charlottes von Brandenburg und Henriette Amalies von Anhalt-Dessau zeigen, dass weder Mutterschaft noch die vormalige außereheliche Verbindung zu einem Mann zwangsläufig ein Ausschlusskriterium für eine Karriere im Stift sein mussten. In beiden Fällen hatten die Kandidatinnen tatkräftige Beförderer. Dies galt ebenso für Maria Aurora von Königsmarck, für die sich neben dem sächsischen Kurfürsten, später auch der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König Friedrich I./III. und Kaiser Leopold I. einsetzten.28 Mit ihrer Unterstützung gelang ihr zur Lebzeiten der amtierenden Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar immerhin die Ernennung als Pröpstin.29 Diese Entscheidung konnte die Äbtissin aus eigener Machtfülle treffen, die Wahl ihrer künftigen Nachfolgerin hing aber vom Wahlrecht der Kapitularinnen ab. Dekanissin und Kanonissin, zwei Schwestern aus dem Grafenhaus Schwarzburg-Sondershausen, verteidigten jahrelang erfolgreich ihr freies Wahlrecht.30 Ihr Beispiel verweist bereits auf die bedeutsame Rolle, welche die Mitglieder des Kapitels nicht zuletzt als Wahlgremium der Äbtissin spielten.

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Königs die Ansetzung einer Neuwahl und wurde schließlich unter dem Vorbehalt, dass die Landgräfin nicht wieder gesund würde, 1779 zur Coadjutorin ihrer Nichte Friederike von Brandenburg gewählt. Vgl. zur Coadjutorin-Wahl 1779 die preußische Kommissionsakte: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 260. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Fürstäbtissin Henriette Christine von Braunschweig-Lüneburg. Vgl. zur Zeit Maria Auroras im Stift Quedlinburg SCHRÖDER, Maria Aurora von Königsmarck als Pröpstin des Stiftes Quedlinburg. Vgl KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 73. Dass Maria Aurora von der Äbtissin zur Pröpstin erkoren wurde, belegt ein Schreiben der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an die vom Kaiser ernannten Kommissare Rudolf August und Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg, die einen Ausgleich zwischen Äbtissin und Kapitel stiften sollten. Darin bittet die Äbtissin, die Frage der Propstei nicht in den Verhandlungen zu berücksichtigen, weil sie bereits auf die Empfehlung des Kaisers hin die Gräfin mit der Propsteiwürde belehnt habe. Anna Dorothea an die kaiserlichen Kommissare (2. Juni 1700): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 12. Siehe unten Kap. Protegieren.

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2. Stift und Äbtissin

Die freie Wahl Die Bestellung einer neuen Äbtissin erfolgte in allen drei Stiften durch kanonische Wahl. Bereits kurz nach ihrer Gründung im 9. oder 10. Jahrhundert hatten sich die Stifte das Privileg der freien Äbtissinnenwahl durch die jeweiligen Könige und Kaiser gesichert. Seitdem waren sie beständig darauf bedacht, dieses Recht zu verteidigen, um ihre Autonomie gegenüber einflussreichen Adelsfamilien zu bewahren. Sowohl passives wie aktives Wahlrecht hatten theoretisch allein die Mitglieder des Kapitels, es wurden aber immer wieder auch Frauen extra gremio gewählt.31 Rechtliche Grundlage für die Ausübung des freien Wahlrechtes war neben kaiserlichen Privilegien, Statuten, Verträgen und Wahlkapitulationen auch nach der Reformation das kanonische Recht.32 Selbst der „betont antiklerikale“33 Friedrich Carl von Moser lobte Ende des 18. Jahrhunderts, als viele Aufklärer längst die Rückständigkeit der geistlichen Staaten beklagten,34 in Bezug auf die männlich besetzten Kur- und Fürstentümer deren Wahlcharakter. Denn zumindest theoretisch stand die Wahl eines engagierten, mit den örtlichen Verhältnissen bekannten, gebildeten, politisch erfahrenen und von dynastischen Interessen unabhängigen Kandidaten offen, der tatsächlich als ein Staats-Verwalter handeln konnte.35 Aber ein Blick in die Praxis hatte auch Moser die Gefahren und Mängel offenbart, die der Wahlcharakter der geistlichen Fürstentümer mit sich brachte. Diese bestanden nicht nur in der mangelnden Kontinuität an der Spitze der Wahlfürstentümer,36 sondern darüber hinaus in der Einflussnahme von außen, die sich vor allem im Wahlverfahren niederschlug. Denn die Wahlen wurden nicht selten durch Kauf, Wahlabsprachen, Patronage und Konkurrenz bestimmt. Trotz freiem Wahlrecht nahmen verschiedene Gruppen immer wieder Einfluss auf die Besetzung der geistlichen Fürstentümer – sei es (auf katholischer Seite) der Papst in Rom, der Kaiser in Wien, die mächtigen Fürsten im Reich oder die kleineren Fürsten und Grafen vor Ort. Sie alle konkurrierten um die Teilhabe an den Versorgungs-, Aufstiegs____________ 31

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Dies galt beispielsweise für die Herforder Äbtissin Johanna Charlotte von Brandenburg, deren Wahl langjährige Verhandlungen mit den Kapitularen und Kapitularinnen sowie materielle Zusagen vorausgegangen waren. S. u. Kap. Nehmen. Vgl. zur kanonischen und freien Wahl UNTERBURGER, Kanonisch und frei. ANDERMANN, Die geistlichen Staaten, S. 604. Vgl. HERRSCHE, Intendierte Rückständigkeit; DERS., Barrieren gegen den Fortschritt. Vgl. MOSER, Ueber die Regierung geistlicher Staaten, S. 102, 104, 117-119, 135-137, 140142, 148 (Zitat). Vgl. MOSER, Ueber die Regierung geistlicher Staaten, S. 71f.

2.2. Fürstin-Äbtissin

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und Patronagefunktionen der Reichskirche37 – dies musste nicht zuletzt auch für die wenigen weiblich besetzten Ämter gelten.38 Die Folge war, dass eben doch mitunter junge, unerfahrene, von Familieninteressen abhängige Kandidaten gewählt wurden.39

Coadjutorie Der Tod eines geistlichen Fürsten oder einer geistlichen Fürstin gefährdete den Bestand des Fürstentums nicht weniger als der Tod eines weltlichen Fürsten, der keinen oder nur einen minderjährigen Erben hinterließ. Zwar sprang in den geistlichen Staaten zunächst einmal das Kapitel in seiner Funktion als Mitregent stellvertretend ein, interne Streitigkeiten, mangelnde Regierungspraxis und fehlende Rechtskenntnisse erschwerten jedoch nicht selten die reibungslose Fortführung von Regierung und Administration. Versuche, von außen Einfluss auf das Kapitel zu nehmen, konnten dieses Problem noch verschärfen. Während in Erbfürstentümern der Unsicherheit eines minderjährigen oder keines Erben durch die Möglichkeit der mütterlichen Regentschaft oder Erbschaftsverträge entgegengewirkt wurde,40 griff man in geistlichen Fürstentümern auf das Instrument der Coadjutorie zurück, um so die fehlende Kontinuität an der Spitze auszugleichen. Damit gemeint war die vorzeitige Wahl eines Nachfolgers bzw. einer Nachfolgerin noch zu Lebzeiten des Herrschaftsträgers, der oder die dann unter Wahrung ____________ 37

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Vgl. zur Reichskirche zuletzt den Sammelband BRAUN, MENNE, STRÖHMER (Hg.), Geistliche Fürsten und Geistliche Staaten; sowie u.a. BRENDLE, SCHINDLING, Reichskirche und Reich; REINHARDT, Die hochadeligen Dynastien in der Reichskirche. In den Untersuchungen zur Reichskirche werden sowohl Damenstifte als auch Damenklöster in der Regel nicht berücksichtigt oder lediglich als Annex behandelt, dabei übernahmen sie ähnliche Funktionen wie ihre männlichen Pendants. Es gab innerhalb der Reichskirche nur zehn Reichsstifte, die exklusiv dem Hoch- (Essen, Quedlinburg, Herford, Gernrode, Gandersheim, Thorn) und Niederadel (Buchau, Lindau, Niedermünster, Obermünster) vorbehalten waren. Davon blieben vier nach der Reformation als evangelische Stifte bestehen (Quedlinburg, Herford, Gernrode, Gandersheim). Vgl. zur Zusammenstellung aller Reichsstifte KÜPPERS-BRAUN, Dynastisches Handeln von Frauen, S. 225. Vgl. MOSER, Ueber die Regierung geistlicher Staaten, S. 104, 106-116. Vgl. hierzu WEBER, Zur Wahrnehmung und Einschätzung der geistlichen Staaten, S. 8082; ARETIN, Reformversuche der geistlichen Staaten. Vgl. zu Erbschaftsverträgen KUNISCH, Hausgesetzgebung und Mächtesystem; vgl. zur Regentschaft KÄGLER, Weibliche Regentschaft in Krisenzeiten; PUPPEL, Die Regentin; JUREWITZ-FREISCHMIDT, Herrinnen des Louvre; HARTMANN, Zwischen Geschlechterordnung und politischer Ordnung.

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2. Stift und Äbtissin

der Rechte des Kapitels schon bald nach dem Tod des Vorgängers bzw. der Vorgängerin das Amt und die Regierung antreten konnte.41 Die Coadjutorie diente den mächtigen Dynastien in der Frühen Neuzeit nicht selten dazu, in den verfassungsrechtlich fixierten Wahlfürstentümern sogenannte Sekundogenituren einzurichten, um diese Fürstentümer auf längere Sicht für ihre Dynastie als Versorgungs-, aber auch Herrschaftsbastionen zu sichern.42 In den Stiften Herford, Quedlinburg und Essen fand das Instrument der Coadjutorie im 17. und 18. Jahrhundert häufig Anwendung. Knapp die Hälfte aller Äbtissinnen des Untersuchungszeitraumes waren noch zu Lebzeiten ihrer Vorgängerin als Coadjutorin gewählt worden.43 Die Coadjutorie diente allerdings nicht dazu, die künftige Nachfolgerin mit den Begebenheiten vor Ort und der Administration bekannt zu machen. In Herford musste die Coadjutorin regelmäßig einen Revers ausstellen, in dem sie sich verpflichtete, dass ihre Wahl hochgedachter Frauen Abbatissin Ldl. an dero Abteyl. Regiment, Intraden, noch sonsten einiger maßen abbrüchig, schädlich oder nachtheilig seyn solle, sondern dieselbe, nach wie vor, der Abteyl. Regierung allein fürstehen, des Stiffts sämmtliche revenuen erheben und in allen nach Belieben ferner schalten und walten möge; Wir aber Uns der Abteyl. Regierung, so lange dieselben Abbatissin seyn und bleiben werden, auf keinerley Weise mit an-

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Neben dem Anrecht auf die stellvertretende Regierung, während das Äbtissinnenamt vakant war, gehörte auch der Einzug der abteilichen Einkünfte sowie die Versorgung und Unterbringung auf der Abtei während der Vakanz zu den Rechten des Kapitels, welche sich die Kapitularinnen auch für den Fall sicherten, dass eine Nachfolgerin bereits feststand und ohne viel Zeitverlust das Amt antreten konnte. Die Kapitulare und Kanonissen des Herforder Stifts ließen sich daher bei der Wahl einer Coadjutorin ihre Rechte sedis vacante noch vor der Wahl schriftlich zusichern. Vgl. z.B. den Revers der späteren Herforder Äbtissin Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau, mit welchem das Herforder Kapitel nicht nur einen Präzedenzfall zu verhindern suchte, um das freie Wahlrecht zu sichern, sondern auch eine Entschädigungssumme für das ausbleibende Interregnum aushandelte (o.D. [1679/80]): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1121. Nach der Wahl Elisabeth Albertines von Anhalt-Dessau zur Coadjutorin lassen sich die Herforder Kapitulare und Kapitularinnen bei jeder weiteren Coadjutorin-Wahl die freie Wahl sowie eine Entschädigung für ihre Jurae interregnae bzw. deren Wahrung verbriefen. Vgl. die Wahl von Elisabeth von Hessen (1686), Sophie Dorothee Marie in Preußen (1729) und Hedwig Sophie Auguste von Schleswig-Holstein (1745). Vgl. zur Coadjutorie allgemein REINHARDT, Kontinuität und Diskontinuität; zur bayrischen Reichskirchenpolitik SCHMIDT, Vom Bayrischen Hof zum Heiligen Geist; WEITLAUFF, Die bayerischen Wittelsbacher in der Reichskirche. Dies gilt für acht von 19 Äbtissinnen. Hier nicht mit eingerechnet sind die Coadjutorinnen, welche als künftige Nachfolgerin gewählt wurden, aber aufgrund von Tod oder Eheschließung oder der Säkularisation des Stifts nicht mehr ins Amt gelangt sind.

2.2. Fürstin-Äbtissin

47

maßen, oder darinnen unerfordert, auch in dem allergeringsten, nicht meliren, noch weniger von denen Abteyl. Intraden etwas praetendiren oder verlangen, sondern Ihro in allen eine freye und ruhige disposition laßen sollen und wollen.44

Ähnliche Verhältnisse bezeugen die Kapitularinnen gegenüber dem Kaiser auch für das Quedlinburger Stift.45

Wahl, Postulation, Konfirmation, Introduktion Das Wahlverfahren an sich folgte in allen drei Stiften einem festen Ablauf.46 Im Vorfeld musste der Wahltag festgelegt, Einladungen an abwesende Wähler verschickt und die Wahlkapitulation ausgehandelt werden. Der Wahltag begann in allen drei Stiften mit der Messe Sacro de Spiritu sancto in der jeweiligen Stiftskirche. Darin wurde Gott um Hilfe und einen erfolgreichen Ausgang der Wahl angerufen. Darauf versammelten sich alle Kapitelmitglieder an dem zur Wahl bestimmten Ort. In Essen und Herford fanden sich die berechtigten Wähler, ein kaiserlicher Notar, der gemäß den Vorschriften des kanonischen Rechts ein Protokoll über die Wahl anfertigte, zwei Zeugen sowie die beiden Wahlhelfer (scrutatores)47 auf dem Chor des (gräflichen) Kapitels ein, in Quedlinburg hingegen in der Kapitelstube. Dort legten Notar, Zeugen und Wahlhelfer einen Verschwiegenheitseid ab. Die scrutatores überwachten die geheime Stimmabgabe, die entweder mündlich oder auf Wahlzetteln auf der Kapitelstube (Quedlinburg), in der Sakristei (Herford) oder auf dem Gräflichen Chor (Essen) erfolgte, sie zählten im Anschluss die Stimmen aus und teilten das Ergebnis dem Kreis der Wähler mit. Die Wahl____________ 44

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Hier Revers der Markgräfin Frederike Charlotte Leopoldine Luise (Konzept) (o.D. [1754]): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1123. Eine ähnliche Versicherung gab auch Elisabeth von der Pfalz bei ihrer Wahl zur Coadjutorin 1661 ab. Zeugnis der Versicherung (11. Mai 1661): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 230. Quedliburger Kapitel an Kaiser Leopold I. (28. Mai 1697): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei Kleinere Reichsstände 415-3-4, fol. 182r-183v. Zu den genauen Abläufen von Wahl, Postulation, Konfirmation und Introduktion im Stift Essen vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 111-118; sowie im Stift Quedlinburg BLEY, Herrschaft und Symbolisches Handeln; auf die hier im Wesentlichen Bezug genommen wird und die nur sehr schematisch wiedergeben werden. Eine intensive Analyse dieser Akte anhand von verschiedenen Konfliktfällen erfolgt u. in den Kap. Mit Pauken und Trompeten; Knien vor dem Kaiser; Die Wahl am falschen Ort. Im Stift Essen wurde das Amt der Wahlhelfer von einer Stiftsdame und zwei Kanonikern, in Herford hingegen häufig von zwei Kanonikern des Kapitels auf der Neustadt, die selbst keine Stimme führten, wahrgenommen.

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2. Stift und Äbtissin

berechtigten mussten nicht zwangsläufig selbst anwesend sein, sondern konnten auch einen Vertreter mit der Abgabe ihrer Stimme beauftragen. Im Anschluss an die Wahl verkündete der Dechant des Kanonikerkapitels (Essen), die Pröpstin (Quedlinburg) oder ein Kapitular (Herford) das Ergebnis der Wahl, welches der Kandidatin bei Anwesenheit direkt oder in Abwesenheit ihrem Vertreter angezeigt wurde. Sie oder ihr Vertreter nahmen die Wahl daraufhin an. In Essen wurde die Erwählte an den Hochaltar geführt, wo sie kniend vor dem Offizial das Glaubensbekenntnis ablegte. Damit war das Bestellungsverfahren aber noch nicht abgeschlossen. Vielmehr musste die neuerwählte Äbtissin nun vom Kaiser und im Falle Essens vom Papst bestätigt werden. Die Päpstliche Konfirmation wurde im 18. Jahrhundert vielfach durch ein bereits im Vorfeld der Wahl eingeholtes Wählbarkeitsbreve vorweggenommen. In diesem Fall war auch die Wahl nur mehr Formsache. Die kaiserliche Konfirmation der Wahl musste für eine immer größere Summe am Reichhofrat als kaiserlicher Lehnskammer durch das Kapitel, in manchen Fällen auch durch die neue Äbtissin auf Grundlage des Wahlprotokolls beantragt werden. In der Konfirmationsurkunde erklärte der Kaiser die Wahl für rechtens. In Herford war das Wahlverfahren damit abgeschlossen. Die Äbtissinnen von Essen und Quedlinburg ließen sich hingegen darüber hinaus in Wien mit dem Stift, seinen Rechten und Privilegien in Vertretung feierlich belehnen.48 Schließlich wurde die Bestellung mit dem solennen Amtsantritt abgeschlossen.49 Dabei handelte es sich um eine Kette ritueller und feierlicher Akte wie dem Einzug der Äbtissin, ggf. der Huldigung der Untertanen (Quedlinburg), Festmählern und weiteren Festveranstaltungen. Im Zentrum der Introduktion stand die Inbesitznahme des Stifts und der Abtei. Diese vollzog sich performativ durch Altar- oder Thronsetzung in der Stiftskirche (Essen, Herford) oder durch Herumführen um den Hochaltar (Quedlinburg) sowie die performative Inbesitznahme der Abtei durch das Berühren des Kesselhackens (Essen), die Übergabe der Schlüssel (Quedlinburg) oder die Thronsetzung im Lehnssaal (Herford). Im Vorfeld hatte die neue Äbtissin in der Stiftskirche die Wahlkapitulation zu unterschreiben und einen Eid abzulegen.

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Zur Belehnung s. u. Kap. Knien vor dem Kaiser. S. hierzu auch u. Kap. Mit Pauken und Trompeten.

2.2. Fürstin-Äbtissin

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Wahlkapitulation Wahlkapitulationen sind in den hier behandelten Stiften spätestens seit Ende des 16. Jahrhunderts und auch über das päpstliche (1695) sowie kaiserliche Verbot (1698) hinaus üblich.50 Ihre Vorbilder waren die bischöflichen, später die kaiserlichen Kapitulationen, die bereits seit dem Spätmittelalter bzw. seit Beginn des 16. Jahrhunderts geschlossen wurden.51 Es handelt sich dabei um „Vereinbarungen (confoederationes) der Wahlberechtigten, in denen diese sich während einer Sedisvakanz verpflichteten, im Falle ihrer eigenen Wahl die im Lande geltenden Rechte, die Privilegien der Wähler und die Grenzen der Herrschaftsbefugnis bei ihrer Regierung zu beachten“.52 Urheber waren die Mitglieder der Kapitel, welche die Kapitulation im Vorfeld der Wahl aufsetzten.53 Die neuerwählte Äbtissin musste diese dann im Akt der Introduktion beeiden und gegebenenfalls nochmals unterschreiben, wodurch die Kapitulation in Kraft trat. Im Stift Quedlinburg wurde die Einhaltung der Kapitulation darüber hinaus durch einen Außenstehenden garantiert. Die Kapitulation regelte das innerstiftische Kräfteverhältnis zwischen Äbtissin und Kapitel. Einen zentralen Aspekt in den Verhandlungen und in der ausgefertigten Kapitulation bildete daher die Teilhabe der Kapitel an der Administration des Stifts. Bereits im Vorfeld der Wahl suchten deren Mit____________ 50

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In Herford wurden erste Überlegungen zur Anfertigung einer Wahlkapitulation im 16. Jahrhundert angestellt. Die erste Wahlkapitulation ist für Gräfin Magdalena zu Lippe aus dem Jahr 1586 überliefert (Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1203). In Essen werden die ersten Wahlkapitulationen im Bemühen um die Rekatholisierung des Stifts abgefasst (1575, 1598, 1605). Daher spielt die Wahrung der katholischen Konfession in den Regelungen eine enorme Rolle. In den Kapitulationen seit 1650 trat dieser Aspekt deutlich zurück (vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 105-110). In Quedlinburg scheinen die Wahlkapitulationen mit der Wahl Elisabeths von Regenstein einzusetzen, die 1566 als Coadjutorin versichert, die Privilegien und die lutherische Konfession des Stifts zu wahren. Diese Versicherung wurde jedoch noch als Revers bezeichnet (vgl. KETTNER, Antiquitates Quedlinburgenses, S. 661f.). Eine Kapitulation Hedwigs von Sachsen, wie sie Clemens Bley in seiner Magisterarbeit in KETTNERS Antiquitates Quedlinburgenses entdeckt haben will, konnte nicht ausgemacht werden. Vgl. BLEY, Herrschaft und Symbolisches. Vgl. hierzu allg. BECKER, Pacta conventa. VIERHAUS, Wahlkapitulationen in den geistlichen Staaten, S. 56. Der Vollzug der Kapitulation durch die Kapitularinnen vor der Äbtissinnenwahl war in den beiden evangelischen Stiften seit Mitte des 17. Jahrhunderts nicht üblich, angesichts der Wahl von Frauen extra gremio auch vielfach irrelevant. In Essen hielt man hingegen an diesem Verfahren fest.

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2. Stift und Äbtissin

glieder ihre Stellung gegenüber der späteren Äbtissin zu verbessern.54 Zwar griff man im Wortlaut häufig auf ältere Versionen zurück, aber dennoch wurde der Inhalt nicht selten den konkreten Verhältnissen angepasst. In Essen spielte beispielsweise zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Rekatholisierung des Stifts eine wichtige Rolle, was sich auch in den einzelnen Regelungen der Wahlkapitulationen niederschlug.55 Bei der Wahl einer preußischen, reformierten Coadjutorin sahen sich wiederum die Quedlinburger Kapitularinnen in den 1740er Jahren gezwungen, den Wortlaut der Kapitulation zu verändern, um die lutherische Konfession im Stift festzuschreiben und einer Dynastisierung des Äbtissinnenamtes vorzubeugen.56 Die Wahlkapitulationen gehörten ebenso wie Statuten, Privilegien, verbriefe Rechte und Fundationen zu den ‚Grundgesetzen‘ im Stift, die den rechtlichen Rahmen für die Stiftsherrschaft bildeten. Ein Verstoß gegen die Kapitulation erfüllte somit einen rechtlichen Tatbestand und konnte vor den Reichsgerichten beanstandet werden. Johann Jakob Moser bescheinigte den Wahlkapitulationen daher noch Ende des 18. Jahrhunderts einen vorteilhaften Effekt, indem sie den Despotismus und die Willkür des Fürsten bzw. in diesem Fall der Fürstin gegenüber den Untertanen verhinderten. Er kommt schließlich zu dem Schluss, dass der Wendspruch: Unterm Krummstab ist gut wohnen, in Vergleichung mit den grösten weltlichen Staaten Deutschlands, noch jetzt als Lob und Wahrheit gelten [könne].57

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Vgl. hierzu die Verhandlungen um die Wahlkapitulation der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland. S. u. Kap. Wahlkapitulation, Verfahren, Vertrag. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 106f. S. u. Kap. Grenzen verwandtschaftlicher Besetzungspolitik. MOSER, Ueber die Regierung der geistlichen Staaten, S. 70f.

Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben Es ist die fotzenzeit, gistern ist eine auf die weldt gekommen, ich werde ein kloster anlegen, da können Euer Liebe[n] auch Nonichen furniren oder man muß sie versauffen oder Nonnen daraus machen, menner kriegen sie nit alle.1 So teilte Friedrich Wilhelm I. in Preußen am 24. Juli 1720 dem Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau die Geburt seiner sechsten Tochter Luise Ulrike mit. Tatsächlich war der preußische König in den nachfolgenden Jahren nicht bereit, seine Töchter um jeden Preis zu verheiraten. Er erklärte nach Abschluss der Verhandlungen um die Eheschließung seiner ältesten Tochter Wilhelmine mit dem Markgrafen von Bayreuth: Ich bin nicht gewillet künftig bey verheyrathung meiner Töchter ferner so viel geld wie bißher mit zu geben.2 Vor diesem Hintergrund gewannen die evangelischen Stifte Herford und Quedlinburg für die dynastischen Pläne des preußischen Königs an Bedeutung. Der Eintritt in ein kaiserlich freiweltliches Damenstift stellte eine der wenigen Alternativen zur Ehe als standesgemäßer Versorgung hochadeliger Töchter dar. Gelang diesen im Anschluss der Aufstieg an die Spitze des Stifts, war damit ein Zuwachs an politischem Einfluss verbunden, von dem die jeweilige Fürstin, ihre Herkunftsdynastie bis hin zu ihrem verwandtschaftlichen Beziehungsnetz profitieren konnten. Nicht nur Brandenburg-Preußen, sondern auch andere große Dynastien wie Kursachsen, die verschiedenen pfälzischen Linien oder Holstein-Gottorf konkurrierten daher ebenso wie kleine reichsgräfliche und fürstliche Häuser um die wenigen katholischen und evangelischen Stellen für Frauen in der Reichskirche. Die folgende Analyse der Fallbeispiele gibt Aufschluss darüber, welche Rolle die Einbindung in verwandtschaftliche Beziehungsnetze bei der Besetzung des Äbtissinnenamtes spielte, welche Position die Kandidatin vor wie nach der Bestellung zur Äbtissin innerhalb dieser Beziehungsnetze einnahm, wie sich ihr damit verbundener Handlungsspielraum gestaltete und schließlich inwiefern die Verflechtung in dynastische und verwandtschaftliche Beziehungsnetze das Handeln der Äbtissin als politische Akteurin beeinflusste. ____________ 1

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Friedrich Wilhelm I. an Fürst Leopold I. zu Anhalt-Dessau nach der Geburt seiner Tochter Luise Ulrike (24. Juli 1720), in KRAUSKE (Bearb.), Die Briefe König Friedrich Wilhelms I. an den Fürsten Leopold zu Anhalt-Dessau, S. 170f. Friedrich Wilhelm I. an General-Leutnant Adrian Bernhard von Borcke (22. Okt. 1731): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 König Friedrich Wilhelm I. Nr. W2.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt anhand der Begriffstrilogie Geben, Nehmen, Wiedergeben. Sie spiegelt die reziproke Struktur sozialer Beziehungen in der Vormoderne wider, die auf einer Tauschökonomie basierte.3 Diese findet sich sowohl in der mittelalterlichen Frömmigkeitspraxis der Memoria und dem religiösen Stiftungswesen,4 wo materielle Güter gegen Bittgebet und Fürsprache getauscht wurden, als auch im hierarchischen Verhältnis zwischen Patron und Klient sowie zwischen Lehnsherrn und Lehnsmann, wo Schutz und Beförderung gegen Hilfe und Dienst ausgewechselt wurden.5 Sie besiegelte darüber hinaus in Form der Gabe und Gegengabe das Bündnis zwischen Fürsten oder die Freundschaft zwischen Gleichgestellten.6 Innerhalb einer Dynastie beruhte die Tauschökonomie auf der anteilmäßigen Partizipation des Einzelnen an Besitz, Ämtern und Prestige der Dynastie sowie der Übernahme spezifischer Rollen und der Erfüllung der an diese Rollen gestellten Erwartungen.7 Worin diese Rollen und Rollenerwartungen jeweils bestanden, war das Ergebnis von Aushandlungs-, Setzungs- und Lernprozessen, die selten ohne Reibungen und Konflikte verliefen. Ein Resultat dieser Prozesse war beispielsweise die Durchsetzung der Primogenitur an Stelle der Herrschaftsteilung im Laufe der Frühen Neuzeit oder grundlegender noch die Unterordnung aller Mitglieder unter den patriarchalen Herrschaftsanspruch des Dynastieoberhauptes. Die Dynastie kann als ein „kollektives Unternehmen“8 charakterisiert werden, deren Mitglieder sowohl am kollektiven Gut partizipierten als auch gemeinsam an der Wahrung und Vergrößerung des Besitzstandes beteiligt waren. Trotz der asymmetrischen Binnenstruktur der Dynastie profitierte jedes Mitglied von seiner Zugehörigkeit, die sowohl seine Selbst- als auch die Fremdwahrnehmung bestimmte. Die Unterordnung unter dynastische Interessen wurde ____________ 3

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Grundlegend zum Gabentausch MAUSS, Die Gabe; daran anschließend ZEMON DAVIS, Die schenkende Gesellschaft; BERKING, Schenken. Vgl. RÜTHER, Prestige und Herrschaft; LUSIARDI, Stiftung und städtische Gesellschaft. Vgl. zum mittelalterlichen Lehnswesen als einer reziproken Beziehung zwischen Lehnsherrn und Lehnsmann SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland, S. 27f. Vgl. zur Patronage als einer „Form sozialer Beziehungen […], die auf gegenseitigen Tauschbeziehungen, einer Gabenkultur, beruhte“, DROSTE, Patronage in der Frühen Neuzeit, S. 574 (Zitat). Zur Tauschökonomie am Hof bzw. zwischen Fürsten vgl. STOLLBERG-RILINGER, Zur moralischen Ökonomie des Schenkens; FALCKE, Studien zum diplomatischen Geschenkwesen; HIRSCHBIEGEL, Gabentausch als soziales System?. Zur Tauschökonomie im Kontext von Freundschaft vgl. GRÜNBART (Hg.), Geschenke erhalten die Freundschaft; KÜHN, Wissen, Arbeit, Freundschaft, besonders: S. 167f. Vgl. SPIEß, Familie und Verwandtschaft, S. 454-476. RUPPEL, Verbündete Rivalen, S. 66.

3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

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daher keineswegs prinzipiell als Zwang empfunden, sondern war das Ergebnis eines durch Stand, Status, Konfession und Geschlecht geprägten Bewusstseins.9 Patriarchalischer Herrschaftsanspruch und die Unterordnung der einzelnen Mitglieder unter das Interesse der Dynastie stellten ein Charakteristikum adeligen Lebens in der Vormoderne dar.10 Betrachtet man Aufnahmepraxis, Wahlverhalten und personelle Zusammensetzung in den Stiften Herford, Quedlinburg und Essen, fällt nicht allein auf, welche bedeutende Rolle dynastische Beziehungsnetze dabei spielten, sondern auch, dass eine Begrenzung der Untersuchung auf die Dynastie zu kurz greift. Hier begegneten Äbtissinnen, die ihre Nichten noch zu Lebzeiten zu ihren Nachfolgerinnen aufbauten,11 Adelige, die ihre Schwestern als künftige Äbtissin vorschlugen und eine Reihe von Verwandten und Freunden aufboten, welche die Tugenden und Talente der Kandidatinnen bestätigten,12 Schutzherren, die sich für die Stiftskarriere einer Verwandten einsetzen,13 und schließlich weibliche Mitglieder der immer gleichen und ____________ 9

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Vgl. MEIER, Warum adelige Frauen in ein Stift oder ein Kloster eintraten?, besonders: S. 110f. Vgl. ASCH, Europäischer Adel, S. 99; SPIEß, Familie und Verwandtschaft, S. 454-476. Anna Salome von Salm-Reifferscheidt setzte ihre Nichte Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg nur unter der Bedingung als Haupterbin ihres Testaments ein, wenn diese ihr an der Spitze des Stifts nachfolgen würde. In der nachfolgenden Doppelwahl setzte sich aber dann eine andere Kandidatin durch. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 145, 147. Auch Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach wurde bereits mit fünf Jahren im Stift Thorn präbendiert, wo ihre Tante, Eleonore von LöwensteinWertheim-Rochefort, als Äbtissin amtierte. Diese setzte ihre Nichte, ihr vielgeliebtes bäschen, ebenfalls 1706 zur Universalerbin ein, um somit ihre Karriere im Stift Thorn vorzubereiten. 21-jährig gelangte sie schließlich an die Spitze des Stifts. Vgl. KÜPPERSBRAUN, Fürstin-Äbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach, S. 63; DIES., Frauentestamente, S. 71. Im Fall Franziska Christinas von Pfalz-Sulzbach setzten sich 1726 neben ihrem Vater vor allem der verwandte Pfalzgraf bei Rhein Karl Philipp von Pfalz-Neuburg sowie der ebenfalls verwandte Kurfürst von Köln, Clemens August von Bayern, für ihre Wahl ein. Vgl. die Empfehlungsschreiben: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 40. Noch verzweigter war das verwandtschaftliche und klientele Beziehungsnetz der späteren Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt, für die sich neben ihren Brüdern, Eric Adolf von Salm-Reifferschiedt-Bedburg und Ernst Salentin von Salm-ReifferscheidtDyck, der Kurfürst von Köln, Ferdinand von Bayern, und die Schwägerin des Bruders, Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg, engagierten. Vgl. die Empfehlungsschreiben: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 37. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg unterstützte als Schutzherr des Stifts Herford beispielsweise 1649 Elisabeth Louise von Pfalz-Zweibrücken, eine weiter entfernte Verwandte, 1661 seine Cousine Elisabeth von der Pfalz, 1680 Elisabeth Albtertine

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

verwandten Adelsgeschlechter in den Damenkapiteln.14 Vielmehr muss demnach die Perspektive um größere verwandtschaftliche Beziehungsnetze erweitert werden, um der Sozialstruktur adeliger Personenverbände in der Vormoderne gerecht zu werden. Heide Wunder hat vor diesem Hintergrund bereits 2002 eine geschlechtsspezifische Erweiterung des Konzeptes der Dynastie eingefordert, die neben dem agnatischen Dynastieverband mit Primogenitur und Heiratspolitik als Prinzipien der Dynastiesicherung auch die nachgeborenen Söhne und Töchter sowie deren Nachkommen in den Blick nimmt.15 Karl-Heinz Spieß war zehn Jahre zuvor noch einen Schritt weiter gegangen und hatte neben agnatischem Dynastieverbund auch die ____________

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von Anhalt-Dessau, die Tochter seines Schwagers, 1686 Elisabeth von Hessen-Kassel, die Schwägerin seiner Schwester, und 1688 Charlotte Sophie von Kurland, seine Nichte. Sie alle gelangten schließlich in das Amt der Herforder Äbtissin. Der sächsische Kurfürst Johann Georg I. als Schutzherr des Stifts Quedlinburg sorgte zunächst 1656 für die Bestellung seiner Enkelin Anna Sophia von Hessen-Darmstadt zur Pröpstin, sein Nachfolger beförderte 1678 ihre Wahl zur Coadjutorin und schließlich Äbtissin. Etwas anders verhielt es sich im Stift Essen, wo der kurbrandenburgische Schutzherr als Herzog von Jülich und Graf von der Mark aufgrund konfessioneller Unterschiede keine Kandidatinnen ins Spiel brachte. Hier waren es vielmehr die katholischen reichsgräflichen und später fürstlichen Dynastien, die ihre Töchter, Schwestern und Nichten bei Wahlen unterstützten. Vgl. zu Essen die Prosopographie des Damenkapitels samt Verwandtschaftsbeziehungen in KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 310-379; ebenso zu Quedlinburg in KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 45-104. Weniger eindeutig die Herkunft der Herforder Dekanissinnen, Coadjutorinnen und Äbtissinnen, aber auch hier überwiegen zu bestimmten Zeiten Mitglieder verschiedener Familien. Vgl. die Prospographien in BEI DER WIEDEN, Die Dekanessen und Koadjutorinnen der Reichsabtei Herford, S. 121-130; DERS., Die Herkunft der Äbtissinnen der Reichsabtei Herford, S. 23-30; DERS., Die Äbtissinnen der Reichsabtei Herford, S. 36-46. WUNDER, Dynastie und Herrschaftssicherung, S. 15f. Michaela Hohkamp hat in den vergangenen Jahren auf die Bedeutung von Tanten innerhalb der dynastischen und verwandtschaftlichen Beziehungsnetze hingewiesen. Ihre Forschungen beziehen sich dabei vor allem auf die Relevanz von Tanten-Nichten-Beziehungen auf dem Feld der Erziehung, Eheanbahnung und Schlichtung von Ehekonflikten. Tanten-NichtenBeziehungen spielten darüber hinaus auch in den kaiserlich frei-weltlichen Damenstiften, insbesondere bei Neuaufnahme in das Kapitel oder Wahl in eines der vorhandenen Ämter eine tragende Rolle. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen sowohl Sylvia Schraut für die Onkel-Neffen-Beziehungen im Hause Schönborn bzw. Esteban Maurer für das Haus Fürstenberg als auch Sophie Ruppel für Geschwisterbeziehungen im Hochadel. HOHKAMP, Eine Tante für alle Fälle; DIES., Tanten; SCHRAUT, Verwandtschaftsbeziehungen; DIES., Das Haus Schönborn; MAURER, Das Haus Fürstenberg; RUPPEL, Verbündete Rivalen.

3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

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kognatischen Beziehungsnetze über die mütterliche Seite sowie die nicht blutsverwandte Schwägerschaft berücksichtigt.16 Denn auch die Nachkommen der Töchter und anderer Verwandter wurden wie nachgeborene Söhne in die Pläne eines Dynastieoberhauptes eingebunden. Dies galt insbesondere, wenn für die Besetzung strategischer Positionen keine Nachkommen aus der Kerndynastie zur Verfügung standen. Das verwandtschaftliche Beziehungsnetz beruhte auf einer ähnlichen reziproken Struktur wie die Dynastie. In diesem Zusammenhang waren es unterschiedliche Ressourcen, die von einzelnen Mitgliedern in das verwandtschaftliche Beziehungsnetz eingespeist wurden und an denen die weiteren Angehörigen partizipieren konnten. Diese reichten von finanziellen Hilfen, Dienstleistungen und persönlichem Einsatz über geschultes Personal und soziale Netzwerke bis hin zu Ansehen und Prestige. Anders als in der Dynastie, wo Rechte und Pflichten häufig in Testamenten, Erbschaftsverträgen und Hausgesetzen schriftlich fixiert waren, wurden „die sozialen Beziehungen von Verwandten […] normativ nur schwach reguliert“.17 Es fehlte an klaren Hierarchien und nicht selten an durchgreifenden Sanktionsmechanismen. Außerdem war weniger eindeutig, wer zur Verwandtschaft gehörte und wer nicht. Die Gruppenidentifikation war daher wesentlich stärker auf Zuschreibungen, Loyalitäten und die zufällige Überschneidung von Interessen angewiesen. Wer zur Verwandtschaft zählte und was das für jeden Einzelnen und sein Handeln bedeutete, war das Ergebnis von kontinuierlichen Aushandlungsprozessen oder, mit Pierre Bourdieu, „das Produkt einer regelrechten, zugleich rituellen und sachlichen Setzungsarbeit“,18 an der die einzelnen Mitglieder der Verwandtschaft beteiligt waren. In Anlehnung an die neuere Verwandtschaftsforschung wird hier für eine kulturalistische Lesart plädiert, die Verwandtschaft als kulturelle Konstruktion zur gedanklichen und sprachlichen Strukturierung sozialer Beziehungen versteht. Durch die Verwendung verwandtschaftlicher Termini und Zuschreibungen ordneten und klassifizierten die Akteure ihre sozialen Beziehungen.19 Verwandtschaft ____________ 16

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Karl-Heinz Spieß hat bereits Anfang der 1990er Jahre das Nebeneinander dieser drei Verwandtengruppen in seiner Studie über den spätmittelalterlichen Hochadel konstatiert und somit den Ausschluss der Schwägerschaft aus dem Verwandtschaftsbewusstsein sowie die Dichotomie von agnatischem und kognatischem Denken dekonstruiert. Vgl. SPIEß, Familie und Verwandtschaft, S. 496-500 und 530f. SCHÜTZE, WAGNER, Verwandtschaft, S. 11. BOURDIEU, Praktische Vernunft, S. 130. Anders als die ältere deutsche historische Familienforschung haben die neueren Forschungen zu Verwandtschaftsstrukturen vor allem des Hoch- und Spätmittelaltes ihren

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

konnte also durch Sprache situativ und nicht selten für den Moment hergestellt werden, wenn es für die Akteure von Nutzen war. Unter veränderten Umständen wurden die Grenzen des Verwandtschaftskreises mitunter ganz neu gezogen. Der konkrete Verwandtschaftsgrad spielte in diesem Prozess des ‚doing family‘ oder ‚doing kinship‘ keine Rolle.20 Ein eindrucksvolles Beispiel für diese diskursive ‚Setzungsarbeit‘ bietet Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg. In den Wahlverhandlungen um das Herforder Äbtissinnenamt erklärte er seine Nichte Charlotte Sophie von Kurland zu seiner Tochter.21 Auf diese Weise versuchte er nicht nur, das Kapitel für ihre Wahl zu gewinnen, sondern zielte gleichzeitig darauf ab, die Beziehung zwischen sich und seiner Nichte zu strukturieren. Durch die „terminologische Verdichtung des Verwandtschaftsbezugs“ gelang es ihm, einen „möglichst engen Zusammenhalt zu beschwören“,22 um in Zukunft Unterstützung für seine Interessen bei seiner Nichte einfordern zu können. Denn bei der Einbindung von weiblichen Verwandten in dynastischverwandtschaftliche Planungen ging es nicht nur um deren standesgemäße Versorgung, sondern auch darum, wie sie in Zukunft für die Dynastie und die Verwandtschaft von Nutzen sein konnten. Den Überlegungen lag daher oftmals eine implizierte Kosten-Nutzen-Rechnung zu Grunde, wie der eingangs zitierte Unwille Friedrich Wilhelms I. hinsichtlich der Kosten der Bayreuther Eheschließung zeigt. In diesem Kontext fand bisher allenfalls die Verheiratung der Töchter, mit denen Bündnisse bekräftigt und Erbansprüche gesichert wurden, in

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Blick in Anlehnung an die französische und englische Diskussion um soziale Beziehungsgeflechte weg von den einzelnen Haushalten hin zu Verwandtennetzen erweitert. Vgl. zu den unterschiedlichen Forschungstraditionen den Überblick bei JUSSEN, Perspektiven der Verwandtschaftsforschung. Zur mittelalterlichen Verwandtschaftsforschung siehe die Arbeiten von Bernhard Jussen, Michael Mitterauer, Frank Rexroth, Karl-Heinz Spieß und Simon Teuscher. Zuletzt hierzu die Sammelbände SCHMIDT, GUICHARD, SCHUSTER, TRILLMICH (Hg.), Freundschaft und Verwandtschaft; SPIEß (Hg.), Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters. In Anlehnung an das Konzept des ‚doing gender‘ von WEST, ZIMMERMAN, Doing Gender. Friedrich Wilhelm von Brandenburg an seinen Landdrosten in der Grafschaft Ravensberg Clamor von dem Bussche (8./18. April 1688): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 1211. NOLTE, Familie, Hof und Herrschaft, S. 198; vgl. SPIEß, Familie und Verwandtschaft, S. 499f.

3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

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dynastiegeschichtlichen Forschungen Beachtung.23 Die Wahl an die Spitze eines Damenstifts darf jedoch ebenso wenig wie eine erfolgreiche, militärische Laufbahn als dynastische Sackgasse verstanden werden. Auch an die Wahl einer Äbtissin waren verwandtschaftliche und politische Erwartungen ihrer Verwandtschaft geknüpft. Die herkömmliche Vorstellung des Stifts als Notlösung zur rein finanziellen Versorgung hochadeliger Töchter hat diese Dimension völlig verkannt.24 Bei der Wahl einer neuen Äbtissin standen verwandtschaftliche und politische Motive untrennbar nebeneinander und zeigen, wie eng verflochten beide Sphären in der Vormoderne waren. Karl-Heinz Spieß hob in seiner Arbeit über den spätmittelalterlichen Hochadel zwar bereits den „Komplementärcharakter“ der dynastischen Verhaltensweisen des Hochadels in Relation zu seinem politischen Handeln hervor,25 die politischverfassungsgeschichtliche Komponente der hochadeligen Existenz verschob er jedoch auf eine geplante zweite Studie und nahm somit eine sinnbildliche Trennung zwischen diesen beiden Sphären hochadeligen Lebens vor. Neuere Forschungen zur frühneuzeitlichen Verwandtschaft betonen viel stärker „gerade die strukturbildende Funktion von historischen Verwandtschaftsgefügen für politisches und ökonomisches Handeln“.26 Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive wird gar von der „Untrennbarkeit von privatfamiliärem und öffentlich-politischem Handeln“ gesprochen und beklagt, dass die „hartnäckige Rückprojektion der unsere Denkmuster prägenden starren Dichotomie von Öffentlichkeit und Privatheit […] leider oft den Blick auf Frauen und ihre politischen Rollen in der Vormoderne sowie auch auf die Familie als Gruppe in der Geschichte der Führungsschichten ver____________ 23

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Vgl. zuletzt zu Preußen SCHÖNPFLUG, Friedrich der Große als Ehestifter; ZIELOSKO, Die Dyanstie als Ressource; PONS, Die faktische Kraft des Möglichen. Zu den Wettinern vgl. WALTHER, Die (Un-)Ordnung der Ehe; KNÖFEL, Dynastie und Prestige. So etwa bei REIF, Westfälischer Adel, im Hinblick auf den ritterschaftlichen Adel. Zwar betont Heinz Reif sowohl die Kosten, welche mit der Ausbildung und Unterbringung der Töchter in den umliegenden, in der Regel mittelbaren Stiften verbunden waren (S. 74f., 88), als auch den Ansehens- und Einflussgewinn der Familie, wenn eine Tochter ins Amt der Äbtissin aufstieg (S. 118). Darüber hinaus charakterisiert er das Stift jedoch als „notwendiges Mittel, die ansonsten funktionslosen unverheirateten Töchter leidlich zu versorgen“ (S. 119). Die Stiftsdamen fristeten, seiner Aussage nach, eine „[kümmerliche], [unproduktive] Stiftsexistenz“, die durch „[abnehmende] [Familienkontakte]“ (S. 120) geprägt gewesen sei. SPIEß, Familie und Verwandtschaft, S. 8. HOHKAMP, Editorial: Tanten, S. 3.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

stellt“ hat.27 Im Anschluss an die vielfältigen Arbeiten zur adeligen Heiratspolitik wird hier die irreführende Gegenüberstellung von ‚Öffentlichkeit‘ und ‚Privatheit‘ vermieden und, gerade mit Blick auf die Reichsäbtissinnen, die Vorstellung, Frauen seien in der Vormoderne prinzipiell von der öffentlich-politischen Sphäre ausgeschlossen gewesen, zurechtgerückt.28

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RUPPEL, Verbündete Rivalen, S. 78f. Vgl. auch HAUSEN, Öffentlichkeit und Privatheit. Vgl. KNÖFEL, Dynastie und Prestige; HUFSCHMIDT, Adelige Frauen im Weserraum.

3.1. Geben

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3.1. Geben 3.1. Geben

Als am 4. Februar 1729 die verwitwete Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg zur neuen Äbtissin des Stifts Herford erkoren wurde, verkündete der eigens zur Protokollierung dieses Aktes bestellte kaiserliche Notar öffentlich, dass das Kapitel heute nach anleitung der Statuten und alter observantz eine Neue Wahl vorgenommen habe, bei welcher die Markgräfin aufgrund dero hohen Begabniß und incomparabler hochfürstlicher Qualitaten zur Äbtissin und Fürstin mit behörigen Solennitaten rité und einmühtiglich postuliret worden sei. In dieser öffentlichen Verlautbarung legte er besonderen Wert darauf zu betonen, dass die postulations Wahl nach denen Canonischen Rechten auch des Stifftes und Capituli löblichen herkommen in ruhe und Einigkeit [bewerckstelligt] worden sei.1 An dieser Stelle unerwähnt blieben sowohl die Wahlabsprachen zwischen dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. und seinen Beamten auf der einen sowie den Kapitularen und Kapitularinnen auf der anderen Seite als auch der Widerstand der vormaligen Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland sowie später dann der Dekanissin Eleonore von Hessen-Homburg. Denn sowohl der Status der Markgräfin als auch die Art und Weise ihrer Bestellung waren erklärungsbedürftig: Erstens wurde mit Johanna Charlotte von Brandenburg einmalig in der frühneuzeitlichen Herforder Stiftsgeschichte eine Witwe zur Äbtissin bestellt. Zweitens konnte sie als Kandidatin extra gremio nicht gewählt, sondern nur mit einer absoluten Mehrheit postuliert werden. Angesichts der innerstiftischen Widerstände erforderten diese Umstände die Anwendung verschiedener Strategien durch die preußischen Unterhändler, damit die Markgräfin nach mehr als zwölfjährigen Verhandlungen zur Äbtissin bestellt werden konnte. Ihr Mann Markgraf Philipp Wilhelm von Brandenburg, der Begründer der apanagierten Nebenlinie Brandenburg-Schwedt des Hauses Brandenburg-Preußen, war bereits 17 Jahre zuvor gestorben. Die Herrschaft Schwedt ging an ihren noch minderjährigen Sohn über. Johanna Charlotte war seitdem auf die Gunsterweise des preußischen Königs angewiesen. Sie musste beim König sowohl um den Verbleib in ihrem Berliner Palais als auch um den weiteren Gebrauch ihres Silbergeschirrs bitten.2 Selbst die ____________ 1

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Notariatsprotokoll (4. Febr. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Ursprünglich war Johanna Charlotte im Ehevertrag Schloss Calbe an der Saale als Witwensitz zugewiesen worden. Aber sowohl Friedrich I./III. als auch nach dessen Tod Friedrich Wilhelm I., die beide ein enges, freundschaftliches Verhältnis zur Markgräfin

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

künftige Erziehung der markgräflichen Kinder durch die Mutter war keineswegs gesichert, da diese der Vormundschaft des Königs unterstellt wurden.3 Als Witwe war Johanna Charlotte zwar durch ihre Heirat ein Mitglied, dann aber doch auch wieder eine „eigentumslose Fremde“4 in der brandenburgisch-preußischen Dynastie. Gemäß ihrem Ehevertrag besaß die Markgräfin weder einen Anspruch auf die Schwedter Herrschaft, noch konnte sie über die eigenen, unmündigen Kinder verfügen, die ein Teil der Dynastie ihres Mannes waren.5 Sie hatte aber das Recht auf eine standesgemäße Witwenversorgung.6 Die Sorge hierfür oblag dem preußischen König als Ober____________

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unterhielten, hießen es für gut, das Johanna Charlotte ihren Witwensitz im Markgrafenpalais nahm. Vgl. WINTZINGERODE, Schwierige Prinzen, S. 176f. Die Regelungen zur Unterhaltung der markgräflichen Familie traten dann jedoch erst unter Friedrich Wilhelm I. in Kraft. Vgl. Recess wegen des Hochseeligen Herren Marggraffen Philip Wilhelm hinterlaßenen Fürstlichen Familie (15. März 1717): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 31. Vgl. ebd. SPIEß, Witwenversorgung im Hochadel, S. 104. Vgl. ebd., S. 104f. Nach dem Tod des Markgrafen wurde ihr eine jährliche Apanage von 6.000 Reichstalern zugesprochen. Aus diesen Einkünften musste die Markgräfin alle ihre Ausgaben samt Hofstaat finanzieren. Bis zur Volljährigkeit übernahm sie zunächst auch noch gemeinsam mit zwei bestellten Vormundschaftsräten die Verwaltung der Gesamteinnahmen der markgräflichen Familie, die sich nur unwesentlich von den Einnahmen zu Lebzeiten ihres Mannes unterschieden. Nach dem Regierungsantritt ihres Sohnes hatte die Markgräfin dann jedoch keinen Zugriff mehr auf die Einkünfte aus der Herrschaft Schwedt. Die Apanage setzte sich wie folgt zusammen: 4.000 Reichstaler musste ihr Sohn als Erbe zum Unterhalt der Mutter aufbringen. Diese wurden um weitere 2.000 Reichstaler durch den König aufgestockt. Diese Aufstockung diente als Entschädigung für die der Markgräfin zustehende Möblierung ihres Witwensitzes. Bereits Friedrich I./III. hatte zu Lebzeiten diesen Betrag bewilligt, um die Mehrkosten der Markgräfin durch ihren dauerhaften Aufenthalt in Berlin auszugleichen. Dabei handelte es sich nicht um eine dauerhafte Zahlung, vielmehr scheint sie an den Wohnsitz der Markgräfin in Berlin gebunden gewesen zu sein. Denn erst ab 1736 wurde ihre Pension dauerhaft um 2.000 Reichstaler durch Friedrich Wilhelm I. aufgestockt – ausdrücklich auch für ihren Unterhalt in Herford. Charlotte Sophie an Friedrich Wilhelm I. (1. März 1736): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 171. Hinzu kamen weitere Einkünfte aus Wittum und die Morgengabe in Höhe von 3.300 Reichstalern, für die ebenfalls der Markgraf aufkommen musste. Als Wittum wurde der Markgräfin das Allodialgut Biesenbrow zugewiesen mit jährlichen Einnahmen von 1.601 Reichstalern beim Tod des Markgrafen 1711. Vgl. WINTZINGERODE, Schwierige Prinzen, S. 172f., 177f. Protokoll der Kommission zur Inventarisierung des Gutes (22. Juni 1713): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 30. Die weiteren 300 Reichstaler ergaben sich wahrscheinlich aus den Zinsen, die ihre bei Heirat übergebene Morgengabe einbrachten. Einen Teil ihrer Witwenversorgung brachte

3.1. Geben

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haupt der Dynastie. Er und seine Minister waren die Adressaten für die Bittgesuche der Markgräfin, die Kosten für ihren Unterhalt und Hofstaat zu übernehmen und angesichts der Ausgaben für ihren dauerhaften Aufenthalt im teuren Berlin ihre Bezüge aufzustocken.7 Später agierten sie in den Unterhaltsstreitigkeiten zwischen Johanna Charlotte und ihrem Sohn Friedrich Wilhelm als schiedsrichterliche Instanz.8 Die Versorgung der Witwe wurde nicht selten von den Haupterben als Last empfunden, so dass es wiederholt zu innerfamiliären Spannungen kam.9 Eine vom König eingesetzte Kommission entschied schließlich, dass der Markgraf seiner Mutter auf Lebenszeit eine jährliche Pension in Höhe von 4.000 Reichstalern zahlen musste.10 Der standesgemäße Unterhalt der verwitweten Markgräfin stellte einerseits eine finanzielle Belastung für ihren ältesten Sohn als Haupterben und ande____________

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das Wittumsgut (1601 Reichstaler) ein, das Defizit musste aber vom Markgrafen beigesteuert werden. Vgl. allgemein zur adeligen Witwenversorgung MARRA, Allianzen des Adels, S. 169-175. Obwohl im Spätmittelalter angesiedelt, grundlegend auch für die Frühe Neuzeit, da sich die Praxis nicht veränderte, SPIEß, Witwenversorgung im Hochadel, besonders: S. 92-100. Vgl. Hofhaltung und Unterhalt der Markgräfin Johanna Charlotte: Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 28. Vgl. auch WINTZINGERODE, Schwierige Prinzen, S. 177. In diesem Zusammenhang stockte Friedrich Wilhelm I. die bereits im Ehevertrag verbriefte Pension von 4000 Reichstalern um weitere 2000 Reichstaler auf. Vgl. ebd., S. 131 sowie Recess wegen des Hochseeligen Herren Marggraffen Philip Wilhelm hinterlaßenen Fürstlichen Familie (15. März 1717): GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 31. Ursache dessen war die fortschreitende Entfremdung zwischen Mutter und Sohn, deren Wurzeln bis in die Jugendzeit des Markgrafen Friedrich Wilhelm zurückreichten. Wintzingerode berichtet von einer „heftigen Konfrontation“ zwischen Johanna Charlotte und dem von ihr neu bestellten Hofmeister ihres Sohnes auf der einen sowie dessen bereits langjährigen Lehrer auf der anderen Seite, „die prägend für das Verhältnis des Prinzen zu seiner Mutter und zur königlichen Familie insgesamt wurde“. Der Hofmeister warf dem Lehrer nach kurzer Dienstzeit vor, nicht nur keinen Lernerfolg beim Prinzen zu erzielen, sondern Friedrich Wilhelm darüber hinaus gegen seine Mutter aufzubringen. Er konnte sich mit diesen Vorwürfen durchsetzen, der Lehrer musste seinen Abschied nehmen. Vgl. WINTZINGERODE, Schwierige Prinzen S. 252f. Mitte der 1730er Jahre verweigerte der Markgraf die weitere Auszahlung von Unterhaltsgeldern. Friedrich Wilhelm von Brandenburg an Friedrich Wilhelm I. (13. Juni 1735): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 201. Vgl. SPIEß, Witwenversorgung im Hochadel, S. 100. Spieß hat in seinen Studien ein breites Spektrum an praktischen Umsetzungsformen adeliger Witwenversorgung „zwischen Luxus und Verarmung, zwischen Familienanschluß und Einsamkeit“ herausgearbeitet. Gutachten der vom König in der Unterhaltsfrage eingesetzten Kommission (17. Nov. 1735): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 201.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

rerseits einen innerdynastischen Konfliktherd für Friedrich Wilhelm I. als Oberhaupt der Gesamtdynastie und Garanten der innerdynastischen Ordnung dar. Hinzu kam das persönliche Interesse des Königs an einer vorteilhaften Versorgung seiner fast gleichaltrigen Tante, mit der ihn eine freundschaftliche Beziehung verband. Zeugnis dafür sind nicht zuletzt der private Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm und Johanna Charlotte in den 1730er Jahren sowie die königlichen Gunsterweise gegenüber der alte[n] Tante Lotte.11 Um die standesgemäße Versorgung der Markgräfin dauerhaft zu sichern, bot sich neben ihrer Wiederverheiratung der Eintritt in eine geistliche Stiftung als einem traditionellen „Ort der ‚Witwenherrschaft‘“12 an. Infrage kam zu allererst das Stift Herford, dessen Mitglieder ebenso wie die Markgräfin und das preußische Königshaus bereits seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert mehrheitlich der reformierten Konfession angehörten.13 Zudem hatten bereits die beiden Vorgänger Friedrich Wilhelms I. ihre Stellung als Schutzherren des Stifts und den damit verbundenen Einfluss wiederholt erfolgreich genutzt, um Kandidatinnen aus ihrem Verwandtenkreis an die Spitze des Stifts zu befördern. Schließlich war Herford ein kaiserlich frei-weltliches Stift, dessen Äbtissin gleichzeitig Fürstin des Reiches war, und galt damit als eine der wenigen standesgemäßen Positionen für hochadelige Frauen innerhalb der Reichskirche. Bereits 1716 fassten Friedrich Wilhelm I. und seine Minister den Plan, Johanna Charlotte als Nachfolgerin der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland zu etablieren. Wie bereits angedeutet, handelte es ____________ 11

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Johanna Charlotte von Brandenburg an Friedrich Wilhelm I. (28. Sept. 1728): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 171. Hierzu zählte die Renovierung ihrer Berliner Orangerie, die Aufstockung ihrer Apanage sowie die zusätzliche Lieferung von Holz und Naturalien. Themen dieses Briefwechsels waren vor allem die Krankheiten des Königs und der Markgräfin, in denen sie sich gegenseitig Beistand leisteten. Wiederholt forderten sie sich darüber hinaus gegenseitig auf, dem jeweils anderen einen Besuch abzustatten. Johanna Charlotte hatte sich seit 1734 zunehmend ins Herforder Stift zurückgezogen, während sie zu Beginn ihrer Regierung die Wintersaison noch überwiegend in Berlin verbracht hatte. Teile dieses Briefwechsels wurden kürzlich erst durch Heinrich Jobst Graf von Wintzingerode zusammengetragen. Vgl. WINTZIGERODE, Schwierige Prinzen, S. 205-215. SCHATTKOWSKY, Witwenherrschaft in der Frühen Neuzeit, S. 18. Anders als von Wintzingerode unterstellt war jedoch der exklusive Zugang von Angehörigen der reformierten Konfession nirgends rechtlich fixiert, sondern allenfalls das Ergebnis der Praxis im 17. und 18. Jahrhundert. Als 1745 der preußische König die Wahl einer lutherischen Coadjutorin protegierte, stieß er dabei nicht auf rechtliche Probleme. Vgl. WINTZINGERODE, Schwierige Prinzen, S. 182. Vgl. zur konfessionellen Ausrichtung: BEI DER WIEDEN, Die konfessionellen Verhältnisse.

3.1. Geben

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sich um ein schwieriges Unterfangen, das seinen Niederschlag in umfangreichen Aktenkonvoluten in der Überlieferung des Stiftes, der lokalen preußischen Regierungsinstanzen und des Geheimen Rates in Berlin fand. Aufgrund der Langwierigkeit und Vielschichtigkeit der Wahlverhandlungen bietet sich das Beispiel der Postulation Johanna Charlottes an, um die vielfältigen Strategien der beteiligten Akteure in der Konkurrenz um die knappe Ressource Damenstift zu untersuchen. Weitere Beispiele aus den drei Stiften von Herford, Quedlinburg und Essen illustrieren und ergänzen im Folgenden dieses Bild.

Strategien: Verwandtschaftliche Beziehungen, … Zwar stand mit der amtierenden Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland eine Verwandte des preußischen Königs an der Spitze des Stifts, aufgrund anhaltender Konflikte war es jedoch zu einer Entfremdung zwischen beiden gekommen.14 In den ersten Gesprächen über die Wahl einer Nachfolgerin zeigte sich Charlotte Sophie zwar zunächst verhandlungswillig. Schließlich ließ sie die Verhandlungen aber dennoch platzen.15 Denn die Äbtissin war nicht bereit, ihre Zusage gegenüber der Markgräfin, sie bei der Wahl zur Coadjutorin zu untertstützen, auf weitere preußische Prinzessinnen auszudehnen für den Fall, dass die Markgräfin vorzeitig sterben sollte. Bei ihnen handelte es sich um die Töchter ihrer Nichte, einer ebenfalls geborenen Herzogin von Kurland.16 Charlotte Sophie nutzte diese verwandtschaftliche Verbindung, um ihre Ablehnung argumentativ zu untermauern. Neben dem jugendlichen Alter ihrer Großnichten, das sie vorerst auf der Grundlage des

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1688 noch selbst mit der Unterstützung des Großen Kurfürsten und Friedrichs I./III. ins Amt der Äbtissin gelangt, geriet sie bereits kurz nach ihrem Amtsantritt zunehmend in einen politisch motivierten Gegensatz zu ihrer kognatischen, kurbrandenburgischen Verwandtschaft. Dieser gipfelte schließlich in einem rechtlich, diplomatisch und militärisch ausgetragenen Konflikt, der zweimaligen Flucht der Äbtissin aus ihrem Stift sowie ihrem endgültigen Gang ins Exil. S. u. Kap. Geldsorgen, Sanktionen. Projekt des Revers, der dem Regierungsrat von Osten zur Vollendung des Geschäftes übersandt wurde (o.D.): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Hierbei handelt es sich um Marie Dorothea von Kurland, die 1703 den Markgrafen Albrecht Friedrich geheiratet hatte und damit die Schwägerin ihres eigenen Vaters geworden war, der bereits 1691 in zweiter Ehe Albrechts Schwester, Elisabeth Sophie, geehelicht hatte.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

kanonischen Rechts von der Nachfolge ausschloss,17 betonte sie den durch die Reichsverfassung und den Kaiser garantierten Wahlcharakter des Äbtissinnenamtes: Der Kaiser müsse glauben, sie wolle das imediate Kayserliche freye Reichs Stifft Herford auff Unsere Churländische Familie […] transferiren, Ihro daßelbe durch ungewöhnliche pacta Sussessoria gleichsam Erblich […] machen, mithin einen Statum electitium in haereditarium zu verwechseln, und Eine Erbfolge darauß […] machen.18

Damit erteilte sie der verwandtschaftlichen Dimension dieser Wahlabsprachen eine Absage – zumindest was ihre brandenburgisch-kurländischen Nichten betraf. Denn statt auf eine preußische Nachfolgerin richtete sie ihr Augenmerk auf eine hessische Prinzessin – wohl Eleonore von HessenHomburg, die Tochter ihrer bereits verstorbenen Schwester.19 Von ihr erwartete die Äbtissin verwandtschaftliche Loyalität und eine Stärkung ihrer Position gegenüber dem Kapitel.20 ____________ 17

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Das kanonische Recht sah vor, dass die Kandidatin 30 Jahre alt war. Dieses Mindestalter wird sowohl von Hans Goetting für das Stift Gandersheim als auch Bernhard Theil für das Stift Buchau festgemacht. Andernfalls war es nötig, einen Altersdispens beim Kaiser zu erlangen. Ursprüngliche Instanz für Dispense dieser Art ist die päpstliche Kurie gewesen. Seit der Reformation hatte der Kaiser viele dieser Aufgaben im Hinblick auf die evangelischen Stifte übernommen. In der Geschichte des Stifts hatte zuletzt Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau bzw. ihr Vater bei der Wahl zur Coadjutorin 1680 einen solchen Dispens in Wien erwirkt. Dabei handelte es sich also keineswegs um eine unübliche Praxis. Vgl. kaiserlicher Dispens (15. April 1680): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 258. Vgl. GOETTING, Gandersheim, S. 156; THEIL, Buchau am Federsee, S. 96. Charlotte Sophie von Kurland an den Regierungsrat von Osten (14. Febr. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Charlotte Sophie von Kurland hatte bereits während der ins Stocken geratenen Verhandlungen um die Wahl Johanna Charlottes von Brandenburg zu ihrer Nachfolgerin Kontakt mit dem hessischen Hof in Kassel aufgenommen. In Berlin hegte man bereits die bittere Befürchtung, wen die Abdissin des Landgraffen Eingebungen folgen will, Wir Uns von der gantzen Sache wenig gutes zu promittiren haben, weil der Landgraf die Coadjutorie, und künftige Succession in dem Stifft Hervord der zu Cassel sich aufhaltenden Printzessin von Hessen Homburg destiniret hat, mit welcher Uns aber gantz und gar nichts gedienet ist, weilen gedachte Printzeßin ohne zweifel denen Casselischen Wegen der Hervordischen Abdey führenden Maximen folgen würde, welche aber Unserem Interesse niemahlen verträglich gewesen. Etatsminister Heinrich Rüdiger von Ilgen an Regierungsrat von Osten (6. Febr. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Diese Erwartungen rührten daher, dass sie die Prinzessin nach dem frühen Tod ihrer Mutter aufgenommen und an ihrer Hochseeligen Frau Mutter stat sich um ihre Erziehung ge-

3.1. Geben

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Nicht nur verwandtschaftliche Verbindungen in das Stift konnten im Wahlverfahren von Vorteil sein. Ebenso konnten sich anderweitige verwandtschaftliche Beziehungen der Kandidatin in den Verhandlungen auszahlen. Denn nicht zuletzt in Krisenzeiten stieg das Interesse der Stiftsverantwortlichen an einer Kandidatin mit einem Mehr an sozialem Kapital. Als Anfang des 18. Jahrhunderts etwa die Stelle der Quedlinburger Äbtissin wiederbesetzt werden musste, entschieden sich die Kapitularinnen für Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf, weil kein Princessinn in Teutschland des Stiffts gerechtsahme mit mehrern nachdruck und effect, alß die hiesige, wird mainteniren können, wegen des appui, so Seine [sic.] durchlaucht von dem König in Schweden haben sowie ihrer ebenfalls verwandtschaftlichen Verbindung zur Königin von Großbritannien.21 Während der schweren Kriegsleuffen des 30-jährigen Krieges empfahl die Ritterschaft der Grafschaft Mark den Kapitularen des Essener Stifts 1646 die Wahl einer Äbtissin, die mit den grafen in correspondentz stehe undt sonsten mit den benachparten in allsolcher freundschafft familiaritäth und vertrawen seye, daß [sie] den Unterthanen schutz unddt schiermb, undt den benachparten freundschafft könne erweisen. Gleichzeitig schlug die Ritterschaft die Gräfin Claudia Seraphina von Wolkenstein vor, die nicht nur diese Bedingung erfüllen könne, sondern deren Vetter als Gesandter des Kaisers an den Friedenskongressen in Osnabrück und Münster teilnahm und daher dem Stiffte Essen allsolchen vohrstandt, undt behulff kann erweisen, dergleich nicht paldten von anderen hohen standespersohnen zugewerttiegen wäre.22 Nichtsdestoweniger konnte unter gegebenen Umständen auch das Fehlen mächtiger Fürsprecher ausschlaggebend sein und verwandtschaftliche Verbindungen zum Scheitern einer Kandidatin führen. Als sich 1688 im Stift Essen zwei Kandidatinnen aus alten reichsgräflichen Familien gegenüberstanden,23 von denen eine, Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg, die Nichte und designierte Nachfolgerin der verstorbenen Äbtissin war, setzte sich schließlich die Kontrahentin Anna Salome von Mander____________ 21

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kümmert hatte. Vgl. Charlotte Sophie von Kurland an Eleonore von Hessen-Homburg (14. Jan. 1722): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1054. Königin Anne war eine Tante der Herzogin von Holstein-Gottorf und unterstütze seit 1708 maßgeblich deren Wahl zur Äbtissin von Quedlinburg. Instruction für die holsteinische Unterhändlerin, Fräulein von Moltcke, durch den Gottorfer Geheimen Rat, Freiherr Georg Heinrich von Görtz (7. April 1708): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380I. Empfehlungsscheiben der Ritterschaft in der Grafschaft Mark für die Gräfin Claudia Seraphina von Wolkenstein (7. Mai 1646): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 35. Bernhardine Sophia von Ostfriedland und Rietberg (reg. 1691-1726), Anna Samome von Manderscheid-Blankenheim (reg. 1688-1691).

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

scheid-Blankenheim durch, obwohl für sie kein einziges Empfehlungsschreiben eingegangen war – ein einzigartiger Fall in der Essener Stiftsgeschichte.24 Aus Sicht der Kapitularinnen sprachen für Anna Salome wohl vor allem ihre Distanz zu den Jesuiten, die unter ihrer Vorgängerin massiv an Einfluss gewonnen hatten, und damit die Hoffnung auf eine stärker an reichsgräflichen Interessen ausgerichteten Politik.25 Als die Wahl wenig später durch das päpstliche Gericht wegen angeblicher Ungereimtheiten aufgehoben wurde und Papst Alexander VIII. auf Grundlage seines jus devolutionis eine Äbtissin ernannte,26 war es erneut die Gräfin von ManderscheidBlankenheim, die sich trotz einer Offensive von Fürsprechern für Bernhardine Sophia durchsetzte.27 Gegen die Gräfin von Ostfriesland und Rietberg sprach wohl nicht zuletzt das unglückliche Engagement ihres Bruders Franz Adolf Wilhelm bei der Doppelwahl im Kurfürstentum Köln im Juli 1688. Trotz päpstlicher und kaiserlicher Bestätigung für Joseph Clemens von Bayern trat er bis zum Schluss entschieden für dessen Gegenkandidaten Wilhelm Egon von Fürstenberg ein.28 Einen Zusammenhang zwischen den beiden Wahlvorhaben stellte zumindest der Generalvikar von Münster her, ein Freund des Hauses Rietberg und Fürsprecher Bernhardine Sophias in dem missglückten Wahlvorhaben.29 Nur ein Jahr später verkehrten sich die Umstände. Nach dem frühen Tod Anna Salomes gelangte Bernhardine Sophia schließlich doch mit großer Mehrheit an die Spitze des Essener Stifts.30 Während es den Mitgliedern der beiden Kapitel darum ging, nicht noch einmal die stiftische Autonomie durch die Anwendung des päpstlichen jus ____________ 24

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Weder Ute Küppers-Braun noch die Verfasserin konnten in ihren intensiven Quellenrecherchen ein solches ausfindig machen. Vgl. zu den beiden Kandidatinnen KÜPPERSBRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 144-148, 148-152. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 147f. Statt einer einfachen Wahl wurde eine Postulation angestrengt, weil Anna Salome von Manderscheid-Blankenheim als amtierende Äbtissin von Thorn nicht gewählt, sondern nur postuliert werden konnte. In dem Wahlverfahren war zunächst keine Zweidrittelmehrheit erreicht worden, die für eine rechtskräftige Postulation gemäß kanonischem Recht notwendig war. Daraufhin hatte sich ein Teil der Minderheit der Mehrheit angeschlossen. Aber auch das war bei einer Postulation nicht rechtens. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 145. Zu den Fürsprechern gehörten sowohl die Fürstbischöfe von Münster und Paderborn als auch die Jesuiten in Essen und Emmerich. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 146f. Vgl. BRAUBACH, Das Kölner Domkapitel und die Wahl von 1688. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 150. Wahlinstrument (5. April 1691): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Nr. 39, fol. 544r547v.

3.1. Geben

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devolutionis zu gefährden,31 suchten kirchliche Kreise nach einer Möglichkeit, das Stift stärker in die lokale kirchliche Hierarchie einzubinden. Vor diesem Hintergrund musste Bernhardine Sophia, die nach dem Tod ihres letzten Bruders weder familien-, noch standespolitische Rücksichten mehr nehmen musste, als geeignete Kandidatin erscheinen.32 Statt bei Familie, Verwandten und Freunden fand sie Hilfe und Unterstützung bei den Jesuiten, die nicht weniger Einfluss auf die Belange des Stifts ausübten als die ein oder andere Herkunftsfamilie.33

… Geld,… Ein weiteres Mittel, das Friedrich Wilhelm I. in Preußen bereit war, in den Herforder Wahlverhandlungen anzuwenden, bestand in der Erfüllung finanzieller Forderungen der amtierenden Äbtissin. Die ursprünglich beanspruchten 20.000 Reichstaler überstiegen aber die Grenzen der königlichen Zahlungsbereitschaft.34 Immerhin willigte er ein, 8.000 Reichstaler an die Äbtissin zu zahlen. Der Einsatz finanzieller Mittel war keine Seltenheit im Zusammenhang von Wahlverfahren in der frühneuzeitlichen Reichskirche. Im Umfeld von Bischofswahlen sind im 18. Jahrhundert nachweislich enorme Summen geflossen.35 Auch in den mindermächtigen kaiserlich freiweltlichen Damenstiften spielten finanzielle Argumente eine Rolle. Hierbei ist jedoch zwischen regulären Wahlgeldern und Gebühren sowie anderen Geldern und Geschenken zu unterscheiden. Im Stift Herford fielen sogenannte Wahlgelder sowohl bei der Wahl einer Dekanissin als auch bei der Wahl einer Coadjutorin bzw. Äbtissin an. Diese bestanden einerseits aus ____________ 31

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Man wollte keinesfalls riskieren, dass noch einmal eine Wahl für ungültig erklärt wurde, und traf diesbezüglich Vorsichtsmaßnahmen. Hierauf verweist ein Konzept mit der Überschrift Formulare et solennitates pro Canonica Electione juxta Cap. quia propter 42. de Elect. Das heißt, die Mitglieder der Kapitel waren diesmal stark darauf bedacht, den kanonischen Rechten nicht zuwider zu handeln. Vgl. Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 52, fol. 33r-40r. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 148, 150f. S. u. Kap. Externe Berater. Friedrich Wilhelm I. an den Landdorsten Clamor von dem Bussche und Landschreiber und Hofrat Arnold Henrich von Meinders (10. Nov. 1716): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Die Wahl Erzherzogs Maximilian Franz zum Bischof von Münster und Kurfürsten von Köln kostete seine Mutter Maria Theresia Ende des 18. Jahrhunderts insgesamt mehr als 100.000 Gulden. Vgl. BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 51, hier insgesamt zur kaiserlichen Reichskirchenpolitik: S. 41-52.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Verwaltungsgebühren, andererseits aus sogenannten Statutengeldern, die gemäß der Stiftsstatuten an die Mitglieder des Kapitels flossen.36 Dies galt sowohl in Essen als auch in Herford ebenso im Falle der Investitur einer neuen Stiftsdame.37 Während Verwaltungsgebühren und Statutengelder das Ergebnis innerstiftischer Verhandlungen waren, die im Anschluss in Statuten, Wahlkapitulation und Kanzleiordnungen rechtlich verankert wurden, finden sich auch Hinweise auf Bestechungsmaßnahmen. Die Herforder Äbtissin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf forderte beispielsweise als Gegenleistung für die Unterstützung der preußischen Prinzessin Friederike bei der Wahl zur Coadjutorin 1755 eine fürstliche Kutsche samt sechs Pferden.38 Im Fall Maria Kunigundes von Sachsen, die 1775 mit Unterstützung der Kaiserin Maria Theresia zunächst zur Coadjutorin von Essen und Thorn gewählt worden war und dort wenig später Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach als letzte Äbtissin folgte, beliefen sich die finanziellen Aufwendungen auf mehr als 20.000 Reichtaler.39 Neben den üblichen Gebühren und Statutengeldern zählten hierzu auch die bey diesen Wahlen hergebrachte und unumgänglich nöthigen Versprechungen vor diejenige, deren Stimmen anders nicht zu gewinnen wären.40 Dabei hatten sowohl die Prinzessin selbst als auch vor allem ihr Bruder, der Kurfürst von Trier, darauf bestanden, daß die dabey anzuwendenden Mittel auf keine Simonie hinausgehen und nicht denen Canonischen Sazungen nach ohnerlaubt ____________ 36

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Vgl. die Herforder Statuten (um 1700) § 11: Abbatissa giebt pro Electione jeden Capitularen ein honorarium ad 100. fl.: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1067. Verzeichnis der Abgaben, welche die Prinzessinnen oder Gräfinnen bei Übernahme einer Präbende der Äbtissin etc. stellen müssen (17. Jh.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1129. Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg, der Vater Friederikes, beschwerte sich bei seinem Vetter Friedrich II. wegen der immensen Kosten, die das Herforder Wahlgeschäft mit sich brächte. Vgl. Friedrich Heinrich von Brandenburg an Friedrich II. (28. März 1755): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1123. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 169; WIEDEMANN, Die Wahl der Prinzessin Maria Kunigunde von Sachsen, S. 73. Während der Wiener Hof ca. 15.000 Reichstaler an Kosten kalkulierte, rechneten die verantwortlichen Räte an den Höfen in Dresden und Koblenz – Maria Kunigunde lebte seit einigen Jahren am kurfürstlichen Hof in Koblenz bei ihrem Bruder Clemens Wenzeslaus – sogar mit bis zu 40.000 Reichstalern. Vgl. Bericht des kursächsischen Gesandten aus Wien (8. Juni 1774) sowie die Antwort der Minister aus Dresden (13. Juni 1774): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 308r-309r, 313r-314r. Bericht des kursächsischen Residenten in Wien an das Dresdener Kabinett (26. Febr. 1774): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 136r-142v.

3.1. Geben

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sein dürften.41 Auf Seiten des sächsischen Kurfürsten und seiner Minister, die in die Wahlverhandlungen stark eingebunden waren, pflichtete man der Ablehnung simonistischer Handlungen zwar bei, erklärte aber gleichzeitig Sich in der Erstreckung solcher Regel […] nicht zu irren. Die bloßen Bezeugungen und reziproque Gewärtigungen einer anständigen und denen gefälligen Diensterweisungen angemeßenen nachherigen Erkänntlichkeit könne ihrer Meinung nach damit nicht in Zusammenhang gebracht werden.42 Hier standen sich zwei konkurrierende Normen gegenüber: einerseits das freie kanonische Wahlrecht und das Verbot des Ämterkaufes durch die tridentinischen Reformen, andererseits die Beförderung einer Verwandten durch die Bereitstellung von Bestechungsgeldern. Ein solches Nebeneinander konkurrierender Normen war geradezu typisch für die Vormoderne und bedurfte – anders als in der Moderne – keiner Vereindeutigung.43 Solche Normenkonflikte konnten in der alltäglichen Praxis verschleiert werden. Maßnahmen wie der Kauf von Wahlstimmen wirkten sich dabei durchaus stabilisierend und konstitutiv auf das freie Wahlrecht aus.44 Denn auf diese Weise konnte selbst in strittigen Situationen die nötige Stimmenmehrheit erreicht und somit die Gültigkeit der Wahl gewährleistet werden.

… Patronage, … Als sich Charlotte Sophie von Kurland dem Coadjutorie-Projekt widersetzte und die Aufnahme der Markgräfin als Coadjutorin, Dekanissin oder Kanonissin unmöglich machte,45 gewannen die Mitglieder des Herforder Kapitels an Bedeutung. Eine Alternative für die Bestellung einer Kandidatin extra gremio zur Äbtissin bot sich lediglich durch postulation, in welchen fällen eine

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Bericht des kursächsischen Gesandten in Wien an das Dresdener Kabinett über die Nachrichten vom Trierer Kurfürsten (19. Dez. 1773), Kurtrierer Staatsrat Friedrich Joachim von Krifftenstein an das Dresdener Kabinett (13. Dez. 1773): Dresden SHStA Geheimes Kabinett 766/11, fol. 11r-v, 13r-14v. Kabinettschreiben an Kurtrierer Staatsrat Friedrich Joachim von Krifftenstein (19. Dez. 1773): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 15r-16r. Vgl. hierzu die neuen Forschungen zur Korruption, insbesondere THIESSEN, Korruption und Normenkonkurrenz, S. 94; NÜTZENADEL, Geld, Politik und Klientelismus, S. 124. Vgl. NÜTZENADEL, Geld, Politik und Klientelismus, S. 135. Die Investitur einer neuen Stiftsdame war das exklusive Recht der Äbtissin im Stift Herford. Sie bestätigte darüber hinaus die im Kapitel gewählten weiteren Amtsträgerinnen.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

mehrere Anzahl Stimmen, als bey einer blossen wahl erfordert zu werden pfleget.46 Die Kapitularinnen und Kapitulare konnten mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ein Nicht-Mitglied des Kapitels zur Äbtissin postulieren.47 Schon vor dem endgültigen Abbruch der Verhandlungen mit Charlotte Sophie vollzogen die preußischen Vertreter im Sommer 1717 daher einen Strategiewechsel. Sie konzentrierten nun ihre Bemühungen auf den Stimmenfang unter den Kapitularinnen und Kapitularen, damit diese nach dem Tod der Äbtissin die Markgräfin von Brandenburg ganz regulär zur neuen Äbtissin postulierten. Hierzu wurde der preußische Resident des oberrheinischen Kreises an die Höfe von Dillenburg, Durlach und Kassel geschickt, um die dort im Kreise ihrer Familien lebenden Kapitularinnen für die Markgräfin einzunehmen.48 Leichtes Spiel hatte er dabei sowohl mit der Prinzessin von NassauDillenburg als auch mit der Prinzessin von Baden-Durlach. Beide hatten wenig Interesse am Herforder Stift und lebten dauerhaft an den Höfen ihrer Familien. Zudem scheuten sie davor zurück, einer preußischen Kandidatin in die Quere zu kommen.49 Sie erklärten sich ohne weitere Zugeständnisse ____________ 46

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Friedrich Wilhelm I. an Geheimen Staatsrat und Landdrosten von Osten (27. Febr. 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Friedrich Wilhelm I. an Clamor von dem Bussche, ehemaliger Landdrost in der Grafschaft Ravensberg (9. März 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Auftrag an den preußischen Residenten am oberrheinischen Kreis Philipp Reinhold (von) Hecht durch die Kabinettsminister Otto Magnus Graf von Dönhoff, Marquard Ludwig von Printzen und Heinrich Rüdiger von Ilgen, sich an den Höfen von Dillenburg, Durlach und Kassel nach der Bereitschaft der Kanonissin zu erkunden, die Markgräfin zur Coadjutorin zu wählen (26. Juni 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Ihr Desinteresse zeigte sich bereits in der zweiten Jahreshälfte 1716, als das Amt der Dekanissin längere Zeit vakant war. Die Wiederbesetzung gestaltete sich schwierig, weil die möglichen Kandidatinnen entweder Probleme hatten, die erforderlichen Wahlgelder aufzutreiben, wie die Gräfin von Nassau-Dillenburg (Gräfin Friederike Albertine von Nassau-Dillenburg an Charlotte Sophie von Kurland (22. Okt. 1716, 25. Dez. 1716): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 306), oder wenig bis gar kein Interesse zeigten, wie die Markgräfin von Baden-Durlach, die der Äbtissin eine Absage erteilte. Das Desinteresse der verschiedenen Kapitularinnen hing mit den Gerüchten um die Wahl einer preußischen Prinzessin zur Coadjutorin des Stifts zusammen. Durch die vorzeitige Wahl einer künftigen Nachfolgerin verlor die Dekanissin zum einen das Anrecht auf die Interimsregierung nach dem Tod der Äbtissin, zum anderen auch die Hoffnung auf einen späteren Aufstieg ins Amt der Äbtissin. Friederike Albertine von NassauDillenburg erklärte daher abwehrend gegenüber der Äbtissin, dass angesichts der Wahl der Markgräfin von Brandenburg zur Coadjutorin keine dechenissen heut oder mogen nichts zu hoffen [hätte], wann da Gott für sey Ewer Gnaden sterben sollten. Gräfin Friederike Albertine

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bereit, im Falle der Wahl einer Coadjutorin oder Äbtissin ihre Stimme der Markgräfin Johanna Charlotte zu geben.50 Schwieriger gestaltete sich die Aufgabe des Residenten bei der Prinzessin von Hessen-Homburg. Als Nichte schuldete sie der Äbtissin nicht nur verwandtschaftliche Loyalität, sondern konnte sich mit der Unterstützung ihrer Tante gleichzeitig Hoffnungen auf eine Karriere im Stift machen. Nachdem ihr von Seiten der brandenburgischen Markgräfin das Amt der Dekanissin angeboten wurde, willigte sie jedoch ebenfalls ein, eine Erklärung zu Gunsten Johanna Charlottes abzugeben.51 Als sich die Prinzessin von Hessen-Homburg später erneut gegen die postulation der Markgräfin stellte und damit das Vorhaben kurz vor seinem Abschluss in die [größeste] crise stürzte,52 war es nicht zuletzt der vom preußischen König angedrohte Verlust des Dekanissinnenamtes und seiner Einkünfte, der den Widerstand der Landgräfin brach.53 Unter den Kapitularen des Stifts konnten sich Friedrich Wilhelm und seine Vertreter die innerstiftische Spaltung sowie die damit verbundene fortschreitende Isolierung der Äbtissin gegenüber dem Kapitel zunutze ____________

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von Nassau-Dillenburg an Charlotte Sophie von Kurland (9. Febr. 1717): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 306. Zwar gelangte die Prinzessin Katharina Barbara von Baden-Durlach nach einer strittigen Doppelwahl doch noch mit Unterstützung der Äbtissin in das Dekanissinnenamt, resignierte dieses jedoch bereits ein Jahr später wieder und gab noch dazu ihre Kanonissinpräbende in die Hände der Äbtissin zurück. Kopie der Resignation (2. April 1718): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136; Bericht des preußischen Residenten im Oberrheinischen Kreis Hecht von Unterredungen mit der Prinzessin Katharina Barbara von BadenDurlach (2. Juni 1718): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136. Erklärung der Prinzessin Katharina Barbara von Baden-Durlach (15. Okt. 1717) und der Prinzessin Friederike Albertine von Nassau-Dillenburg, laut Bericht des Residenten Hecht (16. Nov. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Kopien der Erklärungen auch in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Erklärung der Prinzessin Eleonore von Hessen-Homburg (28. Okt. 1717): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136; auch in LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1051. Siehe auch Bericht des Residenten Hecht (30. Okt. 1717): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136. Im Fall der Landgräfin von Hessen-Homburg bezog sich diese Erklärung jedoch auf die Wahl einer Äbtissin, nicht Coadjutorin. Friedrich Wilhelm I. an Landschreiber Arnold Henrich von Meinders und Kammergerichtsrat Dietrich Ulrich von Hackeborn (15. Jan. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Friedrich Wilhelm I. an Eleonore von Hessen-Homburg (21. April 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114.

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machen,54 die sie durch taktische Klientelpolitik und Patronage noch zu verstärken wussten.55 Anfang der 1720er Jahre waren drei der insgesamt vier Wochenherrenpräbenden besetzt:56 Graf von Arco, Baron Johann Ludewig von Sternfeld und Christian Ludwig von Heimbruch. Während Graf Arco bereits seit Beginn der Verhandlungen um eine mögliche Nachfolge der Markgräfin von Brandenburg als kooperierender Ansprechpartner der preußischen Beamten fungierte,57 kam es Anfang 1720 zum Zerwürfnis der Äbtissin mit dem Baron von Sternfeld.58 Diesen Zwist machten sich der preußische König und seine Minister zunutze, indem sie den Kapitular für die Markgräfin und ihre Nachfolge im Stift gewannen. Der Kapitular ließ seine Skrupel jedoch erst fallen, als man ihm neben der Gunst des Königs auch ____________ 54

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Zum zerrütteten Verhältnis zwischen der Äbtissin Charlotte Sophie und Kurland und Teilen des Kapitels seit Mitte der 1690er Jahre s. u. Kap. Das Kapitel als Mitregent. Trotz des Generationenwechsels innerhalb des Kapitels – die vormaligen Gegnerinnen, die Dekanissin Gräfin zur Lippe und die Küsterin Gräfin von Horn waren beide längst verstorben – übertrugen sich die innerstiftischen Konflikte auch auf die nachfolgende Generation von Kapitularinnen und immer mehr auch auf die Kapitulare. Diese Situation wurde durch die Abwesenheit der Äbtissin im Exil sowie ihr eigenmächtiges Auftreten, indem sie Entscheidungen an sich riss wie die Aufnahme neuer Stiftsdamen und die Durchsetzung ihrer Kandidatin als neue Dekanissin – beides Fragen, in denen das Kapitel ein Mitspracherecht beanspruchte –, noch verstärkt. Vgl. zu Patronage die Studien von Wolfgang Reinhard und seinen Schülern, insbesondere REINHARD, Freunde und Kreaturen; DERS., Paul V. Borghese; EMICH, Bürokratie und Nepotismus; EMICH, REINHARDT, THIESSEN, WIELAND, Stand und Perspektiven der Patronageforschung; EMICH, ASCH, ENGELS (Hg.), Integration, Legitimation, Korruption; THIESSEN, Diplomatie und Patronage. Das Herforder Kapitel bestand neben mehreren Kapitularinnen aus vier Kapitularen, die ehemals abwechselnd Woche für Woche die seelsorgerischen Aufgaben übernahmen. Daher stammt der Name Wochenherr oder lat. hedomendarius. Schon im Juli 1718 und noch einmal zu Beginn des Jahres 1719 sicherte Graf von Arco nicht nur seine eigene Stimme, sondern auch die Stimme des Kapitulars von Heimbruch der Markgräfin von Brandenburg zu. Vgl. Graf von Arco an von Osten (28. Juli 1718, 25. Jan. 1719): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136. Über die Person des Grafen von Arco sind kaum Informationen bekannt. Er wurde 1710 mit der zweiten Kapitularpräbende des Stifts Herford belehnt (Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 311). Spätestens seit 1730 war er im Besitz des Rittergutes Lübrassen in der Nähe von Bielefeld, das zum Lehnbesitz des Herforder Stifts gehörte (Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1345). Der Kapitular gab als Grund für die Ungnade der Äbtissin seine Kommunikation mit dem Geheimen Staatsrat und Landdrosten von Osten an. Vgl. Bericht des preußischen Residenten Thilemann zu Bremen (21. Febr. 1720): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136.

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noch ein Kanonikat im Kapitel auf der Neustadt versprach.59 Er avancierte in der Folge zum maßgeblichen Ansprechpartner der preußischen Regierungsvertreter. Damit verlor Charlotte Sophie ihren letzten Gewährsmann innerhalb des Kapitels,60 das in den Wahlverhandlungen mit den preußischen Vertretern nun selbst die Geschicke des Stifts in die Hand nahm. Im Gegenzug erhielten die Kapitulare Unterstützung von Seiten des preußischen Schutzherrn und seiner Vertreter vor Ort, um sich gegen die Bevormundung der Äbtissin zur Wehr zu setzen.61 Die beiden Kapitulare von Arco und von Sternfeld waren gleich in mehrfacher Hinsicht für das Gelingen des preußischen Wahlvorhabens von Bedeutung. Einerseits hatten sie vollwertiges Stimmrecht bei der Wahl einer neuen Äbtissin, andererseits agierten sie als Informanten und Vertreter der abwesenden Stiftsdamen und des ebenfalls selten präsenten Kapitular von Heimbruch und konnten somit auch auf deren Stimmabgabe Einfluss aus____________ 59

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Berichte des Staatsrates und Landdrosten von Osten nach Berlin (24. u. 28. März 1720): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137. Diese Zugeständnisse wurden jedoch von Seiten des Ministers Ilgen in seinem Antwortschreiben an von Osten ignoriert (30. März 1720): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137. Christian Ludwig von Heimbruch schloss sich regelmäßig der Meinung seiner Mitkapitulare an. Dies galt sowohl für den Versuch Charlotte Sophies, die Kapitelsitzungen (Königlicher Befehl an von dem Bussche, den Kapitularen von der Reise nach Verden abzuraten (22. Nov. 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137) sowie den Akt der Neuaufnahmen, an den Aufenthaltsort ihres Exils zu verlegen (Baron von Sternfeld an Eleonore von Hessen-Homburg (2. Nov. 1721): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1051), als auch für die Delegitimierung der eigenmächtig vollzogenen Wahl einer neuen Dekanissin (Bericht des Landdrosten von Osten nach Berlin (18. Mai 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137) sowie Disziplinierungsmaßnahmen gegen einzelne Kapitulare (Bericht des Landdrosten von dem Bussche nach Berlin (28. Sept. 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137). Obwohl Friedrich Wilhelm und seine Minister im Hinblick auf die Wahl einer Dekanissin zur Zurückhaltung gemahnt hatten (Kanzlei an Staatsrat und Landdrosten von Osten (6. Mai 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137), standen preußische Vertreter den Kapitularen in dieser sich erneut zuspitzenden innerstiftischen Auseinandersetzung bei (Königlicher Befehl an den Herforder Stadtrichter Jacob Friedrich Besserer (8. Juli 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137; Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1051).

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

üben.62 Der Kapitular von Sternfeld war darüber hinaus als Bevollmächtigter der Dekanissin berechtigt, beim Tod der Herzogin von Kurland alle nötigen Schritte einzuleiten. Dazu gehörte zunächst die Einberufung des Kapitels sowie die Ansetzung und Durchführung des Wahlaktes.63 Schließlich war man auf preußischer Seite auf das Wissen der Kapitulare über die kanonischen Rechte, die Statuten und das Herkommen des Stiftes angewiesen, damit alle rechtlichen Voraussetzungen für eine legitime Bestellung der Markgräfin erfüllt werden konnten.

… Recht, … Bei der Wahl einer neuen Äbtissin handelte es sich um einen Rechtsakt, der den Vorgaben des kanonischen Rechts, den örtlichen Stiftsstatuten und dem Herkommen entsprechen musste. Insbesondere Johann Ludewig von Sternfeld verfügte aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Rat der Äbtissin nicht nur über genaue Kenntnisse der Rechtslage, sondern konnte sich darüber hinaus Zugang zum Stiftsarchiv und dem Verwaltungsschriftgut der Stiftsregierung verschaffen.64 Das Archiv war der Wissensspeicher des Stifts. Hier wurden alle Urkunden über Privilegien, Schutzbriefe und Schenkungen aufbewahrt – die rechtliche Grundlage der Grund- und Landesherrschaft des Stifts sowie seines reichsunmittelbaren Status. Vor allem in Konflikten war der Zugang zu diesen Wissensbeständen entscheidend für die erfolgreiche Verteidigung von Rechten, Freiheiten und Privilegien.65 Auch im Vor____________ 62

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Während der Graf von Arco die Stimme des Kapitulars von Heimbruch einbrachte, garantierte von Sternfeld, die Stimme der Prinzessin von Hessen-Homburg. Vgl. Stadtrichter Besserer an den Geheimen Rat und Landdrosten von Osten (10. März 1720) und Geheimer Rat von Osten an Friedrich Wilhelm I. über seine Gespräch mit dem Kapitular von Sternfeld (18. Mai 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Geheimer Rat und Landdrost von Osten an Friedrich Wilhelm I. (23. Nov. 1721): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Obwohl Charlotte Sophie das Stiftsarchiv unter Verschluss hielt, konnte sie nicht verhindern, dass Baron von Sternfeld Informationen über den Verfahrensablauf beim Tod einer Äbtissin und der Wahl einer Nachfolgerin sammelte und an die preußischen Vertreter weiterleitete. Denn was das Archiv und Registratur betrifft so wird selbiges sich alles zu Herford befinden und nicht im Exil der Äbtissin aufbewahrt. Vgl. Landdrost von Osten an Friedrich Wilhelm I. über seine Unterredung mit dem Baron von Sternfeld (18. Mai 1720) sowie Landdrost von Osten an Staatsminister von Ilgen (30. März 1727): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Die Verbindung von Wissen und Macht, wie sie vor allem Michel Foucault herausgearbeitet hat, ist in diesem Zusammenhang deutlich greifbar. FOUCAULT, Überwachen und

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feld einer umstrittenen Wahl war der Zugang zum Archiv von strategischem Nutzen. Denn der Wahl Johanna Charlottes von Brandenburg standen dubia im Weg.66 Diese wurden in einem regen Briefwechsel und bei wiederholten Zusammenkünften zwischen den Kapitularen von Arco und von Sternfeld sowie dem auf preußischer Seite verantwortlichen Landdrosten von Osten diskutiert und Lösungsstrategien entwickelt.67 Zu den dubia gehörte zunächst die fehlende Mitgliedschaft der Markgräfin im Herforder Kapitel. Damit gehörte sie laut kanonischem Recht eigentlich auch nicht zum Kreis der kanonisch wählbaren Personen.68 Die canones sahen aber zugleich vor, dass die Markgräfin zu gegebener Zeit extra gremio mit einer Zweidrittelmehrheit der Stimmen zur Äbtissin postuliert werden konnte.69 Zudem gab auch der Witwenstatus der Markgräfin Anlass zu Bedenken, die durch gezielte Informationsbeschaffung bei den Kapitularen ausgeräumt werden sollten.70 Denn zumindest die preußischen Regierungsvertreter waren sich nicht sicher, ob dieser Status ein rechtliches Problem darstellen könnte. Aber weder das kanonische Recht noch die Statuten des Herforder Stifts als die zwei wesentlichen Bezugsgrößen für die inneren Verhältnisse im Stift schlossen die Aufnahme und Wahl einer verwitweten Kandidatin aus.71 Von einer weit verbreiteten Praxis kann jedoch in Bezug auf die drei Vergleichsstifte in der Frühen Neuzeit nicht gesprochen werden. ____________ 66

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Strafen, besonders S. 39; DERS., Der Wille zum Wissen, Bd. 1. Vgl. zu Archiven neuerdings auch FRIEDRICH, Die Geburt des Archivs, besonders S. 193f., 203-210, 217-223. Vgl. Instruktionen für den nach Herford abgesandten Kammergerichtsrat Dietrich Ulrich von Hackeborn (11. Dez. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3146. Vgl. die Handakte des Geheimen Staatsrates und Landdrosten des Fürstentums Minden von Osten mit Schriftstücken aus den Verhandlungen von Febr. 1720 bis Dez. 1721: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Königliches Kabinettschreiben an Clamor von dem Bussche und Arnold Henrich von Meinders (9. Juli 1718): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Der Vorschlag, die Markgräfin von Baden-Durlach könne in die Hände der Markgräfin von Brandenburg resignieren, sei hingegen zu spät erfolgt. Zu dem Zeitpunkt hatte sie bereits Amt und Präbende in die Hände der Äbtissin gelegt: Wir wollen jedoch nicht hoffem, daß Es der Marggräffin an der Wahl hinderlich seyn werde, daß Sie nicht de gremio Capituli ist. Königliches Kabinettschreiben an von dem Bussche (9. März 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Das Schreiben bezieht sich auf CODEX IURIS CANONICI, Buch 1, Can. 181 § 1. Königliches Kabinetteschreiben an von Osten (7. Mai 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Statuten des Herforder Stifts (um 1700): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1067.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Johanna Charlotte war die einzige Witwe, die im Untersuchungszeitraum in eines der drei Stifte aufgenommen wurde und ins Amt der Äbtissin gelangte. Nachdem die verwitwete Markgräfin 1729 tatsächlich an die Spitze des Herforder Stifts gewählt worden war, machte sie aus dem vermeintlichen Makel ihrer Witwenschaft eine Tugend und stellte ihre Bestellung als erste verwitwete Äbtissin als etwas Besonderes dar. Einerseits ließ sie sich als Äbtissin wiederholt in schwarzer Witwentracht abbilden.72 Andererseits akzentuierte sie ihren Witwenstatus, indem sie ihn in ihre Titulatur sowie in den von ihr gestifteten Stiftsorden integrierte, dessen Umschrift auf der Rückseite in Übersetzung lautet: Johanna Carolina, aus dem Witwenstand erste postulierte Herforder Äbtissin, hinterbliebene preußische Prinzessin, geborene Prinzessin von Anhalt […].73 Hierbei konnte sie auf das Bild der frommen Witwe und die damit verbundenen Witwentugenden der Frömmigkeit und der Zurückgezogenheit rekurrieren.74 Beides korrespondierte mit den Erwartungshaltungen an ein Leben in einer geistlichen Gemeinschaft. Johanna Charlotte nahm das Bild der frommen Witwe auf, um damit ihre postulation nachträglich zu legitimieren.75 ____________ 72

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Eines dieser Portraits der Markgräfin, nach 1729 angefertigt, auf dem sie in einer schwarzen, aber dennoch modischen und herrschaftlichen Robe, mit Witwenschleier, Fürstenhut und Hofmohr abgebildet ist, befindet sich heute im Besitz des Herforder Stadtmuseums (s. u. Abb. 2). Das Ölgemälde weist große Ähnlichkeit zu anderen Herrschaftsportraits norddeutscher Äbtissinnen auf, die ebenfalls häufig in einer schwarzen Robe und mit hochadeligen und reichsfürstlichen Attributen wie der Fürstenkrone oder einem Hofmohren dargestellt sind. Typisch für den Witwenstatus der Markgräfin war hingegen die Darstellung mit Witwenschleier. Vgl. dazu SPIEß, Witwenversorgung im Hochadel, S. 108. Siehe die Titulatur der Markgräfin zu Beginn der Einladungsschreiben zur ihrer Inthronisation: Von Gottes Gnaden Wir Johanna Charlotta verwittwete königl. Princessin in Preußen, Marggräffin zu Brandenburg p gebohrne Fürstin zu Anhalt, des kayserl. freyweltlichen Stiffts Herford postulirt Abbatissin, und des heyl. Röml. Reichs Fürstin: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1115. Siehe hierzu auch die von der Markgräfin nach ihrer Postulation in Auftrag gegebene Silbermedaille (heute im Daniel-Pöppelmann-Haus, Herford), auf welcher sie sowohl visuell durch die Abbildung mit Witwenschleier als auch diskursiv in der Titulatur ihren Status betonte. Vgl. HEESE, Prunk und späte Macht, S. 22; DERS., Mit Schulterband und Schleife, S. 73. Vgl. zum kulturellen Bild der Witwe INGENDALL, Elend und Wollust, S. 277, 274. Vgl. allg. zu Witwentugenden SPIEß, Witwenversorgung im Hochadel, S. 107. Vgl. INGENDALL, Elend und Wollust, S. 277. Ingendall erklärt dort: „Diese kulturellen Bilder wurden von Witwen selbst mental und strategisch aufgenommen und zu ihren Gunsten in den Diskurs eingespeist.“ Auf diese Weise konnte Frömmigkeit beispielsweise als Legitimationsmuster für geistliche wie weltliche Herrschaft dienen.

3.1. Geben

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Sowohl die Diskussion solcher problematischen Faktoren als auch die Informationsbeschaffung über Wahlabläufe und Formalia des Amtswechsels an der Spitze des Stifts dienten in erster Linie dem Ziel, dass der kayserliche Hof, wenn bey demselben die Confirmation über diese election gesucht werden muß, dabey nicht zu critisiren und etwa solche wahl gar abzuschlagen Ursach finde, zumahlen man zu Wien, wenn ein praetext dazu vorhanden wäre, es darann gewiß nicht ermangeln laßen würde.76

Als oberster Lehnsherr musste der Kaiser die Wahl einer neuen Äbtissin an der Spitze der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte bestätigen und die Erwählte in ihre Herrschaftsrechte einsetzen. Die Wahl erhielt ihre volle Gültigkeit und Wirkmächtigkeit erst mit der kaiserlichen Belehnung bzw. wie im Falle Herfords mit der kaiserlichen Confirmation.77 Angesichts des angespannten Verhältnisses zwischen dem preußischen König und dem Kaiser zu Beginn der 1720er Jahre stand auf preußischer Seite zu befürchten,78 dass Karl VI. jeden gebotenen Anlass nutzen würde, das preußische Wahlvorhaben zu vereiteln. Um dies zu verhindern, mussten die verantwortlichen preußischen Regierungsvertreter alles daran setzen, dem Kaiser keinen Rechtsvorwand zu liefern. Als aber Johanna Charlotte Anfang 1729 zur Äbtissin postuliert wurde und im Anschluss um ihre kaiserliche Confirmation ____________ 76

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Königliches Kabinettschreiben an von Osten (9. März 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Anders als im Fall der Stifte Essen und Quedlinburg ersuchten Kapitel und Herkunftsfamilie der neuerwählten Äbtissinnen des Herforder Stifts lediglich die kaiserliche Confirmation. Sie wurden nicht noch einmal in einer Zeremonie am Kaiserhof feierlich mit den temporalia, das heißt den weltlichen Herrschaftsrechten, belehnt. Wahrscheinlich ist dieser Umstand darauf zurückzuführen, dass bereits Äbtissin Ida von und zu Lippe im Spätmittelalter mit der Abtretung der fruchtbaren Feldmark an die Stadt Herford auf die Ausbildung eines wirklichen Stiftsterritoriums wie in Essen und Quedlinburg verzichtete. Darüber hinaus gestaltete sich das Verhältnis zwischen dem Herforder Stift und dem Reich bis weit ins 15. Jahrhundert hinein lose. Vgl. RÜTHING, »Monstrum Westphaliae«, S. 17f.; KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford, S. 20f. S. u. Kap. Knien vor dem Kaiser. Anfang der 1720er Jahre hatten sich die konfessionellen Zustände im Reich im Umfeld der Rekatholisierung der Kurpfalz sowie das Kräfteverhältnis zwischen den mächtigen evangelischen Reichsständen Brandenburg-Preußen und Kurhannover einerseits und dem katholischen Kaiser andererseits massiv zugespitzt. Da der Kaiser kaum politische Handhabe gegen die beiden mächtigen, nach Souveränität strebenden Fürsten hatte, nutzte er seine Stellung als oberster Richter, um juristisch gegen sie vorzugehen. S. u. Kap. Des Kaisers rechter Arm.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

ersuchte,79 hatten sich die bündnispolitischen Verhältnisse im Reich verkehrt. Kaiser und König verband seit 1728 ein Bündnis.80 Vor diesem Hintergrund blieb selbst der rechtlich fundierte Protest der Dekanissin Eleonore von Hessen-Homburg am Reichshofrat gegen die Bestellung der Markgräfin ohne Wirkung.81

… und Ausdauer Schließlich konnten auch Zeit und Ausdauer ein wichtiger Aspekt in den langwierigen Wahlverhandlungen sein. Die Vorbereitung der Wahl durch Postulation der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg dauerte 13 Jahre. Insbesondere der Modus der Postulation erforderte es, dass sich die brandenburgischen Vertreter während dieser Zeit wiederholt der Stimmen von Kapitularen und Kapitularinnen versicherten, damit zum entscheidenden Zeitpunkt die Zweidrittelmehrheit im Wahlgang sicher war. Hierzu war ein beträchtlicher personeller, zeitlicher und logistischer Aufwand von Nöten. Vor Ort verhandelten der königliche Richter Besserer in Herford und der Landdrost von der Osten in der Grafschaft Ravensberg wiederholt ____________ 79

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Bitte um Confirmation durch Johanna Charlotte von Brandenburg gegenüber Kaiser Karl VI. (7. Febr. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Kaiser Karl VI. hatte das Bündnis mit dem preußischen König gesucht, um die weibliche Nachfolge seiner Tochter, der späteren Kaiserin Maria Theresia, unter den Reichsständen durchzusetzen. Friedrich Wilhelm I. versprach sich im Gegenzug Unterstützung in der Jülicher Erbfrage. Hierzu schlossen Kaiser und König zunächst 1726 ein Geheimabkommen, 1728 wurde dieses Abkommen dann in ein offizielles Bündnis überführt. Vgl. BURCKHARDT, Vollendung und Neuorientierung, S. 349, 356f. Mit ihr war im Kapitel ein eligibles Mitglied vorhanden und damit keine postulation extra gremio nötig, es sei denn, sie würde für dieses Mal auf die Dignität zu Gunsten der Markgräfin verzichten. Nachdem man aber ihre Forderung, als Gegenleistung zur Coadjutorin bestimmt zu werden, von preußischer Seite abgewiesen hatte, protestierte sie auf dieser rechtlichen Grundlage am Reichshofrat. Dennoch konnte der preußische Agent Grave zwei Monate nach der Postulation an Johanna Charlotte berichten: Da ich eben selbigen Vormittag mit dem Kayserlichen Reichs-Hoff-Raths-Praesidenten, Graffen von Wurmbrand, wegen zubeförderender Confimation der geschehenen Hervordischen Postulation gesprochen, gleichwie auch solches, nach und nach, bey Evangelisch und Catholischen Reichs-Hoff-Räthen geschehen. Ich finde nun eben nicht, daß die anmaßliche Protestation der Printzeßin von Heßen-Homburg, noch zu Zeit, sonderliche Impression veruhrsache. Vgl. Eleonore von Hessen-Homburg an Friedrich Wilhelm I. (20. Nov. 1728): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3145; Friedrich Wilhelm I. an seinen Wiener Gesandten Grave (7. Febr. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114; Johann Friedrich Grave an Johanna Charlotte von Brandenburg (13. April 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114.

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schriftlich und mündlich mit dem Kapitular Baron von Sternfeld. Sie standen zudem in regelmäßigem Austausch nicht nur mit dem Berliner Kabinett,82 sondern auch mit dem ehemaligen Landdrosten der Grafschaft, Clamor von dem Bussche, der von den Verfaßungen des Stiffts Hervord und Unseren bey demselben habenden Juribus sehr gute Informationen hatt.83 Darüber hinaus waren die Agenten in Hamburg,84 am Reichshofrat in Wien sowie am Reichskammergericht in Wetzlar involviert. Durch den Hamburger Agenten und seine Informanten in Verden erhielten die preußischen Vertreter regelmäßige Auskunft über den schwankenden Gesundheitszustand der amtierenden Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland.85 Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass direkt nach Bekanntwerden des Todes preußische Vertreter in Herford und Verden die Rechte des preußischen Schutzherrn wahrnahmen.86 Sie sollten Sorge dafür tragen, dass das Zimmer der Äbtissin direkt nach Eintreten des Todes versiegelt würde, damit keine Briefschaften des Stifts verloren gingen,87 das Wahlverfahren vorantreiben und die Wähler bei der Stange halten.88 ____________ 82

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Als Ansprechpartner begegnet hier immer wieder der Minister Heinrich Rütger von Ilgen. Friedrich Wilhelm I. an Landdrosten von der Osten (27. Febr. 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Das Exil der Äbtissin Charlotte Sophie lag in Verden an der Aller südwestlich von Hamburg. Bereits Anfang der 1720er Jahre hatte der preußische König das direkte Umfeld der Äbtissin infiltriert. Ihr 1720 neu ernannter Hofmarschall von Witzleben stand in Kontakt mit dem preußischen Residenten Thielemann in Hamburg. So war man auf preußischer Seite über alle Schritte der Äbtissin sowie ihren sich verschlechternden Gesundheitszustand bestens informiert. Vgl. Königliches Auftragsschreiben an Thielemann, sich mit dem Hofmarschall bekannt zu machen (26. März 1720): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137. Zu dieser Zeit wurden wiederholt Gerüchte laut, wonach sich der Gesundheitszustand der Äbtissin zusehends verschlechterte. Charlotte Sophie erholte sich jedoch immer wieder und lebte schließlich noch bis zum 1. Dezember 1728. Vgl. zu ihrem Gesundheitszustand beispielsweise die Berichte des Residenten Thielemann (10. u. 14. Okt. 1728): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3145. Siehe auch Vollmacht und Kommissariale für den Geheimen Rat Arnold Henrich von Meinders, im Postulationsverfahren einerseits die Rechte des Schutzherrn zu bewahren, andererseits die Interessen der Markgräfin zu vertreten (6. Nov. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3145. Auftrag an Hamburger Resident Thielemann, den kurbraunschweigischen Drosten anzustellen, damit dieser die Zimmer der Äbtissin nach ihrem Tod versiegelt (16. März 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3144. Die Berliner Minister wandten sich an die kurfürstliche Regierung zu Hanno-

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Ein weiteres Beispiel für die Langwierigkeit der Verhandlungen im Vorfeld des Amtsantrittes einer Äbtissin liefert Maria Elisabeth von HolsteinGottorf. Nach ihrer ersten Wahl zur Quedlinburger Äbtissin (1706) musste sie zwölf Jahre bis zu ihrem tatsächlichen Amtsantritt (1718) warten. Während dieser Zeit agierten Vertreter ihrer holsteinischen Herkunftsfamilie sowie ihrer schwedischen, englischen und hannoverschen Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Höfen in Gottorf, Hannover, Berlin, London und Wien, dem Stift und den verschiedenen Reichsinstitutionen, um die Wahl und die Amtseinführung der Herzogin gegen den Willen des preußischen Königs durchzusetzen.89 In beiden Fällen handelt es sich um besondere Wahlsituationen, die jeweils durch die langjährigen Konflikte zwischen den Stiften und ihrem preußischen Schutzherrn geprägt waren. Aber auch in vermeintlich unbelasteten Wahlabsprachen wie im Fall der späteren Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach und der Herforder Codajutorin und Äbtissin Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg waren verschiedene Empfehlungsschreiben, mehrwöchige Verhandlungen und die Anwesenheit von Gesandten nötig, um die Wahl erfolgreich zu befördern.90 ____________

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ver, um die Versiegelung der Briefschaften in Verden und Hameln sicherzustellen (27. Sept. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3143. Die Kontaktaufnahme mit kurbraunschweigischen Räten war nötig, da sowohl Verden als auch Hameln, wo die Äbtissin ein weiteres Haus angemietet hatte, im Territorium des Kurfürsten von Hannover lagen. Dort hatten preußische Vertreter ohne Zustimmung des Hannoverschen Kurfürsten keine Handlungsbefugnisse. Vgl. Instruktionen für den nach Herford abgesandten Kammergerichtsrat Dietrich Ulrich von Hackeborn (11. Dez. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3146. S. hierzu u. Kap. Kassation, jus devolutum und Kommission; Kaiserlicher Wahlkommissar. Die Pfalzgräfin erhielt sowohl Unterstützung von ihrem Bruder Joseph Karl, der sich zeitweise selbst in Essen aufhielt, als auch von ihrem Onkel, dem Herzog Karl Philipp von Pfalz-Neuburg, der zwei Räte nach Essen schickte. Darüber hinaus engagierte sich der Kölner Kurfürst, Clemens August von Bayern, für Franziska Christina, dessen Gesandter gleichsam bei den Essener Kanonikern vorstellig wurde. Alle drei wandten sich zudem schriftlich an die Kanoniker und empfohlen die Pfalzgräfin. Insgesamt dauerte die Vorbereitung zwei Monate, bis Franziska Christina am 15. Oktober 1726 zur neuen Äbtissin gewählt wurde. Vgl. die Wahlakte in Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 40. Vgl. zu den Wahlvorbereitungen KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 156-158. Zur Vorbereitung der Wahl Friederikes zur Coadjutorin wurde eigens der in Stiftssachen erfahrene Stiftshauptmann des Stifts Quedlinburg Paulus Andreas Freiherr von Schellersheim nach Herford beauftragt, um mit der amtierenden Äbtissin die Bedingungen für die Wahl auszuhandeln. Nach ersten schriftlichen Verhandlungen reiste dieser

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Wahlabsprachen und freies Wahlrecht Wahlabsprachen stellten spezifische Kommunikationssituationen dar, in denen verschiedene Strategien in ganz unterschiedlicher Kombination zum Tragen kamen. Dabei hing es von den jeweiligen Verhältnissen vor Ort, aber auch im Reich oder in Europa ab, welche Strategie sich schließlich auszahlte. Doch auch wenn der preußische König als mächtiger Fürst, direkter territorialer Nachbar und Schutzherr des Stifts Einfluss auf das Herforder Wahlvorhaben ausüben konnte, blieb sein Ausgang offen.91 Trotz Wahlabsprachen, Korruption und Patronage lag die endgültige Entscheidung noch immer beim Kreis der rechtmäßigen Wähler. Denn die Legitimität des Amtswechsels an der Spitze der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte hing nicht wie in Erbfürstentümern von der genealogischen Abstammung, sondern von der kanonischen Wahl durch das Kapitel ab.92 Daher wurden Wahlabsprachen in den öffentlichen Wahlproklamationen und den angefertigten Notariatsprotokollen wie dem eingangs zitierten Protokoll zur Postulation Johanna Charlottes verschwiegen. Im Gegenteil wurde hier die freie und mehrheitliche, wenn nicht gar einstimmige Wahl der neuen Äbtissin bzw. Coadjutorin durch das Kapitel betont.93 In strittigen Situationen, in denen sich die Kapitelmitglieder nicht mit den jeweiligen Interessengruppen einigen konnten, blieb ihnen als Wähler immer noch die Möglichkeit, sich auf ihr freies Wahlrecht zu berufen und ____________

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zusätzlich für einige Tage nach Herford, um das Wahlvorhaben zu beschleunigen. Binnen dreier Monate erreichte er die Zustimmung der amtierenden Äbtissin, weitere zwei Monate später erfolgte die Wahl. Vgl. die Wahlakte in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1123. Vgl. zur Spezifik vormoderner Wahlverfahren den Sammelband DARTMANN, WASSILOWSKY, WELLER (Hg.), Technik und Symbolik. Die darin versammelten Beiträge setzen sich sowohl mit der technischen als auch symbolischen Dimension vormoderner Wahlverfahren vor dem Hintergrund der Verfahrenssoziologie Niklas Luhmanns auseinander. LUHMANN, Legitimation durch Verfahren. Das Herforder Kapitel unterstrich in den Verhandlungen im Vorfeld der unterschiedlichen Äbtissinnen- und Coadjutorinnen-Wahlen im 17. und 18. Jahrhundert immer wieder die freie Wahl und wollte diese geschützt wissen. Noch Friedrich Carl von Moser hielt den geistlichen Staaten Ende des 18. Jahrhunderts trotz seiner an sich aufklärerischkritischen Einstellung ihren Wahlcharakter zugute, der die Wahl eines geeigneten und dynastisch ungebundenen Kandidaten – hier auf die männlich besetzten Fürstbistümer bezogen – gewährleiste. Vgl. MOSER, Ueber die Regierung der geistlichen Staaten, S. 102, 104, 117-119, 135-137, 140-142, 148. Siehe u.a. Münster LAW NRW W Fürstabtei Herford Nr. 1205: Proklamation der Wahl Charlotte Sophies von Kurland.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

damit auf ihr politisches Partizipationsrecht und ihre Privilegien als Wähler zu pochen.94 Auf dieser Grundlage setzte sich Anfang des 18. Jahrhunderts im Stift Quedlinburg eben nicht die von Kaiser und preußischem König protegierte Kandidatin durch, sondern Maria Elisabeth von HolsteinGottorf, welche die Kapitularinnen aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Verbindung mit König Karl XII. von Schweden, Königin Anne von England und Kurfürst Georg I. Ludwig von Hannover für sich gewinnen konnte.95 Nichtsdestoweniger konnten vorherige Wahlabsprachen dazu beitragen, das freie und geheime Wahlrecht des Kapitels zu schützen. Nachdem es im Stift Essen 1688 zu einer Doppelwahl gekommen war, die schließlich von der Rota kassiert wurde und eine der beiden Kandidatinnen vom Kirchenoberhaupt aus eigener Machtvollkommenheit eingesetzt worden war, einigte sich das Kapitel nach deren frühem Tod auf ihre vormals deutlich unterlegene Kontrahentin. Ziel war es, das freie Wahlrecht zu schützen sowie die nochmalige Einflussnahme des Papstes und damit die stärkere Einbindung des Stifts in die kirchliche Hierarchie zu verhindern.96

Reine Versorgung? Die aufwändige Praxis, wie sie in den Wahlverhandlungen zum Vorschein kommt, wurde in der Forschung bisher vornehmlich im Hinblick auf katholische Dynastien und die großen geistlichen Kur- sowie Fürstentümer beobachtet. Vor diesem Hintergrund haben vor allem ältere Studien wiederholt den finanziellen Versorgungscharakter der Reichskirche für nachgeborene Söhne und Töchter katholischer Dynastien betont.97 Die finanzielle Versorgung war jedoch nicht das einzige Motiv. Jüngere Arbeiten haben vielmehr die untrennbare Verbindung von politischen und dynastischverwandtschaftlichen Motiven bei einer gezielten Durchdringung der reichskirchlichen Strukturen herausgearbeitet.98 Es offenbart sich ein Spektrum an Erscheinungsformen, das von geistlichen Staaten als Außenposten ____________ 94 95 96 97

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Vgl. WELLER, Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfahren, S. 11. S. hierzu u. Kap. Kassation, jus devolutum und Kommission. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 148. Vgl. EHMER, Zwischen geistlicher Anstalt und sozialer Fürsorge; THEIL, Geistliche Einkehr und adelige Versorgung; ANDERMANN (Hg.), Geistliches Leben und standesgemäßes Auskommen; wenn auch weniger prominent bzw. reflektierter spiegelt sich das Versorgungsparadigma auch in der Arbeit von Marietta Meier wieder: MEIER, Standesbewusste Stiftsdamen. Vgl. SCHRAUT, Das Haus Schönborn; DIES., Reichskirchliche Karrieren; DIES., Reichsadelige Selbstbehauptung; DIES., Fürstbischöfliche Rollen; MAURER, Das Haus Fürstenberg.

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weltlicher Dynastien bis hin zur dynastischen Emanzipation hochadeliger Sprösslinge an der Spitze der Reichskirche reichte.99 Im Hinblick auf die mindermächtigen geistlichen Staaten wie die kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte fehlen jedoch neuere Studien, so dass das Diktum vom Damenstift als adeliger Versorgungsbastion für (hochadelige) Töchter, als dynastischer Sackgasse sowie als macht- und bedeutungslosem politischen Hinterland dominiert.100 Diese Vorstellung reicht jedoch kaum aus, um das nachhaltige Engagement mächtiger Dynastien wie Brandenburg-Preußen mit erheblichem finanziellem und diplomatischem Aufwand bei den Äbtissinnenwahlen in den mindermächtigen Stiften Herford und Quedlinburg zu erklären. Im Fall der Markgräfin von Brandenburg knüpfte Friedrich Wilhelm I. dynastische und politische Erwartungen an die Wahl seiner Tante, die weit über das vordergründige Ziel der finanziellen Witwenversorgung hinausreichten. Der König hatte seine Ziele im Vorfeld gegenüber der Markgräfin deutlich formuliert. Neben ihre finanzielle Versorgung trat vor allem der Gedanke, dass diese Abtey […], wie von andern Ständen im Reich, welche mit solchen Stifftern gräntzen, wohl zu geschehn pfleget, mit einer Printzeßin von Meinem Hause dermahleins besetzet [werde], um die vielen Streitigkeiten, welche zwischen Meinen benachbarten landen, und der Abtey bisher entstanden, und welche vor dieses Stifft fast fatale Suiten gehabt hatten, zu beenden.101 Die Nachfolge einer preußischen Äbtissin sollte ein friedliches Miteinander von Stift, Schutzherr und territorialem Nachbarn gewährleisten. Schließlich wollte der König sich und seiner Dynastie durch die Postulation Johanna Charlottes Eingang in das Stift verschaffen, um allemahl eine Printzessin von unserm Hause, durch diese Abtey zu versorgen.102 Diese dynastischen Pläne reichten bis hin zur Etablierung einer preußischen ‚Sekundogenitur‘ an der Spitze des Herforder Stifts. Denn die Markgräfin sollte sich noch vor ihrer Wahl dazu verpflichten,

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Vgl. BRAUN, Seelsorgebischof oder absolutistischer Fürst? Vgl. REIF, Westfälischer Adel, S. 120; EHMER, Zwischen geistlicher Anstalt und sozialer Fürsorge; anders die Beiträge von SCHRÖDER, Die Reichsstifte Herford und Quedlinburg im Kontext dynastischer Politik; und SCHMIDT, Vom Bayerischen Hof zum Heiligen Geist. Friedrich Wilhelm I. an Johanna Charlotte von Brandenburg (30. Oktober 1728): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akt. Nr. 1122. Friedrich Wilhelm I. an die Landdrosten Clamor von dem Bussche und Arnold Henrich von Meinders (10. Nov. 1716): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

sobald dieselbe Äbtißin zu Herfordt geworden, soforth eine von Eurer Königlichen Majestät Printzeßinen Töchtern bey dem Stifft zur Coadjutorin an[zu]nehmen, an derselben Stelle wann Sie vermählet, oder versterben würde, wieder eine andere, von Eurer Königlichen Majestät Printzeßin-Töchtern zur Coadjutorin an[zu]nehmen, und solchergestalt dieses Stifft auff ewig bey lauter Prinzeßinnen aus dem glorwürdigen Hause Brandenburg, verbleiben solte.

Auf preußischer Seite hoffte man auf diese Weise nicht nur eine Prinzessin vorteilhaft unterzubringen, sondern aus den Einkünften des Stifts, das in vorigen Zeiten, wenn es vernünfftig administriret worden, considerable Revenuen gehabt, auch noch weitere weibliche Verwandte unter dem Nahmen einer Probstin oder Decanissin zu versorgen.103 Demnach spielte ohne Frage die standesgemäße Versorgung weiterer weiblicher Mitglieder eine wichtige Rolle. Eine preußische Äbtissin an der Spitze des Herforder Stiftes sicherte dem preußischen König aber zugleich die Möglichkeit, deren Entscheidungen durch eine starke dynastisch-verwandtschaftliche Einbindung zu beeinflussen. Am Beispiel der Amtsnachfolge der Herzogin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar 1684 als Äbtissin von Quedlinburg tritt die bündnispolitische Dimension der Äbtissinnenwahl noch deutlicher hervor. Anders als in den Stiften Herford und Essen, wo die Schutzvögte des Stifts durch Empfehlungen, Versprechungen und Drohungen auf die Wahl der Äbtissin Einfluss nahmen, hatte sich der sächsische Kurfürst Ende des 16. Jahrhunderts ein vertragliches Mitspracherecht erstritten. Er zwang Äbtissin und Kapitel im Vertrag vom 17. August 1574 die Zusage ab, daß hinfürder keine Abbtißin oder Coadjutorin gewöhlet werden solle, dann mit Seiner Churfürstlichen Gnaden und derselben Nachkommen Vorwißen, […] und soll der Pröbstin und Capitel gemein sonsten ihr Jus der freyen c, Wahl, vermöge der fundation bleiben, Jedoch daß [sie] Seiner Churfürstlichen Gnaden und denselben Nachkommen Niemand zuwieder wöhlen [würden].104

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Bericht des Staatsrates von Ilgen an den König (26. Okt. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3150. Hier zitiert nach einem Auszug des Vertrages, den Friedrich I./III. gemeinsam mit seiner Beschwerde über die Wahl an den Kaiser gesandt hat (18. Sept. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 153v-156r. Weitere Versionen des Vertrages befinden sich in Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8728/6 sowie in der vom Stift autorisierten Druckschrift RECHTLICHE DEDUCTION […], S. 87-91. Auszugsweise ediert ist der Vertrag bei LORENZ (Bearb.), Quellen zur städtischen Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte von Quedlinburg, Teil 1, S. 153-155. Die Edition von Hermann Lorenz ist jedoch fehlerhaft. Es fehlt der Halbsatz, dass keine Person zu wählen ist, die dem Kurfürsten zuwider ist.

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Ein Blick auf die Prosopographie der Quedlinburger Äbtissinnen, Prälaturen und Kanonissen nach der Reformation zeigt, dass nach 1574 drei Prinzessinnen aus wettinischen Dynastien zu Äbtissinnen des Stifts gewählt wurden, unter den Prälaturen und Kanonissen überwogen hingegen weiterhin die reichsgräflichen Geschlechter der näheren Umgebung wie Schwarzburg und Stolberg.105 Seit Beginn des 17. Jahrhunderts kann demnach ein verstärktes Interesse der wettinischen Dynastien am Stift Quedlinburg beobachtet werden. Damit verbunden war wohl die Hoffnung, dass die bisherigen Streitigkeiten mit den vorherigen Äbtissinnen abgestellt würden.106 Nach 1650 hatten die Auseinandersetzungen zwischen dem Stift und seinem sächsischen Schutzherrn wieder an Frequenz und Intensität zugenommen.107 Angesichts dieser Situation gelang es Anna Dorothea von Sachsen-Weimar in den 1680er Jahren, die bereits ohne Wissen des Schutzherrn erwählte Coadjutorin zu verdrängen,108 indem sie die Unterstützung des Kurfürsten gewann. Zuvor hatte sie ihm das Versprechen gegeben, dass mit ihrer Wahl die vielen Streitigkeiten abgestellt würden.109 Kurfürst Johann Georg III. ging auf das Angebot ein und forderte als Bedingung für seine ____________ 105

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Vgl. die Prosopographie in KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 45-104. Vgl. VOIGT, Geschichte des Stifts Quedlinburg, Bd. 3, S. 357. Diese Erwartungen konnte keine der drei Äbtissinnen vollends erfüllen. Vgl. ebd., S. 366, 378 u. 412. Seit 1645 stand dem Stift die Pfalzgräfin Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld vor. Unter ihrer Regierung spitzte sich die Konkurrenzsituation zwischen der Äbtissin, dem Schutzherrn, dem Stiftshauptmann als seinem lokalen Vertreter und der Stadt Quedlinburg als Pächter der Vogtei auf den Gebieten der Jurisdiktion, dem Kirchenregiment und weiterer landeshoheitlicher Befugnisse zu. Die borussisch gefärbten Stiftsgeschichten erklären über Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld, sie habe „das hiesige Stift zu einem beständigen Kampfplatz gemacht“, so dass „durch die ewigen Zänkereien mit dem Schutzherrn […] oft das gemeine Wohl verletzet und hintan gesezt“ worden wäre. VOIGT, Geschichte des Stift Quedlinburg, Bd. 3, S. 498. In einer eher pro Stift gefärbten Geschichtsschreibung heißt es hingegen, sie habe sich „sehr wacker“ in den „verschiedenen Streitigkeiten“ mit dem Schutzherrn gezeigt und dabei diplomatisches Geschick bewiesen, indem sie einerseits in „billigen Dingen“ nachgegeben, andererseits aber „keine von den stiftischen Gerechtsahmen“ preisgegeben habe. FRITSCH, Geschichte des vormaligen Reichsstifts, Bd. 2, S. 36. Hierbei handelte es sich um Herzogin Anna Dorothea von Holstein-Gottorf. Am 7. Dezember 1683 teilte die amtierende Äbtissin Anna Sophia von Hessen-Darmstadt dem sächsischen Kurfürsten die Wahl mit: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 27, fol. 449r-445r. Schriftliche Vorstellung des Konsistorialrates Schmieden als Vertreter der Herzogin nach seiner persönlichen Audienz beim sächsischen Kurfürsten (2. Jan. 1684): Weimar ThStA Auswärtige Angelegenheiten D 2201, fol. 41r-42r.

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Unterstützung, dass die Prinzessin direkt nach ihrer Wahl die bisherigen Differentien durch schleunige Ausmach: und Vollziehung des bey obengedachter Conferenz zu Dresden abgefaßeten Recessus, vollendts [abtäte], und des Capituls Consens darüber [verschaffe].110 Darüber hinaus musste sie versichern, dass sie weder die schwebenden Prozesse am Reichskammergericht und Reichshofrat fortsetzen, noch andere Schwürigkeiten gegen den Rezess anstrengen wolle, sondern vielmehr solchen [den Rezess, Anm. d. Verf.] genehmhaltem und ein friedlich gutes Vernehmen zwischen Seiner des Herrn Churfürsten Gnaden und gedachten Stifft auff alle Weis und Wege […] befördern [werde].111 Nach ihrer Zusicherung wurde die vormalige Coadjutorinwahl durch den Kurfürsten mit Verweis auf den Vertrag von 1574 kassiert und Anna Dorothea von Sachsen-Weimar im April 1684 zur Äbtissin postuliert.112 Wenig später nahm sie, wie zugesichert, vertreten durch den Weimarer Hof- und Konsistorialrat Christian Wildvogel die Verhandlungen mit den kursächsischen Räten im Umfeld der gemeinsamen Huldigung wieder auf.113 Resultat war der am 18. Februar 1685 abgeschlossene Concordien-Rezess, mit welchem die seit Mitte der 1650er Jahre offenen Streitfragen beigelegt werden sollten.114 ____________ 110

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Bereits unter ihrer Vorgängerin Anna Sophia von Hessen-Darmstadt war ein Vertrag in gemeinsamen Verhandlungen zwischen Stifts- und kursächsischen Räten aufgestellt worden, der die vielfältigen Streitpunkte klären sollte. Anna Sophia ließ diesen Vertrag jedoch trotz ihrer nahen verwandtschaftlichen Beziehung zum Kurfürsten von Sachsen – ihre Mutter war nicht nur eine kursächsische Prinzessin, sondern auch die Stiftskarriere Anna Sophias war stark durch ihre sächsische kognatische Verwandtschaft gefördert worden – platzen. Vgl. zu Anna Sophia von Hessen-Darmstadt SCHRÖDER, Integration stiftischer Lebensweise. Revers Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar gegenüber Johann Georg III. von Sachsen [Konzept mit nachträglichem eingefügtem Datum] (1. Febr. 1684): Weimar ThStA Auswärtige Angelegenheiten D 2201, fol. 71r-75r; Original in Magdeburg LHASA Rep. U9 tit. A III Nr. 10. Johann Georg III. von Sachsen erklärte gegenüber dem Kapitel die Wahl der Herzogin Anna Dorothea von Holstein-Gottorf zur Coadjutorin für ungültig (18. Jan. 1684): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 27, fol. 25r-v; Instruktionen für den Hofmeister Hans Melchior von Hering, während seines Aufenthaltes in Weimar die Postulation Anna Dorotheas vorzunehmen (21. April 1684): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.V Nr. 27, fol. 19r-21v. Vollmacht für den Weimarer Hof- und Konsistorialrat Christian Wildvogel zu den Verhandlungen in Dresden (3. Febr. 1685): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 953br-953cr. Concordien-Rezess (18. Febr. 1685), abgedruckt in RECHTLICHE DEDUCTION […], S. 97120.

3.1. Geben

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Dem Rezess lag auf Seiten des Kurfürsten die Vorstellung einer geteilten Landesherrschaft im Stift von Äbtissin und Schutzherrn zugrunde. Er markiert somit den vorläufigen Schlusspunkt einer Entwicklung, die angefangen von der 1479 überlassenen Schutzvogtei bis hin zur Aufrichtung der landesherrlichen Mitherrschaft des Schutzherrn reichte und ihren symbolischen Ausdruck in der Gesamt- und Einzelhuldigung der Untertanen gegenüber dem Kurfürsten als Landes=Fürsten / und Erbvoigten sowie in der Bezeichnung der Gräntz=Steine / mit denen Chur=Schwerdtern/ Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht fand.115 Das mit dem Concordienrezess gestiftete Bündnis zwischen Äbtissin und Schutzherr war nicht von langer Dauer. Anna Dorothea hielt sich weder an die Vereinbarungen des Vertrages, noch teilte sie die Vorstellung einer geteilten Landesherrschaft. Hiervon zeugen sowohl ihr landesherrliches Auftreten, das sich vor allem gegen den Stadtrat richtete, in dessen Policeygerechtsame sie beispielsweise eingriff,116 als auch ihre Bemühungen Mitte der 1690er Jahre, ihre alleinige Landesherrschaft durch juristische Gutachten bestätigen zu lassen und diese im Druck einer breiten reichsständischen Öffentlichkeit vorzuführen.117 Sie ließ sich auch von wettinisch gesamtdynastischen Argumenten nicht beeindrucken, die der sächsische Kurfürst ins Feld führte. Gegenüber dem Herzog von Sachsen-Weimar, dem Bruder Anna Dorotheas, erklärte er: Er wisse nicht, wie es mit der schuldigen […] danckbarkeit zu vereinbaren wäre, dass die Prinzessin wieder ihres eigenen Chur: und Fürstlichen Hauses […] gerechtsame […] solche schädliche Schmälerungen [vornehme] und sich und folglich Unserm ganzen Chur- und Fürstlichen Hauße so ganz ____________ 115

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Concordien-Rezess, S. 102. Vgl. den ebenfalls im Concordien-Rezess festgelegten Wortlaut des Huldigungseides bei der Einzelhuldigung und ähnlich bei der Gesamthuldigung, Beilagen A und B, S. 117-119. Im Huldigungseid bei der Gesamthuldigung wird der Kurfürst zunächst nur als Erbvogt erwähnt, die Bezeichnungen der Schlussformel als Landes=Fürsten und Obrigkeit können dann aber gleichsam auf ihn bezogen werden. Bericht des Stiftshauptmannes Adrian Adam von Stammer an das Ratskollegium zu Dresden (13. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/26; Beschwerde des Quedlinburger Stadtrates beim sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. (29. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/31. Facti Species an die Nürnbergische Juristenfakultät zu Altdorff inklusive der zu beantwortenden Fragen nach der Beschaffenheit der Landeshoheit im Stift sowie dem Verhältnis zwischen Stift und Stadt (o.D.); das Gutachten der Juristenfakultät Altdorff (17. Sept. 1694) sowie dessen Bestätigung durch Senior und Assessoren des Schöppenstuhls des Herzogtum Magdeburgs in Halle (Okt. 1694): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 28, fol. 232r-240r, 241r-286v, 288r-292v.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

befließentlich als ohne einzige Noth, entgegen[stelle].118 Während die Verwandtschaft zum Kurhaus und mehr noch das Bündnisversprechen der Herzogin als Strategien im Kampf um das Äbtissinnenamt dienten, wurde beides obsolet, nachdem sie ihr Ziel erreicht hatte. Die neugewonnene Stellung als vom Kaiser mit Rechten und Privilegien belehnte Reichsfürstin eröffnete Anna Dorothea die Möglichkeit, vorherige Zusagen zu revidieren und ihren Anspruch auf die Stiftsherrschaft zu behaupten. Die Wahlen Johanna Charlottes von Brandenburg sowie Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar haben deutlich gemacht, dass es bei der Bestellung einer neuen Äbtissin um mehr als die Wiederbesetzung eines Amtes und die Versorgung eines weiblichen Familienmitgliedes ging. Der Wahlakt besiegelte vielmehr die in den Wahlabsprachen ausgehandelten Herrschaftsverhältnisse im und um das Stift, indem sich das Kapitel beispielsweise noch vor der Wahl Mitspracherechte oder auswärtige Kräfte Einflussmöglichkeiten sichern konnten. Darüber hinaus stiftete der Wahlakt zuvor ausgehandelte Bündnisse und Loyalitäten innerhalb des Stifts sowie mit auswärtigen Interessensgruppen wie dem Schutzherrn und seinen Vertretern. Insofern hatte das Ergebnis der Wahl immer eine politische Dimension, die sich in den Motiven der beteiligten Akteure niederschlug.

Freiwillig oder erzwungen? Angesichts des nachhaltigen Engagements von Dynastie und Verwandtschaft in den Wahlverhandlungen sowie ihrer damit verbundenen dynastischen und politischen Interessen stellt sich die Frage nach der Rolle, welche die hochadeligen Töchter, Schwestern und Nichten spielten. Waren sie Marionetten in den Händen ihrer vornehmlich männlichen Verwandten oder Agenten in eigener und dynastisch-verwandtschaftlicher Sache? Die Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg nahm in den Wahlverhandlungen um ihre Nachfolge an der Spitze des Herforder Stifts lange eine eher passive Rolle ein. Sie war zwar von Beginn an in die Pläne für ihre Wahl als künftige Äbtissin eingeweiht, Motoren der Wahlabsprachen waren jedoch die Minister in Berlin und die brandenburgisch-preußischen Regierungsvertreter vor Ort. Zum Ende der Verhandlungen beteiligte sich die ____________ 118

Johann Georg IV. von Sachsen an Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (14. Sept. 1693): Weimar ThStA Auswärtige Angelegenheiten D2201, fol. 283r-287v. In der bereits 1373 geschlossenen Erbverbrüderung zwischen den Linien der Wettiner besaß das hier betonte gesamt-dynastische Interesse eine konkrete Bezugsgröße. Denn für den Fall, dass die kurfürstliche Linie ausstarb, würden deren Rechte an die herzoglichen Linien übergehen.

3.1. Geben

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Markgräfin vereinzelt an den Gesprächen, indem sie mit den verschiedenen preußischen Räten korrespondierte und auch selbst Briefe an die Kapitulare und die Dekanissin verschickte.119 Diese wurden aber ebenso wie die meisten Anschreiben des Königs im Berliner Kabinett ausgefertigt, das im Herforder Wahlgeschäft als Schaltzentrale fungierte.120 Hier liefen die Kommunikationsstränge aus Herford und Bielefeld, wo die Regierungsvertreter vor Ort mit den Kapitularen verhandelten, aus Hamburg und Verden, wo Gesandte den Gesundheitszustand der kranken Äbtissin beobachteten,121 aus Wien und Wetzlar zusammen, wo sich die Agenten in den anhängigen Prozessen des Stifts engagierten.122 Initiator des Wahlgeschäftes war ____________ 119

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Kammergerichtsrat Dietrich Ulrich von Hackeborn stand in regem Austausch mit der Markgräfin und unterrichtete sie über die Vorgänge in Herford. Vgl. wiederholte Berichte: Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3152. Vgl. beispielsweise Antwort der Markgräfin an Eleonore von Hessen-Homburg, die auf ihre Bitte hin im Kabinett verfasst wurde (29. Dez. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3147; oder das Notifikationsschreiben über die Postulation an den Kaiser mit der Bitte um Konfirmation (7. Febr. 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3152. Vgl. Königliches Auftragsschreiben an Thielemann, sich mit dem Hofmarschall der Äbtissin, von Witzleben, bekannt zu machen (26. März 1720): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137; Bericht des Residenten Thilemann über ein Treffen mit dem Hofmarschall von Witzleben (14. April 1720): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137; Bericht des Landdrosten von Osten an den Kabinettsminister von Ilgen (30. März 1727): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 212 (Zitat); Berichte des Residenten Thielemann (10. Okt. u. 14. Okt. 1728): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3145. Zuletzt hatten Äbtissin und Kapitulare ihre innerstiftischen Streitigkeiten vor die beiden höchsten Reichsgerichte getragen. Während Charlotte Sophie gegen die Mitglieder des Kapitels vor dem Reichshofrat klagte, wandten sich die Mitglieder des Kapitels an das Reichskammergericht, wo sie durch die königlich-preußischen Prokuratoren und Assessoren unterstützt wurden. In der Auseinandersetzung ging es einerseits um die eigenmächtige Wahl einer neuen Dekanissin durch die Kapitulare, andererseits um das herrschaftliche Auftreten der Äbtissin gegenüber dem Kapitel, welche die neue Dekanissin nicht anerkannte, die Aufnahme einer neuen Kanonissin gegen den Willen des Kapitels durchsetzte und die Kapitulare strafrechtlich verfolgte. Vgl. Bericht des brandenburgischpreußischen Gesandten in Wien Kannegießer nach Berlin (4. Juni 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137; Kapitulare des Stifts Herford an Kaiser Karl VI. (4. Sept. 1724): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3140; Aufträge des Ministeriums an die preußischen Pro-

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

neben Friedrich Wilhelm I. sein wichtigster außenpolitischer Berater, Kabinettsminister Heinrich Rüdiger von Ilgen, der in den nachfolgenden Verhandlungen immer wieder als Berliner Ansprechpartner agierte.123 Die Markgräfin fügte sich in die für sie vorgesehene Rolle der künftigen Äbtissin. Sie nahm die Pläne des Königs mit grossem respect an und erklärte sich ihm gegenüber für die unverdiente Gnade unendlich obligiret. Noch im Vorfeld der Wahl versicherte sie, dass sie sich nach Amtsantritt in allem nach Eure[r] Königlichen Majestät allergnädigstem Willen und Befehl betragen [wolle].124 Wenige Monate vor ihrer Wahl zollte sie ihrem Neffen gantz unterthänigen danck für erzeigte gnade, mit der er allein ihr zu dem künfftige[n] Etablissement verholfen hatte. Sie verband ihren Dank mit der Versicherung, daß ich in allen Stücken mich bemühen werde dero ferner huldt und Protection zumeritiren, um gleichzeitig ihrer Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass der König sie bei ihren Perogativen, gerechtigkeiten, und Emolimenten […] schützen, und [...] conserviren [werde].125 Die Aussagen der Markgräfin spiegeln nicht blinden Gehorsam, sondern das wechselseitige, wenn auch eindeutig hierarchische Verhältnis zwischen ihr und dem König als Oberhaupt der brandenburgisch-preußischen Dynastie wider, das sich in entsprechenden Höflichkeitsformen des schriftlichen Verkehrs niederschlug. Die Unterordnung der einzelnen Mitglieder unter die Interessen der Dynastie und den Willen des Oberhauptes wurde von den Betroffenen nicht unbedingt als äußerer Zwang wahrgenommen, sondern war getragen von ihrer durch Stand, Status, Konfession und Geschlecht beeinflussten Sozialisation und ihres dadurch geformten Bewusstseins. Die Frage nach Zwang oder Freiwilligkeit im Kontext des Eintrittes in ein Stift ist daher irreführend.126 Im Stift bot sich hochadeligen Frauen ein alternativer Lebensweg neben der standesgemäßen Eheschließung oder dem zurückgezogenen Leben im ____________ 123

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kuratoren und Assessoren am Reichskammergericht (5. und 6. Okt. 1723): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3140. An anderer Stelle war bereits von dessen Sohn Heinrich Rütger von Ilgen die Rede, der wie sein Vater als preußischer Minister diente. Vgl. zum Vater Heinrich Rüdiger von Ilgen ULBERT, Der Leiter der preußischen Außenpolitik Heinrich Rüdiger von Ilgen; BAUMGART, Ilgen, Heinrich Rüdiger von, S. 133 f. Vgl. den Bericht des Ministers Heinrich Rüdiger von Ilgen über seine Unterredung mit der Markgräfin (2. April 1720): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg) Nr. 3150. Johanna Charlotte von Brandenburg an Friedrich Wilhelm I. (2. Nov. 1728): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1122. Vgl. DÜSEDER, Die Bedeutung der Klöster und Stifte für den Adel, S. 227-229; MEIER, Warum adelige Frauen in ein Stift oder Kloster eintraten, S. 110.

3.1. Geben

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Kreis der Familie. Damit verbunden war insbesondere für die Äbtissinnen an der Spitze des Stifts mehr Spielraum für eigene Entscheidungen, den sie für oder gegen die dynastisch-verwandtschaftlichen Interessen einsetzen konnten.127 Anna Dorothea von Sachsen-Weimar zeigte deutlich mehr Eigeninitiative bei ihrem Eintritt in das Stift Quedlinburg und der Planung ihres Aufstiegs innerhalb der Stiftshierarchie. Auf eigenen Wunsch fand sie 1677 als 20-Jährige zunächst auf Zeit als Kostgängerin der amtierenden Äbtissin Aufnahme ins Quedlinburger Stift.128 Obwohl es sich ausdrücklich nur um einen zeitlich begrenzten Aufenthalt Anna Dorotheas im Stift zur religiösen Unterweisung handelte,129 machten sich die Prinzessin und ihre Weimarer Herkunftsdynastie schon kurz nach ihrer Unterbringung Hoffnungen auf ____________ 127

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S. u. Kap. Politische Loyalität; Verwandtschaftlich-ständische Interessensgemeinschaft; Unter Freunden; Enttäuschte Erwartungen. Anna Dorothea bat den Weimarer Kanzler Happen, sich nicht nur darum zu bemühen, dass sie ihren Aufenthalt im Stift nehmen kann, sondern auch ihren Vater von diesem Anliegen zu überzeugen: will mich Auch das versichert halden, das der Herr Cantzler wird bey Ihr Gnd, den Herr Vatter Also vor zu bringen wißen damit Ich An begerden Ohrt bald komen möge, und wehr Also mein bitten, das doch mein liber Hl Cantzler, erhalten wolle, das Er auff den Dienstag selber hin geschicket würde nach quetlenburg, und das der Herren Vatter doch belieben wohle selber ein briffgen an die Äbtißin zu schreiben, damit es weiter keine weidleufftigkeit würde, und um Gleich bitte ich Auch den Herren Cantzler, daß Er sich doch so Güttich erzeigen wohle und sich dieße Sache so laßen Angelegen seyn Als wenn er mein gantz leben, darmit erretten könde. Anna Dorothea an Kanzler Happe (30. Juni 1677): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2192, fol. 9r-10r. Happe handelte vor Ort mit der Äbtissin die Bedingungen aus, unter welchen die Prinzessin im Stift untergebracht und verköstigt wurde. Ihre Herkunftsfamilie versprach, für ein Jahr 300 Reichstaler Kostgeld für Kost Gemach, Holz, Licht und andere ermelte Bequemlichkeit zu zahlen. Vgl. ausgehandelte Vereinbarung (13. Juli 1677): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2192, fol. 19r-21v. Der Vater schickte der Prinzessin eigens eine Bibel nach. Vgl. Anna Dorothea an Kanzler Happe, der sich beim Vater in ihrem Namen bedanken sollte (20. Aug. 1677): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2192, fol. 29r-30r. Nicht nur Anna Dorothea, sondern auch ihre Schwestern Wilhelmine und Eleonore Sophie hielten sich zeitweise in Quedlinburg auf, ohne Kanonissin zu sein. Damenstifte fungierten in der Frühen Neuzeit nicht selten auch als familiäre Erziehungsinstitution, wo Tanten ihre Nichten gemäß ständischer und religiöser Werte erzogen. Ein solches Verhältnis ist für Charlotte Sophie von Kurland und ihre Nichte Eleonore von Hessen-Homburg belegt, die nach dem frühen Tod ihrer Mutter zeitweise von der Herforder Äbtissin erzogen wurde. Gleiches gilt auch für Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, die im Stift Thorn wohl von ihrer Tante erzogen wurde. Vgl. zur Erziehungsfunktion von Damenstiften KÜPPERS-BRAUN, Katholische Hochadelsstifte als Orte weiblicher Sozialisation.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

die Coadjutorie.130 Als diese an die amtierende Pröpstin ging, bemühten sich Vater und Tochter stattdessen um das demnächst vakant werdende Amt der Pröpstin. Herzog Johann Ernst II. erklärte dem sächsischen Kurfürsten, dass, obwohl der Stiftsaufenthalt seiner Tochter nur auf Zeit geplant gewesen sei, die Prinzessin offensichtlich Gefallen an dem Leben im Stift gefunden und sich daher für eine langfristige Unterbringung entschieden habe, und bat ihn um seine Unterstützung.131 Anna Dorothea ersuchte ihren Vater um Handlungsanweisungen, auf welche Art und Weise sie es bewerkstelligen könne, von der amtierenden Pröpstin und Coadjutorin Anna Sophia von Hessen-Darmstadt schon jetzt eine schriftliche Versicherung zu erhalten, dass sie nach ihrem Amtsantritt als Äbtissin das Amt der Pröpstin zu Gunsten Anna Dorotheas abtreten werde.132 1681 zur Pröpstin des Stifts aufgestiegen,133 bemühten sich die Weimarer Prinzessin und ihre Herkunftsfamilie erneut um die Wahl zur Coadjutorin.134 Mit ihrer Bündniszusage gegenüber dem sächsischen Kurfürsten setzte sie sich in der Folge gegen eine holsteinische Konkurrentin durch und gelangte 1685 als Äbtissin an die Spitze des Stifts.135 Anders als Johanna Charlotte von Brandenburg war ____________ 130

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Ihr Diener berichtete an Kanzler Happe, dass es zwar Gerüchte um die Wahl der Pröpstin zur Coadjutorin gebe, diese aber an Unpässlichkeit leide, so dass man sich berechtigte Hoffnungen machen könne, dass noch nichts entschieden sei. Vgl. Diener an Happe (1. Sept. 1677): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2192, fol. 31r-32v. Johann Ernst II. von Weimar an Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen (8. März 1678): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2193, fol. 33r-v. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Johann Georg II. von Sachsen (10. März 1678): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2193, fol. 34r-35r. Gleichzeitig bat sie Kanzler Happe wiederholt, den Herzog um Anschreiben an den Kurfürsten von Sachsen, den Landgrafen von Hessen-Darmstadt und die Pröpstin zu ersuchen. Vgl. Anna Dorothea an Kanzler Happe (6. Febr. u. 13. März 1678): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2193, fol. 16r-17r, 38r-39r. Nach ihrer Wahl zur Coadjutorin hatte Anna Sophia von Hessen-Darmstadt nicht direkt auf ihr Pröpstinnenamt verzichtet, weil mit der Coadjutorie keine Einnahmen verbunden waren, sondern der Prinzessin von Weimar nur einen Expektanz-Schein ausgestellt. Erst nach ihrem Amtsantritt als Äbtissin belehnte sie Anna Dorothea mit der Propstei. Belehnung [1681]: Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2195, fol. 1r. Vgl. Memorial Was wegen der Princeßin Pröbstin fürstl. durchlt. beym Churfl. Sächß: Hofe zu negotyren (24. Okt. 1681): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2195. Anna Dorothea an den Kurfürsten von Sachsen mit der Bitte um Unterstützung, ebenso durch den Herzog (6. März 1683): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2198, fol. 15r-v, 16r-17r. S. o.

3.1. Geben

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Anna Dorothea von Sachsen-Weimar nicht nur in jeden dieser Schritte eingebunden, sondern trieb sie selbst aktiv voran. Die Bestellung zur Äbtissin gelang ihr jedoch nur mit Hilfe ihrer Weimarer Hausmacht, die Personal und Kontakte aufwandte, um die Stiftskarriere der Herzogin zu befördern. Die weiteren Anwärterinnen auf das Äbtissinnenamt in den hier behandelten Stiften waren im Untersuchungszeitraum in der Regel alle mehr oder weniger in die Verhandlungen um ihre Zukunft involviert. Nichtsdestoweniger gab es auch Frauen, die mit ihrem Schicksal haderten. Ein Beispiel hierfür ist die Essener Äbtissin Elisabeth von Berg, die lange Zeit als die Wiederherstellerin der Katholizität des Stifts galt.136 Sie beschrieb das Stift als melancolis ort und die Umgebung als plumen landt.137 Zeit ihres Lebens betrauerte sie den Verlust ihrer Jugendliebe und träumte von einem hupse[n] yunghe[n] fryer sowie einem grote[n] bruttschats.138 Auch Prinzessin Anna Amalie von Preußen schien zunächst mit ihrer Rolle als künftiger Äbtissin von Quedlinburg unzufrieden gewesen zu sein. Dies berichtet zumindest Graf Lehndorf, der Kammerherr der preußischen Königin Elisabeth Christine, in seinen Tagebüchern.139 Anders als ihre Schwester Luise Ulrike, Königin von Schweden, die sich keine größere Strafe vorstellen konnte als das Leben einer Äbtissin, freundete sich Anna Amalie später zur Verblüffung ihrer Schwester mit der Vorstellung offenbar an.140 Glaubt man den Worten Anna Amalies, dann war die Form ihrer standesgemäßen Versorgung für sie schließlich von nachgeordneter Bedeutung: L´unique objet de mes bonne est, de m´acqueris vôtre Amitié, elle me tiendra toûjeurs lieux des plus belles Couronnes, des ____________ 136

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Vgl. SCHMIDT, Elisabeth vom Berge, die Wiederherstellerin der katholischen Religion. Obwohl die Regierung Elisabeths von Berg streng genommen außerhalb des Untersuchungszeitraumes liegt, wird ihr Beispiel dennoch als Baustein hinzugezogen, um das Spektrum an individuellen Lebensläufen der Äbtissinnen aufzuzeigen. Zitiert nach KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 256. Plumen leitet sich vom mittelhochdeutschen plume für Blume ab. An dieser Stelle würde ein Bezug auf das Adjektiv ‚plump‘ im Sinne von öde mehr Sinn ergeben, dieser konnte aber auf ethymologischer Grundlage nicht gezogen werden. Elisabeth von Berg hatte sich wohl schon als junge Adelige in den niederländischen, reformierten Grafen Floris von Brederode verliebt, der aber ihre ältere Schwester heiratete. Als Äbtissin schrieb sie ihm dann sehnsüchtige Briefe. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 256-258. Er berichtet über den 5. und 6. April: Die Prinzessin Amalie reist nach Quedlinburg, um dort eingeführt zu werden und angesichtes der Kirche ihren himmlischen Gemahl zu empfangen, den sie, glaube ich, ganz gern gegen einen Gemahl von dieser Welt vertauschen würde. LEHNDORFF, Tagebücher, Bd. 1, S. 263. Undatiertes Schreiben der Königin Luise Ulrike von Schweden an Anna Amalie von Preußen: Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. W 93.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Electorats et des plus riches Abeyes; c´est le seul bien que je désire et c´est à quoi tend toute mon Ambition.141

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Übersetzung der Verfasserin: „Das einzige Objekt meines Glücks ist, mir eure [Friedrichs II., Anm. d. Verf.] Freundschaft zu versichern, sie wird mir als Ersatz dienen für die schönsten Kronen, Kurfürstentümer und reichsten Abteien; sie ist das einzige Gut, das ich wünsche und worauf sich mein ganzer Ehrgeiz erstreckt.“ Undatiertes Schreiben Anna Amalies an Friedrich II.: Berlin GStA PK BPH Rep. 46 W 112 fol. 132v.

3.2. Nehmen

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3.2. Nehmen 3.2. Nehmen

Die häufig in der Forschung betonte Versorgungsfunktion der Damenstifte suggeriert die Vorstellung, dass der Eintritt ins Stift und besonders die Wahl zur Äbtissin sowohl die Herkunftsdynastien von der standesgemäßen Unterhaltslast befreit als auch den Frauen finanzielle und damit gesellschaftliche Unabhängigkeit von ihrer Dynastie beschert habe.1 Hier wird nun kritisch hinterfragt, ob die Stifte tatsächlich die materielle Versorgung der Äbtissinnen sicherstellten oder ob sie nicht doch weiterhin auf die wie auch immer geartete Unterstützung ihrer Verwandtschaft angewiesen waren bzw. diese vorteilhaft für sich zu nutzen wussten – inwiefern also Dynastie und Verwandtschaft feste Bezugsgrößen im Leben und Handeln der Äbtissinnen blieben.

Leben am Hof Als Prinzessin Anna Amalie in Preußen 1744 im Stift Quedlinburg zunächst zur Coadjutorin gewählt wurde und dann 1756 als Äbtissin nachfolgte,2 versicherte sie beide Male in ihrer Wahlkapitulation, erstlich, nach erfolgter Introduction […] in Person im Stiffte wesentlich residiren, und die Regierung der Abtey führen zu wollen.3 Trotz dieses Versprechens war Anna Amalie während ihrer Amtszeit nur drei Mal in Quedlinburg: 1756 zu ihrer feierlichen Inthronisation, 1765 nach dem Siebenjährigen Krieg und schließlich 1785 zur Einführung Prinzessin Friederikes von Preußen als neuer Pröpstin.4 Anna ____________ 1

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Vgl. THEIL, Geistliche Einkehr und adelige Versorgung.; ANDERMANN (Hg.), Geistliches Leben und standesgemäßes Auskommen. Notariatsinstrument der Wahl Anna Amalies zur Coadjutorin (6. Dez. 1744): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.V Nr. 32, fol. 138r-142v; Beschreibung der solennen Introductions-, Huldigungs- und Belehnungsakte der Prinzessin Anna Amalie von Preußen (9.-13. April 1756): Schleswig SHLA Abt. 260 Nr. 134. Reversales Postulandae Anna Amalies inklusive Wortlaut der Wahlkapitulation (7. Jan. 1745): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 32, fol. 166r-170r; Wahlkapitulation Anna Amalie von Preußen, Garant Herzog Carl von Braunschweig-Lüneburg (2. März 1756/20. März 1756): Magdeburg LHASA Rep. U9 tit. AI Nr. 85. Eine ähnliche Verpflichtung zur Residenz findet sich auch in den Essener Wahlkapitulationen. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 63. Der Siebenjährige Krieg war für das Quedlinburger Stift sehr verlustreich. Darunter hatten nicht zuletzt die Einkünfte der Äbtissin gelitten, die sich laut Aussage des Grafen Lehndorff über ihre schlechte finanzielle Lage beklagt hatte, da man ihr aus Quedlinburg nichts schicke. Ihr Aufenthalt diente zum einen dazu, sich selbst einen Überblick über die

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Amalie verließ das Stift immer nach wenigen Tagen wieder und genoss stattdessen die Annehmlichkeiten, die sich ihr als unverheirateter Schwester des Königs in Berlin und Potsdam eröffneten.5 Als solche nahm sie am höfischen Leben teil und gestaltete dieses in der Form eigener Soupers, Feste, Konzerte und privater Theateraufführungen selbst mit.6 Während ____________

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Lage zu verschaffen. In diese Richtung zielte auch ein Reskript der Äbtissin gegenüber der fürstlichen (Stifts-)Regierung und dem Konsistorium, in dem sie ihnen auftrug, den Stiftsoberhofmeister von Medem während seines Aufenthaltes zu unterstützen, um Informationen über zum Stift gehörige Einkünfte und Revenüen, über die Ressorts der Stiftsregierung und des Konsistoriums sowie deren Güter und Einkünfte zu sammeln. Reskript Anna Amalie an die fürstliche Regierung (16. März 1765): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXX Nr. 2, fol. 1r. Vgl. REVIÈRE, VOLMER, The Library, S. 27; FRITSCH, Geschichte des vormaligen Reichsstifts, Bd. 2, S. 103-106, 107-108; LEHNDORFF, Tagebücher, Bd. 1, S. 340. Zum anderen waren mit dem Tod Hedwigs von Holstein-Gottorf sowie der Resignation Prinzessin Karolines von Stolberg-Geldern zwei der insgesamt drei Stellen im Stift vakant. Insbesondere die feierliche Einführung einer neuen Pröpstin als zweite Amtsträgerin in der stiftischen Hierarchie und somit Stellvertreterin der Äbtissin erforderte die Anwesenheit Anna Amalies. In anderen Fällen wie beispielsweise bei der feierlichen Einführung der Kanonissin Auguste Eleonore von Stolberg ein Jahr später ließ sie sich wiederum durch die Pröpstin vertreten. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 77f., 87, 90. S. u. Kap. Grenzen Verwandtschaftlicher Besetzungspolitik. Als Quelle über das Leben am preußischen Hof können vor allem die Tagebuchaufzeichnungen des Grafen Ernst Ahasverus Heinrich Lehndorff dienen, der viele Jahre als Kammerherr der Königin Elisabeth Christine im Mittelpunkt der höfischen Gesellschaft stand. Die Originale seiner Tagebücher in französischer Sprache galten lange als verschollen, sind aber seit einiger Zeit i.T. im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig wieder aufgetaucht. Den Angaben und Zitaten hier liegt eine Übersetzung und Edition dieser Tagebücher von Karl Eduard Schmidt vom Anfang des 20. Jahrhunderts zugrunde: LEHNDORFF, Tagebücher. Diese Edtion ist nicht lückenlos, da der Herausgeber zu seiner Zeit verschiedensten Beschränkungen unterworfen war. Zudem müssen aufgrund eigener Erfahrungen mitunter Übersetzungsfehler unterstellt werden. Dennoch fand die Edition wiederholt Eingang in die Forschung. In diesem Zusammenhang bietet sie zumindest Einblicke in den Alltag am preußischen Hof. Vgl. zur Überlieferungssituation LANGFELD, Königin Elisabeth Christine und die Tagebücher ihres Kammerherrn. Lehndorff berichtet wiederholt von Soupers, Festen und Konzerten bei der Prinzessin. Erst im Alter werden diese Gelegenheiten weniger. LEHNDORFF, Tagebücher, Bd. 1, S. 189, 225, 319; ebd., Nachträge Bd. 1, S. 83, 90, 92, 212, 214, 257, 258. Statt eines zentralen Hofes entwickelte sich unter Friedrich II. in Berlin und Umgebung vielmehr eine „dezentrale Hofgesellschaft“, deren Träger die Königin-Mutter Sophie Dorothea (bis 1756), die Königin Elisabeth Christine und die Geschwister des Königs in ihren Nebenresidenzen waren. Vgl. NEUGEBAUER, Hof und politisches System, S. 154-158, Zitat: 157; BISKUP, Höfisches Retablissement.

3.2. Nehmen

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solcher Veranstaltungen wurde vor allem zu Beginn ihrer Regierung auch die neue Stellung der Prinzessin als Äbtissin thematisiert. Auf Schloss Oranienburg veranstaltete Prinz August Wilhelm zu Ehren seiner Schwester wiederholt Kostümfeste, bei denen sich die Hofgesellschaft über die Institution Stift lustig machte, indem sie traditionelle Elemente wie den Herrschaftseinzug einer neuen Äbtissin und deren Inthronisation oder die Reliquienverehrung spielerisch aufgriffen und parodierten.7 Solche spielerischen Inszenierungen in Form eines Kostümfestes gehörten zum klassischen Repertoire höfischer Vergnügungen.8 Dabei wurden Elemente der hochadeligen Lebenswelt aufgegriffen und parodiert, in dem sie einer „komischkarnevaleske[n] Transformation“ unterzogen wurden.9 Die Vorliebe der Prinzessin galt neben der Musik und dem Theater vor allem dem Kartenspiel.10 Bereits in jungen Jahren häufte die Prinzessin immense Spielschulden an, die nicht selten von Friedrich II. beglichen wurden.11 Bis zu ihrem Amtsantritt als Äbtissin besaß Anna Amalie keinen eige____________ 7

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Vgl. den Bericht des Grafen Lehndorff über die beiden Kostümfeste auf Schloss Oranienburg im Sommer 1756: LEHNDORFF, Tagebücher, Bd. 1, S. 278f., 281. Vgl. auch SELLACK, Musik-, Theater- und Festkultur. Vgl. SCHNITZLER, Höfische Maskeraden. MEIER-STAUBACH, Verkehrte Rituale, S. 181. Ebenso wie ihr Bruder war Anna Amalie eine begeisterte Musikerin, die neben Orgel und Klavier auch Flöte spielte. Darüber hinaus versuchte sie sich unter Anleitung des BachSchülers und Kammermusikers Johann Philipp Kirnberger in Komposition und Musiktheorie. Aus ihrer Hand sind unter anderem geistliche Vokalwerke als auch ein Kriegslied aus der Zeit des Bayrischen Erbfolgekrieges überliefert. S. gebundenes Notenbuch sowie einen späteren Druck dieses Kriegsliedes (1916): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. Nr. W110 u. W110a; s. auch die Sammlung eigenhändiger Billets der Prinzessin an Kirnberger in Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. W118b. Vgl. hierzu DEBUSCH, Anna Amalie von Preußen. Debusch gibt sowohl Einblicke in die musikalische Ausbildung der Prinzessin als auch in ihr Werk. Seine Aussagen zur Biographie Anna Amalies sind jedoch mitunter tendenziös und fehlerhaft. Hierzu zählt vor allem die Aufnahme der Affäre um Anna Amalie und den Freiherrn von der Trenck. Wenige Forscher streiten um den Wahrheitsanspruch der angeblichen Beziehung, die Trenck in seinen Lebensbeschreibungen kolportiert und die zum Gegenstand von Literatur und Film geworden ist. Da aussagekräftige Belege fehlen, bleibt diese Episode hier bewusst unberührt. Vgl. dazu FREY, Friedrich von der Trencks Beziehung zu Prinzessin Anna Amalie von Preußen; SCHULTZE, Friedrich Freiherr von der Trenck und Prinzessin Amalia. Vgl. das gemeinsame Schreiben der Schwestern Anna Amalie und Luise Ulrike an Friedrich II., in dem sie ihn um die Begleichung ihrer Spielschulden bitten (1. März 1743), in: PREUSS (Hg.), Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 27_1, S. 433f.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

nen Hofstaat, sondern lebte bei ihrer Mutter Sophie Dorothea.12 Erst nach deren Tod 1757 übernahm die Prinzessin einen Großteil des Hofstaates und bildete eine eigene Hofhaltung.13 Dabei sollte die Besoldung der Dienerschaft nach dem Wunsch der Prinzessin weiterhin aus der Königlichen Hofstaatskasse und nicht aus ihren Stiftseinkünften erfolgen.14 Seit Ende 1764 residierte Anna Amalie im eigenen Palais Unter den Linden, 1772 kaufte sie ein zweites in der Wilhelmstraße dazu.15 Als unverheiratete Prinzessin übernahm Anna Amalie die Pflege kranker Familienmitglieder, kümmerte sich um ihre unglücklich verheiratete Schwester, die Markgräfin Sophie Dorothee von Brandenburg, besorgte die Erbschaftsangelegenheiten nach dem Tod der Mutter und stand im Zentrum des innerfamiliären Kommunikationsnetzes. Dies galt insbesondere für die Kommunikation zwischen dem König, seinen Geschwistern und der Berliner Hofgesellschaft. Anna Amalie und Friedrich II. verband eine enge Beziehung. Nach dem Tod Wilhelmines von Bayreuth übernahm Anna Amalie deren Rolle als Trösterin und Freundin.16 In den Jahren des Siebenjährigen Krieges unterrichtete Friedrich II. die Schwester über Siege und Niederlagen und verarbeitete in diesen Briefen seine Angst des Scheiterns.17 ____________ 12

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Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter war mitunter sehr angespannt. Graf Lehndorff weiß in seinen Tagebüchern sogar zu berichten, dass die Königin-Witwe Anfang 1757 nach einem Streit verboten habe, die Prinzessin aus ihrer Küche zu versorgen. LEHNDORFF, Tagebücher, Bd. 1, S. 315. Insgesamt übernahm sie 70 Personen in ihren Dienst, darunter ein Küchenmeister und vier Mundköche. S. Auflistung des Hofstaates samt Besoldung: Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. Nr. W101. Anna Amalie an den Staats- und Kriegsminister August Friedrich von Boden (17. Jan. 1758): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. Nr. W101. Inventar des Nachlasses der Prinzessin Anna Amalie (30. März 1787): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. Nr. W133. Vgl. RIVIÈRE, VOLMER, The Library, S. 27. Z.B. Friedrich II. an Anna Amalie (24. Mai 1757), in: PREUSS (Hg.), Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 27_1, S. 442f. Am 6. September 1757 berichtete er aus dem Feldlager unweit von Leipzig zunächst von den Truppenbewegungen, um dann zu konstatieren: Voilà, ma chère sœur, où nous en sommes. Je vous prie, ne faites pas tant de vœux pour mon existence. Le morts ne sont pas tant à plaindre que les malheureux. Je marche demain, et je crois de me trouver le 12 ou le 13 en présence de mes nouveaux ennemis. Soyez persuadée que je n`épargnerai rien pour vaincre ou mourir. Ein anderes Mal klagte er am 27. Sept. 1757 aus Erfurt über ma [sic.] triste situation. Aus Glogau erklärte er am 3. Nov. 1759: Ne craignez rien, ma chère sœur, pour ma personne. L`amour de la patrie et le zéle pour ses intérêts me feront tout soutenir. In PREUSS (Hg.), Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 27_1, S. 445f., 455. Vgl. zu den Selbstmordgedanken Friedrichs II. KÜHNEL, Kranke Ehre?, S. 135-170.

3.2. Nehmen

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Die Prinzessin wiederum hielt den sich im Feld aufhaltenden Bruder über die Vorgänge am Hof auf dem Laufenden. Dazu gehörten ebenso Todesnachrichten wie beim Tod der Mutter Sophie Dorothea und des Bruders August Wilhelm sowie die gemeinsame Trauer.18 Anna Amalie besuchte den König auch im Feld.19 Friedrich II. zeichnete seine Schwester fortwährend mit Ehrerweisen aus, indem er ihr bis ins hohe Alter während jedes Berlinaufenthaltes Besuche abstattete, ihr zur Ehre Soupers veranstaltete, sie mit Geschenken und Geld bedachte und ihr den Vorrang vor anderen hohen Damen der Gesellschaft einräumte.20 Dieses Entgegenkommen drückte sich teilweise auch in politischen Zugeständnissen gegenüber dem Quedlinburger Stift aus, die der König salvo jure aus Hochachtung für die Prinzeßin Abbatißin Königliche Hoheit gewährte – beispielsweise bei der Regulierung des Service-Wesens Anfang der 1770er Jahre.21 In anderen Fragen wiederum wie dem Münzregal, einer regelmäßigen Besteuerung oder der Finanzierung des stehenden Heeres durch Einnahmen aus Quedlinburg, die als Indikatoren der Territorialstaatsbildung gelten,22 tolerierten Friedrich II. und seine Regierung weder eigenständiges noch renitentes Handeln der Schwester. Tatsächlich erhob Anna Amalie nur in wenigen Fällen Protest gegen die Beeinträchtigung der Stiftsrechte und wandte sich dabei lediglich an das preußische Generaldirektorium, nicht an den König selbst. Denn es sei allgemein bekannt gewesen, so die borussisch gefärbte Quedlinburger Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, „daß Amalia es sich zum Gesetz gemacht hatte, ihren Königlichen Bruder nur im äußersten und seltensten Falle mit ihren stiftischen Angelegenheiten zu ____________ 18

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Anna Amalie an Friedrich II. über den Tod der Mutter (18. Juni 1757) sowie über den Tod des Bruders, August Wilhelm von Preußen (12. Juni 1758) sowie die Antworten des Bruders (1. Juli 1757 u. 14. Aug. 1758), in PREUSS (Hg.), Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 27_1, S. 444f., 451-453. Im Jan. 1758 in Breslau, vgl. LEHNDORFF, Tagebücher, Bd. 1, S. 375; im Nov. 1758 in Trebatsch, vgl. LEHNDORFF, Tagebücher, Nachträge, Bd. 1, S. 189. Über Anna Amalies Aufenthalt im Feldlager zu Breslau schreibt Graf Lehndorff: Die Prinzessin Amalie geht nach Breslau, wo der König sie mit großer Auszeichnung behandelt, was ihr natürlich außerordentlich schmeichelt. Sie diniert täglich bei ihm, und jeder, der durch Breslau kommt, muß ihr huldigen. Alle schlesischen Damen haben Befehl, ihr den Hof zu machen, als ob sie die Königin wäre. LEHNDORFF, Tagebücher, Bd. 1, S. 375. Anna Amalie an Friedrich II., worin sie sich für fruits, six mille écus oder le présent bedankt (16. Juni 1769, 26. Juli 1769, 1. Aug. 1769), in: PREUSS (Hg.), Œuvres de Frédéric le Grand, Bd. 27_1, S. 460-462. Protokoll der Kommission zur Regulierung des Service-Wesens (23. Sept. 1772): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 29, fol. 1r-6r, Zitat: darin eingeschriebenes königliches Reskript an die Stiftsregierung (13. Aug. 1772). REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt, S. 309-314, 351-359.

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behelligen“.23 In den überlieferten Privatschreiben der Prinzessin an den König finden sich in der Tat kaum Hinweise auf ihr Amt als Äbtissin. Vielmehr zollte die Prinzessin darin dem Bruder Dank, Respekt und Verehrung. Ihre Beziehung war insofern keine ebenbürtige, sondern geprägt durch das hierarchische Gefälle zwischen älterem Bruder und jüngerer Schwester sowie König und nachgeborener unverheirateter Prinzessin. Die starke Einbindung in die preußische Dynastie ebenso wie die dauerhafte Abwesenheit aus Quedlinburg blieb nicht wirkungslos auf die Verhältnisse im Stift. Einerseits hatte Anna Amalie wenig Interesse an der Instandhaltung der Abtei. Reparaturen wurden lediglich an den Wirtschaftsgebäuden durchgeführt, um den Ertrag zu steigern.24 Andererseits strukturierte sie die politischen Beratungsgremien zunächst nach Berliner Vorbild um und verlagerte sie dann nach Berlin. Anna Amalie verlieh der Politik ihres Bruders, der die zunehmende Inkorporierung des Stifts in den brandenburgisch-preußischen Territorialkomplex und die personelle Durchdringung der Stiftsregierung mit preußischem Personal vorsah, so Vorschub.25 Das bedeutete die Quasi-Mediatisierung des Stifts durch Dynastisierung.

Heimliche Kurfürstin Anna Amalie von Preußen war kein Einzelfall. Auch die letzte Äbtissin der Stifte Essen und Thorn, Maria Kunigunde von Sachsen, zog es vor, statt in ihrem Stift am kurfürstlichen Hof ihres Bruders Clemens Wenzeslaus in Koblenz oder in einem seiner verschiedenen Lustschlösser zu residieren. Im Sommer 1769 war sie aufgebrochen, um ihren Bruder in dem neu erworbenen Kurfürstentum Trier zu besuchen.26 Aus dem Besuch wurde ein dauer____________ 23 24

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Vgl. FRITSCH, Geschichte des vormaligen Reichstifts, Theil 2, S. 112. Statt die stark marode Abtei von Grund auf zu renovieren, erbaute sie neue Wirtschaftsgebäude, darunter eine neue Mühle und Ställe. Insbesondere die Mühle diente als zusätzliche Einnahmequelle. Auf diese Weise gelang es Anna Amalie, die Einkünfte des Stifts auf 30.000 Taler zu steigern, von denen 14.000 Taler nach Abzug aller Auslagen übrig blieben, während ihre Vorgängerin immer ein Defizit zu verzeichnen hatte. Vgl. Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XX Nr. 3 u. 4; vgl. Revision Stiftskammer-, Forst- und Baurechnung aus dem Jahr 1769/70: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXV Nr. 28. S. u. Kap. Deliberiren, Resolvieren, Referiren, Expediren. Clemens Wenzeslaus von Sachsen hatte nach einer kurzen militärischen Karriere im Dienst Österreichs die geistliche Laufbahn eingeschlagen und war 1763 zum Fürstbischof von Freising und Regensburg gewählt worden. Beide Bistümer gab er 1768 wieder auf, als er nicht nur zum Bischof von Augsburg, sondern im selben Jahr auch noch zum

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hafter Aufenthalt, der auch mit dem Amtsantritt Maria Kunigundes in Essen und Thorn nicht endete. Sie bezog ein Appartement im Dikasteriealbau neben Schloss Philippsburg in Ehrenbreitstein bei Koblenz,27 dessen Einrichtung sie sehr lobte.28 Im Lustschloss Schönbornlust, im Landschloss Kärlich und auch im neuen Koblenzer Schloss waren Räume für die Äbtissin vorgesehen.29 Dort lebten Bruder und Schwester einem Ehepaar ähnlich zusammen. Sie sprachen sich in ihren gegenseitigen Briefen mit mon mari und ma chére femme an, so dass ihr inniges Verhältnis bereits anzügliche Bemerkungen eines weiteren Bruders hervorrief. Diesem beschied Maria Kunigunde: Je vous prie, de ne pas écrire avec ce ton moqueur sur mon étroite liaison avec l´évèque d´Augsbourg. Sachez qu´il n´y a rien à gloser là-dessus.30 Während der Verhandlungen um ihre Wahl zur Coadjutorin von Essen Mitte der 1770er Jahre kam am Wiener Hof das Gerücht auf, der Kurfürst von Trier verzögere die Bemühungen, vielleicht um nicht des Vergnügens beraubt zu werden, eine so herzlich geliebte Schwester wie die Printzeßinn Cunigunde sey, beständig an dero Hofe zu behalten. Daher wäre ihm gleichgültig, ob die Sache reussire oder nicht.31 Nachdem die Wahl Maria Kunigundes mit Unterstützung des Wiener Hofes gelungen war,32 zog sie Koblenz der provinziellen Kleinstadt Essen vor. Gegenüber ihrer Schwägerin, der Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen, erklärte sie gar: jusque la faim m´obligera d´aller à Fressen [sic.].33 Am kur____________ 27

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Kurfürsten von Trier bestellt wurde. Vgl. zu Clemens Wenzeslaus HEYEN, Clemens Wenzeslaus; RAAB, Clemens Wenzeslaus von Sachsen. Hierbei handelte es sich um ein schlossähnliches Gebäude, das unter Kurfürst Franz Georg von Schönborn zwischen 1739 und 1749 errichtet wurde und ursprünglich die kurtrierische Zentralverwaltung beheimatete. Zwischen 1777 und 1786 diente es sowohl Schwester als auch Bruder als Unterkunft, bis das neue Koblenzer Schloss erbaut war. Vgl. DEHIO, Handbuch Rheinland-Pfalz Saarland, S. 503. Mon frére n´étant pas satisfait encore de mon logement, quoique je suis au mieux, veut encore faire plusieurs embellissements et changements. Zitiert nach SCHRÖDER, Maria Kunigunde von Sachsen, S. 18; vgl. PUPPEL, Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen, S. 50. PUPPEL, Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen, S. 58-60. Zitiert nach SCHRÖDER, Maria Kunigunde von Sachsen, S. 17. Bericht des Dresdener Resident Johann Sigismund von Petzold aus Wien (19. Dez. 1773): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 11r-v. Zuvor hatte das geheime Kabinett in Dresden dem Kurtrierer Staatsrat von Kriftenstein gebeten, ein Einleitungs- und Betreibungsschreiben zu verfassen und nach Wien zu schicken, weil man am Kurtrierer Hof viel mehr Erfahrung mit Erlangung solch geistlicher Etablissement habe. Eben dieses Schreiben stand jedoch noch immer aus. Vgl. Kabinettschreiben an Staatsrat von Kriftenstein (1. Dez. 1773): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 2r-3r. S. u. Kap. Protegieren. Zitiert nach SCHRÖDER, Maria Kunigunde von Sachsen, S. 27.

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fürstlichen Hof genoss Maria Kunigunde das kulturelle Leben an einem geistlichen Mäzenatenhof.34 Sie besuchte Bälle, veranstaltete kleine Konzerte, unterstützte den Bau des Koblenzer Theaters und nahm als passionierte Reiterin im Herrensitz an Jagden teil. Darüber hinaus unternahm sie gemeinsam mit ihrem Bruder Ausflüge in die nähere Umgebung und begleitete ihn auf Reisen sowie bei den alltäglichen Regierungs- und Repräsentationsaufgaben.35 Der Kurtrierer Obermarschall Boos von Waldeck erklärte in seinem Tagebuch:36 Überall ist Ihro Königliche Hoheit, die Prinzessin Cunegunde mit dabei.37 Der französische Gesandte berichtete 1779: Cette princess a su profiter habilement de la faiblesse de son frère pour satisfaire ses vues personnelles. En gouvernant le prince, elle s´est rendue maîtresse de l´administration.38 Solche Stimmen des Koblenzer Hofklatsches fanden Eingang in die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die von Maria Kunigunde das Bild einer „machtbewusste[n] Amazone“ entwarf.39 Nach Aussage des Koblenzer Journalisten Christian von Stramberg, der in seinem „Rheinischen Antiquarius“ Mitte des 19. Jahrhunderts allerhand Geschichten aus der Rheinregion zusammengetragen hat, habe sich Maria Kunigunde nicht nur in der „Rolle der Kurfürstin“ gefallen, sondern sich zugleich dem Kurfürsten „unentbehrlich“ gemacht.40 Die Geschichtsschreiber zogen in ihren ____________ 34

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BROMMER, KRÜMMEL (Hg.), Höfisches Leben am Mittelrhein, S. 114-138. Einer der bedeutendsten Mäzene unter den geistlichen Fürsten im 18. Jahrhundert war Clemens August von Bayern, Kurfürst von Köln. Vgl. zu dessen Wirken HAUSMANN, Auf der ewigen Suche nach Ruhm und Schönheit; REINKING, Herrschaftliches Selbstverständnis. Zu weiteren Beispielen für geistliches Mäzenatentum vgl. NIEDERHÄUSER, Kleriker, Kirchenfürst und Kunstmäzen; VOLCKERT, Bischof Hugo als Mäzen; WÜST, Un concerto grosso. Vgl. PUPPEL, Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen, S. 57f.; KRAMP, Kunigunde von Sachsen am Koblenzer Hof, S. 31. Zu Franz Karl Ludwig von Boos zu Waldeck vgl. SCHÖNFELD, Kurfürsten und Führungskräfte, S. 83-92. Tagebuch des Kurtrierer Obermarschalls Boos von Waldeck: Koblenz LHA Reichsherrschaft Waldeck Nr. 279. Bericht des Gesandten Eleonore-François Elie Comte de Moustier (1715-1817) Tableau de la Cour de Coblence 1779, in KREUZBERG, Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, S. 196f. Vgl. PUPPEL, Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen, S. 61; KRAMP, Kunigunde von Sachsen am Koblenzer Hof, S. 30. KRAMP, Kunigunde von Sachsen am Koblenzer Hof, S. 31. STRAMBERG, Rheinischer Antiquarius, 1. Abt., Bd. 1, S. 652. Pauline Puppel zitiert in diesem Zusammenhang Stramberg weiter, wonach „Maria Kunigunde einen Einfluss auf öffentliche Angelegenheiten ausgeübt habe, der ‚bedeutender wie einer Frauen anständig‘ war.“ Diese Passage bezieht sich bei Stramberg aber nicht auf Maria Kunigunde, sondern

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Ausführungen Parallelen zwischen dem machtbewussten Verhalten der Äbtissin und ihren vermeintlichen „männliche[n] Neigungen“ und ihrem „männliche[n] Charakter“,41 der sich nicht nur in ihrem hässlichen Aussehen samt kräftigem Damenbart, sondern auch in ihren Reit- und Schießfähigkeiten niedergeschlagen habe.42 Solche Ausführungen deuten an, wie schwer sich die Historiker des 19. Jahrhunderts mit einer Fürstin taten, die so wenig dem vorherrschenden Rollenbild ihrer Zeit entsprach. Denn Maria Kunigunde setzte sich auch aus der Ferne tatkräftig für die Belange ihres Stifts sowie für ihre privaten Unternehmungen ein. Sie strengte verschiedene Reformen wie die Neuorganisation der Justiz,43 die Reduzierung der Feiertage und die Reform des Schulwesens an.44 Darüber hinaus agierte sie als Unternehmerin. Als solche ließ Maria Kunigunde die Chauseen im Stift ausbauen und investierte in das lokale Montangewerbe.45 Dabei war sie auf vertrauenswürdige Vertreter in Essen angewiesen, die sie wiederum vielfach im Stab ihres Bruders in Trier fand.46 ____________

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auf Sophie von La Roche. Ein Konnex kann mit Verlaub nur aus dem Zusatz, dass einige andere „gebietende[…] Frauen“ desselben Hofes weit weniger gute Absichten im Sinne hätten, vermutet werden. Vgl. STRAMBERG, Rheinischer Antiquarius, 2. Abt. Bd. 1, S. 105. Sowohl der Rheinische Antiquarius als auch dessen Nachfolger sind in ihrem Aussagewert kritisch zu behandeln. Sie transportieren weniger die Einschätzung der Zeitgenossen Maria Kunigundes als vielmehr ihres eigenen Entstehungskontextes, der wie im Fall Strambergs einige Jahrzehnte später angesiedelt ist. Diese Vorstellungen wurden dann vielfach bis in die heutige Zeit weitertransportiert. Vgl. ZENZ, Maria Kunigunde. VEHSE, Die geistlichen Höfe, 2. Teil, S. 79. Vehse folgt in seinen Ausführungen vollkommen Strambergs Rheinischem Antiquarius und hat regelrecht dort abgeschrieben. Auffällig ist, dass er Maria Kunigunde nicht in dem Kapitel über die reichsunmittelbaren Äbtissinnen erwähnt, sondern ausschließlich im Zusammenhang mit dem Kurtrierer Hof. Vgl. PUPPEL, Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen, S. 61; ZENZ, Maria Kunigunde, S. 166, 169. VEHSE, Die geistlichen Höfe, 2. Teil, S. 79. Vgl. Edikt Änderung zur Justizordnung, um Kosten zu verringern (28. Mai 1794): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 679, fol. 123r-124v. Publicandum zur Feiertagsreduktion [Konzept] [1782]: Düsseldorf LAV NRW R Stifts Essen Akten Nr. 271; Acten der Fürstlichen Schulcommission sowie zur Einführung von Landschulen: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 609 u. 606. Zu Maria Kunigunde als Unternehmerin vgl. REINIGHAUS, Waren die Essener Fürstäbtissinnen frühneuzeitliche Unternehmerinnen?. Der Kurtrierer Oberstallmeister und Geheimer Rat Freiherr Ferdinand von Duminique organisierte beispielsweise vor Ort die Amtsübernahme. S. u. Kap. Externe Berater.

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Stiftsresidenzen Andere Äbtissinnen nutzen die Unterstützung von Dynastie und Verwandtschaft zum Ausbau eigener Stiftsresidenzen. Ein solches Beispiel liefert die Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach. Sie bediente sich wahrscheinlich ihrer engen verwandtschaftlichen Verbindungen zum Kurfürsten von Pfalz-Neuburg,47 um sich die Dienste des kurfürstlichen Hofbaumeisters Ignaz Kees zu sichern.48 Unter seiner Anleitung wurde um 1744 Haus Borbeck zu einem kleinen Residenz-Schloss mit ca. 40 Zimmern ausgebaut und sein heutiges äußeres Erscheinungsbild geschaffen.49 Als Zeichen ihrer Bauherrnschaft prangt noch heute das Wappen der Pfalzgräfin über dem Eingangsportal. Franziska Christina stattete ihr Schloss mit Möbeln, Portraits und Porzellanfiguren aus, die zu ihrem Privatbesitz gehörten.50 Laut ihres Testaments hatte sie die Baukosten für die Renovierung

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Das Haus Pfalz-Sulzbach war zunächst eine Nebenlinie des kurfürstlichen Hauses PfalzNeuburg, ging aber dann aus dem Neuburger Hauptvergleich von 1656 als eigenständiges Fürstentum hervor. Zwei Generationen später fiel die Kurfürstenlinie beim Aussterben der Pfalz-Neuburger im Mannesstamm an Pfalz-Sulzbach. Beide Linien standen in engem Kontakt. Franziska Christina hielt sich während ihrer Jugend verschiedentlich am Düsseldorfer Hof auf, zum Beispiel zur Karnevalszeit. Beamte des Kurfürsten waren an den Vorbereitungen zur Wahl Franziska Christinas zur Äbtissin von Thorn 1717 beteiligt. Pfalzgraf Carl Philipp unterstützte schließlich auch ihre Wahl zur Äbtissin von Essen 1726. S. Überlieferung zur Wahl Franziska Christinas zur Äbtissin von Thorn in: Amberg BStA Geheime Registratur 3/9, darin verschiedene Berichte Neuburger Beamter aus Düsseldorf, die sich um das Wahlvorhaben bemühten und nach Sulzbach berichteten. Theodor Eustach von Pfalz-Sulzbach an Karl Philipp von Pfalz-Neuburg (10. Aug. 1724): Amberg BStA Geheime Registratur 3/17, fol. 73r-74r. Zu den Linien PfalzNeuburg und Pfalz-Sulzbach vgl. BÄUMLER, BROCKHOFF, HENKER (Hg.), Von Kaisers Gnaden; VOLKERT, Das Fürstentum Pfalz-Neuburg; HARTMANN (Hg.), 350 Jahre Wittelsbacher Fürstentum Pfalz-Sulzbach; JAITNER, Politische Geschichte des Fürstentums Pfalz-Sulzbach. Dessen bedeutendstes Werk war das Düsseldorfer Statthalterpalais. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, „Haus“ und Schloss Borbeck, S. 25f.; DIES., Macht in Frauenhand, S. 139. Nach ihrem Tod wurde ein Inventar aller Möbel und Gegenstände erstellt, die gemäß ihres Testaments von 1775 in Teilen an ihre Nachfolgerin verkauft werden sollten. Vgl. Inventarium deren im Schloß Borbeck vorgefundenen mobilien [1776], abgedruckt in KÜPPERSBRAUN, „Haus“ und Schloss Borbeck, S. 35-39; Abschrift des Testaments Franziska Christinas von Pfalz-Sulzbach (1775): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 64, fol. 1r-23v, hier: 7r.

