Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen: Seine bedeutendsten Gönner und Widersacher [1. Aufl.] 9783658314477, 9783658314484

In diesem Buch werden die persönlichen Begegnungen von Friedrich List (1789-1846) mit bedeutenden historischen Zeitzeuge

254 82 19MB

German Pages XIV, 129 [141] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Begegnungen aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil (Eugen Wendler)....Pages 15-52
Begegnungen aus der Zeit des amerikanischen Exils (Eugen Wendler)....Pages 53-84
Begegnungen aus der Zeit nach dem amerikanischen Exil (Eugen Wendler)....Pages 85-136
Back Matter ....Pages 137-143
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Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen: Seine bedeutendsten Gönner und Widersacher [1. Aufl.]
 9783658314477, 9783658314484

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Eugen Wendler

Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen Seine bedeutendsten Gönner und Widersacher

Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

Eugen Wendler

Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen Seine bedeutendsten Gönner und Widersacher

Eugen Wendler Reutlingen, Deutschland

ISBN 978-3-658-31447-7 ISBN 978-3-658-31448-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31448-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail­ lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Teil 1: .Die Bedeutung der Philosophie für die Staats- und Wirtschaftstheorie

Stefanie Brich, Annika Hoischen und Dr. Isabella Hanser vom Fachverlag SpringerGabler sowie meinem Freund Fritz Keppler in Dankbarkeit gewidmet.

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Teil I: .Bedeutende Bekanntschaften aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

Geleitwort von Prof. Dr. Flávio dos Santos Oliveira

Der Leser wird sich vielleicht fragen, weshalb ich die Ehre habe, zu diesem Buch ein Geleitwort beizutragen. Ich könnte mir die Antwort einfach machen und sagen, ich komme vom brasilianischen Bundessstaat „Espirito santo“ und möchte zu diesem Buch und zur Dauerausstellung Friedrich List den „Heiligen Geist“ überbringen. Ich verbinde damit den Wunsch und die Hoffnung, dass beides ein lebendiger Erinnerungsort für Friedrich List werden und zu einer Neuentdeckung und Renaissance dieses großen deutschen Ökonomen beitragen möge. Ich hoffe, dass dies dazu beiträgt, die bewegte Biographie von Friedrich List und die Aktualität seiner wirtschaftspolitischen Ideen begreifbar und auf diesen bedeutenden deutschen Klassiker der Politischen Ökonomie aufmerksam zu machen. Damit könnte ich eigentlich mein Geleitwort beenden. Aber ich denke, dass der Leser sich vielleicht auch fragen wird, was mich mit Friedrich List und Prof. Wendler verbindet, ob und inwiefern Lists Ideen in Brasilien von Bedeutung wären, wenn sie besser bekannt und in der politischen und wirtschaftspolitischen Diskussion eine Rolle spielen und in die Praxis umgesetzt werden würden. Ich komme aus einfachen Verhältnissen und habe an der Universidade Federal do Espirito Santo, Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsgeschichte studiert. Während meines Studiums bin ich durch meinen Doktorvater Prof. Dr. Rogério Arthmar auf Friedrich List aufmerksam geworden. Nach Abschluss meines Studiums mit dem Master-Degree wurde ich von meiner Universität mit einer Arbeit über „Friedrich List: Nacionalismo e Cosmopolitismo na integracao dos Estados Alemaes“ („Friedrich List: Nationalismus und Kosmopolitismus in der Integration der deutschen Staaten“) zum Dr. promoviert und anschließend war ich noch 1 Jahr lang als Juniorprofessor tätig. Ursprünglich hatte ich die Absicht, mich mit einer Arbeit über Friedrich List und die Europäische Union zu habilitieren, aber leider war es mir bis jetzt nicht vergönnt, ein Stipendium für einen mehrmonatigen Studienaufenthalt in Europa zu bekommen. Neben meiner Muttersprache Portugiesisch spreche ich fließend Englisch, Spanisch und Italienisch. Außerdem habe ich mir im Selbststudium Deutsch beigebracht. Im Zuge meiner List-Forschung bin ich natürlich auf Prof. Wendler aufmerksam geworden, der als international renommierter List-Forscher besondere 7

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

Wertschätzung genießt. Deswegen habe ich mich mit ihm in Verbindung gesetzt. Seit über 3 Jahren sind wir in regelmäßigem mail-Kontakt; außerdem skypen wir hie und da miteinander. Seine Publikationen sind für mich eine unerschöpfliche Quelle, um die neuesten Forschungsergebnisse kennenzulernen. Mit Prof. Wendler teile ich die Begeisterung für Friedrich List als „Ökonom mit Weitblick und sozialer Verantwortung“. Allerdings muss ich gestehen, dass ich in Brasilien auch ein einsamer Mahner in der Wüste bin, weil die Wirtschaftswissenschaft in Brasilien, genauso wie in Europa und speziell in Deutschland auf die anglo-amerikanische Ideologie fokussiert ist. Hinzukommt, dass in Brasilien nur ganz wenige Wirtschaftswissenschaftler der deutschen Sprache mächtig sind und diese Quellen studieren können. Deshalb gibt es leider kaum mehr als 2 oder 3 Ökonomen in Brasilien, die sich intensiv mit Friedrich Liste befassen. Aber genauso wenig wie sich Prof. Wendler in seinem langen Forscherleben davon entmutigen ließ, werde ich das tun. Ganz im Gegenteil! Ich bin bestrebt, mit vielen Zeitungsartikeln und wissenschaftlichen Beiträgen auf List und seine Ideen aufmerksam zu machen und die Leser dafür zu interessieren und, wenn möglich, zu begeistern. Wir alle wissen, dass die Welt zurzeit eine schwere Wirtschaftskrise durchmacht. Dies gilt insbesondere auch für Brasilien. Ich nenne nur wenige Stichworte: z.B. die großflächige Abholzung des Regenwaldes, die Vernichtung der indigenen Stämme, die exorbitante Umweltverschmutzung in den Ballungszentren, Rechtlosigkeit und Korruption, starkes Wohlstandsgefälle und Massenelend, marode Infrastruktur, Slums, miserables Bildungssystem, Mangel an Rechtsstaatlichkeit und eingeschränkte Grundrechte, um nur einige Themen zu nennen. Alle diese Probleme sind im Gedankengebäude von Friedrich List in irgendeiner Form thematisiert und mit Lösungsansätzen versehen. Natürlich sind unsere heutigen Probleme komplexer und größer dimensioniert als zu Lists Zeiten. Aber diese Ideen sind immer noch aktuell und von zeitloser Gültigkeit. Wenn wir unser kapitalistisches System nicht in Richtung „Soziale Marktwirtschaft“ möglichst rasch und durchgreifend reformieren, werden wir unsere Welt an die Wand fahren oder in den Abgrund stürzen. Dazu sollte die globale CoronaKatastrophe allen Ökonomen und Politikern weltweit die Augen geöffnet haben und eine unübersehbare, nachhaltige Mahnung mit auf den Weg geben! Deswegen ist Friedrich List heute so wertvoll, wie eh und je. Flávio dos Santos Oliveira

Teil I: .Bedeutende Bekanntschaften aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

Vorwort

Anlässlich des 200. Geburtstages von Friedrich List im Jahre 1989 hatte ich die Absicht, in der ListForschung neue Akzente zu setzen. Wenn man die wenigen Publikationen betrachtete, die nach dem II. Weltkrieg zu diesem Thema in der Bundesrepublik und in der DDR erschienen sind, so musste man feststellen, dass die verdienstvollen Bemühungen der früheren „Friedrich-List-Gesellschaft (FLG)“ kaum Früchte getragen haben. Die Gesamtausgabe der Schriften/Reden/Briefe, die 1935 sozusagen in letzter Minute zum Abschluss gebracht werden konnte, hat kaum nennenswerte Beachtung gefunden und schon gar nicht die ListForschung beflügelt. Bedeutende Ausnahmen mit der Entdeckung von neuen Quellen und Erkenntnissen waren das Buch von Paul Gehring über die „Jugend- und Reifejahre von Friedrich List“ (1964) sowie die Dokumentation von Günter Moltmann „Aufbruch nach Amerika“ (1979) über die Auswandererbefragung von Friedrich List. Ich selbst hatte mich bemüht mit meinen Dissertationen über „Das betriebswirtschaftliche Gedankengebäude von Friedrich List – Ein Beitrag zur Betriebswirtschaftslehre“ (1977) und „Das Schweizer Exil von Friedrich List und sein Meinungsbild über die Eidgenossenschaft“ (1984) wissenschaftliches Neuland zu betreten. In der DDR sind damals übrigens mehr Schriften über List erschienen als in der Bundesrepublik. Allerdings waren diese Werke mehr oder weniger stark ideologisch gefärbt. Sie konzentrierten sich vor allem auf Lists Wirken als Eisenbahnpionier und die Rezeption seiner Ideen durch Karl Marx und Friedrich Engels. Zum Jubiläumsjahr schwebte mir vor, die internationale List-Rezeption in den Focus zu nehmen und zu untersuchen, wo und in welcher Weise die Ideen von Friedrich List im Ausland ihren Niederschlag gefunden haben. Dieses Unterfangen hat sich als Herkulesaufgabe erwiesen, der ich damals nicht gewachsen war. Von den unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche diesem Vorhaben entgegenstanden, kann man sich heute kaum noch eine Vorstellung machen. Der eiserne Vorhang war so dicht, dass es praktisch unmöglich war, mit osteuropäischen Wissenschaftlern in Kontakt zu treten und von dort irgendwelche Quellen zu bekommen, von den Übersetzungsproblemen ganz zu schweigen. Es gab noch kein Internet und noch nicht einmal eine Faxverbindung; selbst zu westeuropäischen Wissenschaftlern und fachkundigen Spezialisten in anderen Kon9