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und die Erweiterung von Haus Borbeck privat finanziert.51 Gleiches gilt für ihr zweites großes Bauprojekt, das Waisenhaus zu Steele.52 Anfänglich ebenfalls unter der Leitung von Ignaz Kees starteten 1764 die Bauarbeiten in der zum Stift Essen gehörenden Stadt Steele, welche 1769 abgeschlossen wurden.53 Das Waisenhaus diente nicht allein seinem eigentlichen Zweck, sondern fungierte gleichzeitig als Jesuitenmission, deren Mitglieder in die Leitung des Waisenhauses eingebunden waren, und als Residenz der Äbtissin, die hier in den letzten Jahren ihren Hauptwohnsitz nahm und schließlich nach ihrem Tod auf eigenen Wunsch in der dortigen Kapelle beigesetzt wurde.54 Indem der Erwerb des Grundstückes sowie der Bau des Hauses aus privaten Mitteln finanziert bzw. nachträglich ausgelöst wurde und die Äbtissin den Status ihrer Stiftung in eine weltliche Stiftung änderte,55 bewahrte sie das Waisenhaus vor seiner Auflösung während der Säkularisation. Die Herforder Äbtissin Johanna Charlotte von Brandenburg verfuhr zweigleisig. Sie unterhielt nach ihrer Wahl weiterhin ein Palais in Berlin, wo sie sich regelmäßig aufhielt. Für dessen Instandhaltung sorgte nicht selten der preußische König, weil sie der alte[n] Tante Lotte […] schwer fallen würde.56 ____________ 51

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Vgl. Abschrift des Testaments Franziska Christinas von Pfalz-Sulzbach (1775) § 12: die ansehentliche zum Schloß Borbeck, und zur reparation des hofes zu Essen Verwendete auf viele tausenden sich belaufende Baukösten schenken, und legiren Wir zwarn Unserer Essendischen Abtey, samt denen in beiden Gebäuden bei Unserem absterben obhandenen würklich aufgeschlagenen papiernen tapeten […]: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 64, fol. 1r-23v, hier 6v. Das Waisenhaus besteht als Fürstin-Franziska-Christine-Stiftung bis heute fort. Die historischen Unterlagen zum Waisenhaus selbst und dessen Stifterin befinden sich zu großen Teilen im hauseigenen Archiv, das für Besucher nicht offen steht. Daher musste die Recherche zum Bau des Waisenhauses auf die Überlieferung im Landesarchiv Düsseldorf und dem Münsterarchiv Essen beschränkt bleiben. Vgl. FRINGS, Das Waisenhaus in Steele. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 139f.; Abschrift des Testaments Franziska Christinas von Pfalz-Sulzbach (1775) § 2: Verordnen Wir, da nunmehro die beim Steelischen waysenhauß angelegte Capelle gantz fertig, auch dieses Hauß würklich völlig eingerichtet ist, daß Unser leichnam in dieser Capell vor dem hohen altar in der bereits verfertigten gruben beigesetzet [wird]: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 64, fol. 1r-23v, hier: 1v. Abschrift des Testaments Franziska Christinas von Pfalz-Sulzbach (1775) §§ 13 und 14: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 64, fol. 1r-23v, hier: 7v-8r; Abschrift Stiftungs=Instrument für das Waisenhaus zu Steele und zwarn 1. solle diese Fundation keine geistliche Stiftung sein; sondern bis zum Ende der Welt eine weltliche Fundation, so viel die darzu gewidtmete, und ferne zu widmende zeitliche Güter […] sein und bleiben (15. Sept. 1775): Essen MA B Nr. 687. 1738 überantwortet sie ihm die gesamten Kosten zur Erneuerung der Orangerie. Johanna Charlotte an Friedrich Wilhelm I. (28. Sept. 1738): Berlin GStA BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 171.

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Erst am Ende ihres Lebens erklärte sie, dass das Große gethümle von Berlin mir nicht mehr anstehet, die Zeitten seind vor bey, stattdessen wolle sie lieber gantz gelaßen in meiner Einsamen Zelle in Herford bleiben.57 Dafür, dass in Herford nicht eine einfache ‚einsame Zelle‘ auf die Markgräfin wartete, hatte sie gesorgt. Denn in den ersten Regierungsjahren ließ die Äbtissin nicht nur die heruntergekommene Abtei erneuern, sondern stattete auch den Turm der Münsterkirche mit einem neuen Kupferdach aus und ließ die Wolderuskapelle nach deren Abriss im Barockstil neu errichten.58 Darüber hinaus ließ sie nördlich der Stadt zwei Orangerien bauen und schuf so eine kleine, aber moderne Barockanlage in Herford (s. Abb. 6).59 Auch das Innere der Abtei ließ die Markgräfin großzügig einrichten. In dem nach ihrem Tod angefertigten Inventar ist von 493 Schildereyen und Portraits sowie Dresdener und Indischem Porzellan, Silber, Gold, Juwelen und Kostbarkeiten im Wert von insgesamt ca. 54.000 Reichtalern die Rede.60 Den Lehnsaal, der jahrelang lediglich als Archiv gedient hatte, ließ sie neu gestalten und an Stelle der Bilder von Päpsten und Kaisern die Wände mit Portraits der Stiftsdamen schmücken.61 „Gerade weil sich die wenigsten der Damen in Herford aufhielten, wurden sie zumindest im Repräsentationsraum der Abtei“ – dem Raum, in dem in solennen Akten die Herrschaft der Äbtissin über die Stiftsinsassen, Untertanen und Lehnsmänner rituell hergestellt wurde – „symbolisch zu einer ‚Stiftsgemeinschaft‘ vereint“.62 Der Verzicht auf die Bilder der früheren Kaiser deutet an, dass die Nähe zu Kaiser und Reich im Stift unter der Regierung der Markgräfin von Brandenburg keine Rolle spielte. Auf der Abtei hielt Johanna Charlotte in den nachfolgenden Jahren umrahmt von einer 44-köpfigen Dienerschaft Hof, zu der auch ein Hofmohr als Statussymbol gehörte.63 Die Mittel für die Renovierung, den Ausbau und die herr____________ 57

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Johanna Charlotte an Anna Louise von Anhalt-Dessau (Anna Louise Föhse) (29. Okt. 1744): Dessau LHASA D A 9c Nr. 13, fol. 12r. Vgl. SCHULZ, Johanna Charlotte Markgräfin von Brandenburg, S. 46f. Vgl. HEESE, Mit Schulterband und Schleife, S. 69; DERS., Prunk und späte Macht, S. 23. Inventar der Hinterlassenschaft der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg (1. April 1750): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 92. Einige dieser Portraits finden sich heute noch in den Beständen des Daniel-PöppelmannHauses Herford. Vgl. zu den Herforder Portraits durch den Hofmaler Friedrich Wilhelm Güte HEESE, Wer hat in Herfords Damenstift „die freye Mahler Kunst exerciret“?. Eine ähnliche Galerie ist noch heute im evangelischen Damenstift Gandersheim zu sehen. Vgl. hierzu BECKMANN, Stiftsdamen im Bildnis. HEESE, Mit Schulterband und Schleife, S. 75f. Vgl. HEESE, Wie der Mohr Leopold nach Herford kam; DERS., Von Mohren und Menschen.

3.2. Nehmen

107

schaftliche Ausstattung der Herforder Abtei stammten wohl nicht zuletzt aus der privaten Schatulle der Markgräfin, in die ihre Apanage als Mitglied der brandenburgisch-preußischen Dynastie sowie ihre Heiratsgelder flossen. Denn zumindest alle Ausstattungsgegenstände gingen nach ihrem Tod an ihre Erben und gehörten demnach zu ihrem Privatbesitz.64 Zudem erhielt Johanna Charlotte immer wieder Naturalienlieferungen aus Berlin, darunter Lebensmittel und Baumaterial, für die sie sich beim König bedankte.65

Unterhalt Die finanzielle Unterstützung von Stiftsdamen bis hin zu den Äbtissinnen der kaiserlich frei-weltlichen Stifte durch ihre Herkunftsfamilien war im 17. und 18. Jahrhundert keine Seltenheit. Sie reichte von der einmaligen Übernahme der Kosten bei Aufnahme ins Stift oder Wahl zur Äbtissin bzw. in eines der anderen Ämter über Erbschaften von den Eltern oder anderen Familienmitgliedern und Verwandten bis hin zu regelmäßigen Unterhaltszahlungen.66 Während die mit einer einfachen Präbende verbundenen Ein____________ 64

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Vgl. Inventar der Hinterlassenschaft der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg (1. April 1750): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 92. Privater Schriftverkehr zwischen Johanna Charlotte von Brandenburg und Friedrich Wilhelm I. in: Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 171. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Briefe der Äbtissin an den König. Die Kosten für die Investitur einer neuen Stiftsdame im Stift Herford beliefen sich im 17. Jahrhundert insgesamt auf etwas mehr als 251 Reichstaler. Verzeichnis der Abgaben, welche die Prinzessinnen oder Gräfinnen bei Übernahme einer Präbende der Äbtissin etc. stellen müssen [17. Jh.]: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1129. Im Stift Essen wurden Statutengelder in Höhe von 100 Reichstalern erst im 17. Jahrhundert eingeführt und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf 100 Golddukaten erhöht. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 41. Im Stift Herford beliefen sich die Kosten für die Wahl einer Coadjutorin 1.729 auf 1.549 Reichstaler. Daraus wurden Statutengelder, Kanzleigebühren und Aufwandsentschädigungen gezahlt. Die Höhe der anfallenden Kosten konnte jedoch variieren, wenn wie im Fall der Wahl Friederikes von Preußen weitere Kosten für einen Gesandten anfielen oder die amtierende Äbtissin zusätzliche Forderungen stellte. Hedwig von Holstein-Gottorf forderte im Kontext dieser Wahl eine sechsspännige Staatskarosse samt Gespann, so dass sich die Kosten auf 2.700 Reichstaler beliefen. Aufstellung der Kosten für die Coadjutorie-Wahl 1729 im Kabinettschreiben an den preußischen Kommissar (21. Aug. 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3156; Aufstellung der Kosten für die Coadjutorie 1755: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 1123. Gleiches gilt für Ausgaben im Rahmen der Wahlverhandlungen wie im Fall Johanna Charlottes von Brandenburg in Herford oder Maria Kunigundes von Sachsen in Essen (s.o. Kap. Geld). Im Stift Quedlinburg wurden keine Statutengelder gezahlt. Stattdessen überreichte die neu-

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

künfte vor allem in den beiden evangelischen Stiften Herford und Quedlinburg nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung darstellten,67 so dass der Großteil der Kapitularinnen auch nach der Aufnahme weiterhin bei ihren Familien lebte,68 reichten oftmals auch die Einkünfte der Dignitäten bis hin zur Äbtissin nicht aus, um ein standesgemäßes Leben zu führen.69 Die Einkünfte der Herforder Äbtissin beliefen sich im 17. Jahrhundert auf 6.000 bis ____________

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erwählte Äbtissin den Stiftsdamen jeweils ein Geschenk. Maria Elisabeth von HolsteinGottorf hat hierfür insgesamt 8.000 Reichstaler aufgebracht. Hinzu kommen kleinere Geschenke und Beträge für die bei der Introduction und Huldigung anwesenden Geistlichen, Räte und Diener in Höhe von insgesamt ca. 1.100 Reichstalern. Vgl. Aufstellung der zu erwartenden Kosten durch den Quedlinburger Stiftshauptmann Paul Andreas Freiherr von Schellersheim im Vorfeld der Wahl Anna Amalies in Preußen (16. Febr. 1756): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. W 107. Zusätzlich zu den Ausgaben im Stift fielen Gebühren für die Ausstellung der kaiserlichen Bestätigung sowie Bestechungsgelder zur Beförderung dieses Prozesses an. Diese beliefen sich Mitte des 18. Jahrhunderts im Stift Herford auf weitere 1.642 Gulden. Friedrich II. an Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg im Vorfeld der Wahl Friederikes von Preußen zur Coadjutorin von Herford (4. Mai 1755): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1123. Die Höhe der Gebühren hatte sich seit Ende des 17. Jahrhunderts mehr als verdoppelt. Im Fall der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar kostete die kaiserliche Konfirmation 1684 lediglich 501 Reichstaler. Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (26. Mai 1684): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.IV Nr. 15, fol. 110r. BEI DER WIEDEN, Die Dekanessen und Koadjutorinnen der Reichsabtei Herford, S. 112. Im Herforder Stift erhielten die einfachen Kanonissinnen ebenso wie in Quedlinburg keine Einkünfte mit Ausnahme von 10 Talern bei dauerhafter Anwesenheit. Aufstellung der Einkünfte der Stiftsinsassen (27. Juni 1658): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1253; Herforder Richter Cullemeyer an preußischen Rat von Arnim (16. März 1794): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 260. Eine Herforder Dekanissin erhielt im 17. und 18. Jahrhundert zwischen 400 und 600 Taler. Aufstellung der Einkünfte der Stiftsinsassen (27. Juni 1658): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1253; Landdrost von Osten an Friedrich Wilhelm I. (25. Mai 1721): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Im Stift Quedlinburg beliefen sich die Einkünfte der Pröpstin Ende des 18. Jahrhunderts auf 6.000-7.000 Reichstaler, die der Dekanissin auf 600-700 Reichstaler und die der Kanonissin lediglich auf bis zu 150 Reichstaler. Die Inhaberinnen der beiden letztgenannten Dignitäten mussten also zwangsläufig eigenes Vermögen mitbringen, um im Stift standesgemäß zu leben. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 34f. Unterhaltszahlungen bzw. deren Rückstände konnten für die Quedlinburger Äbtissinnen Anna Dorothea von Sachsen-Weimar und Maria Elisabeth von HolsteinGottorf sowie für die Herforder Äbtissinnen Elisabeth von der Pfalz, Charlotte Sophie von Kurland, Johanna Charlotte von Brandenburg, Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf und Friederike Charlotte Leopoldine Luise ausgemacht werden.

3.2. Nehmen

109

7.000 Reichstaler, im 18. Jahrhundert wurden sie mit bis zu 10.000 Talern beziffert.70 Die spätere Äbtissin Johanna Charlotte von Brandenburg erhielt nach ihrem Amtsantritt fortwährend eine Apanage aus der preußischen Staatsschatulle.71 Dies galt ebenso für ihre beiden Nachfolgerinnen.72 Über ein besseres Auskommen verfügte die Äbtissin des Stifts Quedlinburg, deren Einkünfte sich Mitte des 18. Jahrhunderts auf bis zu 30.000 Taler beliefen.73 Die Höhe der Einkünfte variierte und hing nicht zuletzt von der Ökonomie der jeweiligen Äbtissin ab. Während Anna Amalie von Preußen bis zu 30.000 Taler erwirtschaftete, von denen nach allen Abzügen ein Überschuss von 14.000 Talern blieb, musste ihre Vorgängerin regelmäßige Verluste verbuchen; unter ihrer Nachfolgerin hielten sich Einnahmen und Ausgaben ungefähr die Waage.74 Ursachen hierfür waren einerseits die Ein____________ 70

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Aufstellung der Einkünfte der Stiftsinsassen (27. Juni 1658): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1253. Auf die Frage der Markgräfin Johanna Charlotte nach den Einkünften der Herforder Abtei antwortete Landdrost von Osten, dass deren Höhe variiere, aber bis zu 10.000 Taler betragen könne. Grund für diese Schwankungen wären die nicht vorhersagbaren Einkünfte aus Patronats- und Kollationsrechten. Die Wiederbesetzung einer Pfarrstelle brachte der Herforder Äbtissin bis zu 1.500 Taler ein. Osten an Hofrat Hoffmann (27. April 1727): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 212. Nach dem Tod Johanna Charlottes von Brandenburg forderte ihr jüngerer Sohn Markgraf Friedrich Heinrich die Summe von 6.000 Talern Apanage für sich. Bericht des Kriegsrates Heinrich Rütger von Ilgen (3. April 1750): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 3. Hedwig von Holstein-Gottorf hat bis zum Tod ihrer Schwester Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst eine Pension von ihr bekommen. Als diese 1760 starb, wandte sich Hedwig zunächst an die russische Zarin Elisabeth, den russischen Großkanzler und schließlich ihre Nichte Katharina, die spätere Zarin Katharina, mit der Bitte, dass diese Pension nun von der russischen Zarin übernommen werden sollte. Hedwig von Holstein-Gottorf jeweils an Zarin Elisabeth, Großkanzler von Woronzow und Großfürstin Katharina (10. Juni, 20. Juni, 23. Okt. u. 28. Okt. 1760): Schleswig LASH Abt. 260: Bistum / Fürstentum / Landesteil Lübeck zu Eutin Nr. 117. Friederike von Preußen erhält nach dem Tod ihres Onkels und der damit verbundenen Übertragung der Herrschaft Schwedt auf ihren Vater Markgraf Friedrich Heinrich 1771 sogar noch einmal 2.000 Reichstaler mehr. Markgraf Friedrich Heinrich an Friederike von Preußen (8. Juni 1771): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 258/2. Revision Stiftskammer-, Forst- und Baurechnung aus dem Jahr 1769/70: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXV Nr. 28. Vgl. zur Rechnungslegung unter Sophie Albertine von Schweden: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXV Nr. 47. Vgl. demgegenüber die Rechnungslegung unter Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf: Magdeburg LHASA Rep. A 20 tit. XXV Nr. 21. Im Jahr 1750 konstatierte diese, dass die geringen Überschüsse nicht mit den hohen Ausgaben

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

führung der ordentlichen Rechnungslegung und -revision unter der Regierung der preußischen Prinzessin, andererseits ihre dauerhafte Abwesenheit. Die Kosten für ihren Hofstaat in Berlin und ab 1765 auch für die Beamten der nach Berlin verlagerten Stiftskammer übernahm nämlich die Berliner Fürstliche Hoff Staats Casse.75 Auch ihre beiden Vorgängerinnen beanspruchten Unterhaltszahlungen der Herkunftsfamilien.76 Anna Dorothea von Sachsen-Weimar forderte 1687 ausdrücklich die Auszahlung von Handgeldern aus dem Erbe des Vaters, weil sie ansonsten ihren fürstlichen Unterhalt nicht tragen könne. Sie berief sich in diesem Zusammenhang auf das Lehnsrecht, wonach aus dem Lehn die alimenta denen Töchtern müßen gereichet werden. Dies gelte selbst für Töchter, die sich emancipirt hätten, weil es nämlich einer fürstlichen Familie selbst schimpflich fält, wann ein Fürstliches Fräulein, darumb daß Sie sich nach Väterlichen willen in Stifft begeben, crepiren solte.77 Das im 17. und 18. Jahrhundert immer noch mit umfangreicherem Grundbesitz ausgestattete Stift Essen bot zumindest seinen Äbtissinnen mit 45.000 Gulden Jahreseinnahmen eine ausreichende Existenzgrundlage,78 ____________ 75

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zusammenhingen, sondern mit der Nachlässigkeit des Konsistorialrates: ebd. fol. 97r98v. Bereits bei Übernahme des Hofstaats ihrer Mutter äußerte Anna Amalie den Wunsch, dass die Besoldung des Personals weiterhin aus der Hofstaatskasse erfolgen sollte. Anna Amalie an den Geheimen Etats- und Kriegsminister von Boden (17. Jan. 1758): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. Nr. W101; Fürstliche Stiftskammer an den Kammerkommissar Fritsch (20. Sept. 1776): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 23. Diese Hofstaatskasse wurde bereits von Kurfürst Friedrich Wilhelm speziell zur Finanzierung der Hofhaltung eingeführt. Im 18. Jahrhundert wurden daraus jedoch zunehmend auch andere Personengruppen besoldet. Vgl. GÖSE, Der „unpolitische Hof“?, Abs. 3. Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf war bei ihrem Amtsantritt als Äbtissin von Quedlinburg eine jährliche Apanage von 4.000 Reichstalern versprochen worden. Aufgrund der schwierigen Lage nach der Annexion weiter Teile Schleswigs war die Pension nicht nur gekürzt, sondern auch unregelmäßig ausgezahlt worden, weswegen die Äbtissin in den Jahren 1738/39 mit ihrem Neffen Karl Friedrich um die Auszahlung am Reichskammergericht stritt. Schleswig LASH Abt. 8.1 Schleswig-Holstein-Gottorfische (Großfürstl.) Geheimes Regierungs-Conseil zu Kiel 1720-1773 Nr. 326 und Nr. 2002. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an ihren Bruder, Herzog Wilhelm Ernst (9. Juni 1687): Weimar ThHStA Bestand Fürstenhaus Nr. A 281, fol. 13r-14v. Während sich Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach als Kanonissin und auch noch als Äbtissin des Stifts Thorn trotz eines jährlichen Deputats von Seiten ihres Vaters über finanzielle Engpässe beschwerte, hörten diese Klagen mit dem Amtsantritt in Essen auf (Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 20/32, 3/12). Für ihre Nachfolgerin Maria Kunigunde von Sachsen sind Apanagezahlungen aus Dresden sicher für die Zeit vor ihrem Amtsantritt in Essen und Thorn sowie nach Aufhebung des Essener Stifts belegt (Dres-

3.2. Nehmen

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während viele der Kanonissen nach wie vor von ihren Familien unterstützt wurden.79 Dennoch erhielten auch die Äbtissinnen aus den gräflichen Häusern Salm-Reifferscheidt und Rietberg sowie Maria Kunigunde von Sachsen während ihrer Regentschaft fortwährend Unterhaltszahlungen ihrer Herkunftsfamilien.80 Angesichts dieses Befundes muss die in der Forschung breit rezipierte These, nach welcher Damenstifte als finanzielle Versorgungsinstitutionen des Adels eingestuft werden,81 kritisch hinterfragt werden. Weder die Wahl zur Äbtissin noch die Übernahme eines anderen Stiftsamtes, geschweige denn der Eintritt in ein Stift boten eine ausreichende finanzielle Versorgung. Dauerhafte Unterhaltszahlungen durch die Herkunftsfamilien waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Diese Praxis finanzieller Unterstützung durch das verwandtschaftliche Umfeld barg jedoch Konfliktpotential, wenn Unregelmäßigkeiten bei der Zahlung auftraten.

Geldsorgen Am 14. Juni 1721 verließ Charlotte Sophie von Kurland in Begleitung von 15 Personen inkognito und fluchtartig die kleine Stadt Verden an der Aller. Die Heimlichkeit ihres Aufbruchs war nötig, um ihre Gläubiger vor Ort und ____________

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den SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/12, 766/18). Zur Essener Grundherrschaft vgl. WEIGEL, Studien zur Verfassung und Verwaltung des Grundbesitzes des Frauenstifts Essen; KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauen Hand, S. 21-30. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauen Hand, S. 53; zu den Einkünften der Stiftsdamen sowie der Dignitäten vgl. DIES., Frauen des hohen Adels, S. 42-45, 73-77. Anna Salome von Salm-Reifferscheidt (1646-1688) erhielt als Deputat von ihrem Bruder einen Hof samt dessen jährlichen Einkünften bis zu 200 Reichstaler verschrieben. Vergleich zwischen Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt und Graf Ernst Salentin von Salm-Reifferscheidt (22. Sept. 1649): Archiv Schloss Dyck Akten (Depot der Rheinischen Adelsarchive, Ehreshofen), Bestand 2: Blaue Bände Nr. 209 Bd. 437, S. 315-317. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg empfing nach ihrer Wahl zur Essener Äbtissin weiterhin eine Apanage von Seiten ihrer gräflichen Herkunftsfamilie, wobei diese zwischen 80 und 580 Reichstalern variierte. Quittungen über die jährlichen Apanagezahlungen (1689-1723): Münster LAV NRW W Grafschaft Rietberg Akten Nr. 914. Grund hierfür war sicherlich die schwierige Lage des Hauses Rietberg nach dem Tod aller männlichen Erben. Aus den Vereinbarungen zwischen Maria Kunigunde von Sachsen, vertreten durch den Kurtrierer Rat von Kriftenstein, und dem Dresdener Kabinett über die Rückerstattung der Essener Wahlgelder geht hervor, dass auch sie während ihrer Amtszeit weiterhin eine Apanage aus Dresden erhielt. Kabinettschreiben an von Kriftenstein (1. Okt. 1775): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/12, fol. 143r-v. S. o. Kap. Reine Versorgung?

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

in Bremen nicht aufzuschrecken.82 Sie fuhr in Richtung Niederlande und nahm wohl in Utrecht Quartier.83 Ihr waren preußische Spione auf den Fersen, die alle ihre Schritte beobachteten und nach Berlin Bericht erstatteten.84 Zweck der Reise war ein heimliches Treffen der Äbtissin mit dem russischen Gesandten, um über den Verkauf ihrer kurländischen Erbansprüche zu verhandeln,85 sowie der Versuch, ihre verbliebenen Juwelen in den Niederlanden gewinnbringend zu veräußern.86 Denn sie hatte drängende Geldsorgen. Bereits vor ihrer Wahl zur Äbtissin des Stifts Herford hatte Charlotte Sophie von Kurland mit ihrem Bruder Friedrich Kasimir Kettler um die Auszahlung ihres Anteils am elterlichen Erbe sowie um ihren Unterhalt gestritten. Dabei war sie von ihrem Onkel Kurfürst Friedrich Wilhelm und ihren Verwandten am Kasseler Hof unterstützt worden.87 Die Forderungen ____________ 82

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Bericht des preußischen Residenten Thielemann in Bremen (14. Juni 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7v Fasz. 1. Bericht des preußischen Resident Meinerzhagen in Den Haag (15. Juli 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7v Fasz. 1. Dabei handelte es sich um die beiden preußischen Residenten in Bremen und Den Haag sowie deren Informanten. Friedrich Wilhelm I. in Preußen wollte über jeden Schritt der Äbtissin informiert sein. Denn es gab immer wieder Gerüchte, dass Charlotte Sophie mit dem erworbenen Geld nach Wien reisen wolle. Einmal hieß es, sie wolle dort ohne äußeren Zwang eine Coadjutorin küren, ein anderes Mal, sie wolle zum katholischen Glauben konvertieren und den Kaiser um eine andere Abtei bitten. Egal welchen Zweck die Äbtissin mit ihrer geplanten Reise nach Wien verfolgen würde, auf preußischer Seite war man sich sicher, dass sie nichts Gutes im Schilde führen könne. Bericht des Bremer Residenten Thielemann (4. Mai 1720): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137; Bericht des Landschreibers und Geheimen Rates Arnold Henrich von Meinders (7. Mai 1722): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3139, fol. 62r-65r. Ebd. Friedrich Wilhelm I. erteilte dem Residenten Meinerzhagen den Auftrag, die Äbtissin nach Amsterdam zu verfolgen, herauszufinden, was sie dort vorhabe, ob sie dort Juwelen verkaufen wolle und wenn ja, wie viel sie dafür bekommen habe (1. Juli 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7v Fasz. 1. Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7a Fasz. 7. Vgl. zu den Bemühungen Landgraf Karls von Hessen-Kassel sowie dessen Sohnes Friedrich: Marburg HStA V 4f Auswärtige Angelegenheiten: Staatenabteilung, E Kurland Nr. 202. Die Unterstützung der hessischen Verwandtschaft gewann gerade nach dem Zerwürfnis zwischen der Herforder Äbtissin und ihrem kurbrandenburgischen Vetter an Bedeutung. Der Landgraf von Hessen-Kassel setzte sich sowohl während der Flucht Charlotte Sophies nach Wien, als auch während ihres Exils wiederholt dafür ein, dass sie ihr Erbe ausgezahlt bekam. Karl von HessenKassel an Herzog Ferdinand von Kurland (6. Mai 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434; Herzog Ferdinand von Kurland, der nach dem Tod seines Bruders Friedrich

3.2. Nehmen

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der Herzogin von Kurland basierten auf dem Testament ihres Vaters, welcher ihr und ihren Schwestern jeweils 10.000 Reichstaler vermacht hatte.88 Während im Fall ihrer Geschwister bereits 1682 Regelungen zur Auszahlung des Erbes getroffen wurden,89 blieben die Bemühungen Charlotte Sophies erfolglos. Gründe hierfür waren zum einen der zunehmende Besitz- und Bedeutungsverlust, unter dem Kurland und seine Herzöge angesichts zahlreicher kriegerischer Auseinandersetzungen litten,90 zum anderen das Fehlen eines tatkräftigen Ehemannes, der auf die Auszahlung von Charlotte Sophies Erbe wie im Falle ihrer Schwestern pochte.91 Ihre finanzielle Lage verschlechterte sich zudem, als Charlotte Sophie sich durch den anhaltenden Konflikt mit dem preußischen König gezwungen sah, ihr Stift zu verlassen. Sie musste sich nicht nur eine kostspielige Hofhaltung im Exil einrichten, sondern verlor auch den direkten Zugriff auf die Stiftseinkünfte, die in weiten Teilen aus der Grafschaft Ravensberg stammten und unter der Kontrolle preußischer Regierungsvertreter standen. Auf ihr erneutes Hilfegesuch gegenüber ihrem Bruder machte Herzog Ferdinand von Kurland seiner Schwester daraufhin schwere Vorwürfe, weil sie sehr gut und vor allem besser als er selbst von ihren Einkünften würde leben können, wenn sie nur endlich in ihr Stift zurückkehre.92 In den folgenden Jahren versuchte Char____________

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Kasimir (1698) und seines Neffen Friedrich Wilhelm (1711) das kurländische Erbe verwaltete, an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14. Sept. 1715): Marburg HStA V 4f Auswärtige Angelegenheiten: Staatenabteilung, B Stift Herford Nr. 30. Vgl. hierzu die Druckschrift AUSFÜHRLICHE VORSTELLUNG, in Marburg HHStA 4f Kurland Nr. 92. Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg an Herzog Friedrich Kasimir Ketteler (10. Mai 1686): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7a Fasz. 7. Vgl. FROST, The Northern Wars. Ulrich Schoenborn nennt in seiner Studie über die drei Töchter Herzog Jakobs von Kurland für Louise Elisabeth, verheiratete Landgräfin von Hessen-Homburg, sogar eine höhere Summe von 20.000 Talern, die diese als Mitgift erhalten habe. Aber auch im Vorfeld ihrer Ehe kam es zu Verzögerungen, weil Herzog Jakob den Ehevertrag wegen der darin vereinbarten Summen nicht unterzeichnen wollte, und erst durch seinen Schwager Kurfürst Friedrich Wilhelm überzeugt werden musste. Vgl. SCHOENBORN, Mit Herz und Verstand, S. 67f. Ferdinand von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14. Sept. 1715): Marburg HStA 4f Stift Herford Nr. 30. Der Landgraf war erneut von Charlotte Sophie als Vermittler in den Verhandlungen um ihre finanzielle Unterstützung aus Kurland eingeschaltet worden. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (20. Aug. 1725): Marburg HStA 4f Stift Herford Nr. 30. In seiner Antwort an den Landgrafen beklagte Herzog Ferdinand die noch immer ruinöse Lage des kleinen Herzogtums.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

lotte Sophie daher, ihre kurländischen Erbansprüche gewinnbringend zu verkaufen.93 1709 machte sie erstmals dem sächsischen Kurfürsten und polnischen König Friedrich August I./II. ein Angebot, in dem sie erklärte, dass sie das Geld nicht zuletzt wegen der gestiegenen Unterhaltskosten im Exil benötige.94 Weitere Offerten folgten 1714 und 1723, blieben aber trotz persönlicher Verhandlungen zwischen der Äbtissin und dem Kurfürsten 1723 in Leipzig ebenso erfolglos.95 Selbst dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. unterbreitete sie im Herbst 1715 ein Angebot.96 Aber weder konkretisierten sich diese Verkaufsverhandlungen noch bewahrheiteten sich Gerüchte um einen möglichen Verkauf der kurländischen Ansprüche an Russland.97 Noch die hessischen Erben Charlotte Sophies bemühten sich um diese Ansprüche.98 Einen Eindruck von der Dimension der finanziellen Notlage der Äbtissin bietet eine Nachricht des preußischen Residenten in Bremen. Er berief sich auf den Bericht einer Kammerdienerin kurz nach Abreise der Äbtissin im Frühjahr 1721 in Richtung Amsterdam. Danach beliefen sich die Schulden der Äbtissin allein in Verden auf 2.000 Reichstaler. Bei ihrem flucht____________ 93

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1710 übertrug Charlotte Sophie auch ihre oranische Erbrente in Höhe von 125 gulden 11 stüver […] holländisch current an ihren Schwager Karl von Hessen-Kassel für die einmalige Summe von 1250 Reichstalern. Anweisung des Landgrafen über die Summe (13. Febr. 1710): Marburg HStA 4b Hofhaltung Nr. 686. Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich August I./II. vom Sachsen (20. Dez. 1709): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 212. Konzept eines Cessions-Briefes (1714): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 212; Baron von Sternfeld an Eleonore von Hessen-Homburg (11. Mai 1723): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1054. Die Reise nach Leipzig war bereits einige Zeit zuvor zweimal geplant gewesen, scheiterte aber jeweils im Frühjahr 1720 und 1721 an der schlechten Finanzlage. Bericht des Landdrosten von Osten nach Berlin (18. Mai 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211; Bremer Resident Thilemann an Landdrost von Osten (5. April 1721): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Friedrich Wilhelm I. in Preußen an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (10. Nov. 1715): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 213. Der preußische Resident Meinerzhagen in Den Haag meldete ein wahrscheinliches Treffen mit dem russischen Ambassadeur Prinz Kurakin (15. Juli 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7v Fasz. 1. Friedrich Wilhelm I. hatte kein Interesse daran, dass der Zar von Russland in direkter Nachbarschaft zu Preußen territoriale Ansprüche erwarb. Noch 1738 verwiesen die hessischen Räte gegenüber dem schwedischen König Friedrich als Rechtsnachfolger in Kurland auf Erbansprüche der Äbtissin. Kurioserweise war der schwedische König in Personalunion auch Landgraf von Hessen-Kassel. Deduktion der hessischen Regierung an Landgraf Friedrich von Hessen-Kassel (10. Okt. 1738): Marburg HStA 4a Nr. 73/41.

3.2. Nehmen

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artigen Abschied – bis kurz vor ihrer Abreise wussten die Diener nicht, wohin die Reise gehen sollte – hatte die Äbtissin kaum Geld zum Unterhalt der zurückgelassenen Diener und 16 Pferde hinterlassen.99 Neben ihrem Leben im Exil machte der preußische Resident ihre kostspielige Hofhaltung und den Unterhalt für 26 meist alte und sehr schlechte Pferde für das schlechte Auskommen der Äbtissin verantwortlich, so dass offters nicht 10 ß im Vorraht sein, wieden fals binnen wenig monahten keine mittel angeschaffet würden, die versette kostbahre Jouwelen, worunter auch ein ordens Creuz von einer fürstlichen Persohn vorhanden loßgeschlagen und verkauffet werden dorfften.100 Die Kritik an der schlechten Haushaltung und vermeintlichen Verschwendungssucht der Äbtissin entsprang nicht allein den klassischen Topoi der frühneuzeitlichen querelle des femmes, deren Protagonisten mitunter vernichtend über die Möglichkeit weiblicher Herrschaft urteilten. Vielmehr offenbarten sie das häufig anzutreffende Problem, dass es mindermächtigen Reichsständen kaum gelang, ihren Rang durch einen repräsentativen Lebensstil, wie ihn die großen Territorialfürsten vorlebten, zum Ausdruck zu bringen.101 Auch Charlotte Sophie war bemüht, trotz des Exils ein standesgemäßes Leben zu führen, um auf diese Weise ihre Stellung als Reichsfürstin gerade in der Krise vor aller Welt Augen zu führen. Diese Möglichkeit bot sich ihr in Verden, wo sie nicht nur friede Ehr und respect, sondern auch doppelte Sentinellen vor mein Hauß, freye Jagten und alle Hofflichkeiten [habe].102 Dem Angebot ihres Schwagers, Landgraf Karl, der ihr das Schloss Melsungen bzw. den Eichhof bei Hersfeld als kostengünstigere Alternativen vorschlug, begegnete die Äbtissin daher abwehrend: es wäre mir zwar lieber gewesen seyn, wann Ewer Liebenden gütigst beliebet hätte mier ein Haus in irgendt einer ohnentlegenen Stadt zu geben, denn ich bin es hier um deswegen so überdrüssig, weil es hier gleichsahm als auf dem Lande ist.103 Und auch den Rat ihres 1720 neu ernannten Hofmarschalls von Witzleben,104 zur einrichtung einer bessern menage auf seinen bey Dellmenhorst ____________ 99

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Bericht des Residenten Thilemann (25. Juni 1721): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7v Fasz. 1. Bericht des preußischen Residenten Thilemann (20. März 1720): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 211. Vgl. PEČAR, Gab es eine höfische Gesellschaft des Reiches?, S. 201. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (14. Okt. 1703): LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (8. Dez. 1726): Marburg HStA 4f Stift Herford Nr. 32. Von Witzleben stand in Verbindung mit dem preußischen Residenten Thilemann in Bremen. Letzterer versuchte, ihn vom Umzug der Äbtissin nach Herford zu überzeugen, den der Hofmarschall selbst für gut hieß, welcher aber bei der Äbtissin nicht durchzuset-

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

gelegenen Hoff [umzusiedeln], wodurch viele Unkosten konten ersparet werden,105 nahm sie nicht an. Schließlich hinterließ Charlotte Sophie alleine in Verden Schulden in Höhe von 3.800 Reichstalern.106 In ihrem Fall sind der nie gelöste Konflikt um ihr kurländisches Erbe sowie die späteren Versuche, ihre Ansprüche gewinnbringend zu verkaufen, symptomatisch für die frühe Entfremdung von der Herkunftsfamilie.

Rat, Beistand und Vermittlung Neben finanzieller Unterstützung wandten sich die Äbtissinnen der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte auch mit der Bitte um Rat und Beistand an ihre Herkunftsfamilien. Dies betraf unter anderem die alltäglichen Regierungs- und Verwaltungsaufgaben. Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach fragte beispielsweise als junge Äbtissin des Stifts Thorn in Sulzbach bei ihrem Vater nach, welche Titulatur sie im Briefwechsel mit dem preußischen König verwenden sollte.107 Auch im Hinblick auf die Stiftsadministration holte sie sich Hilfe aus Sulzbach. Anfang der 1720er Jahre weilte wiederholt jeweils für einige Wochen ein Hofrat ihres Vaters in Thorn, um die Äbtissin zu unterstützen.108 Der Herzog hatte selbst ein Interesse daran, seiner Tochter bei der Optimierung der Verwaltung zu helfen. Denn Franziska Christina hatte den verschuldeten Vater seit ihrem Amtsantritt wiederholt um die Aufstockung ihrer Deputatgelder oder die Erlaubnis gebeten,109 für einige ____________

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zen war. Berichte des Residenten Thilemann (20. März u. 14. April 1720): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137. Es gelang demnach dem preußischen König und seinen Ministern, Einfluss auf den engsten Beraterkreis der Äbtissin zu nehmen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bemühungen um die Kapitulare des Stifts, s. o. Kap. Patronage. Bericht des Residenten Thilemann nach Berlin (20. März 1720): LAV NRW W Fürstabtei Herford 211. Auflistung der Schulden, in Marburg HStA 4f Kurland Nr. 204. Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach an die Sulzbacher Regierung (2. April 1719): Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 3/11. Dabei handelte es sich um den Sulzbacher Hofrat Jakob Joseph Neyser von Neysersheim. Dankschreiben der Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach an ihren Vater Theodor Eustach von Pfalz-Sulzbach (29. Mai 1722) sowie Bitte um nochmalige Absendung des Hofrates (12. Mai 1723): Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 3/16, fol. 41r42v, 139r-v. In einer Notiz des Pfalzgrafen Theodor Eustach für sein Kabinett (o.D.) sowie dem ausgefertigten Kabinettschreiben an Franziska Christina (4. Dez. 1724) wird die Tochter wegen der Schulden des Vaters um Geduld gebeten: Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 20/32. Im April 1725 schlägt er ihre Bitte, nach Sulzbach kommen zu dürfen, auf-

3.2. Nehmen

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Zeit nach Sulzbach zu kommen, um die Ausgaben für ihren Lebensunterhalt zu reduzieren.110 In diesem Zusammenhang ließ er sich eine genaue Aufstellung der finanziellen Verhältnisse des Stifts anfertigen, um Abhilfe zu schaffen.111 Auch ihre Nachfolgerin an der Spitze des Essener Stifts, Maria Kunigunde, setzte bei ihrer Amtsübernahme auf das Fachwissen des Geheimen Rates Freiherrn Ferdinand von Duminique, einem Beamten ihres Bruders, Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Trier.112 Er vertrat zunächst die neue Äbtissin, die erst ein Jahr nach ihrem Amtsantritt offiziell in Essen eingeführt wurde,113 und ließ sich in die örtlichen verwaltungs- und herrschaftstechnischen Begebenheiten einarbeiten.114 Er klärte die Nachlassregelungen mit den Testamentsverwaltern ihrer Vorgängerin und organisierte den

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grund seiner Schulden aus. Regierungsprotokoll (27. April 1725): Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 20/32. Statt einer Erhöhung der Deputatgelder oder dem zeitweiligen Aufenthalt der Äbtissin bei ihrer Herkunftsfamilie bemüht sich der Pfalzgraf bereits seit 1721 darum, beim Reichshofrat ein breve eligibilitatis auszuwirken, damit seine Tochter mit einer weiteren Abtei zu ihrer besseren Subsistenz versorgt werden könne. Theodor Eustach von Pfalz-Sulzbach an Franziska Christina (8. Sept. 1721): Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 3/12, fol. 5r-v. Tatsächlich wurde Franziska Christina 1726 auch noch zur Äbtissin von Essen gewählt. Seitdem sind keine Bitten um zusätzliche finanzielle Unterstützung mehr überliefert. Vgl. die Bitte Franziska Christinas gegenüber ihrem Vater (24. Aug. 1721): Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 3/12, fol. 2r-3v; ebenso (2. Sept. 1724 u. 18. April 1725): Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 20/32. Vgl. Amberg BStA Geheime Registratur Nr. 3/16, fol. 53r. Zu Ferdinand von Duminique vgl. SCHÖNFELD, Kurfürsten und Führungskräfte, S. 103110. Zeitungsartikel der Essendischen Zeitung vom 17. Okt. 1777 über die Ankunft der Äbtissin Maria Kunigunde: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 48, abgedruckt in KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 171f. Vgl. Maria Kunigunde an das Gesamtkapitel (21. Juli 1776) mit der Bekanntmachung, dass sie den Freiherrn von Duminique als Unsern bevollmächtigten Commissarius theils zu eintweiliger Berichtigung deren vorkommenden geschäften und anständen, theils zur Regulierung deren die Einrichtung unserer künftigen Residenz und Hofstaat betreffenden gegenständen, auch Einziehung deren Und nothwenigen personal und Local-Kenntnüßen, insonderheit unserer gegen Dieselbe undt auch hegenden besonderen zuneigung und gewogenheit nach Eßen abzuschicken gedencken; Vollmacht (23. Juli 1776) und Instruktionen (22. Juli 1776) für Duminique: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 46; vgl auch die Berichte des Freiherrn an Maria Kunigunde (27. u. 29. Juli 1776): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 21.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Amtswechsel.115 Hierzu gehörte dessen sichtbare Zurschaustellung, indem Duminique ein Portrait der neuen Äbtissin für die Regierungskanzlei sowie eine Zeichnung des sächsischen Hauswappens zur Neugestaltung der Stiftszoll- und Geleitstöcke einforderte.116 Zudem übernahm er die Neuorganisation der Kanzlei und des Hofstaates.117 Vor allem Zeiten innerer wie äußerer Konflikte riefen ein starkes Bedürfnis nach Beistand und Hilfe durch die Verwandtschaft hervor. So wandte sich Maria Kunigunde in der Auseinandersetzung mit der Stadt Essen um die Aufhebung des Klosters auf dem Neuen Hagen an ihren Neffen, den Kurfürsten von Sachsen.118 Die Vermittlung in diesem Konflikt hatte der preußische König als Schutzherr von Stift und Stadt für sich in Anspruch genommen. Die Äbtissin bat nun ihren Neffen Friedrich August III. von Sachsen um Erlaubnis, seinen Gesandten am Berliner Hof mit ihrer Interessenvertretung beauftragen zu dürfen.119 Sie bediente sich der Kommunika____________ 115

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Vgl. die Berichte des Freiherrn Duminique über den Ankauf von Möbeln aus dem Nachlass der verstorbenen Äbtissin sowie über die Trauerfeier (3. Aug. u. 9. Sept. 1776): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 21. Vgl. Bericht des Freiherrn Duminique an Maria Kunigunde (29. Juli 1776): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 21. Unter Geleitstöcken versteht man Siegel, mit denen das Zollgut sowie die Geleitscheine beispielsweise für Juden versehen wurden. Duminique fertigte Listen zur Bewertung der Hofdienerschaft mit Angaben zu Taufname, Zuname, Heimat, Dienstjahren, Eigenschaft des Dienstes, Alter, alte Besoldung, Conduite und Fähigkeit an. Auf dieser Grundlage entschied er über neue Anstellung, neues Gehalt, Anfang des neuen Gehalts, Livré und Kleidungsstücke. Vgl. Aufstellung (o.D.): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 21. Die Stadt bestritt den geistlichen Charakter des Konventes auf dem Neuen Hagen und klassifizierte ihn stattdessen als städtisch-soziale Einrichtung, die der städtischen Jurisdiktion und Aufsicht unterworfen wäre. Auf diese Weise sollte die Aufhebung des Konventes durch Maria Kunigunde verhindert werden. S. hierzu u. Kap. Die Äbtissin säkularisiert sowie DEIBL, Die Auflösung des Beginenkonvents im Neuen Hagen. Zu den weiteren Streitgegenständen gehörten die Konkurrenz um die Vergabe von Privilegien an Bürger der Stadt, die dadurch gleichzeitig unter die Jurisdiktion der Äbtissin fielen, die Forstordnung von 1785, die Konkurrenz um das Judengeleit sowie weitere kleine Religionsund Polizei Beschwerden: vgl. Kurzer Auszug der zwischen I.K.H. der F. Fürstin zu Essen und der Stadt Essen obwaltenden Irrungen, welche vermögenden Schreiben des Königs von Preusen May. vom 2. Jun. 1786. in das Vermittlungs Geschäft werden eingezogen werden: Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/17, fol. 2r-10r. Maria Kunigunde wandte sich nicht direkt an den Kurfürsten, sondern richtete ihre Bitte stellvertretend an seinen Staats- und Kabinettsminister Heinrich Gottlob von Stutterheim, der die Bitte beim Kurfürsten vortragen sollte. Maria Kunigunde an Heinrich Gottlob von Stutterheim (13. Febr. 1787): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/17, fol. 1r. Wenig später meldete ihr der kursächsische Gesandte am Berliner Hof, Friedrich

3.2. Nehmen

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tionskanäle, die ihr ihre Herkunftsfamilie eröffnete. Maria Kunigunde unterhielt fortan während der Dauer der Mediationsverhandlungen eine persönlich geführte Korrespondenz mit dem kursächsischen Gesandten. Über ihn stellte sie dem König und seinem Kabinett ihre Argumente und Beschwerdepunkte vor.120 Institutionellen Charakter entwickelte die Vermittlung von Verwandten in Konflikten, wenn ihnen offiziell von den Streitparteien die Mediation angetragen wurde.121 Das Ziel der Mediation war die Herstellung eines Kompromisses zwischen den streitenden Parteien. Denn anders als ein Richter verfügte der Mediator nicht über schiedsrichterliche Kompetenz. Er musste vielmehr den Kompromiss in Absprachen mit beiden Parteien aushandeln und war daher auf die Verhandlungs- und Aussöhnungsbereitschaft der Gegner angewiesen. Aufgrund fehlender richterlicher Autorität wurden in der Regel Personen zu Vermittlern berufen, die entweder in verwandtschaftlicher, freundschaftlicher oder lehnsrechtlicher Verbindung zu den streitenden Parteien standen oder aber über besondere Fähigkeiten oder Qualitäten wie ein hohes soziales Ansehen verfügten. Die Besonderheit des Mediationsverfahrens bestand darin, dass dessen Ausgang nicht nur für die streitenden Parteien, sondern auch für den Mediator selbst von Bedeutung war. Eine erfolgreich betriebene Mediation bedeutete für den Mediator durchaus einen Gewinn an Prestige. Umgekehrt riskierte der Vermittler mit dem Scheitern der Vermittlung aber auch einen Verlust an Ansehen. Ein Beispiel für ein solches verwandtschaftliches Mediationsvorhaben findet sich im Kontext des langjährigen Konfliktes zwischen der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland und ihrem Vetter Friedrich I./III. von Brandenburg. In dieser Auseinandersetzung übernahm Landgraf Karl von Hessen-Kassel auf die Anfrage des brandenburgischen Kurfürsten hin ____________

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August von Zinsendorf, dass Friedrich August III. der Bitte seiner Tante nachgekommen sei und ihm Order erteilt habe. Friedrich August von Zinsendorf an Maria Kunigunde von Sachsen (18. März 1787): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/17, fol. 12r. Vgl. zu Heinrich Gottlob von Stutterheim STUTTERHEIM, STUTTERHEIM, Die Herren und Freiherren von Stutterheim/Alt-Stutterheim, S. 84, 247; vgl. zu Friedrich August von Zinsendorf DISTEL, Zinzendorf, Friedrich August Graf von, S. 339 f.; KAAK, Zinzendorf und Pottendorf, Friedrich August Graf von. Vgl. die vielfältigen Memorialen unterschiedlichen Inhalts sowie der französische Briefwechsel zwischen Maria Kunigunde und Friedrich August von Zinsendorf im kursächsischen Kabinettsarchiv: Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/18. Zum Konfliktlösungsverfahren der Mediation oder Vermittlung vgl. ALTHOFF (Hg.), Frieden stiften; KAMP, Friedensstifter und Vermittler.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

1699 die Mediation.122 Ihn qualifizierte nicht nur das nahe verwandtschaftliche und gute Verhältnis zu beiden Kontrahenten, sondern auch der Umstand, dass Charlotte Sophie gegen ihn noch allemahl etwas mehr confidentz bezeiget als gegenüber dem Kurfürsten und er selbst ein großes Interesse am Ausgleich zwischen seinen beiden Verwandten hatte, um nicht in einen Loyalitätskonflikt zu geraten.123 Über sieben Jahre versuchte der Landgraf im offiziell und privat geführten Schriftverkehr mit beiden Parteien und auf zwei Konferenzen in Bückeburg (1704) und Berlin (1705) vertreten durch seine Abgeordneten, einen Ausgleich zwischen der Äbtissin und dem KurfürstenKönig zu stiften.124 Sein zähes Festhalten an dem Mediationsvorhaben, das von beiden Seiten wiederholt torpediert wurde,125 hing mit dem Ansehens____________ 122

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Friedrich I./III. bot der Äbtissin an, die sämtlichen entstandenen Streitigkeiten mit Hilfe eines Mediators beizulegen, und gewann für dieses Amt Landgraf Karl von HessenKassel. Friedrich I./III. an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (27. Febr./9. März 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434 sowie dessen Antwort (9. März 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Friedrich I./III. an Karl von Hessen-Kassel (27. Febr./9. März 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Vgl. den offiziellen und privaten Schriftwechsel des Landgrafen mit dem Kurfürst-König und der Äbtissin in: Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434, 474, 88, 81. Eine erste Konferenz war bereits für Herbst 1699 in Rinteln geplant, sie fand dann aber letztlich nicht statt. Friedrich an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (24. Juli/3. Aug. 1699): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Vgl. auch undatiertes Konzeptschreiben Friedrichs I./III. an Charlotte Sophie ([Juli] 1703), in welchem er ihr und ihren Räten die Schuld am Nichtzustandekommen der Zusammenkunft gab: Wie aber damahls Ewer Liebenden Bediente ein hauffen schmählige dinge, umb dadurch die fortsetzung solcher mediation zuhemmen, gleichfals zur bahn gebracht, Ewer Liebenden auch diese interposition selbst restituiret, und sogar am Kayserlichen Reichs Hof Rath ungleich remonstriret, als wan Wir dadurch etwas gefährliches intendirten; So ist auch aus der zu Riteln im Vorschlag gebrachten zusammen kunfft nichts worden: Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Vollmacht des Königs für seine Abgesandten zur Konferenz in Bückeburg (22. März 1704): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118; vgl. auch Nachfolgende puncta werden königlich Preußischer seiten denen Hochfürstlichen zur mediation verordneten Herren Commisrys, gleichfals zur Vermittlung übergeben (26. April 1704): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 472; Bericht der Stiftsräte über den ersten Verhandlungstag (25. April 1704): LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118; Instruktion für die hessischen Abgesandten zur Konferenz nach Berlin (29. Juni 1705): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 81. Während die brandenburgisch-preußischen Vertreter in Herford das Mediationsvorhaben immer wieder durch Übergriffe auf die Rechte des Stifts wie die Einführung einer Kopfsteuer, die auch die Geistlichen und Beamten des Stifts betraf, oder strafrechtliche Verfolgung einzelner Stiftsbeamter oder der militärischen Besetzung des Stifts gefährdeten,

3.2. Nehmen

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verlust im Fall seines Scheiterns als Mediator zusammen. Zeugnis dafür liefert sein Appell an die Verhandlungsbereitschaft der Äbtissin: Er erinnerte sie daran, welch schimpff seinem Haus zuwachsen würde, wenn sie sich aus der Mediation zurückzöge.126 Obwohl unter Federführung seiner Regierungsräte 1705 ein Vergleich ausgehandelt wurde,127 scheiterte die Mediation schließlich an der fehlenden Kompromissbereitschaft der streitenden Parteien.128 Dass das Engagement von Verwandten in Konfliktsituationen nicht immer zum Vorteil von Äbtissin und Stift, sondern auch zu deren Nachteil gereichen konnte, zeigt sich an der zu Beginn der 1720er Jahre wieder aufgenommenen Auseinandersetzung zwischen der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf und Friedrich Wilhelm I. in Preußen. Der König wandte sich in dieser Situation an das amtierende Oberhaupt des Gesamthauses Holstein-Gottorf.129 Herzog Karl Friedrich verbot daraufhin ____________

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ließ sich die Äbtissin zuerst nur widerwillig auf das Vorhaben ein und hielt später unbeirrbar an ihrem einmal gefassten Standpunkt fest. Charlotte Sophie signalisierte zwar einerseits mit der Formulierung von Diskussionspunkten Verhandlungsbereitschaft, drohte aber gleichzeitig mit der Aufhebung der Cession und der Rückforderung der Stadt Herford, wenn Friedrich I./III. sie und ihr Stift nicht wieder in seinen Schutz aufnähme. Vgl. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (6. Juni 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434; Charlotte Sophie berichtet Karl von Hessen-Kassel über das Eindringen brandenburgisch-preußischer Soldaten (16. Aug. 1703): Marburg HStA 4f Preußen 475; Zitation der Kapitulare von Amazon und von Sternfeld sowie Stiftsbeamten Thulemeyer, Cramer und Hahn vor das Kriminalgericht nach Berlin (6. Jan. 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123; Notarielles Protokoll über den formalen Protest der Äbtissin gegenüber der Stadt wegen der Kopfsteuer (19. Mai 1704): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 196. Landgraf Karl von Hessen-Kassel an Charlotte Sophie (15. Juli 1704): LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Puncta worauff etwa der Vergleich zu fundiren (undatiert und ohne Autor): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 81. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (4. März 1706): LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118; Friedrich I./III. an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (22. Mai 1706): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 88. Nach jahrelangen Streitigkeiten mit ihrer Vorgängerin um die Übertragung der Schutzvogtei von Kursachsen an Kurbrandenburg und die Stellung des Schutzherrn sowie um die Wiederbesetzung des Äbtissinnenamtes kehrte nach dem wirklichen Amtsantritt Maria Elisabeths 1718 – zwischen Wahl und Introduction vergingen zehn Jahre, in denen der preußische König die Regierungsübernahme verhinderten – zunächst Ruhe in die Auseinandersetzung zwischen königlichem Schutzherrn und Äbtissin ein. Anfang der 1720er Jahre sorgte jedoch der kaiserliche Fiskal dafür, dass der ruhende Prozess am Reichshof-

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

seiner Tante die Wiederaufnahme des Prozesses mit der Bemerkung, sie solle die Ruhe und Prosperität des Stifts nicht gefährden, da viel Sorgfalt, Mühe und Kosten von Unsertwegen sind angewandt worden, umb daß Ewer Liebdenden zu einem so geruhigen alß rechtmäßigen Besitz dero Abtey gelangen und dabey Ihr Erprießlichkeit finden möchten.130

Druckmittel Blieb die erwartete finanzielle Unterstützung oder Hilfe der Herkunftsdynastie oder Verwandtschaft aus, konnten die Äbtissinnen auf diverse Druckmittel zurückgreifen. Diese reichten von der Klage vor den Reichsgerichten bis hin zu Erpressungsversuchen. Anna Dorothea von SachsenWeimar wandte sich im Streit mit ihren Brüdern um die Beteiligung am elterlichen Erbe an den Reichshofrat.131 Angesichts der politischen Umstände im Quedlinburger Stift, das seit Frühjahr 1698 von kurbrandenburgischen Truppen besetzt war und unter der neu eingeführten Konsumptionsakzise litt, sah sie sich nicht länger in der Lage, ihre standesgemäße Lebensführung aus ihren Stiftseinkünften zu bestreiten.132 Zu einer Entscheidung kam es in diesem innerfamiliären Rechtsstreit nicht. Allerdings wirkte er sich nachteilig auf die Unterstützung der Weimarer Herkunftsdynastie im Konflikt zwischen dem Quedlinburger Stift und seinem neuen Schutzherrn, dem Kurfürsten von Brandenburg, aus. Die anfängliche Unterstützung ihres Bruders sowie weiterer Fürsten der sächsisch-hessischen Erbverbrüderung wurde erst ausgesetzt und brach dann schließlich ganz ab,133 so dass die Äbtissin klagte: ____________ 130

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rat wieder aufgerollt und der Konflikt mit neuem Leben erfüllt wurde. S. u. Kap. Des Kaisers rechter Arm. Herzog Karl Friedrich von Holstein-Gottorf an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (26. Sept./7. Okt. 1724): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.IIIb Nr. 8, fol. 458r-v. Johann Ernst III. und Wilhelm Ernst regierten das Herzogtum von 1683 bis 1707 gemeinsam, weil sich im Herzogtum Weimar noch keine Primogenitur-Ordnung durchgesetzt hatte. Faktisch lag die politische Verantwortung fast vollkommen in den Händen des jüngeren Bruders. Vgl. LÄMMERHIRT, Wilhelm Ernst, Herzog von Sachsen-Weimar. Klage der Quedlinburger Äbtissin gegen ihre Brüder, die amtierenden Herzöge von Sachsen-Weimar (praes. 18. Aug. 1699): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2206, fol. 10r-11v. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Herzog Wilhelm Ernst (23. Febr. 1699): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2206, fol. 1r-v. Während die Kommunikation zwischen Nov. 1698 und Febr. 1699 ruhte, brach sie 1702 gänzlich ab.

3.2. Nehmen

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wir hätten zwar gemeynet, von Unsern Mit-Ständen, insonderheit aber von denen Häusern Sachßen und Heßen in solcher Reichskundigen Bedrängnis einige assistence zu erhalten, zumahlen Wir vielfältig darümb angesuchet; Wir sind aber auch hierin unglücklich gewesen und leider! von Aller Welt abandoniret und verlaßen worden.134

Das verwandtschaftliche Beziehungsnetz der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, das auf reziprokem Verhalten der involvierten Akteure beruhte, war gestört. Finanzielle Unterstützung und Beistand in Konfliktsituationen blieben angesichts des anhängigen Prozesses um das Erbe aus. Charlotte Sophie von Kurland hingegen setzte in den Konflikten mit ihren Verwandten auf erpresserische Drohungen. Hierzu beschwor sie Szenarien herauf, welche die Standesqualität und den Leumund ihrer Herkunftsdynastie und ihres kognatischen Verwandtenkreises gefährdet hätten, wie eine unstandesgemäße Heirat oder die Konversion zum katholischen Glauben.135 Mitten im Streit mit dem Bruder um ihren Unterhalt wurde ihr 1687 das Heiratsangebot des Bruders der polnischen Königin,136 einem niederrangigen französischen Adeligen, angetragen. In dieser Situation suchte sie den Rat ihres väterlichen Onkels, Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Dieser riet ihr nicht nur dringend von der Heirat ab,137 sondern beschwor darüber hinaus auch den Landgrafen von Hessen-Kassel, an dessen Hof sich Charlotte Sophie bereits seit einiger Zeit aufhielt, dieses Projekt zu verhindern, da eine Eheschließung mit einem unstandesgemäßen und noch dazu katholischen, französischen Edelmann schimpflich und unanständig für ____________ 134

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Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (10. Febr. 1702): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2205. Zu unstandesgemäßen Eheschließungen im hohen Adel vgl. DOLLER, Bürgerliche Gattinnen; SIKORA, „Mausdreck mit Pfeffer“; DERS., Eine Missheirat im Hause Anhalt; DERS., Ungleiche Verbindlichkeiten; DERS., Über den Umgang mit Ungleichheit; DERS., Wahrnehmungsweisen einer unstandesgemäßen Beziehung. Zu Hochadelskonversionen im Alten Reich vgl. u. a. MADER, Fürstenkonversionen zum Katholizismus; DERS., Die Konversion Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg (dort jeweils auch die ältere Literatur zum Thema). Während bei Mader vor allem Konvertiten aus den reichsfürstlichen Häusern im Blickpunkt stehen, vgl. zu Glaubenswechseln von Reichsgrafen demnächst: Lorenz Baibl, Zwischen dynastischer Einheit und konfessioneller Spaltung. Konversionen und konfessionelle Differenz im Reichsgrafenstand (Diss., Münster). Die wichtige Rolle, die der Kaiserhof beim Zustandekommen von hochadeligen Konversionen spielte, behandelt PEPER, Konversionen. Hierbei handelt es sich um Marie Casimire Louise de la Grange d’Arquien, die Tochter eines franz. Marquis. Friedrich Wilhelm an Charlotte Sophie von Kurland (23. Juli 1687): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7a Fasz. 9.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

ihre beiden Fürstenhäuser wäre.138 Charlotte Sophie zögerte aber eine direkte Absage des unstandesgemäßen Angebotes hinaus. Dieses Verhalten richtete sich weniger gegen die Ratschläge des Großen Kurfürsten. Vielmehr benutzte die Prinzessin das Angebot als Druckmittel im Streit mit ihrem Bruder um die geringen Unterhaltszahlungen.139 Trotz ihrer unsicheren Lage als unverheiratete Schwester, die auf die finanzielle Unterstützung ihres Bruders angewiesen und ihm als Familienoberhaupt Gehorsam schuldig war, bot ihr das unstandesgemäße Heiratsangebot die Möglichkeit, gegen das Oberhaupt der Dynastie aufzubegehren. Denn offenbar hing das Zustandekommen eines solchen Eheprojektes nicht zuletzt von ihrer Entscheidung ab.140 Im Konflikt mit ihrem Vetter Friedrich I./III. appellierte die Äbtissin einige Jahre später zunächst auf Grundlage der gemeinsamen Konfession an die Friedfertigkeit des Kurfürsten und bat, mir in meiner gerechten Sach nicht mehr zu wieder sondern vielmehr behülfflich zu sein damit gleichfalls die blame von unser Religion abgewendet werde weil die catholische mir in die augen sagen ihr sehet, daß eine religion nichts tauget dan ihr von keinem mehr untreu und chagrin als Euren reformirten chanoinissen hat und von keinem weniger assistence in Euren gerechten sachen als von euren Reformirten blutsfreunden habet in Hoffnung.141

Dahinter verbarg sich jedoch der warnende Hinweis auf katholische Kreise am Wiener Hof, die sie zum Glaubenswechsel zu überreden suchten. Sie drohte gar damit, die Jesuites über Ihre in Curland habende praetension zu Erben einzusetzen.142 Tatsächlich hatten sich verschiedene katholische Geistliche, darunter einige Jesuiten sowie Kardinal Graf von Kollonitsch, der als „Pro____________ 138

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Friedrich Wilhelm an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (9./19. April 1687 u. 25. Juli 1687): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7a Fasz. 9. Friedrich Wilhelm an Charlotte Sophie von Kurland (23. Juli [Zitat] u. 16. Aug. 1687): Berlin GStA PK I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7a Fasz. 9. In beiden Schreiben berichtet der Kurfürst von seinen Bemühungen, den Herzog von Kurland zu überzeugen, seiner Schwester ein standesgemäßes Auskommen zu sichern, damit sie nicht gezwungen wäre, eine desperate resolution zuergreiffen. Unter dieser Prämisse muss das „Klischee bezüglich der Frauen als passive Opfer adeliger (männlicher) Heiratspolitk“ dringend revidiert werden. So bereits geschehen bei RUPPEL, Verbündete Rivalen, S. 75 (Zitat), 205-211. Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich I./III. (21. Febr. 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Bericht der kurbrandenburgischen Gesandten Dönhoff und Bartholdi aus Wien (8./18. Juli 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119.

3.2. Nehmen

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selytenmacher“ bekannt war,143 der Äbtissin angenommen,144 so dass bald Gerüchte über die geplante Konversion der Äbtissin laut wurden: In der gantzen Stadt [Wien, Anm. d. Verf.] gehet die Rede, daß Sie den Catholischen Glauben annehmen, und den Fürsten von Schwartzburg heurheten werde.145 Angesichts solcher Nachrichten beauftragte ihr Schwager, Landgraf Karl von HessenKassel, der die Vermittlung im Streit zwischen seinen beiden Verwandten übernommen hatte, seinen Gesandten in Wien, auff alle ersinliche weiße […] zu verhüten, damit sie nicht endlich gar sich zu enderung der religion, worzu Ihr dem ansehen nach genugsam anlaß gegeben werden mag, verleiten laßen.146 Denn die Konversion einer protestantischen Fürstin und Äbtissin hätte nicht nur die mit ihr verwandten Höfe in Berlin und Kassel in ihrem Selbstverständnis als Verteidiger der Augsburgischen Konfession getroffen, sondern auch Signalwirkung für das konfessionelle Kräfteverhältnis im Reich gehabt, das sich bereits seit 1685 mit der Rekatholisierung der Kurpfalz zu Gunsten der Katholiken verschoben hatte.147 Schließlich stellte Landgräfin Marie Amalie von Hessen-Kassel der Herforder Äbtissin, ihrer Schwester, die fehlenden 5.000 Reichstaler zu behüef gewisser Unß höchst angelegentlich nöthiger ausgaben insbesondere

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Graf Sigmund von Kollonitsch (1676-1751), seit 1716 Bischof, ab 1722 erster Erzbischof von Wien, 1727 schließlich auch Kardinal, zählte zu den einflussreichsten ‚Proselytenmachern‘ am Kaiserhof und war im frühen 18. Jahrhundert federführend an diversen hochrangigen Konversionen beteiligt. Zu seiner Person siehe Kollonitz, Sigismund Graf von, in: WURZBACH (Hg.), Biographisches Lexikon, 12. Teil, S. 363f., sowie PEPER, Konversionen, S. 56 und S. 59; zum Begriff des ‚Prosyletenmachers‘ SCHMIDT, Konversion und Säkularisation als politische Waffe, S. 203. Schmidt benutzt den Begriff hier jedoch im Zusammenhang mit Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Hessischer Gesandter von Tettau in Wien an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (11./21. März 1699): Marburg HStA 4 f Preußen Nr. 434. Die katholischen Geistlichen um den Kardinal Graf von Kollonitsch haben der Äbtissin angeblich ein möbliertes Haus bei Abtretung ihrer Kurländischen Forderungen angeboten. Bericht des Residenten Bartholdi aus Wien (15./25. April 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Landgraf Karl von Hessen-Kassel an Friedrich I./III. (9. März 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Nach der Reformation sind insbesondere am Kaiserhof spektakuläre Glaubenskonversionen von protestantischen Bittstellern vorbereitet worden, die im Zeichen der katholischen Gegenreformation gesehen werden müssen. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Das Heilige Römische Reich, S. 98.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

zu beförderung Unser hiesigen abreyße zur Verfügung. Damit war die Gefahr einer Konversion am Kaiserhof gebannt.148

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Obligation der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland über einen Kredit ihrer Schwester, der Landgräfin Marie Amalie von Hessen-Kassel (14. April 1700): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 210.

3.3. Wiedergeben

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3.3. Wiedergeben 3.3. Wiedergeben

Noch in der Anbahnungsphase der Wahl Johanna Charlottes von Brandenburg zur Äbtissin des Stifts Herford versicherte die Markgräfin 1720, dass sie nach ihrem Amtsantritt, sich in allem nach Eure Königlichen Majestät allergnädigstem Willen und Befehl betragen und nicht nur eine von Eure Königlichen Majestät prinzessinnen sondern diselbe insgesambt gerne und mit den hochsten Freuden zu Ihre Coadjutorin aufnehmen [wolle].1 Nach ihrer Postulation zur Herforder Äbtissin beeilte sie sich schließlich, sowohl Sophie Dorothea Marie in Preußen als Kanonissin aufzunehmen und deren Wahl zur Coadjutorin zu befördern als auch den Streit mit den preußischen Vertretern vor Ort um die Akzise und die Visitation der Abteimühle zu beenden.2 Wie die Bekräftigungen Johanna Charlottes von Brandenburg und die ersten Maßnahmen ihrer Regierung bereits andeuten, berühren die nachfolgenden Überlegungen das Spannungsfeld zwischen den beiden Handlungszusammenhängen Verwandtschaft und Lokalgewalten. Dabei gilt es zu beobachten, wie sich die beiden Handlungszusammenhänge, die insbesondere in der Person der Äbtissin eine gemeinsame Schnittmenge bildeten, zueinander verhielten – also ob sich die jeweilige Äbtissin stärker von ihren Verwandtschafts- oder Amtsinteressen leiten ließ bzw. wie sie beides miteinander vereinte.

Verwandtschaftliche Besetzungspolitik Einen wichtigen Dienst erfüllten die Äbtissinnen ihren Verwandten, indem sie die Aufnahme weiterer Mitglieder des Verwandtschaftskreises ins Stift zur Erziehung, dauerhaft oder unter Umständen sogar als ihre Nachfolgerin beförderten. Dadurch beugten sie langwierigen und kostspieligen Verhand-

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Vgl. den Bericht des Ministers Heinrich Rüdiger von Ilgen über seine Unterredung mit der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg (2. April 1720): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg) Nr. 3150. Johanna Charlotte von Brandenburg an Friedrich Wilhelm I. (14. Aug. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1122; Publikation der Wahl Sophie Dorothea Maries in Preußen zur Coadjutorin des Stifts Herford (13. Okt. 1729); Notarisches Instrument der Wahl (13. Okt. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1122. Kabinettschreiben an die Kriegs- und Domänenkammer Minden über die Ergebnisse der Konferenz im Streit um Akzise und Visitation der Mühle (22. Sept. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

lungen vor.3 Auf diese Weise verhalf Johanna Charlotte von Brandenburg, wie eingangs beschrieben, einem wesentlichen Motiv des preußischen Königs für sein Engagement bei ihrer Wahl zur Durchsetzung, nämlich sich Eingang in das Stift zu verschaffen, um allemahl eine Printzessin von unserm Hause, durch diese Abtey zu versorgen.4 Die Prosopographien, die für die kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte Essen, Quedlinburg und in Teilen auch Herford vorliegen, zeigen deutlich familienpolitische Strategien hinter den Aufnahmen der meisten Stiftsdamen. Nicht selten lebten dort Nichten und Tanten, Schwestern und Cousinen zusammen.5 Schon junge Mädchen wurden zur Erziehung den Stiften übergeben und dort auf die Ehe oder ein Leben im Stift vorbereitet. Die Wirkung dieser Besetzungspolitik zielte sowohl nach außen, indem die Stifte wichtige Funktionen für die Adelsgesellschaft wahrnahmen und ihre Mitglieder aktiv in das soziale Netz ihrer Verwandten integriert blieben,6 die sie im Notfall aktivieren konnten, als auch nach innen, da sich auf Basis verwandtschaftlicher Verbindungen Parteien im Stift zusammenfanden, welche die gleichen Interessen vertraten und sich gegenseitig Rückhalt gaben. Ein Beispiel für eine solche verwandtschaftliche Besetzungspolitik bietet die Regierung Anna Salomes von Salm-Reifferscheidt. Als Äbtissin von Essen verhalf sie vor allem Töchtern ihrer Brüder und Schwestern ins Stift.7 ____________ 3

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Vgl. neuerdings die Arbeiten zur „verwandtschaftliche[n] Figur der Tante als zentrale[m] Knotenpunkt im frühneuzeitlichen Verwandtennetz der europäischen Fürstengesellschaft“ von HOHKAMP, Eine Tante für alle Fälle, Zitat: S. 149; DIES. (Hg.), Tanten. Die Institution Damenstift hat in diesem Zusammenhang bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden, obwohl gerade hier häufig Tanten-Nichten-Beziehungen angetroffen werden. Friedrich Wilhelm I. an die Landdrosten Clamor von dem Bussche und Arnold Henrich von Meinders (10. Nov. 1716): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 307-379; DIES., Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 45-92; BEI DER WIEDEN, Die Dekanessen und Koadjutorinnen der Reichsabtei, S. 109-130; DERS., Die Herkunft der Äbtissinnen der Reichsabtei, S. 21-38; DERS. Die Äbtissinnen der Reichabtei Herford, S. 31-54; HEESE, Trägerinnen und Träger des Herforder Damenstiftsordens, S. 225-249. Sie übernahmen nicht nur Versorgungs-, sondern darüber hinaus auch Erziehungs- und Sozialisationsfunktionen für die Adelsgesellschaft. Nicht selten wurde einer im Stift lebenden Tante die Erziehung der Tochter übertragen. So auch Charlotte Sophie von Kurland, die ihre Nichte, Eleonore von Hessen-Homburg, bei sich aufnahm und als Kanonissin im Stift Herford präbendierte. S. u. Kap. Gescheiterte Familienpolitik Zur Funktionalität der Damenstifte vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 267-275; DIES., Macht in Frauen Hand, S. 52-56. Vgl. Prosopographie in KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 307-379.

3.3. Wiedergeben

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Zugleich zeigt die Aufnahmepraxis Anna Salomes die Grenzen verwandtschaftlicher Solidarität auf. Den Töchtern ihrer Schwester Sidonie Elisabeth aus dem Haus Liechtenstein ebnete sie nämlich nicht den Weg ins Essener Stift, weil ihre Abstammung nicht die strengen ständischen Kriterien erfüllte.8 Anna Salome legte großen Wert auf die konsequente Beobachtung der reichsgräflichen Qualität der Bewerberinnen. Ihre Aufnahmepraxis entsprach ihrem stark ausgeprägten ständischen Bewusstsein, das sowohl in ihrem Testament als auch ihrem Grabmal deutlich zum Tragen kam,9 sowie ihrer an reichsgräflichen Werten orientierten Politik, die nicht nur den Interessen des Hauses Salm-Reifferscheidt, sondern des gesamten regionalen Reichsgrafenstandes zugutekam.10 Hintergrund verwandtschaftlicher Aufnahmepolitik war nicht zuletzt die Vorstellung gegenseitiger Loyalität und Hilfe. Aus diesem Grund nahm Charlotte Sophie von Kurland ihre Nichten aus dem Haus HessenHomburg ins Herforder Stift auf: zunächst 1702 Hedwig Louise. Zu diesem Zeitpunkt tobte nicht nur der Streit zwischen der Äbtissin und dem preußischen König um die Vorherrschaft im Stift, sondern das Herforder Kapitel war darüber hinaus tief gespalten. Auslöser für die innerstiftische Konfrontation war die Rivalität zwischen Äbtissin und Dekanissin, die sich bereits Ende der 1680er Jahre abzeichnete und die Mitte der 1690er Jahre in einem offenen Konflikt mündete.11 Beide Frauen brachten Teile des Kapitels hinter sich.12 Als die Dekanissin Sophie Ernestine von und zu Lippe 1702 starb, nutzte Charlotte Sophie die Uneinigkeit des Kapitels, um das Amt eigen____________ 8

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Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 142. Das aus Mähren stammende Haus Liechtenstein war erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufgrund der Verdienste seiner Mitglieder um die katholische Partei in den erbländischen Fürstenstand vom Kaiser erhoben worden. Es gehörte somit nicht zum alten Hochadel. Jedoch suchten seine Mitglieder, diesen Makel durch Heiraten in althochadelige Kreise sowie die Aufnahme der Töchter in hochadelige Damenstifte auszugleichen. Denn nicht allein die Nobilitierung durch den Kaiser, sondern vielmehr noch die Anerkennung durch die Standesgenossen besiegelte den Aufstieg in den Hochadel. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 275-277; JÜNGLING, Die Heiraten des Hauses Liechtenstein. In ihrem Testament legte Anna Salome fest, dass ihr Neffe nur dann als Haupterbe eingesetzt werden dürfe, wenn er eine standesgemäße Ehe eingeht. Ihr Grabmal ließ die Äbtissin mit den 32 Wappen ihrer hochadeligen Ahnen statt der üblichen 16 schmücken. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauentestamente, S. 39, 41. S. u. Kap. Verwandtschaftlich-ständische Interessengemeinschaft. S. u. Kap. Das Kapitel als Mitregent. Während sich die meisten Kapitulare, die teilweise gleichzeitig als Stiftsräte fungierten, hinter die Äbtissin stellten, vereinte die Dekanissin die Küsterin, zwei weitere Kanonissen und einen Kapitular hinter sich.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

mächtig mit ihrer Nichte zu besetzen.13 Ziel dieses Manövers war die Bestellung einer ihr treu ergebenen Dekanissin, um ihre Position gegenüber dem Kapitel zu verbessern. Obwohl die neuernannte Dekanissin bald nach ihrer Bestellung mit Erlaubnis der Äbtissin aus Herford wieder dauerhaft abreiste, stärkte sie die Stellung ihrer Tante. Sie beauftragte während ihrer Abwesenheit einen Kapitular mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Hierzu gehörte vor allem die Einberufung des Kapitels. Hedwig Louise bestimmte, dass der Kapitular das Kapitel nicht nur zusammenrufen sollte, wenn er dies für nötig befand, sondern auch, wenn es von der Äbtissin verlangt würde.14 Einige Jahre zuvor war gerade diese Streitfrage Ursache für das innerstiftische Zerwürfnis zwischen ihrer Vorgängerin und der Äbtissin, weil Letztere dieses Vorrecht eigenmächtig für sich in Anspruch genommen hatte.15 Nun aber standen ihr alle Möglichkeiten offen, ihren Einfluss auf das Kapitel auszudehnen. Hierzu zählten das Mitspracherecht bei Aufnahme neuer Kapitulare und Stiftsdamen und ganz besonders die Wahl einer künftigen Nachfolgerin.

Gescheiterte Familienpolitik Nicht immer zahlte sich verwandtschaftliche Besetzungspolitik derart aus wie im Fall Hedwig Louises von Hessen-Homburg. Genauso finden sich zahlreiche Beispiele von verwandten Stiftsdamen, die miteinander konkurrierten. Solche Konkurrenz bekam auch Charlotte Sophie von Kurland zu spüren, als sie nach der Resignation ihrer Nichte auf eigene Kosten deren Schwester Eleonore als Kanonissin ins Stift Herford aufgenommen hatte.16 ____________ 13 14

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S. u. Kap. Thronen und investieren. Vollmacht der Dekanissin für den Kapitular von Amazon (20. Mai 1702): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 267. Kopie der Suspendierung Sophie Ernestine zu Lippe durch Charlotte Sophie von Kurland (6. Nov. 1696): Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata recentiora Nr. 114/4; vgl. Vorstellung des Agenten der Äbtissin Koch beim Reichshofrat, in welcher er die Suspendierung auf Grundlage der Jura Ecclesiastica rechtfertigte (o.D. [Aug./Sept. 1697]): Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata recentiora Nr. 114/4. 1716 resignierte Hedwig Louise von Hessen-Homburg ihr Amt als Dekanissin und auch die Präbende als Stiftsdame. Zwei Jahre später heiratete sie den hessischen General Graf Adam Friedrich von Schlieben. Die Heirat galt als Messaliance. Elisabeth Charlotte von Orléans, besser bekannt als Liselotte von der Pfalz, urteilte in einem ihrer Briefe (13. März 1718) über die Eheschließung der hessischen Landgräfin folgendermaßen: Läßt man jetzt in Deutschland die Prinzessinnen herumlaufen, wie in Frankreich, das war der Brauch nicht zu meiner Zeit – man hat wohl groß Recht zu Cassel übel zufrieden über diesen Heirath zu sein – die Zeit ist herbeigekommen, wie in der heiligen Schrift steht, daß sieben Weiber nach eines Mannes Hosen

3.3. Wiedergeben

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Kurz nach dem Eintritt ins Stift wurde Eleonore in die Verhandlungen um die Wahl der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg zur künftigen Äbtissin verwickelt.17 Sie verweigerte zwar aus Rücksicht auf ihre Tante zunächst die Zustimmung,18 nachdem man ihr aber das Amt der Dekanissin versprochen hatte, gab sie eine Erklärung zu Gunsten Johanna Charlottes ab und ließ sich einige Jahre später gegen den Widerstand der Äbtissin von den anderen Kapitelmitgliedern zur neuen Dekanissin wählen.19 Ihre Tante Charlotte Sophie reagierte enttäuscht und beklagte, dass Eleonore ob ich gleich an ihrer Hochseeligen Frau Mutter stat und noch dazu ihre Aebtißin bin, auch sie ohne eintziges entgeldt in mein stift genomen habe, die Parthey meiner ungehorsahmen und wiederspenstigen capitularen ergriffen hat.20 Angesichts der nahen Verwandtschaft und der Vorsorge, welche die Äbtissin für ihre Nichte nach dem Tod ihrer Mutter getroffen hatte, erwartete Charlotte Sophie als Gegenleistung Loyalität und Hilfe. Nicht anders erging es der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf. Auch sie verfolgte nach ihrer Introduction familienpolitische Interessen und nahm wohl zunächst zur Erziehung ihre Nichte

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laufen werden. HOLLAND (Hg.), Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans, S. 206. Revers der Landgräfin Eleonore von Hessen-Homburg über die Belehnung mit einer Kanonissinpräbende durch Charlotte Sophie von Kurland (28. Nov. 1716): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Urkunden Nr. 1701; s. auch Charlotte Sophie von Kurland an Prinzessin Eleonore von Hessen-Homburg (20. Okt. 1716): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1051. S. o. Kap. Patronage. Für den Fall einer Coadjutorin-Wahl hat Eleonore von Hessen-Homburg sich bereits gegenüber ihrer Tante verpflichtet, ihr ihre Stimme zu überantworten. Bericht des Residenten Hecht (17. Juli 1717): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 Geheimer Rat (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136. Erklärung der Prinzessin Eleonore von Hessen-Homburg (28. Okt. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136; auch in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1051. Siehe auch Bericht des Residenten Hecht (30. Okt. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3136. Im Fall der Landgräfin von Hessen-Homburg bezog sich diese Erklärung auf die Wahl einer Äbtissin, nicht Coadjutorin. Undatiertes Memorial über die Verhältnisse bei der Dekanissinnenwahl 1722 aus dem Umfeld der Äbtissin Charlotte Sophie: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1056. Charlotte Sophie von Kurland an Eleonore von Hessen-Homburg (14. Jan. 1722): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1054.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Hedwig Sophie Auguste auf.21 Vier Jahre später ernannte die Äbtissin sie zur Dekanissin des Stifts.22 Die Aufnahme weiterer Stiftsdamen aus ihrer Gottorfer Herkunftsdynastie verhinderte der preußische König in seiner Funktion als Schutzherr des Stifts. Er unterstellte Maria Elisabeth Vetternwirtschaft und erklärte zugleich, als Schutzherr abwehren zu wollen, daß das Stifft mit der Zeit einem Fürstlichen Hause alleine approbiret und gleichsahm zum appanage von demselben gemachet, oder in effectu eine erbliche Succession in demselben introduciret werde.23 In dieser Reaktion spiegelt sich die Konkurrenz der hochadeligen Dynastien um die Ressource Stift wider. Friedrich Wilhelm I. verfolgte selbst dynastische Pläne und überlegte, eine preußische Coadjutorin in Quedlinburg unterzubringen.24 Unter der Patronage ihrer Tante gelang Hedwig von Holstein-Gottorf eine Karriere im Stift bis ins Amt der Pröpstin. Sowohl bei Antritt der Dechanei als auch der Propstei musste sie sich in einer Kapitulation, die sie öffentlich beim Akt der Postulation beeidete, zu gewissenhafter Verwaltung ihres Amtes sowie zum Gehorsam gegenüber der Äbtissin verpflichten.25 Maria Elisabeth und ihre Nichte Hedwig verband demnach ein zweifach gestiftetes Band gegenseitiger Verpflichtungen und Erwartungen sowohl von Amts als auch Verwandtschafts wegen. Als sich Hedwig im Streit mit ihrer Tante wenige Jahre nach ihrer Postulation zur Pröpstin an den Stiftshauptmann sowie den preußischen Schutzherrn um Hilfe wandte und sich für deren Pläne einspannen ließ,26 sah Maria Elisabeth daher nicht nur ihre Erwartungen an die Amtsträgerin, sondern auch an die Nichte enttäuscht.27 Sie berichtete an ihren Wiener Agenten, dass der preußische König nun ____________ 21

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Hierbei handelte es sich um die Tochter ihres Bruders, des Bischofs von Lübeck, Christian August von Holstein-Gottorf. Vgl. bei KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 77. Postulation Hedwig Sophie Augustes von Holstein-Gottorf zur Dechantin des Stifts Quedlinburg (30. April 1727): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V, Nr. 2, fol. 392r-v. Friedrich Wilhelm I. an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (20. Jan. 1728): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V, Nr. 2, fol. 384r-385v. Friedrich Wilhelm I. an Stiftshauptmann Georg Otto Edler von Plotho (28. Aug. 1734): Schleswig LASH Abt. 260 Nr. 124, fol. 57r-59r. Protokoll des Postulations-Aktes zur Pröpstin (21. April 1728): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.V, Nr. 2, fol. 405r-409r. S. u. Kap. Gefährliche Uneinigkeit. Maria Elisabeth an den Bruder der Pröpstin Adolf Friedrich von Holstein-Gottorf, Fürstbischof von Lübeck, späterer König von Schweden (28. Okt. 1734): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.V Nr. 38, fol. 66r-v. Sie wandte sich an den Herzog sowohl als Garanten der Capitulation, in welcher sich Hedwig zum Gehorsam gegenüber der Äbtissin

3.3. Wiedergeben

133

auch ein Mittel gefunden [habe], Unsere eigen niece und Pröbstin auf abfällige und wiederwertige Meynung und ein damit verknüpfftes unanständiges Betragen, zuziehen, Müßen Wir Uns auch dieses Trostes nicht nur beraubet sehen, sondern vor unsers nechsten an Kindesstatt gehaltenen Verwandtin unangenehm und unerfreundlichen begegnißen erleiden.28

Zwar sollte eine verwandtschaftliche Aufnahmepolitik die Stellung der Äbtissin sowohl im Innern als auch nach außen stärken, sie konnte sich aber im Fall von Konkurrenz, Loyalitäts- und Vertrauensbruch ebenso ins Gegenteil verkehren.29

Grenzen verwandtschaftlicher Besetzungspolitik Den Mitgliedern der jeweiligen Kapitel konnte hingegen kaum an einer durchgreifenden verwandtschaftlichen Besetzungspolitik der Äbtissin gelegen sein. Denn damit wurde der Weg ins Stift für die Mitglieder ihrer Verwandtschaftskreise versperrt und die Ressource Damenstift immer exklusiver. Dies betraf in allen drei Stiften im 18. Jahrhundert vor allem reichsgräfliche Dynastien, die zusehends von fürstlichen Dynastien verdrängt wurden, wie beispielsweise unter der Regierung der Essener Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg. Sie war ohne Hausmacht an die Spitze des Stifts gelangt. Obwohl aus dem Reichsgrafenstand stammend, war sie kaum in das verwandtschaftlich-ständische Beziehungsnetz der Reichsgrafen eingebunden und hatte daher „keine ständischen Rücksichten auf Verwandte und Freunde zu nehmen“.30 Stattdessen nahm sie vermehrt Töchter aus Fürstenhäusern auf, die bisher nicht im Stift vertreten waren.31 Ähnliche Tendenzen in der Besetzungspolitik lassen sich in den beiden evangelischen Stiften nachweisen. Auch hier finden im 18. Jahrhundert vermehrt Töchter aus fürstlichen Häusern Aufnahme, die vorher kaum oder gar nicht vertreten waren.32 Bis ins 17. Jahrhundert waren die ____________ 28

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verpflichtet hatte, als auch als nahen Verwandten, dem gegenüber sie ihre Enttäuschung über die mangelnde verwandtschaftliche Loyalität ausdrückte. Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an ihren Wiener Agenten Fabrice (26. Okt. 1734): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 15, fol. 693r-v. S. u. Kap. Gefährliche Uneinigkeit. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 151. Hierzu gehören die Häuser Hessen-Rheinfels-Rotenburg, Nassau-Hadamar und PfalzSulzbach. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 151. In Herford gehörten hierzu weibliche Mitglieder der Pfälzer Linien, des Hauses HessenKassel und Hessen-Homburg sowie schließlich aus dem Umfeld Brandenburg-Preußens. In Quedlinburg waren es die verschiedenen wettinischen Linien, Linien des Hauses Hol-

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Reichsstifte fest in der Hand der regionalen reichsgräflichen Familien. Diese gerieten aber sowohl durch den Aufstieg von neu nobilitierten als auch durch den zunehmenden Vorsprung der mächtigen altfürstlichen Dynastien unter Standesdruck. Während sie sich nach unten abgrenzen mussten, verloren sie nach oben als mindermächtige Reichsstände immer deutlicher den Anschluss.33 Durch die zunehmende Zahl fürstlicher Kanonissen sahen sie auch ihre Stellung im Stift sinken. Dem versuchten die Kapitularinnen aus gräflichen Häusern entgegenzuwirken, indem sie wie in Herford die gleichmäßige Verteilung der Präbenden auf Gräfflich alß füstlichen frawlein in die Wahlkapitulation der Pfalzgräfin Elisabeth bei der Wahl zur Coadjutorin einschrieben oder sich wie in Quedlinburg ihre standesgemäße Behandlung zusichern ließen.34 Im Umfeld der Wahl einer preußischen Coadjutorin trafen die Quedlinburger Kanonissen Mitte des 18. Jahrhunderts weitere vorbeugende Maßnahmen. Anna Amalie in Preußen musste bei ihrer Wahl versichern, nicht nur den Schutz der Reichsstandschaft, Rechte und Statuten des Stifts zu gewähr-leisten, sondern auch die Abtei nur ad manus Capituli zu resignieren, sie bei Verheiratung nicht beizubehalten und wenigstens […] selbige erblich zu machen.35 Zudem musste sie die Wahrung der lutherischen Konfession des Stifts sowie die Aufnahme lutherischer Kapitularinnen ver____________

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stein, Braunschweig sowie ebenfalls Brandenburg-Preußen. Vgl. die prosopgraphischen Anhaben in BEI DER WIEDEN, Die Dekanessen und Koadjutorinnen der Reichsabtei Herford, S. 109-130; DERS., die Herkunft der Äbtissinnen der Reichsabtei, S. 21-38; DERS., Die Äbtissinnen der Reichabtei Herford, S. 31-54; HEESE, Trägerinnen und Träger des Herforder Damenstiftsordens, S. 225-249; KÜPPERS-BRAUN, Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 45-104. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Der Grafenstand in der Reichspublizistik; PRESS, Reichsgrafenstand und Reich. Teile der Wahlkapitulation Elisabeths von der Pfalz sind in dem Revers der Kapitulare wiedergegeben, mit dem sie die Wahl und Annahme der Pfalzgräfin als Coadjutorin beurkunden. Revers der Kapitulare (19. Okt. 1660): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 230. In der späteren Fassung der Wahlkapitulation von 1667 taucht diese Verpflichtung hingegen nicht wieder auf. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar musste den gräflichen Kanonissen vor ihrer Wahl versichern, dass sie sie Ihrem Gräffl. Stande nach und alß Mitkapitularinnen iedesmahl freund- und höfflich tracriren, keines weges aber übel begegnen, noch solches anderen verstatten [werde]. Versicherung Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar gegenüber den Gräfinnen Eleonora Sophia und Maria Magdalena von Schwarzburg (o.D.): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 15, fol. 89r-91r. Vgl. hierzu und im Folgenden Reversales Postulandae Anna Amalies inklusive Wortlaut der Wahlkapitulation (7. Jan. 1745): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.V Nr. 32, fol. 166r170r.

3.3. Wiedergeben

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sprechen.36 Auf diese Weise versuchte das Kapitel nicht zuletzt, einer Mediatisierung durch Dynastisierung vorzubeugen. Das zunehmende Interesse altfürstlicher Geschlechter kann hingegen im Einzelfall mit dem Wunsch nach mehr Einfluss erklärt werden, sei es innerhalb der Reichskirche wie im Fall der frisch zum Katholizismus konvertierten kursächsischen Dynastie oder im Stift wie im Fall des preußischen Königshauses. Diese Beispiele unterstreichen den Charakter der Wahlkapitulation als Korrektiv sowie die Rolle des Kapitels als Garanten der Rechte, Privilegien und Freiheiten des Stifts. Zwar verfügten die Äbtissinnen teilweise über exklusive Rechte bei der Aufnahme neuer Stiftsdamen und der Besetzung der weiteren Stiftsämter, sie konnten jedoch Kapitulation und Kapitel nicht einfach übergehen, wenn sowohl das Vorhaben rechtmäßig sein als auch die Ordnung und Ruhe im Stift gewahrt bleiben sollte.

Politische Loyalität Neben einer vorteilhaften Besetzungspolitik setzten Förderer aus der Verwandtschaft als Gegenleistung für die Unterstützung im Wahlverfahren und darüber hinaus ihre Hoffnungen nicht zuletzt auf die politische Loyalität der Äbtissin. Inwiefern diese Hoffnungen erfüllt wurden, hing jedoch vom Verhältnis der jeweiligen Äbtissin zu den Mitgliedern ihrer Verwandtschaft, ihrem Selbstverständnis als Fürstin und Äbtissin sowie den konkreten Umständen vor Ort und auf der Ebene des Reiches ab. Es lässt sich daher ein breites Spektrum von Verhaltensstrategien feststellen, das von pflichtschuldiger Unterordnung über die Verfolgung gemeinsamer Interessen bis hin zu offenem Widerstand reichte. Das Verhalten Johanna Charlottes von Brandenburg rangiert in diesem Kontext an dem einen Ende des Spektrums. Mit ihrer Unterschrift unter einen von preußischen Regierungsvertretern ausgefertigten Revers beendete sie faktisch die Unabhängigkeit des Herforder Stifts.37 Mit dem Revers verzichtete sie auf ihr Jus territorialis et episcopalis über die Münster-Kirche, das Kapitel Sankt Johann und Dionysius in der Neustadt, das Stift auf dem Berge und das Fraterhaus. Sie trat das Recht auf Einzug der Reichssteuern und der eigenständigen Votumsführung auf Kreis- und Reichstagen an den preußischen König ab. Bei künftigen Konflikten nach außen wie innen, die ____________ 36 37

Vgl. ebd. Diesen Schritt hat von Fürstenberg fälschlicherweise erst ihrer Nachfolgerin Friederike Charlotte Leopoldine Luise in Preußen zugeschrieben. Vgl. FÜRSTENBERG, „Ordinaria loci“, S. 120f.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

nicht gütlich beigelegt werden könnten, versicherte sie ausdrücklich, sich ihro Königlichen Majestät rechtlicher Determination nicht moderation [zu] versehen und gefallen zu laßen. Damit akzeptierte Johanna Charlotte den preußischen König als übergeordneten Richter, statt ihn weiterhin als gleichgestellten Mediator in Streitfragen hinzuziehen. Des Weiteren gestattete sie die Abführung der Akzise unter Wahrung der geistlichen Exemtion sowie die Visitation ihrer Mühle auf der Stiftsfreiheit durch preußische Beamte. Gleichzeitig räumte sie dem König auf der Freiheit die Strafgerichtsbarkeit sowie die Inspektion der Maße und Gewichte ein und stimmte zu, dass die dort wohnenden Menschen, die einer stadtbürgerlichen Beschäftigung nachgingen oder Güter in der Stadt Herford besaßen, dem König die Huldigung leisteten.38 Allein die Reichsstandschaft des Stifts und somit der Status der Äbtissin als Reichsfürstin blieb – wenn auch nur als symbolisches Überbleibsel – im Prinzip unberührt. Für den Erhalt aller anderen Rechte, die faktisch den Kern der Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft ausmachten, hatten ihre Vorgängerinnen – vor allem Charlotte Sophie von Kurland – jahrzehntelang vehement gestritten, während die Markgräfin mit Vollzug des Revers die Quasi-Mediatisierung des Stifts Herford maßgeblich vorantrieb und ihrem Neffen Friedrich Wilhelm I. in Preußen nachhaltig umfangreiche Hoheitsrechte im Stift sicherte. Denn mit der Ausstellung des Revers schuf Johanna Charlotte einen Präzedenzfall, auf den sich die nachfolgenden preußischen Könige nicht nur berufen konnten, sondern der darüber hinaus die Nachfolge einer preußischen Prinzessin an der Spitze des Stifts entbehrlich machte.39 Friedrich II. war aufgrund der Einführung dieses Revers 1745 nicht mehr darauf angewiesen, eine preußische Prinzessin an die Spitze des Herforder Stifts zu befördern, um dessen politische Richtung zu beeinflussen, sondern konnte diese nun vielmehr selbst bestimmen. Johanna Charlotte von Brandenburg übernahm jedoch nicht ganz widerstandslos die Rolle der pflichtschuldigen Dynastin. Sie verweigerte zwölf ____________ 38

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Original-Revers der Markgräfin Johanna Charlotte mit Unterschrift und Siegel (2. Febr. 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3149; zwei Ausfertigungen des Revers, eine mit Korrekturen (2. Febr. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 214. Bereits bei ihrer Nachfolgerin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf konnten Friedrich II. und seine Räte auf diesen Präzedenzfall als Argumentationsfolie zurückgreifen. Vgl. hierzu den Bericht des Quedlinburgischen Stiftshauptmannes von Schellersheim über die Unterredung mit der Prinzessin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf hinsichtlich des Revers (6. August 1745): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3159.

3.3. Wiedergeben

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Jahre lang den Vollzug des Revers. Sie erhob mit Verweis auf ihre mangelhafte Kenntnis der Stiftsrechte Zweifel an der Vereinbarkeit des Revers mit den alten und neuen Verträgen des Stifts sowie der Wahlkapitulation.40 Es bedurfte schließlich der nachdrücklichen Überzeugungsversuche des Königs, bis Johanna Charlotte im Frühjahr 1729 den Revers unterschrieb.41 Die Bemühungen Friedrich Wilhelms reichten von der Versicherung, daß Ich, durch solches Revers, nichts intendire, vielweniger suche noch verlange, so dero und des Stiffts Juribus und Befugnüßen [sind], welche Ich vielmehr im gegentheil auf alle Weise zu mainteniren und zu behaubten, mich schuldig erkenne,42 bis hin zu dem Appell, eben so willfährig [zu] seyn […] als Meine bey dieser gantzen abteylichen Wahl-Sache, von so vielen Jahren hehr, zu Eurer Lbd. interesse angewandte Sorgfalt und Bemühungen sicher und aufrichtig [gewesen sei].43 Johanna Charlotte zog es schließlich vor, die direkte Konfrontation mit ihrem Neffen zu vermeiden und stattdessen unter seiner Protektion und mit seiner Hilfe ein standesgemäßes Leben in Herford und Berlin zu führen. Sie schuf sich in Herford eine kleine barocke Residenz und trat dort wie eine Fürstin und Herrschaftsträgerin auf. Als sie den Revers unterzeichnete, tat sie dies ohne viel ander dinge mehr, als die Regierung auch Kriegs- und Domainen-Cammer zu Minden, ingleichen der Hervordische Magistrat, an handt gegeben und verlanget,44 zuzugeben. Damit sicherte sie sich einen auf den lokalen Raum beschränkten, eigenen politischen Aktionsradius, der ihr in diesem Umfang als hochadelige Witwe verwehrt geblieben wäre.45 Ging es jedoch um politische oder innerstiftische Entscheidungen ____________ 40

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Minister Dönhoff, Ilgen und Prinz an Clamor von dem Bussche und Arnold Henrich von Meinders (10. April 1717): Berlin GStA I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135; auch Berlin GStA I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3150. Original-Revers der Markgräfin Johanna Charlotte mit Unterschrift und Siegel (2. Febr. 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3149. Friedrich Wilhelm I. an Johanna Charlotte von Brandenburg (2. April 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3150. Friedrich Wilhelm I. an Johanna Charlotte von Brandenburg (9. April 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3150. Kabinettsminister an das Generaldirektorium zu Berlin (28. Mai 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3150. Auch der Herforder Stadtmagistrat hatte versucht, aus der Ausfertigung des Revers Vorteile für sich ziehen zu können. Vgl. Gutachten über den Revers (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 214. Zwar hatte Johanna Charlotte das Gut Biesenbroch als Wittum vermacht bekommen. Hier ließ sich aber keine eigene – wenn auch kontrollierte – Herrschaft etablieren. Vgl. Protokoll der Inventarisierung (22. Juni 1713): Berlin GStA BPH Rep. 36 (Brandenburg-

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von weitreichender Bedeutung, folgte sie den Vorgaben ihres Neffen. In diesem Sinne stimmte sie im Sommer 1729 der Akzise und der Visitation ihrer Mühle zu,46 ließ sich 1734/35 die Summe der preußischen Vertretungsgelder im Krieg gegen Frankreich diktieren47 und beförderte die Wahlen preußischer Kandidatinnen zur Coadjutorin. Für das Stift bedeutete ihre Regierung den faktischen Verlust der Unabhängigkeit.

Verwandtschaftlich-ständische Interessengemeinschaft Eine vermittelnde Position zwischen Verwandtschafts- und Amtsinteressen nahmen die Essener Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt und die Herforder Äbtissin Elisabeth von der Pfalz ein. Sie vertraten einerseits Interessen, die sowohl ihrem verwandtschaftlichen Beziehungsnetz als auch ihnen als Äbtissin von Nutzen waren, andererseits scheuten sie nicht davor zurück, ihre Herrschaftsrechte gegen verwandtschaftliche Einflussnahme zu verteidigen. Für Anna Salome sprachen sich im Vorfeld der Essener Äbtissinnenwahl von 1646 verschiedene Personen nachdrücklich aus. Hierzu gehörte neben ihren Verwandten aus den gräflichen Häusern Salm-Reiferscheidt und Hessen auch der Kurfürst von Köln, in dessen Diensten die Grafen von SalmReifferscheidt wiederholt gestanden hatten.48 Die Befürworter ihrer Wahl bildeten den Kern ihres Beziehungsnetzes als Äbtissin, zu welchem darüber hinaus die anderen geistlichen Kurfürsten sowie geistlichen Fürsten der Umgebung und zahlreiche weitere Reichsgrafen zählten.49 Während ihrer Amtszeit verfolgte sie nicht nur eine strenge katholische Konfessionspolitik ____________ 46

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Schwedt) Nr. 30. Vgl. zu Witwenherrschaften LÖWENSTEIN, Hofhaltungen fürstlicher Frauen und Witwen. Kabinettschreiben an die Kriegs- und Domänenkammer Minden über die Ergebnisse der Konferenz im Streit um Akzise und Visitation der Mühle (22. Sept. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127. Johanna Charlotte an Friedrich Wilhelm I. (24. März 1735): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1084. Vgl. die Empfehlungsschreiben zur Wahl 1646 des Kurfürsten von Köln, Ferdinand von Bayern (27. April 1646), der Landgräfin Amelie Elisabeth von Hessen-Kassel (1. Mai 1646), des Grafen Ernst Salentin von Salm-Reifferscheidt (Bruder) (5. Mai 1646) und des Grafen Eric Adolf von Salm-Reifferscheidt-Bedburg (Bruder) (14. Mai 1646): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 37. Vgl. die Liste der verfassten Neujahrswünsche des Jahres 1673: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 35. Unter den Adressaten finden sich die Grafen von Rietberg, Salm, Trautmanndorff, Altheimb, Schwarzenburg, Königesegg, ManderscheidBlankenheim, Broich und Manderscheid-Keil sowie die Fürsten von Liechtenstein.

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gegenüber der lutherischen Stadt, bei welcher sie wiederholt die Unterstützung der geistlichen Kur- und Fürsten suchte, sondern darüber hinaus eine reichsgräfliche Personalpolitik im Stift, „die an der Bewahrung ständischer Werte orientiert war“.50 Sie griff Bemühungen ihres Vaters Ernst Friedrich von Salm-Reifferscheidt wieder auf, der sich gemeinsamen mit weiteren Grafen der Rheinregion Ende der 1620er Jahre darum gesorgt hatte, den verlorenen Einfluss der regionalen reichsgräflichen Familien im Essener Kapitel wiederherzustellen.51 Als Anna Salome 1646 an die Spitze des Essener Stifts gelangte, beförderte sie ebenfalls nicht nur die Aufnahme von Frauen ihres verwandtschaftlichen Beziehungsnetzes, sondern verschärfte gleichzeitig die ständischen Aufnahmebedingungen. Nunmehr sollten nur solche Frauen eine Präbende erhalten, deren reichsgräfliche Abstammung eindeutig nachgewiesen war. Dies kam sowohl ihrer Herkunftsdynastie als auch dem gesamten regionalen Reichsgrafenstand zugute. Darüber hinaus bedachte Anna Salome ihre Verwandten großzügig in ihrem Testament.52 Des Weiteren involvierte sie Verwandte und Standesgenossen in stiftische Angelegenheiten, indem sie ihnen die Schlichtung innerstiftischer Streitigkeiten überantwortete,53 ihnen Verwaltungsaufgaben übertrug wie dem Grafen Salentin Ernst von Manderscheid-Blankenheim-Falkenstein, der die Aufsicht über das in der Nähe seiner Besitzungen liegende Ländchen Breisich ____________ 50 51

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KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 142. Unter der Tirolerin Maria Clara von Spaur (1614-1644) hatte die ständische Qualität der Kandidatinnen bei Aufnahme ins Stift als notwendige Qualifikation zu Gunsten des katholischen Bekenntnisses an Bedeutung verloren. Während ihrer Regierung wurden weitere Frauen aus Tirol aufgenommen, deren Familien die vormals nötige ständische Qualität – den Nachweis von 16 reichsgräflichen Ahnen – nicht erfüllten. Töchter aus den alteingesessenen reichsgräflichen Familien der Region wurden hingegen abgewiesen bzw. ihre Präbendierung hinausgezögert. Hierzu zählten auch Anna Salome und ihre Schwestern. In dieser Situation formierte sich der Protest der Grafen von SalmReifferscheidt und Manderscheid-Blankenheim, der schließlich dazu führte, dass im Dezember 1633 sowohl Anna Salome als auch ihre Schwester eine Präbende erhielten. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 134-136, ebenso die Prosopographie, S. 319-325. Testament Anna Salomes (3. Okt. 1688) sowie verschiedene Kodizes (4.-11. Okt. 1688): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 61, fol. 2r-20r, 10v-17v. Vgl. KÜPPERSBRAUN, Frauentestamente: S. 37-43. So im Streit um die exklusive Vergabe von Präbenden im Stift Thorn an Mitglieder des Hauses Manderscheid-Blankenheim, worüber sich Anna Salome und ihre Herkunftsfamilie beschwerten. Ein Ausgleich wurde schließlich durch den Erzbischof von Straßburg Graf Wilhelm Egon von Fürstenberg gefunden. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 143f.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

übernahm,54 oder sie als Vermittler in Konflikten engagierte wie ihren Bruder Ernst Salentin im Streit mit der Stadt Essen und dem brandenburgischen Kur-fürsten.55 Nichtsdestoweniger scheute Anna Salome nicht davor zurück, ihre obrigkeitlichen Rechte sowie die Ordnung und Subsistenz des Stifts zu verteidigen, indem sie sich gegen die Einquartierung dreier Salmscher Reiterregimenter in den Stiftsdörfern sowie die auf Stiftsuntertanen verübten Übergriffe nach Ende des 30-jähringen Krieges beschwerte.56

Unter Freunden Ähnlich wie Anna Salome agierte auch Elisabeth von der Pfalz als Äbtissin des Herforder Stifts zwischen den Interessen ihres Vetters Friedrich Wilhelm, dem brandenburgischen Kurfürsten, und ihren Interessen als Äbtissin und Fürstin.57 Die Pfalzgräfin war 1661 mit Hilfe des Kurfürsten gegen den Widerstand einiger Kapitularinnen zunächst zur Coadjutorin gewählt worden und gelangte 1667 an die Spitze des Stifts.58 Friedrich Wilhelm ging es ____________ 54

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Bericht über die Bestellung des neuen stellvertretenden Amtmannes zu Breisig (24. Febr. 1670): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 681, fol. 58r-59r. Anna Salome an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit der Bitte, ihren Bruder anzuhören (27. April 1666): Depot Rheinische Adelsarchive Ehreshoven Archiv Schloss Dyck Akten Blaue Bände Nr. 232, Bd. 388, S. 19. Beschwerde Anna Salomes gegenüber dem Salmischen Oberist-Lieutnant Kykell (28. Jan. 1649) sowie gegenüber ihrem Bruder Ernst Salentin von Salm-Reifferscheidt (6. Febr. 1649): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 676, fol. 85r, 89v-90r. Vgl. Missivprotokolle der Äbtissin (1649): Düsseldorf LAV NRW R Stifts Essen Akten Nr. 676, fol. 85r-130v. Zu Elisabeth von der Pfalz vgl. BEI DER WIEDEN (Hg.), Elisabeth von der Pfalz; SHAPIRO (Hg.), The correspondence between Princess Elisabeth of Bohemia and René Descartes; NYE, The Princess and the Philosopher; BEI DER WIEDEN, Ein Schloß auf dem Mond; WÖHRMANN, Elisabeth von der Pfalz; GUHRAUER, Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein. Sowohl Gräfin Amalie von Nassau-Saarbrücken (17. Nov. 1660) als auch Landgräfin Elisabeth von Hessen-Kassel (21. März 1661) sprachen sich gegen die Wahl einer Coadjutorin aus: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 239. Elisabeth von Hessen versuchte auch, die Dekanissin Walburga Magdalena zu Wiedt und ein Fräulein zu Lippe für ihren Protest zu gewinnen (23. April 1661): Marburg HStA 4f Stift Herford Nr. 16. Friedrich Wilhelm schaltete sich selbst in die Wahlverhandlungen ein. Kurfürst Friedrich Wilhelm an Elisabeth Luise von Pfalz-Zweibrücken (10. Febr. 1660), an den Herzog August Philipp von Holstein-Sonderburg-Beck (14. Nov. 1660) und den Grafen Hermann Adolf zu Lippe (11./21. Dez. 1660) wegen der Stimmen seiner Töchter und an die Gräfin von Wiedt (11./21. Dez. 1660): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3075. Der Generalmajor Wolf Ernst von Eller, Gouver-

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zum einen um die standesgemäße Versorgung seiner Cousine. Zum anderen dürfte er ein großes Interesse daran gehabt haben, dass die vielfältigen Streitigkeiten zwischen dem Stift und seinen Vertretern vor Ort durch eine loyale Parteigängerin an der Spitze des Stifts beendet würden. Die Pfalzgräfin und den Kurfürsten verband eine enge Freundschaft, die auf die Zeit Elisabeths am Berliner Hof zurückging. Dorthin war sie gemeinsam mit ihrer Großmutter, der Kurfürstin Luise Juliane von der Pfalz,59 nach dem Sturz ihres Vaters, des Winterkönigs Friedrich V. von der Pfalz, geflohen. Nach der Rückkehr an den Hof ihrer Mutter im niederländischen Exil und dem Zerwürfnis mit Elisabeth Stuart folgten unstete Jahre der Odyssee von einem verwandten Fürstenhof zum nächsten.60 Eine standesgemäße Eheschließung blieb für die älteste Tochter des gestürzten Böhmenkönigs aussichtslos.61 1661 verhalf ihr Friedrich Wilhelm nicht nur zur Aufnahme ins Herforder Stift, wo sie selbst zuvor ohne Erfolg um Aufnahme nachgesucht hatte,62 sondern sorgte auch für ihren standesgemäßen Unterhalt. Da ihr als Coadjutorin keine Einkünfte außer einer einfachen Präbende zustanden und die damalige Äbtissin kein Interesse an einer Konkurrentin im Stift hatte, ließ er ____________

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neur zu Minden sowie der brandenburgische Rat Dr. Thomas Schlipstein wurden vor Ort mit der Beförderung des Wahlgeschäftes betraut. Kabinettsorder (11. Sept. 1660): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3075; auch in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1120. 1616 hatte deren Tochter Elisabeth Charlotte Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg geheiratet. Vgl. BEI DER WIEDEN, Ein Schloß auf dem Mond, S. 22f. BEI DER WIEDEN, Elisabeth in ihrer Zeit, S. 46; DERS., Ein Schloß auf dem Mond, S. 19f. Vgl. Elisabeth von der Pfalz an Elisabeth Luise von Pfalz-Zweibrücken (28. Aug./7. Sept. 1658 u. 16./26. Okt. 1658): Originale im Königlich bayerischen Hausarchiv München, hier zitiert nach HAUCK, Die Briefe der Kinder des Winterkönigs, S. 141f., 143f. Wie schon ihre Schwester Luise Hollandine in den 1650er Jahren stieß Elisabeth bei ihren Bemühungen auf den Widerstand der Äbtissin, Elisabeth Luise von PfalzZweibrücken, einer nahen Verwandten aus der Nebenlinie des Hauses Pfalz-Simmern. Elisabeth von der Pfalz an Elisabeth Luise von Pfalz-Zweibrücken (31. März 1654): hier zitiert nach HAUCK, Die Briefe der Kinder des Winterkönigs, S. 95-97. Diese wollte wahrscheinlich keine höhergestellte Dame neben sich im Stift dulden. Tatsächlich sind beide vormals vertrauten Frauen nach der Wahl Elisabeths zur Coadjutorin gelegentlich aneinandergeraten. Schon kurz nach ihrer Wahl kam es zum Streit, weil Elisabeth die Aufnahme in das Kirchengebet forderte, in welchem die Prediger der Herforder Kirchen für das Wohl der Äbtissin beteten. Unterstützung fand sie beim brandenburgischen Kurfürsten, der die Änderung des Kirchengebets nach Widerstand der Äbtissin von PfalzZweibrücken durch sein Konsistorium vor Ort an die ravensbergischen Prediger befehlen ließ (3. Okt. 1662): Marburg HStA 4f Stift Herford Nr. 17. Vgl. BEI DER WIEDEN, Ein Schloß auf dem Mond, S. 24; DERS., Elisabeth in ihrer Zeit, S. 50.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

ihr den Wippermannschen Hof auf der Freiheit in Stand setzen, stockte ihre Statutengelder als Kanonissin aus Ravensbergischen Einkünften auf und versorgte sie mit Wildbret.63 Das Testament der Pfalzgräfin zeugt davon, dass Elisabeth ihrem Vetter Zeit ihres Lebens für dessen Unterstützung dankbar war, weswegen sie ihn zum Universalerben einsetzte und damit ihren Bruder Karl I. Ludwig, den mittlerweile restituierten Pfalzgrafen bei Rhein, überging: dan gleichwie wir nechst Gott, hochgedachter Seiner Liebenden allein zu danken haben all unsere zeitliche wohlfahrt, so kann unß niemand verdenken, daß wier unsere schuldige danckbarkeit Seiner Liebenden in diesem Actu erzeigen und dieselben unseren näheren verwandten vorziehen.64

Das enge Verhältnis zwischen der Äbtissin und dem Kurfürsten schlug sich darüber hinaus zum einen in den Formen ihres persönlichen Umgangs miteinander nieder, die von eigenhändiger Korrespondenz bis hin zu Besuchen in Berlin und Geschenken reichten, wie ein Handschreiben des Kurfürsten belegt: Ewer Liebenden Handbriefchen vom 19. juli habe ich wohl erhalthen. und wird Mir dieselbe nicht verübeln, daß ich andere Verhinderungen halber vor dießmahl eigenhändig nicht anworthen können. Hoffe balde das glück zu haben Ewer Liebenden persönlich zu sprechen. der Spiegel stehet alhier fertigk und bereith, und warthet nuhr auff gelegenheit, daß Er können überbracht werden: dazu sich den bald einige praesentiren mögte.65

Zum anderen spiegelte sich ihre freundschaftliche Beziehung auf herrschaftlicher Ebene wider: Gab es Probleme mit der Stadt Herford, wandte sich Elisabeth an den Vetter als Vermittler;66 brachte er ein Anliegen vor, wie die Einführung des Gregorianischen Kalenders im Stift, um Missverständnisse mit der umliegenden Stadt zu verhindern, entsprach sie seinen Wünschen und ordnete eine solche Kalenderreform auch für das Stiftsterritorium an.67 ____________ 63

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Siehe Kabinettsorder an den brandenburgischen Rat Thomas Schlipstein (10. Juni 1661): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 344; auch in Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3075. Vgl. BEI DER WIEDEN, Elisabeth in ihrer Zeit, S. 49f. Testament Elisabeths von der Pfalz (8./18. Sept. 1671): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3091. Friedrich Wilhelm von Brandenburg an Elisabeth von der Pfalz (15./25. Juli 1674): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 2081. S. u. Kap. Asyl in Herford. Elisabeth von der Pfalz an Friedrich Wilhelm von Brandenburg (7. März 1667): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 112; Mandat der Äbtissin zur Umstellung

3.3. Wiedergeben

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Die enge Beziehung und dankbare Zuneigung Elisabeths zu Friedrich Wilhelm führte aber nicht zu einer grundlegenden Hintanstellung ihrer Rechte als Äbtissin und Reichsfürstin. Als solche beanspruchte sie die jura territorialia et episcopalia im Stift und über die Geistlichkeit. Dazu zählte das jus collectandi – die Steuerhoheit – gegenüber den wenigen Stiftsuntertanen und Geistlichen. Daher beschwerte sie sich 1677 beim Kurfürsten gegen die Besteuerung ihrer auf dem Gebiet der Stadt lebenden Kapitulare. Sie argumentierte, dass Sie und ihre Geistligen alß Ein besonder Stand des Reichs darin nicht willigen konten, wolten auch nicht hoffen, daß Seine Churfürstliche Durchlaucht Sie damit belegen wurden.68 Als ihr die kurbrandenburgischen Minister im Anschluss jegliches jus territory absprachen und ihr lediglich als Ordinaria die gebührliche straffe der Geistlichen reservierten,69 sah sich Elisabeth von der Pfalz gezwungen, in einer eigens verfassten Denkschrift ihre Superiorität über das Stift sowie die damit verbundene Jurisdiktion und das Jus collectandi zu verteidigen.70 Die Reichsstandschaft umfasste zudem das Recht auf Vertragsund Bündnisfreiheit. Auf dieser Grundlage ging die Pfalzgräfin Anfang der 1670er Jahre ohne Wissen des brandenburgischen Kurfürsten einen Vergleich mit der Stadt Herford ein, um das konfliktreiche Verhältnis von Stift und Stadt zu befrieden.71 Friedrich Wilhelm verweigerte als Schutzherr des Stifts sowie Landesherr der Stadt seine nachträglich eingeholte Approbation.72 Sein Missfallen kann sich dabei kaum auf den Inhalt des Vertrages ____________

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des Kalenders (19./9. Febr. 1668): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 112. In einem Schreiben an Gräfin Sophia von Schaumburg-Lippe (24./24 Jan. [1668]) berichtete Elisabeth von ihrer Zustimmung zur Kalenderreform und den Gründen, welche sie dazu bewegten: Sonsten ist hier nichts newes, als als dass wier den newen Callender hier annehmen. Der Churfürst hatt es an mihr begeret, also lasse Ich solches auch in meine Kirchen publiciren. Meine luttrische prister komen ungern dran. Es macht unß doch nicht mehr catholisch als vorhin und gibt eine Conformitat in Seiner Liebenden Landen. Original im Niedersächsischen Staatsarchiv Bückeburg: F1 A XXXV 1 a 8 (3), hier zitiert nach BEI DER WIEDEN, Briefe der Äbtissin Elisabeth von der Pfalz an Gräfin Sophia zu Schaumburg-Lippe, S. 160. S. u. Kap. Ordnungen, Gesetze und Befehle. Designation Einiger Posten wegen Ansetzung der Kopfstewr in der Grafschaft Ravensbergh (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 112, fol. 6v. Antwortschreiben der kurbrandenburgischen Räte an Elisabeth von der Pfalz (14. April 1677): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 112, fol. 8v-12r. Elisabeth von der Pfalz an die kurbrandenburgischen Räte zu Berlin (6. Mai 1677): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 112, fol. 13v-18v. Rezess zwischen der Äbtissin Elisabeth und der Stadt Herford betrf. Ausgleich der Irrungen (30. März 1673): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Urkunden Nr. 1666. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg an Elisabeth von der Pfalz (3. Juni 1673): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1585.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

bezogen haben, da wesentliche Bestimmungen zehn Jahre später in einem vom Kurfürsten bestätigten Vergleich Eingang fanden.73 Es war wohl das Verfahren, welches Anstoß erregte – nämlich der Vertragsabschluss zweier unabhängig auftretender Parteien.74 Zumindest von seiner Landstadt Herford konnte er dieses Verhalten keinesfalls dulden. Ob Friedrich Wilhelm auch Elisabeth von der Pfalz als Äbtissin und Reichsstand das Recht auf Vertrags- und Bündnisfreiheit absprechen wollte, kann nur vermutet werden. In einem Schreiben des Kurfürsten an die Äbtissin ließ er seiner Enttäuschung über ihr Verhalten freien Lauf: Wan Wir unß dan darauß fortragen laßen, wie Ewer Libden sich der Zeit conjuncturen bedienen,[75] und dahero gelegenheit nehmen wollen, Unsern unterthanen einen solchen Vergleich auffzudringen, daßen Sie nicht berechtiget gewesen, […] den sie auch nimmer würden eingegangen haben, wan nicht auff bemeldte ungewöhnliche ahrt mit Ihnen Verfahren worden wäre; […] Wir laßen im ürbigen vorjetzo dahin gestellet sein, was Ewer libden vor uhrsach und füge dergeleichen fürzunehmen haben können.76

Bei der Verteidigung ihrer Herrschaftsrechte gegenüber dem brandenburgischen Kurfürsten griff Elisabeth nicht zuletzt auf dynastische Argumente ____________ 73

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Rezess zwischen Stift und Stadt (7. Jan. 1681): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Urkunden Nr. 1676. Ein halbes Jahr später erfolgte die Approbation durch den brandenburgischen Kurfürsten (3. Aug. 1681): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Urkunden Nr. 1678. RÜGGE, Elisabeth und die Stadt Herford, S. 133. Gemeint ist das Protokoll der Verhandlungen zwischen der Stadt, vertreten durch die Bürgermeister Vogel und Hollmann sowie den Sekretär Müller, und dem Stift, vertreten durch die Räte der Äbtissin von Post, von Wyling und von Wahden vom 4. März 1673. Die städtischen Abgeordneten wandten sich angesichts der unsicheren Kriegszeiten und dem Anrücken der Franzosen an die Äbtissin um Schutz: weiln itzo die gefahr des krieges, und die francosen sich näherten, Ihr hochfürstl. Durchl. aber sich für diesem vernehmen laßen, zu verfügen, damit die Stadt nicht gantz ruiniret, sondern in etwas geschützet werden mögte. Von Seiten der Stadt setzte man auf die verwandtschaftlichen Verbindungen der Äbtissin zum französischen Königshaus. Ihre Nichte Elisabeth Charlotte, besser bekannt als Liselotte von der Pfalz, hatte zwei Jahre zuvor den Bruder Ludwigs XIV. geheiratet. Die Pfalzgräfin erklärte sich jedoch nicht sofort bereit, für den Schutz der Stadt Sorge zu tragen, sondern nutzte die bedrängte Lage der Stadt aus. Ihre Räte verkündeten, daß Hochgedachte Ihr hochfürstliche Durchlaucht gantz geneigt und bereit wehren, der stadt sicherheit und bestes zu befordern, all die weilen aber, zwischen Stifft und Stadt, noch einige streitige puncta obhanden, so möchten Ihr hochfürstliche Durchlaucht gerne sehen, daß solche zu forderst gütlich componiret werden mögten: S. ein im Protokollbuch der zwischen Stift und Stadt betriebenen Verhandlungen aus den 1676-1687 lose eingelegtes Blatt: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1043. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg an Elisabeth von der Pfalz (3. Juni 1673): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1585.

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zurück. In der Konkurrenz um das jus confirmandi eines neuen Dekans im Kapitel der Kirche St. Johann und Dionysius auf der Neustadt erklärte sie: was Ewer Liebden einem Stiffts abnehmen, daß nehmen Sie Sich selbsten undt Ihrem Nachkommen ab, Ewer Liebden haben Mich zu diesem Stifft helffen, dieselbige mittell bleiben Ewer Liebden inskünfftig, Ewer Liebden Gemahlin wirt […] noch Princessinnen bekommen, dero Princen auch. Großer Herren Kinder werden selten alle verheurahtet, weil nit viel Ihres Gleichen zu finden, als dan ist solche Abtey eine honorable retraite, für eine Fürstin von hohen Hauße so lange der Charakter vom Reichsstande darbey ist, von welchem das Bischoffliche Recht über Seine Untergebene unzertränlich ist.77

Die Pfalzgräfin hatte demnach die Bedeutung der Reichsstandschaft als notwendige Bedingung für den Rang der Reichsäbtissin erkannt. Nur versehen mit dem Rang einer Fürstin konnte die Stelle der Äbtissin als standesgemäße Position für eine Tochter aus reichsfürstlichem Hause angemessen sein. Die dennoch häufige Rücksichtnahme der Äbtissin auf die Interessen Friedrich Wilhelms wurde durch das verwandtschaftliche Verhältnis begünstigt, aber mehr noch durch die persönliche Nähe zwischen Elisabeth und ihrem Vetter, die sich ebenso im oft nachsichtigen Verhalten des Kurfürsten zeigte. Die Nachsicht Friedrich Wilhelms stieß jedoch an Grenzen, wenn es um die Aufrechterhaltung seiner eigenen Rechte ging. Aus Sicht des brandenburgischen Kurfürsten diente die Verwandtschaft auf machtpolitischer Ebene zur Konsolidierung und zum Ausbau der eigenen Ansprüche im Dienste der Dynastie. Konkurrierte man aber auf dieser Ebene um die gleichen Ressourcen, entschied das Machtverhältnis, welches zu Ungunsten der Äbtissin ausfiel. So blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als weiterhin die Nähe und das Wohlwollen des mächtigen Vetters zu suchen und dieses nach Möglichkeit für sich auszunutzen.

Enttäuschte Erwartungen Am Beispiel der Pfalzgräfin musste sich ihre spätere Nachfolgerin Charlotte Sophie von Kurland messen lassen.78 Friedrich Wilhelm und später sein ____________ 77

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Elisabeth von der Pfalz an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 337. In der sich zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen Charlotte Sophie und ihrem Vetter Kurfürst Friedrich I./III. seit 1698 verwiesen dessen Regierungsvertreter wiederholt auf das Exempel der Pfalzgräfin. Dabei wurde der reichsständische Status Elisabeths dahingehend umgedeutet, als habe ihr der Große Kurfürst die persönliche Reichsstandschaft lediglich auf der Grundlage ihres polititschen Einvernehmens zugestanden. Vgl.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Sohn Friedrich I./III. knüpften an ihre Wahl ähnliche Erwartungen. Charlotte Sophie sollte sich ebenfalls als vertrauensvolle Parteigängerin des kurbrandenburgischen Schutzherrn erweisen.79 Sie nutzte jedoch ihre Stellung als Äbtissin und Fürstin weit stärker, um sich sowohl von ihrer Herkunftsfamilie als auch von ihrer Verwandtschaft zu emanzipieren, und geriet zunehmend in einen politischen Gegensatz zu ihrem kurbrandenburgischen Vetter. Dabei fußte die Beziehung zwischen Friedrich I./III. und Charlotte Sophie von Kurland auf ganz ähnlichen Voraussetzungen wie das Verhältnis von Elisabeth von der Pfalz und Kurfürst Friedrich Wilhelm. Sie standen in dem gleichen Verwandtschaftsverhältnis, waren fast im gleichen Alter und hatten mehrere Jahre gemeinsam am Berliner Hof verbracht.80 Zunächst schien sich das gute Verhältnis, das zwischen Charlotte Sophie und ihrem Onkel Friedrich Wilhelm von Brandenburg geherrscht hatte,81 auch auf ____________

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u.a. kritische Auseinandersetzung der preußischen Minister Ilgen und Huss (10. Juni 1704) mit den Gravamina der Äbtissin, formuliert im Umfeld der Mediationsverhandlungen von Bückeburg 1704: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Vgl. Recommendationsschreiben Friedrich Wilhelms von Brandenburg an die Kapitularinnen, indem er ihnen die Wahl einer Person anempfiehlt, zu der Wir ein gutes vertrawen tragen, und welche sich folglich Unserer affection, assistentz und protection umb so viel mehr versichert halten könne – wie Charlotte Sophie − (8./18. April 1688): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 1211. Die Vertreter eines horizontalen Generationenbegriffs haben vor allem für die Moderne der Zugehörigkeit zu ähnlichen Geburtsjahrgängen, dem Aufwachsen in „einem gemeinsamen historisch-sozialen Bezugsrahmen“ und der „Partizipation an gemeinsamen Schicksalen“ eine identitäts- und gemeinschaftsstiftende Wirkung unterstellt, die mitunter zu ähnlichen Reaktionen auf Ereignisse und Situationen führe. Die Anwendung eines solchen horizontalen Generationenverständnisses auf die Verhältnisse der Vormoderne soll an dieser Stelle keinesfalls negiert werden. Vielfach dominanter ausgeprägt fand sich in der Frühen Neuzeit jedoch ein vertikal-genealogisches Generationenverständnis, dass nicht nur im Bezugsrahmen von Familie, Dynastie und Verwandtschaft, sondern auch von Institutionen wirksam war. Dementsprechend reihte sich Charlotte Sophie von Kurland bei der Verteidigung ihrer Herrschaftsrechte in die Abfolge der gewesenen und künftigen Äbtissinnen ein, indem sie zum einen auf ihre Vorgängerinnen und die von ihnen beanspruchten Rechte verwies, zum anderen ihren Streit um die Herrschaft als Dienst und Pflichterfüllung gegenüber ihren Nachfolgerinnen erklärte. Summarische Erzehlung der vielen unleidentlichen attentaten, welche durante mediatione wieder Unß und Unser Stift außgeübet worden (12. März 1705): Münster LAV NRW Fürstabtei Herford Akten Nr. 118; Charlottes Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen (14. Nov. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Zum Generationenbegriff vgl. MANNHEIM, Das Problem der Generationen; JUREIT, Generationenforschung; NAGENGAST, SCHUH, Natur vs. Kultur?, S. 21. S. o.

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dessen Sohn zu übertragen. Zumindest reproduzierten beide in ihren persönlichen Briefwechseln die Vorstellung verwandtschaftlicher Nähe. Charlotte Sophie beklagte beispielsweise im Herbst 1696, dass sie Friedrich während seiner Reise durch Ravensberg nicht persönlich getroffen habe: es were aber Meine freude verdoppelt geworden wan Euer Gnaden Selbst alß mir die aller werteste Person in dieser welt hette bey Mier sehen und bedienen mogen da ich dan mündlich hertzliche contestations meiner gäntzlichen ergebenheit gegen Euer Gnaden hette thun können. Sie hoffe aber, dass sie solches glück und Gnade bey anderwerter begebenheit haben werde.82 Friedrich I./III. versicherte ihr Anfang der 1690er Jahre, daß deroselben als Meiner nahen Blutsverwandten Fürstlicher respect Mir so lieb ist, daß Ich wieder denselben in Meinem Lande nie etwas geschehen oder so ja dergleichen vorgangen, solches gewiß nach verdienst ahnden undt abstraffen laßen werden.83 Im Sommer 1699 beteuerte er seine affection[,] so ich jederzeit von Jugend auff deroselben zugetragen habe.84 Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen Vetter und Base bereits nachhaltig gestört. Ähnlich wie ihre Vorgängerin beteiligte sich Charlotte Sophie von Beginn an aktiv an der Regierung und Administration des Stifts und stritt für die Aufrechterhaltung ihrer Rechte. Da sie sich nach der Wahl noch für einige Monate in Kassel aufhielt, forderte sie den Kapitular und Stiftsrat Johan Henrich von Wahden auf, waß aber sonsten anhero zu referiren nötig, kann man an Unß selbsten adressieren.85 Wenig später schickte sie erstmals Anweisungen nach Herford, die ihr aktives Eingreifen in tagespolitische Entscheidungen belegen. Darin befahl sie die Einbehaltung eines anheimgefallenen Lehens, die Eintreibung der Laudemia und Intraden des Stifts sowie die Instandsetzung der Münze. Mit der Wiederaufnahme des Münzregals belebte sie ein längst in Vergessenheit geratenes Hoheitsrecht, das in der Zwischenzeit vom jeweiligen Grafen von Ravensberg wahrgenommen worden war. Friedrich I./III. versuchte daher, diese Neuerung auf Grundlage des Münzediktes von 1686 zu verhindern. Schließlich setzte Charlotte Sophie ____________ 82

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Handschreiben Charlotte Sophies von Kurland an Friedrich I./III. von Brandenburg (23. Sept. 1696): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 8 (Beziehungen zum hohen Adel) Nr. 63. Auszug aus einem Schreiben Friedrichs I./III. von Brandenburg an Charlotte Sophie von Kurland (16. Jan. 1691): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 119. Friedrich I./III. an Charlotte Sophie von Kurland (7. Juli 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Charlotte Sophie von Kurland an Kapitular und Rat Johann Henrich von Wahden (1. Juli 1688): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 1211.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

doch die Prägung „einige[r] harte[r] und grobe[r] Münzen“ durch und erreichte somit die Anerkennung ihres Münzregals durch den Kurfürsten.86 Schon an diesen Beispielen lässt sich der Wille Charlotte Sophies ablesen, die Regierungsgeschäfte nach eigenem Willen führen zu wollen. Dabei betonte sie in ihrem Handeln im Gegensatz zur Pfalzgräfin vor allem die neugewonnene Stellung als Landes- und Reichsfürstin, der sie ihre verwandtschaftlichen Verpflichtungen unterordnete. Auf diese Weise gelang es jedoch nicht länger, die divergierenden Ansichten der Äbtissin und des kurbrandenburgischen Schutzherrn über die Rechtsstellung des Stifts sowie das damit verbundene konfliktanfällige Verhältnis zwischen ihnen als Herrschaftsträgern durch verwandtschaftliche Nähe und Loyalität zu überbrükken.87 Vor diesem Hintergrund führten Verweise auf die nahe Verwandtschaft, die im offiziellen Schriftverkehr noch immer einen prominenten Platz einnahmen,88 zur Verschärfung des Konfliktes. Denn das Unrechtsempfinden beider Konfliktparteien wurde verstärkt, indem Hilfe und Rat ausblieben und Erwartungen vom Gegenüber enttäuscht wurden.

Sanktionen Entsprach die jeweilige Äbtissin mit ihrem Verhalten nicht den Erwartungen ihres verwandtschaftlichen Umfeldes, folgten oft nachhaltige Sanktionen. Im Fall Charlotte Sophies von Kurland gipfelte die Betonung ihres Herrschaftsanspruches in einem langjährigen, teilweise gewalttätig ausgetragenen Konflikt mit dem brandenburgischen Kurfürsten und späteren preußischen König, in dessen Verlauf sie auf Dauer ins Exil flüchtete, sich ver____________ 86 87 88

Vgl. HEESE, Münzrecht als Hoheitsrecht, S. 233. S. u. Kap. Besetzung; Aneignung. Charlotte Sophie appellierte einerseits an ihren Vetter, Unß in Unserm Recht, zu Erhaltung unsers fürstlichen respects und authoritaet […] [zu] assistiren. Andererseits forderte sie dessen Freundvetterliche affection ein und beklagte, dass er sich als ihr hochgeehrteste[r] und von jugend auffliebwertheste[r] Herr Vettern durch Verleumdungen zu der Drohung habe verleiten lassen, daß wan Er mich bekäme [mir] den Kopff […] herunter hauen [wolle]. Friedrich warf ihr hingegen Undankbarkeit vor: Statt die von ihm aus einer affectionirten aufrichtigen intention zuwege gebrachten Abdeylichen Diginität und davon dependirenden avantagen nach dem exempel Ihrer Vorfahrinnen in Ruhe [zu] genießen, [und] An Mich als Ihren Vetter und Protectorem Ihres Stiffts sich [zu] halten, habe sie sich gegen ihn gestellt. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (10. Sept. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118; Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14. Nov. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119; Friedrich I./III. an Charlotte Sophie (27. Febr./9. März 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434.

3.3. Wiedergeben

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wandtschaftlich und politisch isolierte und sich schließlich finanziell ruinierte.89 Ein anderes Beispiel sowohl für vermeintlich nonkonformes Verhalten als auch für die dann greifenden Sanktionsmechanismen bietet die letzte Herforder Äbtissin Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg.90 Erste Vorbereitungen für ihre Wahl zur Herforder Coadjutorin wurden 1750 nach dem Tod der alten Markgräfin Johanna Charlotte getroffen. Als Gegenleistung für sein Engagement forderte Friedrich II., dass sich der Markgraf mit seinem Bruder accomodiren werde, ohne daß es nöthig sey, diese sache, durch einen richterlichen Spruch aus zumachen.91 Statt des Herrschaftsausbaus nach außen galt dieses Wahlprojekt der inneren Konsolidierung. Markgraf Heinrich zeigte sich nach erfolgreichem Ausgang der Wahl dem König gegenüber auch als dankbar: Diese besondere hohe Gnade und vätterliche Vorsorge verbindet mich leben lang zu der läbhafftesten und unterthänigsten dankbarkeit, und wünsche ich jemahls Gelegenheit zu haben solche offenbahr am tage legen zu können. ich werde fortfahren Ewer Königlichen Majestät als Vatter aller unterthanen und besondern als ein Gnädiger versorger meiner familie in tiefster Ehrfurcht zu verehren.92

Auch Friederike versicherte sich in ihren persönlichen Briefen an Friedrich II. jedes Mal seines Schutzes als Oberhaupt des Gesamthauses.93 Als Äbtissin war sie ebenso wie ihre Großmutter durch einen Revers vom preußischen König weitgehend abhängig und fügte sich in die ihr zugewiesene ____________ 89 90

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S. o. Kap. Geldsorgen; s. u. Kap. Widerstand. Bei ihr handelt es sich um die Enkelin der Äbtissin Johanna Charlotte von Brandenburg, welche die Markgräfin schon im Säuglingsalter als Kanonissin in das Stift aufgenommen und große Erwartungen in das Engels chanoiessgen oder ihre schöne chanoinesse gesetzt hatte. Nach dem frühen Ehezerwürfnis ihrer Eltern wuchsen Friederike und ihre Schwester am Hof in Berlin auf. Dort wurden sie unter anderem von dem bedeutenden Schweizer Mathematiker Leonard Euler erzogen. Ähnlich wie ihre in der Forschung häufiger behandelte Schwester Luise, spätere Fürstin von Anhalt-Dessau, galt auch Friederike als gebildet und belesen. Handschreiben Johanna Charlottes von Brandenburg an ihre Enkelin Friederike von Brandenburg (11. Sept. 1746): Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (BrandenburgSchwedt) Nr. 258-1. Vgl. GROTE, Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg; HEESE, Getrübtes Familienidyll; WINTZINGERODE, Schwierige Prinzen, S. 477-500. Friedrich II. an Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg (27. April 1750): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1123. Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg an Friedrich II. (20. Sept. 1754): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3164; Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1123 (Kopie). Verschiedene Handschreiben Friederikes von Brandenburg an Friedrich II. in Berlin GStA PK BPH Rep. 36 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 259.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Rolle als Platzhalterin an der Spitze des Stifts. Erst zum Ende ihrer Regierung, das gleichzeitig auch das Ende des Stifts markiert, kam es offenbar zu Unregelmäßigkeiten. Zunächst wandte sich die amtierende Coadjutorin, Prinzessin Auguste Maria Caroline von Nassau-Weilburg, in une Situation extremement desagréable an einen Berliner Minister und wusste zu berichten, dass die Äbtissin – prisse de vin – ein von ihren Domestiken untergeschobenes Testament unterzeichnet habe, das eben diese Diener großzügig bedenke.94 Wenig später sah sich der Neffe der Äbtissin, Prinz Friedrich von Anhalt-Dessau, genötigt, den preußischen König darüber zu unterrichten, dass die Administration des Stiftes zu Herforden, so wie die häusliche Lage, nebst den Gesundheitsumständen und Betragen meiner Tante der Aebtissin, jetzt so beschaffen, daß sowohl die persönlichen Angelegenheiten derselben, als das Beste des Stiftes Eure Königlichen Majestät Allerhöchsten Intervention nöthig zu machen scheinen.95

Sowohl die Coadjutorin als auch der Prinz von Anhalt-Dessau wurden von persönlichen Interessen geleitet. Während die Prinzessin von NassauWeilburg zusehends ihren Zugang zur Äbtissin, deren Tafel und damit auch den Einfluss auf die Stiftsadministration verloren hatte,96 sorgte sich Friedrich von Anhalt-Dessau um sein Erbe. Nach dem Tod seines Großvaters Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg wurde das Schwedter Erbe seiner Töchter in einen Fideikommiss überführt, deren Nutznießer die beiden Schwestern waren und Friedrich von Anhalt-Dessau einmal werden würde: so sehe ich mich genothiget, für mich und in meiner Mutter Name Eure Königlichen Majestät unterthänigst zu bitten: nächst den Verfügungen, welche Allerhöchstdieselben dem Besten des Stifftes Herforden gemäß erachten werden, auch die Anordnung einer Curatel für die Person und das Vermögen der Aebtissin gnädigst zu befehlen, damit die Verwaltung des fideicommissarischen und anderen Vermögens derselben gesichert und alle nachtheilige des tamentarische, und sonstiche dispositionen verhindert werden.97

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Maria von Nassau-Weilburg an einen nicht näher benannten Minister (7. Dez. 1797): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115. Prinz Friedrich von Anhalt-Dessau an Friedrich Wilhelm III. (3. Jan. 1798): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115. Vgl. den Bericht des Mindener Kammerpräsidenten von Arnim, der zur Untersuchung der Angelegenheit nach Herford abgeschickt worden war (9. Febr. 1798): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115. Prinz Friedrich von Anhalt-Dessau an Friedrich Wilhelm III. (3. Jan. 1798): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115.

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Die Äbtissin brüskierte nicht nur ihre Verwandtschaft durch die Abänderung ihres Testaments, sondern überließ auch die Stiftsadministration mitsamt allen Einkünften dem Zugriff korrupter Dienstboten. Hinzu kam die Nachricht über die vermeintliche Trunksucht der Äbtissin, die dem adeligen Habitus widersprach. Friedrich Wilhelm III. hatte daher gleich in zweifacher Hinsicht Grund einzuschreiten. Einerseits wachte er als Oberhaupt des brandenburgischen Hauses über das standesgemäße Verhalten aller Mitglieder, andererseits oblag ihm als Schutzherrn des Stifts die Sorge für dessen ordnungsgemäße Administration. Er entschied als Oberhaupt meines königlichen Hauses sowie Erb=Schirm und Schutz=Herrn der Abtey,98 die Äbtissin unter Vormundschaft zu stellen. Die Verhängung der Kuratel konnte nicht ohne triftigen Anlass geschehen, sondern bedurfte der Rechtfertigung. Daher wurde der Mindener Kammerpräsident von Arnim nach Herford abgeschickt, um dort unter einem Vorwand mit der Äbtissin zusammenzutreffen und bei verschiedenen Personen Erkundigungen über sie, ihre Ratgeber und die Verwaltung des Stifts einzuziehen.99 Sein Bericht lieferte die nötigen Argumente: Bereits während seiner Kommissionstätigkeit bei den beiden CoadjutorinnenWahlen 1794 und 1796 habe er feststellen müssen, dass die Äbtissin unfähig sey, aus eigener Ueberlegung und freyen Willen zu handeln, sondern daß höchstdero Handlungen nach den Leidenschaften und Intrigen gemeiner und nichtswürdiger Menschen geleitet würden. Zu dem Zeitpunkt sah er sich aber nicht berechtigt, über die Handlungen einer Prinzessin des königlichen Hauses mein Urtheil zu eröffnen. Nun hätten sich die Umstände geändert, da er nun ausdrücklich um seine Meinung gefragt worden sei. Er konstatierte, dass die Äbtissin mit einem äusserst geringen Maaß von Geistes Gaben versehen sei und eine unglücklich Neigung zum Trunk, zum Kartenspiel sowie zum Umgang mit unstandesgemäßen Personen hege. Letzteres werde von der Dienerschaft schamlos ausgenutzt, welche die Befehle der Äbtissin missachte, sie beschimpfe und gar bedrohe. Höhepunkt dieser Machenschaften sei die Affäre um das abgeänderte Testament, in dem zwar die Fürstin von Anhalt weiterhin als Haupterbin geführt, darüber hinaus aber Diener und Kanzleibeamte mit großzügigen

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Handschreiben Friedrich Wilhelms III. an Friederike von Brandenburg (28. Sept. 1799): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114. Kabinettsorder für den Kammerpräsidenten von Arnim (23. Jan. 1798): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

Pensionen und Legaten bedacht würden.100 Er habe zudem feststellen müssen, dass auch die Haushaltung schlecht geführt werde, weil es der Äbtissin an einem Hofkavalier oder Marschall fehle und ihre Hofmeisterin keinen Zugriff auf die Hausverwaltung habe. Stattdessen sei die Äbtissin von lauter Tagedieben als Lakaien umgeben, die jederzeit Zugriff auf die unverschlossen, herumliegenden Gelder hätten. Überhaupt habe die Äbtissin keinen Überblick über die vorhandenen Einkünfte. Die Stiftsadministration gerate bereits in Mitleidenschaft, weil auch hier die Günstlinge ihr Unwesen trieben.101 Während der vormundschaftlichen Regierung brachten die Kommissare dann weitere skandalträchtige Neuigkeiten ans Licht, wie die Liebesschwüre der Äbtissin zu ihrem Lakaien Kraft.102 Von Arnim breitete in seinem Bericht das volle Spektrum an Argumenten der aufgeklärten Kritik aus, mit denen vor allem die Verhältnisse in den geistlichen Staaten diskreditiert wurden.103 Der Wahrheitsgehalt des Berichts über die Zustände im Stift ist schwer zu ermessen. Zumindest die Aussagen über den Geisteszustand sowie die finanzielle Situation wirken angesichts der zeitgenössischen Aussagen über die Philosophin Friederike und der Inventarlisten der Vormundschaftskommission, die das Bild ordentlicher Besitzverhältnisse zeichnen, konstruiert.104 Auch die Auswahl der Informanten des Kammerpräsidenten verstärkt dieses Bild; dabei handelte es sich ausschließlich um städtisches Personal sowie entlassene Stiftsdiener, deren Neutralität fraglich ist. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass die Verhängung der Kuratel einen rechtlichen Tatbestand voraussetzte, der im „Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten“ von 1794 klar definiert war.105 Dieser Umstand war auch der Äbtissin und ihren Ratgebern ____________ 100

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Vgl. Abschrift des Testaments (29. Sept. 1797): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115. Bericht des Kammerpräsidenten von Arnim (9. Febr. 1798): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115. Vgl. HEESE, Der Liebesbrief der Äbtissin Friederica. Zur Kritik der Aufklärung an barocker Herrschaft und den Verhältnissen in geistlichen Staaten HERRSCHE, Muße und Verschwendung, S. 532f.; DERS., Barrieren gegen den Fortschritt; DERS., Intendierten Rückständigkeit; WENDE, Die geistlichen Staaten und ihre Auflösung. Inventar aller Gelder, Möbel, Wertgegenstände etc. (17. April 1799) sowie die Rechnungslegung der Vormundschaftskommission (20. Mai 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114. Vgl. GROTE, Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg. Vgl. ALLGEMEINES LANDRECHT FÜR DIE PREUßISCHEN STAATEN, 1. Theil, 1. Titel §§ 2733.

3.3. Wiedergeben

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bekannt, die mit ihrem Widerstand an diesem Punkt ansetzten.106 Der Bericht des Kammerpräsidenten bestätigte genau die im Allgemeinen Landrecht erforderten Kriterien zur Verhängung der Vormundschaft und legitimierte diese. Als Friedrich Wilhelm III. auf Grundlage des Berichtes wenig später die Kuratel über Friederike verhängte, erklärte er sein Eingreifen ihr gegenüber mit der obliegenden Fürsorge für Ewer Liebden Interesse, in Verbindung mit dem gerechten Wunsche, die Würde einer Prinzessin eines Königlichen Hauses nicht compromittirt zu sehen, sowie der Sorge um das Stift.107 Waren das aber seine einzigen Motive? Die Aussage des Kammerpräsidenten von Arnim, der schon länger von den Zuständen im Stift gewusst haben will, die stereotypen Argumente in seinem Bericht sowie die Tatsache, dass von Arnim die Verhängung der Kuratel nur als eine mögliche Option vorgeschlagen hatte,108 lassen Zweifel aufkommen. Zudem wurde die Kuratel 1805 trotz vermeintlich unveränderter Verhältnisse nicht erneuert.109 Welche Gründe gab es dann für die Vormundschaft der Markgräfin? Bereits 1795 hatte sich Friedrich Wilhelm III. im Separat-Frieden von Basel zwischen Preußen und Frankreich eine Entschädigung für seine linksrheinischen Gebiete gesichert. Zur Entschädigungsmasse gehörte unter anderem das Stift Herford. 1798 bot sich dem preußischen König und seinen Regierungsvertretern nun eine Möglichkeit, durch die eingesetzte Vormundschaftskommission, welche die Verwaltung des Stifts übernahm, einen genauen Überblick über dessen wirtschaftliche Verhältnisse sowie die privaten Finanzen der Äbtissin zu bekommen. Die Kommission erstellte unter anderem ein Inventar aller Möbel und Gelder der Äbtissin.110 Die Rechnungslegung erfolgte während der Vormundschaft ____________ 106

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Friederike von Brandenburg an Friedrich Wilhelm III. (9. Dez. 1798): Berlin GStA PK BPH Rep. 34 (Brandenburg-Schwedt) Nr. 253. Friedrich Wilhelm III. an Friederike von Brandenburg (28. Sept. 1799): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114. Bericht des Kammerpräsidenten von Arnim (9. Febr. 1798): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3115. Bericht des Kammerpräsidenten von Arnim (27. Juli 1805): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3111. Erneut war es die anhaltinische Verwandtschaft, die sich um den Schwedtschen Fideikomiss sorgte und Friedrich Wilhelm III. eine erneute Vormundschaft vorschlug. Luise von Anhalt-Dessau an Friedrich Wilhelm III. (6. Mai 1805): Berlin GStA PK I. Geheimer Rat HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3111. Inventar (17. Mai 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

unter Aufsicht des Berliner Kabinetts.111 Auf diese Weise konnten sich der König und seine Minister ein Bild davon machen, was bei Aufhebung des Stifts an Preußen fiel. Gleichzeitig erlaubte die Neuordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Kommission sowie die Besetzung des gesamten Hofstaats mit loyalen Parteigängern des Königs, die sich wie der neu bestellte Hofmarschall Baron von Bangard dem königlichen Hause zu Treue und Gehorsam verpflichten mussten,112 die Optimierung der Ökonomie und beugte bis zum Anheimfall weitreichenden Verlusten vor. Dass die Vormundschaft über Friederike von Brandenburg 1799 dennoch wieder aufgehoben wurde,113 hatte verschiedene Gründe. Sowohl die anhaltinischen Verwandten als auch die Coadjutorin zogen ihre Klagen über den Geisteszustand der Äbtissin zurück. Sie hatten nicht das erreicht, was sie sich mit der Verhängung der Kuratel erhofft hatten. Prinz Friedrich von Anhalt-Dessau hatte nicht mehr Einfluss auf die privaten Finanzen der Äbtissin und die Coadjutorin nicht mehr Mitspracherechte bei der Verwaltung des Stifts erhalten. Allein der König und seine Minister waren es, die sich unter der Vormundschaft einen uneingeschränkten Zugriff auf Privatvermögen und Stiftsregierung sichern konnten. Indem die anhaltinischen Verwandten und die Coadjutorin ihre Aussagen revidierten, verlor die verhängte Kuratel an Legitimität. Zudem wurden Gerüchte laut, wonach die Äbtissin an den Reichsgerichten eine Klage gegen die Vormundschaft plane.114 Die Berliner Minister befürchteten, dass die Gerichte sich ein Vergnügen daraus machen würden, sich in Hausangelegenheiten des preußischen Königs zu mischen und damit seine Souveränität einzuschränken.115 Vor diesem Hin____________ 111

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Instruktionen für die Kommission und deren Vorsitzenden, den Kammerpräsidenten von Arnim (9. April 1798): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1115. Bestellung des Baron von Bangard (3. April 1799): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114; vgl. Bericht des Kammerpräsidenten von Arnim (30. März 1799): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114. Der Baron von Bangard war der später geadelte unstandesgemäße Liebhaber der bereits verstorbenen Dekanissin Henriette von Anhalt-Dessau. Vgl. DETTMAR, MICHELS, Aus dem Leben der Henriette Amalie Prinzessin von Anhalt-Dessau, S. 14f. Bestätigung der Aufhebung der Kuratel durch Friedrich Wilhelm III. (28. Sept. 1799): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114. Berichte des Kammerpräsidenten von Arnim (9. Febr. u. 23. März 1799): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114. Kabinettprotokoll (9. Sept. 1799): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3114.

3.3. Wiedergeben

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tergrund schien es geraten, die Kuratel aufzuheben und die ‚gute Ordnung‘ im Stift dem Hofmarschall zu überantworten. 1802, als wieder Gerüchte um die unordentliche Stiftsadministration aufkamen,116 nahm man in Berlin keine Rücksicht mehr auf die Rechtslage oder auf die Reichsgerichte. Diesmal wurde die Stiftsregierung ohne weitere Umstände per Kabinettsorder einer Kommission in Minden übertragen,117 bevor wenig später dann die endgültige Aufhebung des Stifts folgte.118

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Bericht des preußischen Geheimen Rates von Hohenhausen an den König (4. Juli 1802): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3110. Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. an den General und Staatsminister von der Schulenburg (17. Aug. 1802): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3110. Instruktionen zur offiziellen Aufhebung (21. Okt. 1802): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3110.

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

3.4. Zwischenresümee: Politiken der Verwandtschaft 3.4. Zwischenresümee: Politiken der Verwandtschaft

Die Institution Damenstift war in ein Netz verwandtschaftlicher Beziehungen eingebunden. Diese spiegelten sich in der Personenstruktur der jeweiligen Kapitel wider, wo Schwestern, Tanten und Nichten der immer gleichen Adelshäuser vertreten waren. Verwandtschaftliche Beziehungen spielten eine große Rolle in den Wahlverhandlungen einer neuen Äbtissin, in denen sich in der Regel Verwandte engagierten. Zugleich dienten verwandtschaftliche Verbindungen zu einflussreichen Fürsten als strategisches Argument. In diesem Zusammenhang nur die Interessen der einzelnen Dynastie in den Blick zu nehmen, greift zu kurz. Die Analyse hat gezeigt, dass die an der Primogenitur ausgerichtete und auf agnatischen Verbindungen beruhende Dynastie nur unzureichend das Sozialgefüge hochadeliger Personenverbände widerspiegelt, in denen ebenso die kognatische Verwandtschaft der nachgeborenen Söhne und Töchter sowie die Schwägerschaft von großer Bedeutung sein konnte. Charlotte Sophie von Kurland orientierte sich beispielsweise lieber an ihrem Onkel, Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, sowie später ihrem Schwager, Landgraf Karl von Hessen-Kassel, als ihren räumlich weit entfernten und finanzschwachen Brüdern in Kurland. Der brandenburgische Kurfürst beförderte immer wieder Frauen aus seinem kognatischen Verwandtenkreis bei den Herforder Äbtissinnenwahlen. Verwandtschaft ist hier nicht als eine feststehende und biologische Entität, sondern als ein soziales Konstrukt zu verstehen, welches das Ergebnis von wechselseitigen Zuschreibungsprozessen war. Das Konzept der Verwandtschaft diente den Akteuren als Mittel zur Strukturierung ihrer sozialen Beziehungen. Kern der verwandtschaftlichen Beziehung war die gegenseitige Verpflichtung zu Hilfe und Beistand sowie eine reziproke Kosten-NutzenRechnung für die beteiligten Akteure. Das Ziel war die Mehrung des Ansehens und die standesgemäße Ausstattung jedes Einzelnen sowie des verwandtschaftlichen Personenverbandes. Angesichts der geringen Anzahl hochadeliger Damenstifte im Alten Reich, von denen nur wenige im 16. Jahrhundert evangelisch geworden waren, handelt es sich bei der Institution Stift und mehr noch bei der Stelle als Äbtissin um eine knappe Ressource. Verhältnismäßig viele hochadelige Häuser konkurrierten um die wenigen weiblich besetzten Ämter innerhalb der Reichskirche. Die jeweiligen Verwandtschaftsgruppen mussten gezwungenermaßen viel investieren, um ein Mitglied bis an die Spitze des Stifts zu befördern. Denn nur die Äbtissin konnte den Rang des Reichsfürstenstandes für sich beanspruchen, mit dem politische Partizipa-tion am Reich sowie territoriale Ressourcen verbunden waren. Um dieses Ziel zu erreichen, war

3.4. Zwischenresümee: Politiken der Verwandtschaft

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es nötig, in den oft langwierigen Wahlverhandlungen verschiedene Argumentationsstrategien und Einsätze anzuwenden. Hierzu gehörte sowohl die Aktivierung von verwandtschaftlichen, klientären und diplomatischen Beziehungen als auch die Anwendung von ausgewiesenen Rechtskenntnissen, Bestechungsgeldern und zeitlichem sowie personellem Aufwand. Eine solche Leistung konnte keinesfalls von einer Einzelperson, sondern nur von einem Personenverband erbracht werden, in dem die spätere Äbtissin eine Führungsrolle übernehmen konnte oder aber auch nur im zweiten Glied beteiligt war. Damit verbunden war ein Nebeneinander verschiedener Motive der Akteure. Das in der älteren Forschung überstrapazierte Motiv der Versorgung spielte in diesem Zusammenhang sowohl für die spätere Äbtissin als auch für ihr verwandtschaftliches Umfeld eine bedeutende, aber nicht ausschließliche Rolle. Die Wahl einer Äbtissin aus der Verwandtschaft sollte nicht nur ihr, sondern im besten Fall weiteren weiblichen Verwandten eine Alternative zur Ehe – wenn auch oft nur auf Zeit – eröffnen. Darüber hinaus waren aber auch andere, nicht selten politische Erwägungen relevant. Die Wahl einer Äbtissin diente als Form der friedlichen Konfliktlösung und Bündnisstiftung. An ihre Amtsführung wurden aufgrund verwandtschaftlicher Loyalitätsbindungen oft hohe Erwartungen gestellt. Auch nach ihrer Wahl blieb die jeweilige Äbtissin in ihr verwandtschaftliches Beziehungsnetz eingebunden. Sie partizipierte in der Regel weiterhin an den innerhalb der Verwandtschaft zirkulierenden Ressourcen, um sich eine standesgemäße Lebensführung im Stift oder in räumlicher Nähe zu ihrer Verwandtschaft einzurichten, mit der sie ihren ständischen Rang und ihren landesherrlichen Anspruch zum Ausdruck brachte. Mitunter war die Äbtissin auf die finanzielle Unterstützung ihres verwandtschaftlichen Umfeldes existentiell angewiesen, so dass regelmäßige Apanagezahlungen keine Seltenheit waren. Zu den Unterstützungsleistungen gehörten darüber hinaus Hilfe, Beistand und Rat. Vor allem in Krisenzeiten aktivierten die Äbtissinnen ihre verwandtschaftlichen Beziehungsnetze, um sich ihrer Vermittlung, ihrer Unterstützung oder ihrer Kommunikationskanäle zu bedienen. Blieben Unterstützung und Hilfe hingegen aus, konnten daraus ernste Konflikte erwachsen. In dieser Situation standen den Äbtissinnen verschiedene Druckmittel zur Verfügung. Sie reichten von der Klageführung an den Reichsgerichten, wie im Streit um das Erbe Anna Dorotheas von SachsenWeimar, über offene Drohungen, eine unstandesgemäße Ehe einzugehen oder zum katholischen Glauben zu konvertieren, bis hin zu Widerstand, wie bei Charlotte Sophie von Kurland. Erst nach Wahl und Amtsantritt erwies sich, inwiefern die Äbtissin in ihrem Amt ihrer Verwandtschaft von Nutzen war und wie sie Amt- und Verwandtschaftsinteressen miteinander in Einklang brachte, also inwiefern verwandtschaftliche Verbindungen ihr Han-

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3. Verwandtschaft – Geben, Nehmen, Wiedergeben

deln beeinflussten und unter Umständen sanktionierten. Korrespondierend zu den herausgearbeiteten Motiven im Umfeld der Äbtissinnenwahl lassen sich zwei wesentliche Betätigungsfelder erkennen, auf denen die Äbtissin verwandtschaftlichen Interessen zuarbeitete: die Besetzung von Stellen im Stift sowie ihr Herrschaftshandeln. Zu beobachten ist vor allem eine verwandtschaftliche Aufnahme- und Besetzungspolitik. Diese zielten nicht nur nach außen auf die Befriedigung verwandtschaftlicher Interessen, sondern ebenso nach innen auf die Konsolidierung der Herrschaft der Äbtissin durch einen loyalen innerstiftischen Anhängerkreis. Eine solche Aufnahme- und Besetzungspolitik konnte auch ins Gegenteil umschlagen, wenn es zur Konkurrenz zwischen der Äbtissin und weiteren verwandten Stiftsmitgliedern kam. Im Hinblick auf die verwandtschaftliche Loyalität der Äbtissin in ihrem Herrschaftshandeln konnten verschiedene Intensitätsgrade ausgemacht werden. Sie reichten vom Nonkonformismus Charlotte Sophies von Kurland gegenüber den Forderungen ihres Vetters Friedrich I./III. über die Kompromisshaltung Anna Salomes von SalmReiferscheidt, welche die Interessen ihres verwandtschaftlich-ständischen Beziehungsnetzes vertrat, solange ihre obrigkeitlichen Rechte nicht tangiert wurden, oder Elisabeths von der Pfalz, die ihrem Vetter Friedrich Wilhelm von Brandenburg immer wieder entgegenkam, um sich seine Hilfe bei der Durchsetzung ihrer obrigkeitlichen Rechte zu sichern, bis hin zur Unterordnung Johanna Charlottes von Brandenburg, die zu Gunsten ihres Neffen auf die meisten ihrer Herrschaftsrechte verzichtete. Diese unterschiedlichen Handlungsweisen der Äbtissinnen hingen maßgeblich zum einen davon ab, wie eng die jeweilige Äbtissin in das verwandtschaftliche Beziehungsnetz integriert war und welche Stellung sie darin einnahm. Äbtissinnen wie Johanna Charlotte von Brandenburg (Herford) oder Anna Amalie in Preußen (Quedlinburg) blieben Zeit ihres Lebens fest in die brandenburgischpreußische Dynastie eingebunden, partizipierten in hohem Maße an deren Ressourcen und ordneten ihre Interessen dem Wohl des Gesamthauses unter. Sie standen jeweils in einer engen Beziehung zum jeweiligen Chef des Hauses und genossen dessen Wohlwollen. Andere wie Elisabeth von der Pfalz oder Charlotte Sophie von Kurland waren durch ihre längeren Aufenthalte am Berliner Hof loser in dessen verwandtschaftliches Beziehungsnetz integriert. Angesichts der Schwierigkeiten ihrer Herkunftsdynastien (Sturz des Winterkönigs und Exil, Nordische Kriege) suchten sie dort phasenweise immer wieder Unterstützung und entfremdeten sich von ihren Herkunftsdynastien. Dabei wogen sie aber Eigen- und Fremdinteressen sehr viel stärker gegeneinander ab. Sie schreckten ebenso wie Anna Dorothea von Sachsen-Weimar und Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf nicht davor zurück, sich gegen ihre Verwandtschaft aufzulehnen, wenn Rechte, Güter

3.4. Zwischenresümee: Politiken der Verwandtschaft

159

und Einkünfte auf dem Spiel standen. Wieder andere wie Anna Salome von Salm-Reifferscheidt oder Maria Kunigunde von Sachsen bildeten eine eindeutige Interessensgemeinschaft mit ihrer Verwandtschaft, um gemeinsame Vorrechte, Rangansprüche und Ideen zu verteidigen. Zum anderen wirkte sich aus, welche Rolle die jeweilige Verwandtschaft oder einzelne Mitglieder im Stift und in dessen Umfeld spielten und welche spezifischen Interessen damit verknüpft waren. In diesem Zusammenhang sind die räumliche Nähe oder Ferne der verschiedenen Verwandtschaftsverbände zum Stift und ihr unterschiedliches machtpolitisches Gewicht eine nicht zu vernachlässigende Größe. Dynastien wie Kurland, Holstein-Gottorf und Pfalz-Sulzbach, deren herrschaftliche Einflussgebiete weit entfernt von den Stiften Herford, Quedlinburg und Essen lagen und die noch dazu unter finanziellen Schwierigkeiten litten, schenkten den Stiften wenig Interesse. Dynastien wie Sachsen-Weimar und die rheinischen Reichsgrafen waren zwar vor Ort und verfolgten durchaus eigene Interessen in den Stiften, hatten aber selten die Mittel, diese umzusetzen. Die Reichsgrafen konnten es beispielsweise nicht verhindern, dass sie auch innerhalb der Stifte immer deutlicher hinter die fürstlichen Häuser zurücktreten mussten. Der Kurfürst-König von Brandenburg-Preußen hatte als Schutzherr aller drei Stifte per se das Verlangen und als mächtiger weltlicher Fürst auch die Mittel, seine obrigkeitliche Stellung im Stift auszubauen, und versuchte hierfür, seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu instrumentalisieren. Schließlich spielten auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen der Stifte eine Rolle. Die Äbtissinnen des ökonomisch besser aufgestellten Essener Stiftes waren weit weniger auf ein intaktes verwandtschaftliches Beziehungsnetz angewiesen als die der finanzund personenschwachen Stifte Quedlinburg und vor allem Herford. Angesichts der hier beobachteten großen Bedeutung von verwandtschaftlichen Beziehungen und den damit verbundenen jeweiligen Interessen- und Motivlagen bei der Wahl einer neuen Äbtissin und deren späterer Amtsführung darf die Institution Damenstift nicht losgelöst von diesen „Politiken der Verwandtschaft“1 betrachtet werden, die das Handeln der Äbtissin bestimmten. ____________ 1

Hiermit greife ich eine Formulierung auf, die zuerst der italienische Historiker Raul Merzario in seiner Arbeit über Heiratsstrategien in der Diözese Como formuliert hat und die im Anschluss daran von den österreichischen Historikerinnen Margareth Lanziner und Edith Sauer als Titel eines Sammelband über verwandtschaftliche Beziehungen reproduziert wurde. Sie alle betonen mit dieser Formulierung die politische Dimension verwandtschaftlicher Beziehungen. Vgl. MERZARIO, Il paese stretto, S. 4f.; LANZINGER, SAURER, Politiken der Verwandtschaft, S. 7.

Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren Eine Landkarte des vorderen Harzraumes von Johann Georg Schreiber aus dem Jahre 1750 bildet das Stift Quedlinburg zwischen verschiedenen anderen Herrschaften ab. In direkter territorialer Nachbarschaft zum Stift lagen beispielsweise die Grafschaft Regenstein und die Fürstentümer AnhaltBernburg und Halberstadt, in etwas weiterer Entfernung die Herzogtümer Magdeburg und Braunschweig-Lüneburg. Die Karte stellt demnach das lokale Umfeld des Stifts dar. Allerdings verzerrt die Art der Darstellung, die sich nach den einzelnen Herrschaften, nicht ihren jeweiligen Inhabern richtet, das Bild der territorialen Verhältnisse. Denn die abgebildete Kleinteiligkeit war seit dem Dreißigjährigen Krieg mehr und mehr der Vorherrschaft des Kurfürsten von Brandenburg, der auch Graf von Regenstein sowie Lehnsherr der Grafen von Werningerode und seit 1648/1650 Fürst von Halberstadt war, sowie des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, der im Besitz der Fürstentümer Blankenburg und Grubenhagen war, gewichen. Inmitten dieses brandenburgischen und braunschweigischen Einflussgebietes lag das reichsunmittelbare Stift Quedlinburg mitsamt dem eine Quadratmeile umfassenden Stiftsterritorium. Eine ganz ähnliche Lage nahm das Stift Essen ein. Sein eineinhalb bis zwei Quadratmeilen großes Territorium grenzte im Osten an die kurbrandenburgische Grafschaft Mark, im SüdWesten an das Herzogtum Berg der Pfalzgrafen von Neuburg sowie im Norden an das kurkölnische Vest Recklinghausen. Das weitere Umfeld bildeten die Hochstifte Münster und Paderborn, das kurbrandenburgische Fürstentum Kleve und die kleinen Reichsgrafschaften an Rhein und Mosel, wo das Stift mit dem Ländchen Breisig auch noch über zusammenhängenden Besitz verfügte. Das Stift Herford, dessen Kleinstterritorium nur einen Stadtbezirk sowie einige exemte Höfe und das niederadelige Damenstift St. Marien auf dem Berge ausmachte, lag hingegen wie eine Enklave inmitten der Stadt Herford in der Grafschaft Ravensberg, die seit 1614 zum brandenburgischen Territorialkomplex gehörte. Dieser kurze Blick auf die geographische Lage der drei Reichsstifte lenkt den Fokus der Untersuchung nunmehr auf ein weiteres Beziehungsgeflecht, in das die Äbtissinnen eingebunden waren und das ihren Handlungsspielraum ebenso mitbestimmte wie ihre verwandtschaftlichen Beziehungen. Hierbei handelt es sich um die verschiedenen Lokalgewalten in und um das jeweilige Stift. Schon ihre geographische Verortung hat gezeigt, dass die Stifte von einem oder mehreren, in der Regel größeren Territorien umgeben waren. Tatsächlich gestalteten sich die lokalen Verhältnisse jedoch noch viel

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

komplizierter, als dies auf einer Karte darzustellen ist. Denn der moderne Territorialstaat mit eindeutigen Grenzen und zugewiesenen politischen Kompetenzen stand im 17. Jahrhundert erst am Beginn seiner Entwicklung.1 Stattdessen dominierte in der Frühen Neuzeit ein historisch gewachsenes und immer wieder Veränderungen unterworfenes Geflecht vielmals divergierender Herrschaftsrechte sowie konkurrierender Herrschaftsträger auf engem Raum, die entweder Teilhabe an der Stiftsherrschaft beanspruchten, sich ihr zu entziehen oder sie zu unterwerfen versuchten. Im Anschluss werden zunächst die jeweiligen Lokalgewalten identifiziert sowie ihr Verhältnis zueinander analysiert. Hierzu dienen verschiedene Konfliktsequenzen, in denen die Lokalgewalten miteinander in direkte Interaktion traten. Implizites wird im verdichteten Kommunikationszusammenhang des Konfliktes vielfach überhaupt erst explizit gemacht. Konflikte fungieren daher wie ein Vergrößerungsglas auf die politisch-soziale Ordnung. Konflikte können zur Stabilisierung, zum Wandel oder zum Umsturz dieser Ordnung beitragen.2 In den Konflikten verhandelten die Lokalgewalten immer wieder aufs Neue ihre jeweiligen Handlungsspielräume als Herrschaftsträger. Anhand ihrer Analyse werden daher im Folgenden sowohl Grenzen und Möglichkeiten herrschaftlichen Handelns ausgelotet als auch Rückschlüsse auf die strukturellen Rahmenbedingungen gezogen, innerhalb derer sich die Lokalgewalten bewegten und die sie mit ihrem Handeln gestalteten. Das zweite Unterkapitel widmet sich dem Regierungshandeln in den Stiften sowie den daran beteiligten Akteuren. Das Nebeneinander verschiedener Herrschaftsträger auf engem Raum kann nicht ohne Konsequenzen für das geistliche und weltliche Regiment der Reichsäbtissinnen geblieben sein. Daher werden in mehreren Tiefenbohrungen konkrete Maßnahmen der Äbtissinnen mit Blick auf die Praktiken und Akteure des Regierungshandelns analysiert. Bei den jeweiligen Lokalgewalten handelt es sich niemals um Einzelpersonen, sondern immer um Akteursgruppen. Weder die Äbtissin noch der preußische König standen für sich allein. Vielmehr waren sie umgeben von einem umfangreichen Stab an Beratern. Ihrer Rolle und Bedeutung für die Herrschaftspraxis wird hier ebenfalls nachgegangen. Dabei gilt es zu klären, wie und wo das Stift regiert wurde, welchen Anteil Berater und Äbtissin jeweils daran hatten und inwiefern sich hieraus spezifische Merkmale für die Herrschaftskonfiguration Reichsstift ableiten lassen. Schließlich zählt zu den Charakteristika vormoderner Epochen, dass die politisch-soziale Ordnung durch Formen symbolischer Kommunikation ____________ 1 2

Vgl. zur Entwicklung des Territorialstaates REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. FÜSSEL, RÜTHER, Einleitung, S. 14.

4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

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nicht nur abgebildet, sondern performativ hervorgebracht, infrage gestellt und neu austariert wurde.3 Die diskursiv in Verhandlungen und Beratungen behaupteten Rang- und Herrschaftsansprüche vormoderner Herrschaftsträger mussten in symbolischen Handlungen repräsentiert werden. Daher werden abschließend die unterschiedlichen Formen herrschaftlicher Repräsentation der Reichsäbtissinnen in den Blick genommen.

____________ 3

Vgl. FÜSSEL, WELLER, Einleitung, S. 11.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

4.1. Verhandeln 4.1. Verhandeln

Anfang des Jahres 1685 trafen in Dresden Abgeordnete der Äbtissin von Quedlinburg, Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, sowie des sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. als Schutzherrn des Stifts zusammen.1 Nicht nur die Äbtissin, sondern auch der Schutzherr beanspruchte umfangreiche Herrschaftsrechte im Stift wie verschiedene Jurisdiktionsrechte, die Abnahme des Huldigungseides der Stiftsuntertanen oder die Konkurrenz bei der Wahl einer neuen Äbtissin. Die niedere Gerichtsbarkeit hatte er wiederum an den Quedlinburger Stadtrat verpachtet, der diese durch den bestellten Stadtvogt ausübte. Alle anderen Rechte wurden von seinem dauerhaften Vertreter, dem Stiftshauptmann, wahrgenommen. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts war es wiederholt zur Konkurrenz zwischen den verschiedenen Instanzen gekommen, weil ihre Kompetenzen nur ungenügend voneinander abgegrenzt waren.2 Dies galt vor allem für die sich überschneidenden Jurisdiktionsrechte. Die Abgeordneten berieten in Dresden über eine Lösung der anhaltenden Konflikte. Das Resultat dieser Verhandlungen war ein Vertrag, der sogenannte Concordien-Rezess.3 Darin nahmen die Unterhändler nicht nur eine genaue Abgrenzung der unterschiedlichen Jurisdiktionsbereiche vor,4 sondern strebten eine Lösung aller offenen Streitfragen an. Auf diese Weise sollten die Herrschaftsverhältnisse im Stift geregelt werden. Es gelang den Vertretern des sächsischen Kurfürsten in den Verhandlungen, ihre Vorstellung einer geteilten Landesherrschaft von Äbtissin und Schutzherr durchzusetzen und damit die kontinuierliche Erweiterung der kurfürstlichen ____________ 1

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3 4

Vollmacht für den Weimarer Hof- und Konsistorialrat Wildvogel zu den Verhandlungen in Dresden (3. Febr. 1685): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 953br953cr. Daneben traten weitere Fragen wie der Wortlaut des Huldigungseides, der Einfluss des Schutzherrn auf das Kirchenregiment oder seine Konkurrenz bei der Bestellung und Konfirmation von Bürgermeister und Rat. Vgl. die verschiedenen Aufstellungen von Beschwerden, sogenannte Gravamina: Gravamina der Stiftsräte [1659]: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 94v-107r, hier: 106r-v; Beantwort= und ablehnung der irigen gravaminum so von dem Stifftshauptman Contra die Stiffts Regierung moviret werden wollen [1659]: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 216r-371r, hier: 224r-v; Gravamina des Stiftshauptmannes (o.D. [1671]): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8968/1; Gravamina des Stiftshauptmannes in den Kommissionsakten von 1681: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 539r-551r. Concordien-Rezess (18. Febr. 1685), abgedruckt in: RECHTLICHE DEDUCTION, S. 97-120. S. u. Kap. Verteiltes Recht.

4.1. Verhandeln

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Schutz- zur Landesherrschaft im Stift zu einem vorläufigen Höhepunkt zu führen. Der Abschluss des Concordien-Rezesses erwies sich jedoch nur als eine kurze Phase der Entspannung, bis die Konflikte zwischen Äbtissin und Schutzherr sowie ihren Vertretern in den 1690er Jahren erneut ausbrachen. Die Äbtissin akzeptierte nämlich keineswegs die Vorstellung einer geteilten Landesherrschaft. Sie ließ daher ihren Anspruch auf die alleinige Herrschaft nicht nur durch juristische Gutachten bestätigen und im Druck einer breiten reichsständischen Öffentlichkeit vorführen,5 sondern machte ihre obrigkeitliche Stellung auch in ihrem Herrschaftshandeln deutlich. Dies galt vor allem für ihren Umgang mit Bürgermeister und Rat: Ihre Vertreter griffen in das Policey-Wesen ein,6 das im Concordien-Rezess der Stadt überantwortet worden war,7 sie verlieh ihren Konsistorialräten den Vorrang gegenüber den Altstädter Bürgermeistern und beanspruchte mit Nachdruck die Jurisdiktion über die Angehörigen des Stadtrates.8 Bereits diese kurze Einführung zeigt, wie vielschichtig und im Fluss die Herrschaftsverhältnisse im Stift Quedlinburg waren. Sie wurden durch ein „Kräftefeld“ verschiedener Akteure bedingt,9 die als Träger nicht selten konkurrierender Herrschaftsrechte miteinander in Beziehung traten. In Quedlinburg waren dies die Äbtissin, das Kapitel, die Stiftsbeamten, der Schutzherr, der Stiftshauptmann als ehemals gemeinsamer Beamter von Äbtissin und Schutzherr, der sich aber immer mehr als exklusiver Vertreter des Schutzherrn gerierte, sowie Bürgermeister, Rat und Stadtvogt in ihrer Doppelrolle als Pächter der Stadtvogtei und städtisches Selbstverwaltungs____________ 5

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Facti Species an die Nürnbergische Juristenfakultät zu Altdorff inklusive der zu beantwortenden Fragen nach der Beschaffenheit der Landeshoheit im Stift sowie dem Verhältnis zwischen Stift und Stadt (o.D.); das Gutachten der Juristenfakultät Altdorff (17. Sept. 1694) sowie dessen Bestätigung durch Senior und Assessoren des Schöppenstuhls des Herzogtum Magdeburgs in Halle (Okt. 1694): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 28, fol. 232r-240r, 241r-286v, 288r-292v; RECHTLICHE DEDUCTION. Bericht des Stiftshauptmannes von Stammer an das Ratskollegium zu Dresden (13. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/26; Beschwerde des Quedlinburger Stadtrates beim sächsischen Kurfürsten (29. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/31. Vgl. Concordien-Rezess § 29. Bericht des Stiftshauptmannes von Stammer an das Ratskollegium zu Dresden (13. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/26. S. den Rechtsstreit zwischen sämtlichen Kämmerern und den Bürgermeistern der Stadt Quedlinburg (1692/1693): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 16, fol. 398rff.; das Verfahren gegen Bürgermeister Saalfeld wegen Beschlagnahme von der Äbtissin konfiszierter Seife sowie respektloser Reden über die Äbtissin (1692): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 17. Zum Begriff des Kräftefeldes LÜDKE, Herrschaft als soziale Praxis, S. 12-18.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

organ. Ihr Miteinander war sowohl durch Kooperation als auch durch Konflikt geprägt. Neueren kulturwissenschaftlichen Untersuchungen zum vormodernen Herrschaftsverständnis ist es zu verdanken, dass die Vielschichtigkeit von Herrschaft und ihre Ausdrucksformen in den Blick der Forschung geraten sind.10 Statt eines statischen Herrschaftsverständnisses haben sie das Situative und das Prozesshafte vormoderner Herrschaft betont. Zu Beginn der nachfolgenden Analyse wird das Verhältnis zwischen der jeweiligen Äbtissin als Obrigkeit und den Mitgliedern des Kapitels, den städtischen Bewohnern sowie Bürgermeister und Rat der umliegenden Stadt untersucht. Zugleich wird mit Blick auf die Äbtissin und den Schutzherrn die Interaktion zweier ungleicher Reichsstände analysiert. Anhand verschiedener Konfliktsequenzen wird im Folgenden nach den unterschiedlichen Verhandlungsstrategien der miteinander agierenden Herrschaftsträger gefragt. Vormoderne Herrschaft wird dabei als „soziale Praxis“ verstanden.11 Diskursive und symbolische Praktiken spielten eine fundamentale Rolle bei der Konstitution von Ordnungskategorien, Geltungs-, Rang- und Herrschaftsansprüchen.12 Auf diese Weise wird aufgezeigt, in welchem Maße sowohl Grenzen als auch Möglichkeiten des politischen Handelns der Äbtissinnen in den Strukturen des frühneuzeitlichen Herrschaftsgefüges verankert waren und wie sie diese strukturellen Rahmenbedingungen durch ihr Handeln mitgestalteten.

Das Kapitel als Mitregent Im Frühjahr 1697 beschwerten sich Pröpstin, Dekanissin und Kanonissin des Quedlinburger Stifts bei Kaiser Leopold I., dass die Regier= und Haußhaltung autocrative und eigenmächtig, alß ob Quedlinburg kein Stift, sondern ein Erbfürstenthum were, [von der Äbtissin, Anm. d. Verf.] geführet, und das Capitul, auch von denen wichtigsten Stiftischen Angelegenheiten, wozu sonst dasselbe von Rechts und Herkommens, auch obliegender Pflicht wegen, mit Raht und einwilligung gehöret, außgeschloßen [würde].

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Stellvertretend seien hier nur genannt ASCH, FREIST (Hg.), Staatsbildung als kultureller Prozess; MEUMANN, PRÖVE (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit; STOLLBERGRILINGER (Hg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? LÜDKE, Herrschaft als soziale Praxis, besonders S. 12-18. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 16.

4.1. Verhandeln

167

Sie beklagten weiterhin, dass sie selbst vor bloße auffwärterinnen der Frau Abtißin, ja fast vor dero Sclavinen geachtet würden.13 Seit dem Amtsantritt der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar im Jahr 1685 hatte diese kein Mal eine offizielle Kapitelsitzung einberufen, um die Kapitularinnen an der Administration zu beteiligen.14 Stattdessen hatten sich auf Seiten des Kapitels vielfältige Beschwerden angehäuft. Hierzu gehörten neben der mangelnden Beteiligung an der Stiftsregierung die eigenmächtige Bestellung eines neuen Hofpredigers, die mangelnde Rechnungslegung, der willkürliche Verkauf von Stiftskleinodien, die schimpfliche Behandlung der Kapitularinnen, die Besteuerung der Propsteigüter sowie der Ausschluss von der abteilichen Tafel.15 Später kam auch noch die eigenmächtige Ansetzung einer Coadjutorinnenwahl dazu.16 Etwa zur gleichen Zeit entstand ähnlicher Unmut im Herforder Kapitel. Bereits seit der Wahl einer neuen Äbtissin im Jahr 1688 standen sich die später erwählte Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland und die Dekanissin Sophie Ernestine zu Lippe als Kontrahentinnen gegenüber.17 Dieses Konkurrenzverhältnis belastete die Beziehung zwischen den beiden Frauen auf Dauer und gipfelte schließlich im offenen Zerwürfnis zwischen ____________ 13

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Quedlinburger Kapitel an Kaiser Leopold I. (28. Mai 1697): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei Kleinere Reichsstände 415-3-4, fol. 182r-184v; Quedlinburger Kapitel an Kaiserin Eleonore von Pfalz-Neuburg (1. Juni 1697): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei Kleinere Reichsstände 415-3-4, fol. 186r-188v. Vgl. die in verschiedenen Beschwerdeschriften versammelten Gravamina des Kapitels: Magdeburg LHASA Rep. A 20 tit. V Nr. 12. Darin beschweren sich die Kapitularinnen unter anderem, dass während der gesamten zwölfjährigen Regierung keine Kapitelsitzungen einberufen wurden. Gravamina des Kapitels aus den Jahren 1690 und 1695: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 12, fol. 191r-199r, 216r-227v. Quedlinburger Kapitel an Friederich August I./II. von Sachsen (28. Mai 1697): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.V Nr. 28, fol. 645r-646r. Dabei handelte es sich um die geplante Wahl der ehemaligen Maitresse des sächsischen Kurfürsten August dem Starken, Maria Aurora von Königsmarck, zur künftigen Nachfolgerin der Äbtissin. Vgl. hierzu MAI, Maria Aurora von Königsmarck, des Kayserlichen Freiweltlichen Stiftes zu Quedlinburg Pröpstin; SCHRÖDER, Maria Aurora von Königsmarck als Pröpstin des Stiftes Quedlinburg. Trotz der Bereitschaft, hohe Bestechungsgelder an ihre Mitkapitularinnen und -kapitulare zu zahlen, konnte sich die Gräfin zu Lippe in den Wahlverhandlungen nicht gegen die Herzogin von Kurland durchsetzen, deren Kandidatur von ihrem Onkel Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg nachdrücklich protegiert wurde. Friedrich Wilhelm an seinen Landdrosten in der Grafschaft Ravensberg Clamor von dem Bussche (8./18. April 1688): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 1211.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Äbtissin und Dekanissin.18 Konkreter Auslöser für den Ausbruch des innerstiftischen Konfliktes im Jahr 1696 war die Forderung der Äbtissin gegenüber der Dekanissin zur Errichtung eines neuen Dekanissinnenhauses.19 Da sich Sophie Ernestine dieser starken finanziellen Belastung nicht gewachsen sah und sich der Forderung der Äbtissin kategorisch zu entziehen suchte, zog sie es vor, ein Haus in der Stadt Herford anzumieten. Mit ihrem Umzug auf städtisches Hoheitsgebiet jenseits des direkten Einfluss- und Jurisdiktionsbereichs der Äbtissin beschwor die Gräfin zu Lippe den Ärger und Widerstand Charlotte Sophies herauf. Hinzu kamen auf beiden Seiten weitere Vorwürfe: Die Äbtissin beklagte die unerlaubte Abwesenheit aus dem Stift, Ungehorsam und Pflichtverletzung der Dekanissin.20 Die Dekanissin warf Charlotte Sophie hingegen die Einschränkung ihrer Rechte als Dekanissin, indem sie das Einberufungsrecht des Kapitels für sich als Äbtissin beanspruchte, und mangelnden Respekt gegenüber der Gräfin als reichsfürstlicher Standesperson vor.21 Der Ausschluss der Kapitularinnen von den Regierungsgeschäften sowie ihre Behandlung wie einfache Untertanen widersprachen ihrem Selbstverständnis als Mitregenten und Teilhabern an der obrigkeitlichen Stellung sowie ihren Rangansprüchen als Mitgliedern gräflicher und fürstlicher Häuser.22 Zu den Verfassungsbedingungen geistlicher Staaten gehörte neben ihrem Wahlcharakter die gemischt „aristokratisch-monarchische Verfassung“,23 welche aus dem Bischof, Abt oder der Äbtissin und dem jeweiligen ____________ 18

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Charlotte Sophie von Kurland betonte mehrfach gegenüber ihrem Schwager, dem Landgrafen Karl von Hessen-Kassel, dass die Dekanissin sich bereits seit ihrer Inthronisation ungehorsam gezeigt habe: Sie erkenne die neuernannte Küsterin Gräfin von Horn nicht an und weigere sich, an der Inthronisationsfeier teilzunehmen. U.a. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (18. Juli 1698): Marburg HStA 4 f Preußen Nr. 434. Vgl. wiederholte Aufforderung der Äbtissin gegenüber der Dekanissin zum Wiederaufbau des Dekanatshauses (1675, 1696): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1472; Sophie Ernestine zu Lippe an Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg (2. Juni 1696): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3097; Relation über die Streitigkeiten von Seiten des brandenburgisch-preußischen Schutzherrn verfasst (o.D. [1702]): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3121. Vgl. Androhung der Suspendierung durch Charlotte Sophie von Kurland (7. Juli 1696), in Instrumentum Protestationis der Dekanissin (11. Juli 1696): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 276. Vgl. ebd. Vgl. CHRIST, Selbstverständnis und Rolle der Domkapitel. GÖTTMANN, Der nordwestdeutsche geistliche Staat, S. 25.

4.1. Verhandeln

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Dom- oder Stiftskapitel bestand. Zu den Aufgaben des jeweiligen Kapitels zählten zunächst die Wahl des geistlichen und weltlichen Oberhauptes, die Regierung des Stifts sede vacante sowie die jeweils unterschiedlich ausgeprägte Teilhabe an der Regierung außerhalb der Vakanz.24 Dessen Mitglieder nahmen somit eine wichtige politische Stellung ein. Das Ausmaß politischer Partizipation und Einflussnahme waren jedoch keine feste Größe, sondern mussten immer wieder aufs Neue in der Interaktion der beteiligten Akteure ausgehandelt werden, wozu ihnen unterschiedliche Medien zur Verfügung standen.

Wahlkapitulation, Verfahren, Vertrag Zentrales Medium zur Regelung des Verhältnisses zwischen Äbtissin und Kapitel war die Wahlkapitulation, die eine neuerwählte Äbtissin in jedem der drei Stifte nach ihrer Wahl unterzeichnen und sich damit zu ihrer Befolgung verpflichten musste.25 Urheber der Kapitulation waren in der Regel die Mitglieder des Kapitels,26 die diese Form des Herrschaftsvertrages nutzten, um sich wie ihre männlichen Pendants in den Domkapiteln Einfluss, Mitsprache und die Wahrung ihrer Privilegien sowie Rechte zu sichern. Ein Blick in die Wahlkapitulationen des Stifts Herford belegt jedoch, dass es sich hierbei nicht um dauerhafte Regelungen, sondern um Momentaufnahmen des innerstiftischen Kräfteverhältnisses handelte. Zwar griff man in Herford immer wieder auf einen ähnlichen Wortlaut bei Abfassung der Kapitulation zurück, es lassen sich aber Unterschiede feststellen. Die Bestimmungen zur Beteiligung des Kapitels an der Stiftsregierung variierten beispielsweise darin, inwieweit und wie verpflichtend die Äbtissin das Kapitel zu den Regierungsgeschäften hinzuziehen musste. Während Elisabeth Louise von Pfalz____________ 24 25

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Vgl. ANDERMANN, Die geistlichen Staaten, S. 601. Im Stift Quedlinburg waren solche Wahlkapitulationen auch für die drei weiteren Prälaturen der Pröpstin, Dekanissin und Kanonissin üblich. Vgl. z. B. Kapitulation der Pröpstin Elisabeth von Rheinstein (12. März 1649), in KETTNER, Antiquitates Quedlinburgenses, S. 687-690. Im Stift Essen wurden Wahlkapitulationen im Jahr 1638 ebenfalls für die Pröpstin eingeführt. Urheber dieser Kapitulation war hingegen nicht das Damenkapitel, sondern die Äbtissin und ihre Ratgeber. Sie zielte jedoch ebenso darauf ab, den Handlungsspielraum der Pröpstin diesmal nur zu Gunsten der Äbtissin zu beschränken. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 84-87. Die ersten Essener Wahlkapitulationen, die zurzeit von Reformation und Rekatholisierung entstanden sind, gehen hingegen auf einzelne Kanoniker zurück, die mit Unterstützung des Kölner Erzbischofs und seines Umfeldes handelten. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 108f.; HOEDERATH, Die Wahlkapitulationen, S. 111f.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Zweibrücken 1649 zusicherte, die Mitglieder des Kapitels an der Regierung zu beteiligen, wurde Elisabeth von der Pfalz 1667 nur aufgefordert, nach eigenem Ermessen über die Hinzuziehung des Kapitels zu entscheiden.27 Charlotte Sophie von Kurland schaffte es sogar, die Beteiligung des Kapitels an der Administration nachträglich ganz aus ihrer Kapitulation zu streichen. Zwar hatte das Herforder Kapitel während des Wahlgeschäfts 1688 mit der Abänderung und gegenseitigen Ratifizierung einer veränderten Wahlkapitulation versucht, seine Stellung gegenüber der künftigen Äbtissin zu verbessern.28 Hierzu war § 7 so verändert worden, dass das Kapitel fortan an der Regierung des Stifts beteiligt werden musste: 7. Die Frau Abdißin will sich gefallen laßen, daß die Regierung der Abdey mit Rhat der residirende Decanissin, Küsterin, Chanoinessin undt Capitularen undt deren so von der Frau Abdißinnen undt Einem hoch undt wolwürdigen Capitulo darzu deputiret und verordnet, administriret undt verwaltet werden.

Darüber hinaus hatte man sich mehr Mitspracherechte bei der Auswahl der Stiftsdiener gesichert. In der Version der Wahlkapitulation, die von der neuerwählten Äbtissin schließlich im Zuge ihrer Inthronisation am 2. Februar 1689 unterschrieben wurde,29 fehlten diese Zugeständnisse jedoch.30 Zwischen Wahl und Inthronisation war es Charlotte Sophie scheinbar gelungen, die Kapitulation zu ihren Gunsten abzuändern und die Verpflichtung, das Kapitel an der Stiftsregierung zu beteiligen, herauszustreichen.31 Die eingangs skizzierten innerstiftischen Auseinandersetzungen zeigen zudem, dass der Abschluss von Wahlkapitulationen ein friedliches Miteinander von Äbtissin und Kapitel nicht dauerhaft garantieren musste. Viel____________ 27

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Vgl. die Wahlkapitulationen der Äbtissinnen Elisabeth Louise von Pfalz-Zweibrücken (reg. 1649-1667) und Elisabeth von der Pfalz (reg. 1667-1680): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1245. Vgl. hierzu und im Folgenden Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1211. Darin finden sich drei Versionen der Wahlkapitulation. Hier ist die 3. Version gemeint, welche auf den Wahltag, 20./30. Juni 1688, datiert ist und von allen Kapitelmitgliedern persönlich oder durch deren Abgesandte unterzeichnet worden ist. Vgl. Beschreibung des solennen Aktes der Inthronisation, bei welcher die Äbtissin in ganz wörtlichem Sinne Possession von der Abtei ergriff, indem sie unter den Klängen des te deum auf den Hochaltar gesetzt wurde: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1219. Wahlkapitulation (2. Febr. 1689): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1211. Vgl. das Kapitelprotokoll (28. Jan. 1689), welches einen Vortrag der Äbtissin zur Abänderung der Kapitulation erwähnt: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1211.

4.1. Verhandeln

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mehr begegnet häufig der Vorwurf des Kapitels, die Äbtissin würde sich nicht an die unterzeichnete Wahlkapitulation halten.32 Zudem boten die häufig offenen Formulierungen für beide Seiten Interpretationsspielräume, die Platz für nachträgliche Forderungen ließen. Äbtissin und Kapitel befanden sich demnach in einem fortdauernden Abgrenzungsprozess ihrer jeweiligen Kompetenzbereiche, in dem die Abfassung von Wahlkapitulationen nur ein Medium darstellte. Nicht selten entstanden daher auch während der Regierung einer amtierenden Äbtissin Konflikte oder es brachen unterschwellige Konkurrenzen mit Kapitelmitgliedern erst mit zeitlicher Verzögerung offen aus, wie in den eingangs zitierten Beispielen. In dieser Situation gewann zunehmend der rechtliche Austrag des Konfliktes vor einem der beiden Reichsgerichte oder vor einer übergeordneten geistlichen Instanz wie dem päpstlichen Nuntius oder der Rota an Bedeutung. Die Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach war Mitte der 1730er Jahre gleich in zwei Prozesse mit dem Gräflichen Kapitel verstrickt. In dem einen Konflikt ging es um den Skandal (scandalum), den die Kanonissen mit ihrer verweigerten Teilnahme an den pro publicis necessitatibus von der Äbtissin angeordneten Gebeten (preces) und Prozessionen zwischen Weihnachten und Drei-Königs-Tag in der Münsterkir____________ 32

Beschwerde des Herforder Kapitels beim Reichshofrat wider Charlotte Sophie von Kurland (praes. 17. Jan. 1697): Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata recenti Nr. 114/4. Die Kapitularinnen beklagten darin, dass sie 1688 die Hoffnung gehabt hätten, mit der Wahl einer neuen Äbtissin eine friedliche und ruhige Regierung zu bekommen, so wie es in der Kapitulation bekräftigt und vom Kurfürsten von Brandenburg und Landgrafen von Hessen-Kassel garantiert worden wäre. Diese Hoffnung sei jedoch schnell geschwunden, indem man nicht allein Stifftslehen und andere Leute ihres Rechtes entsezet, Ihnen ihre privilegia entzogen, mit benachbahrten hohen und niedrigen in stetem unfriede lebet, sondern auch das Capitulum angegriffen, und nachdem man selliges auf mancherley Art und Weise in seinen Gliedern gekränket, endlich gar dessen Haupt, die Decanissin Reichsgrävin und Elde Fr. zur Lippe, welche bißhero deß Capituli authoritet und gerechtsahme noch einiger massen erhalten, zu suspendiren und abzusezen, mithin das Capitulum gar übnern Haufen zu werffen unternimbst, und also alles in confusion und stetige Unruhe sezet. In ihrer Kapitulation hatte Charlotte Sophie unter anderem versichert, Untertanen und Kapitel in ihren Rechten zu bewahren. Wahlkapitulation Charlotte Sophies von Kurland (2. Febr. 1689): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1211. Die Quedlinburger Kapitularinnen wandten sich im Streit mit der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar um ihr eigenmächtiges Regiment an Kurfürst Friedrich August I./II. von Sachsen und Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar als Garanten der Wahlkapitulation der Äbtissin, damit diese sie zur Beachtung der darin festgelegten Umgangsweisen und Rechte aufforderten. Kapitularinnen an Kurfürst Friedrich I./II. August (30. März 1695) und Herzog Wilhelm Ernst (30. März 1695): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 12, fol. 215r-v, 228r-v.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

che ausgelöst hatten.33 Lediglich die Dekanissin hatte sich neben dem Klerus in der Kirche eingefunden, um ihr Amt als hebdomedaria zu versehen.34 Während der Prozession war sie aber auf dem Chor sitzen geblieben und hatte mit diesem Verhalten den Spott (irredentium) der evangelischen Stadtbewohner (Acatholicorum) gegenüber den Katholiken heraufbeschworen. Als Grund für ihren anhaltenden Widerstand gaben die Kapitularinnen an, dass die Äbtissin die Ansetzung zusätzlicher Gebete und Prozessionen mit ihnen hätte abstimmen müssen. Ihr eigenmächtiges Vorgehen beeinträchtige hingegen die Stiftsdamen in ihren antiquis laudabilibus consuetudinibus, et privilegiis.35 Um diese Argumente zu stützen, ließen die Kapitularinnen einerseits Zeugen befragen, welche die Kompetenzen der Dekanissin sowie der weiteren Stiftsdamen in Hinblick auf die Gestaltung des Chordienstes belegten, andererseits verwiesen sie auf die Wahlkapitulation von 1578, mit der sich die erwählte Äbtissin dazu verpflichtete, die antiqua statuta, observationes, et consuetudines et c. ex fundationibus, donationibus, pactis, vel moribus ortus zu respektieren und das consilium des Kapitels einzuholen.36 Die Angelegenheit wurde vor dem päpstlichen Nuntius, zwischenzeitlich auch vor der Rota als den zuständigen übergeordneten Instanzen verhandelt.37 Zwar entschied der Nuntius zu Gunsten der Äbtissin und ihrer Jurisdictio Ecclesiastica, die Stiftsdamen hielten das Verfahren an der Nuntiatur aber in der Schwebe und ____________ 33

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Nachträglich gedruckte summarische Erzählung (Summarium) samt verschiedener Beilagen erstellt durch R.P.D. Parracciano, vermutlich Bediensteter an der päpstlichen Nuntiatur in Köln (o.D. [1741]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 237, fol. 194r211v; darin Abschrift der Anordnung zusätzlicher Gebete und Prozessionen durch Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (18. Dez. 1733), fol. 202r. Die Teilnahme der vollwertigen Stiftsdamen am Chordienst war freiwillig. Lediglich eine Kanonissin hatte reihum den wöchentlichen Dienst während des Chorgebetes und der Messen zu erfüllen. Hiervon leitet sich der lateinische Begriff der hebendomendaria bzw. des hebendomendarius, die Herforder Bezeichnung für die männlichen Kapitulare, also Wochenfrau bzw. Wochenherr, ab. Schreiben des Kapitels an die Äbtissin (o.D. [Jan. 1734]), abgedruckt in Nachträglich gedruckte summarische Erzählung (Summarium) (o.D. [1741]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 237, fol. 202v-203r. Vgl. das Protokoll der Zeugenbefragung (14. Aug. 1741) sowie den Auszug aus der Wahlkapitulation von 1578, Beilagen zum nachträglichen Druck der Sententia des päpstlichen Nuntius vom 11. Mai 1735 [1741]: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 237, fol. 191r-192v, 186v-188r. Die Klage der Kanonissen an der Rota wegen der für sie nachteiligen Entscheidung des Nuntius wurde abgelehnt. Entscheidung der Rota (8. Juni 1739), abgedruckt in der nachträglich gedruckten summarischen Erzählung (Summarium) (o.D. [1741]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 237, fol. 208v-209r.

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damit ihren Widerstand aufrecht, indem sie die wiederholten citationes des Nuntius ignorierten, so dass auch nach sieben Jahren der Konflikt nicht endgültig beigelegt werden konnte.38 Die andere Auseinandersetzung betraf anstatt geistlicher Belange das regimen civile et politicum.39 Im Frühjahr 1734 hatten zwei Kapitularinnen die Visitation der Kamine in ihren Kurien durch den Offizial verweigert, weil ihnen diese Prüfung weder angekündigt worden war noch der Offizial eine Special-Commission oder Mandate der Äbtissin vorweisen konnte.40 Er erweckte damit den Anschein, als würde er ordinariae jurisdictionis officialatus und nicht im Namen der Äbtissin handeln. Die Stiftsdamen verweigerten daraufhin die Visitation der Kamine, worauf wiederum der Offizial einen Strafprozess gegen die beiden Kapitularinnen eröffnete und schließlich eine Geldstrafe von 200 Goldgulden verhängte.41 Die unehrenhafte Behandlung der Kapitularinnen in diesem Prozess, in dem der Offizial sowohl das ergangene Strafmandat nicht verschlossen überbringen, sondern öffentlich anschlagen ließ und die Stiftsdamen damit dem Schimpff und Spott aller vorbey gehenden Spectatores aussetzte, als auch die Rechtfertigung der Kapitularinnen ignorierte, führte zur Ausweitung des Konfliktes. Obwohl die Visitation der Kamine im Mai doch noch stattfand und die Geldstrafen gegenüber den beiden Stiftsdamen erlassen wurden, wandten sich die Mitglieder des Gräflichen Kapitels wenig später in dieser Sache ebenfalls an die nächst höhere Gerichtsinstanz, das Reichskammergericht in Wetzlar, und engagierten den bekannten Anwalt Johann Jacob Zwierlein.42 Der Streit um die Teilnahme an zusätzlichen Gebeten und Prozessionen und um die Visitation der Kamine waren nur die Auslöser der innerstiftischen Auseinandersetzungen, im Kern ging es um die sich immer wieder neu entzündende Streitfrage nach dem Verhältnis zwischen Äbtissin und Kapitel.43 ____________ 38

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Vgl. die citationes des päpstlichen Nuntius vom 27. Febr., 20. März, 20. April u. 12. Mai 1741, in der nachträglich gedruckten summarische Erzählung (Summarium) (o.D. [1741]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 237, fol. 209r-210r. Kapitelprotokoll (o.D. [Jan. 1736]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 134, fol. 1v. Paritionserklärungen der Kapitularinnen (17. April, 30. April u. 20. Mai 1734): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1647, fol. 90r-92r, 96r-99r. Dekret des Offizials gegenüber den Kapitularinnen (15. Mai 1734): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1647, fol. 94v. Vgl. SAUER, Zwierlein, Freiherr Johann Jacob von. S. u. Kap. Zwei Herrschaftsmodelle.

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Die Beispiele zeugen von der zunehmenden Verrechtlichung innerstiftischer Konflikte. Immer häufiger schalteten Äbtissin und Kapitel im Streit eines der beiden Reichsgerichte ein, anstatt in direkten Verhandlungen oder durch Vermittlung des Schutzherrn, eines Lehnsmannes oder Standesgenossen eine Lösung herbeizuführen. Der Verrechtlichungsprozess spiegelt sich auch in der Praktik der Beweisführung wider. Die Behauptung von Rechtsansprüchen wie im Fall des Mitbestimmungsrechtes der Essener Kapitularinnen beim Erlass zusätzlicher Gebete und Prozessionen erforderte vor Gericht einen Beweis, der durch Zeugenbefragungen und die Vorlage von Urkunden und Verträgen erbracht wurde. Allerdings wurde nur in seltenen Fällen ein endgültiges Urteil gefällt und der Streit damit beigelegt, sondern die Auseinandersetzungen vielmehr dauerhaft in der Schwebe gehalten, so dass sie immer wieder von Neuem ausbrechen konnten. Nichtsdestoweniger bestanden auch andere Modi der Konfliktführung wie bilaterale Verhandlungen fort und wurden vielmals parallel angewandt oder als Versatzstücke in den Verfahrensablauf vor Gericht eingebunden. Sie stellten zudem eine Alternative für den Fall dar, dass eine Partei vor Gericht erfolglos geblieben war oder die Klage abgewiesen wurde – so geschehen im Streit zwischen den Essener Landständen und der Äbtissin um den Erlass einer Forstordnung Mitte der 1780er Jahre. Als Maria Kunigunde im Jahr 1786 eine neue Forstordnung im Stift Essen erließ, beklagten sich zunächst nur die Kapitularinnen über dieses eigenmächtige Vorgehen und bestanden darauf, bei solchen allgemeinen Landes Verordnungen zu concurrieren.44 Die Äbtissin beschied ihnen hingegen: Zu Erichtung Landesfürstl. Verordnungen bin ich gar nicht verbunden, meine Landes Stände vorläufig mit ihrer beiräthigen Meinung einvernehmen zu lassen.45 Darauf klagten die Kapitularinnen gemeinsam mit den Kanonikern vor dem Reichskammergericht, um nicht ihre heiligste Pflicht [zu] verletzten, indem sie die Wahrung ihrer übertragenen Rechte vernachlässigten.46 Die Ritterschaft als dritter Landstand trat der Klage erst später bei.47 In der Klage ging es nicht grundsätz____________ 44

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Kapitelprotokoll (31. Dez. 1785) und ausgefertigtes Anschreiben des Gräflischen Kapitels an die Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen (9. Jan. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 136, fol. 144v, 146r. Antwort der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen auf das Anschreiben der Kapitularinnen (14. Jan. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 136, fol. 146v147r. Anschreiben des Gräflichen Kapitels an die Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen (3. April 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 136, fol. 148r-v. Die Ritterschaft trat dem Vorhaben erst Ende April 1786 offiziell bei. Vgl. Beitrittserklärung der Dechantin des Stiftes Stoppenberg, des Freiherrn von Wendt und in Vertretung

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lich um die Inhalte der Verordnung, sondern um den Modus ihrer Entstehung ohne Hinzuziehung der Landstände. Zwar wurde die Äbtissin daraufhin mit einem Schreiben um Bericht aufgefordert, zu der Klage Stellung zu nehmen,48 das Verfahren an sich wurde jedoch im März 1786 vorerst abgewiesen.49 Versuche, den Prozess durch weitere Suppliken unter anderem wegen dem Erlass einer Tanzordnung im Sommer 1787 doch noch zu befördern,50 scheiterten.51 In dieser Situation wandten sich die Landstände an den Obersthofmeister Maria Kunigundes, der als Vertreter der Äbtissin während ihrer Abwesenheit fungierte. Während einer Audienz äußerten sie ihm gegenüber den Wunsch, den Konflikt mit Hilfe einer Kommission beizulegen, zu welcher sowohl Vertreter der Äbtissin als auch der Landstände abgeordnet werden sollten.52 Maria Kunigunde stimmte diesem Vorhaben zu.53 Unter Federführung ihres Oberhofmeisters wurde in den folgenden Jahren der Landesgrundvergleich ausgearbeitet,54 in dem erstmals die ständische Verfassung des Stifts in 15 Artikeln skizziert wurde.55 Hierbei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt, an dem sowohl Vertreter der Äbtissin als auch der Kapitel und Landstände beteiligt waren. Die Abgeord____________

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des Freiherrn von Asbeck (26. April 1786, 3. Mai 1786, o.D.): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 728, S. 1501f.; Kapitelprotokoll Gräfliches Kapitel (3. April 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Nr. 136, fol. 148r. Abschrift Schreiben um Bericht an Maria Kunigunde von Sachsen (29. März 1786) und Gegenbericht (Exhib. 25. Okt. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 728, S. 1245-1247, 909-989. Dekret des Reichskammergerichtes an den Anwalt der Äbtissin Lipmann (28. März 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 728, S. 1605f. Supplik der Landstände (o.D. [Ende 1787]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 728, S. 1291-1335. Korrespondenz des Anwaltes der Landstände Lorsbach mit dem Syndikus des Gräflichen Kapitels (26. Nov. 1786 u. 15. Nov. 1788): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 728, S. 1461-1463 u. 1465f. Untertänigster Vortrag des Obersthofmeisters Franz Anton Graf von Aicholt gegenüber der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen (4. März 1789): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 732. Maria Kunigunde von Sachsen an ihren Obersthofmeister von Aicholt (8. März 1789): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 732. Auftrag der Äbtissin an Obersthofmeister von Aicholt zur Beratschlagung mit den Abgeordneten der Landstände (22. März 1789): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 732; Kommissionsauftrag für Obersthofmeister von Aicholt (5. Sept. 1792): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 732; unterschiedliche Stadien der Abfassung des Landesgrundvergleichs von Notizensammlung bis hin zu fertigen Ausformulierungen, in: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 732. KÜPPERS-BRAUN, Die landständische Verfassung, S. 114.

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neten unternahmen den Versuch, die verschiedenen, historisch gewachsenen Rechtsbereiche der Abtei, des Stifts und des Landes zu unterscheiden. Korrespondierend hierzu differenzierten sie zwischen den Kompetenzen der Äbtissin, der Fürstin-Äbtissin und der Fürstin sowie der beiden Kapitel als solcher und in ihrer Funktion als Landstände. Wie schwierig ihnen diese Unterscheidung fiel, belegt die an mehreren Stellen des Landesgrundvergleichs gebrauchte Formulierung Kapitel oder Landstände, wenn nicht eindeutig war, wer nun über das verbriefte Recht verfügte.56 Vor allem das Gräfliche Kapitel verfügte über althergebrachte Rechte, auf deren Grundlage es eine herausgehobene Stellung innerhalb des Stifts sowie des Landes einnahm und weitreichende Mitspracherechte bei der Administration von Stift und Land Essen beanspruchen konnte. Der Landesgrundvergleich bestätigte nicht nur das Steuerbewilligungsrecht der Stände sowie deren Hinzuziehung beim Erlass von Gesetzten, sondern schrieb zudem den Konsens der Stände zu allen Veräußerungen und Beschwerungen des Landes, bey allen Geschäften, welche die Landes Verfaßung im Ganzen und in ihren Theilen fest. Die Landstände erhielten darüber hinaus das Selbstversammlungsrecht zugebilligt. Die Fürstin wurde hingegen als Landesherrin mit uneingeschränkter weltlicher Jurisdiktionsgewalt bestätigt. In den Verhandlungen um den Landesgrundvergleich gelang es den Landständen somit, ihre Mitherrschaft in Stift und Land Essen, die vormals von der Äbtissin und ihren Räten wiederholt bestritten worden war, verfassungsrechtlich festzuschreiben.

Zwei Herrschaftsmodelle Innerstiftische Auseinandersetzungen stellten sich immer wieder und zu allen Zeiten in der Geschichte der Stifte ein. Dennoch lässt sich an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert eine gewisse Steigerung sowohl an Qualität als auch an Quantität ausmachen. Während die Streitigkeiten in den Stiften Herford und Quedlinburg über mehrere Jahre nicht abbrachen und teilweise eine Generation überdauerten,57 prägten wiederkehrende Streitigkeiten das Zusammenleben im Stift Essen. Einen Erklärungsansatz für diese Beobachtung liefern die Suppliken der beiden Essener Anwälte von Äbtissin ____________ 56 57

Vgl. ebd., S. 128. Siehe im Landesgrundvergleich z.B. Art. VI, §§ 6, 7 u. 8. Das innerstiftische Zerwürfnis zwischen Herforder Äbtissin und Teilen des Kapitels, das in der Konkurrenz zwischen Charlotte Sophie von Kurland und Sophie Ernestine zu Lippe in den 1690er Jahren wurzelte und schließlich zu einer Spaltung des Kapitels zwischen Parteigängern der Äbtissin sowie der oppositionellen Kapitelmitglieder führte, überdauerte 30 Jahre sowie den Tod beteiligter Akteure wie der Gräfin zu Lippe.

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und Damenkapitel vor dem Reichskammergericht im Streit um die Visitation der Kamine. Zwierlein, der Anwalt der Kapitularinnen, hob die Standesqualität seiner Mandantinnen hervor, die aller derjenigen rechten, so einen uhnmittelbaren Reichsstand, als in Specie einer zeitlichen Fürstin allda zukommen [ebenso] fähig [seien].58 Aus der standesrechtlichen Stellung des Kapitels leitete der Anwalt schließlich nicht allein das Recht auf die Stiftsadministration während der Sedisvakanz, sondern auch die Mitherrschaft des Gräflichen Kapitels während der Regierung einer zeitigen Äbtissin ab. Demnach dürften die Kapitularinnen auch bey der administration der Fürstln Landes=Hoheit so gar nicht ausgeschlossen werden. Der Anwalt der Äbtissin behandelte die Kapitularinnen hingegen als Untertanen und betonte die [Hochfürstliche] Authoritaet der Äbtissin sowie ihre Stellung als alleinige Obrigkeit.59 Erst in einer zweiten Supplik räumte er ein, dass die Kapitularinnen zwar nicht mit gemeinen Untertanen gleichzusetzen wären, es wäre aber doch unzweifelhaft, dass es sich bei ihnen dennoch um mittelbahre Untertanen der Äbtissin handele.60 Daraus gehe ebenso hervor, dass die Behauptung, das Gräfliche Kapitel habe auch post legitimam electionem Pricipis Anteil an der administration der Fürstl. Landeshoheit, ein absurdes nicht beantworthens würdiges assertum wäre. Die Argumentation beider Seiten macht deutlich, dass sich hier zwei divergierende Herrschaftsmodelle gegenüberstanden, die den innerstiftischen Auseinandersetzungen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugrunde lagen: auf der einen Seite die Äbtissin, welche die staatsrechtliche Vorstellung einer alleinigen Landeshoheit des Fürsten bzw. der Fürstin vertrat, auf der anderen Seite die Mitglieder des Kapitels, die an ihrer herkömmlichen Mitregentschaft festhielten. Die Zurückdrängung korporativer Mitherrschaft kann als Charakteristikum des 17. und 18. Jahrhunderts ausgemacht werden. Zwar hat die jüngere Forschung den Niedergang der ständischen Verfassung nach dem Dreißigjährigen Krieg sowie die damit verbundene Etablierung einer ‚absoluten‘ Herrschaft des Fürsten relativiert.61 Dennoch bleibt festzuhalten, dass im Prozess der Territorialstaatsbildung die technischen Zuständigkeiten korporativer Verbünde wie Landstände oder aber Kapitel zunehmend kanalisiert ____________ 58

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Supplik des Anwalts Zwierlein (27. Febr. 1737): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1647, fol. 231r-285r. Gegen-Supplik des Anwaltes der Äbtissin Johann Adolf Brandt (27. Juni 1736): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1647, fol. 131r-175r. Weitere Gegen-Supplik des Anwaltes Johann Adolf Brandt (27. Aug. 1738): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1647, fol. 317r-395v. Vgl. hierzu NEU, Die Erschaffung der landständischen Verfassung; DERS., Landtag; mit weiterführender Literatur KRÜGER, Die landständische Verfassung.

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und der Herrschaft des Landesherrn bzw. der Landesherrin nachgeordnet, während die symbolischen Ausdrucksformen der Partizipation beibehalten wurden.62 Die Regierungspraxis richtete sich immer deutlicher auf die Person der Fürstin-Äbtissin aus. Befördert wurde diese Entwicklung in den drei Stiften durch die Zurückdrängung der ehemals führenden, vielmals regional ansässigen reichsgräflichen Familien innerhalb der Stiftskapitel zu Gunsten von Kapitularinnen aus fürstlichen Dynastien, die sich dann auch in den Wahlen um das Äbtissinnenamt durchsetzten. Während die reichsgräflichen Kapitularinnen einem stärker am genossenschaftlichen Denken orientierten Regierungsstil anhingen, der auch für den Zusammenschluss der Reichsgrafen in den Grafenvereinen sowie für die ebenfalls reichsgräflich dominierten Domkapitel typisch war,63 eiferten die Äbtissinnen aus fürstlichen Dynastien dem eigenmächtigen Regierungsstil ihrer männlichen Verwandten nach.64 Anders aber als in weltlichen Territorien blieb die Etablierung des Konzeptes der Landeshoheit, bei dem sich die Regierungspraxis immer deutlicher auf die Person des Fürsten ausrichtete, jedoch an den spezifischen Strukturen geistlicher Staaten stecken. Denn angesichts der tragenden Rolle der Kapitel als Wahlgremium sowie bei der Aufnahme von Stiftsdamen, der Bestellung von weiteren Amtsträgerinnen und während der Vakanz blieben die Äbtissinnen in vielfacher Hinsicht strukturell auf deren Konsens angewiesen. Dennoch mussten die Äbtissinnen ihren Anspruch auf die Landeshoheit, ebenso wie die Kapitel auf die Mitregentschaft, betonen. Keine der beiden Seiten durfte von ihrer Position abweichen, wollten sie ihre Ansprüche auch gegenüber Dritten wie dem Schutzherrn wahren. Daher blieben die Konflikte in der Regel unentschieden und auf Dauer gestellt, was sich mitunter als nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle erwies.

Gefährliche Uneinigkeit Mitte der 1730er Jahre gerieten die Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf und ihre Nichte Hedwig Sophie Auguste, die sie selbst zunächst als Stiftsdame aufgenommen und ihr dann den Aufstieg ins ____________ 62

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Vgl. grundlegend PRESS, Vom Ständestaat zum Absolutismus. Zu konkreten Beispielen in geistlichen Fürstenstümern vgl. NEU, Inszenieren und Beschließen; STOLLBERGRILINGER, Herstellung und Darstellung politischer Einheit. Vgl. ARNDT, Zwischen kollegialer Solidarität und persönlichem Aufstiegsstreben; DERS., Das niederrheinisch-westfälische Reichsgrafenkollegium; PRESS, Reichsgrafenstand und Reich, S. 9f.; SCHRAUT, Die Bischofswahl im Alten Reich; DIES., Dynastische Herschaftssicherung, S. 213. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 159-162.

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Amt der Pröpstin ermöglicht hatte, in einen unüberbrückbaren Zwiespalt. Hedwig hatte das Stift ohne Erlaubnis der Äbtissin verlassen und hielt sich seit mehreren Monaten bei ihrer Mutter, der verwitweten Fürstbischöfin von Lübeck,65 auf. Grund für ihre Abreise waren die derben Scherz-Reden des Hofmarschalls August Christian von Blücher und seiner Anhänger, die sie, zwar verblümt, doch sehr deutlich, eine H… nennen, Unregelmäßigkeiten bei den Einkünften der Propstei sowie der eigenmächtige Regierungsstil der Äbtissin.66 Der Stiftshauptmann erkannte die Chance, die sich aus diesem innerstiftischen Konflikt für seinen Dienstherrn, den preußischen König, ergab. Er berichtete nach Berlin: Inzwischen meritiret diese Sache nicht geringe Attention, und dürffte vielleicht zu Erreichung Ewer Königlichen Majestaet führenden allerhöchsten Intention einen bequemen Weg bahnen.67 Die entstandenen innerstiftischen Irrungen sollten dazu genutzt werden, die Äbtissin zu raisonableren Gedancken [zu] bringen, damit sie die landesherrlichen Ansprüche des Königs über das Stift anerkannte.68 Daher habe der Stiftshauptmann diese schon so lange verborgen gelegenen Zwistigkeiten nicht nur sorgfältig zu unterhalten gewusst, sondern [sich] auch äußerst angelegen seyn laßen, sie zum würklichen Ausbruch zu befordern.69 Friedrich Wilhelm I. gewann die Pröpstin schließlich für seinen Plan, ihr an die Spitze des Stifts zu verhelfen, wenn sie im Gegenzug der Wahl einer preußischen Coadjutorin zustimmte. Damit wollte der König seinem Vorhaben, auff solche ____________ 65 66

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Hierbei handelte es sich um Albertine Friederike von Baden-Durlach. Stiftshauptmann Georg Otto Edler von Plotho an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (21.Juni 1734): Schleswig LASH Abt. 260 Nr. 124, fol. 12r-17r. Stiftshauptmann Georg Otto Edler von Plotho an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (16. April 1734): Schleswig LASH Abt. 260 Nr. 124, fol. 1r-4r. Seit Anfang der 1720er Jahre war der Konflikt zwischen dem Stift und seinem preußischen Schutzherrn, dessen Ursprung der eigenmächtige Verkauf der Schutzvogtei vom sächsischen Kurfürsten an Friedrich I./III. 1698 sowie die damit einhergehenden Übergriffe der brandenburgisch-preußischen Vertreter war (s. u. Kap. Besetzung; Der rechte Arm des Kaisers), neu ausgebrochen. Während Friedrich Wilhelm I. wiederholt bilaterale Verhandlungen anbot, stützte sich die Äbtissin immer wieder auf den Kaiser und seinen Reichshofrat und zeigte sich gegenüber einem Vergleich unnachgiebig. Stiftshauptmann Georg Otto Edler von Plotho an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (10. Mai 1734): Schleswig LASH Abt. 260 Nr. 124, fol. 6r-8v. Der Einschätzung Fritschs, dass der ehemalige Stiftsrat Metzner von Salhausen, der nach seiner Entlassung durch die Äbtissin zu ihrer Nichte, der Pröpstin, geflohen war, von Plotho und damit den preußischen König für seine Pläne gewonnen habe, ist angesichts dieser Quellenbefunde eindeutig zu widersprechen. Fritsch verkannte die Stoßrichtung der königlich-preußischen Intervention im innerstiftischen Konflikt. Ganz bewusst nutze man diesen, ebenso wie 30 Jahre zuvor in Herford, um eigene Interessen durchzusetzen. Vgl. FRITSCH, Geschichte des vormaligen Reichsstifts, Bd. 2, S. 82.

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arth das dortige Stifft endlich in perpetuum an Unser königliches Chur=Haus [zu] bringen und mit demselben [zu] verknüpffen, näherkommen.70 Fehlende Einigkeit, Konkurrenz, Ignoranz und Streit innerhalb des Stifts bargen ein großes Gefahrenpotential. Dies betraf sowohl Krisenphasen, in denen sich Dritte wie Friedrich Wilhelm I. solcher innerstiftischer Zerwürfnisse bedienen konnten, um eigene Interessen zu verfolgen, als auch die alltägliche Regierungspraxis. Innerstiftische Konflikte hemmten nicht selten die Handlungsfähigkeit des Stifts und seiner Organe. Verschiedene Maßnahmen erforderten gemäß den Statuten, Wahlkapitulationen und dem Herkommen den gemeinsamen Vollzug durch die Äbtissin und das Kapitel. Hierzu gehörten beispielsweise die gemeinsame Bestellung der Stiftsdiener wie des Quedlinburger Hofpredigers oder die einmütige Wiederbesetzung des Dekanissinnenamtes im Stift Herford, was beides aufgrund innerstiftischer Zwistigkeiten erschwert wurde.71 Bei der Durchsetzung von Beschlüssen fehlte es den Äbtissinnen darüber hinaus häufig an Unterstützung aus den eigenen Reihen. Stattdessen mussten sie sogar mit Widerstand ge____________ 70

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Friedrich Wilhelm I. an Stiftshauptmann Georg Otto Edler von Plotho (28. Aug. 1734): Schleswig LASH Abt. 260 Nr. 124, fol. 57r-59r. Noch im Herbst 1734 schlossen der preußische König und die Pröpstin eine Convention ab, in welcher er sich zur Beförderung ihrer Wahl zur Äbtissin, sie sich im Gegenzug zur Wahl einer von ihm vorgeschlagenen Coadjutorin verpflichtete. Vgl. das Projekt, ausgefertigt durch den Stiftshauptmann von Plotho sowie die Änderungen, die von den Berliner Ministern vorgenommen wurden. Sie bezogen sich vor allem auf den Umstand, unter welchen Bedingungen die Wahl einer reformierten Coadjutorin zu Wege gebracht werden und wie man diese argumentativ umsetzen könne. Darüber hinaus wurden aber auch Vorbeugungen getroffen, um Ansprüche der künftigen Äbtissin auf die Landeshoheit im Stift zu verhindern. Projekt (o.D.), Friedrich Wilhelm I. an den Stiftshauptmann (30. Okt. 1734): Schleswig LASH Abt. 260 Nr. 124, fol. 115r-121r, 165v-167v,170r-172v. Sein Sohn Friedrich II. verfolgte stattdessen später den direkten Weg, indem er mit der amtierenden Äbtissin die Wahl einer preußischen Coadjutorin vereinbarte. 1702 erfolgte die Herforder Dekanissinnenwahl gegen den Widerstand der Kapitelmehrheit, so dass der neuen Dekanissin Hedwig Louise von Hessen-Homburg keine Einkünfte ausgezahlt wurden. 1721 fehlte hingegen die Konfirmation durch die Äbtissin, der Dekanissin mangelte es daher an Legitimität. Vgl. Kap. Verwandtschaftliche Besetzungspolitik, Gescheiterte Familienpolitik. Sowohl in den 1730er als auch in den 1750er Jahren kommt es zwischen der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf und der Pröpstin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf, ihrer Nichte, zu Auseinandersetzungen um die Bestellung eines neuen (Ober-)Hofpredigers. Beide Male hatte die Äbtissin eigenmächtig einen Kandidaten ernannt und dabei das Partizipationsrecht der Pröpstin bestritten. Hedwig übte jeweils Protest gegen die Bestellung und verhinderte damit einen reibungslosen Ablauf. S. hierzu die Überlieferung in Schleswig LASH Abt. 260, Nr. 123, 132.

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gen ihre Entscheidungen rechnen. Als die Essener Äbtissin Maria Kunigunde sich im Streit mit der Stadt über die rechtmäßige Auflösung eines Beginenkonventes um Unterstützung an das Damenkapitel wandte, beschwerten sich die Kanonissen darüber, dass man sie nicht von Beginn an hinzugezogen hatte, und erklärten, die Rechtmäßigkeit des Vorgangs selbst noch einmal überprüfen zu wollen.72 Innerstiftische Auseinandersetzungen stellten also unweigerlich eine Gefahrenquelle für das Stift dar. Daher waren die Äbtissinnen darum bemüht, eine möglichst große loyale Anhängerschaft im Kapitel um sich zu scharren. Mittel hierfür waren eine kluge Klientelpolitik, indem sie vor allem die männlichen Kapitulare durch die Vergabe weiterer Einkünfte an sich banden, und die Verfolgung einer dynastischen Besetzungspolitik, indem sie weibliche Familienangehörige ins Stift aufnahmen und förderten.73 Ziel war es, verschiedene Kapitelmitglieder gleich in zweifacher Hinsicht an sich zu binden: zum einen durch den eidesstattlich bekräftigten Gehorsam gegenüber der Äbtissin bei Aufnahme in das Stift, zum anderen durch die Loyalität zwischen Klienten und Patron oder aber zwischen Verwandten. Dass eine solche Politik nicht unbedingt von Erfolg gekrönt war, zeigt das eingangs skizzierte Zerwürfnis zwischen Tante und Nichte an der Spitze des Stifts Quedlinburg.

Städtische Konkurrenten Konkurrenten um die Herrschaft erwuchsen den Äbtissinnen seit dem Spätmittelalter ebenso in den (Funktions-)Eliten der umliegenden Städte. Das jeweilige Verhältnis zwischen Stift und umgebener Stadt war historischen Entwicklungen unterworfen und gestaltete sich in allen drei Fällen jeweils unterschiedlich. In Quedlinburg war es der damaligen Äbtissin Hedwig von Sachsen 1477 mit Hilfe ihrer sächsischen Hausmacht gelungen, die nach Autonomie strebende Stadt zu unterwerfen.74 Bis zur Auflösung des Stifts 1802 bildeten Stift und Stadt theoretisch eine Einheit, an deren Spitze die Äbtissin als weltliche und geistliche Obrigkeit stand. Als Pächter der Vogtei, Inhaber der darunter fallenden Niedergerichtsbarkeit in der Feldmark und damit Vertreter des Schutzherrn gewannen die Stadtverant____________ 72

73 74

Gräfliches Kapitel an Maria Kunigunde von Sachsen (9. April 1787): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 942, fol. 303r-307v. S. auch o. Kap. Verwandtschaftliche Besetzungspolitik. Vgl. VOLLMUTH-LINDENTHAL, Die Äbtissin von Quedlinburg als Stadt- und Landesherrin, S. 107f.; DERS., Äbtissin Hedwig von Quedlinburg. Siehe Unterwerfungsurkunde (9. Jan. 1477), in welcher das Verhältnis zwischen Äbtissin, Stadt und Vogt geregelt wurde, in JANICKE (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Quedlinburg, 1. Abt., S. 578-581.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

wortlichen an Handlungsspielraum gegenüber Äbtissin und Stift.75 Gleichzeitig gerieten sie in einen Interessenkonflikt zwischen der Äbtissin als Stadtherrin und dem Schutzherrn als Verpächter der Vogtei. In Essen hatten Bürgermeister und Rat vergeblich versucht, den Status als reichsunmittelbare Reichsstadt zu erlangen. Obwohl die Äbtissin diesen Anspruch der Stadt niemals anerkannte und auch das Reichskammergericht 1670 die Unterordnung der Stadt unter die Hoheit der Äbtissin bestätigte, konnten sich Bürgermeister und Rat weitreichende Selbstverwaltungsrechte sichern.76 Die Stadtverantwortlichen versuchten daher im 17. und 18. Jahrhundert, jeglichen herrschaftlichen Einfluss der Äbtissin innerhalb der Stadt zu unterdrücken.77 Das Stift und die Stadt Herford verband wiederum seit dem Spätmittelalter ein gemeinsames, gleichberechtigtes Regiment,78 auch Kondominat genannt.79 Mit der Reformation endete jedoch die gemeinsame Herrschaft, weil sich die Stadt bald der neuen Lehre anschloss, während das Stift noch einige Zeit katholisch blieb. Im Zuge dessen trat die amtierende Äbtissin alle ihre Rechte in der Stadt an den Herzog von Jülich, Kleve und Berg als Grafen von Ravensberg ab.80 Sein späterer Nachfolger, Kurfürst ____________ 75

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VOLLMUTH-LINDENTHAL, Die Äbtissin von Quedlinburg als Stadt- und Landesherrin, S. 114; GÖSE, Beschränkte Souveränität, S. 136f. Vgl. hierzu zunächst den Scheidebrief zwischen Stift und Stadt von 1399, in dem Bürgermeister und Rat zwar die Äbtissin als unse Vrouwe und unsen rechten Lantheren anerkannten. Im Gegenzug machte ihnen die Äbtissin aber folgende Zugeständnisse: die Verlegung des Niedergerichtes ans Rathaus, die Aufsicht über Maße und Gewichte sowie die Kontrolle des Weinhandels. Das Urteil des Reichskammergerichts von 1670 bestätigte die Selbstverwaltungsrechte der Stadt und schützte darüber hinaus die Augsburgische Konfession. Siehe Scheidebrief (20. Febr. 1399): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Urkunden Nr. 1032; Urteil des Reichskammergerichtes (4. Febr. 1670): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht E 589 I/1908-II; abgedruckt in FUNCKE, Geschichte des Fürstenthums und der Stadt Essen, S. 345-347; KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 97f. (Auszüge). Vgl. SCHILP, Städtische Autonomie unter der Äbtissin? Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Reichsstadt, Landstadt oder civitas mixta? Vgl. COHAUSZ, Herford als Reichsstadt und papstunmittelbares Stift; KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford; RÜTHING, Sancta Herfordia; RÜTHING, ‚Monstrum Westphaliae‘, S. 9-23. Unter Kondominat verstand man in der Vormoderne die gleichberechtigte und gemeinsame Herrschaft zweier Obrigkeiten. Vgl. JENDORFF, Gemeinsam herrschen. Gemeint ist der Cessions-Vertrag zwischen Anna von Limburg und Herzog Wilhelms V. von Jülich, Kleve und Berg aus dem Jahr 1547. Siehe Kopie des Cessions-Vertrages als Beilage zu Thomas Schlipsteins GRÜNDTLICHE DEDUCTION, AN STATT MANIFESTS, Beilage 1 (ohne Seitenzahlen). Vgl. hierzu PAPE, Sancta Herfordia, 184-186; RÜGGE, Im Dienst von Stadt und Staat, S. 29; BEI DER WIEDEN, Die konfessionellen Verhältnisse, S. 271; KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford, S. 73-93. Ces-

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Friedrich Wilhelm von Brandenburg, interpretierte die örtlichen Verhältnisse dahingehend um, dass die Stadt fortwährend in einem Untertanenverhältnis zum Stift gestanden habe, das nun auf die Herzöge von Jülich, Kleve und Berg sowie deren Erben übertragen worden sei. Entgegen einem Urteil des Reichskammergerichtes von 1631, das die Reichsunmittelbarkeit von Stift und Stadt bestätigte, besetzte Friedrich Wilhelm 1647 und noch einmal 1651 die Stadt Herford und erzwang deren Unterordnung unter seine Landeshoheit unter Zusicherung verschiedener Privilegien.81 Diese kurzen Bemerkungen zum Verhältnis zwischen den hier behandelten Stiften und den umliegenden Städten machen deutlich, dass erstens die jeweiligen Umstände vor Ort ganz verschieden waren und auf unterschiedlichen historisch gewachsenen Rechtsverhältnissen fußten. Zweitens zeigt sich, dass der rechtliche Status vieler Städte bis ins 17. Jahrhundert nicht eindeutig war. Die Differenzierung zwischen Reichs- und Landstädten war noch nicht abgeschlossen, sondern im Fluss. Schließlich zeugen die jeweiligen Entwicklungen vom ‚normalen‘ Autonomiestreben der Städte an der Wende vom Spätmittealter zur Frühen Neuzeit.82 Konfliktsteigernd wirkten sich außerdem seit dem 16. Jahrhundert Veränderungsprozesse im vormodernen Herrschaftsverständnis aus. Hierzu gehörte einerseits die Verrechtlichung von Herrschaft, deren legitimatorische Grundlage zunehmend das positiv gesetzte Recht darstellte.83 Dies erforderte die Kodifizierung und ____________

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sion vom lat. cessio bedeutet die Abtretung von Rechten zu Gunsten eines anderen auf Grundlage eines Vertrages, in der Regel verbunden mit einer Gegenleistung. Dabei muss es sich nicht um ein Kaufgeschäft handeln. Die Verträge wurden vielfach nach ihrem Inhalt auch Cession genannt. Vgl. STELL, Der Große Kurfürst und die Stadt Herford. Vgl. zum Verhältnis der Stadt Herford und ihrem kurbrandenburgischen bzw. preußischen Landesherrn die Arbeiten von Nicolas Rügge. RÜGGE, Die preußischen Ratsreformen in Herford 1721; DERS., Herfords Verhältnis zur Grafschaft Ravensberg; DERS., Im Dienst von Stadt und Staat. Vgl. hierzu die Aussage von Heinz Schilling: „Allgemein kann gelten, daß – von bestimmten städtearmen Regionen abgesehen – zu Beginn der Neuzeit Autonomie oder zumindest eine Teilautonomie unter den deutschen Städten das Normale, die Abhängigkeit das Unnormale war.“ SCHILLING, Die Stadt in der Frühen Neuzeit, S. 40. Die These der Verrechtlichung von Konflikten wurde zuerst in Forschungen zur bäuerlichen Gesellschaft und den an den Reichsgerichten geführten Untertanenprozessen aufgestellt. Vgl. SCHULZE, Die veränderte Bedeutung sozialer Konflikte; DERS., Bäuerlicher Widerstand; zuletzt BÄHR, Die Sprache der Zeugen. Im Anschluss daran waren es Arbeiten zur Kriminalitäts- und Policey-Forschung, vgl. u.a. HÄRTER, Die Verwaltung der „guten Policey“; DERS., Konfliktregulierung im Umfeld frühneuzeitlicher Strafgerichte; SCHWERHOFF, Köln im Kreuzverhör; bis hin zu Rang- und anderen Konflikten STOLLBERG-RILINGER, Rang vor Gericht.

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Vereinheitlichung von Rechten, die nicht selten konkurrierend und sich gegenseitig ausschließend nebeneinander standen. Andererseits etablierte sich gleichzeitig in der staatsrechtlichen Diskussion „die Vorstellung einer einheitlichen Landeshoheit“,84 hinter der sich die Summe verschiedener Einzelrechte verbarg. Statt sich auf jedes einzelne Herrschaftsrecht zu berufen, verwiesen die Stadt- und Landesherren nunmehr auf ihr allumfassendes jus superioritatis.85 Dies ließ keinen Platz für autonome Städte. Entweder mussten sie ihren reichsunmittelbaren Status durchsetzen oder sie wurden als Landstadt der Hoheit des Landesherrn unterworfen. Vor allem die jüngeren Forschungen zur Stadtgeschichte haben die enge Beziehung zwischen Herrschaft und Raum betont. Die Stadt als ein Konglomerat verschiedener (Stadt-)Bezirke, symbolträchtiger Orte wie dem Rathaus, den Kirchen und dem Stift sowie verschiedener Rechtsbereiche wie Stiftsimmunität, Ratsimmunität und Kirchenimmunität erweist sich als besonders geeigneter Untersuchungsgegenstand, um nach dem Verhältnis von Raum und Herrschaft zu fragen. Im Anschluss an Münsteraner und Dresdener Forschungen wird Raum als ein soziales Konstrukt verstanden,86 das sich in „(sozial konstruierten) Wahrnehmungen und Handlungsvollzügen“ konstituierte.87 Anders als ein Ort, der als eine leblose, unbewegliche Hülle definiert werden kann, ist der Raum vielmehr „ein Ort, mit dem man etwas macht“.88 Im Folgenden werden Praktiken und Medien in den Blick genommen, mit denen performativ Räume besetzt und Grenzen gezogen wurden, um nicht selten umstrittene Rechtsansprüche zum Ausdruck zu bringen, zu vereinheitlichen und festzuschreiben. Ordnungsvorstellungen und Herrschaftsverhältnisse konnten auf diese Weise in den Raum eingeschrieben werden. Die Begrenzung von Räumen orientierte sich dabei häu____________ 84 85 86

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SCHILLING, Die Stadt in der Frühen Neuzeit, S. 43. Vgl. QUARITSCH, Souveränität, S. 79f. Hierzu zählten vor allem Arbeiten, die im Umfeld des Münsteraner sowie Dresdener Sonderforschungsbereichs 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ / 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ entstanden sind. U.a. DARTMANN, FÜSSEL, RÜTHER (Hg.), Raum und Konflikt; HOCHMUTH, RAU (Hg.), Machträume; RAU, SCHWERHOFF (Hg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne; RAU, SCHWERHOFF (Hg.), Topographien des Sakralen. HOCHMUTH, RAU, Stadt – Macht – Räume, S. 17. CERTEAU, Kunst des Handelns, S. 218. In dieser definitorischen Bestimmung von Raum und Ort unterscheidet sich der hier gewählte Ansatz von den Arbeiten des Dresdener SFBs 537, dessen Forscher Orte als „Verortung konkreten Handelns“ verstehen, die ebenso durch Handlungen wie das Erinnern oder Erfahren konstituiert werden. Vgl. REHBERG, Macht-Räume als Objektivationen sozialer Beziehungen, S. 46.

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fig an bereits vorgefundenen oder hergestellten materiellen Grenzen wie Mauern und Flüssen, sie verlief aber auch zwischen verschiedenen Personengruppen wie Lutheranern und Katholiken, die verschiedenen Räumen zugeordnet wurden.

Verteiltes Recht Während des Essener Jahrmarktes kam es im August 1733 zu einem Handgemenge zwischen einem holländischen und einem preußischen Soldaten. Trotz des geltenden Verbots forderten sie sich gegenseitig zum Duell, holten ihre Waffen und begaben sich unter dem Zulauf vieler Marktbesucher zum Stadttor. Auf dem Weg dorthin wurden sie jedoch von der Stadtwehr eingeholt und festgenommen. Während der holländische Soldat in einem Wirtshaus aufgegriffen wurde, verfolgten die städtischen Wachen den preußischen Soldaten in die jenige breite und gemeine straße, welche zu der, zwarn den Nahmen nach, sonsten aber von der stadt kaum unterschiedenen so genandten Burg und Immunitaet, wo sie ihn schließlich stellten.89 Beide wurden ins städtische Gefängnis verschafft und nach ihrer Aussöhnung wenige Tage später wieder entlassen. Zwar waren die Jahrmarktsprügelei und der Verstoß gegen das Verbot des Duellierens damit erledigt, der Fall aber noch keinesfalls abgeschlossen. Denn bald nach Festsetzung der Duellanten protestierte der Offizial des Stifts beim Rat gegen das Eindringen auf der Stiftsfreiheit bei Gefangennahme des preußischen Soldaten und forderte Restitution, Reparation und Satisfaction.90 Anders als der Stadtrat, dessen Ortsbeschreibung einen Rechtsunterschied zwischen städtischem Raum und Stiftsfreiheit negierte,91 verstand der Offizial die Gefangennahme des Delinquenten auf dem Burgbezirk als violation jmmunitatis, gegen welche er Ambts= und pflichtenhalber […] solennisime […] protestieren müsse.92 Ihm oblag als Vertreter der Äbtissin nicht nur die gesamte geistliche Gerichtsbarkeit, sondern ebenso die Jurisdiktion und Aufsicht über den Bezirk der Stiftsimmunität. Auf Seiten der Stadt ____________ 89

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Supplik des Essener Stadtrates an das Reichskammergericht (26. Okt. 1733): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 939, fol. 14r-16r. Offizial Devens an einen unbekannten Notar, der mit dem offiziellen Protest beauftragt wurde (Abschrift als Beilage zur städtischen Supplik an das Reichskammergericht) (25. Aug. 1733): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 939, fol.17r-18v. Supplik des Stadtrates an das Reichskammergericht (26. Okt. 1733): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 939, fol. 14r-16r. Offizial Devens an einen unbekannten Notar, der mit dem offiziellen Protest beauftragt wurde (Abschrift als Beilage zur städtischen Supplik an das Reichskammergericht) (25. Aug. 1733): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 939, fol. 17r-18v.

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empfand man den Protest des Offizials als völlig unbegründet: Einerseits wären die Stadtwachen gar nicht weit in den Immunitätsbezirk gelangt, weil sich der preußische Soldat bereits am Rand der Burg ergeben hatte; andererseits hätten sie nichts ungebührliches gehandelt, sondern vielmehr, da sie waß zu Beybehaltung friede undt ruhe sowohl in der stadt alß besonders auff damahligen Bartholomaei Jahr=marck [sic.] gereichet, vorgekehret, undt das scharff verbottene duelliren, undt Blut vergießen behindert, Ein löbliches Werck verrichtet.93

Die Stadtverantwortlichen erklärten weiter, dass sie sich selbst dann im Recht befänden, wenn sie weit in die Burgfreiheit eingedrungen wären, weil eine Obrigkeit einen Delinquenten in das Territorium einer anderen verfolgen und ihn dort festnehmen dürfe. Dabei beriefen sie sich auf die Aussagen des Juristen und Staatsgelehrten Christoph Besold in seinem Werk Thesaurus practicus. Des Weiteren ließen die Stadtverantwortlichen keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Stiftsfreiheit kaum um ein eigenes Territorium handeln könne, sondern der Bezirk vielmehr als ein Teil der Stadt angesehen werden müsse. Sie erklärten, dass gemeldte immunitaet […] binnen der Stadt Ringe-Mauren gelegen, und in Sententia davon nicht excludiret und eximiret, sondern als deßen pars darunter allerdings begriffen [würde]. Sie stimmten zwar zu, daß die Burg oder Immunitaet ein Locus Ecclesiasticus sey, nutzten diesen Umstand jedoch für ihre eigene Argumentation: Denn ein solcher Locus Ecclesiasticus könne kein absonderlich territorium ausmache[n], sondern gehöre vielmehr zu dem district, in dem er sich befindet. Ziel dieser Argumentation war es, den Sonderstatus der Stiftsfreiheit zu dekonstruieren und dem städtischen Raum einzuverleiben. Auf diese Weise konnten die Stadtverantwortlichen die völlige OberBottmäßigkeit, welche dem Magistrat durch das Reichskammergerichtsurteil von 1670 zugestanden worden war, über die gesamte Stadt für sich beanspruchen. Das Execitium jurisdictionis territorialis samt jus capturae einer zeitigen Äbtissin wurde hingegen binnen der Stadt inklusive der Stiftsfreiheit vollends abgestritten.94 Schließlich warf der Magistrat dem Offizial vor, dass ihm als Judici Ecclesiastico nicht zu[stehe], sich in dergleichen weltliche händel zu mischen wie der Ergreifung von Delinquenten, wozu ihm noch dazu die nötigen Instrumente fehlten.95 Trotz dieser vermeintlich eindeutigen Sachlage ließen die Stadtverantwortlichen den unbegründeten Protest nicht einfach ____________ 93

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Supplik des Stadtrates an das Reichskammergericht (26. Okt. 1733): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 939, fol. 14r-16r. Erneute Eingabe der Stadt beim Reichskammergericht (10. Sept. 1736): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Nr. 939, fol. 98r-127v. Ebd.

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dahingestellt sein. Vielmehr sahen sie sich angesichts der vielfältigen Erfahrungen, die sie bisher mit der Äbtissin und ihren Räten gemacht hatten, genötigt, sich mit diesen Argumenten an das Reichskammergericht zu wenden, um ihr von undencklichen Zeiten hergebrachte[s], undt biß hieherbey begebenden fällen öffentlich […] exercirte[s] Jure Captura undt angriffs in der burgfreyheit zu verteidigen.96 Die Supplik der Stadt wurde wenig später in Wetzlar angenommen und die Äbtissin vor das Reichskammergericht zitiert.97 Dort sah sich ihr Anwalt gezwungen, den besonderen rechtlichen Status der Stiftsfreiheit als geistliche[m] Orth, auf welchem allein der Äbtissin die Jurisdiktion und das jus asyli oblägen, zu verteidigen. Darüber hinaus führte er auf der Grundlage des Reichskammergerichtsurteils von 1670 den Beweis, dass die Äbtissin sehr wohl im Besitz des jus capturae wäre. Denn das Recht auf Gefangennahme war damals nicht eigens dem Stadtrat überantwortet worden.98 Beide Parteien nutzten ihre Eingaben beim Reichskammergericht, um den Raum innerhalb der Stadtmauern jeweils für sich zu besetzen. Während die Äbtissin und ihre Regierungsräte eine Grenze zwischen der städtischen Einflusssphäre und der Stiftsimmunität zogen, um deren rechtlichen Sonderstatus festzuschreiben, rissen die Stadtverantwortlichen diese Grenze ein, um eben die Existenz eines eigenständigen Rechtsbereiches zu negieren. Der narrativen Darstellung, die sich als Kompilation verschiedener sowohl mündlich als auch schriftlich überlieferter Versatzstücke wie Verträgen, Ereignisberichten und Zeugenaussagen gestaltete, kam in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu. Ihre Funktion erstreckte sich nicht allein auf den einfachen Akt der Beschreibung, sondern sie beinhaltete gleichzeitig einen „kulturell schöpferische[n] Akt“.99 Mit der Erzählung schufen die Verantwortlichen erst den städtischen bzw. stiftischen Raum durch die narrative Ziehung bzw. Negierung von Grenzen. Hauptfunktion der Erzählung, als welche die Eingaben am Reichskammergericht gewertet werden, war es, „die Bildung, Verschiebung oder Überschreitung von Grenzen zu autorisieren“.100 Auf ihrer Grundlage wiederum sollten die Gerichtsassesso____________ 96 97

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Ebd. Citation vor das Reichskammergericht an Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (20. Okt. 1733): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 939, fol. 31r-33v. Entgegnung auf Seiten der Äbtissin auf die Citation an das Reichskammergericht (o.D. [März 1734]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Nr. 939, fol. 50r-66v. CERTEAU, Kunst des Handelns, S. 228. Ebd., S. 228. Anders als in der Darstellung Certeaus, wo die Erzählung der Handlung vorausgeht, autorisiert hier die Erzählung die bereits vollzogene Handlung erst im Nachhinein.

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ren eine Entscheidung fällen, die dann Rechtscharakter hatte.101 Ein Urteil des Reichskammergerichtes in diesem Streit ist jedoch nicht überliefert. Im zwischen Stift und Stadt 1739 geschlossenen Vergleich, der hauptsächlich die Befreiung der Stiftsbeamten von den städtischen Leistungen regelte, wurde jedoch der rechtliche Sonderstatus der Stiftsfreiheit sowie der in ihr lebenden Bewohner anerkannt.102 Somit hatte sich schließlich doch die Grenzziehung zwischen städtischer Einflusssphäre und Stiftsimmunität durchgesetzt. Eine ganz ähnliche Funktion wie die Suppliken beider Seiten im Essener Fall übernahmen die verschiedenen Gravamina, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwischen den verschiedenen Herrschaftsträgern in Stift und Stadt Quedlinburg zusammen mit umfangreichen Beilagen ausgetauscht wurden.103 Häufiger Gegenstand dieser Beschwerden waren die mangelhaft voneinander abgegrenzten Zuständigkeiten der vielfältigen Gerichtsinstanzen. Innerhalb von Stift und Stadt Quedlinburg gab es sieben verschiedene Gerichtsinstanzen. 1477 hatte die damalige Äbtissin Hedwig von Sachsen ihren Brüdern Ernst und Albrecht von Sachsen als Schutzvögten die Hochgerichtsbarkeit in Stift und Stadt überlassen, so dass der Äbtissin nur mehr die niedere und Zivilgerichtsbarkeit in der Stadt sowie den Vororten oblag, die sie durch das Stadtgericht und die Amtsgerichte in erster Instanz sowie die Stiftskanzlei als Obergericht wahrnahm. Darüber hinaus war das fürstliche Konsistorium für die geistliche Gerichtsbarkeit verantwortlich.104 Aber auch die niedere Gerichtsbarkeit besaß die Äbtissin nicht vollständig. Denn 1539 hatte Anna II. von Stolberg auch noch die Flurgerichtsbarkeit an den kursächsischen Schutzherrn abtreten müssen.105 Dessen niedere Jurisdiktionsrechte in der Feldmark wurden durch das an die Stadt verpachtete Vogteigericht und den Stiftshauptmann ausgeübt. Das Vogteigericht übernahm auch die Vorverhandlungen in Fällen der Hochgerichtsbarkeit, deren Entscheidung dann jedoch den Schöppenstühlen von Leipzig oder Wittenberg überantwortet wurde.106 Dem Rat als Selbstverwaltungsorgan kam keine Jurisdiktion zu. Er durfte lediglich Güterverhandlungen durchführen, musste die Parteien aber bei Einigungsschwierigkeiten an die Stiftskanzlei ____________ 101 102 103 104

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Vgl. ebd., S. 232. Vgl. Vertrag zwischen Stift und Stadt (20. Jan. 1739): Essen StA Rep. 100 Nr. 151. Vgl. die Konferenzakten (1652-1685): Magdeburg LHASA Rep. 20 tit. XXVII Nr. 7. Zu den fürstlichen Jurisdiktionsrechten vgl. SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 209f., 216f., 221f.; LORENZ, Überblick, S. XVI. SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 211. LORENZ, Überblick, S. XXff., XXXII, XLVIf.

4.1. Verhandeln

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verweisen.107 Die verschiedenen zwischen 1654 und 1682 wiederholt eingereichten Beschwerdeschriften der Stiftskanzlei, der Schutzvogtei und des Stiftshauptmannes zeugen von den umstrittenen Grenzen und Überschneidungen der einzelnen Rechtsbezirke sowie der Nieder- und Hochgerichtsbarkeit. Dieses galt beispielsweise für die Gärten im Besitz des Stifts oder der Bürger der Stadt, deren Jurisdiktion sowohl die Vogtei im Hinblick auf ihre Flurgerichtsbarkeit als auch die Stiftskanzlei in Rücksicht auf die Ziviljurisdiktion der Äbtissin innerhalb der Stadt, über deren Einwohner und ihre eigenen Stiftsgüter beanspruchte.108 Hinzu traten Uneinigkeiten über die Zuständigkeit bei Straftaten, die sowohl der Niedergerichtsbarkeit als auch der Hochgerichtsbarkeit zugeordnet werden konnten. So geschehen 1674 im Fall randalierender Einwohner des Dorfes Ditfurth, die vom örtlichen Richter, einem Beamten des Stifts, wegen ihres Schreiens und tumultierens auf offener Straße bestraft wurden. Dieses Verhalten widersprach der Policeyordnung und gehörte somit vor das Untergericht des Richters. Gleichzeitig hatten die Randalierer aber auch noch Fenster eingeworfen. Dieser Tatbestand zählte wiederum zu den Species publica und fiel somit in den Zuständigkeitsbereich der Hochgerichtsbarkeit. Daher wurde der Richter von Ditfurth wenig später auf Befehl der Stiftsvogtei festgesetzt und die von ihm verhängten Strafen aufgehoben.109 Erschwerend hinzu kamen verschiedene Ausnahmeregelungen, welche die Parteien für sich beanspruchten, wie die Exemtion der Stiftsbeamten, der Geistlichen und bestimmter Orte von der Hochgerichtsbarkeit des Schutzherrn oder die Befreiung des Stiftshauptmannes von der Ziviljurisdiktion der Äbtissin.110 Die sehr konkreten Beschwerden, in denen jeweils Einzelfälle vorgebracht wurden, haben den Charakter von Mosaiksteinen, aus denen in direkten Verhandlungen der beteiligten Parteien unter der Vermittlung des kursächsischen Schutzherrn die Karte der lokalen Gerichtslandschaft zusammengesetzt wurde. Resultat war der am 18. Februar 1685 abgeschlossene Concordien-Rezess, mit welchem die seit Ende der 1650er Jahre offenen Streitfragen insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung der jeweiligen Jurisdiktionsrechte beigelegt ____________ 107 108

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SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 209. Vgl. Auflistung der Differenzen zwischen dem Stift und der kursächsischen Vogtei [1654]: Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8376/15, fol.5r-v; Gravamina der Vogtei gegenüber dem Stift [1671]: Dresden Geheimer Rat Loc. 8968/1. Vgl. Urteil der Juristenfakultät Helmstedt (8. Mai 1674): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. VI Nr. 12, fol. 167v-172r. Gravamina des Stifts gegenüber der Vogtei [1659]: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 94v-107r.

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werden sollten.111 Das Ziel war es, sowohl Hoch- und Niedergerichtsbarkeit als auch die verschiedenen Gerichtsbezirke der Niedergerichtsbarkeit voneinander abzugrenzen. Letzteres geschah durch die Festlegung konkreter Grenzen zwischen abteilichem Stadtgericht und Feldmark sowie Feldmark und Münzenberg bzw. dem Dorf Ditfurth mit Hilfe von Grenzmahlen. Hinzu traten Sonderregelungen beispielsweise über exemte Güter und Personenkreise, die nicht vor die Hochgerichtsbarkeit des Schutzherrn gezogen werden durften oder nur unter Hinzuziehung von Stiftspersonal wie bei adeligen Personen oder der Beamten- und Dienerschaft der Äbtissin. Ebenso wurde die rechtliche Sonderstellung des Stiftshauptmannes und seiner Beamten festgeschrieben, die von Stiftischer Bothmäßigkeit billig eximiret sein sollten. Auch für den Fall, dass Sachen fürfallen / so zwar ihrer Natur nach für die Stifftische Gerichte gehören / aber von Hauptsachen / so vor der Voigtey anhängig oder erörtert / dependiren, wurde eine Regel aufgestellt, wonach solche Fälle vor der Vogtei verhandelt werden sollten. War jedoch nicht sicher, ob tatsächlich Streitgegenstände des Vogteigerichtes involviert wären, sollte zunächst externe Rechtliche Erkäntniß darüber eingeholt werden. Vormals in der Regel mündlich tradiertes Recht wurde auf diese Weise verschriftlicht und ein Bezugsrahmen geschaffen, auf welchen sich die Parteien in Streitfällen berufen konnten.112 Die Tragfähigkeit solcher schriftlich niedergelegten Regelungen hing jedoch nicht zuletzt von äußeren Bedingungen ab. Aufzeichnungen der Stiftskanzlei aus den 1720er und 1730er Jahren belegen,113 dass die jeweiligen Jurisdiktionsrechte unter veränderten Umständen wie dem Wechsel des Schutzherrn oder dessen zunehmenden landesherrlichen Auftreten wieder neu ausgehandelt werden mussten. Das Recht war in der Vormoderne noch kein ausgebildetes, autonomes ____________ 111 112

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Concordien-Rezess (18. Febr. 1685), abgedruckt in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 97-120. Vgl. zum Prozess der Verschriftlichung von Rechten TEUSCHER, Erzähltes Recht. Obwohl sich die Forschungen von Teuscher auf das Spätmittelalter beziehen, sind es dennoch dieselben Praktiken, die hier zum Tragen kommen. Solange sich keine übergeordnete Instanz etablierte, die über die Einhaltung der verschriftlichten Rechte wachte, konnte dieser Prozess unter veränderten Vorzeichen beliebig fortgesetzt werden. Die Quedlinburger Stiftskanzlei legte in den 1720er und 1730er Jahren, als das Verfahren am Reichshofrat gegen den preußischen König wegen der eigenmächtigen Cession der Schutzvogtei sowie den gewaltsamen Übergriffen seiner Vertreter wieder aufgenommen wurde, zwei fortlaufende Diarien an, in denen alle Übergriffe auf die Jurisdiktion und die anderen landesherrlichen Befugnisse wie Stadtregiment, Gesetzgebung und Besteuerung der Untertanen verzeichnet wurden. Sie dienten zur Beweisführung vor dem Reichshofrat. Siehe Diarien: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 9 u. 10.

4.1. Verhandeln

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System,114 das losgelöst von politischen, konfessionellen und dynastischen Einflüssen existierte. Hierzu fehlte bis zuletzt nicht nur eine übergeordnete Rechts- und Exekutionsinstanz, sondern es herrschte darüber hinaus eine zu große Rechtsvielfalt, so dass verschiedene Rechtstraditionen divergierend nebeneinander standen.115

Bier, Wein und Schnaps Der herausgehobene Rechtsstatus der Stiftsimmunität, den Bürgermeister und Rat der umliegenden Stadt zu negieren suchten, bezog sich nicht allein auf den Jurisdiktionsbereich, sondern zugleich auch auf die Stiftsfreiheit als eigenem Wirtschaftsraum. Im Juni 1690 hatten Zollbeamte der Stadt Herford der Fürstin eigene Pferde, Wagen und Diener mehrere Stunden an der Stadtpforte angehalten und wollten diese nicht passieren lassen. Auf dem Wagen befanden sich mehrere Fässer Minderbir, welches zumindest nach Aussage der Äbtissin zur Hofhaltung auf der Abtei angekauft worden war.116 Erst nach neun Stunden konnten sie ihren Weg auf die Abtei fortsetzen.117 Bereits im Vorfeld hatte es Streit um den Verzehr von Minderbier auf der Freiheit gegeben, weil der dort ansässige Wirt anders als seine Konkurrenten auf dem Gebiet der Stadt die Besteuerung verweigerte.118 Anfang der 1690er Jahre verbot daraufhin der Stadtmagistrat den Herforder Bürgern den Verzehr von Minderbier auf der Freiheit und führte den betroffenen Bierzapffer somit an den Rand seiner Existenz.119 Hinter diesen Maßnahmen verbarg sich der Versuch einer effektiven Wirtschaftspolitik, mit der die Stadt Herford ihre ökonomischen Verluste durch die Unterwerfung unter die brandenburgische Landeshoheit auszugleichen suchte. Längst war die einstige reichsunmittelbare Handelsstadt Herford in ihrer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung hinter das benachbarte Bielefeld zurückgefal____________ 114

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Vgl. LUHMANN, Soziale Systeme; zur Autonomie des Rechtsverfahrens DERS., Legitimation durch Verfahren, S. 69-74. Vgl. OESTMANN, Rechtsvielfalt vor Gericht. Beschwerde der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland gegenüber Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg [Konzept] (14. Juni 1690): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Charlotte Sophie von Kurland an Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg (10. Juni 1690): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Kanzleiprotokoll über die Beschwerde des Minderbierzapfers (13. Nov. 1688): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Gravamina der fürstl. Abtey Herford (7./17. Mai 1692): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

len und fristete seit der Eroberung durch Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg das Dasein einer Ackerbürgerstadt.120 Als landsässige Stadt musste Herford nicht nur seinen Anteil zu den Landesabgaben und Einquartierungen leisten, sondern darüber hinaus war auch der städtische Handel den landesherrlichen Zöllen und Konsumsteuern unterworfen. Davon ausgenommen waren allein die Stiftsfreiheit sowie einige exemte Höfe in der Stadt, wo die Äbtissin über die jura territorialia et episcopalia verfügte. Bereits die Bezeichnung als Freiheit oder auch Immunität deutet den herausgehobenen Rechtscharakter dieses Raumes an, der einen eigenen Wirtschaftsraum ohne Akzise sowie andere Steuern beispielsweise auf Branntwein bildete.121 Die Produzenten von Bier, Wein und Branntwein konnten ihre Produkte viel kostengünstiger herstellen als ihre Konkurrenten innerhalb der Stadt und verfügten daher über einen größeren Absatzmarkt.122 Der Stadtrat beklagte beispielsweise im Sommer 1690 gegenüber dem brandenburgischen Kurfürsten als seinem Landesherrn, daß der Accis und Contributions freye Minderbierzapfer auf der Abtey die Kanne […] zwey pfennige geringer anbietet als seine Konkurrenten innerhalb der Stadt. Daher bleibe das Minderbier bei den städtischen Bürgern und Brauern liegen.123 Bürgermeister und Stadtrat versuchten wiederholt, den exemten Rechtsstatus der Stiftsfreiheit und der exemten Höfe zu unterwandern, um einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen und vor allem fiskalisch auf die Bewohner der Freiheit zugreifen zu können. Sie sollten nicht länger von den städtischen Abgaben, der Akzise und Einquartierungen befreit sein.124 In diesem Zusammenhang diente ihnen das von den Einwohnern betriebene bürgerliche Handwerk und die damit verbundene bürgerliche ‚Nahrung‘ als Argument.125 Wer innerhalb der Stadt sein Geld verdiente und von den Vorzügen ____________ 120 121

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Vgl. RÜGGE, Im Dienst von Stift und Stadt, S. 36 u. 65. Hierbei handelte es sich bis zur förmlichen Einführung der Akzise in der Grafschaft Ravensberg durch den preußischen König 1719 um eine städtische Verbrauchssteuer. Vgl. ASPERS, Sociology of Markets; ASPERS, BECKERT, Märkte. Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Herford an Kurfürst Friedrich I./III. (8. Juni 1690): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 164. Hierzu und im Folgenden die Gravamina der Stadt Herford aus den 1690er Jahren: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Vgl. den Fall des chaisenmacher[s], der zwar auf der Freiheit ansässig, aber in der ganzen Stadt der Einzige seines Handwerks war und somit sein Einkommen auch aus der Stadt bezog. Gravamina (1690 u. 1692): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Vgl. hierzu auch einen Vergleich zwischen Stift und Stadt (1681), indem der Status der Freiheit sowie deren Insassen geregelt wurde: Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 142, fol. 238r-243r. Darin heißt es, dass Bürgermeister, Scheffen und Raht

4.1. Verhandeln

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des städtischen Handels profitierte, sollte auch seinen Beitrag zu den städtischen Steuern und Abgaben leisten. Darüber hinaus bestritten sie den von der Äbtissin betonten Charakter der Stiftsfreiheit als liberum territorium mit der geographischen Lage des Stifts innerhalb der Stadt Ringmauer.126 Dem von Seiten der Äbtissin verweigerten Zugriff der Akzisebeamten auf die abteiliche Mühle, die auch von vielen Stadtbürgern genutzt wurde, begegneten Bürgermeister und Stadtrat mit der Konfiskation von Kornlieferungen, wenn die Besitzer keine Akzise gezahlt hatten.127 Des Weiteren waren die Stadtverantwortlichen darum bemüht, die Einnahmen auf der Freiheit durch den Ausschank von minder Bier, Wein und Branntwein zu verringern, indem sie den Bierzapffer boykottieren ließen und zusätzliche Weinzapffer in der Stadt ansiedelten.128 Stifts- und Stadtverantwortliche hatten sich noch 1681 in einem gemeinsam aufgerichteten Vergleich auf den Sonderstatus der Stiftsfreiheit geeinigt. Der Vergleich trug jedoch gleichzeitig den Forderungen der Stadt Rechnung, indem nicht nur das Branntweinbrennen auf der Freiheit unter Strafe gestellt wurde, sondern auch die Einwohner der Freiheit unter der Bedingung, dass sie durch Bürgerliche commercien ihre nahrung und gewin suchen, zu Contribution, Wacht und Bauerwerck vom Stadtmagistrat herangezogen werden sollten.129 Dieser Vergleich war unter der Äbtissin Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau geschlossen worden. Die Äbtissin war bei Antritt des Amtes noch minderjährig und hielt sich vorwiegend in Dessau auf.130 Sie und ihr Vater Johann Georg II., der vorwiegend die Korrespondenz mit der Stifts____________

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von ihren auf fürstl. freiheit mit consens der Frau Äbtißin wohnenden Bürgern, so lange dieselbe durch Bürgerliche commercien ihre nahrung und gewin suchen, von deroselben Personen die Contribution Wacht u. Bauerwerck ungehindert erheben können. Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Herford an Kurfürst Friedrich I./III. (8. Juni 1690): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 164. In den Gravamina der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland von 1692 heiß es: hat der Churfl. Accise diener dem Abteylichen Aufheber, da er sein Korn von der Freyheit nach der Abteyl. Mühlen schicket, das Korn abgenomen, auch, ohngeachtet man dem Magistrat in einer Conferentz ihren Ursprung remonstriret solches ohne bezahlung der Accise wieder zu geben verweigert und es bis dato nicht wieder geben wollen. Gravamina (1692): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 149. Gravamina (1690 u. 1692): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Vergleich zwischen Stift und Stadt Herford (1681): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 142, fol. 238r-243r. Notariatsprotokoll über die Wahl Elisabeth Albertines von Anhalt-Dessau (17. Jan. 1680), kaiserlicher Dispens wegen Minderjährigkeit [Kopie] (15. April 1680): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 258.

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kanzlei unterhielt, hatten wenig Interesse an den Belangen des Stifts.131 Nach nur sechs Jahren resignierte Elisabeth Albertine ihr Amt, um den Herzog von Sachsen-Weißenfels-Barby zu heiraten.132 Seit 1688 stand Charlotte Sophie von Kurland als Äbtissin an der Spitze des Herforder Stifts. Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt begann sie verbriefte, aber ruhende Rechtstitel mit neuem Leben zu füllen. Sie bemühte sich beispielsweise erfolgreich, das Münzregal des Stifts wiederzubeleben.133 In diesen Zusammenhang gehört wohl auch die Betonung der Stiftsfreiheit und der exemten Höfe als eines gesonderten Herrschaftsraumes, in dem sie die alleinige Landeshoheit beanspruchte und keinen anderen herrschaftlichen Einfluss dulden wollte. Die Regelungen des Vergleichs von 1681 waren damit nicht vereinbar und wurden ignoriert. Das Resultat waren zu Beginn der 1690er Jahre erneut aufflammende Streitigkeiten zwischen Äbtissin und Stadtmagistrat über den wirtschaftspolitischen Sonderstatus der Stiftsimmunität.

Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen Neben den Gerichts- und Wirtschaftsraum traten konfessionelle Räume. Sie waren ebenso durch den Zugang zu bestimmten Rechten und Ressourcen sowie die Konkurrenz um diese strukturiert. Diese Rechte reichten von einfachen Besitzrechten an Kirchenbänken und Erbbegräbnissen einzelner Bürgerfamilien und städtischer Gruppen bis hin zur geistlichen Jurisdiktion und dem flächendeckenden Kirchenregiment. In den nachfolgenden Überlegungen geht es daher nicht um die gelebte Religionspraxis des Einzelnen, sondern vielmehr um die Möglichkeit, durch die Besetzung konfessioneller Räume die Frömmigkeitspraxis der Untertanen zu normieren und so die eigene Herrschaft auszubauen und zu legitimieren. Insbesondere dort, wo die ehemals konfessionelle Einheit der Sakralgemeinschaft Stadt in der Reformation zerbrochen war, gestaltete sich die Einrichtung des Kirchenwesens besonders schwierig. Dies galt sowohl für Herford, wo sich seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert die lutherische Stadt und das mehrheitlich reformiert besetzte Stift gegenüberstanden, als auch für Essen, wo Luthera____________ 131

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Vgl. Korrespondenz zwischen Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau mit dem Rat und Kapitular Johann Heinrich von Wahden kurz nach der Wahl Elisabeth Albertines zur Äbtissin (1680): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1243. Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau an das Herforder Kapitel mit der Bekanntgabe ihrer Resignation (29. März 1686): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 259. Vgl. HEESE, Münzrecht als Hoheitsrecht.

4.1. Verhandeln

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ner und Katholiken im Schatten des katholischen Stifts sowie des mehrheitlich lutherisch besetzten Stadtrates eng nebeneinander lebten. Stift und Stadt Essen waren in der Frühen Neuzeit umgeben von verschiedenen weltlichen und geistlichen Territorialherrschaften, deren Landesherren sowie breiten Bevölkerungsschichten unterschiedlichen Konfessionen angehörten, so dass im Hinblick auf diese Region von einer „konfessionellen Mischzone“ gesprochen werden kann.134 Die räumliche Nähe der Angehörigen verschiedener Konfessionen führte einerseits zu einer fortschreitenden territorienübergreifenden konfessionellen Durchmischung der Bevölkerung, andererseits zu einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den Konfessionskirchen um die Gläubigen. Besonders krisenanfällig war das Nebeneinander der drei Konfessionen innerhalb gemischtkonfessioneller Territorien wie dem Stift Essen.135 Denn die konfessionellen Grenzen verliefen dort nicht entlang der Immunitäts- und Stadtmauern, sondern zwischen den einzelnen Bürgern und Untertanen, so dass katholische Bürger innerhalb der überwiegend lutherischen Stadt, evangelische Untertanen im Territorium des katholischen Stifts lebten. Zusätzlichen Zündstoff erhielten diese konfessionellen Verhältnisse vor dem Hintergrund des Zwiespalts zwischen städtischer Autonomie und alleinigem Herrschaftsanspruch der Äbtissin. Beide Parteien konkurrierten um die Zuständigkeit in geistlichjuristischen sowie pfarrrechtlichen Angelegenheiten. Entscheidend für die jeweilige Argumentation war die Grenzziehung zwischen verschiedenen Räumen, die mal ein topographisches Gebiet, dann wiederum eine Gruppe von Konfessionsangehörigen umfassen konnten, sowie deren Durchsetzung. Im Streit um die geistliche Jurisdiktion in Ehesachen, welche die Essener Äbtissin als geistliches Oberhaupt auch über die katholischen Bürger auf städtischem Gebiet beanspruchte, versuchte der lutherisch dominierte Stadtrat einen rechtlichen Sonderstatus des Stadtbezirkes zu etablieren, um ihn aus dem Kirchsprengel der Äbtissin zu eximieren. Statt dem geistlichen Gericht der Äbtissin sollte alles, was [innerhalb der Stadtmauern, Anm. d. Verf.] a jurisdictione Ecclesiastica dependiret,136 ohne Unterschied der Konfession dem Konsistorium überantwortet werden. Hierzu zählten sowohl die Verwaltung von Kirchen, Schulen und Hospitälern samt ihrem Personal als auch die Ehegerichtsbarkeit. Die Stadtverantwortlichen stützten ihre Argu____________ 134 135 136

Vgl. zu dem Begriff HÖLSCHER, Einleitung, S. 13-15. Vgl. hierzu HÄBERLEIN, Konfessionelle Grenzen; FRANÇOIS, Die unsichtbare Grenze. Aufstellung aller Streitsachen, die zwischen der Äbtissin und der Stadt an den Reichsgerichten anhängig waren [1730]: Essen StA Rep. 100 Nr. 108 j.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

mentation mit dem Verweis auf die Handhabung der jurisdictio ecclesiastica seit Einführung der Augsburgischen Konfession 1563 durch das Konsistorium sowie das Reichskammergerichtsurteil von 1670. Das Urteil bestätigte nicht nur die Zuständigkeit des Konsistoriums, sondern bestritt jegliche geist- und weltliche Jurisdiktion der Äbtissin in der Stadt.137 In seiner Argumentation orientierte sich der Stadtrat in dieser Streitfrage nicht an den konfessionellen Grenzen zwischen katholischen und evangelischen Bürgern, sondern an den topographischen Grenzen des Rechtsbezirkes Stadt, manifestiert in der Stadtmauer. Gegen die städtischen Eingriffe in ihre Geistliche Jurisdiction in causis matrimonialibus et dispensationibus a proclamationibus erhob zunächst Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg 1713 Klage gegen die Stadt beim kaiserlichen Reichshofrat.138 Zwar konnte sie dort schon bald ein Mandat erwirken, das dem Stadtrat sowie dem von ihm eingesetzten Konsistorium die Entscheidung in Fällen der geistlichen Matrimonialgerichtsbarkeit über katholische Bürger verbot, jedoch fand dieses Mandat wenig Anerkennung. Vielmehr gelang es dem Stadtmagistrat, eine endgültige Entscheidung des Reichshofrates über Jahrzehnte hinauszuzögern, indem die Stadt immer neue Eingaben machte, sich dem Verfahren wiederholt entzog oder gegen einzelne Verfahrensschritte protestierte.139 Der Prozess wurde so ____________ 137

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Aufstellung aller Streitsachen, die zwischen der Äbtissin und der Stadt an den Reichsgerichten anhängig waren [1730]: Essen StA Rep. 100 Nr. 108 j. Supplik des Stiftsagenten Heunisch (praes. 31. Aug. 1713): Wien ÖHstA HHStA RHR Obere Registratur K. 248. 1730 reichte der Wiener Agent des Stadtmagistrats nicht rechtzeitig eine Entgegnung ein, so dass ein weiteres kaiserliches Mandat ohne Anhörung der städtischen Partei erfolgte. Dieses wurde von Stadtmagistrat und Konsistorium nicht weiter beachtet. Zu der 1734 angesetzten Hofkommission zögerte der Stadtmagistrat die Bevollmächtigung eines Abgeordneten hinaus. Leider war die Überlieferung zu diesem Konflikt sowie dem Verfahren am RHR seit 1713 bis in die 1720er Jahre im ÖHStA HHStA Wien wegen eines Wasserschadens sowie Schimmelbefalls kaum benutzbar. Auch die städtische Überlieferung im StA Essen konnte aufgrund konservatorischer Gründe nicht bearbeitet werden. Im Stiftsarchiv, das im LAV NRW R in Düsseldorf aufbewahrt wird, ebenso wie im Münsterarchiv, dass das Archiv des Offizialats in einer Microfiche-Kopie beherbergt (die Originale liegen im Diözesanarchiv Köln), sind keine Akten zu diesem Vorgang vorhanden. Daher war die Verf. bei der Rekonstruktion auf eine Kompilation aller bis 1730 an den Reichsgerichten anhängigen Verfahren zwischen der Stadt und der Äbtissin, die auf Seiten der Stadt angefertigt worden war, angewiesen: Informatio Von der Situation und Zustande, worinnen die jenige Streit-Sachen und Processen, welche zwischen der Frau Abdißinnen zu Essen nd dem Magistrat daselbst, bey dem Hochpreißlichen Kayßerlichen undt des Reichs Hoff Rath von anno 1713. biß 1730. Rechtshängig sind, und wie selbige vorjetzo liegen [1730]: Essen StA Rep. 100

4.1. Verhandeln

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dauerhaft in der Schwebe gehalten und der Zuständigkeitsbereich in Eheangelegenheiten weiterhin an den Stadtgrenzen ausgerichtet. Die besondere Problematik in Fragen der geistlichen Jurisdiktion bestand in der für die Vormoderne insgesamt typischen engen Verbindung von geistlicher und weltlicher Gewalt. Der Augsburger Religionsfrieden hatte zudem die Verbindung der jura territorialia et episcopalia in der Hand von (weltlichen) Fürsten in die staatsrechtliche Diskussion eingeführt.140 Der Essener Stadtmagistrat bestand jedoch darauf, keine Munizipalstadt des Stifts, sondern eine von Römischen Kaysern und Königen höchst=privilegirte Stadt zu sein, und bestritt daher sowohl die geistliche als auch weltliche Obrigkeit der Äbtissin innerhalb der Stadt.141 Die Essener Äbtissinnen waren hingegen bemüht, ihren landeshoheitlichen Anspruch über die Stadt durch bezirksübergreifende religiöse Praktiken symbolisch zum Ausdruck zu bringen und sich so den städtischen Raum anzueignen. Dies geschah beispielsweise in Form der Fronleichnamsprozession, deren Weg durch städtisches Gebiet an den Wahrzeichen städtischer Autonomie, dem Rathaus und der Marktkirche vorbeiführte, oder in Form obrigkeitlicher Entscheidungen im Hinblick auf die katholischen Institutionen innerhalb der Stadt.142 Die Grenzziehung zwischen der ummauerten Stadt sowie der darin liegenden Stiftsfreiheit und dem umliegenden Stiftsterritorium stellte nur eine Strategie dar, um den konfessionellen Raum analog zu den topographischen Grenzen zu besetzen. Ein weiteres Beispiel aus Essen, wo es seit Beginn der 1720er Jahre zu zahlreichen Übergriffen auf lutherische und katholische Gläubige in der Ausübung ihrer Konfession gekommen war,143 zeigt, dass ____________ 140

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Nr. 108 j. Supplik des städtischen Anwalts Fabrice an den RHR (praes. 3. Dez. 1734): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur K. 247/4. Augsburger Religionsfrieden, § 20 [Suspendierung der bisherigen geistlichen Gerichtsbarkeit], in KAISER UND REICH, Teil 1, S. 215-283, hier S. 227. Supplik des Stadtrates an das Reichskammergericht (26. Okt. 1733): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 939, fol. 14r-16r. S. u. Kap. Gehen hinter dem Sakrament; Die Äbtissin säkularisiert. Vgl. hierzu die Forschungen des Projektes B4 „Segen für die Mächtigen: Legitimität und Legitimation politischer Herrschaft in spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Stadtprozessionen“ im Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, insbesondere das laufende Dissertationsprojekt von Kristina Thies „Karfreitags- und Fronleichnamsprozessionen zwischen Tridentinum und Säkularisation in München, Augsburg und Erfurt“. THIES, BRADEMANN, FREITAG (Hg.), Liturgisches Handeln und soziale Praxis. Vgl. hierzu und im Folgenden KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen.

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konfessionelle Räume ebenso durch die Zuordnung zu einer Gruppe konstituiert werden konnten. Im Mai 1722 sollte der evangelische Stiftsbauer Gabriel Wortberg in seiner Erbgrube auf dem Friedhof neben der Münsterkirche bestattet werden.144 Zum lutherischen Bestattungszeremoniell gehörten der Gesang lutherischer Lieder, das Läuten der Glocken und die Begleitung des Sarges durch die Schüler der lutherischen Schulen. Im Anschluss an die Beerdigung fand dann in der lutherischen Gertrudiskirche die Leichenpredigt statt.145 Als der Leichnam des Bauern Wortberg von seinen katholischen Nachbarn bis zum Kettwiger Stadttor gebracht worden war, wurde ihnen hier vom Offizial Johann Joseph Wilhelm Devens der Zutritt verweigert und den katholischen Stiftsuntertanen verboten, den Sarg weiterzutragen und die Leichenpredigt zu hören. Nachdem der Stadtmagistrat zunächst gegen dieses Vorgehen protestiert hatte, gab er den evangelischen Bürgern, die in der Nähe des Kettwiger Tores wohnten, den Auftrag, den Leichnam ordentlich [zu] verleuthen undt zum Grabe [zu] tragen.146 Unterdessen hatten jedoch Kanzleibeamte und katholische Bürger den Zugang zur Burgfreiheit sowie zum Friedhof versperrt und bereits begonnen, das ausgehobene Grab erneut zuzuschütten. Erst nach ettliche[n] Stunden gelangten Magistratsbeamte, lutherische Bürger und Schüler auf den Kirchhof und setzten dort unter vielen schreyen undt ruffen der Katholischen den Bauern bei.147 Aufgrund ganz ähnlicher Widerstände wurden andere evangelische Untertanen des Stifts nicht in ihrem Erbbegräbnis in der Stadt Essen, sondern auf anderen Friedhöfen in Rellinghausen oder Steele an der Mauer – also einem verächtlichen Ort, wo sonst nur Verbrecher und Suizidenten verscharrt wurden – bestattet.148 Das unehrliche Begräbnis diente dem Offizial als Maßnahme der Abschreckung ____________ 144

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Hierzu und im Folgenden die Schilderungen der Ereignisse in Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 11r-12v. Ebd. Ebd., fol. 12r. Ebd., Zitate fol. 12r, 12v. Diese Regelung sahen bereits die strengen Religionsordnungen von 1624 (§ 10) und 1628 (§ 4) vor, mit welcher die damalige Äbtissin Maria Clara von Spaur die Rekatholisierung von Stift und Stadt Essen durchzusetzen versuchte. Religionsordnungen (28. Juni 1624 u. 26. Aug. 1628), in HOEDERATH, Die Religionsordnungen, S. 292, 295. Siehe die Beispiele in Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 12v-15r, Zitat: 14r.

4.1. Verhandeln

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gegenüber den anderen evangelischen Untertanen,149 die ihren Glauben nicht offen ausleben und am besten ablegen sollten.150 Im Oktober 1723 verboten die Stiftsräte Johann Wortberg und der Tochter Dietrich Kersebaums, sich von einem lutherischen Prediger trauen zu lassen. Man drohte ihnen von Seiten der Äbtissin, daß im wiedrigen die eheliche Beywohnung vor unzulaßig, undt die auß der Ehe zielende Kinder für unehlich solten gehalten werden.151 Außerdem müsse ihnen gegebenenfalls die dennoch durchgeführte lutherische Trauung als ohngehorsam gegenüber der Äbtissin angelastet werden. Trotz der vielfältigen Eingaben des Stadtrates und der Bittschriften der Brautleute wollten die Kanzleibeamten in Abwesenheit der Äbtissin von ihrem gefaßten Eigensinn, undt betrünkung der Evangelischen Stift Unterthanen nicht ablassen. Auch das Dehortations-Schreiben des preußischen Königs und das Eingreifen der beiden Kapitel blieben wirkungslos. Weil sich die Brautleute nicht auf der Kanzlei einfanden, um dort zu versichern, dass sie sich nicht lutherisch, sondern durch den katholischen Prediger an der St. Johanniskirche trauen lassen würden, wurden ihre beiden Familien wegen gefließentliche[n] ungehorsahm undt fürsetzlicher verachtung Landts Obrigkeitlichen verbotts mit Geldstrafen belegt. Nachdem sie weiterhin jede Erklärung verweigerten, wurden die Unterkünfte beider Familien über mehrere Wochen mit Kreissoldaten besetzt. Zwischen 1722 und 1727 kam es zudem zu mehreren katholischen Zwangstaufen sowie zu gewaltsamen und fiskalischen Übergriffen auf lutherische Stiftsuntertanen, die sich der katholischen Taufe ihrer Kinder widersetzen konnten. Diese Übergriffe reichten von hohen Geldstrafen bis hin zu Inhaftierungen.152 Auch diesmal gehörte die Familie Wortberg zu den Opfern. Gleich zweimal wurde 1724 und 1727 die lutherische Taufe der ____________ 149

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Zum unehrlichen Begräbnis von Verbrechern und Suizidenten vgl. KÜHNEL, Kranke Ehre, Kap. I. 2, (mit weiterer Literatur). Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 33. Vgl. hierzu und im Folgenden Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 63r-66v. Der Kötter Schroer aus Katernberg wurde 1722 mit einer Geldstrafe von 70 Goldgulden belegt, nachdem er seine Tochter in der Gertrudiskirche lutherisch hatte taufen lassen. Der Hofpächter Kersebaum aus Rüttenscheid wurde 1723 im Bürgerturm zu Steele inhaftiert, weil er dem Befehl, seine Tochter katholisch in der Johanniskirche taufen zu lassen, nicht nachgekommen war. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 34-38. Siehe auch in Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 15r-22r, 22r-24v.

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Kinder verhindert. 1724 befand sich die Taufgesellschaft bereits kurz vor den Toren der Stadt Essen, als sie von bewaffneten katholischen Stiftsbauern zurückgedrängt wurden, die ihr Haus und ihren Hof in den folgenden Tagen besetzt hielten, bis das Kind unter Zwang durch den Jesuiten Teschius auf dem Hof getauft wurde.153 Gut zwei Jahre später war das Ehepaar Wortberg bereits im Vorfeld der Geburt unter Androhung einer Strafe in Höhe von 100 Goldgulden aufgefordert worden, sein Kind in der Johanniskirche katholisch taufen zu lassen. Wieder wurde ihr Haus von Schützen umzingelt, die den Moment der Geburt abwarteten. Kurz nach der Niederkunft erschien dann erneut der Jesuit Teschius und nahm gewaltsam die Taufe des Kindes vor. Allen bedrängten evangelischen Stiftsuntertanen gemeinsam waren die Tatgegenstände, welche ihnen von den weltlichen und geistlichen Vertretern des Stifts vorgeworfen wurden und die schließlich zu ihrer Bestrafung führten: sowohl [schandaleuse] violation der parochial Jurisdiction als auch die Verachtung [...] [ihrer] höchsten Landsobrigkeit.154 In den Essener Religionsstreitigkeiten ging es demnach zunächst um die umstrittenen Grenzen zwischen den Sprengeln der beiden Pfarrkirchen St. Gertrudis und St. Johannis. Beide bereits im 13. Jahrhundert zu Pfarrkirchen erhoben, bildeten sie zwei voneinander abgegrenzte Pfarrbezirke innerhalb der Stadt und den Stiftsbauernschaften. Zu St. Gertrudis gehörten neben der Stadt die ost- und nordwärts gelegenen Bauernschaften Altenessen, Karnap und Katernberg, zu St. Johannes neben der Stiftsimmunität die west- und südlich gelegenen Bauernschaften. Davon ausgenommen waren Borbeck, Steele und Rellinghausen, die eigene Pfarrkirchen besaßen.155 Während St. Johannes seit dem 13. Jahrhundert darüber hinaus die Funktion als Kollegiatkirche der Stiftskanoniker übernommen hatte, avancierte St. Gertrudis, bald auch Marktkirche genannt, „zum wichtigsten öffentlichen Gebäude der Stadt neben dem Rathaus“.156 In der Bürgergemeinde von St. Gertrudis wurzelte Mitte des 16. Jahrhunderts die städtische Reformation Essens.157 Zwar hatte es unter Maria Clara von Spaur Versuche gegeben, die Gertrudiskirche zu rekatholi____________ 153

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Bericht der Regierung zu Kleve über die Vorkommnisse gegenüber dem preußischen König (5. Sept. 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Nr. 1657, fol. 89r-90r. Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 21r. Pro Memoria, wie es mit der Religion vor wie nach der Reformation gehalten wurde [April 1724]: StA Essen Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 2, fol. 102r-107v. KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 29. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Das Stift Essen im Zeitalter der Konfessionalisierung, S. 26.

4.1. Verhandeln

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sieren,158 diese war der evangelischen Stadtgemeinde aber 1630 durch verschiedenen kaiserliche Mandate restituiert worden. Der Westfälische Friede und das Urteil des Reichskammergerichtes von 1670 schützten schließlich die freie Ausübung der Augsburgischen Konfession sowohl in der Stadt als auch im Stift.159 Obwohl man auf Seiten des Stifts den Anspruch auf die Kirche nie aufgab und regelmäßig einen Kanoniker als zuständigen Pfarrer ernannte, etablierte sich St. Gertrudis dauerhaft als lutherische Pfarrkirche.160 Zu dieser gehörten nun sowohl diejenigen Pfarrkinder, die schon vor der Reformation dort eingepfarrt gewesen waren und sich dann ebenfalls zur Augsburgischen Konfession bekannt hatten, als auch die andern Stiffts Unterthanen, welche an der andern seithen der Stadt gewohnet, und in der S. Johannis Kirchen eingefarret gewesen, aber die Augsburgische Confession angenommen und daher solche Pfarrkirche verlassen haben.161 Umgekehrt waren die katholisch gebliebenen Stiftsuntertanen von der Gertrudis- an die Johanneskirche gewechselt, so dass beyderseits Religionen ihren offentlichen Gottesdienst mit Freiheit ihres Gewissens nach inhalt des Religions Friedens mit Duldung der Äbtissin genießen konnten.162 Diese Vorstellung einer konfessions- und nicht gebietsgebundenen Pfarrrechteverteilung bestimmte zumindest die städtische Wahrnehmung.163 Von einer solchen Umverteilung des jus parochiae, wonach die Pfarrgenossenschafft oder parochialitaet nicht ferner nach dem district sondern nach der Religion einge-

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Vgl. zur Gegenreformation im Stift Essen KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 118-139; DIES., Das Stift Essen im Zeitalter der Konfessionalisierung, S. 31-33; GOOßENS, Geschichte der spanischen Einfälle. IPO, Art. V § 2 (Normaljahrsregelung); Urteil des Reichskammergerichtes (4. Febr. 1670): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht E 589 I/1908-II; abgedruckt in FUNCKE, Geschichte des Fürstenthums und der Stadt Essen, S. 345-347, hier S. 346. Darin heißt es: dann bey jetziger freyer übung eingeführten Ausgburgischen Confession und Religion in Kirchen, Schulen, Hospitälern, deren geistlichen Güter und Gefälle, deme zu Münster und Osnabrüg getroffenen Frieden gemäß, zu schützen, manuteniren und lassen seyn. KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 28. Facti Species (o.D.): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 11r-34r, hier 11v. Ebd., fol. 11v-12r. Vgl. besagte Facti Species (o.D.), worin der preußischen Regierung zu Kleve einerseits die verschiedenen Angriffe auf evangelische Untertanen, andererseits die zugrunde liegenden pfarrrechtlichen Kompetenzen vorgestellt wurden: Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 11r-34r.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

richtet würde, wie an allen orten vermengeter religion zu geschehen pfleget,164 erkannte Äbtissin Bernhardine Sophia jedoch nicht an.165 Denn ihr und ihren Beamten ging es darüber hinaus um die Frage der Landeshoheit, welche sich nicht punktuell über einige, sondern flächendeckend über alle Untertanen erstreckte und das Kirchenregiment mit einschloss. Die Äbtissin erklärte, dass ihr in gemelter unser Statt so wohl als in dem Stifft die Landsfürstliche Hoheit, und also dabey das Jus Diocesanum mit allen übrigen annexis kundbahrlich zustehet.166 Zwar wolle sie ihren Untertanen im Hinblick auf Taufe und Eheschließung gerne entgegenkommen, aber verschiedene Auswertige so wohl Juridica, als Theologica Consilia hätten ihr bestätigt, dass sie ohne offenbahres Gewißens Beschwehr und aus der Mir obliegenden Landts Obrigkeitliche[n] pflicht ihren Untertanen keine Zugeständnisse machen könne.167 Hier standen sich nicht nur zwei unterschiedliche Raum-, sondern auch Herrschaftsvorstellungen gegenüber, die kaum miteinander zu vereinbaren waren: einerseits die punktuelle Wahrnehmung von Einzelrechten im Sinne der mittelalterlichen Grund-, Lehns- und Kirchenherrschaft, andererseits die flächendeckende Landeshoheit, die auch das Kirchenregiment beinhaltete. Die Argumentationsmuster hatten sich demnach im Vergleich zum Streit um die Matrimonialgerichtsbarkeit spiegelbildlich verkehrt. Ursache hierfür sind die anders gelagerten Herrschaftsverhältnisse. Innerhalb des Stiftsterritoriums besaß die Äbtissin unwidersprochen die uneingeschränkte Landeshoheit, gegen die sie keinen Widerspruch duldete. Innerhalb der Stadt erhob sie zwar ebenfalls den Anspruch auf Landeshoheit, dem standen aber die vom Reichskammergericht bestätigten Selbstverwaltungsrechte der Stadt entgegen. Daher versuchte sie ihren Einfluss dort auf Grundlage einzelner Rechtstitel zu vergrößern. Ähnliches galt für den Magistrat, der sich bemühte, die Grenzen seines Einflussbereiches auf die Stiftsfreiheit sowie die evangelischen Untertanen auszudehnen. Es handelte sich daher auf beiden Seiten weniger um eine konsistente als vielmehr um eine situative Argumentationsstrategie, deren Ziel die möglichst größte Ausdehnung des Herrschaftsraumes war. ____________ 164

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Regierung zu Kleve an Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (13. März 1723): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 43r-46r. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg an die Regierung zu Kleve (30. März 1723): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 55r-61r. Ebd. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg an Friedrich Wilhelm I. (9. Juli 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Nr. 1657, fol. 35r-38r.

4.1. Verhandeln

203

Dass es zur Eskalation der konfessionellen Verhältnisse im Stift Essen kam, die sich zunächst in Übergriffen auf evangelische und katholische Untertanen ausdrückte, später dann in der militärischen Besetzung des Stifts durch preußische Soldaten niederschlug, hing nicht zuletzt mit den jeweiligen Eigeninteressen der weiteren beteiligten Akteure zusammen. Hierzu gehörten auf Seiten des Stifts der Offizial Devens sowie der Jesuit Teschius. Devens verfocht als Vertreter der Äbtissin in geistlichen Angelegenheiten sowohl ein dogmatisch-katholisches Kirchenrecht als auch die Vorstellung einer alleinigen Landeshoheit der Äbtissin.168 Dabei konnte er auf einen breiten, eigenmächtigen Entscheidungsspielraum zurückgreifen, da er nicht der Stiftskanzlei nachgeordnet, sondern nur der Äbtissin Rechenschaft schuldig war. Die alternde Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland sehnte sich jedoch zusehends danach, nur mehr in Stille zu leben,169 und hielt sich häufig außerhalb Essens in Schloss Styrum im benachbarten Mülheim auf. Sie beklagte darüber hinaus den Verlust ihrer loyalen Ratgeber und das mangelnde Vertrauen gegenüber den neuen Stiftsbeamten.170 Die Stadtverantwortlichen identifizierten Devens nicht nur als hauptsächlichen Antreiber im Fall der erschwerten Beerdigung des Bauern Wortberg im Mai 1722, sondern darüber hinaus auch als geschworene[n] feindt der Stadt und der evangelischen Untertanen aus einem gehaßigen unpatriotischen Gemüth heraus.171 Tatsächlich wusste man auf der Stiftskanzlei nichts von dem Verbot, mit dem den Bauern untersagt wurde, die Leiche Wortbergs auf den Münsterfriedhof zu geleiten. Denn, so die Aussage des Kanzleirates, die Äbtissin überließe solches ihrem Offizial.172 Man kann daher vermuten, dass Devens in der Regel freie Hand in seiner Amtsführung hatte und diesen Umstand ausnutzte, um seinen eigenen Einflussbereich zu vergrößern. Die Jesuiten hatten vor allem zu Beginn der Regierung Bernhardine Sophias und dann auch unter Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach an Einfluss gewonnen.173 Ursprünglich galt die Essener Pfarrei als ein sehr harte[s] ____________ 168 169

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Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 56. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg an Hofrat Korb zu Sulzbach (12. Febr. 1724): München BHStA Geheimes Staatsarchiv Pfalz Neuburg Nr. 766. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg an Hofrat Korb zu Sulzbach (14. April u. 19. Sept. 1724): München BHStA Geheimes Staatsarchiv Pfalz Neuburg Nr. 766. Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 11r. Ebd., fol. 11r. Vgl. ARENS, Jesuitenresidenz; KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 151f., 158.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

und schwierige[s] Gebiet.174 Mit der Unterstützung der beiden Äbtissinnen waren die Jesuiten jedoch nicht nur in einflussreiche Positionen wie die Pfarre St. Johannes, sondern auch in den Besitz verschiedener Güter gelangt. Zum Güterbesitz der Essener Jesuitenresidenz gehörte auch ein Gut, das die evangelische Familie Wortberg bewirtschaftete, die mehrfach Opfer der Religionsstreitigkeiten geworden war. In ihrem Fall darf ein gewisses Interesse der Jesuiten unterstellt werden, die Pächterfamilie mit Hilfe von Beeinträchtigungen zugunsten katholischer Pächter verschrecken zu wollen.175 Als Inhaber von Pfarrstellen ging es für die Jesuiten darüber hinaus um zusätzliche Einkünfte. Für verschiedene Pfarrhandlungen wie Taufe, Hochzeit und Beerdigung mussten die eingepfarrten Untertanen Stolgebühren an den ausführenden Pfarrer zahlen. Diese Gebühren gingen den katholischen Pfarrern von St. Johannes zwangsläufig verloren, wenn sich die evangelischen Untertanen an die Pfarrer von St. Gertrudis wandten. Der Einkommensverlust spielte daher auch in der Argumentation auf Seiten des Stifts eine entscheidende Rolle. Die Essener Stiftskanzlei war sogar bereit, den evangelischen Untertanen Pfarrhandlungen in evangelischen Kirchen zu erlauben, solange dies der parochial Gerechtigkeit der katholischen Pfarrer nicht von Nachteil wäre, sie also weiterhin in den Genuss der Stolgebühren kämen.176 Involviert durch seine Regierungsvertreter in der Region sowie den Stadtmagistrat gehörte bald auch der preußische König als Herzog von Kleve und Graf von der Mark sowie die Beamten der preußischen Regierung in Kleve zu den Akteuren der konfessionellen Streitigkeiten. Als Schutzherr von Stift und Stadt sowie direkter Nachbar hatten der preußische König und seine Vertreter gleich verschiedene Gründe, sich in die Auseinanderset____________ 174

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Nachruf des Pater Gerhard Teschius SJ in den litterae annuae des Jesuitenkollegs Neuss, hier zitiert nach KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 56. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 63f. Dieses Vorhaben ist ihnen schließlich Mitte der 1740er Jahre auch gelungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bauer Wortberg angesichts verschiedener Strafgelder und Pfändungen so viele Schulden angehäuft, dass schließlich auch der Hof gepfändet und eingezogen wurde. In dieser Situation war auch die Regierung zu Kleve machtlos, da es sich um ein rechtskräftiges Vorgehen handelte. Supplik der Bauern Wortberg und Kersebaum (10. Dez. 1745): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1671, fol. 103r-106r; Bericht der Regierung zu Kleve an Friedrich II. (15. Juni 1751): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1671, fol. 117r-119v. Vgl. Befehl gegenüber dem evangelischen Untertanen Schroer (20. Jan. 1723), in Facti Species des brandenburgischen Amtsverwalters zu Bochum (o.D.): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 29v-30v.

4.1. Verhandeln

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zung einzuschalten: Zum einen wurden auch Kirchen des Konsistoriums im preußischen Amt Bochum durch die Zwangsmaßnahmen gegenüber evangelischen Stiftsuntertanen beeinträchtigt, denen Gebühren für seelsorgerische Akte verloren gingen.177 Zum anderen hatten die Stadtverantwortlichen den König in seiner Funktion als Schutzherr um seinen Beistand gebeten. Als solcher erhob er den rechtlichen Anspruch, auf der Grundlage von recht undt den Reichs Constitutionen für Ruhe und Frieden zu sorgen.178 Des Weiteren kümmerte ihn auch das Schicksal der evangelischen Stiftsuntertanen als Glaubens- […] Verwandte.179 Im Herbst 1724 besetzten preußische Soldaten das Essener Stift und befreiten einige inhaftierte evangelische Bürgersöhne, die auf Befehl der Äbtissin wegen verbotenem Maibaumschlages sowie Beleidigung des Offizials in Steele festgehalten wurden.180 Zuvor waren die Dehortations-Schreiben des Königs und der Regierung zu Kleve sowie die Gesandtschaft des preußischen Geheimen Regierungsrates Pollmann ohne Wirkung geblieben.181 Zwar begründete Friedrich Wilhelm I. sein Eingreifen mit seiner schutzherrlichen Pflicht, Tumult und Aufstand zu verhindern.182 Damit verbunden war aber immer auch die Sorge, seine Rechte wie ____________ 177

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Die Amtsverwalter des Amtes Bochum wandten sich bereits im Frühjehr 1723 an die Regierung zu Kleve, um die Übergriffe auf evangelische Stiftsuntertanen vorzustellen. Die Regierung zu Kleve überschickte deren Klagen dann weiter nach Berlin. Anschreiben der Regierung zu Kleve (15. Mai 1723) sammt Species facti der Bochumer Amtsverwalter (o.D.): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol.7r-9v, 11r-34r. Friedrich Wilhelm an Kaiser Karl VI. [Juni 1724]: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 3, fol. 11r-20r. Dehortations-Schreiben Friedrich Wilhelms I. an die Essen Äbtissin (5. Juni 1723), in Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 61r62r. Befehl an den Generalfeldmarschall von Heyden, das Moselsche Regiment nach Essen zu verlegen (15. Aug. 1724), Bericht des preußischen Kapitäns des Moselschen Regiments an den König (24. Sept. 1724), Species facti über den Fall (o.D.): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, fol. 86r-v, 130r-131r, 253r-256r. Bericht der Regierung zu Kleve an den König und das Kabinett über die Absendung des Geheimes Rates Pollmann (20. Juni 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, fol. 5r-v. Vgl. auch dessen Kompromissvorschlag, bis eine endgültige Lösung der Streitfrage an den Reichsinstitutionen gefunden würde, Konzept (o.D.): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, fol. 22r-24r. Friedrich Wilhelm I. an Kaiser Karl VI. [Juni 1724]: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 3, fol. 11r-20r.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

das jus praesidy zu behaupten,183 seine Position als Schutzherr zu festigen und seinen Einfluss zu vergrößern.184 Die militärische Intervention hing somit nicht allein mit der sich zuspitzenden Lage in Essen und den zunehmenden Übergriffen zwischen den Konfessionsanhängern zusammen,185 sondern ebenso mit der Weigerung der Äbtissin, den Schutzherrn als regulierende Instanz in diesem Konflikt sowie seine Rechte anzuerkennen.186 Stattdessen wurde Friedrich Wilhelm im Namen der Äbtissin Bernhardine Sophia in seine Schranken gewiesen. In einem Schreiben erinnerte sie ihn daran, dass im fall zwischen Mir und meinen Unterthanen entstehenden Streits die Schutzzpacta dahin limitirt seind, daß das Schutzherliche Ambt nit anders als auf Ersuchen einer zeitlichen Fürstinnen, umb die Unterthanen Straffen zu helffen dabey concurriren könne.187 Als oberstrichterliche Instanz hatte Bernhardine Sophia bereits den Reichshofrat angerufen. Dort wurden nicht nur Kurfürst Clemens August I. von Köln und Fürst Wilhelm von Nassau-Dillenburg mit einer kaiserlichen Kommission beauftragt, die sich der unterschiedlichen Streitpunkte annehmen sollte, sondern auch verschiedene Mandate an den Stadtmagistrat sowie den preußischen König erlassen.188 Der Stadtmagistrat erhielt den Befehl, ____________ 183

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Regierung zu Kleve an Friedrich Wilhelm I. (27. Febr. 1725): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1658, fol. 21r-v. Den preußischen Agenten am Reichshofrat, wo die Streitigkeiten ebenfalls schon seit einiger Zeit anhängig waren, wurde im Zuge des Verfahrens aufgetragen, nicht nur dafür zu sorgen, dass den evangelischen Untertanen kein Präjudiz zugefügt werde, sondern noch davor auf die Gerechtsame des Königs Acht zu geben. Kabinettsorder an die Agenten Brand und Grave (9. Jan. 1725): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1658, fol. 4r-5v. Vgl. Supplik von Bürgermeister und Rat der Stadt Essen an Friedrich Wilhelm I. [1724]: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 3, fol. 1r-10r. Darin werden unter anderem die Übergriffe der Kreissoldaten auf vermeintlich evangelische Untertanen geschildert. Die Soldaten hatten ohne Grund auf die Bürger eingeschlagen und von einem erst abgelassen, als er schrie: Ich bin gut Cathelisch warumb schlaget Ihr mich. Woraufhin der Soldat von ihm abließ und entgegnete: vergebt mir daß wuste ich nich, es ist nur umb die Lutherische teuffels zu thun geweßen. Vgl. Bericht des Gesandten Pollmann an die Regierung zu Kleve, die ihn nach Berlin weiterleitet (29. Juni 1724), und Anschreiben der Äbtissin an Friedrich Wilhelm I. (9. Juli 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, fol. 33r-34r, 35r-38r. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg an Friedrich Wilhelm I. (9. Juli 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, fol. 35r-38r. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg an Friedrich Wilhelm I. (9. Juli 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, 35r-38v. Der Stadtmagistrat tat es ihr gleich. Zusammenstellung aller Prozesse,

4.1. Verhandeln

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keine andere Hülffe, als ledigl: bey allerhöchstgedl: Ihro Kayl: Mayl. [zu] suchen, und von allen recours wie auch eigenmächtige Thätlichkeiten ab[zu]stehen, folgl: die bereits Reichs Väterl: erkannte Kayl: Commission in Ruhe ab[zu]warten.189 Dem preußischen König beschied man hingegen, dass er nicht befugt wäre, unterm vorwant, einer Schutz und schirm gerechtigkeit weder eine Kommission nach Essen zu schikken, noch eine mannschafft dahin zu legen. Denn ein solches Verhalten bedeute einen Eingriff in Unser allerhöchst=Richterliches Ambt, in dessen Ausübung der Kaiser bereits Vorkehrungen getroffen habe, damit in bemelter Stadt kein tumult oder auflauf zu befahren seyn möge.190 Der Gegenstand beider Mandate zeugt vom Konkurrenzverhältnis zwischen Kaiser und König, das auf einen größeren Zusammenhang verweist, in den die Essener Streitigkeiten eingeordnet werden müssen. Während dieser Zeit stellten Übergriffe auf Angehörige der jeweils anderen Konfession keinen Einzelfall dar. Ähnliche Formen von Zwangstaufen bis hin zu Kindesentführungen finden sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in vielen Territorien des Reiches.191 Sie waren nicht zuletzt Zeugnis des sich aufheizenden Religionsklimas seit der Rekatholisierung der Pfalz Ende des 17. Jahrhunderts. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in den Jahren um 1720, als die Beeinträchtigung der Reformierten durch Kurfürst Carl Philipp von der Pfalz beinahe zu einem weiteren ‚Religions‘-Krieg192 geführt hätte.193 In dieser Situation exponierte sich Friedrich Wilhelm I. in Preußen gemeinsam mit anderen mächtigen evangelischen Fürsten als Sprachrohr sowie Beschützer der unterdrückten evangelischen Glaubensgenossen. Sie bildeten eine norddeutsche, protestantische Phalanx gegenüber dem katholischen Kaiser. Der preußische König forderte die evangelischen ____________

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die zwischen der Äbtissin und der Stadt Essen zwischen 1713 und 1730 am Reichshofrat anhängig waren: Essen StA Rep. 100 Nr. 108j. Darin wird die Klage der Stadt am Reichshofrat vom 12. März 1724 wegen der Übergriffe auf evangelische Stiftsuntertanen erwähnt. Kaiserliches Mandat an den Stadtmagistrat (5. Jan. 1725): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1658, fol. 58r. Kaiserliches Mandat an den preußischen König (5. Jan. 1725): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1658, fol. 1r-3r. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, „Kinder-Abpracticirung“. Sowohl der Schmalkaldische als auch der Dreißigjährige Krieg sind lange Zeit in der Forschung als Religionskriege bezeichnet worden. Diese Begrifflichkeit verengt jedoch den Blick auf die Motive der einzelnen Akteure, die immer auch politisch aufgeladen waren. Vgl. BURCKHARDT, Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg; DERS., Worum ging es im Dreißigjährigen Kriege?; HAUG-MORITZ, Der Schmalkaldische Krieg. Vgl. BURKHARDT, Vollendung und Neuorientierung, S. 334-346.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Pfarrer regelrecht auf, alle Beschwerden in Religionsangelegenheiten vorzutragen, umb hiernechst der unpartheiyischen Welt zeigen zu können, daß die gravamina Evangelicorum, die Beschwerden der Catholischen Parthey, sowohl an Zahl, alß auch an rechtlichen fundamentis weit übertreffen.194 Hinter dem Eifer der mächtigen, vor allem norddeutschen Fürsten verbargen sich eindeutige politische Ziele. Es galt den unter Kaiser Leopold I. wieder gewachsenen Einfluss des Reichsoberhauptes im Norden zurückzudrängen,195 um den eigenen Anspruch auf Souveränität als Inhaber auswärtiger Kronen im Reich zu behaupten und sich nicht der Autorität des Kaisers beugen zu müssen.196 Die Konfessionsstreitigkeiten boten ein zusätzliches Feld, um die kaiserliche Autorität als oberster Richter zu schwächen. Denn nach Maßgabe der evangelischen Fürsten, die sich auf den Westfälischen Frieden beriefen, konnte der Kaiser nicht gleichzeitig Wahrer des katholischen Glaubens sowie unparteiischer Richter in Konfessionsfragen sein. In Religionsfragen sollte vielmehr allein der Reichstag zuständig sein.197 In ihrem Antagonismus waren die mächtigen, evangelischen Reichsfürsten jedoch bemüht, sich demonstrativ im Rahmen des Reichsrechts zu bewegen. Dieses Bemühen spiegelt sich auch im Verhalten des preußischen Königs während der Essener Religionsstreitigkeiten wider. Bereits 1723 wandte Friedrich Wilhelm sich an den Freiherrn Wolf von Metternich, der als sein Gesandter am Reichstag zu Regenburg tätig war, unterrichtete ihn über sein Dehortations-Schreiben an die Äbtissin und trug ihm auf, für den Fall da solches […] nicht helffen solte, wird zu überlegen seyn auf was weise, sonst der Sache zu rath [sic], und verlang Wir darüber Eure, und der ürbig dort anwesenden woll gesinneten Evangelischen Gesandten Meinung zu vernehmen.198 Metternich beratschlagte sich daraufhin mit den braunschweigischen sowie anderen Gesandten und antwortete, man könne eher nichts ausrichten, bis dass die religionis gravamina von denen gravatis umständlich und ordentlich anhero gebracht, und zu denen bißherrigen vielen andern aus dem Reich gedruckt worden. Erst dann könne man sie dem kaiserlichen Kommissar vorstellen und ein Kayserl. rescriptum dehortatorium et restitutorium an die gravierende ____________ 194

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Friedrich Wilhelm I. an die Regierung zu Kleve (2. März 1719): Düsseldorf LAV NRW R Kleve-Mark Akten Nr. 116, Bl. 48f. Vgl. hierzu PRESS, Die kaiserliche Stellung; HAUG-MORITZ, Des „kaysers rechter Arm“; PRESS, Der Reichshofrat. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Honores regii; PEČAR, Symbolische Politik, S. 289; ROHRSCHNEIDER, SIENELL, Hohenzollern kontra Habsburg?, S. 67. STOLLBERG-RILINGER, Das heilige römische Reich deutscher Nation, S. 98f. Friedrich Wilhelm I. an Freiherr Wolf von Metternich, Gesandter am Reichstag (5. Juni 1723): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 71r.

4.1. Verhandeln

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Aebtißin urgiren.199 Die Besorgung einer solchen Beschwerdeführung am corpus evangelicorum durch die Stadt gab der König sogleich bei der Klever Regierung in Auftrag.200 Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung, in denen sich der König und seine Vertreter auf Grundlage des Schutzherrnamtes immer stärker engagierten, gab er den Räten seiner Klever Regierung zudem den Auftrag, auff nichts zu bestehen, wozu man nicht de jure aut observantien zureichendt befugt wäre. Er warnte sie: Es ist jetzo die Zeit nicht in dergleichen dingen etwas durchzutreiben, wozu man nicht unwiedersprechlich berechtigt ist.201 Später, als sich die Lage in Essen immer mehr zuspitzte und erste Pläne über eine militärische Intervention geäußert wurden, trug der König dabey gros Bedencken […], weil jetzo, da die Religions-Sachen im Reich in einer großen Crise, und zwischen den Catholischen und Evangelischen de Corpore ad Corpus deshalb tractiret wird, daraus ein gefährliches contretems entstehen könnte.202 Angesichts der Vielzahl an Reichshofratsprozessen, die im Zuge der konfessionspolitischen Zuspitzung im Reich gegen den preußischen König angestrengt und wiederaufgenommen wurden,203 schien Friedrich Wilhelm keinen weiteren Vorwand liefern zu wollen, um sein Eingreifen zu diskreditieren. Er verteidigte vielmehr, dass er sich nicht als Richter habe aufzwingen, sondern allein den Statum praesentem zu berühigung des Stiffts und der Stadt […] [als deren Schutzherr] conservieren [wollen], bis an anderen Orten durch den Kaiser als oberstem Richter eine Entscheidung getroffen werden würde.204 Die konfessionspolitischen Ereignisse auf der Ebene des Reiches schufen einerseits erst die Voraussetzungen für den Ausbruch der Essener Religionsstreitigkeiten. Erst vor dem Hintergrund des konfessionspolitischen Klimas im Reich waren Übergriffe auf evangelische Untertanen wie vor dem Westfälischen Frieden denkbar geworden. Andererseits beeinflussten sie deren Verlauf dadurch, dass das Handeln von Kaiser und König durch die Ereignisse im Reich bedingt war. Eine Lösung des Konfliktes war schließlich weder am Verhandlungstisch noch vor Gericht zu erreichen. Grund ____________ 199

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Freiherr Wolf von Metternich an Friedrich Wilhelm I. (14. Juni 1723): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 72r-v. Kabinettsorder an die Regierung zu Kleve (22. Juni 1723): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 73r-v. Kabinettsorder an die Regierung zu Kleve (8. April 1724): Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 4, fol. 2r. Kabinettschreiben an das Generaldirektorium (5. Juli 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, fol. 39r-v. S. u. Kap. Der rechte Arm des Kaisers. Friedrich Wilhelm I. an Kaiser Karl VI. [Juni 1724]: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 3, fol. 11r-20r.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

hierfür war das diffuse Verhältnis von konfessionellen und herrschaftlichen Motiven der Akteure sowohl vor Ort als auch im Reich. Geistliche und weltliche Herrschaft gehörten in der Vormoderne eng zusammen. Während jedoch das Nebeneinander und die Überschneidung unterschiedlicher Herrschaftsräume, in denen die Herrschaftsträger jeweils gerichts-, grund-, pfarroder lehnsherrliche Rechte wahrnahmen, mit dem Prinzip der Landesherrschaft noch vereinbar waren, so galt dies nicht mehr für das Prinzip der flächendeckenden Landeshoheit, welche die Summe dieser Einzelrechte darstellte. Verzichtete die Äbtissin demnach auf ihr geistliches Regiment, bedeutete dies gleichzeitig eine Beeinträchtigung ihrer Landeshoheit. Auch auf der Ebene des Reiches waren konfessionelle und herrschaftliche Motive nicht zu trennen. Denn mit dem Engagement der mächtigen evangelischen Fürsten als Verteidigern der Augsburgischen Konfession waren ebenso das Streben nach Souveränität und die Zurückdrängung des kaiserlichen Einflusses verbunden. Der Westfälische Frieden hatte die „Verrechtlichung der Konfessionskonflikte“ festgeschrieben,205 um das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen zu gewährleisten. Zwar diente fortan das Reichsrecht allen Beteiligten als Bezugsrahmen, es fehlte aber an einer übergeordneten und allgemein anerkannten Entscheidungs- und Exekutionsinstanz. Das oberstrichterliche Amt des Kaisers verlor immer deutlicher an Ansehen und Akzeptanz. Das ständisch besetzte Reichskammergericht und der Reichstag wurden durch Konfessions-, Rang- und Interessenstreitigkeiten in ihrem Verfahrensgang blockiert. Die Reichskreise als Exekutivorgan wurden hingegen von mächtigen Kreisständen dominiert. Die Verrechtlichung der Konfessionskonflikte führte weniger zu einer endgültigen Lösung, als dass die Auseinandersetzungen vielmehr auf Dauer gestellt wurden. Die Konfessionsproblematik verlor demnach mit dem Abschluss des Westfälischen Friedens nicht an Bedeutung, sondern war bis weit ins 18. Jahrhundert hinein virulent.206 Denn auch die mit der Verrechtlichung einhergehende „Entkonfessionalisierung“ der Herrschaft befand sich erst am Beginn eines langwierigen Prozesses,207 an dessen Ende die Ausdifferenzierung und Entstehung zweier unabhängiger Sphären von Religion und Politik stehen.208 Bis weit ins 18. Jahrhundert waren beide Sphären ____________ 205 206

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HECKEL, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, S. 67. In den österreichischen Erblanden sowie den wittelsbachischen Territorien gab es bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts monokonfessionelle Bemühungen. Vgl. HERZIG, Der Zwang zum wahren Glauben, S. 24-26. MAURER, Kirche, Staat und Gesellschaft, S. 17. Vgl. zur funktionalen Ausdifferenzierung LUHMANN, Die Gesellschaft der Gesellschaft.

4.1. Verhandeln

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im Fluss und ihr Verhältnis diffus: Während vormoderne Herrschaft auch den Zugriff auf die Frömmigkeitspraxis der Untertanen sowie die Regulierung der ‚guten Policey‘ bis hinein in jedes Haus umfasste, vollzog sich die Ausbildung der drei Konfessionskirchen nicht selten auf politischem Weg und war daher nicht von Herrschaftsfragen zu trennen. Im Hinblick auf das Prinzip der geistlichen Herrschaft stellten sie sogar eine Symbiose dar.

Streit um die Kanzel Im Zentrum der hier bisher umrissenen Herrschaftsräume befanden sich häufig exponierte Orte, wo sich durch die dort vollzogenen Praktiken Räume eines verdichteten Herrschaftsanspruches konstituierten. Gemeint sind das Stift, das Rathaus und die Kirchen, welche die Silhouette der Städte Herford, Quedlinburg und Essen prägten. Ihre prachtvolle und nicht selten imposante Architektur symbolisierte den Herrschaftsanspruch der dort präsenten Herrschaftsträger. Ihr Symbolcharakter musste jedoch durch Praktiken des Regierungs- und Herrschaftshandelns der Akteure immer wieder performativ hergestellt und die damit verbundenen Herrschaftsrechte gegen divergierende Ansprüche verteidigt werden. Somit hatten die Gebäude nicht nur eine technisch-instrumentelle Funktion als Wohnort, politischer Versammlungsraum oder Ort der Messfeier, sondern darüber hinaus eine symbolisch-expressive Funktion.209 Die verdichteten Herrschaftsräume waren zudem „Knotenpunkte des öffentlichen Lebens“ und zeichneten sich durch ihre technisch-instrumentelle Multifunktionalität aus.210 So war beispielsweise das Rathaus nicht nur Versammlungsort des Stadtrates, sondern auch Gerichts- und Handelsplatz. Das Stift fungierte als Residenz der Äbtissin sowie Sitz der Stiftsregierung und ebenfalls Gerichtsplatz. Die Kirchen waren hingegen nicht nur der Raum von gottesdienstlichen Handlungen, sondern übernahmen darüber hinaus vielfältige eher profane Funktionen wie Versammlungsort, Plattform für politische Bekanntmachungen und finanzieller Umschlagsplatz.211 Diese Gleichzeitigkeit verschiedener Raumwahrnehmungen erhöhte jedoch nicht selten die Gefahr divergierender Rechtsansprüche und Interessen, so dass diese Räume zum begehrten Streitobjekt der verschiedenen Akteure gerieten. Symbolträchtiger Zankapfel in den Auseinandersetzungen zwischen dem Herforder Stadtmagistrat und der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland ____________ 209 210 211

Vgl. WELLER, Der Ort der Macht, S. 286. RAU, Raum und Religion, S. 11. Vgl. ebd., S. 13.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Ende des 17. Jahrhunderts war die Münsterkirche als Ausgangspunkt aller quasi-episkopalen Rechte der Äbtissin. Gleichzeitig stellte die Münsterkirche das geistige Zentrum der Altstädter Gemeinde inklusive des Rates dar, der Anteil an der kirchen und kirchhoffes gerechtigkeit hatte.212 Hierzu zählten Mitbestimmungsrechte bei der Besetzung von Prediger-, Organisten-, Küster- und Totengräberstellen, bei der Unterhaltung von Kirche und Kirchhof sowie dem Umgang mit der Armenkasse, außerdem die gebührenfreie Einschreibung von Erbbegräbnissen und Kirchenständen.213 Hier standen sich also zunächst einmal im Bereich der geistlichen Herrschaft das Patronatsrecht der Äbtissin und das jus suffragii der Gemeinde gegenüber. Die friedliche Ausübung dieser Rechte wurde seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert erschwert, als die Herforder Äbtissinnen zunehmend zur reformierten Konfession tendierten „und damit in einen konfessionellen Gegensatz zur überwiegend lutherischen Bürgerschaft gerieten“.214 Angesichts dieses direkten Aufeinandertreffens unterschiedlicher Konfessionen und Herrschaftsträger waren Konkurrenzen um Ämterbestellungen sowie Konflikte über die Einrichtung des Kirchenwesens kaum zu vermeiden.215 Konfliktsteigernd wirkte sich zudem die Mehrfachfunktion der Münsterkirche nicht nur als geistliches Zentrum, sondern darüber hinaus als Kommunikationsraum weltlicher Herrschaft aus. Denn Stift und Stadt konkurrierten hier gleichsam um die Besetzung des (stadt-)öffentlichen Raums.216 Üblicherweise diente die Kanzel als Ort obrigkeitlicher Herr____________ 212

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Vgl. Clausula consernens ex Transact. zwischen Stift und Stadt Herford de Ao 1643. den 12 July: Herford KA Nr. A 20.58. Vgl. Gravamina der Stadtgemeinde von Herford (29. Dez. 1696): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. RÜGGE, Elisabeth und die Stadt Herford, S. 123. Zur konfessionellen Zusammensetzung vgl. zudem BEI DER WIEDEN, Die Konfessionellen Verhältnisse. Gutachten der theologischen und juristischen Fakultäten Jena, Tübingen und Helmstedt (1628/29) über das Präsentationsrecht an der Münsterkirche bei der Bestellung der Prediger: Herford KA Nr. A 10.23; Gravamina der Stadtgemeinde von Herford (29. Dez. 1696): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Konflikte über die Besetzung von Ämtern an der Münsterkirche lassen sich bis ins 18. Jahrhundert finden, s. Herford KA Nr. A 10.23. Vgl. auch RÜGGE, Im Dienst von Stadt und Staat, S. 281f. Vgl. zur städtischen Öffentlichkeit RAU, SCHWERHOFF (Hg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne; KÜMIN, Ratshaus, Wirtshaus, Gotteshaus. Hierbei handelt es sich bis weit ins 18. Jahrhundert noch kaum um eine räsonierende Öffentlichkeit, wie sie Jürgen Habermas dann seit der Aufklärung attestiert. Es handelt sich dabei noch nicht um ein dauerhaftes Strukturmerkmal, sondern um ein temporäres Phänomen. Die städtische Öffentlichkeit kam während der Messe in der Münsterkirche zusammen und war für die Äbtis-

4.1. Verhandeln

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schaftsvermittlung, wo sowohl von Seiten des Stifts und der Äbtissin als auch von Seiten der Stadt als Körperschaft sowie als kurbrandenburgischer Regierungsinstanz Mandate und Anordnungen verkündet wurden. Mehr noch, die Münsterkirche war der einzige öffentliche Raum, an dem sich sowohl die Untertanen des Stifts als auch die Mitglieder der Stadtgemeinde versammelten und als Adressaten der Obrigkeiten greifbar waren. Nicht erst Charlotte Sophie von Kurland, sondern schon ihre Vorgängerin, Elisabeth von der Pfalz, betonte daher wiederholt ihr alleiniges Zugriffsrecht auf die Münsterkirche als ordinaria und Landesherrin und verweigerte dem Rat die Verkündigung von Patenten, die Anordnung besonderer Gottesdienste oder die Einflussnahme auf kirchliche Belange.217 Die Münsterkirche war als Kristallisationspunkt geistlicher wie weltlicher Herrschaft von großer symbolischer Bedeutung für die Herforder Äbtissin, um ihren Geltungsanspruch als ordinaria und weltliche Obrigkeit aufrechtzuerhalten. Denn einerseits bildete die Münsterkirche die Keimzelle ihrer episkopalen Stellung, andererseits das Zentrum ihres weltlichen Herrschaftsbereiches. Zwar konnte sich Charlotte Sophie bei der Besetzung des Kirchraums sowohl auf ihre Patronatsrechte an der Münsterkirche, ihre jura episcopalia sowie ihre jura territorialia über die Stiftsfreiheit berufen, auf wel____________ 217

sin dort greifbar. Danach löste sie sich wieder auf, indem alle Stadtbewohner wieder nach Hause gingen. Vgl. FREIST, Öffentlichkeit und Herrschaftslegitimation, S. 328-330. Gravamina der fürstlichen Abtey Herford (7./17. Mai 1692): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149; Beschwerde des Landdrosten von dem Bussche gegenüber Friedrich I./III., weil Charlotte Sophie von Kurland die kurfürstliche Proklamation zur Ansetzung eines Dankgottesdienstes wegen der erfolgreichen Erorberung der Festung von Namur verhinderte (17. /27. Sept. 1695): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149; Protestschrift im Namen Elisabeths von der Pfalz gegen die Proklamation städtischer Mandate in der Münsterkirche (23. Juli 1668): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 196. Die alleinige Jurisdiktion der Äbtissin über die Münsterkirche war wiederholt Gegenstand von Konferenzen und wurde regelmäßig in den Verträgen zwischen Stift und Stadt behandelt. Vgl. den Vertrag von 1673 und 1681: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 142; vgl. auch die Konferenzprotokolle zwischen Äbtissin und Stadtverantwortlichen zwischen 1676 und 1687 in: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1043. Auch in späteren Jahren konkurrierte Charlotte Sophie von Kurland mit den städtischen und brandenburgischpreußischen Vertretern um den Zugriff auf die Münsterkirche als Ort der Herrschaftsvermittlung. S. Summarische Darstellung der Gravamina der Äbtissin aus den Jahren 1703 bis 1713: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 200; Charlotte Sophie von Kurland an Kaiser Karl VI. mit Beschwerden gegen die Stadt Herford und die Kammer zu Minden (o.D. [Aug. 1723]): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 120.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

cher die Münsterkirche stand,218 nichtsdestoweniger mussten sich all diese Rechtstitel durch ihre wiederholte persönliche oder diskursive Präsenz in der Münsterkirche, beispielsweise durch die Regulierung des Gottesdienstes oder den Erlass von Ordnungen, manifestieren. Zentrale Bedeutung kam in diesem Zusammenhang dem Akt der feierlichen Introduktion einer neuen Äbtissin zu: Im Beisein der Stiftsangehörigen, der Geistlichkeit sowie der städtischen und regionalen Eliten wurde die Äbtissin im Mittelpunkt ihres Stifts durch Altarsetzung im hohen Chor offiziell in ihr Amt eingeführt.219 Durch diesen Akt wurden gleichsam die Besitzansprüche der Äbtissin an der Münsterkirche als ordinaria realisiert. Dennoch wollten auch Bürgermeister und Rat sowohl in ihrer Funktion als Selbstverwaltungsorgan als auch zunehmend als brandenburgisch-preußische intermediäre Gewalt nicht auf die öffentlichkeitswirksame, herrschaftliche Funktion der Kirche als Versammlungsort der Bürger verzichten. Daher war die Besetzung des Kirchenraumes in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen Stift und Stadt und fand Ein____________ 218

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Vgl. bereits den Protest der Äbtissin Elisabeth von der Pfalz wegen Erlasses eines städtischen Mandats von der Kanzel gegenüber dem Stadtrat, verfasst durch einen nicht benannten Stiftsrat (23. Juli 1668): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 196. Darin beruft er sich darauf, dass Ihr[e] hochfürstl. durchl., alß Regierende fraw abtißin des hochfurstl. Stiffts Herford und ohnmittelbahren Stande des Heil Röm Reichs in und uber vorerwehnter dero Stiffts oder Münsterkirchen, so auch in gltes Stiffts Herford territorio belegen, das jus Episcopale et jurisdictio privative ohnstreitig competiret. In der Auseinandersetzung mit dem Kurfürsten von Brandenburg Ende des 17. Jahrhunderts besteht Charlotte Sophie von Kurland darauf, dass die Münsterkirche auf ihrem Territorium liegt und von ihren Vorgängerinnen gebaut und dotiert wurde, um die Stellung als geistliche und weltliche Obrigkeit sowie das Recht auf Publikation von Patenten von der Kanzel und an der Kirchentür zu behaupten. Notata Ihrer Hochfürstl. durchl. der Frau Aebtissin zu Herford, gebohrner Herzogin zu Churland ppp. auf Der Königl. Preussischen zur fürstl. Caßelischen Mediation Deputirter Räthen eingebrachte so genandte, kurtze beantwortung der fürstl.e herfordischen Gravaminum. [1704]: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Als Mitte der 1720 Jahre die Streitigkeiten zwischen der Äbtissin und dem preußischen Schutzherrn um die Landeshoheit im Stift erneut entflammen, erklärt Charlotte Sophie, daß sie gleich andern reichs Ständen über die Abtey Herfordt und dazu gehorigen bezirck Superioritatem territorialem habe, wo runter ohnstreitig die abteyliche Münster Kirche mit gehöret weil sie auff der Freyheit und abteyl. territorio lieget und mit der Abteylichen residentz connex ist. Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich Wilhelm I. (28. Febr.1726): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127. Prozessionsordnung bei der Introduktion Charlotte Sophies von Kurland (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1219; Prozessionsordnung bei Introduktion Charlotte Sophies von Kurland (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1207.

4.1. Verhandeln

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gang in die vielfältigen Beschwerdeschriften beider Seiten.220 Dieser Streitgegenstand verlor auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht an Aktualität. Hier waren es dann aber vor allem die Äbtissin und der preußische Schutzherr, die um die alleinige Besetzung des Kirchenraumes in der Münsterkirche konkurrierten.221 Die anhaltenden Streitigkeiten um den Zugriff auf die Münsterkirche zeugen von deren sowohl funktionalen – als öffentlicher politischer Versammlungsort – wie auch symbolischen Bedeutung für den Herrschaftsanspruch der konkurrierenden Akteure.

Der Sturm auf das Rathaus Am 31. März 1662 überfielen mehr als 1.000 Bauern auf Befehl der Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt und unter Anleitung ihrer Beamten die Stadt Essen auf gewaltthättig, friedbrüchig, feindtlicher und vorsetzlicher weiß mit gewöhrter Hand und bey [sich] habenden kleinen Geschütz=Stücklen.222 Damit eskalierte der seit Jahrhunderten schwelende Konflikt zwischen der Äbtissin und dem Stadtmagistrat, in dem sie um die Stadtherrschaft stritten. Die Äbtissin ließ Rathaus, Ratskammer und Ratsstube aufbrechen, Protokolle durcheinanderwerfen und Wertgegenstände entwenden. Die Stadtkirche und die Stadttore wurden besetzt und Stiftsbauern in die Bürgershäuser einquartiert. Den ersten Bürgermeister ließ die Äbtissin gefangen nehmen und nach ____________ 220

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Städtische Gravamina wider die Äbtissin (29. Dez. 1696): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Hier beklagten Bürgermeister und Rat, dass Charlotte Sophie von Kurland 1690 einen Dankgottesdienst zur Eroberung der Festung von Namur allein in ihrem und nicht im Namen des Kurfürsten angesetzt hatte. Gravamina der Äbtissin (1692): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 149. Darin beklagte die Äbtissin, dass der Stadtmagistrat die Anbringung großer Wappen durch die Leinenweber und Schuster an ihren Kirchenbänken in der Münsterkirche gestattet habe. Sie selbst hatte als ordinaria dieses Vorhaben verboten, worauf ihr vom Stadtmagistrat gedroht wurde, dass, wan solches geschehe, man sehen solte, waß daraus entstehen würde. In den langjährigen Auseinandersetzungen zwischen Charlotte Sophie von Kurland und ihrem Vetter Friedrich I./III. in Preußen ging es ebenso darum, wer Verordnungen in der Münsterkirche veröffentlichen lassen durfte, wer gesonderte Bitt-, Dank- und Festgottesdienste ansetzen konnte und unter wessen geistliche Obrigkeit die Münsterkirche, in welcher eben auch Stadtbürger eingepfarrt waren, fiel. Siehe die Auseinandersetzung des Geheimen Rates Ilgen mit den Gravamina der Äbtissin (10. Juni 1704): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 118. Citation der Essener Äbtissin und einzelner ihrer Beamten vor das Reichskammergericht zu Speyer wegen Verteidigung gegen den Vorwurf des Landfriedenbruches (9. Jan. 1663): Düsseldorf LAV NRW R RKG (E 658/1984) Nr. 1667, fol. 5r-14v.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Borbeck bringen.223 Gegenüber der Bürgerschaft erklärte sie ihr hartes Vorgehen als Maßnahme zur Rettung ihres fürstlichen Respects undt Ihrer hoher [sic] Landesfürstlichen Authoritet, die sie durch die jüngsten Ereignisse beeinträchtigt sah.224 Hierzu gehörte die Weigerung des Stadtrates, die fürstliche Proklamation des Wegegeldes zu veröffentlichen, die Abwehr des rechtlichen Zugriffs der Äbtissin auf die Stadtverantwortlichen und insbesondere die Verschwörung (conjuratio) der Bürgerschaft wider die Äbtissin als ordentliche Obrigkeit.225 Der Sturm auf das Rathaus durch die Anhänger der Äbtissin diente ihr als öffentlicher und symbolkräftiger Akt der Unterwerfung der sich widersetzenden Stadt. Während für die Äbtissin die Abtei und die Stiftskirche die zentralen Räume ihres Herrschafts- und Repräsentationshandelns waren, an denen sich ihr Herrschaftsanspruch manifestierte, so galt dies im Hinblick auf Bürgermeister und Stadtrat in erster Linie für das Rathaus.226 Hier versammelten sich die Stadträte, hier trafen sie Entscheidungen und fällten Urteile. Gleichzeitig diente das Rathaus als Bühne für zeremonielle Anlässe wie die Ratswahlen in Essen oder die Huldigung in Quedlinburg. Die Zugangsmöglichkeiten der Äbtissin und ihrer Vertreter zum Rathaus können als Gradmesser für das Herrschaftsverhältnis zwischen Stift und Stadt dienen. Denn als Stadtherrinnen beanspruchten die Äbtissinnen von Quedlinburg und Essen eine gewisse Präsenz im Rathaus. Am deutlichsten ausgeprägt findet sich diese Präsenz auf dem Quedlinburger Rathaus.227 Seit der Unterwerfung der Stadt im Jahr 1477 übte die Äbtissin wieder einen starken Einfluss auf die städtischen Belange aus. Sie bestätigte dem jeweils amtierenden Rat, konnte aus einer Liste von Kandida____________ 223 224

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Ebd. Öffentliche Erklärung der Äbtissin gegenüber der Bürgerschaft, warum sie sich der Stadt bemächtigt habe (o.D. [März 1662]): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1686, fol. 13r-15v. Die Conjuratio oder Einung bildete das zentrale rechtliche Moment in der Entwicklung des mittelalterlichen Städtewesens. Erst mit dem Zusammenschluss aller ‚Bürger‘ einer Stadt zur Stadtgemeinde durch die Beschwörung einer Conjuratio konstituierte sich die Stadt. Dabei richtete sich dieses genossenschaftliche Bündnis zwischen annähernd Gleichrangingen nicht selten gegen herrschaftlich-hierarchische Strukturen. Zeugnis dessen sind u.a. die vielen Beispiele städtischen Autonomiestrebens im Spätmittelalter. Vgl. zum rechtlich Instrument der Conjuratio oder Einung OEXLE, „Einung“ und „Gemeinde“; DERS., Gilde und Kommune. Zur Bedeutung und Funktion des Rathauses in der Frühen Neuzeit vgl. UHL, Kaufhaus – Kornhaus – Rathaus; WELLER, Der Ort der Macht; FRIEDRICHS, Das städtische Rathaus als kommunikativer Raum; DIENER-STÄCKLING, Orte der Ratswahl – Orte der Macht. Konkret zum Quedlinburger Rathaus vgl. GRUBITZSCH, Das Rathaus von Quedlinburg.

4.1. Verhandeln

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ten die neuen Ratsherren auswählen und erließ die Policeyordnung. Einmal im Jahr mussten Bürgermeister und Stadtrat gegenüber ihren Vertretern über Verwaltung und Finanzen Rechenschaft ablegen. Die Stadtverantwortlichen durften zudem keine Ordnungen ohne Zustimmung der Äbtissin erlassen.228 Der Wechsel des amtierenden Rates fand in Quedlinburg jährlich am Sonntag nach Ostern auf der Abtei statt.229 In diesem Fall zitierte die Äbtissin den Stadtrat zu sich auf das Stift, so dass die Räte gleich Bittstellern zur Obrigkeit kommen mussten. Anders verhielt es sich bei der Huldigung. Zu diesem Akt holten die Bürgermeister, Syndikus und Kämmerer die Äbtissin in feierlichem Zug auf der Abtei ab und führten sie auf das Rathaus, wo die neuerwählte Äbtissin den Vorsitz einnahm. Während des Huldigungsaktes übergab sie dem Magistrat Stadtschlüssel und -siegel.230 In dieser Übergabe symbolisierte sich die Stadtherrschaft der Äbtissin. Ein ganz anderes Bild zeigt sich in Essen. Die Äbtissin galt zwar als städtische Obrigkeit, übte jedoch faktisch kaum Herrschaftsrechte innerhalb der Stadt aus und hatte auch keinen Einfluss auf die Besetzung des Stadtrates. Als der Magistrat 1563 eigenmächtig die Reformation in Essen einführte, klagte die amtierende Äbtissin Irmgard von Diepholz schließlich am Reichskammergericht. Auch wenn sich die Klage gegen die Beeinträchtigung ihrer Privilegien richtete, ging es im Kern doch um die grundlegende Frage der Landeshoheit der Äbtissin über die Stadt.231 Während sich das Verfahren am Reichskammergericht aufgrund mehrfacher Unterbrechungen insgesamt mehr als 100 Jahre hinzog, konkurrierten Äbtissin und Magistrat vor Ort um die Hoheit über die Stadt. Mitte des 17. Jahrhunderts zählten zu den Streitgegenständen die weltliche und geistliche Jurisdiktion, das Zoll- und Münzregal, die Beitragsleistung zu den Reichsabgaben, die Behandlung katholischer Bürger, der rechtliche Sonderstatus der Stiftsimmunität und damit korrespondierend schließlich die Behauptung eines reichsstädtischen Status durch den Magistrat.232 In diesem Zusammenhang standen die ein____________ 228 229

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SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 209. Protokolle über den Ratswechsel in Quedlinburg (1601-1680): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 27. Protokoll zur Gesamthuldigung (1685): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 11, fol. 26r-35v. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Reichsstadt, Landstadt oder civitas mixta?, S. 103. Articulirte Verzeichnüs deren Beschwernüßen so bey ietziger Ihrer fürstlichen Gnaden Frau Abtißinnen zu Eßen Regierungs Zeit ab Anno 1646. usque in praesentem annum 1652. einschließlich von dero wiedersetzliche Statt Eßen hochstraffbarlich verübt worüber bey Römischer Kayserlicher Majestät dieselbe sich allerdehmütigst per suppplicam beclagt hat, wie in nachfolgenden verschiedenen stücken und posten erscheinlich (20. Nov. 1652): Essen StA Rep. 100 Nr. 98, fol. 37r-43r.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

gangs skizzierten Ereignisse aus dem Frühjahr 1662. Das Ziel des Überfalls war die Anerkennung der Äbtissin als Landesherrin durch die Bürgergemeinde und die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Obrigkeit und unterworfener Stadt bis zur Urteilsfällung am Reichskammergericht. Darunter fiel die Abschaffung der Akzise, die paritätische Besetzung des Stadtrates und aller anderen städtischen Ämter, die Aufsicht eines fürstlichen Kommissars über die Rechnungslegung der Hospitäler, Armen-, Witwen- und Waisenhäuser und der Instanzenzug vom Hallen- und Ratsgericht an die fürstliche Kanzlei. Im Gegenzug versicherte Anna Salome von SalmReifferscheidt der Bürgergemeinde die freie Religionsausübung sowie Aufrechterhaltung aller städtischen Rechte und Privilegien wie das städtische Hallen- und Ratsgericht.233 Nicht zuletzt aufgrund der militärischen Hilfe des brandenburgischen Schutzherrn gegenüber dem Stadtmagistrat scheiterte der Versuch Anna Salomes, mit bewaffneter Hand die Stadt Essen ihrer Landeshoheit zu unterwerfen. Stattdessen einigten sich Äbtissin und Stadtrat unter der Vermittlung des Kurfürsten von Brandenburg nach fünfjährigem Belagerungszustand durch brandenburgische Soldaten darauf,234 das Urteil des Reichskammergerichtes abzuwarten.235 Drei Jahre später bestätigte dessen Entscheidung die Landeshoheit der Äbtissin ebenso wie die Selbstverwaltungsrechte der Stadt.236 Damit glaubte man zwar, das Verhältnis zwischen Äbtissin und Stadt geregelt zu haben, verpasste aber die Möglichkeit, den Konflikt zu lösen, sondern stellte diesen vielmehr auf Dauer. Landeshoheit und städtische Selbstverwaltung standen sich diametral gegenüber. Das Resultat waren, wie oben gezeigt, fortdauernde Streitigkeiten im 18. Jahrhundert um die Besetzung verschiedener Herrschaftsräume.

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Öffentliche Erklärung der Äbtissin gegenüber der Bürgerschaft, warum sie sich der Stadt bemächtigt hat (o.D. [März 1662]): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1686, fol. 13r-15v. S. u. Kap. Besetzung. Interimsvergleich zwischen Anna Salome von Salm-Reiferscheidt sowie Bürgermeister und Rat der Stadt Essen (18. Febr. 1667): Düsseldorf LAV NRW Reichskammergericht Nr. 1667, fol. 117r-118r. Urteil des Reichskammergerichtes im Streit zwischen Stift und Stadt Essen (4. Febr. 1670): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht E 589 I/1908-II; abgedruckt in FUNCKE, Geschichte des Fürstenthums und der Stadt Essen, S. 345-347; KÜPPERSBRAUN, Macht in Frauenhand, S. 97f. (Auszüge).

4.1. Verhandeln

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Verbündete des Schutzherrn Die hier beschriebenen Konflikte zwischen den Äbtissinnen und den Bürgermeistern und Magistraten der umliegenden Städte waren nicht nur charakteristisch für die drei Stifte. Vielmehr lassen sich eine Vielzahl solcher Konflikte zwischen Reichs- sowie Landstädten und ihren territorialen Nachbarn oder ihren Landesherren über ganz ähnliche Streitgegenstände im 16. und 17. Jahrhundert im gesamten Alten Reich ausmachen.237 In den mindermächtigen Stiften kam diese Entwicklung vielmehr lediglich zeitverzögert zum Tragen. Die ältere Stadtgeschichtsschreibung hat in diesem Zusammenhang lange Zeit vom Niedergang des Städtewesens angesichts der Formierung des frühneuzeitlichen Staates gesprochen.238 Es ist das Verdienst jüngerer Untersuchungen, mit dieser Forschungstradition gebrochen und stattdessen die Teilhabe der Städte an dieser Entwicklung betont zu haben.239 Es kann zwar nicht bestritten werden, dass die mittelalterlichen Städte ihre „Vorreiterposition“ beim Ausbau von Verwaltungsstrukturen, Handel und Gewerbe einbüßten.240 Aber gleichzeitig sicherte der frühneuzeitliche Staat den Städten ihre Eigenverantwortlichkeit im Sinne einer „beauftragten Selbstverwaltung“ und eröffnete den Stadtbürgern neue Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten im Dienst des Staates.241 Insofern wurde der Territorialisierungsprozess in den Städten nicht zuletzt von Teilen der städtischen Elite mitgetragen, die auf die veränderten Herrschaftsverhältnisse reagierten. Beispiele für die Durchbrechung einer solchen Triangulation, die in diesem Fall aus Äbtissin bzw. Stift, Stadt und Schutz- bzw. Landesherr bestand, finden sich in allen drei Stiften. Die Städte suchten ihre Zuflucht aber nicht bei der mindermächtigen Äbtissin, sondern vielmehr in der Nähe oder sogar im Dienst des mächtigen Schutzherrn. Am deutlichsten lässt sich diese Entwicklung am Beispiel Herfords ablesen. Im Dreißigjährigen Krieg hatte das Reichskammergericht der Stadt noch die Reichsunmittelbarkeit bescheinigt. Mitte des 17. Jahrhunderts ____________ 237

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Vgl. hierzu das Dissertationsprojekt von Volker Schlüter über „Experten der vormodernen Stadt. Autonome Landstädte und ihre politischen Führungsgruppen im Konflikt mit der Landesherrschaft um 1600“, das im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts“ an der Universität Göttingen entsteht. Exemplarisch vgl. GIERKE, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Bd. 1. Konkret zu Herford mit Überblick zur Forschungsdiskussion vgl. RÜGGE, Im Dienst von Stadt und Staat, S. 11-15. Allg. vgl. SCHILLING, Stadt und frühmoderner Territorialstaat, S. 21f.; DERS., Die Stadt in der Frühen Neuzeit, S. 51-56. SCHILLING, Die Stadt in der Frühen Neuzeit, S. 38. Ebd., S. 47.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

konnte der Stadtmagistrat diesen Anspruch gegenüber dem Kurfürsten von Brandenburg nicht durchsetzen, der sowohl juristisch als auch militärisch gegen das Autonomiestreben der Stadt vorging. Einerseits verwarf der kurbrandenburgische Rat und Jurist Dr. Thomas Schlipstein im Auftrag des Kurfürsten in der Denkschrift Gründtliche Deduction […] den reichsunmittelbaren Status der Stadt,242 andererseits ließ Friedrich Wilhelm die Stadt 1647 und 1651 militärisch besetzen, um sie seiner Landeshoheit zu unterwerfen.243 Zwar konnte der Magistrat einen privilegierten Status der Stadt behaupten, die nur nach ihrer vorherigen Einwilligung Landsteuern zahlte.244 Auftritte als eigenmächtig handelnde Obrigkeit wie im Jahr 1673, als die Stadt einen Vergleich mit der Äbtissin Elisabeth von der Pfalz schloss,245 wurden jedoch vom kurfürstlichen Landesherrn hintertrieben und unterblieben bald.246 Vielmehr arrangierten sich die Stadtverantwortlichen zunehmend mit der Einbindung Herfords in den kurbrandenburgischen Territorialkomplex und stellten sich in den Dienst des Landesherrn.247 Dem Bedeutungsverlust nach der Unterwerfung Herfords unter die brandenburgische Landeshoheit und dem Rangverlust gegenüber dem benachbarten Bielefeld suchten die städtischen Eliten nicht zuletzt durch eine zunehmende personelle und institutionelle Integration in die Grafschaft Ravensberg zu begegnen.248 Während sich die städtischen und ravensbergischen Eliten durch Heirat vermischten, traten auch Bürgermeister und Rat immer deutlicher als kurbrandenburgische, später dann königlich-preußische Regierungs- und Exekutionsinstanzen auf und leisteten dem Ausbau landesherrlicher Rechte des preußischen Königs nicht nur in der Stadt, sondern auch im Stift Vorschub. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn die Stadtdiener als Exekutionsorgane des Königs auftraten und im Namen der Äbtissin

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Vgl. GRÜNDTLICHE DEDUCTION AN STATT MANIFESTS. Vgl. STELL, Der Große Kurfürst und die Stadt Herford. Vgl. KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford, S. 123. Rezess zwischen Äbtissin Elisabeth von der Pfalz und der Stadt Herford (30. März 1673): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Urkunden Nr. 1666. Friedrich Wilhelm verweigerte seine nachträglich nachgesuchte Approbation des Vertrages von 1673. Der später geschlossene Vertrag zwischen Stift und Stadt, der ähnliche Bestimmungen enthielt, wurde in Abstimmung mit dem Kurfürsten abgeschlossen. Vgl. RÜGGE, Elisabeth und die Stadt Herford, S. 133. Vgl. RÜGGE, Im Dienst von Stadt und Staat, S. 49-51. Vgl. RÜGGE, Herfords Verhältnis zur Grafschaft Ravensberg, S. 84f.; DERS., Im Dienst von Stadt und Staat, S. 33f., 55-60.

4.1. Verhandeln

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angebrachte kaiserliche Patente entfernten oder im Auftrag des Königs eine Kopfsteuer über die Beamten und die Geistlichen des Stifts verhängten.249 Ähnliche Tendenzen lassen sich in Quedlinburg feststellen. Als Pächter der Vogtei agierte der aus dem Kreis der Stadträte erwählte Stadtvogt ebenso wie der gesamte Magistrat bereits unter kursächsischer Schutzherrschaft wiederholt als Vertreter des Schutzherrn. Um die eigenen Handlungsspielräume zu erweitern, verteidigten sie die Kompetenzen der Vogtei gegenüber der Äbtissin und dem Stift.250 Zudem hatte sich der sächsische Kurfürst Einfluss auf das Ratsregiment gesichert, indem der Stiftshauptmann als sein Vertreter nicht nur beim alljährlichen Ratswechsel und der Rechnungslegung anwesend war, sondern sich seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert auch die Leistung des Handschlags der Stadträte gegenüber dem Schutzherrn bzw. seinem Vertreter eingebürgert hatte.251 Der Stadtrat war demnach gleich in zweifacher Hinsicht dem Schutzherrn gegenüber verpflichtet. Hinzu kam darüber hinaus der Huldigungseid, den alle Stadtbürger dem Schutzherrn leisten mussten und in den seit 1547 der Titel Landesherr eingeschrieben war.252 Angesichts der dienst- sowie schutz- und landesherrlichen Bindung befand sich der Magistrat nicht selten in einem Loyalitätskonflikt zwischen dem Schutzherrn und der Äbtissin. In Konflikten zwischen Äbtissin und Schutzherr geriet der Rat daher häufig in einen Zwiespalt zwischen seinen beiden streitenden Obrigkeiten, die ihm wie im Fall des Ratswechsels 1694 gegenteilige Befehle erteilten und bei Zuwiderhandlungen jeweils mit Strafen drohten,253 so dass Bürgermeister und Räte beklagten: ____________ 249

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Vgl. Summarische Aufstellung der Gravamina aus den Jahren 1703-1707, verfasst im Namen der Äbtissin (1. Aug. 1707): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 200. Darin ließen sich noch weitere Beispiele finden. Vgl. GÖSE, Beschränkte Souveränität, S. 137. Vgl. LORENZ, Überblick, S. XXVf. Die Quedlinburger Stadtverwaltung setzte sich aus drei Ratsmitteln zusammen, die abwechselnd jeweils für ein Jahr die Verwaltung übernahmen. Jedes Mittel stellte aus den eigenen Reihen für das Jahr den Magistrat und die wichtigsten städtischen Ämter wie Bürgermeister und Kämmerer. Lediglich die niederrangigen Ämter wie der Syndikus und die Sekretäre waren dauerhaft besetzt. Der Ratswechsel fand auf dem Sonntag nach Ostern im Beisein der Äbtissin auf dem Stift statt. Hierbei wurde das scheidende Ratsmittel seiner Pflicht gegenüber der Äbtissin enthoben und das antretende Mittel in die Pflicht genommen. Vgl. GÖSE, Beschränkte Souveränität, S. 134. Während der Stiftshauptmann den üblichen Wechsel des amtierenden Ratsmittels am Sonntag Quasimodogeniti verbot, bestand die Äbtissin auf den gewöhnlichen Ablauf. Stiftshauptmann von Stammer an den Stadtrat (10. u. 14. April 1694): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 28, fol. 36r-v, 46r-v; Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Wollte Gott, daß ein Mittel zu finden, wodruch wir bey keinen hohen theile anstoßen, und uns aller verantwortung entbeerhen könten, allermaßen uns denn mit grunde der warheit nicht beygemeßen werden kann, daß wir zu diesem confusen unwesen nicht was veranlaßet, noch bey unserer bisher geführten Rahts administration einige ursach oder anlaß gegeben.254

Aufgrund der ähnlich gelagerten Interessen, nämlich der Wahrung und des Ausbaus der schutzherrlichen Befugnisse, die man in Vertretung wahrnahm, verbündeten sich nicht selten Stadt, Stadtvogt und Stiftshauptmann gegen die Äbtissin. So wandte sich der Stadtrat beispielsweise Anfang der 1690er Jahre protestierend an den Stiftshauptmann, als die Äbtissin und ihre Regierungsvertreter in das städtische Policey-Wesen eingriffen,255 den Konsistorialräten den Vorrang gegenüber den Altstädter Bürgermeistern einräumten und mit Nachdruck die Jurisdiktion über die Angehörigen des Stadtrates beanspruchten.256 Nichtsdestoweniger kam es auch zwischen der Stadt, der Vogtei und dem Stiftshauptmann zur Konkurrenz um Zuständigkeiten.257 Bis zum Verkauf der Schutzherrschaft fungierte der sächsische Kurfürst häufig als Vermittlungsinstanz in diesen Auseinandersetzungen, in denen er eigentlich Partei war. 1695 erhielten zum Beispiel die kursächsischen Abgesandten zur Huldigung den Auftrag, neben der Einholung des Huldigungseides der Untertanen sowie der Lehnsmutung der mit der Schutzvogtei verbundenen Güter auch die Irrungen abzutun und die Beschwerligkeiten zwischen ____________ 254

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den Stadtrat (14. April 1694): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 28, fol. 50r52r. Quedlinburger Stadtrat an Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (20. April 1694): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 28, fol. 97r-100r. Das Policey-Wesen war der Stadt im Concordien-Rezess von 1685 überantwortet worden war. Vgl. Concordien-Rezess § 29. Bericht des Stiftshauptmannes von Stammer an das Ratskollegium zu Dresden (13. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/26; Beschwerde des Quedlinburger Stadtrates beim sächsischen Kurfürsten (29. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/31. Bericht des Stiftshauptmannes von Stammer an das Ratskollegium zu Dresden (13. Juli 1691): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8966/26. S. den Rechtsstreit zwischen sämtlichen Kämmerern und den Bürgermeistern der Stadt (1692/1693): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 16, fol. 398rff.; das Verfahren gegen Bürgermeister Saalfeld wegen Beschlagnahme von der Äbtissin konfiszierter Seife sowie respektlosen Redens über die Äbtissin (1692): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 17. Beschwerde des Stiftshauptmannes wider den Magistrat als Pächter der Stadtvogtei, weil er sich Churfürstlich hohe Jura und Reservata, die vom Stiftshauptmann in Vertretung wahrgenommen würden, angemaßt habe (29. März 1693): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8968/3.

4.1. Verhandeln

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dem Stifft und Rath […] durch gütlichen Vergleich [beizulegen].258 Nach der Cession der Schutzherrschaft spitzte sich die Entfremdung zwischen der städtischen Führung sowie der Äbtissin und dem Stift weiter zu. Im Zuge der militärischen Besetzung von Stift und Stadt durch brandenburgische Soldaten fand sich der Stadtrat zwar noch bereit, mit den Stiftsräten zu beratschlagen und eine Gesandtschaft nach Berlin aus der städtischen Kasse zu finanzieren, aber schon wenig später hatte sich die städtische Führung mit den neuen Verhältnissen arrangiert und suchte wie schon unter kursächsischer Schutzherrschaft fortan die Nähe des stärkeren Bündnispartners.259 Im Umfeld des Prozesses zwischen dem Stift und seinem neuen Schutzherrn vor dem Reichshofrat stellte der Stadtrat lediglich dem Stiftshauptmann ein wohlgesonnenes Gutachten über die Vorgänge in Quedlinburg im Jahr 1698 aus. Der Äbtissin entgegnete der Magistrat auf ein ganz ähnliches Ansuchen, nämlich nach einer Beschreibung der verübten Übergriffe brandenburgischer Soldaten im Zuge der Besetzung, abschlägig, dass man als Stadtrat dem Kurfürsten ebenfalls durch Eide verpflichtet sei und nicht in den Streit um die Besetzung der Stadt involviert werden wolle. In der Stiftsregierung führte dieses Verhalten zu der Bemerkung: hat also Senatus wie bey allen troublen also auch vor dieses mahl beym Stiffte wie ein loser Bogen gehalten und seine Partheylichkeit dadurch an den Tag gegeben.260 Schließlich traten die städtischen Eliten unter brandenburgisch-preußischer Schutzherrschaft nicht mehr nur allein als Stadtvogt auf, sondern besetzten darüber hinaus die neu geschaffenen Ämter als AcciseCommissarius, Accis-Inspector, weitere AccisBedienten und Verwalter des Service-Wesens. Die Bedeutung der zunehmenden personellen Verflechtung der städtischen und brandenburgischdienstmännlichen Eliten darf nicht unterschätzt werden. Sie wirkte sich ____________ 258

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Instruction für die nach Quedlinburg abgeschickten kursächsischen Kommissare, Georg von Werthern und Bernhard Zech (7. Sept. 1695): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8733/3, fol. 23r-33r. Der Rat lässt dem Stiftkanzler Bessel mitteilen, dass die Reisegelder für die Gesandtschaft nach Berlin zwar aus der extradordinären Kasse bezahlt würden, sie selbst aber in Ansehung der kurz bevorstehenden Tradierung der Vogtei und alltäglichen Verpflichtungen keinen Abgeordneten entbehren könnten: Kanzleiprotokoll (25. Febr. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.IIIb Nr. 1, fol. 134r. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an den Stadtrat (26. Mai 1699), Notification über das vom Stiftshauptmann erforderte Attest gegenüber Anna Dorothea von SachsenWeimar (27. Mai 1699), Stadtrat an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (2. Juni 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 423r-v, 426r-v, 427r-v, 445r-446r. Die Bemerkungen der Stiftskanzlei finden sich jeweils auf den eingegangenen Schreiben als Notiz.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

sowohl auf das Verhalten des Stadtrates im Konflikt um die Landeshoheit zwischen Äbtissin und Schutzherrn, indem der Magistrat fast ohne Gegenwehr den Befehlen des Kurfürsten-Königs gehorchte und diese in der Stadt durchsetzte,261 als auch auf die erfolgreiche Durchsetzung landesherrlicher Maßnahmen wie der Einführung der Akzise durch den Schutzherrn aus. Dennoch finden sich in Quedlinburg zahlreiche Beispiele des Widerstandes gegen die landesherrlichen Maßnahmen des Schutzherrn sowie die zahlreichen Übergriffe brandenburgisch-preußischer Soldaten innerhalb der Stadtgemeinde. In unzähligen Suppliken suchten die Quedlinburger Stadtbürger Schutz bei der Äbtissin als ihrer Landesfürstin,262 deren Regiment bei weitem weniger Belastungen für die Stadtbevölkerung mit sich gebracht hatte. Weder Äbtissin noch Stadtbevölkerung konnten jedoch eine effektive Gegenwehr mobilisieren. Weit weniger eindeutig als in Herford und Quedlinburg war das Verhältnis zwischen der Stadt Essen und dem brandenburgisch-preußischen Kurfürst-König als Schutzherr von Stift und Stadt. Grund hierfür war nicht zuletzt die wenig einflussreiche Stellung des Schutzherrn, der anders als in Herford und Quedlinburg nicht als Landes- oder Dienstherr in Erscheinung treten konnte. Vielmehr blieb ihm nichts anderes übrig, als sich dem Stadtmagistrat als Beschützer und Vermittler anzudienen. Als solchen rief ihn die städtische Führung wiederholt in den Auseinandersetzungen mit der Äbtissin und dem Stift an. Im 17. und 18. Jahrhundert leitete der brandenburgisch-preußische Schutzherr daraus ein exklusives Anrecht auf die Vermittlung und Schlichtung in Konflikten zwischen dem Stift und der Stadt ab und versuchte auf diese Weise, seine Einflussmöglichkeiten auf die inner____________ 261

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Anfänglichen Protest erhob der Stadtrat vor allem gegen die Einführung der Konsumptionsakzise, die dann jedoch mit entschiedener Härte von den sowohl im städtischen als auch schutzherrlichen Dienst stehenden Akzisekommissar Latermann und Akziseinspektor sowie Bürgermeister Seefeld eingetrieben wurde. Bittschreiben des Stadtrates an den brandenburgischen Kurfürsten (30. Sept. u. 10. Okt. 1698) und die kurbrandenburgischen Kommissare vor Ort (3. Okt. 1698), abgedruckt in den Druckschriften CONTINUATIO DES WEINENDEN KAYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, fol. 90/12r-v; und AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENENS ALLERUNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN. Zum Beispiel Supplik aller Gilden und Handwerker wegen der Akzise gegenüber der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 202r-204v; verschiedene Suppliken der Stadtbürger nach Erhöhung der Akzise als Beilage zum Bittgesuch der Äbtissin Anna Dorothea von SachsenWeimar an den Kaiser Leopold I. (22. Jan. 1703): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 5, fol. 467r-480v; wiederholte Suppliken der Stadtbürger wegen Übergriffen des Militärs: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 9.

4.1. Verhandeln

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stiftischen Belange zu vergrößern.263 Indem sich die städtischen (Funktions-)Eliten mit den sich wandelnden Herrschaftsverhältnissen, die zu Gunsten der mächtigen weltlichen Fürsten ausfielen, arrangierten, erhöhten sie zusätzlich den Druck auf die Äbtissinnen. Statt selbst Landesausbau zu betreiben, standen sie und die Stifte vielmehr im Fokus der territorialen Arrondierungsbestrebungen ihrer Schutzherren.

Schutz- oder Sturmherr? Nachdem im Sommer 1698 brandenburgische Soldaten in die Herforder Stiftsfreiheit eingedrungen waren und die Äbtissin zur Flucht an den Kaiserhof nach Wien gezwungen hatten, beschwerten sich die mitgereisten Stifträte vor dem Reichshofrat, dass sich der Kurfürst von Brandenburg von einem Schutzherrn zu einem Sturmherrn gewandelt habe.264 Die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland wurde wenige Jahre später noch deutlicher, indem sie erklärte, dass sie keinen schutz benötige, weil sie mit keinen puissancen in Europa streith habe, nur mit meinem Vettern, dem König, und deßen Leuten muß mich so schlagen, dieweil Mihr das meine nehmen, ehre und guten nahmen abschneiden [wollen]. Daher kam sie zu dem Schluss, dass der König Mich nur wieder sich selbst und seine böse Leute schützen [müsse].265 Ganz ähnlich urteilte der Essener Stiftsarchivar Nikolaus Kindlinger, wenn er kurz vor der Aufhebung des Stifts feststellte: Der König von Preußen erhält von dem Stift Essen des Schutzes, oder vielmehr der Bedrückungen halber, jährlich ein Schutzgeld.266 Als unarmierte, geistliche Fürstinnen waren die Reichsäbtissinen auf den Schutz durch Dritte angewiesen. Oberster Schutzherr der Kirche und ihrer Amtsträger war seit dem Mittelalter der Kaiser. Die Äbtissinnen von Herford, Quedlinburg und Essen hatten sich das kaiserliche Schutzprivileg bereits kurz nach ihrer Gründung sichern können.267 Bis ins 18. Jahrhundert ließen sich die Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg dieses Privileg regelmäßig eigens erneuern.268 Während die sächsischen Kaiser des Hoch____________ 263 264

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S. u. Kap. Besetzung. Friedrich I./III. an Charlotte Sophie von Kurland (27. Febr./9. März 1699): Marburg HStA 4f Preußen 434. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (10. Sept. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Zitiert nach SCHRÖDER, Zur Geschichte Meinas von Oberstein, S. 110. Vgl. EHLERS, Der helfende Herrscher, S. 55f. Charlotte Sophie von Kurland bemühte sich während ihres Aufenthaltes in Wien um die Erneuerung des protectoriums von 1570 und erlangte diese schließlich auch. Das kaiserliche protectorium bezieht sich auf den verbrieften Schutz des Kaisers für das Stift Herford, die-

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

mittelalters diesen Schutz aufgrund der engen verwandtschaftlichen Bindungen zu den Äbtissinnen von Essen und Quedlinburg vielmals noch selber ausübten, machte die zunehmende Entfremdung sowie räumliche Entfernung zu den nachfolgenden salischen Kaisern einen Wandel des Schutzverhältnisses nötig. Anstelle des Kaisers wurde in der Regel aus dem regionalen Adel ein Vogt oder Schutzherr bestellt, der die Schutzfunktion in Vertretung des Reichsoberhauptes wahrnahm.269 Die Entwicklung der Schutzherrschaft sowie der damit verbundenen Rechte und Pflichten verlief in Mittelalter und Früher Neuzeit in allen drei Stiften unterschiedlich. Den Schutz des Herforder Stifts übernahm seit dem Spätmittelalter die umliegende Stadt, die gemeinsam mit dem Stift ein Kondominat bildete.270 Da die Stadt bereits sehr früh den lutherischen Glauben angenommen hatte, während das Stift unter der Äbtissin Anna von Limburg bis in die 1550er Jahre hinein katholisch geblieben war, zerbrach die gemeinsame Herrschaft ____________

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ser wurde jeweils nach Herrscherwechseln von den Äbtissinnen neu erbeten. Charlotte Sophie berief sich auf den Schutzbrief Maximilians II. von 1570, der zur Aufrechterhaltung seines kaiserlichen Schutzes verschiedene Reichsfürsten ernannt hatte: den Erzbischof von Köln, den Bischof von Osnabrück, den Herzog von Jülich (in seiner Nachfolge den Kurfürsten von Brandenburg und den Pfalzgrafen bei Rhein), den Herzog von Braunschweig (in seiner Nachfolge den Kurfürsten von BraunschweigLüneburg (Hannover) und den Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel) und den Graf zu Lippe. Vgl. Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Urkunden Nr. 1502 u. 1603. Diesen Kreis wollte Charlotte Sophie noch um die Könige von Dänemark und Schweden sowie den Bischof von Münster erweitert wissen. Vgl. Bericht des Landdrosten von dem Bussche an Friedrich I./III. (4./14. Febr. 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119; kaiserliches Dekret an die Konservatoren des Stifts (Kurfürst von Köln, Kurfürst von Brandenburg, Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, Fürstbischof von Osnabrück und Herzöge von Braunschweig-Lüneburg) (12. Mai 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Vgl. den Abdruck der verschiedenen kaiserlichen protectoria für Quedlinburg in RECHTLICHE DEDUCTION. Für das Stift Essen sind solche eigens eingerichteten kaiserlichen Schutzbriefe für die Frühe Neuzeit nicht überliefert. Der letzte Schutzbrief für die Äbtissin Irmgard von Diepholz durch König König Maximilian I. stammt aus dem Jahr 1495 und steht im Kontext der Doppelwahl zwischen ihr und Meina von Oberstein. Vgl. Schutzbrief (10. April 1495): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Urkunden Nr. 1601. Der kaiserliche Schutz wurde den Essener Äbtissinnen jedoch jeweils bei der Erneuerung ihrer Privilegien bestätigt. Vgl. SCHMIDT, Vogtei; SIMON, Grundherrschaft und Vogtei. Vgl. hierzu wesentlich COHAUSZ, Herford als Reichsstadt und papstunmittelbares Stift, S. 50-54; KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford, S. 28. Unter Kondominat verstand man in der Vormoderne die gleichberechtigte und gemeinsame Herrschaft zweier Obrigkeiten. Vgl. JENDORFF, Gemeinsam herrschen.

4.1. Verhandeln

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nach der Reformation.271 Um den Schutz ihres Stifts zu gewährleisten, suchte sich Anna von Limburg 1547 mit Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve und Berg als ihrem territorialen Nachbarn in der Grafschaft Ravensberg einen starken Bundesgenossen. Ohne Hinzuziehung der Stadt wie auch des Kapitels schloss sie mit ihm den sogenannten Cessions-Vertrag ab.272 Dieses Abkommen beinhaltete auf der einen Seite die Annahme des Herzogs als Vogt und Schutzherr des Stifts.273 Auf der anderen Seite trat ihm die Äbtissin als Entgelt für seine Schutzfunktion alle weltliche Hochheit und Obrigkeit/ vore Erffschafft und Erffgerechtigkeit/ so dies namen und besonder haben/ an beyden Städten/ alten und newen Stadt zu Hervorden/ und ihren zubehoer ab. Hierzu zählten sowohl das jus collectandi der Reichs- und Kreissteuern sowie Kammerzieler von den Stadtbürgern als auch das städtische Gericht. Er übernahm zudem die Blutgerichtsbarkeit im Stift. Die Äbtissin behielt sich hingegen die Jurisdiktion über die Geistlichkeit innerhalb der Stadt sowie ihre Lehnshoheit über verschiedene Güter in und um Herford, die Gerichtsbarkeit und das jus collectandi auf der Freiheit sowie den exemten Höfen und das Mühlengericht vor. Sie nahm somit weiterhin die Stellung als geistliche und weltliche Obrigkeit beschränkt auf den Bereich der Stiftsfreiheit, die geistlichen Einrichtungen und exemten Höfe in der Stadt ein. Sie bildeten das sehr kleine Stiftsterritorium und ihre Bewohner die geringe Untertanenschaft der Herforder Äbtissin und Fürstin. Im Stift Quedlinburg war die Obervogtei nach Aussterben der kursächsischen Askanier (1422) lange vakant. Erst 1479 belehnte die amtierende Äbtissin Hedwig von Sachsen ihre beiden Brüder Ernst und Albrecht mit der Schutzvogtei, nachdem diese ihr geholfen hatten, die Stadt zu unterwerfen und den Halberstädter Bischof Gebhard von Hoym in seine Schranken zu weisen.274 Der Lehnscharakter der Schutzvogtei wurde bis zum Ende des ____________ 271 272

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Vgl. BEI DER WIEDEN, Die konfessionellen Verhältnisse, S. 271. Vgl. PAPE, Sancta Herfordia, 184-186; RÜGGE, Im Dienst von Stadt und Staat, S. 29; BEI DER WIEDEN, Die konfessionellen Verhältnisse, S. 271. Cession, von lat. cessio, die Abtretung von Gütern oder Rechten gegen eine Gegenleistung. Hierzu und im Folgenden Kopie des Cessions-Vertrages als Beilage zu GRÜNDTLICHE DEDUCTION, Beilage 1 (ohne Seiten). Abgefasst wurde diese probrandenburgische Schrift im Zuge der Widerstandsbewegung der Stadt Herford gegenüber den Okkupationen des brandenburgischen Kurfürsten um 1650. Lehnbrief der Herzöge Ernst und Albrecht von Sachsen (16. März 1479): Magdeburg LHASA Rep. U9 tit. AIII Nr. 2. Vgl. VOLLMUTH-LINDENTHAL, Die Äbtissin von Quedlinburg als Stadt- und Landesherrin; DERS., Äbtissin Hedwig von Quedlinburg. Die freie Vogtwahl war den Quedlinburger Äbtissinnen bereits durch Otto I. für den Fall des Erlöschens des ottonischen Hauses zugesichert worden.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

17. Jahrhunderts unter kursächsischer Schutzherrschaft fortwährend betont und in Form der solennen Belehnung im Rahmen der gemeinsamen oder nach dem Tod des Kurfürsten einseitig vollzogenen Huldigung symbolisch zum Ausdruck gebracht. Im Verlauf der nächsten beiden Jahrhunderte gelang es den Kurfürsten von Sachsen, neben der Kriminal- und Flurgerichtsbarkeit, sich weitere Herrschaftsrechte im Stift zu sichern. Hierzu gehörte ein mit der Äbtissin gemeinsam ausgeübtes Besteuerungsrecht, die Aufsicht über die Wahrung der Augsburgischen Konfession und die Einflussnahme auf die Besetzung des Äbtissinnenamtes sowie der Kanonissenstellen.275 Auf dieser Grundlage etablierte der sächsische Kurfürst die Vorstellung einer geteilten Herrschaft zwischen Äbtissin und Schutzherr.276 Diese kam vor allem im Akt der gemeinsamen oder einseitigen Huldigung der Untertanen gegenüber Äbtissin und Schutzherrn bzw. nur gegenüber dem Schutzherrn zum Ausdruck.277 Wichtigstes Werkzeug des Schutzherrn war der bereits 1479 berufene Stiftshauptmann, der zunächst als gemeinsamer Beamter von Stift und Schutzherrschaft eingestellt wurde, sich aber immer deutlicher als Vertreter des Schutzherrn gerierte.278 Eine Zwitterstellung zwischen Äbtissin und Schutzherrn nahm auch der Stadtrat ein, der als Pächter der Vogtei sowie der damit verbundenen Niedergerichtsbarkeit in einem Dienstverhältnis zum Schutzherrn stand und gleichzeitig der Äbtissin als geistliche und weltliche Obrigkeit unterworfen war.279 1698 verkaufte der sächsische Kurfürst die Quedlinburger Schutzherrschaft eigenmächtig an den brandenburgischen Kurfürsten.280 Im Stift Essen wurde der Schutz des Stifts seit dem Hochmittelalter zunächst von wechselnden Vögten wahrgenommen. Erst 1495 verlieh Äbtissin Meina von Oberstein die Schutzherrschaft erblich an den Herzog von Jülich, Kleve und Berg, der ihre strittige Kandidatur in der Doppelwahl von 1489 unterstützt hatte,281 sowie in dessen Nachfolge an den Kurfürsten von ____________ 275 276

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Vgl. GÖSE, Beschränkte Souveränität. Vgl. die Verträge zwischen den Kurfürsten von Sachsen und den jeweiligen Äbtissinnen des Stifts Quedlinburg aus den Jahren 1539, 1574 und 1685, alle als Abschriften in LORENZ (Bearb.), Quellen zur städtischen Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte von Quedlinburg, Teil 1, S. 35-38, 153-155 u. 446-450. Zur Huldigung in Quedlinburg s.u. Kap. Erzwungene Huldigung. Vgl. GÖSE, Beschränkte Souveränität, S. 134f. Vgl. GÖSE, ebd., S. 134-137; VÖTSCH, Zwischen Kursachsen, Preußen und dem Kaiser, S. 296-298. Vgl. GÖSE, Beschränkte Souveränität, S. 143-145; VÖTSCH, Zwischen Kursachsen, Preußen und dem Kaiser. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 90f.

4.1. Verhandeln

229

Brandenburg.282 Gemäß Erbschutzvertrag waren dessen Einflussmöglichkeiten allein auf den Schutz von Stift sowie Land beschränkt und umfassten nicht wie in den anderen beiden Stiften Jurisdiktionsrechte.283 Eine Gemeinsamkeit bildete die zu jeder Zeit virulente Gefahr, die von den nicht selten durch Eigeninteressen geleiteten Schutzherren ausging. Immer wieder mussten sich die Äbtissinnen zunehmender Einflussnahme bis hin zu Unterwerfungsversuchen erwehren.284 Den Äbtissinnen der Stifte Herford, Quedlinburg und Essen gelang es, sich diesen Übergriffen zu widersetzen und ihre Herrschaftsrechte, Freiheiten und Privilegien im Spätmittelalter zu einer kleinen reichsunmittelbaren Herrschaft zu verdichten. Dies schlug sich in der Benennung als Fürstin des Reiches oder princeps Imperii sacri Romani in Belehnungsurkunden und Privilegienbestätigungen seit dem 13. Jahrhundert sowie in der Partizipation an den Reichsinstitutionen und -lasten seit dem 16. Jahrhundert nieder.285 Der Westfälische Friede bestätigte zwar ihren reichsunmittelbaren und reichsständischen Status und diente den Äbtissinnen als Referenzgröße,286 ihre Lage blieb aber prekär, ihr Status unklar. ____________ 282 283

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Vgl. ebd., S. 80. Mit dem Erbschutzbrief wurde dem Schutzherrn aufgetragen, die Äbtissin, ihre Nachfolgerinnen, die Mitglieder beider Kapitel und eine Jede Persohn des vorgerührten Stiffts und Ihre Güther […] bey allen denen rechten, freyheiten, und guten Gewohnheiten […] [zu] behalten, [zu] behüten und [zu] beschirmen und Unß deshalben allen Beystadt zukommen zu lassen. Als Gegenleistung sollte der Schutzherr 600 Gulden bekommen. Der Erbschutzbrief sicherte gleichzeitig ab, dass der Schutzherr keinen zu großen Einfluss im Stift gewinnen konnte. Er hielt fest, dass sich der Schutzherr nicht in Streitigkeiten zwischen der Äbtissin und ihren Untertanen mischen dürfe, es sei denn, die Äbtissin würde ihn darum bitten. Dem Schutzherrn wurde weiterhin untersagt, sich Judengeleit, Jurisdiktions- oder Münzrechte im Stift anzumaßen, Soldaten und Befestigungen in das Stift zu verlegen sowie Fourage von den Untertanen zu erzwingen. Seine Befugnisse beruhten demnach allein auf seiner Schutzfunktion. Vgl. Erbschutzbrief für Herzog Johann von Kleve (1495), Beilage zum Memorial ABGENÖTHIGTE AUßFÜHRLICHE DEDUCTION, fol. 71r-77v. Vgl. zu Quedlinburg VOLLMUTH-LINDENTHAL, Die Äbtissin von Quedlinburg als Stadtund Landesherrin, S. 105f.; DERS., Äbtissin Hedwig von Quedlinburg, S. 67-73. Zu Essen vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 83-91. S. u. Kap. Partizipieren. IPO, Art. V, § 14 u. Art. VII, § 1. Sowohl die Äbtissinnen beriefen sich auf den Westfälischen Frieden, um ihren Anspruch auf die superiorität zu verteidigen, als auch der Kaiser und die Reichsinstitutionen in ihrer Schutzfunktion für die Stifte. In den Auseinandersetzungen mit dem preußischen König schlägt der Stiftsrat Sternfeld Charlotte Sophie von Kurland vor, sich an den schwedischen König als Garanten des Westfälischen Friedens zu wenden, worin aller Stifter wohlstand und conservation specificé gegründet. Sternfeld an Charlotte Sophie von Kurland (4. Dez. 1703): Münster LAV NRW Fürstabtei Herford

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

In allen drei Stiften kam es im Laufe der Frühen Neuzeit zu wiederholten Auseinandersetzungen zwischen den Äbtissinnen und ihrem jeweiligen Schutzherrn, deren Quantität und Qualität seit Mitte des 17. Jahrhunderts deutlich zunahm. Etwa zur gleichen Zeit wurde in den Konflikten um einzelne Herrschaftsrechte wie die Ziviljurisdiktion über bestimmten Korporationen, die Erhebung von Steuern, die Huldigung der Untertanen oder das militärische Besatzungsrecht ein neues Argument in die Verhandlungen eingespeist: die Landeshoheit, die Superiorität oder das jus territoriale. Ende 1654 bestritt die Herforder Äbtissin Elisabeth von Pfalz-Zweibrücken den Anspruch auf Ziviljurisdiktion des kurbrandenburgischen Stadtrichters im Fraterhaus mit Verweis auf ihre Superioritet.287 1677 widersprach ihre Nachfolgerin Elisabeth von der Pfalz den Plänen des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg zur Besteuerung ihrer Beamten und Geistlichen ebenfalls unter Berufung auf ihre jura Superioritatis, über Ihre subditos.288 Die Quedlinburger Äbtissin Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld klagte 1679 vor dem Reichshofrat wegen Beeinträchtigung ihrer jura Superioritatis territorialis et

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Akten Nr. 114. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar beteuert hingegen gegenüber den kaiserlichen Kommissaren im Streit um die Landesherrschaft im Stift, dass sie nicht mehr für sich in Anspruch nehmen wolle, als ihr laut Friedensschlüssen, Reichsconstitutionen, kaiserlichen Belehnungen und Observanz zustehe. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Christian V. von Dänemark (27. Mai 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 413r-416r. Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach bezieht sich in den Facti Species, mit denen sie ihr Recht zur Stellung eines eigenen Kreiskontingentes auf dem Reichstag wider den preußischen König verteidigt, ausdrücklich auf IPO Art. VII, § 1. Fälschlicherweise wird er dort als Art. 18, § 1 benannt, stimmt aber inhaltlich mit Art. VII, § 1 überein. AN DES HEIL. RÖM. REICHS CHUR=FÜRSTEN UND STÄNDEN ZU FÜRWÄHRENDER HOCH=PREßLICHER REICHS=VERSAMMLUNG GEVOLLMÄCHTIGTE, S. 14. Im Mandat des Reichskammergerichtes wider den Herzog von PfalzNeuburg, nachdem dieser das Essener Ländchen Breisig militärisch besetzt hatte, um die Landesherrschaft an sich zu ziehen, wurde auf den Westfälischen Frieden rekurriert, wonach es verboten sei, einen Reichsstand in seinen Rechten, Privilegien und Freiheiten zu schmälern. Mandatum de lite pendente non attentando, sed ordinaria Juris via procedendo sine de Cassando, Revocando, et Restituendo vero cum Clausula Abbatissin zue Essen contra Pfaltz Newenburg und Consorten (31. Aug. 1658): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1638, fol. 5r-14r. Memorial In Puncto Arresti (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 110. Denkschrift der Äbtissin Elisabeth von der Pfalz (6. Mai 1677): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 112.

4.1. Verhandeln

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Reaglia,289 nachdem ihr Kanzleidirektor zur einseitigen Huldigung vor den kursächsischen Schutzherrn zitiert worden war.290 Zugleich warf sie ihrem kursächsischen Schutzherrn vor, sich die hohe Landtsfürstlich Obrigkheit über dißes Stifft zuaignen, mich in habender Jurisdiction allenthalben beeinträchtigen, und wol gar auß einem Reichs-Stande zu einem Landt und Provincial Standt machen zu wollen.291 Die Essener Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt verteidigte die von ihr veranlasste Besetzung des Essener Rathauses gegenüber ihrem Schutzherrn, dem Kurfürsten von Brandenburg, der sie zum Rückzug drängte, auch mit ihrer Superiorität.292 Dem gegenüber standen Maßnahmen des jeweiligen Schutzherrn, mit denen er und seine Vertreter ebenfalls ihren Anspruch auf die Landeshoheit über das Stift bekräftigten. Der Kurfürst von Sachsen als Schutzherr des Stifts Quedlinburg beanspruchte bereits seit 1547 den Titel eines Landesfürst[en] im Huldigungseid der Quedlinburger Untertanen.293 Er sicherte sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zahlreiche Herrschaftsrechte und etablierte zugleich die Vorstellung einer geteilten Herrschaft zwischen Äbtissin und Schutzherr, die zum Beispiel in der Bezeichnung der Gräntz=Steine / mit denen Chur=Schwerdtern/ Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht zum Ausdruck gebracht wurde.294 Schließlich sprach er noch vor dem Verkauf der Schutzherrschaft an den Kurfürsten von Brandenburg der Äbtissin die völlige Hoheit ab. Stattdessen warf er ihr vor, weit aussehnde und nirgend gegründete Principia, die weder einige Fräuliche Prälatur im Reich/ noch beson____________ 289

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Supplik der Äbtissin an den Kaiser wegen der Eingriffe des Stiftshauptmannes in ihre Jura territorialia (praes. 26. Mai 1679): Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata Antiqua K. 617. Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld hatte ihrem Kanzleidirektor Bornholz die Teilnahme an der Huldigung wiederholt verboten, woraufhin der Stiftshauptmann die Citation sub poena Confiscationis agrorum wiederholt hatte. Vgl. Dehortationsschreiben der Äbtissin Anna Sophia an den Kanzleidirektor Bornholz (17. April u. 5. Mai 1679): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 11, fol. 293r-v, 295r-296r; Supplik der Äbtissin an den Kaiser wegen der Eingriffe des Stiftshauptmannes in ihre Jura territorialia (praes. 26. Mai 1679): Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata Antiqua K. 617. S. zum Widerstand gegen die Huldigung der Stiftsbeamten gegenüber dem Schutzherrn u. Kap. Erzwungene Huldigung. Zweite Supplik der Äbtissin Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld an Kaiser Leopold I. (praes. 5. Juni 1679): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8376/17, fol. 161r163r; weiteres Exemplar in Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata Antiqua K. 617. Anna Salome von Salm-Reifferscheidt an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (2. Jan. 1663): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 144r-149r. Vgl. GÖSE, Beschränkte Souveränität, S. 134. Concordien-Rezess, S. 102.

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ders das Euer Liebenden anvertraute Stifft nie gehabt/ noch einige Vorsteherin desselben zubesitzen/ oder deren capabel zu seyn/ affectiret [zu haben].295 Nach Erbgang der Grafschaft Ravensberg an den brandenburgischen Kurfürsten vollzog dieser schrittweise die Eingliederung Herfords in seinen Territorialkomplex. Zunächst unterwarf er die nach Reichsunmittelbarkeit strebende Stadt Herford und integrierte sie unter geringen Zugeständnissen als Landstadt in die Grafschaft Ravensberg.296 In einem zweiten Schritt beanspruchte er die jura episcopalia in der Stadt Herford insbesondere im Kanonikerkapitel auf der Neustadt, welche im Schutzvertrag (Cession) von 1547 ausdrücklich der Äbtissin vorbehalten worden waren. Zwar ließ Kurfürst Friedrich Wilhelm Ende der 1660er Jahre die Frage, wer jurisdiction Eclesiastica undt jura Episcopalia besäße, noch offen, ohne seinen eigenen Anspruch zurückzuziehen, sein Nachfolger Friedrich I./III. erklärte dann aber offensiv, dass er in seiner Municipal-Stadt […] keinen andern Episcopum alß Unß selbsten agnosciren, weniger Statum in Statu verstatten [könne]. Er begründete dies mit der in den Territorien der Augsburgischen Konfession reichsrechtlich verankerten Verbindung von geistlicher und weltlicher Gewalt.297 Wenig später dehnte er seinen landesherrlichen Anspruch auch über das Stift aus, wies sich selbst gegenüber dem Kaiser nicht nur als des Stifftes Hervord Advocatus Schutz- und Schirmherr, sondern auch als dessen Dominus Territorii aus,298 und sprach der Äbtissin jegliche Superioritas Territorialis ab.299 Das Stift Essen nimmt in diesem Zusammenhang eine Sonderrolle ein, da hier der brandenburgischpreußische Schutzherr nie den Anspruch auf die Landeshoheit erhoben hat. Dennoch versuchte er seine schutzherrliche Stellung auszubauen und konkurrierte daher mit der jeweiligen Äbtissin um verschiedene Rechte wie das

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Friedrich August I./II. von Sachsen an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (30. Juni 1694), in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 171f. Vgl. KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford, S. 122-145; RÜGGE, Herfords Verhältnis zur Grafschaft Ravensberg. Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg an Charlotte Sophie von Kurland (15. Dez. 1691): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 337. Protest Friedrichs I./III. gegenüber Kaiser Leopold I. (11./21. Febr. 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Protestschreiben des Königs Friedrich I./III. an die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (8. Juni 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Eine Kopie des Schreibens befindet sich auch in Marburg HStA 4f Preußen Nr. 473.