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

tinenten war es schwierig, Kontakte zu knüpfen. Die damalige Spurensuche war extrem mühsam und zweitaufwendig. Außerdem standen mir weder Forschungsmittel, noch wissenschaftliche Hilfskräfte oder eine Sekretärin zur Verfügung. So dauerte es z.B. über ein Jahr, bis ich ein Porträt von Petre Aurelian von der rumänischen Akademie der Wissenschaften über die rumänische Botschaft oder die Fotokopie von einem Marx-Autograph vom Institut für MarxismusLeninismus der KPdSU in Moskau über die sowjetische Botschaft bekommen habe. Selbst mit Kollegen in der DDR war es unmöglich, einen Meinungsaustausch zu pflegen. Wenn ich Übersetzungshilfen benötigte, musste ich Studenten finden, die mir halfen und manchmal von ihren Studienaufenthalten auch die gewünschten Fotokopien mitbrachten. Angesichts dieser riesigen Hürden musste ich, um mein Vorhaben noch einigermaßen zu retten, unter dem gegebenen Termindruck die ursprüngliche Konzeption quasi in letzter Minute ändern. Ich begnügte mich mit ca. 20 berühmten Politikern und Staatsmännern des In- und Auslandes, um an deren Beispiel deutlich zu machen, wie diese Lists Ideen umgesetzt und gewürdigt haben. Außerdem war mir schon damals wichtig, deutlich zu machen, dass die List-Rezeption in Japan, aber auch in Indien deutliche Spuren hinterlassen hat und konnte dafür die in ihren Ländern renommierten Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Noboru Kobayashi und Prof. P.R. Brahmananda für entsprechende Beiträge gewinnen. Da zur damaligen Zeit die Themen „Europa“ und „Europäische Union“ im Brennpunkt der politischen Diskussion standen, wollte ich auch darauf hinweisen, welche Visionen Friedrich List in Bezug auf die europäische Integration hatte. Diese in der List-Forschung neuen Ansätze habe ich in meinem Buch: „Friedrich List – Politische Wirkungsgeschichte des Vordenkers der europäischen Integration“ zusammengefasst. Leider ist dieses Buch nicht nur unter großen Geburtswehen und gewaltigem Zeitdruck entstanden, sondern ich erlebte zu dieser Zeit auch einen tiefen physischen und psychischen Einbruch, den man heute als „Burn-out“ bezeichnen würde. Deshalb wurde auch das Lektorat sehr oberflächlich durchgeführt, was mich bis zum heutigen Tag ärgert. Obgleich es aus meiner Sicht eigentlich einen wichtigen Beitrag zur List-Forschung darstellt, war und bin ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Aber es war immerhin ein Versuch, Holzpfähle in ein bisher brach liegendes sumpfiges Terrain einzurammen, auf denen ich dann in der Zukunft aufbauen konnte. Erst nach dem Fall der Mauer war es möglich, ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern aufzubauen bzw. neue Quellen aus dem Ausland zu beschaffen, sodass es möglich wurde, die List-Rezeption in allen europäischen Ländern von Finnland bis Portugal und von Irland bis zur Türkei zu erfassen und in einem Gesamtwerk darzustellen. In der Zwischenzeit sind 30 Jahre vergangen. Ich habe unermüdlich weiter geforscht und unzählige neue Quellen zusammengetragen. Dabei war es oft nicht

Teil I: .Aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

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einfach, einen Verlag für die Drucklegung eines neuen Manuskripts zu finden und die stets verlangten Druckkostenzuschüsse zu finanzieren. Aber seit 2013 habe ich das große Glück, dass ich bei dem renommierten Wissenschaftsverlag SpringerGabler meine Forschungsergebnisse veröffentlichen darf, nicht mehr um die Veröffentlichung meiner Manuskripte betteln und keinen Druckkostenzuschuss beisteuern muss. Dieses Geschenk des Himmels verdanke ich drei Damen, die mich beim Verlag wohlwollend betreut haben: Frau Stefanie Brich, Frau Annika Hoischen und Frau Dr. Isabella Hanser. In dieser Zeit ist eine Reihe von acht und mit dem vorliegenden Buch von neun Bänden entstanden, die es mir ermöglicht haben, im Sinne der verdienstvollen Arbeiten der Herausgeber der Gesamtausgabe, die List-Forschung fortzusetzen, in der Hoffnung, dass Friedrich List als Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft und bedeutender deutscher Klassiker der Politischen Ökonomie wiederentdeckt wird und eine Renaissance erfährt. Mit diesem Buch soll noch einmal deutlich werden, wie es List, obgleich er kein politisches Amt bekleidet hat und nur als Privatperson in Erscheinung treten konnte, gelungen ist, zu den führenden Politikern, Staatsmännern, Dichtern und Künstlern seiner Zeit persönliche Kontakte zu knüpfen, die deutlich machen, wie er einerseits hoch geschätzt und geachtet und andererseits als Staatsfeind geschmäht und verachtet wurde. Dabei gehe ich nicht nur über das Personenspektrum von 1989 deutlich hinaus, sondern versuche auch die damaligen Porträts durch neue Quellen weitaus umfassender, schärfer und präziser zu konturieren. Lists erste Zeitschrift war das von ihm im Juli 1815 gegründete „Württembergische Archiv“. Das erste Heft trägt auf dem Titelblatt folgendes Motto: „Wer den besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten!“ Es sei dahingestellt, ob List den „Besten seiner Zeit genug getan hat“. Auf jeden Fall war er mit einer Vielzahl von bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit persönlich oder durch Briefkontakt bekannt. Die meisten sind heute mehr oder weniger stark in Vergessenheit geraten. Einige davon sind jedoch historische Berühmtheiten geworden, die auch heute noch bekannt und in Erinnerung geblieben sind. Aber auf jeden Fall hat sich List bemüht, vor allem Deutschland und seinem „Adoptivvaterland“ – den Vereinigten Staaten von Amerika – nach besten Kräften zu dienen. Insofern hätte er es verdient, auch im 21. Jahrhundert nicht vergessen zu werden und das nicht nur aus rückwärtsgewandter Nostalgie, sondern wegen seiner visionären Weitsicht, die auch heute noch als Vorbild und kreative Anregung dienen kann und, weil unser kapitalistisches System in einer globalen Krise steckt und neue Denkanstöße braucht. Ich greife nicht zu hoch, wenn ich die These vertrete, dass die Devise von Friedrich List „Durch Wohlstand zur Freiheit“, sorgfältig durchdacht und richtig verstanden, eine Art Weltformel bildet, die zu einer gerechteren, nachhaltigeren, liberaleren und klimafreundlichen Welt beitragen könnte.

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

Am 30. November 2021 darf an den 175. Todestag von Friedrich List erinnert werden. Dann sind es genau 50 Jahre her, dass ich anlässlich seines 125. Todestages meinen ersten Zeitungsartikel über List im „Reutlinger General-Anzeiger“ publiziert habe. Für die Drucklegung dieses Buches möchte ich mich bei Frau Corina Reibold für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und für das Geleitwort, bei dem zum Freund gewordenen brasilianischen Kollegen Prof. Dr. Flávio dos Santos Oliveira ganz herzlich bedanken. Ich wünsche ihm, dass er seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz durch eine finanzielle Förderung in einem für ihn sehr schwierigen Umfeld fortsetzen kann. Besonders dankbar bin ich auch jetzt wieder meinem Freund Fritz Keppler, der mir unschätzbare Hilfe angedeihen lässt und auch dieses Manuskript in seiner unverwechselbaren Handschrift in einen ansprechenden Satz umgewandelt hat. Ohne dessen verlässliche Unterstützung hätte ich die Schriftenreihe bei SpringerGabler niemals herausgeben können. Eugen Wendler

Teil I: .Bedeutende Bekanntschaften aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

Inhaltsverzeichnis

Begegnungen von Friedrich List mit berühmten Zeitzeugen Geleitwort von Prof. Dr. Flávio dos Santos Oliveira

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Vorwort

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Teil I: Begegnungen aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

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1. Karl August v. Wangenheim (1773-1850), württembergischer Politiker und Staatsmann

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2. Karl Friedrich Freiherr v. Kerner (1775-1840), württembergischer General und „Reformminister“

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3. Wilhelm I (1781-1864), von 1806 bis 1864 König von Württemberg

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4. Franz I von Österreich (1768-1835), Kaiser von Österreich und Kaiser Franz II des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation bis 1806 32 5. Clemens Lothar Wenzel Fürst v. Metternich (1773-1859), österreichischer Haus-, Hof- und Staatskanzler

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6. Johann Friedrich Freiherr Cotta v. Cottendorf (1764-1832), der bedeutendste Verleger und Buchhändler der deutschen Klassik

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7. Justinus Kerner (1786-1862), schwäbischer Arzt, Dichter und Schriftsteller

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8. Ludwig Uhland (1787-1861), Jurist, Sprachforscher, Dichter und Politiker

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9. Johannes Herzog von Effingen (1773-1840), eidgenössischer Unternehmer, Politiker und Diplomat

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Teil II: Begegnungen aus der Zeit des amerikanischen Exils 1. Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette (1757-1834), französisch-amerikanischer General und Politiker 2. Henry Clay (1777-1852), amerikanischer Politiker, Außenminister und mehrfacher Bewerber um das Präsidentenamt 3. Andrew Jackson (1767-1845), General und von 1829 bis 1837 7. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

4. Martin Van Buren (1782-1862), Außenminister und von 1837 bis 1841 8. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika

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5. William Harrison (1773-1841), Generealmajor und 1841 für einen Monat 9. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika

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6. John Tyler (179.0-1862), von 1841 bis 1845 10. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika

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Teil III: Begegnungen aus der Zeit nach dem amerikanischen Exil 1. Carl v. Rotteck (1775-1840) und Karl Theodor Welcker (1790-1869), liberale Professoren und Politiker

85

2. Clara Schumann, geb. Wieck (1819-1896), gefeierte Pianistin und Komponistin

92

3. Leopold I (1790-1865), ab 1851 König von Belgien

98

4. Louis Philippe (1773-1850), von 1830 bis 1848 König der Franzosen

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5. Franz Liszt (1811-1886), berühmter Pianist und Komponist

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6. Heinrich Heine (1797-1856), einer der bedeutendsten deutschen Dichter, Schriftsteller und Journalisten im 19. Jahrhundert

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7. Louis Adolphe Thiers (1797-1877), einer der bedeutendsten französischen Staatsmänner im 19. Jahrhundert

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8. Georg Graf v. Cancrin (1774-1845), deutsch-russischer General und Finanzminister