4.1. Verhandeln

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jus praesidii (Besatzungsrecht), welche die Äbtissin mit Verweis auf ihre Territorial-Superiorität nicht preisgeben wollte.300 Diese Beispiele aus den drei Stiften zeigen, wie der in der Forschung zur vormodernen Staatsbildung diagnostizierte Wandel des Herrschaftsverständnisses vom Nebeneinander mehrerer Herrschaftsträger hin zur Landeshoheit eines Fürsten im Umfeld der Reichsstifte aufgegriffen wurde und sich in zahlreichen Konflikten um die Herrschaftsordnung zwischen zwei ungleich mächtigen Reichsständen wie den Reichsstiften und ihrem potenten Schutzherrn niederschlug.301 Gerade in den Stiften, wo das Nebeneinander mehrerer Herrschaftsträger in Person von Äbtissin und Schutzherr strukturell angelegt war, standen sich beide Herrschaftsmodelle unvereinbar gegenüber und lösten zwangsläufig Konflikte aus. Hinzu kam, dass das Konzept der Landeshoheit oder Territorialherrschaft erst am Anfang seines Formierungsprozesses stand und daher weder in der Theorie noch in der Praxis festgelegt war, was und wer genau sich dahinter verbargen. Vielmehr musste die Antwort auf diese Frage in Praktiken der Besetzung, der Aneignung, des Widerstandes und der Verhandlung von Herrschaftsrechten, wie sie im Folgenden untersucht werden, zunächst noch geklärt und das abstrakte Konzept der Landeshoheit mit Leben gefüllt werden.

Besetzung Als am frühen Morgen des 31. Januar 1698 ein Posthorn vor dem östlichen Tor Quedlinburgs, dem Ohringer Tor, erschallte, beeilte sich der Wachmann David Oppermann, die kleine Pforte zu öffnen. Er und seine Kollegen waren angewiesen worden, die Post nicht aufzuhalten, sondern geschwind ein= und auszulaßen. Zu seinem Erschrecken waren es aber nicht Postkutsche und Postreiter, sondern kurbrandenburgische Soldaten, die nun mit Gewalt in die Stadt hineindrängten, David Oppermann und weitere Wachmänner mit Waffen bedrohten, mit Äxten das Tor für nachrückende Soldaten öffneten ____________ 300

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Genuina Facti Species, eingebracht auf dem Reichstag zur Verteidigung des jus armatus bzw. jus praesidii und Widerlegung des militärischen Vertretungsrechtes des brandenburgischpreußischen Schutzherrn (ad Dict. 17. April 1736), Begleitschreiben der Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (19. Juli 1735), abgedruckt in AN DES HEIL. RÖM. REICHS CHUR=FÜRSTEN UND STÄNDEN ZU FÜRWÄHRENDER HOCH=PREIßLICHER REICHS=VERSAMMLUNG GEVOLLMÄCHTIGTE. Vgl. ASCH, FREIST (Hg.), Staatsbildung als kulturelle Praxis; REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

und schließlich im Laufe der nächsten Stunden das Rathaus besetzten.302 Mit der Besetzung von Stift und Stadt Quedlinburg durch brandenburgisches Militär setzte Friedrich I./III. die Abmachungen eines Vertrages, der sogenannten Cession, in die Tat um, welchen er einige Wochen zuvor mit Kurfürst Friedrich August I./II. von Sachsen und König von Polen abgeschlossen hatte. Kern des Vertrags war die Übertragung der kursächsischen Schutzherrschaft über Stift und Stadt an den brandenburgischen Kurfürsten. Das Vorhaben war Teil der Bemühungen des Kurfürsten, seinen Einflussbereich in Mitteldeutschland zu erweitern. Sein Augenmerk fiel dabei auf das Stift Quedlinburg, das direkt an das seit 1648/50 preußische Fürstentum Halberstadt grenzte. Die Äbtissin hatte man ebenso wie die sächsischen Geheimen Räte und die ebenfalls mitbelehnten Fürsten der sächsischhessischen Erbverbrüderung in den Verhandlungen übergangen und zu Beginn des Jahres 1698 vor vollendete Tatsachen gestellt.303 Als ihr der kurbrandenburgische Geheime Hof- und Kammerrat Heinrich von Platen den Vertragsabschluss am 5. Januar 1698 mitteilte, hatte die Äbtissin daher nicht wenig gestutzet.304 Vertrat man auf Seiten des Stifts doch die Ansicht, dass die Schutzgerechtigkeit ein vom Stift abhängiges rechtes wahres Mannlehn und als solches ohne Unsern und Unsers Capittuls vorwißen […] inalienable war.305 Solange nicht die Rechtmäßigkeit dieses eigenmächtigen Vorgehens durch den Reichshofrat geprüft und ihre Stellung als Lehnsfrau und Landesherrin gesichert war, wollte Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar den bran____________ 302

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Zeugenaussage des Wachmannes David Oppermann und weiterer Wachmänner über die gewaltsame Besetzung Quedlinburgs durch kurbrandenburgische Soldaten, im Protokoll der Stiftskanzlei (30. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 53r-54r; auch in Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 15r-17v. Zwar übte der sächsische Kurfürst die Schutzherrschaft im Stift Quedlinburg aus, er wurde aber nicht alleine, sondern gemeinsam mit den Fürsten der sächsisch-hessischen Erbverbrüderung belehnt. Hierunter verstand man den Zusammenschluss verwandtschaftlicher Personenverbände, die sich gegenseitig als Nachfolger einsetzten, für den Fall, dass eine der Dynastien ausstarb. Zur sächsisch-hessischen Erbverbrüderung gehörten die verschiedenen Linien der Wettiner, Hessen und Brandenburg. Als Mitbelehnte mit der Quedlinburger Schutzherrschaft wurden sie in den Lehnsurkunden, der Formel des Huldigungseides und dem Kirchengebet genannt. Kanzleiprotokoll über die Audienz des kurbrandenburgischen Geheimen Hof- und Kammerrates Heinrich von Platen bei der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (5. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 2r-3r. Vgl. Protestschreiben der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kurfürst Friedrich August I./II. von Sachsen (6. Jan. 1698): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 2982/2, fol. 97r-100r.

4.1. Verhandeln

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denburgischen Kurfürsten nicht als neuen Schutzherrn anerkennen.306 Denn sie befürchtete, dass es dem Kurfürsten um mehr als die Schutzherrschaft, nemlich die gäntzliche subjungirung des Stiffts Quedlinburg ginge.307 Aufgrund ihres Protestes sowie den entstandenen Unstimmigkeiten zwischen den Vertragspartnern über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages sowie den Widerständen innerhalb des Dresdener Geheimen Ratskollegiums gegen die Veräußerung ließ Friedrich I./III. Stift und Stadt kurzerhand militärisch einnehmen.308 In den folgenden Wochen besetzten seine zivilen und militä____________ 306

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Recreditiv für Heinrich von Platen (5. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 5r-6r. Vgl. die gedruckte kritische Auseinandersetzung von Seiten der Äbtissin und ihren Ratgebern mit dem Wortlaut des Cessions-Vertrages DER ZWISCHEN IHRER KÖNIGLICHEN MAJESTÄT IN POHLEN/ CHURFÜRSTL. DURCHLAUCHTIGKEIT ZU BRANDENBURG/ ÜBER DIE QUEDLINBURGISCHE ERB=VOGTEY ERRICHTETE VERGLEICH. Darin arbeitete man sich auf Seiten der Äbtissin entlang des Textes am Wortlaut der Cession ab und fand neben dem Hauptargument, der Unveräußerlichkeit von Lehnsgütern ohne Konsens der Lehnsfrau, weitere Argumente, welche die Ungültigkeit des Vertrages belegen würden. Der Cessions-Vertrag ließ offen, wann und auf welche Weise die Übertragung der Schutzvogtei Gültigkeit erlangte. Diese Lehrstelle ließ auf beiden Seiten Raum für Interpretationen. Während der sächsische Kurfürst einen formellen Akt der Übertragung erwartete, der nicht eher als nach Eingang der verabredeten ‚Kaufsumme‘ vonstatten gehen sollte, vertrat Friedrich I./III. scheinbar die Auffassung, dass mit Gegenzeichnung des Vertrags und Notifikation seines Inhalts die Cession bereits ihre Gültigkeit erlangt hatte. In diesem Glauben war der kurbrandenburgische Gesandte Heinrich von Platen nach Quedlinburg gereist und hatte die Übertragung der Schutzvogtei bei der Äbtissin wie auch dem Stiftshauptmann angezeigt. Weder der Stiftshauptmann noch die in Quedlinburg weilenden kursächsischen Kommissare waren bisher von ihrem kursächsischen Dienst- und Landesherrn unterrichtet worden. Vgl. Notificationsschreiben des Geheimen Ratskonsiliums an den Stifthauptmann von Stammer über die Cession mit dem Auftrag, die Vasallen, Beamten und Untertanen erst nach Eingang des Kaufbetrages aus ihrer Pflicht zu entlassen und an Kurbrandenburg zu verweisen (26. Jan. 1698/18. Febr. 1698): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8968/5, fol. 28r; Bericht der kursächsischen Kommissare, von Koßpoth und Alemand, an den Kurfürsten von Sachsen (19. Jan. 1698): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 2982/2, fol. 62r-72r. In Dresden erhoben hingegen die Mitglieder des Ratskollegiums Einwände gegen die Cession. Sie beklagten, dass man dadurch das Stift als traditionelle, wettinische Versorgungsinstitution verlieren, sich wohlmöglich in langwierige Streitigkeiten mit dem Kaiser sowie den erbverbrüderten Fürstenhäusern verstricken und vor allem die Bildung eines kurbrandenburgischen Territorialkomplexes in Mitteldeutschland in Kauf nehmen würde. Dresdener Statthalter und Geheime Räte an den sächsischen Kurfürsten (27. Jan./6. Febr. 1698) [Original]: Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 2982/2, fol. 49r-60r; [Konzept] Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8968/5, fol. 32r-48v. Die Äbtissin erhob hingegen ebenso wie die Fürsten der sächsisch-hessischen Erbverbrüderung, die gemeinsam mit dem Kurfürsten

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

rischen Vertreter die symbolischen Akte der Herrschaftskonstituierung sowie -konsolidierung, um den Anspruch des Kurfürsten nicht nur auf die Schutz-, sondern auch auf die Landesherrschaft im Stift symbolisch sowie rechtlich durchzusetzen. Mit militärischem Druck setzten sie zunächst die Abänderung des Kirchengebets durch, der sich die einheimischen Geistlichen lange Zeit auf Anordnung der Äbtissin widersetzten.309 In das Kirchengebet der Quedlinburger Gemeinden war die Bitte für das Wohlergehen der Äbtissin als weltlicher und geistlicher Obrigkeit und des Schutzherrn eingeschrieben. In seiner alltäglichen Wiederholung bildete das Kirchengebet zusammen mit anderen Herrschaftstechniken ein wichtiges Instrumentarium zur symbolischen Her- und Darstellung sowie Vergewisserung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Als Nächstes erzwangen die brandenburgischen Regierungsvertreter die Huldigung der Untertanen.310 Als rechtskonstitutiver Akt begründete und legitimierte die Huldigung die jeweilige Herrschaftsordnung, die durch alle Beteiligten als solche anerkannt wurde.311 Im Beisein dreier Kompanien Infanterie und einer Kompanie Reiter nahmen der Halberstädter Kanzler Unverfährt und der Stiftshauptmann Stammer den Eid aller Bürger vor dem Rathaus ab.312 Alle diejenigen, die sich der Aufforderung zur Abänderung des Kirchengebets und zur Huldigung entzogen – darunter vor allem Geistliche, Beamte und Diener des Stifts –, wurden militärisch verfolgt, ihre Häuser mit Soldaten belegt und sie selbst dort so lange festgehalten, bis sie sich zur Veränderung des Kirchengebets und zur Huldigung bereitfanden.313 Friedrich I./III. nutzte seine ____________

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von Sachsen mit der Schutzherrschaft durch die Äbtissin belehnt wurden, Protest gegen das Vorhaben. Protestschreiben der Äbtissin Anna Dorothea an den Kurfürsten Friedrich August I./II. von Sachsen (6. Jan. 1698): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 2982/2, fol. 97r-100r; Friedrich II. von Sachsen-Gotha an Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (5. Febr. 1698): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2205. Erstmalig erging bereits am 5. März die fürstliche Order an das Geistliche Ministerium, das Kirchengebet nicht zu ändern: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 187r-v. Drei Monate später wiederholte Anna Dorothea von Sachsen-Weimar das Verbot gegenüber allen Pastören und Diakonen des Stifts (4. Juni 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 16, fol. 12r-v. S. auch u. Kap. Erzwungene Huldigung. Vgl. HOLENSTEIN, Huldigung und Herrschaftszeremoniell, S. 23; vgl. auch DERS., Huldigung. S. u. Kap. Erzwungene Huldigung. Vgl. LORENZ, Werdegang von Stift und Stadt Quedlinburg, S. 320. Vgl. Zeugenaussagen der Quedlinburger Prediger, abgedruckt in der Druckschrift DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN, fol. 92/15r-92/21r. Original des notarischen Instruments

4.1. Verhandeln

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militärische Überlegenheit, um die Nachfolge des sächsischen Kurfürsten als Schutz- und Landesherr durchzusetzen. Die brandenburgischen Soldaten wurden aber darauf nicht wieder abgezogen. Stattdessen blieb Quedlinburg Standort brandenburgischpreußischen Militärs. Mit der Errichtung eines Corps de Guardes, also einer Kaserne, Mitte der 1720er Jahre sowie dem Ausbau der Palisaden veränderte sich das Stadtbild Quedlinburgs zunehmend zu dem einer Garnisonsstadt.314 Die Anzahl der stationierten Soldaten variierte. Bei konkreten Anlässen und renitentem Verhalten der Untertanen wurde zusätzliches Militär zeitweise eingelagert und als Druck- sowie Sanktionsmittel genutzt. Der preußische Schutzherr kontrollierte somit den Zugang zum Stift. Auf diese Weise gelang es ihm, den Amtsantritt einer neuen Äbtissin zwischen 1704 und 1718 zu verhindern.315 In der Zwischenzeit setzte er das Stift als Faustpfand ein, um die gegen seinen Willen gewählte Äbtissin Maria Elisabeth von HolsteinGottorf zur Anerkennung seiner Stellung als Schutz- und Landesherr zu bewegen. Gewaltsame Übergriffe auf die Einwohner und die finanzielle Belastung durch Einquartierungen sowie Versorgung der Soldaten bestimmten fortan den Alltag in Quedlinburg. Zeugnis hierfür sind die über Jahre in den Kanzleiakten gesammelten Suppliken der Untertanen an ihre Fürstin.316 ____________ 314

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über die Befragung der Pastöre (13. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 257r-288r. Benachrichtigung des Quedlinburger Magistrats an die Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (9. März 1725): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 9, fol. 367r368r; Protokoll des Stadtrates (15. Sept. 1725): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 9, fol. 396r-398v. Nach ihrer ersten Wahl 1708 war Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf bereits auf dem Weg nach Quedlinburg. Auf Anraten der Kapitularinnen wurde die Reise in Halberstadt jedoch unterbrochen und stattdessen nach Schloss Lichtenburg in Sachsen fortgesetzt, um dieser den Anschein eines Verwandtenbesuches bei ihrer Tante, der KurfürstinWitwe Anna Sophie von Sachsen, zu geben und die peinliche Situation zu verschleiern. Holsteinischer Gesandter Breyer an Herzog Christian August von Holstein-Gottorf (21. Nov. 1708) und ebenso Handschreiben Maria Elisabeths an Herzog Christian August von Holstein-Gottorf (21. Nov. 1708): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380II. Nach der Aufhebung der ersten und ihrer zweiten Wahl zur Äbtissin 1710 ließ zunächst Friedrich I./III., später sein Sohn das Stift militärisch absperren und vor allem Kutschen mit Frauen darin streng kontrollieren. Bericht des Stiftshauptmannes Lüdecke an Friedrich I./III. (24. Nov. 1710) sowie Protest des Kapitels gegen diese Maßnahme (24. Nov. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710; Regierungsprotokoll über Zeugenbefragung (8. Febr. 1715): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 7, fol. 246r. Vgl. beispielsweise Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 7 u. 9.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Hinzu kamen gezielte Aktionen der Soldaten gegen den obrigkeitlichen Anspruch der Äbtissin. Einen Höhepunkt stellten die Ereignisse im Sommer 1733 dar. Die damalige Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf hatte ihre Untertanen in einem öffentlich angeschlagenen Patent aufgefordert, trotz der massiven militärischen Werbungen nicht von ihrer Untertanenpflicht ihr gegenüber als rechtmäßigem Oberhaupt abzulassen.317 Während sich im Anschluss der Stiftshauptmann damit begnügte, das Anbringen des Patents durch den Stadtrichter zu verbieten, verhinderten die preußischen Soldaten den Anschlag des Patents gewaltsam und rissen bereits veröffentlichte Exemplare wieder ab.318 Ihren Gipfel erreichte die Aktion, als auf königlichen Befehl hin die abgerissenen Patente zu aller äußersten vilipendenz und Verunehrung Unserer Fürstlichen dignité, so gar durch den Hencker auf einem Bund Stroh öffentlich verbrant [wurden].319 Dieses Vorgehen war nicht nur ein symbolträchtiger Angriff auf die obrigkeitliche Stellung der Äbtissin, sondern wurde von ihr gleichzeitig als Anschlag auf ihre ständische Ehre und ihren fürstlichen Rang bewertet.320 Auch in den beiden anderen Stiften spielte der brandenburgischpreußische Schutzherr wiederholt seine militärische Stärke aus, um seine schutzherrliche Stellung auszubauen. Etwa zeitgleich zu den Ereignissen in Quedlinburg fielen 1698 brandenburgische Soldaten in die Herforder Stifts____________ 317

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Gedrucktes Patent der Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an ihre Untertanen (13. Juli 1733): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 15, fol. 3v-4r. Regierungsprotokoll (14. Juli 1733), Amtsregistratur des Stadtrichters (15. Juli 1733) sowie Stiftsamtsregistratur (15.-18. Juli 1733): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 15, fol. 8r-10v, 12r, 19v-23v. Beschwerde Maria Elisabeths von Holstein-Gottorf gegenüber dem dänischen König Christian VI. und Kurfürst Friedrich August I./II. von Sachsen (20. Juli 1733): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 15, fol. 73r-74v. Scharfrichter gehörten ebenso wie Abdecker in der Frühen Neuzeit zur Gruppe der unehrlichen Berufe. Man mied ihren Kontakt, da ihre Unehrlichkeit und Unreinheit ansteckend war. Kam man mit ihnen oder ihrem Werkzeug in Berührung, wurde man selbst unrein. Ursprung ihrer Unehre war der Kontakt mit Verbrechern, Suizidenten und Aas. Vgl. hierzu u.a. KÜHNEL, Die Ehre der Unehrlichen; STUART, Unehrliche Berufe; DÜLMEN, Der ehrlose Mensch; NOWOSADTKO, Scharfrichter und Abdecker. Beschwerde Maria Elisabeths von Holstein-Gottorf gegenüber dem dänischen König und dem Kurfürsten von Sachsen (20. Juli 1733): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 15, fol. 73r-74v. Aus der umfangreichen Literatur zur ständischen Ehre vgl. hier u.a. PEČAR, Die Ökonomie der Ehre; SCHREINER, Verletzte Ehre; FUCHS, Um die Ehre; BACKMANN (Hg.), Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit; SCHREINER, SCHWERHOFF (Hg.), Verletzte Ehre. Zur Konzeption der ständischen Ehre als „symbolischem Kapital“ nach Pierre Bourdieu vgl. FÜSSEL, WELLER, Einleitung, S. 12-14.

4.1. Verhandeln

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freiheit ein und bemächtigten sich des von der Äbtissin sequestrirten Decanats Garten[s].321 Dekanissin und Küsterin hatten auf Anraten kurbrandenburgischer Regierungsvertreter die Soldaten dazu beauftragt. Sie stritten seit einigen Jahren, unterstützt durch den brandenburgischen Kurfürsten, mit der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland um ihre Beteiligung an der Stiftsregierung und ihre standesgemäße Behandlung. Zuletzt hatte Charlotte Sophie die Dekanissin von ihrem Amt suspendiert, weil sie sich nicht bereitfand, ein neues Dekanatshaus auf der Stiftsfreiheit zu errichten.322 Drei Jahre später drangen erneut mehrfach brandenburgisch-preußische Soldaten in die Stiftsfreiheit ein. Zunächst begleiteten sie Mitte Juli 1703 städtische Beamte, welche die von Uns [der Äbtissin, Anm. d. Verf.] an Unserer Stiffts Cathedral Kirche affigirte kayserliche avocatorien ab- und in kleine stücke zerrißen.323 Sowohl der preußische König als auch die Äbtissin hatten im Vorfeld das Recht auf Publikation der kaiserlichen Mandate für sich beansprucht, so dass die öffentliche Reichskriegserklärung gegen Spanien, Frankreich und Kurbayern im Spanischen Erbfolgekrieg zunächst durch Friedrich I./III. veröffentlicht wurde, dessen Aushänge jedoch dann durch Exemplare der Äbtissin ersetzt wurden.324 Gerade die Publikation der kaiserlichen Mandate im Namen der Äbtissin war für Charlotte Sophie von Kurland von großer Bedeutung, da sie für jedermann sichtbar ihre Stellung als Reichsfürstin unterstrich. Daher hatte sie sich in Wien und Regensburg um die Zusendung der Patente bemüht.325 Was folgte, war der offene Schlagabtausch beider Parteien wegen Anbringung der kaiserlichen Mandate, der in einem wiederholten, teilweise gewalttätigen Abreißen und Wiederanbringen der Patente über Wochen bestand und deren Höhepunkt die Ereignisse vom 25. Juli waren.326 Denn auch in Berlin war man sich der symbolischen Aussage____________ 321

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Hierzu und im Folgenden Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von HessenKassel (18. Juli 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434; Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich I./III. von Brandenburg (17. Juli 1698): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3120. S. o. Kap. Das Kapitel als Mitregent. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (16. Aug. 1703): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 475. Bericht des Herforder Stadtrates an den Landdrosten von dem Bussche (26. März 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Kabinettsnotiz (25. Mai 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Nachdem besagte Kriegserklärungen zunächst im Namen des preußischen Königs veröffentlicht wurden, berichtet der Stadtrat Ende März, dass diese durch Patente der Äbtissin ausgetauscht wurden. Vgl. Bericht des Stadtrates an den Landdrosten von dem Bussche

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kraft des Publikationsrechts bewusst. Direkt nach der Erstveröffentlichung der Kriegserklärung durch Friedrich I./III. beschäftigten sich seine Kabinettsminister mit der Frage, ob man der Äbtissin gestatten könne, kaiserliche Patente zu veröffentlichen. Die Minister verneinten diese Frage, weil es sich dabei um ein landesherrliches Recht handele, man der Äbtissin aber allenfalls die Reichsstandschaft, nicht aber die Superiorität einräume.327 Nur wenige Wochen später versuchten brandenburgisch-preußische Soldaten dann, einige Stiftsbeamte auf der Stiftsfreiheit festzunehmen.328 Seit Herbst 1702 ermittelte das Berliner Kriminalgericht auf Befehl des Königs gegen die beiden Kapitulare von Sternfeld und von Amazon sowie die Stiftsräte Thulemeyer, Cramer und Hahn wegen Verleumdung des Landdrosten von dem Bussche.329 Anfang Januar 1703 entschied das Gericht, die Beschuldigten vorzuladen.330 Während die Äbtissin protestierte,331 weil sie als geistliche und weltliche Obrigkeit die Jurisdiktion über die Kapitulare und Stiftsräte für sich beanspruchte, boykottierten die Angeklagten das Verfahren.332 Nach mehrmaliger Vorladung sowie wiederholter Verweigerung erhob das ____________

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(26. März 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Am 8. Juni protestierte Friedrich I./III. deswegen nicht nur gegenüber der Äbtissin, sondern befahl auch dem ravensbergischen Landschreiber Arnold Heinrich Meinders und Amtmann Derenthal, die Mandate erneut auszutauschen (8. Juni 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Im Juli wiederholte sich das Spiel erneut. Der preußische Minister von Fuchs berichtete dem König, dass die Äbtissin erneut die Mandate hatte abreißen lassen und bat um Befehl für Gegenmaßnahmen (16. Juli 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Kabinettsnotiz (25. Mai 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (16. Aug. 1703): Marburg HStA 4f Preußen 475. S.u. Kap. Aneignung. Königlicher Befehl an den Geheimen Justizrat (8. Dez. 1702): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3121. In diesem Zusammenhang hatte sich der Landdrost selbst in einer mehrseitigen Schrift mit allen Anschuldigungen auseinandergesetzt, die dort als Beweismittel diente. Vgl. ebd. Zitation der Kapitulare von Amazon und von Sternfeld sowie der Stiftsbeamten Thulemeyer, Cramer und Hahn vor das Kriminalgericht nach Berlin (6. Jan. 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich I./III. von Brandenburg (31. Mai 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Friedrich I./III. an Charlotte Sophie von Kurland (10. Mai 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Darin forderte er sie auf, ihren Räten das Erscheinen vor dem Kriminalgericht in Berlin anzubefehlen.

4.1. Verhandeln

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Gericht Anklage wegen Beleidigung sowie Verleumdung gegen die Kapitulare Amazon und Sternfeld, die gleichzeitig auch als Räte im Dienst der Äbtissin standen.333 Schließlich erließ Friedrich I./III. Ende Juli gegen sie einen Ergreifungs- sowie Auslieferungsbefehl an den städtischen Richter Besserer.334 Geplant war ein heimlicher Überfall auf beide mit Unterstützung der einzigen anwesenden Kanonissin, Prinzessin Augusta Elisabetha von Holstein-Plön, die jüngst auf die Seite der oppositionellen Kapitularinnen und des Schutzherrn gewechselt war.335 Hierzu hatte sie Amazon und Sternfeld unter einem Vorwand auf das Kapitelhaus geladen. Nach der fingierten Kapitelsitzung sollten die Kapitulare von dem eigens bei Nacht eingetroffenen preußischen Kapitän-Leutnant und mehreren Soldaten aufgegriffen werden.336 Sie entzogen sich ihrer Verhaftung durch Flucht.337 Später wurden sie durch den König des Landes verwiesen.338 Auch die Äbtissin verließ angesichts dieses neuerlichen Einfalls ebenso wie schon 1698 das Stift und kehrte die restlichen 25 Jahre ihres Lebens nicht mehr aus ihrem Exil in Verden nach Herford zurück.339 Friedrich I./III. nutzte ihre Abwesenheit, ____________ 333

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Königlich-preußische Anklageerhebung gegen die Kapitulare und Stiftsräte von Amazon und von Sternfeld (28. Juli 1703) in einem Schriftstück kombiniert mit (undatierter) Erwiderung der Äbtissin, mit wahrscheinlicher Provenienz im Umkreis der Äbtissin und ihrer angeklagten Kapitulare und Stiftsräte: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Ergreifungs- sowie Auslieferungsbefehl des Königs an den städtischen Richter Besserer (24. Juli 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Prinzessin Augusta Elisabetha von Holstein-Plön wandte sich im August mehrfach an den König: Zunächst wegen Aufnahme der lutherischen Prinzessin von Baden-Durlach als Kanonissin (3. Aug. 1703), dann klagt sie wegen der Unordnung im Stift (12. Aug. 1703), schließlich fragt sie, wie sie sich gegenüber der Küsterin verhalten soll, worauf ihr der König antwortet, dass sie sie für nicht abgesetzt betrachten solle (Antwort des Königs vom 24. Aug. 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (16. Aug. 1703): Marburg HStA 4f Preußen 475. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bereits abgereist. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (16. Aug. 1703): Marburg HStA 4f Preußen 475. Königlich-preußisches Proscriptions-Edict (16. Nov. 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Die ehemalige Reichsstadt Verden fiel als Teil des Bistums Verden nach dem Dreißigjährigen Krieg an Schweden und blieb mit einer kurzen Unterbrechung bis 1719 in schwedischem Besitz. 1719 ging die Stadt durch Kauf an das Kurfürstentum Hannover. Somit begab sich Charlotte Sophie 1703 auf schwedisches Territorium und damit unter den Schutz des schwedischen Königs, an den sie sich bereits im Vorfeld verschiedene Male

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

um den im Vorfeld suspendierten Kapitularinnen ihre Rückkehr ins Stift zu ermöglichen und sie wieder in ihre Ämter einzusetzen.340 Mit dem Einfall brandenburgisch-preußischer Soldaten in die Stiftsfreiheit, der Publikation kaiserlicher Patente und mit der beanspruchten Stellung als übergeordneter Richter in innerstiftischen Streitigkeiten sowie über die Stiftsräte und Kapitulare behaupteten Friedrich I./III. und seine Vertreter die Unterordnung des Stifts unter die Landeshoheit des Kurfürst-Königs. Besatzungsrecht, Jurisdiktion und Publikation kaiserlicher Patente markierten seinen bereits verbal geäußerten Anspruch auf die Landeshoheit.341 Das Essener Stift war im 17. und 18. Jahrhundert ebenfalls mehrfach Ziel brandenburgisch-preußischer Besatzung. Anfang April 1662 wurden zweyhundert [kurbrandenburgische, Anm. d. Verf.] Soldaten würklich in dero Stifft [Essen, Anm. d. Verf.] zu Nachts eingeführt.342 Zeitgleich wurden weitere 2.000 Männer im Herzogtum Kleve sowie in der Grafschaft Mark zusammengezogen und einige Kriegsknechte aus der Garnison Kalkar an die Grenzen des Stifts bestellt.343 Wenig später trafen kurbrandenburgische Vertreter auf Schloss Borbeck, der Residenz der amtierenden Essener Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt, vor den Toren der Stadt, ein und forderten von ihr, alsobaldt von allen thätlichkeiten [gegen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen, Anm. d. Verf.] abzustehen. Andernfalls wären sie resolvirt und committirt […], mit starker Handt in clagende Fürstin Landt zugehen.344 Die Klever ____________

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um Hilfe gewandt hatte (vgl. verschiedene Briefe in franz. Sprache an den schwedischen König aus den Jahren 1700-1702 in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118). Friedrich I./III. an Karl von Hessen-Kassel (7. Sept. 1703): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 475; Friedrich I./III. an den Herforder Richter Besserer (25. Aug. 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Protest Friedrichs I./III. gegenüber Kaiser Leopold I. (11./21. Febr. 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119; Protestschreiben des Königs an die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (8. Juni 1703): GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Eine Kopie des Schreibens befindet sich auch in Marburg HStA 4f Preußen Nr. 473. Einführung des Mandates des Reichskammergerichtes gegenüber der Regierung zu Kleve und deren Consorten, gemeint sind Bürgermeister und Rat der Stadt Essen (7. Jan. 1663): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1617, fol. 14r-22r. Bericht der Regierung zu Kleve über die Ereignisse in Essen gegenüber dem Kurfürsten und seinen Ministern (3. April 1662): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 1r-2v. Einführung des Mandates des Reichskammergerichtes gegenüber der Regierung zu Kleve und deren Consorten, gemeint sind Bürgermeister und Rat der Stadt Essen (7. Jan. 1663): Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1617, fol. 14r-22r.

4.1. Verhandeln

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Regierungsräte waren als Vertreter des brandenburgischen Kurfürsten und Essener Schutzherrn durch Bürgermeister und Rat der Stadt Essen um Hilfe gebeten worden,345 nachdem die Äbtissin ihre Stiftsbauern mobilisiert hatte, um das Rathaus, die Marktkirche und die Stadttore zu besetzten sowie den ersten Bürgermeister in Haft zu nehmen. Ziel dieser Aktion war die gewaltsame Unterwerfung der Stadt unter die Hoheit der Äbtissin.346 Auch die Äbtissin griff also auf das Mittel der Besatzung zurück, um ihre Stellung als Obrigkeit gegenüber der nach Autonomie strebenden Stadt zum Ausdruck zu bringen. Friedrich Wilhelm hielt trotz vielfältiger Aufforderungen mit Hinweis auf seine schutzherrlichen Rechte an der militärischen Besatzung fest und bediente sich dieser als Druckmittel, um die Äbtissin zu einem Vergleich mit der Stadt unter seiner Vermittlung zu drängen.347 Die Besatzung des Stifts durch brandenburgisch-preußische Soldaten in den 1660er Jahren war kein Einzelfall. 1670 im Streit um die Errichtung eines Predigerhauses für die reformierte Gemeinde, 1673, als die Äbtissin den mehrheitlich evangelisch besetzten Rat aufheben ließ, und 1724, als es zu wiederholten Übergriffen auf evangelische Stiftsuntertanen kam, wurde das Stift erneut militärisch besetzt. Vorweg ging jedes Mal das Hilfegesuch des Stadtrates an die Klever Regierung. Damit gaben die Stadtverantwortlichen dem Schutzherrn und seinen Vertretern wiederholt die Möglichkeit, sich in Belange des Stifts einzumischen. Bürgermeister und Stadtrat avancierten auf diesem Wege zu bereitwilligen Helfern beim Versuch, den schutzherrlichen Einfluss auszuweiten.348 Die konfessionelle Ausrichtung der Konflikte zwischen der katholischen Äbtissin und der mehrheitlich lutherischen Stadt ____________ 345

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Anschreiben der Regierung zu Kleve an die Berliner Minister, indem sie von den städtischen Beschwerden berichten (15. Mai 1723): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1659, fol. 7r-9v. S. o. Kap. Der Sturm auf das Rathaus. Protest des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm beim Reichskammerrichter, Markgraf Wilhelm von Baden-Baden, gegen das ergangene Urteil (20. Juli 1663): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 288r-289v. Die Klever Räte teilten der Äbtissin im Juli 1663 mit, dass die Soldaten nur deswegen noch immer in Essen stationiert wären, weil sie sich den friedlichen Vergleichsverhandlungen entzöge. Schon ein Jahr zuvor wurden in der Regierung zu Kleve Überlegungen angestellt, ob die Zahl der Soldaten nicht erhöht werden sollte, um die Äbtissin zu Verhandlungen zu zwingen. Regierung zu Kleve an Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt (24. Juli 1663): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 306r-308r; Regierung zu Kleve an Kurfürst Friedrich Wilhelm (16. Juni 1662): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 71r-73r. S. o. Kap. Verbündete des Schutzherrn.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

ermöglichten es dem Schutzherrn, sein Eingreifen nicht nur mit dem Schutzherrnamt, sondern auch mit seiner Pflicht, die Augsburgische Konfession zu beschützen, zu begründen. Ziel der militärischen Aktionen war es, den Radius seiner schutzherrlichen Einflussmöglichkeiten zu vergrößern und die alleinige Wahrung von Ruhe und Frieden sowie Vermittlung in allen strittigen Angelegenheiten von Stift und Stadt an sich zu ziehen. Ein solches militärisches Vorgehen rief Entrüstung bei den betroffenen Äbtissinnen hervor. Die Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg verurteilten diese wider eine Reichs Fürstin und unarmirte Fürstliche Dame außgeübte feindseelige proceduren als Bruch der Reichs=Satzungen.349 Um die Schwere der Vergehen zu betonen, verglich die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar die Umstände darüber hinaus mit dem Kriegszustand während des Dreißigjährigen Krieges, als alles über und über gieng, die Soldaten aber bei weitem nicht so weit gegangen wären wie jetzt und weder das fürstliche Gymnasium noch das Stift besetzt hätten.350 Ziel dieser Darstellung war es, das Handeln der verantwortlichen brandenburgischen Regierungsvertreter als Bruch des Landfriedens und der Reichsverfassung zu delegitimieren und einen Tatbestand heraufzubeschwören.351 Denn mit dem Ewigen Landfrieden von 1495 und den Reichsabschieden von 1526, wonach ____________ 349

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Reinhard Scheffer, Abgesandter des Stifts am Reichstag, an die Reichsversammlung (1. Nov. 1698), abgedruckt in der Druckschrift DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 10-12. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (18. Juli 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434; Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich I./III. (17. Juli 1698): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3120; Friedrich I./III. an Charlotte Sophie von Kurland (27. Febr./9. März 1699): Marburg HStA 4f Preußen 434. Nachdem sich die Geistlichen und Schulkollegen geweigert hatten, den neuen vom Kurfürsten konfirmierten Superintendenten anzuerkennen, besetzten brandenburgische Soldaten das Gymnasium. Sie verwandelten das ehemalige Franziskanerkloster binnen kurzer Zeit in ein corps de guarde und beschmutzten den ehemals sakralen, nun profanen Raum mit ihren Abfällen sowie ihrem unmoralischen Verhalten. Kanzleiprotokoll (22. März 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 172v-173r. Die brandenburgischen Soldaten versuchten zudem wiederholt, aber vergeblich, sich Zugang zum Stift zu verschaffen, welches selbst in dem grösten Kriegs=Wesen verschont worden war. Protokoll der Stiftskanzlei (16. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 63r-66v; Reinhard Scheffer, Abgesandter des Stifts am Reichstag zur Regensburg, an die Reichsversammlung (1. Nov. 1699), abgedruckt in der Druckschrift DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 10-12. Vgl. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (6. Nov. 1699), abgedruckt in der Druckschrift CONTINUATIO DES WEINENDEN KAYSERLICHEN REICHS=STIFTS QUEDLINBURG, (S. 9).

4.1. Verhandeln

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Gericht und Recht […] niemand […] versagt werden durfte, war nicht allein der Vorrang des Rechtsweges vor der Tathandlung reichsrechtlich festgelegt, sondern die Gefährdung von Ruhe und Frieden im Reich darüber hinaus unter Strafe gestellt worden.352 Diese Vorwürfe der Äbtissinnen wurden sowohl vom Kaiser als auch von den anderen Reichsständen aufgegriffen. Während Leopold I. dem Kurfürsten Unruhestiftung und feindliches Verhalten gegenüber dem Stift Quedlinburg vorwarf,353 verurteilten die Reichstagsgesandten der anderen Stände die gewaltsame Einmischung des brandenburgischen Kurfürsten in den innerstiftischen Konflikt der Herforder Äbtissin und der Kapitelmitglieder.354 Der jeweilige Schutzherr sah sich daher gezwungen, sein militärisches Eingreifen mit seinem Schutzauftrag sowie den damit verbundenen Rechten zu rechtfertigen. So verteidigten Friedrich I./III. und seine Vertreter die Besetzung Quedlinburgs damit, dass der Kurfürst die Äbtissin in ihren Rechten nicht etwa kränken, sondern vielmehr wider alle Turbationes schützen wolle. In diesem Sinne hätten die Soldaten den Auftrag, gute Ordnung zu halten.355 Er versprach, dass er der Äbtissin und dem Stift mit seinem militärischen Vorgehen kein praejuditz noch nachtheil zufügen wolle, und versicherte, dass er nichts hierunter thue, worzu Ich nicht vollkömlich berechtiget wäre.356 Bei der Besetzung des Stifts Essen berief sich hingegen Kurfürst Friedrich Wilhelm auf sein jus praesidy als Schutzherr.357 Ziel war es, die militärische Besatzung unter Berufung auf ____________ 352

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Vgl. Ewiger Landfrieden von 1495, in QUELLENSAMMLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN REICHSVERFASSUNG, S. 281-284; § 3 des Augsburger Reichsabschieds sowie § 7 des Speyrer Reichsabschieds, beide von 1526, in SCHMAUß (Hg.), Neue und vollständige Sammlung der Reichs-Abschiede, Bd. 2, S. 271, 274f. Der Wiener Agent der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar Koch berichtete an den Stiftssekretär Latermann, dass der Reichsvizekanzler Graf von Kaunitz dem kurbrandenburgischen Residenten Bartholdi in Wien vorgeworfen habe, Kurbrandenburg verhielte sich ebenso wie Frankreich und hätte nach Zeiten der Ruhe und des Friedens nun erneut völlige Unruhe ins Reich gebracht. Vgl. Wiener Agent Koch an Stiftssekretär Lattermann (19./29. Nov. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 424r-425r. Friedrich I./III. an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (12. Aug. 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Kanzleiprotokoll (30. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 58r61r. Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (26. Jan./5. Febr. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 62r-v. Protest des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhem beim Reichskammerrichter, Markgraf Wilhelm von Baden-Baden, gegen das ergangene Urteil (20. Juli 1663): Berlin

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

bestehendes Recht zu legitimieren und als rechtmäßige Ausdrucksform der Schutz- und/oder Landesherrschaft einzustufen. Die militärische Besatzung gehörte zu den Praktiken, mit denen vormoderne Herrschaft intensiviert und ausgedehnt wurde.358 Die militärische Besatzung bildete eine „politische [Handlungsoption] zwischen größeren, auch kleineren Herrschaftsträger[n]“ bei der Bearbeitung von Herrschaftskonflikten,359 die auch von den Äbtissinnen angewandt wurde, wie die Besetzung des Essener Rathauses 1662 bezeugt. Auf diesem Wege sollten Verträge umgesetzt, Statusänderungen anerkannt, ins Stocken geratene Verhandlungen wieder angetrieben, Rechtsansprüche behauptet und Herrschaftsverhältnisse geklärt werden. Doch auch im Hinblick auf militärische Interventionen griff der Prozess der Verrechtlichung, so dass militärische Aktionen innerhalb des Reiches im 17. und 18. Jahrhundert an Rechte wie das jus praesidii gebunden wurden.360 Mit der Besatzung einher ging also der Versuch des Schutzherrn, ein schutz- bzw. landesherrliches Besatzungsrecht zu reaktivieren oder überhaupt erst zu etablieren.361 Auf diese Weise wollte er seinen herrschaftlichen Zugriff auf das Stift intensivieren. Ganz ähnlich ist der brandenburgische Kurfürst beispielsweise mit semi-autonomen Städten in seinem Territorialkomplex wie Herford und Magdeburg umgegangen, wo er seine „kurfürstliche Macht durch Reaktivierung älterer Rechte“ wieder befestigte und sie seiner Herrschaft unterwarf. Anders als in diesen Städten blieben die vollständige Unterwerfung der Reichsstifte, deren Eingliederung in den brandenburgisch-preußischen Territorialkomplex und Auflösung der stiftischen Verwaltungsstrukturen selbst in den Stiften Herford und Quedlinburg jedoch aus. Ein weiteres Feld, auf dem der Schutzherr seinen herrschaftlichen Zugriff auszubauen suchte und zugleich Druck erzeugen konnte, um die Äbtis____________ 358

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GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 288r-289v. MEUMAN, ROGGE, Militärische Besetzung vor 1800, S. 20. Vgl. auch MEUMANN, Herrschaft oder Tyrannis?, S. 174. Meumann und Rogge haben ein solches Vorgehen auf das 15. und 16. Jahrhundert bezogen. Die Praxis in den Damenstiften zeigt jedoch, dass bis weit ins 18. Jahrhundert militärische Besatzung als Mittel in den Aushandlungsprozessen von Herrschaft angewandt wurde. MEUMANN, ROGGE, Militärische Besetzung vor 1800, S. 23. Vgl. ebd., S. 14. Es handelt sich bei den militärischen Aktionen in den Stiften demnach nicht um Besetzungen im völkerrechtlichen Sinne, sondern vielmehr um Besatzungen, die mit einem schutz- bzw. landesherrlichen Besatzungsrecht legitimiert wurden. Vgl. MEUMANN, ROGGE, Militärische Besetzung vor 1800, S. 18.

4.1. Verhandeln

247

sin zu schwächen und ihren Widerstand zu brechen, war die Konfiskation von Gütern und Einkünften. Nachdem die Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach ebenso wie ihre Vorgängerin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg darauf bestanden hatte, ein eigenes Kreiskontingent zu stellen, und sich nicht vom preußischen König militärisch vertreten lassen wollte,362 konfiszierte Friedrich Wilhelm I. in Preußen den entsprechenden Betrag an Vertretungsgeldern kurzerhand in Form von Gütern, Renten und Gefällen.363 Erst dem Kaiser und seinem Gesandten am Berliner Hof, welche die Äbtissin eingeschaltet hatte, gelang es, den König dazu zu bewegen, die Konfiskationen wieder aufzuheben und den Anspruch auf die militärische Vertretung des Stifts vorerst fallen zu lassen.364 In den Auseinandersetzungen zwischen der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland und ihrem preußischen Vetter Friedrich I./III. griff nicht nur der König auf das Mittel der Konfiskation zurück, sondern auch die Äbtissin, um ihre innerstiftischen Gegner zu treffen. Im Umfeld der 1702 von der Äbtissin gegen den Widerstand der innerstiftischen Opposition und des preußischen Schutzherrn vollzogenen Wahl einer neuen Dekanissin belegte zunächst Charlotte Sophie die Einkünfte des Kapitularen Consbruch mit Arrest, weil er sich als preußischer Amtmann aufgrund seiner Loyalitätsbindung der Wahl widersetzt hatte.365 Friedrich I./III. tat es ihr gleich und konfiszierte im Gegenzug die Einkünfte der Kapitulare von Amazon und von ____________ 362

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Zu Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges hatte Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg in zwei jeweils auf drei Jahre befristeten Verträgen den preußischen König mit ihrer militärischen Vertretung zum Kontingent des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises beauftragt und ihm dafür eine Summe von 4.600, später 6.000 Reichstalern jährlich gezahlt. Nach Ende des Krieges setzte sie sich am Kreistag dafür ein, dass das Stift nun wieder selbst ein Kontingent an Kreissoldaten stellen und unterhalten wolle. Kreistagsprotokoll (18. Mai 1715): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 654. Vgl. HÜSGEN, Die militärische Vertretung, S. 44-46, 49. Verschiedene Suppliken von Äbtissin und Stift an den Kaiser (praes. 5. Jan., 17. Jan., 25. Jan. u. 5. Febr. 1735): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei, Kleinere Reichsstände K 97 Essen, fol. 490r-503v. Kaiserliche Dehortations-Schreiben (21. Jan. 1736 u. 16. Juni 1736): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei Kleinere Reichsstände Nr. 97, fol. 516r-518r, 520r-v, 525r-v. Der preußische König erhob bis zum Ende des 18. Jahrhunderts reglmäßig den Anspruch, als Schutzherr die militärische Vertretung zu übernehmen. Erst 1793 gingen Äbtissin und König einen neuen Vertretungsvertrag ein. Vgl. HÜSGEN, Die Vertretung des Stifts Essen, S. 87-91. Vgl. Supplik des preußischen Amtmannes und Herforder Kapitulars Consbruch an Friedrich I./III. (o.D.): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Sternfeld, die der Proklamation und Installation der neuen Dekanissin beigewohnt und sie unterstützt hatten.366 Nachdem 1710 Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf gegen den Widerstand des preußischen Königs zur Quedlinburger Äbtissin gewählt wurde, begnügte sich Friedrich I./III. nicht damit, den Zugang zum Stift zu sperren, um sie zur Anerkennung seiner Stellung als Schutz- und Landesherr zu drängen, sondern ließ darüber hinaus alle Einkünfte des Stifts mit Ausnahme der Propstei-Intraden beschlagnahmen.367 Diese Maßnahme zielte nicht allein gegen die Prinzessin von Holstein-Gottorf, sondern auch gegen die Kapitularinnen. Dadurch konnte man zum einen verhindern, dass Maria Elisabeth auch ohne feierliche Inbesitznahme in den Genuss der Stiftseinkünfte käme und sich somit an den contradictiones des Königs wenig stören müsse; zum anderen ging es darum, die beiden Kapitularinnen aus dem Hause Schwarzburg zum Einlenken zu bewegen. Des Weiteren konnte man auf diese Weise die alltägliche Regierungspraxis im Stift lähmen, weil alle Kanzleibeamten aus den Abteieinkünften ihren Lohn erhielten. Die Möglichkeit, sich Zugriff auf die Finanzen des Stifts zu verschaffen und zugleich durch die Konfiskation von Einkünften Druck auszuüben, eröffnete sich Friedrich I./III. in Quedlinburg durch die dauerhafte Anwesenheit seiner militärischen und zivilen Vertreter. Insbesondere der Stiftshauptmann beanspruchte wiederholt Weisungsbefugnis gegenüber den Stiftsbeamten und konnte zudem auf seine Kompetenzen als Prüfer der Stiftsrechnungen verweisen.368 Zudem waren die Stiftsbeamten wie der Abteischößer dem Schutzherrn durch Handschlag und Huldigungseid verpflichtet. In Herford und Essen wurde die Möglichkeit des schutzherrlichen Zugriffs auf die Einkünfte hingegen dadurch befördert, dass viele dieser Einnahmen aus den umliegenden brandenburgisch-preußischen Provinzen, also der Grafschaft Ravensberg oder Mark stammten, wo die Stifte über Grundbesitz und Rechtstitel verfügten. In diesem Fall war es ein Leichtes, die Auszahlung zu stoppen. ____________ 366

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Befehl Friedrichs I./III. an den Landdrosten von dem Bussche und den Stadtrichter Besserer wegen Konfiskation der kapitularischen Einkünfte (12. Juli 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Befehl des Stiftshauptmannes von Lüdecke an die Pächter der Abteivorwerke (18. Mai 1711): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 382r-v. Die Pröpstin Maria Aurora von Königsmarck unterstützte seit der Übernahme der Schutzherrschaft die Maßnahmen Friedrichs und blieb daher von den Konfiskationen verschont. Concordien-Rezess § 4 (18. Febr. 1685), abgedruckt in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 97120.

4.1. Verhandeln

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Aneignung Die Erweiterung des herrschaftlichen Handlungsspielraumes des Schutzherrn ging nicht zwangsläufig mit Gewalt einher, „sondern konnte auch auf den Versuch hinauslaufen, auszureizen, wie viel die Gegenseite sich gefallen ließ“.369 Auf diese Weise gelang es dem brandenburgisch-preußischen Kurfürst-König in den Stiften Herford und Quedlinburg, Zugriff auf die Kernbereiche der Landesherrschaft zu gewinnen. Hierzu gehörte erstens die Fiskalpolitik. Kurz nach der Übertragung der Quedlinburger Schutzherrschaft auf den brandenburgischen Kurfürsten sowie der erzwungenen Abnahme der Untertanenhuldigung erließ Friedrich I./III. im Herbst 1698 kraft Landes Fürstlichen/ wie auch Erb=Schutzherren und Obrigkeitlichen Amts eine Consumptions-Accise.370 Dabei handelt es sich um eine indirekte Verbrauchssteuer, die zunächst nur den städtischen Raum betraf. Verschiedene Nahrungs- und Verbrauchsmittel wurden bei ihrer Einfuhr in die Stadt damit versteuert.371 Unter der Akzise seuffzten nicht nur die Untertanen,372 sondern auch die Äbtissin und die Kapitularinnen waren von ihr betroffen: Das Korn der Äbtissin wurde zu dero höchsten Beschimpffung in Ihrer Mühle versiegelt und konfisziert, da ihm kein Accise-Zettel beilag. Die Mühlenpächter der Äbtissin sowie die Pächter der abteilichen und propsteilichen Vorwerke wurden gewaltsam zur Abfuhr der Akzise gezwungen, was sich bald negativ auf die Pachtzahlungen auswirken musste, so dass der Fürstliche Unterhalt nicht mehr gesichert sein würde.373 Zudem wurden bei Missachtung unversteuerte Kornladungen von den Akzisebeamten konfisziert.374 Einige Jahre später erließ der Kurfürst-König ein zusätzliches Patent, das die Salzzufuhr ins ____________ 369 370

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REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt, S. 22. Gedrucktes, kurfürstliches Patent zur Einführung der Accise im Stift Quedlinburg (14. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 291v-292r. Vgl. HART, Akzise; SCHWENNICKE, „Ohne Steuer kein Staat“, S. 156-167. Zeugenaussagen, Auszug aus Notariats-Instrument (15. Juni [1699]), abgedruckt in der Druckschrift CONTINUATIO DES WEINENDEN KAYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, fol. 90/11r (S. 11). Vgl. Bittschreiben des Kapitels an Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg (21. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 357rv. Vgl. verschiedene Suppliken der Bürgerschaft wegen Einführung der Accise an die Äbtissin: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 295r-294r, 301r-302r. Reinhard Scheffer, Abgesandter des Stifts am Reichstag zu Regensburg, an die Reichsversammlung (3. Febr. 1699), abgedruckt in der Druckschrift DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS=STIFFT QUEDLINBURG, S. 14f. Notarische Zeugenverhöre (5. Mai 1699), abgedruckt in DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN, fol. 92/27v-92/28v (S. 56-58).

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Stift regulierte und mit Einfuhrzöllen versah.375 Statt der Akzise, die in der Stadt Herford erst 1719 eingeführt wurde,376 verlangte Friedrich I./III. seit 1704 von den Beamten und Geistlichen des Herforder Stifts die Zahlung einer Kopfsteuer.377 Hierbei handelt es sich um eine direkte Steuer. Vor allem die Vorstöße von Seiten des brandenburgischen Kurfürsten in die wirtschaftlichen Belange des Stifts markierten seinen landesherrlichen Anspruch und stellten die Landeshoheit der Äbtissin in Frage.378 Die enge Verbindung von Landesherrschaft und Steuerrecht wird auch von den staatstheoretischen Schriften des 17. Jahrhunderts hervorgehoben.379 Ebenso verstanden die Quedlinburger Äbtissin und ihre Stiftsräte die Einführung der Akzise als deutliches Zeichen, dass das Stift der Landeshoheit des brandenburgischen Kurfürsten unterworfen und sie zu dessen Untertanen gemacht werden sollten.380 Die Akzise avancierte daher zum dauerhaften Reiz____________ 375

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Salzpatent Friedrichs I./III., mit dem das Stift fiskalisch quasi in das Fürstentum Halberstadt inkorporiert wurde (9. Okt. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 6, fol. 345r. Nachdem sich das Kapitel nicht nur beim König, sondern auch beim Kaiser (Joseph I.) über die Neuerungen beschwert hatte, erging ein kaiserliches Mandat (13. Dez. 1708), das die Aufhebung des Salzpatents anbefahl. Daraufhin wurde das SalzPatent in Quedlinburg aufgehoben und dessen Publikation als ein Versehen dargestellt. Dass es sich nicht um ein Versehen handelte, belegen die Anweisungen, die Salzzufuhr nach Quedlinburg nicht einzuschränken, aber nach aller möglichkeit zu verhüthen, daß nicht aus der Stadt das Land mit Saltz etwa versehen würde. Vgl. hierzu Berlin GStA PK I. HA Rep. 33 Nr. 158 cc6. Vgl. RÜGGE, Im Dienst von Stift und Stadt, S. 78f. Mitte Mai 1704 hatte der Stadtrat die Kopfsteuer auch auf die Beamten des Stifts und die Geistlichkeit erweitert. Vgl. Notarielles Protokoll über den formalen Protest der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland gegenüber Bürgermeister und Rat der Stadt Herford (19. Mai 1704): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 196. Widerstand gegen die Abführung der Accise wurde mit Kornkonfiskationen bestraft, aufrührerischen Tendenzen vor allem von Gildemitgliedern wurde mit Stationierung von Soldaten in der Stadt und Unterdrückung der Gilden begegnet. Schließlich verhängte man Anfang November eine Getreidesperre über das Stift Quedlinburg, welche die Einfuhr von Korn verbat. Königlich-preußisches Dekret (7. Nov. 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 678r-679r; Königliches Dekret zur Regulierung der Ausfuhr von Getreide (20./30. Sept. 1699), abgedruckt in CONTINUATIO DES WEINENDEN KÄYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, fol. 90/12r-v (S. 25/26). Vgl. SCHWENNICKE, „Ohne Steuer kein Staat“, S. 137-142, 233-249. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (31. Juli 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 578r-582v, später gedruckt in AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENES ALLERUNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN.

4.1. Verhandeln

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thema in den Verhandlungen zwischen Äbtissin und Schutzherr bis in die 1740er Jahre.381 Zweitens versuchte der Schutzherr durch Aneignung Zugriff auf das Kirchenregiment der Äbtissinnen zu gewinnen. Anfang des Jahres 1699 beklagte die Quedlinburger Äbtissin gegenüber ihrem Wiener Reichshofratsagenten, dass die Anzahl der Attentate durch die kurbrandenburgischen Vertreter kontinuierlich zunähmen, so gahr daß [man] nun in das Hertz des Stifts [einschlage] und die Jura Episcopalia demselben zu entziehen [trachte].382 Damit meinte sie die Einmischung des Stiftshauptmannes als schutzherrlichem Vertreter in die Bestellung des Superintendenten. Die Quedlinburger Äbtissin besaß ebenso wie die Äbtissinnen von Herford und Essen eine quasi-episkopale Stellung. Hierzu gehörte die Regelung des gesamten Quedlinburger Kirchenwesens, die geistliche Gerichtsbarkeit und die Bestellung aller kirchlichen Amtsträger.383 Nach dem Tod des Oberpredigers und Superintendenten Calvisius im Frühjahr 1698 hatte Anna Dorothea den vormaligen Professor des Hamburger Gymnasiums, Gerhard Meyer, zum Oberprediger und damit auch zum Superintendenten bestellt. Um dessen Investitur als Oberprediger dennoch zu verhindern, hatte der Stiftshauptmann Stammer die Kirchenschlüssel entwendet und die Kirche verschlossen.384 Außerdem hatte er dem Konsistorium verboten, dass Meyer sein Amt als Superintendent antrat.385 Der Äbtissin drohte er mit der Übertragung der Patronatsrechte an den Stadtrat, welcher schon länger um diese Rechte mit der Äbtissin konkurrierte.386 Unterdessen bearbeitete der Stiftshauptmann Gerhard Meyer, damit dieser sich vom brandenburgischen Kurfürsten als Superintendent konfirmieren lasse, um unter dieser Bedingung ____________ 381

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Erst Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf gab ihren Widerstand auf, nachdem sie an der Akzise beteiligt werden sollte. Praeliminar Convention, ausgefertigt durch die Vertreter beider Seiten, von Ribbeck und Madelung (6. Aug. 1742), durch Friedrich II. ratifiziert (18. Aug. 1742): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 259r-262v. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an den Wiener Agenten Koch (2. Jan. 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 32r-33r. Von Fall zu Fall war die Äbtissin bei der Besetzung der Pfarrstellen jedoch auf die Zustimmung des Rates oder des Kapitels angewiesen, da Collations- und Patronatsrechte nicht immer in einer Hand vereint waren oder zumindest von unterschiedlichen Institutionen beansprucht wurden. Vgl. FRITSCH, Geschichte des ehemaligen Reichsstifts, Teil 2, S. 232f. Quedlinburger Konsistorialprotokoll (29. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI Nr. 10, fol. 65r-66v. Quedlinburger Konsistorialprotokoll (7. Nov. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI Nr. 10, fol. 70r-v. Vgl. FRITSCH, Geschichte des ehemaligen Reichsstifts, Teil 2, S. 232f.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

sein Amt antreten zu dürfen.387 Der Kurfürst und seine Räte beabsichtigten mit diesem Vorgehen, den schutzherrlichen Wirkungskreis auf die Besetzung des wichtigsten geistlichen Amtsträgers im Stift zu erweitern. Durch die Konkurrenz im Bestallungsverfahren des Superintendenten hätte der Kurfürst maßgeblichen Einfluss nicht nur auf die Auswahl des Kandidaten, sondern über diesen auf alle Aufgabenbereiche des Konsistoriums – geistliche Jurisdiktion, Kirchenwesen, Besetzung der geistlichen Stellen – gewinnen können. Während sich Anna Dorothea von Sachsen-Weimar gegen diesen Eingriff in ihre jura episcopalia wehrte, die freie Amtsausübung des Superintendenten forderte und die solenne Introduction aus Furcht vor weiteren Eingriffen vorerst ausgesetzt wissen wollte,388 akzeptierte Meyer die Forderungen des Kurfürsten, erhielt dessen Konfirmation und wurde am Sonntag Laetare (19. März 1699) durch den Superintendenten Heinrich Georg Neuß aus der benachbarten Grafschaft Wernigerode wider den Protest der Äbtissin und gegen den Widerstand der lokalen Geistlichkeit in sein Amt eingeführt.389 Gerhard Meyer konnte sich als Superintendent aber nicht vollständig durchsetzen. Bis zu seinem Weggang nach Bremen im Frühjahr 1701 verweigerten ihm die kirchlichen Amtsträger trotz gewaltsamer Übergriffe durch brandenburgisch-preußische Soldaten den Gehorsam.390 Sein Nachfolger wurde dann wieder von der Äbtissin ernannt.391 ____________ 387

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Bericht des Theologen Gerhard Meyer über sein Zusammentreffen mit dem Stiftshauptmann von Stammer (8. Nov. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 406r-v. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Friedrich I./III. von Brandenburg (8. Dez. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 484r-485r. Abschrift Gerhard Meyer an Kurfürst Friedrich I./III. (27. Dez. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI Nr. 10, fol. 101r-102r. Anna Dorothea hatte dem gesamten geistlichen Ministerium, ebenso dem bestellten Superintendenten, die Mitwirkung an der Introduktion und Investitur verboten. Anna Dorothea an geistliches Ministerium (17. Febr. 1699) und an Gerhard Meyer (17. Febr. 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI Nr. 10, fol. 95r-98r. Offizieller Protest der Äbtissin gegenüber dem Superintendenten Neuß aus Wernigerode, weil die Einführung des Superintendenten Meyer auf Geheiß des brandenburgischen Kurfürsten einen Eingriff in ihre Juris Episcopalis und Geistliche Jurisdiction darstelle (18. März 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 143r-144r. Das Stiftsprotokoll berichtet, dass die Introduction dennoch stattgefunden hat (19. März 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 150r. Wernigerode war seit 1268 ein brandenburgisches Lehen und als solches dem brandenburgischen Kurfürsten verpflichtet. Gerhard Meyer an Friedrich I./III. in Preußen (4. April 1701): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI A Nr. 10, fol. 115r-v, 135r; Des Schul=Collegii warhaftiger Bericht […] alles dessen/ was auf der Schulen zu Quedlinburg/ im Monath Martio 1699. mit den Schul=Collegen ist vor-

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Nur wenige Wochen zuvor hatte der brandenburgische Schutzherr, vermittelt durch den Stiftshauptmann Stammer, auch in die geistliche Jurisdiktion der Äbtissin eingegriffen. Seit 1697 wurde vor dem Konsistorium ein Inquisitionsprozess gegen den Diakon Johann Heinrich Sprögel wegen Beleidigung der Äbtissin sowie Durchführung einer Trauung in einer fremden Diözese verhandelt.392 Sprögel galt als Kopf einer Gruppe Quedlinburger Pietisten,393 der die amtierende Äbtissin ablehnend gegenüberstand. Denn die separatistischen Tendenzen dieses Zirkels beeinträchtigten nicht nur den Führungsanspruch der Äbtissin als geistliches Oberhaupt, sondern stellten darüber hinaus eine Gefahr für die weltliche Ordnung im Stift dar und forderten somit die Äbtissin auch als weltliche Obrigkeit heraus.394 Sie versuchte dieser Bewegung durch Erlasse,395 Verbote und schließlich Personalentscheidungen wie im Falle Sprögels Herr zu werden. Nach Einholung unparteiischer Gutachten der juristischen und theologischen Fakultät ____________ gangen, Beilage Nr. 4 zu DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BEfol. 92/21r-92/23r (S. 44-47); weiterer Bericht der Schulkollegen über die Geschehnisse in Quedlinburg nach Ostern, abgedruckt ebd., fol. 92/29r-92/31v (S. 59-64). Vgl. FRITSCH, Geschichte des ehemaligen Reichsstifts, Teil 2, S. 51. Vocation des neuen Superintendenten Ernst Friedrich Kettner durch Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (21. Aug. 1703): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVIA Nr. 10, fol. 257r-258v; Kanzleiprotokoll (3. Sept. 1703), auf Befehl der Äbtissin leisten die Prediger Minister, Schulkollegen und Organisten dem neuen Superintendenten den Handschlag: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI A Nr. 10, fol. 282r-v. Vgl. FRITSCH, Geschichte des ehemaligen Reichsstifts, Teil 2, S. 51. Kopie des Befehls der Äbtissin an das Konsistorium zur Eröffnung des Prozesses (15. Okt. 1697): Magdeburg LHASA Rep. A12 Sec. Nr. 209a, fol. 91r. Vgl. SCHULZ, Johann Heinrich Sprögel. Vgl. hierzu ALBRECHT, Das Quedlinburger Netzwerk. Zu den frühpietistischen Einflüssen in Quedlinburg vgl. auch SCHRÖDER, Integration stiftischer Lebensweise. Ausgelöst durch die Visionen der Magdalena Schultzin und das Schwärmertum Heinrich Kratzensteins, die in Quedlinburg viel Unruhe verursacht hatten, stand Anna Dorothea dem Pietismus stark ablehnend gegenüber. Vgl. ROHR, Geographische und historische Merckwürdigkeiten, S. 198f. Seit 1694 nahmen Mitglieder der Gruppe nicht mehr am Abendmahl und den Sonntagsgottesdiensten teil, so dass die Distanzierung zur Quedlinburger Religionsgemeinschaft mit der Äbtissin an der Spitze deutlich fassbar wurde. Vgl. ALBRECHT, Das Quedlinburger Netzwerk, S. 221. Vgl. beispielsweise Erlass Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar (31. Juli 1700), mit welchem sie ihren Untertanen und Eingesessenen krafft unsers von GOTT verliehenen hohen Obrigkeitlichen Amts anbefahl, wieder regelmäßig an Predigt, Abendmahl und Beichte teilzunehmen: Berlin GStA PK I. HA Rep. 33 Nr. 158 n, Bd. 1697-1700.

SCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHE PROCEDUREN,

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Rostock wurde er im Sommer 1698 suspendiert.396 Daraufhin wandte sich Sprögel mit einer Supplik an den brandenburgischen Kurfürsten, der dem Stiftshauptmann befahl, den Inquisitionsprozess vor die Stiftshauptmanney zu ziehen, weil durch den Prozess am Konsistorium in Unsere Criminal und Erbvoigtey Jura zu höchster ungebühr notorie eingegriffen würde.397 Die Suspendierung des Diakons wurde aufgehoben und er in sein Amt wiedereingesetzt.398 Dem folgte ein Hin und Her von Erneuerung der Suspendierung sowie Androhung der vollständigen Demission durch Äbtissin und Konsistorium und die Wiedereinsetzung durch den Stiftshauptmann.399 Das Ringen um die geistliche Jurisdiktion im Fall Sprögel endete erst, als dieser Quedlinburg Ostern 1703 verließ.400 Ganz ähnliche Maßnahmen trafen Friedrich I./III. und seine Regierungsvertreter auch in Herford, um Einfluss auf das Kirchenregiment zu gewinnen. Sie beanspruchten dort sowohl die Jurisdiktion als auch das jus confirmandi eines neuen Dekans im Kanonikerkapitel St. Johann und Dionysius in der Neustadt und widersprachen damit den Ansprüchen der Herforder Äbtissin. Diese behauptete im Kapitel die geistliche Jurisdiktion, das jus confirmandi (Bestätigung) bei Wahl eines neuen Dekans sowie das jus fidem jurandi (Gehorsamseid) gegenüber allen Kapitelmitgliedern und nahm somit die Stellung als ordinaria ein.401 Nach dem Tod des amtierenden Dekans entbrannte Mitte der 1690er Jahre ein Streit zwischen den beiden Kanonikern Georg Schlipstein und Joachim Wilmanns, die beide das Nominierungsrecht für die vakante Kanonikerpräbende beanspruchten. Zugleich konkurrierten sie um die Nachfolge als Dekan. Den Streit um das Nominierungsrecht brachte Schlipstein vor die Stiftskanzlei als geistlicher Ge____________ 396 397

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Vgl. SCHULZ, Johann Heinrich Sprögel, S. 181-183. Extrakt aus dem königlichen Befehl an Stiftshauptmann von Stammer (2./12. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A12 Spec. Nr. 209a, fol. 90r-v. Order Friedrichs I./III. von Brandenburg an den Stiftshauptmann von Stammer, Sprögel wieder in sein Amt einzusetzen (2./12. Sept. 1698): Berlin GStA PK I. HA Rep. 33 Nr. 158 n, Bd. 1697-1700. Vgl. SCHULZ, Johann Heinrich Sprögel, S. 183-187. Vgl. ebd, S. 241. Das Kollegiatstift St. Dionysius wurde von Königin Mathilde 947 am Grab ihres Vorfahren Widukind in Enger, nordwestlich von Herford, gegründet. 1414 wurde es dann auf päpstliche Anordnung in die Herforder Neustadt verlegt und mit der Pfarrkirche St. Johann vereinigt. Die damalige Äbtissin Mechtild von Waldeck stimmte der Translation erst zu, nachdem ihr nicht nur die Bestätigung des Dekans und die Leistung des Treueeides aller Mitglieder zugesichert, sondern auch die Jurisdiktionsgewalt über die Kanoniker überlassen worden war. Vgl. PAPE, Sancta Herfordia, S. 131f.; FÜRSTENBERG, „Ordinaria loci“, S. 168, 170; RÜGGE, Im Dienst von Stadt und Staat, S. 27f.

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richtsinstanz und erkannte damit die Jurisdiktionsrechte der Äbtissin auch gegen den Widerstand der brandenburgischen Vertreter an, die ebenfalls die richterliche Entscheidung des Streits forderten.402 Bei der Bestellung eines neuen Dekans übergingen die Kanoniker hingegen die Genehmigung der Äbtissin und schritten eigenmächtig zur Wahl, die unentschieden zwischen den beiden Kandidaten ausfiel. Weil die Wahl ohne ihre Zustimmung stattgefunden hatte, ignorierte die Äbtissin den gesamten Akt und ernannte nach Verstreichen einer bestimmten Frist aus überkommenem Recht (jus devolutum) Joachim Wilmanns zum neuen Dekan. Den Gegenkandidaten Georg Schlipstein hatte sie hingegen im Zuge der eigenmächtigen Dekanwahl als einzigen Kanoniker suspendiert.403 Wilmanns verzichtete jedoch auf das Amt. Stattdessen akzeptierte er wie die anderen Kanoniker die kurfürstliche Konfirmation Georg Schlipsteins zum neuen Dekan. Schlipstein war zugleich kurbrandenburgischer Gohrichter in den Ämtern Limburg und Vlotho.404 Seine Bestellung stand somit im Zusammenhang mit einer gezielten Klientelpolitik des Kurfürsten im Neustädter Kapitel. Auch der Streit um das Nominationsrecht wurde nicht vor der Stiftskanzlei, sondern durch eine brandenburgische Kommission in Bielefeld entschieden.405 Innerhalb weniger Monate vollzog sich unter den Kanonikern ein Gesinnungswandel. Hatten sie zunächst noch die Äbtissin als ihre ordinaria anerkannt, so akzeptierten sie nun den brandenburgischen Kurfürsten als Inhaber der jura episcopalia. Die Kanoniker erklärten diesen Wandel damit, dass sie angesichts höchster ungnade undt verlust aller haab undt güther und gefälle den brandenburgischen Kurfürsten nicht nur als Dominus Territorii, sondern auch als Episcopus anerkennen würden, dem allein sowohl das jus confirmandi als auch devo____________ 402

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Herforder Kanzleiprotokoll (5. Dez. 1693): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 337. Protest Charlotte Sophies von Kurland gegen die Wahl eines neuen Dekans sowie Suspendierung und Vorladung der führenden Kräfte im Neustädter Kapitel (29. März 1694): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 337; weiteres Exemplar in Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3168; Konfirmation des Kanonikers Wilmann als neuen Dekan durch Charlotte Sophie von Kurland (6. Aug. 1694): Berlin GStA PK I. HA (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3168. Vgl. Friedrich I./III. an den Landdrosten von dem Bussche mit der Mitteilung an das Kapitel, dass er die Wahl gutheißt und konfirmiert (27. März/6. April 1694): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3168. Kanoniker Georg Schlipstein an Kurfürst Friedrich I./III. (19./29. April 1694): Berlin GStA PK Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3168.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

lutum zustehe.406 Hinzu kam, dass der Kurfürst sein verbrieftes Vorschlagsrecht bei der Besetzung vakanter Kanonikerstellen ausnutzte, um im Kapitel auf der Neustadt zunehmend eine gezielte Klientelpolitik zu betreiben. Auf diese Weise sollte das Kapitel personell ebenso wie die städtischen Eliten in die Grafschaft Ravensberg integriert und zu Loyalität verpflichtet werden. Sein Einfluss auf die Vergabe der Präbenden spiegelte sich in der personellen Zusammensetzung des Kapitels deutlich wider.407 Die Personalie Dr. Georg Schlipstein kann als Beispiel für die Verknüpfung des Kanonikerkapitels mit der städtischen und landesherrlichen Elite in der Grafschaft Ravensberg und dem Fürstentum Minden dienen: Er war sowohl Kanoniker und später Dekan des Kapitels auf der Neustadt und bekleidete gleichzeitig das richterliche Amt eines kurbrandenburgischen Gohgrafen in den Ämtern Limburg und Vlotho. Zwar übte die Äbtissin auch in den nachfolgenden Jahren regelmäßig Protest, wenn ihre Rechte als ordinaria im Kapitel auf der Neustadt übergangen wurden, ihre Position blieb jedoch marginalisiert.408 Ein solches Auftreten Friedrichs I./III. entsprach seinem Herrschaftsverständnis als evangelischer Landesherr, der in den Provinzen seines Territorialkomplexes auch das oberste Kirchenamt innehatte sowie weltliche und geistliche Gewalt in seiner Hand vereinte. Gleiches beanspruchte er in seiner Municipal-Stadt Hervord, wo er keinen andern Episcopum alß Unß selbsten agnosciren, weniger Statum in Statu verstatten [könne],409 und versuchte auch im Stift Quedlinburg zumindest eine Teilhabe am Kirchenregiment durchzusetzen. Als Argumentationsgrundlage diente ihm wie in der Auseinandersetzung mit der Herforder Äbtissin das Reichsrecht. Denn im Westfälischen Frieden sei festgelegt worden, so die Aussage Friedrichs, daß die jura Diocesana et Episcopalia mitt denen juribus Territory, archissimo nexu verbunden sein, und daß solche in denen provintzien und landen welche der Augspurgischen Confession zugethan, ____________ 406 407

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Ebd. Da eine Prosopographie der Kanoniker des Kapitels St. Johann und Dionysius in dieser Studie weder geleistet werden kann noch im Fokus des Forschungsvorhabens steht, beruhen die Aussagen auf den prosopographischen Studien von Nicolas Rügge zur personellen Verflechtung der städtischen sowie landesherrlichen Eliten im 18. Jahrhundert. Vgl. RÜGGE, Im Dienst von Stadt und Staat. Dessen prosopographischen Arbeiten belegen deutlich die personellen Überschneidungen der stiftischen, städtischen und ravensbergischen Eliten, die sich auch in einem endogamen Heiratsverhalten niederschlugen. Vgl. die Fortsetzung des Konflikts um das Kapitel St. Johann und Dionysius im Jahre 1713/14 und 1722: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 337. Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg an Charlotte Sophie von Kurland (15. Dez. 1691): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Nr. 337.

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von denen andern juribus Territory nicht separiret werden konnen.410 Die Äbtissinnen der Stifte Herford und Quedlinburg beriefen sich hingegen trotz ihrer Zugehörigkeit zur Augsburgischen Konfession auf ihre ins Hochmittelalter zurückreichende päpstliche Exemtion, die ihnen quasi-episkopale Rechte verlieh.411 Damit standen sich zwei Rechtstraditionen gegenüber, die beide weiterhin Geltung beanspruchen konnten, aber nicht miteinander vereinbar waren. Drittens versuchten der Schutzherr und seine Vertreter durch Aneignung das Stadtregiment der Quedlinburger Äbtissin zu unterwandern, wie am Beispiel des Ratswechsels deutlich wird. Der Wechsel des regierenden Rates und die dabei beanspruchten Kompetenzen von Äbtissin und Schutzherr waren im Stift Quedlinburg 1685 im Concordien-Rezess, einem Vertrag zwischen der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar und Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen, geregelt worden. Demnach sollte beim Ratswechsel auf dem Stiftshaus auch der Stiftshauptmann als Vertreter des Schutzherrn anwesend sein und von den neuen Ratsmitgliedern den Handschlag als Verpflichtung gegenüber seinem Dienstherrn abnehmen. Die Rechte der Äbtissin, die vakanten Ratsstellen neu zu besetzen, den Eid der Ratsmitglieder abzunehmen und den Ratswechsel festzusetzen, welcher dann auf dem Stiftshaus im Beisein der Äbtissin vorgenommen und von ihr bestätigt wurde, ließ man unbeschnitten.412 Nach der Cession war der Stiftshauptmann als Vertreter des neuen brandenburgischen Schutzherrn bestrebt, dessen Kompetenzen beim Ratswechsel zu erweitern. Im April 1699 beanspruchte Stiftshauptmann Stammer den Vollzug des Ratswechsels sowie die Bestellung der Ratsglieder für sich. Er erschien am Sonntag Quasimodogeniti, dem üblichen Termin des Ratswechsels,413 auf dem Rathaus, dem falschen Ort, und nahm dort eigenmächtig den Wechsel des regieren-

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Ebd. Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich I./III. (6./16. Jan. 1694): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3178. In der Druckschrift RECHTLICHE DEDUCTION, in der die Stellung der Äbtissin als geistliche und weltliche Obrigkeit verteidigt wird, wird nicht nur auf die kaiserliche Belehnung, sondern auch die päpstliche Exemtion verwiesen sowie Lehnbriefe und päpstliche Bullen werden als Belege angefügt (S. 4f.). Concordien-Rezess (18. Febr 1685), abgedruckt in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 97-117; Original in Magdeburg LHASA Rep. U9 tit. AIII Nr. 11 mit Unterschriften und Siegeln; eine Abschrift auch in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. VI Nr. 12, fol. 476r-499r. Sonntag Quasimodogeniti oder Weißer Sonntag ist der erste Sonntag nach Ostern.

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den Ratsmittels vor.414 Bereits einen Tag zuvor hatte der Stiftshauptmann die Liste der nominierten Bürger für das vakante Amt des Kämmerers vom Stadtrat verlangt. Der Rat war dieser Forderung noch am gleichen Tag trotz Protest der Stiftsräte im Namen der Äbtissin nachgekommen.415 Zwar hatte der Stiftshauptmann die Räte der Äbtissin aufgefordert, einen der Ihren zur Wahl des neuen Kämmerers auf die Hauptmanney abzuordnen. Dies wurde jedoch mit Verweis auf das alleinige Elections- und Confirmations-Recht der Äbtissin von den Stiftsräten verweigert, woraufhin der Stiftshauptmann auch den neuen Kämmerer eigenmächtig ernannte.416 Es gelang ihm, diese Kompetenzen auch in den folgenden Jahren zu behaupten. Erst nach dem Tod der Äbtissin und während der Vakanzregierung des Kapitels konnten die Kapitularinnen ihr alleiniges Konstitutionsrecht gegenüber dem Rat auf Grundlage eines Gutachtens der Juristenfakultät Jena erneut durchsetzen.417 Spätestens im Jahr 1707 vollzog sich der Ratswechsel wieder nach dem herkömmlichen Ablauf, zur rechten Zeit und am rechten Ort.418 Die Beispiele zeigen, dass solche Maßnahmen der Aneignung von Herrschaftsrechten der Akzeptanz der Adressaten, also beispielsweise des Quedlinburger Rates, bedurften, um erfolgreich zu sein. Ohne die Bereitschaft von Bürgermeister und Rat hätte sich der Stiftshauptmann weder mit dem eigenmächtig vollzogenen Ratswechsel noch der Wiederbesetzung der vakanten Ratsstellen durchsetzen können. Gleiches gilt für die Herforder Kanoniker von St. Johann und Dionysius oder den Quedlinburger Superintendenten Meyer. Sie erkannten die Rechtsansprüche des Kurfürsten an. Ihre Akzeptanzhaltung wurde nicht zuletzt durch Klientel- und Dienstbe____________ 414

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Protokoll der Quedlinburger Stiftskanzlei (16. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 301v-302v. Bürgermeister und Rat der Stadt Quedlinburg an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (15. April 1699), abgedruckt in DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHE PROCEDUREN, fol. 92/32r-v (S. 65f.). Original in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 290r-v, 292r. Bericht des Quedlinburger Stadtrates gegenüber Anna Dorothea von Sachsen-Weimar über die Vorgänge im Zuge der Kämmererbestellung und die Betonung seines vorgebrachten Protestes wegen Missachtung des herkömmlichen Vorgehens (22. Mai 1699), abgedruckt in DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHE PROCEDUREN, fol. 92/32v-92/33v (S. 66-68). Gutachten der Juristenfakultät zu Jena (März 1706): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 30, fol. 70r-78r. Protokoll des Ratswechsels 1707 (30. April u. 1. Mai 1707), Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 30, fol. 110r-114v.

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ziehungen befördert, die zwischen dem Kurfürsten und Teilen der städtischen Elite bestanden. Mit Hilfe von Besetzung und Aneignung gelang es dem jeweiligen Schutzherrn seinen obrigkeitlichen Zugriff auf den Gebieten zu erweitern, die sich im fortschreitenden Prozess der Territorialisierung als Kernkompetenzen des vormodernen Staates ausbildeten: Hierzu gehörte die Gesetzgebung, die Erhebung von Steuern, die Justiz, das Kirchenregiment und das Militär.419 Noch befand sich die Staatsgewalt aber in ihrer Formierungsphase und wurden die Kompetenzen von unterschiedlichen Herrschaftsträgern wie den Reichsäbtissinnen, semi-autonomen Städten oder Landständen beansprucht. Sie waren bemüht, sich solchen Besetzungs- und Aneignungsprozessen zu widersetzen.

Widerstand Welche Mittel standen den Reichsäbtissinnen zur Verfügung, um sich gegen die Übergriffe ihres Schutzherrn zu wehren und damit die gäntzliche subjungirung des Stifts, wenn auch schlussendlich nicht zu verhindern, so doch zumindest in Teilen aufzuschieben?420 Mit Ausnahme der Essener Äbtissin, die im 18. Jahrhundert ein 20 Mann starkes Kreiskontingent unterhielt, verfügten die Äbtissinnen über kein militärisches Aufgebot. Lediglich einige wenige Wachen waren wohl vorhanden, die den Zugang zum Stift kontrollierten. Im Konfliktfall waren sie gezwungen, wenn möglich ihre Untertanenschaft zu mobilisieren. Mit ihrer Hilfe gelang es der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, die Besetzung des Stiftshauses nach Einmarsch brandenburgischer Soldaten im Frühjahr 1698 und die sofortige Herausgabe der Akten des Stiftshauptmannes zu vereiteln.421 Die Essener Äbtissin Anna Salome von Salm-Reiferscheidt rief 1670 ihre Stiftsbauern zusammen, die sich den einrückenden brandenburgischen Soldaten ____________ 419

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Vgl. zur Ausbildung dieser Kernbereiche die verschiedenen Abschnitte in REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. Diese Umschreibung benutzt der Konzipient einer Druckschrift, die sich kritisch mit dem Wortlaut des Vertrags zwischen den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg auseinandersetzt, mit dem die Quedlinburger Schutzherrschaft an den brandenburgischen Kurfürsten übertragen wurde. DER ZWISCHEN IHRER KÖNIGLICHEN MAJESTÄT IN POHLEN/ CHURFÜRSTL. DURCHLAUCHTIGKEIT ZU BRANDENBURG/ ÜBER DIE QUEDLINBURGISCHE ERB=VOGTEY ERRICHTETE VERGLEICH. Quedlinburger Kanzleiprotokoll (31. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 75r-76r.

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entgegenstellten.422 Weder das Essener Kreiskontingent noch die mobilisierte Untertanenschaft konnte jedoch eine brandenburgische Garnison ernsthaft aufhalten. Stattdessen waren die Reichsäbtissinnen darauf angewiesen, ihren Widerstand in symbolischer oder verbaler Form zum Ausdruck zu bringen.423 Ein probates Mittel, um sich einer Handlung zu widersetzen, war das demonstrative Verlassen einer Solennität oder die von Anfang an demonstrative Abwesenheit. Auf diese Weise versagte man der Handlung die legitimitätsstiftende Anerkennung durch Anwesenheit. Denn bereits durch die bloße Teilnahme an einem förmlichen und öffentlichen Akt drückte man andernfalls seine Zustimmung aus.424 Als die brandenburgischen Vertreter nach Verkauf der Schutzherrschaft erstmals den Termin zur Einzelhuldigung in Quedlinburg bekanntgaben, verließ die Äbtissin das Stift und reiste nach Weimar.425 Auf diese Weise verhinderte sie den Versuch der brandenburgischen Vertreter, im Umfeld der Huldigung um die Lehnsmutung der Schutzvogtei zu ersuchen, um auch lehnsrechtlich als legitimer Nachfolger Kursachsens gelten zu können. Zugleich verweigerte sie damit die Anerkennung als rechtmäßiger Schutzherr und delegitimierte den Akt der Huldigung. Ein Jahr später wandte sie dieselbe Strategie an, um die Beeinträchtigungen ihres jus eligendi et confirmandi des amtierenden Rates sowie neuer Ratsmitglieder zu vermeiden. Stattdessen sollte der Ratswechsel zunächst verschoben und dann minus solenniter, also weniger feierlich vollzogen werden.426 So wollten Äbtissin und Stiftsräte verhindern, dass der Stiftshauptmann als Vertreter des Schutzherrn sich eine herausragende Rolle innerhalb der rituellen Handlung anmaßte, um die Stellung der Äbtissin als Stadtherrin ____________ 422

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426

Bericht Johann Sigismund Freiherr von Heyden über seinen Einmarsch im Stift Essen (15. Okt. 1660): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Nr. 1698. Die historische Widerstandsforschung hat sich vor allem auf den Widerstand von Untertanen gegen ihre Obrigkeiten sowie auf das Widerstandsrecht im Zeichen von Reformation und Konfessionalisierung konzentriert. Vgl. u.a. HÄBERLEIN (Hg.), Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis; SUTER, „Troublen“ im Fürstbistum Basel; SCHULZE, Bäuerlicher Widerstand; FRIEDEBURG (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 64. Dazu grundsätzlich ALTHOFF, Ungeschriebene Gesetze, S. 294-297. Gratulationsschreiben der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an den brandenburgischen Geheimen Rat und neuen Oberdirektor des Fürstentums Halberstadt Daniel Ludolf von Dankelmann zu seinem Dienstantritt, in welchem sie ihm auch ihre Abreise nach Weimar mitteilte (5. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 20r-21r. Stiftskanzlei an Stadtrat (14. u. 15. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 283r-v, 286r-v.

4.1. Verhandeln

261

zu untergraben und ihre Rechte zu beschneiden, wie dann schließlich doch geschehen.427 Auch der Gang ins Exil der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie und ihre damit dauerhafte Abwesenheit im Stift stellte eine Form des Protestes dar. Damit reagierte sie auf die Beeinträchtigung ihrer obrigkeitlichen Stellung durch brandenburgisch-preußische militärische und zivile Vertreter. Um sich deren Herrschaftsansprüchen nicht beugen zu müssen, wählte sie demonstrativ die Flucht: Soll ich dann wieder nach Herford, so lange der König daselbst Landesherr seyn und Mich subjugiren will, Ich bin seine unterthanin nicht, sondern eine freye Reichsfürstin […].428 Neben der symbolischen Protesthaltung demonstrativen Verlassens oder demonstrativer Abwesenheit konnten die Reichsäbtissinnen auf verschiedene Formen verbalen Widerstandes zurückgreifen, die zuletzt auch die Aufmerksamkeit der Widerstandsforschung auf sich gezogen haben.429 Erstens konnten sie mündlichen und/oder schriftlichen Protest gegen eine bestimmte Handlung des Schutzherrn einlegen.430 Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar nutzte das Instrument der protestatio, um sich im März 1698 der feierlichen Übertragung der Schutzvogtei vom sächsischen an den brandenburgischen Kurfürsten zu widersetzen, solange nicht eindeutig geklärt war, ob die Cession rechtens war und ihre Stellung als Lehnsfrau berücksichtigt wurde. Zur offiziellen Tradierung der Schutzvogtei wurden die gesamte Bürgerschaft, die Geistlichen, die Diener des Stifts, Vasallen, Adelige und Einwohner der Vorstädte auf das Rathaus bestellt, wo von den Ratsmitgliedern und Bürgern ein vorläufiger Handschlag gegenüber den brandenburgischen Gesandten gefordert wurde.431 Die Äbtissin appellierte nicht nur an ihre Beamten und Untertanen, dieser Aufforderung nicht nachzukommen, sondern übte gleichzeitig Protest gegen den Akt, der ihre Rechte als Lehnsfrau beeinträchtige. Sie bestand auf die Einhaltung der formellen Schritte zur Vergabe der Schutzherrschaft als stiftisches Lehen, wonach sich zunächst das Gesamthaus Sachsen und Hessen auf die Niederlegung der Schutzvogtei einigen, der sächsische Kurfürst das Lehen zurück____________ 427 428

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S. o. Kap. Aneignung. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14. Okt. 1703): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Vgl. die Sammelbände NUBOLA, WÜRGLER (Hg.), Praktiken des Widerstandes; NUBOLA, WÜRGLER (Hg.), Bittschriften und Gravamina; NUBOLA, WÜRGLER (Hg.), Formen der poltischen Kommunikation. Vgl. NEU, Protest; BECKER, Protestatio, Protest. Kanzleiprotokoll, die Lehnsleute von Ohm und von Saltzenberg haben das Notifikationsschreiben des Kurfürsten auf die Stiftskanzlei gebracht (4. März 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 145r-v.

262

4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

geben und dann vor allem der Kurfürst von Brandenburg mit dem Lehen durch die Äbtissin neu belehnt werden müsse.432 Aufgrund der häufigen Anwendung des Rechtsinstrumentes der protestatio seit dem 13. Jahrhundert entwickelten sich in Theorie und Praxis spezielle Kriterien zu ihrer Gestalt und Gültigkeit. Sie konnte sowohl mündlich als auch schriftlich, im besten Fall in beiderlei Form erfolgen, „da so die unmittelbar performative Macht der Rede und die Aufbewahrungsfunktion der Schriftform kombiniert werden konnten“.433 Eine häufig anzutreffende Form stellte das Notariatsprotokoll dar. Darin hielt der zur Übermittlung des Protestes engagierte Notar sowohl den Wortlaut der protestatio als auch seinen Bericht über dessen Überbringung fest. Das Protokoll händigte er dann allen Beteiligten aus. Adressaten einer solchen protestatio waren nicht nur die jeweiligen Gegner, sondern alle an der Streitsache Beteiligten. Volle Wirkmächtigkeit konnte der Protest erst dann entfalten, wenn er tatsächlich mündlich oder schriftlich vorgebracht wurde. Daher war es eine weit verbreitete Praxis in der Vormoderne, die Annahme von Protestschreiben zu verweigern oder sich ihrer durch (vorgetäuschte) Abwesenheit zu entziehen. Denn erst die Annahme einer Protestschrift eröffnete dem Urheber die Möglichkeit, sich immer wieder auf seinen Protest und die darin enthaltene Ablehnung zu berufen, um dem betreffenden Akt, der Handlung oder der Vereinbarung die Legitimität zu entziehen. Als Anna Dorothea ihren Protest den kurbrandenburgischen Kommissaren zustellen ließ, verweigerten diese daher zweimal die Annahme.434 Ganz ähnlich erging es der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland. Sie übte im Sommer 1719, vermittelt durch einen Notar, bei den Vertretern des preußischen Königs Protest ge____________ 432

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Die Stiftskanzlei gab dem Bürgermeister Ulbert den Auftrag, eine Protestschrift auszuarbeiten. Kanzleiprotokoll (4. März 1698): Magdeburg LHASA Rep. 20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 148r. Den geistlichen Ministern und Schulkollegen ohne Güterbesitz in der Stadt trug Anna Dorothea von Sachsen-Weimar auf, der Übertragung fernzubleiben. Den Übrigen stellte sie frei, daran teilzunehmen, gab ihnen aber gleichzeitig den Rat, ihr Gewissen zu prüfen, da sie den fürstlichen Häusern Sachsen und Hessen noch immer eidlich verpflichtet wären. Kanzleiprotokoll (5. März 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 160r-v. Zum Protest der Äbtissin vgl. Species Facti über die Ereignisse in den ersten Monaten des Jahres 1698, die Anna Dorothea in Regensburg am Reichstag verbreiten ließ: Exemplar Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 25r-26v. NEU, Protest, Sp. 480. Species Facti: Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 25r-26v. Siehe auch notarielles Protokoll über den 1. Zustellversuch durch den Notar (5. März 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 172r-184r, und Kanzleiprotokoll über den 2. Zustellversuch durch Sekretär Latermann (5. März 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 185r-186v.

4.1. Verhandeln

263

gen den Bau einer neuen Mühle, der die Hoheitsrechte der Äbtissin an Unsern Flüssen und Gewässern tangierte.435 Die Akzisekommissare verweigerten aber unter dem Vorwand, sie wären nicht vollzählig, deren Annahme.436 Schließlich war es entscheidend, dass sich der Protest auch im Handeln des Protestierenden niederschlug und nicht durch gegenteiliges Verhalten wieder aufgehoben wurde. Daher war es nötig, den Protest immer zu wiederholen, wenn ein neuer Präzedenzfall drohte.437 Anna Dorothea protestierte seit der Besetzung des Quedlinburger Stifts regelmäßig gegen die verschiedenen Maßnahmen der brandenburgisch-preußischen Vertreter, mit denen sie den eigenmächtigen Wechsel des Schutzherrn vollzogen (offizielle Tradierung, eigenmächtige Abänderung des Kirchengebets, Untertanenhuldigung) und dessen schutzherrlichen Handlungsspielraum ausweiteten (Einführung der Akzise, Konfirmation des regierenden Rates, Besetzung der Ratsstellen und der Superintendantur).438 Das rechtliche Instrument der protestatio bildete in der Regel den ersten Schritt der Reichsäbtissinnen, um sich gegen die Beeinträchtigungen ihrer mächtigen Nachbarn oder ihres Schutzherrn zu wehren. Zwar konnten sie dadurch dem Handeln ihrer Gegner kaum Einhalt gebieten, sie hielten aber ihre Rechtsansprüche aufrecht und delegitimierten das Auftreten und Vorgehen ihrer Konkurrenten. Im Fall des Quedlinburger Ratswechsels gelang es einige Jahre später, die angemaßten Kompetenzen des Stiftshauptmannes ____________ 435

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Offizielle Protestation (9. Juni 1719): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127. Notarisches Protokoll über die Auslieferung des Protests an die preußischen Räte (24. Aug. 1719): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127. Vgl. NEU, Protest, Sp. 481. Handschreiben der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich I./III. wegen der Besetzung (30. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 73r-74v; Species Facti über die Ereignisse in den ersten Monaten des Jahres 1698, darin auch der Protest der Äbtissin gegen die offizielle Tradierung der Schutzvogtei: Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 25r26v; Protestation der Äbtissin gegenüber Superintendent Neuß aus der Grafschaft Werningerode gegen die Introduktion des Dr. Meyer als Superintendent in Quedlinburg, weil dies einen Eingriff in ihre episcopalen Rechte darstelle (18. März 1699): Magdeburg LHASA Rep. A 20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 123r-124v; Protokoll über Zusammentreffen des Konsistorialrates Christian Krüger mit dem brandenburgisch-preußischen Kanzler Unverfährt, um Protest wegen der Akzise zu üben (15. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 316r-318v, 319r-324r; wiederholte Proteste der Äbtissin gegen die Eingriffe des Stiftshauptmannes beim Wechsel des Rates (16. April 1700, 2. April 1701): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4 (ohne Folierung) u. 5, fol. 578r-579v.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

als schutzherrlichem Vertreter wieder zu beschneiden.439 Dies war jedoch nur möglich, weil Äbtissin und Kapitularinnen über Jahre ihre Protesthaltung beibehalten und somit einen Präzedenzfall verhindert hatten. Zweitens gab es die Möglichkeit, in sogenannten Gravamina mehrere Beschwerden zusammenzufassen, diese gesammelt zu übergeben und deren Abstellung zu fordern. Die Behandlung solcher Gravamina gehörte üblicherweise ins Umfeld der Verhandlungen zwischen den Vertretern der Quedlinburger Äbtissin und ihres im 17. Jahrhundert noch kursächsischen Schutzherrn bei der Belehnung mit der Schutzherrschaft.440 Gleiches galt ebenso für die renovatio des Erbvogteibriefes im Stift Essen.441 Bevor sich die jeweilige Äbtissin bereitfinden wollte, das Lehen der Schutzherrschaft oder -vogtei zu erneuern, verlangte sie die Abstellung aller entstandenen Streitigkeiten. Allerdings zeigen die Verhandlungsakten zwischen den Vertretern beider Stifte sowie ihres Schutzherrn, dass die Streitfragen selten beigelegt wurden. Häufig wollte der Schutzherr in seinem Verhalten keine Rechtswidrigkeit erkennen. Stattdessen wurden die Gravamina bei nächster Gelegenheit wieder vorgebracht.442 In den Essener Gravamina zur Erneuerung des Erbschutzbriefes im Jahr 1787 wurde sogar ausdrücklich auf verschie____________ 439

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Protokoll des Ratswechsels 1707 (30. April u. 1. Mai 1707): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 30, fol. 110r-114v; Gutachten der Juristenfakultät zu Jena (März 1706): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 30, fol. 70r-78r. Die kursächsischen Abgesandten, die 1695 nach dem Regierungsantritt von Friedrich August I./II. von Sachsen in Quedlinburg die Einzelhuldigung der Schutzuntertanen einholen und die Belehnung mit der Schutzvogtei vornehmen sollten, erhielten zugleich den Auftrag: Die Irrungen abzutun und die Beschwerligkeiten zwischen dem Stifft und Rath […] durch gütlichen Vergleich [hinzulegen]. Instruction für die nach Quedlinburg abgeschickten Kommissare, Georg von Werthern und Bernhard Zech (3. Sept. 1695): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8733/3, fol. 23r-27v. 1681 berichteten die kursächsischen Gesandten in ihrem Bericht über die Gesamthuldigung, dass sie nun nach vollzogenen solennen Akten die zurvor eingereichten vielen stritigen [Puncte] behandeln und entweder in güten bey[zu]legen, oder denenselben sonsten nach befinden ab[zu]helfen würden. Hauptbericht der sächsischen Gesandten über die Huldigung (2. April 1681): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8968/2. Verschiedene Essener Gravamina sowie Resolutionen des Schutzherrn darauf aus den Jahren 1648, 1649, 1651, 1654, 1658, 1661, 1730, 1742: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 659. Die Quedlinburger Gravamina aus dem Jahr 1659 dienten erneut 1671 als Verhandlungsgrundlage während einer Vergleichskonferenz zwischen Vertretern von Stift und Schutzherr. Vgl. Erklärung des Kurfürsten auf die 1659 von Seiten des Stifts übergebenen Beschwerden (o.D. [1671]): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8968/1.

4.1. Verhandeln

265

dene Beschwerden der vormaligen renovatio verwiesen.443 Der Nutzen solcher Auflistungen von Beschwerden und ihrer Übergabe bestand demnach nicht zuletzt darin, Rechtsbrüche festzuhalten und dagegen zu protestieren. Dadurch wurden die Rechtsverletzungen zwar häufig nicht abgestellt, die Äbtissin verweigerte aber ihre Zustimmung und hielt ihre eigenen Ansprüche aufrecht, um einen Präzedenzfall zu vermeiden. Die Aufstellung von Gravamina hatte darüber hinaus zugleich eine archivarische Funktion. Mithilfe solcher Diarien, wie sie im Stift Quedlinburg in den 1730er Jahren, sowie fortlaufender Gravamina, wie sie im Stift Herford zwischen 1703-1707 angefertigt wurden,444 sollten ausnahmslos alle Übergriffe des Schutzherrn und seiner Vertreter festgehalten werden, um bei Gelegenheit ihre vollständige Abstellung zu fordern. Sie dienten als Verhandlungs- und Argumentationsgrundlage für Ausgleichskonferenzen, Bittschriften an den Kaiser und die Reichsinstitutionen sowie zur Klageführung an den Reichsgerichten. Bei der Anfertigung von Gravamina handelt es sich um ein Mittel, dessen sich üblicherweise Stände und Untertanen im Streit mit ihrer Obrigkeit bedienten.445 Die Anwendung durch die Reichsäbtissinnen im Konflikt mit ihrem Schutzherrn vergegenwärtigt das zwischen ihnen bestehende Machtgefälle. Ebenso wie Stände und Untertanen waren die Möglichkeiten der Äbtissinnen begrenzt, sich gegen die Übergriffe ihres Schutzherrn zur Wehr zu setzen. Nichtsdestoweniger zeugen die im Essener Kontext entstandenen Gravamina davon, dass es sich bei der Anwendung dieser Praktik durch die Äbtissinnen nicht um einen Ausweis ihrer Unterwürfigkeit handelte. Denn anders als die beiden evangelischen Stifte konnten das Essener Stift und seine Äbtissinnen ein größeres Maß an Unabhängigkeit von ihrem brandenburgisch-preußischen Schutzherrn beanspruchen, der die Landesherrschaft der Äbtissin nie infrage gestellt hat. ____________ 443 444

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Essener Gravamina (16. Juni 1787): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 663. In den Quedlinburger Diarien wurden alle Beschwerden zwischen 1726 und 1743 fortlaufend sowie in fünf Kategorien (Akzise, Jurisdiktion, Garnison und jus armorum, Verschiedenes sowie Landeshoheit) unterteilt aufgelistet. Vgl. die beiden Diarien aus den 1730er Jahren (Jan. 1733/1734-1743): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 9 u. 10; Summarische Darstellung der Gravamina der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland aus den Jahren 1703 bis 1713: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 200. Andreas Würgler schreibt in seinem einleitenden Aufsatz zum Sammelband „Bittschriften und Gravamina“: „Wer nicht befehlen kann, muß bitten. Wer nicht in der Lage ist, eigene Interessen mit Befehlsgewalt durchsetzen zu können, sieht sich gezwungen, Bitten und Begehren zu formulieren“ und meint damit die Untertanen. Dies trifft aber auch auf die mindermächtigen Äbtissinnen zu, deren Handhabe gegen mächtigere Gegner gering war. Vgl. WÜRGLER, Bitten und Begehren, S. 17.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Drittens konnten die Äbtissinnen eigenmächtigen Handlungen des Schutzherrn durch anderslautende Befehle und Verbote gegenüber ihrer Untertanenschaft begegnen. Parallel zu ihrem offiziell bekundeten Protest verbot die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar den Predigern die Abänderung des Kirchengebets sowie die Anerkennung des durch den Kurfürsten bestätigten Superintendenten. Sie untersagte ihren Stiftsuntertanen die Teilnahme an der Huldigung und Abführung der Akzise.446 Auf diese Weise forderte sie ihre Beamten-, Diener- und Untertanenschaft zum Widerstand gegen den neuen Schutzherrn auf. Die Schwierigkeit bestand jedoch darin, ohne durchgreifende Exekutionsmöglichkeiten bei den Adressaten Gehorsam zu finden. Zwar hatte die Quedlinburger Äbtissin mit ihrem Appell, alle Extremitäten abzuwarten,447 um sich der Abänderung des Kirchengebets und der Huldigung zu entziehen, bei ihren geistlichen und weltlichen Beamten Erfolg. Sie ertrugen über Wochen die militärische Besetzung ihrer Häuser und die Verfolgung durch brandenburgische Soldaten, bis sie der grossen Gewalt und force weichen und sich zur Huldigung/ insonderheit aber die Priester zur Veränderung des Kirchen=Gebets bereit erklärten.448 Bei den Mitgliedern des Stadtrates fand die Äbtissin hingegen weniger Gehorsam. Sie waren sowohl der Äbtissin als Untertanen und städtische Beamte als auch dem Kurfürsten als Schutzuntertanen, Pächter der Vogtei und Akzisebeamte durch Huldigungs- und Amtseid verpflichtet. Dadurch gerieten sie wie im Fall der Wiederbesetzung vakanter Ratsstellen und der Bestätigung des Ratswechsels im Frühjahr 1699 in einen Zwiespalt zwischen ihren beiden Dienst-, Landes- und Schutzherren, die ihnen wiedersprechende Befehle erteilten. Bürgermeister und Rat entschuldigten ihren Ungehorsam sowohl mit ihrer Schutzlosigkeit, weil Niemand – gemeint war die Äbtissin – sie vor den Gefahren, welche aus einer Weigerung erwachsen würden, be____________ 446

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Huldigungsverbot der Äbtissin gegenüber ihren Stiftsbediensteten (3. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 504r; Huldigungsverbot gegenüber Stadtrat, Bürgerschaft, Geistlichem Ministerium und Schulkollegien (5. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 31r-32r; Verbot Anna Dorotheas gegenüber Stadtrat und Bürgerschaft (14. Okt. 1698), die Akzise abzuführen: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 316r-318v. Vgl. Verbot der Äbtissin gegenüber Stiftsbediensteten, das Kirchengebet zu verändern und den Huldigungseid abzuleisten (3. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 504r. Reinhard Scheffer, Abgesandter des Stifts am Reichstag zu Regensburg, an die Reichsversammlung (1. Nov. 1699), abgedruckt in DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 10-12.

4.1. Verhandeln

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schützen könne,449 als auch mit ihrer Rolle als pflichtschuldige, einfache Untertanen, denen nicht zukomme in zweyen hohen Obern, welchen Sie mit Eydes Pflichten verwandt, streitig gewordene Jura sich zu meliren.450 Insgeheim hatten Bürgermeister und Rat bereits kurz nach dem Wechsel des Schutzherrn die Seiten gewechselt und sich als Pächter des Vogteigerichts und Akzisebeamte in den Dienst des Schutzherrn gestellt, um ihren eigenen Handlungsspielraum als intermediäre Gewalt zu wahren.451 Mit Hilfe der wenigen zur Verfügung stehenden Formen nonverbalen und verbalen Widerstandes konnten die Äbtissinnen vor allem der beiden evangelischen Stifte Herford und Quedlinburg nicht verhindern, dass ihr seit 1698 gemeinsamer Schutzherr, der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König, de facto die wesentlichen landesherrlichen Kompetenzen wahrnahm, immer deutlicher die Rolle des Landesherrn übernahm und sie in die Rolle der Untertanen drängte. Auf diese Weise vermieden die Äbtissinnen aber, dass ihr Stillhalten als Zustimmung gewertet wurde. Vielmehr verweigerten sie der eigenmächtigen Handlung ihres Schutzherrn durch ihre Protesthaltung die Anerkennung und delegitimierten sie. So konnten sie den Eintritt eines Präzedenzfalles vermeiden, ihren Rechtsanspruch aufrechterhalten sowie ungeklärte Rechts- und Herrschaftsverhältnisse in der Schwebe halten. Darüber hinaus begegneten die Reichsäbtissinnen den Übergriffen ihres Schutzherrn und dessen Vertretern mit der Einschaltung Dritter, bei denen sie Hilfe und Unterstützung suchten. Eine besondere Rolle spielten in diesem Zusammenhang der Kaiser als oberster Lehnsherr und Richter sowie die Reichsinstitutionen, insbesondere die beiden Reichsgerichte, wo die Äbtissinnen „prozessualen Widerstand“ gegen die Angriffe ihres Schutzherrn üben konnten.452 Die Bedeutung ihrer Rechtsschutzfunktion für die Äbtissinnen als mindermächtige Reichsstände wird an anderer Stelle gesondert in den Blick genommen.453 Daneben trat die Kontaktierung ihrer verwandtschaftlichen und ständischen Beziehungsnetze. Sie zeichneten sich in ____________ 449

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Quedlinburger Bürgermeister und Rat an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (15. April 1699), abgedruckt in DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHE PROCEDUREN, fol. 92/32r-v (S. 65f.). Original in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 290r-v, 292r. Bürgermeister und Stadträte an die Stiftsräte (18. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 309r-312r. S. o. Kap. Verbündete des Schutzherrn. Dieser Begriff wurde im Kontext der Erforschung bäuerlichen Widerstandes von Winfried Schulze geprägt. SCHULZE, Bäuerlicher Widerstand, S. 40. S. u. Kap. Prozessieren.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

der Regel dadurch aus, dass sie selbst ein Interesse an der Wahrung des Stifts hatten. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von SachsenWeimar wandte sich nach Verlautbarung des Schutzherrnwechsels an die Fürsten der sächsisch-hessischen Erbverbrüderung, darunter ihre herzoglichen Brüder. Auf Grundlage der Erbverbrüderung stand ihnen nicht nur die Eventualsukzession in den kursächsischen Rechten und Territorien zu, sondern sie waren auch gemeinsam mit der Kurlinie mit der Schutzherrschaft über das Stift ‚zur gesamten Hand‘ belehnt worden.454 Der Verkauf der Schutzherrschaft widersprach demnach auch ihren Rechten als mitbelehnten Fürsten. Die erbverbrüderten Fürsten konnten sich allerdings auf keine einheitliche Linie einigen. Der Herzog von Sachsen-Gotha leitete eigenmächtige Schritte ein, indem er sich protestierend an den Kaiser, den Kurfürsten von Sachsen und den Kurfürsten von Brandenburg wandte.455 Im Vorfeld der Huldigung schickte er ebenso wie die hessischen Landgrafen einen Gesandten nach Quedlinburg, der vor Ort gegen die Huldigung protestieren und der Stadtgemeinde die Teilnahme verbieten sollte. Die Unterkunft der Gesandten wurde jedoch direkt nach ihrer Ankunft von brandenburgischen Soldaten umstellt, um die Kontaktaufnahme mit dem Rat und anderen vornehmen Bürgern zu verhindern.456 Die übrigen ernestinischen Fürsten wurden in ihrem Handeln durch den Austausch gegenseitiger Einschätzungen und das Bedürfnis einer gemeinsamen Beschlussfassung ge____________ 454

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Als Mitbelehnte wurden die Fürsten der sächsisch-hessischen Erbverbrüderung in den Lehnsurkunden, der Formel des Huldigungseides und dem Kirchengebet genannt. Direkt nach Bekanntgabe der Cession wandte sich Anna Dorothea von Sachsen-Weimar sowohl an ihre Brüder in Weimar als auch die Fürsten Albrecht von Coburg, Friedrich II. von Gotha, Johann Georg von Weisenfels, Karl von Kassel und Ernst Ludwig von Darmstadt, um ihnen Nachricht zu geben und sie nach ihren Gegenmaßnahmen zu fragen (5. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 11r-12v. Der Herzog von Sachsen-Gotha besaß durch den Anheimfall des Herzogtums Altenburg (1672) im Gegensatz zu den anderen Herzogtümern die „nötige Substanz für eine eigenständigere Politik“. Vgl. VÖTSCH, Kursachsen, das Reich und der mitteldeutsche Raum, S. 299-304, besonders 299. Er hatte schon im Januar bei den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg gegen die Cession protestiert, seine Räte in Wien unterrichtet und angewiesen und war dabei, seinen Generalfeldzeugmeister nach Berlin zu schicken. Vgl. Friedrich II. von Sachsen-Gotha an Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (5. Febr. 1698): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2205. Eingabe des stiftischen Reichstagsgesandten Scheffer (21. Sept./1. Okt. 1698) am Reichstag, in DAS WEYNENDE KAYSERLICH FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 7f.; Bericht der Äbtissin an ihren Bruder, Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (15. Sept. 1698): Weimar THStA Auswärtige Angelegenheiten D 2205.

4.1. Verhandeln

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hemmt.457 Später zogen sie sich ganz aus dem Konflikt zurück, nachdem die Äbtissin vor allem ihren Brüdern durch die Klage am Reichshofrat auf Auszahlung ihres Erbes vor den Kopf gestoßen hatte.458 Zudem verhinderte die Schwäche der ernestinischen Fürstentümer, die noch immer unter dem Verlust der Kurwürde 1547 litten sowie durch mehrere Landesteilungen und der damit verbundenen ‚Kleinstaaterei‘ geschwächt waren, ein nachhaltiges Engagement. Stattdessen suchten sie die Nähe zur mächtigen Kurlinie.459 Zudem lässt sich eine signifikante Affinität des Stifts Quedlinburg zu den Fürsten und Herzögen, später dann auch Kurfürsten aus dem Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg feststellen. Sie wurden regelmäßig um Hilfe sowie Vermittlung angerufen oder von den Kaisern zu Kommissaren in Streitigkeiten unter Quedlinburger Beteiligung ernannt – so auch 1699 in der Auseinandersetzung um die Cession.460 Die enge Bindung zu den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg resultierte unter anderem aus den sich überlagernden Rechten am Kloster Michaelstein bei Blankenburg im Harz, in dem bei Bestellung des Abtes dem Herzog das jus praesentandi, der Äbtissin das jus patronatus et confirmationis zustand.461 Wie nicht anders zu erwarten bei sich überlagernden und konkurrierenden Herrschaftsrechten, war das Verhältnis ____________ 457

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Die gemeinsame Ausfertigung von Briefen an Kaiser, Kursachsen und Kurbrandenburg konnte bis zu sieben Wochen dauern. Vgl. einen Vorgang im ThHStA Weimar Auswärtige Angelegenheiten D 2205, in dem ein Brief am 15. Febr. 1698 in Coburg konzipiert und schließlich am 5. April in Weimar ausgefertigt wurde. Schon im Herbst 1698 hatte Anna Dorothea von Sachsen-Weimar Wilhelm Ernst um Auszahlung ihres väterlichen und mütterlichen Erbes ersucht, um das beide bereits Anfang der 1680er Jahre miteinander gestritten hatten. Anna Dorothea wiederholte ihre Bitte Anfang 1699, da ihre Einkünfte durch die kurbrandenburgischen Übergriffe stark in Mitleidenschaft gezogen würden, so dass sowohl ein standesgemäßes Auskommen als auch die Gesandtschaft des Oberhofmeisters nach Wien nicht gewährleistet werden könnten. Nachdem sie keine Antwort auf ihre Bitte erhielt, klagte sie beim Kaiser. Vgl. Handschreiben Anna Dorotheas an Wilhelm Ernst (22. Sept. 1698): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2205; Anna Dorothea an Wilhelm Ernst (23. Febr. 1699): Weimar ThHStA Auswärtige Angelegenheiten D 2206, fol. 1r-v; kaiserliches Mandat, das den Herzog über die Klageführung seiner Schwester informierte und ihn zur Entgegnung aufforderte (25. Aug. 1699): ebd., fol. 9r-v. Zum Streit über das Erbe zwischen den Weimarer Geschwistern Anfang der 1680er Jahre s. Weimar ThHStA Fürstenhaus A 624b. Vgl. VÖTSCH, Kursachsen, das Reich und der mitteldeutsche Raum, S. 298-311. Kaiserliches Kommissariale an König Christian V. von Dänemark als Herzog von Holstein und Herzog Rudolf August von Braunschweig-Lüneburg (2. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 269r-v. Außerdem konnte die Quedlinburger Äbtissin in diesem Kloster, dass seit der Reformation als Schule weitergeführt wurde, zwei Studienstipendien vergeben.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

nicht konfliktfrei.462 Dass auch die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg sich als Schutzherren kaum anders verhielten als der brandenburgischpreußische Kurfürst-König in Quedlinburg, zeigt ihr Umgang mit dem im Herzogtum Wolfenbüttel gelegenen Damenstift Gandersheim. Dies hatten sie bereits seit der Reformation durch eine dynastische Besetzungspolitik erfolgreich in den eigenen Territorialverbund eingegliedert.463 Mit Blick auf das Stift Quedlinburg ging es dem Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg aber um die eigene Besitzstandswahrung, da auch sie dort über Rechte verfügten. Zudem entwickelte sich die kurfürstliche Line immer deutlicher zum Gegengewicht gegenüber Brandenburg-Preußen. Beides machte sie sowohl für Äbtissin und Stift als Verbündete und Befürworter als auch für den Kaiser als Kommissare interessant.464 Die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie schaltete hingegen nach der Besetzung des Stifts 1698 ihren Schwager Landgraf Karl von Hessen-Kassel ein.465 Dieser bat Friedrich I./III., seine Soldaten abzuziehen und statt der innerstiftischen Opposition die Äbtissin, ihre gemeinsame Verwandte, zu unterstützen.466 Der Landgraf war persönlich involviert. Ihn verband ein enges Verhältnis mit der Äbtissin, die zeitweise in Kassel erzogen worden war und sich nach der Heirat ihrer Schwester mit dem Landgrafen ständig dort aufgehalten hatte. Ausdruck dieser zeitlebens engen Beziehung war die Ernennung des Landgrafen zu Charlotte Sophies Haupterben.467 Im Gegenzug suchte sie zu Lebzeiten wiederholt die Unterstützung des Landgrafen. Dessen Hilfeleistung erstreckte sich sowohl auf materielle Unterstützung als auch auf die Aufnahme auf hessischem Territorium.468 ____________ 462 463

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Vgl. Überlieferung im Stiftsarchiv in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI Nr. 6. Vgl. SCHOLZ, Das Reichsstift Gandersheim im Jahrhundert der Reformation; GOETTING, Gandersheim. Eva Ortlieb hat schon für die Mitte des 17. Jahrhunderts die häufige Präsenz des Hauses Braunschweig in kaiserlichen Kommissionen festgestellt. Vgl. ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers, S. 88. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (18. Juli 1698) sowie als Reaktion darauf Landgraf Karl an Friedrich I./III. (25. Juli 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Landgraf Karl von Hessen-Kassel an Friedrich I./III. von Brandenburg (25. Juli 1698): Marbug HStA 4f Preußen Nr. 434. Testametent (Kopie) Charlotte Sophies von Kurland (23. Febr. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3154; vgl. auch Nachlassverwaltung im Staatsarchiv Marburg 4f Kurland Nr. 204. Schon in einem Handschreiben aus dem Jahr 1699 dankte Charlotte Sophie von Kurland ihrem Schwager, Landgraf Karl von Hessen-Kassel, für die angebotene subsistence in dero landen (25. Aug. 1699): HStA Marburg 4f Preußen Nr. 434. Auch noch nach der geschei-

4.1. Verhandeln

271

Die Essener Äbtissin Anna Salome von Salm-Reifferscheidt wandte sich infolge des Soldateneinfalls ins Stift Anfang der 1660er Jahre gleich an sechs verschiedene geistliche und weltliche Reichsfürsten mit der Bitte, den brandenburgischen Kurfürsten zum Abzug seiner Soldaten zu bewegen. Darunter befanden sich unter anderem die geistlichen Kurfürsten von Köln, Mainz und Trier.469 Sie alle hatten entweder als geistliche oder benachbarte Reichsstände des Stifts kaum ein Interesse an einem eigenmächtig militärisch agierenden brandenburgischen Kurfürsten, dessen Handeln nicht nur wie im Falle des Kurfürsten von Pfalz-Neuburg und des Bischofs von Münster ihre Rechte als Direktoren des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises tangierte, sondern sich auch jederzeit gegen sie selbst richten konnte. Hinzu kam, dass einige von ihnen, wie der Kurfürst von Köln oder der Herzog von Pfalz-Neuburg, selbst mit der Essener Äbtissin um einzelne Rechte konkurrierten. Der Kurfürst von Köln beanspruchte beispielsweise die geistliche Jurisdiktion in den landständischen Damenstiften Stoppenberg und Rellinghausen. Nach jahrelangen Streitigkeiten mit der Essener Äbtissin einigte man sich darauf, dass diese Rechte durch den Essener Offizial wahrgenommen wurden, der dem Kurfürsten durch Eid verpflichtet wurde.470 Ihnen ging es bei der Unterstützung von Äbtissin und Stift demnach nicht ____________

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terten Mediation erfuhr die Äbtissin materielle Unterstützung vom Landgrafen: 1714 bedankte sich Charlotte Sophie bei Landgraf Karl für das überlassene Wildbret (26. Febr. 1714): Marburg HStA 4f Stift Herford Nr. 29. 1726 bekam Charlotte Sophie von ihrem Schwager das Schloss Melsungen oder den Eichhof bei Hersfeld als Unterkunft zur Verfügung gestellt. Diesem Angebot begegnete sie jedoch abwehrend: es wäre mir zwar lieber gewesen seyn, wann Ew Lbd. gütigts beliebet hätten mier ein Haus in irgendt einer ohnentlegenen Stadt zu geben, denn ich bin es hier um deswegen so überdrüssig, weil es hier [Exil in Verden, Anm. d. Verf.] gleichsahm als auf dem Lande ist. (8. Dez. 1726): Marburg HStA 4f Stift Herford Nr. 32. Die Umzugspläne Mitte der 20er Jahre des 18. Jahrhunderts hängen wesentlich mit der schlechten finanziellen Lage Charlotte Sophies, verursacht durch das Exil, zusammen. Dennoch blieb sie bis zu ihrem Tod Ende 1728 in Verden. Vgl. die Anschreiben des Kurfürsten von Köln (Maximilian Heinrich von Bayern), des Herzogs Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg und des Fürstbischofs von Münster (Christoph Bernhard von Galen) als Mitdirektoren des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises (18. Dez. 1662), des Kurfürsten von Trier (Karl Kaspar von der Leyen) (14. Jan. 1663), des Kurfürsten von Mainz (Johann Philipp von Schönborn) (24. März 1663) und des Herzogs Ferdinand Maria von Bayern (28. März 1663) an den Kurfürsten von Brandenburg, Beilagen zur Supplik der Äbtissin an das Reichskammergericht: Düsseldorf LAV NRW R Reichskammergericht Nr. 1617, fol. 116r-117r, 122r-v, 145r-v, 147r-v. Vergleich zwischen Kurfürst Maximilian Heinrich (von Bayern) von Köln und Anna Salome von Salm-Reifferscheidt (1669): Köln DA Essener Offizialatsakten Nr. 8 (Microfiche Essen MA).

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

zuletzt auch um die Wahrung ihrer eigenen Interessen. Die Überschneidung der unterschiedlichen Interessensphären benachbarter Fürsten im Stift Essen führte schließlich dazu, dass sich dort keine übermächtige Schutzherrschaft entwickeln konnte wie in den beiden evangelischen Stiften. Die Essener Äbtissin verfügte somit im Schatten ihrer zahlreichen Nachbarn über einen größeren Handlungsspielraum als politische Akteurin. Zwar ging das Engagement von Verwandten und Standesgenossen in der Regel nicht über schriftliche Appelle an den Schutzherrn hinaus. Mitunter sparten sie darin aber nicht an scharfer Kritik. Der Kölner Kurfürst wies Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg nach der erneuten militärischen Besetzung des Essener Stifts 1670 beispielsweise darauf hin, dass er nur Schutz-, nicht Landesherr sei.471 So sorgte die Einschaltung der verwandtschaftlichen und ständischen Beziehungsnetze doch dafür, dass der Schutzherr sein Vorgehen verteidigen und den rechtlichen Vorgaben anpassen musste. Auf diese Weise übernahmen Verwandte und Standesgenossen eine Aufsichts- und Kontrollfunktion und bildeten ein Hemmnis für Willkür und Rechtsverletzung. Dieser Effekt konnte durch die Darstellung der bedrängten Lage des jeweiligen Reichsstifts in Druckschriften noch verstärkt werden. Das Medium Druckschrift diente den Äbtissinnen und ihren Stiftsräten, um nicht nur in ihrem direkten Umfeld, sondern in einer breiten ständischen Öffentlichkeit Gehör sowohl für ihre Klagen, Vorwürfe und Schuldzuweisungen als auch für ihre Rechts- und Herrschaftsansprüche zu finden.472 Vor allem aus dem ____________ 471

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Kurfürst Maximilian Heinrich von Köln (von Bayern) an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (12. Nov. 1670): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1698. ‚Öffentlichkeit‘ wird hier in Abgrenzung zu Jürgen Habermas` „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ weder als „bürgerliche Öffentlichkeit“ noch als rein „repräsentative Öffentlichkeit“ verstanden. Vielmehr wird an die Überlegungen von Maren Richter und Dagmar Freist angeschlossen, die ‚Öffentlichkeit‘ in ein engeres Verhältnis zu Herrschaftslegitimation gesetzt haben. Sie betonen sowohl den interaktiven Charakter vermeintlich rein „repräsentativer Öffentlichkeit“ in Form von repräsentativen Herrschaftsakten als auch die Existenz diskursiver Kommunikationsformen in Wort und Schrift bereits im 16. und 17. Jahrhundert. Adressat war jedoch noch nicht eine ‚allgemeine‘ Öffentlichkeit wie im bürgerlichen Zeitalter, sondern es muss vielmehr zwischen verschiedenen Teilöffentlichkeiten differenziert werden. Esther-Beate Körber hat beispielsweise zwischen der „Öffentlichkeit der Macht“, der „Öffentlichkeit der Bildung“ und der „Öffentlichkeit der Informationen“ unterschieden. In diesem Zusammenhang kann wohl am ehesten von der „Öffentlichkeit der Macht“ gesprochen werden, denn Adressaten von Memorialen, Briefen und Druckschriften war die reichsständische Öffentlichkeit – die weltlichen und geistlichen Fürsten sowie deren Räte und Minister –, aber auch Juristen

4.1. Verhandeln

273

Umfeld des Quedlinburger Stifts sind zahlreiche solcher Druckschriften überliefert.473 Bereits im Frühjahr 1698 ließ die Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar eine ältere Schrift mit dem Titel Rechtliche Deduction veröffentlichen.474 Kernaussage dieser Druckschrift war die bey allen denen jenigen/ welchen die verfassung des Heiligen Römischen Reichs/ und dessen Glieder und Stände bekandt ist, unzweifelhafte Reichs=Immedietät und Reichs=Standschafft des Kayserlichen freyen weltlichen Stiffts Quedlinburg zu bezeugen. Als Beleg wurden hierin sämtliche käyserlichen Belehnungen/ Privilegien und Donationen/ auch Päbstliche Confirmationen sowie Verträge, Schutzbriefe und Wahlkapitulationen zusammengetragen. Zwar war die Rechtliche Deduction ursprünglich noch unter kursächsischer Schutzherrschaft verfasst worden, die Frage der Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft hatte aber gerade mit der Cession an Brisanz gewonnen. Es folgten verschiedene weitere Druckschriften, in denen zum Beispiel die Memoriale des stiftseigenen Reichstagsgesandten publiziert wurden, deren Eingabe in die Versammlung der Reichsstände verzögert wurde.475 Auf diese Weise versuchte die Äbtissin über Umwege die anderen ____________

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und Theologen, die mit der Ausfertigung von Gutachten betraut wurden. In Anlehnung an Peter von Moos kann also trotz der dominanten modernen Kodierung durch Habermas am Begriff der ‚Öffentlichkeit‘ festgehalten werden, da sich „der semantische Kontext […] meist von selbst aus den behandelten Sachen [ergibt]“. MOOS, ‚Öffentlich‘ und ‚privat‘ im Mittelalter, S. 96; FREIST, Öffentlichkeit und Herrschaftslegitimation; KÖRBER, Öffentlichkeiten der frühen Neuzeit, besonders S. 388-403; OPGENOORTH, Publicum – privatum – arcanum; RICHTER, „Prädiskursive Öffentlichkeit“ im Absolutismus? Vgl. zum Medium Druckschrift BURCKHARDT, WERKSTETTER, Die Frühe Neuzeit als Medienzeitalter; FAULSTICH, Die bürgerliche Mediengesellschaft; DERS., Medien zwischen Herrschaft und Revolte; FREVERT, Politische Kommunikation und ihre Medien. Vereinzelt konnten auch Druckschriften aus den Stiften Herford und Essen ausfindig gemacht werden, allerdings nicht in der Dichte wie in Quedlinburg im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Vgl. ABGENÖTIGTES APOLOGETISCHES GEGEN=PATENT. In der 1703 gedruckten und 1705 am Niederrheinisch-Westfälischen Kreistag zirkulierenden Druckschrift stellte die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland ihren Mitkreisständen vor, wie ihre feinde das Stift durch allerhand Friedbrüchige invasiones, attentata und eingriffe in Unsere Abteyliche Jura, Hoheiten/ Jurisdiktion und regalien sehr hart zugesetzt, ja gar versucht haben, das Stift zu subjugiren und übern hauffen zu werffen. Vgl. auch die Essener Druckschrift AN DES HEIL. RÖM. REICHS CHUR=FÜRSTEN UND STÄNDEN ZU FÜRWÄHRENDER HOCH=PREIßLICHER REICHS=VERSAMMLUNG GEVOLLMÄCHTIGTE. Hierbei handelt es sich um den gedruckten Protest samt Species facti, den die Essener Äbtissin zeitgleich beim Reichstag eingebracht hatte, um sich gegen die verlangte militärische Vertretung des Stifts durch den preußischen König zu wehren. Vgl. RECHTLICHE DEDUCTION. DAS WEYNENDE KÄYSERLICH FREY REICHS=STIFFT QUEDLINBURG und CONTINUATIO DES WEYNENDEN KÄYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Reichsstände zu erreichen. Insgesamt wurden im Streit zwischen dem Stift und seinem Schutzherrn, der von 1698 an über Jahrzehnte währte und erst in den 1740er Jahren beigelegt wurde, knapp 20 Druckschriften im Umfeld des Stifts veröffentlicht. Sie fanden wiederum Eingang in einige zeitgenössische staatstheoretische Schriften und Reiseberichte.476 Vor allem in diesen Druckschriften diskreditierte die Partei der Äbtissin das Vorgehen des Kurfürsten und seiner Vertreter, welche die Stadt Quedlinburg mit Gewalt okkupiert, das Schloß des Stadt=Thors aufgeschlagen sowie die Bürger=Wache übel tractiret hätten und in dicker Finsternis/ als Feinde eingedrungen wären.477 Mit Hilfe solcher Druckschriften verstärkten die Äbtissinnen und Stiftsräte ihre Bemühungen, um innerhalb der ständischen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für die bedrängte Lage ihres Stifts zu erregen sowie Hilfe und Schutz bei Kaiser, Reichsinstitutionen und Mitständen zu suchen.478 Zugleich setzten sie den brandenburgisch-preußischen Schutzherrn damit unter „Legitimationszwang“ und versuchten, sein Handeln zu beeinflussen.479 Er und seine Vertreter sahen sich genötigt, auf die Druckschriften mit ebenfalls gedruckten Gegendarstellungen zu antworten und zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen.480 Das Medium Druckschrift fungierte somit als Plattform diskursiver Aushandlung von Herrschaftsverhältnissen und -rechten. Die Äbtissinnen verfolgten eine zweifache Strategie: Zum einen verhinderten sie durch verbale und nonverbale Praktiken des Protestes den Eintritt eines Präzedenzfalles. Die performative Leistung dieser Praktiken bestand darin, dass sie in ihrem Vollzug den Widerstand der Äbtissin realisierten und das Vorgehen des Schutzherrn delegitimierten. Zum anderen erregten sie durch Hilfegesuche und Druckschriften in der ständischen Öffentlichkeit ____________ 476

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Vgl. beispielsweise ROHR, Geographische und historische Merckwürdigkeiten, S. 200203; LÜNING, Grundfeste Europäischer Potenzen Gerechtsame, S. 358. Druckschrift aus dem Umfeld der Äbtissin (1699), DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHE PROCEDUREN, S. 3 (interne Seitenzählung). Schon wenige Wochen nach der Besetzung des Stifts war ein Aufsatz vermutlich in der Stiftskanzlei formuliert worden, welchen man unter den Gesandtschaften der Reichsstände in Regensburg verteilte. Darin erklärt der Autor ebenfalls, dass die kurbrandenburgischen Soldaten mit force in die Stadt eingetrungen wären. Vgl. Species facti, die mit der Regensburger Relation vom 14. April 1698 nach Dresden gelangt waren: Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 25r-26v. Vgl. ARNDT, Herrschaftskonktrolle durch Öffentlichkeit. RICHTER, „Prädiskursive Öffentlichkeit“ im Absolutismus?, S. 472f. Vgl. die beiden auf preußischer Seite entstandenen Druckschriften, die als Antworten auf die Druckschriften aus dem Quedlinburger Stiftsumfeld konzipiert sind und direkt auf diese antworten. AN IHR. RÖM. KAYSERL. MAJEST. ALLER=UNTERTHÄNIGSTE FERNERE ANZEIGE; GRÜNDLICHE GEGEN=VORSTELLUNG.

4.1. Verhandeln

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Aufmerksamkeit für ihre bedrängte Lage. Auf diese Weise prangerten sie das fried- und rechtsbrüchige Verhalten des Schutzherrn an und zwangen ihn zur Rechtfertigung seines Handelns auf der Grundlage geltenden Rechtes. Darüber hinaus sollten weitere Übergriffe durch die Einbindung verwandtschaftlicher und ständischer Beziehungsnetze als Kontroll- und Aufsichtsorgan verhindert werden.

Verhandlung Die zunehmende Verrechtlichung von Herrschaftskonflikten und die damit einhergehenden Kontrollmechanismen sorgten dafür, dass der brandenburgische Kurfürst und spätere preußische König nicht einfach über die verbrieften Rechte der jeweiligen Äbtissin hinwegging. Zu groß war die Gefahr, dass sich der Kaiser, die Reichsgerichte oder die anderen Stände einschalteten. Solche weitleuffigkeiten widersprachen den souveränen Ansprüchen des brandenburgisch-preußischen Kurfürst-Königs.481 Anstatt das Stift einfach gewaltsam übern hauffen [zu] werffen undt unter [brandenburgischpreußische] Jurisdiction zu stellen – so der Vorwurf der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland482 – und damit die Intervention von Kaiser und Reich zu provozieren, setzte der Kurfürst-König immer wieder auf direkte Verhandlungen mit der Äbtissin, um die Herrschaftsverhältnisse im Stift zu seinen Gunsten zu entscheiden. Wiederholt warb der Schutzherr daher nach entstandenen Streitigkeiten bei der Äbtissin, dass sie sich mit allen Differentien und deren gäntzlichen Abthuung lieber an ihn selbst wenden solle.483 Die Rolle des Schutzherrn und seiner Vertreter variierte dabei je nach Ausgangslage. In den Konflikten zwischen der Essener Äbtissin sowie Bürgermeister und Rat traten sie als Vermittler auf. Sie konnte aber auch eine der beteiligten Parteien bilden, die entweder in bilateralen Verhandlungen wie mit der Quedlinburger Äbtissin nach dem Antritt der Schutz____________ 481

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Friedrich I./III. von Brandenburg an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (12. Aug. 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14. Nov. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Friedrich Wilhelm I. in Preußen an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (17. Okt. 1724): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 8, fol. 359r-361r. In ähnlicher Weise bot Friedrich I./III. 1698 der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland an, ihr sowohl wegen deß von seinen übelgesinneten Ministern und Bedinten unzehligen zugefügten torts und drangsalen als auch wieder daß stifft Herfort satisfaction [zu] verschaffen. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (4. April 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

herrschaft 1698 oder in einem Mediationsverfahren wie etwa zeitgleich mit der Herforder Äbtissin agierten. Die Reichsäbtissinnen standen solchen Vermittlungs- oder Verhandlungsangeboten ihres Schutzherrn mit dem Ziel, einen Vergleich auszuhandeln, oft skeptisch gegenüber. Als Mediator in Auseinandersetzungen mit Mitgliedern des Kapitels oder Bürgermeister und Stadt wollten sie ihn nicht anerkennen, weil dies eine Erweiterung seiner schutzherrlichen Kompetenzen bedeutet hätte. So begegnete die Essener Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg dem Anspruch König Friedrich Wilhelm I. auf Vermittlung sowie Wahrung von Ruhe und Frieden in den konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Stift und Stadt mit dem Einwand, dass im fall zwischen Mir und meinen Unterthanen Entstehenden Streits die Schutzzpacta dahin limitirt seind, daß das Schutzherliche Ambt nit anders als auf Ersuchen Einer zeitlichen Fürstinnen, umb die Unterthanen Straffen zu helffen dabey concurriren könne.484 Sie wollte ihm also lediglich eine Assistenzfunktion zugestehen. Auch die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland gestand ihrem preußischen Schutzherrn keine cognition im Streit mit der Dekanissin und ihren Anhängerin zu, die Friedrich I./III. einforderte.485 Die Anerkennung des Schutzherrn als zuständigem Vermittler in Konflikten mit ihren Untertanen suggerierte die Unterordnung von Äbtissin und Stift unter seine Jurisdiktion und widersprach somit ihrer Stellung als ordentliche Obrigkeit und Richter ihrer Untertanen,486 die keine fremde Jurisdiction in ihrem (Hoch-)Stift anerkannte.487 Mehr noch misstrauten die Äbtissinnen dem Schutzherrn als Verhandlungspartner. Denn, so das Urteil der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf Anfang der 1730er Jahre, nach kaum errichtetten jedesmahl dem schwächeren Theil verfänglichen Verträgen [würden] neue erpreßet und solchergestalt die gütlichen in gewaltsahme Zwangs-Mittel verkehret. Auf diese Weise würde der Schutzherr Äbtissin und Stift dasjenige gleichsam mit Gute ablocken […], was man [ihnen] mit Gewalt zu entreißen noch zur Zeit etwan vor bedenklich hält.488 ____________ 484

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Bernhardine Sophie von Ostfriesland und Rietberg an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (9. Juli 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1657, fol. 35r-38r. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (4. April 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (6. Juni 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Essener Stiftsregierung an die preußische Regierung zu Kleve (19. April 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 942, fol. 12r-16v. Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an Kaiser Karl VI. (17. Okt. 1732): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 13, fol. 294r-299r.

4.1. Verhandeln

277

Die Äbtissinnen waren daher darauf bedacht, verschiedene Maßnahmen zu treffen, um mehr Verhandlungssicherheit zu erlangen. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar bestand nach der eigenmächtigen Übertragung der Schutzherrschaft gegenüber Friedrich I./III. 1698 auf die Einschaltung eines kaiserlichen Kommissars als Mediator, weil nur die kaiserliche Approbation und Autorität garantieren könne, dass sich alle Beteiligten an die Bestimmungen des ausgehandelten Vertrages halten würden.489 Zugleich forderte sie, dass die Verhandlungen weder das laufende Verfahren am Reichshofrat beeinträchtigen noch die dort bereits entschiedenen Mandate für ungültig erklären sollten.490 Schließlich verlangte die Äbtissin, vorab festzuschreiben, dass Friedrich I./III. ihr die Jura Territory et Superioritatis […] ohnstreitig gönnen wolle. Ansonsten wehren alle bemühung ümbsonst.491 Schon solche Vorverhandlungen zu Konferenzen, in denen die Rahmenbedingungen abgesteckt wurden, konnten allerdings dazu führen, dass es gar nicht mehr zu Hauptverhandlungen kam. Dies galt zum Beispiel, wenn Uneinigkeit über die Zielsetzung und den Gegenstand der Konferenz bestand. Ein bereits für 1699 in Rinteln geplantes Treffen zwischen den Vertretern der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland und des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich I./III. im Beisein hessischer Vermittler wurde abgesagt, weil die Äbtissin nur den Konflikt mit den ortsansässigen brandenburgischen Regierungsbeamten, der Kurfürst aber auch den innerstiftischen Konflikt zwischen der Äbtissin und der Dekanissin behandeln wollte.492 Hatte man sich auf Verhandlungen geeinigt, gab es verschiedene Möglichkeiten. Entweder begegnete man sich auf einer Konferenz, die sowohl zeitlich als auch räumlich aus dem politischen Alltagsgeschäft herausgehoben war, oder während anderer Zusammenkünfte wie auf dem Kreistag. Die Unterhändler konnten auch an wechselnden Orten, in unre____________ 489

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Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Friedrich I./III. von Brandenburg (30. Mai 1698): Magdeburg, LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 308r-310r; Bericht des Quedlinburger Oberhofmeisters Dacheröden aus Wien (1./11. Juli 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 515r-516v. Resolutionsvorschlag (8. März 1701): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol.514r-v.; Vollmacht der Äbtissin für die zur Kommission abgeordneten Kommissare (6. März 1702): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 5, fol. 134r-135r. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Friedrich I./III. von Brandenburg (5. Nov. 1700): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol. 279r-282r. Handschreiben Charlotte Sophies von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (4. April 1699) sowie Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl, Kanzleischreiben (6. Juni 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

gelmäßigen Abständen, in einem weniger formellen Rahmen zusammentreffen oder schriftlich miteinander kommunizieren. Jede dieser Formen zeichnete sich durch ein Wechselspiel aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit aus.493 Anfang der 1740er Jahre kamen der Quedlinburger Stiftsrat Johann Christian Madelung und der Halberstädter Kammerpräsident Christoph Friedrich von Ribbeck zu wiederholten Treffen abwechselnd in Quedlinburg und Halberstadt zusammen, um die Wahl einer preußischen Coadjutorin vorzubereiten, um damit einen Schlusspunkt unter die langjährigen Auseinandersetzungen zwischen der Äbtissin und dem preußischen König als Schutzherrn des Stifts zu setzen.494 Die amtierende Äbtissin Maria Elisabeth knüpfte an die Wahl zwei Bedingungen: erstens die Wahrung der lutherischen Konfession im Stift und zweitens die vollständige Restitution des Stifts in seinen Rechten. Eine Schwierigkeit stellte der Modus der Verhandlungen dar. Denn die beiden Unterhändler waren nur berechtigt, die Dekrete ihrer Principalen vorzustellen, nicht aber diese anzunehmen, sondern mussten zunächst in Quedlinburg oder Berlin Rücksprache halten.495 Zudem erfolgte die Kommunikation besagter Dekrete auf Seiten des preußischen Gesandten nur mündlich, ohne Aushändigung oder Möglichkeit, Abschriften anzufertigen. Daher war der Stiftsrat gezwungen, während ihrer Bekanntgabe Exzerpte anzufertigen.496 Dahinter verbarg sich auf preußischer Seite der taktische Winkelzug, die Anfertigung schriftlicher Zusagen und Versicherung zu vermeiden, um nicht versehentlich einen Präzedenzfall zu schaffen. Auch im Punkt der Restitution empfahl von Ribbeck der Äbtissin, sich auf die Generösität des Königs zu verlassen, anstatt Zusagen zu ver____________ 493

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Vgl. zum Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Kommunikation in der Politik KÖRBER, Öffentlichkeiten der Frühen Neuzeit, S. 86-91. Protokoll des Treffens in Halberstadt (23. Sept. 1740): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.V Nr. 30, fol. 11r-14r. Protokoll des Treffens in Halberstadt (23. Sept. 1740): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 11r-14r. Zu den Entscheidungsvollmachten von Stifts- und Regierungsräten s.u. Kap. Gesandtschaft ohne Vollmachten. Sowohl während des Treffens am 21. August 1741 als auch am 19. Oktober 1741 wurde über den modus communicationis gestritten. Während Madelung am 21. August die Abschrift einer Deklaration der Äbtissin erlaubt hatte, Gleiches dann auch für sich eingefordert hatte, verwehrte ihm von Ribbeck dieses Zugeständnis beim nächsten Treffen erneut, was Madelung zu der Forderung veranlasste, ordentlich […] zu tractieren und wenigstens so viel Gleichheit herzustellen, daß der andere, obgleich schwächere, Theil sich deshalb zu beschwehren keine Ursache hätte. Madelung, Protokolle der Verhandlungen (21. Aug. u. 19. Okt. 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 106r-108r, 110r-114v.

4.1. Verhandeln

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langen.497 Der Stiftsrat drängte im Auftrag der Äbtissin aber auf die Abfassung praelimiariter festzusetzende principii, mit denen König Friedrich II. schriftlich seine Bereitschaft zur Restitution des Stifts unter Beweis stellen und damit der Äbtissin Verhandlungssicherheit geben sollte.498 Als sein Unterhändler wenig später dann doch fünf grundsätzliche Zugeständnisse des Königs eröffnete, fielen dem Stiftsrat die unterschiedlichen Standpunkte der Verhandlungspartner deutlich ins Auge. Friedrich II. gestand der Äbtissin zwar die Reichsstandschaft zu, behielt sich aber die von ihm beanspruchten landesfürstlichen und schutzherrlichen Rechte vor. Er gestattete das freie Wahlrecht aber unter der Bedingung, dass dieser Akt dem Schutzherrn im Vorfeld angezeigt und keine ihm unangenehme Person gewählt würde. Er überließ ihr die jura ecclesiastica mit Ausnahme der Bestellung des Superintendenten.499 Der Äbtissin kam es hingegen in der Haupt Sache […] auf die immedietatem territorialem und Uns und Unserem Stift gehörige Landes-Hoheit an. Ihre Ansprüche auf die Reichsstandschaft und das Kirchenregiment samt Bestellung des Superintendenten wären unzweifelhaft und könnten daher kaum ein Zugeständnis des Schutzherrn sein.500 Während der König das Stift und seine Einwohner mit denen Halberstädter und andern Königlichen Unterthanen über all gleich halten wollte, verstand die Äbtissin sich als Landesobrigkeit und ihre Untertanen lediglich als preußische Schutz-verwandte. Der Unterhändler der Äbtissin sah darin den Grund, warüm man mit uns in gewißen principiis nicht eins werden, und Serinissima nicht eingestehen wollte, was Ihro doch vor Gott und Rechtswegen alleine zustünde.501 Friedrich II. wollte ebenso wie seine beiden Vorgänger nicht einfach nur Schutz-, sondern Landesherr sein. Der Entwurf der praeliminaria ging noch einige Male zwischen den beiden Vertretern hin und her, bis sie sich auf einen Kompromiss einigen konnten: Der Äbtissin wurde die Reichs- sowie Kreisstandschaft zugestanden, aber ohne ausdrückliche Zusicherung der Landeshoheit und unter der Prämisse, dass dadurch den Rechten des Königs als Erb=Schutz Herren und Landes=Fürsten kein Nachteil geschehe. Der Titel Landesfürst wurde hinge____________ 497

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Madelung, Protokoll der Verhandlungen (20. Jan. 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 58r-61v. Erklärung Maria Elisabeths gegenüber dem Stiftsrat Madelung (31. März 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 79r-82r. Madelung, Protokoll der Verhandlungen (21. Juli 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 94r-95v. Erklärung Maria Elisabeths gegenüber dem Stiftsrat Madelung (11. Aug. 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 99r-102r. Madelung, Protokoll der Verhandlungen (19. Okt. 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 110r-114v.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

gen dahingehend abgeschwächt, dass ihm der Zusatz beigelegt wurde: wie solch Praedicat vom Chur Hause Sachßen ihedem geführet worden. Auf Seiten des Stifts bestand man darauf, dem Kurfürsten von Sachsen diesen Titel einzig als eine Art Ehrentitel zugelegt zu haben. Darüber hinaus wurde dem Stift das freie Wahlrecht eingeräumt und die Äbtissin bekam das Geistliche Regiment ohne Ausnahmen zugesprochen. Neu hinzu kam zudem die Beteiligung der Äbtissin an der Akzise.502 Die Ambiguität der Konstruktion, dass der Äbtissin die Landesherrschaft nicht explizit zugesprochen und dem Schutzherrn der Titel Landes=Fürst nur in der Form wie unter kursächsischer Schutzherrschaft überlassen wurde, was auf Seiten von Äbtissin und Stift implizit Ehrentitel bedeutete, ließ genug Raum, so dass jede Seite ihre Herrschaftsansprüche gewahrt sehen konnte. Die Klärung der verschiedenen weiteren Streitpunkte wie Akzise, Service- und Policeywesen und damit die vollständige Restitution des Stifts wurde bis zur Veranstaltung einer Hauptkonferenz aufgeschoben. Auch die Konferenz zwischen Vertretern der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland und Friedrich I./III. in Preußen im Beisein hessischer Vermittler wurde zunächst von der Frage bestimmt, ob die Parteien mündlich oder schriftlich miteinander verhandeln sollten. Die Vollmachten der abgesandten Stiftsvertreter reichten nur soweit, die Gravamina der Äbtissin einzureichen, eventuelle Nachfragen zu beantworten und eine schriftliche Antwort der preußischen Vertreter zu erwarten. Auf weiterführende mündliche Verhandlungen durften sie sich nicht einlassen.503 Diese Verweigerung spiegelt die Vorsicht der Äbtissin und ihrer Berater wider. Schriftliche Verhandlungen waren viel weniger geeignet, eine schnelle Lösung sowie einen Kompromiss herbeizuführen. Die zeitliche Verzögerung erlaubte hingegen, sich einerseits gezielt mit den Ansprüchen der Gegenseite auseinanderzusetzen und diese argumentativ auszuhebeln, andererseits jede Formulierung genau unter die Lupe zu nehmen, um einen Präzedenzfall zu verhindern. Die brandenburgisch-preußischen Vertreter beschäftigten sich in den folgenden schriftlichen Verhandlungen eingehend mit dem Anspruch der Äbtissin auf die jura territorialia et episcopalia, welche Charlotte Sophie ohnerachtet der Gülischen Cession, nachher errichteter recessen und alher gebrachter observantz ____________ 502

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Praeliminar Convention, ausgefertigt durch die Räte beider Seiten, von Ribbeck und Madelung (6. Aug. 1742), durch Friedrich II. ratifiziert (18. Aug. 1742): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 259r-262v. Bericht der Herforder Stiftsräte über den ersten Verhandlungstag (25. April 1704): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118.

4.1. Verhandeln

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selbige auff der Freyheit ohne restriction Souverainement zu exerciren, verlangte.504 Dem hielten sie erstens die unterschiedlichen Rechte des Königs entgegen, die ihm durch den Cessions-Vertrag von 1547, weitere Verträge und die observantz übertragen wurden.505 Dieser Katalog beinhaltet alle Hoheitsrechte, die in der staatstheoretischen Diskussion des 17. Jahrhunderts als Ausweis für die superiorität diskutiert wurden: Sitz und Stimme auf dem Reichstag, das geistliche Regiment, das jus collectandi der Reichssteuern, Besteuerung der Untertanen, Judengeleit, Gesetzgebung und Kriminalgerichtsbarkeit. Zweitens unterstellten sie, dass die damalige Äbtissin für den Fall, dass sie sich die Landeshoheit in der Cession hätte vorbehalten wollen, sie ausdrücklich von dem reservato jurisdictionis territorialis meldung getan hätte. Damit setzten die brandenburgisch-preußischen Räte die zeitlose Existenz eines Diskurses voraus, der sich zum Zeitpunkt der Cession erst allmählich formierte und Prinzipen wie das der superiorität oder Landeshoheit noch nicht hervorgebracht hatte. Erst 29 Jahre später schrieb Jean Bodin seine Six livré de la République und prägte damit ein neues Souveränitätsverständnis.506 Der Wortlaut der Cession offenbarte hier gezwungenermaßen eine Leerstelle, welche die preußischen Beamten nachträglich zu füllen suchten. Drittens nahmen sie Umdeutungen im Verhältnis zwischen Äbtissin und Schutzherr vor, indem sie beispielsweise Vertragsklauseln wie über die Übertragung der weltliche[n] Hoheit aus ihrem Kontext rissen. So hieß es im Cessions-Vertrag ursprünglich, dass die Äbtissin dem Herzog Wilhelm von Jülich als Entgelt für seinen Schutz alle weltliche Hochheit und Obrigkeit […] an beyden Städten/ alten und newen Stadt zu Hervorden/ nicht aber über das Stift abtrete.507 Schließlich machten sich die brandenburgisch-preußischen Räte Umstände wie die jahrzehntelange Abwesenheit der Herforder Äbtissin vom Reichstag für ihre Argumentation zunutze. Sie galt ihnen als Beweis dafür, dass der Herzog von Jülich als Schutzherr nach der Cession Sitz und Stimme des Stifts auf dem Reichstag wahrgenommen habe. Ganz bewusst wurden auf diese Weise durch die brandenburgischen Vertreter Rechtsverhältnisse, Verträge und Ereignisse umgedeutet, um den landesherrlichen Anspruch des Kurfürsten im Stift zu untermauern und die superiorität der Äbtissin zu verneinen. In ____________ 504

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Kurze Beantwortung der Herforder Gravamina, wie sie auf der Konferenz zu Bückeburg überreicht wurden, durch die preußischen Regierungsvertreter Heinrich Rüdiger Ilgen und P. Huss (10. Juni 1704): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 473; auch in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Ebd. BODIN, Sechs Bücher über den Staat. Cessions-Vertrag, in GRÜNDTLICHE DEDUCTION, Beilage 1 (ohne Seitenzahlen).

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einem anschließenden Vergleichsangebot räumte Friedrich I./III. der Äbtissin zwar die Reichsstandschaft ein und stellte die Wiederherstellung des Stifts in allen Rechten, Privilegien und Freiheiten in Aussicht, die Frage nach der Superiotität wurde hingegen völlig ausgespart.508 Auf diese Weise sollte ein Kompromiss mit der Äbtissin gefunden werden, ohne ihren Ansprüchen auf die Superiorität nachzugeben. Anstatt auf das Angebot einzugehen, ließ Charlotte Sophie eine modifizierte Fassung des Vergleichs von ihren Stiftsräten anfertigen.509 Sie veränderten nicht nur einzelne Begriffe, sondern auch den Inhalt des brandenburgisch-preußischen Entwurfs stark zu Gunsten der Äbtissin. Beispielsweise erweiterten sie angesichts der mehrfach verhinderten Teilnahme des Stifts an den Kreistagen die Klausel zur Anerkennung der Reichs- um die Kreisstandschaft.510 Die Schutzfunktion des Königs und seiner Beamten vor Ort wurde hingegen durch den Zusatz auf Ihre durchlaucht Frau Abtißin Jedesmahlige ersuchung eingeschränkt und dadurch die Etablierung eines oberrichterlichen Anspruches des Königs verhindert. Im modifizierten Projekt des Vergleichs wurden vor allem die Punkte konkretisiert oder komplett gestrichen, deren ursprüngliche Inhalte Interpretationsspielräume eröffneten, um die Superiorität, Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft der Äbtissin in Zweifel zu ziehen. Das Bemühen, Eindeutigkeit zu schaffen, reichte bis auf die Ebene einzelner Begriffe. Die einfache Umschreibung Stifft Herford wurde um das kaiserlich frey weltliche Stifft Herford ergänzt oder durch Uhralte[s] immediate[s] Reichs-Stift Herford ersetzt; besonderen Wert legte man auf die Betonung der Reichs- und Craysstandschaft [Hervorhebung d. d. Verf.] sowie der Immedietät des Stifts.511 Diese kleinschrittige Auseinandersetzung mit den verwendeten Begriffen der Vergleichsprojekte zeugt von der Furcht auf Seiten der Äbtissin, sich eines Rechts oder Anspruchs durch ungenaue oder mehrdeutige Formulierung zu begeben. Schon der Verzicht auf das Prädikat kaiserlich oder immediates Stift konnte sich negativ auf den landesherrlichen, reichsunmittelbaren und reichsständischen Status auswirken. Eben weil das Vergleichsprojekt keinen Spielraum ließ, um die sich ____________ 508

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Puncta worauff etwa der Vergleich zu fundiren (undatiert und ohne Autor): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 81. Modifiziertes Projekt der Vergleichspunkte aus dem Umfeld der Äbtissin (5. Aug. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 117. Original in Marburg HStA 4f Kurland Nr. 81. Zum Kreistag s.u. Kap. Umstrittene Kreisstandschaft. Vgl. Auseinandersetzung mit den Vergleichspunkten im Stiftsarchiv: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 117.

4.1. Verhandeln

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ausschließenden Ansprüche beider Seiten auf die Superiorität zu verschleiern, scheiterten die Verhandlungen Anfang des Jahres 1706 endgültig.512 Die Verhandlungen um die Form der Essener Beitragsleistung zum Kreiskontingent in den Koalitionskriegen gegen das revolutionäre Frankreich fanden sowohl auf dem Kreistag in Köln als auch in den verschiedenen Beratungs- und Entscheidungsgremien im Stift statt. Nachdem per Kreisausschreiben die Aufstellung des Kreiskontingents angekündigt und jeder Kreisstand zur Leistung seines dreifachen Anteils aufgefordert worden war, beratschlagten zunächst die Stiftsräte und Landstände darüber, ob das Stift wieder ein eigenes Kreiskontingent stellen oder sich lieber vertreten lassen solle. Ein solches Angebot war bereits von Seiten des hessischen Landgrafen eingetroffen.513 Wenig später erhielten die Stiftsräte ein Anschreiben des preußischen Kreistagsgesandten, in dem er das Vertretungsrecht auf Grundlage der Schutz- und Schirmherrlichen [Verhältnisse] für den preußischen König beanspruchte.514 Bereits in den 1730er Jahren waren zwischen der Äbtissin und dem König wegen der Vertretung heftige streitigkeiten entstanden. Auch damals hatte er die Vertretung eingefordert und angesichts der Weigerung der amtierenden Äbtissin die Vertretungsgelder eigenmächtig durch Konfiskation von Einkünften eingezogen. Zwar war damals der Kaiser mit dehortatoria (Verbot) eingeschritten und hatte so die Konfiskationen aufgehoben, im zugrundeliegenden Streit um das jus präsidii

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Die Äbtissin verweigerte ihre Zustimmung zum Vertrag aufgrund der vielen enthaltenen präjudicirlichen clausuln, allen voran der Verpflichtung zur Wiederaufnahme der oppositionellen Kapitularinnen und dem Fehlen einer ausdrücklichen Wiedergutmachung des Kurfürsten-Königs und seiner Vertreter gegenüber der Äbtissin. Charlotte Sophie von Kurland beklagte sich darüber, dass Seine königliche Mayestät noch keine wahre ouverture von der sache im hertzen haben und noch immer die Hornische Ehre und reputation lieber alß die Meinige seines bluts verwantin verteidigen. Statt sie zu schützen, führe er sich wie ein offentlichen feind gegen Mich. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (14. Nov. 1703): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119; Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (4. März 1706): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Friedrich I./III. forderte hingegen die Exemplare des Vergleichs zurück, nachdem die Äbtissin am Kreistag eine Druckschrift veröffentlichen ließ, in der sie ihm Übergriffe auf das Stift vorwarf. Friedrich I./III. an Karl von Hessen-Kassel (22. Mai 1706): Marburg HStA 4f Kurland Nr. 88. Regierungsprotokoll (8. März 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649. Regierungsprotokoll (22. März 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649.

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im Stift war aber noch keine definitiv[e] Entscheidung gefallen.515 Vor diesem Hintergrund entschieden die Stiftsräte gemeinsam mit den Landständen, dass aufgrund der Beschwerlichkeit und der damit verbundenen hohen Kosten kein eigenes Kontingent gestellt werden sollte. Zugleich hielten sie es für sicher, dass eine Ablehnung der preußischen Forderung nur mehr die Streitigkeiten wiederbeleben würde, wobei das Stift wegen der Übermacht seines Gegners wenig oder gar nichts gewinnen würde. Daher beschlossen sie, zwar der preußischen Vertretung zuzustimmen, aber dem artikulierten Rechtsanspruch zu widersprechen und ihn durch unverkennbare klare Gründe zu widerlegen.516 Diese Aufgabe übernahmen einerseits die Stiftsräte in einem Schreiben an den preußischen Kreistagsgesandten,517 andererseits der Gesandte des Stifts am Kreistag in direkten Verhandlungen um den Inhalt der vertrettungs Convention.518 Da weder die Vertreter des Stifts von ihrer Position noch der preußische Kreistagsgesandte von dem Rechtsanspruch seines Königs abrücken wollten, entschied man sich dafür, einen vorläufigen Kompromiss zu treffen und die Entscheidung in der Frage, wer über das jus praesidii verfüge, aufzuschieben. So kam es trotz der unterschiedlichen Auffassungen zum Abschluss eines Vertretungskontrakts.519 Die Verhandlungen in den drei skizzierten Beispielen enden jeweils ganz unterschiedlich. Das Resultat war jedoch das Gleiche: Eine Lösung der Konflikte zwischen Äbtissin und Schutzherr wurde letztgültig nicht gefunden. In Quedlinburg wurde die Entscheidung der wesentlichen Streitfragen bis zu einer späteren Konferenz vertagt, die jedoch nie stattfand. Im Herforder Fall wurden die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen. Der Äbtissin blieb nur noch die Möglichkeit der Meidung des Gegners, welche

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Gutachten des Syndikus des Gräflichen Kapitels Leimgardt (4. April 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649. S. o. Kap. Besetzung, s. u. Kap. Bürde und Würde. Gutachten des Syndikus des Gräflichen Kapitels Leimgardt (4. April 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649. Stiftsräte an den preußischen Kreistagsgesandten Christian Wilhelm von Dohm (8. April 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649. Instruktionen für den Kreistagsgesandten des Stifts Johann Wilhelm Hamm (12. Juni 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649. Vertretungskontrakt, abgeschlossen zwischen den beiden Gesandten Johann Wilhelm Hamm und Christian Wilhelm von Dohm im Namen der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen und Friedrich Wilhelm III. (8. Nov. 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649.

4.1. Verhandeln

285

sie mit ihrem Gang ins Exil bereits räumlich umgesetzt hatte.520 Die Essener Verhandlungen endeten zwar mit einem Vertrag, der aber so eingerichtet wurde, dass die Frage, ob es sich bei der Vertretung um ein schutzherrliches Recht oder eine bloße zeitliche Beauftragung handelte, offen blieb. Vielmehr wurde festgelegt, dass diese Angelegenheit einer angemessenen Prüfung vorbehalten bleiben sollte,521 die aber nicht stattfand. Der rechtmäßige Anspruch auf das jus praesidii blieb ungeklärt und wurde nur deswegen nicht wieder relevant, weil das Stift kurze Zeit später aufgelöst wurde. Symptomatisch für die Verhandlungen zwischen Äbtissin und Schutzherr, so viel haben die verschiedenen Beispiele gezeigt, war deren offenes Ende. Statt die Konflikte zu lösen, wurden sie vielmehr auf Dauer gestellt.522

Schutz- und kein Landesherr Auf die Frage, ob die Quedlinburger Äbtissin seit der Stiftsgründung zur Zeit Ottos I. bis zum Antritt der kursächsischen Schutzherrschaft und darüber hinaus ein immediater ReichsStand gewesen [ist]/ und die Territorial-jurisdiction gehabt [hat], antwortete der Konzipient einer Druckschrift aus dem Umfeld des Stifts im Jahr 1696, daß sowohl der Lateinische Terminus: jurisdictio Territorialis, wie auch der Teutsche: LandesFürstliche Obrigkeit/ ein Foetus nostri seculi sey.523 Der Autor der Druckschrift benennt damit ein Problem, das im Laufe des 17. Jahrhunderts virulent wurde: das Aufkommen eines neuen Herrschaftsverständnisses in Form der Landeshoheit, superiorität oder jus territoriale in der Hand eines Landesherrn bzw. einer Landesfrau. Dieses wurde sowohl von ____________ 520

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Siehe hierzu die anthropologische Konflikttheorie Georg Elwerts. Elwert benennt drei mögliche Konfliktstrategien: Verfahren, Gewalt und Meidung. Julia Eckert erklärt hierzu, dass „Meidungsstrategien […] sowohl bei schwacher Institutionalisierung von Herrschaft, wie auch bei extremen Machtunterschieden auftreten [können]“. Beides war hier der Fall. Vgl. ELWERT, Anthropologische Perspektiven auf Konflikt; ECKERT, Gewalt, Meidung und Verfahren, S. 16. Vertretungskontrakt, abgeschlossen zwischen den beiden Gesandten Johann Wilhelm Hamm und Christian Wilhelm von Dohm im Namen der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen und Friedrich Wilhelm III. (8. Nov. 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 649. Die Praxis, Konflikte in der Schwebe zu halten, wurde unter anderem am Beispiel der Reichsstände von Barbara Stollberg-Rilinger und am Beispiel vormoderner Städte von André Krischer und Thomas Weller bereits eingehend untersucht. KRISCHER, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft, besonders: S. 274-326; STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider, besonders: S. 79-84, 199-210; WELLER, Theatrum Precedentiae, besonders: S. 272-289. RECHTLICHE DEDUCTION, S. 13.

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den Äbtissinnen als auch dem jeweiligen Schutzherrn argumentativ aufgegriffen und für sich beansprucht. Das führte zu strukturellen Widersprüchen. Denn das Konzept der Landeshoheit stand quer zu den bestehenden Herrschaftsverhältnissen im Stift, die durch das Nebeneinander mehrerer Herrschaftsträger und konkurrierender Herrschaftsrechte nicht zuletzt in Person von Äbtissin und Schutzherr geprägt waren. Das Resultat waren die oben beschriebenen Deutungskämpfe, Aneignungsversuche, Widerstände und Kompromissvorschläge, die schließlich dazu führten, dass die Rechtsund Herrschaftsverhältnisse in der Schwebe gehalten wurden und die Frage nach dem Inhaber der Landesherrschaft unbeantwortet blieb. In dieser Frage konnte es keine für Äbtissin und Schutzherr annehmbare Antwort, keinen Kompromiss geben. Denn bei der Landeshoheit handelte es sich um einen kategorialen Unterschied: Entweder man war Landesfürst bzw. Landesfürstin oder nicht. Trotz seines Vorsprungs im Prozess der Territorialstaatsbildung gelang es dem brandenburgisch-preußischen Kurfürst-König nicht wie zuvor bei semi-autonomen Städten wie Herford und Magdeburg, Äbtissin und Stift als eigenmächtige Herrschaftsträger vollständig auszuschalten. Faktisch konnte der brandenburgisch-preußische Schutzherr zwar in den beiden evangelischen Stiften dauerhaft wesentliche landesherrliche Kompetenzen wie Jurisdiktions-, Besteuerungs- und Besatzungsrechte ausüben, theoretisch blieben die Ansprüche der Äbtissinnen auf Reichsunmittelbarkeit, Reichsstandschaft und Landeshoheit aber bestehen. Insbesondere die Reichsstandschaft wurde den fast vollständig entmachteten Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg von Seiten des brandenburgisch-preußischen Kurfürst-Königs sogar ausdrücklich zugestanden. Dabei handelte es sich aber nur mehr um eine symbolische Hülle. Im Stift Essen, wo neben dem brandenburgisch-preußischen Schutzherrn weitere benachbarte Fürsten wie der Kurfürst von Köln oder der Herzog von Pfalz-Neuburg Rechtsansprüche behaupteten, hielten sich die interessierten Nachbarn gegenseitig in Schach. Daher kam es dort überhaupt nicht zur Ausbildung der dominanten Stellung eines Einzelnen wie des brandenburgisch-preußischen Schutzherrn in Herford und Quedlinburg. Die Entwicklung des vormodernen Staates folgte demnach keinesfalls einer geraden Linie, wie es Großerzählungen zur ‚Geschichte der Staatsgewalt‘ häufig suggerieren.524 Vielmehr handelt es sich um einen langwierigen Prozess, der den komplizierten Rechtsverhältnissen des Alten Reiches Rechnung tragen musste. Diese folgten einem traditionellen, auf personellen Bindungen beruhenden Herrschaftsverständnis, das ____________ 524

Vgl. REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt; BAHLCKE, Landesherrschaft, Territorien und Staat.

4.1. Verhandeln

287

durch das Konzept der Landeshoheit nicht abgelöst, sondern bis zum Ende des Alten Reiches weiterhin Geltung beanspruchen konnte und dadurch mit dem Territorialstaat konkurrierte. Für die Herrschaftsordnung in den Reichsstiften bedeutete dies, dass weiterhin die konkurrierenden Herrschafts- und Rechtsansprüche in mehrdeutigen Verträgen, aufwendigen Inszenierungen, vielfältigen Ausnahmeregelungen, protestationes oder Ausweichungen in der Schwebe gehalten wurden.525 Stattdessen griff der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König in den beiden evangelischen Stiften auf ein dynastisches Mittel zurück und beförderte preußische Prinzessinnen an die Spitze der Stifte, um zwar nicht dem Namen nach, aber doch in actu Landesherr zu sein.

____________ 525

Barbara Stollberg-Rilinger hat für ähnliche Beobachtungen auf Ebene des Reiches das Konzept der „organisierten Heuchelei“ in die Forschungsdiskussion eingebracht. Dieses trägt dem paradoxen, doppelbödigen Charakter des Reiches Rechnung, wo die „akribische symbolisch-rituelle Wahrung“ sämtlicher sich ausschließender Rechte und unvereinbarer Ansprüche zu einer zunehmenden „Akkumulation unausgetragener Konflikte“ führte. Dadurch würden die Akteure gezwungen, das eine zu sagen, aber das andere zu tun, um das Ganze, Reich und Reichsverfassung, aufrechtzuerhalten. STOLLBERGRILINGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 278-281; DIES., Organisierte Heuchelei.

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4.2. Regieren 4.2. Regieren

Das Recht, Gesätze zu geben, gebührt einer zeitlichen Frau Fürstinn Abtißin als der erste Ausfluß der Landeshoheit und der geistlichen Gerichtsbarkeit. So lautet Artikel VI § 2 des Essener Landesgrundvergleichs, der im Sinne einer landständischen Verfassung das Verhältnis zwischen der Fürstin und Äbtissin, dem Gräflichen Kapitel und dem Kanonikerkapitel sowohl in ihrer Rolle als geistliche Korporationen als auch als erster und zweiter Landstand sowie der Ritterschaft als drittem Landstand regeln sollte.1 Erstmalig wurden hier am Ende des 18. Jahrhunderts auch die landesherrlichen Kompetenzen der Äbtissin schriftlich fixiert und damit die Tätigkeitsfelder der Stiftsregierung umrissen. Hierzu gehörten zunächst die oben beschriebene Gesetzgebung, die weltliche niedere und höhere Gerichtsbarkeit, die geistliche Gerichtsbarkeit mitsamt dem Kirchenregiment, die Ausübung der Policey mitsamt der Policey-Gesetzgebung und das Besteuerungsrecht. Hinzu kamen die Bewirtschaftung und Verwaltung des Grund- und Lehnsbesitzes, die Unterhaltung des Militärs und die Verteidigung der obrigkeitlichen Kompetenzen. Obwohl eine ähnliche schriftliche Landesverfassung für die beiden Stifte Herford und Quedlinburg fehlt, zeugt das überlieferte Schriftgut der Stiftsregierung oder Kanzlei sowie des Quedlinburger Konsistoriums davon, dass dort mit Ausnahme des Militärs dieselben Ressorts behandelt wurden. Damit wichen die Tätigkeitsfelder der Stiftsregierungen kaum von denen anderer Territorialherren ab.2 Anhand ausgewählter Beispiele zur Gesetzgebung sowie zu Entscheidungen, die das Kirchenregiment und die Policey betrafen, werden hier Grenzen und Möglichkeiten des Regierungshandelns der Äbtissinnen aufgezeigt und nach deren Spezifik gefragt. Sowohl das Alltagsgeschäft der Stiftsregierung, also die Verwaltung, Regulierung, Aufsicht und Rechtsprechung, als auch die Bewältigung von Krisen- und Konfliktsituationen, ausgelöst beispielsweise durch die zunehmen____________ 1

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Landesgrundvergleich des Stiftes Essen (1. Sept. 1794): Düsseldorf LAV NRW Stift Essen Akten Nr. 730, fol. 204r-217v. Eine Edition des Vergleichs findet sich bei KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 396-416. Der Landesgrundvergleich ging auf eine gemeinsame Initiative der Stiftsregierung, der Kapitel und der Landstände zurück, um die von jeher konfliktträchtigen innerstiftischen Herrschaftsverhältnisse zu vereinheitlichen und festzuschreiben. S. hierzu auch o. Kap. Wahlkapitulation, Verfahren, Vertrag. Vgl. allg. BAHLCKE, Landesherrschaft, Territorien und Staat, S. 26-44; REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt, S. 306-314, 363-370; und am konkreten Beispiel eines mindermächtigen Fürsten BUSCH, Herrschen durch Delegation, S. 69-86, 98-128.

4.2. Regieren

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de Konkurrenz der verschiedenen Träger von Herrschaftsrechten, erforderte spezifisches Sonderwissen über Rechte und Praktiken. Daher werden in einem zweiten Schritt die Träger dieses Sonderwissens in den Blick genommen und der Begriff der Äbtissin als Chiffre für ein Handlungskollektiv verschiedener Akteure untersucht.

Ordnungen, Gesetze und Befehle Im Frühjahr 1668 ordnete Elisabeth von der Pfalz gegenüber allen und jeden unsers fürstlich Stiffts [Herford, Anm. d. Verf.] untersaßen die Einführung des Kalenders nach Gregorianischer Zeitrechnung an. Sie erklärte ihren Entschluss damit, dass die differente Observantz des Calenders in Handel und Wandel, auch sonsten in vielen dingen große unrichtigkeiten und Confusionen dieses orts bißhero veruhrsachet [habe].3 Damit wies sie sich nicht nur als Obrigkeit des kleinen Stiftsterritoriums, sondern mehr noch als ‚gute‘, fürsorgliche Landesmutter aus. Sieht man etwas genauer hin, stellt man fest, dass es sich hierbei nicht um einen unilateralen Normierungsakt handelte. Vielmehr kam der Anstoß zur Kalenderreform im Stift Herford von außen. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg hatte im Zuge der Kalenderumstellung in der Stadt Herford seine Cousine gebeten, es ihm an den orthen, welche von [ihr] dependiren, und wohin sich [ihre] jurisdiction erstrecken thuet,4 gleich zu tun, um große unrichtigkeiten und Confusionen in Handel und Wandel sowie verschiedenen anderen Angelegenheiten zwischen dem Stift und der Stadt Herford sowie der Grafschaft Ravensberg zu verhindern.5 Im Stift selbst wurden daraufhin Informationen gesammelt, um Vor- und Nachteile abzuwägen. Man wusste von ähnlichen reichsweiten Plänen zur Vereinheitlichung des Kalenders, die in Regensburg verhandelt wurden. Bis dahin musste man aber mit fortdauernden Schwierigkeiten rechnen, die sich aus der Nachbarschaft zu bzw. durch das Hineinreichen von einzelnen Jurisdiktionsbereichen in andere Territorien ergaben, die den alten Kalender beibehielten. Der Pfarrsprengel der Münsterkirche sowie der Kirche auf dem Berge reichte beispielsweise in die Grafschaft Lippe und das Fürstentum Minden. Der Gefahr, dass diese Gebiete dem Stift durch die Kalenderumstellung entfremdet würden, musste ____________ 3

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Publicandum der Äbtissin zur Umstellung des Kalenders (19./9. Febr. 1668): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 111. Antwort der Äbtissin Elisabeth von der Pfalz an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (7. März 1667): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 111. Publicandum der Äbtissin zur Umstellung des Kalenders (19./9. Febr. 1668): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 111.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

daher zwingend vorgebeugt werden. Dennoch stimmte Elisabeth der Bitte ihres Vetters zu – nicht ohne ihn jedoch auf die Befürchtungen hinzuweisen und einen Lösungsvorschlag einzufordern.6 Der Kurfürst beauftragte im Anschluss seine lokalen Regierungsvertreter, sich mit der Äbtissin und ihren Räten über den Zeitpunkt und die Form der Umstellung zu beratschlagen, bevor diese dann tatsächlich umgesetzt wurde.7 An der Entscheidung zur Einführung eines neuen Kalenders im Stift Herford waren demnach mehr Akteure beteiligt, als das Patent auf dem ersten Blick ausweist. Die Herforder Kalenderreform ist daher dazu geeignet, auf die Komplexität vormoderner Normgebungsprozesse zu verweisen. Die Gesetzgebung gilt in den Forschungen zur Formierung des frühneuzeitlichen Territorialstaates als ein wesentliches Charakteristikum obrigkeitlichen Handelns,8 dessen Ausmaße ab 1600 qualitativ und quantitativ stark zugenommen haben.9 Ein Blick in die Überlieferung der drei Stifte zeigt, dass auch die Reichsäbtissinnen durch Ordnungen, Gesetze und Befehle Einfluss auf das Zusammenleben ihrer Untertanen im Stiftsterritorium zu nehmen suchten. Es finden sich eine Vielzahl von umfassenden Ordnungen zur Regelung der Policey, des Gerichts-, Forst- und Kirchenwesens, Einzelverordnungen und -verbote sowie obrigkeitliche Entscheidungen. Jüngst konnte jedoch immer wieder nachgewiesen werden, dass viele solcher obrigkeitlich erlassenen Verordnungen gar nicht oder nur teilweise umgesetzt wurden.10 Stattdessen wurden Befehle ignoriert, Steuern nicht gezahlt, Normen nicht beachtet. Vielmehr wurde Widerstand geleistet, es wurden Ausflüchte gesucht und Modifizierungen vorgenommen.11 Diesen Eindruck bestätigen auch die wiederholten Jagdverbote der Herforder Äbtissin gegenüber ihren Untertanen und den Stadtbürgern sowie die jährliche Wiederholung allgemeiner Verordnungen wie die Beschränkung von Feiern zu Hoch____________ 6

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Antwort der Äbtissin Elisabeth von der Pfalz an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (7. März 1667): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 111. Kurfürst Friedrich Wilhelm an seine lokalen Regierungsvertreter in der Grafschaft Ravensberg, den Landschreiber Johann Meinders und Landrentmeister Glandorf (12. März 1667): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 111. Vgl. HÄRTER, Policey und Strafjustiz; HOLENSTEIN, „Gute Policey“ und lokale Gesellschaft; OESTREICH, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus; STOLLEIS, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1. Vgl. SCHLUMBOHM, Gesetzte, die nicht durchgesetzt werden, S. 648. Vgl. u.a. RUBLACK, Frühneuzeitliche Staatlichkeit und lokale Herrschaftspraxis, S. 349f.; SCHLUMBOHM, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden, S. 649-656; BRAKENSIEK, Herrschaftsvermittlung im alten Europa, S. 2-4. Vgl. LANDWEHR, „Normdurchsetzung“ in der Frühen Neuzeit?, S. 150.

4.2. Regieren

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zeiten und Taufen im Stift Essen.12 Scheinbar zeitigte ihr erstmaliger Erlass nicht die gewünschte Wirkung. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Dilemma, dass vormoderne Herrschaftsträger als Normgeber ständig scheiterten, für deren Erforschung? Achim Landwehr hat vorgeschlagen, sich von der Frage nach Erfolg oder Misserfolg von Normen zu lösen und stattdessen „das [zu] analysieren, was frühneuzeitliche Herrschaft ausmachte, das tägliche Mit- und Gegeneinander in diesem Herrschaftsprozess“.13 Die Anwendung von Normen war kein Vorgang, der nur in eine Richtung – von oben nach unten – wirkte, sondern vielmehr ein reziproker Prozess, an dem eine Vielzahl an Akteuren beteiligt waren. Zu den beteiligten Akteuren gehörten neben der Äbtissin als namentlicher Normgeberin die Stifträte, die in der Regel maßgeblich am Zustandekommen der Norm Anteil hatten,14 die Kapitel, die ein Mitspracherecht beanspruchten, die intermediären Herrschaftsträger, die sowohl Adressaten als auch Anwender der Normen waren, die Untertanen, die wiederum mit ihrer Reaktion auf die Norm und den Normgeber einwirkten, sowie Akteure des territorialen, ständischen und verwandtschaftlichen Umfeldes, die ebenfalls Einfluss ausübten, wie der Kurfürst von Brandenburg im Fall der Herforder Kalenderreform. Der Stellenwert von Praktiken der Normsetzung lag nicht allein auf ihrer instrumentellen Dimension, indem sie mehr oder weniger erfolgreich ein bestimmtes Handeln oder Verhalten vorschrieben, sondern immer auch auf ihrer symbolisch-expressiven Seite. Im Erlass von Gesetzen und Verordnungen zeigte sich die Obrigkeit überhaupt erst als Obrigkeit sowohl gegenüber ihren Untertanen als auch gegenüber anderen Herrschaftsträgern. Dies war umso mehr von Bedeutung, als die verschiedenen Herrschaftsträger entweder um die Stellung als Obrigkeit oder die Teilhabe an den obrigkeitlichen Rechten konkurrierten.15 Indem die Reichsäbtissinnen als Normgeber in Erscheinung traten, realisierten sie ihren Anspruch auf die Stellung als Obrigkeit. Für Elisabeth von der Pfalz musste es daher von enormer Bedeutung sein, dass die Umstellung des Kalenders im Stift Herford in ihrem Namen geschah, auch wenn die Initiative von außen stammte. Die hier angestellten Beobachtungen auf dem Feld der Normsetzung lassen sich auf ____________ 12

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Jagdverbote der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland gegenüber ihren Untertanen und den Herforder Stadtbürgern (1695-1697, 1711, 1715-1718): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 578; Essener Protocolla publica 1686-1698: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 683. LANDWEHR, „Normdurchsetzung“ in der Frühen Neuzeit?, S. 151. Zur Schwierigkeit des Ermessens, wer wie viel Anteil am Zustandekommen obrigkeitlicher Entscheidungen hatte, s.u. Vgl. SCHLUMBOHM, Gesetzte, die nicht durchgesetzt werden, S. 660.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

andere Felder des Regierungshandelns übertragen, auf denen die Äbtissinnen obrigkeitliche Entscheidungen zu implementieren suchten.

Asyl in Herford Im Spätherbst 1670 gewährte die Herforder Äbtissin Elisabeth von der Pfalz der religiösen Splittergruppe um den Prediger Jean de Labadie auf der Herforder Stiftsfreiheit Asyl.16 Über Anna Maria van Schurmann,17 eine Anhängerin Labadies und alte Bekannte der Pfalzgräfin,18 fand die wegen ihrer separatistischen Organisation in den Niederlanden verfolgte Gemeinde Zuflucht und Hilfe bei der Äbtissin.19 Zwar zeugen sowohl die Aufnahme Labadies als auch der schriftliche und persönliche Kontakt der Pfalzgräfin zu den führenden Quäkern William Penn und Robert Barclay von ihrer Toleranz gegenüber Andersdenkenden,20 dennoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Äbtissin eindeutige politische Ziele mit ihrem Vorgehen verfolgte. Sie verband mit der Aufnahme der religiösen Flüchtlinge ökonomische, siedlungs- und konfessionspolitische Überlegungen: Elisabeth betonte gegenüber Friedrich Wilhelm von Brandenburg den ökonomischen Nutzen für Stift, Stadt und umliegendes Territorium, indem die Gemeindemitglieder ihre Güter, ihre Profession und ihre Kaufkraft ein____________ 16

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Jean de Labadie wurde 1610 als Katholik geboren und trat zunächst in den Jesuitenorden ein, bevor er mit 40 Jahren zum reformierten Bekenntnis übertrat. Als Prediger war er erst in Genf und dann in den Niederlanden tätig, wo er eine Schar Anhänger um sich sammelte, mit denen er sich zu einer separatistischen Bewegung zusammenschloss, die sich bewusst von der Welt abgrenzte. Zu Anna Maria van Schurmann vgl. SPANG, Leben und Werk. Die beiden Frauen hatten sich während ihrer Jugend in den Niederlanden kennengelernt, wohin die Familie des Winterkönigs geflohen war. Sie verband das gemeinsame Interesse an Religion und Philosophie sowie Kunst und Wissenschaft. Vgl. SPANG, Leben und Werk, S. 46f., 113f., 192. Vgl. SPANG, Leben und Werk, S. 192. Vgl. hierzu BLANKE, Elisabeth und die Quäker. In der Forschung wurde daher vielfach darüber spekuliert, ob die Äbtissin eine überzeugte Glaubensanhängerin Labadies gewesen sei. Während Anna Maria van Schurman in ihren Lebensbeschreibungen – sicher nicht ohne propagandistische Hintergedanken – berichtete, dass Elisabeth Labadie nicht nur ihre Hofkapelle zweimal wöchentlich zur Verfügung gestellt und selbst an den Gottesdiensten teilgenommen habe, sondern darüber hinaus ganz hingerissen von den Predigten Labadies gewesen sei, fehlen Selbstzeugnisse der Äbtissin über ihre individuelle Frömmigkeits- und Glaubenspraxis. Vgl. SCHURMAN, ΕΥΚΛΗΡΙΑ seu melioris parti selection; hier in der dt. Übersetzung herangezogen: ΕΥΚΛΗΡΙΑ oder Erwählung des besten Theils, S. 251f.

4.2. Regieren

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brächten. Darüber hinaus versprach sie sich von dem Zuwachs einen Gewinn für ihre kleine reformierte Gemeinde inmitten der lutherischen Stadt und die Neubesiedelung ihrer entvölkerten Freiheit mit fleißigen sowie ergebenen Untertanen.21 Mit diesen Plänen stieß Elisabeth von der Pfalz jedoch auf den Widerstand von Bürgermeister und Rat der umliegenden Stadt. Sie protestieren gegen die Aufnahme Labadies und seiner Anhänger unter Berufung auf den Westfälischen Frieden, der jedem Reichsstand den Schutz von Quäkern und Widertäufern verbot,22 und zeigten sich dabei besorgt um die städtische Ordnung, indem sie auf die Nachteile für das städtische Handwerk, die Gefahren unsittlichen Verhaltens und die Verkehrung der Geschlechterrollen aufmerksam machten.23 Bürgermeister und Rat stützten ihren Protest durch zahlreiche Berichte über separatistisches Treiben Labadies und seiner Anhänger, die sie zuvor an verschiedenen Orten wie Wesel, Amsterdam und Kassel eingeholt hatten.24 Dieser zunächst schriftlich vorgetragene Widerstand schlug sich bald in Blockaden und gewaltsamen Übergriffen nieder.25 Schließlich erhoben Bürgermeister und ____________ 21 22

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Vgl. RÜGGE, Elisabeth und die Stadt Herford, S. 132. Undatiertes Protestschreiben des Herforder Bürgermeisters und Stadtrates gegenüber dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 150, fol. 4r-v; Protestschreiben derselben gegenüber der Äbtissin (18. Juni 1771): Herford KA Nr. A 10.58. Schon bald nach Ankunft der Gemeinde um Labadie wurden Gerüchte über unzüchtiges Verhalten innerhalb der Gruppe laut. Elisabeth ließ in diesem Zusammenhang sowohl den Superintendenten in Bielefeld, der die Gerüchte verbreitet hatte, und einen Mann namens Engelbrecht, auf dessen Bericht die Gerüchten zurückgingen, befragen. Beide revidierten ihre Aussagen zwar nicht, verstrickten sich aber in Widersprüche. Vgl. Berichte des beauftragten Notars über die Befragungen (26. Nov. 1670): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 417. Vgl. auch GUHRAUER, Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein, 2. Abt., S. 488. Undatiertes Anschreiben der Stadtverantwortlichen an verschiedene Gemeinden mit der Bitte um Nachricht über Jean de Labadie und seine Anhänger sowie verschiedene Antworten der Stadt Wesel (19. Nov. 1670), der reformierten Prediger der Stadt Amsterdam (19. Dez. 1670), des Statthalters von Kleve und Minden Prinz Johann Moritz von Nassau-Siegen (7. Jan. 1671), des Superintendenten, des Dekans und sämlicher Prediger des geistlichen Ministeriums der Landgrafschaft Hessen-Kassel (18. Jan. 1671) und der Stadt Amsterdam (21. Nov. 1671), die durchweg vor Labadie bzw. anderen separatistischen Glaubensgruppen warnten: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 417, Kopien als Beilage zur Protestschrift (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 150. Die Krämer und Handwerker wurden angewiesen, den Neuankömmlingen keine Waren zu verkaufen, man versperrte die Stadttore, um nachfolgenden Anhängern den Zutritt zu verwehren, es kam zu Angriffen aus der Bürgerschaft auf Mitglieder der Religionsge-

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Stadtrat Klage am Reichskammergericht.26 Dort reagierte man ähnlich sensibel auf separatistische Glaubensgruppen und verhängte wenig später ein kaiserliches Mandat,27 das die Äbtissin zu einer Geldstrafe von 30 Mark löttigen Goldes verurteilt und sie gemeinsam mit Labadie und seinen Anhängern vor das Gericht zitierte. Auf dem engen Raum von Stift und Stadt Herford, die nicht einmal durch eine Mauer getrennt waren, sondern vielmehr noch durch die Überschneidung von städtischer und kirchlicher Gemeinde aufs engste miteinander verbunden waren, trat die Äbtissin mit Bürgermeister und Rat in Konkurrenz, wenn ihre obrigkeitlichen Entscheidungen ebenso Konsequenzen für die Stadt hatten. Äbtissin und Stift waren aufgrund des kaum nennenswerten Stiftsterritoriums auf die Stadt als Handels- und Umschlagsplatz angewiesen. Zudem hatten sie den Blockademaßnahmen und Übergriffen nichts entgegenzusetzen. Elisabeth von der Pfalz setzte daher auf eine zweigleisige Strategie, indem sie zum einen die Unterstützung ihres Vetters Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg als territorialem Nachbarn und Landesherrn der Stadt Herford suchte,28 um notfalls mit seiner Hilfe den Widerstand der Stadtverantwortlichen zu brechen und den Schutz der Glaubensflüchtlinge zu gewährleisten. Zum anderen bemühte sie sich um Akzeptanz bei Bürgermeister und Rat. Hierzu griff sie einerseits auf theolo____________

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meinschaft, darunter auch Anna Maria van Schurmann. Vgl. Resolution des Kurfürsten Friedrich Wilhelm an Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Herford (8. Nov. 1670), mit welcher er ihnen die Ansetzung einer Untersuchungskommission anzeigte und gleichzeitig befahl, bis zu deren Abschluss auf Attentate zu verzichten: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 417; Elisabeth von der Pfalz an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (21. Nov. 1671): Original in Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 73a, hier zitiert nach HAUCK, Die Briefe der Kinder des Winterkönigs, S. 227. Guhrauer spricht in seinen Ausführungen von einem Schreiben der Stadt an den Kurfürsten, in dem sie ihr Vorhaben andeuteten: „Denn nachdem er [der Stadtrat, Anm. d. Verf.] wiederholt, daß die Stadt durch die Labadistengemeinde ‚von Tag zu Tag mehr Schaden leide, durch die zugezogene Handwerker alles vertheuert, die Bürgerschaft von der Freiheit verstoßen, den Bürgern die Nahrung entzogen werde‘, bemerkt er, der Kurfürst möge es ihm nicht verübeln, daß, da die Aebtissin sich auf ihre Reichsumittelbarkeit berufe, sie sich dagegen ihres Rechts gehörigen Orts und competenter bedienen werden.“ Vgl. GUHRAUER, Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein, 2. Abt., S. 503. Kaiserliches Mandat (30. Okt. 1671): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 417. Elisabeth von der Pfalz an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (21. Aug. 1670): Original in Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 73a, hier zitiert nach HAUCK, Die Briefe der Kinder des Winterkönigs, S. 215f.

4.2. Regieren

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gische Argumente zurück, indem sie die Übereinstimmung der Lehre Labadies mit den Beschlüssen der Synode von Dordrecht, der Institutionibus Calvini und dem Heidelberger Katechismus betonte.29 Darüber hinaus verglich sie die Lebensweise der Gemeinschaft, die einen hohen Frauenanteil aufwies, mit dem Adeligen Jungfrauenstift auf dem Berge: Euer Liebenden [Kurfürst Friedrich Wilhelm, Anm. d. Verf.] werden zwyffelsohn schon wissen, wie die gelehrte junfer Schurman mit etlige hollandische und selendische jungfren zu Amsterdam gleichsam ein kloster anfangen wollen, weil sie aber zwey prediger by sich haben, die von den hollandischen classen gehasset seint, derhalben vierley lasterungen unterworffen, […] wollten sich gern unter mihr begeben, auff meiner fryheit ein hauss bauen und gleich dem atligen stifft auff dem berg von mihr als ihrer abdissinen dependiren.30

Damit erklärte die Äbtissin gleichzeitig ihre Absicht, die Gemeinde Labadies in die institutionelle Hierarchie des Stifts einzugliedern. Andererseits setze die Äbtissin auf herrschaftsrechtliche Argumente und betonte ihr bischöfliches Recht und ihre landesherrliche Autorität, auf Grundlage derer sie der Gemeinde Asyl in ihrem Stiftsterritorium gewährte.31 Zwar habe ihre Vorgängerin das jus superioritatis oder hohes Obrigkeitliches Recht über die Stadt mit der Cession an den Herzog Wilhelm von Jülich abgetreten, sich Ihren statum immedietatis, freyheit, dignitäten, privilegia auch guten Zinßen, Renthen, ferner Ihre Lehne und Pfacht auch andere Erbgütern in und außer der Stadt Herforden sowie ihre geistlichen und weltlichen Jurisdiktionsrechte auf der Freiheit, in den Kirchen, den freien Höfen in der Stadt und dem Mühlengericht aber vorbehalten.32 Mag die primäre Intention zur Aufnahme der Labadisten das Zusammenspiel von persönlicher Sympathie gegenüber Anna Maria van Schurman und politischen sowie konfessionellen Vorteilen gewesen sein, so fußte deren vehemente Verteidigung im weiteren Verlauf schließlich auf der ____________ 29

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Elisabeth von der Pfalz an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg ([Okt.] 1670), zitiert nach GUHRAUER, Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein, 2. Abt., S. 464f. Ebd. Vgl. hierzu den Bericht Paul Hachenbergs, der als Hofmeister des Kurprinzen Karl nach Herford kam und dort mit Labadie und seiner Gönnerin zusammentraf: Als man sie [die Äbtissin, Anm. d. Verf.] fragte, mit welcher Autorität und auf welcher Obrigkeit Befehl dieser ehrgeizigste aller Menschen eine neue Kirche bildete, versicherte sie: - sie sei es, welche diesen Mann sammt der übrigen himmlischen und göttlichen Schaar aus Holland hergerufen, daß sie bischöfliche Rechte besitze, wonach sie solche Vereinigung gestatten und wieder aufheben könne: Pauli Hachenbergii epistola de Jo. Labadio, Osnaburgii 31. Maj 1671, in: Bibliotheca Bremensis, Classis VIII, S. 1056-1065, hier zitiert nach GUHRAUER, Elisabeth, Pfalzgräfin bei Rhein, S. 481. Protestschrift der Äbtissin Elisabeth von der Pfalz gegenüber der Stadt Herford (26. Juni 1671): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 150, fol. 5r-7r.