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9. Johann Georg Cotta v. Cottendorf (1796-1863), einer der bedeutendsten deutschen Verleger im 19. Jahrhundert

119

10. Lajos (Ludwig) Kossuth (1802-1894), Anführer des ungarischen Unabhängigkeitskampfes gegen die Donaumonarchie

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11. Albert v. Sachsen-Coburg und Gotha (1819-1861), ab 1840 Gemahl und ab 1857 Prinzgemahl von Königin Victoria von England

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12 Ludwig I (1786-1868), von 1825 bis 1848 König von Bayern

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Quellenverzeichnis

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Teil I: .Bedeutende Bekanntschaften aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

Teil I. Begegnungen aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

1. Karl August Freiherr v. Wangenheim (1773-1850), württembergischer Staatsmann Der frühere Staatsminister Karl Moersch hat 1996 ein Buch mit dem Titel: „Sperrige Landsleute – Wilhelm I und der Weg zum modernen Württemberg“ veröffentlicht.1 Darin erwähnt der FDP-Politiker u.a. Karl August Freiherr v. Wangenheim als „einflussreichen, allem Neuen aufgeschlossenen Ratgeber des württembergischen Monarchen, der einem alten thüringischen Adelsgeschlecht entstammte und 1773 in Gotha geboren wurde. In Jena und Erlangen studierte er Rechtswissenschaft und evangelische Theologie. Anschließend trat er in die Regierung von Coburg-Saalfeld ein und avancierte dort zum Vizepräsidenten. Wegen politischer Differenzen mit einem Minister musste er diesen Posten räumen und um seine Entlassung nachsuchen. Familienangelegenheiten mit dem württembergischen Königshaus führten ihn 1806 nach Stuttgart, wo er von König Friedrich wahrgenommen und mit verschiedenen Führungspositionen betraut wurde. Zunächst wurde er Präsident des Finanzdepartements, dann Regierungspräsident und schließlich Präsident des Obertribunals und ab 1811 Kurator der Landesuniversität in Tübingen; – zur selben Zeit als der kommissarische Oberamtsaktuar Friedrich List dort als Gasthörer und stud. jur. juristische und kameralistische Vorlesungen besuchte. Wangenheim wird von Paul Gehring als „brillante geistige Persönlichkeit“ bezeichnet, der ein „Freund der Wissenschaften und des regen geselligen Verkehrs“ gewesen sei.2 Der später berühmte Staatsrechtler Robert v. Mohl, der ebenfalls als Student Wangenheim kennen und schätzen gelernt hat, beschreibt ihn in seinen Erinnerungen als einen Mann mit ungewöhnlicher Bildung, der zudem ein außergewöhnliches Maß an Scharfsinn, Fantasie, Initiative, Beredsamkeit und Leichtigkeit bei der Arbeit besessen habe. Er habe sehr fleißig gearbeitet und seine Berichte und politischen Ratschläge seien stets einwandfrei und unbestechlich gewesen. Heinz Autenrieth charakterisiert den Freiherrn als einen „Edelmann von hohem © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Wendler, Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31448-4_1

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

Rang, der über ein universelles Wissen und eine scharfsinnige Urteilskraft verfügte und durch seinen gepflegten Lebensstil in jeder erlesenen Gesellschaft der Mittelpunkt gewesen sei. Andererseits werden Wangenheim aber auch negative Eigenschaften nachgesagt. Er sei undiplomatisch und unvorsichtig gewesen, vor allem, wenn er sich in weinseliger Runde lautstark äußerte und seine Meinung vertrat, mit der er nicht hinter dem Berg gehalten habe. Er sei mitunter überheblich gewesen und habe wegen seines Liberalismus als revolutionär gegolten. Diese Charakterisierung deckt sich in hohem Maße mit der Persönlichkeit von Friedrich List. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass zwischen beiden die Chemie stimmte und Wangenheim Lists Ideen aufgegriffen und so weit als möglich unterstützt und realisiert hat.3 Das Wohnhaus des Kurators, wahrscheinlich das Kanzlerhaus in der Münzgasse, wurde bald zum geselligen Treffpunkt der Professoren- und Studentenschaft. In dieser Zeit schwankte die Zahl der Studenten in den vier klassischen Fakultäten Philosophie, Theologie, Medizin und Rechtswissenschaft zwischen 230 und 300, wobei es lediglich zwischen 30 und 50 Jurastudenten gegeben hat. Angesichts dieser überschaubaren Zahl ist es nicht verwunderlich, dass der aufgeweckte Studiosus Friedrich List in den Focus von Wangenheim geriet und mit diesem freundschaftlich verkehrte. In den Jahren von 1815 bis 1817 herrschte in Württemberg ein Verfassungskonflikt, in dem sich der König und die einflussreichen Stände gegenseitig bekämpften und um eine, den Errungenschaften der französischen Revolution entsprechende Verfassung gerungen haben. In diesen Verfassungskonflikt haben sich sowohl Wangenheim als auch List eingeschaltet und ihre Vorstellungen und Forderungen publizistisch dargelegt. Dabei ist vor allem auf ein gemeinsames Merkmal hinzuweisen. Wangenheim verspottete seine politischen Gegner als „Schreiber“ und entsprach damit der grundsätzlichen Kritik, die Friedrich List an seinem eigenen Berufsstand äußerte. Am 30. Oktober 1816 ist Friedrich, der erste württembergische König, verstorben. Als Nachfolger bestieg sein Sohn, König Wilhelm I, den Thron. Im Gegensatz zu seinem Vater, der als absolutistischer Monarch das Szepter führte, gilt sein Nachfolger als aufgeklärter Monarch, der unmittelbar nach seinem Amtsantritt auf mehreren Gebieten eine Reihe von Reformen in Angriff genommen hat, die sich segensreich auf die Entwicklung Württembergs vom armen Agrarland zum Industrieland ausgewirkt haben. Bereits eine Woche nach Amtsantritt besetzte der junge König die Schlüsselministerien Kultus und Innen mit dem sog. Reformministerium Wangenheim-Kerner, das allerdings nur ein knappes Jahr im Amt war. Wangenheim erhielt das Kirchen- und Schulressort und Kerner das Innenministerium.4 Ihre Regierungszeit ist durch zwei einschneidende Vorgänge und Ereignisse geprägt, die auch im Lebensweg von Friedrich List von schicksalhafter Bedeutung waren. Das erste Ereignis betrifft die Hungerjahre von 1811 bis 1817. Damals herrschten in ganz Europa, aber vor allem im deutschen Südwesten und in der

Teil I: .Aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

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Und fällt der Bursche durchs Examen, so schert er sich den Teufel drum; Er reiset doch in Gottes Namen, kommt in der ganzen Welt herum. Eidgenossenschaft, Hungersnöte fast mittelalterlichen Ausmaßes, weshalb sehr viele Untertanen ihre Heimat verlassen haben und in die Vereinigten Staaten ausgewandert sind. Kurz zuvor war Friedrich List von Wangenheims Amtsvorgänger, dem Karlsschüler und Grafen Karl v. Reischach als Rechnungsrat in das württembergische Innenministerium berufen worden. Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung interessierte sich der König für die Gründe, weshalb so viele seiner Untertanen im Begriff waren, ihre Heimat zu verlassen und in die Neue Welt auszuwandern. Die Auswanderer versammelten sich im Hafen von Heilbronn, wo der Neckar schiffbar war. Von dort aus ging es Neckar und Rhein abwärts mit bangem Hoffen in die USA. Auf Anweisung des Königs erhielt List den Auftrag, er solle sich zum 1. Mai 1817 nach Heilbronn, Weinsberg und Neckarsulm begeben und dort die Auswanderer nach ihren Gründen befragen. Er hat damals etwa 210 Auswanderer interviewt, die etwa 7 bis 800 auswanderungswillige Familienangehörige und Freunde repräsentiert haben und wenige Tage später, die Ergebnisse in einem umfangreichen Gutachten an König Wilhelm I dargelegt. Man kann sagen, dass dies die älteste demoskopische Untersuchung in der Welt ist und damit die Meinungsforschung ihren Anfang genommen hat.5 Unter dem Eindruck dieser Befragung und den darin zum Ausdruck gekommenen Missständen in Wirtschaft und Verwaltung des Königreichs Württemberg hat sich List an den Kultusminister gewandt und mit ihm den Vorschlag zur Errichtung einer staatswirtschaftlichen Fakultät an der Universität Tübingen erörtert. In diesem Studiengang sollten Studierende eine qualifizierte Ausbildung erhalten, um sie nach Abschluss des Studiums zu befähigen, leitende Positionen im württembergischen Staatsdienst zu erlangen und mit entsprechender Sachkenntnis dazu beizutragen, aus dem bitterarmen Agrarsaat Württemberg einen fortschritt-

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

lichen Industriestaat zu machen. Diese Idee deckte sich mit den Vorstellungen von Wangenheim. Deshalb war dieser sofort bereit, sich beim König für die Gründung der neuen Fakultät einzusetzen und empfahl gleichzeitig seinen Schützling als einen von drei Professoren, die in diese Fakultät berufen werden sollten. Er kenne nur Einen, den er für diese Stelle vorschlagen könne und der dafür geschaffen sei, weil dieser alle Eigenschaften besitze, um mit Ehre dieser vorzustehen. Es handle sich um den Rechnungsrat List, der früher die Schreiber-Laufbahn absolviert, danach Jura studiert und bei mehreren von der Regierung in Auftrag gegebenen Geschäften nicht nur sein praktisches Talent, sondern auch seine staatswissenschaftlichen Kenntnisse erprobt und bewiesen habe. Aufgrund seines regen und lebendigen Strebens sei er dafür geeignet, die Vorurteile und den Schlendrian in der Administration des Königreichs Württemberg „aufzuscheuchen“, bei seinen Zuhörern ein lebhaftes Interesse für die Verwaltungspraxis zu wecken und die Staatsämter, wie sie aktuell sind und ihrem Zwecke nach sein sollten, theoretisch und praktisch zu lehren.6 Der König war bereit, diese Initiative zu unterstützen und so entstand zum Winter-Semester 1817/18 die Staatswirtschaftliche Fakultät in Tübingen als erste kontinuierlich bestehende wirtschaftswissenschaftliche Fakultät an einer deutschen Universität. Und List wurde, wie es der Minister wünschte, auf einen der ersten drei Lehrstühle berufen. Das andere historische Ereignis war die Machtübernahme des habsburgischen Haus-, Hof- und Staatskanzlers v. Metternich, der damals zum einflussreichsten und mächtigsten Staatsmann in Europa avancierte und mit seiner Restaurationspolitik alle reformerischen Bestrebungen im Keim erstickte. Metternichs langer Arm reichte auch bis Württemberg und er verfolgte argwöhnisch die Bemühungen des Reformministeriums Wangenheim-Kerner. Gleichzeitig büßte Wangenheim unter dem Eindruck des Verfassungskonflikts seine Popularität ein. Dabei standen sich die sog. Altrechtler, die ein Staatswesen mit der altwürttembergischen Ständeverfassung befürworteten und die „Neurechtler“, die sich für eine nach französischem Vorbild konzipierten Verfassung mit Gewaltenteilung einsetzten, unversöhnlich gegenüber. Als Anhänger der „Altrechtler“ einen Anschlag auf Wangenheims Wohnung verübten und Fenster einschlugen, gab der Freiherr sein Ministeramt auf und wurde von König Wilhelm I als württembergischer Diplomat zum Bundestag in Frankfurt – der losen Interessenvertretung der deutschen Territorialstaaten im Deutschen Bund - abkommandiert. Diese Demission erfolgte vor allem auf Druck von Metternich. In der Zeit vom November 1817 bis zum Juli 1823 vertrat v. Wangenheim das Königreich als Gesandter in Frankfurt. Dabei verfolgt er im Auftrag des Königs die sog. Triasidee; – eine Aufgabe, die er in freiem Ermessen wahrgenommen hat und deswegen zu einem zweiten württembergischen Außenminister wurde. Die Triasidee besagte, dass die kleineren Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes gegenüber Preußen und der Habsburger Monarchie eine dritte Kraft bilden und

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eigene Interessen verfolgen sollten.7 Dadurch geriet v. Wangenheim zwangsläufig bei Metternich in Misskredit. Hinzukommt, dass dieser auch an der liberalen Verfassung von Württemberg, die im September 1819 in Kraft trat, maßgeblich beteiligt war. Über Wangenheims Ansehen als Mitglied des Bundestages schreibt Friedrich Wintterlin in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“: Seine angenehmen gesellschaftlichen Formen und seine vielseitigen Interessen verschafften ihm in den Frankfurter Kreisen viele Freunde. Durch sein entschlossenes Auftreten habe er der Metternich`schen Restaurationspolitik mehrere Jahre lang tapferen Widerstand geleistet. Allerdings unternahm er dabei auch nicht abgestimmte Alleingänge, die von anderen Gesandten und Regierungen mehr oder weniger stark kritisiert wurden. Der Freiherr bemühte sich auch um das Zustandekommen einer Zollunion, wobei er zwischen den Anhängern des Freihandels im Rheinland und den Anhängern von Schutzzöllen in Bayern zu vermitteln suchte. Dabei stand er mit Friedrich List in engem Kontakt und Meinungsaustausch, was sich schon daraus ersehen lässt, dass List seine am 20. April 1819 vorgelegte Denkschrift an den Bundestag zur Abschaffung der Binnenzölle in Deutschland dem Freiherrn direkt übermittelte und ihn über die spontane Gründung des Handels- und Gewerbsvereins informierte.8 Allerdings hat sich kurz zuvor mit der am 23. März 1819 mit der Ermordung des russischen Staatsrats und Lustspieldichters August v. Kotzebue in Mannheim durch den Studenten Karl Sand, ein Attentat von außerordentlicher politischer Tragweite, ereignet. Als Folge davon wurden unter der Federführung von Metternich die Karlsbader Beschlüsse erlassen und die sog. Demagogenverfolgung eingeleitet, die v. Wangenheim in immer stärkere Bedrängnis brachte. List hat v. Wangenheim auch seinen Plan zur Durchführung einer Industrieausstellung zukommen lassen und am 13.4.1820 dazu vermerkt: „Wangenheim ist über die Industrieausstellung mit mir gleicher Meinung. Er hat mir über diesen Punkt etwas sehr Wichtiges von dem großen griechischen Politiker Kapodistrias gesagt, was dieser in Karlsbad äußerte.“ Joannis Kapodistrias (1776-1861) war das erste Staatsoberhaupt Griechenlands nach dessen Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Am 22.8.1820 teilte List seiner Frau Karoline mit: „Gestern und heute machte ich frischweg alle Besuche bei Herrn v. Wangenheim usw. Herr v. Wangenheim war sehr erfreut, mich zu sehen und schon haben wir unsere Angelegenheit durch und durch beraten. Seine Gesinnungen und sein Eifer bürgen für einen glänzenden Ausgang.“ Die ganze Zeit wurden beide vom österreichischen Geheimdienst beobachtet und der habsburgische Gesandte beim Deutschen Bundestag, Freiherr v. Handel, berichtete am 30.8. und 21.9.1820 an Metternich: „Freiherr v. Wangenheim hat mit dem berüchtigten Professor List, welcher sich seit einigen Tagen hier (d.h. in Darmstadt bei der Zollkonferenz) aufhält, bereits einen Plan ausgearbeitet, wonach das bayerische Mautsystem adoptiert, die Douanen an die Grenzen

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der verbündeten Staaten verlegt und diese Douanen an einen Verein deutscher Kaufleute verpachtet werden sollen. Der Herr Professor als Konsulent des Vereins wohnte hier im Hause mit und unter den Gesandten, machte diesen aber mit Ausnahme von Herrn v. Wangenheim keine Aufwartung. Der Graf v. Beust sagte uns: ,Gestern lernte ich am Tisch den Konsulenten, Herrn List, kennen. Er ist ein genialer feuriger Kopf‘. Freiherr v. Wangenheim hat zuerst viel und häufig mit List und Konsorten zunächst in Frankfurt und später in Darmstadt konferiert, hat sich von ihnen große Pläne ausarbeiten lassen und ist auf ihre Ansichten eingegangen. Er hat sich nicht nur mit ihnen in ein- und dasselbe Gasthaus in Darmstadt einquartiert und alle übrigen zu diesem Geschäft bevollmächtigten Bundesgesandten beredet, ebenfalls allda zu wohnen und in dieser Gesellschaft täglich am Wirtstische zu essen, sondern er hat es überhaupt an gar keinem Mittel ermangeln lassen, jene Männer, deren Tendenz bald weltkundig ist, in dieses Geschäft und in die Intimität der übrigen Bevollmächtigten zu ziehen. Prof. List ist alsbald nach Tübingen abgereist, jedoch, um von Stuttgart aus das Feuer wieder anzufachen.“ Die räumliche Nähe und „Intimität“ zwischen List und den damaligen Bundesgesandten in Darmstadt fand bei seinem Freund und Mitstreiter Ernst Weber keine ungeteilte Zustimmung. Am 23.10.1820 lässt er ihn wissen: „Es gewinnt ein besseres Ansehen und gibt unseren Vorschlägen mehr Gewicht, wenn man uns aufsucht und sie uns auffordern, als wenn wir uns diesen Herren gleichsam aufdrängen und sie umlagern. Auch möchte es besser sein, nicht mehr mit den Gesandten an einer Tafel zu speisen und mit ihnen im selben Haus zu wohnen. Dies könne den Eindruck erwecken, als wollte man zu diesen diplomatischen Kreisen zählen oder deren Sekretäre aushorchen und belauschen. Je weniger aufdringlich wir erscheinen und je mehr wir uns mit männlicher Bescheidenheit zurückhalten, mit desto mehr Achtung werde man uns behandeln. Man sollte auch vermeiden, sich ,Deputierte‘ zu nennen. Stattdessen empfehle er eine bescheidene Zurückhaltung.“ In einem anderen Schreiben vom 9.11.1820 warnte Weber seinen Freund vor den Intrigen, die von allen Seiten gegen die Absichten des Handels- und Gewerbsvereins gesponnen und in Umlauf gesetzt werden. Die nachhaltige Opposition gegenüber dem österreichischen Staatskanzler führte schließlich dazu, dass Metternich im Juli 1823 die Abberufung Wangenheims forderte, der sich bald darauf König Wilhelm I beugte und der Forderung stattgegeben hat. Nach seiner Entlassung verlegte Wangenheim seinen Wohnsitz nach Dresden und Coburg. Dort verfolgte er zwar das politische Geschehen in Deutschland mit reger Aufmerksamkeit, betätigte sich als Schriftsteller und Autor, ohne jedoch ein politisches Amt auszuüben. Im Jahre 1826 hat List in einem psychologisch tiefgründigen Briefentwurf sein Verhältnis zu Wangenheim so dargestellt: „Vielleicht im Widerspruch mit den meisten meiner Landsleute habe ich immer den Menschen höher in Ihnen geachtet, als den Minister. Daher ist auch meine Achtung und Liebe für Sie immer in