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Demonstration der Reichsunmittelbarkeit und der landesherrlichen Gewalt über das Stiftsterritorium. Dabei stieß Elisabeth von der Pfalz jedoch an die Grenzen ihrer Durchsetzungskraft. Während die Stadtverantwortlichen erfolgreich Widerstand gegen die Aufnahme Labadies übten und dabei durch das Urteil des Reichskammergerichtes unterstützt wurden, fand die Äbtissin weder einen Konsens mit Bürgermeister und Rat noch die Unterstützung ihres Vetters. Labadie und seine Anhänger reisten schließlich weiter nach Altona, das als tolerante Zufluchtsstätte religiöser Flüchtlinge galt,33 um dem herannahenden französisch-niederländischen Krieg und den damit zu befürchtenden Unruhen zu entgehen.34

Die Äbtissin säkularisiert Ähnlich umstritten wie die Aufnahme Labadies und seiner Anhänger auf der Herforder Stiftsfreiheit war ein Vorhaben der letzten Essener Äbtissin. Maria Kunigunde von Sachsen ordnete Anfang des Jahres 1786 auf Grundlage ihrer quasi-bischöflichen sowie landesherrlichen Stellung an, den Beginenkonvent auf dem Neuen Hagen aufzulösen und dessen Güter der in Essen ansässigen Kongregation de Notre Dame zur Verbesserung und Aufrechterhaltung des Schulwesens und, dem zur Erziehung der Jugend weiblichen Geschlechts, und somit auch zur Emporbringung des Pensionats in der Congregation zu inkorporieren.35 Diese Maßnahme stand im Zusammenhang mit den aufklärerischen Tendenzen im Essener Stift unter der Regierung Maria Kunigundes, mit denen sie anderen geistlichen Fürsten, vor allem ihrem Bruder, dem Kurfürsten von Trier, nacheiferte.36 Sie minimierte nicht nur die Anzahl der katho____________ 33 34

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Vgl. SPANG, Leben und Werk der Anna Maria van Schurman, S. 199f. Vgl. SCHURMAN, ΕΥΚΛΗΡΙΑ seu melioris parti selection, S. 183. In der deutschen Übersetzung von 1783, S. 257f.: Die Ruhe dieser Gegend und also auch unsere Ruhe wurde durch die Kriegsgerüchte gestört, die von Tag zu Tag so überhandnahmen, dass sie bald eine deutliche Warnung für uns wurden, auf unseren Abzug von hier ernstlich bedacht zu sein. Da wir nun schon lange vergebens auf die Rückkehr der Prinzessin von jenem Hofe [in Berlin, Anm. d. Verf.] gewartet hatten und wir uns jetzt nicht mehr die geringste Hoffnung machen konnten, […] meldeten wir in einem gemeinschaftlichen Schreiben der Prinzessin unseren Entschluss, dankten ihr für den uns während unseres dortigen Aufenthalts erwiesenen Schutz, erläuterten ihr die Gründe für unsere Abreise und sagten ihr und wenig später auch ganz Westfalen Lebewohl. Geheime Instruktion der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen für die mit der Verkündigung der Auflösung des Beginenkonventes beauftragten Stiftsbeamten (11. Jan. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 283, fol. 15r-24r. Vgl. zu aufklärerischem Gedankengut in geistlichen Territorien FREITAG, Handlungsfelder katholischer Aufklärung; HERRSCHE, Muße und Verschwendung, S. 968978; KLUETING (Hg.), Katholische Aufklärung; SCHINDLING, Die katholische Aufklärung

4.2. Regieren

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lischen Feiertage,37 sondern engagierte sich zudem nachdrücklich für die Reform des Schulwesens im Stift. Kern der Reformen war die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen.38 Hierzu ließ sie das Landschulwesen reformieren, führte das Österreichische Trivialschulbuch ein und ließ neue Schulen einrichten sowie bereits bestehende Schulen besser ausstatten,39 unter anderem eine höhere Mädchenschule. Dabei handelte es sich um die bereits seit 1652 eingerichtete Schule der Augustiner Chorfrauen der Congregatio Beatae Mariae Virginis (B.M.V.) oder auch Kongregation de NotreDame genannt, eben die Gemeinschaft, die von der Aufhebung des Beginenkonventes profitieren sollte.40 Als Aufsichtsorgan schuf sie eine eigene Schulkommission, welche die Lehrer anstellen, prüfen und deren Weiterbildung fördern sowie die Schulen inspizieren sollte.41 Mit der Aufhebung vermeintlich für das Gemeinwohl unnützer geistlicher Einrichtungen zu Gunsten nützlicher Bildungseinrichtungen befand sich Maria Kunigunde auf der Höhe des Zeitgeistes. Vor allem Kaiser Joseph II. hat die von ihm veranlasste Welle an Klosteraufhebungen in den Erblanden auf dieser Grundlage gerechtfertigt.42 Im Fall des Beginenkonventes war die Rechtslage jedoch alles andere als eindeutig, da Status, Funktion und obrigkeitliche Zuständigkeit unklar waren.43 Sowohl Äbtissin als auch Bürgermeister und Stadtrat beanspruchten die Oberhoheit über den Konvent. Während die Stadtverantwortlichen ____________ 37 38

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in der deutschen Geschichte. Zur Aufklärung allgemein vgl. STOLLBERG-RILINGER, Europa im Jahrhundert der Aufklärung. S. o. Kap. Gehen hinter dem Sakrament. Fürstliches Dekret an die Essener Pfarrer, die zweimal wöchentlich die Anwesenheit der schulpflichtigen Jungen und Mädchen in den Landschulen prüfen sollten (25. Aug. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 609. Fürstliches Dekret zur Einführung des österreichischen Trivialschulbuches im Stift Essen (2. Jan. 1785): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 609. Vgl. hierzu KÜPPERS-BRAUN, Frauentestamente, S. 42 f. Die Problematik der Stiftung, wie sie Küppers-Braun hier thematisiert, bleibt bewusst unhinterfragt, da sie in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung ist. Zum Zeitpunkt der geplanten Aufhebung des Neuen Hagens scheint die Mädchenschule in Betrieb gewesen zu sein. Vgl. Akten der Essener Fürstlichen Schulkommission aus den Jahren 1786-1790: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 609, 610. Vgl. u.a. HERRSCHE, Muße und Verschwendung, S. 995f.; STRÖBELE, Zwischen Kloster und Welt. Vgl. DEIBL, Die Auflösung des Beginenkonventes. In diesem Zusammenhang werden lediglich die Grundzüge des Vorhabens skizziert, nach der Rolle und den Interessen des königlich-preußischen Schutzherrn sowie nach der Bedeutung der Vorgänge für die Beurteilung der Herrschaft der Äbtissin gefragt.

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dabei den weltlichen Charakter und die Gemeinnützigkeit des Konventes in der Krankenpflege sowie im Schulwesen betonten,44 berief sich das Aufhebungspatent der Äbtissin auf die Nutzlosigkeit der Gemeinschaft. Über den Status als geistliche oder weltliche Einrichtung wurden auf Seiten der Äbtissin hingegen unterschiedliche Behauptungen aufgestellt. Um ihr Vorhaben dennoch auf sichere Beine zu stellen, ergriffen die Äbtissin und ihre Regierungsvertreter verschiedene Vorsichtsmaßnahmen, um die Aufhebung des Beginenkonventes zu legitimieren und ohne viel Aufsehens zu bewerkstelligen. Bereits im Vorfeld ersuchten sie um die Erlaubnis des Kaisers und des Papstes.45 Da sowohl der Status als geistliche ebenso wie als weltliche Einrichtung dem Vorhaben Hindernisse in den Weg legte, waren sie bemüht, den Status der Gemeinschaft zu verschleiern, indem sie das eine Mal den geistlichen Charakter,46 ein anderes Mal den Status als weltliche Stiftung betonten.47 Denn der Aufhebung einer geistlichen Stiftung mit Ordensregel hätte sich wohl der Papst widersetzt, auf weltliche Einrichtungen innerhalb der Stadt verwehrten Bürgermeister und Rat der Äbtissin aufgrund ihrer Selbstverwaltungsrechte jedoch jeglichen Zugriff. Daher schwankten die Aussagen der Äbtissin und ihrer Regierungsvertreter zum Status des Konventes. Vielmehr versuchte man bewusst eine Zwitterstellung der Einrichtung zu suggerieren – nicht weltliche Stiftung, aber auch nicht Kloster, um einerseits die Zuständigkeit der Fürstin als geistliche Obrigkeit, andererseits die Aufhebung des Konventes zu rechtfertigen. Schließlich setzten Äbtissin und Stiftsräte alles daran, das Vorhaben in aller Stille und ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, vor allem ohne Kenntnis des Essener Stadtrates zu ____________ 44

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Erklärung des Magistrats der Stadt Essen auf das Pro Memoria der Frau Fürstin Aebtissin zu Essen […] die Aufhebung der Gesellschaft der Schwestern im neuen Hagen betreffend (o.D. [1687]): Essen StA Rep. 100 Ratsarchiv Nr. 2307, fol. 1r-74v, hier 71r; Geschichte der Entstehung und Auflösung des Neuen Hagens: Essen StA Rep. 100 Ratsarchiv Nr. 2308. Vgl. DEIBL, Die Auflösung des Beginenkonvents, S. 67f. Bitte der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen um die kaiserliche Konfirmation ihrer Pläne zur Aufhebung des Beginenkonventes (1. Okt. 1785), Kaiserliches Konfirmation (10. Dez. 1785): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei, Kleinere Reichsstände Nr. 97; Päpstliches Breve zur Aufhebung (Nov. 1785): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 283, fol. 2r-4v. Pro Memoria, ursprünglich an den preußischen König Friedrich II. überschickt (o.D.): Wien ÖHStA HHStA Gesandtschaftsarchiv Berlin Nr. 23. Darin wird der Beginenkonvent ausdrücklich als Kloster bezeichnet. Pro Memoria des Essener Reichshofratsagenten (30. Okt. 1785): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei, Kleinere Reichsstände, K. 97.

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vollziehen.48 Zwei Kanzleibeamte begaben sich daher ohne vorherige Ankündigung in der Dämmerung zwischen 4 und 5 Uhr in den Konvent und unterrichteten die Konventualinnen über die Aufhebung ihrer Gemeinschaft. Sie sparten dabei laut Aussage eines später im Auftrag des Stadtrates verfassten Notariatsprotokolls nicht mit Drohungen gegenüber den Konventualinnen und zwangen sie nicht nur, ihr Einverständnis zur Aufhebung zu geben, sondern auch ihre Briefschaften auszuliefern. Schließlich verboten sie den Frauen innerhalb dreier Tage aus dem Hause [zu] gehen und sich auf der Straße sehen [zu] lassen, um die Kontaktaufnahme mit dem Stadtrat zu verhindern.49 Um eine reibungslose Übertragung der Einkünfte des Konventes auf dem Neuen Hagen zu gewährleisten, hatte die Äbtissin zudem den preußischen König über ihren Entschluss benachrichtigt, damit die Einkünfte des Beginenkonventes, die aus der Grafschaft Mark stammten, von nun an der Kongregation de Notre Dame gutgeschrieben wurden.50 Damit blieb das Vorhaben jedoch nicht länger geheim. Denn das Kabinett in Berlin schaltete die ortsansässige Regierung in Kleve ein, um Informationen über den Vorgang bei der Stiftskanzlei, dem Stadtmagistrat und dem Bürgermeister über die Frage einzuholen, ob die Äbtissin eigenmächtig oder aber mit dem Konsens von Stift und Stadt gehandelt habe.51 In der Stadt formierte sich daraufhin Widerstand gegen die Aufhebung des Konventes. Nach mündlichem Protest gegenüber dem Kanzleipersonal verhinderten Stadtwachen den Fortgang der Bestandsaufnahme sowie die Beschlagnahmung des Konventsbesitzes.52 Des Weiteren eröffneten Bürgermeister und Stadtrat Klage am Reichskammergericht gegen die Auflösung des Beginenkonventes und wandten sich hilfesuchend über die Regierung zu Kleve an den preußischen ____________ 48

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Geheime Instruktion der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen für die mit der Verkündigung der Auflösung beauftragten Stiftsbeamten (11. Jan. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 283, fol. 15r-24r. Ebd.; Kaiserliches Notariatsprotokoll im Auftrag von Bürgermeister und Stadtrat angefertigt (18. Jan. 1786), zitiert nach Heidemann, Die Beginenconvente Essen, S. 68. Dieses Protokoll lässt sich in der Überlieferung des Essener Rates im Stadtarchiv Essen nicht mehr finden. Maria Kunigunde an Friedrich II. (31. Okt. 1785): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 942. Berliner Kabinettsorder an die Regierung zu Kleve (26. Jan. 1786): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Nr. 1687. Da die städtischen Akten zu diesem Vorgang sich nicht mehr im städtischen Archiv befinden, ist man auf die Ausführungen von Heidemann angewiesen, der sich auf scheinbar mittlerweile verschollene Akten des Ratsarchives beruft. Vgl. Heidemann, Die Beginnenconvente Essens, S. 68f.

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König.53 Ihnen ging es sowohl um die Wahrung des Konventes, der wichtige karitative Funktionen für die Stadtgemeinde übernahm, als auch um die Verneinung jeglicher obrigkeitlicher Herrschaftsansprüche der Äbtissin im Bezirk der Stadt. Das angestrengte Verfahren am Reichskammergericht wurde zwar abgewiesen, die Stadtverantwortlichen fanden aber nachdrückliche Unterstützung beim preußischen König und dessen Regierungsvertretern zu Kleve. Friedrich II. und dann sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. nutzten den Konflikt um die Auflösung des Beginenkonventes, um sich erneut als Beschützer der Stadt sowie Vermittler zwischen Stift und Stadt hervorzutun. Die Schutzfunktion für die bedrängte Stadt und Vermittlung im Konflikt bildeten zwei der wenigen Möglichkeiten, die dem Schutzherrn offen standen, um Einfluss auf die Belange des Stifts auszuüben und seine schutzherrliche Stellung auszubauen. Daher bestand der preußische König auch jetzt mit Nachdruck auf seine Vermittlung zwischen den Parteien. Friedrich Wilhelm II. erklärte gar, dass weder das Stift noch die Stadt dieselbe [die Vermittlung, Anm. d. Verf.] willkürlich ablehnen, oder die Ausübung Meiner schutzherrlichen Gerechtsame verbitten, oder sich derselben entziehen könne.54 Dem Vermittlungsangebot des Königs begegneten Maria Kunigunde und ihre Berater mit Misstrauen, weil sie befürchteten, dass sich Seine Majestät von den Vorstellungen der Stadt [habe] einnehmen lassen und man fürstlicher Seits [auf wenig] annehmliche Vergleichsvorschläge hoffen [könne].55 Darüber hinaus vermuteten sie dahinter lediglich den Versuch, die Verfolgung des Rechtsstreits aufzuhalten.56 Die Äbtissin lehnte das Vermittlungsangebot daher ab. Stattdessen betonten sie und ihre Räte die Legitimität des Vorhabens auf Grundlage ihrer landesherrlichen Hoheit über den Konvent: Denn Ihro Königl. Hoheit erkennen im Hochstifft keine fremde Jurisdiction, und haben nach dem unveränderlichen Herkommen zu Aufheb= und Vereinigung des Klosters zum Neuen Hagen, gleichwie man mehrere diesfällige beispiele unter der Regierung der vorigen

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Suppliken der Stadt Essen an den preußischen König (17. Febr. u. 17. März 1786): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1687, fol. 24r-45v, 105r-111v. Friedrich Wilhelm II. an Maria Kunigunde von Sachsen (20. Nov. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 942, fol. 24r-26r. Pro Memoria der Essener Regierung (4. Jan. 1787): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 942, fol. 35r-36v. Kommentar im Regierungsprotokoll zum Anschreiben der Klever Regierung vom 15. Dez. 1786 [Jan. 1787]: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 688, fol. 59r60r.

4.2. Regieren

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Frauen Fürstinnen vor sich hat, keine stifftische oder städtische Einwilligung, oder das Vorwissen was immer für einen Nachbaren notwendig. 57

Damit wiesen sie auch den preußischen König in seine Schranken. Erst als sich der Reichshofratsagent des Stifts dafür aussprach, das Angebot des preußischen Königs anzunehmen, um eine thätliche Einmischung von Seiten des Königs in Preusen, wie zu anderen Zeiten bereits geschehen, sowie ein vermutlich langwieriges Verfahren zu vermeiden, stimmte die Äbtissin schließlich doch noch der Vermittlung zu.58 Das Resultat der preußischen Vermittlung, die sich über Jahre ergebnislos hinzog, war die Beibehaltung des Beginenkonventes. Den Konventualinnen, Bürgermeister und Stadtrat gelang es durch ihren Widerstand sowie die Einschaltung des preußischen Schutzherrn, dass die Äbtissin ihren Entschluss zur Aufhebung des Konventes revidierte. 1796 erlaubte sie den Beginen, ihre Lehrtätigkeit im niederen Schulwesen wieder aufzunehmen.59 Schlussendlich blieb der Konvent noch bis 1839 bestehen und wurde erst dann unter preußischer Federführung aufgelöst.60 Die vorgestellten Fallbeispiele obrigkeitlicher Entscheidungen, deren Zustandekommen und Wirkung hat deutlich gemacht, wie stark das Regierungshandeln der Äbtissinnen durch die Konkurrenz mit weiteren lokalen Herrschaftsträgern wie Bürgermeister und Rat der umliegenden Stadt sowie der Einflussnahme durch Dritte wie dem Schutzherrn bedingt wurde. Entscheidungen, welche die Interessen anderer Akteure tangierten, waren ohne deren Konsens kaum umzusetzen. Stattdessen zwang das „gesellschaftliche Mit- und Gegeneinander“ die verschiedenen Akteure dazu,61 Akzeptanz zu suchen, einen Kompromiss zu finden, die Entscheidung in ____________ 57

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Stiftsregierung an die Regierung zu Kleve (19. April 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 942, fol. 12r-15r. Pro Memoria von Seiten der Äbtissin, wie das Vermittlungsgeschäft eingerichtet werden soll (praes. 18. März 1787): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1687, fol. 215r-216v. Vgl. DEIBL, Die Auflösung des Beginenkonventes, S. 108f. Nachdem in Essen eine neue Mädchenschule eingerichtet wurde, verloren die Beginen ihr Hauptbetätigungsfeld. Da sie nicht in der Krankenpflege tätig werden wollten und auch keine andere Aufgabe zum Besten des Gemeinwohls nennen konnten, schlugen sie selbst die Auflösung des Konvents vor unter der Bedingung, dass ihnen lebenslange Pensionen gezahlt würden. Das Vermögen des Konventes sollte in das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern einfließen. Protokoll der Verhandlungen zwischen den Konventsmitgliedern und der preußischen Regierung (19. Okt. 1838) sowie Auflösungsvertrag (5. Sept. 1739): Essen MA D Klöster Nr. 447, fol. 3r-4r, Nr. 448. LANDWEHR, „Normdurchsetzung“ in der Frühen Neuzeit, S. 151.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

der Schwebe zu halten, zu revidieren oder zu modifizieren. Dabei unterschied sich die Stiftsherrschaft der Äbtissinnen wenig von der Herrschaft anderer Territorialherrn, wie verschiedene Arbeiten zur Normdurchsetzung in anderen Territorien gezeigt haben.62 Anders als beispielsweise dem brandenburgisch-preußischen König in der Stadt Herford gelang es ihnen jedoch nicht, die städtischen Eliten in die Regierungspraxis als intermediäre Gewalten einzuspannen und auf diese Weise potentiellen Widerstand auszuschalten. Auch fehlte es den Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg an Finanzmitteln, um Projekte wie die Stiftung eines Waisenhauses oder den Ausbau des Straßennetzes voranzutreiben, wie es die beiden letzten Essener Äbtissinnen aus ihren Privateinkünften bestritten und dadurch unabhängig von der Mittelbewilligung durch Kapitel und Landstände waren. Den Äbtissinnen aller drei Stifte mangelte es darüber hinaus nicht zuletzt an effektiven Exekutions- und Durchsetzungsmöglichkeiten, die anderen Territorialherren in Form ziviler und militärischer Machtmittel zur Verfügung standen. Schließlich bot der mindermächtige Status der Äbtissinnen Dritten die Gelegenheit, sich einzuschalten und eigene Interessen zu verfolgen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Überlieferung von Stiftskanzlei oder -regierung durchaus das Bild eines funktionierenden Regierungsgeschäftes in alltäglichen Belangen zeichnet, das sowohl zahllose Gebote und Verbote in den Stiften als auch Reformen wie die Schulreform Maria Kunigundes von Sachsen in Essen im ausgehenden 18. Jahrhundert oder die Neugestaltung des Quedlinburger Gesangbuches unter der letzten Äbtissin Sophie Albertine von Schweden oder die Wiederaufnahme des Herforder Münzregals durch Charlotte Sophie von Kurland Ende des 17. Jahrhunderts hervorgebracht hat.63 Deren Akzeptanz durch die Untertanen und weiteren lokalen Gewalten muss jedoch im Einzelfall eigens untersucht werden, wie es hier für die schließlich gescheiterten Maßnahmen zur Aufnahme der Labadisten in Herford und die Aufhebung des Beginenkonventes auf dem neuen Hagen getan wurde, um festzustellen, dass das Regierungshandeln der Äbtissinnen immer dann an seine Grenzen stieß, wenn es zur Überschneidung divergierender Interessen innerhalb des Geflechtes der Lokalgewalten kam. ____________ 62

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Vgl. RUBLAK, Frühneuzeitliche Staatlichkeit; SCHLUMBOM, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden; BRAKENSIEK, Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Zur Schulreform Maria Kunigundes von Sachsen im Stift Essen vgl. die Akten der neueingerichteten Schulkommission: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 609, 610; Gesangbuch für den öffentlichen Gottesdienst im Stifte Quedlinburg, 1788. Zum Herforder Münzregal vgl. HEESE, Münzrecht als Hoheitsrecht.

4.2. Regieren

303

Räte, Sekretäre, Archivare Es waren dieses Männer Sachen, welche von Dames nicht genugsam penetrirt werden könten, wannenhero wir alß studirte leuthe der Sachen Wichtigkeit und die consequentien beßer erwegen und dasjenige rathen möchten, was des Stiffts wahres interesse erforderte, und zu deßen conservation gereichete.64

Diese Aussage des Grafen Damian Hugo Philipp von Schönborn, der als kaiserlicher Gesandter 1710 die Wahl einer neuen Quedlinburger Äbtissin beaufsichtigen sollte und damit die Stiftsräte für sich einzunehmen suchte, lenkt den Blick der Untersuchung auf den Ort und die Akteure des Regierungshandelns im Stift. Zwar war hier bisher häufig namentlich allein von der einen oder anderen Äbtissin die Rede. Dahinter verbarg sich aber nicht eine Einzelperson, wenn auch die namentliche Nennung dies suggeriert, sondern immer ein Handlungskollektiv, bestehend aus der Äbtissin, ihren weltlichen und geistlichen Ratgebern und Regierungsvertretern. Im Zuge der bereits seit dem Spätmittelalter einsetzenden Herrschaftsverdichtung und dem damit einhergehenden Verwaltungsausbau begannen zuerst die weltlichen Fürsten, Berater mit gelehrten Kompetenzen anzustellen.65 Daraus entwickelte sich ein neuer „Gelehrtentypus“ in der Form des bürgerlichen gelehrten Rates.66 „Dieser war in der Regel an einer Universität graduiert worden und mit juristischer oder theologischer Expertise ausgestattet.“67 Die Abhängigkeit der Herrschaftsträger von gelehrten Kompetenzen nahm angesichts einer zunehmenden Verschriftlichung und Verrechtlichung von Herrschaft seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert sowie der Expansion der Territorialverwaltung und Etablierung neuer Verwaltungszweige wie dem Policeywesen noch zu.68 Diese Entwicklung machte ebenso vor den kaiserlich frei-weltlichen Stiften nicht halt, auch wenn hier die Anstellung gelehrter Räte zeitlich verzögert erst zum Ende des 16. Jahrhunderts und dann vor allem seit dem 17. Jahrhundert geschah. Zuvor ____________ 64

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Kurtze Relation was Meines behalts bey dem itzigen Wahl-Negotio vorgangen mense Septembris 1710 (o.D.): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 155r-162r. Vgl. SCHUBERT, Fürstliche Herrschaft, S. 28f.; HAMMERSTEIN, Universitäten – Territorialstaaten – Gelehrte Räte. FÜSSEL, Vormoderne Politikberatung?, S. 222. Vgl. WIELAND, Gelehrte Räte; BOCKMANN, Zur Mentalität spätmittelalterlicher Gelehrter Räte; LIEBERICH, Die gelehrten Räte. FÜSSEL, Vormoderne Politikberatung?, S. 222. Vgl. HAMMERSTEIN, Universitäten – Territorialstaaten – Gelehrte Räte, S. 287f.; STOLLEIS, Grundzüge der Beamtenethik, S. 200-202.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

fungierten wohl vor allem Geistliche und Adelige ohne juristische Ausbildung als Ratgeber der Äbtissinnen. Im Fokus der folgenden Überlegungen stehen die unterschiedlichen Ausformungen stiftischer Verwaltung sowie deren Entwicklung. Ein Schwerpunkt liegt auf den darin tätigen Beamten, insbesondere den juristisch geschulten Räten. Darüber hinaus werden auch andere Ratgeber aus dem Umfeld der Äbtissinnen mit einbezogen. Dabei begegnen unterschiedliche Typen von Ratgebern, die exemplarisch vorgestellt werden, um die Dynamiken der Beratungssituationen aufzuzeigen. Schließlich werden konkrete Aufgaben und deren Durchführung in den Blick genommen. Auf diese Weise werden die Verwaltungsabläufe, Entscheidungsprozesse und Entscheidungsträger rekonstruiert, die sonst hinter Befehlen, Gesetzen und Anordnungen verdeckt bleiben. Die Herangehensweise verspricht Aufschluss in der Frage, welchen Anteil Kanzlei und Ratgeber ebenso wie die Äbtissin am Zustandekommen der jeweiligen Entscheidungen hatten. Im Stift Quedlinburg etablierte sich erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts eine sich zunehmend professionalisierende Administration, die Anfang des 18. Jahrhunderts drei Räte,69 zwei bis drei Sekretäre, einen Archivar, verschiedene Schreiber sowie weitere Beamte in Stadt- und Amtsgericht, Konsistorium und Schösserei (später Kammer) umfasste, wobei einzelne Beamte vielfach auch mehrere Funktionen wahrnahmen.70 Im Kontext der „Politikberatung“ interessieren hier vor allem die gehobenen Beamten als Räte und Sekretäre.71 Im 17. und 18. Jahrhundert wurden als Kanzleiräte zumeist graduierte Absolventen der benachbarten juristischen Fakultäten von Helmstedt, Leipzig und Jena angestellt.72 Seit Beginn des 18. Jahrhunderts gelang es jedoch auch immer wieder Sekretären ohne juristische Graduierung, sich bis zum Rat hochzuarbeiten. Sie stammten in der Regel aus Quedlinburg oder der näheren Umgebung. Nicht selten diente ihnen das Amt des Archivars als Karrieresprungbrett.73 Die dort gesammelten Informationen konnten sie wiederum als Räte zur Verteidigung der Landesobrigkeit des Stifts nutzen. Eine solche Karriere machte beispielsweise Johann Christian Madelung. 1698 als Sohn eines Pfarrers in Warza bei Gotha geboren, studierte er einige Zeit Jura an der Universität Jena, ohne jedoch eine Graduierung zu ____________ 69 70 71 72 73

Mitunter finden sich auch andere Bezeichnungen wie Kanzleidirektor oder Kanzler. Vgl. SCHOLZ, Die Verwaltung des Stifts Quedlinburg. Vgl. hierzu FÜSSEL, Vormoderne Politikberatung? Vgl. STOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 218. Vgl. ebd., S. 218.

4.2. Regieren

305

erlangen.74 1726 begann seine Laufbahn in der Quedlinburger Stiftsverwaltung als Geheimer Kanzlist und Pagenhofmeister.75 Fünf Jahre später wurde er als Stiftsarchivar angestellt. Wenig später gelang ihm 1733 binnen weniger Monate erst der Aufstieg zum Hofsekretär und dann Geheimen Sekretär. Es folgte 1735 die Bestellung zum Kanzleiassessor und schließlich 1739 zum Hofrat. Als solcher fungierte er als Chefunterhändler der Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf in den Verhandlungen um die Wahl einer preußischen Coadjutorin. In den Verhandlungen bestand er unbeirrbar auf die vollständige Restitution des Stifts. Obwohl diese Maximalforderung praktisch nicht durchzusetzen war, gelang es ihm, die Beteiligung der Äbtissin an der Akzise einzufordern und die erbliche Nachfolge des Hauses Brandenburg-Preußen an der Spitze des Stifts zu verhindern.76 Im Stift Herford bildeten sich nur ganz rudimentäre Verwaltungsstrukturen aus. Deutliches Zeugnis hierfür ist nicht zuletzt die noch heute greifbare Ordnung des Schriftgutes, das nicht wie in Quedlinburg und Essen in große Folianten gebunden, sondern größtenteils als lose Blattsammlungen aufbewahrt wird.77 Die Kanzlei war seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer mit mehreren Räten sowie weiteren Kanzleibeamten wie Sekretären, Kanzlisten, Kanzleiassessoren und Kanzleipedellen besetzt, wobei diese Ämter nicht durchgängig vergeben wurden.78 Seit Anfang des 18. Jahrhunderts stand der Kanzlei ein Direktor vor. Dieses Amt lässt sich jedoch ebenfalls nicht durchgängig nachweisen.79 Die Räte stammten wie ____________ 74

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Vgl. ebd., S. 235f., Anm. 104; JAUERNIG/STEIGER (Bearb.), Die Matrikel der Universität Jena, Bd. 2, S. 495. Zu seinen jeweiligen Karrierestationen vgl. die Bestallungsakten in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. VII Nr. 13, fol. 24r (Geheimer Kanzelist, Hofpagenmeister); Nr. 2, fol. 198r-100r (Archivar), 20r (Hofsekretär), 54r-56r (Geheimer Sekretär), 75r-77v (Kanzleiassessor), 183r-184r (Hofrat). Praeliminar Convention, ausgefertigt durch die Räte von Ribbeck (Preußen) und Madelung (Quedlinburg) (6. Aug. 1742), durch Friedrich II. ratifiziert (18. Aug. 1742): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 259r-262v; Reversales Postulandae Prinzessin Amalies in Preußen inklusive Wortlaut der Wahlkapitulation (7. Jan. 1745): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 32, fol. 166r-170r. S. o. Kap. Grenzen verwandtschaftlicher Besetzungspolitik; Kap. Verhandlung. Vgl. hierzu die Überlieferung des Stifts in Münster LAV NRW W Stift Herford Akten. Vgl. Herforder Bestallungsakten (1637-1797): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1010. 1719 wurde der Kanzleirat Conrad Georg Hahn zum Kanzleidirektor ernannt. Er hatte dieses Amt bis in die 1750er Jahre inne. 1788 wurde der 1. Kanzleirat Friedrich Wilhelm Velhage zum Kanzleidirektor befördert. In der Zwischenzeit scheint das Amt unbesetzt gewesen zu sein.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

der Freiherr Dr. Jur. Johann Henrich von Wahden wohl vorzugsweise aus der näheren Umgebung.80 Während im 17. Jahrhundert häufig graduierte Juristen als Räte eingestellt wurden, lässt sich seit Ende des 17. Jahrhunderts, wie auch in Quedlinburg, der Aufstieg juristisch vorgebildeter, aber nicht graduierter Beamter beobachten. Häufig gelangten die Räte des Stifts später auf eine der vier Kapitularstellen.81 Als solche fungierten sie in der Regel weiterhin als Stiftsräte. Angesichts dieser personellen Überschneidungen zwischen Kanzlei und Kapitel sowie der häufigen Abwesenheit der Stiftsdamen, die wiederum einzelne Kapitulare mit ihrer Vertretung beauftragten, vergrößerte sich deren Einflussbereich nicht unwesentlich. Dies schlug sich schließlich auch strukturell im Wahlverfahren einer neuen Dekanissin nieder. Während 1674 die Dekanissin noch gemeinsam von Kapitularen und Kapitularinnen gewählt wurde,82 setzte sich seit 1721 die Praxis durch, dass nunmehr nur die vier männlichen Kapitulare zur Wahl schritten.83 Eine beispielhafte Karriere durchlief Conrad Georg Hahn innerhalb der Herforder Stiftsverwaltung. 1689 wurde er von Charlotte Sophie von Kurland als Kanzleischreiber und Archivar eingestellt.84 Spätestens 1702 ____________ 80

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Die Familie von Wahden war Lehnsträger in der Grafschaft Ravensberg und besaß Güter im Umfeld von Osnabrück. Vgl. Neues allgemeines Deutsches Adels-Lexicon, Bd. 9, S. 436. Dies galt für Johann Henrich von Wahden, seit 1667 Kanzleibeamter, spätestens seit 1688 Kapitular, für Johann Ludewig von Sternfeld, 1702 Übertragung der vierten Kapitularpräbende, zu dem Zeitpunkt bereits Hofrat, für Dietrich Johann von Hillersberg, seit 1729 1. Kanzleirat, 1730 Übertragung der vierten Kapitularpräbende. Vgl. Herforder Bestallungsakten (1637-1797): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1010; sowie Akten zur Besetzung der ersten, zweiten, dritten und vierten Kapitularstelle in Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 317, 311, 318 u. 319. Prinzessin Elisabeth von Hessen schickte als ihren Vertreter Johann Helfried aus Rinteln nach Herford, während sie selbst in Kassel blieb. Bericht des Johann Helfried über die Wahl einer neuen Dekanissin (20. Mai 1674): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1254. Zuerst war es Eleonore von Hessen-Homburg, die 1721 allein von den anwesenden Kapitularen Sternfeld, Arco und Heimbruch gewählt wurde. Diese Praxis setzte sich im 18. Jahrhundert durch. Auch ihre Nachfolgerinnen wurden allein von den Kapitularen gewählt. Bericht des (ehemaligen) brandenburgisch-preußischen Landdrosten Clamor von dem Bussche an das Kabinett in Berlin (1. Mai 1721): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137. Bestallung Conrad Georg Hahn (1689): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1010.

4.2. Regieren

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schaffte er es in die Stellung eines Rates.85 Erstmals 1705 wurde im Zusammenhang mit Hahn die Amtsbezeichnung Kanzleidirektor gebraucht.86 Insbesondere während des Exils fungierte Hahn als wichtiger Mittelsmann und Informant der Äbtissin in Herford. Als Dank übertrug ihm Charlotte Sophie 1728 kurz vor ihrem Tod die Stelle als erster Kapitular.87 Trotz innerstiftischer Widerstände konnte er sowohl seine Stellung als Kapitular als auch als Kanzleibeamter unter Johanna Charlotte von Brandenburg behaupten.88 Die am weitesten ausdifferenzierte Verwaltungsstruktur fand sich im Stift Essen. Hier hatte sich bereits im frühen 17. Jahrhundert eine Kanzlei mit einem Direktor sowie zwei bis vier Räten etabliert. Die Kanzleiordnung von 1695 nennt darüber hinaus einen Sekretär, einen Registrator, einen Kanzlisten, zwei Kanzleidiener, eine Holzrichter, dem die Aufsicht über die Wälder oblag, einen Procurator fisci und einen Advocatum fisci im Sinne von Staatsanwälten sowie zwei Kanzleiboten.89 Seit Anfang des 17. Jahrhunderts wurden die in der Kanzlei eingegangenen Schreiben an die Äbtissin sowie später auch die Vorgänge in den Kanzleisitzungen in Protokollbänden verzeichnet, also eine Registratur geführt.90 Am Ende des 18. Jahrhunderts stand Johann Jacob Schmitz der Essener Regierung einige Jahre als Kanzleidirektor vor.91 Schmitz wurde 1755 in ____________ 85

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1702 geriet Conrad Georg Hahn als Stiftsrat ins Visier des Berliner Kriminalgerichtes und wurde dort gemeinsam mit weiteren Stifträten und Kapitularen der Verleumdung des Landdrosten Clamor von dem Bussche beschuldigt. Zitation der Kapitulare Amazon und Sternfeld sowie der Stiftsbeamten Thulemeyer, Cramer und Hahn vor das Kriminalgericht nach Berlin (6. Jan. 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Charlotte Sophie von Kurland an ihren Kanzleidirektor Hahn (16. Juli 1705): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 118. Bericht der Kapitulare Arco, Sternfeld und Heinbruch (28. Okt. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3145. S. hierzu auch u. Kap. Der ‚gute‘ und der ‚schlechte‘ Ratgeber. Hierzu und im Folgenden Kanzleiordnung der Essener Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (25. Jan. 1695): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 678, fol. 2r-9v. Vgl. Missivprotokolle, Protokolla publica und Protocolla regiminis: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 674-677, 680-705, 2229-2230. Über seine Biographie und seinen Werdegang gab Schmitz selbst in einem Bittschreiben an den Kölner Kurfürsten sowie an dessen Bonner Universitätskurator Franz Wilhelm von Spiegel in seinem Bewerbungsverfahren um die Professur für Staatsrecht an der Universität Bonn Auskunft. Bittbrief Johann Jacob Schmitz an Kurfürst Maximilian Franz von Österreich sowie Begleitschreiben an Franz Wilhelm von Spiegel (8. Okt.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Uexheim an der Eifel als Sohn eines Bauern geboren. Er studierte zunächst in Trier, später juristische Theorie und Praxis in Göttingen bei Pütter, Boehmer und Schlözer.92 Nach ersten Stationen als Accessist und Hofrat in der Arembergschen Regierung sowie als Referendar im Brüsseler Kabinett kam er 1788 nach Essen. Dort führte er eine Neuorganisation der Regierung durch, indem er feste Sessionstage und -stunden anberaumte sowie eine Neuordnung des Kanzleiprotokolls getrennt nach Regierungs-, Kameral-, Justiz-, Exhibitions- und Sessionsangelegenheiten etablierte. Er machte sich jedoch bei den Mitgliedern beider Kapitel sowie den Landständen unbeliebt,93 indem er zum Beispiel dafür sorgte, dass Güter des ehemaligen Jesuitenordens an den Schulfonds übertragen und die Überlassung an das Kanonikerkapitel zurückgenommen wurde. Er selbst erklärte: Ich habe dem Zutrauen, welches Ihre Königliche Hoheit, meine gnädige Fürstin, auf mich setzte, getreu in allem entsprochen und eben dadurch zwar die Liebe der Untertanen, aber auch den Haß des gräflichen Kapitels und der Landstände zugezogen.94 Als ortsfremder Stiftsbeamter nahm Schmitz wenig Rücksicht auf die lokalen Herrschaftsverhältnisse, die durch den Anspruch auf Mitregentschaft der Kapitel geprägt waren. Stattdessen orientierte er sich an den aufklärerischen Ideen seiner Zeit, die eine Stärkung der Zentralgewalt vorsahen.95 Neben der Kanzlei existierten in den Stiften weitere Behörden. Hierzu gehörten untergeordnete Gerichts- und Verwaltungsinstanzen, die in einer Ämterstruktur angelegt waren,96 sowie die auf der obersten Ebene der Kanzlei oder Regierung angesiedelte Behörde für geistliche Angelegenheiten und die separate Hofverwaltung. Die Äbtissinnen beanspruchten auf der Grundlage päpstlicher Exemtion, die den Stiften bereits im Hochmittelalter ____________ 92 93

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1791) zit. nach BRAUBACH, Rheinische Aufklärung, S. 264-267 (Auszüge aus den Schriftstücken). Bittbrief, ebd., S. 264. Vgl. ASCHERFELD, Maria Kunigunde von Sachsen, S. 88, 91; SCHRÖDER, Maria Kunigunde von Sachsen, S. 35-37. Bittbrief, zit. nach BRAUBACH, Rheinische Aufklärung, S. 264. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 194f., 212. In Herford war diese nur ganz rudimentär angelegt. Amtsbezeichnungen wie Amtmann, Amtschreiber und Rezeptor tauchen in den überlieferten Bestallungsakten nur sehr unregelmäßig auf. Vgl. Herforder Bestallungsakten (17.-18. Jh.): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1006, 1022, 1016. Quedlinburg und Essen wiesen hingegen eine umfangreichere Ämterstruktur auf, deren eingehende Untersuchung aber den Rahmen dieser Arbeit vollends gesprengt hätte. Vgl. zu Quedlinburg die kurzen Ausführungen bei SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 221f.; zu Essen vgl. WEIGEL, Studien zur Verfassung und Verwaltung des Grundbesitzes des Frauenstifts Essen, S. 124146.

4.2. Regieren

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verliehen worden war, jeweils eine quasi-episkopale Stellung.97 Außer im Stift Herford, wo die geistlichen Angelegenheiten in der Stiftskanzlei mitbehandelt wurden, entwickelte sich in den Stiften eine eigene geistliche Behörde. Die Quedlinburger Äbtissin hatte 1539 als Inhaberin der jura episcopalia die Reformation im Stift eingeführt.98 Auch danach erhob sie Anspruch auf das Kirchenregiment. Sie bestellte alle kirchlichen Amtsträger,99 regelte das Kirchenwesen und hatte die geistliche Jurisdiktion inne. Schriftlich fixierte Grundlage des Kirchenwesens war die 1627 durch Äbtissin Dorothea von Sachsen-Altenburg erlassene Kirchenordnung.100 Zur Verwaltung und Wahrnehmung der episkopalen Rechte wurde in Quedlinburg schon Mitte des 16. Jahrhunderts das Amt eines Superintendenten eingeführt.101 1646 wurde die Superintendantur durch Anna Sophia von Pfalz-Zweibrücken mit der Oberpredigerstelle an der Hauptkirche der Altstadt, St. Benedikti oder auch Marktkirche, verbunden.102 Mit wenigen Ausnahmen hatten die Superintendenten vor ihrer Berufung bereits verschiedene geistliche Ämter in Quedlinburg inne gehabt und sich zum Beispiel als Oberhofprediger der Äbtissin bewährt.103 Bereits Ende des 16., spätestens aber Anfang des 17. Jahrhunderts entwickelte sich mit dem Konsistorium eine eigene geist-

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Vgl. hierzu, wenn auch nicht frei von Fehlern, FÜRSTENBERG, „Ordinaria loci“. Aufgrund fehlender neuerer Studien zur Reformation des Quedlinburger Stifts harren die genauen Umstände und die tatsächliche Rolle der Äbtissin bei diesem Akt einer kritischen Untersuchung. Einen Anfang hat Clemes Bley mit einem Sammelbandbeitrag gemacht, indem er zum einen verschiedene Gründe für die Einführung der Reformation ausfindig macht und zum anderen nach der Tradition als Legitimiationsstrategie der Äbtissinnen und des Stifts nach der Reformation fragt. Vgl. BLEY, Traditon – Reformation – Legitimation. Hierzu gehörten nicht nur die Pfarrstellen, sondern auch die Ämter in den Schulkollegien und Hospitälern. Von Fall zu Fall war die Quedlinburger Äbtissin bei der Besetzung der Pfarrstellen jedoch auf die Zustimmung des Rates oder des Kapitels angewiesen, da Collations- und Patronatsrechte nicht immer in einer Hand vereint waren oder doch zumindest von unterschiedlichen Institutionen beansprucht wurden. FRITSCH, Geschichte des vormaligen Reichsstifts, Teil 2, S. 232f. Exemplar der Quedlinburger Kirchenordnung (15. April 1627) in Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8964/12. Vgl. KETTNER, Kirchen= und Reformations=Historie, S. 216f. Vgl. ebd., S. 216. Vgl. die Listen der Superintendenten und Oberhofprediger bis Anfang des 18. Jahrhunderts bei KETTNER, Kirchen= und Reformations=Historie, S. 216-220.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

liche Behörde, die als geistliches Gericht diente.104 Zwischen weltlicher Stiftskanzlei und geistlichem Konsistorium gab es eine enge personelle Verbindung, da weltliche Kanzleiräte vielmals auch als Konsistorialräte fungierten.105 Einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte der Quedlinburger Superintendent Friedrich Ernst Kettner aufgrund seiner verschiedenen, von der Frühaufklärung beeinflussten theologischen Werke.106 Aus einer Pastorenfamilie der Region stammend, studierte Kettner in Leipzig und Dresden.107 1701 ernannte ihn die Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar zum Oberhofprediger an der Stiftskirche St. Servatii.108 Zwei Jahre später setzte sie seine Bestellung zum Superintendenten gegen den Widerstand des preußischen Königs durch,109 der ebenfalls das jus eligendi et confirmandi beanspruchte.110 Neben seinen theologischen Werken veröffentlichte Kettner drei lokalgeschichtliche Arbeiten während seiner Amtszeit in Quedlinburg. Hierzu gehörte neben der historischen Dissertation De prima abbatissa sowohl die Kirchen= und Reformations=Historie/ Des Kayserl. Freyen Weltlichen Stiffts Quedlinburg als auch eine Sammlung aller wichtigen Privilegien, Verträ____________ 104

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Die einzige für Quedlinburg überlieferte Kirchenordnung der Äbtissin Dorothea Sophia von Sachsen (15. April 1627) nennt bereits das ehrwürdige Ministerio oder unser Consistoriale: Dresden LHASA, MD, Rep. A 20 tit. XVI Nr. 4; Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8964/12. Vgl. SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 216f. Vgl. MULSOW, Moderne aus dem Untergrund, S. 416-423; ALBRECHT, Eklektik, S. 508525. Vgl. zur Biographie Kettners ECKHARD, Vita Frieder. Ernesti Kettneri. Amtseid des neuen Quedlinburger Oberhofpredigers Friedrich Ernst Kettner (1701): Magdeburg LHASA Rep. A12 Quedlinburg Nr. 206, fol. 54r-v. Vocation des neuen Superintendenten Friedrich Ernst Kettner durch Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (21. Aug. 1703): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVIA Nr. 10, fol. 257r-258v; Kanzleiprotokoll (3. Sept. 1703), auf Befehl der Äbtissin leisten die Prediger Minister, Schulkollegen und Organisten dem neuen Superintendenten den Handschlag: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI A Nr. 10, fol. 282r-v. Vgl. FRITSCH, Geschichte des vormaligen Reichsstifts, Teil 2, S. 51. Zunächst sollte die Wiederbesetzung der Superintendantur auf Geheiß des preußischen Königs verschoben werden, um die verabredeten Vergleichsverhandlungen zwischen Äbtissin und Schutzherrn nicht zu behindern. Vgl. Friedrich I./III. an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (3. Mai 1701): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol. 627r-v. Der erste Kandidat, Pastor Faes aus Stade, trat von der Vocation sogar zurück, weil er die Ungnade des preußischen Königs fürchtete. Johannes Faes an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (9. Juli 1703): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI Nr. 10, fol. 136r137v.

4.2. Regieren

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ge und Ordnungen des Stiftsarchivs.111 In beiden Arbeiten wies er sich als Kenner des Quedlinburger Archivs aus. Zugleich setze er seine Kenntnisse über die Geschichte und die verbrieften Rechte und Privilegien des Stifts ein, um öffentlichkeitswirksam in Zeiten der äußeren Bedrängnis durch den preußischen Schutzherrn den reichsunmittelbaren und eigenständigen Charakter des Stifts zu betonen. Im katholischen Stift Essen übernahmen seit dem 12. Jahrhundert sogenannte Hofkapläne oder der capellanus honoris, ein Begriff, der auch im 17. und 18. Jahrhundert noch gebräuchlich war, die geistlichen Angelegenheiten der Äbtissin. Im Kampf mit dem Kölner Kurfürsten um die Exemtion des Stifts in Mittelalter und Früher Neuzeit entwickelte sich daraus allmählich die Institution des Offizialats als geistliche Behörde mit dem Offizial an der Spitze.112 Diese Amtsbezeichnung ist erstmals 1626 nachgewiesen. Er gehörte üblicherweise dem Kanonikerkapitel an der Stiftskirche an, war aber aufgrund seiner Amtsaufgaben nicht zur Residenz verpflichtet.113 Der Offizial vertrat die Äbtissin als geistliches Oberhaupt des Stifts. In ihrer Vertretung stand er der geistlichen Gerichtsbarkeit in Ehe- und Sponsaliensachen sowie über geistliche Personen und Institutionen vor. Darüber hinaus verwaltete er das Kirchen-, Schul- und Stiftungswesen im Stift. Räumlich erstreckte sich sein Zuständigkeitsbereich neben der Stiftsfreiheit als geistlichem Immunitätsbezirk auf das gesamte Stiftsterritorium, wobei er zeitweise sowohl innerhalb der Stadt mit dem evangelischen Konsistorium als auch im Hochstift mit einzelnen Pfarreien und Vikarien sowie der Regierungskanzlei konkurrierte.114 Ein eindrucksvolles Beispiel für die mitunter weitreichenden Handlungsspielräume des Essener Offizials und die Konsequenzen, die sein Handeln haben konnte, bietet die Amtszeit von Johann Josef Wilhelm Devens. Er ____________ 111

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Vgl. KETTNER, Dissertatio Historica; DERS., Kirchen= und Reformations=Historie; DERS., Antiquitates Quedlinburgenses. Zum Offizial vgl. HAAS, Einführung, S. 11 (Zitat); HOEDERATH, Die geistlichen Richter; DERS., Die geistlichen Hoheitsrechte. Vgl. HAAS, Einführung, S. 9. Zum Konkurrenzverhältnis mit dem städtischen Konsistorium s. o. Kap. Beeerdigungen, Hochzeiten und Taufen. Zum Konkurrenzverhältnis mit einzelnen Pfarreien und Vikarien s. Offizial Brockhoff an Maria Kunigunde von Sachsen (11. Juni 1791): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Nr. 254. Zur Wahrung der Unabhängigkeit des Offizialats von der Regierungskanzlei s. Beschwerde Brockhoffs gegenüber Maria Kunigunde von Sachsen (3. Dez. 1787) sowie das Dekret der Äbtissin in ähnlicher Angelegenheit, vollzogen durch den Freiherrn von Aicholt (2. Sept. 1795): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Nr. 255.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

war eine der treibenden Kräfte in den ‚Essener Religionsstreitigkeiten‘ Mitte der 1720er Jahre.115 Die alternde Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg hatte sich zunehmend von den Regierungsgeschäften zurückgezogen und ihrem Offizial die Handhabung geistlicher Angelegenheiten weitestgehend überlassen. Devens griff in der Ausübung seines Amtes auf Maßnahmen zurück, die ursprünglich in der Phase der Rekatholisierung des Stifts angestrengt worden waren. Hierzu gehörte beispielsweise die Beerdigung evangelischer Stiftsuntertanen an der Mauer des Friedhofs, dem Ort, wo üblicherweise Suizidenten und Verbrecher verscharrt wurden.116 Mit solchen Maßnahmen, zu denen auch Zwangstaufen und die langwierige Inhaftierung von evangelischen Bürgersöhnen zählten,117 beschwor er nicht nur den Hass der evangelischen Stadtbürger und Untertanen auf sich, die in ihm einen geschworene[n] feindt der Stadt mit einem gehaßigen unpatriotischen Gemüth sahen,118 sondern beförderte auch die gewalttätige Eskalation im Umgang der Konfessionsanhängern miteinander.119 Einen eigenen Bereich stellte die Hofhaltung der Äbtissinnen dar.120 An ihrer Spitze stand der adelige Hofmeister. Sein Aufgabenfeld beschränkte sich zwar zunehmend auf den Bereich der Hofhaltung und der Aufsicht über das Gesinde,121 aber sowohl im Stift Quedlinburg als auch im Stift Essen nahmen die Hofmeister auch im 18. Jahrhundert noch politische Angelegenheiten wahr. Der Quedlinburger Hofmeister Georg Anton von Dacheröden reiste 1711 beispielsweise als Gesandter der Äbtissin nach Wien, um dort sowohl die Reichslehen in Empfang zu nehmen als auch den am Reichshofrat anhängigen Prozess gegen den preußischen König zu beschleunigen.122 Als adeliger Hofmeister verfügte er über die nötigen Um____________ 115 116

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S. o. Kap. Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen. Essener Religionsordnungen (1624 und 1628) in HOEDERATH, Die Religionsordnungen, S. 292, 295. Aufzählung aller Übergriffe auf evangelische Untertanen, in Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 15r-22r, 22r-24v. Vgl. auch KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen. Commissionsverfolg in Sachen Bürgermeister und Rat der Stadt Essen o/a die Äbtissin daselbst wegen verschiedener Streitpunkte religiöser Natur 1723: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 1, fol. 11r. Supplik von Bürgermeister und Rat der Stadt Essen an König Friedrich Wilhelm I. [1724]: Essen StA Rep. 100 Nr. 2256, Bd. 3, fol. 1r-10r. S. o. Kap. Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen. Zu Quedlinburg vgl. VON DER HÖH, Der Hof der Äbtissinnen von Quedlinburg. Vgl. SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 213f. Vortrag des Quedlinburger Hofmeisters von Dacheröden vor dem Kaiser (3. Mai 1711): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 3, fol. 260r-261v.

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313

gangsformen und Zeremonialkenntnisse, um am Wiener Hof zu bestehen. Der Obersthofmeister der letzten Essener Äbtissin Maria Kunigunde Franz Anton von Aicholt erhielt in deren Abwesenheit sogar politische Entscheidungsvollmacht.123 Hier spiegelt sich die häufig eingenommene Vertrauensstellung des Hofmeisters in der Nähe der Äbtissin und mit direktem Zugang zu ihr wieder. Daher wurde dieses Amt wiederholt mit Personen aus dem Umfeld der Äbtissin und ihrer Verwandtschaft besetzt. Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf stellte beispielsweise nach ihrem Amtsantritt als Äbtissin von Quedlinburg zunächst den holsteinischen Landrat Joachim von Ahlefeld als Hofmarschall ein, der allerdings schon zwei Jahre später seinen Abschied nahm, um in den Dienst des Herzogs von Holstein zu treten.124 Ihm folgte August Christian von Blücher nach, der zwischen 1721 und 1732 als ihr Hofmarschall tätig war. Maria Elisabeth kannte diesen wohl nicht nur aus der Zeit, in der er am Gottorfer Hof erzogen wurde, sondern auch über seine Schwester, die der Äbtissin schon länger als Hofdame diente.125 Eine vierte Gruppe von Ratgebern stellten die vom Stift beschäftigten Agenten an den Reichsinstitutionen dar. Die Reichsgerichtsordnungen für das Reichskammergericht und den Reichshofrat sahen vor, dass Eingaben an diese beiden Gerichte nur von dazu akkreditierten Anwälten bzw. Reichshofratsagenten vorgenommen werden konnten.126 Die Äbtissinnen aller drei Stifte waren daher gezwungen, für die zahlreichen Prozesse, die sie in Speyer, Wetzlar und Wien führten, zugelassenes Personal zu

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Essener Regierungsprotokoll (9. Nov. 1792): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 697, fol. 463r-v. In dem Protokoll ist das Dekret verzeichnet, mit dem die Äbtissin ihrem Hofmeister Vollmacht erteilte, alle vorkommende Geschäfte die keinen Aufschub leiden oder erfordern, in höchstdero Namen zu entscheiden. Er starb 1744 in Schleswig und wurde im Dom St. Peter beigesetzt. Eine Photographie seines Sarkophargs findet sich im Bildarchiv Foto Marburg des Deutschen Dokumentationszentrums. Siehe unter http://www.bildindex.de/obj20738304.html#|home [22.11.2012]. Zur Person vgl. SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 231, Anm. 46. Vgl. WIGGER, Geschichte der Familie von Blücher, Bd. 2,2, S. 71f., 73, 75f. Vgl. zum Reichskammergericht DIESTELKAMP, Recht und Gericht, S. 285f. Zum Reichshofrat vgl. SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 112-126. Für die Formierungsphase des Reichshofrates hat Eva Ortlieb nachgewiesen, dass kein Anwaltszwang bestand. Sellert nennt für die spätere Zeit ebenfalls eine Ausnahme, nämlich wenn die Parteien keinen Agenten finden konnten (SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 119f.). ORTLIEB, Das Prozeßverfahren, S. 119f.

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engagieren.127 Insbesondere die Wiener Agenten standen in einem regen schriftlichen Austausch mit den Stiftsräten. Ihre Aufgabe war es, die in der Kanzlei ausgearbeiteten Suppliken am Reichshofrat einzureichen und im Stift regelmäßig Bericht zu erstatten. Die Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth beklagte sich Anfang der 1720er Jahre wiederholt über die schleppende Berichterstattung ihres Reichshofratsagenten.128 Ihr Engagement reichte darüber hinaus von Verhaltensratschlägen bis hin zur Kontaktaufnahme, Beratschlagung und Beeinflussung von Reichshofräten, dem Reichshofratspräsidenten sowie weiteren hochstehenden Personen und Gesandten am Wiener Hof.129 Einen dauerhaften Gesandten in Wien wie beispielsweise der preußische König unterhielten die Äbtissinnen der evangelischen Stifte nicht. Stattdessen griffen sie im Fall der Belehnung häufig auf die Gesandten ihres Umfeldes zurück oder schickten Stiftspersonal für eine Gesandtschaft nach Wien.130 Das Stift Essen unterhielt hingegen spätestens unter der letzten Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen einen eigenen Gesandten am Wiener Hof, der 1777 und 1793 die Lehns Renovatio des Hochstiffts Essen in Vertretung der Äbtissin besorgte.131 Als Reichsfürstinnen hatten die Äbtissinnen Sitz und Stimme auf dem Reichstag, wo sie sich ebenfalls durch einen Gesandten vertreten ließen. Diesen teilten sie sich in der Regel mit weiteren Reichsständen, um Kosten zu sparen. So vertrat der Regensburger Gesandte Reinhard Scheffer um 1700 nicht nur die Äbtissin von Quedlinburg, sondern auch die Äbtissin von Herford.132 Scheffer war stark in die Auseinandersetzungen zwischen ____________ 127

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Zu den Anwälten am Reichskammergericht vgl. BAUMANN, Advokaten und Prokuratoren. Zu den Reichshofratsagenten vgl. DORFNER, Die Reichshofratsagenten; sowie demnächst dessen Dissertation; EHRENPREIS, Die Reichshofratagenten. Stiftsrat Wichmannshausen an den Wiener Agenten Mus (30. Dez. 1722): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 8, fol. 163r-166r. S. hierzu u. Kap. Informalität des Verfahrens. Bitte Anna Sophias von Pfalz-Birkenfeld gegenüber dem sächsischen Kurfürsten, dessen Gesandten als Vertreter im Investiturakt einsetzen zu dürfen (21. April 1659): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. I. Nr. 130, fol. 266r-v; Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an das Quedlinburger Kapitel mit dem Vorschlag, den Hofmeister von Dacheröden nach Wien zur Lehnsmutung abzuschicken (29. Jan. 1712): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6991. Vgl. Berichte des Essener Gesandten C. G. Dammers über die jeweilige Belehnung (9. Aug. 1777 u. 14. Juni 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 46 und Nr. 698, fol. 267v-268r. Über den gemeinsamen Regensburger Gesandten gelangten sämtliche Quedlinburger Eingaben am Reichstag auch nach Herford. Species Facti (o.D.), als Anlage zum Bericht Reinhard Scheffers an die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (31. März 1698): Mün-

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der Quedlinburger Äbtissin und ihrem brandenburgisch-preußischen Schutzherrn involviert, die zeitweise auch am Reichstag in Regensburg ausgetragen wurden.133 Immer wieder reichte er neue Suppliken beim Mainzer Reichstagsdirektorium ein. Darüber hinaus unterrichtete er die Äbtissin in langwierigen Berichten über das Reichstagsgeschehen.134 Das Stift Essen unterhielt erst unter der letzten Äbtissin Maria Kunigunde dauerhaft einen Reichstagsgesandten.135 Essen war stärker auf dem NiederrheinischWestfälischen Kreistag vertreten, der anders als der Reichstag nicht durchgehend tagte. Daher wurden für die Dauer des Kreistages Stiftsbeamte an den Tagungsort abgeordnet.136

Externe Berater Neben dem Verwaltungs- und Hofpersonal, das eine neue Äbtissin vor Ort vorfand, zog sie vielfach weitere, externe Berater hinzu. Vor allem im Vorfeld ihres Amtsantrittes und zu Beginn ihrer Regierung vertraute eine neue Äbtissin die Vorbereitungen Personen aus ihrem verwandtschaftlichen Umfeld an. Maria Kunigunde von Sachsen schickte zum Beispiel nach dem Tod ihrer Vorgängerin im Sommer 1776 zunächst den Freiherrn Ferdinand von Duminique,137 Oberstallmeister und Geheimer Rat ihres Bruders, des Kurfürsten von Trier, nach Essen. Er organisierte den Amtswechsel,138 unterrichtete die Äbtissin über die Stiftsverfassung und regelte auch die Belange ____________ 133 134

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ster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 79; siehe weitere Berichte in diesem Zusammenhang ebd. sowie Nr. 89. S. u. Kap. Drehscheibe Regensburg. Die im Quedlinburger Stiftsarchiv überlieferten Reichstagsakten seit Beginn des Immerwährenden Reichstages in Regensburg zeugen von dem anhaltenden Interesse der Äbtissin für das Reichstagsgeschehen, dass im 18. Jahrhundert noch zunahm. Vgl. Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. I. Nr. 4-118. Konzept der Vollmacht für den Essener Reichstagsgesandten van Haine (6. Juli 1788): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 650. Instruktionen und Vollmachten für den Essener Kreistagsgesandten (u.a. 1697, 1701, 1788): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 642, 643, 650. Vgl. SCHÖNFELD, Kurfürsten und Führungskräfte, S. 103-110; KLEIN, Zur Biographie des kurtrierischen Ministers Ferdinand Freiherr von Duminique; JUST, Duminique, Ferdinand Freiherr von. Er forderte das Wappen der sächsischen Prinzessin für die Geleitstöcke sowie ein Portrait für das Sessions Zimmer an und unterrichtete die Äbtissin über die Reihenfolge ihrer neuen Titulatur. Bericht des Freiherrn Duminique (29. Juli 1776): Düsseldorf LAV NRW W Stift Essen Akten Nr. 21.

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der Haushaltung.139 Darüber hinaus griff er erste politische Angelegenheiten auf wie die Frage des Tanzverbotes. Er schlug der Äbtissin vor, dieses Verbot ihrer Vorgängerin zurückzunehmen, weil die Untertanen die Anordnung dadurch umgehen würden, dass sie in die benachbarten Ortschaften der Grafschaft Mark führen. Insofern wirke sich das Verbot vor allem nachträglich auf die im Stift ansässigen Wirte aus, die aufgrund der Abwanderungsbewegung große Verluste hinnehmen müssten.140 Die Äbtissin stimmte ihrem Gesandten zu und lockerte bereits während der noch andauernden Trauerzeit für ihre Vorgängerin die Regelung.141 Maria Kunigunde und der Freiherr von Duminique standen während seines gesamten Aufenthaltes in Essen in einem regen Briefkontakt. Zeitweise wurden alle zwei Tage Briefe zwischen Essen und Ehrenbreitstein gewechselt, der Residenz des Trierer Kurfürsten bei Koblenz.142 Duminique traf keine eigenmächtigen Entscheidungen, sondern handelte immer im Auftrag der Äbtissin. Seine Berichte hatte er ihr in zweifacher Ausführung zuzuschicken, damit ihr Sekretär in eines der Exemplare weitere Anweisungen eintragen konnte, die dann zurück nach Essen gesandt wurden. Duminique bat jedoch schon nach wenigen Tagen darum, dieses Verfahren einstellen zu dürfen, da sich die doppelte Berichterstattung angesichts des Umfangs der Berichte zeitverzögernd auswirke.143 Nichtsdestoweniger legte Maria Kunigunde großen Wert auf tägliche Berichte aus Essen. Kam einmal an einem Posttag kein Bericht, sorgte sie sich gleich um die Gesundheit ihres Gesandten. Sie ließ ihm daher mitteilen, dass für den Fall, dass er krank wäre, oder ein anderer erheblicher Vorfall Euch verhinderte, alsdan der Koehler führohin zur höchster Beruhigung allemahn hierüber die unthste Nachricht geben solle.144 ____________ 139

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Ebd. Er kaufte Möbel aus dem Nachlass der verstorbenen Äbtissin und sorgte sich um die Einrichtung der verschiedenen Wohnungen in Abtei, Schloss Borbeck und Waisenhaus Steele. Bericht des Freiherrn Duminique (9. Sept. 1776): Düsseldorf LAV NRW W Stift Essen Akten Nr. 21. Des Weiteren zog er Informationen über das Hofpersonal ein und übernahm die Neuorganisation des Hofes. Tabellen über alle Hofangestellten (o.D.): Düsseldorf LAV NRW W Stift Essen Akten Nr. 21. Bericht des Freiherrn Duminique (25. Aug. 1776): Düsseldorf LAV NRW W Stift Essen Akten Nr. 21. Maria Kunigunde an den Freiherrn von Duminique (31. Aug. 1776): Düsseldorf LAV NRW W Stift Essen Akten Nr. 21. Dies galt für die erste Phase des Amtswechsels zwischen dem 6. und 18. August. Bericht des Freiherrn Duminique (30. Juli 1776): Düsseldorf LAV NRW W Stift Essen Akten Nr. 21. Kabinettschreiben an den Freiherrn von Duminique (14. Aug. 1776): Düsseldorf LAV NRW W Stift Essen Akten Nr. 21.

4.2. Regieren

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Die Anwesenheit externer Ratgeber war jedoch nicht immer von Vorteil für das Stift. Denn anders als die Stiftsräte, deren soziale Existenz von der Wahrung des Stifts abhing, waren sie gleichzeitig ihren Dienstherren und deren Interessen verpflichtet. Welche Konsequenzen ein Interessengegensatz haben konnte, zeigen die Verhandlungen um den Amtsantritt der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf, an denen neben den Stiftsräten und Vertretern des preußischen Schutzherrn auch ein Gesandter der Gottorfer Herkunftsdynastie, Justizrat Heinrich Christian von Stryk, teilnahm. Bereits 1710 rechtskräftig zur Äbtissin gewählt, wurde die Übernahme der Regierung durch Maria Elisabeth mehrere Jahre durch den preußischen König verhindert. Er nutzte den von ihm kontrollierten Zugang zum Stift als Druckmittel, um die Anerkennung als Schutzherr mit landesherrlichen Kompetenzen durch Äbtissin und Kapitel zu erlangen.145 Erst der Kaiser erwirkte nach einer gescheiterten kaiserlichen Kommission direkte Verhandlungen zwischen Stift und Schutzherrn, deren Gegenstand die Gestalt des solennen Amtsantrittes sowie der darin symbolisierten Herrschaftsverhältnisse war.146 Die Anwesenheit eines holsteinischen Vertreters wurde ausdrücklich vom Stiftshauptmann als Hauptunterhändler des preußischen Königs erwünscht. Er hoffte, in dessen Person für den Fall Unterstützung zu finden, dass sich die Mitglieder des Kapitels und die Stiftsräte den preußischen Forderungen widersetzten.147 Diese zielten darauf ab, die Stadtherrschaft der Äbtissin zu negieren und die Stellung des Schutzherrn bis hin zur Behauptung seiner Landeshoheit aufzuwerten. Tatsächlich war es der holsteinische Gesandte, der allen Forderungen des Stiftshauptmannes entsprach, während sich die Stiftsräte anfänglich noch verweigerten.148 In dieser Situation zeichneten sich die divergenten Interessen der Äbtissin und ihrer Herkunftsfamilie sowie der Stiftsdiener und Kapitularinnen deutlich ab. Auf der einen Seite standen die finanziellen Interessen der Äbtissin, die ohne Amtseinführung nicht in den Genuss der Stiftseinkünfte kam und auf ____________ 145 146 147

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S. u. Kap. Die Wahl am falschen Ort; Kassation, jus devoluto, Kommission. S. u. Kap. Der laute Adventus. Stiftshauptmann Posandowsky an das Berliner Kabinett (16. Okt. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1717-1718. Protokoll der Verhandlungen (1.-9. Mai 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 144r-148v. Schließlich stimmten die Vertreter des Stifts aber doch zu, die Belehnung des Königs in den Ablauf der solennen Handlungen zu integrieren. Original Verlaufsprotokoll mit Unterschriften und Siegeln der verschiedenen Unterhändler: Stiftshauptmann Posandowski, Justizrat Stryk auf Seiten der Äbtissin und die beiden Stiftsräte Aurbach und Wichmannshausen auf Seiten des Stifts (3. Mai 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 95r-109v.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

die Unterstützung ihrer Verwandtschaft angewiesen blieb, auf der anderen Seite hingegen die umkämpften Rechte des Stifts. Eine besondere Rolle als externe Berater nahmen im Stift Essen im 17. und 18. Jahrhundert Mitglieder des Jesuitenordens ein, der sich 1562 auf Wunsch der Äbtissin dort angesiedelt hatte.149 Im Untersuchungszeitraum erwiesen sich drei Äbtissinnen als besondere Förderinnen der Jesuitenniederlassung: Anna Salome von Salm-Reiferscheidt, Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg und Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach. Anna Salome erwirkte zu Beginn des Jahres 1666 die dauerhafte Niederlassung der Jesuiten im Stift Essen. Zwar waren diese bereits unter ihren beiden Vorgängerinnen im Stift aktiv, jedoch ohne durchgängige Präsenz. Sie verschaffte ihnen zudem lukrative Einkunftsmöglichkeiten, indem sie ihnen 1650 die Pfarrstelle an der Johanniskirche sowie seit 1669 die Leitung der Stiftsschule, des späteren fürstlichen Gymnasiums, übertrug. Damit sicherte sie das finanzielle Auskommen der im Stift ansässigen Jesuiten. Im Gegenzug bemühten sich die Jesuiten um die Wiederherstellung der Katholizität im Stift, die eine der tragenden Säulen für die vor allem durch die Stadt bedrohte Landeshoheit der Äbtissin war.150 Bernhardine Sophia stand ebenso wie ihre Tante in engem Kontakt mit den in Essen ansässigen Jesuiten, die ihren zweimaligen Wahlkampf um das höchste Amt im Stift unterstützten.151 Nachdem sie 1691 zur Äbtissin gewählt wurde, zählten die Jesuiten zu ihrem einflussreichen Beraterstab. Mittels der Äbtissin versuchten sie, die katholische Religion in Stift und Stadt wieder vollends herzustellen. Sie gehörten zu den Antreibern der in den 1720er Jahren virulenten Übergriffe auf evangelische Untertanen des Stifts.152 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Bernhardine Sophia zwar bereits von ihren jesuitischen Ratgebern aus ungeklärten Ursachen gelöst und sie aus ihrem Testament gestrichen,153 aber deren errungene Stellung als Pfarrherren zu St. Johannes und Gutsbesitzer sicherte ihnen dennoch weiterhin Einfluss im Stift. Beim Regierungsantritt ihrer Nachfolgerin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach hatten sowohl die evangelischen Untertanen als auch der preußische König die Hoffnung gehegt, dass die Übergriffe auf Evangelische abgestellt würden. Aber schon kurz nach ihrer Wahl berichtete der preußische Gesandte nach ____________ 149 150 151 152

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Vgl. ARENS, Jesuitenresidenz. Vgl. ebd., S. 128. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 146f., 150-152. S. o. Kap. Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 56. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 151f.; DIES., Frauentestamente, S. 64.

4.2. Regieren

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Berlin, dass sich die Zustände auch unter der neuen Äbtissin nicht gebessert hätten.154 Stattdessen gewannen erneut die Jesuiten an Einfluss – insbesondere diejenigen, die als Beichtväter der Äbtissin dienten. Auf diese Weise konnten sie ihre Verdrängungsmaßnahmen gegen evangelische Untertanen auf dem Territorium des Stifts fortsetzen.155 Franziska Christina überantwortete ihnen zudem ihre Waisenhausgründung in Steele.156 Dort fanden Ordensmitglieder auch nach der Auflösung des Jesuitenordens 1773 eine Existenzgrundlage. Als geistliche Ratgeber und Beichtväter gewannen die Jesuiten das Vertrauen der Essener Äbtissinnen und nahmen als solche vermutlich auch Einfluss auf ihre Entscheidungen, deren Nutznießer sie häufig waren. Dies galt zunächst für die Übertragung der Johannis-Pfarre und die Leitung des Gymnasiums, später für die zusätzlichen Einnahmen aus Zwangstaufen und Enteignungen von evangelischen Untertanen. Mit Hilfe der jeweiligen Äbtissin schufen sie sich in Essen lukrative Einnahmequellen sowie einen Ausgangspunkt für ihre jesuitische Mission. Dadurch schürten sie wesentlich den konfessionellen Gegensatz zwischen Katholiken und Lutheranern und zogen den Hass der Bevölkerung auf sich. Nach Aussage des Reichsfiskals war der Name ‚Jesuiten‘ […] in der Stadt und in der ganzen Gegend bei Geistlichen und Weltlichen, Katholiken und Protestanten (wenige Stiftsdamen ausgenommen) so verhaßt und kein Übel dieser Welt so groß, welches von den die gute Fürstin am Seil führenden sozusagen despotisch verfahrenden patribus nicht gewünscht werde.157 Eine andere Form der externen Beratung stellte die Anrufung juristischer und theologischer Fakultäten sowie Einzelpersonen gegen finanzielle Honorierung dar. Hierbei handelt es sich um die juristische Praxis der Rechtsgutachten, die in der Frühen Neuzeit sowohl im Rahmen der Aktenverschickung in einem anhängigen Gerichtsverfahren als auch in Form der Parteigutachten praktiziert wurde.158 Während bei der Aktenverschickung ein Gericht den gesamten Prozessvorgang an eine Juristen- oder in geistlichen Angelegenheiten Theologenfakultät schickte,159 um deren Entschei____________ 154

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Abgesandter Pollmann an das Berliner Kabinett (5. Dez. 1726): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 40. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 157f. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, S. 74-76. Bericht des Reichsfiskals Helm (3. Okt. 1773): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei Geistliche Wahlakten 11b. Vgl. hierzu grundlegend FALK, Consilia. So zum Beispiel im Verfahren des Quedlinburger Konsistoriums gegen den Diakon Sprögel wegen Beleidigung der Äbtissin sowie Durchführung einer Trauung in einer fremden Diözese. Die Konsitorialräte holten zunächst Gutachten bei der juristischen und

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dung zu erbitten, wandte sich eine Partei mit einer bestimmten Fallgeschichte an die Gerichtsinstanz. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar sowie das dortige Kapitel ließen in der Auseinandersetzung mit dem neuen Schutzherrn des Stifts, dem brandenburgisch-preußischen Kurfürsten-König, seit 1698 wiederholt Gutachten von Juristen- und Theologenfakultäten als auch von renommierten Einzelpersonen in allen wesentlichen Streitpunkten einholen: der Gültigkeit der Cession an sich,160 der Huldigung der Stiftsuntertanen gegenüber dem brandenburgischen Kurfürsten,161 der Akzise,162 des Ratswechsels,163 des vom Kurfürsten-König eigenmächtig eingesetzten Superintendenten,164 der strittigen Coadjutorinnenwahl von 1704 und der Machtverteilung im Kapitel während der Vakanzregierung.165 In der sogenannten narratio, den species facti oder der Ge____________

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theologischen Fakultät Rostock ein, bevor sie den Diakon auf Grundlage dieser Gutachten von seinem Amt suspendierten. Später erfolgte die vollständige Demission des Diakons auf der Basis des Gutachtens der Juristenfakultät Helmstedt. Kopie des Befehls der Äbtissin an das Konsistorium zur Eröffnung des Prozesses (15. Okt. 1697): Magdeburg LHASA Rep. A12 Sec. Nr. 209a, fol. 91r; Gutachten der Juristenfakultät Helmstedt (24. Febr. 1701): Magdeburg LHASA Rep. A12 Spec. Nr. 209a, fol. 133v-136r. Vgl. ALBRECHT, Das Quedlinburger Netzwerk. Gutachten der Juristenfakultät Erfurt (12. Juni 1699): Magdenburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 463r-480v. Gutachten der Juristenfakultät Helmstedt (5. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 5r-15r. Anfrage an und Gutachten von der Theologenfakultät Helmstedt, des Superintendenten von Rostock und kursächsischen Oberhofpredigers, abgedruckt in RESPONSA THEOLOGICA. Gutachten der Juristenfakultät zu Jena (März 1706): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXIX Nr. 30, fol. 70r-78r. Hier ging es konkret darum, ob die Äbtissin zulassen durfte, dass die Prediger und Schulkollegen dem vom Kurfürsten willkürlich eingeführten Superintendenten Gerhard Meyer den Handschlag leisten sollten. Gutachten der theologischen Fakultät Helmstedt (18. März 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 148r-149v. Gutachten der juristischen Fakultät Helmstädt [1704] und der theologischen Fakultät Rostock [1704]: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 75r-89v, 93r-97r. Nach dem Tod Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar 1704 zerstritt sich das Kapitel über die Frage der Nachfolge. Während die beiden Gräfinnen von Schwarzburg, Dekanissin und Kanonissin des Stifts, das freie Wahlrecht zu wahren suchten, stellte sich die Pröpstin Maria Aurora von Königsmarck in den Dienst des preußischen Königs und unterstützte dessen Kandidatin Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen. In diesem Zusammenhang stellte man vor allem auf preußischer Seite Überlegungen an, ob die beiden Gräfinnen zu Gunsten der Gräfin von Königsmark entmachtet werden könnten. Maria Aurora verlangte daher das alleinige Regiment während der Vakanz, wogegen die Stiftsrä-

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schichtserzehlung stellte die Partei die Angelegenheit schriftlich vor. Häufig endeten diese Ausführungen in konkreten Fragen, welche die Auftraggeber erörtert wissen wollten. Der Inhalt der narratio oder species facti wurde von den beauftragten Juristen oder Theologen als wahrheitsgemäß angesehen und kein weiterer Nachweis eingefordert oder eine Prüfung vorgenommen. Dabei hat man es aber immer mit einer gefärbten Darstellung zu tun, die nicht nur den Standpunkt und die Interessenslage der Partei wiederspiegelte, sondern auch durch den Willen geprägt war, die Gutachter für sich einzunehmen. Es handelt sich also weniger um die unparteiische Schilderung eines Sachverhaltes oder Tatbestandes als vielmehr um „die Konstruktion einer erfolgversprechenden Fallgeschichte“.166 Welche Funktion erfüllten solche Gutachten, wenn das Ergebnis eigentlich bekannt und in den species facti bereits vorgegeben war? Im Fall der eigenmächtig durch den brandenburgisch-preußischen Schutzherrn in Quedlinburg eingeführten Akzise sollten die Gutachten die ablehnende Argumentation der Äbtissin und ihrer Stiftsräte nicht nur gegenüber dem Kurfürsten und seinen Vertretern, sondern durch den Druck auch gegenüber der reichsständischen Öffentlichkeit stützen und mit mehr Autorität versehen. Daher wurden auch nicht nur ein, sondern gleich mehrere Gutachten eingeholt, um dem Standpunkt noch mehr Gewicht zu verleihen. Sie lieferten gleichzeitig eine Reihe von Argumenten, die in nachfolgenden Protestschriften übernommen werden konnten. Die Gutachten stellten somit eine Verhandlungsgrundlage dar, auf welcher der Kurfürst von der Aufhebung der Akzise überzeugt werden sollte. Schließlich sollten sie sich auf die Klärung der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Akzise beschleunigend auswirken. Denn das Rechtsverfahren am Reichshofrat, in dem ganz grundlegend über den Wechsel der Schutzherrschaft sowie die Stellung des Schutzherrn im Stift entschieden wurde, konnte sich erfahrungsgemäß noch länger hinziehen.167 Das Beispiel der Quedlinburger Akzise macht allerdings deutlich, dass sich die Praxis der Rechts- und Parteigutachten nicht unbedingt bezahlt machen musste. Im Fall der Akzise blieben die Gutachten ohne Wirkung: Die Steuer wurde nicht nur beibehalten und später noch

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te verschiedene Gutachten einforderten. Vgl. Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 12, fol. 486r-487r, 494r-500v, 505r-507v. FALK, Consilia, S. 75-88, Zitat S. 87. Zur „Multifunktionalität“ von Rechts- und Parteigutachten vgl. ebd., S. 93-239, jeweils versehen mit Fallbeispielen.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

erhöht,168 sondern die nachfolgende Äbtissin Maria Elisabeth von HolsteinGottorf stimmte nach zähen Verhandlungen trotz der ebenfalls betonten Gewissensbelastung schließlich ihrer Beteiligung zu.169

Deliberiren, Resolvieren, Referiren, Expediren Setzen demnach, ordnen und wollen erstlich, daß täglich außerhalb der Sonn- und feyrtagen unser Cantzley Director undt Rhäte vormittags von Neun biß Eilff Uhr, oder biß zur Taffell […] nachmittags dreymahl in der Wochen, alß Montag, Mittwoch undt Freytag von zwey biß vier Uhren bey Unser Cantzley erscheinen.170

Diese Öffnungs- und Anwesenheitszeiten ordnete die Essener Äbtissin Bernhardine Sophia in ihrer Kanzleiordnung aus dem Jahr 1695 für die gelehrten Räte ihrer Stiftskanzlei an. In dieser Zeit sollten sie ihrer Tätigkeit in den Räumen der Kanzlei im ersten Obergeschoss des Abtei- und Kanzleigebäudes nachgehen, wo sich neben der Registratur eine Rats- und eine Kanzleistube sowie ein Konferenzzimmer befanden.171 Worin bestanden die Tätigkeiten und Aufgabenfelder der jeweiligen Stiftsräte? Eine Antwort auf diese Frage bietet wieder die Essener Kanzleiordnung. Sie erlaubt einen Einblick sowohl in die Aufgabenbereiche als auch die Arbeitsweise der dort angestellten Beamten.172 Zu den Aufgaben gehörte die Rechtsprechung, die Güter- und Renteiverwaltung, das Supplikationswesen, die Korrespondenz ____________ 168

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Befehl der Äbtissin an den Stadtrat, sich der Erhöhung der Akzise zu widersetzen (2. Jan. 1725): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 9, fol. 1r-v; Protokoll einer Zeugenbefragung zur Erhöhung der Akzise (23. Jan. 1725): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 9, fol. 166r-206r, hier fol. 183r-v, 195r-196v. Madelung, Protokoll der Verhandlungen (31. Okt. 1743), Maria Elisabeth an den preußischen Staatsminister Samuel von Cocceji (9. Dez. 1743): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 31, fol. 213r-216v, 222r-224v; Instruktionen für Stiftsrat Madelung wegen seiner Unterredung mit dem preußischen Kammerpräsidenten von Ribbeck (12. Mai 1744): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 32, fol. 4r-5r. Darin forderte die Äbtissin den 3. Teil sowie die Konkurrenz bei der Erhebung der Akzise. Hierzu und im Folgenden Kanzleiordnung der Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (25. Jan. 1695): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 678, fol. 2r-9v. Vgl. Grundriss des Abtei- und Kanzleitraktes, in KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 130; erstmals abgedruckt in SCHRÖTER, Die Abteigebäude in Essen. Vgl. ebenfalls zu den Abteigebäuden GREVEL, Das Abteigebäude zu Essen; HUMANN, Die ehemaligen Abteigebäude zu Essen. Hierzu und im Folgenden Kanzleiordnung der Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (25. Jan. 1695): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 678, fol. 2r-9v.

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und die publica alß Stiffts- undt Landts- Reichs- Crays- Müntz- Contributions- und dergleichen Sachen. Die Essener Kanzlei übte somit eine Mehrfachfunktion als Regierungs-, Verwaltungs-, Gerichts-, Appellations- und Exekutionsinstanz sowie Lehnskammer und Rentei aus. Die Überlieferung der Stiftskanzleien von Herford und Quedlinburg legt den Schluss nahe, dass sie ebenfalls eine solche Mehrfachfunktion erfüllten, auch wenn eine Kanzleiordnung wie im Essener Fall dort fehlt. In Quedlinburg wurde unter der preußischen Prinzessin Anna Amalie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Umstrukturierung der Stiftsverwaltung vorgenommen, um den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen Rechnung zu tragen. Dabei orientierte sie sich am fortschrittlichen preußischen Verwaltungsmodell, in welchem die Administration der einzelnen Landesteile den sogenannten Kriegs- und Domänenkammern oblag.173 Als ersten Schritt benannte die Äbtissin nur wenige Monate nach ihrer feierlichen Einführung die Stiftskanzlei erneut in Fürstliche Quedlinburgische Stiftsregierung um.174 Als Nächstes folgte die Einrichtung der Stiftskammer, der die Verwaltung der gesamten Ökonomie des Stifts (Güter, Pachten, Forsten, Besoldung usw.) überantwortet wurde.175 Die Prinzessin führte nach preußischem Vorbild eine differenzierte Verwaltungsstruktur ein, die sich in fünf Departements gliederte: erstens die Stiftsregierung, verantwortlich für alle weltlichen Belange sowie die Ziviljurisdiktion; zweitens die Stiftskammer, zuständig für die gesamte Ökonomie; drittens die Rentei als zentraler Ort der Rechnungslegung, deren Beamte wiederum der Stiftskammer Rechenschaft schuldig waren; viertens das Konsistorium als geistliche Behörde und Gerichtsinstanz; schließlich die Amtmänner, verantwortlich für die Verwaltung der Vorwerke. In einem dritten Schritt verlegte Anna Amalie die Stiftskammer 1765 nach Berlin,176 zurück blieb lediglich ein Kammerkommissar, dessen Aufgabe darin bestand, Berichte an Höchst gedachte Ihro Königlich Hoheit selbst, oder an erwehnete Camer anhero ein zusenden, und sich dort nur lediglich wie [ein] Rendant mit Einhebung der Gelder abzugeben, und äußerst zu sorgen daß solche jedesmahl zur gesezten Zeit promt

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Vgl. HINTZE, Behördenorganisation und allgemeinen Verwaltung in Preußen; Hubatsch, Brandenburg-Preussen. Fürstliches Reskript Anna Amalies in Preußen an die Stiftsregierung (3. Sept. 1756): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXX Nr. 2, fol. 181r. Ordnung für die Quedlinburger Stiftskammer (6. Okt. 1759): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 22. Reskript Anna Amalies in Preußen an die Stiftsregierung (20. Mai 1765): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 23.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

und accurat eincassiret und gehörigen Orts abgeliefert werden mögen, wie es sich den auch von selbsten verstehet, daß wann ihm von Seiner Königlichen Hoheit oder von höchst dero hiesigen Stiffts Camer, als seinem ihm nunmehr vor gesezten Collegio Befehl zugeschickt und Untersuchungen aufgetragen werden, er solche hier nechst jedesmahl auf daß aller promteste zubefolgen hat.177

Die Essener Kanzleiordnung sah vor, dass die Räte in Gerichts-, Güter-, Rentei- und Supplikationsangelegenheiten im Plenum eigenmächtig Entscheidungen fällen sollten. Sowohl die publica als auch alle einkommende Schreiben undt andere Sachen, welche Unß [die Äbtissin, Anm. d. Verf.], Unser Stifft, Landt undt Staat betreffen und von einiger importantz sind, sollten ebenso zunächst im Kreis aller Räte gemeinsam deliberirt und resolvirt, dann aber der Äbtissin referiert und nach deren Entscheidung expedijrt werden. Die Ordnung differenzierte demnach zwischen der Beratung durch die Räte sowie der Entscheidung durch die Fürstin und schrieb damit die „strukturelle Asymmetrie“ zwischen gelehrten Räten und der Fürstin fest.178 Wie verhielt sich diese Norm jedoch zur Praxis in den Stiften? Aufschlüsse hierüber bietet das Schriftgut der jeweiligen Kanzlei oder Regierung. Dort ging nicht nur der gesamte offizielle Schriftverkehr von Äbtissin und Stift ein, sondern wurden auch Berichte und Aussagen von Untertanen und Beamten aufgenommen und protokolliert. Im Stift Essen wurden hierzu seit 1665 protocolla publica bzw. protocolla regiminis zunächst für mehrere Jahre und seit Ende des 18. Jahrhunderts in Jahresbänden angefertigt.179 Darin wurden die ein- und ausgegangenen Schriftsätze sowie die beratschlagten Themen verzeichnet. Eine ähnlich geführte Registratur gab es in den Stiftskanzleien von Herford und Quedlinburg allem Anschein nach nicht. In Quedlinburg übernahm der Stiftsarchivar die Aufgabe, die zusammengehörigen materien nach reiflicher Erwegung deren Innhalts unter deutliche Rubriquen zusammen zu bringen, zu foliiren und in Pergament sauber ein[zu]binden.180 ____________ 177

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Hofmeister von Medem an den Kammerkommissar Fritsch (20. Mai 1765): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 23. Vgl. STICHWEH, Gelehrter Rat und wissenschaftliche Politikberatung, S. 102f.; DERS., Der frühmoderne Staat und die europäische Universität, S. 162f. Vgl. Protokollbände in Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 681-685, 687705. Für die Zeitspanne zwischen 1720 und 1727 sowie zwischen 1753 und 1786 sind keine Protokolle überliefert. Vorgänger der protocolla publica bzw. protocolla regiminis waren die sogenannten Missiv-Protokolle, in denen die von der Äbtissin bzw. in deren Namen geführte Korrespondenz verzeichnet wurde. Sie reichen bis ins Jahr 1605 zurück. Wortlaut der Bestallungsurkunde des Archivars Balthasar Friedrich von Mithoff (11. Okt. 1747): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. VII Nr. 6, fol. 54r-57r, ähnlich auch in anderen

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So entstanden zum Beispiel die Acta brandenburgica, in denen das gesamte Schriftgut zu den Auseinandersetzungen zwischen Äbtissin und brandenburgisch-preußischem Schutzherrn gesammelt wurde.181 Auch für das Stift Herford kann aufgrund der Überlieferungssituation eine solche thematische Sammlung angenommen werden. Nach der Eröffnung und Durchsicht der eingegangenen Schreiben, der Aufnahme von Aussagen oder der Behandlung von öffentlichen Angelegenheiten erstatteten die Kanzleibeamten der Äbtissin mündlichen oder schriftlichen Bericht. Die Art und Weise der Berichterstattung ist vor allem während der Abwesenheit der jeweiligen Äbtissin aus ihrem Stift gut nachzuvollziehen. Die im Exil weilende Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland stand in schriftlichem Kontakt mit ihren in Herford zurückgelassenen Räten, allen voran dem Kanzleidirektor Hahn.182 Zudem reisten einzelne Räte wie Johann Ludewig von Sternfeld und wohl auch Conrad Georg Hahn wiederholt nach Verden, um sich dort mit der Äbtissin zu besprechen.183 Auf Grundlage ihrer Anweisungen organisierten die Räte die Regierungsgeschäfte vor Ort und setzten den offiziellen Schriftverkehr auf, der dann zur Genehmigung und Unterschrift nach Verden geschickt wurde. Zeugnis für diese Praxis liefert eine Aktennotiz auf einem Konzeptschreiben. Darin heißt es: Ein gleich lautendes [Anschreiben, Anm. d. Verf.] ist nach Verden geschickt, ob es aber expediret und nach Berlin gesandt muß daselbst erkundiget werden.184 In Essen führte die dauerhafte Abwesenheit der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen, die sich vornehmlich am kurfürstlichen Hof ihres Bruders in Koblenz oder Augsburg aufhielt, zu einer Veränderung der Kanzleiregistratur, um die Kommunikation zwischen Regierung und Äbtis____________ 181 182

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Archivarbestallungen. Vgl. SCHOLZ, Die Verwaltung des Stiftes Quedlinburg, S. 229, Anm. 25. Vgl. Acta brandenburgica (1698-1806): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1-47. Z.B. während seines Aufenthaltes Mitte 1705 in Berlin oder zu Beginn des Jahres 1706 in Kassel, um mit dem Landgrafen zu verhandeln. Charlotte Sophie an Kanzleidirektor Hahn (12. Aug. 1705, 20. Jan. 1706): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118, 119. Der Kapitular und ehemalige Stiftsrat Johann Ludewig von Sternfeld unterhielt scheinbar in Verden einen eigenen Haushalt. Nachdem es zum Zerwürfnis zwischen ihm und der Äbtissin gekommen war, reiste er noch einmal nach Verden, um seine zurückgelassenen Sachen abzuholen. Bericht eines preußischen Informanten in Verden an den preußischen Geheimen Rat Tielemann in Bremen (7. März 1720): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 119. Konzeptschreiben Charlotte Sophies von Kurland an Friedrich Wilhelm I. in Preußen [Sept. 1719]: LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127.

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sin über die Distanz hinweg zu erleichtern. Per Reskript hatte die Äbtissin der fürstlichen Regierung aufgetragen, die sämtliche vorkommende Geschäfte bei der Ratssitzung immer in ein Protokoll einzutragen und nicht wie vormals in verschiedenen Protokollen.185 Die eingegangene Korrespondenz wurde in das Protokoll eingeschrieben, der Sachverhalt erläutert, häufig eine Empfehlung ausgesprochen und dann der Äbtissin zu ihrem jeweiligen Aufenthaltsort geschickt.186 In besonders heiklen Angelegenheiten wie der geplanten Auflösung eines Essener Beginenkonventes reisten die Hofräte selbst nach Koblenz, um der Äbtissin den betreffenden Vorgang vor- und zusätzliches Informationsmaterial bereitzustellen.187 Am Aufenthaltsort der Äbtissin wurde ein eigenes Kabinettexemplar des Protokollbuchs in Abschrift angefertigt.188 Jeweils im Anschluss an das Sitzungsprotokoll teilte die Äbtissin beziehungsweise ihr Kabinettsekretär der Regierung schriftlich ihre Entscheidung mit.189 Weilten die jeweiligen Äbtissinnen in ihren Stiften, scheint die Berichterstattung vor allem mündlich geschehen zu sein, weswegen schriftliche Überlieferungen fehlen. Im Zuge der Berichterstattung oder auf Nachfrage gaben die Stiftsräte, wie anhand des Herforder Schriftwechsels oder der Essener Protokollbücher ersichtlich, gleichzeitig eigene Einschätzungen oder resolutiones zu den verschiedenen Angelegenheiten ab. Hiervon zeugen auch zwei Gutachten aus dem Stift Quedlinburg. Mitte der 1720er Jahre drohte der Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf eine Klage des kaiserlichen Fiskals,190 wenn sie nicht das Reichshofratsverfahren im Streit mit dem preußischen König um die Rechtmäßigkeit der Cession der Schutzherrschaft von 1698 und deren Folgekonflikte wieder aufnahm. In dieser Situation wandte sich die ____________ 185

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Vgl. Notiz des Obersthofmeisters Graf von Aicholt (4. Nov. 1788) zu Beginn des Protokollbandes aus dem Jahr 1786: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 687. Der Regierungskanzlei wurde eigens mitgeteilt, wo sich die Äbtissin aufhielt, damit ihr die Protokolle hinterher geschickt werden konnten. Im Regierungsprotokoll ist die Reise des Hofrates Schmitz nach Koblenz verzeichnet, um der Äbtissin ein Aktenkonvolut zu bringen (6. Dez. 1786), Protocoalla regiminis (1686): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 687, fol. 45r-48r. Vgl. hierzu die doppelte Überlieferung des Protokollbuches aus dem Jahr 1789 in Düsseldorf LAV NRW R. Im Exemplar der Regierung befinden sich die original Reskripte der Äbtissin. Protokollbücher 1789: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 692 u. 693. Die Anweisungen wurden in den Protokollbüchern direkt hinter das Sitzungsprotokoll geheftet. In wenigen Fällen finden sich die Anweisungen auch direkt am Rand. Vgl. Protokollbuch 1786: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 687. S. u. Kap. Des Kaisers rechter Arm.

4.2. Regieren

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Äbtissin an ihre Ratgeber. Diese waren sich keinesfalls einig. Während die einen von der Fortsetzung abrieten, weil die rechtliche Hilfe des Kaisers gegen mächtige Fürsten oft Difficultäten ausgesetzt wäre, glaubten die anderen nicht an einen gütlichen Ausgleich mit dem preußischen König.191 Auf der Grundlage dieser beiden Meinungen entschied sich die Äbtissin schließlich dafür, das Verfahren wieder aufzunehmen, umfangreiche Gravamina gegen den preußischen König und seine Vertreter von ihren Beamten zusammenstellen zu lassen und am Reichshofrat einzureichen.192 Ergaben sich aus dem eröffneten Sachverhalt offene Fragen, wurde den Räten zudem die Beschaffung zusätzlicher Informationen aufgetragen. Ein Beispiel hierfür ist die Order der Essener Äbtissin Maria Kunigunde an ihre Räte, Erkundigungen einzuziehen, wie hoch die Kosten für die kaiserliche Lehns Renovatio bei den letzten beiden Belehnungen waren. Die Aufgabe übernahm von Amts wegen Hofrat Schorn qua Archivarius.193 Vorausschauend lieferte der Rat der Äbtissin auf diese Weise Argumente, falls in Wien bei der Lehns-erneuerung höhere Gebühren verlangt werden sollten. Die Bereitstellung nicht nur von Argumenten, sondern auch Konfliktführungs- und Verhandlungsstrategien durch die Stiftsbeamten spielten insbesondere in Zeiten innerer wie äußerer Bedrängnis eine wichtige Rolle. Die Äbtissinnen mussten sich im 17. und 18. Jahrhundert sowohl gegen die Beschneidung ihrer Rechte durch die auf Partizipation drängenden Kapitelmitglieder und durch die nach Autonomie strebende Stadt als auch gegen die Übergriffe ihres Schutzherrn wehren.194 In dieser Situation gab es verschiedene Verhaltensstrategien, wie ein Beschwerdeschreiben an den politischen Gegner, die Übergabe einer offiziellen protestatio, das Supplizieren an die Reichsinstitutionen oder die Einholung eines externen juristischen oder theologischen Gutachtens. Insbesondere protestatio und Supplik mussten bestimmten formellen Vorgaben entsprechen, die zum juristischen und politischen Handwerkszeug der gelehrten Räte gehörten. Darüber hinaus ____________ 191

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Gutachten eines Unbekannten (18. Jan. 1725), der sich für die Fortsetzung des Prozesses einsetzte, darin aber auch ein weiteres, undatiertes Schreiben ansprach, dessen Urheber sich gegen die Wiederaufnahme aussprach: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 9, fol. 75r-80v. Regierungsprotokoll über das Zusammentreffen von Kapitel und Äbtissin (21. Okt. 1724), Listen der verschiedenen Gravamina (o.D.) sowie Schreiben Maria Elisabeths von Holstein-Gottorf an Kaiser Karl VI. (15. Dez. 1724): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 8, fol. 363r-365r, 393r-394r, 395r-396r, 527r- 544r. Regierungsprotokoll (14. Jan. 1791), in Protocolla regiminis (1791): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 696, fol. 74r-v. S. o. Kap. Verhandeln.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

mussten sie einer klaren Argumentation folgen, die durch Beweise gestützt wurde. Die Stiftsbeamten sammelten daher Argumente für die Landeshoheit, Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft von Äbtissin und Stift sowie die obrigkeitliche Stellung der Äbtissin gegenüber Kapitel und Stadt. Zu den zentralen Argumenten gehörten: votum et sessio auf Reichs- und Kreistagen, Verzeichnung in der Reichsmatrikel, Berufungsverfahren (provocationes) nur an den Reichsgerichten, das jus collectandi der Reichs- und Kreissteuern, die jura episcopalia.195 Wenn auch mehrheitlich ohne direkten Verweis auf Quellenangaben, so beriefen sie sich damit doch auf die verschiedenen scriptores juris publici.196 Um ihre Argumentation zu stützen, trugen die Stiftsbeamten Privilegien, kaiserliche Schutzbriefe, Wahlkapitulationen, Notariatsprotokolle, Reichsgesetze und Verträge zusammen. Als Beweis für Gewohnheitshandeln zum Beispiel bei der Besetzung der Quedlinburger Ratsherrenstellen und der Konfirmation des amtierenden Rates führten sie Zeugenbefragungen durch, die in diesem konkreten Fall bestätigten, dass die Äbtissin über das alleinige jus elegendi et confirmandi verfügte.197 Diese Zeugenverhörprotokolle dienten ebenso wie die von den Kanzleibeamten erstellten Gravamina als Grundlage für Protestschreiben im Namen der Äbtissin, Vergleichskonferenzen und Klagen an den Reichsinstitutionen. Die Praxis des Sammelns und Archivierens hatte an Bedeutung zugenommen. Denn der einfache Verweis auf Rechte, Privilegien oder das Herkommen reichten im 17. und 18. Jahrhundert nicht mehr aus, weil im Zuge der zunehmenden Verrechtlichung von Konflikten der Urkundenbeweis zwingend erforderlich geworden war. Die Kanzleibeamten trugen die Argumente und Beweise nicht nur zusammen, sie sorgten auch für deren Verschriftlichung im direkten Schriftverkehr von Äbtissin und Stift sowie in eigens angefertigten Memorialen, ____________ 195

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S. hierzu die Auseinandersetzungen in den in Quedlinburg entstandenen Druckschriften RECHTLICHE DEDUCTION, S. 25-28 und COMPENDIUM ACTORUM PUBLICORUM QUEDLINBURGENIUM, S. 20f. S. ebenso Notata Ihrer Hochfürstl. Durchl. Der Frau Aebtissin zu Herford, gebohrnder Herzogin zu Churland ppp. Auf Der Königl. Preussischen zur fürstl. Caßelischen Mediation Deputirter Räthen eingebrachte so genandte, kurtze beantwortung der fürstl. Herfordischen Gravaminum p. [1704]: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119; WARHEITS RETTUNG. Vgl. diesen indirekten Verweis in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 16. Die gleichen Argumente zur Behauptung der superiorität führen unter anderem Johannes Limnaeus in Juris publici Imperii Romano-Germanici und Veit Ludwig von Seckendorff in der Teutsche Fürstenstaat an. Vgl. LIMNAEUS, Juris publici; SECKENDORFF, Teutscher Fürstenstaat. Vgl. Notariatsprotokoll über die Befragungen (25. Febr. 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 108r-112v.

4.2. Regieren

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Geschichtserzehlungen, Suppliken und species facti, die zur Eingabe bei den Reichsinstitutionen, Juristen- und Theologenfakultäten oder bekannten Einzelpersonen wie dem Dresdener Superintendenten bestimmt waren. Letzteren lieferten sie darin die Argumente für die eingeforderten Gutachten schon mit, die sie mit Belegen aus den zeitgenössischen Rechts- und Staatsrechtslehren nur noch unterfüttern mussten.198 Das Engagement der Stiftsbeamten reichte bis hin zur Veröffentlichung der Argumente und Beweisstücke in Druckschriften wie der Rechtlichen Deduction aus dem Stift Quedlinburg oder dem Apologethischen Gegenpatent aus dem Stift Herford, um die Übergriffe auf das jeweilige Stift durch seinen Schutzherrn und die Verteidigung seiner Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft einer breiteren Öffentlichkeit vorzuführen.199 Auch das Kanzleipersonal hatte ein großes Interesse am Wohl des Stifts, das ihre soziale Existenz sicherte. Sie nahmen sich daher vielfach mit großem Engagement und unter Gefahren für sich selbst der Verteidigung des Stifts an. Die unbekannten Verfasser der Quedlinburger Druckschriften, die mit großer Wahrscheinlichkeit unter den Stiftsräten zu suchen sind, setzten sich ebenso wie die Herforder Kapitulare der Verfolgung durch brandenburgisch-preußische Regierungsvertreter aus.200 Im Frühjahr 1699 erhielt der Stiftshauptmann den Befehl, die unbekannten Verfasser der gedruckten Schmähschriften und ihre Helfer ausfindig zu machen, um sie vor ein Inquisitionsgericht zu stellen.201 Auch aller anderer Schriftverkehr der Äbtissin und des Stifts wurde in der Stiftskanzlei oder -regierung ausgefertigt. Hierzu gehörten ebenso alle obrigkeitlichen Anordnungen, Gesetze, Urkunden und Patente, die im Namen der Äbtissin oder von Äbtissin und Kapitel aufgesetzt wurden. Ausge____________ 198

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S. zum Beispiel Requisitions-Schreiben der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar samt facti species an die Juristenfakultät zu Altorff (20. Aug. 1694) sowie deren responsum (17. Sept. 1694) über die Frage, ob der Quedlinburger Äbtissin die Landes=Fürstl. Hoheiten zustehen, abgedruckt in COMPENDIUM ACTORUM PUBLICORUM QUEDLINBURGENIUM. Im Umfeld des Stifts Quedlinburg sind nach Ausbruch des Konfliktes zwischen dem Stift und dem preußischen König als dessen neuem Schutzherrn zwischen 1698 und 1726 mehr als 20 Druckschriften entstanden. Vgl. hier beispielhaft RECHTLICHE DEDUCTION sowie für Herford ABGENÖTIGTES APOLOGETISCHES GEGEN=PATENT. 1702 wurden die Herforder Kapitulare Amazon und Sternfeld vor das Berliner Kriminalgericht geladen, dem sie sich entzogen. Später versuchten preußische Soldaten, ihrer im Stift Herford habhaft zu werden. 1703 wurden sie schließlich vom preußischen König des Landes verwiesen, weil sie die Äbtissin zu einem despotischen Regiment verführt hätten. S. o. Kap. Aneignung. Kurbrandenburgische Order an den Stiftshauptmann von Stammer (12. Mai [1699]): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. Rep. 33 (Stift Quedlinburg) Nr. 158 s5 16991725.

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nommen war ihr persönlicher Briefwechsel, den entweder ein eigener Kammersekretär oder die Äbtissin selbst in sogenannten Handschreiben verfertigte. Diese Anschreiben waren formloser eingerichtet und folgten nicht dem starren Kanzleistil des offiziellen Schriftverkehrs.202 Auf welchen Entschluss die Ausfertigungen sowohl von Gesetzen und Anordnungen als auch von Klage- und Protestschriften schlussendlich zurückgingen und wer welchen Anteil am Zustandekommen des Entschlusses hatte, also ob die Geschicke des Stifts mehr durch das „persönliche Regiment“ der Fürstin oder ihr direktes Umfeld oder durch die „Hilfe und Anleitung“ der Stiftsräte geleitet wurden, kann allenfalls für den Einzelfall geklärt werden. Beispiele gibt es jedoch für die „verschiedenen Formen der Herrschaftsausübung“:203 Die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland bestand darauf, unabhängig von Ratgebern zu sein und die nötigen Entscheidungen selbst zu fällen.204 Die Essener protocolla regiminis zeugen davon, dass Maria Kunigunde von Sachsen trotz ihrer Abwesenheit in die Entscheidungsprozesse eingebunden war. Dies änderte sich erst, als sie zumindest teilweise die Entscheidungsbefugnis 1792 in alle[n] vorkommende[n] Geschäfte[n] die keinen Aufschub leiden oder erfordern, ihrem Obersthofmeister überantwortete. Die Regierungsprotokolle sollten von nun an ihm überschickt werden, der dann gegebenenfalls die Äbtissin einschaltete.205 Die Quedlinburger Äbtissin Anna Amalie in Preußen überließ einerseits den Schriftverkehr mit den Regierungsinstanzen in Quedlinburg größtenteils ihrem Hofmeister, später auch noch einem Kammerrat sowie Kammer- und Hofstaatssekretär.206 Andererseits siedelte sie die Stiftskammer nach Berlin ____________ 202 203 204

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Vgl. FURGER, Briefsteller, S. 149-157, 160-165. HAMMERSTEIN, Universitäten – Territorialsstaaten – Gelehrte Räte, S. 287. Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (2. Aug. 1722): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3139, fol. 120r124r. Friedrich Wilhelm hatte im Vorfeld unterstellt, dass die Beschwerden der Äbtissin über vermeintliche Übergriffe preußischer Regierungsvertreter allein auf den falschen Bericht passionierter Leute zurückzuführen wären und jeglicher Realität widersprächen. Friedrich Wilhelm I. in Preußen an Charlotte Sophie von Kurland (7. Juli 1722): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3139, fol. 102r-108v. Dekret der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen (9. Nov. 1792), verzeichnet im Protokollbuch 1792: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 697, fol. 463r-v. In dem von ihrer Mutter übernommenen Hofstaat findet sich zunächst nur die Position eines Hofmeisters, welcher in der Person des Herrn von Medem in der Korrespondenz mit der Quedlinburger Stiftsregierung in Erscheinung tritt. Später sind diese Kabinettschreiben darüber hinaus vom Kammerrat Braun gezeichnet. Die Aufstellung ihres Hofstaates nach dem Tod Anna Amalies führt neben Hofmeister, Kammerrat auch noch einen Kammer- und Staatssekretär auf. Vgl. Aufstellung des übernommenen Hofstaates

4.2. Regieren

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um, wo sie sich die meiste Zeit aufhielt.207 Auf diese Weise hatte sie die Stiftsfinanzen, an deren Konsolidierung sie ein großes Interesse zeigte, besser unter Kontrolle. Die Essener Äbtissin Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg zog sich am Ende ihres Lebens zunehmend von den Regierungsgeschäften zurück und ließ ihren Beamten wie dem bereits eingeführten Offizial Johann Josef Wilhelm Devens weitestgehend freie Hand.208 Fraglos ist aber, dass keine Äbtissin ebenso wenig wie Könige, Fürsten, Grafen, Regenten, Bischöfe, Äbte und Magistrate ohne die Beratung durch rechtskundiges, geschultes Personal auskam. Denn sowohl im politischen Alltagsgeschäft als auch in den Zeiten äußerer Bedrohung durch Mediatisierungstendenzen war die Äbtissin auf das juristische Fach- und Erfahrungswissen der Stiftsräte angewiesen, das diese durch Studium, Ausbildung und Ämterlaufbahn angesammelt hatten. Hierzu gehörten zunächst die Kenntnisse der unterschiedlichen Rechtstraditionen und Argumente sowie das juristische Handwerkszeug, die sie ebenso für die stiftsinterne Rechtsprechung wie für die Einrichtung von Suppliken oder Klageschriften an den Reichsinstitutionen benötigten. Die Verteidigung der Landeshoheit, Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft erforderte darüber hinaus sowohl einen Überblick über das Reichsrecht und die staatsrechtlichen Schriften als auch Kenntnisse über verbriefte Privilegien, Rechte und Freiheiten des Stifts. Die Administration des Stifts, dessen Verwaltung immer neue Zweige wie den in Essen und Quedlinburg betriebenen Bergbau entwickelte, verlangte den Räten zudem Spezialwissen ab, das über zusätzliche Informationskanäle wie eine Dienstbibliothek eingeholt wurde.209 Selbst das Auf-setzen einfacher Gratulations- oder Neujahrsschreiben, geschweige denn von protestationes und Kanzleischreiben an Kaiser, König und Fürsten ____________

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(1757): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm I. W101; die Aufstellung des Hofstaates nach dem Tod der Prinzessin (1787): Berlin GStA PK BPH Rep. 46 Friedrich Wilhelm W132, fol. 13r-14r; vgl. Schriftverkehr wegen preußischer Todesfälle seit 1765: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 71a. Hier taucht erstmals Kammerrat Braun auf. Reskript Anna Amalies in Preußen an die Stiftsregierung (20. Mai 1765): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 23. Zu Devens s. o. Kap. Räte, Sekretäre, Archivare. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Zwangstaufen, S. 55-57. Ende des 18. Jahrhunderts war die Essener Dienstbibliothek allerdings völlig überholt, wie das Gutachten des Hofrates Diensten bezeugt. Er hatte bei der Erstellung einer Bücherliste festgestellt, dass viele Bücher teils keinen Nutzen hätten teils durch bessere neuere Werke übertroffen wurden. Regierungsprotokoll (4. Jan. 1791), Protocolla regimines (1791): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 701.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

erforderte Übung im typischen Kanzleistil unter Einbezug lateinischer Begriffe. Seckendorff stellte in diesem Zusammenhang einen ganzen Katalog an Wissensvorräten und Erfahrungswissen zusammen,210 dem der Idealtypus eines „gebildete[n] und vielseitig einsetzbare[n] Generalist[en]“ zu Grunde lag, dessen Ausbildung „etwa zu gleichen Teilen aus Politik, heimischer und europäischer Staatenkunde (Statistik), Jurisprudenz, Geschichte, Sprachen und Rhetorik bestand“.211 Der Einfluss des gelehrten Personals auf die Entscheidungen der Äbtissin darf nicht unterschätzt werden. Nichtsdestoweniger bestimmte der Anspruch auf die Stiftsherrschaft und die damit verbundene endgültige Entscheidungshoheit nicht nur das Selbstverständnis der Äbtissin, sondern auch der Kapitelmitglieder. Die strukturelle Asymmetrie zwischen Ratgeber und Ratnehmer blieb verbal immer gewahrt, indem alle Entscheidungen im Namen der Äbtissin bzw. der Äbtissin und des Kapitels gefällt wurden. Die Anstellung gelehrter Räte wirkte sich gleich in mehrfacher Hinsicht effizienzsteigernd aus.212 Erstens schlossen sie die Wissenslücke, welche die einseitige Ausbildung nicht nur, aber besonders hochadeliger Töchter mit sich brachte. Diese beschränkte sich neben Kenntnissen im Lesen, Schreiben und Rechnen auf das Erlernen von Sprachen, die Ausbildung musischer Talente und Handarbeiten, die religiöse Unterweisung sowie die Einübung adelstypischer Verhaltensweisen wie Tanz, Jagd und Reiten.213 Zweitens sorgten die Räte sowohl für eine „sachliche Ordnung der Materien“ auf rhetorischer als auch auf materieller Ebene. Sie gewichteten die verschiedenen Materien und brachten sie in einen argumentativen Zusammenhang. Gleichzeitig ordneten sie das Schriftmaterial in Registratur und Archiv, um es schnell wieder aufzufinden. Drittens sorgten sie für eine zeitnahe Aufdeckung von Missständen sowie Rechtsverstößen, wozu sie gleichzeitig Verhaltensvorschläge lieferten. Dadurch ermöglichten sie der Äbtissin eine schnelle Reaktion und Entscheidung. Mitunter konnte es aber auch von Vorteil sein, eine Entscheidung hinauszuzögern. In diesem Fall gewährte „das Einholen eines Rats […] Aufschub“,214 um einen voreiligen, unbedachten Entschluss zu vermeiden oder günstigere Umstände abzuwarten. Mehr____________ 210 211 212 213

214

Vgl. SECKENDORFF, Teutscher Fürstensstaat, Bd. 2, Kap. 6, S. 87-107. STOLLEIS, Grundzüge der Beamtenethik, S. 214. Vgl. hierzu STICHWEH, Gelehrter Rat und wissenschaftliche Politikberatung, S. 101f. Vgl. KOLBACH, Aufwachsen bei Hof, S.268-272; HUFSCHMIDT, Adelige Frauen im Weserraum, S. 100-109; LESEMANN, Zur Bildung und Sozialisation. STICHWEH, Gelehrter Rat und wissenschaftliche Politikberatung, S. 102.

4.2. Regieren

333

fach zögerten die Äbtissinnen eine schnelle Entscheidung mit der Aussage hinaus, dass ihre Räte nicht anwesend seien: zum Beispiel die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland, die sich nicht auf die Coadjutorie einer brandenburgischen Markgräfin einlassen wollte,215 oder die Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, welche die militärische Vertretung des preußischen Königs ablehnte.216 Während Charlotte Sophie sich in der gewonnenen Zeit mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel beratschlagte,217 suchte die Pfalzgräfin Rückhalt bei den Essener Kapiteln und Landständen.218

Gesandtschaft ohne Vollmachten Neben der Arbeit in der Kanzlei übernahmen die Stiftsräte auch Gesandtschaften und vertraten die Äbtissin auf Konferenzen. Grundlage ihrer Tätigkeit waren zum einen Vollmachten, welche die Räte gegenüber den Verhandlungspartnern als rechtmäßige Vertreter der Äbtissin auswiesen, zum anderen eigens aufgestellte Instructionen, die ausschließlich ihnen selbst zur Orientierung dienten. Sie bildeten den Rahmen, in dem die Räte handeln und entscheiden konnten. Während die Vollmachten in der Regel nur in formalisierter Form den Gesandten als Vertreter der Äbtissin identifizierten und den Gegenüber baten, ihn als solchen anzuerkennen, beinhalteten die Instructionen konkrete Handlungsanweisungen an den Abgeordneten. Im Konflikt zwischen der Herforder Äbtissin und dem preußischen König scheiterte die Vergleichskonferenz zu Bückeburg im Jahr 1704 bereits zu Beginn beinahe, weil die abgeordneten Stiftsräte keine Vollmacht vorweisen konnten. Hinzu kam, dass sie auch nicht mit ausreichenden Verhandlungsund Entscheidungskompetenzen ausgestattet waren. Ihre Instruktionen erstreckten sich lediglich auf die Eingabe der Beschwerden ihrer Fürstin sowie ____________ 215

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217

218

Charlotte Sophie von Kurland an den preußischen Regierungsrat von Osten (20. Jan. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Bericht des Klever Regierungsrates Raesfeld über sein Treffen mit der Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (28. Aug. 1744): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1678, fol. 96r-99v. Staatsminister Heinrich Rüdiger von Ilgen an Mindener Regierungsrat von Osten (6. Febr. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach an die Regierung zu Kleve (16. Sept. 1744): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1678, fol. 110r-111r.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

die Beantwortung eventueller Nachfragen. Sie durften weder die Klagen der Gegenseite annehmen noch die Gravamina der Äbtissin diskutieren. Auch auf die Ausdehnung der Beratungsgegenstände durften sie sich nicht einlassen.219 Verhandlungen waren auf dieser Grundlage unmöglich, die Konferenz endete schließlich ergebnislos. Ein weiteres Beispiel für die spezifischen Verhandlungsbedingungen von Räten stellen die Konferenzen im Vorfeld der preußischen Coadjutorinnenwahlen im Stift Quedlinburg Anfang der 1740er Jahre dar. Als Unterhändler des Stifts verhandelte Johann Christian Madelung mit dem Halberstädter Geheimen Rat und Kammerpräsidenten Christoph Friedrich von Ribbeck auf preußischer Seite. Die Treffen fanden abwechselnd in Halberstadt und Quedlinburg statt, damit keine der beiden Parteien benachteiligt wurde. Dem schnellen Verhandlungserfolg stand nicht zuletzt der Modus der Verhandlungen im Weg. Von Ribbeck und Madelung waren jeweils nur befugt, die ihnen zugestellten Decrete ihrer Pricipalen mündlich vorzustellen, nicht aber die der Gegenseite anzunehmen.220 Nach ihrer Eröffnung mussten deren Inhalte zunächst wieder in Quedlinburg oder Berlin erörtert werden, so dass eine endgültige Entscheidung erst bei einer weiteren Zusammenkunft getroffen werden konnte. Nicht nur die Äbtissin,221 sondern auch Friedrich II. ließen es sich nicht nehmen, in die endgültige Entscheidungsfindung einzugreifen.222 ____________ 219

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221

222

Bericht der Herforder Stiftsräte über den ersten Verhandlungstag (25. April 1704): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Vgl. ebd. Der Plan, die Wahl einer preußischen Prinzessin zur Coadjutorin zur Grundlage des Ausgleichs zu machen, konnte erst nach Eingang der Resolution Maria Elisabeths endgültig gefasst werden. Resolutionen Maria Elisabeths auf die Vorträge des Stiftsrates Madelung (31. März 1741, 11. Aug. 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 79r-82r, 99r-102r. Friedrich II. ließ sich die jeweiligen Verhandlungspunkte in Kabinettschreiben vorstellen und teilte seine Entscheidung dann in Randnotizen mit. Vgl. beispielsweise die Vorstellung des Ministers Borke gegenüber Friedrich II. über die Forderungen Maria Elisabeths (12. Mai 1742): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1740-1748. Zu den Forderungen gehörte erstens der Vollzug des üblichen Revers durch die preußische Prinzessin angesichts ihrer künftigen Sukzession, zweitens die schriftliche Versicherung des Königs, dass alle 14 Beschwerdepunkte des Stifts abgestellt würden, u.a. die Beteiligung der Äbtissin an der Akzise, drittens eine zweite Versicherung des Königs in den Punkten, die keine weitere Diskussion benötigten, dazu gehörte beispielsweise die Reichstandschaft des Stifts. Friedrich II. bemerkte hierzu am Rand: ce seul article doit n´etre enoncé qu`obscureneus je Signerai tout Les reste Fr. An anderer Stelle benannte er schließlich seine Schwester Ulrike und legte die Höhe der Beteiligung der Äbtissin an der Akzise auf 3.000 Ecus fest. Vgl. Bericht der Minister Podewils und Borke an Friedrich II.

4.2. Regieren

335

Welche Motive verbargen sich hinter einer solchen Verhandlungspraxis? Neuere Forschungen zum Gesandtschaftswesen haben hervorgehoben, dass sich hierin nicht die per se geringen Handlungsspielräume von Gesandten abzeichneten.223 Sie waren als Regierungsräte selbst an der Aufstellung ihrer beschränkten Instructionen beteiligt. Vielmehr muss der strategische Nutzen solcher zeitlich verzögerten Verhandlungen betont werden, indem die Gesandten zunächst ins Stift zurückkehrten, die Ergebnisse vorstellten und dort die endgültige Entscheidung abwarteten. Die fortwährenden Unterbrechungen bedeuteten einen taktischen Aufschub, währenddessen Informationen und Gegenargumente gesammelt werden konnten. Gleichzeitig ermöglichte diese Verhandlungspraxis den Parteien, sich möglichst viele Optionen offen zu halten und nur schrittweise Zugeständnisse zu machen. Schließlich übten Äbtissin und Ratskollegium auf diese Weise Kontrolle über die Gesandten aus. Denn nicht selten köderte die Gegenseite sie mit lukrativen Angeboten, wenn sie sich zu Zugeständnissen bereiterklärte.224 Johann Christian Madelung bekam beispielsweise vom preußischen Unterhändler eine Präbende im Domstift Halberstadt angeboten.225 So sollte verhindert werden, dass sich die Gesandten zwecks persönlicher Bereicherung oder wegen Befangenheit in nachteilige Verträge einließen.

Der ‚gute‘ und der ‚schlechte‘ Ratgeber Aufgrund der Bedeutung der Stiftsbeamten und ihres Sonderwissens im politischen Alltagsgeschäft, auf Konferenzen und an den Reichsinstitutionen sowie ihres mitunter großen Handlungsspielraums waren sowohl die Äbtissin als auch das gesamte Stift auf deren uneingeschränkte Loyalität angewiesen. Die Auswahl einer geeigneten Beamtenschaft war daher auch Gegenstand der Wahlkapitulationen, die als Bestandteil der leges fundamentales die Verhältnisse im Stift grundlegend regelten. Sie griffen dabei auf Qualitätsstandards der Ratgeberliteratur zum ‚guten Beamten‘ aus dem 16. und 17. Jahrhundert zurück.226 Ein wichtiges Kriterium war die „Unabhängigkeit ____________ 223

224 225

226

(22. Okt. 1742) mit Randbemerkungen: Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1740-1748. Vgl. JÖRG, JUCKER (Hg.), Spezialisierung und Professionalisierung; besonders JÖRG, Gesandte als Spezialisten; KREUTZ, Botenwesen und Kommunikation; KRISCHER, Syndici als Diplomaten. Vgl. THIESSEN, Korrupte Gesandte? Vgl. Randbemerkung Friedrichs II. (20. Aug. 1743) am Kabinettschreiben (19. Aug. 1743): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 h5 1740-1748. Vgl. STOLLEIS, Grundzüge der Beamtenethik.

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[der Beamten] vom Einfluss fremder Fürsten“.227 Charlotte Sophie von Kurland versicherte daher in ihrer Wahlkapitulation als Äbtissin von Herford, niemanden in Dienst zu nehmen, der einigen andren verdächtigen Herren […] mit Eyden und Pflichten […] verwandt und zugethan sei, außer wenn die Frau Abbatissin mit Vorwissen und Consens des Capituli solches zulassen und diesem Stifft dienlich zu seyn erachten würde.228 Dahinter verbarg sich die Sorge, dass die Beamten im Fall eines Konfliktes zwischen ihren verschiedenen Dienst-, Lehns- oder Landesherren in einen Interessenskonflikt gerieten und Äbtissin und Stift unter Umständen falsch berieten. Diese Sorge spiegelt sich auch in den Auseinandersetzungen zwischen der Quedlinburger Äbtissin und ihrem Schutzherrn um die Huldigung und deren Teilnehmer wieder. Bereits unter kursächsischer Schutzherrschaft verlangte Kurfürst Johann Georg IV. und später sein Bruder Friedrich August I./II. in den 1690er Jahren die Teilnahme aller Stiftsdiener an der einseitigen Huldigung gegenüber dem Schutzherrn. Die amtierende Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar und ihre Beamten wehrten sich gegen diese Forderung. Denn dadurch könne ein großer praejuditz dem Stiffte zuwachsen […], wenn Ihro Durchlaucht Bediente Churfürstlicher Durchlaucht zugleich mitschweren sollten, in sonderbahrer Erwegunge Ihro Durchlaucht bald mit dem Chursächsischen Hauptmann bald mit der Voigtey etwas zu demeliren haben, und könnte Ein Bedienter bey solcher Bewandnüs gar leicht intimidiret und geschrecket, ja wohl gar von der theuren Pflicht, womit Er dem Stiffte verwandt, abgehalten werden.229

Das Ziel war es, sich unter den Stiftsdienern eine loyale Anhängerschaft zu bewahren, die in Konfliktsituationen nicht durch doppelte Eidesverpflichtung zwischen den Parteien stand und sich womöglich gegen die Äbtissin stellte. Ein solches Verhalten kann beispielsweise am Quedlinburger Stadtrat beobachtet werden. Dieser war nicht nur der Äbtissin als seiner Obrigkeit Gehorsam schuldig, sondern gleichzeitig als Pächter der Vogtei an den kur____________ 227 228

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Ebd., S. 210. Wahlkapitulation der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (2. Febr. 1689): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1211. Ebensolche Regelungen finden sich auch in den Wahlkapitulationen der Herforder Äbtissinnen Elisabeth Louise von Pfalz-Zweibrücken (1649), Elisabeth von der Pfalz (1667), Elisabeth Albertine von Sachsen-Anhalt (1680), Johanna Charlotte von Brandenburg (1729), Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf (1750/52) und Friederike Charlotte Leopoldine Luise (1766): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1245, 1243, 1115, 1116, 1119. Quedlinburger Stiftskanzler und -räte an die kursächsischen Kommissare (9. Sept. 1692): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 12, fol. 210r-213v.

4.2. Regieren

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sächsischen, später kurbrandenburgischen Schutzherrn als seinen Dienstherrn gebunden. In den zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Äbtissin und Schutzherrn suchte er häufig die Nähe des mächtigeren Schutzherrn.230 In den Stiftsdienern fand die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea hingegen loyale und widerstandsbereite Anhänger. Besonders deutlich zeigte sich dies im Umfeld der Cession der Schutzherrschaft, als sowohl die Regierungsbeamten als auch die Prediger, die geistlichen Konsistorialbeamten und die Schulkollegen der gewaltsamen Übergriffe durch kurbrandenburgische Soldaten trotzten und sich lange der Anerkennung des neuen Schutzherrn widersetzten.231 Ein weiteres Problem bildete neben dem objektiven Kriterium der Ungebundenheit von anderen Dienst- oder Lehnsverpflichtungen die persönliche Integrität des einzelnen Beamten, dessen Treue und Unbestechlichkeit durch den Amtseid und eine häufig allerdings nicht ausreichende Besoldung gewährleistet werden sollte.232 Die eigene Existenzgrundlage spielte eine bedeutende Rolle, wenn es um die Aufrichtigkeit der Stiftsbeamten ging. Ein Beispiel hierfür liefert der bereits genannte Herforder Kanzleidirektor Conrad Georg Hahn, der trotz seiner steilen Karriere unter der Regierung von Charlotte Sophie von Kurland vom Sekretär und Archivar bis hin zum Kanzleidirektor und erstem Kapitular sich in dem langjährigen Konflikt zwischen der Äbtissin und dem preußischen Schutzherrn Friedrich Wilhelm I. als Informant und Unterhändler anbot.233 Angesichts des hohen Alters der Äbtissin und ihres schwachen Gesundheitszustandes versuchte ____________ 230 231 232

233

S. o. Kap. Verbündete des Schutzherrn. S. o. Kap. Besetzung. Vgl. STOLLEIS, Grundzüge der Beamtenethik, S. 217-220. In Herford mussten die Beamten einen Treueeid gegenüber der Äbtissin im Beisein des Kapitels ablegen. Vgl. Wahlkapitulation Charlotte Sophies von Kurland (2. Febr. 1689): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1211. Gleiches galt für die Quedlinburger Beamten. Vgl. Bestallungs- und Dimissionsakten in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. VII Nr. 6-10. In Essen mussten die Stiftsbeamten die Wahlkapitulation der Äbtissin beeiden. Vgl. die Kapitulationen von Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (1691) und Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (1726): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 39, 40. Vgl. Bericht des Ravensberger Landschreibers und Geheimen Hofrates Arnold Henrich von Meinders nach Berlin (9. April 1724): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3140. Noch kurz vor dem Tod der Äbtissin schlug er Friedrich Wilhelm einen Vergleich bezüglich der kurländischen Forderungen vor; dabei bleibt unklar, ob mit oder ohne Zustimmung der Äbtissin. Kabinettschreiben an Arnold Henrich von Meinders (26. Nov. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3145.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Hahn, seine Position im Stift durch einen rechtzeitig vorbereiteten Seitenwechsel zu sichern. Hierbei kamen ihm sein direkter Zugang zur Äbtissin und seine langjährigen Regierungserfahrungen zugute. Sie machten ihn zu einem attraktiven und nützlichen Helfer des preußischen Königs. Hahn ermöglichte Friedrich Wilhelm I. unter anderem den Zugriff auf Gelder aus dem Besitz der dann verstorbenen Äbtissin.234 Auf diese Weise konnte er seine Stellung als Stiftsbeamter und Kapitular trotz innerstiftischer Widerstände auch nach dem Wechsel an der Spitze des Stifts wahren.235 Neben ihren funktionalen Aufgaben in Rechtsprechung und Verwaltung hatten die jeweiligen Regierungsvertreter auf Seiten des Stifts und seiner Gegner in Konfliktfällen gleichzeitig eine stabilisierende Funktion. Als ‚schlechte‘ Ratgeber dienten sie als Projektionsfläche für die Vorwürfe der Gegenseite und sorgten somit für eine Kanalisierung des Konfliktes. Anstatt einander direkt anzugreifen, beschuldigten Äbtissin und Schutzherr in Konfliktfällen regelmäßig die intermediären Gewalten. Friedrich I./III. erhob im Konflikt mit seiner Cousine, der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland, schwerwiegende Vorwürfe gegen ihre Stiftsräte. Die boshafte[n] und Ehr- und Gewissenlose[n] Rathgeber hätten die Äbtissin zu solchen bösen und schädlichen intriguen und desseins versezet und verleitet, so dass sie und ihre Räte zwischen Uns und denen benachbarten Potentaten allerhand Collissiones anzurichten, und bey denen jetzigen ohnedem höchst gefährlichen Conjuncturen zum größten Nachtheil des Römischen Reichs in hiesigen landen einige Unruhe, und wohl gar, so viel an ihnen, ein kriegesfeuer aufzublasen bemühet wären.236 Statt der Äbtissin, die er als reichsunmittelbare Fürstin und nahe Verwandte nicht vor brandenburgischpreußischen Gerichten verfolgen konnte, verklagte er ihre Stiftsräte vor dem Berliner Kriminalgericht, versuchte sie festzunehmen und verwies sie schließlich des Landes.237 Zwar sprach er Charlotte Sophie nicht von jeg____________ 234

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Vgl. Revers des Kanzleirates Conrad Georg Hahn gegenüber der Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg (16. Dez. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3146; Friedrich Wilhelm I. an die Regierungsräte Arnold Henrich von Meinders und Dietrich Ulrich von Hackeborn (1. Jan. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Die anderen drei Kapitulare hatten sich seiner Bestellung noch durch die alte Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland widersetzt. Vgl. Bericht der Kapitulare Arco, Sternfeld und Heimbruch (28. Okt. 1728): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3145. Königliches Proscriptions-Edict (16. Nov. 1703): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123 [Konzept], Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1517 [Original]. S. o. Kap. Besetzung.

4.2. Regieren

339

licher Schuld frei, erklärte sie aber dennoch zum Opfer ihrer Ratgeber,238 wenn er ihr vorwarf, dass sie sich verführt von ihren schlechten Ratgebern gegen ihn gestellt habe, anstatt die von ihm aus einer affectionirten aufrichtigen intention zuwege gebrachten Abdeylichen Diginität und davon dependirenden avantagen nach dem exempel Ihrer Vorfahrinnen in Ruhe [zu] genießen, [und] An Mich als Ihren Vetter und Protectorem Ihres Stiffts sich [zu] halten.239 Charlotte Sophie tat es ihm gleich und suchte nicht im König, sondern im Landdrosten von dem Bussche den eigentlichen Übeltäter. Sie sah in Friedrich I./III. ein Opfer der Lügen des Ertzfeindes und Diabolus incarnatus Bussche.240 Solange dessen pouvoir und credit weiterhin in Berlin hochgehalten werde, der Landdrost das gantze ruder bey dem wercke führe und den König à tout moment wieder umbschwätzen, und auff andere gedancken bringen könne,241 habe sie wenig Hoffnung auf den Erfolg eines Ausgleichs. Eine ähnliche Sündenbockrolle übernahmen der Stiftshauptmann und die kurbrandenburgischen Regierungsvertreter im Umfeld des Schutzherrnwechsels im Stift Quedlinburg. Als brandenburgische Soldaten das Stift besetzten, gab die Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar dem Stiftshauptmann Stammer die Schuld an ihrer Schutzlosigkeit. Sie ließ das Stift von einer Bürgerwehr schützen und verbot dem Stiftshauptmann den Zutritt auf den Stiftsberg, wo sich auch dessen Amtsstube und private Unterkunft befand. Des Weiteren ließ sie die Hauptmanney versiegeln und die Einkünfte des Stiftshauptmannes konfiszieren. Auf seine Beschwerde hin ließ sie ihm antworten, daß der gestrige Tag gezeuget, waß das Stift vor ein protection hette, und hette Herr Stiftshauptmann sich selbst der Stiftshauptmanneylichen chargen verlustig gemachet.242 Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung avancierte der Stiftshauptmann gemeinsam mit dem halberstädtischen Kanzler Unverfährt zu den Hauptbeschuldigten der Äbtissin. Während sie Friedrich I./III. ____________ 238

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Vgl. weitere Schreiben des preußischen Königs, in denen er die bösen Rathgeber der Herforder Äbtissin anprangerte (28. Juli u. 7. Sept. 1703): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Friedrich I./III. an Charlotte Sophie von Kurland (27. Febr./9. März 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Summarische Erzehlung der vielen unleidentlichen attentaten, welche durante mediatione wieder Unß und Unser Stift außgeübet worden (12. März 1705), im Vorfeld der Konferenz von Berlin angefertigt: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (10. Mai 1704); Charlotte Sophie von Kurland an ihren Rat Hahn (12. Aug. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Quedlinburger Kanzleiprotokoll (31. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 75r-76r.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

von jedem Vorwurf freisprach, unterstellte sie den beiden Verleumdung, Unruhestiftung, Respektlosigkeit und barbarische Proceduren.243 Äbtissin und Schutzherr griffen einander in den untersuchten Konfliktsequenzen selten direkt an. Stattdessen trugen sie ihren Streit auf dem Rücken von vermeintlich ‚schlechten‘ Ratgebern und lokalen Regierungsvertretern aus. Sie selbst begegneten sich auf weiten Strecken in gewohnt höflichen Formeln und Verhaltensweisen. Charlotte Sophie von Kurland und Friedrich I./III. unterhielten auch noch, nachdem brandenburgische Soldaten erstmals das Stift besetzt hatten, einen persönlichen Briefwechsel und erklärten einander gegenseitig ihre affection.244 Auch der Quedlinburger Äbtissin versicherte der König seine Affection und seine [aufrichtige] und [sincere] Intention.245 Die Schuldzuweisung an intermediäre Gewalten ermöglichte es, dass Fürstin und Fürst im Konflikt ihr Gesicht wahren konnten. Gleichzeitig wirkte sich diese Form der Konfliktführung deeskalierend aus, da direkte Konfrontationen umgangen wurden.

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Vgl. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (6. Nov. 1698), abgedruckt in CONTINUATION DES WEINENDEN KAYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, fol. 90/4r-90/8r (S. 9-17). Friedrich I./III. erklärte ihr seine affection so ich jederzeit von Jugend auff deroselben zugetragen habe. Friedrich I./III. an Charlotte Sophie von Kurland (7. Juli 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Charlotte Sophie sprach von ihm als ihrem hochgeehrteste[n] und von jugend auffliebwertheste[n] Hl. Vetter. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14. Nov. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Friedrich I./III. an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (3./13. Dez. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 462r-464v; Friedrich I./III. an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (12./22. März 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 252r-253r.

4.3. Repräsentieren

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4.3. Repräsentieren 4.3. Repräsentieren

Um 1770 ließ sich die Essener Äbtissin Franziska Christina von PfalzSulzbach durch den Kölner Maler Johann Jacob Schmitz porträtieren (Abb. 1).1 Das Ganzkörper-Portrait zeigt die Äbtissin in prunkvoller Robe gemeinsam mit ihrem Hofmohren Ignatius Fortuna umrahmt von einer Schlossarchitektur mit einer Säule und Draperien im Hintergrund sowie einem goldverzierten Tisch. Auf dem Tisch liegt auf einem Zierkissen die Fürstenkrone. Sie weist zusammen mit dem Hermelinbesatz an der Robe die Äbtissin als Fürstin des Reiches aus. Im Hintergrund öffnet sich der Blick des Betrachters auf ein mehrflügeliges Gebäude. Hierbei handelt es sich um das von Franziska Christina gestiftete Waisenhaus in Steele, das der Äbtissin auch als Residenz sowie später Grabstätte diente.2 Die Darstellung der Äbtissin in fürstlicher Robe mit Hermelinbesatz und der Fürstenkrone dient dem Ausweis ihres Ranges und entspricht damit dem Genre des Standesportraits.3 Franziska Christina präsentierte sich hier als Fürstin des Reiches und Gründerin des Waisenhauses. Sie brachte damit ihren ständischen Rang- und ihren Herrschaftsanspruch zum Ausdruck. Das Gemälde und die damit verbundene Aussage richteten sich zunächst einmal an die Insassen und Nutznießer der Waisenhausstiftung, in deren Audienzzimmer das Gemälde hing. Gleichzeitig wurden, wenn auch nicht direkt, alle Untertanen des Stifts sowie die Mitglieder der beiden Kapitel, die Einwohner, der Bürgermeister und der Rat der Stadt Essen, der Schutzherr des Stifts und seine lokalen Vertreter angesprochen. Mit den drei letztgenannten Akteursgruppen hatte die Äbtissin im Verlauf ihrer 50-jährigen Regierung zahlreiche Auseinandersetzungen um ihren alleinigen Anspruch auf die Landeshoheit geführt,4 den sie in dem Gemälde bildlich in Szene setzte. Ähnliche Portraits dürften auch auf der Abtei und in der Stiftskirche gehangen haben. Darüber hinaus konnte sie auf weitere Ausdrucksformen herr____________ 1

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Mein Dank gilt der Franziska-Christina-Stiftung, die mir freundlicherweise eine Reproduktion des Gemäldes überlassen hat. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 220f. Der frühneuzeitliche Kunsttheoretiker Roger de Piles beschreibt das Genre 1708, wie folgt: Jedermann muß seinem Stande gemäß bekleidet seyn; und nur der äußerliche Schmuck kann den verschiedenen Stand der Leute in der Mahlerey bezeichnen. PILES, Cours de peintures par principes. In deutscher Übersetzung PILES, Einleitung in die Mahlerey, S. 222. Vgl. zum Standesportrait SCHLINK (Hg.), Bildnisse; KLUXEN, Das Ende des Standesportraits. S. o. v. a. Kap. Wahlkapitulation, Verfahren, Vertrag; Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen; Besetzung.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

schaftlicher Repräsentation zurückgreifen. Mit diesen unterschied sie einerseits zwischen denjenigen, die im Stift herrschten, und denjenigen, die beherrscht wurden. Andererseits brachte sie damit „eine gesellschaftliche Identität zur Geltung, [indem sie] eine bestimmte Art des In-der-Welt-Sein [vorführte]“, ihren Status und Rang als Landesherrin, Reichsfürstin und Äbtissin symbolisierte.5 Die politisch-soziale Ordnung, in welche die Äbtissinnen eingebettet waren, erweist sich, wie oben gezeigt, als ein dynamisches Geflecht wechselseitiger Geltungsansprüche, die artikuliert, akzeptiert oder negiert wurden.6 In diesem Zusammenhang haben vor allem zahlreiche kulturwissenschaftliche Forschungsverbünde in den zurückliegenden Jahren immer wieder die Bedeutung von symbolischer Kommunikation zur Herstellung und Stabilisation politisch-sozialer Ordnung in der Vormoderne betont.7 Herrschaftsund Rangansprüche mussten kontinuierlich in symbolischen Handlungen repräsentiert werden. Repräsentation wird hier nicht im Sinn einer einfachen Darstellung verstanden, sondern als performative Praxis. Das bedeutet, „die Formen der Repräsentation als Praktiken zu begreifen, die das zu Repräsentierende erst herstellten und bewirkten“.8 Die auf diskursiver Ebene behauptete Landesherrschaft der Äbtissinnen musste sich in ihrem repräsentativen Handeln manifestieren. Dabei kam es immer auch auf den konkreten Kontext an, wie wirksam solche Repräsentationen waren. Daher werden im Folgenden die verschiedenen Formen repräsentativen Handelns der Äbtissinnen nicht für sich, sondern eingebettet in einen größeren Zusammenhang von Verhandlungen und Absprachen in den Blick genommen. Hierzu gehören zunächst solenne Akte, die durch ihren Ritualcharakter eine besonders komplexe Form symbolischen Handelns darstellten. Sie zeichneten sich ____________ 5

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8

Die Differenzierung verschiedener Formen von Repräsentationen geht auf den französischen Kulturhistoriker Roger Chartier zurück. Neben den Akten der Klassifizierung und Unterscheidung sowie den Praktiken, um den eigenen Rang und Status auszudrücken, benennt er eine dritte ‚institutionalisierte und objektivierte‘ Form der Gruppenbildung. CHARTIER, Die Welt als Repräsentation, S. 336f.; DERS., Kulturgeschichte zwischen Repräsentation und Praktiken, S. 15. Vgl. FÜSSEL, WELLER, Einleitung, S. 11. Vgl. u. a. WEINFURTER, AMBOS, RÖSCH (Hg.), Bild und Ritual; AMBOS, HOTZ, SCHWEDLER, WEINFURTER (Hg.), Die Welt der Rituale; SCHLÖGL, GIESSEN u.a. (Hg.), Die Wirklichkeit der Symbole; MELVILLE (Hg.), Institutionalität und Symbolisierung; STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell, Ritual, Symbol; DIES., Symbolische Kommunikation; FÜSSEL, WELLER (Hg.), Ordnung und Distinktion. FÜSSEL, WELLER, Einleitung, S. 12. Vgl. dazu REHBERG, Weltrepräsentanz und Verkörperung.

4.3. Repräsentieren

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durch eine Normierung im Ablauf, die Herausgehobenheit aus dem Alltag und eine besondere Wirkmächtigkeit aus, indem mit Ritualen wie der Inthronisation, Belehnung oder Huldigung eine soziale, politische oder rechtliche Zustandsveränderung verbunden war.9 Vor allem beim Regierungsantritt einer neuen Äbtissin vollzog sich deren Statuswechsel in einer Kette ritueller Handlungen, die sie als Obrigkeit legitimierte. Aber auch im weiteren Verlauf ihrer Regierung boten sich regelmäßig Gelegenheiten, um ihren Rang- und Herrschaftsanspruch in Solennitäten wie Prozessionen oder Investiturakten in Szene zu setzen. Während es sich bei diesen Formen repräsentativen Handelns um Akte der Klassifizierung und Unterscheidung zwischen denjenigen, die herrschten, und denjenigen, die beherrscht wurden, handelt, werden abschließend solche Praktiken untersucht, die ‚eine bestimmte Art des In-der-Welt-Seins‘ vorführten, wie Portraits, Wappen oder Münzen. Der Herrschaftsanspruch der Äbtissinnen konstituierte sich in ihrem repräsentativen Herrschaftshandeln, das von Untertanen, Herrschaftskonkurrenten und Standesgenossen als solches anerkannt wurde. Hierbei bestand jedoch die latente Gefahr, dass die repräsentative Handlung durch widerständiges Verhalten gestört wurde. Aus diesem Grund werden nicht nur ‚erfolgreiche‘ Repräsentationen der Äbtissinnen als Herrschaftsträger, sondern ausdrücklich auch ihr ‚Scheitern‘ behandelt.

Mit Pauken und Trompeten Lauter Kanonendonner kündigte am Vormittag des 7. Oktober 1777 im Stift Essen die Ankunft der neuen Äbtissin Maria Kunigunde, königliche Prinzessin von Sachsen, Polen und Litauen an. Gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Kurfürsten von Trier, bezog sie zunächst Quartier im Lustschloss Borbeck vor den Toren der Stadt. Am darauffolgenden Tag, so berichtet es die „Essendische Zeitung“, wurde Maria Kunigunde außerhalb der Stadt von einer Abordnung des Rates und zwei Kompanien der jungen Wachmannschaft mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel empfangen und in die Stadt geführt.10 Den feierlichen Einzug durch die Stadt bis hin zur Stiftskirche säumten Ehrenpforten, alle Bürger standen Spalier und schwenkten Fahnen. Untermalt wurde das eindrucksvolle Schauspiel von Pauken und Trompeten. Im Essener Dom angelangt, wo sie von den Stiftsdamen und ____________ 9 10

Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation, S. 503; DIES., Rituale, S. 9-14. Essendische Zeitung von Kriegs und Staatssachen 93 (1777), hier zitiert nach KÜPPERSBRAUN, Macht in Frauenhand, S. 171f.

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Geistlichen des Stifts begrüßt wurde, folgte die Feier des Hochamtes. Darauf wurde die Äbtissin erneut unter Kanonendonner und Lobgesang auf die Abtei begleitet, wo der Tag unter Gratulationen sowie einem Festmahl mit Champagner und Burgunder ausklang. Was die „Essendische Zeitung“ hier beschreibt, war der feierliche Einzug und der offizielle Amtsantritt der sächsischen Prinzessin, die bereits 1775 noch zu Lebzeiten der amtierenden und bald darauf verstorbenen Äbtissin zu ihrer künftigen Nachfolgerin gewählt worden war.11 Anders als in den weltlichen Fürstentümern handelte es sich bei den Geistlichen Staaten um Wahlfürstentümer. Geistliche Kurfürsten, Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen wurden durch Wahl und nicht durch Erbfolge bestellt. Mehr noch als in Erbfürstentümern war man daher auf legitimitätsstiftende Verfahren und Rituale beim Herrschaftswechsel angewiesen. Hierzu gehörte zunächst die kanonische Wahl, ggf. die Bestätigung durch den Papst sowie dann die Anerkennung und Belehnung durch den Kaiser. Das mehrstufige Besetzungsverfahren an der Spitze des Stifts endete schließlich mit der Einführung oder Introduktion, die sich aus verschiedenen solennen Akten zusammensetzte. Den Auftakt bildete in der Regel der feierliche Einzug, auch Adventus genannt, wie er oben beim Amtsantritt Maria Kunigundes von Sachsen beschrieben wird. Hierbei handelt es sich um die rituelle Inbesitznahme der Stadt.12 Dem folgte die Inthronisation der neuen Äbtissin in der Stiftskirche durch Altarsetzung auf dem Hohen sowie Gräflichen Chor als geistliche Obrigkeit sowie Thronsetzung bzw. Gratulation auf der Stiftsresidenz im Lehn- oder Thronsaal als weltliche Obrigkeit.13 An der Inthronisation nahmen unterschiedliche Interessengruppen aus dem Umfeld ____________ 11

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S. zur Wahl Maria Kunigundes u. Abschn. Protegieren. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 169-175; WIEDEMANN, Die Wahl der Prinzessin Maria Kunigunde; SCHRÖDER, Kanonische Wahl. In Abgrenzung zur „zeremoniellen Inbesitznahme der Stadt“ wie bei SCHWEERS, Die Bedeutung des Raumes, S. 37. Denn der adventus gilt als klassisches Herrschaftsritual, das anders als das Zeremoniell einen Statuswechsel bewirkte. STOLLBERG-RILINGER, Rituale, S. 14f. S. zum Ablauf der Inthronisation in Herford Protokolle der Inthronisationen von Johanna Charlotte von Brandenburg (1729), Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf (1752) und Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg (1766): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1217, 1215, 1119. Für Essen vgl. KÜPPERSBRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 112-114, 241f. Für Quedlinburg s. Protokolle der Inthronisationen von Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld (1645), Anna Sophia von HessenDarmstadt (1681) und Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (1685): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 11, fol. 241r-244r; 15, fol. 35r-56v; 12, fol. 26r-35v.

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des Stifts teil. In Herford waren beispielsweise sowohl die Mitglieder aller ‚geistlichen‘ Einrichtungen als auch Vertreter des Stadtmagistrats,14 darunter der Bürgermeister und der Syndikus anwesend. Hinzu kamen ausgewählte Untertanen, die auf der Stiftsfreiheit lebten, und adelige Vasallen des Stifts, von denen vier die Erbämter (Erbschenk, Erbjägermeister, Erbtruchsess, Erbmarschall) wahrnahmen, sowie das männliche Dienst- und Kanzleipersonal des Stifts. Ebenfalls vertreten waren die brandenburgisch-preußischen Vertreter in der Stadt Herford sowie der benachbarten Grafschaft Ravensberg. Schließlich nahmen die Mitglieder des Kapitels an der Inthronisation teil. Hinzu kamen nicht selten Verwandte der Äbtissin oder der anderen Stiftsdamen sowie der benachbarte Hochadel. Die jeweilige Nähe der Teilnehmer zur Äbtissin im Ablauf der Handlung galt als Gradmesser für ihren gesellschaftlichen und politischen Stellenwert im Stift. Sie war daher immer wieder Gegenstand von vorherigen Verhandlungen.15 Der Akt der Inthronisation diente sowohl als Übergangsritual, um die Schwelle zwischen der Vakanzregierung des Kapitels und dem Regierungsantritt der neu erwählten Äbtissin zu markieren, als auch als Herrschaft konstituierender Akt, indem die Äbtissin erstmals als ordinaria und weltliche Herrschaftsträgerin auftrat und von den Anwesenden als solche anerkannt wurde. Nur für das Stift Quedlinburg ist darüber hinaus als weiteres Element in der Kette solenner Akte beim Amtsantritt einer neuen Äbtissin die Huldigung der Untertanen belegt.16 Neben der Gesamthuldigung im Rahmen der Introduktion, bei der sowohl der neuen Äbtissin in personam als auch Vertretern des Schutzherrn gehuldigt wurde, fanden in Quedlinburg zudem einseitige Huldigungen beim Regierungsantritt eines neuen Schutzherrn statt, an denen die Äbtissin nicht teilnahm. Bereits 1574 hatte sich der sächsische Kurfürst das Recht auf Teilhabe an der Gesamthuldigung bei Antritt einer neuen Äbtissin, als auch auf Einzelhuldigung beim Herrscherwechsel in ____________ 14

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Hierzu gehörten die Herforder Prediger und Vertreter der Stiftskirche, dem Kapitel auf der Neustadt, der Radewicher Kirche, dem Fraterhaus und dem Stift auf dem Berge, die Inhaber von Vikarien und Benefikarien sowie die Schulkollegen. Dies galt vor allem um den Platz der Teilnehmer in der Prozession von der Abtei in die Stiftskirche. Im Vorfeld der Introduktion Charlotte Sophies von Kurland als Äbtissin von Herford wurden gleich zwei undatierte Versionen der Prozessionsordnung angefertigt. Während in der ersten Version noch das Landgrafenpaar von Hessen-Kassel zu den prominenten Gästen zählte – die Landgräfin war eine Schwester der neuen Äbtissin –, fehlten sie in einer zweiten Version und wurden stattdessen durch adelige Vertreter ersetzt: Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1207. Zur Untertanenhuldigung und ihrer historischen Genese vgl. HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen.

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Dresden gesichert.17 Wesentlicher Bestandteil der Huldigung war der Eid der Untertanen. Er beinhaltete die wechselseitige Verpflichtung zwischen Untertanen und Obrigkeit: auf der einen Seite Treue, Respekt und Gehorsam, auf der anderen Seite Sorge, Schutz und Gerechtigkeit.18 Obwohl die Forschung zu politischen Ritualen wie Einzug, Inthronisation und Huldigung immer wieder Standardisierungen in deren Ablauf festgestellt hat, lassen sich doch im synchronen und diachronen Vergleich regelmäßig Varianten und Abweichungen ausmachen. Dies gilt zum Beispiel für die Rolle der preußischen Vertreter im Herforder Introduktionszeremoniell. Als Gesandte des Schutzherrn nahmen sie im Ablauf eine nahe Position zur Äbtissin ein. Seit der Inthronisation der ersten preußischen Äbtissin 1729 wurde die Position des preußischen Schutzherrn symbolisch noch weiter aufgewertet, indem der eigens zu diesem Akt angereiste Gesandte, anders alle anderen Teilnehmer, durch den Hofmeister der Äbtissin mit deren Staatskutsche abgeholt und ihm eine persönliche Audienz im Vorfeld der Handlung gewährt wurde. Seit diesem Zeitpunkt wurde zudem während des Festmahls auf die Gesundheit des preußischen Königs, ggf. der preu-ßischen Königin getrunken.19 Diese Abwandlung im Zeremoniell unterstreicht den auf Grundlage des 1729 erstmals von Johanna Charlotte ausgestellten Revers gewachsenen Einfluss des Schutzherrn,20 der immer deut-licher die Landeshoheit für sich in Anspruch nahm. Angesichts der ordnungsstiftenden Funktion solcher solennen Akte, in denen die verschiedenen konkurrierenden Herrschaftsträger ihre Ansprüche zum Ausdruck bringen wollten, geriet deren Gestalt häufig zum Gegenstand langwieriger Verhandlungen, wie im Folgenden anhand des feierlichen Einzugs der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf und den ____________ 17

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S. Vertrag von 1574 zwischen Kurfürst August von Sachsen und Äbtissin Elisabeth II. von Regenstein-Blankenburg, in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 87-91. Vgl. HOLENSTEIN, Herrschaft, Gehorsam und Recht aus dem Eid; DERS., Seelenheil und Untertanenpflicht, besonders S. 19f. S. die Protokolle der Inthronisationen von Johanna Charlotte von Brandenburg (1729), Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf (1752) und Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg (1766): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 1217, 1215, 1119. Die Markgräfin von Brandenburg hatte im Umfeld ihrer Postulation zur Äbtissin von Herford, die maßgeblich von König Friedrich Wilhelm I. und seinen Regierungsvertretern befördert wurde, aus dynastischer Loyalität auf alle umstrittenen landeshoheitlichen Rechte des Stifts zu Gunsten des Königs als Schutzherrn verzichtet. S. o. Kap. Politische Loyalität.

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Quedlinburger Huldigungen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts aufgezeigt wird.

Der laute Adventus Nur wenige Tage vor dem feierlichen Einzug der neuen Äbtissin von Quedlinburg eilte der Stadtmusikus aufgeregt auf das Stift. Beamte der Vogtei hatten ihm verboten, wie ursprünglich durch den Stiftshofmeister geplant, mit ein Paar Paucken und 4. Trompetern parat zu stehen, um Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf bey dero Einhohlung entgegen zu reiten.21 Die musikalische Untermalung diente „der Herstellung von Öffentlichkeit, um städtische Herrschaft darzustellen und durch die Evokation von Feierlichkeit emotional zu bekräftigen“.22 Sie war ein essentieller Bestandteil des Rituals. Das Kapitel und die Kanzleibeamten protestierten daher beim Stiftshauptmann, der als Vertreter des königlich-preußischen Schutzherrn dessen Interessen vor Ort vertrat, gegen dieses Verbot und verwiesen auf die einige Monate zuvor formulierte Zusage des Stiftshauptmannes, daß es in Euer Hochwürdigen Capituli freyen Willkühr stehen solte, auff was Arth sie Ihre durchlaucht vor der Stadt empfangen und beneventiren wolten.23 Die Kapitularinnen und Stiftsräte stützten ihre Argumentation mit dem Verweis auf das Herkommen, indem sie sich auf den Einzug einer vormaligen Äbtissin beriefen, sowie auf die Rechte des Stifts, die es ihnen erlaubten, Pauken- und Trompetenspieler anzustellen sowie deren Spiel anzuordnen. Der Stiftshauptmann blieb hingegen bei seinem Verbot, dass kein Bürger der Stadt an der Einholung teilnehmen dürfe, was ebenso für den Stadtmusikus gelte, und drohte gar damit, am Tag des Einzugs die Tore zu verschließen und niemanden zu Pferde aus der Stadt ziehen zu lassen. Die Kapitularinnen zeigten sich über eine solche empfindliche beschimpfung der Äbtissin brüskiert.24 Die Ereignisse zeugen von den Schwierigkeiten beim Amtsantritt der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf. Bereits 1710 rechtskräftig zur Äbtissin gewählt,25 scheiterte der wirkliche Amtsantritt der ____________ 21

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Quedlinburger Kanzleiprotokoll (20. Juni 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 162r-167r. BÖLLING, Zur Bedeutung der Musik im Adventus-Zeremoniell, S. 233. Hierzu und im Folgenden Quedlinburger Kanzleiprotokoll (20. Juni 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 162r-167r. Quedlinburger Kapitularinnen an den Stiftshauptmann (20. Juni 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 165r-166v. Die erste Wahl der Herzogin hatte bereits 1708 stattgefunden. Aufgrund von Fehlern im Verfahrensablauf der Wahl sowie dem Widerstand des preußischen Königs, der als

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Herzogin bis 1718 am Widerstand des preußischen Königs. Nach dem Verkauf der Schutzherrschaft 1698 (Cession) ließ zunächst Friedrich I./III. und später auch sein Sohn Friedrich Wilhelm I. Stift und Stadt Quedlinburg absperren, um seine Anerkennung nicht nur als Schutzherr des Stifts, sondern auch als Landesherr zu erzwingen. Die dort stationierten preußischen Soldaten hatten den Auftrag, den Zugang zum Stift streng zu überwachen und insbesondere Kutschen, in denen Damen saßen, genau zu kontrollieren.26 So kam es, dass Maria Elisabeth auch vier Jahre nach ihrer Wahl noch immer keinen Fuß in das Quedlinburger Stift gesetzt, geschweige denn ihr Amt angetreten hatte. Sie hielt sich stattdessen in Hamburg auf, wo ihr aufgrund fehlender Einkünfte aus dem Stift langsam das Geld ausging.27 In der Zwischenzeit blieb der mit der Cession ausgebrochene Konflikt zwischen dem Stift und seinem Schutzherrn am Reichshofrat anhängig und erhielt zunächst durch die angefochtenen Äbtissinnenwahlen, später dann die verhinderte Amtseinführung neue Nahrung.28 1714 richtete Kaiser Karl VI. schließlich eine kaiserliche Kommission ein, die König Georg I. Ludwig von England, zugleich Kurfürst von Hannover, sowie Herzog August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel übertragen wurde. Ihre Aufgabe war es, die Durchführung des Amtsantrittes der Äbtissin zu unterstützen sowie den preußischen König in seine Schranken zu weisen.29 Den beiden kaiserlichen Kommissaren und ihren Vertretern war eine Mediatorenrolle in den nachfolgenden Verhandlungen zugedacht. Die Kommissionsverhandlungen krankten allerdings an den unterschiedlichen Zielvorstellungen der beteiligten Akteursgruppen: Während der preußische König und seine Vertreter einen Vergleich aushandeln wollten, mit dem alle Streitigkeiten zwischen ____________ 26

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Schutzherr des Stifts von den Kapitularinnen nicht eingebunden worden war, war diese Wahl jedoch von Kaiser Joseph I. aufgehoben worden. Vgl. Quedlinburger Regierungsprotokoll über Zeugenbefragungen (8. Febr. 1715): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 7, fol. 246r. Maria Elisabeth bat zum Beispiel das Kapitel um Geld, um ein Geschenk für einen gewissen vornehmen Mann, der am Kayßerl. Hoffe beym ReichsHoffRath in der Hauptsache die meisten Dienst zu leisten vermag, zu besorgen. Sie wolle die Mittel zwar gerne selber aufbringen, aber aufgrund fehlender Einkünfte aus dem Stift sowie der schwierigen Verhältnisse in Holstein sei sie dazu nicht in der Lage. Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an das Quedlinburger Kapitel (9. Juli 1714): Schleswig LSHS Abt. 260: Bistum/Fürstentum/Landesteil Lübeck zu Eutin Nr. 121, fol. 29r-v. S. o. Kap. Besetzung; Aneignung; s.u. Kap. Die Wahl am falschen Ort. Kaiserliches Commissariale und Protectorium für den Kurfürsten von Hannover und den Herzog von Braunschweig-Lüneburg (4. Dez. 1714): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 3, fol. 508r-509r.

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dem Stift und der Schutzherrschaft beigelegt würden,30 bestanden die Vertreter des Kapitels ebenso wie die kaiserlichen Kommissare darauf, dass allein die Introduktion zum Beratungsgegenstand erklärt würde.31 Angesichts der thematischen Engführung wurde die bereits angesetzte Konferenz auf preußische Initiative hin immer wieder verschoben. Erst drei Monate später trafen sich die Abgesandten der kaiserlichen Kommissare und des Stifts in Halberstadt, wo sie vergeblich auf den Stiftshauptmann Posandowski als preußischen Vertreter warteten.32 Zwar fanden wenig später doch noch Gespräche statt, aber schon währenddessen erklärten die kaiserlichen Kommissare die Konferenz und damit die gesamte kaiserliche Kommission für gescheitert.33 Hinter dem preußischen Verhalten verbarg sich eine Verzögerungsstrategie: Nämlich die Sache dahin zu dirigieren, so der Vorschlag des Stiftshauptmannes, daß alles in statu quo bliebe, biß etwan die conjuncturen durch todesfälle, oder auf andere Weise sich dergestalt änderten, daß Ewer Königliche Mayestät ohne fernere allzu große opposition zu dero allerhöchsten intention gelangen möchten.34 Man hoffte, so die vollständige Anerkennung als Schutz- und Landesherr durchzusetzen. Eine solche Strategie des In-der-Schwebe-Haltens von Konflikten war sowohl für vormoderne Gerichtsverfahren als auch für andere Formen der Konfliktführung wie bilaterale Verhandlungen oder Mediationen bezeichnend. Dies führte dazu, dass nicht nur Konflikte um Herrschaftsrechte, sondern auch um Rangansprüche auf Dauer gestellt und unter günstigeren Umständen erneut angestoßen wurden. In der Zwischenzeit wurden die konkurrierenden Ansprüche mit Hilfe von rechtlichen Instrumenten wie der protestatio oder verfahrenstechnischen Instrumenten wie der alternierenden Einnahme eines bestimmten Platzes von den streitenden Parteien aufrecht____________ 30

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Friedrich Wilhelm I. an die kurhannoverschen Regierungsräte (16. März 1715): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit.IV Nr. 14, fol. 48r-v. Quedlinburger Kapitel an die kaiserlichen Kommissare sowie an den Kaiser (21. u. 22. März 1715): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 14, fol. 55r-57v, 58r-60v. Zu kaiserlichen Kommissionen s.u. Kap. Mandata, Rescripte und Kommissionen. Relation über den Aufenthalt in Halberstadt durch Georg Anton von Dacheröden und Christian Krüger (4. Dez. 1716): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 14, fol. 355r361v. Conservatores (Kurfürst und Herzog von Braunschweig-Lüneburg) an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (18. Jan. 1717): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 14, fol. 383rv. Sie erklärten die Konferenz für gescheitert und berichteten davon, dass sie sich nun zunächst einmal an den Kaiser gewandt hätten. Stiftshauptmann Posandowski an Friedrich Wilhelm I. (28. Jan. 1715): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1715-1716.

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erhalten.35 Eine ganz ähnliche Funktion erfüllte das 1717 erlassene kaiserliche Decretum salvatorium für den preußischen König. Bereits seit Sommer 1716 bemühten sich die preußischen Vertreter in Wien um dessen Erlass. Damit sollte Kaiser Karl VI. versichern, dass Friedrich Wilhelm I. weder aus seiner Zustimmung zur Inbesitznahme noch aus der vermeintlich ‚unrechtmäßigen‘ Wahl Maria Elisabeths ein Nachteil oder Präjudiz entstehen würde.36 In dem am 11. Mai 1717 erlassenen kaiserlichen Decretum Salvatorium befürwortete Kaiser Karl VI. anstatt der Mediation nunmehr direkte Verhandlungen zwischen den Vertretern des Stifts sowie des Schutzherrn, um über die Introduktion zu beratschlagen.37 Gleichzeitig trug er Äbtissin und Kapitel auf, sich auf die Gespräche einzulassen.38 Gegenstand der in Quedlinburg stattfindenden Verhandlungen war die feierliche Ausgestaltung des Amtsantrittes. Beide Parteien, also die Stiftsbeamten, Mitglieder des Kapitels, die Äbtissin und ihre Gesandten auf der einen Seite, der Stiftshauptmann als Vertreter des Schutzherrn auf der anderen Seite, versuchten ihre Interpretation der Quedlinburger Herrschaftsverhältnisse in den solennen Ablauf der Introduktion symbolisch einzuschreiben. Der Amtsantritt der neuen Äbtissin als eine „umfassende Ritualsequenz“39 bot hierfür das notwendige Vokabular. Bestehend aus Einzug, Inthronisation, Huldigung und Belehnung waren hier gleich eine Reihe der verschiedenen ‚politischen Rituale‘ versammelt,40 in denen die bestehen____________ 35

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Vgl. zum rechtlichen Instrument der protestatio, das mit Antizipation des römischen Rechts Aufnahme in die Rechtspraxis nicht nur des Alten Reiches gefunden hat und dort bis zum 19. Jahrhundert besonders große Bedeutung erlangen konnte, BECKER, Protestatio, Protest; NEU, Protest. Königliche Order an den Grafen Ernst von Metternich, preußischer Diplomat am Wiener Hof (4. Juli 1716): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1715-1716. Zu Graf Ernst von Metternich vgl. FUCHS, Metternich, S. 234. Kaiserliches Decretum Salvatorium (11. Mai 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1717-1718. Schon am 31. März konnte Graf Friedrich Wilhelm von Schwerin nach Berlin berichten, dass das entsprechende Votum des Reichshofrates ad imperatorem gebracht wurde, einen Monat später die kaiserliche Bewilligung. Berichte des preußischen Gesandten am Kaiserhof, Graf Schwerin, aus Wien (31. März u. 28. April 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1717-1718. Schwerin war demnach durch seine Mittelsmänner außerordentlich gut über die Vorgänge im Reichshofrat informiert. Kaiserliches Rescript an die Quedlinburger Kapitularinnen und die Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (16. Aug. 1717): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 14, fol. 455r-456r, 460r-461r. STOLLBERG-RILINGER, Rituale, S. 108. Ebd.

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den Herrschaftsverhältnisse nicht nur dargestellt, sondern auch hergestellt wurden. Die ursprünglichen Bemühungen der Stiftsverantwortlichen gingen dahin, sowohl die Einflussnahme des preußischen Königs auf die Gestaltung der Introduktion im Vorfeld zu verhindern als auch idealerweise seine Präsenz im Umfeld von Einführung und darauf folgender Huldigung möglichst gering zu halten. Hierzu sollte sowohl auf die Huldigung des Schutzherrn aus Kostengründen verzichtet werden als auch die üblicherweise im Anschluss vorgenommene Belehnung mit der Schutzvogtei entfallen.41 Intention der Kapitularinnen und Stiftsräte war es, den städtischen Raum in den solennen Akten der Inthronisation und darauffolgenden Huldigung allein zu besetzen und so die landesherrliche Position der Äbtissin gegenüber dem königlich-preußischen Schutzherrn symbolisch aufzuwerten. Dabei handelte es sich jedoch um eine Maximalforderung, die in den direkten Verhandlungen ohne Intervention eines Dritten kaum durchzusetzen war. Vielmehr gelang es nun dem Stiftshauptmann Posandowski, fast alle seine monita in das verabredete Verlaufsprotokoll einzuschreiben.42 Sie zielten allesamt darauf ab, die Stadtherrschaft der Äbtissin zu negieren und die Stellung des Schutzherrn bis hin zur Behauptung seiner Landeshoheit aufzuwerten. Zu den Maßnahmen gehörte erstens das Verbot gegenüber der Bürgerschaft, die neue Äbtissin in Form eines Herrschereinzuges in die Stadt hineinzuführen. Sie sollte lediglich innerhalb der Stadt die Straßen säumen. Zweitens wurde das Dankgebet in der Stiftskirche als Station der Einzugsprozession auf Geheiß des Stiftshauptmannes dahingehend abgeändert, das nicht mehr für die von Gott gegebene hohe Obrigkeit, sondern nunmehr für die gegenwertige handlung gedankt werden sollte. Drittens bestand der preußische Vertreter auf die Gesamthuldigung der Untertanen und setzte mehr noch die Teilnahme sämbtliche[r] Stiftsbediente[n] und sämtliche[r] zur Stiffts Kirche ____________ 41

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Instruction für den Quedlinburger Hofmeister Georg Anton von Dacheröden (30. Nov. 1716): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 14, fol. 349r-354v. Dacheröden war ebenso wie die kaiserlichen Kommissare aus Hannover und Wolfenbüttel nach Magdeburg gereist, wo eine schon länger geplante, aber immer wieder verschobene Konferenz mit dem preußischen Vertreter stattfinden sollte. Der Stiftshauptmann, welcher als königlich-preußischer Minister vorgesehen war, hatte nach eigenen Aussagen jedoch keine Instructionen erhalten und war überhaupt nicht angereist. Relation über den Aufenthalt in Halberstadt durch Georg Anton von Dacheröden und Christian Krüger (4. Dez. 1716): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 14, fol. 355r-361v. Entwurf des Protokolls zum Ablauf der Introduction, Huldigung und Belehnung, welches in dreifacher Ausfertigung am 22. Nov. 1717 von den Abgeordneten des Kapitels, der Äbtissin und des Königs unterschrieben wurde, sowie die Monita des Stiftshauptmannes (o.D.): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 30r-52r, 53r-58v.

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gehörige[r] Geistliche[n] durch. Während die Äbtissin somit endgültig der ihr allein verpflichteten, loyalen Dienerschaft beraubt wurde, wollte der Stiftshauptmann zwar weiterhin den Handschlag gegenüber der Äbtissin leisten, sich ihr dabei aber nicht mehr zu Gehorsam und Treue verpflichten. Der ursprünglich als gemeinsamer Beamter von Äbtissin und Schutzherr eingeführte Stiftshauptmann hatte sich endgültig zu einem ausschließlichen Vertreter des Schutzherrn gewandelt. Mit der Durchsetzung dieser Forderungen war es dem Stiftshauptmann gelungen, nicht nur die Präsenz des preußischen Schutzherrn in den bevorstehenden solennen Handlungen zu stärken, sondern auch die rituelle Verpflichtung der Untertanen gegenüber der Äbtissin zu vereiteln. Eine Forderung blieb jedoch unerfüllt: die Belehnung des preußischen Königs mit der Schutzherrschaft im Rahmen der Solennitäten und die damit verbundene lehnsrechtliche Anerkennung als Schutzvogt. Da mit dem Vollzug der Belehnung gleichzeitig die umstrittene Cession der Schutzherrschaft anerkannt, der schwebende Prozess am Reichshofrat in dieser Sache niedergelegt und das widerrechtliche Auftreten und Handeln der preußischen Regierungsvertreter unter dem Deckmantel der Schutzherrschaft toleriert worden wären,43 verweigerten die Äbtissin, die Kapitelmitglieder und die Stiftsräte diesen Akt.44 In dieser Situation schalteten die preußischen Vertreter erneut Kaiser und Reichshofrat ein und nutzten ihre informellen Kanäle, um dort ein Reskript zu erlangen, mit welchem Äbtissin und Kapitel aufgefordert wurden, die Belehnung ohne Gefahr eines Präjudizes zu vollziehen.45 In den nach fünfmonatiger Unterbrechung wieder aufgenommenen Verhandlungen bestand der Stiftshauptmann zusätzlich zu den bereits getroffenen Absprachen nun auch noch darauf, dass man auf stiftischer Seite während des zeremoniellen Ablaufs auf jegliche protestatio zu Vermeidung eines Präjudizes verzichten und stattdessen lediglich im Introitu en general des Kayserlichen Rescript Inhalt referire[n], und denseben inhaerire[n] solle.46 Während die ‚einfache‘ Verlesung des kaiserlichen Reskripts kein Rechtsakt war, han____________ 43 44

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S. hierzu o. Kap. Besetzung; Aneignung. Gutachten des Quedlinburger Hofmeisters Georg Anton von Dacheröden und der Stiftsräte Johann Christoph Auerbach, Johann Martin Wichmanshausen und Christian Krüger auf die Frage, ob man der Belehnung zustimmen könne (20. Dez. 1717): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 15r-19r. Bericht des preußischen Gesandten Graf Schwerin aus Wien (21. Okt. 1716): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1715-1716. Protokoll der Verhandlungen die Introduktion betreffend (1.-9. Mai 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 144r-148v.

4.3. Repräsentieren

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delte es sich bei der protestatio um einen rechtsförmlichen Akt.47 Der Protest wurde dabei durch einen kaiserlichen Notar zusammen mit zwei Zeugen in einem Protokoll festgehalten, auf das zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder Bezug genommen und auf dessen Grundlage der Protest immer wiederholt werden konnte. Nur so konnte ein Präjudiz rechtskräftig verhindert werden. Die Forderung des Stiftshauptmannes zielte demnach explizit darauf ab, die Verhandlungsposition der Äbtissin auch mit Blick auf die Zukunft zu schwächen. Der anfängliche Widerstand der Stiftsräte gegen diese neuerliche Forderung wurde mit Hilfe des anwesenden holsteinischen Gesandten gebrochen, der die Pläne des Schutzherrn bereitwillig akzeptiert hatte.48 Schließlich endete die Verhandlungsphase mit dem Verbot der Vogteibeamten gegenüber dem Stadtmusikus, die Äbtissin mit Paucken und Trompeten einzuholen. Als Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf am 25. Juni 1718 endlich in das Quedlinburger Stift einzog, tat sie dies schließlich doch in Begleitung von Teilen der Bürgerschaft und unter dem Klang von Pauken und Trompeten. Der Hofmeister von Dacheröden kam der Äbtissin gemeinsam mit den Federschützen des Stifts sowie 32. Mann von der hiesigen jungen Kauffmannschafft zu Pferde entgegen, um sie zu begrüßen und sie in die Stadt zu begleiten.49 Zunächst passierte dieser Zug die versammelten Stiftsräte mitsamt ihren Kutschen auf der rechten Seite, auf der linken Seite aber 22. Literati zu Pferde, welche die Äbtissin bei der Vorbeifahrt durch stillschweigende Neigung ihre unterthänigste devotion und beneventirung bezeugeten. Damit entsprach die Einholung durchaus den Gepflogenheiten. Zwar fand sich unter den Empfangenen keine Abordnung des Stadtrates, aber dennoch war die städtische Elite durch die jungen Kaufleute sowie die kulturelle Elite durch die Literati vertreten, die sich dem Zug anschlossen und der Äbtissin das Ehrengeleit leisteten.50 Beide Akteursgruppen standen nicht im Dienst des ____________ 47 48

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Vgl. BECKER, Protestatio, Protest, S. 385-412; NEU, Protest, Sp. 479-482. Protokoll der Verhandlungen die Introduktion betreffend (1.-9. Mai 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 144r-148v; Original-Verlaufsprotokoll mit Unterschriften und Siegeln der verschiedenen Unterhändler: Stiftshauptmann Posandowski, Justizrat Heinrich Christian von Stryk auf Seiten der Äbtissin und die beiden Stiftsräte Auerbach und Wichmannshausen auf Seiten des Stifts (3. Mai 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 95r-109v. Vgl. hierzu und im Folgenden Kurtze Realtion wie der Frau Abbatussin, hochfürstl. Durchl. In ihren Stifft Quedlinburg eingeholet, in die fürstl. Abtey inroduciret und gehuldiget worden (25.-29. Juni 1718), verfasst von den beiden Stiftsräten Aurbach und Wichmannshausen: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 204r-226v. Vgl. SCHENK, Zeremoniell und Politik, S. 279-282.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

preußischen Königs oder der städtischen Selbstverwaltung und hatten daher kaum mit Konsequenzen zu rechnen. Ihre Wahl stellte einen Kompromiss dar. Denn auf diese Weise wurde die Äbtissin zwar wie üblich durch Mitglieder der städtischen Elite eingeholt, aber da es sich hierbei nicht um städtische Amtsträger handelte, wurde mit dem Einholungsritual nicht der Anspruch auf die Stadtherrschaft der Äbtissin zum Ausdruck gebracht. Sobald sich der Zug der Stadt näherte, wurde mit allen Glocken geleutet. Am Öhringer Stadttor wartete nun der gesamte Stadtrat zwischen zwei EhrenPyramiden,51 gratulierte, vertreten durch den Stadtsyndikus, der Äbtissin und schloss sich dann ebenfalls direkt vor der Kutsche der Äbtissin dem Zug durch die Stadt auf das Schloss an. Sowohl im Öhringer als auch im Hohen Tor machte die preußische Miliz der Äbtissin mit präsentiertem Gewehr sowie Musik ihre Aufwartung und zollte dem Akt und damit der Äbtissin ihre Anerkennung. Gleichzeitig hatte die Teilnahme ebenso legitimierende Wirkung für das preußische Militär, welches sich als fester Bestandteil der städtischen Ordnung präsentierte. Die Einquartierung preußischer Soldaten war ursprünglich von den Stiftsverantwortlichen wie den Quedlinburger Untertanen als Gewaltakt aufgefasst worden; dies galt auch noch immer für die anhaltenden Übergriffe der Soldaten.52 Auch die Bürgerschaft säumte mit Unter und Obergewehr die Straßen der gesamten Route. Darüber hinaus wurde nicht nur auff der Marcktkirchen Thurme mit Trompeten und Paucken, sondern auch auff dem Marckte selbst durch allerhand Musicalische Instrumenta von denen Stadt Musicanten im vorbeyfahren ein allgemeines Frohlocken bezeuget. Im Anschluss an den feierlichen Einzug fanden an den darauf folgenden Tagen die gemeinsame Untertanenhuldigung gegenüber Äbtissin und Vertretern des Schutzherrn, die Belehnung mit der Schutzherrschaft sowie weitere Festlichkeiten statt. Deren Ausschmückung durch Gedichte, Lieder und Dekorationen priesen die neue Äbtissin als Friedensstifterin und Retterin des Stifts aus der Not.53 Sowohl diese Metaphorik als auch der Medienein____________ 51

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Ähnlich wie die bekannten Ehrenpforten. Vgl. zur künstlerischen Gestaltung des adventus SCHWEERS, Die Bedeutung des Raumes, S. 45f. Gesammelte Suppliken der Quedlinburger Untertanen gegenüber der Äbtissin wegen der Übergriffe von Soldaten, in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 7 u. 9. In den gedruckten Gedicht- und Liedtexten des Quedlinburger Gymnasiums zu Huldigung, Regierungsanritt und Namenstag Maria Elisabeths von Holstein-Gottorf wurde die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass sie das Kayser=Stift nach erlitte[nem] Schmerz und Verlust erneut in das güldene Sonnen=Licht und zu alte[m] Glanz führen würde. Diese Bilder wurden dann auch im feierlichen Schmuck wieder aufgegriffen, der die Abendmusic auf dem Schlosssaal zum Namenstag der Äbtissin zierte. Hierzu wurden eigens drei illuminirte Pyramiden angefertigt; deren bildliche Gestaltung lobte die neue Äbtissin als Friedensstif-

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satz (Lobgedicht, illuminierte Ehrenpyramiden) entsprachen dem klassischen Repertoire höfischer Festkultur, mit dem solenne Akte wie Einzug und Huldigung seit dem späten 16. Jahrhundert ausgestaltet wurden.54 Vor dem Hintergrund der jahrelangen Auseinandersetzungen gewannen diese klassischen Motive darüber hinaus an enormer Aktualität. Was hier zur Aufführung gebracht wurde, entsprach nun doch dem klassischen Ritual eines Herrschereinzuges samt anschließender Rechts- und Festakte, in dem der Herrschaftsanspruch der Äbtissin über die Stadt und das Stift zum Ausdruck gebracht und von den Anwesenden anerkannt wurde – wenn auch mit Abstrichen. Denn auch die Position des preußischen Königs als Schutz- und Landesherr wurde im Rahmen der rituellen Handlungen gestärkt: Erstens wurde die Anwesenheit seiner Vertreter und Soldaten nicht nur geduldet, sondern sie wurden in die Abläufe mit einbezogen und somit in die gesellschaftliche Ordnung integriert. Zweitens wurde die Stellung des Königs als Schutzherr durch die offizielle Belehnung mit der Schutzherrschaft nun auch lehnsrechtlich legitimiert und vom Makel der Usurpation befreit. Drittens beinhaltete der Wortlaut des Untertaneneides nicht allein den Titel als Schutzherr, sondern gleichzeitig als Landesherr. Zwar erklärte man von Seiten des Stifts, dass es sich hierbei lediglich um einen Ehrentitel handelte, aber diese Einschränkung blieb im eigentlichen Wortlaut des Eides unerwähnt und damit schließlich bedeutungslos.55 Ein kurzer Blick nach vorne zeigt darüber hinaus, dass der seit 1698 schwelende Streit zwischen der Äbtissin und dem Kapitel sowie dem Schutzherrn um die Vorherrschaft im Stift damit keineswegs ad acta gelegt worden war. Stattdessen wurde der Reichshofratsprozess, in dessen Kern man noch immer um die Gültigkeit der Cession stritt, nach einer kurzen Phase der Entspannung wieder aufgenommen.56 Im Zuge dessen nahmen auch die Übergriffe preußischer Regierungsvertreter und Soldaten in Quedlinburg erneut ____________

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terin, Glaubenswahrerin, Retterin aus der Finsternis und Stütze des ‚Staates‘. S. die gedruckten Gedicht- und Liedtexte des hiesigen Gymnasiums zu Huldigung, Regierungsantritt und Namenstag Maria Elisabeths von Holstein-Gottorf: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 13, fol. 229r-230v, 235r-237v, 239r-242v, Zitate: 230r, 229v, 242r. Vgl. zur Huldigung HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen, S. 448-455. Vgl allg. zur höfischen Festkultur DICKHAUT, STEIGERWALD, WAGNER (Hg.), Soziale und ästhetische Praxis der höfischen Festkultur; DEPPE, Die Festkultur am Dresdner Hofe; BERNS, Die Festkultur der deutschen Höfe; DERS. (Hg.), Höfische Festkultur in BraunschweigWolfenbüttel. Vgl. auch Argumentation der Äbtissin und ihres Umfeldes im Hinblick auf die Huldigungsformel in WOHLGEGRÜNDETE ANMERCKUNGEN, S. 21. S. u. Kap. Des Kaisers rechter Arm.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

zu. Sie lassen sich folgenden Konfliktfeldern zuordnen: Erhöhung und gewaltsame Eintreibung der Akzise, gewaltsame Übergriffe der Soldaten, Eingriffe in die Jurisdiktion, Gesetzgebung und das Stadt- sowie Kirchenregiment.57 Dabei handelte es sich allesamt um landesherrliche Kompetenzen. Die Äbtissin und ihre Berater hatten sich demnach keineswegs mit ihren Ansprüchen auf die alleinige Landeshoheit durchsetzen können. Vielmehr waren die divergierenden Positionen und Interessen zwischen dem Stift und seinem Schutzherrn im Akt des solennen Einzugs, der Huldigung und Belehnung hinter einer „Konsensfassade“ verschwunden und verschleiert worden.58 Nach dem Ende der Feierlichkeiten brachen die Auseinandersetzungen der konkurrierenden Herrschaftsträger von neuem aus und prägten dauerhaft die Regierung der Holsteinerin, deren Handeln fast ausschließlich darin bestand, gegen die Übergriffe der preußischen Regierungsvertreter und Soldaten beim König und Kaiser zu protestieren.59 Angesichts eines solchen Kräfteverhältnisses, das eindeutig zu Gunsten des preußischen Königs ausfiel, stellt sich die Frage, warum die preußischen Vertreter schlussendlich einlenkten und den Adventus zuließen, mehr noch, welche Bedeutung das Ritual vor diesem Hintergrund noch entfalten konnte. Obwohl Friedrich I./III. und Friedrich Wilhelm I. in Preußen seit dem Kauf der Schutzvogtei im Jahr 1698 alles versuchten, um ihren Anspruch auf die Landeshoheit durchzusetzen, hatten beide wiederholt gegenüber dem Kaiser und der Äbtissin erklärt, Letztere in ihren Rechten nicht beeinträchtigen zu wollen. Damit verbunden war die Anerkennung als Reichsfürstin, wie sie nicht zuletzt im Ritual des Adventus zum Ausdruck gebracht wurde. Die Äbtissin, deren Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft mit dem Westfälischen Frieden fest in der Reichsverfassung verankert worden war, hatte ein Recht auf den feierlichen Einzug in ihr Stift und wurde darin von Kaiser und Reich geschützt. Die völlige Verweigerung des Adventus durch den preußischen König hätte wohlmöglich zu einer Konfrontation mit dem Kaiser und anderen Reichsständen geführt, die ein Interesse an der Wahrung des reichsunmittelbaren und reichsständischen Status des Stifts hatten. In dieser Situation ermöglichte die Ambiguität vor____________ 57

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Zwei Quedlinburger Diarien aus den 1730er Jahren, in denen zwischen 1726 und 1743 alle Gravamina fortlaufend sowie in fünf Kategorien (Akzise, Jurisdiktion, Garnison und jus armorum, Verschiedenes sowie Landeshoheit) unterteilt aufgelistet wurden (Jan. 1733/1734-1743): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 9 u. 10. STOLLBERG-RILINGER, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 20. Vgl. die wiederholten Klagen und Beschwerden der Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf bei Kaiser und König in der Stiftsüberlieferung (1726-1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 10-17.

4.3. Repräsentieren

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moderner Rituale das Nebeneinander divergierender Herrschaftsansprüche, so dass beide Seiten ihre Ansprüche für den Moment gewahrt sehen konnten.

Erzwungene Huldigung Traditionell fand im Kontext eines Herrschaftsantrittes im Anschluss an den feierlichen Einzug der neuen Obrigkeit und ihrer Inthronisation die Huldigung der Untertanen statt.60 Mehr noch als im Fall des feierlichen Einzugs handelt es sich bei der Huldigung um ein Herrschaftsritual par excellence, „wo in rituellen, feierlichen Akten sich Herrscher und Beherrschte gemeinsam der rechtlich-politischen Grundlagen, gleichsam der ‚Verfassung‘, des Herrschaftsverbandes vergewisserten und durch den aktuellen, kollektiven Vollzug bestimmter Zeremonien die Legitimität des jeweiligen Herrschaftsverhältnisses bezeugten und stabilisierten“.61 Die zuvor im Adventus zum Ausdruck gebrachten Herrschaftsverhältnisse wurden in der Huldigung als rechtskräftigem Akt bestätigt und durch den religiös aufgeladenen Untertaneneid fixiert.62 Der Untertaneneid erhielt seine bindende Kraft maßgeblich durch die in der Vormoderne allgemein verbreitete Gottesfurcht der Menschen und stellte somit ein effektives Mittel zur Wahrung der gesellschaftlichen Ordnung dar.63 Der sakrale Charakter des Eides, dessen bindende Kraft und die damit verknüpften Pflichten und Rechte wurden den Untertanen zusätzlich in der Huldigungspredigt in Erinnerung gerufen. Die rechtsverbindliche Eigenschaft der Huldigung als Instrument zur Konstituierung von Herrschaft führte dazu, dass die konkurrierenden Herrschaftsträger um ihre jeweilige Rolle im Huldigungsakt und die damit verbundenen ____________ 60

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Untertanenhuldigungen konnten im Rahmen dieser Untersuchung einzig für das Stift Quedlinburg nachgewiesen werden. HOLENSTEIN, Huldigung und Herrschaftszeremoniell, S. 22. Vgl. zur vormodernen Untertanenhuldigung sowie zum Untertaneneid die weitere Literatur von André Holenstein, hier in Auszügen HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen; DERS., Seelenheil und Untertanenpflicht, S. 11-63; DERS., Erbhuldigung; DERS., Huldigung. Mit der Eidesformel so wahr uns Gott helfe und sein heiliges Wort wurde Gott als Zeuge und Rächer des beeideten Geschäfts angerufen. Erbhuldigungseid aus dem Jahr 1718: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV, Nr. 13, fol. 188r-189r. Die Formel entspricht der Eidesformel aus dem Jahr 1685, wie sie im Concordien-Rezess zwischen der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar und dem sächsischen Kurfürsten als Schutzherrn des Stifts festgeschrieben worden war. S. Exemplar in Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8728/6; abgedruckt in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 118f. Vgl. HOLENSTEIN, Seelenheil und Untertanenpflicht, S. 26-28.

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Rechtsansprüche stritten. Daher war es seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Quedlinburg wiederholt zu Auseinandersetzungen im Umfeld der Huldigung gekommen. Dabei ging es mal um den Wortlaut der Huldigungsformel, mal um den Kreis der Huldigungsteilnehmer, mal um den Zeitpunkt der Huldigung im zeremoniellen Rahmen des Amtsantritts von Äbtissin oder Schutzherr. Diese Streitfragen wurden zusammen mit anderen Gravamina in gemeinsamen Verhandlungen vorab zwischen Vertretern der Äbtissin und des Schutzherrn beratschlagt.64 Hierzu wechselten sich Audienzen bei der Äbtissin und Besprechungen mit den Stiftsräten ab. Ziel war es, die konfliktgeladenen Herrschaftsverhältnisse im Stift zu regulieren, wenn möglich zu befrieden oder ansonsten die divergierenden Rechtsansprüche zu verschleiern und auf Dauer zu stellen, damit man im solennen Akt der Huldigung Einigkeit vortäuschen konnte. Besonders umstritten war der Wortlaut der Huldigungsformel, deren Eidcharakter den Kern des Huldigungszeremoniells bildete. Schon 1574 konnte der sächsische Kurfürst den Titel Landesfürst für sich in den Huldigungstext einschreiben. Die damalige Äbtissin Elisabeth Gräfin von Regenstein und Blankenburg hatte dem Kurfürsten weitreichende Zugeständnisse machen müssen, damit dieser sich zur Anerkennung ihrer Wahl bereitfand.65 Die Äbtissin aus einem niedersächsischen Grafengeschlecht hatte dem Kurfürsten keine schlagkräftige Hausmacht entgegenzusetzen und musste sich somit dessen Forderungen geschlagen geben.66 Unter veränderten Umständen wurde jedoch immer wieder aufs Neue um den Wortlaut der Huldigungsformel gestritten und regelmäßig gegen die Verwendung des Titels Landesfürst protestiert.67 Dies galt insbesondere für die Regierung der Pfalz____________ 64

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S. hierzu und im Folgenden die Protokolle über die Solennitäten beim Amtsantritt Anna Sophias von Hessen-Darmstadt (1681) und Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar (1685): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 15, fol. 35r-56v, 140r-149v. S. Instruktionen für die kursächsischen Gesandten zum Amtsantritt Anna Sophias von PfalzBirkenfeld (1645) sowie Bericht über die Einzelhuldigung des sächsischen Kurfürsten (1659): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 11, fol. 266r-271r, 280r-292v. Die Behandlung von Gravamina war ein fester Bestandteil des Huldigungszeremoniells. Vgl. HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen, S. 350-357. Vergleich von 1574 zwischen der Quedlinburger Äbtissin Elisabeth Gräfin von Regenstein und Blankenburg und dem sächsischen Kurfürsten August, in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 87-91. Vgl. BEHRENS, Zwischen Herrschaftsanspruch und Schuldendienst; DERS., WEGENER (Hg.), Das Ende einer Dynastie. S. Kurtze Specificatio et deductio Gravaminum, angefertigt durch die Quedlinburger Stiftsräte (o.D. [1659]): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 94v-107r, besonders 106v.