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dem Maße gewachsen, in welchem Ihr Einfluss und also Ihr Ansehen in der württembergischen Welt gefallen ist. Sie haben hinlängliche Gelegenheit gehabt, diese Welt kennenzulernen, im Ganzen und im Einzelnen. Sie haben seit 10 Jahren meine Gesinnungen und mein Streben beobachtet, da Sie mein Gönner waren, bis jetzt, wo ich als verbannter Plebejer an den verbannten Patrizier schreibe. Ich schmeichle mir, in Ihrer Achtung jetzt ungleich höher zu stehen als damals, da Sie die Gewalt in Händen hatten. Ja, ich bin so stolz zu glauben, dass unsere Schicksale, die Übereinstimmung unserer Grundsätze, unserer Gesinnungen und unseres Strebens mich berechtigen, Sie meinen Freund zu nennen. Wenigstens habe ich schon seit Sie Württemberg verließen, seitdem also das Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Untergebenem aufgehört hat, an Ihnen gehandelt, wie ein Freund am Freund, nicht wie ein Geringerer am Vornehmen oder wie ein Bürgerlicher am Freiherrn. Wenn ich Ihnen inzwischen meine Gesinnungen und Handlungsweisen nicht vorgerechnet habe, um meine Ansprüche bei Ihnen geltend zu machen, so glaube ich damit neue Ansprüche auf Ihre Achtung zu begründen. Jetzt, da ich offen mit Ihnen spreche, weil kein Band des Zartgefühls mehr meine Zunge bindet, will ich Ihnen auch nicht vorenthalten, dass mein Eifer für Ihre Person den ersten Grund zum Groll gegen mich in dem Herzen des Königs gelegt zu haben scheint. Als ich nach der Stiftung des Handelsvereins nach Stuttgart zurückgekehrt war, herrschte die Meinung im Kabinett, wie in der Kanzlei, Sie seien der Anstifter dieser Verbindung und ich hätte Ihnen bloß zum Instrument gedient. Es schien, als sei man sehr erfreut, Waffen gegen Sie in die Hand zu bekommen und ich wurde aufgefordert, mich zu verantworten, wer mich zu diesen Schritten bewogen habe. (…) Nicht bloß habe ich jenes Gerücht mit Stillschweigen übergangen, sondern es geradezu Lügen gestraft.“9 Auch nach seiner Auswanderung in die USA und der Rückkehr nach Europa ist der freundschaftliche Kontakt zwischen Friedrich List und Karl August v. Wangenheim nicht abgebrochen. Dies beweist ein Brief Wangenheims an List vom 10.2.1841. Dieser hatte ihm sein Manuskript zum „Nationalen System“ zur Begutachtung zugleitet und folgende Antwort erhalten: „Hochgeehrter Herr und Freund, Ich danke Ihnen herzlich für die Mitteilung desjenigen Teils Ihres Werkes, den ich noch nicht im Manuskript gelesen habe. Er hat meiner hochgespannten Erwartung vollkommen entsprochen. Die historische Entwicklung ist so trefflich, als die darauf gegründete Polemik gegen das kosmopolitische System, sofern es Anspruch macht, in der Jetztzeit schon ins Leben treten zu können. Ihr Erfolg scheint mir ein ganz gesicherter, nicht nur für Ihre Zukunft, sondern und viel mehr noch für das Wohl unseres lieben deutschen Vaterlandes. Um es in die Welt einführen zu können, braucht es nur eine gewissenhafte Analyse; diese wird ohne die recommandierende Lobposaune eines Rezensenten, der mehr sein will, als ein Referent, sattsam gefallen. Dass aber eine solche Analyse sofort beim Erscheinen der

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Schrift in mehreren Blättern erscheinen müsste, damit bin ich ganz mit Ihnen einverstanden. Deswegen hätte ich freilich gerne die Bogen behalten, um mit der Arbeit sofort zu beginnen. Aber ich habe Ihrer Weisung umso lieber Folge geleistet und das Buch nach Leipzig geschickt, weil ich auf den Herrn Dr. Hermann Franke ein so großes Vertrauen setze und dieser wahrscheinlich noch mehr literarische Konnexion hat, als ich. Da Sie keine deutschen kosmopolitischen Systematiker direkt angegriffen haben und es schwer sein wird, gegen den Stachel Ihrer Logik zu löcken, so fürchte ich keine wissenschaftliche Opposition von dieser Seite, doch muss man sie im Auge behalten. Bei den Praktikern werden Sie ohnehin Eingang finden, da sie jetzt für ihre Routine eine Theorie bekommen. Aber was helfen Einsichten gegen den Mangel an Tatkraft oder auch gegen verwandtschaftliche Rücksichten der Regierenden. Man darf nur an die Hannoversche Frage und an die Verhandlungen mit dem Handelsvertrag mit Holland denken, um einiges Herzstechen zu spüren. Ihre Aufsätze in der Allgemeinen haben mir große Freude gemacht. Und der vom 9. Februar kam besonders rechtzeitig. Er hat mich, als ich ihn heute las, in Feuer und Flammen gesetzt. (…) Leben Sie wohl! Ganz der Ihrige Wangenheim.“10 In dieser wohlwollenden Stellungnahme zeigt sich noch einmal die geistige Haltung und kritische Lebenserfahrung sowie das sichere Urteilsvermögen, mit dem Wangenheim Lists Ideen hinsichtlich ihrer praktischen Bedeutung einzuschätzen vermochte. Dreieinhalb Jahre nach List Tod ist Karl August Freiherr v. Wangenheim am 19.7.1850 in Coburg gestorben.

2. Karl Friedrich Freiherr v. Kerner (1775-1840), württembergischer General und „Reformminister“ In der Zeit, in der Friedrich List als Rechnungsrat beim Innenministerium tätig war, leitete Karl Friedrich v. Kerner dieses Ressort und war somit Lists Dienstherr. Der 1775 in Ludwigsburg geborene Kerner besuchte die Hohe Karlsschule, weil er anschließend beim Militär Karriere machen wollte. Er nahm an den napoleonischen Kriegen an mehreren Kampfeinsätzen und Feldzügen teil, weil sich Württemberg im Rheinbund als Alliierter mit dem französischen Kaiser verbündet hatte. Bei diesen Einsätzen tat sich Kerner als mutiger und

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erfolgreicher Heerführer hervor, der dafür mit einer ganzen Reihe von Orden und Rangerhöhungen ausgezeichnet wurde. So bekam er den württembergischen Militärverdienstorden, der mit dem persönlichen, d.h. nicht vererbbaren Adel verbunden war. Er wurde zum Generealmajor befördert und leitete das württembergische Armeekorps im Russlandfeldzug Napoleons von 1812. Bei der Schlacht von Borodino wurde er schwer verwundet und konnte sich nur mit knapper Not mit wenigen anderen Heimkehrern in die Heimat durchschlagen. Dafür wurde er mit dem erblichen Freiherrenstand geehrt. Er erhielt das Kompturkreuz des Ordens der württembergischen Krone und wurde 1830 zum Ritter des Friedrich-Ordens geschlagen. Noch während der napoleonischen Kriege erwarb Kerner bei Esslingen ein großes Landgut, das er rasch zu einem landwirtschaftlichen Musterbetrieb ausbaute. Nach dem Ende der Militärzeit betätigte er sich in mehreren Orten Württembergs, vor allem in Wasseralfingen, als erfolgreicher Bergwerks- und Hüttendirektor. Durch kluge Rationalisierungsmaßnahmen, sorgfältige Auswahl und Ausbildung des Personals und die Anwendung neuer technischer Verfahren, gelang es ihm, das marode württembergische Hüttenwesen zu modernisieren. Neben dieser Funktion wurde er kurzzeitig in den „Geheimen Rat“ berufen und mit der Leitung des Innenressorts beauftragt, das er vom 26. Februar bis 10. November 1817 innehatte. Friedrich List bekannte sich dazu, dass er unter dem Reformministerium v. Wangenheim/v. Kerner gedient und unmittelbaren Anteil an den Arbeiten zur württembergischen Verfassungs- und Organisationsreform gehabt habe. Über seinen Dienstvorgesetzten schreibt er: Ein Mann saß im Geheimen Rat, der wusste, wo es im Land fehlt und wie Abhilfe zu schaffen sei. Dieser habe mit vielen Kenntnissen in Handel, Gewerbe und Ackerbau aufgeklärte Ansichten über den Staatsorganismus verbunden und einen hohen Grad an Bildung besessen. Dass ihm der König das Innenressort anvertraut habe, sei eine weise und vorsichtige Entscheidung gewesen. Die Herren von der Feder, also die Beamten, hätten nicht schlecht gestaunt, dass ein Militär an die Spitze des Ministeriums gestellt wurde. Aber in dieser Zeit hätte man in Schwaben noch keine Vorstellung gehabt, was ein Innenministerium eigentlich bezwecken soll. Seine Kritiker meinten witzelnd, Herr Kerner werde mit dem Säbel administrieren; sie ahnten nicht, dass sie damit gar nicht so falsch lagen.11 Andererseits fand List auch kritische Worte. Der Mann, der zwanzig Schlachten ohne zittern vor dem Feind geschlagen habe, hätte keinen politischen Mut gehabt. Er sei ganz leise aufgetreten und habe fast Furcht vor den eigenen Schreibern gehabt, die er mit einer einzigen entschlossenen Maßnahme auf sich hätte einschwören können. Stattdessen musste er erfahren, wie der Meister nach Osten und die Gehilfen nach Westen zogen und somit die Leitung des Ministeriums, anstatt dieses mit klarer Hand zu führen, wieder aufgeben. Baron Kerner, Exzellenz, Ritter und Träger des Großkreuzes verschiedener Orden habe auf diese Prädikate als ein Mann von Geist und plebejischer Herkunft keinen über-

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triebenen Wert gelegt. Das größte Unglück bei dem Reformministerium Wangenheim/Kerner sei es gewesen, dass die beiden eigentlich keine Freunde waren und ein böser Dämon ihre Projekte unaufhörlich konterkarierte, sodass sie sich in den Augen der „Altrechtler“ fast lächerlich machten, während man ihnen, wenn sie sich einig gewesen wären, kaum hätte widerstehen können. Am 29.4.1817 erhielt List vom Innenminister die Weisung, dass er sich auf ausdrücklichen Befehl des Königs zum 1. Mai nach Heilbronn, Weinsberg und Neckarsulm begeben müsse, um die dort versammelten Auswanderer nach ihren Gründen zu befragen und diese durch entsprechende Belehrung nach Möglichkeit von ihrem Vorhaben abbringen solle. Seine Majestät erwarte baldmöglichst einen Bericht. Bei seiner Befragung solle List keine weiteren Absichten des Königs verlauten lassen und den dortigen Beamten versichern, dass seine Untersuchung nicht gegen sie gerichtet sei.12 Wie bekannt, hat sich List dieser Aufgabe gewissenhaft unterzogen, auch wenn es ihm wahrscheinlich in keinem Fall gelungen ist, Auswanderer von ihrem Vorhaben abzuhalten. In einem 60 Druckseiten umfassenden Gutachten hat er seine Interviews protokolliert und kommentiert. Dabei handelt es sich, wie mehrfach dargelegt, um die älteste demoskopische Untersuchung in der Welt. Sowohl beim Minister als auch bei König Wilhelm I muss der Bericht auf Zufriedenheit gestoßen sein. Sonst hätte ihm nicht der Minister am 9. Juli 1817 den Auftrag erteilt, eine Revision der Gemeindeordnung, einschließlich der Gemeinde- und Oberamtswirtschaft, zu erarbeiten und so rasch als möglich mit dieser Aufgabe zu beginnen, was dann durch seine Berufung als Professor der Staatswirtschaft hinfällig geworden ist. Während seiner Haftzeit auf dem „Höllenberg“, wie List den Hohenasperg nannte, erinnerte er sich an seinen früheren Dienstherrn, indem er sich bei dessen Bruder Justinus nach dessen Befinden erkundigte: „was macht Euer Bruder, der Eisenminister? Immer noch Eisen und Stahl? Das ist schön. Wenn er einst sterben sollte, so muss man ihm eine kolossale Büste in Wasseralfingen aufstellen. Ich möchte ihn wohl noch einmal sehen vor dem Hinscheiden, aber ich fürchte einen Kriegsratspräsidenten bei ihm zu treffen, wie vor drei Jahren, wo er dann plötzlich seine Ministerphysiognomie hervorkehrte und mir mit einem „lieber Mann!“ den Abschied gab. Seitdem sei es noch viel gefährlicher geworden, einen Menschen seines Gelichts (d.h. seines Schlages) bei sich zu haben.13 Nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil versuchte List wieder in Württemberg Fuß zu fassen und wurde auch bei seinem früheren Dienstherrn vorstellig. Dieser, so schreibt er, habe ihn fast erdrückt und gejubelt: „Der List ist wieder da! Der List ist wieder da! Nun wird doch wieder ein bisschen Leben ins Land kommen. Sehen Sie: wie wunderbar – nach Amerika mussten Sie gehen, um uns die Eisenbahn zu bringen; nun müssen Sie bei uns bleiben; es wird sich alles machen.“14 Dieser Optimismus hat sich freilich nicht erfüllt. Karl Friedrich Freiherr v. Kerner ist 1840 in Stuttgart gestorben.

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3. Wilhelm I (1781-1864), von 1806 bis 1864 König von Württemberg Der zweite württembergische König wurde am 27.9.1781 in Lüben in Schlesien geboren, wo sein Vater, der „dicke Friedrich“, als preußischer Generalmajor stationiert war. Im Alter von 19 Jahren trat er als Freiwilliger unter Erzherzog Johann in das habsburgische Militär ein. Bei der Schlacht von Hohenlinden zeichnete er sich als mutiger Heerführer aus. Anschließend unternahm er eine ausgedehnte Reise nach Frankreich und Italien, ehe er von 1806 bis 1812 als württembergischer Kronprinz zurückgezogen in Stuttgart lebte. Als Kaiser Napoleon 1812 seinen Feldzug gegen Russland begann, musste sich der Kronprinz mit Rücksicht auf den Reichsdeputationshauptschluss und die Ernennung Württembergs zum Königreich wohl oder übel dem napoleonischen Heer anschließen und die Leitung des württembergischen Armeekorps übernehmen. In Vilnius erkrankte er jedoch lebensgefährlich, sodass er zurückbleiben musste und nicht am Russlandfeldzug teilenehmen konnte. Bei den anschließenden Befreiungskriegen leitete der Kronprinz das aus württembergischen, habsburgischen und russischen Regimentern bestehende 7. Armeekorps. Dabei legte er ein ausgezeichnetes Feldherrentalent an den Tag. Am 1. November 1816 bestieg Wilhelm I den Thron. Dabei erlangte er als aufgeklärter Monarch beim Volk Achtung und Wertschätzung. Er erließ eine Amnestie, mit der er die Lasten des Volkes erleichterte, begrenzte die Unsummen der Hofhaltung, bemühte sich um die Behebung der Hungersnot, gab Württemberg 1819 eine fortschrittliche Verfassung, widmete sich vor allem der Hebung der Landwirtschaft und der Pferdezucht und war keineswegs reaktionär eingestellt. Er war ein Anhänger der Triasidee, die sich vor allem gegen Preußen richtete und sich zu einem regelrechten Hass gegen den preußischen Machtanspruch entwickelte. Er hat sich mit Metternich arrangiert und war bestrebt, nichts zu unternehmen, was dem Staatskanzler missfallen und seinen Unmut auslösen könnte. In seinen letzten Lebensjahren hat König Wilhelm die Zügel in der Innenpolitik angezogen und wieder reaktionäre Züge angeschlagen. Er ist am 25.6.1864 auf Schloss Rosenstein bei Stuttgart gestorben. Es ist hinlänglich bekannt, dass König Wilhelm I und Metternich die beiden schärfsten Widersacher von List waren. Hier soll noch einmal in einem Kontext zusammengefasst werde, wie und weshalb es dazu kam.

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Nach der Übernahme der Regentschaft bildete der König seine Regierung, den sog. „Geheimen Rat“, dem zunächst die Reformminister Wangenheim und Kerner angehörten. Unmittelbar darauf richtete die Ständeversammlung eine Eingabe an den König wegen des unheilvollen Schreibereiunwesens. Aus der Tatsache, dass dies die erste Eingabe des Parlaments an den König war, erkennt man, wie dringlich dieses Problem angesehen wurde. Die Ständeversammlung forderte die Errichtung einer Kommission, die alsbald Vorschläge zur „radikalen“ Beseitigung dieses Übelstandes machen sollte. Drei Wochen später wurde diese Kommission nicht nur gebildet, sondern vermutlich auf Vorschlag von Wangenheim auch der Rechnungsrat List als „Aktuario“, d.h. als Protokollant in dieses Gremium berufen. List war in diesem Gremium nicht nur mit Abstand das jüngste Mitglied, sondern auch der einzige Nichtadlige.15 Zweifellos war diese Berufung für den 26jährigen eine große Ehre und einmalige Chance, sich darin als Youngster zu bewähren. Stattdessen war ihm jedoch die zugedachte Rolle als Protokollant von vornherein zuwider. Statt mit den anderen Kommissionsmitgliedern einvernehmlich zusammenzuarbeiten und sich unterzuordnen, bäumte er sich im sicheren Gefühl seiner Überlegenheit gegen diese, wie er es empfand, Zumutung auf und erlaubte sich geradezu ostentativ das, was die Räte – von ihrem Standpunkt aus berechtigt – als „Nachlässigkeit“ und „Eigenmächtigkeit“ empfanden. Dies kommentiert Paul Gehring mit den Worten: „Lists rücksichtsloser Wille zu geistiger Freiheit und sein kompromissloses Festhalten an den eigenen Ideen, ließ ihn blindlings eine einzigartige Chance, sich zu empfehlen, verspielen und es in Kauf nehmen, sich das Missfallen der hohen und höchsten Stellen zuzuziehen. Bei ihnen kann er spätestens von da als negativ abgestempelt, angesehen werden. Anpassung, Ein- und Unterordnung, Beschränkung auf den Grad der Handlungsfreiheit, den die jeweilige Stelle involvierte, wäre für List einer Selbstaufgabe gleichgekommen“.16 Erst einige Jahre später konnte er sich eingestehen, dass es ihm an „Politesse“ gemangelt habe. Angesichts der Bedeutung dieser Kommission kann es als sicher gelten, dass auch der König über das „unmögliche“ Verhalten des Aktuars unterrichtet wurde und sich beim Monarchen zumindest kein positives Image aufbauen konnte. Das Fatale war, dass kaum ein Jahr verging, bis dem König wieder negative Nachrichten über den von ihm ernannten jungen Professor der Staatswirtschaft zugetragen wurden. Deshalb sah sich seine Majestät im Mai 1818 veranlasst, dem Innenminister den Befehl zu erteilen, Professor List nach Stuttgart einzubestellen, um diesem das Missfallen des Königs über seine Vorlesungen zu eröffnen und „eine schonende Ermahnung“ zu erteilen. Obwohl sich List nicht nur mündlich beim Innenminister für seine Vorlesungen rechtfertigte, sondern sich auch schriftlich beim König gegen die vorgebrachten Verleumdungen verwahrte und beteuerte, dass er seine Funktion als Hochschullehrer mit der gebotenen Loyalität, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausübe, blieb beim Monarchen

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F. List: „Die Staatsurkunde und Staatspraxis Württembergs“ – Grundlegung seiner Vorlesung an der Universität Tübingen; erste Veröffentlichung der Staatswirtschaftlichen Fakultät.

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ein negativer Eindruck hängen, denn List wurde im Auftrag des Königs ermahnt, seine Vorlesungen in Zukunft mit „äußerster Vorsicht“ und auf das „Gewissenhafteste“ zu halten. Obgleich ihm also keine Verfehlung angelastet werden konnte, hat der ganze Vorgang Lists Bild beim König wahrscheinlich weiter eingetrübt. Er hat zwar Lists umfassende und leidenschaftliche Rechtfertigung zur Kenntnis genommen, aber seiner Bitte um eine Audienz nicht entsprochen. Wiederum ein Jahr später folgte der nächste Konflikt, als List in Frankfurt im Auftrag der dort versammelten Kaufleute seine „Bittschrift an die Bundesversammlung“ verfasste und im Hochgefühl des Erfolgs den „Allgemeinen deutschen Handels- und Gewerbsvereins“ gründete. Der König war über das selbstherrliche Verhalten seines Untertanen so erbost, dass er prompt und energisch reagierte. Über den neuen Innenminister ließ er den Gemaßregelten wissen, dass er „ohne ausdrückliche Erlaubnis der ihm vorgesetzten Stelle, also des Ministeriums, als ein mit einem öffentlichen Amt bekleideter Staatsdiener eine seinem Amte fremde öffentliche Geschäftsführung übernommen habe und dies sogar in einem auswärtigen Staat“. Die Freie Reichsstadt Frankfurt galt also damals aus württembergischer Sicht noch als Ausland. List habe sich „die Erkenntnis eigenmächtig angemaßt“, ob er so etwas seinen Amtspflichten „Heterogenes“ übernehmen dürfe oder nicht. Dies sei seiner Majestät ziemlich aufgestoßen und dem Beschuldigten werde auferlegt, dem Ministerium mitzuteilen, was er zur Rechtfertigung seiner Handlungsweise vorbringen könne. Diese scharfe Maßregelung hat List zunächst mit der Behauptung abgetan, dass sein Engagement mit den Pflichten eines württembergischen Beamten und Staatsdieners vereinbar sei und er sich genötigt sehe, seine Lehrkanzel aufzugeben. Er spürte wohl, dass das Maß voll war und er das Vertrauen des Königs verloren hatte. Deswegen quittierte er seine Stellung und setzte seine ganze Kraft von nun an als Konsulent des Handels- und Gewerbsvereins für die Bildung einer deutschen Zollunion ein. Erst drei Wochen später, am 21. Mai 1819, hat List dem König in einer 5 Druckseiten langen Stellungnahme seine Beweggründe dargelegt und seine Überzeugung wiederholt, dass er bei seinem Verhalten keine Amtspflichten verletzt, keine Geschäftsführung in einem auswärtigen Staat übernommen und nicht zur Einholung einer Erlaubnis verpflichtet gewesen sei und schon gar keiner Majestätsbeleidigung beschuldigt werden könne. Er versicherte seiner Majestät dem König, dass er keinen getreueren Untertanen und Staatdiener habe, der in Anhänglichkeit und Verehrung seiner Majestät nichts anderes im Sinn habe, als dem Vaterland in einem nach konstitutionellen Grundsätzen verfassten Staat treu zu dienen. Er habe es nicht gewagt, seiner Majestät unter die Augen zu treten und ersuche ihn daher, ihm in Gnade gewogen zu bleiben.17 Während seiner Tätigkeit als Konsulent des Handels- und Gewerbsvereins berief König Wilhelm I die verfassunggebende Ständeversammlung ein, zu der