4.3. Repräsentieren

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gräfin Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld von 1645 bis 1680. Ihre Amtszeit war geprägt von andauernden Streitigkeiten mit dem kursächsischen Schutzherrn und dessen Vertretern. Darin ging es auch um den Wortlaut der Huldigungsformel, die nicht nur bei Gesamt- und Einzelhuldigung, sondern auch im Rahmen des Ratswechsels angewandt wurde.68 Während des Ratswechsels war es üblich, dass die neuen Bürger der Stadt dem Stiftshauptmann als Vertreter des sächsischen Kurfürsten huldigten. Zum Ratswechsel 1659 versuchten kursächsische Vertreter den Titel Landesfürst auf Grundlage des Vergleichs von 1574 nun auch in diese Eidesformel der neuen Bürger einzuschreiben, stießen dabei aber auf den Widerstand der Äbtissin und ihrer Räte.69 Sie hielten den kursächsischen Vertretern die [gemeine] Regul [vor], [dass] Schutz und Schirm (an und vor sich allein) keine Oberkeit [er]gebe und die Huldigungsformel 1574 widerrechtlich sowie unter Protest des Stifts abgeändert worden sei.70 Weil man sich mit Argumenten nicht durchsetzen konnte, gingen Äbtissin und Stiftsräte zehn Jahre später dazu über, nicht nur die Eidesformel im Vorfeld des Ratswechsels eigenmächtig abzuändern, sondern deren Überlieferung zu manipulieren. Auf den Vorwurf des Stiftshauptmannes, die Stiftsräte hätten den Wortlaut des Huldigungseides eigenmächtig verändert, erklärten diese, dass es in der im Archiv überlieferten und herkömmlich angewandten Formel nicht Landesfürst, sondern Landesfürstin hieße. Die sächsischen Vertreter erkannten jedoch den Manipulationsversuch.71 Schließlich fanden sich Äbtissin und Kapitel zu dem Kompromiss bereit, den Titel in der Eidesformel zuzugestehen, iedoch mit dieser ausdrücklichen reservatio und bedingung, daß erstlich solch praedicat oder titul weiter nicht, dan auf die mit der Erbvogtey dem Churfürstlichen Hause per investitu-

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Der Ratswechsel fand an dem Sonntag nach Ostern im Beisein der Äbtissin auf dem Stift statt. Hierbei wurde das scheidende Ratsmittel seiner Pflicht gegenüber der Äbtissin enthoben und das antretende Mittel in die Pflicht genommen. S. Kurtze Specificatio et deductio Gravaminum, angefertigt durch die Quedlinburger Stiftsräte [1659]: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 94v-107r, hier 106r-v; Beantwort= und ablehnung der irigen gravaminum so von dem Stifftshauptman Contra die Stiffts Regierung moviret werden wollen [1659]: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 216r-371r, hier S. 224r-v. Kurtze Specificatio et deductio Gravaminum, angefertigt durch die Quedlinburger Stiftsräte [1659]: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 94v-107r, besonders 106v; Entgegnung der Stiftsregierung auf die vom Stifthauptmann wahrscheinlich 1659 aufgestellten Gravamina (o.D. [1659]): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 216r-237r, Zitat 225r. Konferenzakten 1671: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 427r-428r.

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ram et pacta verliehene und hergebrachte jura, Hoheit und gerechtigkeit angesehen und verstanden [würde].

Außerdem sollte der Äbtissin derselbe Titel beigelegt werden.72 Erst unter brandenburgisch-preußischer Schutzherrschaft bestanden Äbtissin und Kapitel darauf, dass es sich um einen reinen Ehrentitel handele,73 um die mitunter gewaltsam umgesetzten landesherrlichen Ansprüche des neuen Schutzherrn mit dem Zugeständnis des Titels Landesfürst nicht nachträglich zu legitimieren. Im eigentlichen Huldigungszeremoniell schlug sich die qualitative Beschränkung des Titels auf einen Ehrentitel jedoch nicht nieder. Vielmehr handelt es sich dabei um den hilflosen Versuch der Äbtissin und ihrer Vertreter, ihr Gesicht angesichts zunehmender Übermächtigung durch den preußischen Schutzherrn zu wahren. Ein weiterer Streitpunkt zwischen der Äbtissin und dem Stift sowie den Vertretern der Schutzherrschaft war der Teilnehmerkreis bei der Huldigung. Wiederholt versuchten die kursächsischen Vertreter den Kreis der zur Einzelhuldigung zitierten Untertanen zu vergrößern, indem sie auch die Stiftsbeamten und -diener zur Huldigung vorluden.74 Im Concordien-Rezess musste Anna Dorothea von Sachsen-Weimar die Zitation ihrer in Quedlin____________ 72

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Quedlinburger Stiftsräte an die kursächsischen Kommissare (29. März 1671): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XXVII Nr. 7, fol. 463r-464v. Argumentation der Äbtissin und ihres Umfeldes hinsichtlich der Huldigungsformel in WOHLGEGRÜNDETE ANMERCKUNGEN, S. 21. Sowohl Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld als auch Anna Dorothea von Sachsen-Weimar wehrten sich 1679 sowie 1692 und 1695 gegen dieses unrechtmäßige Vorgehen der kursächsischen Vertreter. Vgl. Protest der Pfalzgräfin gegenüber dem Stiftshauptmann Jobst Brand von Lindau (5. Mai 1679) sowie gegenüber dem Kurfürsten (26. April 1679): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 11, fol. 313r-v, 308r-310r; Beschwerden Anna Dorotheas wegen des Versuchs unpossessionirten Stiftsdienern den HomogialEyd abzuverlangen (31. Aug. 1692) sowie Protokoll der Huldigung 1695: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 12, fol. 206r-207r, 281r-303r. Die Pfalzgräfin wandte sich in dieser Situation schließlich an den Reichshofrat und erwirkte dort Mandatum de non turbando cum clausula gegenüber dem Kurfürsten. Darin wurde Johann Georg II. bei Androhung einer Geldstrafe aufgefordert, sich in den schranken deß schutzes und Vogteylichkeit denen Verträgen gemäs [zu verhalten], Klägerin aber keineswegs in habenden jure Superioritatis territorialis und jurisdictionis durch dero StifftsHaubtmann oder sonst iemandts kränken noch tubiren [zu lassen]. Kaiserliches Mandat an den sächsischen Kurfürsten (1. Aug. 1679): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8376/17, fol. 153r-158v; weiteres Exemplar in Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata Antiqua Nr. 617; zweite Supplik der Äbtissin (praes. 5. Juni 1679): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8376/17, fol. 161r-163r; weiteres Exemplar in Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata Antiqua Nr. 617.

4.3. Repräsentieren

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burg begüterten Bediensteten zwar eingestehen,75 sie wehrte sich aber gegen die Vorladung ihrer nicht im Stift sesshaften Stiftsbeamten und -diener.76 Der Äbtissin ging es dabei um die Erhaltung ihrer zumindest in Teilen vom Kurfürsten unabhängigen Beamtenschaft, auf deren Expertise und Loyalität die Äbtissin in den Auseinandersetzungen mit den lokalen Herrschaftskonkurrenten angewiesen war.77 Schließlich ging es in den Auseinandersetzungen auch um den Zeitpunkt der Huldigung im Zeremoniell des Amtsantrittes. Üblicherweise fand die Huldigung erst nach der Belehnung des Schutzherrn in Person seiner Gesandten statt. Ende des 17. Jahrhunderts veränderte sich auf Betreiben der schutzherrlichen Vertreter sowie unter dem Protest von Äbtissin und Stift diese Reihenfolge.78 Während die ursprüngliche Reihenfolge die Überordnung der Äbtissin als Lehnsfrau und den Lehnscharakter der Schutzherrschaft unterstrich sowie alle Rechte des Schutzherrn von der Belehnung durch die Äbtissin ableitete, suggerierte der veränderte Ablauf, dass der Schutzherr seine Herrschaftsrechte und -stellung a priori besitze. Das lehnsrechtliche Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Äbtissin wurde auf diese Weise verschleiert, so dass der Lehnscharakter der Schutzherrschaft und der Akt der Belehnung zusehends an Bedeutung verloren und drohten, vollends negiert zu werden. 1698, als kurz zuvor der sächsische Kurfürst die Schutzherrschaft eigenmächtig an den Kurfürsten von Brandenburg ‚verkauft‘ hatte, ging es nicht nur um die Frage, wie gehuldigt wurde, sondern mehr noch, ob dem ‚neuen‘ Schutzherrn überhaupt gehuldigt werden durfte. Weil der eigenmächtige Verkauf der Schutzvogtei den Lehnscharakter der Schutzherrschaft in Zweifel zog, verweigerte die amtierende Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar dem ‚neuen‘ Schutzherrn ihre Anerkennung. Sie verbot dem Stadtrat, der Bürgerschaft, den Geistlichen und Schulkollegen sowie ihren Stiftbediensteten die Teilnahme an der Huldigung. Denn man könne niemandem als Schutzherrn huldigen, der ohne solenne Belehnung mit der Schutzherrschaft gar kein Schutzherr war.79 Ihren Stiftsbeamten ____________ 75 76

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Concordien-Rezess § 1, in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 97-120. Quedlinburger Stiftskanzler und -räte an die kursächsischen Kommissare (9. Sept. 1692): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 12, fol. 210r-213v. S. o. Kap. Der ‚gute‘ und der ‚schlechte‘ Ratgeber. Argumentation der Äbtissin und ihres Umfeldes im Hinblick auf den Zeitpunkt der Huldigung nach der Belehnung in WOHLGEGRÜNDETE ANMERCKUNGEN, S. 21. Verbot der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar gegenüber ihren Stiftsbedienten, an der Huldigung teilzunehmen (3. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 504r; Verbot gegenüber Stadtrat, Bürgerschaft, Geistlichem Ministeri-

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befahl sie darüber hinaus, alle Extremitäten abzuwarten, auch vielmehr Euer unbewegliche güter loßzuschlagen, um nicht mehr zum Kreis der zur Huldigung verpflichteten, sesshaften Einwohner des Stifts zu gehören.80 Sie selbst reiste noch vor Eintreffen der brandenburgischen Vertreter aus Quedlinburg ab, um das Ersuchen um Lehnsmutung der Schutzvogtei zu verhindern.81 Der brandenburgische Kurfürst und seine Vertreter sahen sich jedoch in der Ausübung der Schutzherrschaft nicht an die Belehnung gebunden, die sie lediglich der Form halber in Abwesenheit der Äbtissin beim Kapitel ersuchten. Vielmehr glaubten sie sich bereits im Besitz der Schutz- und Landesherrschaft, die sie durch Kauf vom sächsischen Kurfürsten erstanden hatten, der sie wiederum als Nachfolger der sächsischen Könige geerbt habe. Die Belehnung bezogen sie lediglich auf die unter dem Begriff der Vogtei verstandenen Universalis jurisdictio civilis in der Alt- und Neustadt Quedlinburgs.82 Daher hatte die Huldigung bereits zwei Tage vor dem kurbrandenburgischen Gesuch um Belehnung im Beisein des halberstädtischen Kanzlers Johann Martin Unverfährt, des Stiftshauptmannes von Stammer sowie dreier Kompanien Infanterie und einer Kompanie Reiter stattgefunden.83 Während die borussische Geschichtsschreibung in der Retrospektive das militärische Aufgebot „in Paradestellung“ als zeremonielle Ausstattung des Aktes darstellte, sah die zeitgenössische Partei der Äbtissin darin vor allem ein Zwangsmittel gegenüber den Untertanen.84 Diese Vorstellung wird durch die überlieferten Berichte von Übergriffen brandenburgischer Soldaten auf die Geistlichen und die Stiftsdiener bestätigt, die sich der Huldigung ____________ 80

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um und Schulkollegien, an der Huldigung teilzunehmen (5. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 31r-32r. Tatsächlich verkaufen der Sekretär Latermann und der Schösser Diener ihre Güter innerhalb der Stadt Quedlinburg, um sich so der Huldigung zu entziehen. Memorial des Sekretärs und Schössers an den kurbrandenburgischen Abgesandten (12. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 57r-v. Gratulationsschreiben der Äbtissin an den brandenburgischen Geheimen Rat und neuen Oberdirektor des Fürstentums Halberstadt Daniel Ludolf von Dankelmann zu seinem Dienstantritt, in welchem sie ihm auch ihre Abreise nach Weimar mitteilte (5. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 20r-21r. ABDRUCK/ DES AN IHR. RÖM. KAYS. MAJESTÄT EC. EC. EC. VON SR. CHURFÜRSTL. DURCHLAUCHT. ZU BRANDENBURG […] ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTEN SCHREIBENS. Eingabe des stiftischen Reichstagsgesandten Scheffer (21. Sept./1. Okt. 1698), in DAS WEYNENDE KAYSERLICH FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 8. Vgl. LORENZ, Werdegang von Stift und Stadt Quedlinburg S. 320; DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN, S. 3 u. 9.

4.3. Repräsentieren

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auf Geheiß der Äbtissin entzogen. Ihre Häuser wurden mit Soldaten besetzt und sie, wenn sie sich nicht auf das Stift retten konnten, dort festgehalten.85 Zwei Stiftsräte verließen gar das Stiftsterritorium. Das Haus des einen wurde am Heiligen Sonntage unter dem Gottesdienst von brandenburgischen Soldaten gestürmt, so dass sich seine schwangere Frau durch den Budenstrom retten musste und mit nassen Kleidern auf die fürstliche Residenz geflüchtet war. Das Haus blieb in den folgenden sechs Wochen von den Soldaten besetzt, welche wie in Feindes Landen darinnen gehauset.86 Selbst das Stiftsgebäude, welches in dem grösten Kriegs=Wesen verschont worden war, war nicht vor Übergriffen der Soldaten sicher, die wiederholt, aber erfolglos versuchten, sich Einlass zu verschaffen.87 Den 20ten Septembre haben endlich so wol die Stiffs=Bedienten/ als auch die Geistlichkeit der grossen Gewalt und force weichen und sich zur Huldigung/ bereit erklären müssen, woraufhin die Soldaten aus ihren Häusern abgezogen wurden.88 Das wachsende Konfliktpotential im Kontext der Huldigung hängt wesentlich mit dem Wandel des vormodernen Herrschaftsverständnisses im 17. und 18. Jahrhundert zusammen. Während vormals verschiedene Herrschaftsträger in Ansehung ihrer jeweiligen Herrschaftsrechte die Huldigung gemeinsam eingenommen hatten, wurde dieser Akt nun zunehmend an das Anrecht auf die Landeshoheit geknüpft und exklusiv vom Landesherrn beansprucht. Die Untertanenhuldigung avancierte zum konstitutiven Rechtsakt für die Behauptung der Landeshoheit. Da sowohl Äbtissin als auch Schutzherr die Stellung als Landesfürstin bzw. Landesfürst einforderten, waren beide Seiten bemüht, das Huldigungszeremoniell zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaftsansprüche zu instrumentalisieren und den Konkur____________ 85

Vgl. Zeugenaussagen der Quedlinburger Prediger, abgedruckt in DER FRAU ABBATIßIN QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN, fol. 92/15r-92/21r; Original des notarischen Instruments über die Befragung der Pastöre (13. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 257r288r; Protokoll der Stiftskanzlei (16. Sept. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 63r-66v; Reinhard Scheffer, Abgesandter des Stifts am Reichstag zur Regensburg, an die Reichsversammlung (1. Nov. 1699), in DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 10-12. Reinhard Scheffer, Abgesandter des Stifts am Reichstag zur Regensburg, an die Reichsversammlung (3. Febr. 1699), in DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 14-16. S. auch Protokoll der Stiftskanzlei (16. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 344v. Reinhard Scheffer, Abgesandter des Stifts am Reichstag zur Regensburg, an die Reichsversammlung (1. Nov. 1699), abgedruckt in DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG, S. 10-12. Ebd. ZU

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renten in seine Schranken zu weisen. Durchführung und Ablauf der Huldigung fungierten somit als Plattform zur Aushandlung des Verhältnisses zwischen Äbtissin und Schutzherrn. Auf der einen Seite ging es der Äbtissin darum, den Lehnscharakter der Schutzherrschaft festzuschreiben und alle schutzherrlichen Rechte von der Belehnung abzuleiten. Der einseitigen Huldigung gegenüber dem Schutzherrn wollte sie daher nur im Hinblick auf seinen Status als Schutz- und nicht Landesherr sowie erst nach der Belehnung zustimmen. Auf diese Weise sollte ihre Stellung als übergeordnete Obrigkeit im Stift gesichert werden. Auf der anderen Seite versuchte der Schutzherr die Lehnshoheit der Äbtissin abzustreifen und eine gleichberechtigte Mitherrschaft, wenn nicht sogar Alleinherrschaft zu etablieren. Er beanspruchte daher die Untertanenhuldigung nicht mehr nur als belehnter Schutzherr, sondern aus überkommenem, eigenmächtigen Recht als Landesfürst. Hierzu gehörte auch die Homogenisierung der Einwohnerschaft, die ohne Ausnahme seiner Landesobrigkeit als Untertanen verpflichtet sein sollte, um das Stift zusehends dem brandenburgisch-preußischen Territorialkomplex wenn nicht ein-, so doch zumindest anzugliedern. Der König wolle alle Einwohner des Stifts nicht als Schutz-verwandte behandeln, sondern sie mit denen Halberstädter und andern Königlichen Unterthanen über all gleich halten, so der spätere Vorwurf eines Stiftsrates.89

Thronen und investieren Neben solchen expliziten Herrschaftsakten wie dem Einzug oder der Huldigung waren die Äbtissinnen auch im Stiftsalltag darauf angewiesen, ihre Stellung als weltliche und geistliche Obrigkeit öffentlichkeitswirksam zur Schau zu stellen und damit immer wieder zu aktualisieren. Eine solche Gelegenheit bot sich bei der Investitur neuer Stiftsdamen, die in den Stiften Herford und Quedlinburg anders als im Stift Essen in Anwesenheit der Äbtissin vollzogen wurden.90 Gleich in mehrfacher Hinsicht diente das Investiturzeremoniell der Äbtissin zur Repräsentation ihres Rang- und Herr____________ 89

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Stiftsrat Madelung, Protokoll der Verhandlungen (19. Okt. 1741): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 110r-114v. Im Stift Essen war die Äbtissin am Akt der Investitur nicht beteiligt. Diese fiel ganz in den Kompetenzbereich des Kapitels. Die Äbtissin hatte im 17. Jahrhundert aber das Kollationsrecht vom Kapitel erstritten, so dass sie über das Recht verfügte, neue Stiftsdamen aufzunehmen. Seit Ende des 17. Jahrhunderts handelt es sich hierbei um einen rein schriftlichen Akt. Dem Damenkapitel oblagen wiederum die Prüfung der Ahnenprobe sowie der Vollzug des Aufnahmerituals. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 52-64.

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schaftsanspruches vor der Öffentlichkeit des Stifts und unterschied sie von den anwesenden Mitgliedern des Kapitels, den Kanzleibeamten, Dienern und Geistlichen als deren Obrigkeit. Zunächst einmal fand die Investitur mit der Präbende in Herford im Lehnsaal, in Quedlinburg im bzw. vor dem Audienzzimmer als dem repräsentativen Ort der weltlichen Herrschaft der Äbtissin statt. Zweitens nahm die Äbtissin an der Handlung an herausgehobener Stelle sitzend auf ihrem Lehnsstuhl oder Thron unter einem Himmel, mitunter erhöht,91 auf der Kopfseite des Raumes teil. Dort saß sie in majestate und brachte somit ihre obrigkeitliche Stellung zum Ausdruck, die durch die Anwesenden anerkannt wurde.92 Drittens bildete die Übergabe des Schlüssels wie in Quedlinburg oder der Belehnungsurkunde wie in Herford durch die Äbtissin den Kern des Investituraktes und unterstrich somit deren obrigkeitliche Stellung. Schließlich spiegelte sich diese im Wortlaut des Eides, des Revers oder der Kapitulation wider, mit der die neue Kanonissin sich gegenüber der Äbtissin zu Gehorsam und Treue verpflichten musste.93 Zwar griff man wiederholt auf den genauen Wortlaut vormaliger Investituren zurück, dennoch war die Eidesformel immer wieder Änderungen unterworfen. Zwischenzeitlich mussten sich beispielsweise die Herforder Kanonissen dazu verpflichten, bei einige Mißverständniß und Streit […] darüber keine andere obrigkeit, als der Frau Abbatissin Hoheit erkennen, anruffen und ersuchen [zu] solle[n] und wolle[n], sondern mehr höchst gedacht Ihro Königliche Hoheit als ordinaria besagten Stifts decission und auspruch [zu] erwarten.94 Dieser Einschub dürfte im Zusammenhang mit den langwierigen innerstiftischen Streitigkeiten zu Beginn des 18. Jahrhunderts stehen. Im konkreten Wortlaut der Verpflichtung spiegeln sich somit immer auch die vorherrschenden politischen Konjunkturen und Herrschaftsverhältnisse wieder.95 Die eigentliche possessio der Präbende erfolgte dann in Abwesenheit der Äbtissin in der Stiftskirche auf dem hohen Chor und Fräuleinchor. Dieser Part des Investituraktes gehörte ____________ 91

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Im Stift Herford stand der Lehnstuhl zumindest im 18. Jahrhundert auf einem dreistufigen Podest. Siehe hierzu Protokoll der Investituren (23. Juli 1729, 18. Juli 1735, 7. März 1760): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 292. Vgl. hierzu STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 53-64. Vgl. allg. zum Sitzen als einer Herrschaftshaltung GOETZ, Der „rechte“ Sitz. S. die Eide der Herforder Kanonissen Gräfin Henriette Wilhelmine von SchönaichCarolat (1759), Gräfin Sophie Helene von Reichenbach (1738) und Gräfin Friderica Charlotte Amalia von Dohna (1759): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 292. S. Eid abgelegt durch die Gräfin von Reichenbach (1738) und Gräfin von Dohna (1759): Münster LAV NRW W Stift Herford Akten Nr. 292. Vgl. HOLENSTEIN, Die Huldigung der Untertanen, S. 278f.

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ganz in den Kompetenzbereich des jeweiligen Kapitels und betonte dessen genossenschaftliche Struktur. Solche symbolischen Auftritte der Äbtissinnen im Stift wie im Rahmen der Investitur neuer Stiftsdamen gewannen insbesondere in Krisenzeiten an Bedeutung, um den angezweifelten obrigkeitlichen Anspruch der Äbtissin symbolisch zu verteidigen. In diesem Kontext steht die Herforder Dekanissinnenwahl von 1702. Die amtierende Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland war soeben aus Wien zurückgekehrt, wohin sie sich nach der Besetzung des Stifts durch brandenburgisch-preußische Soldaten geflüchtet hatte.96 Zur gleichen Zeit war ihre innerstiftische Widersacherin, die Dekanissin Gräfin Sophie Ernestine zur Lippe, verstorben.97 Die Äbtissin nutzte nun die Wiederbesetzung des Dekanissinnenamtes als Plattform, um ihren Herrschaftsanspruch im und über das Stift zu demonstrieren. Ihr Augenmerk richtete sich dabei auf ihre Nichte, Prinzessin Hedwig Louise von HessenHomburg.98 Von dieser Wahl versprach sich Charlotte Sophie zugleich eine Stärkung ihrer Position im Stift, indem sie eine loyale Verwandte nicht nur im Kapitel, sondern noch dazu im Amt der Dekanissin wusste, das in der Stiftshierarchie an zweiter Stelle, direkt nach der Äbtissin, rangierte.99 Üblicherweise gab die Äbtissin lediglich den Anstoß zur Wahl einer neuen Dekanissin, indem sie das Kapitel einberief und ihnen die Aufforderung zur Wahl erteilte. Die schriftliche und geheime Wahl einer Dekanissin musste dann innerhalb von drei Monaten im Beisein zweier Wahlbeobachter (Scrutatoren) sowie eines Notars und zweier Zeugen, die das Geschehen in einem notariellen Protokoll festhielten, innerhalb des Kapitels ohne Zutun der Äbtissin stattfinden.100 Erst danach schaltete sich wieder die Äbtissin ein, ____________ 96 97

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S. o. Kap. Besetzung. Zur innerstiftischen Auseinandersetzung zwischen Äbtissin und Dekanissin s. o. Kap. Das Kapitel als Mitregent. Die Mutter Hedwig Luises von Hessen-Homburg ist die Schwester Charlotte Sophies von Kurland, Luise Elisabeth (1646–1690), die 1670 Friedrich II. von Hessen-Homburg geheiratet hatte. Vgl. zu den Töchtern Herzog Jakobs von Kurland, wenn auch nicht frei von Pathos, SCHÖNBORN, Mit Herz und Verstand. Zur dynastischen Besetzungspolitik innerhalb der drei hier behandelten Stifte siehe Kap. Verwandtschaftliche Besetzungspolitik. Erst seit der Dekanissinnenwahl von 1721 setzte sich die Praxis durch, dass die Dekanissin allein von den männlichen vier Kapitularen gewählt wurde. Die erste war Eleonore von Hessen-Homburg, 1721 durch die Kapitulare Sternfeld, Arco und Heimbruch gewählt. Bericht des (ehemaligen) Landdrosten Clamor von dem Bussche an das Kabinett in Berlin (1. Mai 1721): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137.

4.3. Repräsentieren

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welche die Wahl der neuen Dekanissin bestätigen musste, bevor diese feierlich in der Münsterkirche in ihr Amt eingeführt wurde. Der Ablauf dieses solennen Aktes der possessio ähnelte den Vorgängen bei der Inthronisation einer neuen Äbtissin und unterstrich somit die herausgehobene Position der Dekanissin im Kapitel, dem sie nominell vorstand, und in der gesamten Stiftshierarchie.101 1702 kam das Kapitel jedoch nicht zusammen, um eine neue Dekanissin zu wählen, sondern man ließ die Frist von drei Monaten verstreichen. Breite Teile des Kapitels hatten die Aussetzung der Wiederbesetzung gefordert, bis der schwelende innerstiftische Streit beigelegt worden wäre, und dabei die Unterstützung des preußischen Königs gefunden.102 Das Ziel dieser Verzögerungstaktik war die spätere Wahl einer anderen Kandidatin aus dem Kreis der oppositionellen Kapitularinnen, um die Einflussnahme der Äbtissin auf Angelegenheiten des Kapitels zu verhindern und über ein Gegengewicht zu verfügen. Die Äbtissin nutzte hingegen den Ablauf der dreimonatigen Frist, um kraft anheimgefallenen Rechts (jus devolutum) eigenständig das Amt neu zu besetzen.103 Diese bisher in der Stiftsgeschichte einmalige Proklamation einer neuen Dekanissin durch die Äbtissin erfolgte in Form eines solennen Aktes, den Charlotte Sophie zur Inszenierung ihrer eigenen Herrschaft einsetzte. In Anwesenheit der auf ihrer Seite verbliebenen zwei Kapitulare sowie Vertretern des Klerus postulierte die Äbtissin die vor ihr auf einem samtenen Schemel kniende Nichte im Kapitelhaus zur neuen Dekanissin.104 Während die Äbtissin durch die Proklamation im Kapitelhaus ihre Position als Oberhaupt des Stifts demonstrierte, zollten die ____________ 101

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Vgl. zum Ablauf der Dekanissinnenwahl und der anschließenden Besitzergreifung die notarischen Protokolle dieses Aktes aus dem 17. und 18. Jahrhundert: LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 267: decanißinn Wahl beim Hochstift Münster. Herforder Kanzleiprotokoll (27. März 1702): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1052. Darin wurden die Einwände des preußischen Königs gegen die Durchführung der Dekanissinnenwahl diskutiert. Er forderte deren Aussetzung, so lange nicht alle Mitglieder benachrichtigt worden wären und eine Entscheidung vom Reichshofrat eingegangen war. Dorthin hatten sich die suspendierten Kapitularinnen gewandt, um die Aufhebung ihrer Suspendierung und ihre Teilhabe an der Dekanissinenwahl zu erreichen. Eingaben des Agenten Daniel Hieronymus Praun (praes. 13. Febr. u. 4. April 1702): Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata recentiora Nr. 115/1. Protest der suspendierten Kapitularinnen gegen die Wahl einer neuen Dekanissin (4. Mai 1702): GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3122. Notarielles Protokoll der Dekanissinnen-Postulation (4. Mai 1702) LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1454. Notarielles Protokoll der Dekanissinnen-Postulation (4. Mai 1702): LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Bei dem Kapitularen handelt es sich um Freiherr Georg Christian von Amazon und Johann Ludewig von Sternfeld.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

verbliebenen Kapitulare und Geistlichen der Handlung durch ihre Gegenwart Anerkennung und verliehen ihr somit Legitimität. Einen Tag später wohnte die Äbtissin dann der feierlichen Installation der Prinzessin von Hessen-Homburg in der Münsterkirche an exponierter Stelle auf einem eigens errichteten Thron unter einem Baldachin bei.105 Solenne Akte wie die Investitur einer neuen Kanonissin oder die feierliche Wiederbesetzung eines Stiftsamtes boten der Äbtissin eine Plattform zur Repräsentation ihrer obrigkeitlichen Stellung im Stift. Sie trat hier für alle Anwesenden sichtbar nicht nur als Äbtissin des Stifts, der sich alle Mitglieder des Kapitels zu Gehorsam verpflichten und unterordnen mussten, sondern immer auch als Reichsfürstin auf. Beide Rollen waren in dem Amt untrennbar verbunden. Dass der Erfolg eines solchen Repräsentationsaktes und mehr noch die damit artikulierten Rang- und Herrschaftsansprüche jedoch immer von der Anerkennung der Untertanen und des territorialen Umfeldes abhingen, zeigt der weitere Verlauf der Herforder Dekanissinnenwahl von 1702. Der von Charlotte Sophie eigenmächtig bestellten Dekanissin Hedwig Louise von Hessen-Homburg fehlte nämlich die Akzeptanz der oppositionellen Kapitelmitglieder und des preußischen Königs, die ihre Amtsführung und den Genuss der Einkünfte in den folgenden Jahren verhinderten.106

Gehen hinter dem Sakrament Ein häufig verwandtes Medium zur Repräsentation ständischer Ordnung waren Prozessionen.107 In der Prozession manifestierte sich „die soziale Ordnung als hierarchische Abfolge von Korporationen und Einzelpersonen“.108 Prozessionen fanden zu unterschiedlichen Gelegenheiten in den Stiften statt: zum Beispiel beim feierlichen Einzug einer neuen Äbtissin in das Stift, beim Inthronisationsakt der Herforder Äbtissin von der Abtei in die Münsterkirche oder im Quedlinburger Huldigungszeremoniell vom Stift zum Rathaus und Markt als traditionellem Ort der Huldigung. Im litur____________ 105

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Notarielles Protokoll der Dekanissinnen-Installation (5. Mai 1702): LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Charlotte Sophie von Kurland beschwerte sich über die Beeinträchtigung der Dekanissin beim hessischen Landgrafen (6. Febr. 1704): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 472. Vgl. HECHT, Abbild sakraler Einheit oder Repräsentation sozialer Distinktion?; HEUSINGER, „Cruzgang“ und „umblauf“; ENZEL, Die „Große Kölner Gottestracht“; LÖTHER, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten; FELBECKER, Die Prozession. FÜSSEL, WELLER, Einleitung, S. 16.

4.3. Repräsentieren

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gischen Kalender des katholischen Stifts Essen finden sich darüber hinaus eine Vielzahl von religiös motivierten Bitt-, Dank- und Bußprozessionen, die zum Teil bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Bestand hatten.109 Eine der wichtigsten Prozessionen aufgrund ihres geographischen Radius, der Größe des Teilnehmerkreises und ihrer immer noch symbolischen Bedeutung für das Verhältnis der Konfessionen stellt die Fronleichnamsprozession dar.110 Der Weg der Prozession führte von der Münsterkirche über die Kettwigerstraße zur Kapuzinerkirche, der Kirche der Congregation de Notre Dame, vorbei an der Gertrudiskirche über den Markt bis zurück zur Münsterkirche. An vier bis fünf Stationen hielt die Prozession an. Dort hörten die Teilnehmer das Evangelium und empfingen den Segen.111 Insgesamt währte der Umzug nach Aussage eines Augenzeugen wenigstens 4 Stunden.112 Die Prozession verließ auf ihrem Weg den eigentlichen Bereich der Burg- oder Stiftsfreiheit und führte durch städtisches Gebiet vorbei an den Wahrzeichen des städtischen Autonomiestrebens: dem Rathaus, dem Markt und der lutherischen Markt- oder Gertrudiskirche. Damit signalisierte die Äbtissin ihren von Bürgermeister und Rat wiederholt bestrittenen obrigkeitlichen Anspruch über die gesamte Stadt Essen.113 An der Prozession nahmen alle katholischen und zum Teil selbst evangelischen Bevölkerungsgruppen des Stifts teil. Zu den evangelischen Teilnehmern gehörten beispielsweise die Stadtwachen, die der Äbtissin auf ihrem Weg durch die Stadt zur Münsterkirche durch Salut die Ehre erwiesen, oder die Inhaber der vier ____________ 109

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Grundlage dessen ist der mittelalterliche Liber Ordinarius aus dem 14. Jahrhundert. Er bietet Aufschluss darüber, welche Kirchenfeste wie im 14. und 15. Jahrhundert im Stift Essen gefeiert wurden. Zwar ist der Festkalender in den späteren Jahrhunderten Veränderungen unterworfen gewesen, insbesondere die großen Festtage spielten aber auch weiterhin eine wichtige Rolle im Jahresverlauf. Vgl. BEUCKERS (Hg.), Forschungen zum Liber ordinarius. Zur Fronleichnamsprozession vgl. das Promotionsprojekt von Kristina Thies über „Karfreitags- und Fronleichnamsprozessionen zwischen Tridentinum und Säkularisation in München, Augsburg und Erfurt“, Exzellenzcluster Religion und Politik, Universität Münster, sowie FÜSSEL, Hierarchie in Bewegung; LÖTHER, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten; RUBIN, Symbolwert und Bedeutung von Fronleichnamsprozessionen. Beschreibung der Fronleichnamsprozession vom 3. Juni 1779: Düsseldorf LAV NRW Stift Essen Akten Nr. 328, fol. 3r-15v; Zusammenfassung der Nachrichten zur Fronleichnamsprozession aus dem Archiv der Münsterkirche (o.D.): Köln DA Essener Offizialatsakten Nr. 37 (Mikrofiche im MA Essen). Vgl. den Bericht eines protestantischen Augenzeugen über die Fronleichnamsprozession im Jahre 1785, hier zitiert nach KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 164f., auch abgedruckt in EIN FRONLEICHNAMSFEST DER ÄLTEREN ZEIT, S. 521-523, 530-532. S. o. Kap. Der Sturm auf das Rathaus.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Erbämter, die mitunter auch mit evangelischen Lehnsmännern des Stifts besetzt wurden. An der Spitze gingen die jüngeren und älteren Schulkinder sowie Jungfrauen mit der Mutter-Gottes-Statue. Ihnen folgten zunächst die Mitglieder des Kapuzinerordens und die Inhaber der Stiftsvikarien, dann das Kanoniker- sowie das Gräfliche Kapitel. Das Zentrum der Prozession bildete das Allerheiligste unter einem Baldachin, der abwechselnd von verschiedenen Stiftsbeamten und ranghohen Untertanen wie dem Bäckermeister getragen wurde. Direkt hinter dem Allerheiligsten gingen zunächst der Erbmarschall mit dem Schwert sowie dann die Äbtissin im Chormantel mit einer großen Kerze in der Hand. Sie wurde durch den Erbdrost geführt, der Kammerdiener trug ihren Sonnenschirm und der Kammermohr ihre Schleppe. Die exponierte Stellung innerhalb der Prozession hinter dem Allerheiligsten sowie die Begleitung durch die vier Erbämter Schenk, Kämmerer, Marschall und Drost wies ihre obrigkeitliche Stellung innerhalb der hier abgebildeten sozialen Ordnung aus. Es folgten ihr Hofstaat, die Gerichts-, Offizialats- und Kanzleibeamten. Den Abschluss bildeten die Bürgers- und Land-Leute.114 Der bereits zitierte Augenzeuge spricht für die Fronleichnamsprozession von 1785 von Mehrere[n] Tausend, die an der Prozession teilnahmen.115 An diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage nach denjenigen Gruppen, die nicht an der Prozession beteiligt waren. Dies galt in erster Linie für die evangelischen städtischen Eliten, Stadtbürger und Untertanen, die mit wenigen Ausnahmen ausgeschlossen und auf die Rolle des Zuschauers verwiesen wurden. Die Essener Fronleichnamsprozession kann daher nicht „buchstäblich als Modell der Gesellschaft gelten“, weil dabei manche Akteursgruppen nicht repräsentiert wurden.116 Die Prozession stellte somit kein Abbild der sozialen Ordnung dar, sondern folgte einer Eigenlogik, die einerseits auf die Hervorhebung der Äbtissin als Obrigkeit, andererseits auf eine gemeinschaftsstiftende Wirkung unter der katholischen Bevölkerung des Stifts zielte. Mit der Reformation hatte sich das Prozessionswesen „von einer Selbstdarstellung der Stadt als ‚civitas christina‘ zu einer Präsentation der ‚civitas catholica‘ und einem Bekenntnis des katholischen Glaubens“ gewandelt.117 In bikonfessionellen Städten wie Essen war es daher seit der ____________ 114

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Beschreibung der Fronleichnamsprozession vom 3. Juni 1779: Düsseldorf LAV NRW Stift Essen Akten Nr. 328, fol. 3r-15v. Vgl. den Bericht eines protestantischen Augenzeugen über die Fronleichnamsprozession im Jahre 1785, hier zitiert nach KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 164f. DARNTON, Ein Bourgeois bringt seine Welt in Ordnung, S. 142. LÖTHER, Prozessionen in spätmittelalterlichen Städten, S. 329.

4.3. Repräsentieren

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Reformation immer wieder zu Übergriffen auf Teilnehmer von Prozessionen durch evangelische Stadtbürger gekommen.118 Auch im Stift Essen ereigneten sich noch im 18. Jahrhundert handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der verschiedenen Konfessionen.119 Dass hiervon wohl auch die Fronleichnamsprozession betroffen war bzw. die Störung der Prozession auch noch am Ende des 18. Jahrhunderts ein mögliches Szenario darstellte,120 belegen die Maßnahmen der letzten Äbtissin Maria Kunigunde aus dem Jahr 1779. Bevor die Prozession ihren Anfang nahm, wandte sie sich an den Bürgermeister mit der Aufforderung, aller Spötterungen und Stöhrungen, welche abseiten der Protestantischen Jugend nach denen Vorgangen zu beförchten wären, zu verhüten. Zudem wurden auf der gesamten Route Wachen der Kreismannschaft stationiert. Nachdem diese Procession in der schönsten Ordnung und ohne die mindeste Klage gegen die Protestanten geendet hatte, bekundete die Äbtissin gegenüber dem Bürgermeister ihre Zufriedenheit wegen denen von demselben getroffenen guten Anstalten.121 Während die Feiertage im Stift, verschiedene Buß- und Bittprozessionen zur Verhütung von Seuchen, schlechtem Wetter und Hungersnöten sowie eine Prozession am Tag der Heiligen Anna von Essen nach Rellinghausen zur St. Annenkapelle unter Maria Kunigunde und ihrer Vorgängerin reduziert bzw. abgestellt wurden,122 hielt die Äbtissin an der Fronleichnamsprozession fest und nahm trotz den langen Phasen ihrer Abwesenheit regelmäßig daran teil.123 Darin spiegelt sich die Bedeutung der Prozession als Mittel der Repräsentation in gleich dreifacher Hinsicht wider. Erstens diente sie als ____________ 118

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Vgl. zur ebenfalls bikonfessionellen Stadt Erfurt demnächst die Dissertation von Kristina Thies (Münster); MEISNER, Nachreformatorische katholische Frömmigkeitsformen in Erfurt. S. o. Kap. Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen. Konkrete Belege für gewaltsame Übergriffe evangelischer Stadtbürger auf die katholische Prozession, wie sie in anderen Städten überliefert sind, konnten für den Untersuchungszeitraum nicht gefunden werden. Beschreibung der Fronleichnamsprozession aus dem Jahr 1779: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 328, fol. 3r-16v. Anordnung Franziska Christinas von Pfalz-Sulzbach, die Prozession von Essen nach Rellinghausen bis zur anderweiten ggsten Verordnung zu unterlassen (24. Juli 1771): Köln DA Essener Offizialatsakten Nr. 37 (Mikrofiche im MA Essen); Publicandum zur Reduktion der Feiertage durch Maria Kunigunde von Sachsen (März 1782): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 271. In ihrer 26-jährigen Regierungszeit hat sie mindestens in den Jahren 1779, 1785 und 1787 an der Fronleichnamsprozession teilgenommen. Aus diesen Jahren sind Berichte über ihre Teilnahme oder Reglements für ihre Dienerschaft überliefert. S. Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 328; vgl. KÜPPERS-BRAUN, Macht in Frauenhand, S. 164f.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Medium der Unterscheidung zwischen den Anhängern der in Essen vertretenen Konfessionen, zwischen den unterschiedlichen Teilnehmergruppen und ihrem in der hierarchischen Abfolge manifestierten sozialen Rang sowie zwischen der Äbtissin als Obrigkeit und ihren Untertanen. Hier schloss zweitens die Repräsentationsleistung der Prozession zur Symbolisierung des obrigkeitlichen Status und Ranges der Äbtissin an. Drittens wirkte sich die Prozession gemeinschaftsstiftend sowohl auf die Stiftsgemeinschaft, indem Kapitulare, Kanonissen und Äbtissin im Chorgewand auftraten und sich als deren Mitglieder auswiesen,124 als auch für die Gemeinschaft der Konfessionsangehörigen aus, indem evangelische Teilnehmer in der Regel ausgeschlossen waren. Zwar fehlten in den evangelischen Stiften hohe Kirchenfeste als Mittel der Herrschaftsrepräsentation, aber auch die Äbtissinnen der Stifte Herford und Quedlinburg besaßen als ordinaria in den Stifts- und weiteren Kirchen ihres geistlichen Herrschaftsbereichs gestalterische Möglichkeiten. Anna Amalie von Preußen nutzte ihre episkopalen Rechte beispielsweise, um den Verstorbenen ihrer Herkunftsdynastie im Stift eigens die letzte Ehre in Form von Trauergeläut, Leichenpredigten und Trauerflor in den Kirchen zu zollen.125 Das Quedlinburger Stift fungierte somit als repräsentativer Außenposten der preußischen Dynastie. Die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland verwandte hingegen ihre Stellung als ordinaria, um ihrer verstorbenen, innerstiftischen Widersacherin, der Dekanissin Gräfin Sophie Ernestine zu Lippe, jegliche Ehrbezeugung – Trauergeläut, Beisetzung in der Stiftskirche und Führung des Titels einer Dekanissin – zu verweigern.126 Stattdessen ließ sie nach ihrer Rückkehr aus Wien, wohin sie sich vier Jahre zuvor vor brandenburgischen Soldaten geflüchtet hatte, am darauffolgenden Sonntag in der Münsterkirche und Stiftskirche auf dem Berge das te deum laudamus singen und ordnete die Auslegung einiger Verse des 18. Psalms in

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Dies galt ebenso für die anderen Teilnehmergruppen wie Mitglieder des Kapuzinerklosters oder des Gymnasiums. Sie verlängerte nicht nur die Trauerzeit beim Tod des Schutzherrn, sondern weitete die Regelungen zur offiziellen Trauer im Stift auf ihre gesamte Herkunftsdynastie aus. Reskript der Äbtissin an den Kammerjunker von Lobbethal beim Tod ihrer Mutter Sophie Dorothea in Preußen (11. Juli 1757): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 70c; Notifikation und Order an die Stiftsregierung durch die Äbtissin Amalie von Preußen beim Tod Friedrichs II. (19. Aug. 1786): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 70b. Charlotte Sophie von Kurland an die Regierungskanzlei zu Herford (27. Jan. 1702): Münster LHA NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1052.

4.3. Repräsentieren

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der Predigt an.127 Damit demonstrierte die Äbtissin direkt nach Rückkehr ihre Stellung als ordinaria. Zugleich nutzte sie diese Gelegenheit, um ihre Opferrolle im Konflikt mit dem brandenburgischen Schutzherrn der Öffentlichkeit ihres Kirchsprengels vorzuführen und den Zorn Gottes für diese Behandlung zu prophezeien. Nachdem sie zur Flucht aus ihrem Stift durch militärische Gewalt gezwungen worden war, musste es der Äbtissin nach ihrer Rückkehr darum gehen, ihre obrigkeitliche Position zu stärken und vor einer breiten Öffentlichkeit zu behaupten. Hierzu zeigte sie sich in ihrer Funktion als geistliches Oberhaupt des Stifts.

Das Bild der Äbtissin Nie ist die Herrschaft der Äbtissin vollkommener als im Bild.128 Ein Blick auf die Portraits verschiedener Reichsäbtissinnen sowie deren Gegenüberstellung zu anderen Herrscherportraits des 18. Jahrhunderts stützt diese Aussage (Abb. 2 bis 5).129 Sie alle weisen eine starke Ähnlichkeit auf, indem ____________ 127

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Landdrost Clamor von dem Bussche an Friedrich I./III. (30. März 1702): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3122. Psalm 18, v 13-18: „Aus dem Glanz vor ihm zogen seine Wolken dahin mit Hagel und Blitzen. Der HERR donnerte im Himmel, und der Höchste ließ seine Stimme erschallen mit Hagel und Blitzen. Er schoss seine Pfeile und streute sie aus, sandte Blitze in Menge und jagte sie dahin. Da sah man die Tiefen der Wasser, und des Erdbodens Grund ward aufgedeckt vor deinem Schelten, HERR, vor dem Odem und Schnauben deines Zornes. Er streckte seine Hand aus von der Höhe und fasste mich und zog mich aus großen Wassern. Er errettete mich von meinen starken Feinden, von meinen Hassern, die mir zu mächtig waren.“ Dieser Gedanke geht auf den französischen Historiker Louis Marin zurück. In seinem Werk „Das Portrait des Königs“ setzt er sich mit der Wirksamkeit von Repräsentationen auseinander. Er geht davon aus, dass der Machtanspruch absolut ist und kein Äquivalent in der konkreten Regierungspraxis finden kann, sondern nur in Medien der Repräsentation. MARIN, Das Portrait des Königs, Berlin 2005, S. 15: „Das Portrait des Königs, das der König betrachtet, liefert ihm die Ikone jenes absoluten Monarchen, der er so sehr sein will […]. Wahrhaft König, will sagen Monarch, ist der König nur in Bildern.“ Vgl. die Portraits der Herforder Äbtissinnen Charlotte Sophie von Kurland, Kupferstich von Pieter Schenk (nach 1688) im Besitz der Stadtbibliothek Trier, Johanna Charlotte von Brandenburg, Kupferstich von Antoine Pesne (ca. 1728) und Öl auf Leinwand eines unbekannten Malers (nach 1729), beide im Besitz des Stadtmuseums Herford, hier dem Portrait ihres Neffen Friedrich Wilhelm I. in Preußen gegenübergestellt (Abb. 2 u. 3), Öl auf Leinwand von Samuel Theodor Gericke (1713), und Friederike Charlotte Leopoldine Luise, Ölgemälde von Friedrich Wilhelm Güte (1767), im Besitz des Stadmuseums Herford sowie die Portraits der Essener Äbtissinnen Franziska Christina von PfalzSulzbach, Ölgemälde von Johann Jacob Schmitz (um 1770) im Besitz der Franziska-

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

sie immer wieder die gleichen Attribute aufgreifen wie festliche Garderobe, Hermelinbesatz, Orden, die Fürstenkrone, Draperien und eine schlossähnliche Kulisse. Das klassische Vorbild für diese Form der Darstellung stellt das bekannte Portraits Ludwigs XIV. von Hyacinthe Rigaud aus dem Jahr 1701 dar. Die Gegenüberstellung macht deutlich, wie wenig sich die Darstellung der Äbtissinnen auf den Gemälden von der ihrer männlichen Verwandten als Kurfürsten und Könige unterschied. Die Äbtissinnen ließen sich wie andere Herrscher dieser Zeit abbilden und strahlten dabei eine enorme Herrschaftsgewissheit aus. Dem entsprach das Selbstverständnis einer gleichgestellten Fürstin, wie es ebenso in der nachfolgenden Aussage der Herforder Äbtissin Charlotte Sophies zum Ausdruck kommt. Als ihre Schwester, die Landgräfin Marie Amalie von Hessen-Kassel, ihr in den Auseinandersetzungen mit dem preußischen König vorschlug, ihr Amt zu resignieren, antwortete sie: Sie könne ohnmöglich begreiffen wie Euer Liebenden mir rathen wollen Ich solle auß furcht weiter zubesorgenden verdrießlichkeiten lieber resigniren, […] ist eben so als wann Ich des Herrn Landgraffens Liebden rathen wolte Er solte auß besorgenden verdrießlichkeiten wegen Bassen lieber seine Regierung resigniren oder noch deutlicher zusagen es solle der König in Preußen wegen besorgender verdrießlichkeiten in Pohlen lieber die Crone Preußen resigniren; Euer Liebenden werden vielleicht lachen und sagen der hat macht, kann sich wieder gewalt souteniren Ich habe durch Gottes gerechten und gewaltigen Arm noch größere macht der kan in einen augenblick ohne Pulver und Kugeln tödten, auch wan man gleich noch so weit vom Schuß sitzet.130

Das Herrschaftsportrait bot der Äbtissin somit eine visuelle Ausdrucksmöglichkeit, um ihre ‚Art des In-der-Welt-Seins‘ vorzuführen. Adressaten dieser Gemälde waren neben den eigenen Untertanen nicht zuletzt auch die Standesgenossen und Konkurrenten um die Stiftsherrschaft. Die Darstellung führte ihnen die Herrschafts- und Rangansprüche der Äbtissinnen vor Au-

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Christina-Stiftung Essen-Steele (Abb. 1), und Maria Kunigundes von Sachsen, Öl auf Leinwand von Heinrich Foelix (nach 1776), hier dem Portrait ihres Bruders Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Kurfürst von Trier, gegenübergestellt (Abb. 4 u. 5), Öl auf Leinwand von Heinrich Foelix (nach 1776), beide im Besitz der Domschatzkammer Essen. Mein Dank gilt dem Heinrich-Pöppelmann-Haus in Herford, der FranziskaChristine-Stiftung in Essen-Steele, der Domschatzkammer Essen und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, die mir Reproduktionen der Herrschaftsportraits für diese Publikation zur Verfügung gestellt haben. Charlotte Sophie von Kurland an Marie Amalie von Hessen-Kassel (27. Dez. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119.

4.3. Repräsentieren

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gen.131 Gleichzeitig dienten sie in der Interaktion mit den Untertanen als Mittel der Vergegenwärtigung der abwesenden Äbtissin,132 die für die Untertanen auch bei Anwesenheit im Stift selten sichtbar war, indem sie sich vorwiegend in der Gesellschaft ihres Hofstaates aufhielt. Die Anbringung ihres Portraits in der Kanzleistube, ihre Darstellung auf Münzen, die Wiederholung ihres Wappens im Stiftssiegel und an Gebäuden sowie die Nennung ihres Namens und Titels auf allen Verlautbarungen, Gesetzen und Patenten dienten als Symbole ihrer Herrschafts- und Entscheidungsgewalt in der vormodernen Anwesenheitsgesellschaft und überspielten somit ihre permanente Abwesenheit.133 Das Bild der Äbtissin erschöpfte sich nicht allein in den Gemälden, die von ihr angefertigt wurden, sondern meint vielmehr die Gesamtheit des Bildes, das durch unterschiedliche Medien von ihr selbst und ihrer Umgebung entworfen wurde. Hierzu gehörten auch die zu, wenn auch bescheidenen, herrschaftlichen Residenzen ausgebauten Abteien bzw. Neubauten in Herford und Essen sowie die Anlegung herrschaftlicher Gärten. Sie orientierten sich dabei an den jeweiligen Modeerscheinungen. So entstanden in Herford und Quedlinburg barocke Gartenanlagen, die einer strengen Linearität folgten (Abb. 6 u. 7). Im Park von Schloss Borbeck, der Sommerresidenz der Essener Äbtissin, wurden hingegen durch mehrfache Umgestaltungen verschiedene Stile miteinander vereint.134 Einerseits finden sich Elemente eines Barockgartens mit französischen Steingärten, Alleen und Kaskadenanlagen, andererseits Merkmale eines englischen Landschaftsgartens mit geschwungener Wegführung, lockerer Bepflanzung und Teichanlagen. Maria Kunigunde von Sachsen ließ darüber hinaus eine Ruine sowie einen Teepavillon errichten und orientierte sich damit an Gärten wie dem des Schlosses Pilnitz in der Nähe von Dresden.135 Durch den Bau von Schloss- und Gartenanlagen grenzten sich die Äbtissinnen von ihren Untertanen und der städtischen Elite ab. Zugleich ahmten sie ‚im Kleinen‘ ihre verwandten Standesgenossen nach. Damit trugen sie ihren hochadeligen Rangansprüchen Rechnung. ____________ 131

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Vgl. allg. zu adeligen Frauenprotraits BAUMBACH, BISCHOFF (Hg.), Frau und Bildnis; KÜSTER, Die Äbtissinnenbilder der Lüneburger Damenklöster. Vgl. MARIN, Das Portrait des Königs, S. 10. Vgl. SCHLÖGL, Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden; DERS., Vergesellschaftung unter Anwesenden; KIESERLING, Kommunikation unter Anwesenden. Vgl. zum Borbecker Schlosspark GAIDA, Der Park von Schloss Borbeck, S. 57; KÖRNER, Beiträge zur Geschichte des Borbecker Parks. Vgl. SCHRÖTER, Zur Baugeschichte des Schlosses Borbeck, S. 109.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Ein vollkommenes Medium herrschaftlicher Repräsentation stellten Medaillen dar, weil sie sowohl ikonographische als auch narrative Elemente miteinander vereinten und damit die Herrschaft nicht nur sicht-, sondern auch lesbar machten und für die Nachwelt festhielten.136 Eine solche Medaille wurde zum 50-jährigen Regierungsjubiläum der Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach geprägt, das die Äbtissin jedoch nicht mehr erlebte. Sie ziert auf der Vorderseite das Konterfei der Äbtissin mit ihrem Namen und Titel als Umschrift sowie auf der Rückseite die Münsterkirche mit der narrativen Erklärung, dass sie als „erste Jubilarin […] diese Kirche fromm geleitet“ hat.137 Der Sinn der Medaille war es, durch Zeichnung und Erzählung das ruhmreiche Wirken der Äbtissin öffentlichkeitswirksam zu verewigen. Dies galt ebenso für die Medaillen, die nach dem Tod der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar zu ihrem Gedenken geprägt wurden. Im Mittelpunkt ihrer Ikonographie steht der Kampf der Äbtissin für die Unabhängigkeit des Stifts. In der Umschrift sowie bildlichen Darstellung des standhaften Schiffes, des stolzen Adlers und der strahlenden Sonne wurde sie als streitbare Fürstin und Landesmutter dargestellt, die bis zum Schluss um ihre Rechte stritt. 138 In solchen Medaillen wurde der Äbtissin im Andenken an ihre Taten ein Monument gesetzt. Monumente ihres Wirkens setzten sich die Äbtissinnen ebenso selbst in Stiftungen,139 die über ihren Tod hinaus mit ihrem Namen und Andenken verbunden blieben. Bestes Beispiel hierfür ist die Waisenhausstiftung der Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, die bis in die Gegenwart das Gedenken an ihre Stifterin hochhält. Gleiches gilt für die Einrichtung der Quedlinburger Stiftsbibliothek durch Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, die später mit der Bibliothek des fürstlichen Gymnasiums vereinigt und heute teilweise in der Historischen Bibliothek des Schlossmuseums sowie in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle zu finden ist.140 Die Äbtissin begründete ihr Handeln damit, dass Wir Unß von Anfang Unserer Regierung befließen, uff alle weise und wege bey der Posterität am Stiffte einen guten nah____________ 136 137 138

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140

Vgl. ebd., S. 201. KRAMER, Das Stift Essen, Münzen und Medaillen, S. 91. S. KETTNER, Kirchen= und Reformations=Historie, S. 288f., sowie Abbildungstafel mit Münzen (o.S.); s. auch bei ROHR, Geogrraphische und historische Merckwürdigkeiten, S. 739f.. Vgl. zu Stiftungen als Mitteln der Herrschaftsrepräsentation RÜTHER, Prestige und Herrschaft. Zu den Beständen in Halle vgl. FLIEGE (Bearb.), Die Handschriften der ehemaligen Stifts- und Gymnasialbibliothek Quedlinburg.

4.3. Repräsentieren

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men zumachen.141 In diesen Zusammenhang gehört ebenso die Begründung eines Stiftsordens durch Johanna Charlotte von Brandenburg für das Herforder Stift. Bei der Ordensinvestitur wurde jede Kanonissin zum Gehorsam gegenüber der Äbtissin und Stifterin verpflichtet.142 Dadurch war den vielfach abwesenden Stiftsdamen ihre Unterordnung unter die obrigkeitliche Stellung der Äbtissin jederzeit präsent. Der Herforder Stiftsorden avancierte in den kommenden Jahren zu einem repräsentativen Symbol für Äbtissin und Stift, der weder auf Gemälden noch Wappenbildern fehlen durfte.143 Die beiden Nachfolgerinnen an der Spitze des Stifts gaben dem Orden jeweils eine neue Gestalt und setzten ihn gezielt zu ihrer eigenen Selbstdarstellung ein: Während Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf das Andenken an die Ordensstifterin auslöschte und sich selbst auf der Rückseite verewigte, erinnerte Friderike Charlotte Leopoldine Luise erneut an die Stifterin, ihre Großmutter, ließ aber ebenfalls ihren Titel um den Rand des Medaillons herumführen. Die Möglichkeit zu solchen Stiftungen, die nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch eine gewisse Berechtigung zu solchen Handlungen und die Wahrnehmung der Zeitgenossen erforderte, spiegelte den herrschaftlichen Rang der Äbtissin wieder. Als Landesherrin oblag ihr die Sorge für das Gemeinwohl und das Ansehen des Stifts, der sie mit solchen Stiftungen nachkam. Vor allem Medien wie das Standesportrait, der Schloss- und Gartenbau oder Stiftungen waren dazu geeignet, dass die Äbtissinnen ihren Status und Rang als Landesherrin, Reichsfürstin und Äbtissin symbolisieren konnten. Denn auf diesen Feldern trat ihnen wenig Widerstand entgegen. Daher war die Herrschaft der Äbtissin nie vollkommener als in diesen Formen der Repräsentation. Vormoderne Herrschaft bedurfte repräsentativer Formen, um anerkannt zu werden. Sie stärkten den Legitimitätsglauben der Untertanen gegenüber der Obrigkeit. Bereits Norbert Elias hat in seinen Studien zur höfischen Gesellschaft erklärt: „An eine Macht, die zwar vorhanden ist, aber nicht sichtbar im Auftreten des Machthabers selbst in Erscheinung tritt, glaubt das Volk nicht. Es muß sehen, um zu glauben.“144 Gleichzeitig bilde____________ 141

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Konzeptschreiben der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an verschiedene Gelehrte, die sie um Bücherzuschriften bat (20. Juli 1686): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. XVI Nr. 4, fol. 328r-v. Vgl. Statuten des Herforder Stiftsordens (20. Aug. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1056. Die Statuten des Ordens, die fälschlicherweise an anderer Stelle für verschollen erklärt wurden, waren erst einen Monat nach dessen erstmaliger Vergabe schriftlich fixiert worden. Vgl. HEESE, Mit Schulterband und Schleife, S. 78. ELIAS, Die höfische Gesellschaft, S. 179.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

ten repräsentative Praktiken wie der feierliche Einzug oder die Huldigung das Kampffeld, auf dem die herrschaftliche Ordnung zwischen den verschiedenen Herrschaftsträgern ausgehandelt und im Vollzug für den Moment festgeschrieben wurde. Vormoderne Herrschaft realisierte sich demnach überhaupt erst in ihren vielfältigen Repräsentationen. Erst in der Repräsentation wurde die Äbtissin zur Fürstin und Landesherrin.

Abb. 1: Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, Äbtissin von Essen und Thorn, um 1770

Abb. 2: Johanna Charlotte von Brandenburg, Äbtissin von Herford, ca. 1728

Abb. 3: König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, 1713

Abb. 4: Maria Kunigunde von Sachsen, Äbtissin von Essen und Thorn, um 1776

Abb. 5: Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Kurfürst von Trier, um 1776

Abb. 6: Die ehemalige Abtei Herford mit Gartenplan, 1809/10

Abb. 7: Grundriss der Stadt Quedlinburg mit der Barockgartenanlage des Stiftes, 1782

4.4. Zwischenresümee: Herrschaft im Wandel

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4.4. Zwischenresümee: Herrschaft im Wandel 4.4. Zwischenresümee: Herrschaft im Wandel

Die Herrschaftsverhältnisse in allen drei Stiften waren geprägt durch das Nebeneinander verschiedener Herrschaftsträger auf engem Raum. Sie bildeten gemeinsam ein ‚Kräftefeld‘ unterschiedlicher lokaler Gewalten, die innerhalb dieses Feldes fortwährend um die nicht selten konkurrierenden und sich ausschließenden Herrschaftsrechte und -ansprüche rangen. Neben der Äbtissin erhoben zugleich die Mitglieder des Kapitels als Mitregent Partizipationsrechte an der Stiftsherrschaft, die Funktionseliten der Stadt behaupteten ihre seit dem Mittelalter erworbenen Selbstverwaltungsrechte und vor allem in den beiden evangelischen Stiften war es dem Schutzherrn gelungen, sich nach und nach umfangreiche Rechte und Einflussmöglichkeiten zu sichern. Sie alle konkurrierten mit der Äbtissin und schränkten ihr Handeln als politische Akteurin ein. Das Resultat waren fortwährende, mitunter gewaltsam betriebene Konflikte, in denen Herrschaftsrechte bestritten, angeeignet, zugeschrieben und umgedeutet wurden. Innerstiftische Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern der jeweiligen Kapitel finden sich gleichermaßen in allen drei Stiften. Sie behandelten im Kern immer das Verhältnis zwischen der Äbtissin als Obrigkeit und dem Kapitel als Mitregent sowie die gegenseitige standesgemäße Behandlung. Die konkreten Streitpunkte waren vielfältig und reichten vom verweigerten Bau eines neuen Dekanissenhauses über die eigenmächtige Ansetzung neuer Gebete und Prozessionen bis hin zur dauerhaften Verhinderung kapitularischer Zusammenkünfte als Foren der Herrschaftspartizipation. Sowohl Äbtissin als auch Kapitelmitglieder wandten sich in diesen Auseinandersetzungen wiederholt an die Reichsgerichte. Zugleich wurde vor Ort in Verhandlungen nach einem Kompromiss zwischen der Alleinherrschaft der Äbtissin und der Herrschaftsbeteiligung der Kapitel gesucht. Eine Strategie der Äbtissinnen bestand in der verwandtschaftlichen und klientären Durchdringung der Kapitel, um sich loyale Parteigänger zu sichern. Dauerhafte Lösungen wurden jedoch selten gefunden. Erst kurz vor Auflösung des Essener Stiftes handelten Vertreter der Äbtissin, der Kapitel und der Landstände gemeinsam eine landständische Verfassung aus, welche die Herrschaftsverhältnisse klären und befrieden sollte. Inwiefern es sich hierbei um einen erfolgreichen Versuch handelte, konnte sich in den wenigen Jahren bis zur Auflösung des Stifts kaum noch zeigen. Die an einigen Stellen aufscheinende Uneindeutigkeit der Formulierungen, beispielsweise wenn es um die genaue Abgrenzung zwischen der Rolle als Äbtissin und Fürstin oder um die althergebrachten Vorrechte des Gräflichen Kapitels im Gegensatz zu den anderen beiden Landständen ging, deuten an, dass hier ebenso wie in

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

verschiedenen anderen Verträgen zwischen den Äbtissinnen und Kapitelmitglieder aller drei Stifte auf der Grundlage von Mehrdeutigkeiten ein Kompromiss gefunden wurde, der keinesfalls von Bestand sein musste, sondern unter veränderten Umständen schnell an seine Grenzen stoßen konnte. Auch Auseinandersetzungen mit den (Funktions-)Eliten der umliegenden Stadt stellen in allen drei Stiften keine Seltenheit dar. Unterschiede fallen aber im Hinblick auf das jeweilige Verhältnis zwischen Stift und Stadt auf. In Herford bildeten Stift und Stadt keine Einheit mehr. Die Stadt gehörte seit Mitte des 17. Jahrhunderts als brandenburgisch-preußische Munizipalstadt zur Grafschaft Ravensberg, während das Stift als reichsunmittelbare Enklave inmitten von Stadt und Grafschaft lag. Die Herforder Äbtissin konnte keine obrigkeitlichen Rechte mehr über die Stadt geltend machen. Die Äbtissinnen von Quedlinburg und Essen beanspruchten hingegen das Stadtregiment über die umliegende Stadt. Im Gegensatz zur Quedlinburger Äbtissin, die Ende des 15. Jahrhunderts die Stadt mit Hilfe ihrer sächsischen Hausmacht unterworfen hatte, konnte die Essener Äbtissin die Autonomie von Bürgermeister und Rat der Stadt Essen nie umkehren, sondern stieß mit ihrem obrigkeitlichen Anspruch immer wieder auf städtischen Widerstand. In den vielfältigen Konflikten ging es häufig um die performative Besetzung des städtischen Raumes und die Abgrenzung spezifischer rechtlicher, ökonomischer und konfessioneller Räume, in denen entweder die Äbtissin oder die Stadtverantwortlichen die weltliche oder geistliche Obrigkeit beanspruchten und in den Raum einzuschreiben suchten. Sowohl Konflikte mit den Kapitelmitgliedern als auch mit den (Funktions-)Eliten der umliegenden Städte stellten ein großes Risiko dar, weil sie nicht nur nach innen zu einer Blockade der Stiftsadministration führen konnten, sondern Dritten ein Einfallstor eröffneten. Dies galt in erster Linie für den jeweiligen Schutzherrn der drei Stifte. Insbesondere die städtischen Eliten erwiesen sich wiederholt als Parteigänger des Schutzherrn. Nach der Unterwerfung integrierten sich die Herforder Eliten zusehends in die Grafschaft Ravensberg und übernahmen brandenburgisch-preußische Ämter. Als Amtsträger verhalfen sie den Herrschaftsansprüchen des brandenburgisch-preußischen Kurfürst-Königs in der Stadt und bald auch im Stift zur Durchsetzung. In Quedlinburg traten die städtischen Funktionseliten schon kurze Zeit nach deren Unterwerfung in ein Dienstverhältnis zum damals kursächsischen Schutzherrn, indem sie als Pächter der Vogtei die Verwaltung der damit verbundenen Güter und Einkünfte und die niedere Gerichtsbarkeit als Vertreter des Schutzherrn wahrnahmen. Durch die Gleichzeitigkeit des Dienstverhältnisses zum Schutzherrn sowie dem Unter-

4.4. Zwischenresümee: Herrschaft im Wandel

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tanenverhältnis zur Äbtissin gerieten die Stadtverantwortlichen in einen Gegensatz zwischen ihren beiden Obrigkeiten. Sie begegneten diesem Umstand in der Regel damit, sich auf die Seite des mächtigeren Schutzherrn zu schlagen. Am losesten gestaltete sich noch das Verhältnis zwischen der Essener Stadtelite und dem ebenfalls brandenburgisch-preußischen Schutzherrn, dem diese jedoch durch ihr wiederholtes Hilfegesuch die Möglichkeit gab, sich in die Streitigkeiten zwischen Stift und Stadt einzumischen und den alleinigen Anspruch auf Streitschlichtung und Ruhestiftung zu etablieren. Durch dieses Verhalten der jeweiligen städtischen Eliten erhöhten sie zusätzlich den Druck auf die Äbtissinnen, dem diese vor allem durch ihren jeweiligen Schutzherrn ausgesetzt waren. Im Zuge der zunehmenden territorialen Konkurrenz erwuchs den Äbtissinnen aller drei Stifte ihr größter Gegner in ihrem jeweiligen Schutzherrn. Zwar ging auch von anderen territorialen Nachbarn, die in den Stiften über einzelne Herrschaftsrechte verfügten, wie die geistliche Gerichtsbarkeit des Kurfürsten von Köln im niederadeligen Stift Rellinghausen auf dem Gebiet des Essener Stiftes oder die Bestallungsrechte und die landesherrlichen Ansprüche der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg im vom Stift Quedlinburg abhängigen Kloster Michaelstein, eine gewisse Gefahr aus, der jeweilige Schutzherr konnte jedoch häufig qua Amtsstellung mehr Rechte im Stift beanspruchen und auf dieser Basis seinen Einfluss vergrößern. An diesem Punkt lässt sich jedoch ein kategorialer Unterschied zwischen dem katholischen Stift Essen und den beiden evangelischen Stiften in Herford und Quedlinburg festmachen. Die Präsenz verschiedener geistlicher und weltlicher Territorialherrn im lokalen Umfeld des Stiftes Essen, die allesamt über einzelne Herrschaftsrechte im Stift verfügten oder ein gewisses Interesse an der Wahrung des Stiftes hatten, führte dazu, dass der jeweilige Schutzherr hier keine dominante Stellung ausbauen konnte, obwohl die Schutzherrschaft seit Ende des 15. Jahrhundert nicht mehr wechselte, sondern allenfalls per Erbfall des Herzogtums Kleve an den Kurfürst-König von Brandenburg-Preußen gelangte. Dennoch kam es auch im Stift Essen im 17./18. Jahrhundert wiederholt zu mitunter militärischen Eingriffen des brandenburgisch-preußischen Kurfürst-Königs in die Belange des Stifts auf der Grundlage seines Schutzauftrages. In den beiden evangelischen Stiften konnte der jeweilige Schutzherr hingegen im Verlauf der Frühen Neuzeit seine Stellung zunehmend ausbauen. Bereits bei Abschluss des Schutzvertrages zwischen der Herforder Äbtissin Anna von Limburg und dem Herzog Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg als Graf von Ravensberg sicherte sich dieser alle landesherrliche Obrigkeit über die Stadt Herford, auf deren Grundlage sein späterer Nachfolger Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg die Stadt unterwarf und in seinen Territorialkomplex eingliederte.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Darüber hinaus führten die mehrdeutigen Formu-lierungen im Hinblick auf die obrigkeitlichen Rechte der Äbtissin zu einer Schwächung ihrer Position als reichsunmittelbare Obrigkeit und Reichsstand. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde diese Stellung durch den kurbrandenburgischen Schutzherrn und seine Vertreter immer weiter untergraben, bis dieser um 1700 schließlich nicht nur die Schutz-, sondern auch die Landesherrschaft im Stift beanspruchte und sich damit verbundene Kompetenzen wie die Besteuerung der Untertanen, das militärische Besatzungsrecht und die Jurisdiktion über die Geistlichkeit zum Teil gewalttätig aneignete. Auch im Stift Quedlinburg baute zunächst der Kurfürst von Sachsen seine Stellung als Schutzherr mit dem Ziel der Etablierung einer gemeinsamen Landesherrschaft von Äbtissin und Schutzherr kontinuierlich aus. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Bezeichnung des Schutzherrn als Landesherrn, die Huldigungsleistung der Untertanen gegenüber dem Schutzherrn und die Abbildung der Kurschwerter auf den Quedlinburger Grenzsteinen. Nach dem Verkauf der Schutzherrschaft vom Kurfürsten von Sachsen an den Kurfürsten von Brandenburg 1698 nahm die Übermächtigung der Äbtissin und des Stiftes noch zu. Der Kurfürst-König und dessen Vertreter übernahmen wesentliche Kompetenzen der Landesherrschaft: Besteuerung, geistliche und weltliche Jurisdiktion, mili-tärisches Besatzungsrecht und Stadtregiment. Darüber hinaus verhinderten sie 14 Jahre lang die Wiederbesetzung des Äbtissinnenamtes. Die mindermächtigen Äbtissinnen der Stifte Herford, Quedlinburg und Essen hatten dem mächtigen Schutzherrn, der wiederholt mit militärischer Gewalt in die Stifte eingriff und sich weitere Vorrechte aneignete, wenig entgegenzusetzen. Sie waren gezwungen, auf Formen verbalen und nonverbalen Protestes zurückzugreifen, wie sie auch in Auseinandersetzungen zwischen Unter-tanen und ihren Obrigkeiten üblich waren, und Schutz in ihrem verwandtschaftlichen und ständischen Umfeld zu suchen. Die Herrschaftskonflikte zwischen den Äbtissinnen und ihrem jeweiligen Schutzherrn beschäftigten so die verschiedenen Reichsinstitutionen und waren der Gegenstand zahlreicher Verhandlungen. Deren Resultat waren jedoch keine dauerhaften Konfliktlösungen, sondern vielmehr Modalitäten, um die Konflikte dauerhaft in der Schwebe zu halten. Das Ringen um die Stiftsherrschaft zwischen Äbtissin, Kapitel, Stadtverantwortlichen und Schutzherr hing maßgeblich mit einem Wandel des Herrschaftsverständnisses und der Herrschaftspraxis seit Ende des 16. Jahrhunderts zusammen und schrieb diesen Wandel zugleich fort. Im Zuge einer zunehmenden Verrechtlichung wurde zum einen die Bearbeitung von Herrschaftskonflikten in Verhandlungen und Gerichtsverfahren favorisiert, während die via facti kriminalisiert wurde. Dies erforderte Praktiken der Abgrenzung, Verschriftlichung und Vereinheitlichung von Rechten, die fortan als

4.4. Zwischenresümee: Herrschaft im Wandel

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zwingende Argumentationsgrundlage zur Behauptung von Herrschaftsansprüchen herangezogen werden mussten. Zugleich zeigen die Beispiele aus den drei Stiften jedoch auch die Grenzen der rechtlichen Konfliktführung durch die herrschende Rechtsvielfalt, den Mangel eines übergeordneten Exekutivorgans und die Abhängigkeit der Justiz von Politik, Konfession und personellen Bindungen. Zum anderen trat neben die mittelalterliche Landesherrschaft, die durch das strukturelle Nebeneinander verschiedener Herrschaftsträger in Gestalt von Äbtissin, Kapitel, Stadtmagistrat und Schutzherr geprägt war, das neue Konzept einer allein auf den Landesherrn ausgerichteten Landeshoheit. Die Parallelisierung zweier Herrschaftsformen, die beide Geltung beanspruchen konnten, sich aber gegenseitig ausschlossen, musste zwangläufig zu Spannungen und Widersprüchen führen. Hinzu kam, dass weder in der Theorie noch in der Praxis letztgültig geklärt war, was die Landeshoheit beinhaltete und welche Kriterien konstitutiv für ihre Behauptung waren.1 Vielmehr waren die anhaltenden Konflikte zwischen den unterschiedlichen Herrschaftsträgern Ausdruck der Kämpfe sowohl um die Vorherrschaft im Stift als auch auf dem politischen Feld. Erst in solchen Konflikten kristallisierten sich Gesetzgebung, Justiz, Besteuerung, Kirchenregiment und militärisches Besatzungsrecht als Kompetenzen des Landesherrn heraus. Zugleich konnten aber auch die traditionellen Kategorien Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft, die auf personellen Bindungen, der Partizipation an den Reichsinstitutionen und dem Vollzug legitimitätsstiftender Rituale beruhten, weiterhin Geltung beanspruchen. Ein solches Herrschaftsgefüge, wie es sich im Umfeld der Reichsstifte darstellte, begrenzte die Handlungsspielräume der Äbtissinnen als politische Akteure. Ebenso eröffnete es ihnen aber auch Möglichkeiten, weil sie einen festen Platz innerhalb dieses Gefüges einnahmen und nicht ohne weiteres verdrängt werden konnten. In den beiden evangelischen Stiften führte dies dazu, dass der Schutzherr faktisch wesentliche landeshoheitliche Kompetenzen ausübte, während der Anspruch der Äbtissinnen auf Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft aber nominell gewahrt blieb. Die konfliktreichen Herrschaftsverhältnisse in den drei Stiften wirkten sich zwangsläufig auf die Ebene des Regierungshandelns aus. Denn auch hier wurde das Handeln der Äbtissinnen durch die Konkurrenz mit anderen Herrschaftsträgern oder die Einflussnahme Dritter bedingt. An Prozessen der Normgebung oder der obrigkeitlichen Entscheidungen waren dem entsprechend verschiedene Akteure beteiligt, die eigene Interessen vertraten ____________ 1

Vgl. BAHLCKE, Landesherrschaft, Territorien und Staat, S. 20-22; REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt, S. 56f.

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

und das Regierungshandeln der Äbtissin torpedierten. Das ‚Mit- und Gegeneinander‘ der verschiedenen Akteure führte dazu, dass die Äbtissinnen nicht selten gezwungen waren, Überzeugungsarbeit bei den Mitgliedern des Kapitels, den Funktionseliten der umliegenden Stadt oder ihren territorialen Nachbarn zu leisten, um einen Konsens für ihre obrigkeitlichen Entscheidungen zu finden, oder einen Kompromiss zu suchen. Andernfalls scheiterten obrigkeitliche Maßnahmen wie die Aufnahme Labadies in Herford oder die Auflösung des Essener Beginenkonventes auf dem Neuen Hagen. Sowohl die verschiedenen Tätigkeitsfelder des Regierens als auch die zahlreichen Konflikte sorgten dafür, dass die Äbtissinnen auf Regierungsund Verhandlungsexperten angewiesen waren, die über bestimmtes Sonderwissen und spezifische Werkzeuge verfügten. Damit unterschieden sich die Äbtissinnen nicht von anderen Territorialherrn, die bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts ihre Regierungsbehörden ausbauten. Vielmehr setzte diese Entwicklung in den Stiften etwas zeitversetzt und vielfach auch nicht im gleichen Umfang ein. Am ehesten entwickelten sich noch im Stift Essen differenzierte Verwaltungsstrukturen, die sich in verschiedenen bei- bzw. nachgeordneten Behörden (Stiftsregierung, Offizialat, verschiedene Ämter), einem geordneten Geschäftsgang und einer Registratur niederschlug. Zumindest eine ähnliche Behördenstruktur fand sich mit Regierung, Kammer, Konsistorium und nachgeordneten Ämtern auch im Stift Quedlinburg. Als am wenigsten entwickelt hat sich die Herforder Stiftsregierung erwiesen, wo sich weder eine geistliche Behörde noch eine Registratur herausgebildet hat. Diese unterschiedlichen Entwicklungsgrade der jeweiligen bürokratischen Strukturen hingen sicher nicht zuletzt mit der Größe des jeweiligen Stiftsterritoriums und der anfallenden Verwaltungsarbeit zusammen. Das Stift Herford verfügte mit Abstand über den kleinsten territorialen Komplex, der nicht mehr als einen Stadtbezirk sowie einige exemte Höfe und geistliche Korporationen umfasste. Dem entsprach die geringe Untertanenschaft der Äbtissin. Demgegenüber hatten die Stifte Quedlinburg und Essen kleine Stiftsterritorien mit verschiedenen Ortschaften und einer Gesamtfläche von ein bis zwei Quadratmeilen ausgebildet. Vormoderner ‚Politikberatung‘ wohnte eine spezifische Dynamik inne. Sie beförderte zum einen durch die Bereitstellung von Verhaltensstrategien, Argumenten und Beweisen eine schnelle Entscheidung des Beratenen. In einigen Fällen zahlte sich aber auch die Verzögerung einer Entscheidung aus, indem man die notwendige Beratung vorschob, um auf diese Weise Zeit zur Meinungsbildung und für Nachforschungen zu gewinnen. Zudem bestand so die Hoffnung, dass sich in der Zwischenzeit die Umstände zu Gunsten der eigenen Partei verbesserten. Zum anderen konnte die Beratung sowohl einen konfliktsteigernden als auch minimierenden Effekt haben.

4.4. Zwischenresümee: Herrschaft im Wandel

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Während das eigenmächtige Handeln von Ratgebern zur Eskalation eines Konfliktes führen konnte, wirkte die Funktion von Beamten als Projektionsfläche für die Vorwürfe der Gegenseite deeskalierend und trug zur Kanalisation von Konflikten bei. Schließlich bestand durch die Einschaltung verschiedener, externer wie interner Ratgeber immer die Gefahr von Interessengegensätzen und die Beförderung von Eigeninteressen. Der Einfluss des gelehrten Personals auf die Entscheidungen der Äbtissin darf nicht unterschätzt werden. Nichtsdestoweniger bestimmte der Anspruch auf die Stiftsherrschaft und die damit verbundene endgültige Entscheidungshoheit das Selbstverständnis von Äbtissin und auch Kapitel als Mitregent. Die strukturelle Asymmetrie zwischen Ratgeber und Ratnehmer blieb verbal immer gewahrt, indem alle Entscheidungen im Namen der Äbtissin oder im Namen von Äbtissin und Kapitel gefällt wurden. In der Praxis lässt sich hingegen ein breites Spektrum an Formen der Entscheidungsbeteiligung der verschiedenen Äbtissinnen finden: das persönliche Regiment der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland, die behauptete, alle Entscheidung selbst zu fällen; die Einbindung der häufig abwesenden Essener Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen durch die Zusendung von Kanzleiprotokollen und ihre retournierten Anmerkungen; der Rückzug der Essener Äbtissin Bernhardine Sophia von allen Regierungsgeschäften in ihren letzten Lebensjahren. Die Herstellung und Stabilisation der politisch-sozialen Ordnung beruhte nicht allein auf der diskursiven Behauptung von Rechten und Ansprüchen durch die verschiedenen Herrschaftsträger, sondern musste sich ebenso in ihrem repräsentativen Handeln manifestieren. Die Äbtissinnen waren gezwungen, ihre bestrittenen Herrschafts- und Rangansprüche kontinuierlich in symbolischen Handlungen zu repräsentieren und auf diese Weise immer wieder zu aktualisieren. In diesen Kontext gehörte zunächst der Regierungsantritt einer neuen Äbtissin, bei dem sich in einer Kette ritueller Handlungen wie Adventus, Inthronisation und Huldigung der Statuswechsel der Äbtissin vollzog und ihre obrigkeitliche Stellung legitimierte. Neben solchen Herrschaftsritualen par excellance traten weitere solenne Akte im Verlauf ihrer Regierung wie Prozessionen oder Amtseinsetzungen, in denen die Äbtissin aus ihrem Umfeld herausgehoben wurde und damit ihre obrigkeitliche Stellung nicht nur zum Ausdruck gebracht, sondern für alle sichtbar durch die Praktik des ‚Sitzen in majestate‘ immer wieder hervorgebracht wurde. Die große Bedeutung, die performativen Akten der Herrschaftsrepräsentation zukam, spiegelt sich in den Konflikten um die Ausgestaltung von Herrschaftsritualen wie dem Adevntus oder der Huldigung wieder. Die verschiedenen Herrschaftsträger versuchten, ihre jeweiligen Rechtsansprüche in den Ablauf dieser Rituale einzuschreiben und die Ansprüche ihrer

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4. Lokalgewalten – Verhandeln, Regieren, Repräsentieren

Gegner zu verneinen. Zwar weisen rituelle Handlungen wie Adventus oder Huldigung Standardisierungen im Ablauf auf. Zugleich zeugen aber Varianten und Abweichungen von veränderten Kräfteverhältnissen. Die Gestaltung ritueller Akte geriet somit zum Gegenstand regelrechter Deutungskämpfe. Deren Ort waren die häufig konfliktreichen Vorverhandlungen. Die eigentlichen rituellen Handlungen strahlten hingegen dann in der Regel Einigkeit aus, da sie nur so ihre legitimierende Wirkung auf die jeweiligen Rechtsansprüche der beteiligten Akteure entfalten konnten. Durch die Ambiguität der Rituale gelang es den Akteuren, die divergierenden Rechtsansprüche für den Moment hinter einer ‚Konsensfassade‘ zu verschleiern und somit die Herrschaftsverhältnisse und damit verbundenen Konflikte in der Schwebe zu halten. Während die Herrschaft der Äbtissin in vielfacher Hinsicht begrenzt war und bestritten wurde, spiegeln nicht zuletzt die verschiedenen Herrschaftsportraits der Äbtissinnen aller drei Stifte ihren uneingeschränkten obrigkeitlichen Anspruch wieder. Die jeweilige Äbtissin führte ihren Untertanen und Standesgenossen in solchen Portraits, Wappen, Medaillen, Titulaturen, Bauten und Stiftungen ihre Rang- und Herrschaftsansprüche vor Augen. In der vormodernen Anwesenheitsgesellschaft dienten diese Formen der herrschaftlichen Repräsentation zugleich der Vergegenwärtigung der abwesenden Äbtissin und der Stärkung des Legitimitätsglaubens ihrer Untertanen. In diesen Medien der Herrschaftsrepräsentation brachte sie ihr Selbstverständnis als (gleichrangige) Reichsfürstin in Konkurrenz zu anderen Herrschaftsträgern zum Ausdruck. Nie war daher die Herrschaft der Äbtissin vollkommener als in dem auf dieser Grundlage entworfenen Bild, wo sie die unbestrittene Reichsfürstin und Landesherrin war.

5.

Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Bereits die zeitgenössischen Bezeichnungen kayserlich frei weltliches Stifft Herford, kayserlich freye[s] Reichsstift Quedlinburg oder kaiserlich [frey] weltliches Stifft Essen suggerieren ein besonderes Verhältnis zwischen den drei hier behandelten Damenstiften und dem Kaiser. Zwar waren Herford und Essen keine kaiserlichen Stiftungen wie Quedlinburg, aber auch sie waren im Hochmittelalter von den Herrschern mit verschiedenen Privilegien und Gütern ausgestattet worden, die im Spätmittelalter schließlich ihre Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft begründeten.1 Die Selbst- und Fremdbezeichnung als kaiserlich frei-weltliches Stift reichte nicht bis zur Gründung der Stifte zurück, sondern etablierte sich erst im Verlauf der Frühen Neuzeit. Sie war das Resultat von Krisenzeiten wie der Reformation, dem Dreißigjährigen Krieg oder der zunehmenden territorialen Konkurrenz am Ende des 17. Jahrhunderts, in denen entweder die Verantwortlichen des Stifts ihren reichsunmittelbaren Status oder das Reichsoberhaupt seine Stellung als oberster Lehnsherr gefährdet sahen und auf diese Weise diskursiv zu bestätigen suchten.2 Älter sind hingegen die Bezeichnung Fürstin des Reiches oder princeps sacri Imperii Romani, die den Äbtissinnen seit dem 13. Jahrhundert von Seiten des Kaisers in Belehnungsurkunden und Privilegienbestätigungen zugebilligt wurden.3 Sowohl die neueren als auch älteren ____________ 1 2

3

Vgl. EHLERS, Der Helfender Herrscher, S. 45-58. In Quedlinburg lässt sich die Eigenbezeichnung bis ca. ins Jahr 1540 zurückverfolgen, als man kursächsischen Mediatisierungsversuchen im Zuge der Reformation begegnen musste. Vgl. BLEY, Einführung, S. 7. In Essen taucht die Formulierung Aebtissin des kaiserl freyen weltliches Stiffts Essen erstmals in den kaiserlichen Belehnungsurkunden seit 1588 auf, als gegenreformatorische Kräfte das Stift stärker in die kirchliche Hierarchie einbinden wollten. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 117. In Herford führte die zunehmende Konkurrenz mit dem brandenburgischen Kurfürsten nach der Unterwerfung der Stadt Herford 1647 dazu, dass man auf Seiten des Stifts mit dieser Umschreibung seinen reichsunmittelbaren Status betonen wollte. Vgl. die Erklärungen der brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und Friedrich I./III., die auch Eingang in die reichsrechtlichen Schriften Johann Jacob Mosers gefunden haben. MOSER, Von denen Teutschen Reichs=Ständen, der Reichs=Ritterschaft, auch denen übrigen unmittelbaren Reichs=Gliedern, S. 745. Für Quedlinburg erstmals belegt im Lehnsbrief Kaiser Karls IV. (1377), abgedruckt in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 24f. Die Essener Äbtissin wird erstmals 1230 von König Heinrich (VII.) mit dem Titel dilecta princeps nostra angeredet. Vgl. GERCHOW, Äbtissinnen

388

5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Bezeichnungen unterstrichen das mittelalterliche Lehnsverhältnis zwischen dem Kaiser und den Reichsäbtissinnen, die ihre weltlichen Herrschaftsrechte, Privilegien und Güter nach der Wahl durch die Kapitelmitglieder wie die anderen geistlichen und weltlichen Reichsstände aus der Hand des Kaisers erhielten.4 Die Reichsäbtissinnen gehörten zu den mindermächtigen Reichsständen, die zwar reichsunmittelbar waren und über Sitz und Stimme auf dem Reichstag verfügten, aber wiederholt durch Mediatisierungstendenzen bedroht wurden. In diesem Zusammenhang gewann ihre Präsenz im Reich durch Partizipation an den Reichsinstitutionen an Bedeutung. In den nachfolgenden Überlegungen geht es daher erstens um die praktische Teilhabe der Äbtissinnen am Reich und seinen Institutionen sowie den Nutzen, den sie daraus zur Verteidigung ihres Anspruchs auf reichsunmittelbare Herrschaft ziehen konnten. Eine besondere Form dieser Partizipation stellte zweitens das Prozessieren vor den Reichsgerichten, also die Inanspruchnahme des Reiches als Rechtsverband dar. Vor dem Hintergrund herrschaftlicher Konflikte sowohl zwischen zwei Reichsständen als auch zwischen einem Reichsstand und seinen Untertanen bildeten die beiden Reichsgerichte die zuständigen Gerichtsinstanzen. In diesem Zusammenhang rückt die Effektivität des Reiches als Rechts- und Friedensverband zur Wahrung der von außen und innen bedrängten Reichsstifte in den Fokus des Untersuchungsinteresses. Neben dem Agieren der Äbtissinnen auf der Reichsebene ist drittens auch die Rolle des Kaisers in den Blick zu nehmen und nach den Möglichkeiten und Grenzen kaiserlicher Politik innerhalb der Stifte zu fragen. ____________

4

auf dem Weg zur Landesherrschaft, S. 76. Eine Ausnahme bildeten die Herforder Äbtissinnen, die nicht als principes bezeichnet wurden, weil sie nicht vom Kaiser belehnt, sondern in späterer Zeit lediglich konfirmiert wurden. Bis ins 13. Jahrhundert galt die Regalienvergabe durch den König bzw. Kaiser aber als notwendige Voraussetzung für die Reichsfürstenwürde. Dennoch bestimmte die Stellung als Reichsfürstin das Selbstverständnis der Herforder Äbtissinnen in der Frühen Neuzeit und wurden sie im 17. und 18. Jahrhundert in den kaiserlichen Konfirmationen auch als solche bezeichnet. Zum Lehnssystem und kaiserlichen Belehnungen in der Frühen Neuzeit vgl. STOLLBERGRILINGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 64-71, 210-217, 287-297; DIES., Das Reich als Lehnssystem; DIES., Le rituel de l`investiture; SCHNETTGER (Hg.), Kaiserliches und päpstliches Lehnswesen; DERS., Rang, Zeremoniell, Lehnssysteme. Zum mittelalterlichen Lehnswesen vgl. PATZOLD, Das Lehnswesen; SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland. Zur Lehnspraxis der mindermächtigen Reichsfürsten vgl. BRAUN, Die geistlichen Staaten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 28f.; BOERGER, Die Belehnungen der deutschen geistlichen Fürsten.

5.1. Partizipieren

389

5.1. Partizipieren 5.1. Partizipieren

Im Sommer 1698 wandte sich der Reichstagsgesandte des Stifts Quedlinburg Reinhard Scheffer mit einer Eingabe an das Mainzer Reichstagsdirektorium. Darin stellte er die Umstände des Schutzherrnwechsels sowie die bereits verübten Eingriffe der brandenburgischen Regierungsvertreter in die jura territorialia et episcopalia der amtierenden Äbtissin seit Beginn des Jahres vor. Zuvor hatten sich Äbtissin und Kapitel bereits wiederholt klagend an das Reichsoberhaupt gewandt, bisher aber aus Wien keine Nachricht erhalten. Daher schloss der Gesandte seinem Bericht die Bitte an, die am Reichstag versammelten Reichsstände möchten den Kaiser auffordern, der Äbtissin nicht nur den erbetenen Verhaltungsbefehl zu erteilen, sondern auch eine kaiserliche Kommission zu erlassen, damit das stift in seiner Immedietät, Reichs Standschafft und zustehenden hohen Landesfürstl geist- und weltlichen Rechten, dem Römischen Reich beibehalten, und dermahleins in ruhe gesezet werden möge.1 Diese Bitte des Reichstagsgesandten zeugt davon, wie eng die Konzepte der Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft sowie die jüngere staatsrechtliche Vorstellung der Landeshoheit miteinander verbunden waren. Dies galt ebenso für die Behauptung der Landeshoheit.2 In der Konkurrenz um die Landeshoheit oder superiorität wurde daher auch immer wieder der reichunmittelbare und reichsständische Status der Stifte infrage gestellt und musste verteidigt werden. Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft waren ebenso wenig wie die Landeshoheit feststehende Entitäten. Vielmehr bedurften sie der stetigen ____________ 1

2

Vgl. Abschrift dieses Memorials (6./16. Aug. 1698), in Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 52r-54r; abgedruckt in DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, S. 3-5. Die Verbindung von Reichsunmittelbarkeit, Reichsstandschaft und Landeshoheit lässt sich daran sehen, dass nicht nur im Umfeld der Stifte im Streit um die superiorität mit der Reichsstandschaft argumentiert wurde, sondern auch ex negativo Neu-Fürsten ohne landesherrliche Rechte auf dem Reichstag nicht zugelassen wurden. Johann Jacob Moser stellte im 18. Jahrhundert fest, dass dem Statui Reipublicae Germanicae gäntzlich zuwider sey, daß einiger Fürst im Fürsten=Rath votiren sollte, welcher doch keine immediat-Lande und Leute zu regiren habe. Vgl. die Quedlinburger Druckschrift RECHTLICHE DEDUCTION; die im Zusammenhang der Herforder Auseinandersetzung zwischen Äbtissin und Schutzherrn angefertigte Behandlung der Stiftsgravamina durch die kurbrandenburgischen Räte Ilgen und Huss (10. Juni 1704) sowie die darauf erwidernden Notata ihrer Hochfürstl. durchl. […] [1704]: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119; MOSER, Teutsches Staatsrecht. Neunter Theil, 3. Buch, Kap. 4, S. 25. Vgl. hierzu KLEIN, Die Erhebungen in den weltlichen Reichsfürstenstand; SCHLIP, Die neuen Fürsten.

390

5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Vergegenwärtigung, Aktualisierung und Anerkennung durch die Standesgenossen und Untertanen. Jedem Merkmal reichsunmittelbaren sowie reichsständischen Charakters – angefangen bei dem Anspruch auf die jura territorialia et episcopalia über das unmittelbare Verhältnis zum Kaiser sowie Sitz und Stimme auf dem Reichs- und Kreistag bis hin zur Beitragsleistung zu den Reichslasten sowie der Verantwortung vor den Reichsgerichten – kam daher konstituierende Bedeutung zu. Insbesondere in der prekären Situation mindermächtiger Reichsstände konnte die Infragestellung eines dieser Merkmale ausschlaggebend für den Statusverlust von Äbtissin und Stift sein. In der Partizipation am Reich und seinen Institutionen brachten die Äbtissinnen nicht nur ihren Anspruch auf reichsunmittelbare Herrschaft und Reichsstandschaft zum Ausdruck, sondern stellten diesen in ihrem Handeln immer wieder aufs Neue her.3

Knien vor dem Kaiser Konstitutiv für die Begründung der Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft aller Reichsstände war die Belehnung durch den Kaiser mit Rechten, Titeln und Gütern. Obwohl die weltlichen Lehen noch im Mittelalter erblich geworden waren und auch das Belehnungsritual im Laufe der Jahrhunderte Änderungen unterworfen war, galt das kaiserliche Recht auf Belehnung – neben dem der Standeserhöhung – als wichtigstes Reservatrecht des Reichsoberhauptes, von dem nicht nur die Legitimität seines Amtes, sondern des gesamten Reichs sowie dessen Zusammenhalt abhing. Je mehr einzelne mächtige Reichstände wie Brandenburg-Preußen, Kursachsen oder Kurhannover aus dem Reichsverband herauswuchsen, umso stärker höhlten sie das Belehnungszeremoniell als Bindeglied zwischen sich sowie Kaiser und Reich aus, bis sie sich schließlich im 18. Jahrhundert gar nicht mehr dazu bereitfanden, die kaiserliche Belehnung einzuholen. Dem gegenüber standen die geistlichen und mindermächtigen Reichsstände wie die Äbtissinnen der Reichsstifte, die zwar auch nicht mehr in persona vor dem Kaiser erschienen, um den Treueeid zu schwören, sondern sich dabei durch Gesandte vertreten ließen, jedoch bis zur Auflösung des Alten Reiches an der kaiserlichen Belehnung festhielten.4 Die Quedlinburger Äbtissinnen griffen im 17. und 18. Jahrhundert wiederholt auf die Wiener Gesandten ihres territorialen Umfeldes zurück, weil sie keinen eigenen Gesandten am Kaiserhof unterhielten. Anna Sophie von ____________ 3 4

Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Die zeremonielle Inszenierung des Reiches, S. 237f. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 293-295.

5.1. Partizipieren

391

Pfalz-Birkenfeld engagierte 1659 den Gesandten des sächsischen Kurfürsten, da der schlechte Zustand des Stifts die Unterhaltung eines eigenen Gesandten unmöglich mache,5 während Anna Amalie von Preußen 1756 und 1766/67 auf die Dienste des preußischen Gesandten zurückgriff.6 Das Stift Essen unterhielt spätestens unter der letzten Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen einen eigenen Gesandten am Wiener Hof, der 1777 und 1793 die Lehns Renovatio des Hochstiffts Essen in Vertretung der Äbtissin besorgte.7 Die Norm der persönlichen Lehnsmutung der Reichsstände wurde dabei, obwohl sie längst unüblich geworden war, rituell fortgeschrieben, indem die Entschuldigung des Gesandten für das Fehlen seines Prinzipalen bzw. seiner Prinzipalin in den solennen Ablauf des Verfahrens fest eingeschrieben wurde. Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld entschuldigte ihre Abwesenheit in dem Schreiben an den Kaiser, welches ihr Vertreter während des Aktes verlas, wegen ferner des weges und andere ehrhafften verhinderungen.8 Auf diese Weise wurde die „strukturelle Asymmetrie“, die sich aus der steten Anwesenheit des Kaisers bei dem Belehnungsritual und der fortwährenden Abwesenheit der Reichsstände ergab, verschleiert, weil diese dem Sinn des Rituals zuwider gelaufen wäre.9 Für die geistlichen Reichsstände, die nicht durch Erbgang, sondern durch Wahl in ihr Amt gelangten, hatte die kaiserliche Belehnung eine starke legitimitätsstiftende Bedeutung, indem sie die Übertragung der Herrschaftsrechte vollzog. Dahinter verbarg sich die in den Stiften noch immer präsente und strategisch eingesetzte Vorstellung, dass alle weltlichen Güter und Rechte des Stifts zum Reichsgut und damit in den Besitz von Kaiser und Reich gehörten.10 Im Akt der Belehnung übertrug der Kaiser diese Güter ____________ 5

6 7

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9 10

Bitte Anna Sophias von Pfalz-Birkenfeld an den sächsischen Kurfürsten, dessen Agenten als Vertreter im Investiturakt einsetzen zu dürfen (21. April 1659): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. I Nr. 130, fol. 266r-v. Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. I Nr. 132. Vgl. Berichte des Essener Agenten C. G. Dammers über die jeweiligen Belehnungen (9. Aug. 1777 u. 14. Juni 1793): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 46 und Nr. 698, fol. 267v-268r. Öffentliches Schreiben der Äbtissin Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld an Kaiser Leopold I. (30. Mai 1659): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. I Nr. 130, fol. 267r-268r. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 213f. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar begründete ihren Widerstand gegen die 1698 eigenmächtig eingeführte Akzise gegenüber dem Kaiser damit, dass sie andernfalls contra juramentum praestitutum, das mir so theuer anbefohle Stifft um das jus Collectandi brächte. Zugleich appellierte sie an den Kaiser, diesem höchst bedrängten Stiffte mit Nachdruck bey[zu]stehen/ und Dero eigene und Heil. Röm. Reichs Jura kräfftig [zu] schützen. Anna Dorothea von SachsenWeimar an Kaiser Leopold I. (31. Juli 1699), in AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

und Rechte auf die Äbtissin.11 Üblicherweise erfolgte daher nach der freien Wahl durch das Kapitel zunächst die schriftliche Konfirmation durch den Kaiser sowie dann die kaiserliche Belehnung in Wien. Erst nach Konfirmation und Belehnung konnte die erwählte Kandidatin reichsrechtlich als Fürstin und Äbtissin gelten und die Amtsführung mit dem feierlichen Akt der Introduktion übernehmen. In der Zwischenzeit übte das Kapitel die Vakanz-Regierung aus. In der Praxis gab es jedoch immer wieder Abweichungen von diesem normativen Ablauf. Zwar erhielten die Äbtissinnen des Stifts Essen ebenso wie die Quedlinburger Äbtissinnen seit dem 13. Jahrhundert ihr Reichslehen allein aus der Hand des Kaisers,12 im 17. Jahrhundert traten hier jedoch vielmals mehrjährige zeitliche Abstände zwischen die Wahl und die kaiserlichen Belehnung.13 Grund hierfür war, zum einen der Dreißigjährige Krieg und seine Nachwehen, zum anderen die mitunter kurzen Amtszeiten einiger Äbtissinnen.14 Dennoch übernahmen die Äbtissinnen nach ihrer Wahl die Herrschaft im Stift. Eine Ausnahme bildete das Stift Herford, dessen Äbtissinnen nach ihrer Bestellung lediglich vom Kaiser konfirmiert wurden. Dieser Akt hatte weniger expressiven Charakter als die ____________ FRAU ABBATIßIN

ZU

QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL.

ABGELASSENES

ALLER-

UNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN. 11

12

13 14

Die Vorstellung geht auf das Wormser Konkordat von 1122 zurück, in dem festgelegt wurde, dass die geistlichen Amtsträger alle weltlichen Güter (temporalia) aus der Hand des Kaisers, alle geistlichen Rechte (spiritualia) vom Papst erhielten. Im katholischen Stift Essen musste eine neue Äbtissin daher nach ihrer Wahl zusätzlich auch vom Papst bestätigt werden. Die päpstliche Bestätigung wurde im 17. und 18. Jahrhundert häufig durch ein sogenanntes Wählbarkeits-Breve vorweggenommen, das die Kandidatin bereits vor der Wahl ersuchte. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 112-114. Zu den mittelalterlichen Belehnungen im Stift Essen vgl. HÖRGER, Die reichsrechtliche Stellung der Fürstäbtissinnen; BOERGER, Die Belehnungen der deutschen geistlichen Fürsten, S. 122. Vgl. die kaiserlichen Konfirmations- und Belehnungsurkunden im Urkundenbestand des Quedlinburger Stifts in Magdeburg LHASA U9 tit. AI sowie den Abdruck verschiedener Belehnungsbriefe in RECHTLICHE DEDUCTION. Vgl. die Aufstellung bei KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 115. Anna Eleonora von Staufen und Anna Salome von Manderscheid-Blankenheim standen dem Stift beide nur ein bzw. drei Jahre vor. Anna Salome von Salm-Reifferscheidt musste bei ihrem Amtsantritt 1646 das Stift am Ende des Dreißigjährigen Krieges konsolidieren. Ute Küppers-Braun vermutet, dass man im Essener Stift die Regalienverleihung im 17. und 18. Jahrhundert nicht für sehr wichtig gehalten habe, weil vom Kaiser kaum Schutz zu erwarten war (KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 115). Diese Annahme wird durch die Reichsaktivitäten der Essener Äbtissinnen im 17. Jahrhundert bestätigt. Während Konflikte am Reichskammergericht ausgefochten und die regionalen Kreistage als politische Plattformen genutzt wurden, waren sie am Reichstag und Reichshofrat deutlich weniger präsent.

5.1. Partizipieren

393

in den Stiften Quedlinburg und Essen darüber hinaus übliche solenne Belehnung der Äbtissin mit den Rechten und Gütern des Stifts. Das Fehlen eines solches Aktes im Stift Herford ist in der Ermangelung eines geschlossenen Stiftsterritoriums sowie der bis weit ins 15. Jahrhundert losen Verbindung des Stifts zum Reich zu suchen.15 Dennoch galten auch die Äbtissinnen des Stifts Herford laut Proklamation bereits mit ihrer Wahl nicht nur vor eine rechtmeßig erwehlte Abdißin, und Haupt dieses Stiffts sowie als Domina aller dieses Kayserlichen frey weltlichen Stiffts Herford frey und gerechtigkeiten, Regalien, Lehnen und Güter, sondern auch vor einen ohmittelbahren standt des Heylgen Römischen Reichs,16 − obwohl zu diesem Zeitpunkt die kaiserliche Bestätigung weder beantragt, geschweige denn eingegangen war. Diese Abweichungen von der Norm machen deutlich, dass sich im 17. Jahrhundert auch in den Reichsstiften bedingt durch den Krieg und die weite Entfernung nach Wien ein gewisser Bedeutungsverlust der kaiserlichen Belehnung sowie eine Entfremdung zum Reichsoberhaupt abzeichnete. Im Einzelfall lassen sich noch weitere Gründe rekonstruieren, die sowohl auf die Verhältnisse in den Stiften als auch auf die Funktionalität der kaiserlichen Behörden verweisen. Am 4. Februar 1729 wurde die verwitwete Markgräfin Johanna Charlotte von Brandenburg zur neuen Äbtissin des Stifts Herford postuliert.17 Obwohl die neu erwählte Äbtissin, das Kapitel und die preußischen Agenten am Wiener Hof sich direkt um die Bestätigung des Kaisers bemühten, verzögerte sich die Ausstellung der kaiserlichen Konfirmation über Monate. Schuld hieran waren gleich mehrere Gründe. Erstens hatte die Herforder Dekanissin Eleonore von Hessen-Homburg der Wahl der Markgräfin durch Postulation, weil sie kein Mitglied des Kapitels war, widersprochen und am Reichshofrat Klage eröffnet.18 Johanna Charlotte und ihr Neffe König Friedrich Wilhelm I. in Preußen, der ihre Wahl befördert hatte, sahen sich daher zunächst gezwungen, das Verfahren ihrer Bestellung zu verteidigen.19 ____________ 15 16

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Vgl. KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt, S. 20f. Proklamation der neuen Herforder Äbtissin (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1205. Notariatsprotokoll der Postulation Johanna Charlottes von Brandenburg zur neuen Äbtissin (4. Febr. 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Eleonore von Hessen-Homburg an Friedrich Wilhelm I. (7. Jan. 1729) und Notarielles Instrument über die Protestation (29. Jan. 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3152. Nochmalige Bitte der Markgräfin an den Kaiser um die Konfirmation ihrer Postulation (28. März 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Darin widerlegte sie alle Kritikpunkte der Dekanissin. Siehe auch Species facti über die Legitimität der Postulation, verfasst durch die brandenburgischen Regierungsräte Arnold Henrich

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Die Intervention der preußischen Agenten in Wien, die sich sowohl beim Reichshofratspräsidenten und verschiedenen Evangelisch und Catholischen Reichs-Hoff-Räthen als auch beim Reichsvizekanzler um die kaiserliche Konfirmation bemühten, sorgte hingegen dafür, dass der Protest der Dekanissin in Wien kein Gehör fand.20 Zweitens verzögerte sich die Ausfertigung der kaiserlichen Bestätigung aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Reichshofrat als Lehnskammer und der Reichskanzlei.21 Beide waren am Kaiserhof für die reichspolitischen Fragen verantwortlich. Vor allem die Reichskanzlei verlor dabei seit der Regierung Kaiser Karls VI., dessen Interessen immer deutlich auf seine Hausmachtpolitik gerichtet waren, zusehends an Einfluss gegenüber der Hofkanzlei.22 Nachdem der preußische Agent im Herbst die kaiserliche Konfirmation endlich überschickt hatte, sorgte drittens die Titulatur der neu erwählten Äbtissin für einen neuerlichen Aufschub.23 Denn darin hatte man der Markgräfin statt des Prädikates durchlauchtig nur hochgeboren zugeschrieben. Die Agenten wurde damit beauftragt, in Wien dafür zu sorgen, dass Johanna Charlotte nicht wie eine Prinzessin aus dem Hause Anhalt, sondern als Witwe eines Printzen, der von einem Souverainen Hertzoge von Preußen abstammete, der auch ein Successions Recht an Unserer Preußischen Crohne bey Seinem Leben gehabt, und auf Seine Nachkommen transmittiret hätte, also als eine Königliche Printzeßin behandelt werde.24 Die Unzufriedenheit mit dem Wortlaut der Konfirmation stand im Zusammenhang mit den schon seit der preußischen Königserhebung virulenten Streitigkei____________

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von Meinders und Dietrich Ulrich von Hackeborn (17. März 1729) und später an die Wiener Agenten versandt (21. Mai 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3153. Der brandenburgische Wiener Agent Grave an Johanna Charlotte von Brandenburg (13. April 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Friedrich Wilhelm I. an Johanna Charlotte von Brandenburg (o.D. u. 19. Juli 1729): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1114. Zur Reichskanzlei vgl. GROSS, Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei; DERS., Der Kampf zwischen Reichskanzlei und österreichischer Hofkanzlei. Neuere Forschungen zur Reichshofkanzlei bilden ein Desiderat der Forschung. Vgl. SCHNETTGER, Reichsgeschichte als Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte, S. 236. Das an die Markgräfin überschickte Original der kaiserlichen Konfirmation muss bereits einige Wochen zuvor eingetroffen sein, da man erst nach dessen Eingang Mitte September am 23. desselben Monats zur Inthronisation am 10. Oktober eingeladen hatte. Vgl. Notarisches Instrument über die Inthronisation Johanna Charlottes von Brandenburg (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 1115. Kabinettsschreiben an die brandenburgischen Agenten Grave und Brand in Wien (5. Nov. 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3153.

5.1. Partizipieren

395

ten zwischen Wien und Berlin um den stilus curiae des Reichshofrates im Schriftverkehr mit dem preußischen König. Wiederholt hatte zunächst Friedrich I./III. und dann Friedrich Wilhelm I. darauf bestanden, sämtliche praerogativen, titulen und honores, so andere europeyische könige und deren ministri von Ihrer Kayserl. Maytt. hoff und in schreiben zu genießen und nicht als ein [Fürst] von Zipfel-Zerbst behandelt zu werden.25 Es ging also auch bei der Ausfertigung der Konfirmation nicht allein um den Rang der Markgräfin, sondern mehr noch um die Ehre und Gloire Unseres Königlichen Hauses sowie die Anerkennung des brandenburgischen Kurfürsten als souveränen preußischen König.26 Wie nachdrücklich sich solche diplomatischen Verwicklungen auf das Belehnungsverfahren einer neu erwählten Reichsäbtissin auswirken und es dadurch hinauszögern konnten, zeigt das Beispiel der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf. Als die Holsteinerin am 17. Dezember 1714 von Kaiser Karl VI. mit den Stiffts Regalia, Bergwerck/ Lehen und Weltlichkeit belehnt wurde,27 lag ihre Wahl bereits mehrere Jahre zurück. Sie war erstmals 1708 zur Äbtissin gewählt worden.28 Diese Wahl wurde aber wenig später durch den Kaiser kassiert, der ebenso wie der königlichpreußische Schutzherr des Stifts eine andere Kandidatin favorisierte.29 Zwei Jahre später wurde sie erneut durch die Mehrheit der Kapitularinnen zur Äbtissin erkoren.30 Zwar nahm Kaiser Joseph I. vor seinem Tod darauf die Konfirmation ihrer Wahl, nicht aber die Belehnung mit den Stiftsregalien vor. Diese Vorgehensweise widersprach der gängigen Praxis, denn üblicherweise gingen Konfirmation und Belehnung miteinander einher.31 ____________ 25

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Abdruck des Krontraktats (16. Nov. 1700), in MOERNER (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge, S. 810-823; der kaiserliche Gesandte Graf von Seckendorff am Berliner Hof an Prinz Eugen von Savoyen (12. Juni 1726), abgedruckt in FÖRSTER (Bearb.), Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrich Wilhelms I., Bd. 2, S. 63-67, Zitat S. 67. Kabinettsschreiben an Grave und Brand (26. Nov. 1729): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3153. Konfirmation und Lehnsbrief über die Stiftsregalien für Maria Elisabeth von HolsteinGottorf durch Kaiser Karl VI (17. Dez. 1714): Magdeburg LHASA Rep. U9 tit. A1 Nr. 78. Vgl. Quedlinburger Kapitelprotokoll (6. Nov. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 555r-556r; Wahlinstrument (6. Nov. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 556v-558r. S. u. Kap. Kassation, jus devolutum und Kommission. Vgl. Instrumentum electionis (25. Sept. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 192r-205v. Vgl. Konfirmations- und Belehnungsurkunde für Anna Sophia von Pfalz-Birkenfeld durch Ferdinand III. (18. Juni 1646) sowie durch Leopold I. (23. Sept. 1659), für Anna

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Eine Erklärung hierfür bieten die bündnispolitischen Verwicklungen des Kaisers, die sich auf die Arbeit des Reichshofrates als zuständiger Lehnskammer auswirkten. Wie bereits angedeutet, unterstützte der preußische König eine andere Kandidatin. Bereits zu Lebzeiten der verstorbenen Äbtissin hatte Friedrich I./III. in Preußen nach einer geeigneten Parteigängerin gesucht, der er als Gegenleistung für seine Unterstützung im Wahlverfahren die schriftliche Verpflichtung abnehmen wollte, seine Stellung als Schutz- und Landesherr im Stift anzuerkennen.32 Seine Wahl fiel schließlich auf Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen, der auch der Kaiser unter der Hand seine Unterstützung zugesagt hatte. Um ihre Bestellung gegen den Widerstand der Mehrheit der Kapitularinnen durchzusetzen, torpedierte er jeden Versuch, eine andere Kandidatin zu wählen, indem er gegen das Ergebnis der Wahlen in den Jahren 1704, 1708 und 1710 protestierte,33 es am Reichshofrat anfocht und schließlich den Zugang zum Stift ____________

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Sophia von Hessen-Darmstadt durch Leopold I. (23. Dez. 1683), für Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf durch Karl VI. (17. Dez. 1714) sowie durch Karl VII. (8. April 1743): Magdeburg LHASA Rep. U9 tit. AI, Nr. 61, 62, 67, 72, 78 u. 79. Allein im Falle Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar hatte es vor der eigentlichen Konfirmations- und Belehnungsurkunde bereits eine vorhergehende kaiserliche Konfirmation ihrer Wahl gegeben. Vgl. Magdeburg LHASA Rep. U9 tit. AI Nr. 70. Eine solche schriftliche Versicherung hatte man auf preußischer Seite zunächst mit der Gräfin Maria Aurora von Königsmarck als potentieller Kandidatin ausgehandelt, die anfangs durch den brandenburgischen Kurfürsten protegiert wurde. Ihre Kandidatur war aber weder bei den Kapitularinnen noch dem Kaiser durchzusetzen. Bericht des Wiener Residenten Bartholdi (20. Aug. 1704): Berlin GStA PK I. HA Nr. 158 Quedlinburg h5, Bd. 1700-1707. Vgl. hierzu SCHRÖDER, Maria Aurora von Königsmarck als Pröpstin des Stiftes Quedlinburg. Zwei weitere Kandidatinnen unterzeichneten einen ähnlichen Revers. Friedrich I./III. an den Stiftshauptmann von Lüdecke (21. Jan. 1704), Revers Henriette Agnes von Anhalt-Dessau (23. Sept. 1704), Johann Friedrich Alvensleben, braunschweigischer Hofrat und gleichzeitig kurbrandenburgischer Geheimer Rat, an Friedrich I./III. hinsichtlich der Versicherung Elisabeth Ernestine Antonies von SachsenMeiningen (29. Sept. 1704): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1700-1707. Protest Friedrichs I./III. in Preußen gegenüber Anna Dorothea von Sachsen-Weimar sowie dem Kapitel wider die Wahl von 1704 (27. Mai 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 27r-28r, 30r-31r; Friedrich I./III. an Kaiser Leopold I. (18. Sept. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 146r-151v; Protest des Stiftshauptmannes Lüdecke gegenüber dem Kapitel gegen die Wahl 1708 (12. Nov. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 590r-591r; königliche Befehle an den Gesandten Heinrich Henniges in Regensburg, um am Reichstag sowie am corpus evangelicorum gegen die Wahl zu intervenieren (5. Nov. u. 19. Nov. 1708), sowie Bericht des Residenten Bartholdi über seine Intervention beim Oberhofkanzler Graf Philipp Ludwig

5.1. Partizipieren

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versperrte,34 um den wirklichen Amtsantritt Maria Elisabeths von HolsteinGottorf zu verhindern. Sie wurde hingegen von ihrer Tante, der englischen Königin Anne unterstützt. Sowohl sie als auch der preußische König waren Bündnispartner des Kaisers im Spanischen Erbfolgekrieg. Kaiser Joseph I. bestritt mit seiner Entscheidung, Maria Elisabeth zwar zu konfirmieren, aber nicht zu belehnen, einen Mittelweg zwischen seinen beiden Bündnispartnern: Die Konfirmation der Wahl sollte die englische Königin zufriedenstellen, die ausstehende Belehnung den preußischen König. Mit der Wahl Karls VI. zum neuen Kaiser im Herbst 1711 sowie dessen Rückkehr aus Spanien nach Wien im Frühjahr 1712 taten sich jedoch am Kaiserhof neue Möglichkeiten für die Herzogin von Holstein auf.35 Sie schlug daher den Kapitularinnen die Absendung des Oberhofmeisters von Dacheröden als gutem Kenner der Stiftsangelegenheiten nach Wien vor, um dort das Manko der fehlenden Belehnung zu beseitigen.36 Obwohl die Kapitularinnen den Vorschlag guthießen, sahen sie darin doch die Gefahr eines Präzedenzfalles. Denn für gewöhnlich nahm der Wiener Agent die Lehnsmutung vor Ort vor, ohne dass ein Gesandter eigens dafür abgeschickt wurde.37 Eine solche Gesandtschaft war sehr kostspielig und sollte daher keinesfalls die Regel werden.38 Es bestand dabei die Gefahr, dass der Kaiserhof dann auch bei nächster Gelegenheit eine extraordinäre Gesandtschaft fordern könnte. Der Kaiser hatte nämlich ein großes Interesse daran, dass dem Akt der kaiserlichen Belehnung ein größeres Maß an Bedeutung beigemessen wurde, wie es in einer extraordinären Gesandtschaft zum Aus____________

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Sinzendorf (17. Nov. 1708): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1708; Protest des Stiftshauptmanns gegen die Wahl 1710 gegenüber dem Kapitel (25. Sept. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 207r-v; Bericht des holsteinischen Gesandten am Kaiserhof Graf Reventlow an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (29. Okt. 1710): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6691. Bericht des Stiftshauptmannes Lüdecke an Friedrich I./III. (24. Nov. 1710) sowie Protest des Kapitels gegen die Sperrung des Stifts (24. Nov. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stifts Quedlinburg) h5 1710. Vgl. BRAUBACH, Karl VI. Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an das Quedlinburger Kapitel (29. Jan. 1712): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6991. Quedlinburger Kapitel an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (7. Febr. 1717): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 3, fol. 233r-236r. Während der Agent seinen Wohnsitz in Wien hatte und lediglich für seine Ausgaben sowie seine konkrete Tätigkeit entlohnt wurde, mussten dem Gesandten neben seinem regulären Gehalt auch die Reisekosten, Kost, Logis und zusätzliche Ausgaben gezahlt werden.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

druck kam.39 Unter den besonderen Umständen des anhaltenden Konfliktes mit dem preußischen König schien den Kapitularinnen das kostspielige Arrangement einer extraordinären Gesandtschaft schließlich doch gerechtfertigt. Der Hofmeister des Quedlinburger Stifts reiste daher im Frühjahr 1712 nach Wien und bat in den beiden ihm gewährten kaiserlichen Audienzen unter ritueller Entschuldigung seiner Principalin um die Investitur. Darüber hinaus stellte er dem Kaiser in einem mündlichen Vortrag die bedrängte Lage des Stifts vor.40 Der Hofmeister wurde nach den beiden kaiserlichen Audienzen jedoch immer wieder vertröstet, ohne dass eine Resolution erging. Er reiste schließlich Ende September 1712 unverrichteter Dinge wieder ab.41 Zur gleichen Zeit hatte sich die englische Königin Anne zunächst aus dem aktiven Kampfgeschehen im Spanischen Erbfolgekrieg durch den Abzug ihres zuvor so erfolgreichen Generals Marlborough zurückgezogen und war dann mit dem englisch-französischen Waffenstillstand ganz aus dem Krieg ausgetreten.42 Kaiser Karl VI. hatte daher keine Eile, der Konfirmation seines Bruders nun die kaiserliche Belehnung Maria Elisabeths folgen zu lassen und damit den noch immer an seiner Seite stehenden preußischen König zu verärgern. Erst nachdem der Krieg mit den Frieden von Utrecht, Rastatt und Baden 1714 beendet war,43 signalisierte der Wiener Hof nicht nur seine Bereitschaft, die Belehnung nun vorzunehmen, sondern es wurde diese auch vollzogen. Das Beispiel der Belehnung Maria Elisabeths von Holstein-Gottorf führt deutlich vor Augen, wie anfällig das Handeln des Kaisers für die Beeinflussung durch äußere Umstände war. Hier spiegeln sich die Interessengegensätze in der Person des Reichsoberhauptes wider, der zwischen seinen Amtspflichten als Kaiser und hausmachtpolitischen Erwägungen als Erzherzog von Österreich abwägen musste. Wie stark sich die häufig gegensätz____________ 39 40

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Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Das Reich als Lehnssystem, S. 64. Vgl. Vortrag des Quedlinburger Oberhofmeisters Dacheröden vor Kaiser Karl VI. (3. Mai 1712): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 3, fol. 260r-261v. Vgl. Memorial des Quedlinburger Oberhofmeisters Dacheröden an den Kaiser (21. Aug. 1712): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 3, fol. 313r-314r; Berichte des Oberhofmeisters Dacheröden an das Quedlinburger Kapitel über die Vermutung, dass der Kaiser angesichts der gegebenen Zeitumstände keine Resolution fassen werde, seine nochmalige Audienz beim Kaiser sowie Abreise (17. u. 28. Sept. 1712): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 3, fol. 338r-339v, 345r-346r. Vgl. SCHILLING, Höfe und Allianzen, S. 264f.; BURCKHARDT, Vollendung und Neuorientierung, S. 306f. Vgl. SCHILLING, Höfe und Allianzen, S. 264; BURCKHARDT, Vollendung und Neuorientierung, S. 307-310.

5.1. Partizipieren

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lichen Interessen auf die Funktionalität des Reichshofrates, der nicht nur Lehnskammer, sondern auch Reichsgericht war, auswirkten, wird an anderer Stelle eingehend analysiert.44 Das Beispiel Maria Elisabeths, wie Johanna Charlottes, zeugt darüber hinaus von der herrschafts- und legitimitätsstiftenden Bedeutung der kaiserlichen Belehnung in Wahlfürstentümern wie den Reichsstiften. In der kritischen Situation ihrer umstrittenen Wahl bemühten sie sich nachdrücklich um den Erhalt der kaiserlichen Bestätigung. Die kaiserliche Belehnung stellte jedoch nur ein konstituierendes Moment für den reichsunmittelbaren und reichsständischen Status der Äbtissinnen dar. Insbesondere ihren Status als Reichsstand mussten sie durch die Wahrnehmung von Sitz und Stimme auf dem Reichstag immer wieder aufs Neue aktualisieren.

Inkognito in Regensburg Als 1698 kurbrandenburgische Soldaten auf die Herforder Stiftsfreiheit eindrangen, floh die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland angesichts so offenbahre[r] Gewaldt nach Wien. Auf dem Weg dorthin machte sie in Regensburg Halt.45 Dort traf sie mit verschiedenen Reichstagsgesandten und dem Prinzipalkommissar des Kaisers, Fürst Ferdinand August von Lobkowitz, zusammen und suchte bei ihnen Hilfe.46 Diese Kontaktaufnahme fand nicht im öffentlichen Raum der Beratungen, sondern in informellen Treffen am Rande des Reichstages,47 aber dennoch vor einem breiten Publikum statt. Denn obwohl die Äbtissin inkognito auf ihrer Fahrt durch Regensburg reiste, blieben ihr Aufenthalt sowie die Gründe ihrer Durchreise nicht unbemerkt, sondern lösten Entrüstung unter den Reichstagsgesandten der anderen Stände aus, welche die Besetzung des Stifts durch kurbrandenburgisches Militär verurteilten.48 ____________ 44 45 46

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S. u. Kap. Zwischen Justiz und Politik. S. o. Kap. Besetzung. Vgl. Auszug aus dem Bericht des landgräflichen Reichstagsabgesandten Freiherrn Adam Eckenbrecht von der Malsburg (29. Aug. 1698), Friedrich I./III. an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (12. Aug. 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Treffen im informellen Raum bei Audienzen, Tee- oder Essenseinladungen stellten in der Frühen Neuzeit wichtige Kommunikationsplattformen dar, die nicht als defizitär im Gegensatz zu formalisierten Kommunikationskontexten (beispielsweise in offiziellen Entscheidungsgremien), sondern als kompatibel betrachtet werden müssen. Vgl. DORFNER, Die Reichshofratsagenten, besonders S. 103-108. Friedrich I./III. an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (12. Aug. 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Als Fürstinnen des Reiches hatten die Äbtissinnen der kaiserlich freiweltlichen Stifte Sitz und Stimme auf dem Reichstag als institutionellem Versammlungsort der Reichsstände und zentralem Ort ihrer reichsständischen Partizipation an der Reichspolitik. Allerdings hatten sie anders als viele ihrer männlichen Verwandten nur Anteil an einer der beiden Kuriatstimmen, die sie sich mit weiteren geistlichen Reichsständen auf einer der beiden Reichsprälatenbänken teilten. Die Äbtissinnen der hier untersuchten Stifte saßen allesamt auf der Rheinischen Prälatenbank. Bereits vor der Einrichtung des Immerwährenden Reichstags, der sich zu einem reinen Gesandtenkongress entwickelte, nahmen die Äbtissinnen nicht selbst an den Beratungen teil. Auch wenn stichhaltige Quellen fehlen, so ist die persönliche Teilnahme einer Äbtissin bereits vor 1663 mehr als unwahrscheinlich, da sich auch unter den anderen Teilnehmern keine Frauen befanden. Dies galt jedoch nur für die eigentlichen Beratungssitzungen. Am gesellschaftlichen Leben im Umfeld des Reichstages nahmen hingegen auch hochadelige Frauen teil. In diesem Rahmen konnten sie, wie die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland, mit den anwesenden Größen zusammenkommen und ihre politischen Interessen verteidigen. In den eigentlichen Beratungen des Reichstags wurden die Äbtissinnen durch Gesandte vertreten, die sie sich in der Regel mit anderen Reichsständen teilten, um Kosten zu sparen. So vertrat Reinhard Scheffer um 1700 nicht nur die Äbtissin von Quedlinburg, sondern auch die Äbtissin von Herford.49 Vor allem die Quedlinburger Äbtissinnen zeigten seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ein steigendes Interesse am Geschehen auf dem Reichstag, wie sowohl die Subskriptionslisten der Reichsabschiede vor 1663 als auch die mehr als 100 Bände Reichstagsberichte im Stiftsarchiv belegen.50 Die Herforder Äbtissin hielt hingegen immer dann engen Kontakt zur Reichsversammlung, wenn dort ihre Monita wie die Verringerung ihrer anteilsmäßigen Reichsabgaben zu Beginn der 1650er und 1660er Jahre verhandelt oder aber Themen von nachhaltiger Relevanz für das Herforder Stift diskutiert wurden, wie der Kampf der Quedlinburger Äbtissin um die Verteidi____________ 49

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Über den gemeinsamen Regensburger Gesandten gelangten sämtliche Quedlinburger Eingaben am Reichstag auch nach Herford. Species Facti (o.D.), als Anlage zum Bericht des Gesandten Scheffer an die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (31. März 1698): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 79; siehe weitere Berichte in diesem Zusammenhang ebd. sowie Nr. 89. Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. I Nr. 4-118; vgl. KÜPPERS-BRAUN, Dynastisches Handeln von Frauen, S. 226.

5.1. Partizipieren

401

gung ihrer Herrschaft gegenüber dem preußischen König.51 In Anbetracht der ähnlich bedrängten Lage der Herforder Äbtissin und begünstigt durch die personelle Verflechtung war man in Herford gut über die Interventionen der Quedlinburger Äbtissin am Reichstag informiert. Der gemeinsame Reichstagsgesandte riet sogar dazu, es der Quedlinburger Äbtissin gleichzutun und sich ebenfalls an die Reichsstände zu wenden – ein Vorschlag, den die Herforder Äbtissin aber nicht umsetzte.52 Anders als die Äbtissinnen der Stifte Herford und Quedlinburg zeigten die Essener Äbtissinnen eher wenig Interesse am Reichstagsgeschehen. Zwar beschäftigten auch sie mitunter zeitweilig einen Gesandten in Regensburg, aber erst unter Maria Kunigunde von Sachsen unterhielt das Stift Ende des 18. Jahrhunderts dauerhaft einen Gesandten am Reichstag, der die Äbtissin regelmäßig über das Reichstagsgeschehen informierte.53 Das Augenmerk der Essener Äbtissin war vielmehr auf die Verhandlungen am Rheinisch-Westfälischen Kreistag gerichtet.54 Die regelmäßige Partizipation am Reichstag wurde im Zuge territorialer Konkurrenz in den Auseinandersetzungen zwischen den Äbtissinnen der Stifte Herford und Quedlinburg und ihrem gemeinsamen brandenburgischpreußischen Schutzherrn zum Argument im Streit um die Landeshoheit.55 Der Konzipient einer Quedlinburger Druckschrift verwies daher unter anderem auf verschiedene Reichsabschiede, die bezeugten, dass die Aebtissin solche durch Ihre Abgesandte mit besuchen ließ, um ihren Status als Immediater Reichs=Stand und ihren Anspruch auf die Jura Territorii & Superioritatis zu belegen.56 Die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland sah sich hingegen genötigt, die häufige Abwesenheit ihrer Vorgängerinnen am Reichstag mit den hohen Kosten und der weiten Reise zu rechtfertigen, ____________ 51

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Zur Verringerung des Herforder Reichsbeitrages s. Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 86 u. 89; s. auch die zahlreichen Reichstagsberichte in den ersten 13 Regierungsjahren der Herzogin von Kurland: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 79, 88 u. 89. Sie zeugen von dem gestiegenen Interesse am Reichstagsgeschehen zum Ende des 17. Jahrhunderts – insbesondere für die Zeit zwischen 1697 und 1701, als die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar am Reichstag für den Erhalt ihrer Reichsunmittelbarkeit stritt. S. zum Quedlinburger Konflikt am Reichstag u. a. das folgende Kap. „Drehscheibe Regensburg“. Reichstagsgesandter Scheffer an Charlotte Sophie von Kurland (14. Juli 1698): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 88. Konzept der Vollmacht für den Essener Gesandten van Haine (6. Juli 1788): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 650. S. u. Kap. Umstrittene Kreisstandschaft. Vgl. hierzu in Bezug auf die Reichsgrafen STOLLBERG-RILINGER, Grafenstand in der Reichspublizistik, S. 38-43. RECHTLICHE DEDUCTION, S. 25f.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

sowie richtig zu stellen, dass sie dadurch das Recht auf eine Teilnahme keineswegs verwirkt hätten.57 Neben der symbolisch-expressiven Dimension, die mit der Wahrnehmung von Sitz und Stimme verbunden war und welche die Äbtissinnen überhaupt erst zu einem Reichsstand machte,58 hatte der Reichstag auch eine funktionale Seite. In seinem Entwicklungsprozess waren den dort versammelten Reichsständen verschiedene Aufgaben, Kompetenzen und Funktionen durch reichsrechtliche Übertragung, beabsichtigte oder unbeabsichtigte Aneignung zugefallen. Inwiefern die Äbtissinnen das Forum des Reichstages zur Verteidigung ihrer obrigkeitlichen Stellung zu nutzen suchten, hat das eingangs skizzierte Beispiel der Herforder Äbtissin bereits angedeutet, auch wenn ihre Bemühungen ohne nennenswerten Erfolg blieben. Während diese sich jedoch vor allem dessen Umgebung als einem „Feld für die informelle Beeinflussung der Reichspolitik“ bediente,59 nimmt ein anderes Beispiel aus dem Stift Quedlinburg stärker die Institution des Reichstages in den Blick.

„Drehscheibe Regensburg“ Der Westfälische Frieden hatte 1648 die Kompetenzen des Reichstags präzisiert und reichsrechtlich festgeschrieben. Demnach oblagen ihm die Gesetzgebung, wodurch er regulierend in Wirtschaft, Handel und Policey eingreifen konnte, die Ausschreibung von Steuern, die entweder zur Finanzierung kriegerischer Aktionen oder wie der Kammerzieler zur Finanzierung des Reichskammergerichts dienten, die Wahrung der äußeren wie inneren Sicherheit des Reiches und die Reform der Reichsverfassung. Dadurch avancierte der Reichstag „zur einzig legitimen Form der Mitbestimmung“ der Reichsstände an den Entscheidungen, die das gesamte Reich betrafen.60 Am Beispiel des Quedlinburger Stifts lassen sich darüber hinaus zwei weitere Funktionen nachzeichnen, die der Reichstag im 17. und 18. Jahrhundert erfüllte. ____________ 57

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Notata Ihrer Hochfürstl. durchl. der Frau Aebtissin zu Herford, gebohrner Herzoging zu Churland ppp. auf Der Königl. Preussischen zur fürstl. Caßelischen Mediation Deputirter Räthen eingebrachte so genandte, kurtze beantwortung der fürstl. herfordischen Gravaminum [1704]: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Symbolische Kommunikation, S. 498; DIES., Die zeremonielle Inszenierung des Reiches, S. 237f., 244f. GESTRICH, Absolutismus und Öffentlichkeit, S. 98. FRIEDRICH, Drehscheibe Regensburg, S. 72.

5.1. Partizipieren

403

In den Auseinandersetzungen mit Friedrich I./III., der seit der eigenmächtigen Übertragung der Schutzherrschaft einen landesherrlichen Anspruch im Stift zu etablieren suchte, wandte sich die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, vermittelt durch ihren Gesandten, wiederholt an den Reichstag, um sich gegen die Übergriffe ihres neuen Schutzherrn zu wehren. Sie nutzte den Reichstag zunächst in seiner Funktion als „Nachrichtenzentrale des Reiches“,61 wo auf unterschiedlichen Kanälen Informationen aus den einzelnen Territorien sprichwörtlich in die in Regensburg versammelte reichsständische Öffentlichkeit und wieder zurück in die Territorien gelangten.62 Im April 1698 ließ die Äbtissin abseits des üblichen Geschäftsganges species facti über die Ereignisse in Quedlinburg in Regensburg verbreiten. Diese konnten dann, insofern man ihnen Beachtung schenkte, zusammen mit den Relationen der jeweiligen Gesandten an andere Fürstenhöfe gelangen, so zum Beispiel an den kurfürstlichen Hof nach Dresden, der als beteiligte und von der Äbtissin beklagte Partei ein besonderes Interesse an dem Geschehen hatte.63 Auf diese Weise wurde nicht nur das kurbrandenburgische Vorgehen als gewaltsame Agitation delegitimiert, sondern diese Interpretation in die reichsständische Öffentlichkeit transportiert, um die verschiedenen Reichsstände für das Reichsstift einzunehmen. Gleichzeitig sollte damit der Druck auf Friedrich I./III. erhöht werden, damit er von weiteren gewaltsamen Eingriffen in das Stift absah. Weil das angestrengte Reichshofratsverfahren gegen den brandenburgischen Kurfürsten nach einem halben Jahr noch immer zu keiner kaiserlichen Resolution geführt hatte und die mitunter gewaltsamen Übergriffe brandenburgischer ____________ 61

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Susanne Friedrich beschreibt den Reichstag in Regensburg in ihrer kommunikationstheoretischen Arbeit als „Drehscheibe“ und verbindet damit die Vorstellung des Reichstags als Kommunikations- und Nachrichtenzentrale des Reiches. Sie stellt fest, dass die vielmals bestrittene Funktionalität des Reichstags in der Zeit von 1683 bis 1713, als die Verhandlungen aufgrund von Konfessions- und Rangstreitigkeiten stillstanden, im Hinblick auf seine Kommunikationsfunktion ungebrochen war. Vgl. FRIEDRICH, Drehscheibe Regensburg, hier besonders S. 16. Hierzu gehörten neben der „institutionell bedingten Kommunikation“ in Form der an die Reichsstände gerichteten und in der Mainzer Erzkanzlei eingereichten Suppliken und Memorialen, dem Schriftgut der Beratungssitzungen und den Berichten der Gesandten an ihre Pricipalen ebenso der gesamte Informationsaustausch im Umfeld des Reichstages, also in persönlichen Gesprächen oder Briefwechseln, sowie die Berichte über den Reichstag in Zeitungen. Eine ausführliche Behandlung dieser unterschiedlichen Informationskanäle liefert Friedrich in Teil IV ihrer Arbeit: Informations- und Kommunikationssystem des Reichstags, Zitat ebd., S. 125. Species facti, die mit der Regensburger Relation vom 14. April 1698 nach Dresden geschickt wurden (o.D.): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 25r-26v.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Regierungsvertreter im Stift zunahmen,64 rief die Äbtissin seit Sommer 1698 den Reichstag zudem als Rechtsinstanz an. Aus reichsrechtlicher Perspektive gesehen, agierte der Reichstag als ständisches Kontrollorgan für die Reichsgerichte und das Reichsoberhaupt.65 Als solches übernahm er selbst Gerichtsfunktionen, indem die Reichsstände beispielsweise dort gegen ein erlassenes Urteil des Reichskammergerichts Reichsklage erheben oder wie Anna Dorothea den Erlass eines Reichstagsgutachtens erbeten konnten, das den Kaiser zum Handeln aufforderte.66 Ihr Abgesandter überreichte erstmals Mitte August 1698 dem Kurmainzer Direktorium ein Memorial. In diesem berichtete er von den Umständen der Cession, den bereits verübten Attentaten auf die jura territorialia et episcopalia und erläuterte die schwierige Situation der Äbtissin, die im Zwiespalt zwischen den kaiserlichen Befehlen, sich in keine Verträge einzulassen, sowie den Protesten der erbverbrüderten Fürsten stand und nun ihre Zuflucht bei den Herren Mitständen suche. Daran schloss sich die Bitte an, den Kaiser zur Erklärung des erbetenen Verhaltungsbefehls sowie den Erlass einer kaiserlichen Kommission zu bewegen, um den reichsunmittelbaren und reichsständischen Status des Stiftes zu wahren.67 In späteren Memoria____________ 64

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Hierzu gehörte die erzwungene Abänderung des Kirchengebets, die ebenfalls gewaltsam erzwungene Huldigung der Untertanen und die eigenmächtig eingeführte sowie mit harter Hand umgesetzte Abfuhr der Akzise. S. o. Kap. Besetzung; Aneignung; Erzwungene Huldigung. Vgl. SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 398; WESTPHAL, Stabilisierung durch Recht, S. 241. Vgl. die gedruckten Eingaben des Quedlinburger Reichstagsgesandten Reinhard Scheffer in DAS WEYNENDE KÄYSERLICH FREY REICHS=STIFFT QUEDLINBURG und CONTINUATIO DES WEYNENDEN KÄYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG; außerdem die Abschriften der Pro Memoria in den Archiven Münster (LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 89) und Dresden (SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 52r-54r, 71r-73v, 93r-97r, 117-119v). Ein Beispiel für eine am Reichstag erhobene Reichsklage bietet der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm, der diesen Schritt 1663 erwog, nachdem er per Urteilsspruch durch das Reichskammergericht aufgefordert worden war, seine Soldaten aus dem Stift Essen abzuziehen. Der Kurfürst hatte die Soldaten nach Essen befehligt, um dort Bürgermeister, Stadtrat und Gemeinde im Streit mit der Äbtissin zur Hilfe zu kommen. S. o. Kap. Besetzung; Protest Friedrich Wilhelms von Brandenburg gegenüber dem Speyerer Kammerrichter, dem Markgrafen von Baden, gegen das ergangene Urteil mitsamt der Drohung, Reichsklage am Reichstag zu erheben (20. Juli 1663): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 288r-289v. Vgl. Abschrift dieses Memorials (6./16. Aug. 1698), in Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 52r-54r; abgedruckt in DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, S. 3-5.

5.1. Partizipieren

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len verband Scheffer seine Klage zudem mit den nachteiligen Folgen, die die Mediatisierung des Stifts für das Reich bedeuten würde: Verlust von 100.000 Reichstalern an Reichsabgaben, Infragestellung der Reichsgesetze, Autoritätsverlust für Kaiser und Reich, Gefahr der Nachahmung oder Ausweitung, denn wann die kleineren Reichs=Stände erst subjungiret/ es endlich an die grössere kommen könne.68 Damit wurde die Bedeutung der Stiftsangelegenheit für das ganze Reich unterstrichen und Quedlinburg zu einem Präzedenzfall stilisiert. Damit die Schriftsätze des Quedlinburger Gesandten in die Beratungen der Reichsstände gelangen konnten, mussten sie den üblichen Geschäftsgang des Reichstages durchlaufen. Dieser sah vor, dass alle Eingaben zunächst dem Mainzer Direktorium übergeben wurden, wo sie dann zur Diktatur gelangen, das heißt, vervielfältigt und an die Reichsstände verschickt werden mussten. Hierzu musste der Schriftsatz sowohl formelle als auch inhaltliche Vorgaben (stylus comitialis) erfüllen. Es wurden nur Anschreiben diktiert, die in Deutsch oder Latein verfasst waren, in denen die richtige Titulatur der Gesandten verwandt wurde und die keine anstößigen Formulierungen enthielten. Zudem mussten die Schriftsätze das Reich und seine Angelegenheiten betreffen, um nicht abgewiesen zu werden.69 Die Diktatur war von entscheidender Bedeutung. Denn sie sicherte nicht nur die Verbreitung des Memorials, sondern bewirkte überhaupt erst seine verbindliche Kenntnisnahme durch die Reichsstände. Andernfalls wurde es gar nicht rezipiert und konnte auch nicht in die Beratungen gelangen.70 Die Annahme der Quedlinburger Anschreiben wurde jedoch zunächst durch das Mainzer Direktorium verweigert, weil es sich bei dessen Gegenstand um eine Justiz Sache handele, und der Gesandte wurde an die Reichsgerichte verwiesen.71 Im Anschluss daran bemühte sich der brandenburgische Reichstagsgesandte, die Diktatur der befremdlichen Klagen von Seiten der Quedlinburger Äbtissin und deren Verbreitung zu verhindern, indem er sich beim Mainzer Direktorium beschwerte. Hierbei griff er die Argumentation des Direktoriums auf und forderte erneut, besagte Frau Abbatißin mit ihrem anhero ad comitia gar ____________ 68

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Vgl. Post Scriptum Scheffer (1./11. Nov. 1698), Memorial Scheffer (28. Juni, 8. Juli 1699 u. 21. März 1700): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 73r-v, 93r-96v, 117r119v; Memorial Scheffer (3. Febr. 1699), abgedruckt in DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, S. 14-16. Vgl. FRIEDRICH, Drehscheibe Regenburg, S. 126f., 134-136. Vgl. ebd., S. 128. Bericht des kursächsischen Reichstagsabgesandten von Werthern nach Dresden (26. Sept. 1698): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 61r-v; vgl. auch Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (10./20. Okt. 1698): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 89.

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nicht gehörigen Querelen ab= und anderer gebührenden Orthen zuverweisen.72 So gelang es, die Annahme der Quedlinburger Schriftsätze durch die Diktatur weiter hinauszuschieben.73 Verzögerungen solcher Art kamen nicht selten vor,74 sie bedurften aber einer triftigen Begründung, um nicht den Vorwurf der Parteilichkeit gegenüber dem Direktorium zu evozieren, welches formell und inhaltlich korrekte Eingaben nicht willkürlich abweisen durfte.75 Erst nachdem Anna Dorothea beim Mainzer Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn über dessen Direktorium Beschwerde geführt hatte, wurden die Eingaben zur Diktatur angenommen.76 Der Bericht des gemeinsamen Reichstagsgesandten der Äbtissinnen von Quedlinburg und Herford belegt jedoch, dass die Annahme zur Diktatur nur einen ersten Schritt im Geschäftsgang des Reichstages darstellte. Als Nächstes musste die Angelegenheit in die Rathsansage, also auf die Tagesordnung gelangen. Und selbst dann waren förmbl.n Deliberation und Reichstags-Gutachten keinesfalls sicher, wie die Zweifel des Gesandten bezeugen.77 Um den Druck auf die Versammlung der Reichsstände zu erhöhen und die tatsächliche Beratschlagung des Quedlinburger Sachverhaltes einzufordern, ließ der Quedlinburger Gesandte die eingebrachten Schriftsätze in zwei Druckschriften öffentlichkeitswirksam publizieren.78 Durch diese mediale Strategie suchte der Gesandte das Geschehen am Reichstag zu beeinflussen. Dennoch konnte die Quedlinburger Äbtissin trotz wiederholter Eingaben kein Reichstagsgutachten in Regensburg erwirken. Einen Erklärungsansatz hierfür bietet ein Bericht des kursächsischen Reichstagsgesandten, der das Vorhaben bereits Ende 1698 für zwecklos erklärte, weiln doch kein Standt des Reichs Sich in dieser Affaire, welche die beyden vornehmsten Häuser, Sachßen und Brandenburg touchiret, eines arbitry anmaßen, ____________ 72

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Bericht des kursächsischen Reichstagsabgesandten Georg von Werthern nach Dresden (29. Okt. 1698): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 62r-v. Bericht des gemeinsamen Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin (10./20. Okt. 1698): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 89. Vgl. FRIEDRICH, Drehscheibe Regensburg, S. 131. Vgl. ebd., S. 130. Anna Dorothea an den Kurfürsten von Mainz mit der Bitte, seinem Reichstagsdirektorium die Annahme der Klage zu befehlen (17. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 336r-v. Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (28. Febr./10. März 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 89. DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG; CONTINUATIO DES WEINENDEN KAYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG.

5.1. Partizipieren

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oder darüber einige Instruction ertheilen werde.79 Hinzu kam, dass die Reichstagsberatungen im Frühjahr 1699 zunächst durch zeremonielle Streitfragen zwischen dem kaiserlichen Prinzipalkommissar sowie den kurfürstlichen Gesandten und ab Herbst 1699 durch das ständige Hin und Her zwischen katholischen und evangelischen Reichsständen gehemmt wurde, die sich angesichts der Rekatholisierung der Pfalz feindlich gegenüberstanden.80 Wenig später bestimmten die Spanische Erbfolge sowie der anschließende Erbfolgekrieg vollkommen die Beratungen des Reichstags.81 Der Reichstag als zentraler Versammlungsort der Reichsstände sowie als Korrektiv der kaiserlichen und territorialen Politik der einzelnen Stände blieb demnach in seiner politischen Wirkmächtigkeit durch innere wie äußere Einwirkungen nicht unbeeinträchtigt und im Falle Quedlinburgs sogar handlungsunfähig. Vor diesem Hintergrund gewann für die evangelischen Reichsstände eine weitere Reichsinstitution an Bedeutung, das corpus evangelicorum als eine Teilkorporation des Reichstages.

Lagerbildung im corpus evangelicorum Der Westfälische Friede führte 1648 das Prinzip itio in partes in die Verfahrensstruktur des Reichstages ein.82 Damit wurde den Reichsständen eingeräumt, nach Konfessionen getrennt über konfessionspolitische Fragen zu beratschlagen und eine Einigung auszuhandeln. Auf diese Weise sollte künftig verhindert werden, dass eine Seite die andere überstimmen konnte.83 Angesichts der numerischen Mehrheit katholischer Reichsstände im Kurfürsten- und Fürstenrat handelte es sich hierbei vor allem um ein Zugeständnis gegenüber den evangelischen Ständen. Diese trafen fortan nicht nur im ____________ 79

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Bericht des kursächsischen Reichstagsabgesandten Georg von Werthern nach Dresden (11. Nov. 1698): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 70r-v. Der Kurfürst von Sachsen war als Vertragspartner des brandenburgischen Kurfürsten, dem er die Schutzherrschaft über das Stift verkauft hatte, in die Angelegenheit verstrickt. Vgl. zur Cession VÖTSCH, Zwischen Kursachsen, Preußen und dem Kaiser, besonders S. 301-306. Berichts des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (2./12. Mai u. 13. Okt. 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 89. Vgl. die Berichte des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland seit Sommer 1700: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 88. IPO, Art. 5, § 1, in ZEUMER (Bearb.), Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung, S. 395-434, hier S. 403. Vgl. HECKEL, Sinn und Formen des Verfahrens; DERS., Itio in partes.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Rahmen der itio in partes, sondern regelmäßig im Anschluss an die Reichstagsberatungen gesondert zusammen.84 Dadurch entwickelte sich das corpus evangelicorum anders als das corpus catholicorum zu einer verfestigten Korporation, wenn auch ohne schriftlich fixierte Verfahrensregeln.85 Beratungsgegenstände des corpus waren nach Aussage Johann Jacob Mosers alle Sachen, welche das Evangelische Religionswesen […], oder auch sonst das gemeinsame Interesse derer Evangelischen Reichs-Stände, oder auch übrige Evangelischen im Reich mittelbar oder unmittelbar betreffen und entweder von den Betroffenen selbst oder vom Direktorium oder anderen Ständen am corpus angezeigt wurden.86 Das betraf also auch vermeintliche Übergriffe des Kaisers auf evangelische Reichstände. Das corpus evangelicorum avancierte daher zum wichtigsten Forum der Verteidigung reichsständischer Rechte gegenüber dem Kaiser. Wie deutlich sich aber auch hier der Einfluss mächtiger Reichsstände wie des brandenburgisch-preußischen Kurfürsten-Königs niederschlug, lässt sich anhand der Auseinandersetzung um die Wahl einer neuen Äbtissin des Stifts Quedlinburg zeigen, die zeitweise auch das corpus beschäftigte. 1704 war die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von SachsenWeimar verstorben, ohne eine vom Kaiser bestätigte Nachfolgerin zu hinterlassen. In den nachfolgenden sechs Jahren stritten die Kapitularinnen und der preußische Schutzherr unter Beteiligung des Kaisers sowie weiterer Reichsfürsten und europäischer Souveräne um die Wiederbesetzung des Äbtissinnenstuhles. Im Frühjahr 1708 streute der kurbrandenburgische Reichstagsgesandte in diesem Zusammenhang am corpus evangelicorum Gerüchte über die Anwendung des jus devolutum durch den Kaiser, um eigenmächtig eine neue Äbtissin einzusetzen.87 Eine solche Wendung konnte ____________ 84

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Johann Jacob Moser gibt an, dass sich das Corpus regelmäßig alle 14 Tage nach den Reichstagsberatungen im fürstlichen Nebenzimmer des Regensburger Rathauses getroffen habe. Vgl. MOSER, Von der Teutschen Religionsverfassung, S. 370-376. HAUG-MORITZ, Corpus Evangelicorum, S. 194. Zum corpus evangelicorum vgl. zudem KALIPKE, Verfahren – Macht – Entscheidung; DERS., „Weitläuffigkeiten und Bedencklichkeiten“; SCHLAICH, Maioritas – protestatio – itio in partes – corpus Evanglicorum; BELSTLER, Die Stellung des Corpus Evangelicorum. MOSER, Von der teutschen Religionsverfassung, S. 387. Vgl. den Bericht des Quedlinburger Gesandten in Regensburg Scheffer (19. März 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 308r-309v; Order Friedrichs I./III. an seinen Gesandten in Regensburg Heinrich Henniges, den Vorschlag des Kaisers, das Quedlinburger Stift per jus devoluto neu zu besetzen, mit den evangelischen Ständen zu beratschlagen (28. Febr. 1708): Berlin GStA PK I. HA Rep. 33 Nr. 158 (Quedlinburg) h5 Bd. 1708.

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weder dem Kapitel, das sein freies Wahlrecht in Gefahr sah,88 noch dem preußischen König und der Gemeinschaft der evangelischen Reichsstände willkommen sein, welche die Erweiterung des kaiserlichen Einflusses in evangelischen Territorien befürchteten.89 Die überlieferten Berichte und Instruktionen der verschiedenen involvierten Reichstagsgesandten zeugen davon,90 wie Friedrich I./III. und die brandenburgisch-preußischen Vertreter die Versammlung der evangelischen Reichsstände in den nachfolgenden Monaten zu instrumentalisieren suchten, um im Stift die Wahl ihrer Kandidatin durchzusetzen und gleichzeitig die Anwendung des kaiserlichen jus devolutum zu verhindern, und wie sich dies auf die Haltung der einzelnen Mitglieder sowie des corpus auswirkte. Zunächst nutzten die brandenburgisch-preußischen Vertreter die Gerüchte um die Anwendung des jus devolutum, um die Kapitularinnen in Alarmbereitschaft zu versetzen und zu einer Klage am corpus zu reizen.91 Noch lag jedoch keine Einmischung des Kaisers vor. Daher würde eine solch verfrühte Einschaltung des corpus evangelicorum den Kaiser nur gegen das Quedlinburger Kapitel aufbringen und herausfordern, tatsächlich in das Wahlgeschäft einzugreifen, so die Vermutung der verschiedenen Gesandten am corpus.92 Der württembergische Gesandte unterstellte der preußischen Gesandtschaft sogar die böse Absicht, dass sie die Anfrage am Corpus nur zu dem ende auf die bahn gebracht [habe], damit bey bevorstehender neuen Wahl, eine ____________ 88

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Quedlinburger Kapitel an den späteren kaiserlichen Kommissar Graf Anton Günther von Schwarzburg-Sondershausen (15. Aug. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 420r-425r. Friedrich I./III. widersprach daher auch den Plänen zur Anwendung des jus devolutum gegenüber seinem Wiener Agenten (28. Febr. 1708): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1708. Hierzu gehörte neben dem Gesandten des Stifts und des Kurfürst-Königs auch noch der Gesandte des sächsischen Kurfürsten als Direktor des corpus und der Gesandte des Herzogs von Holstein-Gottorf, dessen Schwester 1708 und 1710 gegen den Widerstand von Kaiser und König zur Quedlinburger Äbtissin gewählt wurde. Die Kapitularinnen baten den sächsischen Kurfürsten um Instruktionen für seinen Gesandten in Regensburg, damit das freie Wahlrecht des Stifts verteidigt würde. Quedlinburger Kapitel an Kurfürst Friedrich August I./II. von Sachsen (30. März 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 308r-320r. Auch an den Kurfürsten von Mainz erging die Bitte, das Stift bei der künftigen Reichstagssitzung zu konservieren. Quedlinburger Kapitel an Kurfürst Lothar Franz von Schönborn (4. April 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 323r-324r. Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer (30. April 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 343r-344v.

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hinderung und scrupel in den wege gelegt und die sache schwer gemacht werden möchte.93 Am corpus evangelicorum gewann man daher ie mehr und mehr das ansehen […], [als] ob […] von Preußischer Seite hierunter auf ein particulier Interesse und dahin abgeziehlet [werde], sich bey der Wahl einer Abtißin etwas zu arrogiren.94 Diese Vermutung wurde durch die weiteren Schritte der preußischen Partei bestärkt. Als Nächstes intrigierten Friedrich I./III. und seine Vertreter gegen die Quedlinburger Dekanissin und Kanonissin, zwei Gräfinnen von Schwarzburg-Sondershausen, die nach dem Tod der letzten Äbtissin den stiftischen Widerstand gegen den preußischen Schutzherrn aufrecht erhielten, und versuchten sie ihres Stimmrechtes zu berauben: Sie warfen ihnen vor, sie hätten bißher per manifestam conspirationem diese Wahl aufgehalten, indem sie es dahin zu richten suchten, daß die vacanz länger continuire oder eine Abbatißin nach ihrer caprice erwehlet werde. Daher solle am corpus geprüft werden, ob ihnen nicht ihr Wahlrecht wegen Konspiration abzuerkennen sei.95 Auf diese Weise sollten die widerspenstigen Kapitularinnen außer Gefecht gesetzt werden, damit die preußenloyale Pröpstin von Königsmarck alleine eine neue Äbtissin bestimmen konnte. Mit dieser Kampagne gelang es Friedrich I./III. und seinem Gesandten, das corpus zum Jahresende 1708 aufzuspalten.96 Den Ausschlag für die Haltung der evangelischen Reichsstände in dieser Angelegenheit gab schließlich der kursächsische Direktor, dessen Vertreter die anderen evangelischen Stände in Regensburg erwarteten.97 Friedrich August I./II. von Polen und Sachsen und seine Räte verfolgten eine zweigleisige Strategie, um sowohl dem preußischen König nicht zu nahe zu treten, dem man in einer Zusatzerklärung beim Verkauf der Quedlinburger Schutzherrschaft seinen Beistand zugesichert hatte, als auch dem Kaiser keine weitläufigen Zugriffsrechte auf das Quedlinburger Stift zu gewähren. Demnach sollte zwar der Anspruch des Kaisers auf das jus devolutum untergraben und dafür Sorge getragen werden, daß der Reichs=Hofrath, in die ____________ 93

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Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer (14. Mai 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 349r-350v. Bericht des kursächsischen Gesandten am Corpus Evangelicorum Georg von Werthern (16. April 1708): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 2982/4. Berichte des Reichstagsgesandten Scheffer (24. Sept. u. 1. Okt. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 454r-455v; ganz ähnlich ein weiterer Bericht Scheffers (8. Okt. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 476r-477v. Stimmungsbild des bremisch-schwedischen Reichstagsgesandten Justus Heinrich von Storren gegenüber Herzog Christian August von Holstein-Gottorf, dem Bruder der späteren Gegenkandidatin auf das Amt der Äbtissin (10. Dez. 1708): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380II. Ebd.

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protestirende Stifter, die Hand nicht einschlage, darüber hinaus wollte man sich aber aus dem Wahlgeschäft heraushalten und sich von denen Preussischen juribus zu Quedlinburg und deren Agnition, mit behutsamen Fleiße abstrahiren.98 Somit verhinderte nicht zuletzt die Parteilichkeit des preußischen Königs ein Engagement des corpus in der Quedlinburger Wahlsache. Hinzu traten vermutlich ebenso äußere Einflüsse wie der noch andauernde Spanische Erbfolgekrieg oder der Nordische Krieg, welche die evangelischen Reichsstände beschäftigten und eine eindeutige Parteinahme gegen die Politik des Kaisers verhinderten.99 Denn genauso wie der Reichstag selbst war das Handeln des corpus evangelicorum sowohl von internen politischen Konstellationen als auch von außen einwirkenden Einflüssen stark geprägt.

Umstrittene Kreisstandschaft Im Vergleich zu ihren Amtskolleginnen aus Herford und Quedlinburg zog es die Essener Äbtissinnen vor allem in der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts weniger an den Reichstag nach Regenburg als vielmehr an den Kreistag des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises, der zunächst an wechselnden Orten, später nur noch in Köln tagte.100 Die Reichskreise dienten seit ihrer Einführung 1495/1521 zur regionalen Durchsetzung reichspolitischer Entscheidungen wie der Besetzung des Reichskammergerichtes, der Exekution von Reichsgerichtsurteilen, der Verteidigung nach außen, aber auch dem Einzug der Reichsabgaben.101 Reichspolitik, welche die konkreten Verhältnisse vor Ort betraf, wurde daher vor allem in den Kreisen verhandelt. Anders als auf dem Reichstag fiel ____________ 98

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Instruction für den kursächsischen Reichstagsgesandten Georg von Werthern (28. Jan. 1709): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8963/15. Vgl. hierzu die Argumentation von Gabriele Haug-Moritz. Sie stellte fest, dass das corpus evangelicorum überhaupt nur dreimal als corpus politicum in das Reichsgeschehen eingriff: zuerst in den Jahren zwischen 1715 und 1725. Als Voraussetzungen hierfür nennt sie erstens die zunehmende Dominanz Brandenburg-Preußens und Kurhannovers, zweitens das Ende des Spanischen Erbfolgekrieges, womit der fast 50-jährige Druck weggenommen worden sei, „der die Reichsstände immer wieder an die Seite des Kaisers geführt hatte“, und drittens die starke kaiserliche Präsenz im Reich unter Karl VI. HAUGMORITZ, Corpus Evangelicorum, S. 201-203, Zitat S. 202. Vgl. NEUHAUS, Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis; SCHNEIDER, Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis. Siehe zur Entstehung, Verfassung und Entwicklung der Reichskreise DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des alten Reiches; DERS., Die deutschen Reichskreise.

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den kleinen Reichsständen wie der Äbtissin von Essen auf Ebene des Kreises zudem ein größeres Maß an Mitbestimmung zu. Denn hier nahm jeder Kreisstand eine Stimme für sich wahr. Im Verbund mit anderen Kreisständen ergab sich daraus ein nicht zu vernachlässigendes Gegengewicht zu den anderen mächtigen Kreisständen. So beispielsweise Ende des 18. Jahrhunderts, als die Essener Äbtissin gemeinsam mit dem Bischof von Paderborn gegen den Kurfürsten von Köln und den Pfalzgrafen von Neuburg im Hinblick auf das Präsentationsrecht eines Assessors am Reichskammergericht opponierte.102 Kurfürst und Pfalzgraf hatten als Kreistagsdirektoren dieses Recht für sich allein beansprucht und stießen dabei aber auf den anhaltenden Widerstand von Äbtissin und Bischof, die ihre Interessen gegenüber solchen Eigenmächtigkeiten zu verteidigen suchten.103 Hier handelte es sich sowohl um den Versuch, durch die Beförderung eines eigenen Kandidaten unter Umständen seine Chancen in künftigen Prozessen am Reichskammergericht zu verbessern, als auch um den Willen, sich der Zurückdrängung kreisständischer Partizipation zu Gunsten des Kreisdirektoriums zu widersetzten. Die regionalen Themen, die Nähe der verschiedenen Tagungsorte sowie die Anwesenheit aller am Stift Essen interessierten regionalen Herrschaftsträger machten den Kreistag somit zu einem Forum für die Wahrung der Stiftsinteressen. Vor Ausbruch des Spanisches Erbfolgekrieges, der den Kreistag zwischen 1701 und 1713 nachhaltig beschäftigte, diente die Kreisversammlung der Essener Äbtissin als Plattform, um sich gegen die erdrückenden Unterhalts- und Einquartierungskosten des kurbrandenburgischen Militärs zu wehren. Ihr Gesandter suchte vor Ort Unterstützung bei den weiteren Kreisständen.104 Das Ergebnis war der kurfürstliche Befehl zum Abzug der brandenburgischen Truppen, mit dem Kurfürst Friedrich Wilhelm einem Kreistagsbeschluss zuvorkam.105 Während des Spanischen ____________ 102

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Wilhelm Anton von Asseburg, Bischof von Paderborn, an Maria Kunigunde von Sachsen (24. Dez. 1780): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 648. Kurbayerischer Rat Matthäus Carl Anton von Vieregg an den Kurtrierer Oberstallmeister und Geheimen Rat Freiherr von Duminique (27. Mai 1782) sowie Kammerrichter Graf Franz Joseph von Spaur an Maria Kunigunde von Sachsen (31. Dez. 1782): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 648. Der Kammerrichter bedauerte gegenüber der Äbtissin, dass die Streitigkeiten wegen des Präsentationsrechtes nicht gütlich beigelegt werden konnten. Berichte des Essener Kreitstagsgesandten Coci (Juli 1671): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 641. Bericht des Essener Kreistagsgesandten Coci (3. Aug. 1671): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 641.

5.1. Partizipieren

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Erbfolgekrieges diente der Kreistag sowohl dem Informationsaustausch über den Verlauf der kriegerischen Handlungen, die in direkter Nähe stattfanden, als auch der Sicherstellung der Verteidigungsmaßnahmen für das Stift.106 Danach fand die Äbtissin dort Unterstützung für ihre Pläne, ein eigenes Kreiskontingent zu unterhalten, anstatt sich vom preußischen König militärisch vertreten zu lassen. Trotz preußischen Protestes gab der Kreistag diesem Gesuch statt.107 Die Essener Äbtissinnen setzten demnach in Krisensituationen wie im Krieg oder bei der Konkurrenz um Herrschaftsrechte häufig auf Hilfe und Beistand aus der Region. Dies änderte sich offenbar, als die Äbtissinnen im 18. Jahrhundert nicht mehr aus den regional ansässigen Reichsgrafen-, sondern aus weiter entfernten Fürstengeschlechtern stammten. Die Überlieferung der Essener Kreistagsakten weist hier große Lücken auf.108 Sie nutzten stattdessen andere Plattformen wie den Reichshofrat, um sich gegen Übergriffe durch Dritte zur Wehr zu setzen. Interessenvertretung und Hilfesuche am Kreistag setzten jedoch voraus, dass die Äbtissinnen der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte auch als Kreisstand anerkannt und zu den Kreistagen eingeladen wurden. Beides wurde den Herforder Äbtissinnen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederholt durch den brandenburgischen Kurfürsten und seine Vertreter bestritten. Vor allem im Konflikt um die obrigkeitliche Stellung im Stift zwischen Friedrich I./III. und Charlotte Sophie von Kurland avancierte die Reichsstadt Köln als Tagungsort des Kreistages zum Nebenschauplatz des Herrschaftskonfliktes. Trotz des umfangreicheren Mitspracherechtes der kleinen Reichsstände wurden insbesondere die norddeutschen Reichskreise zunehmend durch mächtige Fürsten dominiert. So waren der Kurfürst von Brandenburg, später König in Preußen, der Kurfürst von Hannover oder der Kurfürst von Sachsen durch den Erwerb verschiedener Territorien über Erbgänge oder die Säkularisierung geistlicher Territorien in verschiedenen Reichskreisen mit mehreren Stimmen vertreten.109 Im Niederrheinisch____________ 106

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Vgl. z. B. die Stiftsakten zum Kreistag 1701 in Dortmund und Köln: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 643 u. 644. Darin geht es unter anderem um das Hilfegesuch des Stifts Thorn, das von spanischen Truppen überfallen wurde, oder die Aufstellung und Unterhaltung des Kreisheeres. Kreistagsprotokoll (18. Mai 1715): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 654. S. u. Kap. Bürde und Würde. Vgl. deren Überlieferung in Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 640-650. Bei weitem weniger eindeutig waren die Verhältnisse beispielsweise im Schwäbischen und Fränkischen Reichskreis, in denen die mindermächtigen Reichsstände in der Überzahl waren. Vgl. WUNDER, Der schwäbische Kreis, S. 24; EBNETH, ENDRES, Der Fränkische Reichskreis, S. 46.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Westfälischen Reichskreis war der brandenburgisch-preußische KurfürstKönig unter anderem als Graf von Ravensberg, Fürst von Minden, Herzog von Kleve, Graf von der Mark sowie Inhaber weiterer kleinerer Herrschaften stimmberechtigt.110 Darüber hinaus hatte er gemeinsam mit dem Bischof von Münster und dem Herzog von Jülich-Berg (Pfalz-Neuburg) das Kreisdirektorium und damit den Vorsitz im Kreis inne. Diesem Kreisdirektorium oblagen die Einladung zum Kreistag, die Festsetzung der Tagesordnung, der Vorsitz sowie die gesamte Administration und der Briefverkehr des Kreises. Dadurch wuchs dem Kurfürsten von Brandenburg bzw. preußischen König ein enormer Einfluss auf das Kreistagsgeschehen zu, den er im Konflikt mit der Herforder Äbtissin auszuspielen wusste. Das Herforder Stift war bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verschiedene Male nicht zum Kreistag geladen worden.111 Zwar hatte die von 1667 bis 1680 regierende Äbtissin Elisabeth von der Pfalz ihren Vetter Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg davon überzeugen wollen, dass Ihm dardurch [gemeint ist ihre Einladung zum Kreistag, Anm. d. Verf.] nichts abgehet, sondern viel mehr noch eine stimme zufallet, weil Ich und mein nachfahren an diesem Stift nimer so unsinnig sein konen ein votum zu fuhren daß Er und dero ChurErben (von deren schutz sie alle Ihro wohlfahrt zugewarten haben) interesse zu wieder were.112

Aber auch mit diesem diplomatischen Schachzug hatte sie weder die Nichtberücksichtigung des Stifts bei der Einladung zum Kreistag 1671 noch den dadurch geschaffenen Präzedenzfall verhindern können. Auf dessen Grundlage wurden die Gesandten ihrer späteren Nachfolgerin Charlotte Sophie von Kurland im Herbst 1697 vom Kreistag ausgeschlossen. Im Beschluss des Kreisdirektoriums heißt es dazu, daß die Directores denen vorigen, undt zwahr absonderlich Anno 1671. undt 1682. gebrauchten Auffruffungszettulen nachgesehen, undt dabey befunden hetten, daß Hervordt iedesmahl außgelaßen wäre, undt also auch nuhmehro nicht mit auffgeruffen werden könte,

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Vgl. NEUHAUS, Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis, S. 84f.; DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise, S. 298. 1671 und 1682. Elisabeth von der Pfalz an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (19. Aug. 1671): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 98.

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iedoch mit dem anhang, daß dem Stift Hervordt die etwas competirende rechtsamb vorbehalten pleiben solte.113

Die Herforder Vertreter hatten die kritische Untersuchung der Kreisstandschaft des Stifts selbst zu verantworten, indem sie im Sitzstreit mit der Äbtissin von Thorn, den Fürsten von Nassau und den Grafen von Ostfriesland Protest angemeldet hatten.114 Solche Sitzplatzstreitigkeiten waren keine Seltenheit, sondern typisch für die frühneuzeitliche, ständische Gesellschaft. Die Funktion der Sitzordnung oder Reihenfolge der Stimmabgabe in den Beratungen am Kreis- oder Reichstag erschöpfte sich nicht darin, die Rangordnung der Anwesenden abzubilden, sondern sie wurde in actu jedes Mal aufs Neue hervorgebracht. Sitzplatzstreitigkeiten waren demnach Rangstreitigkeiten. Die Herforder Äbtissin durfte nicht kampflos auf ihren Vortritt vor der Äbtissin von Thorn verzichten. Ansonsten büßte sie dauerhaft ihre Vorrangstellung ein.115 Der Informationsaustausch, der nach dem Eingang des Herforder Protestes zwischen den kurbrandenburgischen Kreistagsgesandten, den Räten in Berlin und den Regierungsvertretern in der Grafschaft Ravensberg stattfand, zeugt davon, dass man sich auf kurbrandenburgischer Seite gar nicht sicher war, ob der Herforder Äbtissin Sitz und Stimme am Kreistag zustehe oder die Kreisstandschaft mit der Cession an den Herzog von Jülich, Kleve und Berg und damit den Kurfürsten übergegangen sei.116 Erst der Landdrost der Grafschaft Ravensberg Bussche, in dem die Äbtissin Unsers Stifts u deßen Reichsstandschaft notorie abgesandten feind sah,117 verneinte entschieden den Anspruch des Stifts.118 Dabei ließ er ein anders lautendes

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Bericht der Kreistagsgesandten an Charlotte Sophie von Kurland (15. Nov. 1697): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 98. Instruktionen für die Herforder Abgesandten zum Kreistag nach Köln (26. Okt. 1697): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 98. Zu Rangstreitigkeiten vgl. NEUHAUS, Der Streit um den richtigen Platz; STOLLBERGRILINGER, Zeremoniell als politisches Verfahren. Die kurbrandenburgischen Abgesandten am Kreistag an die Geheimen Räte zu Berlin (Okt. 1697) und deren Antwort (6./16. Nov. 1697): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3133. S. Auszug aus dem Kreisdirektorialprotokoll (16. Mai 1671), schriftlicher Protest von Seiten des Herforder Stifts (25. Sept. 1702) sowie Memorial zur Verteidigung der Kreisstandschaft des Stifts (4. Sept. 1702) (Zitat): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 98. Gutachten des Landdrosten Clamor von dem Bussche (18./28. Nov. 1697): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3133.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Gutachten unter den Tisch fallen.119 Die nächsten Jahre waren durch das beständige Ringen zwischen der Nichtberücksichtigung des Stifts bei der Ausschreibung des Kreistages sowie dem Protest der Äbtissin dagegen gekennzeichnet.120 Die Begründung für ihren hartnäckigen Protest gaben Charlotte Sophie und ihre Ratgeber selbst, indem sie auf die enge Verbindung von Kreis- und Reichsstandschaft verwiesen. So dienten der Äbtissin in einem Protestschreiben an das Kreistagsdirektorium nicht nur die regelmäßige Einladung zu Kreis-, sondern auch zu Reichstagen sowie die Tatsache, dass das Stift noch bey fürwehrendem Reichs Convent zu Regenburg ohne Jemand Contradiction in obgemelter qualität durch eines gevollmächtigten seine votum et Sessionem biß auff gegenwertige Stunde bekleidet, als Argument, um ihre Einladung einzufordern.121 Gaben sie und ihre Vertreter ihre Protesthaltung auf, konnte sich dies auch nachteilig auf die Reichsstandschaft auswirken. Die parallel geführte Auseinandersetzung zwischen Äbtissin und brandenburgischpreußischem Schutzherrn um die superiorität im Stift, deren Wellen mit der Publikation des Apologetische[n] Gegenpatent[es] bis an den Kreistag schlugen, legen zudem nahe, dass die Beeinträchtigung der Kreisstandschaft durch die brandenburgisch-preußischen Vertreter ein weiteres Aktionsfeld darstellte, um das Stift zu subjugiren und übern hauffen zu werffen.122 Trotz der wiederholten Proteste blieb es dabei, mit Ausnahme von 1705 wurde die Herforder Äbtissin de facto seit 1697 nicht mehr zum Kreistag eingeladen.

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Regierungsrat Pott an Friedrich I./III. (5. Dez. 1697): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3133. Protestschreiben liegen aus den Jahren 1701, 1702, 1707, 1708, 1710, 1711 und 1713 vor in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 98. Protestschreiben der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland an das Kreistagsdirektorium (25. Sept. 1702): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 98. ABGENÖTIGTES APOLOGETISCHES GEGEN=PATENT (22. Dez. 1703): Münster LAV W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Bereits 1703 angefertigt, hielt Charlotte Sophie die Druckschrift zunächst unter Verschluss, um die Mediation ihres Schwagers Landgraf Karl von Hessen-Kassel im Streit zwischen ihr und Friedrich I./III. nicht zu gefährden. Erst, als die Vermittlung kurz vor dem Scheitern stand, wurde die Druckschrift 1705 am Kreistag veröffentlicht. Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (10. Mai 1704): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118 sowie Charlotte Sophie von Kurland an Karl von Hessen-Kassel (30. Dez. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119.

5.1. Partizipieren

417

Bürde und Würde Neben der kaiserlichen Belehnung und der Wahrnehmung von Sitz und Stimme auf Reichs- sowie Kreistagen war die Partizipation aller Stände an den Reichslasten der vierte konstitutive Aspekt im Hinblick auf die Reichsstandschaft. Dies beinhaltete sowohl finanzielle als auch militärische Verpflichtungen. Hierbei handelte es sich zum einen um ständige Abgaben wie den Kammerzieler zur Finanzierung des Reichskammergerichtes,123 zum anderen um unregelmäßige, situativ vom Reichstag verabschiedete extraordinaria zur Finanzierung von Reichskriegen, Satisfaktionsgeldern wie nach dem Dreißigjährigen Krieg oder der Verteidigung des Reiches wie die Türkenhilfe.124 Wer wie viel zu den Reichslasten beitragen musste, wurde erstmals 1521 in der Wormser Matrikel schriftlich festgelegt. Demnach musste die Äbtissin von Quedlinburg gemeinsam mit der umliegenden Stadt einen Soldaten zu Ross und zehn Soldaten zu Fuß sowie 180 Gulden stellen, die Äbtissin von Essen mit der Stadt zwei zu Ross und 13 zu Fuß sowie 120 Gulden und schließlich die Äbtissin von Herford gemeinsam mit der Stadt keinen zu Ross, aber zehn zu Fuß und 60 Gulden.125 Damit bestätigte die Wormser Reichsmatrikel von 1521 ebenso wie die Reichsmatrikel des Nürnberger Exekutionstages von 1663 die Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft der hier behandelten Äbtissinnen. Denn mit der Wormser Matrikel schloss sich der Kreis der Reichsstände allmählich gegenüber anderen ständischen Gruppen ab. Die Verzeichnung in der Matrikel wurde daher vielmals als Nachweis für die Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft geltend gemacht, so auch durch die Äbtissinnen im Streit um ihre obrigkeitlichen Rechte. Als der brandenburgische Kurfürst Ende der 1670er Jahre den Plan fasste, von den Herforder Geistlichen eine Kopfsteuer zu erheben, widersetzte sich die amtierende Äbtissin diesem Vorhaben mit Verweis auf den reichsunmittelbaren und reichsständischen Status ihres Stifts. Die eigenständige Abführung der Reichsabgaben samt Quittungsbelegen sowie die Verzeichnung in der Reichsmatrikel dienten ihr unter anderem als Argu____________ 123 124

125

Vgl. HENNIG, Kammerzieler. Vgl. z.B. die proposition, desß Römischischen Kayserlichen Principal Comissary, Bischoffens zu Saltzburg, an das Reichsconvent zu Regensburg, in puncto assistentiae contra Turccam, den 14/24 Juli 1663: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 84. Vgl. PELIZAEUS, Reichskriegsverfassung. Reichsmatrikel von 1521, in ZEUMER (Bearb.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, S. 313-316.

418

5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

mente.126 Jedoch blieb die Registrierung in der Matrikel ein umstrittenes Kriterium und wurde in den Auseinandersetzungen zwischen der Herforder Äbtissin und dem preußischen König auch nicht als solches anerkannt, weil die verzeichneten Beitragszahler auch durch andere Reichsstände in ihren Rechten abgelöst werden konnten.127 Diese Gefahr bestand insbesondere dann, wenn einzelne Reichsstände nicht in der Lage waren, ihren Anteil an den Reichslasten zu tragen. Im Herforder Stift sammelten sich ebenso wie in den Stiften Essen und Quedlinburg im 17. und 18. Jahrhundert regelmäßig rückständige Zahlungen zu den Reichsabgaben an.128 Anfang der 1650er Jahren drohte in Herford gar die Execution wegen fehlender Beiträge zu den schwedischen Satisfaktionsgeldern nach dem Dreißigjährigen Krieg.129 Gemeint ist die gewaltsame Eintreibung der ausstehenden Gelder durch den brandenburgischen Kurfürsten als Mitglied des Niederrheinisch-Westfälischen Kreisdirektoriums, dem die Aufsicht über die Ableistung der Reichsbeiträge oblag. Die Herforder Äbtissin hatte dabei sowohl mit der Höhe der Beiträge, die sich an der ursprünglich gemeinsamen Veranschlagung von Stift und Stadt orientierten, an der sich die Stadt als unterworfene brandenburgische Landstadt ____________ 126

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Denkschrift der Herforder Äbtissin Elisabeth von der Pfalz (6. Mai 1677): Münster LAV NRW W Herford Akten Nr. 112. Mit der Abfassung dieser Druckschrift reagierte das Umfeld der Äbtissin auf ein Anschreiben der kurbrandenburgischen Minister, indem sie der Äbtissin nicht nur das jus collectandi, sondern jegliches jus territorii absprachen. Kurbrandenburgische Minister an Elisabeth von der Pfalz (14. Mai 1677): Münster LAV NRW W Herford Akten Nr. 112. Weitere Beispiele ließen sich sowohl aus der Regierungszeit der späteren Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland als auch aus dem Quedlinburger Stift zusammentragen. In jedem Fall ging es in erster Linie um die Verteidigung der obrigkeitlichen Stellung der Äbtissin sowie ihres reichsunmittelbaren und reichsständischen Status. S. Notata Ihrer Hochfürstl. durchl. der Frau Aebtissin zu Herford, gebohrner Herzogin zu Churland ppp. auf Der Königl. Preussischen zur fürstl. Caßelischen Mediation Deputirter Räthen eingebrachte so genandte, kurtze beantwortung der fürstl. Herfordischen Gravaminum [1704]: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119; WOHLGEGRÜNDETE ANMERCKUNGEN, S. 3-5. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Die zeremonielle Inszenierung des Reiches, S. 237; die Auseinandersetzung der kurbrandenburgischen Räte Ilgen und Huss mit den Gravamina der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (10. Juni 1704): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. S. eine vom Reichskammergericht erstellte Liste aller säumigen Reichsstände aus den Jahren 1717 bis 1721: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 68. Elisabeth Luise von Pfalz-Zweibrücken an die brandenburgische Regierung zu Kleve (29. Dez. 1653), die in Vertretung des Kurfürsten als Kreisausschreibenden Fürsten die Beiträge abführte: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 13.

5.1. Partizipieren

419

jedoch nicht mehr beteiligte, als auch mit den Widerständen der Geistlichkeit zu kämpfen.130 In Ermangelung einer umfangreichen Untertanenschaft waren es die dem Stift inkorporierten geistlichen Gemeinschaften, die zu den Reichsabgaben ihren Teil beisteuern mussten. Diese verweigerten sich jedoch im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts wiederholt.131 Daher bemühte sich zunächst Elisabeth Luise von Pfalz-Birkenfeld sowie später dann ihre Nachfolgerin Charlotte Sophie von Kurland um die Verringerung (Moderation) der Reichsbeiträge des Stifts auf dem Reichstag.132 Nach ihren jeweils langjährigen Bemühungen wurde der Stiftsbeitrag von sechs auf drei und dann zwei Fußsoldaten moderiert.133 Sowohl dem Ersuchen um Moderation des Beitrags als auch der Anhäufung von Rückständen wohnte eine latente Gefahr für den Anspruch auf Reichsunmittelbarkeit des Stifts inne. Während die Partizipation an den Reichslasten konstitutiv für die Reichsunmittelbarkeit war, die durch die Bitte um Moderation auch nicht in Frage gestellt werden sollte,134 ermöglichten die rückständigen Zahlungen dem brandenburgischen Kurfürsten als militärischem Helfer des Kaisers und Nutznießer der Abgaben, von außen ____________ 130

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In den 1660er Jahren weigerte sich beispielsweise das Stift auf dem Berge, seinen Anteil am Kammerzieler sowie zum Unterhalt des stiftseigenen Prokurators am Reichskammergericht zu leisten. In den 1720er Jahren war es dann das Kapitel auf der Neustadt, dass sich wegen seiner zunehmenden personellen Eingliederung in den Untertanenverband der Grafschaft Ravensberg nicht mehr verpflichtet fühlte, seinen Beitrag zu den Reichsabgaben des Stifts zu übernehmen. Vgl. Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 2 u. 77. Hierzu zählten das Kapitel des Stifts, das Kapitel auf der Neustadt, das niederadelige Damenstift auf dem Berge, das Frater- und Süsterhaus. Die Abgaben wurden durch vier geteilt: Den ersten Teil übernahm die Äbtissin, den zweiten das Stiftskapitel, den dritten das Kapitel auf der Neustadt und den vierten Teil trugen zu je einem Drittel Stift auf dem Berge, Frater- und Süsterhaus. S. die Notifikation der Äbtissin an die Geistlichkeit wegen den zu beschaffenden Reichsbeihilfen im Krieg gegen Frankreich (11. Jan. 1690): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 77. S. Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 86 u. 89. S. ein Verzeichnis aller am Reichstag eingereichten Schreiben des Herforder Gesandten zwischen 1663 und 1691, in Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 37. Scheinbar hatte bereits zuvor eine Moderation des Beitrags stattgefunden, weil immer von sechs, nicht wie in der Wormser Matrikel von zehn Fußsoldaten als Ausgangspunkt die Rede ist. S. Memorial des Reichstagsabgeordneten Scheffer an die versammelten Reichstagsgesandten (5. Jan. 1690): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 56. Die Reichsstände wurden aufgefordert, sich beim Kaiser dafür einzusetzen, die rückständigen Römermonate des Stifts zu erlassen und den Beitrag des Stifts insgesamt zu verringern.

420

5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

in die Belange des Stifts einzugreifen. Per kaiserlicher Anordnung wurde ihm wiederholt die Eintreibung der ausstehenden Gelder (Execution) aufgetragen.135 Zwar blieb auch die Execution im Sommer 1690 ohne weitreichende Folgen im Herforder Stift,136 sie hätte aber unter anderen Umständen als Einfallstor für machtpolitische Begehrlichkeiten des Executors dienen können. Die evidenten Schwierigkeiten aller drei hier behandelten Stifte bei der Ableistung ihrer Reichsabgaben bot ihrem seit 1698 gemeinsamen Schutzherrn die Möglichkeit, nicht nur situationsbedingt als kaiserlicher Kommissar und Executor, sondern permanent in die finanziellen Angelegenheiten der Stifte einzugreifen. Dies geschah entweder, indem er von vornherein das Recht auf Eintreibung der Abgaben (jus collectandi) für sich beanspruchte wie Mitte der 1660er Jahre in Herford oder indem er die ausstehenden Gelder, gefragt oder ungefragt, aus seiner Kasse zahlte.137 Ähnliches befürchteten die Quedlinburger Kapitularinnen im Jahr 1717. Daraufhin entschuldigte ihr Anwalt bei Kaiser und Reichshofrat die fehlenden Gelder, begründete den Umstand mit dem schlechten finanziellen Zustand des Stifts, das unter Akzise, Einquartierungen und Servicegeldern litt, und versicherte deren allmähliche Erstattung. Gleichzeitig bat das Kapitel nachdrücklich darum, die Gelder nicht vom preußischen König in Vertretung anzunehmen, weil eben das jus collectandi der Reichssteuern ein Vorrecht des Stifts sei.138 Schon der einmalige Verzicht auf das jus collectandi der Reichsabgaben und dessen Übertragung auf einen Dritten konnte einen Präzedenzfall schaffen und dessen endgültigen Verlust bedeuten. Aufgrund der konstitutiven Bedeutung des jus collectandi für den reichsunmittelbaren und reichsständischen Status von Äbtissin und Stift musste sich ein solcher Verlust zwangläufig destabilisierend auf ihre Landeshoheit, Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft auswir____________ 135

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Sowohl Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg war Mitte der 1650er Jahre als auch sein Sohn Friedrich I./III. Anfang 1689 mit der militärischen Eintreibung der Reichsabgaben des Stifts beauftragt worden. S. Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 13 u. 47. Verhaltungsbefehl der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland an ihre Räte und Untertanen bei Eintreten der Execution (4. Juli 1690): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford 47. Sie ordnete an, der Execution zwar Folge zu leisten und die Gelder auszuzahlen, jedoch nicht ohne gegen das Vorgehen zu protestieren. Sowohl die Räte als auch der Klerus kamen dieser Anordnung nach. S. Proteste der Stiftsräte (12. Aug. 1690) und des Klerus (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 47. Elisabeth Luise von Pfalz-Zweibrücken an die brandenburgische Regierung zu Kleve (25. Nov. 1664): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 56. Vgl. Memorial des Quedlinburger Kapitels an Kaiser Karl VI. (2. März 1717): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur K. 996/7.

5.1. Partizipieren

421

ken.139 Rückständige Reichssteuern bargen daher immer die Gefahr der stillschweigenden Mediatisierung der Stifte. Reichsabgaben wurden nicht nur in monetärer Form gezahlt, sondern auch in Naturalien und in Soldatenkontingenten gestellt. Dies traf im 18. Jahrhundert nur auf das Stift Essen zu, dass zwischen 1716 und 1793 ein 26 Mann starkes Kreiskontingent unterhielt. Nachdem die Essener Äbtissin zwischenzeitlich die militärische Vertretung des Stifts im Spanischen Erbfolgekrieg dem preußischen König überlassen hatte, bestritt dieser in der Folge wiederholt das Recht des Stifts, sein [Manschafftscontingent] in natura selbst zustellen.140 Im Polnischen Erbfolgekrieg versuchte er seine militärische Vertretung dann auch faktisch umsetzen, indem er die geforderten Vertretungsgelder in Form von Gütern, Renten und Gefällen konfiszieren ließ. In dieser Situation schaltete die amtierende Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach den Kaiser ein und beklagte, dass sie unter diesen Umständen kaum mehr in der Lage sei, ein eigenes Kreiskontingent aufzustellen.141 Daraufhin verbot das Reichsoberhaupt dem preußischen König von obtragenden Kayßln Obrist lehen Herr= und höchst richterlichen AMbts wegen die Konfiskation von Stiftsgütern, um zu verhindern, daß ein getreuer Reichststand zu künftigen Reichs und Creyß praestandie durch doppelte last nicht gäntzlich entkräfftet werde.142 Auch wenn die norddeutschen Damenstifte in der Frühen Neuzeit in der Regel eher auf kaiserliches Desinteresse stießen, so war deren Zahlungsfähigkeit im Fall eines Reichskrieges wie dem Polnischen Erbfolgekrieg, in dem es auch um österreichische Hausmachtinteressen ging, angesichts ihres verhältnismäßig hohen Quantums von nicht zu vernachlässigender Bedeutung. Die Reichsäbtissinnen griffen folglich argumentativ darauf zurück, um die Aufmerksamkeit des Kaisers auf die bedrängte Lage ihres Stifts zu lenken. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea warf zum Beispiel in einer ihrer Suppliken an den Kaiser dem brandenburgischen Kurfürsten im Hinblick auf die eigenmächtige Einführung der Akzise vor, nicht nur dem Stift sein jus collectandi zu rauben, sondern auch sie, die Äbtissin, vom Reich zu eximire[n], sie und die Kapitularinnen zu brandenburgischen Unterthanen zu machen und Euer Kayserl. Majest. die Römer=Monate zu entziehen. Sie unter____________ 139 140 141

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Vgl. KORTE, Die staatsrechtliche Stellung von Stift und Stadt Herford, S. 75. Kreistagsprotokoll (18. Mai 1715): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 654. Verschiedene Suppliken von Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach und Stift Essen an den Kaiser (praes. 5. Jan., 17. Jan., 25. Jan. u. 5. Febr. 1735): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei, Kleinere Reichsstände K 97 Essen, fol. 490r-503v. Dehortationsschreiben Kaiser Karls VI. an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (21. Jan. 1736): Wien ÖHStA HHStA Reichskanzlei, Kleinere Reichsstände K 97 Essen, fol. 516r518r.

422

5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

stellte dem Kaiser schließlich, er könne hieraus zur Genüge erkennen […]/ daß die Accise wider Eu. Kayserl. Majest. und des Hei. Röm. Reichs selbst eigenes interesse läufft.143 Leopold I. reagierte, wenn auch nicht sofort, mit dem Erlass kaiserlicher Mandata Inhibitorioria, Cassatoria, & Resitituoria.144 Darin griff er die Vorwürfe der Äbtissin auf und beschuldigte ebenfalls den Kurfürsten, er habe das Stifft nicht allein völlig subjungiret, sich selbst contribuabel, das Stift dem Kaiser aber inutil gemacht und dem Reich völlig/ wiewohl de facto eximiret. Demzufolge verlangte er die Rücknahme der Akzise und forderte Bürgermeister und Stadtrat auf, die Akzise zu verweigern, der Äbtissin zu gehorchen und ihre Schoss-Abgaben sowie die übringen Schuldigkeiten an die Abtei abzuführen. Die häufig beschwerlichen Beiträge zu den Reichsabgaben wurden so von den Äbtissinnen strategisch als Argument angewandt, um den Kaiser für die Belange des Stifts zu engagieren sowie um am Reichshofrat Mandate und Reskripte gegen ihre Gegner zu erwirken. Die Partizipation an den Reichsabgaben war für die wirtschaftsschwachen und untertanenarmen Stifte sowohl Bürde als auch Würde. Sie galt ihnen einerseits als Ausweis ihres reichsunmittelbaren und reichsständischen Status. Andererseits stellte sie die ungleichmäßige Verteilung der Reichslasten zu Ungunsten der geistlichen Territorien vor fast unlösbare Probleme,145 die durch zusätzliche finanzielle Belastungen wie die Quedlinburger Akzise oder die verweigerte Beitragsleistung der Stadt oder der Geistlichkeit noch vergrößert wurden. Die Äbtissinnen waren demnach gezwungen, immer wieder das Spannungsfeld zwischen finanzieller Notlage und reichsständischer Anerkennung auszutarieren.

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Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (31. Juli 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 578r-582v, später gedruckt in AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENES ALLERUNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN. Käyserliches Mandatorum Inhibitoriorum, Cassatoriorum, & Resitituriorum (2. April 1699), abgedruckt in AN IHRE KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON IHRER CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG/ WIDER DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN, fol. 89/35v-89/38v (S. 72-78). Immer wieder standen Zahlungen zu den Römermonaten aus und mussten Zahlungserinnerungen ergehen. S. z.B. für das Stift Herford: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 48, 52; für das Stift Essen: LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 655. Teilweise musste man sogar Geld aufnehmen, das bis zur nächsten Beitragsleistung noch immer nicht abgetragen war. S. hierzu im Stift Herford: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 56.