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Lists Vaterstadt Reutlingen einen eigenen Deputierten entsenden durfte. Für Lists Anhänger und Freunde lag es nahe, ihn als geeigneten Kandidaten zur Wahl aufzustellen. Bei der Wahl am 5.7.1819 erhielt er dafür die erforderliche Mehrheit. Als der Präsident der Wahlkommission jedoch anschließend die üblichen Auskünfte über Alter, Vermögensverhältnisse und Religionszugehörigkeit der Gewählten einholte, stellte sich heraus, dass List das für das passive Wahlrecht notwenige Alter von 30 Jahren noch nicht erreicht hatte. Seine Wahl wurde somit für ungültig erklärt und an seiner Stelle der Reutlinger Stadtpfleger und Bürgermeister Johann Ludwig Wunderlich in das Parlament entsandt. In mehreren Eingaben, ja sogar in einem öffentlichen Flugblatt, beschwerte sich List gegen den vermeintlich rechtswidrigen Ausschluss und versuchte, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass die Wahl rechtmäßig sei, denn es sei ja lediglich sein Tauf- aber nicht sein Geburtsdatum bekannt. Da ihm für das amtliche Wahlalter lediglich 21 Tage fehlten, könne man sehr wohl davon ausgehen, dass sein Geburtstag einige Tage oder Wochen vor dem Taufdatum liege und er somit das vorgeschriebene Alter erreicht habe. Es versteht sich von selbst, dass dieser Vorgang auf höchster politischer Ebene bekannt und mit Unmut aufgenommen wurde. Der Präsident der Wahlkommission war „durch höchste Weisung“, also den König, veranlasst worden, Lists Wahl zu annullieren; d.h. er hat sich erneut unbeliebt gemacht und mit einem weiteren negativen Vorkommnis im Gedächtnis des Monarchen eingeprägt. Als wiederum ein gutes Jahr später der Reutlinger Abgeordnete Wunderlich verstarb, wurde im Dezember 1820 eine Nachwahl fällig. Dazu haben die Reutlinger Wahlmänner erneut ihren Landsmann List aufgestellt. Da er nun die Altersgrenze überschritten hatte, war seine Wahl gültig. Kaum einen Monat später folgte dann aus der Sicht des Königs mit der sog. „Reutlinger Petition“ der nächste Hammer. Die Beschlagnahme des anonymen Flugblatts löste sofort strafrechtliche Untersuchungen durch das Stuttgarter Kriminalamt sowie eine Parlamentsdebatte über den Ausschluss des Abgeordneten List aus. Als der Innenminister damit drohte, der König werde das Parlament auflösen, wenn sich die Abgeordneten der Amtsenthebung widersetzen, weil die scharf formulierte Präambel der „Petition“ als Majestätsbeleidigung eingestuft wurde, votierten die Abgeordneten mehrheitlich für Lists Ausschluss und der Kriminalgerichtshof in Esslingen verurteilte ihn zu einer 10monatigen Festungshaft mit angemessener Beschäftigung, wobei der Zusatz derart schwerwiegend war, dass der Verurteilte mit einem Schwerverbrecher gleichgestellt wurde, dem seine bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden sind. Bei einer sachlichen Beurteilung der „Reutlinger Petition“, wird man wie viele damalige Zeitgenossen – zum Ergebnis kommen, dass die doppelte Verurteilung und Bestrafung Lists viel zu hart und ungerecht war. Es kann nur so erklärt werden, dass der König höchst persönlich das „Problem List“ ein für alle

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Mal aus der Welt schaffen wollte. Hinzu kommt noch, dass dieser Untertan gleichzeitig bei Metternich in Ungnade gefallen war und in den Dunstkreis der Demagogenverfolgung einbezogen wurde. In dieser angespannten politischen Großwetterlage konnte und wollte sich der württembergische König nicht mit dem habsburgischen Kanzler anlegen und hat deshalb auch alle Versuche von Friedrich List zu dessen Rehabilitierung negativ beschieden. Während seines Exils in der Schweiz18 richtete er eine ausführliche Denkschrift an den Monarchen, in der er seine Motive für die „Reutlinger Petition“, seine Rechtfertigungsgründe, seine Beschwerden und Einwände gegen die Urteilsfindung, sowie seine persönliche Bewertung des Richterspruches ausführlich darlegte und den König um eine Begnadigung ersuchte. Dieses Gesuch blieb jedoch ungehört und wurde kommentarlos zu den Akten gelegt.19 In einem späteren biographischen Abriss zitierte List die Stellungnahme des Richters, der sich auf dem Totenbett dazu bekannt habe, dass seine Verurteilung von List ein schwerer Fehler gewesen sei. Er erwähnte aber nicht, um welchen Richter es sich gehandelt hat. Angesichts der unbeugsamen Haltung des Königs musste List damit rechnen, nach seiner freiwilligen Rückkehr nach Württemberg sofort verhaftet und zur Verbüßung der Haftstrafe auf den Hohenasperg gebracht zu werden. Wie kompromisslos der König List gegenüber eingestellt war, zeigt sich mit aller Deutlichkeit an der Ablehnung eines Gnadengesuchs seiner Frau Karoline. Darin hat der Monarch unmissverständlich entschieden und seinem Innenminister Paul v. Maucler die strikte Anweisung gegeben, dass er in anderen Fällen nicht abgeneigt sei, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, was er in diesem speziellen Fall jedoch ablehne. Ganz gleichgültig, ob eine solches „Verbrechen“ aus Unverstand oder in böswilliger Absicht geschehen sei, könne er dieses „Attentat“ weder mit Rücksicht auf die Außenpolitik noch aus Gründen der inneren Sicherheit entschuldigen. Deshalb müsse es mit der ganzen Strenge des Gesetzes als abschreckendes Beispiel geahndet werden.20 Diese Entscheidung war endgültig und vermittelte List die Überzeugung, dass er in Württemberg kein politisches Amt mehr bekleiden könne und sich somit schweren Herzens zur Auswanderung in die USA entschließen müsse. Nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil unternahm er am 6. April 1836 mit einer Eingabe an den König den letzten Versuch, eine ehrenvolle Rehabilitierung zu erreichen. Da der Bittsteller in der Zwischenzeit jedoch das amerikanische Bürgerrecht erhalten hatte, wurde er nun als Ausländer eingestuft, der sich im Königreich Württemberg nur bei entsprechendem Wohlverhalten und unter polizeilicher Aufsicht aufhalten dürfe. Sein früheres Benehmen und Treiben biete keine hinreichende Bürgschaft für einen ruhigen und besonnenen Aufenthalt. Als Ausländer bedürfe er weder einer Rehabilitierung, noch wäre ihm eine solche von irgend-einem Nutzen. Damit war die württembergische Türe endgültig zugeschlagen.

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Erst sechs Jahre später wurde List von König Wilhelm I am 20.9.1841 auf sein ausdrückliches Ersuchen eine Audienz gewährt, bei der er seine Eisenbahnpläne zur Sprache brachte. Offenbar hatte er damit einen gewissen Eindruck hinterlassen oder der König wollte sich mit seiner erneuten Ablehnung Zeit lassen, weil er zwei Wochen später am 4.10.1841 List noch eine zweite Audienz gewährte.21 In beiden Audienzen hatte er versucht, den König zu einer Anstellung im württembergischen Staatsdient zu bewegen. Aber mit vierwöchiger Verzögerung wurde auch diese Bitte abgelehnt. Wenige Tage vorher erhielt List vom Kriminalamt die Mitteilung, dass seine bürgerliche Ehre anlässlich des 25jährigen Regierungsjubiläums des Königs im Rahmen einer Amnestie wiederhergestellt sei. Diese erfolgte nicht nur zu spät; sie änderte auch nichts an der nach wie vor bestehenden Ablehnung durch den württembergischen König und anderer Regenten, wie dem Großherzog von Baden oder dem König von Preußen. Die Vielzahl der ehrenvollen Nachrufe, die List nach seinem Tod zu Teil wurden und die breite Wertschätzung und Anerkennung seines mutigen und selbstlosen Wirkens mögen auch bei König Wilhelm einen leichten Sinneswandel bewirkt haben. Nur so ist zu erklären, dass er dem Beispiel des bayerischen Königs Ludwig I folgte und dem in Stuttgart gegründeten List-Comité eine einmalige Spende von 2000 Gulden zukommen ließ. Als dann auch Lists anderer Widersacher, der österreichische Staatskanzler v. Metternich im Zuge der März-Revolution von 1848 das Feld räumen musste und nach England geflohen ist, war der Weg für die offizielle Rehabilitierung von List durch das württembergische Parlament frei. In einer kurzen Rede würdigte der Abgeordnete Dr. Theodor Eisenlohr aus Nürtingen Lists Verdienste: „Wir sind heute in eine neue Ära unseres konstitutionellen und öffentlichen Lebens getreten. Ich glaube, es ist eine Pflicht der Pietät, dass wir heute auch eines Mannes gedenken, der vor 27 Jahren auf diesen Bänken saß und Ideen ausstreute, deren reife Früchte wir heute ernten. Unverstanden von seiner Zeit und verdrängt von einer gewalttätigen Justiz, musste er diese Bänke verlassen und seine Ehre in ein fremdes Land retten; aber, wenn auch verfolgt von Undankbarkeit und Vergessenheit, hat er doch ein deutsches Herz bewahrt. Und fragt man nach den Männern, welchen wir das Verdienst der Hebung deutscher Nationalehre zuzuschreiben haben, so ist er nicht der Letzteren einer. Er ist dahingegangen, verzweifelnd beinahe an deutscher Nation und der Zukunft des deutschen Volkes. Er hat leider den neu angebrochenen Tag der Freiheit und Volkstümlichkeit nicht erlebt. Nehmen wir aber wenigstens von dem Dahingeschiedenen eine große Lehre, die Lehre nämlich, dass man neue, großartige, kühne Ideen nicht alsbald zu revolutionären Ideen stempeln sollte. Nehmen wir die Lehre für Deutschland, dass es seine großen Männer achten und nimmermehr ächten sollte. Ehre aber und bleibender Nachruhm dem Andenken von Friedrich List!“ – Im Protokoll ist vermerkt: „Sämtliche Mitglieder erheben sich zum Zeichen ihrer Zustimmung von ihren Sitzen.“