5.2. Prozessieren

423

5.2. Prozessieren 5.2. Prozessieren

Im Prozess der Territorialisierung fiel es den mindermächtigen Reichsständen immer schwerer, mit den mächtigen Fürsten wie den Kurfürsten von Brandenburg, Sachsen und Hannover Schritt zu halten. Schließlich wurden sie vielfach selbst zum Objekt der territorialen Arrondierungsbestrebungen. Dies galt insbesondere für die Äbtissinnen der beiden evangelischen Stifte Herford und Quedlinburg, deren reichsunmittelbare Herrschaft durch ihren gemeinsamen Schutzherrn, dem Kurfürsten von Brandenburg, später dann König in Preußen, angegriffen und immer deutlicher ausgehöhlt wurde. Die Essener Äbtissin hatte sich eine größere Unabhängigkeit von ihrem ebenfalls preußischen Schutzherrn bewahren können, stritt aber ebenso mit ihm um den Ausbau seiner schutzherrlichen Befugnisse. Erschwerend hinzu kamen innerstiftische Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern der jeweiligen Kapitel und der umliegenden Stadt, die nicht nur zu einer Schwächung von Äbtissin und Stift führen konnten, sondern sich mitunter auch als regelrechtes Einfallstor für die Begehrlichkeiten des Schutzherrn erwiesen.1 In den verschiedenen Konflikten wandten sich die Äbtissinnen aller drei Stifte an den Kaiser als höchsten Richter und Wahrer von Frieden und Recht. Zwar war diese Stellung des Reichsoberhauptes im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts nicht unumstritten, der Anspruch hatte aber bis zur Aufhebung des Reichs 1806 Bestand. Als solchem oblag ihm zum einen die Aufrechterhaltung der Reichsverfassung, in welcher die Existenz und der Besitzstand der kaiserlich frei-weltlichen Stifte mit dem Westfälischen Frieden endgültig eingeschrieben worden waren. Zum anderen fielen ihm die Ahndung von Landfriedensbruch sowie die (letztinstanzliche) Rechtsprechung im Reich zu, zu deren Ausübung im Zuge der Reichsreform die beiden Reichsgerichte, das Reichskammergericht und der Reichshofrat, eingerichtet wurden.2 Die Ursprünge beider Gerichte führen zum mittelalterlichen Hofgericht des Königs zurück.3 Während das Reichskammergericht 1495 jedoch als ständisch dominiertes Gericht eingeführt wurde, das ____________ 1 2

3

S. o. Kap. Gefährliche Uneinigkeit; Verbündete des Schutzherrn. Vgl. zu den beiden Reichsgerichten u.a. BAUMANN, Die Gesellschaft der Frühen Neuzeit; DIESTELKAMP (Hg.), Das Reichskammergericht; DORFNER, Die Reichshofratsagenten; JAHNS, Das Reichskammergericht und seine Richter; OESTMANN, Hexenprozesse; ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers; PETRY, Konfliktbewältigung als Medienereignis; SAILER, Untertanenprozesse; WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung. Vgl. DIESTELKAMP, Vom Königlichen Hofgericht zum Reichskammergericht.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

„die traditionelle Rolle des Kaisers als höchste[m] Richter“ unterwanderte, blieb der später entstandene Reichshofrat „das Organ des Kaisers als des unbestritten höchsten Richters im Reich und von ständischer Mitwirkung unabhängig“.4 Die neutrale Wahrnehmung der rechtswahrenden Aufgaben verlieh der Stellung des Kaisers als Reichsoberhaupt Legitimität. Die zunehmende Verschmelzung von Amts- und Hausmachtinteressen in der Person des Kaisers im 18. Jahrhundert, wie sie bereits im Zusammenhang mit der Belehnung thematisiert wurde, wirkte sich jedoch sowohl auf die Ausübung des höchstrichterlichen Amtes als auch auf die Anerkennung durch die Reichsstände aus.5 Im Fokus der nachfolgenden Überlegungen stehen daher die Modalitäten des kaiser-lichen Schutzes und seiner oberstrichterlichen Qualität sowie deren Nutzen für die mindermächtigen Äbtissinnen angesichts zunehmender territorialer Konkurrenz. Damit einhergehend stellt sich die Frage nach dem Vertrauen der Äbtissinnen in den Kaiser als höchsten Richter sowie den Grenzen dieses Vertrauens.

Vertrauen in den Kaiser Trotz der Ablösung des Kaisers als direktem Schutzvogt noch im Mittelalter blieb er dennoch als oberster Schutzherr Garant und Rückhalt der nicht selten von ihren Vögten bedrohten Konvente. Angesichts des zunehmenden Ungleichgewichts zwischen Äbtissin und Stift sowie ihrem weltlichen Schutzherrn flüchteten sie wiederholt unter den Schutz des Kaisers. Ausweis dessen sind die verschiedenen kaiserlichen Schutzbriefe, die sich die hier behandelten Stifte im Laufe der Frühen Neuzeit wiederholt ausstellen ließen.6 Sie dienten nicht zuletzt dazu, um mächtige Schutzherren wie den Kurfürsten-König von Brandenburg-Preußen in ihre Schranken zu weisen. In der bedrohlichen Situation der brandenburgischen Besetzung 1698 setzte die amtierende Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland während ihres Aufenthaltes in Wien alles daran, ein altes Protectorium zu erneuern,7 um ihre ____________ 4 5 6

7

STOLLBERG-RILINGER, Das Heilige Römische Reich, S. 42f. Vgl. RAUSCHER, Recht und Politik. Vgl. den Abdruck der verschiedenen kaiserlichen protectoria für Quedlinburg in RECHTLICHE DEDUCTION, S. 30-43. Dieses kaiserliche protectorium bezog sich auf den verbrieften Schutz des Kaisers für das Stift Herford. Dieser wurde jeweils nach Herrscherwechseln von den Äbtissinnen neu erbeten. Charlotte Sophie berief sich auf den Schutzbrief Maximilians II. von 1570, der zur Aufrechterhaltung seines kaiserlichen Schutzes verschiedene Reichsfürsten ernannt hatte: den Erzbischof von Köln, den Bischof von Osnabrück, den Herzog von Jülich (in seiner Nachfolge der Kurfürst von Brandenburg), den Herzog von Braunschweig (in sei-

5.2. Prozessieren

425

Immedietät dem Reich zu erhalten.8 Sie baute ebenso wie die Quedlinburger Äbtissin, die zur gleichen Zeit mit dem brandenburgischen Kurfürsten um die obrigkeitliche Stellung im Stift stritt, auf den AllerDurchlauchtigst=Großmächtigst= und Unüberwindlichste[n] Kayser als Reichsoberhaupt, obersten Lehnsherrn und Richter.9 Dabei beklagten beide nicht nur den zunehmend bedrängten Zustand ihrer Stifte, sondern betonten auch die Folgen für das Reich. Die zu befürchtende Unterwerfung beider Stifte unter die Landeshoheit des Kurfürsten von Brandenburg werde neben der Mediatisierung zweier Reichsstände und dem damit verbundenen Schwund an Reichs- und Kreisabgaben vor allem einen Autoritätsverlust für Kaiser und Reich bedeuten.10

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ner Nachfolge der Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg (Hannover) und der Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel) und der Graf zu Lippe. S. LAV NRW W Fürstabtei Herford Urkunden Nr. 1502 und 1603. Diesen Kreis wollte Charlotte Sophie noch um die Könige von Dänemark und Schweden sowie den Bischof von Münster erweitert wissen. S. Bericht des Landdrosten von dem Bussche an Friedrich I./III. (4./14. Febr. 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Bericht des Berliner Residenten in Wien Bartholdi (28. Sept./8. Okt. 1698): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3120. Gedrucktes Schreiben der Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (31. Juli 1699), in AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN ALLERUNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN. Immer wieder betonte die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, dass die Akzise die Abführung von Römermonaten und Kammerzieler unmöglich mache. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (31. Juli 1699), abgedruckt in AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN ALLERUNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN; ebenso (6. Nov. 1699), abgedruckt in CONTINUATION DES WEINENDEN KÄYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG, fol. 90/7v (S. 16); ebenso (15./25. Jan. 1700): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol. 1r-4r. Zum Autoritätsverlust s. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (15./25. Jan. 1700): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol. 1r-4r: Wann ich dann vesichert bin, daß […] Sie nach Dero angebohrnen Clemence und Liebe zur Justice, auch wegen conservation Dero Allerhöchsten Käyserl. Autorität im Reiche dieses so hochbedrängte Stifft nicht hülffloß lassen werden. Der Stiftsrat der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland erklärte deren Flucht nach Wien und ihr Bemühen um die Erneuerung des kaiserlichen protectoriums damit, dass sie die Immedietät des Stifts dem Reich erhalten wolle. Auszug aus dem Bericht des hessischen Reichstagsabgesandten von der Malsburg (29. Aug. 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434.

426

5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Ein Charakteristikum mindermächtiger Reichsstände wie den Äbtissinnen war deren ‚Reichspatriotismus‘.11 Angesichts äußerer Bedrängnis sicherte die Aufrechterhaltung von Reich und Reichsverfassung ihre Existenz. Eine aktive Reichspolitik diente ihnen gleichzeitig als Ausweis ihres bestrittenen reichsunmittelbaren Status. Der Kaiser hatte ebenso ein Interesse daran, das Reich und seine Verfassung zu wahren, von dem auch seine Legitimität und Existenz als Reichsoberhaupt abhing. In den kleinen und geistlichen Reichsständen, die ihn als obersten Lehnsherrn und Richter anerkannten sowie seine reichspolitischen Entscheidungen mittrugen, fand er Rückhalt. Der Kaiser und die mindermächtigen Reichsstände bildeten somit eine Interessengemeinschaft, die jedoch immer wieder durch Interessenkonflikte auf die Probe gestellt wurde – so etwa wenn der Kaiser in einen Zwiespalt zwischen Amts- und Hausmachtinteressen als mächtiger Landesherr geriet.12 Dennoch blieb die Stellung des Kaisers als höchstem Richter bis weit ins 18. Jahrhundert vor allem unter den kleinen und mittleren Reichsständen unangefochten. Er wurde von vielen Prozessparteien „als machtvolle[r] und tugendhafte[r] Herrscher und dabei vor allem als Garant von Recht und Ordnung“ wahrgenommen.13 Diese Wahrnehmung übertrug sich auch auf die Reichsgerichtsbarkeit, deren Neutralität und Effizienz um 1700 ein breites Vertrauen innerhalb der ständischen Gesellschaft genossen.14 Sowohl der Kaiser als auch die Reichsgerichte erfreuten sich laut Aussage Johann Jacob Mosers an Ansehen und Autorität.15 ____________ 11

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15

Vgl. BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 25, 37-41; ARETIN, Reichsverfassung und Mindermächtige, S. 189. Vgl. hierzu die Ausführungen von Bettina Braun. Sie erklärt, dass der unterstellte Reichspatriotismus der geistlichen Staaten nicht mit einem Kaiserpatriotismus zu verwechseln ist. „Die enge Verbindung von Kaiser und geistlichen Ständen bildete keineswegs eine symbiotische Verbindung und damit eine selbstverständliche Grundkonstante der Reichspolitik. Zwar sprach grundsätzlich vieles für diese Verbindung, vor allem die Strukturen der Reichsverfassung, aber ob diese grundsätzlichen Voraussetzungen zum Tragen kamen, hing eben auch ab von den weiteren Bedingungen, denen die Politik der jeweiligen Akteure unterlag.“ BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 40. Ebd., S. 49. Vgl. PETRY, Konfliktbewältigung als Medienereignis, S. 15. Zum Vertrauensbegriff vgl. FREVERT, Vertrauen. MOSER, Von der Teutschen Justiz-Verfassung, Bd. 2, S. 11. Johann Jacob Moser bezog seine Aussage allerdings nur auf den Reichshofrat und betonte in diesem Zusammenhang dessen Bedeutung für den Kayserlichen Respect […] und [dessen] Autorität.

5.2. Prozessieren

427

Zwischen Wetzlar und Wien Zwischen den beiden Reichsgerichten in Wetzlar und Wien fehlte es an eindeutigen Kompetenzabgrenzungen, so dass sich ihre Zuständigkeiten überschnitten: Sie bildeten beide die erste Instanz für alle unmittelbaren Reichsglieder sowie für Landfriedensbruch und Rechtsverweigerung in den einzelnen Territorien, aber auch mittelbare Untertanen konnten sich im Konflikt mit ihren Landesherren an die Reichsgerichte wenden.16 Darüber hinaus fungierten sie als höchste Appellationsinstanzen. Angesichts dieser Kompetenzüberschneidungen wurde vielfach das Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden höchsten Reichsgerichten betont, dass in einigen Fällen auch nicht von der Hand zu weisen ist.17 In diesem Zusammenhang stehen die Bemühungen einzelner Prozessparteien, sogenannte documenta litis pendentia zu erhalten, damit ein Rechtsstreit nicht von der gegnerischen Seite an das andere Reichsgericht gezogen werden konnte, wo man sich gegebenenfalls weniger Erfolgsaussichten ausrechnete. Ein Beispiel hierfür liefern die Auseinandersetzungen zwischen Stift und Stadt Essen. Um 1730 waren die verschiedenen Streitfragen, unter anderem um den ausstehenden städtischen Anteil zu den Reichsabgaben, die Zuständigkeit in Fällen der Matrimonialgerichtsbarkeit und die Verlegung des Hallengerichts an das Rathaus, gleichzeitig sowohl am Reichskammergericht als auch am Reichshofrat anhängig. Während sich die Stadt regelmäßig an das Reichskammergericht wandte, klagte die Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach am Reichshofrat. Dabei nahm sie jedoch keine Rücksicht darauf, ob der Streitgegenstand bereits anderweitig anhängig war. Bürgermeister und Rat der Stadt Essen suchten daher die Unterstützung des preußischen Königs. Er sollte dafür sorgen, dass das Reichskammergericht die widerrechtlich an den Reichshofrat gezogenen Streitfälle zurückholte.18 Bereits einige Zeit zuvor hatten die preußischen Agenten am Reichshofrat den Vorschlag gemacht, dass die Stadtverantwortlichen am Reichskammergericht Mandata de non ____________ 16

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Nicht zuletzt die zahlreichen Forschungen zu Untertanenprozessen haben die zunehmende Beschäftigung der Forschung mit der Reichsgerichtsbarkeit in den vergangenen Jahrzehnten angeregt. Zuletzt BÄHR, Die Sprache der Zeugen (mit weiterführender Literatur). SELLERT (Hg.), Reichshofrat und Reichskammergericht. Bericht des preußischen Kreistagsgesandten Pollmann an Friedrich Wilhelm I. (19. Okt. 1734): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1667, fol. 156r-157r.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

trahendo causam ad alliud forum erwirken sollten.19 Obwohl Bürgermeister und Rat diesen Schritt versäumt hatten, hob das Reichskammergericht teilweise die ergangenen Urteile des Reichshofrates, wie im Fall des Hallengerichtes, wieder auf. Gleichzeitig wurde dort verfügt, dass in Wetzlar anhängige Rechtsfragen nicht nach Wien gezogen werden durften.20 Nichtsdestoweniger zeugen die jüngsten Forschungen, „dass beide Gerichte zusammen gesehen werden müssen – nicht nur in ihrer Konkurrenz, sondern auch in ihrer Komplementarität –, um Bedeutung und Funktion der Höchstgerichtsbarkeit im Alten Reich in ihrem ganzen Ausmaß zu erfassen“.21 Während das Reichskammergericht in der ersten Phase nach seiner Etablierung enormen Zuspruch genoss und mit seiner Prozesspraxis auch für den Reichshofrat stilbildend wirkte,22 gewann der Reichshofrat im 17. und 18. Jahrhundert stark an Zulauf, so dass dessen Frequentierung die des Reichskammergerichtes bald überstieg.23 Grund hierfür war zunächst das allgemein gestiegene Bedürfnis nach rechtlichem Regelungsbedarf.24 Hinzu kamen verfahrensrechtliche Änderungen am Reichskammergericht, welche die Klageführung dort erschwerten,25 sowie (konfessions-)politische Streitigkeiten, welche die Arbeit des Gerichtes wiederholt blockierten.26 Diese Entwicklung lässt sich auch für die Äbtissinnen der hier behandelten Stifte beobachten. Während die Herforder Äbtissinnen des 16. und 17. Jahrhunderts noch überwiegend am Reichskammergericht gegen die Stadt Herford, ihre Untertanen sowie die Regierungen und Untertanen anderer Reichsstände prozessierten,27 wandte sich Charlotte Sophie von Kurland seit ____________ 19

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Berliner Agenten in Wien Brand und Grave an Friedrich Wilhelm I. (23. Sept. 1730): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1702, fol. 160r-163r. Kabinettschreiben an die Regierung zu Kleve (2. April 1735): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1667, fol. 214r. ORTLIEB, WESTPHAL, Höchstgerichtsbarkeit im Alten Reich, Absatz 8. Vgl. WESTPHAL, Der Reichshofrat, S. 129-131. Vgl. ORTLIEB, POLSTER, Die Prozeßfrequenz, S. 196, 213, 206-208. Vgl. ebd., S. 209f. Vgl. WESTPHAL, Der Reichshofrat, S. 128. Eva Ortlieb betont im Vorwort des Aktenverzeichnisses „Die Akten des kaiserlichen Reichshofrates“, dass der Reichshofrat vor allem in Phasen der Blockade des Reichskammergerichtes an Bedeutung gewann. ORTLIEB (Bearb.), Die Akten des kaiserlichen Reichshofrates, Serie I: Alte Prager Akten, Bd. 1, S. 9. Vgl. auch BAUMANN, Die Gesellschaft der frühen Neuzeit, S. 19, 24f.; KAMPMANN, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg, S. 24; STOLLBERG-RILINGER, Das Heilige Römische Reich, S. 43, 70f., 106f. Vgl. Münster LAV NRW W Findbuch A 030 Reichskammergericht.

5.2. Prozessieren

429

Ende des 17. Jahrhunderts ausschließlich an den Reichshofrat.28 Ein ähnliches Bild lässt sich für das Quedlinburger Stift zeichnen. Es konnten für den Untersuchungszeitraum insgesamt nur drei Prozesse ausgemacht werden, welche die Quedlinburger Äbtissin am Reichskammergericht führte.29 Einer richtete sich 1711 gegen den preußischen König, der im Streit um die Wahl Maria Elisabeths von Holstein-Gottorf alle Einkünfte des Stifts beschlagnahmt hatte, um die Regierungspraxis des Stifts zu lähmen.30 Zwar war die langjährige Auseinandersetzung zwischen dem Stift und seinem preußischen Schutzherrn bereits am Reichshofrat anhängig, in diesem konkreten Streitfall war jedoch in Wien keine schnelle Entscheidung zu erwarten, da nach dem Tod Josephs I. der Kaiserthron noch vakant war.31 Die Urteile des Reichshofrats waren aber an den Vollzug des Kaisers gebunden. Deutlich häufiger finden sich indes Klagen gegen die Quedlinburger Äbtissin oder das Stift vor dem Reichskammergericht durch Untertanen.32 Dies gilt ebenso für das Essener Stift. Während die Essener Äbtissinnen im 18. Jahrhundert zunehmend vor dem Reichshofrat Klage gegen die Stadt Essen, die beiden Kapitel sowie die Landstände führten, wandten sich diese Streitparteien weiterhin in innerstädtischen bzw. innerstiftischen Auseinandersetzungen an das Reichskammergericht.33 Diese Feststellungen decken sich mit den Ergebnissen der Forschungen zur höchsten Reichsgerichtsbarkeit, die sowohl einen Rückgang der Prozesse von geistlichen Reichsständen als auch eine hohe Dichte von Untertanenprozessen am Reichskammergericht fest____________ 28

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Im Streit um das Gut Stockum im Hochstift Münster, das zu den Lehnsgütern des Stifts gehörte und von der Äbtissin als Stapelgut beansprucht wurde, klagte Charlotte Sophie von Kurland 1696 zunächst noch am Reichskammergericht. Nachdem sich die Entscheidung dort jedoch verzögerte, erwirkte sie in Wien am Reichshofrat ein Promotorialschreiben (Beförderungsschreiben) des Kaisers Leopld I. an den Kurfürsten von Trier, Johann Hugo von Orsbeck, damit das Verfahren am Reichskammergericht beschleunigt würde. Fortan zog sie es vor, vor dem Reichshofrat Klage zu erheben. S. Münster LAV NRW W Reichskammergericht Nr. H 1119; Wien ÖStA HHStA RHR Grat. Feud. Promotoriales 3-1. In den beiden anderen Fällen ging es um die Beeinträchtigung ihrer Jurisdiktionsrechte durch den Stiftshauptmann sowie Bürgermeister und Rat der Stadt bzw. Bürgermeister und Rat der Stadt. S. Wernigerode LHASA Rep. A 53 lit. Q Nr. 7, 8, 9. Befehl des Stiftshauptmannes von Lüdecke an die Pächter der Abteivorwerke (18. Mai 1711): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 382r-v. Leopold I. wurde erst im Herbst 1711 gewählt und im November 1712 gekrönt. Findbuch Magdeburg LHASA Rep. A 53 Reichskammergericht. S. die Prozessakten in Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur Nr. 249, 251 sowie Düsseldorf LAV NRW R RKG Nr. 1648 (Landstände, Kanonikerkapitel vs. Äbtissin), 1649 (Landstände vs. Äbtissin).

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

gestellt haben.34 Zudem konnte eine starke Hinwendung der Reichsstände, ohne Unterschied der Konfession, an den Reichshofrat im 17. und 18. Jahrhundert nachgewiesen werden.35 Der Fokus der nachfolgenden Untersuchungsschritte liegt daher vor allem auf dem Reichshofrat und wird durch punktuelle Ausführungen zum Reichskammergericht ergänzt.

Mandata, Rescripte und Kommissionen Anders als am Reichskammergericht war das Rechtsverfahren am Reichshofrat an keine starren Prozessregeln gebunden und zeichnete sich stattdessen durch eine flexible Verfahrenspraxis aus.36 Forschungen zum stilus curiae haben jedoch grundsätzlich zwischen zwei verschiedene Prozessarten differenziert: dem ordentlichen und dem summarischen Verfahren.37 Sie unterschieden sich vor allem im Umfang, der zeitlichen Dauer und verschiedenen Verfahrensschritten. Darüber hinaus verfolgten sie unterschiedliche Ziele: Während das ordentliche Verfahren auf die umfassende Regelung eines Rechtsstreites abzielte, traf das summarische Verfahren in der Regel nur eine vorläufige Regelung.38 Beim summarischen Prozess handelt es sich um „ein in den Prozeßformen einfacheres und beschleunigtes Verfahren“.39 Beide Verfahrenstypen fanden häufig auch parallel Anwendung wie in der Auseinandersetzung zwischen der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar und ihrem neuen Schutzherrn, dem Kurfürsten von Brandenburg. Nachdem ein brandenburgisch-preußischer Gesandter der Äbtissin Anfang 1698 die eigenmächtige Übertragung der Schutzherrschaft vom sächsischen an den brandenburgischen Kurfürsten angezeigt hatte, wandte sie sich an den Kaiser und den Reichshofrat mit der Bitte um Verhaltungsbefehl sowie der Frage, ob die Cession ohne ihren Konsens rech____________ 34

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Vgl. hierzu die statistische Studie BAUMANN, Die Gesellschaft der Frühen Neuzeit im Spiegel der Reichskammergerichtsprozesse, S. 70f., 72-76. Auch im Kontext von Untertanenprozessen ist die Bedeutung des Reichshofrates nicht zu unterschätzen, ähnliche statistische Studien liegen hierfür allerdings bis jetzt nicht vor. Die Entscheidung, an welches Gericht sich die Untertanenverbände wandten, hing nicht zuletzt von der räumlichen Entfernung nach Wien oder Wetzlar ab. Vgl. hierzu exemplarisch die Studie WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Vgl. SELLERT, Der Reichshofrat, Abs. 4. Vgl. grundlegend hierzu SELLERT, Prozeßgrundsätze. Vgl. UHLHORN, Der Mandatsprozess, S. 10. SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 98.

5.2. Prozessieren

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tens war.40 Damit war noch nicht die Eröffnung eines ordentlichen Verfahrens verbunden, der Reichshofrat reagierte aber auf diese sowie einige weitere Suppliken mit einem Schreiben um Bericht an die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg,41 in dem sie Stellung zu den Vorwürfen beziehen sollten.42 Beim Schreiben um Bericht handelt es sich um ein dem eigentlichen Verfahren vorgeschaltetes Element, das dem Beklagten die Möglichkeit gab, sich zu den Vorwürfen zu äußern.43 Dieser Schritt wurde vor allem bei der Klage von Untertanen gegen ihre Obrigkeiten angewandt, um die im 17. Jahrhundert einsetzende ‚Prozesswut‘ von Untertanen einzudämmen.44 Die Regel des vorprozessualen Schreibens um Bericht wurde 1654 im Jüngsten Reichsabschied im Hinblick auf Mandatsgesuche der Untertanen bestätigt.45 In diesem Fall erscheint die Aufforderung zur Berichterstattung als ein Zugeständnis gegenüber den beiden involvierten Kurfürsten, die einerseits Gelegenheit bekamen, ihre Sicht der Dinge darzustellen, andererseits die Möglichkeiten hatten, vor Ort den Konflikt zu lösen. In der Zwischenzeit bestritt Friedrich I./III. die via facti. Handstreichartig nahmen seine zivilen und militärischen Vertreter Stift und Stadt in Besitz, besetzten die symbolischen Akte der Herrschaftskonstituierung und griffen in das landesherrliche Regiment ein. Einen Höhepunkt bildete die im Herbst 1698 eigenmächtig eingeführte Consumptions-Accise.46 Ende des Jahres klagte die Äbtissin im Zusammenhang der Akzise auf den Erlass kaiserlicher ____________ 40

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Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (6./16. Jan. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 13r-14r. Ihre Suppliken vom 16. Jan., 11. Febr., 24. Febr. und 7. März werden zunächst am Reichshofrat gesammelt und erst am 22. Mai 1698 in einer Zusammenfassung dem Kaiser zur Entscheidung vorgelegt. S. Reichshofratsprotokoll (22. Mai 1698): Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 32r-34r. Kaiserliches Schreiben um Bericht an Friedrich I./III. von Brandenburg und Friedrich August I./II. von Sachsen (25. Juni 1698), in dem ihnen die Klageführung der Äbtissin sowie der erbverbrüderten Fürsten mitgeteilt und sie aufgefordert wurden, binnen zwei Monaten Bericht zu erstatten sowie in dieser Zeit nichts wider die Reichsrechte oder zum präjuditz Dritter vorzunehmen: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 359r-v (Kopie); Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 39r-v (Original). Vgl. SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 181f. Vgl. TROßBACH, Untertanenprozesse am Reichshofrat, Abs. 1; SAILER, Untertanenprozesse, S. 13. Jüngster Reichsabschied § 105 (17. Mai 1654), in ZEUMER (Bearb.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, Teil 2, S. 446-464, hier S. 150. Gedrucktes, kurfürstlich-brandenburgisches Patent zur Einführung der Akzise im Stift Quedlinburg (14. Okt. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 291v192r.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Mandata inhibitoria, cassatoria et Restitutoria sowie ein Dekret gegenüber dem mittelbaren Stadtrat, womit diesem die Abfuhr der Akzise untersagt und er gleichzeitig zum Gehorsam gegenüber der Äbtissin ermahnt werden sollte.47 Der dadurch angestoßene Mandatsprozess löste das Verfahren zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Cession nicht ab,48 sondern sollte lediglich zeitnah dafür sorgen, dass Friedrich die via facti wieder verließ sowie Äbtissin und Stift in ihren Rechten wiederhergestellt würden, während in Wien die via juris weiter beschritten wurde. Ursprünglich war der Mandatsprozess im Zuge der Gründung des Reichskammergerichtes zur Landfriedenssicherung entwickelt worden, um vorbeugend zu wirken.49 Im Zuge der zunehmenden Gerichtsnutzung nahmen die Fälle zu, in denen eine Mandatsklage zulässig war: „bei eindeutigen Verstößen gegen Recht und Gewohnheit, nicht wieder gutzumachendem Schaden, Störungen des Friedens und Verletzung des gemeinen Nutzens“.50 Anna Dorothea bediente sich in ihren wiederholten Bitten um Erlass solcher Mandate gleich mehrerer dieser Tatbestände. Erstens verurteilte sie die Rechtsanmaßung. Zweitens betonte sie die Bedrükkung ihrer Untertanen. Drittens beschrieb sie die friedlosen Übergriffe durch die Akzisebeamten. Schließlich zählte sie die Nachteile für das Reich auf, wenn ein immediater Reichsstand dem brandenburgischen Kurfürsten zu Kontribution verpflichtet und damit zum Untertan degradiert sowie außer Lage gesetzt würde, seinen Anteil an den Reichslasten zu zahlen.51 Am 2. April 1699 erließ Leopold I. kaiserliche Mandata inhibitoria cassatoria & restituoria poenalia sine clausula, cum citation solita und forderte Friedrich I./III. und seine Vertreter darin nicht nur auf, die Akzise zu kassieren, sondern alles ____________ 47

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Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (2. Dez. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 465r-468r. S. auch Kopie des Reichshofratsprotokolls über die Vorstellungen des Anwalts Jobst Heinrich Koch im Namen der Äbtissin am 1. Dez. und des Anwalts Tobias Sebastian Praun im Namen der Kapitularinnen am 5. Dez. 1698 (10. Jan. 1699): Dresden SHStA Geheimer Loc. 8377/5, fol. 78r-v, 80r. Der Vorschlag für das Memorial war von Seiten der Kapitularinnen gekommen. S. Protokoll der Stiftskanzlei (21. Nov. 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 2, fol. 433rv. Zum Mandatsprozess vgl. allg. UHLHORN, Der Mandatsprozess. Vgl. WESTPHAL, Der Reichshofrat – kaiserliches Machtinstrument oder Mediator?, S. 130. Ebd., S. 131. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (6. März, 2. Juni u. 31. Juli 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 121r-v, 443r-444v, 578r-582v. Die Supplik vom 31. Juli 1699 wurde auch in öffentlichem Druck herausgegeben unter dem Titel AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENES ALLERUNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN.

5.2. Prozessieren

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und jedes/ was obeingeklagter maßen bißhero geschehen/ – also auch die militärische Besetzung der Stadt, die erzwungene Abänderung des Kirchengebetes und die Eingriffe in das geistliche Regiment – wiederum [abzustellen]/ mit diesen und andern attentatis weiter nicht fortfahren/ sondern alles in vorigen Stand [zu] setzen/ und [zu] restituieren.52 Ein solches Mandat sollte dem Kurfürsten und seinen Vertretern die Möglichkeit geben, von ihrem friedbrüchigen Handeln Abstand zu nehmen, ohne dass sie abgeurteilt wurden. Anstatt von Mandaten wurden insbesondere bei Klagen gegen „mächtige Stände und hohe Herren des Reiches“ häufig kaiserliche Reskripte erlassen.53 Dabei handelte es sich um eine entschärfte Methode, da sie sowohl im Duktus freundlicher und ohne „starren Befehlston“ eingerichtet waren als auch keine Strafandrohung enthielten. Ihnen lag weniger der Charakter eines Befehls als vielmehr einer Anordnung zu Grunde. Ziel des Reskriptes war, die Voraussetzung für einen Vergleich zwischen den streitenden Parteien zu schaffen.54 Auf dieses Format griffen Reichshofrat und Kaiser Leopold I. Ende 1699 zurück, nachdem die kaiserlichen Mandata wirkungslos geblieben waren und die Quedlinburger Äbtissin den Erlass eines zweiten mandatum paritorium – also der Mandatsbestätigung, auch Definitivurteil genannt – erbat. Um die begonnenen Verhandlungen um eine militärische Unterstützung des Kaisers im Spanischen Erbfolgekrieg durch den brandenburgischen Kurfürsten nicht zu gefährden, erklärte Leopold I. lediglich in einem Reskript an Friedrich I./III., dass die vielfältigen Klagen der Äbtissin durchaus ausreichende Gründe für die Anstrengung eines Mandat-Prozesses bereithielten. Trotzdem wolle er von diesem Abstand nehmen, wenn der Kurfürst nach einer nochmaligen Ermahnung von alleine alle Neuerungen […] wiederumb ab= und einstellen sowie Rechte und Hoheitsgebiete des Stifts unberührt lassen würde.55 Gleichzeitig unterstützte er den Plan, die entstandenen Streitigkeiten wegen der Akzise und anderer Übergriffe durch eine

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Käyserliches Mandatorum Inhibitoriorum, Cassatoriorum, & Resitituriorum (2. April 1699), abgedruckt AN IHRE KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON IHRER CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG/ WIDER DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN, fol. 89/35v-89/38v (S. 72-78). SELLERT, Art. Reskriptprozeß (Reichshofrat), Sp. 937. Vgl. hierzu UHLHORN, Der Mandatsprozess, S. 117-121, Zitat S. 118. Kaiser Leopold I. an Friedrich I./III. von Brandenburg (7. Nov. 1699), abgedruckt in FERNERE BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN, fol. 120/14r120/15r (S. 29-31).

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

kaiserliche Kommission beizulegen, während die Frage nach der Gültigkeit der Cession weiterhin am Reichshofrat geklärt werden sollte.56 Kaiserliche Kommissionen waren ein häufig angewandtes Instrumentarium, das sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem zentralen Bestandteil der reichshofrätlichen Verfahrenspraxis entwickelte.57 Dies lässt sich mit Blick auf die Reichshofratsprozesse unter Beteiligung der Reichsäbtissinnen bestätigen. Es können zwei Gruppen von Kommissionen unterschieden werden: erstens Kommissionen, die vor Ort tätig wurden, und zweitens solche, die als Hofkommissionen am Reichshofrat angesiedelt waren.58 Die Anordnung einer kaiserlichen Kommission unterbrach nicht den Reichshofratsprozess, sondern stellte einen speziellen Verfahrensschritt dar. Der Reichshofrat blieb dennoch die zuständige, übergeordnete Instanz und der Adressat für Beschwerden der Parteien, die beispielsweise aufgrund der hohen Kosten mit der Kommission nicht einverstanden waren oder die Einwände gegen einzelne Kommissare erhoben. In den Religionsstreitigkeiten zwischen Stift und Stadt Essen Mitte der 1720er Jahre scheuten sich beide Seite wegen der hohen Kosten, eine Kommission zu beantragen. Daher ordneten Kaiser und Reichshofrat an, dass die dennoch bestellten Kommissare den Auftrag umsonst übernehmen sollten, und erst für den Fall, dass eine Lösung gefunden würde, wurden Belohnungen für die Subdelegierten in Aussicht gestellt.59 Gegen die Kommissare, die im Streit zwischen der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland und den oppositionellen Kapitularinnen um die Dekanissin Sophie Ernestine zu Lippe engagiert wurden, protestierte zunächst die Äbtissin, als der Kurfürst von Brandenburg beauftragt werden sollte,60 später die Kapitularinnen und Friedrich I./III., als die Äbtissin mit dem Kanzler des Stifts Quedlinburg, ____________ 56

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Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland, die er ebenfalls in Regensburg vertrat (20. Sept. 1700): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 88. Vgl. Abdruck des Krontraktats (16. Nov. 1700), in MOERNER (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge, S. 810-823. Vgl. PLASSMANN, Der Preis der Krone. Zu kaiserlichen Kommission vgl. ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers. Vgl. SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 197. Reichshofratsprotokoll über den Beschluss, den Bischof von Münster (Clemens August I. von Bayern) und Fürsten von Nassau-Dillenburg (Wilhelm II.) mit einer kaiserlichen Kommission zu beauftragen (7. Juli 1724): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 951, fol. 1r-2r. Eingabe ihres Agenten Koch beim Reichshofrat mit Gegenbericht zu den Gravamina der Kapitularinnen [Aug./Sept. 1697]: Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata recentiora Nr. 114/4.

5.2. Prozessieren

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dem Syndikus des Klosters Coppenberg und zwei ihrer Stiftsräte durchweg parteiische Kommissare benannte.61 Die Parteien konnten durchaus wie im Herforder Beispiel Vorschläge machen, wer in ihrer Angelegenheit zum kaiserlichen Kommissar ernannt werden sollte. Unter Umständen wurden sie von den Reichshofräten dazu auch befragt, wie der brandenburgische Agent im Vorfeld der Kommission, die 1699 den Streit zwischen seinem Dienstherrn und der Quedlinburger Äbtissin schlichten sollte.62 Die Entscheidungsgewalt bei der Auswahl der Kommissare lag aber allein beim Kaiser und damit beim Reichshofrat.63 In der Regel wurden in der Auseinandersetzung zwischen zwei Reichsständen oder einem Reichsstand und seinen Untertanen Reichsfürsten oder -grafen aus dem näheren Umfeld ausgewählt, darunter häufig Geistliche.64 Dies galt mit Blick auf die hier behandelten Reichsstifte vor allem für das katholische Stift Essen, da sich die Zusammensetzung der Kommission nach den Konfessionen der beteiligten Parteien richten musste.65 In Kommissionen, die das Stift Essen betrafen, begegnet häufig der Bischof von Münster als einer der Kommissare.66 Im Stift Quedlinburg waren es hingegen in der Regel die Herzöge und ____________ 61

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Sophie Ernestine zur Lippe an Friedrich I./III. (22. Jan./1. Febr. 1698): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3120; Bericht des Wiener Gesandten am Berliner Hof über den Protest gegen die Kommissare (31. Jan. 1698): Wien ÖHStA HHStA RHR Denegata recentiora Nr. 114/4. Bericht des Berliner Residenten in Wien Bartholdi an den Kurfürsten und seine Minister (15./25. März 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) SS. Vgl. ORTLIEB, Die Kaiserlichen Kommissare des Reichshofrats, S. 64. Vgl. ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers, S. 78. Vgl. hierzu die Zahlen bei ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers, S. 84-90 und DIES., Die Kaiserlichen Kommissare des Reichshofrats, S. 67-74, auch wenn sich diese auf den Zeitraum 1637-1657 beschränken. Vgl. auch ULLMANN, Geistliche Stände als Kommissare und als Parteien am Reichshofrat. Vgl. die Regelungen im Westfälischen Frieden, IPO, Art. 5 § 51 und in der Reichshofratsordnung 1654, Tit. II § 7, in SELLERT (Bearb.), Die Ordnungen des Reichshofrates, Bd. 2, S. 119f. In den 1720er Jahren übernahm der Bischof von Münster zusammen mit dem Fürsten von Nassau-Dillenburg, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gemeinsam mit dem Grafen von Bentheim-Tecklenburg die kaiserliche Kommission. Reichshofratsprotokoll über den Beschluss einer kaiserlichen Kommission durch den Bischof von Münster (Clemens August I. von Bayern) und den Fürsten von Nassau-Dillenburg (Wilhelm II.) (7. Juli 1724): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 951, fol. 1r-2r; Abschrift des kaiserlichen Kommissionsauftrags an den Bischof von Münster (Christoph Bernhard von Galen) und den Grafen von Bentheim-Tecklenburg (Moritz) (13. Okt. 1651): Essen StA Rep. 100 Nr. 97, fol 31r-32r; Protokoll der wiederaufgenommenen Kommission von 1651 (1663): Essen StA Rep. 100 Nr. 98.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg, die engagiert wurden.67 Als Voraussetzungen galten eine gewisse reichspolitische Erfahrung und dadurch eine „Vertrautheit mit den Strukturen des Reiches“ sowie geographische Nähe, Kenntnisse über die lokalen Verhältnisse und Autorität gegenüber den streitenden Parteien.68 Die Aufgaben, die von den kaiserlichen Kommissionen übernommen werden konnten, waren vielfältig. Sie konnten zur Beweiserhebung, Untersuchung und Verfahrensführung vor Ort bis hin zum Urteilsspruch eingesetzt werden und verringerten somit das Arbeitspensum des Reichshofrates. Politisch heikle Fälle konnten zunächst einmal einer Kommission übertragen werden, damit Kaiser und Reichshofrat nicht unmittelbar als oberste Gerichtsinstanz auftreten mussten, wie in den Auseinandersetzungen zwischen den Äbtissinnen der Stifte Herford und Quedlinburg mit ihrem brandenburgisch-preußischen Schutzherrn im Vorfeld und während des Spanischen Erbfolgekrieges.69 Viele Kommissare versuchten zudem im Auftrag des Reichshofrates, auf rechtlichem oder gütlichem Weg einen Vergleich zwischen den streitenden Parteien auszuhandeln und damit das Verfahren zu beenden. Die Aussicht auf einen nach Möglichkeit günstigen Kompromiss, der noch dazu schneller gefunden wurde als eine Entscheidung am Reichshofrat,70 sorgte dafür, dass viele Kommissionen auf Wunsch der Parteien eingerichtet wurden, die dieses Instrument zur Durchsetzung eigener Interessen ausnutzen wollten.71 Hierzu gehörte beispielsweise auch der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König, der anstatt eines Rechtsverfahrens in den Auseinandersetzungen mit der Quedlinburger Äbtissin immer wieder auf Verhandlungen, wenn nötig unter Vermittlung eines kaiserlichen Kommissars drang.72 ____________ 67

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So 1699 im Streit um die Cession sowie 1714 in den Auseinandersetzungen um den Amtsantritt der erwählten Äbtissin. Kopie kaiserliches Kommissariale an den König Christian V. von Dänemark als Herzog von Holstein und den Herzog von Celle [sic.] (Rudolf August von Braunschweig-Lüneburg) (2. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 269r-v; Kaiserliches Commissariale und Protectorium an den Kurfürsten Georg I. August von Hannover und den Herzog August Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (4. Dez. 1714): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 3, fol. 508r509r. ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers, S. 74-76, Zitat S. 75. Vgl. SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 195. Vgl. ebd., S. 195. Vgl. ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers, S. 58; WESTPHAL, Der Reichshofrat – kaiserliches Machtinstrument oder Mediator?, S. 135f. Friedrich I./III. an Kaiser Leopold I. (21./31. März 1699), Friedrich I./III. an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (12./22. März 1698), abgedruckt in ABDRUCK/ DES AN

5.2. Prozessieren

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Alle hier vorgeführten Instrumente reichshofrätlicher Verfahrenspraxis vom Schreiben um Bericht, Mandat oder Reskript bis hin zur umfangreichen Kommissionstätigkeit zeugen von der weniger auf ein Endurteil als vielmehr auf Ausgleich und Befriedung ausgerichteten Zielrichtung der Reichshofratsverfahren.73 Dies galt auch für die Motivation der streitenden Parteien, die häufig neben dem Rechtsweg gleichzeitig Formen friedlicher Konfliktführung wie bilaterale Verhandlungen anwandten. Dem trug auch das Prozessrecht Rechnung, indem der Reichshofrat dazu verpflichtet war, das Verfahren zu unterbrechen, wenn die Parteien einen Ausgleich erzielt hatten.74 Gleichzeitig ließen sich die Streitgegner häufig nur unter dem Vorbehalt, dass ein Interimsvergleich dem Ausgang der Gerichtsverfahren nicht im Wege stehen sollte, auf Verhandlungen ein.75

Informalität des Verfahrens Während ihres Aufenthaltes in Regensburg traf Charlotte Sophie von Kurland 1698 dort auf den Concommissarium alß eine Creature vom Reichshoffraths Praesidenten von Öttingen und [selbst] Reichshoffrath. Dieser vermittelte ihr nicht nur den Kontakt zum Reichshofratspräsidenten Wolfgang von OettingenWallerstein, sondern machte ihr kurze Zeit später auch gute Hoffnungen für den Verlauf ihrer Sache.76 Die Äbtissin befand sich auf dem Weg nach Wien, um den am Reichhofrat anhängigen Prozess zwischen sich und der Dekanissin des Stifts voranzutreiben und gleichzeitig Unterstützung im Konflikt mit dem brandenburgischen Kurfürsten zu erlangen, der sich auf die Seite der Dekanissin gestellt hatte. In Wien angekommen, setzten Charlotte Sophie und ihr mitgereister Rat Thulemeyer die bereits in Regensburg begonnene Kontaktaufnahme im Umfeld des Reichshofrates zur Beförde____________ IHR. RÖM. KAYS. MAJESTÄT EC. EC. EC. VON SR. CHURFÜRSTL. DURCHLAUCHT. BRANDENBURG ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTEN SCHREIBENS. Vgl. WESTPHAL, Der Reichshofrat – kaiserliches Machtinstrument oder Mediator?, S. 136. Vgl. WESTPHAL, Stabilisierung durch Recht, S. 245f. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar ließ sich im Streit mit dem preußischen König um die Stiftsherrschaft nur unter der Bedingung auf Verhandlungen ein, wenn die Konferenz weder die kaiserlichen Verordnungen noch den Mandatsprozess am Reichshofrat beeinträchtige. Vollmacht der Äbtissin für die zur Kommission abgeordneten Kommissare (6. März 1702): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 5, fol. 134r-135r. Auszug aus dem Bericht des landgräflichen Reichstagsabgesandten Freiherrn von der Malsburg (29. Aug. 1698): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

rung ihrer Ziele fort und versuchten, nicht nur verschiedene Reichshofräte, sondern auch den Reichshofratspräsidenten für sich einzunehmen.77 Neuere Forschung zu den Reichsgerichten haben in den letzten Jahren neben dem eigentlichen Geschäftsgang solche anderweitigen Kommunikationskanäle der streitenden Parteien in den Blick genommen, um nach dem Spannungsverhältnis zwischen unparteiischem und unbestechlichem Anspruch, „strukturellen Finanzierungsproblemen der Reichszentrale“ sowie Korruption und Einflussnahme zu fragen.78 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie unabhängig die Räte des Reichshofrates in ihrer Entscheidung waren. Um die Vorstellung der Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit des Reichsoberhauptes und der Justiz zu bewahren, denen ein hoher Wert beigemessen wurde, wurden vor allem auf normativer Ebene klare Regeln gegen Bestechung und Beeinflussung aufgestellt. In den jeweiligen Reichsgerichtsordnungen wurde sowohl der private Umgang als auch die Annahme von Geschenken durch das Gerichtspersonal verboten. Die Namen der zuständigen Referenten sollten dringend geheim gehalten werden. Entscheidungen sollten zudem im Kollegialprinzip beschlossen werden, um der Stimme eines Einzelnen nicht zu viel Gewicht zu verleihen. Das Personal wurde schließlich per Eid auf diese Regeln, Verschwiegenheit und Unparteilichkeit verpflichtet.79 Wie gingen aber Prozessparteien wie die Äbtissinnen und ihr Schutzherr in der Praxis mit diesen normativen Vorgaben um? Die Beobachtung des am Reichshofrat über Jahre anhängigen Verfahrens zwischen dem Stift Quedlinburg und seinem Schutzherrn, dem brandenburgisch-preußischen Kurfürsten-König, erlaubt einen Einblick in die gängige Kommunikationspraxis der beteiligten Parteien. Da ein Jahr nach Anstoß des Prozesses, in dem die amtierende Äbtissin gegen den eigenmächtigen Verkauf der Schutzherrschaft vom sächsischen an den brandenburgischen Kurfürsten klagte, noch keine kaiserliche Entscheidung gefällt worden war, schickte Anna Dorothea von Sachsen-Weimar Anfang 1699 ____________ 77

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S. beispielsweise den Bericht des kurbrandenburgischen Agenten Bartoldy am Wiener Hof (14./24. Sept. 1698): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3120. Vgl. demnächst die Dissertation von Thomas Dorfner über „Die Reichshofratsagenten und ihre Bedeutung für die Verfahren am Reichshofrat (1658-1740)“; DERS., Die Reichshofratsagenten, besonders S. 103-108; EHRENPREIS, Korruption im Verfahren, S. 304; DERS., Die Reichshofratsagenten; SELLERT, Richterliche Unabhängigkeit; DERS., Richterbestechung. Reichshofratsordnung 1654, Tit. I § 17, in SELLERT (Bearb.), Die Ordnungen des Reichshofrates, Bd. 2, S. 90f.

5.2. Prozessieren

439

ihren Oberhofmeister nach Wien.80 Dieser traf sich vor Ort mit zahlreichen kaiserlichen Ministern wie dem Reichsvizekanzler, dem Reichshofratspräsidenten und dem Oberkammerherrn zu unterschiedlichen Gelegenheiten wie einem späten Frühstück und Diner, um ihnen die Angelegenheit des Stifts vorzustellen und das Verfahren zu beschleunigen.81 Obwohl bereits die Reichskammergerichtsordnung von 1555 dem Gerichtspersonal den privaten Umgang mit den Parteien untersagte,82 wurde dieses Verbot regelmäßig umgangen und kaiserliche Gerichts- und Regierungsvertreter unter anderem zu verschiedenen Mahlzeiten eingeladen. Wiederholt rieten die preußischen Gesandten in Wien in diesem Zusammenhang dazu, mit den Reichshofräthen nur offt [zu] schmausen und dadurch zur rechten familiaritaet zu gelangen.83 Auf diese Weise wurden Kontakte und Loyalitäten geknüpft, Informationen über den Stand des Verfahrens gesammelt und wenn möglich der kaiserliche Vertreter für die eigene Sache eingenommen. Angesichts der unterschied lichen Gremien, die am Zustandekommen kaiserlicher Entschlüsse beteiligt waren,84 war es zudem von Vorteil, seine Bemühungen nicht allein auf einen beliebigen Reichshofrat oder den Reichshofratspräsidenten zu beschränken, sondern wie der Quedlinburger Oberhofmeister auch Kontakte zu Vertretern anderer Gremien wie der Reichskanzlei oder der Geheimen Konferenz zu pflegen. Das Engagement des Oberhofmeisters scheint Erfolg gehabt zu haben, denn nach kurzer Anwesenheit konnte er vom Erlass kaiserlicher Mandata cassatoria, inhibitoria et restitutoria berichten, womit dem brandenburgischen Kurfürsten aufgetragen wurde, alle Neuerungen und Übergriffe auf die Rechte von Äbtissin und Stift rückgängig zu machen.85 Hieran hatte auch der kurbrandenburgische Resident Bartholdi nichts ändern können. Zwar ____________ 80

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Vgl. Instruktionen der Äbtissin für den nach Wien abgeschickten Oberhofmeister von Dacheröden (22. Febr. 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 99r-100v. Vgl. Diarium des Hofmeisters von Dacheröden während seines Wienaufenthaltes (10.24. März 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 180r-186r. Vgl. LAUFS (Hg.), Reichskammergerichtsordnung von 1555, S. 85. Berichte der preußischen Gesandten Metternich und Kannegießer am Wiener Hof (12. u. 22. Febr. 1716/17. Okt. 1720): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 18 (Reichskammergericht) Nr. 31 Fasz. 140 u. 141. Vgl. EHRENPREIS, Korruption im Verfahren, S. 293. Kaiserliches Mandatorum Inhibitoriorum, Cassatoriorum, & Restitutoriorum (2. April 1699), Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 235r-246r; abgedruckt in AN IHRE KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON IHRER CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG/ WIDER DER FRAU ABBATIßIN ZUR QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGES SCHREIBEN, fol. 89/35v-89/38v (S. 72-78).

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

war es ihm gelungen, den zuständigen Reichshofratsreferenten in dem Verfahren ausfindig zu machen, aber trotz der lukrativen Bestechungssumme von 200 Dukaten konnte dieser die Ausfertigung des kaiserlichen Mandates nicht verhindern.86 Stattdessen gelang es ihm mit Hilfe des Referenten, Einfluss auf die Besetzung der gleichzeitig angeordneten kaiserlichen Kommission auszuüben, welche die Streitfrage der Cession klären sollte.87 Der Reichshofrat tendierte zunächst dazu, neben dem dänischen König den Kurfürsten von Hannover als zweiten Kommissar einzusetzen.88 Auf die Frage des zuständigen Referenten, welche Kommissare dem brandenburgischen Kurfürsten recht wären, wandte Bartholdi ein, dass der König von Dänemark und der Kurfürst wegen der bekandten opposition wieder die 9.te Chur sich nicht zusammen schickten und daher der Herzog von BraunschweigLüneburg-Wolfenbüttel die bessere Wahl wäre.89 Dahinter versteckte sich das immer deutlicher hervortretende Konkurrenzverhältnis zwischen Kurbrandenburg und Kurhannover um die Vormachtstellung im Norden des Reiches und die Annäherungen zwischen Friedrich I./III. und den Herzögen von Braunschweig-Wolfenbüttel,90 so dass die Beauftragung des einen mehr Vorteile versprach als die des anderen. Tatsächlich wurden wenig später der König von Dänemark und der Wolfenbütteler Herzog zu Kommissaren in diesem Streit ernannt.91 Auch in den nächsten Monaten setzte der brandenburgische Agent seine Bemühungen am Reichshofrat fort, unter anderem in Absprachen mit dessen Vizepräsidenten Graf Sebastian Wunibald von Zeil, damit die weiteren Suppliken der Äbtissin nur verzögert Ein____________ 86

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Bericht des Berliner Resident in Wien Bartholdi an den Kurfürsten und seine Minister (15./25. März 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) SS. Weiterer Bericht des Resident Bartholdi an den Kurfürsten und seine Minister (29. März/8. April 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) SS. Zu den kaiserlichen Kommissionen vgl. ORTLIEB, Im Auftrag des Kaisers. Reichshofratsprotokoll (2. April 1699): Dresden SHStA Geheimer Rat 8377/5, fol. 82r. Bericht des Resident Bartholdi an den Kurfürsten und seine Minister (15./25. März 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) SS. Vgl. RÖMER, Der Kaiser und die welfischen Staaten. Kopie des kaiserlichen Kommissionsauftrags an den König von Dänemark als Herzog von Holstein (Christian V.) und den Herzog von Celle [sic.] (Rudolf August von Braunschweig-Lüneburg) (2. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 269r-v. Das kaiserliche Kommissariale ist hier zwar für einen Herzog von Celle ausgestellt. Hierbei handelt es sich aber wohl um einen Fehler. Denn Friedrich I./III. und seine Vertreter haben ausdrücklich den Kommissionauftrag für den Herzog von Braunschweig-Lüneburg gefordert. S. o.

5.2. Prozessieren

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gang in die Beratungen fanden. Dahinter verbarg sich das Ziel, daß man die Zeit gewinne, und die zanksüchtige Äbtißin müde mache.92 Die Reichshofratsordnungen von 1617 und 1654 legten zwar fest, dass sowohl der Name des zuständigen Referenten verborgen bleiben sollte, als auch die Reichshofräte keine Geschenke der Parteien annehmen durften.93 Dennoch gelang es dem brandenburgisch-preußischen Residenten Bartholdi, in dem Reichshofrat Michael Achatius Kirchner Anfang des 18. Jahrhunderts einen dauerhaften Partei- und Kostgänger des preußischen Königs zu finden, der regelmäßig als Referent in den Auseinandersetzungen mit dem Quedlinburger Stift fungierte.94 Nach der umstrittenen Wahl einer neuen Quedlinburger Äbtissin 1708 drängte der preußische Agent bei ihm zur Kassation der Wahl,95 betonte unnachgiebig die schutzherrlichen Rechte des preußischen Königs und bemühte sich darum, dass Friedrich I./III. als kaiserlicher Kommissar in der Wahlsache eingesetzt werde, da dieses […] der leichteste und kürtzeste Weg [sei], die zu befahrenden Difficultäten zu überwinden.96 Für den Fall, dass die Einflussnahme der Parteien auf das Verfahren durch Bestechung oder Beeinflussung von kaiserlichem Personal zu offenkundig geschah, setzte das Kollegialprinzip sowie die Kontroll- und Aufsichtsfunktion weiterer Gremien wie der Geheimen Konferenz dieser Praxis jedoch Grenzen. Dies betraf auch das Engagement des Reichshofrates Kirchner. Das von ihm wesentlich beeinflusste Reichshofratsgutachten, das den Quedlinburger Kapitularinnen die Neuwahl einer Äbtissin auftrug, sie ausdrücklich auf die Rechte des preußischen Schutzherrn verwies und die von König und Kaiser präferierte Kandidatin empfahl, wurde entweder im Geheimen Rat oder in der Geheimen Konkurrenz noch einmal zu Gunsten des freien Wahlrechts als edelste[s] Kleinod eines freien unmittelbahren Reichs=Stiffts

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Bericht des Residenten Bartholdi an den Kurfürsten und seine Minister (17./27. Febr. 1700): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) SS. Vgl. SELLERT (Bearb.), Die Ordnungen des Reichshofrates, Bd. 2, S. 86. Zur Biografie Kirchners vgl. GSCHLIEßER, Der Reichshofrat, S. 332-334. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi am Wiener Hof (19. Jan. 1709): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1709. Berichte des preußischen Residenten Bartholdi am Wiener Hof (13. März u. 25. Dez. 1709): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1709 u. 1710 (Zitat).

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

abgeändert.97 Dem Reichshofrat Kirchner als zuständigem Referenten wurde hingegen Parteilichkeit vorgeworfen.98 Wie deutlich Norm und Praxis im Kontext von Korruption und Einflussnahme auf den Reichshofrat als einem der obersten Reichsgerichte dennoch auseinandergingen, zeigt sich darin, dass Kirchner auch sechs Jahre später – scheinbar ohne Konsequenzen – noch immer im Reichshofrat die Interessen des preußischen Königs vertrat und für seine Loyalität umfangreich entlohnt wurde. Angesichts vielfältiger, am Reichshofrat anhängiger Streitfälle billigte Friedrich Wilhelm I. seit Beginn des Jahres 1716 den Einsatz von Bestechungsgeldern, die in großem Maße Hofrat Kirchner zugutekamen, der als verantwortlicher Referent gleich in mehreren Prozessen mit preußischer Beteiligung zuständig war.99 Allerdings gelang es dem preußischen Gesandten vorerst nicht, auch das „geistige Haupt“100 des Reichshofrates, Graf Johann Wilhelm von Wurmbrand-Stuppach, auf die preußische Seite zu ziehen. Dieser galt Friedrich Wilhelm vielmehr als offenkundiger Feind.101 Wurmbrand war ebenfalls als Referent für die Quedlinburger Streitsache zuständig, in der mittlerweile die Behinderung des wirklichen Amtsantrittes der bereits 1710 zur Äbtissin gewählten Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf durch den preußischen König behandelt wurde. Friedrich Wilhelm I. und sein Resident am Wiener Hof Graf Schwerin hielten aber noch ein Faustpfand in der Hand, mit dem sie auch den Grafen Wurmbrand auf ihre Seite zogen: Er erhob zur selben Zeit im Namen seiner Frau erbrechtliche Ansprüche auf die vom preußischen König beanspruchte Grafschaft Limpurg.102 Diese stellte man ihm nun als preußisches Afterlehen in Aussicht.103 Im August 1717 konnte Schwerin dann schließlich nach Berlin berichten, dass er dem König wohl bald noch mehr Proben des Grafen Wurm____________ 97

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Vgl. Berichte des preußischen Residenten Bartholdi am Wiener Hof (17., 24. u. 27. Mai 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. Vgl. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi am Wiener Hof (6. Aug. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. Kirchner war sowohl in die Quedlinburger Streitigkeiten als auch in die Auseinandersetzung um die Grafschaften Bentheim-Tecklenburg sowie Mansfeld verwickelt. Vgl. SCHENK, Reichsjustiz im Spannungsfeld, S. 135f. ZWIEDENECK-SÜNDENHORST, Wurmbrand, Johann Wilhelm, S. 337. Friedrich Wilhelm I. an den preußischen Staatsminister Graf von Metternich (7. Juli 1716): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 18 (Reichskammergericht) Wien IV Nr. 9a. Vgl. WUNDER, SCHEFOLD, BEUTTER, Die Schenken von Limpurg und ihr Land, S. 52f. Vgl. SCHENK, Reichsjustiz im Spannungsfeld, S. 142f.

5.2. Prozessieren

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brands vor Ewer Königliche Majestät habenden unterthänigsten Devotion anzeigen könne.104 Ein Resultat dieser Bestechungsmaßnahme war der Erlass des kaiserlichen Decretum Salvatorium vom 11. Mai 1717, in dem Kaiser Karl VI. zusicherte, dass Friedrich Wilhelm I. weder aus seiner Zustimmung zur Inbesitznahme noch aus der ‚unrechtmäßigen‘ Wahl Maria Elisabeths ein Nachteil oder Präjudiz entstehen würde.105 Erst jetzt fand sich der preußische König bereit, den Amtsantritt der Äbtissin zuzulassen und damit die 14-jährige Vakanz zu beenden. Die beiden Beispiele aus den Stiften Herford und Quedlinburg zeigen, dass die Kontaktaufnahme zu kaiserlichem Personal in Wien ein wichtiges Instrument diplomatisch-politischer Kommunikation war und zu den vielfältigen Kanälen auf der Ebene des Reichsverbandes gehörte, auf denen sowohl die Entscheidungsfindung an den Reichsinstitutionen beeinflusst als auch Informationen ausgetauscht und Beziehungsnetze aufgebaut wurden. Dabei handelte es sich nicht per se um eine als illegitim wahrgenommene Verhaltensweise, sondern vielmehr um eine allgemein anerkannte Praxis, die zumindest von den Reichsständen regelmäßig für eigene Zwecke genutzt wurde.106 Dies galt auch für die Äbtissinnen der Stifte Herford, Quedlinburg und Essen, die mit Hilfe ihrer Gesandten oder Agenten den Kontakt zu kaiserlichen Ministern und Reichshofräten suchten, um ihre Verfahren zu beschleunigen und zu ihrem Vorteil zu begünstigen.107 Der Zufluss von Geldern durch die Parteien war zudem eine zwingende Notwendigkeit, da ____________ 104

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Bericht des preußischen Gesandten am Wiener Hof Graf Schwerin (14. Aug. 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 18 (Reichskammergericht) Nr. 34 c2, Fasz. 8. Original des kaiserlichen Decretum Salvatorium (11. Mai 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1717-1718. Schon am 31. März konnte Graf Schwerin nach Berlin berichten, dass das entsprechende Votum des Reichshofrates ad imperatorem gebracht wurde, einen Monat später erfolgte die kaiserliche Bewilligung. Berichte des preußischen Gesandten am Wiener Hof Graf Schwerin (31. März u. 28. April 1717): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1717-1718. Schwerin war demnach durch seine Mittelsmänner außerordentlich gut über die Vorgänge im Reichshofrat informiert. Vgl. EHRENPREIS, Korruption im Verfahren, S. 304. Die Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach hatte im Streit um die geistliche Jurisdiktion innerhalb der Stadt Essen mit Bürgermeister und Stadtrat den Kanoniker von Stegen nach Wien gesandt. Dieser versuchte dort, den Prozess zu beschleunigen, indem er in wiederholten Suppliken an den Reichshofrat beklagte, dass er unter dem Druck der vielen Fatalitäten und unter der ungemein=schweren Schulden=Last nicht länger in der Lage wäre, die Kosten seiner hiesigen Subsistenz zu tragen. Suppliken des Kanonikers von Stegen an den Reichshofrat mit fast identischem Wortlaut (praes. 28. Jan., 5. März u. 15. Juni 1734): Wien ÖStHStA HHStA RHR Obere Registratur Nr. 247/4.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

eine strukturelle Finanzierung der Reichszentrale fehlte.108 In diesem Zusammenhang muss jedoch zwischen den steigenden Gebühren zur Ausstellung von Privilegien und Lehnsbriefen sowie die an einzelne Personen gezahlten Bestechungsgelder und Vergünstigungen unterschieden werden. Während Gebühren in sogenannten Taxordnungen festgeschrieben und institutionalisiert wurden, wurden Bestechungsgelder nur geduldet.109 Ein wesentlicher Vorteil informeller Kommunikationskanäle im Umfeld der Reichsgerichte war ihr Nutzen zur Herstellung außergerichtlicher Einigungen zwischen den streitenden Parteien wie im Fall des kaiserlichen Decretum salvatorium im Quedlinburger Streit. Solche Gespräche im Umfeld der Gerichte entsprachen demnach einer eigenen Verfahrenslogik, die weniger auf ein Endurteil als vielmehr auf die Beförderung eines Kompromisses und friedlichen Ausgleichs zielte. Da die Grenzen zu einer auch von den Zeitgenossen als Korruption wahrgenommenen Vorteilsnahme fließend waren, wurden diesem Kommunikationsverhalten vor allem auf der normativen Ebene, aber auch durch das Kollegialprinzip und die Kontrollfunktion weiterer Gremien gewisse Grenzen gesetzt. So war es kaum möglich, eine konkrete Entscheidung zu erkaufen, sondern lediglich zu begünstigen. Auf diese Weise blieb eine gewisse Verfahrensoffenheit gewahrt.110

Zwischen Justiz und Politik Die Besonderheit des Reichshofrates bestand in dessen Mehrfachfunktion, nicht nur als oberstes Reichsgericht, sondern darüber hinaus auch kaiserliche Lehnskammer und Verwaltungsinstanz.111 Die multiple Funktionsweise des Reichshofrates führte dazu, dass er „Streitfälle […] häufig auf politisch-diplomatischem Wege ab[wickelte], ohne sich wie das Reichskammergericht nach einer strengen Prozessordnung zu richten“.112 In den Reichshofratsordnungen finden sich daher anders als in den Reichskammergerichtsordnungen kaum Prozessbestimmungen.113 Die Prozesse am Reichshofrat waren vielmehr durch eine flexible Verfahrenspraxis charakterisiert, die auf veränderte Umstände reagieren und gegebenenfalls eine schnelle Entscheidung herbeiführen, aber auch durch diplomatische Verwicklungen ____________ 108 109 110 111

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Vgl. EHRENPREIS, Korruption im Verfahren, S. 289, 297. Vgl. ebd., S. 304. EHRENPREIS, Korruption im Verfahren, S. 304. Vgl. EISENHARDT, Der Reichshofrat als kombiniertes Rechtsprechungs- und Regierungsorgan. SELLERT, Der Reichshofrat, Abs. 4. Ebd.

5.2. Prozessieren

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beeinflusst werden konnte. Dies galt zum Beispiel für die um 1700 anhängigen Verfahren der Äbtissinnen der Stifte Quedlinburg und Herford. Nach dem wirkungslosen Erlass kaiserlicher Mandata inhibitoria, cassatoria & restitutoria im Verfahren zwischen der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar und Kurfürst, später König Friedrich I./III. von Brandenburg-Preußen 1699,114 erkannten Kaiser und Reichshofrat nicht auf ein zweites Mandat, ein sogenanntes Paritorium- oder Definitivurteil, mit dem die Äbtissin auf Vollstreckung gegenüber dem brandenburgischpreußischen Kurfürsten-König durch den zuständigen Reichskreis hätte dringen können,115 sondern lediglich auf ein Reskript.116 Der versöhnliche Ton, den der Kaiser sowohl mit dem Format des Reskriptes als auch in dessen Wortlaut gegenüber Friedrich I./III. anschlug, hing mit den bevorstehenden Ereignissen in Europa zusammen. Während sich im Nordosten bereits der Nordische Krieg zwischen Kursachsen und Russland auf der einen, Schweden auf der anderen Seite anbahnte, verdichteten sich im Westen die Vorzeichen kriegerischer Auseinandersetzungen um die Spanische Krone, die von Ludwig XIV. ebenso wie von Kaiser Leopold I. für ihre Dynastie beansprucht wurde. Um sowohl einen Zweifrontenkrieg zu verhindern als auch auf die militärische Unterstützung Kurbrandenburgs im Spanischen Erbfolgekrieg setzen zu können,117 war der Kaiser zu Zugeständnissen gegenüber Friedrich bereit. Hierzu gehörte in der Hauptsache die Anerkennung des preußischen Königtums. Im Zuge der einsetzenden diplomatischen Verhandlungen zwischen Kaiser und Kurfürst-König wurde auch der Quedlinburger Konflikt behandelt und somit von der juristischen auf die politische Ebene verschoben. Im Krontraktat vom 16. November 1700 akzeptierte Friedrich I./III. die Entscheidung seiner verschiedenen Territorialansprüche unter kaiserlicher Mediation sowie das künftige Urteil

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Käyserliches Mandatorum Inhibitoriorum, Cassatoriorum, & Resitituriorum (2. April 1699), abgedruckt in AN IHRE KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON IHRER CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG/ WIDER DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN, fol. 89/35v-89/38v (S. 72-78). Die Vollstreckung eines solchen reichsgerichtlichen Urteils war eher selten, besonders wenn ein mächtiger Reichsstand wie Kurbrandenburg involviert war. Vgl. hierzu UHLHORN, Der Mandatsprozess, S. 149-154, 169-174. Kaiser Leopold I. an Friedrich I./III. von Brandenburg (7. Nov. 1699), abgedruckt in FERNERE BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN, fol. 120/14r120/15r (S. 29-31). Vgl. ROLL, Die preußische Königserhebung im politischen Kalkül der Wiener Hofburg.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

des Reichshofrates über die Rechtmäßigkeit der Cession.118 Zuvor hatten sich Kaiser und Kurfürst-König darauf geeinigt, dass die Gravamina der Äbtissin bei einer Konferenz zu Berlin unter Beteiligung des kaiserlichen Gesandten abgetan werden sollten.119 Der Kaiser insistierte demnach auf einen friedlichen Ausgleich zwischen den streitenden Parteien, wodurch er aber eine rechtliche Konfliktlösung durch den Reichshofrat vorerst verhinderte. Er selbst hüllte sich in Schweigen, welches Anna Dorothea Anfang 1702 – nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen mit dem preußischen König – bitter beklagte.120 Ganz ähnlich erging es der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland zur gleichen Zeit. Sie hatte zwar am Reichshofrat die Bestätigung für die Suspendierung ihrer innerstiftischen Gegnerinnen und den Erlass eines protectoriums erwirkt, dessen adressierte conservatores sie vor den Übergriffen des brandenburgisch-preußischen Kurfürsten-Königs und seiner Vertreter schützen sollten.121 Mit einem zweiten Mandat legte ihr der Kaiser aber dann die Wiederaufnahme der Kapitularinnen nahe und hielt sich fortan ebenso wie die conservatores aus dem Konflikt zwischen Charlotte Sophie und ihrem Vetter Friedrich I./III. heraus.122 Denn für den gegenteili____________ 118

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Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (20. Sept. 1700): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 88. Vgl. Kontraktat (16. Nov. 1700), in MOERNER (Bearb.), Kurbrandenburgs Staatsverträge, S. 810-823. Vgl. PLASSMANN, Der Preis der Krone. Heem, kaiserlicher Gesandter am Berliner Hof, an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar mit einem Vorschlag zur Behandlung des Konflikts (14. Dez. 1700): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol. 320r-v. Die Frage der Quedlinburger Cession war nicht der einzige Streitfall, der auf diese Weise gelöst werden sollte. Gleichzeitig wurde die ebenfalls von Friedrich August I./II. an Friedrich I./III. verkaufte Schutzvogtei über die Reichsstadt Nordhausen mit behandelt. Die entstandenen Streitigkeiten sollten nun gemeinsam abgetan werden. Vgl. Wiener Agent des Stiftes Koch an die Stadt Nordhausen, die er ebenfalls vertrat (24. Nov. 1700): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol. 310r-v (Kopie). Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Kaiser Leopold I. (23. Jan. 1702): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 5, fol. 25r-27r. Kaiserliche Konfirmation der Suspendierung der Herforder Kapitularinnen (12. Mai 1699) sowie kaiserliches Dekret an die Konservatoren des Stifts Herford (Kurfürst von Köln, Kurfürst von Brandenburg, Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von BraunschweigLüneburg, Fürstbischof von Osnabrück und Herzöge von Braunschweig-Lüneburg), die Äbtissin bei der Vollstreckung zu beschützen (12. Mai 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Das Mandat vom 23. Januar 1700 ist im Stiftsarchiv nicht im Original überliefert, sondern wird nur an verschiedenen Stellen erwähnt, unter anderem in einem Fragenkatalog,

5.2. Prozessieren

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gen Fall hatte der zum preußischen König aufgestiegene Friedrich mit dem Rückzug der preußischen Soldaten aus dem Spanischen Erbfolgekrieg gedroht.123 Nachdem der Krieg 1714 beendet worden war, bemühte sich hingegen sein Nachfolger Friedrich Wilhelm I. nach mehreren Jahren der Meidung um eine Annäherung an die Äbtissin. Er schlug vor, den bereits 1706 ausgehandelten Vergleich zu vollziehen und durch die Wahl einer preußischen Coadjutorin zu besiegeln.124 Auf diese Weise wollte er verhindern, dass sich die Äbtissin erneut an den Reichshofrat wandte. Denn es sei gewiss, daß wen Sie deshalb wider bey dem Kayserlichen Hofe Klagen solte, Sie jetzo ohnfehlbar darin weit mehr gehör und beyfall als in vorigen Zeiten finden würde.125 Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1714 war der Kaiser nicht mehr auf die militärische Unterstützung des preußischen Königs angewiesen, vielmehr verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Berlin und Wien zusehends. Die Behandlung des Quedlinburger und Herforder Konfliktes am Reichshofrat zeugt zunächst einmal von dessen flexibler Verfahrenspraxis. Ein bereits angelaufener Mandatsprozess konnte unter anderen Vorzeichen in einen weniger restriktiven Reskriptprozess umgewandelt oder gar in ein Kommissionsvorhaben überführt werden. Des Weiteren wird deutlich, wie anfällig das Rechtsverfahren am Reichhofrat für die Beeinflussung durch äußere Umstände wie Kriegsverläufe und wechselnde Bündnisse war. Durch seine Mehrfachfunktion nicht nur als Gerichts-, sondern auch politisches Beratungsgremium des Kaisers in Reichsangelegenheiten musste der ____________

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der sich eben mit der Frage auseinandersetzt, ob das zweite kaiserliche Mandat das erste außer Kraft setzen würde. Fragenkatalog (o.D.): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Zur Schwerfälligkeit der kaiserlichen Protektoren s. u. Kap. Des Kaisers kurzer Arm. Auszug aus dem Bericht des durch die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland nach Herford abgesandten Kavaliers von Korff (10. Dez. 1703): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Noch während des Reichshofratsverfahrens hatte Friedrich I./III. den Landgrafen von Hessen-Kassel als Mediator im Konflikt zwischen sich und der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland beauftragt. Nach zwei Konferenzen in Bückeburg (1704) und Berlin (1705) wurden sowohl auf preußischer als auch stiftischer Seite Vorschläge für einen Vergleich ausgearbeitet, der allerdings nie ratifiziert wurde, sondern an unüberbrückbaren Gegensätzen scheiterte. S. o. Kap. Verhandlung. Friedrich Wilhelm I. an die Landdrosten Clamor von dem Bussche und Landschreiber Arnold Henrich von Meinders (10. Nov. 1716): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135. Kabinettschreiben an den Landdrosten von dem Bussche (22. Febr. 1716): GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3135.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Reichshofrat auch die politischen Interessen und diplomatischen Verwicklungen des Kaisers berücksichtigen. Die flexible Verfahrenspraxis trug dieser Mehrfachfunktion des Reichshofrates Rechnung, indem alternative Methoden der Konfliktführung wie die Einschaltung eines Vermittlers in die Prozesspraxis in Form von Kommissionen integriert wurden, um einen Kompromiss zwischen den streitenden Parteien herzustellen und Kaiser und Reichshofrat, wenn nötig, von einer oberstrichterlichen Entscheidung zu entbinden. Auf diese Weise gelang es, die Rechtsprechung des Reichshofrates mit den politischen Zielen des Kaisers zu vereinbaren. In Zeiten äußerer Bedrängnis wie dem Spanischen Erbfolgekrieg führte dies dazu, dass die kaiserliche Rechtsprechung außenpolitischen Erwägungen untergeordnet wurde.126 In Friedenszeiten konnte der Kaiser den Reichshofrat im 18. Jahrhundert hingegen nutzen, um sowohl seine Position als Reichsoberhaupt gegenüber den Ständen zu stärken als auch seine hausmachtpolitischen Interessen durchzusetzen.

Des Kaisers rechter Arm Im Frühjahr 1724 erstattete der Reichsfiskal am Reichshofrat Anzeige gegen die Äbtissin und das Stift Quedlinburg.127 Er hatte Grund zu der Annahme, dass sich die Äbtissin nach ihrer Introduktion auf einen nachteiligen Vergleich mit dem preußischen König eingelassen habe. Denn das seit 1698 anhängige Verfahren zwischen dem Stift und seinem preußischen Schutzherrn, in welchem ihm vorgeworfen worden war, die an sich gebrachte Chursächsische jura […] täglich mehr zu extendiren, und darauß eine volkomene landeshoheit […] zu errichten,128 stand bereits seit einigen Jahren still. Der Reichsfiskal forderte eine Untersuchung, ob das Stift Quedlinburg nach dem ____________ 126

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Vgl. WESTPHAL, Stabilisierung durch Recht, S. 251f. Die Einschätzung Westphals, dass der Kaiser in diesen Krisensituationen „eher auf seine Reservat- und Gnadenrechte“ zurückgriff, statt sich des Reichshofrates zu bedienen, kann nicht in Gänze zugestimmt werden. Zunächst war der Reichshofrat als multifunktionale Verwaltungsinstanz auch für die Handhabung von Reservat- und Gnadenrechten verantwortlich. Darüber hinaus zeigen die hier behandelten Konflikte deutlich, in welchem Umfang diplomatisch-politische Verwicklungen auf den Prozessgang des Reichshofrates einwirken konnten. Die Kaiser des 17. und 18. Jahrhunderts scheinen vielmehr ihren geschrumpften Rechtsspielraum seit dem Westfälischen Frieden gezielt eingesetzt zu haben, um sowohl ihre Amts- als auch Hausmachtinteressen zu wahren. Eingabe des Reichsfiskals in den Reichshofrat (27. März 1724): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur K. 997/2. Ebd.

5.2. Prozessieren

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Regierungsantritt der neuen Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf, wie anbefohlen, in all seinen Rechten wiederhergestellt worden sei. „Das Fiskalat war eine Behörde, die von Amts wegen die Rechte und Interessen von Kaiser und Reich […] wahrzunehmen hatte.“129 Ursprünglich zunächst im 15. Jahrhundert am Reichskammergericht eingerichtet, wurde wahrscheinlich unter Rudolf II. Ende des 16. Jahrhunderts ein eigener Fiskal am Reichshofrat installiert.130 Zu den Aufgaben des Reichsfiskals gehörte die Eintreibung säumiger Reichssteuern, die Ahndung von Verstößen gegen kaiserliche Mandate und die Reichsgrundgesetze sowie die Aufsicht in Lehnssachen: Hierunter fiel auch, ein wachsambes Auge darauf zu haben, daß zum praejuditz, nachtheil und schaden der Reichslehen und in Specie auch dies uralten kayserlichen Reichs Stiffts Quedlinburg nicht vergleichen, contrahirt, pacticirt, oder reservirt, sondern daß selbiges sartum tectum conserviret [würde].131 Vermutete der Fiskal wie im Falle des Quedlinburger Stifts eine Beeinträchtigung der kaiserlichen Rechte, erstattete er Anzeige am Reichshofrat, der dann zunächst einmal eine Warnung gegenüber dem Beschuldigten aussprach. Erst wenn diese nach Ablauf einer bestimmten Frist ohne Wirkung geblieben war, wurde der Fiskal wiederum angeregt, einen fiskalischen Prozess am Reichshofrat zu eröffnen.132 Gemäß dieser Prozedur wurde die Äbtissin nach der Eingabe des Reichsfiskals per kaiserlichem Reskript aufgefordert, binnen zwei Monaten Bericht zu erstatten, was bei und nach ihrer Introduktion vorgefallen war,133 woraufhin Maria Elisabeth vorbrachte, dass die Gravamina des Stifts keinesfalls abgestellt seien, sie jedoch aus verschiedenen Gründen den Prozess nicht habe fortsetzen können: Einerseits habe sie das Stiftsarchiv ganz unordentlich vorgefunden, andererseits sei sie von ihren Räten schlecht informiert gewesen. Für die Anstellung fremder Berater fehle aber das Geld. Des Weiteren habe sie die Macht des preußischen Königs sowie das Schicksal derer, die sich ihm in den Weg gestellt hätten, abgeschreckt. Bevor sie ihre Beschwerden demnächst in aller Ausführlichkeit vortragen wolle, erbat sie daher um ein kaiserliches protectorium für sich, ihr Stift, ihre Beamten und ____________ 129 130

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KNOLLE, Fiskalat, Sp. 1134. 1693 wurde zudem ein eigener Fiskal an der Plenipotenz in Italien eingerichtet. Vgl. zum Reichshoffiskalat OBERSTEINER, Das Reichshoffiskalat, S. 107. Eingabe des Reichsfiskals in den Reichshofrat (27. März 1724): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur K. 997/2. Vgl. OBERSTEINER, Das Reichshoffiskalat, S. 108f. Kaiserliches Rescript an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (30. März 1724): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 8, fol. 271r-272r.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Untertanen, damit alle Güter, Einkünfte und Rechte geschützt würden.134 In Quedlinburg selbst war man sich keinesfalls einig, ob das Verfahren tatsächlich wieder aufgenommen werden sollte. Während die eine Seite von der Fortsetzung abriet, weil die rechtliche Hilfe des Kaisers gegen mächtige Fürsten oft Difficultäten ausgesetzt sei, glaubte die andere Seite nicht an einen gütlichen Ausgleich mit dem preußischen König.135 Zwar richtete sich die Intervention des Reichsfiskals unmittelbar gegen die Quedlinburger Äbtissin, als ihr eigentliches Ziel darf aber der preußische König gelten. Diese Einschätzung steht in engem Zusammenhang mit der Beobachtung einer zunehmend offensiven Reichspolitik Karls VI. und seines Reichsvizekanzlers Friedrich Karl von Schönborn, die wieder vermehrt die Stellung des Kaisers als oberster Lehnsherr und Richter betonten und den kaiserlichen Einfluss in den Reichsterritorien geltend machten. Dabei kam vor allem dem Reichshofrat als kaiserlichem Gericht, Lehnshof und Regierungsinstanz eine zentrale Rolle zu.136 Ausgerichtet am oberstrichterlichen Amt des Kaisers versuchte man durch eine verstärkte Reichshofratstätigkeit den verlorenen kaiserlichen Einfluss in Norddeutschland wiederzugewinnen, den Status quo des Reichssystems abzusichern und kaiserliche Interventionskanäle in die inneren Belange der Territorien zu etablieren.137 Bereits Johann Jacob Moser betonte Mitte des 18. Jahrhunderts: So gewiß es auch ist, daß wann das Cammer-Gericht die Reichs-Justizsachen allein behalten hätte, das Kayserliche Ansehen in Teutschland um die Helfte gefallen wäre; so unzweifentlich ist es auch, daß jetzo ein sehr grosser Theil des Kayserlichen Respects und Autorität auf dem Reichs-Hofrat beruhet, und er des Kaysers rechter Arm ist.138

Dem Reichsoberhaupt musste daran gelegen sein, seinen nach dem Westfälischen Frieden beschnittenen Einfluss im Reich auszubauen und zu stabili-

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Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an Kaiser Karl VI. (18. Aug. 1724): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur K. 997/2. Anonymes Gutachten (18. Jan. 1725), dessen Autor sich für die Fortsetzung des Prozesses einsetzte, darin aber auch ein weiteres, undatiertes Schreiben ansprach, dessen Konzipient sich gegen eine Wiederaufnahme ausgesprochen hatte: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 9, fol. 75r-80v. Vgl. hierzu PRESS, Die kaiserliche Stellung; DERS., Der Reichshofrat; HAUG-MORITZ, Des „Kaysers rechter Arm“. Vgl. JAHNS, „Mecklenburgisches Wesen“ oder absolutistisches Regiment?, S. 336. MOSER, Von der Teutschen Justiz-Verfassung, Bd. 2, S. 11.

5.2. Prozessieren

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sieren.139 Wenn er sich wie im Fall des innerstiftischen Konfliktes im Stift Herford gegenüber dem brandenburgischen Kurfürsten 1698 für die exklusive Verantwortlichkeit der Äbtissin vor den Reichsgerichten einsetzte, ging es dabei nicht allein um die Verteidigung ihrer Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft, sondern auch um seinen oberstrichterlichen Anspruch. Er beschwerte sich daher darüber, wie Ewer Liebenden [der Kurfürst, Anm. d. Verf.] in dieser sachen, so ein immediat Reichs=glied und fürstliche Abbtissin betreffend welche sessionem et votum auff dem Reichs=tag hat, und die sach sowohl durch die von der Decanissin und ihren consorten an Uns fürgenohmene appellation, alß auch sonsten dero aigenschafft nach, an Uns gehörig, undt bereiths bey unserm kayserlichen Reichs=Hoffrath anhängig ist, zu praejuditz der Uns privativè competirenden jurisdiction sich einmischen, und der Decanissin und consorten armata manu assistiren wollen, worzu auch deroselben einig protectorium keinen anlass geben, noch desselben dahin extendirt werden kann.140

Ein ganz ähnlicher Tenor findet sich im kaiserlichen Reskript vom 5. Januar 1725 an Friedrich Wilhelm I., nachdem preußische Soldaten in den konfessionell aufgeladenen Auseinandersetzungen zwischen Stift und Stadt Essen in das Stiftsterritorium eingedrungen waren. Auch in diesem Zusammenhang beklagte der Kaiser, dass er keines Weegs befinden, wie bey dieser der sachen beschaffenheit, und da wir schon geraumer Zeit her behörige Verordnungen haben ergehen lassen, auch nach erfordernus der sachen, solche mittel vorzukehren, schon selbst bedacht seyn, werden, damit in bemelter Stadt kein tumult oder auflauf zu befahren seyn möge, Ewer Ldl: ohne eingreiffung in Unser allerhöchst=Richterliches Ambt, unterm vorwant, einer Schutz und schirm gerechtigkeit, oder auch juris Aperturae, Commissiones dahin zu senden, und in eben dem ohrt, wo unsere Kayl. Commission die untersuchung thun soll, mannschafft dahin zu legen, befugt seyen.141

Die Stoßrichtung eines solches kaiserlichen Beharrens auf die oberstrichterliche Stellung gegen die mächtigen Reichsstände wurde in Berlin erkannt. Bereits um 1716 konstatierte der wichtigste außenpolitische Berater Friedrich Wilhelms I., Heinrich Rüdiger von Ilgen: Unter den Kaysern Josepho und dem jetzigen Carl hat man aber zu Wien wieder das hiesige Königliche Hauß sich gantz ____________ 139

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Vgl. HAUG-MORITZ, Des „kaysers rechter Arm“; JAHNS, „Mecklenburgisches Wesen“ oder absolutistisches Regiment?, S. 336; PRESS, Die kaiserliche Stellung; DERS., Der Reichshofrat. Kaiser Leopold I. an Kurfürst Friedrich I./III. von Brandenburg (30. Dez. 1698): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. Kaiserliches Reskript an König Friedrich Wilhelm I. (5. Januar 1725): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1658.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

demasquiret und die vorgegebene Kayserliche authoritaet und das Kayserliche Ambt so weit poussiret, als man es immer bringen könne.142 Während die kleinen und mittleren Reichsstände die oberstrichterliche Qualität des Kaisers anerkannten und sich zur Verteidigung ihrer Rechte an die Reichsgerichte wandten, waren vor allem die mächtigen weltlichen Reichsfürsten bemüht, die Machtfülle des Kaisers, die ihm seine Stellung als oberster Richter eröffnete, in ihren Territorien und Einflussgebieten einzuschränken. Um sich selbst nicht vor den Reichsgerichten verantworten zu müssen, hatten sich die Reichsfürsten bereits in deren Formierungsphase an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert das Vorrecht gesichert, Streitigkeiten stattdessen vor der Austrägalgerichtsbarkeit – einer Art Schiedsgerichtsbarkeit – auszumachen.143 Dieses Argument setzte Friedrich Wilhelm I. ein, um die Wiederaufnahme des Quedlinburger Verfahrens Mitte der 1720er Jahre zu verhindern.144 Das Bestreben der mächtigen weltlichen Reichsstände, sich dem kaiserlich-oberstrichterlichen Einfluss zu entziehen, nahm seit Ende des 17. Jahrhunderts noch zu, als nicht nur der Kurfürst von Brandenburg in Preußen, sondern auch der Kurfürst von Sachsen in Polen und der Kurfürst von Hannover in Großbritannien Königskronen jenseits des Reichs errungen. Dadurch erfuhr ihr bereits seit dem Westfälischen Frieden wachsendes Streben nach Souveränität eine neue Qualität. Sie entrückten dem Reich zusehends und hatten dementsprechend immer weniger Interesse, sich der Autorität des Kaisers zu beugen.145 Der Dualismus zwischen dem Kaiser und den mächtigen (evangelischen) Reichsständen wurde zudem durch die konfessions-politischen Entwicklungen im Reich zu Beginn der 1720er Jahre noch verstärkt. Seit 1719 stellten die massiven Rekatholisierungsbestrebungen des katholischen Kurfürsten Philipp Wilhelm von der Pfalz in seinem vorwiegend von Calvinisten bewohnten Territorium das ____________ 142

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Heinrich Rüdiger von Ilgen, undatiertes Gutachten [um 1716]: Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 1 Nr. 264. Vgl. MEURER, Die Entwicklung der Austrägalgerichtsbarkeit. Zugleich erwirkten sie Appellationsprivilegien, welche die Klageführung ihrer Untertanen an den Reichsgerichten verhindern und sie stattdessen an innerhalb des eigenen Territoriums errichtete Ober-appellationsgerichte verweisen sollten. Vgl. zum Oberappellationsgericht in Celle STODOLKOWITZ, Das Oberappellationsgericht Celle. Friedrich Wilhelm in Preußen an Kaiser Karl VI. (17. Okt. 1724): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur K. 997/2. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Honores regii.; PEČAR, Symbolische Politik, S. 289; ROHRSCHNEIDER, SIENELL, Hohenzollern kontra Habsburg?, S. 67; PERELS, Die allgemeinen Appellationsprivilegien für Brandenburg-Preußen, S. 74.

5.2. Prozessieren

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konfessionelle Kräfteverhältnis im Reich auf eine harte Probe.146 In dieser Situation exponierten sich Georg I. Ludwig als Kurfürst von Hannover und Friedrich Wilhelm I. in Preußen als Sprachrohre sowie Beschützer der unterdrückten evangelischen Glaubensgenossen und bildeten eine norddeutsche, protestantische Phalanx gegenüber dem katholischen Kaiser.147 Sie warfen nicht nur dem Pfälzer Kurfürsten den Bruch der Vereinbarungen des Westfälischen Friedens vor, sondern bestritten darüber hinaus das oberstrichterliche Amt des katholischen Kaisers in Religionsfragen. Stattdessen sollte in causa religionis allein der Reichstag zuständig sein.148 In dieser konfessionell aufgeladenen Situation bediente sich Kaiser Karl des Reichshofrates, um den Druck auf den preußischen König zu erhöhen sowie diesen gleichzeitig als Unruhestifter im Reich zu delegitimieren. Man habe fast bei dem ganzen Reich nicht so viel zu thun wie mit der ungemeine[n] Menge der beim Reichshofrath in verschiedenen und meistens außerordentlichen Sachen [gegen Preußen, Anm. d. Verf.] anhängigen Processe,149 so Prinz Eugen von Savoyen an den kaiserlichen Gesandten am Berliner Hof. Neben einigen neu angestoßenen Verfahren beeinträchtigter katholischer Klöster in den preußischen Territorien sowie verschiedenen Appellationen magdeburgischer und halberstädtischer Adeliger wegen Umwandlung ihrer Lehen in Allodialgut wurden zusätzlich noch schwebende Verfahren am Reichshofrat erneut angestoßen.150 Eine Liste der preußischen Agenten aus dem Jahr 1727 zählte

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Vgl. BURCKHARDT, Vollendung und Neuorientierung, S. 334f. Die Selbstdarstellung des preußischen Königs als Garant des Protestantismus spiegelte sich auch im Verhältnis mit dem katholischen Stift Essen wider, das sich regelmäßig im Streit mit der umliegenden lutherischen Stadt befand. S. o. Kap. Beerdigungen, Hochzeiten und Taufen; Besetzung. Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Das Heilige Römische Reich, S. 98f. Prinz Eugen von Savoyen an den Grafen Seckendorff, kaiserlicher Gesandter am Berliner Hof (28. März 1725), zitiert nach FÖRSTER (Bearb.), Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrich Wilhelms I., Bd. 2, S. 27. Zu den Religionswirren vgl. das Dissertationsprojekt von Renate Wieland „Konfessionelle Reichspolitik im 18. Jahrhundert. Friedrich Wilhelm I. von Preußen und die Protestanten im Reich“, der ich für ihre wichtigen Hinweise danke. Vgl. bis dahin ARETIN, Das Alte Reich, Bd. 2, S. 278-282; HANTSCH, Reichsvizekanzler Karl von Schönborn, S. 248250; HUGHES, Law and Politics, S. 165-172; HAUG-MORITZ, Corpus Evangelicorium, S. 189-197; KLEINEHAGENBROCK, Brandenburg-Preußen und das Alte Reich, S. 915-917. Zu den Appellationen magdeburgischer und halberstädtischer Adeliger vgl. SCHENK, Reichsjustiz im Spannungsfeld.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

insgesamt 267 laufende Prozesse.151 Zu dieser Menge an Verfahren gehörte wohl auch der vom Reichsfiskal wiederbelebte Quedlinburger CessionsStreit. Ein Indiz hierfür bietet zumindest eine Nachricht des Quedlinburger Reichshofratsagenten. Er berichtete Anfang 1726 von einer kaiserlichen Resolution wider den preußischen König in der Quedlinburger Angelegenheit. Deren Erlass wurde ihm zum einen mit dem gerechten Anspruch der Äbtissin auf Hilfe, zum anderen aber mit der Forderung Friedrich Wilhelms I. auf die Erfüllung der heilsahmen Reichs-Satzungen – wahrscheinlich im Zuge der Pfälzer Konfessionsstreitigkeiten – begründet.152 Diese Forderung sollte der preußische König nun selbst zu spüren bekommen. Der weitere Verlauf des im Frühjahr 1724 wieder angestoßenen Quedlinburger Prozesses zeigt noch einmal, wie wechselhaft sich die kaiserliche Reichspolitik in den 1720er Jahren gestaltete und dadurch die Arbeit des Reichshofrates als Gerichtsinstanz beeinflusste. Das Verfahren kam nämlich schon wenig später wieder ins Stocken.153 Der Wiener Agent des Stifts machte die zeiten und conjuncturen in Europa dafür verantwortlich, dass keine nachdrücklichen Verordnungen gegen den preußischen König erlassen, sondern vielmehr alle Preussische Sachen jetzo gantz delatorisch tractiet würden.154 Bereits seit 1724 arbeitete vor allem der kaiserliche Gesandte in Berlin auf eine Annäherung von Kaiser und König hin und riet daher wiederholt, Friedrich Wilhelm I. in Preußen gelegentlich entgegenzukommen.155 Das erklärte Ziel Kaiser Karls VI. war die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion durch den preußischen König sowie dessen diplomatische Unterstützung in der Auseinandersetzung mit den anderen Reichsständen.156 Im ____________ 151

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Auflistung der Wiener Agenten Brand und Grave über die am Reichshofrat gegen Friedrich Wilhelm I. anhängigen Prozesse (Juli 1727): Berlin GStA PK I. HA Geimer Rat Rep. 18 (Reichskammergericht) Nr. 31 Fasz. 153. Bericht des Wiener Agenten Behr an die Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (16. Febr. 1726): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 10, fol. 181r-182v. Der Eingang des ausführlichen Berichts in die Beratungen des Reichshofrates sowie später dessen Resolutionsfassung verzögerten sich immer wieder: Zunächst war der Bericht unvollständig eingereicht worden, dann wiederum verschob sich dessen Begutachtung aufgrund der Abwesenheit des Reichshofratspräsidenten sowie des Vizepräsidenten. Vgl. Berichte des Quedlinburger Agenten Behr (13. Juli u. 14. Sept. 1726): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 10, fol. 488r-489v u. Nr. 11, fol. 197r-198v. Vgl. Berichte des kaiserlichen Gesandten in Berlin Graf Seckendorff an Prinz Eugen von Savoyen (9. Juni 1724, 23. Febr. 1725 u. 12. Juni 1726), zitiert nach FÖRSTER (Bearb.), Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrich Wilhelms I., Bd. 2, S. 9, 17, 67. Vgl. hierzu SCHENK, Reichsjustiz im Spannungsfeld, S. 196f. Vgl. Bericht des Quedlinburger Agenten Behr an die Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (28. Sept. 1726): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 11, fol. 212r-

5.2. Prozessieren

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Herbst 1726 schloss er als Erzherzog von Österreich zunächst einen Geheimvertrag mit Friedrich Wilhelm I. zur Sicherung der weiblichen Nachfolge in Österreich,157 der 1728 durch ein förmliches Bündnis abgelöst wurde.158

Des Kaisers kurzer Arm Hier schließt unmittelbar die Frage nach der Wirkmächtigkeit und Anerkennung des Reichshofrates in seiner Funktion als Gerichtsinstanz in den Konflikten zwischen zwei so ungleich gewichtigen Gegnern wie dem preußischen König und den mindermächtigen Reichsäbtissinnen an. Der Reichshofrat konnte nur dann wirkmächtig als Rechtsinstanz agieren, wenn nicht nur die klagende, sondern auch die beklagte Partei seine Zuständigkeit anerkannte und sich auf das Verfahren einließ. Als Kurfürst Friedrich I./III. 1698 per Schreiben um Bericht aufgefordert wurde, binnen zwei Monaten zu den Vorwürfen der Quedlinburger Äbtissin Stellung zu beziehen,159 ließ er sich mehr als viermal so lange Zeit, um zu antworten. Und auch dann tat er es nicht, um sich auf einen Prozess mit den klagenden Parteien einzulassen, sondern bloß Ew. Kays. Maj. zu schuldigem Respect, daß sichs mit dieser Sache gar nicht also/ wie gegenseits angebracht worden/ […] verhalte.160 Später diente ihm diese Einschränkung als Argument, um den anhängigen Mandatsprozess zu diskreditieren, indem er Verfahrensfehler unterstellte: Die 1699 erlassenen kaiserlichen Mandata cassatoria, inhibitoria et restitutoria wären ohne seine vorherige Berichterstattung ergangen und damit unrechtmäßig. Denn der Jüngste Reichsabschied sah vor, dass Mandate gegen Reichsfürsten nur nach ____________

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213v. Zur pragmatischen Sanktion vgl. BRAUNEDER, Die Pragmatische Sanktion. Zur Ankennung durch den preußischen König sowie dessen diplomatischer Unterstützung vgl. DUCHHARDT, Balance of Power, S. 276f.; ZWIEDENECK-SÜNDENHORST, Die Anerkennung der pragmatischen Sanction; NEUGEBAUER, Brandenburg-Preußen in der Frühen Neuzeit, S. 319; HUGHES, Law and Politics, S. 197-199; BURCKHARDT, Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches, S. 355-358; HANTSCH, Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn, S. 332. Bericht des Quedlinburger Informanten Behr in Wien (23. Okt. 1726): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr.11, fol. 226r-228v. Vgl. BURCKHARDT, Vollendung und Neuorientierung, S. 349-351. Schreiben um Bericht (25. Juni 1698): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 1, fol. 359r-v (Kopie); Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 39r-v (Original). Friedrich I./III. an Kaiser Leopold I. (21./31. März 1699), abgedruckt in ABDRUCK/ DES AN IHR. RÖM. KAYS. MAJESTÄT EC. EC. EC. VON SR. CHURFÜRSTL. DURCHLAUCHT. ZU BRANDENBURG ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTEN SCHREIBENS.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

vorheriger Berichterstattung ergehen durften.161 Seinem Antwortschreiben hatte er mit der Eingangsbemerkung ausdrücklich den formellen Berichtscharakter abgesprochen. Auch noch während eines laufenden Verfahrens standen den streitenden Parteien verschiedene Optionen zur Verfügung, um die Beschlüsse des Reichshofrates zu torpedieren und ihnen damit auszuweichen, wenn sich der Prozess nicht zu ihren Gunsten entwickelte. Hierzu gehörte, wie oben gezeigt, zunächst die Einflussnahme auf den Entscheidungsprozess vor Ort in Wien.162 Aber auch für den Fall, dass am Reichshofrat oder am Reichskammergericht auf den Erlass eines Mandates, einer Kommission oder eines protectorium entschieden wurde, gab es Mittel und Wege, um sich dem Zugriff der Gerichte zu entziehen. Als beispielsweise 1725 ein kaiserliches Mandat an König Friedrich Wilhelm I. mit dem Befehl erging, das Bauvorhaben einer neuen Mühle in Herford zu stoppen, da von uhralten und undencklichen Jahren Unserm Kayserlichen freyen weltlichen Stift Herforth und deßen zeitlicher Abtißin über die Ströhme Ahr und Werre die hohe gerechtsahme zustehete,163 hatte der verantwortliche Notar einige Schwierigkeiten, dieses den preußischen Beamten in der Mindener Kriegs- und Domänenkammer zuzustellen: Zunächst konnte der beauftragte kaiserliche Notar den Kammerpräsidenten weder zuhause noch in der Kammer antreffen. Dann ließ sich kein Notar ausfindig machen, dem er das Mandat zur Abschrift übergeben konnte. Denn nur kurz zuvor war der königliche Befehl ergangen, der jedes Zuwiderhandeln gegen die Kammer, und sei es auch nur die Übergabe eines nachteiligen Schreibens, unter Strafe stellte.164 Mit dieser Taktik sollte die Eingabe von Protesten ebenso wie von kaiserlichen Mandaten verzögert, wenn nicht gar ganz verhindert werden. Ganz Ähnliches lässt sich im Fall der kaiserlichen Mandata inhibitoria, cassatoria & restitutoria im Konflikt zwischen dem Kurfürsten von Brandenburg und der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen beobachten,165 die Kaiser Leopold I. im Frühjahr 1699 erließ. Mit ____________ 161

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Jüngster Reichsabschied §105 (17. Mai 1654), in ZEUMER (Bearb.), Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, Teil 2, S. 150. S. o. Kap. Informalität des Verfahrens. Kaiserliches Mandat an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (27. Febr. 1725): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127. Notarisches Protokoll über die Insinuation des kaiserlichen Mandats [1725]: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127. Käyserliches Mandatorum Inhibitoriorum, Cassatoriorum, & Resitituriorum (2. April 1699), abgedruckt in AN IHRE KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON IHRER CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG/ WIDER DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN, fol. 89/35v-89/38v (S. 72-78).

5.2. Prozessieren

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den Mandaten sollten alle gewaltsamen Eingriffe des Kurfürsten in die Landesobrigkeit der Äbtissin nach Übertragung der Schutzvogtei verworfen, kassiert und die Rechte der Äbtissin und des Stifts wiederhergestellt werden. Dies betraf vor allem die eigenmächtig eingerichtete brandenburgischpreußische Konsumptionsakzise. Die Mandate richteten sich nicht allein an den Kurfürsten und seine Regierungsvertreter, die in Berlin und in der Halberstädter Regierung mit den Quedlinburger Angelegenheiten betraut waren, sondern ebenso an den Stiftshauptmann als Accis Director, alle weiteren Accis-Bedienten, Bürgermeister, Rat und Stiftsuntertanen, denen die Verweigerung der Akzise aufgetragen wurde. Als nun ein kaiserlicher Notar gemeinsam mit zwei hierzu bestellten Zeugen die Mandate in Quedlinburg dem Accise Commissario überbringen wollte, kam es zu Schwierigkeiten. Dem Notar wurde zunächst von der Magd erklärt, dass der Kommissar nicht zuhause sei, woraufhin der Notar die Mandate bei ihr hinterlegte und der Magd auftrug, sie dem Kommissar weiterzuleiten. Die Magd weigerte sich jedoch und kam hinter dem Notar hergelaufen, um das Schreiben zurückzuweisen mit der Drohung, dass sie es ansonsten auf die Straße werfen wolle, was sie schließlich auch tat.166 Ein kaiserliches Mandat konnte seine volle Gültigkeit jedoch erst bei korrekter Insinuation entfalten. Die Sorge hierfür übernahm im Falle kaiserlicher Mandate anders als am Reichskammergericht, wo Zitationen, Klagen und Mandate durch reitende Boten überbracht wurden,167 in der Regel nicht der Reichshofrat, sondern die Partei, welche das Mandat erwirkt hatte. Sie musste veranlassen, dass das Mandat durch den Türhüter am Reichshofrat per Post aufgegeben oder durch einen Notar vor Ort überstellt wurde.168 Die Insinuation durch einen Notar war nicht nur kostspieliger, sondern brachte, wie oben beschrieben, auch immer wieder Schwierigkeiten und Gefahren für den Überbringer mit sich, der nicht selten den Unmut des Adressaten auf sich zog.169 Zur Überlieferung durch einen Notar hatten sich im Laufe der Frühen Neuzeit schriftlich fixierte Regeln etabliert, auf welche die beklagte Partei sich in ihrer abwehrenden Haltung berufen konnte. Kurfürst Friedrich I./III. bezog sich gegenüber dem Kaiser auf die Kammerge____________ 166

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S. Zeugenverhör (5. Mai 1699), abgedruckt in DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHE PROCEDUREN, fol. 92/24r-92/29r (S. 49-59). Vgl. SELLERT, Die Ladung des Beklagten vor das Reichskammergericht. Vgl. SELLERT, Prozeßgrundsätze, S. 220-226, hier S. 220; UHLHORN, Der Mandatsprozess, S. 132-134, hier 132f. Vgl. ebd.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

richtsordnung von 1555 und den Visitationsabschied von 1660, wonach nur ein legaler und immatriculirter Notarius zur legalen und ordentlichen Insinuation kayserlicher Mandaten und Processe gebraucht werden dürfe, um das abwehrende Verhalten seiner Regierungsvertreter in Quedlinburg zu rechtfertigen. Der mit der Übermittlung betraute Notar sei sowohl durch seine fehlende Legitimation als auch sein ungebührliches Verhalten aufgefallen, mit welchem er die Untertanen schnell zu Aufruhr und Tumult hätte anstecken können. Daher weigerte sich Friedrich, die Eingabe der kaiserlichen Mandate als vollzogen anzuerkennen.170 Die kurbrandenburgischen Beamten vor Ort taten das ihre, um die Verbreitung der kaiserlichen Mandate sowie deren Umsetzung zu verhindern. Die Publikation der Mandate in der Ratsversammlung wurde verboten, die Untertanen, welche bei öffentlicher Ablesung auf dem Schloss zugegen waren, wurden hart angegangen und denjenigen, welche sich über das kaiserliche Verbot, die Akzise abzuführen, hinwegsetzten, wurde Schutz versprochen. Statt die Lage des Stifts zu entschärfen, führte der Erlass der kaiserlichen Mandate vielmehr zu einer Welle weiterer Konfiskationen von unversteuerten Kornladungen, die auch die Tafelgüter der Äbtissin nicht verschonten.171 Der geringe Wirkungsgrad kaiserlicher Mandate in den Einflussbereichen mächtiger Territorialherren spiegelt sich nicht zuletzt in den Reaktionen beider Seiten wider. Während der Reichstagsgesandte des Stifts den Erfolg, die kaiserlichen Mandate erwirkt zu haben, folgendermaßen relativierte: zu beklagen aber ist, daß offtermahlen die Keyßerliche Mandata, zumahlen bey denen statibus potentioribus, so schlecht respectiret und effectlos gelassen worden;172 ließ hingegen der Accis Commissarius und Stadtvogt öffentlich verlauten, wan noch so viele rescripte komen, würde man sich nicht daran kehren.173 Der Reichstagsgesandte hatte Recht, wenn er erklärte: über das dörffte zuletzt sich alles besorglich noch an ____________ 170

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Friedrich I./III. an Kaiser Leopold (17. Mai 1699), abgedruckt in AN IHRO KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG AUF DAS ALLERGERECHTESTE MANDATUM SINE CLAUSULA, S. 3f.; Abschrift auch in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 395r-419v. S. notarische Zeugenverhöre (5. Mai 1699), abgedruckt in DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN, fol. 92/27v-92/28v (S. 56-58). Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (7./17. April 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 89. Protokoll der Quedlinburger Stiftskanzlei (11. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol 269r.

5.2. Prozessieren

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der execution stecken.174 Eben an der Exekution kaiserlicher Beschlüsse mangelte es, wie auch Friedrich Karl von Moser Mitte des 18. Jahrhunderts bestätigte: Der allerschwertste Punkt […] der gesamten Reichs-Justiz-Pflege [sei] in der würklichen Vollziehung der reichsgerichtlichen Urteile zu suchen.175 Dies galt besonders gegenüber mächtigen Reichsständen wie Brandenburg-Preußen und betraf nicht zuletzt auch die wenigen Endurteile, die an den Reichsgerichten gefällt wurden.176 Im Fall der militärischen Besetzung des Essener Stifts seit Anfang der 1660er Jahre durch kurbrandenburgische Soldaten verlangte das ergangene Reichskammergerichtsurteil deren sofortigen Abzug. Statt der Forderung jedoch nachzukommen, protestierte Kurfürst Friedrich Wilhelm gegen das Urteil beim Reichskammerrichter und drohte ihm mit einer Reichsklage am Reichstag.177 Die Reichsgerichte selbst verfügten über keine Exekutionsmöglichkeit, sondern überantworteten die Vollstreckung ihrer Bescheide den Reichkreisen. Die Reichsexekutionsordnung von 1555 bestätigte, dass die Kreise nicht nur gegen Landfriedensbrecher vorgehen mussten, sondern auch die Kaiserliche gesprochene Acht, Urtheil und andere Poen und Straff, so sie ordentlicher Weiß darein gefallen zu seyn mit Recht erkennt und erkläret werden, zu exequieren [hatten].178 Allerdings waren die Reichskreise für diese Aufgabe nicht geeignet, wie zwei Beispiele aus dem Stift Essen zeigen. Zwischen Stift und Stadt Essen schwebten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschiedene Verfahren an den Reichsgerichten. Zum Beispiel beklagte die Essener Äbtissin die widerrechtliche Verlegung des Hallengerichtes an das Rathaus vor dem Reichshofrat. Nachdem das Gericht zu Gunsten der Äbtissin entschieden hatte, wurde dem RheinischWestfälischen Kreisdirektorium mehrfach die Exekutionskommission aufgetragen.179 Es kam jedoch nie zur Ausführung. Anteil hieran hatten die preu____________ 174

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Bericht des Reichstagsgesandten Scheffer an die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (7./17. April 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 89. MOSER, Patriotische Briefe, S. 276. Vgl. PRESS, Die kaiserliche Stellung im Reich, S. 216. Protestschreiben Friedrich Wilhelms von Brandenburg an den Reichskammerrichter Wilhelm von Baden-Baden (20. Juli 1663): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1696, fol. 288r-289v. Reichsexekutionsordnung von 1555 im Augsburger Religionsfrieden, § 71, in KAISER UND REICH, Teil 2, S. 215-283. Bericht des preußischen Agenten Grave in Wien (4. Sept. 1734): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1667, fol. 6r-v; Erneuerung des kaiserlichen Exekutionsauftrages an den Niederrheinisch-Westfälischen

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

ßischen Vertreter am Reichshofrat und Kreistag, die als deklarierte Beschützer der Stadt Essen gegen die Ausübung der Exekution intervenierten und stattdessen auf einen Ausgleich zwischen Stift und Stadt drängten,180 der 1739 geschlossen wurde.181 In der ebenfalls zwischen Stift und Stadt am Reichshofrat anhängigen Auseinandersetzung um den städtischen Anteil an den Reichslasten, konkret die noch immer ausstehenden schwedischen Satisfaktionsgelder, wurden zwar 1731 tatsächlich Kurpfälzer Soldaten zu Exekutionszwecken in die Stadt verlegt. Kurze Zeit später wurden diese aber durch doppelt so viele preußische Soldaten wieder verdrängt, welche die Stadtverantwortlichen unterstützten.182 Die Beispiele führen sowohl vor Augen, wie zögerlich das Kreisdirektorium seiner Vollstreckungspflicht nachkam, als auch, wie entscheidend sich das Engagement eines mächtigen Kreisstandes und Mitgliedes des Kreisdirektoriums wie dem preußischen König auswirken konnte. Denn der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis wies nicht die Geschlossenheit wie beispielsweise der Schwäbische oder Fränkische Reichskreis auf.183 Dadurch wurde gemeinschaftliches Handeln, wie es die Ausführung eines kaiserlichen Exekutionsauftrages erforderte, erschwert. Stattdessen wurde das Kreisgeschehen durch die Interessen einzelner mächtiger Kreisstände dominiert, die ihre Stellung nach preußischem Vorbild als Mitglied des Kreisdirektoriums zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzten. Friedrich Wilhelm II. drohte der Essener Äbtissin Ende des 18. Jahrhunderts regelrecht, sich lieber auf seine ____________

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Kreis (11. Sept. 1736): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1668, fol. 41r-42v; Auftrag an den preußischen Residenten in Köln, sich gegen die Exekution zu wehren (17. Okt. 1738): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1668, fol. 104r-105v. Order an den preußischen Geheimen Rat Pollmann am Kreistag, die Exekution im Namen des Königs als Schutzherr von Stift und Stadt allein zu beanspruchen (18. Sept. 1734): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1667, fol. 14r-v; Order an die preußischen Agenten in Wien, sich für die Aussetzung der Exekution einzusetzen (26. Okt. 1736): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1667, fol. 35r-v; Auftrag an den preußischen Residenten in Köln, sich gegen die Exekution zu wehren (17. Okt. 1738): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1668, fol. 104r-105v. Vergleich zwischen Stift und Stadt Essen (20. Jan. 1739): Essen StA Rep. 100 Nr. 151. Reichshofratsgutachten über die kaiserliche Resolution an das Kreisdirektorium, dennoch mit der Exekution fortzufahren (1. Juni 1731): Essen StA Rep. 100 Nr. 130; Supplik von Bürgermeister und Stadtrat an den preußischen König (4. Juli 1733): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1667. WUNDER, Der schwäbische Kreis; EBNETH, ENDRES, Der Fränkische Reichskreis.

5.2. Prozessieren

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Vermittlung im Streit mit der Stadt um die Aufhebung eines Beginenkonventes einzulassen, anstatt es lediglich auf richterlichen Ausspruch ankommen zu laßen, der doch ohne Meine Mitwirkung [als Mitglied des Kreisdirektoriums, Anm. d. Verf.] nicht zum Vollzuge gedeihen kann.184 Gerade weil Strafmandate und Urteile nur schwer gegen einen Reichsstand wie Brandenburg-Preußen zu exekutieren waren, zielten die Verfahren am Reichshofrat und Reichskammergericht mehrheitlich darauf ab, einen Kompromiss zwischen den streitenden Parteien herzustellen. Diese Aufgabe wurde häufig den bereits angesprochenen kaiserlichen Kommissaren übertragen.185 Ein Blick auf die kaiserlichen Kommissionen, die im Rahmen der Reichshofratsprozesse der Reichsäbtissinnen unter Beteiligung ihres brandenburgisch-preußischen Schutzherrn ergingen, zeigt jedoch, wie anfällig auch dieses Instrument vormoderner Konfliktlösung in seiner Effizienz für Kritik und äußere Einflüsse war. Im Jahr 1698 diente dem brandenburgischen Kurfürsten beispielsweise die konfessionelle Zusammensetzung der kaiserlichen Kommission im Streit zwischen der Herforder Äbtissin und der innerstiftischen Opposition um die Dekanissin, um deren Legitimation in Frage zu stellen. Kurfürst Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg und der katholische Bischof von Hildesheim, Jobst Edmund von Brabeck, sollten als kaiserliche Kommissare klären, wie in der sach ferner denen rechten und Reichs=Constitutionen nach procedirt, undt ohnpartheische justiz nach einlagung der commissions-relation ganz förderlich administrirt werden solle.186 In der Auseinandersetzung ging es unter anderem um die Entwendung von Reliquien aus dem Stiftsschatz, welche die Äbtissin ihren Gegnerinnen vorwarf und deren Restitution sie forderte.187 Obwohl die Verehrung von Reliquien auf evangelischer Seite seit der Reformation als katholischer Aberglaube abgelehnt wurde, blieben die Reliquien vielfach fester Bestandteil des jeweiligen Kirchenschatzes, auch wenn sie ihre theologische Bedeutung eingebüßt hatten und nicht mehr in das liturgische Geschehen eingebunden waren. Stattdessen nahmen sie den Charakter von weltlichen Erinnerungs- und Kunstgegenständen an.188 Dennoch bot ein solcher Streitgegenstand Anknüpfungs____________ 184

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Friedrich Wilhelm II. an Maria Kunigunde von Sachsen (20. Nov. 1786): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 942, fol. 24r-26r. S. o. Kap. Mandata, Rescripte und Kommissionen. Kaiser Leopold I. an Friedrich I./III. von Brandenburg (30. Dez. 1698): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande), Nr. 3119. Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14. Nov. 1705): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. Vgl. zum Beispiel zum Gandersheimer Kirchenschatz die Arbeit von HEILMANN, Aus Heiltum wird Geschichte.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

punkte für konfessionell aufgeladene Propaganda. So warf der Kurfürst seiner Cousine, der Äbtissin, vor, dass sie mit ihrem Einsatz für die Reliquien das devoir und die pflicht einer Evangelischen Christin vergesse.189 Gleichzeitig dienten ihm sowohl der Streitgegenstand als auch die konfessionelle Zusammensetzung der Kommission als Argument, um den Zugriff des Reichshofrates auf evangelische Territorien zu bestreiten: Da in einer solchen sache, die ein Evangelisches Stift und dessen membra betrift und wohin auch der bekante punct wegen der Reliquien mitgezogen werden will, kein Catholischer bischof Commissarius seyn könne, ohne dass den Rechten der evangelischen Stände zuwidergehandelt würde, wolle er, eine solche unrechtmäßige, dem gantzen Evangelischen Wesen höchst nachtheilige und gefährliche Commission in dieser Sache nimmermehr zum Fortgang kommen laßen, sondern sich bey dem Reich beschweren. Denn wenn dem Reichshofrat erlaubt werde, katholische Bischöfe in die Territorien evangelischer Fürsten zu entsenden, um dort Konflikte zu entscheiden und die Abkehr vom Papistischen Aberglauben zu examinieren, liege die Konsequenz auf der Hand – nämlich Rekatholisierung.190 Auch wenn es sich hierbei zunächst einmal um den überspitzten Entwurf eines konfessionspolitischen Szenarios handelte, dass die evangelische Verwandtschaft der Äbtissin davon überzeugen sollte, ihr Einhalt zu gebieten, zeichnet sich hier doch nicht nur ein konfessioneller, sondern auch politischer Gegensatz zwischen dem Kaiser und dessen katholischer Klientel einerseits sowie den evangelischen, nach Souveränität strebenden Reichsfürsten andererseits ab.191 Die rechtliche Überbrückung der Konfessionsproblematik im Westfälischen Frieden, in dem unter anderem festgeschrieben worden war, dass bei der Besetzung von Kommissionen die Konfession der Beteiligten zu beachten sei,192 bot ihnen eine Option, um den erneut steigenden Einfluss des Kaisers im Reich zu beschränken. Die Kommission trat nach dem Protest des brandenburgischen Residenten nicht in Erscheinung.193 ____________ 189

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Friedrich I./III. an Charlotte Sophie von Kurland (27. Febr./9. März 1699): Marburg HStA 4 f Preußen Nr. 434. Friedrich I./III. an Landgraf Karl von Hessen-Kassel (14./24. März 1699): Marburg HStA 4f Preußen Nr. 434. Vgl. HAUG-MORITZ, Zu einer vergessenen Wurzel deutscher föderativer Staatlichkeit, S. 412-417; DIES., Kaisertum und Parität. IPO, § 51. Die Regelung wurde 1654 gleichsam in die Reichshofratsordnung übernommen. Reichshofratsordnung (16. März 1654), in SELLERT (Bearb.), Die Ordnungen des Reichshofrates, Bd. 2, S. 119. Auftrag an den brandenburgischen Residenten Bartholdi in Wien (12./22. Jan. 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119.

5.2. Prozessieren

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Weitere Gründe für die Verzögerung oder das Nicht-in-Kraft-Treten einer kaiserlichen Kommission konnten die Beeinflussung von bestellten Kommissaren oder äußere Einflüsse wie der baldige Tod eines Fürsten sein. Dessen Nachfolger musste zunächst aufs Neue vom Kaiser mit der Kommission beauftragt werden. Solche Umstände verhinderten die Arbeit der kaiserlichen Kommission, mit der 1699 der König Christian V. von Dänemark und der Herzog Rudolf August von Braunschweig-Lüneburg von Leopold I. beauftragt wurden, um die Rechtmäßigkeit des Schutzherrnwechsels im Stift Quedlinburg sowie den sich daran entzündeten Konflikt zwischen Äbtissin und Stift sowie dem Kurfürsten von Brandenburg als neuem Schutzherrn zu klären.194 Nachdem Christian V. von Dänemark im August 1699 gestorben war, hatte man es am Reichshofrat versäumt, den Kommissionsauftrag gegenüber seinem Nachfolger zu erneuern.195 Hinzu kam, dass Friedrich I./III. den Herzog von Braunschweig-Lüneburg als zweiten Kommissar davon überzeugen konnte, dass die Kommission seinen Rechten zuwiderlaufe und allein auf übelgegründete[n] Vorstellungen beruhe.196 Der Herzog trat wenig später von dem Kommissionsauftrag zurück und das Kommissionsvorhaben verlief im Sand.197 Eine ganz ähnliche Strategie wandten der brandenburgische Kurfürst und seine Regierungsvertreter im Umgang mit dem kaiserlichen protectorium von 1699 an. Damit wurde verschiedenen Fürsten der Schutz der Herforder Äbtissin aufgetragen und ihnen die Umsetzung der Suspendierung der oppositionellen Kapitularinnen überantwortet,198 die wiederum unter dem Schutz Friedrichs I./III. standen. ____________ 194

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Reichshofratsprotokoll (2. April 1699): Dresden SHStA Geheimer Rat 8377/5, fol. 82r. Kopie des kaiserlichen Kommissariale an den König von Dänemark als Herzog von Holstein (2. April 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 269r-v. Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (21. Dez. 1699): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 722rv. Friedrich I./III. an Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel (8. Juni 1700): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) s5 1699-1725. Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel an Friedrich I./III. (23. Juni 1700): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) s5 1699-1725. Kaiserliche Konfirmation der Suspendierung der Herforder Kapitularinnen (12. Mai 1699), kaiserliches Dekret an die Konservatoren des Stifts Herford (Kurfürst von Köln, Kurfürst von Brandenburg, Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, Fürstbischof von Osnabrück und Herzöge von Braunschweig-Lüneburg), die Äbtissin bei der Umsetzung der Suspendierung zu beschützen (12. Mai 1699): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Bereits im Vorfeld hatte der Kurfürst gegen dessen Erlass protestiert. Dabei berief er sich nicht allein auf seine Stellung als Schutz-, sondern zugleich Landesherr, so dass Mir also das höchste Unrecht geschehen würde, wan [man] mir in meinem Lande und Territorio fremde protectores aufdringen wolte.199 Nachdem dennoch unter anderem der Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg als conservator bestellt worden war, intervenierten brandenburgisch-preußische Vertreter gegen dessen nachhaltiges Engagement. Der Landdrost der Grafschaft Ravensberg sorgte vor Ort dafür, dass man zu Hannover mit der Assistence nicht so sehr eylen [werde], als der Frau Abtißin durchlaucht und ihre unverständige Rathgeber sich Hoffnung machen.200 Gleichzeitig stellte man ihm in Hannover in Aussicht, dass der Kurfürst ganz von dem protectorium zurücktreten werde, wenn sich die Vorstellung durchsetzen ließ, dass der Schutzauftrag längst aufgehoben worden wäre.201 Tatsächlich beklagte sich der in Hannover weilende Herforder Kapitular Johann Ludewig von Sternfeld Ende November 1703 bei der Äbtissin wegen der Schwerfälligkeit der bestellten Protektoren.202 Einen solchen abwehrenden Umgang mit kaiserlichen Schutzaufträgen und Kommissionsvorhaben kann nicht nur bei mächtigen Reichsständen wie dem brandenburgisch-preußischen Kurfürsten-König, sondern auch bei intermediären Gewalten beobachtet werden. So gelang es Bürgermeister und Rat der Stadt Essen in der Auseinandersetzung mit der Essener Äbtissin über die geistliche Jurisdiktion, innerhalb der Stadt Mitte der 1730er Jahre die für sie wenig erfolg verheißende Hofkommission in Wien zu torpedieren, indem sie die Absendung eines bevollmächtigten Unterhändlers verzögerten.203 Dem daraufhin ergangenen kaiserlichen Mandat, das Bürgermeister und Stadtrat die Ausübung der geistlichen Jurisdiktion über katholische

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Protest Friedrichs I./III. gegenüber Kaiser Leopold I. (11./21. Febr. 1699): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119. So lautete die Erklärung, die der Landdrost der Grafschaft Ravensberg, Clamor von dem Bussche, vom Hannoveraner Kammerpräsidenten Friedrich Wilhelm von Schlitz genannt von Görtz erhalten hatte. Siehe Bericht des Landdrosten von dem Bussche an den König und sein Kabinett zu Berlin (22. Nov. 1703): Berlin GStA PK I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3123. Bericht des Kapitulars Sternfeld an Charlotte Sophie von Kurland (27. Nov. 1703): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 118. Reichshofratsvotum (9. April 1734), Suppliken des Agenten der Stadt Essen (19. Juni u. 31. Aug. 1734): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur Nr. 247/4.

5.2. Prozessieren

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Stadtbürger verbot,204 wurde hingegen nach Aussage des Stiftsagenten nicht parirt, sondern dasselbe stattdessen mit Spott undt Hohn bedacht. Es könne demnach kein Zweifel mehr daran bestehen, dass es die Stadtverantwortlichen auf bloße verzögerungen des Verfahrens absähen, so der Agent.205 Vor dem Hintergrund abgewiesener Mandate und nicht vollstreckter Urteile, bestechlicher Richter und diplomatisch beeinflusster Prozessverläufe stellt sich die Frage nach der Wirkmächtigkeit und Unabhängigkeit der obersten Reichsgerichte sowie nach dem Einfluss, den der Kaiser auf sie ausüben konnte. Erwies sich also der kaiserliche ‚rechte Arm‘ im Fall der bedrängten Äbtissinnen und ihrer Reichsstifte tatsächlich als zu kurz? Die skizzierten Beispiele aus den drei Stiften Herford, Quedlinburg und Essen haben gezeigt, dass es den Reichshofräten trotz flexibler Verfahrenspraxis häufig nicht gelang, einen Kompromiss zwischen den streitenden Parteien zu stiften, geschweige denn eine endgültige Lösung der anhängigen Auseinandersetzungen herbeizuführen. Stattdessen wurden Konflikte dauerhaft in der Schwebe gehalten. Dies hing zum einen mit den schwierigen Rechtsverhältnissen im Alten Reich zusammen, wo sowohl konkurrierende Rechtsansprüche als auch widersprüchliche Rechte unvermittelt nebeneinanderstanden. Um die bestehende Ordnung nicht zu gefährden und den Status quo zu bewahren, verzichteten die Richter daher vielfach auf eindeutige Zuweisungen. Zum anderen waren weder nachteilige Mandate noch Endurteile gegenüber mächtigen Reichsständen wie dem Kurfürsten-König von Brandenburg-Preußen zu exekutieren. Zwar wandte er sich selbst klagend an den Kaiser, berief sich auf reichsrechtliche Regelungen beispielsweise im Hinblick auf die vorschriftsmäßige Insinuation kaiserlicher Mandate, um diese abzuwehren,206 unterstützte die Klagen seiner Schutzbefohlenen vor dem Reichshofrat und setzte alles daran, selbst als kaiserlicher Kommissar in die Prozesse einzugreifen.207 Letzteres diente ihm ____________ 204

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Kaiserliches Mandat gegenüber Bürgermeister und Rat der Stadt Essen (3. Sept. 1734): Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur Nr. 247/4. Supplik des Anwaltes des Stifts Essen (praes. 22. Nov. 1734): Wien ÖHStA HHStA HRH Obere Registratur Nr. 247/4. Friedrich I./III. an Kaiser Leopold I. (17. Mai 1699), abgedruckt in AN IHRO KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG AUF DAS ALLERGERECHTESTE MANDATUM SINE CLAUSULA, S. 3f. Kurfürst Friedrich I./III. bezog sich darin auf die Cammer Gerichts=Ordnung von 1555 und den Visitation Abschied 1660, wonach nur ein legaler und immatriculirter Notarius zur legalen und ordentlichen Insinuation käyserlicher Mandate und Processe gebraucht werden dürfe. Als Mitte der 1730er Jahre ein kaiserlicher Kommissionauftrag an das NiederrheinischWestfälische Kreistagsdirektorium im Streit zwischen der Essener Äbtissin sowie dem

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

aber vor allem dazu, den kaiserlichen Einfluss in seinen Interessengebieten zurückzudrängen. Überhaupt legen die Beispiele nahe, dass ein mächtiger Reichsstand wie der preußische König immer dann auf das Reichsrecht und die Reichsgerichtsbarkeit zurückgriff, wenn es ihm Vorteile verschaffte, er sie andernfalls aber ebenso gut ignorierte. Des Weiteren wurde die Tätigkeit des Reichshofrates immer wieder von politischen Interessen des Kaisers beeinflusst und seine Effektivität als Gerichtsinstanz gehemmt. Zwar war auch das Reichsoberhaupt an das Reichs- und Verfahrensrecht gebunden.208 In diesem Sinne erklärte Prinz Eugen von Savoyen Mitte der 1720er Jahre in der Bündnisanbahnungsphase zwischen Kaiser Karl VI. und Friedrich Wilhelm I. in Preußen, daß erdeuteter Reichshofrath als ein Justizgericht fürgehn und handeln muß, was nach Beschaffenheit der Geschäfte die Billigkeit und reichssatzungsmäßige Ordnung erfordert […], alß daß bei soviel differenten und odiosen Reichshändeln Ihro kaiserliche Majestät nicht auch dann und wann als Caput Imperii, wenn es zur Entscheidung kommt, in Sachen zu sprechen gezwungen sein, wie es der hergebrachten Justiz Ordnung und dero reichoberrichterlichem Amt oblegen ist.209

Aber dennoch wurden nach Abschluss des Geheimbündnisses zwischen Kaiser und König seit Herbst 1726 alle Preussische Sachen jetzo gantz delatorisch tractiet.210 Hiervon waren auch die anhängigen Verfahren der Äbtissinnen ____________

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Bürgermeister und dem Rat der Stadt Essen erging, bestand Friedrich Wilhelm I. darauf, dass er allein die Kommission wahrnehme. Königlicher Befehl an den preußischen Geheimen Rat Pollmann am Kreistag, dafür zu sorgen, dass sich die anderen Kreistagsdirektoren heraushalten (18. Sept. 1734): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1667, fol. 14r-v. Vgl. PRESS, Die kaiserliche Stellung im Reich, S. 211, 215. Prinz Eugen von Savoyen an den kaiserlichen Gesandten in Berlin Graf Seckendorff (28. März 1725), zitiert nach FÖRSTER (Bearb.), Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrich Wilhelms I., Bd. 2, S. 27. S. Berichte des Quedlinburger Agenten Behr in Wien (13. Juli, 14. Sept., 23. u. 28. Sept. 1726): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 10, fol. 488r-489v u. Nr. 11, fol. 197r198v, 226r-228v, 212r-213v. Im Umfeld des österreichisch-preußischen Geheimvertrags vereinbarten die zuständigen Minister die Beilegung der vielfältigen Streitigkeiten am Reichshofrat stattdessen durch gütliche Vergleichsverhandlungen unter der Vermittlung eines kaiserlichen Kommissars. Hierbei handelte es sich um Heinrich Rüdiger von Ilgen auf preußischer Seite sowie auf Seiten des Kaisers um dessen Berliner Gesandten Graf Seckendorff und Prinz Eugen von Savoyen als Vorsitzender der Geheimen Konferenz in Wien. Erstmals im Sommer 1726 schlug Ilgen in Absprache mit Seckendorff dem König vor, dass der Kaiser den klagenden Parteien einen Vergleich unter der Vermittlung des Grafen Seckendorff vorschlagen solle. Ein knappes Jahr später wurde tatsächlich der kaiserliche Diplomat Wurmbrand nach Berlin entsandt, um sich mit Ewer königliche Majestät

5.2. Prozessieren

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von Herford, Quedlinburg und Essen betroffen, die nur zögerliche oder gar keine Entscheidungen mehr hervorbrachten und stattdessen in Kommissionsverhandlungen überführt wurden.211 Zumindest sorgte die Einschaltung des Reichshofrates oder auch schon die Androhung dieses Schrittes dafür, dass selbst ein mächtiger Reichsstand wie der preußische König sein Vorgehen rechtfertigte, sich auf Verhandlungen mit den Äbtissinnen einließ und sich zu, wenn auch eindeutig zu seinen Gunsten ausschlagenden, Kompromissen bereitfand,212 welche die symbolische Existenz der Reichsstifte Herford und Quedlinburg sicherten.

Vertrauensverlust Trotz der Rückschläge, die vor allem die Äbtissinnen der evangelischen Stifte Herford und Quedlinburg Anfang des 18. Jahrhunderts erfuhren, setzten die Reichsäbtissinnen immer wieder ihr Vertrauen in das Reichsoberhaupt als obersten Richter und den Reichshofrat als eines der beiden Reichsgerichte. In immer neuen Suppliken stellten sie dort ihre Be____________

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Ministerio in diesen Proceßsachen [zu] unterreden, das gute auf festen Fuß zu setzen, daß nicht allerdings Wohlbegründete durch gütliche Mittel und Vorschläge abzuthun. Vgl. Immediatbericht Ilgen (3. Juli 1726): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 1 Nr. 293, fol. 41r-42r; Vortrag Seckendorff gegenüber Friedrich Wilhelm I. (19. Mai 1727), zitiert nach FÖRSTER (Bearb.), Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrich Wilhelms I., Bd. 2, S. 95f. (Zitat). Vgl. dazu SCHENK, Reichsjustiz im Spannungsfeld, S. 198-205. Im Herforder Streit um den Bau einer neuen Mühle erging zwar 1725 ein kaiserliches Mandat an den preußischen König, das ihm diesen Bau untersagte. Danach brach das Reichshofratsverfahren jedoch ab. Der durch den Reichsfiskal erneut angestoßene Prozess wegen dem eigenmächtigen Verkauf der Quedlinburger Schutzvogtei wurde zunächst verzögert. Kaiserliches Mandat an Friedrich Wilhelm I. in Preußen (27. Febr. 1725): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127. Nach Abschluss des österreichisch-preußischen Bündnisses (1726/1728) plädierten dann der Reichshofratspräsident und -vizepräsident auf bilaterale Verhandlungen. Bericht des Quedlinburger Agenten Behr über seine Unterredung mit dem Reichshofratspräsidenten Ernst Friedrich von Windisch-Graetz (5. März 1727) sowie mit dem Reichshofratsvizepräsidenten Johann Wilhelm von Wurmbrand-Stuppach (8. Okt. 1727): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 11, fol. 333r-v, 415r-416r. Im Streit um die Besetzung von Stift und Stadt Essen durch preußische Soldaten ergingen wiederholte kaiserliche Aufforderungen zum Abzug des Militärs, jedoch ohne diese mit Nachdruck zu verfolgen. Kaiserliche Dekrete an den preußischen König Friedrich Wilhelm I. (5. Jan. 1725, 2. Okt. 1725, 18. März 1727): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 1658, 1665, fol. 452r-453r; ebenso (28. März 1726): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 951, fol. 113r-v. S. o. Kap. Verhandlung.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

schwerden wider den König vor, ohne jedoch nachhaltige Unterstützung zu bekommen.213 Erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts zeichnete sich ein gewisser Gesinnungswandel und Strategiewechsel ab und nahmen die Prozesse vor dem Reichshofrat unter Beteiligung der Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg ab. Während die Herforder Äbtissin seit 1729 durch einen vom preußischen König abgerungenen Revers nur mehr Äbtissin unter preußischem Protektorat war,214 erwog die Quedlinburger Äbtissin seit Ende der 1730er Jahre eine Annäherung an ihren Schutzherrn. Im Frühjahr 1738 handelten der Stiftshauptmann und die Stiftsräte gemeinsam einen Plan zur Verringerung des Rates von drei auf zwei Ratsmittel aus.215 Äbtissin und Schutzherr zogen in dieser Frage erstmals an einem Strang: Während Maria Elisabeth sich bereit erklärte, die königliche Approbation zur Umgestaltung des Rates einzuholen, bemühte Friedrich Wilhelm seinen Stiftshauptmann, um den Widerstand der Pröpstin zu brechen, die sich der Reduzierung des Rates widersetzte. Als diese Bemühungen scheiterten, übergingen Schutzherr und Äbtissin den Protest der Pröpstin.216 Die Anfrage Maria Elisabeths gegenüber dem preußischen König um Approbation der Reduzierung des Ratsmittels darf als eindeutiger Beleg gewertet werden, dass sich die Äbtissin langsam auf den Schutzherrn zubewegte. Denn ursprünglich wurde gerade die alleinige Abhängigkeit des Stadtrates vom Regiment der Äbtissin auf Schärfste verteidigt. Als 1740 noch dazu kein Habsburger, sondern ein Wittelsbacher unter preußischer Duldung zum Kaiser gewählt wurde, erkannte man im Stift Quedlinburg angesichts der Schwäche des Römischen Reichs sowie der so hoch gestiegene Macht des Preußischen Hauses die ____________ 213

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Vgl. wiederholte Suppliken an Kaiser Karl VI. durch die Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (18. Aug. 1726, 6. Sept. 1729, 18. Dez. 1731, 17. Okt. 1732): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 11, 12, fol. 97r-104r, 13, fol. 5r-13r, 294r-300v; ebenso durch die Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (28. Juni u. 16. Dez. 1720, 21. Juni 1723): Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 127, 202. S. o. Kap. Politische Loyalität. Die drei Ratsmittel bildeten den Großen Rat und wechselten sich jährlich in der Administration der Stadt ab. Friedrich Wilhelm I. an den Stiftshauptmann von Plotho (27. Febr. 1738), Maria Elisabeth an Friedrich Wilhelm I. mit der Bitte um Approbation (15. März 1738), königliche Approbation zur Reduzierung des Ratsmittels (20. März 1738), Protest der Pröpstin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf gegenüber Maria Elisabeth von HolsteinGottorf (24. März 1738), Friedrich Wilhelm I. beauftragte Stiftshauptmann von Plotho, die Pröpstin umzustimmen (9. Mai 1738), Friedrich Wilhelm I. an die Pröpstin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf (9. Mai 1738): Schleswig LASH Abt. 260 Nr. 127, fol. 11r-12r, 13r-v, 14r-v, 45r-46r, 19r-v, 70r-71r.

5.2. Prozessieren

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Notwendigkeit, auch Unser Quedlinburgisches Systheme zu ändern und die Nähe des preußischen Königs zu suchen.217 Auf diese Weise hoffte man, sowohl die Existenz des Stifts als auch den herrschaftlichen Handlungsspielraum der Äbtissin soweit wie möglich zu sichern. In den anschließenden Verhandlungen um die Wahl einer preußischen Coadjutorin setzten Äbtissin und Stiftsräte daher alles daran, die Restitution des Stifts in seinen althergebrachten Rechten durchzusetzen.218 An Kaiser und Reichshofrat wandte man sich von da an nicht mehr. Das eingangs durch Johann Jacob Moser beschworene Ansehen und die Autorität von Reichsoberhaupt und Reichsgericht waren nicht nur in der Wahrnehmung der Quedlinburger Äbtissin und ihrer Stiftsräte, sondern auch innerhalb des Reiches aufgrund der zunehmenden Verschränkung von Kaisertum und österreichischen Hausmachtinteressen stark gesunken.219

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Gutachten, unbekannter Verfasser, wohl Umfeld des Stifts (o.D.): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 30, fol. 122r-124r. S. o. Kap. Verhandlung. Vgl. ARETIN, Das Alte Reich, Bd. 3, S. 81; DUCHHARDT, Barock und Aufklärung, S. 159f.; HAUG-MORITZ, Des „Kayers rechter Arm“, S. 34f.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

5.3. Protegieren 5.3. Protegieren

Im Herbst 1764 trafen im böhmischen Badeort Teplitz die sächsische Prinzessin Maria Kunigunde und der römische König Joseph, der spätere Kaiser Joseph II., aufeinander. Ziel dieser durch die Kurfürstin-Witwe Maria Antonia von Sachsen und Kaiserin Maria Theresia arrangierten Zusammenkunft war die Ehestiftung zwischen der Prinzessin und dem Erzherzog. Das Treffen im Herbst 1764 verlief jedoch wenig erfolgreich: Maria Kunigunde war verlegen, beteiligte sich kaum an den Gesprächen und schlug die Aufforderung des Erzherzogs zu einer musikalischen Aufführung aus. Auch wenn aus Dresden offiziell verlautbart wurde, die Zusammenkunft sei vergnügt vor sich gegangen,1 begrub man insgeheim die Hoffnungen auf diese glanzvolle Verbindung. Zurück in Wien lobte Joseph gegenüber seinen Eltern zwar den Gemütscharakter Maria Kunigundes, erklärte jedoch schließlich, daß er aber dargegen dero Persönliches so gefunden, daß ihn solches, sich vor Sie zu declariren, nicht vermöge.2 Obwohl Joseph lieber Junggeselle bleiben wollte,3 entschied er sich schließlich stattdessen für eine Ehe mit der bayrischen Prinzessin Maria Josepha, weil die wenigstens Busen hat – wie ein Wiener Gesandter kommentierte.4 Es war aber nicht das Aussehen Maria Kunigundes, an dem das Heiratsprojekt scheiterte, sondern vielmehr die machtpolitischen Interessen der Habsburger. Während der bayrische Kurfürst bei einer bayrisch-österreichischen Heiratsverbindung den Erwerb von Allodialerbgütern in Aussicht stellte und somit die österreichischen Hoffnungen auf einen künftigen Erbanfall Bayerns an Österreich nährte,5 hatte Kursachsen bereits vor und dann vor allem im Siebenjährigen Krieg an Macht und Ansehen verloren.6 Im Gegensatz zur bayrischen Prinzessin war Maria Kunigunde die bei weitem schlechtere Partie. In diesem Sinne urteilte ihr Bruder, Franz Xaver, einmal: Nur ein Wahnsinniger könnte daran denken, uns zu heiraten.7 ____________ 1

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Kabinettsschreiben an den kursächsischen Gesandten Petzold in Wien (12. Okt. 1764): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 776/2, fol. 263r. Bericht des kursächsischen Gesandten Petzold in Wien (17. Okt. 1764): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 776/2, fol. 267r-269r. Ebd. Zitiert nach SCHRÖDER, Maria Kunigunde von Sachsen, S. 7. Vgl. auch PUPPEL, Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen, S. 51. Bericht des kursächsischen Gesandten Petzold in Wien (6. Jan. 1764): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 776/2, fol. 6r-9r. Vgl. KELLER, Landesgeschichte Sachsen, S. 153f. Zitiert nach SCHRÖDER, Maria Kunigunde von Sachsen, S. 3.

5.3. Protegieren

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Nichtsdestoweniger waren sowohl Maria Kunigunde als auch das sächsische Kurhaus vor den Augen des europäischen Adels blamiert und forderten eine Entschädigung.8 Maria Theresia bot hierauf der sächsischen Prinzessin zunächst die Coadjutorie im von ihr selbst gegründeten Prager Damenstift an.9 Dessen Äbtissin war jedoch österreichische Untertanin und auf das Wohlwollen der Kaiserin sowie deren finanzielle Unterhaltung angewiesen.10 Eine solche Vorstellung widerstrebte dem kursächsischen Hof und wurde als unstandesgemäß abgelehnt.11 Stattdessen schlug der sächsische Agent am Kaiserhof einige Jahre später die Coadjutorie in den kaiserlich freiweltlichen Stiften Essen und Thorn vor,12 die man für ein anständiges Etablissement hielt.13 In den folgenden Wochen und Monaten waren es nicht zuletzt ____________ 8

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Nur wenig später verlangte auch der bayrische Kurfürst vom Wiener Hof ein Treffen zwischen dem Erzherzog und seiner Schwester. Bericht des kursächsischen Gesandten Petzold in Wien (24. Okt. 1764): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 776/2, fol. 283r-287v. Dieses Angebot der Kaiserin wurde dem sächsischen Gesandten Petzold durch den Fürsten Kaunitz unterbreitet. Bericht des kursächsischen Gesandten Petzold in Wien (17. Nov. 1764): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 776/2, fol. 356r-358v. Vgl. KÖPL, Geschichte des k.k. freiweltlich adeligen Damenstiftes zu den Heiligen Engeln in Prag. Kabinettschreiben an den kursächsischen Gesandten Petzold in Wien (23. Nov. 1764): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 776/2, fol. 362r-365r. Kabinettsorder an den kursächsischen Gesandten Petzold in Wien (29. Nov. 1773): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 1r-v. In der Zwischenzeit war der Versuch der Kaiserin, Maria Kunigunde die Coadjutorie im Stift Münsterbilsen zu beschaffen, an der Renitenz einiger Kanonissen gescheitert. Unter dem Druck des Reichshofrates, dessen Gutachten für die Sperrung der weltlichen Einkünfte der Kanonissen plädierte, erreichte die Kaiserin Jahre später lediglich die Aufnahme der Prinzessin als Kanonissin. Vgl. Bericht des kaiserlichen Abgesandten in Münsterbilsen an den kursächsischen Gesandten Petzold am Wiener Hof [Aug. 1766]: Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/10, fol. 69r-76v; Kabinettschreiben an den sächsischen Gesandten Petzold in Wien nach Aufnahme Maria Kunigundes (20. Jan. 1769): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/10, fol. 256r; Klage der Äbtissin von Münsterbilsen am Reichshofrat (praes. 17. Febr. 1769): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/10, fol. 272r-275v; zwei Reichshofratsgutachten, welche die Rechtmäßigkeit der Aufnahme Maria Kunigundes von Sachsen ins Stift Münsterbilsen bestätigen (1. Sept. u. 13. Nov. 1769): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/10, fol. 288r-291r, 305r; Bericht des sächsischen Gesandten Petzold in Wien über die Hinwendung der Kanonissen von Münsterbilsen nach Rom (25. Nov. 1769) sowie nach Aufgabe des Widerstandes (15. Dez. 1770): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/10, fol. 303r-304r, 322r-326r. Kurtrierer Rat Kriftenstein an die Dresdener Kabinettsräte (13. Dez. 1773): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 13r-14v.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

kaiserliche Beamte wie der Reichsfiskal Helm, der Reichsreferendar Leykam oder der kaiserliche Gesandte Metternich im Zusammenspiel mit kursächsischen und Kurtrierer Vertretern,14 die sich in Wien und vor Ort in Essen um die Wahl Maria Kunigundes bemühten. Sie stachen eine Gegenkandidatin aus dem Haus Pfalz-Zweibrücken aus, gewannen weitere Beförderer wie den Kurfürsten Karl Philipp Theodor von Pfalz-Neuburg, bauten innerstiftische Widerstände gegen eine Kandidatin extra gremio ab und sicherten die Stimmen der Wähler.15 Darüber hinaus streckte die Kaiserin einen Großteil der nötigen Wahl- und Bestechungsgelder, insgesamt 20.000 Gulden vor.16 Ging es bisher um die Stellung der Äbtissinnen und Stifte im Reich, so richtet das Beispiels Maria Kunigundes den Blick abschließend auf die Stellung des Kaisers im Stift. Dabei wird gleichzeitig deutlich, dass es sich beim Kaiser nicht um eine einzelne Person, sondern um eine Akteursgruppe handelte, die im Fall Josephs II. auch dessen Mutter umfasste. Diese trat als Beförderin in Erscheinung, bediente sich aber des Personals, der Kommunikationskanäle und der Autorität, die das Herrscheramt ihrem Sohn eröffneten. Welches Interesse hatte also das Reichsoberhaupt mitsamt seinem Umfeld an den kaiserlich frei-weltlichen Stiften und welche Möglichkeiten standen ihm als oberstem Lehnsherrn offen, um in die internen Belange einzugreifen und seine Interessen durchzusetzen? Seit Leopold I. betrieben die frühneuzeitlichen Kaiser eine systematische Reichskirchenpolitik.17 Anders als die mächtigen weltlichen Fürsten, die durch den Erwerb auswärtiger Kronen aus dem Reich herauswuchsen, hatten die geistlichen Fürsten ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung des Reiches und seiner legitimitätsstiftenden Rituale, die auch ihren Fortbestand ____________ 14

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Der Bruder Maria Kunigundes, Clemens Wenzeslaus, war Kurfürst von Trier sowie Bischof von Augsburg. An dessen Hof hielt sich die Prinzessin seit Jahren auf. S. o. Kap. Heimliche Kurfürstin. Vgl. Bericht des kursächsischen Agenten Petzold am Wiener Hof (5. Febr. 1774) sowie den Briefwechsel des Kurtrierer Staatsrates Kriftenstein mit dem in Essen engagierten Kurpfälzer Abgesandten Roberts (23. März 1774, 31. März 1774): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11, fol. 98r-104v, 209r-211r, 212r-214v; Bericht des kursächsischen Agenten Petzold am Wiener Hof (15. Febr. 1775): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/12, fol. 100r-v. Der kursächsiche Gesandte Petzold am Wiener Hof berichtete, dass die Kaiserin sogar bereit sei, die Kosten unter der Hand auf sich zunehmen. Bericht des Gesandten Petzold (5. Febr. 1774): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 766/11 98r-104v. Vgl. BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 42; ARETIN, Das Alte Reich, Bd. 2, S. 382-390; WOLF, Die Reichskirchenpolitik des Hauses Lothringen.

5.3. Protegieren

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sicherten und sie zur Herrschaftsausübung berechtigten. In den geistlichen Kurfürsten und Fürsten fanden die Kaiser daher eine wenn auch nicht unbedingt kaiser-, so doch zumindest reichstreue Anhängerschaft, die sie durch eine gezielte Klientelpolitik bei der Pfründenvergabe noch zu verstärken suchten. In diesem Zusammenhang waren es vor allem die kaisernahen Bistümer und Abteien im Süden des Reiches sowie die Kurfürstentümer und großen Fürstbistümer, deren Besetzung die Aufmerksamkeit des jeweiligen Kaisers auf sich zog.18 An den norddeutschen kaiserlich frei-weltlichen Damenstiften zeigte das Reichsoberhaupt im 17. und 18. Jahrhundert insgesamt nur wenig Interesse. Sie verfügten über keine gewichtige Stimme an Reichs- und Kreistagen, kein wichtiges Amt in der Hierarchie des Reiches, kein schlagkräftiges Heer und keine strategisch günstige Lage.19 Daher wurden die Klagen der Stifte häufig von der Agenda des Kaisers und seiner Vertreter, obwohl erst angenommen, durch bündnispolitische Erwägungen und die Groß-Wetter-Lage im Reich oder Europa verdrängt. Stifte wie Quedlinburg und Essen gewannen aber dann für den Kaiser an Interesse, wenn sich die Gelegenheit bot, sie für sein Patronagenetz oder die Versorgung einer nahen Verwandten nutzbar zu machen. Anhand der wenigen Beispiele kaiserlicher Klientelpolitik in den Reichsstiften lassen sich Mittel und Wege rekonstruieren, auf Grundlage derer das Reichsoberhaupt seinen Einfluss geltend machen konnte, sowie dessen Grenzen aufzeigen.

Die Wahl am falschen Ort Als oberstem Lehnsherrn oblag dem Kaiser nicht allein die Investitur der Äbtissin mit allen (weltlichen20) Rechten und Gütern des Stifts, sondern gleichzeitig war er der oberste Wahrer des Lehnswesens, aus dem sich sowohl seine als auch die Legitimität des gesamten Reiches und seiner Glieder speiste. Dazu gehörten der Schutz der freien Wahlhandlungen sowie die Prüfung, ob der Wahlvorgang gemäß den kanonischen Rechten und Statu____________ 18 19

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Vgl. BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 42-52. Allesamt Kriterien, die Bettina Braun als Gründe für das kaiserliche Engagement an den Wahlen von geistlichen Kurfürsten, Fürsten und Prälaten ausmacht. Vgl. BRAUN, Geistliche Staaten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 45-47. Die Investitur mit allen geistlichen Rechtstiteln erfolgte im katholischen Stiften Essen noch immer auf Grundlage des Wormser Konkordats von 1122 durch den Papst. In den beiden evangelischen Stiften hatte der Kaiser diesen Part nach der Reformation übernommen.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

ten des Stifts abgelaufen war.21 Andernfalls konnte er den Anspruch geltend machen, regulierend in das Wahlverfahren einzugreifen. Wichtiges Moment für die Legitimität dieser Handlungen war die Neutralität des Kaisers als Reichsoberhaupt, das aus Sicht der Reichsstände seine Autorität nicht zur Vorteilsnahme für sich und seine Parteigänger einsetzen durfte. Dem gegenüber standen die hausmachtpolitischen Interessen des Kaisers als Erzherzog von Österreich, der seine Bündnispartner zufriedenstellen und sein dichtes Klientelnetz festigen musste. Anhand der schwierigen Neuwahl einer Quedlinburger Äbtissin am Anfang des 18. Jahrhunderts wird im Folgenden die Rolle des Kaisers und des Reichshofrates als Kontrollorgan des kanonischen Wahlverfahrens in den Blick genommen und danach gefragt, inwiefern sich die Gegensätze zwischen Amts- und Hausmachtinteressen auf die Ausübung dieser Rollen auswirkten. Im Frühsommer 1704 war die amtierende Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar bereits schwer krank und starb wenig später. Zuvor hatte sie jedoch noch mit den Mitgliedern ihres Kapitels während eines Treffens auf der Abtei die Wahl einer Coadjutorin verabredet. Die Äbtissin und die Mehrheit des Kapitels legten sich dabei auf Magdalena Sybilla von SachsenWeißenfels fest, deren Bestellung sie dem preußischen König als Schutzherrn des Stifts im Anschluss anzeigten.22 Friedrich I./III. protestierte gegen diese Wahl, die seinen eigenen Interessen entgegenlief.23 Sein Protest fußte einerseits darauf, dass weder sein schutzherrlicher Konsens eingeholt worden sei, noch die Kandidatin seine Zustimmung finde, die laut dem Vertrag von 1574 zwischen Stift und Schutzherrn eigentlich nötig war,24 andererseits ____________ 21

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Das kanonische Recht war auch nach der Reformation neben Statuten, Wahlkapitulationen und dem Herkommen die maßgebliche Bezugsgröße für die Einrichtung der Wahlhandlungen in den evangelischen Stiften. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an Friedrich I./III. (22. Mai 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 13r-14v; Quedlinburger Kapitel an Friedrich I./III. (22. Mai 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 14r-15r [fol. 14 zweimal vergeben]. Um seine Anerkennung als Landesherr zu erreichen, wünschte Friedrich I./III. eine Preußen loyale Äbtissin. In dem der Äbtissin Elisabeth von Regenstein durch Kurfürst August von Sachsen abgerungenen Vertrag von 1574 hatte diese eingestehen müssen, daß hinfürder keine Abbtißin oder Coadjutorin gewöhlet werden solle, dann mit Seiner Churfürstlichen Gnaden und derselben Nachkommen Vorwißen, […] und soll der Pröbstin und Capitel gemein sonsten ihr Jus der freyen Wahl, vermöge der fundation bleiben, Jedoch daß [sie] Seiner Churfürstlichen Gnaden und denselben Nachkommen Niemand zuwieder wöhlen [würden]. Vertrag von 1574: Abschrift in Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8728/6; ediert in LORENZ (Bearb.), Quellen zur städtischen Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte von Quedlinburg, Teil 1, S. 153-155.

5.3. Protegieren

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auf den verschiedenen Verfahrensfehlern, die der Ablauf des Wahlgeschehens aufweise.25 Diese Vorwürfe griff er wenig später auch in seiner Beschwerde beim Kaiser wieder auf. Darin beklagte er, dass dießes vornehmes weder vor eine vollkommene Wahl gehalten werden, noch selbige, wann Jemandt solche für vollkommen außgeben wollte, in rechten bestehen, und Ewer Mayestät allerhöchste confirmation meritiren könne. Denn weder wurden die bey denen abteilichen Electionen sonst gewöhnlichen Solennia observiret, noch war der Prinzessin das decretum postulationis ausgestellt worden. Gleichzeitig bestand er auf der Notwendigkeit seiner Zustimmung zu Wahlverfahren und Kandidatin.26 Tatsächlich weist das Stiftsprotokoll über das Zusammentreffen von Äbtissin und Kapitularinnen, an dessen Ende die Prinzessin von Sachsen-Weißenfels als künftige Nachfolgerin gehandelt wurde, wenige der formellen Verfahrensschritte auf, die bei der Wahl einer Quedlinburger Coadjutorin üblicherweise zu beobachten waren.27 Eine nachträglich auf Verlangen der Pröpstin Maria Aurora von Königsmarck hin korrigierte Version des Protokolls zeugt zudem von deren Protesthaltung, indem sie die Beratung vorzeitig verlassen hatte. Daher bestand bei der Äbtissin und den übrigen Mitgliedern des Kapitels ein enormes Legitimationsbedürfnis für das Wahlverfahren. Die Äbtissin sah sich zunächst genötigt, kurz nach der Wahl ein notarielles Gutachten über ihren guten völligen [Verstand] erstellen zu lassen, um Zweifeln an ihrem Geisteszustand entgegenzuwirken.28 Nach ihrem baldigen Tod holten die Kapitularinnen verschiedene theologische Gutachten ein, welche die Gültigkeit ____________ 25

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Friedrich I./III. in Preußen an Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (27. Mai 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 27r-28r. Friedrich I./III. an Kaiser Leopold I. (18. Sept. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 146r-151v. Der übliche Ablauf einer Coadjutorin-Wahl glich der Äbtissinnenwahl. Zu Beginn wurde die Messe de sanctu spirito gefeiert, bevor das Kapitel auf dem Kapitelchor zur geheimen Wahl schritt. Es mussten zwei Notare mitsamt Zeugen bestellt werden, die über den Ablauf der Wahl notarielle Protokolle, sogenannte Wahlinstrumente, anfertigten. Hinzu kommen noch zwei scrutatores aus dem Kreis der Wählerinnen, welche die Rechtmäßigkeit der Wahl beobachten und die Stimmen einsammelten. Es wurde dann geheim abgestimmt. Nach Abgabe aller Stimmen eröffnete die Pröpstin den Ausgang der Wahl. Im Stift konzipierte Monita, wie eine Quedlinburger Äbtissinnenwahl ablaufen muss, Beilage zur Druckschrift DEDUCTIO SUMMARIA. Vgl. dem gegenüber zwei Versionen des Stiftsprotokolls über den ‚Wahlakt‘ (20. Mai 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 8. Notarielles Gutachten über den Geisteszustand der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (23. Mai 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 19r-23v.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

der Wahl und das in der fundatio verankerte freie Wahlrecht bestätigten.29 In Ermangelung eines notariell angefertigten Wahlprotokolls verfertigten die Kapitularinnen nachträglich einen Bericht über das Wahlgeschehen, in dem sie die formlose Zusammenkunft und Beratschlagung, wie sie aus dem Stiftsprotokoll hervorscheint, in der Retrospektive als ein förmliches Wahlverfahren ausgaben: Die Kapitularinnen hätten zunächst Gott im Gebet angerufen – in Anlehnung an die traditionelle Messe de sanctu spirito30 –, dann habe sich das gesamte Kapitel ins Gemach der Äbtissin begeben – der falsche Ort für die Wahl –, wo nach nochmaliger Vorstellung der Gründe für die Wahl einer Coadjutorin die Abstimmung erfolgt sei. Dass die Gräfin von Königsmarck nicht nur gegen die Kandidatin protestierte, sondern noch vor der Abstimmung das Zimmer verließ, um der Handlung mit ihrem Verlassen die Anerkennung abzusprechen,31 blieb im Bericht der Kapitularinnen unerwähnt.32 Auch sie wandten sich mit ihrer Darstellung der Ereignisse an den Kaiser, um die Confirmation der Wahl sowie den Erlass eines kaiserlichen mandatum postulationis annexa inhibitione poenali de non eligenda zu erwirken, das sie vor den Forderungen des preußischen Königs nach Neuwahlen schützen und ihr freies Wahlrecht verteidigen sollte.33 Als oberstem Lehnsherrn oblag nun dem Kaiser, die Rechtmäßigkeit der Quedlinburger Wahl von 1704 zu prüfen. Diese Aufgabe wurde von den Räten am Reichshofrat in der Funktion als kaiserlicher Lehnskammer übernommen. Dort reichten die Kapitel der Stifte Herford, Quedlinburg und ____________ 29

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Samuel Benedict Carpzov, kursächsischer Oberhofprediger, an unbekannten Stiftsrat (11. Juli 1704), theologisches Gutachten der Universität Rostock (o.D.) und der Universität Helmstedt (o.D.) über die Gültigkeit der Wahl: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 41r-42r, 93r-97r, 75r-91v. Vorbildlich hierfür war die Eröffnungsmesse am Wahltag eines neuen Königs. „Die Heilig-Geist-Messe [war] seit dem 15. Jahrhundert das üblich Eröffnungsritual, das zu seligem Anfange der Beratungen diente und die Einmütigkeit der Teilnehmer als christliche Sakralgemeinschaft konstituierte.“ Vgl. STOLLBERG-RILINGER, Des Kaiser alte Kleider, S. 112-114, Zitat 112; DOTZAUER, Anrufung und Messe zum Heiligen Geist. Diese Information fehlte in einer Version des Stiftsprotokolls über das Zusammentreffen und wurde erst in einer zweiten Version auf Drängen der Gräfin von Königsmarck aufgenommen. Vgl. die beiden unterschiedlichen Versionen in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 8. Die Gräfinnen Eleonore Sophie und Maria Magdalena von Schwarzburg an Kaiser Leopold I. (5. Nov. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 177r-185v. Das Kapitel trug Anwalt Praun die Beförderung dieses kaiserlichen Mandats gemeinsam mit dem Sachsen-Weißenfelsischen Agenten am Wiener Hof auf (28. Juli 1704), Bericht des Anwalts Koch aus Wien an die Kapitularinnen (22. Aug. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 49r-50r, 71r-v.

5.3. Protegieren

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Essen nach erfolgten Äbtissinnen- oder Coadjutorinnenwahlen üblicherweise die vom kaiserlichen Notar erstellten Wahlprotokolle ein.34 Auf deren Grundlage bearbeiteten die Reichshofräte dann die damit verbundenen Gesuche um Konfirmation einer Äbtissinnenwahl, setzten sich mit etwaigem Protest auseinander und empfahlen schließlich dem Kaiser die Ausstellung der Konfirmations- und Belehnungsbriefe oder die Ablehnung des Gesuchs. Im ersten Anlauf zur Bestätigung der Wahl von 1704 wurde den Quedlinburger Kapitularinnen daher aus Wien lediglich beschieden, die Interimsregierung sowie den Status quo beizubehalten, die Wahlakten einzusenden und sich weder in corpore noch individui, mit jemand wer der auch seye, per jurium in einigen tractat oder handtlung einzulassen.35 Nach dem Protest des preußischen Königs am Reichshofrat folgte zudem die Aufforderung an das Kapitel, zu den erhobenen Vorwürfen Stellung zu beziehen und die kaiserliche Entscheidung in dieser Sache abzuwarten.36 In den nächsten Wochen und Monaten beschritten sowohl das Kapitel als auch Friedrich I./III. in Wien einerseits den gewöhnlichen Geschäftsgang am Reichshofrat durch Eingabe von Relationen durch ihre Agenten vor Ort.37 Andererseits suchten beide Seiten, die Entscheidung des Reichshofrates durch die Beeinflussung verschiedener Personen zu lenken. Während die Kapitularinnen sich an die Kaiserin sowie den kaiserlichen Hofvizekanzler Baron Friedrich von Seilern wandten und darüber hinaus auch noch das Kurhaus Hannover als Für____________ 34

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Solche Wahlprotokolle finden sich in den Wahlakten aller drei Stifte. Sie wurden von einem ortsansässigen kaiserlichen Notar erstellt, der zusammen mit zwei Zeugen dem Wahlakt beiwohnte und mit dem Protokoll dessen Ablauf bezeugte. Mit der Bitte um Konfirmation sowie Belehnung wurden diese Protokolle dann am Kaiserhof in Wien oder wie im Falle Essens auch zur päpstlichen Bestätigung an der Kurie in Rom eingereicht, um die Rechtmäßigkeit der Wahl zu prüfen. Reichshofratsprotokoll (22. Aug. 1704) sowie Original des kaiserlichen Reskripts an das Quedlinburger Kapitel (22. Aug. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 65r-v, 71r-v (Zitat). In diesem Zusammenhang entstand der nachträglich angefertigte und geschönte Bericht der Kapitularinnen über das Wahlgeschehen. Die Gräfinnen von Schwarzburg an Kaiser Leopold I. (5. Nov. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 177r-185v. Kaiserliches Reskript an das Quedlinburger Kapitel, sog. Schreiben um Bericht (3. Okt. 1704): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV. Nr. 1, fol. 145r-v. Mit dem Schreiben um Bericht wurde die gegnerische Partei im Reichshofratsverfahren zum Eintritt in das Verfahren durch Stellungnahme zu den Klagen des Klägers aufgefordert. S. o. Kap. Mandata, Rescripte und Kommissionen. Relation des preußischen Residenten Bartholdi an den Reichshofrat mit der Bitte um Neuwahlen (15. Aug. 1705): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1700-1707.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

sprecher für ihre Kandidatin einschalteten,38 zog der preußische Resident Bartholdi den zuständigen Referenten am Reichshofrat auf seine Seite, um die Ansetzung von Neuwahlen zu befördern.39 Im Frühjahr 1706 empfahl der Reichshofrat nach eingehender Prüfung dem Kaiser die Kassation der Wahl Magdalena Sybillas von Sachsen-Weißenfels. Ein halbes Jahr später stimmte Joseph I. dem Plan zu.40 Als Gründe für seine Entscheidung dienten ihm einerseits der Umstand, dass lediglich ein Konferenz-Protokoll, nicht aber ein Wahlinstrument übersandt worden war; andererseits die festgestellten Mängel im solennen Ablauf des Wahlverfahrens, welches weniger einer Wahl als vielmehr der Recommendation einer Kandidatin durch die Äbtissin gegenüber dem Kapitel ähnelte.41 Die Aufhebung der Wahl wurde also allein mit der Irregularität des Verfahrens begründet. Unerwähnt blieb dabei, dass Joseph I. nicht nur von Amts wegen handelte, sondern auch von habsburgischen Hausmachtinteressen geleitet wurde. Seit 1701 stritten Frankreich und Österreich im Spanischen Erbfolgekrieg um die Nachfolge auf dem spanischen Thron. Der preußische König war einer der wichtigsten Verbündeten des Kaisers. Friedrich I./III. hatte bereits in anderem Kontext mit dem Rückzug seiner Truppen gedroht, wenn seine Interessen übergangen würden. Auf diese Weise waren die Reichshofratsprozesse gegen den preußischen König wegen gewaltsamer Übergriffe auf die Stifte Herford und Quedlinburg sowie die Beeinträchtigung ihrer reichsunmittelbaren Herrschaft und Reichsstandschaft im Sand verlaufen.42 Darüber hinaus unterstützte Joseph I. seit 1706 ebenfalls unter der Hand die preußische Kandidatin. Hierbei handelte es sich um Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen. Ihr Großvater mütterlicherseits, ____________ 38

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Quedlinburger Kapitel an Kaiserin Amalia Wilhelmine, geb. Prinzessin von Braunschweig-Calenberg (22. Juni 1705, 4. Dez. 1705, 2. Aug. 1706): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 202r-203v, 216r-217r, 225r-226r. Die Kaiserin unterstützte als geborene Prinzessin von Braunschweig-Calenberg die Politik ihrer Herkunftsdynastie, die sich immer deutlicher als Gegenspieler Brandenburg-Preußens in Szene setzte. Quedlinburger Kapitel an den kaiserlichen Rat und Oberkanzler Baron von Seilern (6. Juli 1705) sowie an Kurfürst Georg Ludwig von Hannover (22. Juli 1705): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 207r-208v , 204r-205r. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi nach Berlin (3. März 1706): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1700-1707. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (13. Nov. 1706): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1700-1707. Gründe für die Urteilserklärung am Reichshofrat (o. D.): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 265r-266v. S. o. Kap. Zwischen Justiz und Politik.

5.3. Protegieren

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Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel, hatte sich in Konkurrenz zur kurfürstlichen Linie Hannover nicht nur dem preußischen König, sondern auch dem Kaiser angenähert. Seit 1704 verhandelten sie ein Heiratsprojekt, bei dem eine andere Enkelin des Braunschweigers Erzherzog Karl, den späteren Karl VI., heiraten sollte. 1708 wurde die Eheschließung nach vierjähriger Verlobungszeit vollzogen.43 Dieses Heiratsprojekt diente ebenso wie die Unterstützung der Prinzessin von SachsenMeiningen dem Versuch einer gezielten Klientelpolitik im kaiserfernen Norden des Reiches. Joseph I. befand sich demnach in einem Interessenkonflikt: Auf der einen Seite stand die Wahrung der Reichsverfassung und der damit verbundene Schutz gegenüber mindermächtigen Reichsständen, auf der anderen Seite zunächst das militärische Bündnis mit Friedrich I./III. im Spanischen Erbfolgekrieg sowie dann die dynastische Annäherung an Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel.

Kassation, jus devolutum und Kommission Die Kontrollfunktion des Reichshofrates als Lehnskammer und das Bestätigungsrecht des Kaisers als oberstem Lehnsherrn eröffneten Joseph I. und seinen Beratern nach der Coadjutorinnenwahl von 1704 die Möglichkeit, auf die Besetzung des Äbtissinnenamtes Einfluss zu nehmen. Dabei durften sie aber nicht den Anschein der Parteilichkeit erwecken, sondern mussten die Entscheidung allein mit der Irregularität des Verfahrens begründen. Daher lehnte der zuständige Reichshofratsreferent auch den Vorschlag des preußischen Agenten ab, im kaiserlichen Reskript, das den Mitgliedern des Quedlinburger Kapitels die Kassation der Wahl mitteilte, versteckt zu bedeuten, dass der Kaiser die erneute Wahl der Prinzessin von SachsenWeißenfels nicht gutheißen werde. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass das Kapitel Klage wegen Beeinträchtigung seines freien Wahlrechtes erhob, dessen Garant doch der Kaiser war.44 Dennoch bot sowohl das Format des Reskriptes als auch die Option, dieses durch den kaiserlichen Gesandten am Berliner Hof im Stift zu überreichen, dem Kaiser die Gelegenheit, die Kapitularinnen zu beeinflussen. Anders als ein Mandat schlug der Wortlaut des Reskriptes einen versöhnlichen Ton an und war daher dazu geeignet, einen

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Vgl. RÖMER, Der Kaiser und die welfischen Staaten, S. 49-51. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi in Wien (20. Nov. 1706): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1700-1707.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Kompromiss herbeizuführen.45 Diese Funktion konnte durch die Insinuation des kaiserlichen Gesandten, die dem preußischen Agenten in Aussicht gestellt wurde, noch verstärkt werden, indem dieser vor Ort auf die Mitglieder des Kapitels einwirkte.46 Auf diese Weise suchte man am Reichshofrat einen Kompromiss zu finden zwischen den Amtsinteressen des Kaisers, der das verfassungsmäßig verankerte freie Wahlrecht der geistlichen Korporationen verteidigen musste, und den Hausmachtinteressen Josephs I., der seinen preußischen Bündnispartner nicht verärgern und seine norddeutsche Klientel an sich binden wollte. Das Problem löste sich schließlich von allein, als die Prinzessin von Sachsen-Weißenfels ihr Amt 1708 resignierte, um zu heiraten.47 Um eine Konfrontation mit den evangelischen Ständen zu vermeiden, und aus Rücksicht auf seine evangelischen Bündnisgenossen im Spanischen Erbfolgekrieg, verzichtete Joseph I. darauf, seine Drohung, per kaiserlichem jus devolutum eine neue Äbtissin zu bestimmen,48 umzusetzen. Stattdessen entschied er sich, die Neuwahl einer Äbtissin zu befehlen, mit der Anwendung des jus devolutum zu drohen und den Kapitularinnen die Prinzessin von Sachsen-Meiningen zu empfehlen. Für sie sprächen einerseits ihre Herkunft aus einem vornehmen Haus sowie ihre Verwandtschaft, von welcher man sich Schutz für das Stift versprechen dürfe, andererseits das Einverständnis des preußischen Königs.49 Solche sogenannten Recommendations- oder Emp____________ 45

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Vgl. UHLHORN, Der Mandatsprozess, S. 117-121. S. o. Kap. Mandata, Rescripte und Kommissionen. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi in Wien (20. Nov. 1706): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1700-1707. Resignation der Prinzessin von Sachsen-Weißenfels wegen ihrer Heirat mit Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach (21. März 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 310r-311r. Hierbei handelte es sich um ein ursprünglich päpstliches Vorrecht, dass nach der Reformation vom Kaiser in den evangelischen Stiften beansprucht wurde. Für den Fall, dass gegen die Regeln des kanonischen Wahlverfahrens verstoßen oder die Neuwahl binnen einer bestimmten Frist nicht vollzogen wurde, konnte der Papst die Wahl annulieren und eine Äbtissin einsetzen. Papst Alexander VIII. setzte auf Grundlage dieses Rechtes 1690 Anna Salome von Manderscheid-Blankenheim als Essener Äbtissin ein, nachdem gegen ihre vorhergegangene Postulation Einspruch von Seiten einer im Wahlverfahren unterlegenen Kontrahentin an der Rota erhoben worden war. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 146f. Kaiser Josef I. an das Quedlinburger Kapitel (30. Mai 1708), womit er ihnen die Neuwahl einer Äbtissin auftrug und gleichzeitig die Prinzessin von Sachsen-Meiningen empfahl: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 354r-v; Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380I; Recommendation des preußischen Königs Friedrich I./III. gegenüber dem Kapi-

5.3. Protegieren

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fehlungsschreiben wurden häufig im Vorfeld von Wahlen an die Stiftskapitel gerichtet. Die interessierten Parteien versuchten darin, die Vorzüge ihrer Kandidatin hervorzuheben und die Wähler von diesen zu überzeugen. Joseph I. ließ es jedoch nicht bei einer einfachen Empfehlung bewenden, sondern beauftragte einen kaiserlichen Kommissar, der vor Ort die Empfehlung aussprach und Auftrag hatte, den Wünschen des Kaisers zur Durchsetzung zu verhelfen. Bei der Vergabe dieser Aufgabe entschied sich Joseph I. für Graf Anton Günther von Schwarzburg-Sondershausen.50 Er war der Bruder der Quedlinburger Dekanissin und Kanonissin, die beide bisher vehement das freie Wahlrecht des Kapitels verteidigt hatten. Der Kaiser versprach sich wohl von diesem nahen Verwandtschaftsverhältnis eine aussichtsreiche Möglichkeit zur Beeinflussung und Umstimmung der Kapitularinnen. Der Graf setzte seinen Schwestern in den nächsten Wochen in ausgetauschten Schreiben dann auch stark zu, die diesen hitzigen Sturm [aber] mit großer Standhafftigkeit redlich und beßer, alß der Commendant der Citadelle zu Gent, ausgehalten hätten, so die Aussage des Oberhofmeisters.51 Schließlich reiste Anton Günther von Schwarzburg-Sondershausen selbst nach Quedlinburg und verbot seinen Schwestern im Auftrag des Kaisers die Wahl einer neuen Äbtissin, solange sie sich nicht ausdrücklich auf die Prinzessin von Sachsen-Meiningen festlegen würden. Trotz mehrfacher Versuche gelang es ihm nicht, die Kapitularinnen zu einer verbindlichen Erklärung gegenüber der Prinzessin von Meiningen zu bewegen. Schließlich begann er, seine Schwestern vermittelt durch seinen Hofmeister einzuschüchtern, indem er ihnen ihre Chancenlosigkeit gegenüber Kaiser und König am Reichstag vor Augen führte, der Rechtmäßigkeit ihrer beanspruchten Rechte widersprach und ihnen zu bedenken gab, ob sich der ganze Aufwand auszahlen würde.52 Die Kommission scheiterte, als die Kapitularinnen sich über das kaiserliche Verbot hinwegsetzten. Provoziert durch die Veröffentlichung zweier preußischer Patente, in denen Friedrich I./III. seinen Anspruch als dominus terri____________ 50

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tel für Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen (7. Juli 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 372r-v. Kaiser Joseph I. an Graf Anton Günther von Schwarzburg-Sonderhausen (30. Mai 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 355r-357v. Hofmeister von Dacheröden an das Fräulein von Moltcke (19. Juli 1708): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380I. Proposition, so auf gnadigsten Befehl des Kayserl. Herrn Commissary an das Hochwürdigste Stifts Capitul zu Quedlinburg den 13. Octob. 1708. mündl gethan worden: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 485r-491v; Protokoll über den Aufenthalt des Grafen von Schwarzburg in Quedlinburg (12.-18. Okt. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 506r-512r.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

torii deutlich zum Ausdruck brachte,53 und unterstützt durch einen in Quedlinburg anwesenden holsteinischen Rat wählten sie am 6. November 1708 in der Kirchstube im Beisein von Zeugen, aber unter dem Protest der Pröpstin, Maria Aurora von Königsmarck, Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf zur neuen Äbtissin.54 Maria Elisabeth zeichnete sich vor allem durch ihre europaweiten verwandtschaftlichen Verbindungen zu vielen mächtigen Häusern aus, durch welche sich das Stift bei ihrer Wahl einer puissanten protection seiner gerechtsahmen gegen alle heimb- und öffentliche anfeindungen und zudringliche Kränckung und Unter____________ 53

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Darin hatte der preußische König nicht nur das militärische Vertretungsrecht an sich gebracht, sondern auch die Salzzufuhr ins Stift aus landesherrlicher Machtfülle reguliert. Insbesondere durch das Salzpatent seien die Gräfinnen nach Aussage des Stiftshauptmannes dermaßen animiert gewesen, daß sie vermeynen, daß Stifft stehe nicht anders zu retten, als durch eine von Euer Königlichen Mayestät gantz nicht dependirende Abbatißin, wie sie sich nun die Hoffnung machen, durch die Gottorfsche Princesse nicht allein die Accise wieder abzuschaffen, sonder auch die dem Stifft nachtheilige und von Chur Sachsen abgerungene Recesse wieder auffzuheben, und dadurch die in selbigen befestigte Schutzherrliche jura zurückzunehmen, die abteyliche und stiftische Befugnüße aber zu retabliren. Bevor sich nun auch noch das Gerücht bewahrheitete, dass die Prinzessin von Sachsen-Meiningen dem Stift aufgedrängt werden solle und damit die Pläne der Kapitularinnen durchkreuzt würden, wollten sie das freie Wahlrecht durch eine schleunige Neuwahl de jure facti sichern. Vgl. Befehl Friedrichs I./III. an die Miliz, in Quedlinburg neue Soldaten anzuwerben (5. Sept. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 6, fol. 334v; Salzpatent Friedrichs I./III., mit dem das Stift quasi in das Fürstentum Halberstadt inkorporiert wurde (9. Okt. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 6, fol. 345r; Bericht des Stiftshauptmannes Lüdecke an Friedrich I./III. (19. Nov. 1708): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1708. Quedlinburger Kapitelprotokoll (6. Nov. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 555r-556r; Wahlinstrument (6. Nov. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 556v-558r. Der holsteinische Rat Breyer hielt sich bereits seit Anfang Oktober in Quedlinburg auf. Er hatte den Auftrag bekommen, die Kapitularinnen davon zu überzeugen, sich über das kaiserliche Verbot hinwegzusetzen. Sollte die Wahl dann tatsächlich für null und nichtig erklärt werden, baute man auf die Unterstützung des schwedischen Königs und des Kurfürsten von Hannover. Tatsächlich nahm Breyer Einfluss auf die Handlungen des Kapitels: Auf sein Zuraten hin wandten sich die Kapitularinnen zur Verteidigung ihres freien Wahlrechts an den Kaiser, den Reichstag und das Corpus evangelicorum, er verhandelte mit der Gräfin von Königsmarck, die diese Schreiben boykottierte, und fertigte besagte Schreiben auch selbst aus. Creditiv für den holsteinischen Geheimen Rat Breyer (5. Okt. 1708), holsteinischer Geheimer Rat von Görtz an Breyer (12. Okt. 1708), Breyer an Geheimen Rat von Görtz (25. u. 28. Okt. 1708): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380I; Kapitel an corpus evangelicorum sowie dessen kursächsischen Direktor (17. u. 25. Okt., 14. Nov. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 504r-505v, 527r-529v, 593r-v.

5.3. Protegieren

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drückung […] erfreuen könne, so das Empfehlungsschreiben ihres Bruders.55 Über ihre Großmutter Sophie Amalie von Braunschweig-LüneburgCalenberg, Königin von Dänemark und Norwegen,56 war sie sowohl mit den Kurhäusern Hannover und Sachsen als auch mit den Königshäusern von Schweden, England und Dänemark verwandt.57 Man behauptete auf holsteinischer Seite gar, daß kein Princessinn in Teutschland des Stiffts gerichtsahme mit mehrern nachdruck und effect, alß die hiesige, wird mainteniren können, wegen des appui, so Seine [sic] durchlaucht von dem König in Schweden haben.58 Angesichts dieses verwandtschaftlichen Netzes sicherten die beiden Gräfinnen von Schwarzburg-Sondershausen spätestens Ende September 1708 trotz der angedrohte[n] keiserliche[n] force ihre Wahlstimmen der Holsteinerin zu.59 Zwar ließ der schwedische König Karl XII. bald nach ihrer umstrittenen Wahl verlautbaren, er wolle sich in keine Weiber Angelegenheiten meliren,60 stattdessen verstärkten aber Kurfürst Georg Ludwig von Hannover und die englische Königin Anne ihre Bemühungen in der Quedlinburger Wahlsache. Die holsteinische Partei setzte insbesondere in das Engagement der englischen Königin große Hoffnung,61 weil der Kaiser ihr angesichts des englischen Beitritts im Spanischen Erbfolgekrieg eine gar sonderbahre Obligation entgegenbrächte.62 ____________ 55

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Recommendations-Schreiben für Maria Elisabeth durch ihren Bruder, Herzog Christian August von Holstein-Gottorf (1. Juli 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 366r-367r. Sophie Amalie war die Tante des amtierenden Kurfürsten von Hannover, Georg Ludwig, des späteren Georg I. von England. Ihre Töchter hatten an die Höfe in Stockholm, Dresden, Heidelberg und Lübeck geheiratet, ihr zweiter Sohn hingegen die englische Königin Anne. Vgl. SCHWENNICKE (Hg.), Europäische Stammtafeln, Bd. II, Tafel 108. Vgl. Intructionen für das Fräulein Moltcke, eine Unterhändlerin der holsteinischen Partei, durch den holsteinischen Geheimen Rat, Freiherrn Georg Heinrich von Görtz (7. April 1708): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380I. Die Gräfinnen von Schwarzburg-Sondershausen an Christian August von HolsteinGottorf (30. Sept. 1708): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 1, fol. 471r-472r. Bericht des Stiftshauptmannes Lüdecke an Friedrich I./III. (19. Nov. 1708): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1708. Vgl. Pro Memoria (o.D.): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1381; Hofmeister von Dacheröden an Kanzler von Görtz (2. Mai 1709): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1380II. Pro Memoria der holsteinischen Regierung (o.D.): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 1381. Noch unter der Regierung Wilhelms III. von Oranien hatte sich England ebenso wie Holland in der Großen Haager Allianz mit dem Kaiser verbündet und war in den Spanischen Erbfolgekrieg eingetreten. Den entscheidenden Sieg gegen die französisch-bayrischen Truppen in der Schlacht von Höchstädt sicherte sich der Herzog von Marlborough im

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Mit dem Auftritt Maria Elisabeths gewann das Quedlinburger Wahlverfahren an diplomatischer Brisanz. Das Reichsoberhaupt stand nunmehr nicht nur zwischen Reichs- und Hausmachtinteressen, sondern auch zwischen zwei Bündnispartnern im Spanischen Erbfolgekrieg: der englischen Königin auf der holsteinischen und dem preußischen König auf der meiningischen Seite. Zeugnis dieser diplomatischen Verwicklungen in einer an sich lokalen Auseinandersetzung, die aber vor dem Hintergrund eines europäischen Konfliktes an überregionaler Bedeutung gewann, sind die teilweise verschlüsselten Berichte der proholsteinischen Partei aus Wien. Darin wurde der Name des Herzogs von Marlborough und der englischen Königin sowie ihr Engagement für die Prinzessin von Holstein mit Hilfe eines Zahlenschlüssels kodiert.63 Weiterer Indikator hierfür war zudem die abwartende und zögerliche Haltung von Kaiser und Reichshofrat. Beide Parteien wurden über Monate vertröstet und hingehalten. Der zuständige Referent am Reichshofrat erklärte die Verzögerung dem preußischen Agenten gegenüber mal mit der Notwendigkeit des Kaisers, behutsam vorgehen zu müssen,64 dann wiederum mit der Unsicherheit des Reichshofratskonsiliums, wie der kaiserliche Wille umgesetzt werden könne, damit bey denen Stifftern insgesamt, und bey denen Evangelischen Chur= und Fürsten des Reiches man nicht anstoße.65 Gleichzeitig betonte der Referent aber immer wieder das anhaltende Engagement des Kaisers für die Prinzessin von Sachsen-Meiningen, um Friedrich I./III. und seine Vertreter ruhigzustellen.66 Der Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn versicherte hingegen gegenüber dem englischen Gesandten: ____________

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Verbund mit deutschen Alliierten und wurde für seine Verdienste sogar zum deutschen Reichsfürsten von Mindelheim ernannt. Vgl. SCHILLING, Höfe und Allianzen, S. 262; BURCKHARDT, Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit, S. 104-106; COX, The Dukes of Marlborough and the Principality of Mindelheim; JUNKELMANN, „Das greulichste Spectaculum“; ERICHSEN, HEINEMANN (Hg.), Die Schlacht von Höchstädt; SPENCER, Blenheim; NAUJOKAT, England und Preußen im Spanischen Erbfolgekrieg. S. z.B. Bericht des kurbraunschweigischen Gesandten Daniel von Huldenburg an den Stiftshofmeister von Dacheröden (5. Febr. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 101r-103r. Zu Geheimschriften vgl. SINGH, Geheime Botschaften; FRANZ, Kryptologie. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (19. Jan. 1709): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1709. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (13. März 1709): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1709. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (25. Dez. 1709): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710.

5.3. Protegieren

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Ihre kaserliche Mayestät wünscheten nicht mehr, alß Ihrer Mayestät der Königin von Engellandt, angenehme Gefälligkeiten zu erweisen, in dem Quedlinburgischen Wahl=Negotio aber stünden Sie in einem gar zu genauen Engagement, und könten, ohne verdrießliche weitläuffigkeiten zu verursachen, nicht davon abgehen.67

Später konkretisierte der Kanzler diese Verpflichtungen gegenüber dem Herzog von Marlborough und erklärte, dass es sich bei der Angelegenheit um eine Justiz=Sache handele, in welcher der Kaiser, auch wenn er gerne der Königin entgegenkäme, nicht frei entscheiden könne, sondern an das Recht und damit auch an die Rechte Dritter wie des preußischen Königs gebunden wäre. Außerdem könne Joseph I. nicht mehr von seinem Engagement für die Prinzessin von Meiningen zurücktreten.68 Dennoch hielten es einige Reichshofräte vor bedenklich […], bey denen jetzigen Conjuncturen so gleich eine der Königin wiedrige Resolution zu publiciren.69 Joseph I. sah sich also in der schwierigen Lage, unterschiedliche Interessen und Verpflichtungen miteinander in Einklang bringen zu müssen. Der am 4. Juli 1710 erlassene kaiserliche Befehl, mit dem die Wahl von 1708 annulliert, Neuwahlen angesetzt und deren Beaufsichtigung durch einen kaiserlichen Kommissar angeordnet wurden, hat vor diesem Hintergrund regelrechten Kompromisscharakter.70 Bis zum Schluss war die Einrichtung des entscheidenden Reichshofratsgutachtens an den Kaiser umstritten gewesen. Schließlich wurde aber die Parteilichkeit des zuständigen, pro-preußisch agierenden Referenten festgestellt und kurzfristig das Gutachten zu Gunsten des freien Wahlrechts als edelste[s] Kleinod eines freien unmittelbahren Reichs=Stiffts abgeändert.71 Damit kam der Kaiser sowohl der englischen Königin entgegen, die, nachdem klar war, dass die Wahl von 1708 nicht durchzusetzen war, auf Neuwahlen insistiert hatte, als auch den Forderungen einer breiten reichsständischen Öffentlichkeit nach. Sowohl der Herzog von HolsteinGottorf, der König von Schweden als auch sämtliche evangelischen und ____________ 67

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Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (1. Mai. 1709): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1709. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (1. Febr. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (9. April 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. Kaiserlicher Befehl gegenüber dem Quedlinburger Kapitel, eine Neuwahl durchzuführen (24. Mai u. 6. Aug. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 109r-110v. S. Berichte des preußischen Residenten Bartholdi (9. April 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

katholischen Stifte hatten die Wahrung des freien Wahlrechtes gefordert.72 Dennoch bot die Abordnung eines kaiserlichen Kommissars, der die Wahl vor Ort beaufsichtigen sollte, gleichzeitig die Möglichkeit, unter der Hand auf die Kapitularinnen einzuwirken, damit unter dem Deckmantel der freien Wahl schließlich doch noch die Prinzessin von Meiningen gewählt würde und somit nicht nur den Forderungen des preußischen Königs, sondern auch den verwandtschaftlichen Verpflichtungen des Kaisers nachgekommen wäre.

Kaiserlicher Wahlkommissar Bereits seit dem 16. Jahrhundert entsandten die Kaiser Kommissare zu den Wahlen der geistlichen Kurfürsten. Diese Praxis wurde dann zunächst auf die süddeutschen Bistümer ausgedehnt, die im Einflussbereich der habsburgischen Hausmachtinteressen lagen, bevor unter Kaiser Leopold I. schließlich „eine systematische kaiserliche Reichskirchenpolitik“ einsetzte, welche die Anwesenheit eines kaiserlichen Kommissars bei jeder Bischofswahl im Reich vorschrieb.73 An den Wahlen in den kaiserlich frei-weltlichen Damenstiften nahm üblicherweise kein kaiserlicher Wahlkommissar teil. Das langwierige Besetzungsverfahren an der Spitze des Quedlinburger Stifts wollte man aber in Wien nun endlich unter der Aufsicht eines kaiserlichen Wahlkommissars ohne weitere Diskrepanzen zwischen den Kapitularinnen und dem preußischen König abgewickelt wissen.74 Hierzu wurde die kaiserliche Kommission dem Bruder des Reichsvizekanzlers Graf Damian Hugo Philipp von Schönborn übertragen.75 Nach Bekanntgabe des Kommissionsauftrages an Schönborn avancierte dieser zur neuen Anlaufstelle für die Bemühungen der beiden Parteien. Während sowohl der Vertreter der holsteinischen Regierung als auch der preußische Resident den Kommissar an seinem momentanen Aufenthaltsort in Hamburg aufsuchten, um ihn für die

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Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (24. Mai 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. BRAUN, Die geistlichen Fürsten im Rahmen der Reichsverfassung, S. 42. Vgl. WOLF, Präsenz und Präzedenz. Vgl. Reichshofratsgutachten (18. Aug. 1710), wie sich der Wahlkommissar zu verhalten habe: Wien ÖHStA HHStA RHR Obere Registratur K. 997/1. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (6. Aug. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710.

5.3. Protegieren

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jeweilige Kandidatin einzunehmen,76 schickten die beiden Gräfinnen von Schwarzburg den Stiftshofmeister nach Hamburg, um den rechtmäßigen Ablauf des Wahlverfahrens zu gewährleisten.77 Nach außen zeigte sich der kaiserliche Kommissar sowohl gegenüber den holsteinischen Vertretern als auch gegenüber dem Stiftshofmeister völlig neutral. Gleiches galt nunmehr für den Kaiser, dessen Reichsvizekanzler dem englischen Gesandten auf die Recommendation der Herzogin von Holstein hin zu verstehen gab: Wie ihre Keyserliche Mayestät indifferent weren, wer dazu gelangen möchte und eben deswegen eine ganz freye wahl angesetzt [hätte], umb ihrer Mayestät der Königin von Groß Britannien Ihre deference von Dero recommendation disfals zuzeigen. Der Reichsvizekanzler würzte sein vermeintlich neutrales Entgegenkommen jedoch mit der unverhohlenen Drohung, wie sensibel es Ihrer Keyserlichen Mayestät seye, wann Sie sähen, daß seith einigen Jahren die Cron Engelland sich fast in allen Reichs=affairn melirte.78 In geheimen Absprachen mit dem preußischen Agenten in Hamburg gab der kaiserliche Kommissar hingegen zu verstehen, dass er von seinem Bruder, dem Reichsvizekanzler, die Order erhalten habe, daß er bonis modis die Sache dahin dirigiren möchte, daß die Keyserliche und Eurer Königliche Mayestät intention vor die Prinzeßin von Sachßen Meinigen erhalten würde.79 In Absprache mit dem kaiserlichen Kommissar war die Wahl auf den 25. September 1710 angesetzt worden.80 Der kaiserliche Kommissar war bereits einige Tage vor dem angesetzten Wahltermin in Quedlinburg eingetroffen, um den Ablauf der Wahl mit den Räten des Stifts abzustimmen. In diesen Unterredungen ging es auch um den Umgang mit der königlichpreußischen Wahlempfehlung und die Einrichtung der Wahlkapitulation. ____________ 76

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Bericht des preußischen Residenten Burchard in Hamburg an Minister Ilgen (25. Aug. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. Hierzu verabredete Oberhofmeister Dacheröden mit dem kaiserlichen Kommissar nicht nur die nächsten Schritte sowie den Wahltermin in sogenannten Puncta Praeliminaria, sondern versuchte, Schönborn für den erneuten Fall königlich-preußischen Widerstands für das Stift zu engagieren. Instructionen für Oberhofmeister Dacheröden (18. Aug. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 121r-122v; Puncta Praeliminaria (24. Aug. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 138r-140r. Bericht des preußischen Residenten in Hamburg Burchard an Minister Ilgen (25. Aug. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. Ebd. Vgl. Bericht des holsteinischen Gesandten, Hofrat Christian Wilhelm von Eyben, über den Wahlvorgang (25. Sept. 1710): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6691; Creditiv des sachsen-meiningischen Gesandten (16. Sept. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 147r-v.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Zudem versuchte Graf Schönborn gemäß seinen Instruktionen im Gespräch mit den Räten doch noch einen Ausgleich zwischen den Interessen des Stifts und denen des preußischen Königs zu stiften. Die Kapitularinnen schloss man von diesen Verhandlungen aus. Gemeinsam mit dem Stiftshauptmann und den Stiftsräten hatte der Graf von Schönborn ein Prozedere ausgeheckt, das die Wahl der Prinzessin von Sachsen-Meiningen sicherstellen sollte: Dabei sollten die Wahlstimmen der Kapitularinnen vor der eigentlichen Wahl eröffnet werden, um zu bestätigen, dass eine Persona gratia gewählt werden würde. Erst danach sollte dann die eigentliche Wahl erfolgen. Die Gräfinnen von Schwarzburg boykottieren diesen Plan jedoch, indem sie jeweils zwei Stimmzettel mit unterschiedlichen Namen einreichten.81 Dennoch wurde die Wahl fortgesetzt und Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf erneut mit den Stimmen der beiden Gräfinnen von Schwarzburg zur Äbtissin gewählt. Auch die Pröpstin stimmte der Wahl wenige Tage später zu.82 Nichtsdestoweniger erfolgte keine förmliche Postulation der Prinzessin von Holstein. Verärgert über den Affront und die Vopperey der Gräfinnen verkündete der kaiserliche Kommissar in seiner Abschiedsaudienz vielmehr die Inhibition, in dieser Sache keinen tritt weiter zu thun, sondern alles in Statu quo zu laßen, biß Er an Kayserliche Majestät bericht erstattet, Selbige auch was weiter zu thun, und die Wahl zu confimiren resolviret hätte.83 Der holsteinische Abgesandte von Eyben berichtete daraufhin nach Gottorf, dass Maria Elisabeth zwar zur Äbtissin gewählt worden wäre, es aber an contradictionen und protestationen nicht fehlen würde.84 Den Anfang machte der Stiftshauptmann, der die Wahl für ungültig erklärte.85 Wenig später protestierte Friedrich I./III. beim Kaiser und drohte, das Stift zu besetzen.86 Er ließ es nicht bei der Drohung bewenden: Am

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Vgl. Instrumentum electionis (25. Sept. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 192r-205v. Maria Aurora von Königsmarck an die Gräfinnen von Schwarzburg (27. Sept. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 218r-219r. Kurtze Relation: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 155r-162r. Notification des Wahlergebnisses durch Hofrat von Eyben an den Hof zu Gottorf (25. Sept. 1710): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6691. Protest des Stiftshauptmannes Lüdecke gegen die Wahl (25. Sept. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 207r-v. Vgl. Bericht des holsteinischen Gesandten in Wien Graf Reventlow an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (29. Okt. 1710): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6691.

5.3. Protegieren

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24. November 1710 besetzten preußische Soldaten das Stift.87 Auch der kaiserliche Kommissar Graf von Schönborn äußerte in Wien Zweifel am rechtmäßigen Ablauf der Wahl, warf den Kapitularinnen Simonie vor und beanstandete den Wahrheitsgehalt des Wahlinstruments.88 Es deutete sich jedoch bald an, dass Joseph I. vor dem Druck der reichsständischen sowie europäischen Öffentlichkeit zurückschrecken und die Wahl nicht noch einmal kassieren würde. Denn, so der preußische Agent, nicht allein die Königin von Engelland, welche in Ihre Interseccionen vor Ihre Niece fortführe, sondern auch das gantze Corpus Evangelicorum würde es ungeleich ausdeuten, wan der Kayser sein Supremus Jus advocatio via Facti so weit erstreckete, daß Er der Holsteinischen Printzeßin Jus ex reiterato Actu quaesitum verwerffe, und die Sachsen Meiningesche Printzeßin dem Stifft gleichsam auffdringe.89

Tatsächlich konfirmierte Kaiser Joseph I. am 15. Dezember 1710 die Wahl Maria Elisabeths zur neuen Äbtissin des kaiserlich frei-weltlichen Damenstifts und befahl dem preußischen König den Abzug seiner Soldaten aus Quedlinburg.90 Das langwierige Wahlverfahren einer neuen Quedlinburger Äbtissin zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeigt, in welchem Maße auch das Reichsoberhaupt in seinem Handeln durch die Einbindung in Beziehungsnetze wie das Reich, Europa oder die österreichischen Erblande bestimmt wurde. Durch seine Doppelrolle als Reichsoberhaupt und Erzherzog von Österreich wurden an den Kaiser nicht selten einander ausschließende Erwartungshaltungen herangetragen und musste er zwischen Amts- und Hausmachtinteressen agieren. Als Reichsoberhaupt verlangten die Reichsstände von ihm die Wahrung des Reiches und seiner Glieder. Hierzu gehörte der Schutz des freien ____________ 87

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Bericht des Stiftshauptmannes Lüdecke an Friedrich I./III. (24. Nov. 1710) sowie Protest des Quedlinburger Kapitels gegen diese Maßnahme (24. Nov. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stifts Quedlinburg) h5 1710. Bericht des holsteinischen Gesandten in Wien Graf Reventlow an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (29. Okt. 1710): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6691; Verteidigung des Quedlinburger Kapitels wegen des Vorwurfes der Simonie gegenüber dem Kaiser (24. Nov. 1710): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6991; Verteidigung der beiden Notare Carl Friedrich Lindstedt und Johann Otto Hogemann gegenüber dem Kaiser (17. Dez. 1710): Schleswig LASH Abt. 7 Nr. 6991. Bericht des preußischen Residenten Bartholdi (8. Okt. u. 25. Okt. 1710): Berlin GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 33 Nr. 158 (Stift Quedlinburg) h5 1710. Kaiserliche Konfirmation der Wahl Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (15. Dez. 1710): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IV Nr. 2, fol. 424r-426v [Abschrift], Rep. U9 AI Nr. 75 [Original]; Bericht des kursächsischen Agenten Wolfgang Jeremias Pauernfeind (31. Dez. 1710): Dresden SHStA Geheimes Kabinett Loc. 2982/4.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

Wahlrechtes in den Reichsstiften. Gleichzeitig war der Kaiser darauf angewiesen, seine Stellung als Reichsoberhaupt und seinen Einfluss vor allem im kaiserfernen Norden nach dem reichsständischen Vertrauensverlust im Dreißigjährigen Krieg durch eine gezielte Klientelpolitik zu stabilisieren. Hierfür nutzte er insbesondere seine Einflussmöglichkeiten auf die Pfründenvergabe in der Reichskirche. Neben der reichspolitischen Agenda gewann seit Beginn des 18. Jahrhunderts die Hausmachtpolitik des Kaisers als Erzherzog von Österreich an Bedeutung. Zum Ausbau seiner Stellung als europäische Großmacht wie im Spanischen Erbfolgekrieg war er auf die Unterstützung seiner Bündnispartner angewiesen, die er in der Ausübung seines kaiserlichen Amtes nicht verärgern durfte. Für das Quedlinburger Wahlverfahren bedeutete dies, dass Joseph I. als Reichsoberhaupt und oberster Lehnsherr zwar über verschiedene Reservatrechte verfügte, um in das Verfahren einzugreifen. Offenkundiges Ziel seiner Intervention musste aber sein, das freie Wahlrecht und die Regularität der Wahl sicherzustellen. Er durfte nicht den Anschein erwecken, dass er mit der Anwendung der kaiserlichen Reservatrechte sich oder seinen Parteigängern einen Vorteil verschaffen wollte. Andernfalls riskierte er den Protest nicht nur der evangelischen, sondern auch der geistlichen Reichsstände sowie des verwandtschaftlichen Umfeldes der benachteiligten Kandidatin, die sein Verhalten kritisch beäugten. Unter der Hand eröffnete ihm die kaiserliche Stellung jedoch weitere Kommunikationswege, um seine und die Interessen seiner Parteigänger zu befördern. Hierzu gehörten zum Beispiel die kaiserlichen Wahlkommissionen, die zwar unter Wahrung kaiserlicher Neutralität lediglich den Ablauf der Wahl überwachen sollten, nicht selten aber Partei für einen Kandidaten ergriffen und dessen Wahl durchzusetzen suchten. Das Verhalten Josephs I. sowie der kaiserlichen Beamten an Reichshofrat und Reichskanzlei in der Quedlinburger Wahlsache zeugt von ihrem notwendigen Lavieren zwischen imperialen Amtsinteressen und habsburgischer Hausmachtpolitik.

Erste Bitte Das Reichsoberhaupt konnte aus eigenem Recht nicht nur Einfluss auf die Wahl einer neuen Äbtissin nehmen, sondern es besaß mit dem Recht der ersten Bitte ein weiteres Reservatrecht, das es ihm erlaubte, in innerstiftische Belange einzugreifen. Unter dem ius primarium precum verstand man spätestens seit dem 13. Jahrhundert das Vorrecht der neugewählten römischen Kaiser und Könige, in allen geistlichen Einrichtungen des Reiches, ob unmittelbar oder mittelbar, die erste frei werdende Stelle mit einer Person ihrer

5.3. Protegieren

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Wahl zu besetzen.91 Als eines der wenigen Reservatrechte des Kaisers blieb es bis zum Ende des Alten Reiches bestehen. Unsicherheit herrschte jedoch seit Beginn des 18. Jahrhunderts über die Reichweite des ius primarium precum, welches der Kaisers nun wiederholt auch auf Damenpräbenden in den kaiserlich frei-weltlichen Damenstiften auszuweiten suchte, wie den Stiften Essen, Thorn und dem evangelischen Stift Quedlinburg.92 Mitten in die Zeit der Vakanz an der Spitze des Quedlinburger Stifts zu Beginn des 18. Jahrhunderts platzte die Übergabe eines kaiserlichen precesBriefes für Wilhelmine Gräfin von Wiedt-Runkel.93 Äbtissin und Kapitularinnen waren sich nicht sicher, wie sie darauf reagieren sollten. Denn einerseits gab es im Stiftsarchiv keine Hinweise darauf, dass der Kaiser Anspruch auf das jus primarium precum im Quedlinburger Stift erheben könne. Das kaiserliche Vorrecht war im Westfälischen Frieden nur mit der Einschränkung bestätigt worden, daß von kayserliche Mayestät jedoch nur in solchen Stifftern, wo vor dem Friedensschluß Selbiges zu exerciren sie in possession gewesen, sothanes Recht gebrauchet werden soll.94 Andererseits hegte man die Befürchtung, dass am kayserlichen Hoffe wohl sehr ungnädig angenommen werden [würde], wenn man die Preces schlechterdings [abschlüge]. Angesichts der noch ausstehenden kaiserlichen Bestätigung der Wahl und Belehnung wollten die erwählte Äbtissin und das Kapitel das Wohlwollen des Kaisers nicht verspielen. Vor diesem Hintergrund schlugen die Kapitularinnen Maria Elisabeth vor, ausweichend zu antworten und stattdessen die Situation auszunutzen, um ihren wirklichen Amtsantritt zu beschleunigen. Hierzu sollte sie dem Kaiser vorstellen, daß Sie von denen Stiffts-Juribus keine connoisance hätten, und wolten Ewer durchlaucht nochmahls um beschleunigung der Introduction allerdehmüthigst angesuchet haben, damit Sie sich informiren und über diese Sach deliberiren könten. Die Äbtissin nahm den Vorschlag des Kapitels an und betonte in ihren Antwortschreiben sowohl an die Precistin als auch den Kaiser ihren guten Willen gegenüber der Gräfin und ihren Wunsch, dem kaiserlichen Ansuchen nachzukommen. Gleichzeitig wandte sie jedoch ein, dass sie aufgrund ihrer noch immer nicht vollzogenen Ein-

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Vgl. FEINE, Papst, Erste Bitten und Regierungsantritt des Kaisers. Vgl. zu Essen und Thorn auch KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 94-102. Preces-Brief für Wilhelmine Gräfin von Wiedt-Runkel (12. Dez. 1715) und Quedlinburger Regierungsprotokoll (20. Febr. 1716): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 2, fol. 48r51r, 52r-v. Hierzu und im Folgenden Quedlinburger Kapitel an Maria Elisabeth von HolsteinGottorf (4. März 1716): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 2, fol. 53r-54r.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

führung nicht in der Lage sei, in dieser Angelegenheit etwas auszurichten.95 Doch auch am Kaiserhof erkannte man die Möglichkeiten, die sich aus der schwierigen Lage des Stifts ergaben, und nutzte die erbetene kaiserliche Bereitwilligkeit und Unterstützung als Druckmittel, um das kaiserliche jus primarium precum auf Kanonissenpräbenden im Stift Quedlinburg zu erweitern.96 Indem Maria Elisabeth daraufhin aufs Neue den Spieß umdrehte und zunächst ihren Amtsantritt vollzogen wissen wollte, weil der preußische König die Aufnahme einer neuen Kanonissin vorab niemals dulden, sondern vielmehr durch sein Milice verhindern lassen würde,97 blieb das Vorhaben vorerst unerledigt. Erst im Sommer 1718, als die Äbtissin nach 14jähriger Vakanz ihre Regierung antreten konnte, forderte Kaiser Karl VI. erneut das Recht der ersten Bitte im Stift Quedlinburg für sich ein.98 Damit alarmierte er aber nun nicht mehr allein Äbtissin und Kapitularinnen, sondern auch den preußischen König. Dessen Vertreter vor Ort, der Stiftshauptmann, wandte sich in diesem Zusammenhang an den holsteinischen Landrat und Vertrauten der Äbtissin mit der Frage, ob man nicht allerseits dieserwegen noch weitere remonstrationes am Kayserlichen Hofe zu thun, allenfals auch die Sache gar auf dem Reichstag zu bringen und der Stände assistenz und Vorsprache an dem Kayserlichem Hofe deßhalb zu suchen habe.

Er erklärte, der König wolle in dieser Angelegenheit gerne mit der Äbtissin und dem Stift causam communem machen, weil er es vor ein Gewissens Werck halte, bey dem Stifte dergleichen Neuerung einführen zu lassen.99 Der Rechtsanspruch des Kaisers stellte sowohl eine Gefahr für die Vormachtstellung des preußischen Königs im Norden des Reiches als auch für dessen dynastische Pläne dar. Wenig später erhob er auf Grundlage seiner schutzherrlichen Rechte die Forderung, dass die Äbtissin bey künftig sich eräugnenden Fällen […] Printzeßinnen von Unserer Königlichen Familie vor anderen in Consideration kommen

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Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf an die Gräfin Wilhelmine Ernestine von WiedtRunkel, deren Schwägerin, Gräfin Sophia Florentina von Wiedt-Runkel, und Kaiser Karl VI. (14. März 1716): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 2, fol. 60r-63r. Karl VI. an Äbtissin und Kapitel des Stiftes Quedlinburg (19. Mai 1717): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 2, fol. 72v-73r. Vgl. ebd. Vgl. Reichshofratsprotokoll (18. Juli 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 2, fol. 108v-109v. Stiftshauptmann Posandowski an den holsteinischen Landrat von Ahlefeld (10. Aug. 1718): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 2, fol. 110r-112v.

5.3. Protegieren

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[laße].100 Der Widerstand von Äbtissin, Kapitularinnen und königlichpreußischen Schutzherrn verhinderte schließlich die Etablierung des kaiserlichen jus primarium precum in Quedlinburg. Ebenso wirkungslos blieb der preces-Brief Kaisers Karls VII., den Felicitas Truchseß von Waldburg-Zeil-Wurzach im Stift Essen 1742 einreichte.101 Dem hierzu bestellten Notar ließ die damalige Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach von ihren Regierungsräten ausrichten, dass die auff dero gräffliches stifft Essen Ertheilte preces primariae nicht angenommen werden können, weilen sothane preces auff weldtliche Damespraebenden, welche in quemcunque Casum vacanturae von Einer zeitlichen Frauen Fürstin gnädigster Collation eintzig, und allein dependiren.

Es lasse sich überhaupt kein Beleg dafür finden, daß Eine Precistin jemahls angenommen worden.102 Gegenbeispiele aus der Essener Vergangenheit sowie dem schwäbischen Stift Buchau ließ sie nicht gelten, weil sie entweder nicht der Wahrheit entsprächen oder keine Beweiskraft besäßen.103 Damit widersprach sie nicht per se dem Reservatrecht des Kaisers, dieses wurde im Stift Essen aber nur auf Kanonikerpräbenden angewandt. Als die Truchseß von Waldburg wenig später versuchte, sich einer vakanten Präbende im Stift Essen zu bemächtigen,104 konnte Franziska Christina das Ersuchen endgültig mit Verweis auf den bereits in das Kanonikerkapitel aufgenommenen kaiserlichen Precisten abwehren, da in einer Collegiat-Kirche doppelte preces käntlich keine statt finden.105 Weniger erfolgreich war die Pfalzgräfin jedoch in der Abwehr des jus primarium precum als Äbtissin des Stifts Thorn, das seit 1724 in Personalunion mit Essen verbunden war. Sie selbst hatte mit ihrer Bitte an Kaiser Joseph II. um die nomination derer Precisten beyderley geschlechts zu denen mir als Abti____________ 100

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Friedrich Wilhelm I. an Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf (21. Sept. 1723): Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. V Nr. 2, fol. 238r-239r. Precesbrief Kaiser Karl VII. für Felicitas Truchseß von Walburg-Zeil-Wurzach (8. Okt. 1742): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 1r-3v. Essener Resolutionsprotokoll (1. Dez. 1742): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 4r-5r. Dort war erstmals 1706 einer kaiserlichen Precistin eine Präbende verliehen worden, zwei weitere folgten in den Jahren 1715 und 1743. THEIL, Buchau am Federsee, S. 273, 275f., 285. Vollmacht der Truchseßin von Walburg-Zeil-Wurzach für den Notar Jansen (o.D.): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 12r-v, 14r. Resolution der Äbtissin gegenüber dem bestellten Notar Jansen als Vertreter Felicitas von Waldburg-Zeil-Wurzach (11. Mai 1744): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 17r-v.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

ßin von Eßen undt Thorn untergebenen Stifftskirchen Eßen, Thorn, Stauffenberg und Rellinghausen in Wien für Missverständnisse gesorgt,106 indem man die Aussage beyderley geschlechts auf alle vier Stifte bezog. Eine kaiserliche preces für Damenpräbenden war jedoch nur in den beiden mittelbaren Stiften in Stoppenberg und Rellinghausen gebräuchlich. Mit der ungenauen Formulierung ihrer Bitte lieferte Franziska Christina dem Kaiser eine Vorlage, um 1767 das Recht der ersten Bitte auf Damenpräbenden im Stift Thorn zu behaupten und die Gräfin Harrach zu nominieren. Dabei kamen ihm sowohl die Coadjutorin des Stifts, seine Tante Anna Charlotte von Lothringen, als auch die Kapitularinnen zur Hilfe. Anna Charlotte, die einerseits mit den Rechtsverhältnissen wenig vertraut, andererseits enge verwandtschaftliche Kontakte mit dem Reichsoberhaupt unterhielt, hatte die Nomination bereitwillig angenommen und nach Essen zu Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach weitergeleitet.107 Das dortige Kapitel spielte dem Kaiser in die Arme, indem es eine Liste aller kaiserlichen Precistinnen seit Joseph I. aufsetzte, die ins Stift aufgenommen worden waren.108 Eine der Kanonissinnen, Gräfin Sophie von der Leyen, erklärte ausdrücklich, ihre Präbende zwar von der Äbtissin erhalten zu haben, aber dennoch sei ihr nach ausweis deren in der Reichs-Cantzley vorfindlicher Acten […] vorhero von Kayserlicher Majestaet Carl dem Sechsten die preces in das nembliche stifft allergnädigst conferirt und ausgefertiget worden, von welcher sie keinen Gebrauch gemacht habe.109 Angesichts dieser Aussagen sah sich Franziska Christina gezwungen zu retten, was zu retten war, und stimmte zu, als Collatrice ordinaire die nächste vakante Präbende der Gräfin Harrach zu erteilen.110 Trotz dieser Einschränkung wurde mit der Nominierung und Aufnahme der Gräfin Harrach im Stift Thorn ein weiterer Präzedenzfall ____________ 106

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Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach an Kaiser Joseph II. [7. Sept. 1765]: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 45r-46v. Bei Stauffenberg handelt es sich um das Stift Stoppenberg. Ursache hierfür waren langjährige Streitigkeiten um das Collationsrecht im Stift Rellinghausen mit dem Kurfürsten von Köln. In diesem Zusammenhang hatte Franziska Christina um die Überlassung der Nomination gebeten. Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 98f. Anna Charlotte von Lothringen an Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (27. Jan. 1767): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 32r. Aufstellung der Dechantin und anderen Kanonissin, wer unter den letzten vier Kaisern jeweils im Besitz einer kaiserlichen preces war, darunter Sidonie Elisabeth von Zeil, Therese von Hoensbroeck, Therese von Wurzach, eine Gräfin von Westerlohe (o.D.): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 35r-36v. Sophie von der Leyen an Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (11. Dez. 1767): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 30r-31r. Memorial der Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach an das Kapitel zu Thorn (o.D.): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 41r-v.

5.3. Protegieren

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geschaffen, der schließlich dazu führte, dass die Nachfolgerin der Pfalzgräfin Maria Kunigunde von Sachsen 1794 gegenüber Kaiser Franz II. das Recht der ersten Bitte auf Damenpräbende in Thorn zugestehen musste.111 Im Stift Essen hielt sie hingegen an der Weigerung ihrer Vorgängerin fest.112 Im Vorfeld hatte die Äbtissin ein allgemeines Rechtsgutachten beim Trierer Pastoraltheologen und kurtrierischen Rat Conrad über das jus primarium precum eingeholt, das auf den Stellungnahmen der Kapitel beider Stifte beruhte.113 Darauf stützte sich wiederum das Gutachten des Oberhofmeisters von Aicholt über die Behandlung kaiserlicher preces in Essen und Thorn.114 Sowohl Conrad als auch Aicholt lieferten Argumente, auf deren Grundlage das jus primarium precum auf Damenpräbenden abgewiesen werden konnte. Dabei spielte neben dem weltlichen Charakter der Damenpräbenden, aufgrund dessen sie von dem Recht der ersten Bitte ausgenommen werden,115 und das Herkommen in den Stiften eine entscheidende Rolle. Während jedoch in Essen Kandidatinnen mit kaiserlicher preces konsequent abgelehnt worden waren, hatten einige Precistinnen in Thorn Aufnahme gefunden, auch wenn sie hierzu nicht auf ihren Preces-Brief zurückgreifen mussten. In diesen Fällen war allerdings versäumt worden, offiziell gegen die Erste Bitte des Kaisers auf Damenpräbenden zu protestieren, so dass eine rechtliche Grauzone entstanden war. Dies veranlasste den Oberhofmeister zu seiner abschließenden Erklärung, daß man allerdings den Kaiserlichen Behauptungen nachgeben muß, anstatt einen kostspieligen, und nach meiner Ueberzeugung sichern unglücklichen Prozess sich auszusetzen,

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Der neue Kaiser hatte schon vor seiner Krönung 1792 wiederholt den Anspruch auf das jus primarium precum sowohl auf Kanoniker- als auch Damenpräbenden in Essen und Thorn erhoben. Franz I./II. an Maria Kunigunde von Sachsen (1. Mai 1792); ein weiteres Schreiben mit gleichem Tenor folgte wenige Monate später (1. Sept. 1792): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 76r-77v. Maria Kunigunde von Sachsen an Franz I./II. (16. Jan. 1794): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 132r-133v. Befehl der Äbtissin an den Oberhofmeister von Aicholt, das kaiserliche Schreiben an die Kapitel weiterzuleiten (13. Dez. 1793); Rechtsgutachten des kurtrierischen Rates Conrad (o.D.): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 128r-v, 78r-100v. Gutachten des Oberhofmeisters von Aicholt (9. Jan. 1794): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 158r-161r. Rechtsgutachten des kurtrierischen Rates Conrad (o.D.): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 78r-100v.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

und es bleibt also Eurer Königlichen Hoheit nichts übrig als für Thorn das Kaiserliche Anerbieten zu Empfehlung einer Dame zu benutzen.116

Die Entscheidung Maria Kunigundes, die Erste Bitte in Thorn zuzulassen und in Essen zu verweigern, hatte Kompromisscharakter. Die Verweigerung des jus primarium precum auf Damenpräbenden in Thorn schien aussichtslos, daher sollte wenigstens in Essen eine solche Erweiterung der kaiserlichen Reservatrechte auf Kosten der Äbtissin verhindert werden. Welche Interessen verbargen sich hinter dieser wiederkehrenden Streitfrage zwischen Kaiser und Äbtissin? Auf Seiten der Äbtissin ging es um die Wahrung ihrer Rechte und damit ihrer Vormachtstellung innerhalb des Stifts. Durch eine gezielte Besetzungspolitik der Pfründen in den Kapiteln konnte sie sich eine loyale Anhängerschaft rekrutieren, die sich ihrer Politik und Regierung nicht widersetzte. In den Stiften Essen und Thorn war es in der Vergangenheit immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Kapiteln und der Äbtissin über deren eigenmächtigen Regierungsstil gekommen, die nicht selten bis vor die Reichsgerichte gelangten.117 Der Oberhofmeister der Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen urteilte wenige Jahre nach deren Amtsantritt über den Grund für diese Uneinigkeit […] zwischen Haupt und Gliedern: Sie beruhe größtenteils darin, daß unruhige Gemüther unter dem Vorwand der Pflichtmäßigen Vorsorge vor die Capitularische Gerechtsame und die hergebrachte Landes-Verfaßung ihren Eigennuz, Leidenschaften, und Hersch-Begierde zu befriedigen [trachten]. Er zog daraus den Schluss, dass es der Äbtissin nothwendig daran gelegen seyn [müsse], höchstdero Capituln nach eigenem Wohlgefallen und mit solchen Personen nach und nach zu besezen, von welchen man sich Erkenntlichkeit, aufrichtige Zuneigung, und eine friedliebende Gedenckungs-Art versprechen kann.118 Ein solches Ziel konnte die Äbtissin nicht zuletzt durch die Beförderung ihrer lokalen Klientel erreichen, die sie mit der Vergabe der nicht standesgebundenen Kanonikerpräbenden entlohnte – so geschehen beispielsweise unter der Regierung Franziska Christinas von Pfalz-Sulzbach, die 1748 dem Sohn ihres Regierungsrates eine Kanonikerpräbende übertrug und dafür den ver____________ 116

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Gutachten des Oberhofmeisters von Aicholt (9. Jan. 1794): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 158r-161r, hier 160r. Franz I./II. hatte Maria Kunigunde von Sachsen entgegenkommend angeboten, dass er beim Erlass der Ersten Bitten ihre Empfehlungen berücksichtigen wolle. Franz I./II. an Maria Kunigunde von Sachsen (1. Mai 1792): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 74r-75r. Siehe Kap. Wahlkapitulation, Verfahren, Vertrag. Pro Memoria des Oberhofmeisters Freiherrn von Duminique über die Bestellungsmodalitäten der Kapitelmitglieder in den Stiften Essen und Thorn (11. April 1779): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 150, fol. 393r-396r.

5.3. Protegieren

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meintlichen kaiserlichen Precisten überging – oder aber durch eine gezielte strategische Besetzungspolitik innerhalb des Damenkapitels.119 Auf Seiten des Kaisers lassen sich ganz ähnliche Motive feststellen. Einerseits musste es ihm um die Wahrung seiner verbliebenen Reservatrechte gehen. Die herausgehobene Stellung des Reichsoberhauptes sowie die damit verbundenen Vorrechte gerieten im 18. Jahrhundert zunehmend unter Beschuss. Vor allem die mächtigen Reichsstände wie Preußen und Kurhannover nahmen nur noch wenig Rücksicht auf Kaiser, Reich und Reichsverfassung. Zumindest unter den geistlichen sowie mindermächtigen weltlichen Reichsfürsten fand der Kaiser jedoch vielmals weiterhin Rückhalt, den es zu sichern galt. Dennoch zeugen die widerständige Haltung der Quedlinburger und Essener Äbtissinnen davon, dass den kaiserlichen Reservatrechten auch von Seiten der geistlichen Fürsten eindeutige Grenzen gesetzt wurden, wenn es darum ging, die eigenen Rechte zu wahren. Lediglich unter günstigen Umständen wie in Thorn gelang dem Reichsoberhaupt, diese Grenzen zu seinen Gunsten zu verschieben. Andererseits versuchte auch der Kaiser, die kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte für seine Klientelpolitik fruchtbar zu machen. Diese strategische Ausrichtung wurde noch dadurch verstärkt, dass der erbländische Adel am Wiener Hof selbst ein Interesse daran hatte, die Aufnahmebedingungen in den Stiften zu seinen Gunsten aufzuweichen. In diesem Zusammenhang waren es vor allem der Reichsvizekanzler Rudolf Josef von Colloredo-Waldsee und sein Sohn Franz de Paula Gundaker von Colloredo-Mannsfeld, welche die Behauptung des kaiserlichen jus primarium precum auf Damenpräbenden in den Stiften Essen und Thorn in den 1760er und 1790er Jahren maßgeblich betrieben, um österreichischen Familien den Zugang zu den Stiften Thorn und Essen zu eröffnen.120 Diesen österreichischen Adelsfamilien, deren männliche Mitglieder sich in den Regierungsinstanzen am Wiener Hof hochgedient haben und für ihre Verdienste vom Kaiser schließlich mit Titeln bis hin zum Fürsten versehen wurden, mangelte es trotz Standeserhöhung an der Anerkennung durch den reichsunmittel____________ 119

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Konzeptschreiben der Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach an den Kaiser Franz I. Stephan, ausgefertigt in der Stiftsregierung (o.D. [1748]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 1150, fol. 339r-342v. Die Ausstellung der kaiserlichen preces wurde in diesem Jahr vom Kurfürsten von Köln beansprucht, der dieses Vorrecht nach eigener Aussage vom Kaiser übertragen bekommen habe. Franziska Christina von PfalzSulzbach wehrte sich jedoch gegen diesen Anspruch, weil sich die kaiserliche Vollmacht lediglich auf alle Kirchen und Kollegien innerhalb der kurkölnischen Diözese beziehe. Sie bestand aber darauf, dass ihr Stift exemt sei. Vgl. Notiz des Hofrates Schmitz in Thorn (o.D. [Sept. 1792]): Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 118, fol. 61r-63v.

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

baren Hochadel im Kerngebiet des Alten Reiches. Dadurch blieb ihren weiblichen Mitgliedern auch der Zugang zu den Präbenden der kaiserlich frei-weltlichen Damenstifte verwehrt, weil ihnen zumindest für Essen und Thorn die notwendigen 16 hochadeligen Ahnen fehlten. Durch das nachhaltige Engagement des Reichsvizekanzlers aus einem dieser österreichischen, gefürsteten Adelshäuser eröffneten sich in Thorn nun ganz ähnliche Möglichkeiten wie bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Buchau, wo begünstigt durch kaiserliche preces ebenfalls österreichischer Briefadel Zugang gefunden hatte.121 Allerdings konnte dieser Präzedenzfall kaum nachhaltige Wirkung zeitigen, da das Stift Thorn bereits wenige Monate nach Beschluss des Kompromisses zur Annahme kaiserlicher Precistinnen in die Hand der französischen Revolutionstruppen fiel.122

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Vgl. KÜPPERS-BRAUN, Zu regionalen Unterschieden im Selbstverständnis hochadeliger Frauen in frühneuzeitlichen Damenstiften, S. 155f. Zwar wurde das Stift noch für einige Jahre nach Essen-Steele verlegt, fiel dort aber gleichsam wie das Essener Stift 1802 endgültig der Säkularisation zum Opfer. Vgl. LEHNHÄUSER, Die Verlegung des Reichsstifts Thorn nach Steele.

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5.4. Zwischenresümee: Unter dem Schutz von Kaiser und Reich 5.4. Zwischenresümee: Unter dem Schutz von Kaiser und Reich

Die Äbtissinnen der Reichsstifte gehörten zu den kleinen, mindermächtigen Ständen des Reiches, deren reichsunmittelbarer und reichsständischer Status keinesfalls gesichert war. Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft waren keine feststehenden Entitäten, sondern mussten regelmäßig durch die Partizipation am Reich, seinen Institutionen und Lasten hervorgebracht und behauptet werden. Hierzu gehörte die Belehnung durch den Kaiser, die Wahrnehmung von Sitz und Stimme auf dem Reichs- und dem Kreistag, die Zuständigkeit der Reichsgerichte und die Verzeichnung in der Reichsmatrikel. Erst durch die Teilhabe am Reich und seinen Institutionen wurde die Äbtissin überhaupt zur Reichsfürstin. Die Partizipation am Reich war für die Äbtissinnen jedoch immer mit hohen Kosten verbunden. Nicht nur das finanzschwache und untertanenarme Stift Herford häufte immense Rückstände an Reichsbeiträgen an. Dies galt auch für die solventeren Stifte Quedlinburg und Essen. Immer wieder waren die Äbtissinnen und ihre Berater gezwungen, zwischen Kosten und Nutzen beispielsweise einer Gesandtschaft an den Kaiserhof abzuwägen und Strategien zu entwickeln, um Kosten zu sparen, zum Beispiel indem sich die Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg den ständigen Gesandten am Reichstag teilten oder die Äbtissinnen von Herford die Verringerung ihrer Reichsabgaben beim Kaiser beantragten. Denn wurde die Teilhabe am Reich vernachlässigt, indem eine Äbtissin sich nicht auf dem Reichstag vertreten ließ oder ihren Beitrag zu den Römermonaten und Kammerzielern nur unvollständig oder gar nicht zahlen konnte, eröffnete dies Dritten die Möglichkeit, als kaiserlicher Executor in die Belange des Stiftes einzugreifen, ihren reichsunmittelbaren und reichsständischen Status unter Umständen infrage zu stellen und an ihre Stelle zu treten, wie es der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König im Hinblick auf die rückständigen Reichsbeiträge des Quedlinburger Stifts und auf die militärische Vertretung des Essener Stiftes versucht hat. Insbesondere im Streit um die Landeshoheit, für deren Behauptung Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft konstitutiv waren, wurde die Teilhabe mindermächtiger Reichsstände wie den Reichsäbtissinnen am Reich und seinen Institutionen von ihren Konkurrenten bestritten und behindert, um darauf ihren landesherrlichen Anspruch zu entkräften und sie ihrer Obrigkeit zu unterwerfen. Auf diese Weise verdrängte der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König Äbtissin und Stift Herford zunächst vom Niederrheinisch-Westfälischen Kreistag, später sicherte er sich im Revers von 1729 auch votum et sessionem auf dem Reichstag. In den Herrschafts-

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5. Reichsverband – Partizipieren, Prozessieren, Protegieren

konflikten zwischen Äbtissin und Schutzherr wurde lediglich der Titel eines Reichsstandes und die damit verbundene Stellung als Reichsfürstin als symbolisches, inhaltsleeres Überbleibsel den Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg als Zugeständnis an ihre vormalige, ins Hochmittelalter zurückreichende Stellung eingeräumt, während der brandenburgischpreußische Schutzherr die Landeshoheit in der Ausübung aller wesentlichen landeshoheitlichen Kompetenzen (Hochgerichtsbarkeit, Steuerhoheit, Gesetzgebung, militärische Vertretung) sich selbst vorbehielt. In Krisensituationen wie der zunehmenden territorialen Konkurrenz, der die Äbtissinnen als mindermächtige Reichsstände ausgesetzt waren, und der damit einhergehenden ökonomischen und bürokratischen Rückständigkeit griffen die Äbtissinnen zugleich funktional auf das Reich und seine Institutionen zurück. Sie nutzen den Reichs- und Kreistag als Forum, um dort erstens ihre Interessen wie die Moderation der Herforder Reichsbeiträge oder die Stellung eines eigenen militärischen Aufgebotes des Stifts Essen zu vertreten. Reichs- und Kreistag dienten den Äbtissinnen zweitens als Umschlagsplatz für Informationen, die sie dort selbst streuten oder von dort bezogen, und als Kommunikationsraum, um Kontakte beispielsweise zu kaiserlichen Beamten oder den Gesandten der anderen Reichsstände zu knüpfen. Drittens setzten die Reichsäbtissinnen ihr Vertrauen in Kaiser und Reich zur Verteidigung ihrer immer häufiger bestrittenen Herrschaftsrechte. Die Äbtissinnen aller drei Stifte wandten sich wiederholt an den Kaiser als obersten Richter und erhoben Klage vor den Reichsgerichten, vor allem dem Reichshofrat, um sich gegen die Beeinträchtigung ihrer Rechte durch Kapitelmitglieder, Bürgermeister und Rat der umliegenden Stadt oder mächtige territoriale Nachbarn, allen voran des Schutzherrn, zu wehren. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, Dekanissin und Kanonissin, zwei Gräfinnen von Schwarzburg-Sondershausen, schalteten darüber hinaus auch den Reichstag und das corpus evangelicorum in ihrer Funktion als rechtliches Kontrollorgan gegenüber Kaiser, Reichsgerichten und Reichsständen ein, um auf ihre bedrängte Lage aufmerksam zu machen und Hilfe zu suchen. Weder die verfolgte und ins Exil vertriebene Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland noch Äbtissin und Kapitularinnen des Stifts Quedlinburg fanden jedoch in der Auseinandersetzung mit ihrem gemeinsamen brandenburgisch-preußischen Schutzherrn nachhaltige Unterstützung in Regensburg oder Wien. Vielmehr wurde der Eingang ihrer Eingaben am Reichstag und am Reichshofrat behindert, ihr Leumund diskreditiert und ihre Klagen, wenn überhaupt, nur schleppend behandelt. Die wenigen kaiserlichen Mandate und Kommissionsaufträge wurden häufig ignoriert oder deren Umsetzung vereitelt. Endurteile fielen am Reichshofrat in Ermangelung eines wirkmächtigen Exekutivorgans selten, stattdessen war

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die Verfahrenspraxis vielmehr auf die Stiftung eines Kompromisses ausgelegt. Aber auch dauerhafte Kompromisse kamen in den Prozessen der Reichsäbtissinnen gegen ihren Schutzherrn nie, gegen Kapitel oder umliegende Stadt nur selten zustande. Grund hierfür war erstens die Dominanz der mächtigen, weltlichen Territorialherren, allen voran der Kurfürst-König von Brandenburg-Preußen, am Reichstag, im corpus evangelicorum und in den Reichskreisen. Seinen Vertretern gelang es, die Diktatur der Quedlinburger Suppliken am Reichstag zu verhindern, am corpus evangelicorum gegen die Quedlinburger Kapitularinnen zu intrigieren, die Einladung des Herforder Stiftes zum Kreistag aufzuheben und die Exekution des NiederrheinischWestfälischen Kreises gegen die Stadt Essen zu stoppen. Zweitens mangelte es dem Reich insbesondere gegenüber mächtigen Reichsständen wie dem Kurfürst-König von Brandenburg-Preußen an einer wirkmächtigen Exekutionsmöglichkeit. Die Reichskreise, die mit der Vollstreckung kaiserlicher und reichsgerichtlicher Entscheidungen beauftragt wurden, waren dazu wenig geeignet, weil sie häufig zwischen reichs- und territorialpolitischen Interessensgegensätzen gefangen waren und eben nicht selten durch einzelne Kreisstände dominiert wurden, gegen die sie eigentlich exekutiv vorgehen sollten. Die mächtigen, nach Souveränität strebenden Reichsstände entzogen sich vielmehr der Reichsgerichtsbarkeit zusehends, um den Einfluss des Kaisers in ihren Territorien und Einflussbereichen zurückzudrängen. Dadurch erwies sich der ‚rechte Arm‘ des Kaisers häufig als zu kurz. Drittens fehlte es der Reichsgerichtsbarkeit, vor allem dem Reichshofrat, an Autonomie gegenüber politischen Einflüssen wie Bündnisabsprachen und Kriegsverläufen unter der Beteiligung des Kaisers. Denn der Reichshofrat war nicht nur Gerichtsinstanz, sondern auch kaiserliches Regierungs- und Beratungsgremium. Als solches musste der Reichshofrat, begünstigt durch die flexible Verfahrenspraxis, auch die reichs- und hausmachtpolitischen Interessen des Kaisers berücksichtigen. Viertens wurden endgültige Lösungen in den vielfältigen, auf die Herrschaftsverhältnisse abzielenden Konflikten durch die speziellen, historisch gewachsenen Rechtsverhältnisse im Reich, wo konkurrierende Rechte unvermittelt nebeneinander standen, verhindert und stattdessen Strategien und Mechanismen gefunden, die einen Schwebezustand konstituierten, um die fragile Ordnung des Reiches aufrechtzuerhalten. Die Forschung hat vielfach die Interessengemeinschaft zwischen mindermächtigen Reichsständen und Reichsoberhaupt betont, die allesamt am Reich und seinen legitimitätsstiftenden Ritualen festhielten, um ihre Existenz im Rahmen der Reichsverfassung zu sichern. Im Hinblick auf die drei norddeutschen Damenstifte lässt sich jedoch nur ein geringes kaiserliches Interesse ausmachen. Hilfe wurde den mehr oder weniger stark be-

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drängten Äbtissinnen von Herford, Quedlinburg und Essen nur in sehr schleppendem und auf schriftliche Erlasse sowie Vermittlung kaiserlicher Gesandter beschränktem Maße zuteil. Kollidierten die Klagen der Äbtissinnen mit reichs- und hausmachtpolitischen Interessen des Kaisers wie im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges, erstarb das kaiserliche Engagement schnell ganz. Der flexible Verfahrensgang am Reichshofrat ermöglichte es in dieser Situation, den Prozess auszusetzen und stattdessen kaiserlichen Kommis-saren die Schlichtung des Konfliktes aufzutragen, damit der Kaiser nicht als Richter gegen seine Verbündeten auftreten musste. Unter veränderten Umständen konnten die ruhenden Verfahren ebenso schnell wiederbelebt werden, um die kaiserliche Stellung als Reichsoberhaupt und oberster Richter gegenüber den mächtigen (evangelischen) Reichsständen zu betonen, wenn auch kaum nachhaltig durchzusetzen. Auch in der kaiserlichen Patronage- und Klientelpolitik spielten die Damenstifte eher eine untergeordnete Rolle. Nur wenige Male setzten sich die frühneuzeitlichen Kaiser für die Aufnahme verwandter oder klientärer Kandidatinnen in die Stifte Quedlinburg und Essen ein und griffen dabei auf kaiserliche Reservatrechte, Personal und Beziehungen zurück, die ihnen als Reichsoberhaupt zur Verfügung standen. Durch das kaiserliche Reservatrecht der Ersten Bitte (jus primarum precum) konnten sie zudem nach Regierungsantritt die erste vakante Stelle in verschiedenen geistlichen Einrichtungen, darunter auch das Kanonikerkapitel des Stiftes Essen, besetzen. Konfliktpotential mit den Äbtissinnen und Stiften entstand aber, wenn das Reichsoberhaupt versuchte, seinen Einfluss auszubauen, beispielsweise als Leopold I. auf Grundlage des jus devolutum damit drohte, das freie Wahlrecht des Quedlinburger Kapitels zu beschränken, oder als Karl VII., Joseph II. und Franz II. nacheinander das jus primarium precum im Stift Essen auch auf die Besetzung der Kanonissenstellen auszudehnen suchten. In diesen Fällen stellten sich Äbtissin und Kapitel gegen den Kaiser, um ihre Vorrechte zu wahren. Angesichts einer zunehmenden Verlagerung der kaiserlichen Politik von Reichs- auf Hausmachtinteressen schwand im Laufe des 18. Jahrhunderts das Vertrauen der mindermächtigen Reichsstände in das Reichsoberhaupt als obersten Richter und Wahrer von Frieden und Ordnung, wie nicht zuletzt die Überlegungen im Stift Quedlinburg Mitte des 18. Jahrhunderts und die Annäherung von Äbtissin und Stift an den preußischen König belegen. Kann man angesichts der hier gewonnenen Erkenntnisse von einem wirkmächtigen Schutz von Kaiser und Reich für die mindermächtigen Reichsäbtissinnen sprechen und damit die Vorstellung vom Reich als einem Friedens- und Rechtsverband stützen? Trotz der sicher zu konstatierenden Übermächtigung und Schutzlosigkeit der Reichsäbtissinnen im Verhältnis zu

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ihren mächtigen Nachbarn wäre es meines Erachtens falsch, den Reichsgerichten und der Reichsverfassung jegliche Funktionalität als Rechtschutzmechanismen für die mindermächtigen Reichsstände abzusprechen. Denn in einzelnen Fällen, wie dem schlussendlichen kaiserlichen Schutz des freien Wahlrechtes der Quedlingburger Kapitularinnen, der Durchsetzung der feierlichen Introduktion der Quedlinburger Äbtissin Maria Elisabeth mit kaiserlicher Hilfe oder der Aufhebung der preußischen Konfiskationen im Streit um das militärische Vertretungsrecht im Stift Essen, trug das Engagement des Kaisers durchaus Früchte. Darüber hinaus beförderte die tatsächliche oder auch nur angedrohte Anrufung der Reichsgerichte oder des Reichs- oder Kreistages die Kommunikation zwischen streitenden Parteien. Um die kaiserliche oberstrichterliche Einmischung zu verhindern, ließ sich der mächtigere brandenburgisch-preußische Kurfürst-König immer wieder auf Verhandlungen mit der mindermächtigen Äbtissin ein und war darin, wenn auch nur zu geringen, Zugeständnissen bereit. Zwar führten diese Verhandlungen in der Regel ebenso wenig wie die Verfahren am Reichshofrat zu einer Lösung des Konfliktes oder einem dauerhaften Kompromiss. Sie sorgten aber dafür, dass die strittigen Herrschaftsverhältnisse in den Reichsstiften in der Schwebe gehalten wurden und deren vollkommene Unterwerfung bis zur Säkularisation, wenn auch wie im Stift Herford nur dem Titel nach, aufgeschoben wurde.

Resümee Im Zentrum der vorliegenden Studie stand die Untersuchung der Herrschaften der Damenstifte Herford, Quedlinburg und Essen zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband zwischen 1648 und 1802/03. Dem lag die These von den Äbtissinnen als politischen Akteuren zugrunde, deren Handeln sich im Spannungsfeld von Möglichkeiten und Grenzen bewegte. Ausgangspunkt war die dreifache Gefährdung dieser Herrschaften: durch die staatstheoretisch kolportierte Regierungsunfähigkeit von Frauen, durch das Prinzip der Säkularisation geistlicher Staaten und durch die Mindermächtigkeit der Reichsäbtissinnen. Es hat sich gezeigt, dass die vermeintliche Regierungsunfähigkeit von Frauen und die Argumente der querelle des femmes in den drei Stiften sowohl in Krisen- als auch in Friedenszeiten kaum eine Rolle spielten. Im Hinblick auf die institutionell verankerte Herrschaft adeliger Frauen an der Spitze der Reichsstifte scheint deren Geschlechtszugehörigkeit weniger legitimitätsbedürftig als in weltlichen Territorien. Anders verhielt es sich hingegen mit ihrem geistlichen und mindermächtigen Status. Zwar waren Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft der Äbtissinnen von Herford, Quedlinburg und Essen im Westfälischen Frieden bestätigt worden, aber auch nach 1648 keinesfalls unumstritten. Vielmehr trug der Frieden ein Janusgesicht, indem er zwar einerseits den Besitzstand der geistlichen Reichsstände sicherte, andererseits aber das Prinzip der Säkularisation von geistlichen Staaten einführte. Dieses war eng verknüpft mit der fortschreitenden Territorialisierung und der damit einhergehenden territorialen Konkurrenz. Geistliche Herrschaftsträger wurden zunächst vor allem von den evangelischen Landesfürsten, später auch von den Katholischen als Störfaktoren im Prozess der Herrschaftsverdichtung in ihren Territorien empfunden und daher untergeordnet. Zugleich rückten mindermächtige geistliche Reichsstände, wie die Äbtissinnen der Reichsstifte, ins Visier der territorialen Arrondierungsbestrebungen ihrer weltlichen Nachbarn. Vor diesem Hintergrund wurde nach den Handlungsspielräumen der Äbtissinnen als mindermächtige politische Akteure und ihren Strategien zur Verteidigung ihrer reichsunmittelbaren Herrschaft und Reichsstandschaft gefragt mit dem Ziel, die spezifische Beschaffenheit der Herrschaftskonfiguration Reichsstift zu analysieren und deren Rahmenbedingungen abzustecken. Hauptaugenmerk wurde dabei auf die Verflechtung der Äbtissinnen in verschiedene Beziehungsnetze und die damit verbundenen Abhängigkeiten ihres Handelns gelegt. Während die Rekonstruktion dieser Figurationen und Interdependenzen analytisch getrennt anhand verschiede-

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ner Fallbeispiele aus den drei Stiften erfolgte, werden hier nun die Ergebnisse zu den einzelnen Äbtissinnen und zu den drei Stiften vergleichend gegenübergestellt. Rahmenbedingungen Das Stift Herford umfasste im Verhältnis zu den beiden anderen Stiften im 17. und 18. Jahrhundert den kleinsten Wirkungskreis. Die Rechte der Äbtissin waren nicht flächendeckend, sondern mit Ausnahme der Stiftsfreiheit über die übrige – spätestens seit 1651 – kurbrandenburgische Landstadt Herford verteilt. Schon im Spätmittelalter hatten die Herforder Äbtissinnen auf wesentliche Rechte innerhalb der Stadt verzichtet und somit auf die Ausbildung eines kleinen Stiftsterritoriums. Dadurch fehlten den Äbtissinnen im Untersuchungszeitraum wichtige finanzielle und personelle Ressourcen. Dies betraf auch die Einkünfte von Äbtissin und Stiftsdamen. Insbesondere die Kanonissen konnten damit nicht die Kosten einer standesgemäßen Lebensführung decken. Sie lebten während des Untersuchungszeitraumes mehrheitlich nicht im Stift, sondern bei ihrer Verwandtschaft. Im Stift war nicht selten allein die Äbtissin anwesend, wenn überhaupt. Denn auch einige Herforder Äbtissinnen wie die minderjährige Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau oder Johanna Charlotte von Brandenburg hielten sich häufig bei ihrer Verwandtschaft auf. Die regelmäßige Abwesenheit der Stiftsdamen führte zu einer Aufwertung der in der Regel anwesenden männlichen Kapitulare, auch Wochenherren genannt, die gemeinsam mit den Kanonissen das Stiftskapitel bildeten. Sie sicherten sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts das alleinige Wahlrecht einer neuen Dekanissin. Angesichts der geringen Größe und Wirtschaftskraft bildeten sich im Stift Herford nur rudimentäre Verwaltungsstrukturen aus. Verschiedene Behörden wie Rentei, Kammer oder Konsistorium fehlten. Alle anfallenden Verwaltungsaufgaben wurden von verschiedenen zwar sicher juristisch geschulten, aber selten graduierten Räten, Sekretären und weiterem Personal übernommen. Das Stift Quedlinburg umfasste mit dem vorgelagerten Stiftsdorf Ditfurt und den verschiedenen Vorwerken und Vorstädten ein größeres, 1 ½ Quadratkilometer großes Gebiet, in dem die Äbtissin im 17./18. Jahrhundert flächendeckend über verschiedene Rechte, wie die Ziviljurisdiktion und Grundherrschaft, verfügte. Zur Verwaltung dieses Gebietes entwickelte sich in Quedlinburg eine komplexere Verwaltungsstruktur als in Herford. Bereits im 16. sowie dann im 17. Jahrhundert bildeten sich weitere Behörden wie die Rentei, Superintendantur und das Konsistorium neben der Stiftskanzlei aus. Eine Besonderheit des Quedlinburger Stifts stellte die Position des Stiftshauptmannes dar, der bereits am Ende des 15. Jahrhunderts als ge-

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meinsamer Beamter von Äbtissin und Schutzherr angestellt wurde. Im Verlauf der Frühen Neuzeit gerierte sich der Stiftshauptmann jedoch immer stärker als ausschließlicher Vertreter des Schutzherrn und geriet daher wiederholt in einen Gegensatz zu Äbtissin und Stift. Eine umfassende Neustrukturierung der Verwaltung nach preußischem Vorbild nahm Anna Amalie in Preußen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor. Nun wurde auch eine Kammer eingerichtet, die aber nicht in Quedlinburg, sondern in Berlin am Aufenthaltsort der Äbtissin angesiedelt war. Unter der preußischen Äbtissin stiegen die Erträge des Stiftes. Im Vergleich zu Herford besaß das Quedlinburger Stift mehr Finanzkraft, was sich durchaus auch in der häufigeren Anwesenheit der Stiftsdamen in der zweiten Hälfte des 17. sowie ersten Hälfte des 18. Jahrhundert niederschlug. Über den umfangreichsten Güter- und Rechtsbesitz verfügte im Untersuchungszeitraum das Stift Essen. Es umfasste ein Gebiet von 1 ½ bis 2 Quadratkilometern und mit dem Ländchen Breisich am Rhein über weiteren Streubesitz. Dies spiegelt sich auf der Ebene der Verwaltung wider: Bereits im frühen 17. Jahrhundert hatte sich dort eine Kanzlei mit einem Direktor sowie zwei bis vier Räten etabliert. Die 1695 erlassene Kanzleiordnung, die den Verfahrensgang explizit regelte, nennt darüber hinaus verschiedene weitere Posten. Ebenfalls schon seit dem frühen 17. Jahrhundert findet sich mit der Institution des Offizialats eine geistliche Behörde. Der höhere Professionalisierungsgrad der Essener Verwaltungsstrukturen gegenüber den anderen beiden Stiften zeichnet sich vor allem in der Führung einer ordentlichen Registratur seit Mitte des 17. Jahrhunderts ab. Mehr als in den beiden evangelischen Stiften, war der Stiftsalltag in Essen noch durch ein gemeinsames Stiftsleben geprägt. Viele der Stiftsdamen waren, wenn auch mit Abwesenheitszeiten durch Reisen und Verwandtschaftsbesuche, regelmäßig im Stift anwesend. Zum gemeinsamen Stiftsleben gehörte auch der tägliche Chordienst, an dem die Stiftsdamen mit Ausnahme des Probejahres aber nur sehr sporadisch teilnahmen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Stiften bildete sich in Essen im Spätmittelalter neben dem Damenkapitel auch noch ein Kanonikerkapitel aus. „Etwas ganz sonderbares“, so Johann Jacob Moser, war darüber hinaus die landständische Verfassung im Essener Stift, in der das Damenkapitel den ersten, das Herrenkapitel den zweiten und die umliegenden Adelsfamilien den dritten Stand bildeten. Verwandtschaft Verwandtschaftliche Verbindungen spielten sowohl innerhalb der Stifte, wo Schwestern, Nichten und Tanten der immer gleichen Adelshäuser vertreten waren, als auch in den Verhandlungen um die Wahl einer neuen Äbtissin sowie während ihrer späteren Amtsführung in allen drei Stiften eine wichti-

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ge Rolle. Dies betraf nicht nur die agnatische, sondern auch die kognatische Verwandtschaft und die Schwägerschaft. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg unterstützte beispielsweise in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederholt Frauen aus seinem kognatischen Verwandtenkreis in den Herforder Äbtissinnenwahlen. Die Damenstifte boten eine der wenigen Alternativen weiblicher Lebensführung im Hochadel. Angesichts der geringen Anzahl hochadeliger Damenstifte im Alten Reich, von denen zudem nur wenige im 16. Jahrhundert die Reformation umgesetzt haben, handelt es sich bei der Institution Stift und mehr doch der Stelle als Reichsäbtissin um eine knappe Ressource. Verhältnismäßig viele hochadelige Häuser konkurrierten daher um die wenigen weiblich besetzten Ämter innerhalb der Reichskirche. Die jeweilige Verwandtschaftsgruppe musste viel investieren, um die Wahl einer Verwandten erfolgreich zu befördern. Eine solche Leistung konnte keinesfalls von einer Einzelperson, sondern nur von einem Personenverband erbracht werden, in dem die spätere Äbtissin eine Führungsrolle übernehmen oder aber auch nur am Rande beteiligt sein konnte. Langwierige Wahlverhandlungen, wie sie im Vorfeld der Bestellung Johanna Charlottes von Brandenburg zur Äbtissin von Herford nötig waren, um die Wähler zu überzeugen, finden sich wenn auch nicht immer so extensiv in allen drei Stiften. Der Beförderung weiblicher Verwandter an die Spitze der Reichsstifte lag vielfach eine Kosten-Nutzen-Rechnung zugrunde. Häufig wurden von Seiten der Verwandtschaftsverbände hohe Erwartungen an die Wahl einer Äbtissin aus den eigenen Reihen gestellt. Diese reichten von der erleichterten Unterbringung weiterer Verwandter im Stift und deren standesgemäßen Ausstattung, über die politische Einflussnahme im Stift und der Region bis hin zur Statthalterschaft in Rechten, die nicht ohne weiteres bestritten werden konnten. Erst nach der Wahl und dem Amtsantritt erwies sich jedoch, inwiefern die Äbtissin in ihrem Amt ihrer Verwandtschaft von Nutzen war und wie sie Amts- und Verwandtschaftsinteressen miteinander in Einklang brachte. Die Essener Äbtissinnen des 17. Jahrhunderts entstammten vornehmlich aus rheinischen und westfälischen Adelsgeschlechtern, deren weiblichen Mitglieder zahlreich im Damenkapitel vertreten waren. Sie orientieren sich wie Anna Salome von Salm-Reiferscheidt an den ständischen Interessen der Reichsgrafen und verhalfen diesen im Stift Vorschub. Anna Salome sorgte etwa für eine strenge ständische Zugangskontrolle ins Stift und schloss damit zugleich die Töchter ihrer Schwester aus dem vom Kaiser standeserhöhten Geschlecht der Liechtensteiner aus. Im 18. Jahrhundert entstammten die beiden letzten, langjährig regierenden Äbtissinnen aus den fürstlichen Häusern Pfalz-Sulzbach und Sachsen. Beide Häuser hatten kein politisches In-

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teresse am weitentfernten Essener Stift und übten somit auch wenig Einfluss auf die Äbtissinnen aus. Obwohl die beiden Essener Äbtissinnen ebenso wie die Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg finanziell auf ihre Verwandten angewiesen waren, sicherten ihnen diese Umstände ein größeres Maß an Unabhängigkeit. Aber auch unter den Herforder Äbtissinnen, die allesamt seit der Mitte des 17. Jahrhundert mit der Hilfe des brandenburgisch-preußischen Kurfürst-Königs in ihr Amt gelangt waren, gab es Unterschiede. Elisabeth von der Pfalz kam ihrem Vetter Kurfürst Friedrich Wilhelm, mit dem sie eine enge Beziehung verband, häufig entgegen wie bei der Einführung des neuen Kalenders im Stift im Jahr 1667. Als der Kurfürst zehn Jahre später die Steuerhoheit im Stift an sich ziehen wollte, protestierte sie jedoch entschieden. Noch deutlich renitenter zeigte sich Charlotte Sophie von Kurland, eine Cousine Kurfürst Friedrichs I./III. Sie zog verwandtschaftliche und innerstiftische Isolierung sowie langjähriges Exil vor, anstatt widerstandslos auf ihre Rechte zu Gunsten Friedrichs zu verzichten. Ein anderes Extrem stellt das Verhalten ihrer direkten Nachfolgerin Johanna Charlotte von Brandenburg dar. Stark in die preußische Dynastie eingebunden, verzichtete sie auf sämtliche umstrittenen Rechte und verhalf der Mediatisierung des Stifts durch Dynastisierung Vorschub. In Quedlinburg führte die Machtlosigkeit der Häuser Sachsen-Weimar und Holstein-Gottorf hingegen dazu, dass die Quedlinburger Äbtissinnen aus diesen Geschlechtern zwar wenig Druck von ihrer Verwandtschaft verspürten, dafür aber auch wenig Rückhalt in den Auseinandersetzungen mit ihrem Schutzherrn fanden. Die Äbtissinnen schieden nach ihrer Wahl nicht aus ihrem verwandtschaftlichen Beziehungsnetz aus, vielmehr waren die Stifte tief darin verflochten. Ein entscheidender Faktor war die häufige Angewiesenheit der Kanonissen bis hin zur Äbtissin auf finanzielle Unterstützung durch ihr verwandtschaftliches Umfeld. Eine solche Refinanzierung der Stifte durch die adeligen Verwandtschaftsverbände war in allen drei Stiften im 17. und 18. Jahrhundert keine Seltenheit, sondern die Regel. Zwar verlieh die Aufnahme in eines der kaiserlich frei-weltlichen Stifte den adeligen, unverheirateten Frauen einen standesgemäßen Status innerhalb der Adelsgesellschaft und bot ihnen somit eine Alternative zur Ehe, sie sicherte aber bei weitem nicht deren standesgemäßes finanzielles Auskommen. Vor diesem Hintergrund muss der Charakter der Stifte als adelige Versorgungsinstitutionen differenzierter betrachtet werden, als dies in der Forschung noch immer häufig der Fall ist. Die Unterstützungsleistung der Verwandtschaft erstreckte sich sowohl auf regelmäßige Unterhaltszahlungen als auch auf weitere im verwandtschaftlichen Beziehungsnetz zirkulierende Ressourcen wie Beistand in Konfliktsituationen, Regierungspersonal, Kontakte zu Architekten oder

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Kommunikationskanäle an andere Höfe und die Reichsinstitutionen. Blieben Unterstützung und Hilfe hingegen aus, war damit ein großes innerverwandtschaftliches Konfliktpotential verbunden, dass nicht nur zu Auseinandersetzungen zwischen der Äbtissin und ihrem externen verwandtschaftlichen Umfeld, sondern auch zu innerstiftischen Konflikten zwischen Äbtissin und verwandten Kanonissen führen konnte. Umstrittene Herrschaft Für alle drei Stifte trifft im Untersuchungszeitraum zu, dass die Äbtissinnen in zahlreiche, häufig langwierige Konflikte mit verschiedenen anderen Inhabern von Herrschaftsrechten im Stift verstrickt waren. Sie zeugen von den kleinteiligen und komplexen Verhältnissen in allen drei Stiften, die typisch für die Vormoderne durch das Nebeneinander konkurrierender Rechte und deren Inhaber und eine enorme Rechtsvielfalt geprägt waren. Hierzu gehörten zunächst Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Kapiteln oder einzelnen Mitgliedern. Häufiger Streitgegenstand waren jeweils die Partizipationsrechte des Kapitels an der Stiftsadministration sowie die standesgemäße Behandlung der hochadeligen Kanonissen durch die Äbtissin. Solche innerstiftischen Streitigkeiten stellten sowohl eine Gefahr im Innern dar, indem sie Verwaltungsabläufe, an denen nicht nur die Äbtissin, sondern auch das Kapitel beteiligt waren, hemmten und wertvolle personelle wie finanzielle Ressourcen banden, als auch nach außen, indem sie sich als ein Einfallstor für Dritte entpuppen konnten. So schürte der Quedlinburger Stiftshauptmann als lokaler Vertreter des kurbrandenburgischen Schutzherrn die Streitigkeiten zwischen der Äbtissin und Pröpstin, um die Äbtissin in der zeitgleichen Auseinandersetzung mit ihrem Schutzherrn zu raisonableren Gedancken [zu] bringen, oder mischte sich Kurfürst-König Friedrich I./III. in den Streit zwischen der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland und der Dekanissin Sophie Ernestine zu Lippe ein, um seine Stellung im Stift auszubauen. Ein weiterer häufiger Gegner begegnete den Äbtissinnen aller drei Stifte in den Funktionseliten der umliegenden Städte. Die rechtlichen Verhältnisse zwischen Stift und Stadt gestalteten sich hingegen unterschiedlich. Die Herforder Äbtissin hatte, wie gesagt, bereits im Spätmittelalter ihre Rechte innerhalb der Stadt weitestgehend abgetreten und gemeinsam mit der Stadt ein Kondominat, also eine gleichberechtigte Partnerschaft gebildet, die allerdings in der Reformation auseinanderbrach. Als Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg Mitte des 17. Jahrhunderts die Landesherrschaft über die Stadt Herford beanspruchte und sie militärisch unterwarf, arrangierte sich die städtische Funktionselite nach anfänglichem Widerstand schnell mit ihrer landständischen Stellung und stellte sich in den Dienst

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ihres brandenburgisch-preußischen Landesherrn. Als landesherrliche Beamte waren die Stadtverantwortlichen bestrebt, den besonderen Rechtsstatus der Stiftsfreiheit zu negieren, um vor allem fiskalisch auf deren Bewohner zugreifen zu können und einen einheitlichen städtischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Eine solche Triangulation zwischen städtischer Funktionselite, Äbtissin und Stift sowie Schutzherrn findet sich im Untersuchungszeitraum auch in den beiden anderen Stiften. Zwar beanspruchte die Quedlinburger Äbtissin das Stadtregiment, wählte die Ratsmitglieder aus und bestätigte den regierenden Rat, die städtischen Funktionseliten kooperierten aber sowohl unter kursächsischer als auch kurbrandenburgischer Schutzherrschaft immer wieder mit dem jeweiligen Schutzherrn und traten als Pächter der Vogtei sowie Inhaber von landesherrlich-brandenburgischen Ämtern in der Akziseverwaltung in dessen Dienst. In Essen stellten sich die Verhältnisse noch einmal anders da. In einem 100-jährigen Prozess vor dem Reichskammergericht stritten die katholische Äbtissin und das Stift seit Mitte des 16. Jahrhunderts mit der lutherischen Stadt um die Unterordnung bzw. Autonomie der Stadt. Obwohl das Reichskammergerichtsurteil 1670 die Unterordnung der Stadt bestätigte, sprach es Bürgermeister und Rat zugleich den Anspruch auf Selbstverwaltung zu. Damit wurde das Ringen zwischen Äbtissin und Stadtmagistrat nicht beendet, sondern vielmehr auf Dauer gestellt. In den anhaltenden Auseinandersetzungen rief die Stadt regelmäßig den kurbrandenburgischen Schutzherrn von Stift und Stadt an, der wiederholt mit Soldaten in das Stift einfiel, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Indem sich die städtischen Funktionseliten auf die Seite des mächtigeren Schutzherrn stellten, erhöhten sie den Druck, der von diesem auf die Äbtissinnen und Stifte im 17. und 18. Jahrhundert ausgeübt wurde. Schließlich kam es in allen drei Stiften immer wieder zu Konflikten mit ihrem weltlichen Schutzherrn. In den beiden evangelischen Stiften hatte der Schutzherr bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts die Kompetenzen der Äbtissin immer weiter beschnitten und viele ihrer Rechte faktisch an sich gezogen. Diese Entwicklung reichte in beiden Stiften bis ins 16. Jahrhundert zurück, als die Herforder Äbtissin dem Herzog von Jülich, Kleve und Berg mit wenigen Ausnahmen ihre sämtlichen Rechte innerhalb der Stadt als Gegenleistung für seinen Schutz abtrat und die Äbtissin von Quedlinburg nach verschiedenen Jurisdiktionsrechten dem Schutzherrn auch ein Mitbesteuerungsrecht, die Teilhabe an der Untertanenhuldigung, den Titel Landesfürst und die Einflussnahme auf die Besetzung der Stiftsämter zugestehen musste. Im 17. Jahrhundert kamen weitere Zugeständnisse wie die Prüfung des Policey-, Lehns- und Grenzwesens dazu. Einen Höhepunkt erreichte dieser Übermächtigungsprozess um 1700, als mehrfach brandenburgisch-preußische Soldaten in die Stifte eindrangen und dem Schutzherrn

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weitere Rechte wie die regelmäßige, eigenmächtige Besteuerung, die Jurisdiktion über Stiftsbeamte und die Gesetzgebung gewaltsam sicherten. In Herford führte dies zum langjährigen Exil der Äbtissin, in Quedlinburg zur langjährigen Vakanz an der Spitze des Stifts. Äbtissin und Kapitel hatten diesen Zwangsmaßnahmen nur wenig entgegenzusetzen. Die Formen ihres widersetzlichen Verhaltens reichten von Protest über Verhandlungen bis hin zur Klage vor den Reichsgerichten, deren Wirkung aber gering blieb. Schließlich führte die Wahl preußischer Äbtissinnen zum fast vollständigen Abbruch des Widerstandes, aber zugleich zur Bestätigung ihres, wenn auch weitestgehend inhaltsleeren reichsfürstlichen Ranges und der reichsverfassungsmäßigen Fortexistenz der beiden Stifte. Ein größeres Maß an Unabhängigkeit konnte sich das Essener Stift sichern. Grund hierfür waren zum einen die geographische Lage des Stifts inmitten verschiedener anderer geistlicher und weltlicher Territorien, die allesamt entweder selbst verschiedene Rechte im Stift wahrnahmen oder funktional am Stift als Ausbildungs-, Sozialisations- und hochadeliger Kontrollinstanz interessiert waren und sich daher gegenseitig kontrollierten. Zum anderen konnte der evangelische Schutzherr keinen Fuß innerhalb des katholischen Stiftes durch eine gezielte verwandtschaftliche oder klientäre Besetzungspolitik fassen. Dennoch sahen sich auch die Essener Äbtissinnen des 17./18. Jahrhunderts immer wieder militärischen Zwangsmaßnahmen ihres Schutzherrn ausgesetzt, gegen dessen Willen weder Anna Salome von Salm-Reiferscheidt das Verbot gegen den Bau eines Predigerhauses für die reformierte Gemeinde 1670 oder die Absetzung des Stadtrates 1673 noch Maria Kunigunde von Sachsen die Aufhebung eines Beginenkonventes 1786 durchsetzen konnte. Das Nebeneinander konkurrierender Herrschaftsrechte und deren Inhaber wirkte sich somit zwangsläufig auch auf die Regierungsgeschäfte in den Stiften aus. Mit Entscheidungen von größerer Reichweite wie der geplanten Auflösung des Essener Beginenkonventes oder der Aufnahme des Glaubensflüchtlings Labadie auf der Herforder Stiftsfreiheit stießen die Äbtissinnen an die Grenzen ihrer Durchsetzungskraft. Gestaltungsspielräume eröffneten sich den Äbtissinnen hingegen vor allem in der Form caritativer und landesfürsorglicher Stiftungen sowie repräsentativer Bau- und Ausstattungsmaßnahmen, für die sie nicht selten mit ihrem Privatvermögen aufkamen. Die Herforder Äbtissin Johanna Charlotte von Brandenburg verzichtete zwar in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Gunsten ihres brandenburgisch-preußischen Schutzherrn und Neffen auf wesentliche Rechte, nutzte ihren verbliebenen Handlungsspielraum unter preußischem Protektorat aber, um sich in Herford eine kleine barocke Residenz einzurichten und mit der Stiftung eines Stiftsordens eine Plattform zur Artikulation ihres Ranges zu schaffen. Die Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von Sach-

6. Resümee

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sen-Weimar gründete 1686 die Stiftsbibliothek. Vor allem die Essener Äbtissinnen Anna Salome von Salm-Reiferscheidt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach und Maria Kunigunde von Sachsen im 18. Jahrhunderten nutzten ihre langen Regierungszeiten von 42, 50 und 28 Jahren. Anna Salome errichtete Haus Borbeck nach seiner vollständigen Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg neu. Es diente den Essener Äbtissinnen seitdem als Sommerresidenz. Franziska Christina gestaltete das Borbecker Schloss in eine barocke Schlossanlage um und erbaute in Steele eine weitere Nebenresidenz, in der sie zugleich ein Waisenhaus einrichtete. Maria Kunigunde investierte in den Ausbau der Alleen im Stift sowie in das Hüttengewerke. Sie reformierte zudem ganz im aufgeklärten Geist ihrer Zeit das Schulwesen im Stift. Dabei profitierte sie von zeitgleich umgesetzten Reformen im Kurfürstentum Trier, dem ihr Bruder als Kurfürst vorstand. Die vielfältigen Auseinandersetzungen im Umfeld der Stifte zeugen von strukturellen Wandlungsprozessen im Verlauf der Frühen Neuzeit. Hierzu gehört erstens eine zunehmende Verrechtlichung von Konflikten. Die Herrschaftskonflikte zwischen den Äbtissinnen und weiteren Herrschaftsträgern wurden zunehmend in Verhandlungen oder auf der Grundlage geltenden Rechts vor Gericht ausgefochten. Anstatt einfacher Behauptungen mussten Rechts- und Herrschaftsansprüche anhand verbriefter Privilegien, Verträge, exemplarischer Gerichtsurteile oder von Zeugenverhören bewiesen werden. Die Beschreitung der via facti wurden hingegen kriminalisiert und bedurfte der Rechtfertigung. Zweitens lässt sich an den Streitursachen, -fragen und -verläufen ein allmählicher Wandel des vormodernen Herrschaftsverständnisses im Zuge der Ausbildung vormoderner Staatlichkeit seit Ende des 16. Jahrhunderts festmachen. Die verschiedenen Akteure nahmen in den Auseinandersetzungen Bezug auf das zentral auf eine Obrigkeit ausgerichtete Konzept der Landeshoheit. Insbesondere die jeweilige Äbtissin und der jeweilige Schutzherr stritten um die Superiorität oder das jus territoriale im Stift. Das wirkte sich stark konfliktsteigernd aus. Denn das dahinter stehende Herrschaftsverständnis widersprach den historisch gewachsenen Verhältnissen im Stift, die eben durch das Nebeneinander mehrerer Herrschaftsträger und konkurrierender Herrschaftsrechte in Gestalt von Äbtissin, Kapitel, städtischen Funktionseliten und Schutzherr geprägt waren. Hinzu kam, dass weder in Theorie noch Praxis eindeutig festgelegt war, was die Landeshoheit konstituierte und wer in ihrem Besitz war. Vielmehr müssen die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Herrschaftsträgern als Deutungskämpfe um die Ausgestaltung des Konzeptes der Landeshoheit verstanden werden. Erst in solchen Konflikten kristallisierten sich Gesetzgebung, Justiz, Besteuerung, Kirchenregiment und Besatzungsrecht zu den exklusiven

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6. Resümee

Kernkompetenzen des Landesherrn heraus. Die Reichsstifte erwiesen sich somit als Nähr- und Resonanzboden für strukturelle Wandlungsprozesse wie die Verrechtlichung sozialer Konflikte und die Ausbildung des Herrschaftskonzeptes der Landeshoheit. Reichsverband Alle drei Stifte unterhielten mehr oder weniger enge Beziehungen zu Kaiser und Reichsverband. Diese drückten sich zum einen in der symbolischen Partizipation an den Reichsinstitutionen aus. Hierzu gehörte zunächst die kaiserliche Belehnung. Dies gilt aber nicht für die Herforder Äbtissinnen, die aufgrund ihrer im Spätmittelalter sich sehr viel loser entwickelnden Beziehung zum Reich lediglich schriftlich vom Kaiser konfirmiert wurden. Des Weiteren gehörte hierzu die Wahrnehmung von Sitz und Stimme auf Reichs- und Kreistagen. Für das Stift Quedlinburg kann anhand der Subskriptionslisten der Reichstage vor 1663 sowie der mehr als 100 Bände Reichstagsberichte im Stiftsarchiv ein steigendes Interesse am Reichstagsgeschehen ausgemacht werden. Die Herforder Äbtissin war sehr viel sporadischer auf dem Reichstag vertreten. Ende des 17. Jahrhunderts wurde ihr zudem ihre Kreisstandschaft durch die Vertreter des brandenburgischpreußischen Kurfürst-Königs streitig gemacht und sie nicht mehr zum Kreistag eingeladen. Die Essener Äbtissinnen waren im Untersuchungszeitraum weitaus mehr am Kreis- als am Reichstagsgeschehen interessiert, wo nicht nur die wichtigen regionalen Themen behandelt wurden, sondern die Essener Äbtissin im Verbund mit anderen Kreisständen wie dem Bischof von Paderborn mitunter ein größeres Gestaltungspotential aufweisen konnte. Für alle drei Stifte gilt, dass sie Schwierigkeiten hatten, ihren Beitrag zu den Reichslasten zu leisten. Sie häuften allesamt enorme Rückstände an, womit sie Außenstehenden die Möglichkeit gaben, in die Stifte einzugreifen. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wandten sich die Äbtissinnen aller drei Stifte in den verschiedenen Konflikten mit ihrem lokalen Umfeld vermehrt an den Reichshofrat und kaum mehr an das Reichskammergericht, um gegen die Beeinträchtigung ihrer Rechte zu klagen. Die Reichsjustiz war aber ebenso wie der Kaiser und die weiteren Reichstinstitutionen ebenfalls durch die Einbindung in verschiedene Beziehungsnetze in ihrem Handeln gebunden. Dies führte beispielsweise dazu, dass die Prozesse, die die Äbtissinnen von Herford und Quedlinburg Ende des 17. Jahrhunderts am Reichshofrat gegen ihren gemeinsamen Schutzherrn, den brandenburgisch-preußischen Kurfürst-König, angestrengt hatten, zum Stillstand kamen, als der Kaiser Kaiser im Spanischen Erbfolgekrieg auf die militärische Unterstützung des Kurfürst-Königs angewiesen war. Friedrich I./III. nutzte diese Situation aus und drohte mit dem Rückzug seiner Truppen, wenn

6. Resümee

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nicht die Verfahren eingestellt würden. Diese Verwicklungen zwischen Justiz und Politik führten dazu, dass die meisten Verfahren an den Reichsgerichten weniger auf ein Endurteil als vielmehr auf die Herstellung eines Kompromisses zwischen den streitenden Parteien abzielten. Bereits zur Vollstreckung von Mandaten, geschweige denn von Endurteilen fehlte es der Reichsjustiz an einer wirkmächtigen Exekutive, die sich auch gegen mächtige Reichsstände wie den Kurfürst-König durchsetzen konnte. Zudem ging mitunter vom Kaiser selbst eine Gefahr für die Rechte der Äbtissinnen und Stifte aus, nämlich dann, wenn er selbst seine Reservatrechte ausnutzte, um beispielsweise auf die Besetzung vakanter Stellen Einfluss zu nehmen und die Stifte für seine Klientelpolitik zu nutzen. In diesem Zusammenhang stehen die Streitigkeiten zwischen dem Kaiser und der Essener sowie in Personalunion Thorner Äbtissin im 18. Jahrhundert um die Annahme kaiserlicher primae preces auf Kanonissenstellen in beiden Stiften. Schließlich musste sich Maria Kunigunde von Sachsen aufgrund einiger Präzedenzfälle Ende des 18. Jahrhunderts darauf einlassen, dass das Recht der ersten Bitte im Stift Thorn auch bei Kanonissenstellen zur Anwendung kam, im Stift Essen jedoch nur bei Kanonikerstellen. Ziel dieses Manövers verschiedener Interessengruppen am Wiener Hof war es, einerseits eines der wenigen Reservatrechte des Kaisers zu verteidigen, andererseits die Aufnahmebedingungen in den kaiserlich frei-weltlichen Stiften aufzuweichen, um auch dem österreichischen, erbländischen Adel eine Zugangsmöglichkeit zu verschaffen und damit den Standesunterschied zwischen standeserhöhtem österreichischen und alten Reichadel zu nivellieren. Kuriosum Stift Angesichts dieser empirischen Befunde tritt klar zu Tage, dass alle drei Stifte im gesamten Untersuchungszeitraum in einem starken Ungleichgewicht zu ihrem weltlichen Schutzherrn standen, der zumindest in den beiden evangelischen Stiften seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Landeshoheit für sich beanspruchte. Es zeichnet sich demnach ein klar asymmetrisches Verhältnis ab. Es stellt sich aber dennoch die Frage, welche Rationalität der formalen Existenzwahrung der Reichsstifte zugrunde lag, die sowohl als Störfaktor für den Landesausbau empfunden als auch als Kuriosität oder monstrum aufgrund ihrer Überlebtheit oder Unzeitgemäßheit wahrgenommen wurden. Warum waren dysfunktionale Elemente des Alten Reiches wie die Stifte so langlebig? Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Eine Antwort findet sich weder in der harmonisierenden Annahme eines Komplementär- oder Reichsverfassungsstaates, der für alle nützlich war, noch in der gegenteiligen Annahme, das Reich und seine Strukturen habe niemanden mehr interes-

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6. Resümee

siert. Barbara Stollberg-Rilinger hat in diesem Zusammenhang einen mittleren Weg eingeschlagen und das Konzept der „organisierten Heuchelei“ in die Diskussion eingebracht. Sie konstatiert die Doppelbödigkeit des Reiches, das „voller innerer Widersprüche und versteinerter Konfliktlagen“ bestanden habe. Diese „doppelbödige Struktur“ habe die Akteure zu „fortgesetzter, strukturell angelegter, geradezu institutionalisierter Heuchelei“ gezwungen, wobei Sprechen und Handeln immer stärker auseinandergetreten wäre, um die sich widersprechenden Normen, Rechte und Institutionen aufrechterhalten zu können, obwohl zwangsläufig ständig dagegen verstoßen wurde.1 In dieser Arbeit wurde ein anderer Erklärungsansatz gewählt, der die vielschichtigen Abhängigkeiten der jeweiligen Akteure in den Fokus rückt und die Institution Stift nicht für sich, sondern im Kontext adeliger Verwandtschaftsverbände, vormoderner Herrschaftsstrukturen und der Reichsverfassung betrachtet. Er setzt bei der Analyse bestimmter Figurationen an, wie sie die Verwandtschaft, die Lokalgewalten und der Reichsverband darstellten, in denen nicht nur immer wieder die gleichen Personen- und Interessengruppen miteinander verstrickt waren, sondern trotz sich verändernder Rahmenbedingungen auch immer wieder die gleichen Handlungsmuster zirkulierten. Hinzu kamen personelle Überschneidungen zwischen den einzelnen Figurationen, so dass diese sich überlagerten und ineinander aufgingen. Die verschiedenen Akteure waren somit in mehrfacher Hinsicht miteinander verflochten und ihre Handlungsoptionen begrenzt. Als mächtiger Schutzherr beschnitt der brandenburgisch-preußische Kurfürst-König vor allem in den beiden evangelischen Stiften nach und nach die Rechte der Äbtissin faktisch auf ein Minimum, als Reichsstand hielt er jedoch in Bezug auf die Berechtigung von Reich und Reichsverfassung bis weit ins 18. Jahrhundert an der Konsensfassade fest, welche die Aufhebung der Reichsstifte unsagbar machte. Somit sorgte das situative Ineinandergreifen unterschiedlicher Interessen und handlungsleitender Abhängigkeiten für die formelle Existenzsicherung der Stifte, obwohl diese längst nicht mehr dem Zeitgeist entsprachen und mitunter völlig abgewirtschaftet waren. Es bedurfte erst destabilisierender Momente wie der Französischen Revolution oder dem zunehmenden Herauswachsen einzelner Glieder aus dem Reich, welche die zirkulären Mechanismen stoppten, traditionale Handlungsmuster aufbrachen und neue Handlungsoptionen eröffneten. Bis zu diesem Zeitpunkt stellten die Reichsstifte einen Handlungsraum dar, in dem nicht nur für die Äbtissinnen, sondern ____________ 1

STOLLBERG-RILINGER, Organisierte Heuchelei, S. 98-100.

6. Resümee

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auch für weitere Akteure sowohl vieles möglich als auch vieles unmöglich war.

7.

Äbtissinnen und Coadjutorinnen der Stifte Essen, Herford und Quedlinburg seit 16501

7.1. Essen 7.1. Essen

Anna Salome von Salm-Reifferscheidt (1646-1688) * 4. Okt. 1622 † 15. Okt. 1688 in Essen 20. Dez. 1633 Aufnahme ins Stift Essen 26. Aug. 1636 Emanzipation als Kanonissin 26. Nov. 1638 Wahl zur Pröpstin 5. Juni 1646 Wahl zur Äbtissin Eltern: Ernst Friedrich Altgraf von Salm-Reifferscheidt (1583-1639) oo Maria Ursula Gräfin von Leinigen († 1649) Geschwister: Sidonia Elisabeth Gräfin von Salm-Reifferscheidt (1623-1688) oo Hartmann Fürst von und zu Liechtenstein (1613-1686), Anna Catharina von Salm-Reifferscheidt (1624-1691) oo Johann IV. Graf von Ostfriesland und Rietberg (1618-1660) Verwandtschaft: Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (16541726), Äbtissin von Essen (1691-1726) (Nichte) Anna Salome von Manderscheid-Blankenheim (1688-1691) * 12. Dez. 1628 † 15. März 1691 in Essen 10. Mai 1645 Aufnahme ins Stift Essen 4. April 1646 Emanzipation als Kanonissin 27. Juni 1646 Wahl zur Dechantin 30. März 1666 Wahl zur Äbtissin 4. Nov. 1688 Postulation als Äbtissin, wurde angefochten und vom Papst kassiert 13. März 1690 als Äbtissin durch die Kurie eingesetzt ____________ 1

Grundlage der biographischen Skizzen sind die zu den drei Stiften anderweitig angefertigten Prosopographien und die Sammlung SCHWENNICKE (Hg.), Europäische Stammtafeln; KÜPPERS-BRAUN, Frauen des hohen Adels, S. 307-379; DIES., Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, S. 50-104; BEI DER WIEDEN, Die Dekanessen und Koadjutorinnen der Reichsabtei Herford, S. 121-130; DERS., Die Herkunft der Äbtissinnen der Reichsabtei Herford S. 23-30; DERS., Die Äbtissinnen der Reichsabtei Herford, S. 36-46.

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7. Äbtissinnen und Coadjutorinnen

Eltern: Johann Arnold Graf von Manderscheid-Blankenheim oo Antonia Elisabeth Gräfin von Manderscheid-Blankenheim-Gerolstein Bemerkungen: Anna Salome war bereits am 30. März 1647 zur Äbtissin des Stiftes Thorn gewählt worden. Daher war bei ihrer Bestellung zur Äbtissin von Essen nur eine Wahl durch Postulation möglich. Diese wurde ihr durch Berhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg streitig gemacht. Bernhardine Sophia von Ostfriesland und Rietberg (1691-1726) * 1654 † 14. Aug. 1726 auf Schloss Styrum in Mülheim 9. Juni 1659 Aufnahme in Stift Essen 7. Okt. 1669 Emanzipation als Kanonissin 4. Nov. 1688 erstmalige Wahl zur Äbtissin, durch die Kurie kassiert März 1689 Bestellung als Dechantin durch päpstliche Provision 2. April 1691 Wahl zur Äbtissin Eltern: Johann IV. Graf von Ostfriesland und Rietberg (1618-1660) oo Anna Catharina von Salm-Reifferscheidt (1624-1691) Geschwister: Franz Adolf Wilhelm Graf von Ostfriesland und Rietberg († 1690), unterstützte den unterlegenen Wilhelm Egon von Fürstenberg bei der Kölner Doppelwahl 1688 Verwandtschaft: Anna Salome von Salm-Reifferscheidt (1622-1688), Äbtissin von Essen (1646-1688) Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (1726-1776) * 25. April 1696 in Sulzbach † 16. Juli 1776 in Essen 10. Nov. 1712 Aufnahme ins Stift Essen 30. Sept. 1715 Emanzispation als Kanonissin 15. Okt. 1726 Wahl zur Äbtissin von Essen Eltern: Herzog Theodor Eustach von Pfalz Sulzbach (1659-1732) oo Maria Eleonora Amalie, Landgräfin von Hessen-Rheinfels-Rothenburg (16751720) Verwandtschaft: Kurfürst Karl Philipp Theordor von der Pfalz (1724-1799) (Neffe) Bemerkungen: Franziska Christina war bereits am 31. März 1717 zur Äbtissin von Thorn gewählt worden. Unter ihrer Regierung begann die Personalunion der Stifte Essen und Thorn bis zu deren Aufhebung mit der Säkularisation.

7.1. Essen

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Anna Charlotte von Lothringen * 17. März 1714 † 7. Nov. 1773 in Mons 18. Jan. 1757 Wahl zur Coadjutorin Eltern: Leopold von Lothringen (1679-1729) oo Élisabeth Charlotte de Borbon-Orléans (1676-1744) Geschwister: Kaiser Franz I. Stephan (1708-1765) oo Maria Theresia von Österreich (1717-1780) Bemerkungen: Anna Charlotte von Lothringen war zugleich seit 1738 Äbtissin des Stiftes Remiremont und seit 1754 Äbtissin des Stiftes St. Waudru in Mons. Sie wurde 1757 auch zur Coadjutrix des Stiftes Thorn gewählt. Sie war weder in Essen noch Thorn präbendiert. Maria Kunigunde von Sachsen (1776-1803) * 10. Nov. 1740 in Warschau † 8. April 1826 in Dresden 21. Febr. 1775 Wahl zur Coadjutorin 18. Juli 1776 Inbesitznahme der Abtei (Possession) 7. Okt. 1777 Introduktion als Äbtissin Eltern: Kurfürst Friedrich August II. (III.) von Sachsen, König von Polen (1696-1763) oo Maria Josepha von Österreich (1699-1757) Geschwister: Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Kurfürst von Trier (17391812), Maria Christina von Sachsen, Äbtissin von Remiremont (17351782), Kurfürst Friedrich Christian Leopold Johann Georg Franz Xaver von Sachsen (1711-1763) oo Maria Antonia Walpurgis Symphorosa von Bayern, Maria Anna von Sachsen (1728-1797) oo Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern (1727-1777), Maria Josepha Karolina (1731-1767) oo Ludwig Ferdinand, Dauphin von Frankreich (1729-1765), Albert Kaismir von Sachsen, Herzog von Teschen (1738-1822) oo Maria Christina von Österreich (1742-1798)

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7. Äbtissinnen und Coadjutorinnen

7.2. Herford 7.2. Herford

Elisabeth Louise von Pfalz-Zweibrücken (1649-1667) * 16. Juli 1613 in Heidelberg † 29. März 1667 in Herford 18./28. Juli 1649 Wahl zur Äbtissin Eltern: Herzog Johann II. von Pfalz-Zweibrücken (1584-1635) oo Luise Juliane von der Pfalz (1594-1640) Verwandtschaft: Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1596-1632) (Onkel), Elisabeth von der Pfalz, Äbtissin von Herford (1618-1680) (Cousine) Elisabeth von der Pfalz (1667-1680) * 26. Dez. 1618 in Heidelberg † 8. Febr. 1680 in Herford 1./11. Mai 1661 Wahl zur Coadjutorin 30. April/10. Mai 1667 Einführung als Äbtissin Eltern: Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1596-1632) oo Elisabeth Stuart (1596-1662) Verwandtschaft: Luise Juliane von Oranien (1576-1644) (Großmutter), Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688) (Vetter), Hedwig Sophie von Brandenburg, verh. Landgräfin von Hessen-Kassel (16231683) (Cousine) Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau (1680-1686) * 1. Mai 1665 in Cölln an der Spree † 5. Okt. 1706 in Dessau oo Heinrich von Sachsen-Barby (1657-1728) (30. März 1686) 7./17. Jan. 1680 Wahl zur Coadjutorin 18./28. April 1686 Einführung als Äbtissin 25. April 1686 Resignation Eltern: Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau, kurbrandenburg. Generalfelldmarschall 1627-1693) oo Henriette Katharina von OranienNassau (1637-1708) Verwandtschaft: Louise Henriette von Oranien-Nassau, verh. Kurfürstin von Brandenburg (1627-1667) (Tante), Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688) (Onkel) Bemerkungen: 1680 gelangte Elisabeth Albertine von Anhalt-Dessau mit Hilfe eines kaiserlichen Dispenses minderjährig an die Spitze des Stifts. 1686 resignierte sie ihr Amt, um den Herzog von Sachsen-Barby zu heiraten.

7.2. Herford

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Elisabeth von Hessen-Kassel (1686-1688) * 23. Juni 1634 in Kassel † 22. März/1. April 1688 in Kassel 14./24. April 1686 Wahl zur Coadjutorin 9./19. Dez. 1686 Einführung als Äbtissin Eltern: Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel (1602-1637) oo Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg (1602-1651) Verwandtschaft: Hedwig Sophie von Brandenburg, verh. Landgräfin von Hessen-Kassel (1623-1683) (Schwägerin) Charlotte Sophie von Kurland (1688-1728) * 1. Sept. 1651 in Mittau † 1. Dez. 1628 in Verden 20./30. Juni 1688 Wahl zur Äbtissin 2. Febr. 1689 Einführung als Äbtissin Eltern: Jakob Kettler, Herzog von Kurland (1610-1682) oo Luise Charlotte von Brandenburg (1617-1676) Geschwister: Luise Elisabeth von Kurland, verh. Landgräfin von HessenHomburg (1646-1690), Marie Amalie von Kurland (1653-1711) oo Landgraf Karl von Hessen-Kassel (1654-1730) Verwandtschaft: Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688) (Onkel), Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg/König Friedrich I. in Preußen (1657-1713) (Vetter) Johanna Charlotte von Anhalt-Dessau, verw. Markgräfin von Brandenburg (17291750) * 6. April 1682 in Dessau † 31. März 1750 in Herford oo Markgraf Philipp Wilhelm von Brandenburg (-Schwedt) (1669-1711) 4. Febr. 1729 Wahl zur Äbtissin 10. Okt. 1729 Einführung als Äbtissin Eltern: Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (1627-1693) oo Henriette Katharina von Oranien-Nassau (1637-1708) Verwandtschaft: Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688) (Onkel), Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg/König Friedrich I. in Preußen (16571713) (Schwager), König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) (Neffe), Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg, Äbtissin von Herford (1764-1808) (Enkelin)

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7. Äbtissinnen und Coadjutorinnen

Prinzessin Sophie Dorothea Marie in Preußen * 25. Jan. 1719 in Berlin † 15. Nov. 1765 in Schwedt 13. Okt. 1729 Wahl zur Coadjutorin 16. April 1734 Resignation oo Markgraf Friedrich-Wilhelm von Brandenburg (-Schwedt) (17001771) (10. Nov. 1734) Eltern: König Friedrich Wilhelm I. in Preußen (1688-1740) oo Sophie Dorothea von Hannover (1687-1757) Geschwister: König Friedrich II. von Preußen (1712-1786), Prinzessin Anna Amalie in Preußen (1723-1787), Prinzessin Luise Ulrike in Preußen, verh. Königin von Schweden (1720-1782) Prinzessin Anna Amalie in Preußen * 9. Nov. 1723 in Berlin † 30. März 1787 in Berlin 26. Mai 1743 Wahl zur Coadjutorin 26. Jan. 1745 Resignation Eltern: König Friedrich Wilhelm I. in Preußen (1688-1740) oo Sophie Dorothea von Hannover (1687-1757) Geschwister: König Friedrich II. von Preußen (1712-1786), Prinzessin Sophie Dorothea Marie in Preußen, verh. Markgräfin von Brandenburg (-Schwedt) (1719-1765), Prinzessin Luise Ulrike in Preußen, verh. Königin von Schweden (1720-1782) Verwandtschaft: Prinzessin Sophie Albertine von Schweden, Äbtissin von Quedlinburg (1753-1829) (Nichte) Bemerkung: Noch vor ihrer Resignation als Coadjutorin des Stiftes Herford wurde Anna Amalie in Preußen am 16. Mai 1744 zur Coadjutorin des Stiftes Quedlinburg gewählt. 1755 gelangte sie dort in das Amt der Äbtissin. Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf (1750-1764) * 9. Okt. 1705 in Gottorf † 13. Okt. 1764 in Herford 29. Mai 1745 Wahl zur Coadjutorin 31. März 1750 Amtsantritt als Äbtissin 8. Sept. 1752 Einführung als Äbtissin Eltern: Christian August von Holstein-Gottorf, Fürstbischof von Lübeck (1673-1726) oo Albertine Friederike von Baden-Durlach (1682-1755) Verwandtschaft: Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf, Äbtissin von Quedlinburg (1678-1755) (Tante)

7.2. Herford

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Bemerkung: Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf war zunächst von ihrer Tante Maria Elisabeth 1727 zur Dekanissin und 1728 zur Pröpstin des Stiftes Quedlinburg bestellt worden. Friedericke Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg (1764-1802) * 18. Aug. 1745 in Schwedt † 23. Jan. 1808 in Altona 7. März 1755 Wahl zur Coadjutorin 16. Juni 1766 Einführung als Äbtissin Eltern: Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg (-Schwedt) (17091788) oo Leopoldine Marie von Anhalt-Dessau (1716-1782) Verwandtschaft: Johanna Charlotte von Anhalt-Dessau, verw. Markgräfin von Brandenburg (-Schwedt), Äbtissin von Herford (1682-1750) (Großmutter), König Friedrich II. (Oberhaupt der Gesamtdynastie) Christine Charlotte von Hessen-Kassel * 11. Febr. 1725 in Kassel † 4. Juni in Kassel 12. Juli 1766 Wahl zur Coadjutorin Eltern: Prinz Maximilian von Hessen-Kassel (1689-1753) oo Friederike Charlotte von Hessen-Darmstadt (1698-1777) Henriette Amalie von Anhalt-Dessau * 7. Dez. 1720 in Dessau † 5. Dez. 1793 in Dessau 27. Okt. 1779 Wahl zur Coadjutorin Eltern: Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau, Preuß. Generalfeldmarschall (1676-1747) oo Anna Luise Föhse (1677-1745) Geschwister: Leopoldine Marie von Anhalt-Dessau (1716-1782) oo Heinrich Friedrich von Brandenburg (-Schwedt) (1709-1788) Verwandtschaft: Johanna Charlotte von Brandenburg (-Schwedt), Äbtissin von Herford (1682-1750) (Tante), Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg (-Schwedt), Äbtissin von Herford (1745-1808) (Nichte) Friederike Dorothee Luise Philippine von Preußen * 24. Mai 1770 in Berlin † 7. Dez. 1836 in Berlin 24. Mai 1794 Wahl zur Coadjutorin 12. März 1796 Resignation

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7. Äbtissinnen und Coadjutorinnen

oo Anton Heinrich Fürst von Radziwil, Gouverneur des Großherzogtums Posen (1775-1853) /18. März 1796) Eltern: Prinz Ferdinand von Preußen (1730-1813) oo Luise von Brandenburg (-Schwedt) (1738-1820) Verwandtschaft: Friedrich II. von Preußen (1712-1786) (Onkel) Auguste Marie Karoline von Nassau-Weilburg * 6. Febr. 1764 in Den Haag † 25. Jan. 1802 in Weilburg 30. Mai 1796 Wahl zur Coadjutorin Eltern: Fürst Karl Christian von Nassau-Weilburg (1735-1788) oo Karoline von Oranien-Nassau-Dietz (1743-1787) Bemerkung: Auguste Marie Karoline von Nassau-Weilburg war seit 1797 auch Kanissin im Stift Quedlinburg.

7.3. Quedlinburg

527

7.3. Quedlinburg 7.3. Quedlinburg

Anna Sophia von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld (1645-1680) * 2. April 1619 in Birkenfeld † 1. Sept. 1680 in Quedlinburg 19. Dez. 1643 Postulation zur Coadjutorin 16. Juni 1645 Einführung als Äbtissin Eltern: Pfalzgraf Georg Wilhelm zu Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld (15911669) oo Dorothea von Solms-Sonnenwalde, Münzenberg und Wildenfels (1586-1625) Geschwister: Maria Magdalena von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfels (16221689) oo Fürst Anton Günther I. von Schwarzburg-Sondershausen (1620-1666) Verwandtschaft: Gräfin Anna Dorothea von Schwarzburg-Sondershausen, Kanonissin von Quedlinburg (1645-1716) (Nichte) oo Heinrich IV. Herr von Reuß-Gera (1650-1686), Gräfin Eleonore Sophia von SchwarzburgSondershausen, Dekannissin von Quedlinburg (1650-1717) (Nichte), Gräfin Maria Magdalena von Schwarzburg-Sondershausen (1655-1727) (Nichte) Anna Sophia von Hessen-Darmstadt (1681-1683) * 17. Dez. 1636 (1638?) in Marburg † 13. Dez. 1683 in Quedlinburg 9. Sept. 1656 Postulation zur Pröpstin 2. Febr. 1678 Postulation zur Coadjutorin 14. Dez. 1680 Einführung als Äbtissin Eltern: Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt (1605-1661) oo Sophie Eleonore von Sachsen Geschwister: Elisabeth Amalie von Hessen-Darmstadt (1635-1663) oo Kurfürst Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1615-1690) Verwandtschaft: Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1585-1656) (Großvater) oo Magdalena Sibylle von Preußen (1586-1659) (Großmutter), Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen (1613-1680) (Onkel)

528

7. Äbtissinnen und Coadjutorinnen

Anna Dorothea von Holstein-Gottorf

* 13. Febr. 1640 in Gottorf

† 13. Mai 1713 in Gottorf 7. Dez. 1783 1683 Wahl zur Coadjutorin Eltern: Herzog Friedrich III. (1597-1659) oo Maria Elisabeth von Sachsen (1610-1684) Verwandtschaft: Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1585-1656) (Großvater), Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen (1613-1680) Bemerkung: Obwohl 1683 zur Coadjuorin gewählt, konnte sie sich nicht gegen den Widerstand des Schutzherrn, ihres Onkels) durchsetzen. Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (1684-1704) * 12. Nov. 1657 in Weimar † 23. Juni 1704 in Quedlinburg 19. April 1681 Postulation zur Pröpstin April 1684 Postulation als Äbtissin 29. Jan. 1685 Einführung als Äbtissin Eltern: Herzog Johann Ernst II. von Sachsen-Weimar (1627-1683) oo Christine Elisabeth von Holstein-Sonderburg (1638-1679) Geschwister: Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (1662-1728), Johann Ernst III. (1664-1707) Magdalena Sibylla von Sachsen-Weißenfels * 3. Sept. 1673 in Halle † 28. Nov. 1726 in Eisenach 25. Mai 1704 Wahl zur Coadjutorin 21. März 1708 Resignation oo Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach (1666-1729) Eltern: Herzog Johann Adolf von Sachsen-Weißenfels (1649-1697) oo Johanna Magdalena von Sachsen-Altenburg (1656-1686 Bemerkung: Magdalena Sibylla von Sachsen-Weißenfels wurde zwar 1704 zur Coadjutorin gewählt, wurde aber aufgrund des brandenburgisch-preußischen Widerstands nicht vom Kaiser bestätigt. Maria Elisabeth von Holstein-Gottorf ([1710] 1718-1755) * 21. März 1678 in Hamburg † 17. Juli 1755 in Quedlinburg 6. Nov. 1708 1. Wahl zur Äbtissin, vom Kaiser nicht bestätigt

7.3. Quedlinburg

529

25. Sept. 1710 2. Wahl zur Äbtissin, am 15. Okt. 1710 durch den Reichshofrat konfimiert, 4. März 1711 Postulation zur Äbtissin, 17. Dez. 1714 durch den Kaiser belehnt 25. Juni 1718 Einführung als Äbtissin Eltern: Herzog Christian Albrecht von Holstein-Gottorf, Fürstbischof von Lübeck (1641-1695) oo Friederike Amalie von Dänemark (1649-1704) Geschwister: Sophie Amalie (1670-1710) oo August Wilhelm von Braunschweig (1662-1731), Friedrich IV. (1671-1702) oo Hedwig von Schweden (1681-1708) Verwandtschaft: Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf, Pröpstin von Quedlinburg, Äbtissin von Herford (1705-1764) (Nichte), Sophie Amalie von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg (1628-1685) (Großmutter), Georg von Dänemark, Prinzgemahl von Großbritannien (16531708) (Onkel) oo Königin Anne von Großbritannien (1665-1714), Ulrike Eleonore von Dänemark (1656-1693) (Tante) oo König Karl XI. von Schweden (1655-1697) Luise Ulrike von Preußen * 24. Juli 1720 in Berlin † 16. Juli 1782 in Stockholm 11. März 1743 Wahl zur Coadjutorin 20. Juli 1744 Resignation oo Herzog Adolf Friedrich von Holstein-Gottorf, 1751 König von Schweden (1710-1771) Eltern: König Friedrich Wilhelm I. in Preußen (1688-1740) oo Sophie Dorothea von Hannover (1687-1757) Geschwister: Friedrich II. von Preußen (1712-1786), Anna Amalie von Preußen, Äbtissin von Quedlinburg (1723-1787) Kinder: Sophie Albertine von Schweden, Äbtissin von Quedlinburg (1753-1829) Anna Amalie von Preußen (1756-1787) * 9. Nov. 1723 in Berlin † 30. März 1787 in Berlin 16. Mai 1744 Wahl zur Coadjutorin 12. April 1755 Introduktion als Äbtissin Eltern: König Friedrich Wilhelm I. in Preußen (1688-1740) oo Sophie Dorothea von Hannover (1687-1757) Geschwister: König Friedrich II. von Preußen (1712-1786), Prinzessin Sophie Dorothea Marie in Preußen, verh. Markgräfin von Brandenburg

530

7. Äbtissinnen und Coadjutorinnen

(-Schwedt) (1719-1765), Prinzessin Luise Ulrike in Preußen, verh. Königin von Schweden (1720-1782) Verwandtschaft: Prinzessin Sophie Albertine von Schweden, Äbtissin von Quedlinburg (1753-1829) (Nichte) Bemerkung: Anna Amalie war zuvor 1743 bereits zur Coadjutorin des Stiftes Herford gewählt worden, resignierte diese Stellung 1744 jedoch wieder. Sophie Albertine von Schweden (1787-1802) * 8. Okt. 1753 in Stockholm † 17. März 1829 in Stockholm 20. Sept. 1767 Wahl zur Coadjutorin 15. Okt. 1787 Introduktion als Äbtissin Eltern: König Adolf Friedrich von Schweden (1710-1771) oo Luise Ulrike von Preußen (1720-1782) Geschwister: König Gustav III. von Schweden (1746-1792), König Karl XIII. von Schweden (1748-1818) Verwandtschaft: Friedrich II. von Preußen (1712-1786) (Onkel), Anna Amalie von Preußen (1723-1787), Äbtissin von Quedlinburg (Tante)

Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis 8.1. Abbildungen 8.1. Abbildungen

Abbildung 1:

Abbildung 2:

Abbildung 3:

Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6:

Abbildung 7:

Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach, Öl auf Leinwand, um 1770, Johann Jacob Schmitz, Franziska-ChristinaStiftung Essen Johanna Charlotte von Brandenburg, Kupferstich, Antoine Pesne, ca. 1728, Heinrich-Pöppelmann-Haus/Städtisches Museum Herford Friedrich Wilhelm I. in Preußen, Öl auf Leinwand, Samuel Theodor Gericke, 1713, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Foto: Wolfgang Pfauder. Maria Kunigunde von Sachsen, Öl auf Leinwand, Heinrich Foelix, um 1776, Domschatz Essen, Foto: Jens Nober Clemens Wenzeslaus von Sachsen, Öl auf Leinwand, Heinrich Foelix, um 1776, Domschatz Essen, Foto: Jens Nober Die ehemalige Abtei Herford mit Gartenplan, 1809/10, Kolorierte Federzeichnung, Landesarchiv NordrheinWestfalen, Abteilung Münster, Slg. Karten A (Allgemein) Nr. 47427 Grundriss der Stadt Quedlinburg mit der Barockgartenanlage des Stiftes südlich des Stiftsberges und der Stadt gelegen, C.C. Voigt, 1782, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, Slg. 1 Allgemeine Kartensammlung, B V Nr. 14 (Ausschnitt)

532

8. Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis

8.2 Abkürzungen 8.2. Abkürzungen

* † oo Abs. Abt. Abteyl. Allerhöchstgedl. Anm. Anm. d. Verf. Ao Art. Aufl. Aug. Bd., Bde. Bearb. bearb. v. bzw. ca. Can. Cap. Churfl. dems. dens. ders. ders. Dez. dies. Dr. Durchl. ebd. Elect.

geboren gestorben verheiratet Absatz Abteilung Abteylich Allerhöchstgedachte Anmerkung Anmerkung der Verfasserin Anno Artikel Auflage August Band, Bände Bearbeiter bearbeitet von beziehungsweise circa Canones Capitel Churfürstlich demselben denselben derselbe derselben Dezember dieselbe Doktor Durchlaucht ebenda Electione

8.2. Abkürzungen

etc., ec. Eu., Ew. Exhib. F. f., ff. Fasz. Febr. fl. fol. folgl. förmbl.n Fr Fr. fürst., fürstl., fürstl.n, fl. ggf. Gn. Gräffl. Grat. Feud. Heyl., Heil., Hei. Hg. Hl. Hochfürstl. hrsg. v. Ihrl., Ihr. I. K. H. IS i. T. Jan. Jh. Jun. K Kap.

533 et cetera Euer Exhibere Frau folgende Seite, folgende Seiten Faszikel Februar Gulden (florenus) Blatt (folium) folglich förmblich Fräulein Friedrich, Frédéric fürstlich gegebenenfalls Gnaden Gräfflich Gratialia et Feudalia Heyliges, Heiliges Herausgeber Herr Hochfürstlich herausgegeben von Ihre Ihre Königliche Hoheit Institutio Sanctimonialium Aquisgranensis in Teilen Januar Jahrhundert Juni Karton Kapitel

534 Kay., kays., kayß., kayserl., kayßln., kays., Kayl. Königl. Landesfürstl. lat. Lbd., Ldl. ledigl. Loc. May., Mayst., Mayt., Maytt., Mayest., Maj., Mayl. Mündl. N.F. Nov. Nr. o/a o.D. Okt., Octob. praes. r reg. Rep. Respec. röm., röml. Rt. S. s. ß Sächß. Sept. s. o. Sr.

8. Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis

Kaiserlich, Kayserlich Königlich Landesfürstlich lateinisch Liebden lediglich Locart

Majestät mündlich Neue Folge November Nummer contra ohne Datum Oktober praesentiert recto regierte Repertorium respective Römisch Reichstaler Seite siehe Schilling Sächßisch September siehe oben Seiner

535

8.2. Abkürzungen

St. s. u. tit. u. u.a. v Väterl. Verf. vgl. z.B.

Sankt siehe unten Titel und und andere, unter anderem verso Väterlich Verfasser vergleiche zum Beispiel

9.

Quellen- und Literaturverzeichnis

9.1. Ungedruckte Quellen 9.1. Ungedruckte Quellen

BAYERISCHES HAUPTSTAATSARCHIV, MÜNCHEN (BHStA) Kasten blau DIÖZESANSARCHIV KÖLN (DA) Assindia („Essener Offizialatsakten“) (Microfiche-Verfilmung im Münsterarchiv Essen) FÜRSTLICH SALM-REIFFERSCHEIDTSCHES ARCHIV, SCHLOSS DYCK (im Depot der Rheinisches Adelsarchive, Schloss Ehreshoven) (Dyck) Bestand 2: Blaue Bände GEHEIMES HAUSARCHIV MÜNCHEN (GHA M) Korrespondenzakten GEHEIMES STAATSARCHIV PREUßISCHER KULTURBESITZ, BERLIN (GStA PK) Brandenburg-Preußisches Hausarchiv (BPH) Rep. 35 Kurfürst Friedrich Wilhelm Rep. 36 Brandenburg-Schwedt Rep. 46 König Friedrich Wilhelm I. Rep. 47 König Friedrich II. I. Hauptabteilung (HA) Geheimer Rat Rep. 8 Beziehungen zum hohen Adel Rep. 9 Polen Rep. 18 Reichskammergericht Rep. 33 Halberstadt Nr. 158 Quedlinburg Rep. 34 Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande HESSISCHES STAATSARCHIV DARMSTADT (HStA D) Großherzogliches Haus (Hausarchiv Abt. IV) (D4) Urkunden des Großherzoglich-Hessischen Hauses (B1) HESSISCHES STAATSARCHIV MARBURG (HStA M) Auswärtige Angelegenheiten (4f) KOMMUNALARCHIV HERFORD (KAH) Bestand A Stift Herford Urkunden

538

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

LANDESARCHIV NORDRHEIN-WESTFALEN ABT. RHEINLAND, DÜSSELDORF1 (LAV NRW R) Stift Essen Akten Stift Essen Urkunden Reichskammergericht LANDESARCHIV NORDRHEIN-WESTFALEN ABT. WESTFALEN, MÜNSTER (LAV NRW W) Fürstabtei Herford Akten Fürstabtei Herford Urkunden Fürstabtei Herford Lehen Grafschaft Rietberg, Akten LANDESARCHIV SCHLESWIG-HOLSTEIN, SCHLESWIG (LASH) Abt. 7 Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf 1544/1713 Abt. 8.1 Schleswig-Holstein-Gottorfische (Großfürstl.) Geheimes Regierungs-Conseil zu Kiel 1720-1773 Abt. 260 Bistum/Fürstentum/Landesteil Lübeck zu Eutin LANDESHAUPTARCHIV SACHSEN-ANHALT ABT. MAGDEBURG, MAGDEBURG (LHASA MD) Rep. A12 Quedlinburg Rep. A20 Stift Quedlinburg Akten Rep. U9 Stift Quedlinburg Urkunden LANDESHAUPTARCHIV SACHSEN-ANHALT ABT. MAGDEBURG, WERNIGERODE (LHASA MD W) Rep. Da Fürstliches Amt Quedlinburg Rep. Db Quedlinburg, Stadtgerichte MÜNSTERARCHIV, ESSEN (MA) Stift, Akten, Bestand B NIEDERSÄCHSISCHES HAUPTSTAATSARCHIV, HANNOVER (NHStA) ÖSTERREICHISCHES HAUPTSTAATSARCHIV – HAUS-, HOF- UND STAATSARCHIV, WIEN (ÖHStA HHStA) Reichskanzlei (RK) Kleinere Reichsstände Ministerialkorrespondenz (von Pergen) Gesandtschaftsarchiv Berlin Reichshofrat (RHR) Obere Registratur Denegata recentiora ____________ 1

Seit Mai 2014 befindet sich das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abt. Rheinland in Duisburg. Für die Drucklegung wurde jedoch an der alten Ortsbezeichnung festgehalten.

9.1. Ungedruckte Quellen

Judicalia Vota Denegata Antiqua Staatskanzlei (SK) Große Korrespondenz Kabinettsarchiv Alte Kabinettsakten SÄCHSISCHES HAUPTSTAATSARCHIV, DRESDEN (SHStA) Geheimer Rat Geheimes Kabinett STAATSARCHIV AMBERG (StAAm) Geheime Registratur STADTARCHIV ESSEN (StAE) Rep. 100 Ratsarchiv THÜRINGISCHES HAUPTSTAATSARCHIV, WEIMAR (ThHStA) Fürstenhaus (A) Auswärtige Angelegenheiten (D)

539

540

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

9.2. Druckschriften 9.2. Druckschriften

ABDRUCK/ DES AN IHR. RÖM. KAYS. MAJESTÄT EC. EC. EC. VON SR. CHURFÜRSTL. DURCHLAUCHT. ZU BRANDENBURG/ ec. Wider Der Fr. Abtißin zu Quedlinburg/ nichtige und unbefugte Praetensiones und Klagten/ abgelassenen Unterthänigsten Schreibens […] Anno 1699: Weimar Anna Amalien Bibliothek, Signatur: 2°XII:27. ABGENÖTHIGTE AUßFÜHRLICHE DEDUCTION, waß es mit der, von Ihrl. Königl. Mayl. In Preußen alß Hertzogen zu Cleve und Graffen von der Marck, über das Reichs= freye fürstl.e Stifft und darunter gehöriger Municipal Stadt Essen respec obtragendt und praetendirender Schutz= und Schirm Gerechtigkeit, für eine eigentliche Rechts= Gesschichts= und Actenmäßige bewandtnüß habe! Anno 1731: Düsseldorf LAV NRW R Stift Essen Akten Nr. 660, fol. 71r-77v. ABGENÖTIGTES APOLOGETISCHES GEGEN=PATENT Ihrer Hochfürstl. Durchl. der Frau Abbatissin zu Herfordt ec. gebohrner Hertzogin zu Churlandt ec. ec.: Münster LAV NRW W Fürstabtei Herford Akten Nr. 119. AN DES HEIL. RÖM. REICHS CHUR=FÜRSTEN UND STÄNDEN ZU FÜRWÄHRENDER HOCH=PREIßLICHER REICHS=VERSAMMLUNG GEVOLLMÄCHTIGTE Vortreffliche Herren Räthe, Bottschafften, und Gesanden, Hochgemüßigtes Bittliche=Ansuchen Von seithen Des Fürstl. Reichs=Stiffts Essen. Um Behörige Ableyhnung der von Königl. Preußisch. Clevischer regierung in gegenwärtigem Reichs=Krieg praetendirenden Vertretung/ Des Fürstlichen Stifft=Essendischen Reichs= und Crayß=Mannschaffts=Contingents [1736]: Dresden Sächsischen Landesbibliothek, Staatsund Universitätsbibliothek, Signatur: Hist.Westfal.162,28. AN IHRO KÄYSERL. MAJESTÄT VON DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENENS ALLERUNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN/ de dato den 31. Julii 1699 die Höchstschädliche/ und contra Jura Imperii, auch ChurBrandenburgische Versicherung/ aufgedrungene Accise betreffende. Gedruckt im Jahr 1699: Digitalisat der Universität- und Landesbibliothek Halle, urn:nbn:de:gbv:3:1-53607 [12. Okt. 2010]. AN IHRO KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG AUF DAS ALLERGERECHTESTE MANDATUM SINE CLAUSULA de dato Wien den 2. Aprilis 1699. […] 1699: Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Halle, urn:nbn:de:gbv:3:1-53836

9.2. Druckschriften

541

[13.10.2010]; Abschrift auch in: Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 3, fol. 395r-419v. AN IHRO KÄYSERLICHE MAJESTÄT VON IHRER CHURFÜRSTL. DURCHL. ZU BRANDENBURG/ WIDER DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. ABGELASSENEN UNTERTHÄNIGSTES SCHREIBEN vom 1. Martii 1699. samt etlichen […] gegründeten Anmerckungen/ in welchen der Grund ihrer bißherigen rechtmäßigen Klagten sowohl bey Käyserl. Majest. als dem Reichs=Convent zu Regenspurg […] 1699: Dresden SHStA Dresden Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 89r-98/41r. AN IHRE RÖM. KAYSERL. MAJEST. ALLER=UNTERTHÄNIGSTE FERNERE ANZEIGE/ und Exceptiones Nullitatis, itemq; sub- & obreptiones, Anwalds Sr. Churfürstl. Durchlauchtigkeit zu Brandenburg/ contra Der Frau Abtißin zur Quedlinburg/ Durchl. pro Cassatione Mandati inhibitorii, Cassatorii & restitutorii S.C. poenalis Mit Beylagen von N°. I. biß 75. 1700: Weimar ThStA Auswärtige Angelegenheiten D 2208. AUSFÜHRLICHE VORSTELLUNG/ Welchergestalt der HochwürdigstDurchlauchtigsten Fürstin und Frauen / Frauen Charlotten Sophien, in Liefland / zu Churland / und Semgallen […] Erb- und andere Forderungen An die Hertzogthümer Churland und Semgallen nebst ürbigen Appertinentien An dem Recht der Natur / auch Gött- Geist- und Weltlichen Gesetzen gegründet / vornehmlich aber durch das FürstVäterliche Testament und Codicil dermassen bekräfftiget […] [1700], in: Marburg HHStA 4f Kurland Nr. 92. COMPENDIUM ACTORUM PUBLICORUM QUEDLINBURGENIUM, Worauß erscheinlich/ Daß der Frau Abbatissin die Lands=Fürstl. Hoheit über das Kays. Freye Reichs= Stifft Quedlinburg zukomme […] Anno 1699: Digitalisat der Univesitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, urn:nbn:de:gbv:3:1-47511 [25.1.2013]. CONTINUATIO DES WEINENDEN KAYSERLICHEN REICHS=STIFFTS QUEDLINBURG/ Woraus erscheinlich daß die Barbarische Proceduren von einigen Stiffts=Feinden wider Ihres Gerechtigkeit liebenden Herzens Intention und Versicherung/ immer höher getrieben werden. […] Gedruckt im Jahr 1699: Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 90r-90/13v. DAS WEYNENDE KÄYSERLICHE FREYE REICHS-STIFFT QUEDLINBURG/ Oder Die sehr harte Proceduren, welche/ wider deß Gerechtigkeit=liebenden Chur=Fürstend von Brandenburg/ und der hohen Ministrorum intention und theures Versprechen/ eine dem Stifft übel=wollende Person/ contra omnia Jura & Constitutiones Imperii, insonderheit den so hoch=verpoenten Land=Frieden/ ja wider eigene= auff öffentlichem Marckte gesambter Bürgerschafft gethane Promessen

542

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

ausgeübet. Gedruckt im Jahre 1699: Digitalisat der Universität- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Halle, urn:nbn:de:gbv:3:1-47521 [10.10.2010]. DER FRAU ABBATIßIN ZU QUEDLINBURG FÜRSTL. DURCHL. BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN/ welche in dem kayserl. Freyen Reichs-Stifft Quedlinburg ausgeübet worden: […] Gedruckt im 1699: Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 92r92/35r. DER ZWISCHEN IHRER KÖNIGLICHEN MAJESTÄT IN POHLEN/ CHURFÜRSTL. DURCHLAUCHTIGKEIT ZU BRANDENBURG/ ÜBER DIE QUEDLINBURGISCHE ERB=VOGTEY ERRICHTETE VERGLEICH/ samt kurtzen darüber entworffenen Notis, worinnen deßen Ungültigkeit Sonnenklar vorgestellet. Gedruckt im Jahr 1699: Dresden SHStA Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 111r-111/9r. FERNERE BESCHEINIGUNGEN ÜBER DIE ENTSETZLICHEN PROCEDUREN/ Welche in dem Käyserl. Freyen Reichs Stifft Quedlinburg noch biß dato mit Hindansetzung der Allergnädigst= und Gerechtesten Käyserl. NB. Partibus auditis & causa cognita gemachten Verordnung de dato Wien/ den 7. Novembr. 1699. […] 1700: Dresden SHStA Dresden Geheimer Rat Loc. 8377/5, fol. 120r-120/23v; Kopie in Magdeburg LHASA Rep. A20 tit. IIIb Nr. 4, fol. 27r-v. GRÜNDLICHE GEGEN=VORSTELLUNG Auf das An Ihro Röm. Kayserl. Majest. Wider Sr. Churfürstl. Durchl. zu Brandenburg. Unter dem Abteylichen Quedlinb. Nahmen/ de dato den 6. Novembr. 1699. Inöffentlichen Druck hervorgeschlichene Schreiben und Inserat Samt Beylagen von No. I biß No. XXVII. 1701: Weimar ThStA Auswärtige Angelegenheiten D 2211. GRÜNDTLICHE DEDUCTION AN STATT MANIFESTS Der Hochheit, ErbGerechtigkeit, Gerichtern vnd Rechten, So den Hertzogen von Cleve, Gülich vnd Bergh als Graffen zu Ravensberg etc. In der Stadt Hervorden zubehören, mit allem bißherigen Verlauff Jedermänniglichen zur Nachricht in Truck gegeben, 2. Auf., Paderborn 1653: Münster Universitäts- und Landesbibliothek, Signatur: RD 663. RECHTLICHE DEDUCTION, Worinnen aus alten und neuen Käyserlichen Belehnungen/ Privilegien und Donationen/ auch Päbstlichen Confirmationen/ Kürtzlich vorgestellet wird/ Daß eine Zeitige Abbatissin des uhralten Käyserlichen Freyen Weltlichen Stiffts Quedlinburg von Zeit der Fundation biß hieher Ein Immediater Reichs=Stand gewesen/ und Die JURA TERRITORII & SUPERIORITATIS iederzeit gehabt und noch erxerciret. Anno 1696: Digitalisat der Universitäts- und Landesbi-

9.2. Druckschriften

543

bliothek Sachsen-Anhalt Halle, http://digitale.bibliothek.unihalle.de/id/469029 [13.5.2011]. RESPONSA THEOLOGICA woraus erscheinlich/ Daß der Frau Abbatißin Hoch=Fürstl. Durchl. in die neuerliche und in Dero Kayserl. Freyen Stifft Quedlinburg nie erhörte beschwerliche Accise ohne Verlust Ihrer Seel und Seeligkeit nicht willigen könne/ sondern die gantze Sache Gott und Kayserl. Majestäten überlassen/und Deren Gerechte Fügung und Ausspruch darüber erwarten müsse 1701: Wolfenbüttel Herzog-AugustBibliothek, Signatur: M: Gm 2° 135 (7). WARHEITS RETTUNG Unnd In Iure Et Facto Wolbegrundeter Absatz Des also genandten abgenöhtigten Antimanifests Unnd Furstlicher Frauen Abdissinnen Deß Stiffts Essen/ vermeinter außführlicher GegenRemonstration Ohnverletzt bewahrend der Stadt Essen Summarische, dannoch beständige Remonstration Unnd Beweißthumb/ daß die Stadt Essen ein Immediat Reichs-Stadt sey [1660]: Berlin Staatsbibliothek; Signatur: 5 in: 4"Gx 13001. WOHLGEGRÜNDETE ANMERCKUNGEN Auf die In Druck gegebene Allerunterthänigste Fernere Anzeige und Exceptiones Nullitatis, itemque sub& obreptionis Anwads Sr. Chur=Fürstl. Durchl. zu Brandenburg contra Die Fr. Abbatissin zu Quedlinburg Durchl. pro Cassatione Mandati inhibitorii, Cassatorii & restitutorii S.C. poenalis, mit Beylagen von N.1 biß 75. Anno MCCC. Auf gnädisgten Befehl Hochbesagter Frauen Abbatißin zu Quedlinburg Durchl. zu Pappier gebracht und mit Beylagen A Nro. I. biß LXXVI. bestärcket Nebst abgenöthigter Beantwortung einer unter dem Nahmen des Quedlinburgischen Stiffts=Hauptmanns von Stammer in Druck gegebenen ungegründetenen Wiederlegung sambt beylagen à N. I. biß 33. anno MDCCI.: Wolfenbüttel Herzog August Bibliothek, Signatur: M: Gm 2° 135 (5).

544

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

9.3. Gedruckte Quellen 9.3. Gedruckte Quellen ALLGEMEINES LANDRECHT FÜR DIE

PREUSSISCHEN STAATEN, Theil 1, Bd. 1, Berlin 1796. ANNA SOPHIA VON HESSEN-DARMSTADT, Der treue Seelenfreund/ Mit nachdenklichen Sinn=Gemälden/ anmuthigen Lehrgedichten/ und Neuen geistreichen Gesaengen, Jena 1658. ANNALES QUEDLINBURGENSES, in: Monumenta Germania Historica. Scriptores (in Folio), Bd. 3: Annales, chronica et historiae aevi Saxonici, bearb. u. hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1839, S. 22–90. ASTRONOMUS, Vita Hludowici Imperatores, in: Monumenta Germania Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi, Bd. 64, bearb. u. hrsg. v. Ernst Tremp, Hannover 1996 (64), S. 279–555. BODIN, JEAN, Sechs Bücher über den Staat. Übers. U. mit Anm. versehen v. Bernd Wimmer, hrsg. v. P. C. Mayer-Tasch, Bd. 2, München 1986. BUSCHMANN, ARNO (Hg.), Kaiser und Reich. Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten, Teil 2, BadenBaden 19942. CRAMER, FRIEDRICH, Denkwürdigkeiten der Gräfin Maria Aurora Königsmarck und der Königsmarckschen Familie, 2 Bde., Leipzig 1836. DES REICHSGRAFEN ERNST AHASVERUS HEINRICH LEHNDORFF TAGEBÜCHER nach seiner Kammerherrnzeit. Nach dem französischen Original bearb. von Karl E. Schmidt-Lötzen, 3 Bde., Gotha 1907-1913 (Bd. 1: Die Tagebücher der Jahre 1750-1775, Bd. 2: Nachträge 1, Bd. 3: Nachträge 2). ECKHARD, TOBIAS, Vita Frieder. Ernesti Kettneri […], Quedlinburg 1722. FLIEGE, JUTTA (Bearb.), Die Handschriften der ehemaligen Stifts- und Gymnasialbibliothek Quedlinburg in Halle (Arbeiten aus der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle a.d. Saale, Bd. 25), Halle 1982. FÖRSTER, FRIEDRICH CHRISTOPH (Bearb.), Urkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrich Wilhelms I., Bd. 2, Potsdam 1835. FRITSCH, JOHANN HEINRICH, Geschichte des ehemaligen Reichsstifts und der Stadt Quedlinburg, Teil 2, Quedlinburg 1828. HAUCK, KARL, Die Briefe der Kinder des Winterkönigs (Neue Heidelberger Jahrbücher, Bd. 15), Heidelberg 1908. HOLLAND, WILHELM L. (Hg.), Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans, Stuttgart 1874.

9.3. Gedruckte Quellen

545

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9. Quellen- und Literaturverzeichnis

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9. Quellen- und Literaturverzeichnis

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9.4. Literatur

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9.4. Literatur

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9. Quellen- und Literaturverzeichnis

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9.4. Literatur

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9.4. Literatur

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der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abt. 84 (1967), S. 202-235. DERS., Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge, Bd. 18, Aalen 1973, S. 112-126. DERS., Art. Reskriptprozeß (Reichshofrat), in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, hrsg. v. Adalbert Erler / Ekkehard Kaufmann, Berlin 1990, Sp. 937. DERS., Richterbestechung am Reichskammergericht und am Reichshofrat, in: Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa. Festschrift zum 65. Geburtstag von Bernd Distelkamp, hrsg. v. Friedrich Battenberg / Filippo Ranieri, Köln/Weimar/Wien 1994, S. 339-348. DERS., Richterliche Unabhängigkeit am Reichskammergericht und Reichshofrat, in: Gerechtigkeit und Geschichte. Beiträge eines Symposions zum 65. Geburtstag von Malte Dießelhorst, hrsg. v. Okko Berehnds / Ralf Dreier, Göttingen 1996, S. 118-132. DERS. (Hg.), Reichshofrat und Reichskammergericht. Ein Konkurrenzverhältnis (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 34), Köln/Weimar/Wien 1999. DERS., Der Reichshofrat: Begriff, Quellen und Erschließung, Forschung, institutionelle Rahmenbedingungen und die wichtigste Literatur, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004], URL:http://www.zeitenblicke.de/2004/03/sellert/index.html (21. März 2011). SIEDER, REINHARD, Sozialgeschichte der Familie, Frankfurt 1987. SIKORA, MICHAEL, Eine Missheirat im Hause Anhalt. Zur sozialen Praxis der ständischen Gesellschaft in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert, in: Die Fürsten von Anhalt. Herrschaftssymbolik, dynastische Vernunft und politische Konzepte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 9), hrsg. v. Werner Freitag / Michael Hecht, Halle 2003, S. 248-265. DERS., „Mausdreck mit Pfeffer“. Das Problem der ungleichen Heiraten im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit. Ungedr. Habilitationsschrift, Münster 2004. DERS., Ungleiche Verbindlichkeiten. Gestaltungsspielräume standesverschiedener Partnerschaften im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit, in: zeitenblicke 4, 2005, Nr. 3 [13.12.2005] http://www.zeitenblicke.de/ 2005/3/Sikora (15.4.2013). DERS., Über den Umgang mit Ungleichheit. Bewältigungsstrategien für Mesalliancen im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit – das Haus Anhalt als Beispiel, in: Zwischen Schande und Ehre. Erinnerungsbrüche

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9.4. Literatur

605

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9. Quellen- und Literaturverzeichnis

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9. Quellen- und Literaturverzeichnis

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9.4. Literatur

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9.4. Literatur

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10. Register 10.1. Personenregister 10.1. Personenregister

Das Personenregister umfasst alle im Text (mit Ausnahme der Literaturangaben) genannten Personen. Bei den historischen Akteuren werden zur leichteren Orientierung in Klammern zusätzlich Stand und/oder Tätigkeit angegeben. Kursiv gesetzte Seitenangaben beziehen sich auf Erwähnungen in den Anmerkungen. Aicholt, Franz Anton von (Graf; Obersthofmeister, Essen) 175, 311, 313, 326, 495f. Ahlefeld, Joachim von (holsteinischer Landrat; Hofmeister, Quedlinburg) 313, 492 Alexander VIII. (Papst) 67, 480 Alvensleben, Johann Friedrich (braunschweigischer Hofrat, kurbrandenburg. Geheimer Rat) 396 Amazon, Georg Christian von (Freiherr; 1. Kapitular und Hofmarschall, Herford) 122, 131, 240f., 247, 307, 329, 367 Anhalt-Dessau, Elisabeth Albertine von (Prinzessin, verh. Herzogin von Sachsen-Barby; Äbtissin, Herford) 38, 41, 46, 65, 193f., 336, 506, 522 Anhalt-Dessau, Friedrich von (Prinz) 151f., 155 Anhalt-Dessau, Henriette Agnes von (Prinzessin) 396 Anhalt-Dessau, Henriette Amalie von (Prinzessin; Dekanissin und Coadjutorin, Herford) 29, 42f. 525 Anhalt-Dessau, Leopold I. (Fürst) 29, 53, 525 Anhalt-Dessau, Leopoldine Marie von (Prinzessin, verh. Markgräfin von Brandenburg(-Schwedt) 42, 523

Anhalt-Dessau, Luise (Fürstin, geb. Markgräfin von Brandenburg (-Schwedt)) 150, 154, 526 Anhalt-Zerbst, Johanna Elisabeth von (Fürstin, geb. Prinzessin von Holstein-Gottorf) 110 Anne (Stuart) von England, Schottland und Irland (Königin) 66, 83, 397f., 483-485, 487, 489, 529 Arco, Graf von (Kapitular, Herford) 73f., 75f., 306f., 338, 365 Arnim, von (Kammerpräsident in Minden) 109, 151-156 Asbeck, Freiherr von (Mitglied der Landstände, Stift Essen) 175 Asseburg, Wilhelm Anton von (Bischof, Paderborn) 412 Astronomus (Historiograph) 23 Auerbach, Johann Christoph (Hofrat, Quedlinburg) 352f. Baden-Baden, Wilhelm von (Markgraf; Reichskammerrichter) 243, 245, 459 Baden-Durlach, Albertine Friederike von (verh. Herzog von HolsteinGottorf, Bischöfin von Lübeck) 179, 524 Bangard, Rackmann Baron von (Hofmarschall, Herford) 155 Barclay, Robert (führender Quäker, Theologe) 292 Bartholdi, Christian Friedrich von (Freiherr, preuß. Gesandter in

616 Wien) 126, 245, 396, 425, 435, 439-441, 464, 477-480, 484-486, 489 Bayern, Clemens August I. von (Erzbischof und Kurfürst von Köln, Bischof von Münster) 54, 81, 103, 206, 434f. Bayern, Ferdinand von (Erzbischof und Kurfürst von Köln) 54, 139 Bayern, Ferdinand Maria von (Kurfürst) 271 Bayern, Joseph Clemens von (Erzbischof und Kurfürst von Köln) 67 Bayern, Maria Josepha von (Prinzessin, verh. Erzherzogin von Österreich) 470 Bayern, Maximilian Heinrich von (Erzbischof und Kurfürst von Köln) 271f. Behr (Quedlinburger Informant in Wien) 454f., 466f. Bei der Wieden, Helge 21 Benedikt von Nursia 23 Berg, Elisabeth von (Gräfin; Äbtissin, Essen) 94 Besold, Christoph (dt. Jurist und Staatsgelehrter) 186 Bessel, Anton von (Stiftskanzler, Quedlinburg) 223 Besserer, Jacob Friedrich (preuß. Stadtrichter, Herford und Gohgerichtsverwalter) 70f., 79, 241f., 248 Bentheim-Tecklenburg, Moritz von (Graf) 435 Bley, Clemens 49 Blücher, August Christian von (Hofmeister, Quedlinburg) 179, 313 Boden, August Friedrich von (preuß. Staats- und Kriegsminister) 99, 111 Bodin, Jean (franz. Staatstheoretiker) 13, 281

10. Register

Boehmer, Georg Ludwig (dt. Jurist) 308 Bonaparte, Napoleon (franz. General, Staatsmann und Kaiser) 18 Borke, Adrian Bernhard von (preuß. Generalleutnant, ab 1737 feldmarschall, Geheimer Rat und Staatsminister) 334 Bornholz, Friedrich Wilhelm (Stiftskanzler, Quedlinburg) 231 Bourdieu, Pierre 28, 56, 238 Brabeck, Jobst Edmund von (Bischöf von Hildesheim) 462 Brand, Christian von (preuß. Agent am Reichshofrat) 206, 394f., 428, 454 Brand von Lindau, Jobst (Stiftshauptmann, Quedlinburg) 360 Brandenburg, Elisabeth Charlotte von (Kurfürstin, geb. Prinzessin von der Pfalz) 142 Brandenburg, Friedrich Wilhelm (Kurfürst) 23, 38f, 54, 57, 111, 113f., 124f., 141-148, 157-159, 167, 182f., 192, 220, 230-232, 243, 245, 272, 289f., 292-296, 381, 387, 404, 412, 414, 420, 459, 508-510, 522f. Brandenburg, Georg Wilhelm von (Kurfürst) 142 Brandenburg-Preußen, Anna Amalie von (Prinzessin; Äbtissin, Quedlinburg) 94f., 96-101, 109-111, 135, 159, 323f., 330f., 372, 391, 507, 524, 529f. Brandenburg-Preußen, August Wilhelm von (Prinz, preuß. General) 98, 100 Brandenburg-Preußen, Elisabeth Christine von (Königin, geb. Prinzessin von BraunschweigLüneburg) 94, 97 Brandenburg-Preußen, Friedrich I./III. von (Kurfürst-König) 29, 43, 60f., 85, 120-122, 125-127, 147-149, 159, 168, 171, 179, 191-

10.1. Personenregister

193, 213, 215, 225f., 228, 232, 234-237, 239-242, 244f., 247-257, 263, 270, 275-278, 280-283, 310, 338-340, 348, 373, 388, 395-397, 399, 403, 409-411, 413, 416, 420, 425, 431-436, 440f., 445-447, 451, 455, 457f., 461-464, 474-484, 488f., 510, 514f., 523 Brandenburg-Preußen, Friedrich II. (König) 69, 98-101, 109, 137, 150f., 180, 204, 251, 278-280, 298-301, 305, 334, 524-526, 529f. Brandenburg-Preußen, Friedrich Wilhelm I. (König) 52, 57, 60-63, 68, 71f., 74f., 79f., 84f., 91, 106, 108f., 111, 113-115, 122, 128f., 133, 137-139, 179f. 202, 204-209, 214, 247, 275f., 312, 325, 330, 337f., 346, 348-351, 356, 373, 393-399, 421, 427f., 442f., 447, 451-456, 466-468, 493, 523f., 529 Brandenburg-Preußen, Friedrich Wilhelm II. (König) 300f., 460f. Brandenburg-Preußen, Friedrich Wilhelm III. (König) 18, 151156, 284f. Brandenburg-Preußen, Luise Ulrike von (Prinzessin, verh. Königin von Schweden; Coadjutorin, Quedlinburg) 42, 54, 94, 98, 524, 529f. Brandenburg-Preußen, Sophie Dorothea von (Königin(-Mutter), geb. Prinzessin von Braunschweig-Lüneburg-Hannover) 97, 99f., 372, 524, 529 Brandenburg-Preußen, Sophie Dorothee Marie von (Prinzessin, verh. Markgräfin von Brandenburg(-Schwedt); Coadjutorin, Herford) 128, 524 Brandenburg-Preußen, Wilhelmine von (Prinzessin, verh. Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth) 52, 99

617 Brandenburg(-Schwedt), Albrecht Friedrich von (Markgraf) 64 Brandenburg(-Schwedt), Elisabeth Sophie (verh. Herzogin von Kurland) 64 Brandenburg(-Schwedt), Friederike Charlotte Leopoldine Luise von (Prinzessin; Äbtissin, Herford) 43, 69, 81, 108-110, 136, 150-156, 336, 344, 346, 373, 523, 525 Brandenburg(-Schwedt), Friedrich Heinrich (Markgraf) 69, 109f., 150f., 525 Brandenburg(-Schwedt), Friedrich Wilhelm (Markgraf) 61f., 524 Brandenburg(-Schwedt), Johanna Charlotte (Markgräfin, geb. Prinzessin von Anhalt-Dessau; Äbtissin, Herford) 28, 42-44, 60-65, 68f., 70-85, 89-93, 106-110, 128f.,132, 136-139, 150, 159, 307, 336, 338, 344, 346, 373, 377, 393395, 399, 506, 508f., 512, 523, 525 Brandenburg(-Schwedt), Philipp Wilhelm von (Markgraf) 60, 523 Braunschweig-Calenberg, Amalia Wilhelmine von (Kaiserin) 478 Braunschweig-Lüneburg, Anton Ulrich von (Herzog) 43, 463, 479 Braunschweig-Lüneburg, August Wilhelm von (Herzog) 348, 436, 529 Braunschweig-Lüneburg, Rudolf August von (Herzog) 43, 269, 436, 440, 463 Braunschweig-Lüneburg-Calenberg, Sophie Amalie von (Königin von Dänemark und Norwegen) 483, 529 Brandt, Johann Adolf (Anwalt am Reichskammergericht) 177 Braun (Kammerrat Anna Amalies in Preußen) 330 Braun, Bettina 426, 473 Brederode, Floris von (Graf) 94

618 Breyer (holsteinischer Gesandter) Burchard (preuß. Resident in Hamburg) 237, 482 Bussche, Clamor von dem (Drost zum Sparenberg, Ravensbergischer Kriegskommissar, Gohgraf zu Bielefeld) 57, 68, 71, 74, 76, 80, 84, 129, 138, 167, 213, 226, 239f., 248, 255, 306f., 339, 366, 373, 415f., 425, 447, 464 Calvisius, Sethus (der Jüngere) (Superintendent und Oberprediger, Quedlinburg) 251 Carpzov, Samuel Benedict (kursächs. Oberhofprediger) 477 Chartier, Roger 342 Christian V. von Dänemark (König) 230, 269, 436, 440, 463 Christian VI. von Dänemark (König) 238 Cocceji, Samuel von (Freiherr; preuß. Staatsminister) 322 Coci (Kreistagsgesandter, Essen) 412 Colloredo-Mannfeld, Franz de Paula Gundaker I. von (Fürst; Reichsvizekanzler) 497 Colloredo-Waldsee, Rudolf Josef von (Fürst; Reichsvizekanzler) 497 Conrad (Trierer Pastoraltheologe, Kutrierer Rat) 495 Consbruch (preuß. Amtmann; Kapitular, Herford) 247 Cramer, Friedrich 40 Cramer, Johann Adam (Stiftsamtmann, Herford) 122, 240, 307 Dacheröden, Georg Anton von (Oberhofmeister, Quedlinburg) 277, 312-314, 349, 351-353, 397f., 439, 481, 483f., 489 Dammers, C. G. (Gesandter in Wien, Essen) 314, 391 Dankelmann, Daniel Ludolf von (kurbrandenburg. Geheimer Rat, Oberdirektor, Halberstadt) 260, 362

10. Register

Debusch, Tobias 98 Derenthal, Daniel Ernst von (preuß. Amtmann, Kammerrat und Landrentmeister, Ravensberg) 240 Dettmar, Edeltraut 42 Devens, Johann Joseph Wilhelm (Kapitular und Offizial, Essen) 185f., 198, 203, 311f., 331 Diener, Johann Tobias (Schösser, Quedlinburg) 362 Diensten (Hofrat, Essen) 331 Diepholz, Irmgard von (Äbtissin, Essen) 217, 226 Dohm, Christian Wilhelm von (preuß. Kreistagsgesandter, Niederrheinisch-westf. Kreis) 284f. Dohna, Friderica Charlotte Amalia von (Gräfin; Kanonissin, Herford) 365 Dönhoff, Otto Magnus Graf von (preußischer Oberkriegskommissar, Wirklicher Geheimer Rat, Gesandter in Wien) 71, 125, 138 Duminique, Ferdinand von (Freiherr, Kurtrierer Oberstallmeister und Geheimer Rat) 104, 118f., 315f, 412, 496 Eckert, Julia 285 Elias, Norbert 26f., 377 Elisabeth von Russland (Zarin) 110 Eller, Wolf Ernst von (brandenburg. Generalmajor, Gouverneur in Minden) 142 Elwert, Georg 285 Eyben, Christian Wilhelm von (holsteinischer Diplomat) 487f. Euler, Leonard (Mathematiker) 150 Fabrice, von (Reichshofratsagent, Quedlinburg) 134, 197 Felten, Franz J. 27 Ferdinand III. (Kaiser) 395 Fink, Georg 28 Foelix, Heinrich (Maler) 374 Föhse, Anna Luise (verh. Fürstin von Anhalt-Dessau) 29, 107, 525

10.1. Personenregister

Fortuna, Ignatius (Hofmohr, Essen) 341 Foucault, Michel 75 Franz I. Stephan (Kaiser) 497, 521 Franz I./II. (Kaiser) 495f., 502 Freist, Dagmar 272 Friedrich, Susanne 403 Fritsch (Kammerkommissar, Quedlinburg) 111, 324 Fritsch, Johann Heinrich 179 Fuchs, von Paul (Freiherr; preuß. Minister) 240 Fürstenberg, Michael von 41, 136 Fürstenberg, Wilhelm Egon von (Graf, Erzbischof von Straßburg) 67, 141, 520 Galen, Christoph Bernhard von (Fürstbischof von Münster) 271, 435 Georg I. Ludwig von England, Schottland und Irland (König, Kurfürst von BraunschweigLüneburg-Hannover) 83, 348, 436, 453, 461, 478, 483 Gericke, Samuel Theodor (Maler) 373 Glandorf, D. (kurbrandenburg. Landrentmeister, Grafschaft Ravensberg) 290 Görtz, Georg Heinrich von (Freiherr, holsteinischer Geheimer Rat) 66, 464, 482f. Grange d’Arquien, Marie Casimire Louise de la (Königin von Polen) 124 Grave, Johann Friedrich (preuß. Agent am Reichshofrat) 79, 206, 394f., 428, 454, 459 Guhrauer, Gottschalk Eduard 294 Habermas, Jürgen 212, 272f. Hachenberg, Paul (Hofmeister des Kurprinzen Karl von der Pfalz) 295 Hackeborn, Dietrich Ulrich von (preuß. Kammergerichtsrat) 72, 76, 81, 90, 338, 394

619 Hahn, Conrad Georg (1. Kapitular und Stiftskanzler, Herford) 122, 240, 305-307, 325, 337-339 Haine, van (Reichstagsgesandter, Essen) 315, 401 Hamm, Johann Wilhelm (Kreistagsgesandter, Essen) 284f. Hanau-Münzenberg, Amalie Elisabeth (verh. Landgräfin von Hessen-Kassel) 54, 523 Happe, Gustav Christian (Kanzler, Sachsen-Weimar) 92f. Harrach zu Rohrbach, Maria Christine von (Gräfin; Kanonissin, Thorn) 494 Haug-Moritz, Gabrielle 411 Hecht, Philipp Reinhold (von) (preuß. Geheimer Hofrat, preuß. Resident am Oberrheinisches Kreis) 71f., 132 Heese, Thorsten 21 Helm (Reichsfiskal) 319, 472 Heimbruch, Christian Ludwig von (Kapitular, Herford) 73-75, 306, 338, 366 Heinrich (VII.) (König) 387 Helfried, Johann (Gesandter Elisabeth von Hessen-Kassel) 306 Henniges, Heinrich (preuß. Gesandter am Reichstag in Regensburg) 396, 408 Hering, Hans Melchior von (Hofmeister, Quedlinburg) 87 Herrsche, Peter 15 Hessen-Darmstadt, Anna Sophia von (Äbtissin, Quedlinburg) 27, 55, 86f., 93, 344, 396, 527 Hessen-Darmstadt, Ernst Ludwig von (Landgraf) 268 Hessen-Homburg, Eleonore von (Dekanissin, Herford) 60, 65f., 72, 74f., 79, 90, 92, 115, 129, 131f., 306, 366, 393 Hessen-Homburg, Friedrich II. von (Landgraf) 366

620 Hessen-Homburg, Hedwig Louise von (verh. Gräfin von Schlieben; Dekanissin, Herford) 130f., 180, 366-368 Hessen-Homburg, Louise Elisabeth von (Landgräfin, geb. Prinzessin von Kurland) 114 Hessen-Kassel, Charlotte von (Prinzessin; Coadjutorin, Herford) 42 Hessen-Kassel, Elisabeth von (Äbtissin, Herford) 54, 141, 523 Hessen-Kassel, Friedrich von (Landgraf, König von Schweden) 115 Hessen-Kassel, Karl von (Landgraf) 113-116, 120-122, 125f., 148f., 157, 168, 225, 239-242, 244f., 261, 268, 270f., 275-277, 283, 339f., 399, 416, 461f., 523 Hessen-Kassel, Marie Amalie von (Landgräfin, geb. Prinzessin von Kurland) 126f., 374, 523 Heunisch (Reichshofratsagent) 196 Heyden, Johann Sigismund von (peuß. Generalfeldmarschall) 205, 260 Hillersberg, Dietrich Johann von (Hofrat, Kanzleirat, 3. Kapitular, Herford) 306 Hoensbroeck, Therese von (Kanonissin, Thorn) 494 Hoffmann (preuß. Hofrat) 110 Hogemann, Johann Otto (Notar) 489 Hohenhausen, von (preuß. Geheimer Rat) 156 Hohkamp, Michaela 55 Hollmann (Bürgermeister, Herford) 145 Holstein-Gottorf, Adolf Friedrich von (Herzog, Bischof von Lübeck, später König von Schweden) 42, 133, 529f. Holstein-Gottorf, Anna Dorothea (Coadjutorin und Pröpstin, Quedlinburg) 86f.

10. Register

Holstein-Gottorf, Karl Friedrich (Herzog) 111, 122f. Holstein-Gottorf, Christian August (Herzog, Bischof von Lübeck) 133, 237, 410, 483, 524 Holstein-Gottorf, Hedwig Sophie Auguste (Herzogin; Äbtissin, Herford; Pröpstin, Quedlinburg) 17, 46, 69, 97, 108-110, 132-134, 137, 178-180, 336, 344, 346, 377, 468, 524f., 529 Holstein-Gottorf, Maria Elisabeth von (Herzogin; Äbtissin, Quedlinburg) 39, 66, 81, 83, 109-111, 122f., 132-134, 159f., 178-180, 237f., 248, 251, 275f., 278-280, 305, 313f., 317, 321f., 326f., 334, 346-357, 395-399, 429, 442f., 449-452, 454f., 468f., 482-493, 524, 528f. Holstein-Plön, Augusta Elisabetha von (Prinzessin; Kanonissin, Herford) 241 Holstein-Sonderburg-Beck, August Philipp von (Herzog) 142 Horn, Anna Maria von (Gräfin; Küsterin, Herford) 29, 73, 168 Hoym, Gebhard von (Bischof von Halberstadt) 227 Huldenburg, Daniel von (kurbraunschweigischer Gesandter in Wien) 484 Huss, P. (preuß. Geheimer Rat) 147, 281, 389, 418 Ilgen, Heinrich Rüdiger von (preuß. Minister) 65, 71, 74f., 85, 90f., 128, 147, 138, 215, 281, 385, 418, 432, 451f., 466f., 487 Ilgen, Heinrich Rütger von (preuß. Minister) 80, 91, 110 Ingendall, Gesa 77 Joseph I. (Kaiser) 250, 348, 395, 397, 429, 451f., 478-481, 485, 489f., 494 Joseph II. (Kaiser) 297, 470, 472, 493f., 502

10.1. Personenregister

Jülich, Kleve und Berg, Wilhelm V. von (Herzog) 227 Kannegießer (preuß. Gesandter in Wien) 90, 439 Karl VI. (Kaiser) 78f., 90, 205, 209, 213, 327, 348, 350, 387, 394-398, 411, 420f., 443, 450-454, 466-468, 479, 492 Karl VII. (Kaiser) 494, 503 Karl XII. von Schweden (König) 83, 483, 529 Karl XIII. von Schweden (König) 530 Katharina von Russland (Zarin, geb. Prinzessin von Anhalt-Zerbst) 110 Kaunitz, Dominik Andreas I. von (Graf; Reichsvizekanzler) 245 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton von (Fürst; österreichischer Staatsmann) 471 Kees, Ignaz (Hofbaumeister, PfalzNeuburg) 105f. Kersebaum, Dietrich (Stiftsbauer, Essen) 199, 204 Kettner, Ernst Friedrich (Superintenden und Oberhofprediger, Quedlinburg) 49, 253, 310 Kindlinger, Nikolaus (Stiftsarchivar, Essen) 225 Kirchner, Michael Achatius (Reichshofrat) 441f. Kirnberger, Johann Philipp 98 Kleve, Johann von (Herzog) 229 Koch, Jobst Heinrich (Reichshofratsagent, Herford und Quedlinburg) 131, 245, 251, 432, 434, 446, 476 Kollonitsch, Sigmund von (Graf, Erzbischof von Wien) 125f. Königsmarck, Maria Aurora von (Gräfin; Pröpstin, Quedlinburg) 30, 37, 40-43, 167, 248, 320, 396, 410, 475f., 482, 488 Korb (Hofrat, Sulzbach) 203 Körber, Ester-Beate 272

621 Koßpoth, von (kursächs. Kommissar) 235 Kratzenstein, Heinrich (religiöser Schwärmer, Quedlinburg) 253 Krifftenstein, Friedrich Joachim von (Kurtrierer Staatsrat) Krischer, André 285 Krüger, Christian (Konsistorialrat, Quedlinburg) 263, 349, 351f. Küppers-Braun, Ute 17, 21-23, 30, 67, 297, 392 Kurakin (Prinz, russ. Ambassadeur) 115 Kurland, Charlotte Sophie von (Herzogin; Äbtissin, Herford) 38f., 50, 55, 57, 60-66, 68, 70-75, 80, 90, 92, 109, 112-117, 120-122, 124-127, 129-132, 137, 147-149, 157-159, 167f., 170f., 176, 191194, 211-215, 225f., 229, 232, 239-242, 244, 247f., 250, 255-257, 261-263, 265, 270f., 273, 275-278, 280-283, 291, 302, 306f., 314, 325, 330, 332f., 335-340, 366-368, 372-374, 385, 399-401, 405-407, 413-416, 418-420, 424f., 428f., 434, 437f., 446f., 458f., 461f., 464, 468, 500, 509f., 523 Kurland, Ferdinand (Kettler) von (Herzog) 113f. Kurland, Friedrich Kasimir (Kettler) von (Herzog) 113f. Kurland, Friedrich Wilhelm (Kettler) von (Herzog) 114 Kurland Jakob (Kettler) von (Herzog) 114, 366, 523 Kurland, Marie Dorothea von (verh. Markgräfin von Brandenburg(Schwedt)) 64 Kykell (Salmscher Obrist-Lieutnant) 141 Labadie, Jean de (Mystiker, separatistischer Pietist) 292-296, 384 Landwehr, Achim 291 Lanziner, Margareth 160

622 La Roche, Sophie von (Schriftstellerin) 104 Latermann, Thomas Wenzeslaus (Kanzleisekretär, Quedlinburg) 245, 262, 362 Lehndorff, Ernst Ahasverus Heinrich von (Graf; Kammerherr der preuß. Königin Elisabeth Christine) 96-100 Leimgardt (Kanoniker und Syndikus des Gräfl. Kapitels, Essen) 284 Leopold I. (Kaiser) 41, 43, 47, 166f., 208, 224, 232, 242, 244f., 250, 340, 391, 395f., 421f., 425, 429, 431-433, 436, 445f., 451, 455f., 461, 463-465, 472, 475-477, 486, 494, 503 Leyen, Karl Kaspar von (Erzbischof und Kurfürst von Trier) 271 Leyen, Sophie von der (Gräfin; Kanonissin, Thorn) 494 Leykam, von (Reichsreferendar) 472 Liechtenstein, Hartmann von (Fürst) 29, 519 Liechtenstein, Sidonie Elisabeth (Fürstin, geb. Gräfin von SalmReifferscheidt) 130, 519 Limburg, Anna von (Äbtissin, Herford) 182, 226f., 381 Limnaeus, Johannes (dt. Staatsrechtler) 328 Lindstedt, Carl Friedrich (Notar) 489 Lippe, Ida von und zu (Gräfin; Äbtissin, Herford) 31, 78 Lippe Magdalena von und zu (Gräfin; Äbtissin, Herford) 49 Lippe, Hermann Adolf von und zu (Graf) 142 Lippe, Sophie Ernestine von und zu (Gräfin; Dekanissin, Herford) 29, 38, 130f., 167f., 176, 366, 372, 434f., 510 Lobbethal, von (Kammerjunker Anna Amalies in Preußen) 372

10. Register

Lobkowitz, Ferdinand August von (Fürst; Prinzipalkommissar) 399 Lothringen, Anna Charlotte von (Prinzessin; Coadjutorin, Essen und Thorn) 494, 521 Löwenhaupt, Carl Gustav von kursächsischer Generalkriegskommissar, Geheimer Rat und General) 37 Löwenstein-Wertheim-Rochefort, Eleonore von (Gräfin; Äbtissin, Thorn) 54 Lüdecke, Urban Dietrich von (preuß. Geheimrat, Stiftshauptmann und Obersteuerdirektor, Quedlinburg) 237, 248, 396f., 429, 482f., 488f. Lüdke, Alf 29 Ludwig XIV. von Frankreich 374, 445 Ludwig der Fromme (Kaiser) 23 Madelung, Johann Christian (Stiftsrat, Quedlinburg) 251, 278-280, 304f., 322, 334f., 364 Malsburg, Adam Eckenbrecht von der (Freiherr; hess. Reichstagsgesandter) 399, 425, 437 Manderscheid-Blankenheim, Anna Salome von (Gräfin; Äbtissin, Essen) 66f, 392, 480, 519 Manderscheid-Blankenheim, Salentin Ernst von (Graf, Amtmann von Breisig) 141 Marin, Louis 373 Marlborough, John Churchill, Duke of (Fürst von Mindelheim, engl. Feldherr) 398, 483-485 Mathilde I. (Königin) 29, 254 Maximilian I. (Kaiser) 226 Maximilian II. (Kaiser) 226, 424 Maurer, Esteban 55 Medem, von (Hofmeister Anna Amalies in Preußen) 97, 324, 330 Meinders, Arnold Henrich von (kurbrandenburg. Landschreiber, Drost Grafschaft Ravensberg,

10.1. Personenregister

Geheimer Rat) 68, 72, 76, 80, 84, 113, 129, 138, 240, 337f., 394, 447 Meinders, Johann (kurbrandenburg. Landschreiber, Grafschaft Ravensberg) 290 Meinerzhagen (preuß. Resident in Den Haag) 113, 115 Merzario, Raul 160 Metternich, Ernst von (preuß. Diplomat in Wien) 350, 439, 442 Metternich, Franz Georg Karl von (Graf; kaiserlicher Gesandter) 472 Metternich, Wolf von (Freiherr, preuß. Gesandter am Reichstag) 208f. Metzner von Salhausen (Geheimer Rat, Quedlinburg) 179 Meuchen, von (dänischer Gesandter in Dresden) 40 Meumann, Markus 246 Meyer, Gerhard (Superintendent und Oberprediger, Quedlinburg) 251f., 258, 263, 320 Michels, Norbert 42 Mithoff, Balthasar Friedrich von (Archivar, Quedlinburg) 324 Moraw, Peter 31 Mörner, Graf Birger 40 Moser, Friedrich Carl von (dt. Staatstheoretiker) 44, 82, 459 Moser, Johann Jakob (dt. Staatstheoretiker) 33, 50, 387, 389, 408, 436, 450, 469, 507 Moos, Peter von 273 Moustier, Eleonore-François Elie de (Comte, franz. Gesandter) 103 Müller (Sekretär, Stadt Herford) 145 Mus (Reichshofratsagent, Quedlinburg) 314 Nassau-Dillenburg, Friederike Albertine von (Gräfin; Kanonissin, Herford) 71f. Nassau-Dillenburg, Wilhelm II. von (Fürst) 206, 434f.

623 Nassau-Saarbrücken, Amalie von (Gräfin, Kanonissin, Herford) 141 Nassau-Siegen, Johann Moritz von (Statthalter von Kleve und Minden) 293 Nassau-Weilburg, Auguste Maria Caroline von (Coadjutorin, Herford) 151, 526 Neuß, Heinrich Georg (Superintendent, Werningerode) Neyser von Neysersheim, Jakob Joseph (Sulzbacher Hofrat) 317 Oberstein, Meina von (Äbtissin, Essen) 226, 228 Oettingen-Wallerstein, Wolfgang IV. von (Graf; Reichshofratspräsident) 437-439 Oppermann, David (Wachmann, Quedlinburg) 233f. Orsbeck, Johann Hugo von (Bischof und Kurfürst von Trier) Ortlieb, Eva 270, 313, 428 Österreich, Maria Theresia von (Erzherzogin, Kaiserin) 68f., 79, 470472, 521 Österreich, Maximilian Franz von (Erzherzog, Kurfürst von Köln, Bischof von Münster) 68, 307 Osten, von der (preuß. Geheimer Staatsrats und Landdrosten des Fürstentums Minden) 64f., 7180, 90, 109f., 115, 333 Ostfriesland und Rietberg, Bernhardine Sophie von (Gräfin; Äbtissin, Essen) 40, 54, 66-68, 112, 134, 196f., 202-206, 247, 276, 307, 312, 318, 322, 331, 337, 385, 519f. Ostfriesland und Rietberg, Franz Adolf Wilhelm von (Graf, Domkapitular in Köln, Straßburg und Paderborn) 67, 520 Otto I. (Kaiser) 227

624 Pauernfeind, Wolfgang Jeremias (kursächsischer Reichshofratsagent) 489 Penn, William (führender Quäker) 292 Petzold, von Johann Sigismund (kursächsischer Resident in Wien) 102, 470-472 Pfalz, Elisabeth von der (Prinzessin; Äbtissin, Herford) 17, 22, 27, 29, 47, 54, 109, 141-147, 159, 170, 213f., 220, 230, 289-296, 414f., 418, 509, 522 Pfalz, Elisabeth Charlotte von der („Liselotte“; Prinzessin, verh. Herzogin von Orléans) 41, 131, 145 Pfalz, Friedrich V. von der (Pfalzgraf, Kurfürst, König von Böhmen, „Winterkönig“) 142, 522 Pfalz, Luise Juliane von der (Pfalzgräfin) 142, 522 Pfalz, Karl I. Ludwig von der (Pfalzgraf, Kurfürst) 143, 295 Pfalz, Luise Hollandine von der (Prinzessin) 142 Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld, Anna Sophia von (Pfalzgräfin; Äbtissin, Quedlinburg) 35, 86, 230f., 309, 344, 358-360, 391, 395, 527 Pfalz-Neuburg, Karl Philipp von (Kurfürst) 19, 54, 81, 105 Pfalz-Neuburg, Eleonore Magdalene von (Kaiserin) 41, 167 Pfalz-Neuburg, Karl Philipp Theodor (Pfalzgraf und Kurfürst) 472 Pfalz-Neuburg, Philipp Wilhelm von (Kurfürst und Pfalzgraf) 126, 271, 452, 527 Pfalz-Sulzbach, Franziska Christina (Äbtissin, Essen und Thorn) 27, 39, 54, 69, 81, 92, 105f., 111, 117f., 171-173, 187, 203f., 230, 233, 247, 318f., 333, 337, 341f., 373, 376, 421, 427, 443, 493-495, 497, 513, 520

10. Register

Pfalz-Sulzbach, Theodor Eustach von (Pfalzgraf und Herzog) 105, 117f., 520 Pfalz-Zweibrücken, Elisabeth Louise von (Äbtissin, Herford) 143, 169f., 336, 522 Platen, Heinrich von (brandenburg. Geheimer Hof- und Kammerrat) 234f. Plotho, Georg Otto Edler von (Stiftshauptmann, Quedlinburg) 133, 179f., 468 Podewils, Heinrich von (Graf, preuß. Staatsminister) 334 Pollmann (preuß. Geheimer Regierungsrat) 205f., 319, 427, 460, 466 Posandowski, Christian Adam von (Stiftshauptmann, Quedlinburg) 317, 448-352, 492 Pott (kurbrandenburg. Regierungsrat, Grafschaft Ravensberg) 416 Praun, Daniel Hieronymus (Reichshofratsagent der Herforder Kanonissen) 367 Praun, Tobias Sebastian (Reichshofratsagent der Quedlinburger Kapitularinnen) 432, 476 Press, Volker 31 Printzen, Marquard Ludwig von (Freiherr) (preuß. Geheimer Rat und Minister) 71 Puppel, Pauline 103 Pütter, Johann Stephan (dt. Staatsrechtler) 308 Regenstein, Elisabeth von (Gräfin; Äbtissin, Quedlinburg) 49, 258, 346, 474 Reichenbach, Sophie Helene von (Gräfin; Kanonissin, Herford) 365 Reif, Heinz 58 Reinhard, Wolfgang 73 Reventlow, Conrad von (Graf; dänischer Kanzler) 40, 397, 488f.

10.1. Personenregister

Rheinstein, Elisabeth von (Pröpstin, Quedlinburg) 169 Ribbeck, Christoph Friedrich von (preuß. Halberstädter Kammerpräsident) 251, 278-280, 305, 322, 334 Richter, Maren 272 Rigaud, Hyacinthe (Maler) 374 Rogge, Jörg 246 Rudolf II. (Kaiser) 450 Rügge, Nicolas 183, 256 Saalfeld (Bürgermeister, Quedlinburg) 165, 222 Sachsen, Anna Sophie von (Kurfürstin-Witwe) 237 Sachsen, Albrecht von (Herzog) 188, 227 Sachsen, August von (Kurfürst) 346, 474 Sachsen, Clemens Wenzeslaus von (Prinz, Kurfürst und Bischof von Trier, Bischof von Augsburg) 69f., 191f., 104, 118, 296, 315f., 343, 374, 472, 521 Sachsen, Ernst von (Kurfürst) 188, 227 Sachsen, Franz Xaver von (Prinz) 471 Sachsen (und Polen), Friedrich August I./II. von (Kurfürst, König) 40f., 115, 171, 231f., 234-236, 264, 336, 409f., 431, 446 Sachsen (und Polen), Friedrich August II./III. von (Kurfürst) 238, 521 Sachsen, Friedrich August III. (Kurfürst) 119f. Sachsen, Hedwig von (Prinzessin; Äbtissin, Quedlinburg) 49, 181, 188, 227 Sachsen, Johann Georg I. von (Kurfürst) 55, 527f. Sachsen, Johann Georg II. von (Kurfürst) 93, 109, 360, 527f. Sachsen, Johann Georg III. von (Kurfürst) 86-89, 164f., 257

625 Sachsen, Johann Georg IV. (Kurfürst) 88f., 336 Sachsen, Maria Antonia von (Kurfürstin, geb. Prinzessin von Bayern) 102, 470, 521 Sachsen, Maria Kunigunde von (Prinzessin; Äbtissin, Essen und Thorn) 69f., 101-104, 108, 111f., 1160, 174-176, 181, 284f., 296301, 311, 313f. 315, 325f., 330, 343f., 371f., 374f. 385, 391, 401, 412, 460f., 470-472, 495-497, 512f., 515, 521 Sachsen, Moritz von (Graf, illegitimer Sohn Augusts I./II. von Sachsen und Maria Auroras von Königsmarck; Feldherr und Kriegstheoretiker) 41 Sachsen-Altenburg, Dorothea (Herzog; Coadjutorin, Quedlinburg) 41, 309 Sachsen-Barby, Heinrich von (Herzog) 41, 194, 522 Sachsen-Coburg, Albrecht von (Herzog) 268 Sachsen-Eisenach, Albrecht von (Herzog) 41 Sachsen-Eisenach, Johann Wilhelm von (Herzog) 480, 528 Sachsen-Gotha, Friedrich II. von (Herzog) 236, 268 Sachsen-Meiningen, Elisabeth Ernestine Antonie von (Äbtissin, Gandersheim) 320, 396, 478, 481 Sachsen-Weimar, Anna Dorothea von (Prinzessin; Äbtissin, Quedlinburg) 39f, 43, 85-89, 92-94, 109, 111, 123f., 135, 164f., 166f., 171, 221-224, 230, 232, 234-237, 244f., 250-254, 257-264, 266-270, 273, 277, 310, 320, 329, 336f., 339f., 344, 357f., 360-365, 376f., 391, 396, 401, 403-408, 421f., 425, 430-433, 436-441, 445f., 455-457, 463, 474-476, 500, 513, 528

626 Sachsen-Weimar, Eleonore Sophie (Prinzessin) 92 Sachsen-Weimar, Johann Ernst II. von (Herzog) 93, 528 Sachsen-Weimar, Johann Ernst III. 123, 528 Sachsen-Weimar, Wilhelm Ernst von (Herzog) 88f., 111, 123f., 171, 236, 268f., 528 Sachsen-Weimar, Wilhelmine von (Prinzessin) 92 Sachsen-Weißenfels, Johann Georg von (Herzog) 268 Sachsen-Weißenfels, Magdalena Sibylle von (Herzogin, verh. Herzogin von Sachsen-Eisenach; Coadjutorin, Quedlinburg) 39, 472-476, 478, 528 Salm-Reifferscheidt, Anna Salome von (Gräfin; Äbtissin, Essen) 54, 66, 112, 129f., 139-141, 159f., 215f., 218, 231, 242f., 259f., 271, 318, 392, 508, 512f., 519f. Salm-Reifferscheidt, Ernst Friedrich (Altgraf) 140, 519 Salm-Reifferscheidt-Bedburg, Eric Adolf von (Altgraf) 54, 139 Salm-Reifferscheidt-Dyck, Ernst Salentin von (Altgraf) 54, 112, 139, 141 Savoyen, Eugen von (Prinz; österreichischer General, Diplomat und Staatsmann, Vorsitzender der Geheimen Konferenz) 395, 453f., 466 Schaumburg-Lippe, Sophia von (Gräfin) 144 Scheffer, Reinhard (Reichstagsgesandter, Herford und Quedlinburg) 244f., 249, 266, 268, 314, 362f., 389, 400f., 404-410, 419, 434, 446, 458f. Schellersheim, Paulus Andreas von (Freiherr; Stiftshauptmann, Quedlinburg) 81, 109, 137 Schilling, Heinz 183

10. Register

Schlieben, Adam Friedrich von (Graf, hess. General) 131 Schlipstein, Georg Dr. (Kanoniker und Dekan, Herford St. Johann und Dionysius; preuß. Gohrichter, Limburg und Vlotho) 254256 Schlipstein, Thomas, Dr. (brandenburg. Gohrichter, Dekan St. Johann und Dionysius) 142f., 182, 220 Schlitz, Friedrich Wilhelm von, genannt von Görtz (Freiherr; hannoverscher Kammerpräsident und Geheimrat) 464 Schlözer, August Ludwig von (dt. Jurist und Staatsrechtler) 308 Schmidt, Walther 42 Schmieden (sächs.-weimarer Konsistorialrat) 86 Schmitz, Johann Jacob (Kanzleidirektor, Essen) 307f., 326, 497 Schmitz, Johann Jacob (Maler) 341 Schnettger, Matthias 24 Schönaich-Carolat, Henriette Wilhelmine von (Gräfin; Kanonissin, Herford) 365 Schoenborn, Ulrich 114 Schönborn, Franz Georg von (Erzbischof und Kurfürst von Trier) 102 Schönborn, Friedrich Karl von (Graf; Reichsvizekanzler) 450, 484f. Schönborn, Johann Philipp von (Erzbischof und Kurfürst von Mainz) 271 Schönborn, Lothar Franz von (Erzbischof und Kurfürst von Mainz) 406, 409 Schönborn-Buchheim, Damian Hugo Philipp von (Graf; kaiserlicher Gesandter; Bischof von Speyer) 303, 486-490 Schraut, Sylvia 55

10.1. Personenregister

Schreiber, Johann Georg (dt. Kupferstecher, Kartograph und Verleger) 161 Schultzin, Magdalena (Visionärin, Quedlinburg) 253 Schurmann, Anna Maria van (niederländisch-dt. Universalgelehrte) 292, 294 Schwarzburg-Sondershausen , Anton Günther I. von (Graf) 527 Schwarzburg-Sondershausen , Anton Günther II. von (Graf) 409, 481 Schwarzburg-Sondershausen, Eleonore Sophia von (Gräfin; Kanonissin und Dekanissin, Quedlinburg) 43, 410, 483, 500, 527 Schwarzburg-Sondershausen, Maria Magdalena von (Gräfin; Kanonissin und Dekanissin, Quedlinburg) 43, 410, 483, 500, 527 Schwerin, Friedrich Wilhelm Graf von (preuß. Diplomat) 350, 352, 442f. Scott, Joan W. 25 Seckendorff, Friedrich Heinrich von (Graf; kaiserl. Feldmarschall und Diplomat, kaiserl. Gesandter in Berlin) 395, 453f., 466f. Seckendorff, Veit Ludwig von (dt. Staatstheoretiker) 13, 39, 328, 331 Seefeld (Bürgermeister, Quedlinburg) 224 Seilern, Friedrich von (Freiherr; kaiserl. Hofvizekanzler) 477f. Sinzendorf, Philipp Ludwig von (Graf; kaiserl. Oberhofkanzler) 396f. Solms-Lich, Sophie Charlotte (Gräfin; Kanonissin, Quedlinburg) 30 Sophie Albertine von Schweden (Prinzessin; Äbtissin, Quedlinburg) 110, 302, 524, 529f. Spaur, Maria Clara von (Äbtissin, Essen) 25, 140, 198, 200

627 Spaur, Franz Joseph von (Graf; kaiserl. Kammerrichter in Wetzlar) 412 Spiegel, Franz Wilhelm von (Bonner Universitätskurator) 307 Spieß, Karl-Heinz 28, 55-57, 62 Spohr, August von (Stiftshauptmann, Quedlinburg) 35 Sprögel, Johann Heinrich (Diakon, Quedlinburg) 253f., 319 Stammer, Adrian Adam von (Stiftshauptmann Quedlinburg) 88, 165, 221f., 235f., 251-254, 257f., 329, 339f., 362 Staufen, Anna Eleonora von (Äbtissin, Essen) 392 Stegen, von der (Kanoniker und Rat, Essen) 443 Sternfeld, Johann Ludweig von (Baron; Kapitular und Stiftsrat, Herford) 73-76, 80, 115, 122, 229, 240f., 248, 306f., 325, 329, 338, 366f., 464 Stolberg, Anna II. von (Äbtissin, Quedlinburg) 188 Stolberg-Geldern, Karoline von (Prinzessin; Kanonissen, Quedlinburg) 97 Stollberg-Rilinger, Barbara 31, 285, 287, 516 Storren, Justus Heinrich von (holsteinischer Reichstagsgesandter) 410 Stramberg, Christian von (Koblenzer Jornalist) 103f. Stryk, Heinrich Christian von (Holsteinischer Justizrat) 317, 353 Stuart, Elisabeth (verh. von der Pfalz, Pfalzgräfin, Kurfürstin, Königin von Böhmen) 142, 522 Stutterheim, Heinrich Gottlob von (preuß. Staats- und Kabinettsminister) 119f. Teschius, Gerhard (Jesuit) 200, 203f. Tettau, von (hessischer Gesandter in Wien) 126

628 Teuscher, Simon 57, 190 Theil, Bernhard 22, 38, 65 Thielemann (preuß. Resident in Hamburg) 80, 90, 113 Thulemeyer, Heinrich Günther (Kanzler, Herford) 122, 240, 307, 437 Trenck, Friedrich von der (Freiherr, preuß. Offizier) 98 Ulbert (Bürgermeister, Quedlinburg) 262 Unverfährt, Johann Martin (Halberstädter Kanzler) 236, 339, 362f. Vehse, Carl Eduard 104 Velhage, Friedrich Wilhelm (Kanzleirat und Kanzleidirektor, Herford) 305 Vieregg, Matthäus Carl Anton von (kurbayerischer Geheimer Rat) 412 Vogel (Bürgermeister, Herford) 145 Vötsch, Jochen 22 Wahden, Johan Henrich von (Kapitular und Stiftsrat, Herford) 145, 148, 194, 306 Waldburg-Zeil, Maria Franziska von (Truchseßin; Kanonissin, Essen) 37 Waldburg-Zeil-Wurzach, Felicitas von (Truchseß) 493 Waldeck, Boos von (Kurtrierer Obermarschall) 103 Waldeck, Mechtild von (Äbtissin, Herford) 254 Weller, Thomas 285 Wendt, Freiherr von (Essener Landstand, Besitzer Haus Horst, Essen) 174 Werthern, Georg von (kursächs. Kommissar, kursächs. Reichstagsgesandter) 223, 264, 405-407, 410f. Westphal, Siegrid 449 Wichmannshausen, Johann Martin (Stiftsrat, Quedlinburg) 314, 317, 353

10. Register

Widukind (Herzog) 254 Wiedt, Walburga Magdalena zu (Gräfin; Dekanissin, Herford) 142 Wiedt-Runkel, Sophia Florentina von (Gräfin) 492 Wiedt-Runkel, Wilhelmine von (Gräfin) 491f. Wildvogel, Christian (sächs.weimarer Hof- und Konsistorialrat) 87, 164 Wilhelm III. von Nassau-Oranien (König von England) 483 Wilmanns, Joachim (Kanoniker, Herford St. Johann und Dionysius) 254f. Windisch-Graetz, Ernst Friedrich von (Reichshofratsptäsident) 467 Wintzingerode, Heinrich J. Graf von 62f. Witzleben, von (Hofmarschall der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland) 80, 90, 116f. Wolkenstein, Claudia Seraphia von (Gräfin) 66 Woronzow, Michael I. (Graf, russ. Großkanzler) 110 Wortberg, Gabriel (Stiftsbauer, Essen) 198-200, 203f. Wunder, Heide 26, 28, 55 Würgler, Andreas 265 Wurmbrand-Stuppach, Johann Wilhelm von (Graf; Reichshofrat, -vizepräsident und -präsident) 442, 467 Wurzach, Therese von (Kanonissin, Thorn) 494 Zech, Bernhard (kursächs. Kommissar) 223, 264 Zeil, Sebastian Wunibald von (Graf, Erbtruchseß; Reichshofratsvizepräsident) 440 Zeil, Sidonie Elisabeth von (Kanonissen, Thorn) 494 Zemon Davis, Nathalie 23

10.1. Personenregister

Zinsendorf, Friedrich August von (kursächs. Gesandter in Berlin) 120

629 Zwierlein, Johann Jacob (Anwalt am Reichskammergericht) 173, 177

630

10. Register

10.2. Ortsregister 10.2. Orstregister

Das Ortsregister umfasst alle im Text genannten Orte und Räume. Zur leichteren Identifizierbarkeit sind einigen Einträgen in Klammern konkretisierende Hinweise beigegeben. Kursiv gesetzte Seitenangaben beziehen sich auf Erwähnungen in den Anmerkungen. Aachen 23-25 Altdorff 88, 165 Altenessen (Bauerschaft) 200 Altona 296, 525 Amsterdam 113, 115, 293, 295 Andlau (Stift) 17 Anhalt-Bernburg (Fürstentum) 161 Aremberg 308 Augsburg 101, 325, 472 Baden 398 Bentheim-Tecklenburg (Grafschaft) 442 Berg (Herzogtum) 161 Berlin 32, 61-65, 81, 89-91, 97-101, 106-108, 111, 113, 119, 121f., 126, 138, 142f., 147, 150, 155f., 159, 179f., 205f., 223, 239-241, 247, 268, 278, 296, 299, 306f., 319, 323, 325, 329-331, 334, 338f., 350, 366, 395, 415, 435, 442f., 446f., 451, 453f., 457, 464, 466f., 479, 507, 524f., 529 Bielefeld 73, 90, 191, 220, 255, 293 Biesenbrow 61 Blankenburg (Fürstentum) 161 Blankenburg (Stadt) 269 Bochum (Amt) 205 Bonn 307 Borbeck (Dorf) 200 Borbeck (Schloss) 105f., 216, 242, 316, 343, 375, 513 Borghorst (Stift) 32 Braunschweig-Lüneburg (Herzogtum) 161, 269, 381, 436 Breisig 161, 141, 230 Bremen 73,113, 115f., 253, 325 Breslau 100 Brüssel 308

Buchau (Stift) 17, 22, 24, 38, 45, 65, 493, 498 Bückeburg 121, 147, 281, 333, 447 Calbe an der Saale 60 Den Haag 113, 115, 526 Dessau 42, 193, 522f., 525 Ditfurth 189 Dordrecht 295 Dortmund 413 Dresden 32, 40, 69f., 87f., 102, 111f., 164f., 184, 222, 235, 274, 310, 328, 346, 375, 403, 405-407, 470f., 483, 521 Düsseldorf 105 Ehrenbreitstein 102, 316 Elten (Stift) 18 Erfurt 99, 320, 371 Essen (Stift) 16-18, 21f., 32, 24-30, 32-36, 38, 40, 45-50, 54f., 64, 66f., 69, 78, 81, 83, 85, 101f., 104-106, 108, 111f., 118f., 129f., 139-141, 160, 161, 169, 171-177, 181, 185-188, 194-211, 215-218, 224-226, 228-233, 242-245, 247f., 251, 259f., 264f., 271-273, 275f., 283-286, 288, 290f., 296-302, 305, 307f., 311-316, 318f., 322-327, 330f., 333, 337, 341, 343f., 364, 369-376, 379-382, 384f., 387, 391-393, 401, 404, 411-413, 417f., 421f., 423, 427-429, 434f., 443, 451, 453, 459-461, 464f., 467, 471-473, 476f., 480, 490f., 493505, 507-509, 511-515, 519-521 Essen (Stadt) 102, 119, 141, 182, 185-188, 194-211, 215-218, 224f., 242-244, 275f., 297-302, 341,

10.2. Orstregister

369f., 380f., 427-429, 434, 451, 459f., 464-466 Fränkischer Reichskreis 413, 460 Freckenhorst (Stift) 21, 32 Halberstadt (Fürstentum) 161, 234, 250, 260, 362, 482 Halberstadt (Stadt) 237, 278, 334f., 349, 351 Halle 88, 165, 376, 528 Hamburg 40, 80, 90, 348, 486f., 528 Hannover 80f., 464 Heidelberg 484, 522 Helmstedt 189, 212, 304, 320, 476 Herford (Stift) 14, 16-18, 20f., 24f., 27-29, 31f., 34f., 38f., 41f., 45-49, 52, 54, 60f., 63-65, 68-82, 84f., 89-91, 107-109, 113, 121, 128131, 134-138, 141-156, 159f., 162, 167-172, 176, 179f., 182f., 191194, 211-215, 224-227, 229f., 232, 238-242, 244-251, 254-258, 261263, 265, 267, 270f., 273, 275277, 280-286, 288-296, 302, 305309, 314f., 323-326, 328-330, 332-339, 344-346, 364-369, 372375, 377, 380-382, 384f., 387-389, 392-395, 399-402, 405-407, 411, 413-422, 423-425, 428, 434-438, 443, 445-447, 451, 456, 461-465, 467f., 476, 478, 499-512, 522-526 Herford (Stadt) 122, 144f., 162, 168, 182f., 191-194, 211-215, 219-221, 226f., 232, 246, 250, 286, 289, 293-296, 302, 345 Hersfeld 116, 271 Gandersheim (Stift) 17, 38, 43, 45, 65, 107, 270 Gernrode (Stift) 17, 45 Gotha 304 Göttingen 30, 219, 308 Grubenhagen (Fürstentum) 161 Jena 212, 258, 264, 304f., 320 Kalkar 242 Kärlich 102 Karnap (Bauerschaft) 200

631 Kassel 65, 71, 113, 126, 148, 270, 293, 306, 325, 523, 525 Katernberg (Bauerschaft) 199f. Kleve (Fürstentum) 61, 200-202, 204-209, 242f., 276, 293, 299-301, 381, 418, 420, 428 Koblenz 69, 101-104, 316, 325f. Köln (Erzbistum/Kurfürstentum) 28, 67, 498 Köln (Stadt) 172, 196, 283, 411, 413, 415, 460 Kurland (Herzogtum) 114f., 157 Leipzig 97, 99, 115, 188, 304, 310 Lichtenburg 237 Limpurg (Grafschaft) 442 Lindau (Stift) 17, 45 Lippe (Grafschaft) 289 Magdeburg (Herzogtum) 88, 161, 165, 453 Magdeburg (Stadt) 40, 246, 286 Mannheim 25 Mansfeld (Grafschaft) 442 Mark (Grafschaft) 66, 161, 242, 248, 295, 316 Melsungen 116, 271 Michaelstein (Kloster) 269, 381 Minden (Fürstentum) 76, 256, 289f., 293, 414 Minden (Stadt) 128, 138f., 142, 156, 213 Mülheim (Schloss Styrum) 203, 520 Münster (Hochstift) 67, 161, 429 Münster (Stadt) 66 Münsterbilsen (Stift) 471 Namur 213, 215 Neuss 204 Niederrheinisch-Westfälischen Kreis 247f., 271, 273, 315, 411, 413f., 418, 459-461, 465f., 499, 501 Nordhausen 446 Nottuln (Stift) 32 Oranienburg (Schloss) 98 Paderborn (Hochtift) 67, 161, 412, 514 Pilnitz 375 Potsdam 97

632 Prag 472 Quedlinburg (Stift) 14, 16-18, 20-22, 24f., 27, 29f., 32, 34f., 37-43, 4550, 52, 54f., 64, 66, 78, 81, 83-89, 92-101, 108-111, 122-124, 129, 132-135, 137, 159-161, 164-167, 169, 171, 176, 178-182, 188-190, 211, 216f., 221-238, 244-246, 248-254, 256-270, 273-280, 284286, 288, 302-306, 308-315, 317, 319-324, 326-331, 334, 336f., 339f., 344-365, 368, 372, 375-377, 380-382, 384, 387, 389-393, 395411, 417f., 420-422, 423-425, 429-436, 438-450, 452, 454-458, 463-469, 473-493, 497, 499-507, 509-512, 514f., 527-530 Quedlinburg (Stadt) 181f., 188-190, 216f., 221-225, 227f., 234, 257f., 260f., 263f., 266f., 328, 380, 417 Rastatt 398 Ravensberg (Grafschaft) 79, 114, 144, 161, 192, 220, 227, 232, 248, 256, 289f., 306, 345, 380, 415, 419, 464 Recklinghausen (Vest) 161 Regensburg (Bistum) 101 Regensburg (Reichstag) 239, 244, 250, 262, 266, 274, 289, 315, 363, 396, 399-410, 417, 434, 437, 500 Regensburg, Niedermünster (Stift) 17 Regensburg, Obermünster (Stift) 17 Regenstein (Grafschaft) 161 Rellinghausen (Dorf) 198, 200, 371 Rellinghausen (Stift) 33, 271, 381, 494 Rinteln 121, 277, 306 Rom (Kurie) 37, 44, 83, 171f., 471, 477, 480 Rom (Stadt) 422 Rostock 254, 320, 476 Schönbornlust 102 Schwäbischer Reichskreis 413, 460 Speyer 215, 313 Steele (Stadt) 106, 198-200, 205, 498

10. Register

Steele (Waisenhaus) 106, 316, 319, 341, 374, 513 St. Georgen am Längsee 25 St. Marien auf dem Berge (Stift) 31, 136, 161, 289, 295, 345, 372f., 419 St. Marienthal 25 Stockum (Gut) 430 Stoppenberg (Stift) 33, 174, 271, 494 Straßburg (Domkapitel) 28 Teplitz 471 Thorn (Stift) 17, 38f., 41, 45, 54, 67, 69, 92, 101f., 105, 111, 117, 141, 413, 415, 471f., 491, 493-498, 515, 520f. Trebatsch 100 Trier (Kurfürstentum) 101, 104, 271, 513 Trier (Stadt) 308, 373 Tübingen 212 Uexheim 308 Utrecht 113, 398 Verden 74, 80f., 90, 112, 115-117, 241, 271, 325, 523 Warza 304 Weimar (Herzogtum) 123 Weimar (Stadt) 87, 260, 268f., 362, 528 Werden (Stift) 18 Werningerode (Grafschaft) 161, 263 Wesel 293 Wetzlar 80, 90, 173, 187, 313, 427430 Wien 32, 37, 44, 48, 65, 69f., 78-81, 90, 102, 113, 125-127, 133f., 196, 225, 239, 245, 251, 268f., 277, 312-314, 327, 350, 352, 366, 372, 389-399, 409, 424f., 427-430, 432, 435, 437-444, 451, 454-456, 459f., 462, 464, 466, 470-472, 476f., 479f., 484, 486, 488f., 494, 497, 500, 515 Zeil (Schloss) 37

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RIEKE BUNING, BEATE-CHRISTINE FIEDLER, BETTINA ROGGMANN (HG.)

Maria aurora von KönigsMarcK EIN ADELIGES FRAUENLEBEN IM EUROPA DER BAROCKZEIT

Maria Aurora Gräfin von Königsmarck (1662–1728) war schön, gebildet, geistreich und künstlerisch tätig. Sie wurde umschwärmt und verehrt. Binnen fünf Jahren wurde sie nacheinander die Mätresse des sächsischen Kurfürsten und späteren polnischen Königs August des Starken, die Mutter des späteren französischen Marschalls Moritz von Sachsen und die Pröpstin des weltlichen Damenstifts Quedlinburg, wo sie 1728 starb. Bis zu ihrem Lebensende war sie in europäische Netzwerke eingebunden. Hier präsentieren international ausgewiesene Wissenschaftler Beiträge zur schwedischen Grafenfamilie Königsmarck und zur Biographie der Maria von Königsmarck. Dabei stehen »Das Kunstschaffen adeliger Frauen« sowie »Die höfische Gesellschaft« im Vordergrund. Ziel des Buches ist es, frei von jeglicher, in über 300 Jahren entstandener Legendenbildung eine realistische und wissenschaftlich fundierte Annäherung an die Persönlichkeit der schwedischen Gräfin zu erreichen, die exemplarisch für das adelige Frauenleben zur Zeit des Barock und der Frühen Neuzeit steht. 2014. 392 S. 37 FARB. ABB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22386-1

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CORINA BASTIAN, EVA KATHRIN DADE, HILLARD VON THIESSEN, CHRISTIAN WINDLER (HG.)

DAS GESCHLECHT DER DIPLOMATIE GESCHLECHTERROLLEN IN DEN AUSSENBEZIEHUNGEN VOM SPÄTMITTELALTER BIS ZUM 20. JAHRHUNDERT (EXTERNA, BAND 5)

Fürstinnen in Friedensverhandlungen, Botschaftergattinnen, die ihre Ehemänner in diplomatischen Verhandlungen unterstützen, eine Frau als erste offi ziell akkreditierte Botschafterin der Sowjetunion, die Außenpolitik des wilhelminischen Deutschland unter dem Verdacht der Homosexualität: Zahlreiche Beispiele aus unterschiedlichen Epochen belegen, wie stark Geschlechterrollen die Vorstellungen von „guter“ Außenpolitik prägen. Weibliche Akteure wurden und werden in diesem Zusammenhang häufig als Ausnahmen gesehen oder zumindest als solche inszeniert – ihre Eignung für das diplomatische Geschäft wird ihnen wahlweise »trotz« oder gerade »aufgrund« ihres Geschlechts attestiert. Der Sammelband widmet sich der Frage, welche Rolle das Geschlecht und die mit ihm assoziierten Eigenschaften in der diplomatischen Praxis spielten. Unter welchen Umständen konnte die Geschlechtszugehörigkeit vor andere Kategorien wie Stand, Alter, Erfahrung oder Bildung treten, in welchen Kontexten wurde sie zur Nebensache? Ausgehend von Einzelfallstudien steckt der epochenübergreifend angelegte Band ein neues Forschungsfeld ab und legt somit einen Grundstein für eine Geschlechtergeschichte von Außenpolitik. 2014. 316 S. 2 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22198-0

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CLAUDIA ULBRICH

VERFLOCHTENE GESCHICHTE(N) AUSGEWÄHLTE AUFSÄTZE ZU GESCHLECHT, MACHT UND RELIGION IN DER FRÜHEN NEUZEIT

Der Titel Verflochtene Geschichte( n ) verweist auf die Verwobenheit der historischen Lebenswelten wie der historiografischen Kategorien. Diese relationale Geschichtsschreibung verabschiedet die großen Erzählungen zugunsten des scheinbar Partikularen. Statt vermeintlicher Homogenität lenkt die Autorin den Blick auf die Pluralität und Konflikthaftigkeit frühneuzeitlicher Gesellschaften. Die von ihr untersuchten Frauen und Männer , oft Angehörige ländlicher Bevölkerung , werden als selbstbewusst handelnde Subjekte ihrer eigenen Geschichte( n ) sichtbar. Claudia Ulbrich ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit und Geschlechtergeschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Geschlechtergeschichte , Geschichte ländlicher Gesellschaften , die Geschichte christlich-jüdischer Beziehungen und die transkulturelle Selbstzeugnisforschung. 2014. 280 S. 7 S/W-ABB. GB. MIT SU. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-79632-9

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RENATE OLDERMANN

EINE STIFTSJUNGFER IM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG DAS LEBEN DER WESTFÄLISCHEN ADLIGEN LUCRETIA VON HAREN (1605–1675)

Die aus dem Niederstift Münster stammende junge Adlige Lucretia von Haren trat im Jahre 1614 in die Gemeinschaft geistlicher Frauen des Stifts Börstel ein. Nach vielen Jahren des unermüdlichen Einsatzes für das Stift geriet sie in Konfrontation zu ihrem geistlich-weltlichen Landesherrn, dem Osnabrücker Bischof Franz-Wilhelm von Wartenberg. Dieser betrieb ihre Ausweisung aus dem Stift, und Lucretia musste sich mittellos und auf die Hilfe ihrer Verwandtschaft angewiesen ins Exil nach Ostfriesland begeben. Von dort aus setzte sie sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für die Wiederaufnahme in das Stiftskapitel ein. Das vorliegende Buch zeichnet ihren Lebensweg nach und lotet die Handlungsspielräume einer adligen Stiftsdame in der frühen Neuzeit aus. 2013. 152 S. 24 FARBABB. GB. 135 X 210 MM. | ISBN 978-3-412-21096-0

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