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4. Franz I von Österreich (1768-1835), Kaiser von Österreich und Kaiser Franz II des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation bis 1806 Der in Florenz geborene Kaiser kämpfte ab seinem 20. Lebensjahr in mehreren Feldzügen und Schlachten gegen die Türken und gegen die französischen Truppen unter Napoleon Bonaparte. Dabei wurde er meistens besiegt und musste für die habsburgische Monarchie herbe Verluste bei der Truppe und durch Gebietsabtretungen hinnehmen. Nach der Errichtung des Rheinbundes im Jahre 1806 legte er die deutsche Kaiserkrone nieder und begnügte sich mit dem Titel Franz I, Kaiser von Österreich. Nach dem Sieg der verbündeten Heere über Napoleon in Waterloo wurde Franz I auf dem Wiener Kongress von 1815 von seinem Kanzler, dem Fürsten Metternich, klug beraten, der sich selbst und die Donaumonarchie machtvoll ins Szene setzte und es verstanden hat, sich als führende Macht der Restauration zu etablieren. Mit Hilfe seiner Geheimpolizei und eines weit verbreiteten Informations- und Spitzelsystems gelang es dem habsburgischen Machtapparat, alle liberalen Strömungen bis zur Revolution von 1848 zu unterdrücken und im Keim zu ersticken. Dazu zählen die Bekämpfung aller geistigen, politischen und konstitutionellen Bestrebungen im eigenen Land, die Abschottung von gefürchteten Strömungen aus dem europäischen Ausland, die Ignorierung und Unterbindung von technischen und wissenschaftlichen Fortschritten, die Pressezensur und die wirtschaftliche Stagnation. Dazu verhalf eine engherzige und kleinliche Bürokratie. Diese, als Restaurationspolitik bezeichnete Regierungsform, ließ sich vor allem bis zum Tod von Franz I im Jahre 1835 konsequent und kompromisslos durchhalten. Danach machte sich beim erwachenden Bürgertum in zunehmendem Maße Unmut breit; es gärte und rumorte, bis es sich im Märzaufstand von 1848 Luft verschaffte und eine gewisse Liberalisierung erreichte. Bei seiner Mission für den Handels- und Gewerbsverein hielt Friedrich List solange in Wien aus, bis ihm, nachdem die drei anderen Mitglieder der Delegation schon abgereist waren, von Kaiser Franz I zwei Audienzen, am 6.3. und 20.4.1820, gewährt wurden. Über die erste Audienz berichtet er, dass er vom Kaiser „auf das huldvollste“ empfangen worden sei. Der Kaiser habe ihm zugesichert, die eingereichten Denkschriften sorgfältig prüfen zu lassen. Außerdem habe er sich eingehend über die Zollverhältnisse in Deutschland erkundigt, wobei er sich über die

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„tiefen Kenntnisse“ des Monarchen überrascht zeigte. Schließlich habe er dem Kaiser seinen Plan zur Durchführung einer nationalen Industrieausstellung während der Messen in Frankfurt und Leipzig vorgetragen und den Eindruck gewonnen, dass sich seine Majestät dafür interessierte und keineswegs abgeneigt gewesen sei. Über die zweite Audienz berichtete er lediglich ganz kurz an seine Frau, dass ihn der Kaiser „wahrhaft freundlich aufgenommen“ und ihm eine Aufwartung beim Kronprinzen ermöglicht habe. An diesem dürren Kommentar zeigt sich, dass sich das Blatt in der Zwischenzeit gewendet hatte, weil Metternich sein kompromissloses Veto einlegte und der Kaiser vor der „revolutionären Partei in Deutschland unter der Firma des sog. Handels- und Gewerbsvereins“ eindringlich gewarnt wurde. In einem längeren Schreiben vom 13.5.1820 an den in Prag weilenden Kaiser warnte Metternich nochmals eindringlich „vor den lebendigen Umtrieben , welche sich die revolutionäre Partei in Deutschland unter der Firma des sog. deutschen Handelsvereins gibt, um die Gemüter des mittleren Kaufmannsstandes, der Fabrikanten und der Konsumenten gegen die deutschen Regierungen aufzuwiegeln“. Auf dem Schreiben hat der Kaiser folgende Notiz vermerkt: „Erledigt sich durch Meine Entschließung auf Ihren Vortrag vom 14.5.1820.“22 Wie Metternichs Warnung von Franz I aufgenommen wurde, zeigt sich an einem weiteren Aktenvermerk an den Kanzler vom 23.5.1820: „Ungeachtet des Beitritts zum deutschen Bund hat meine Monarchie in sich selbst immer ein Körper zu verbleiben. Diese Ursache, aber noch mehr jene, mich nicht über Gegenstände zu binden, wo ich bloß das von Umständen abhängende Wohl und Wehe meiner Untertanen, gegen die ich die ersten Pflichten habe, berücksichtigen muss, ist Ihnen meine bestimmte Willensmeinung daher schon lange bekannt, so begreife ich nicht, wie die Sachen so eingeleitet werden, dass diese ganz abgeschnitten und zur Sprache neuerdings zu bringen, Ihrerseits nicht verhindert worden. Es wäre wohl ein Mittel zu helfen vorhanden, allein ich achte eine sonst einzugehende Übereinkunft unter meiner Würde. Sie werden mir daher einen neuen Beweis Ihrer Geschicklichkeit in Verhandlungen dadurch geben, dass Sie die ganze Frage wegen des freien Verkehrs in den Bundesstaaten, insoweit es meine Staaten betrifft, niederschlagen, wie die durch die lange Zeit meiner Regierung gesammelte Erfahrung die Untunlichkeit darstellt, in Umgehung meiner Staaten ohne sehr beschränkte Bedingungen, die einer Illusion gleich wären, eine solche Verbindlichkeit einzugehen, die vermutlich auch noch den Anlass zu anderen der Industrie meiner Untertanen schädlichen Verträge geben würde!“23 Diese Anweisung spiegelt die absolutistische Einstellung und die Angst der österreichischen Regierung im Vormärz vor Veränderungen in geradezu exemplarischer Weise wider, von der knöchernen, umständlichen und altbackenen Wortwahl ganz abgesehen, die für das ganze Ausmaß der habsburgischen Bürokratie typisch war. Ein Vergleich mit Lists Schreibstil offenbart den epochalen Unterschied beider Ansichten!

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5. Clemens Lothar Wenzel, Fürst v. Metternich (1773-1859), österreichischer Haus-, Hofund Staatskanzler Aus dem zuletzt erwähnten Zitat wird deutlich, welchen Einfluss und welche Macht der habsburgische Staatskanzler im Vormärz ausübte. Der in Koblenz geborene Fürst v. Metternich spielte in den Befreiungskriegen gegen Napoleon als österreichischer Diplomat und ebenbürtiger Taktiker eine überragende Rolle. Er trug maßgeblich dazu bei, dass Napoleon besiegt und in die Verbannung geschickt wurde. Durch sein kluges Taktieren auf dem Wiener Kongress wurde der Fürst zum mächtigsten Bollwerk gegen Friedrich List und Fürst v. Metternich, die liberalen Bestrebungen in den deut- Zeichnung von A. v. Volborth; schen Territorialstaaten. Hierbei nutzte Original im Besitz des Autors. er die widerstreitenden Interessen der jeweiligen Regierungen geschickt zu seinen Gunsten aus, verschaffte der Donaumonarchie eine bedeutende Vergrößerung ihres Territoriums, sicherte ihr die Herrschaft über das zerstückelte Italien und zementierte das auf dynastischen Interessen beruhende europäische Staatensystem. Dabei versäumte er nicht, sich selbst kräftig zu bereichern, die im Deutschen Bund verbündeten Staaten zur solidarischen Unterdrückung der revolutionären Bestrebungen zu verpflichten und dies mit einem engmaschigen Informationssystem zu überwachen, das in der ihm direkt unterstellten Wiener Polizeihofstelle seine Zentrale hatte. Metternich teilte den Standpunkt von Friedrich Gentz, der die These vertreten hat, wonach es allein den Fürsten zustehe, die Geschicke der Völker zu leiten. Deswegen seien sie für ihre Handlungen niemand außer Gott verantwortlich. Dieses Gottesgnadentum war natürlich der krasse Gegensatz von Lists bürgerlich-demokratischem Weltbild. Deswegen musste er zwangsläufig als einer der „einflussreichsten und gefährlichsten Revolutionsmänner“ in das Fadenkreuz der Metternich’schen Politik geraten und von diesem bis aufs Messer bekämpft werden. Im Laufe der Zeit hat Metternich mit seiner reaktionären Politik den Unmut der habsburgischen Untertanen auf sich gezogen bis sich der „Geist der Finsternis und der Tyrannei“ im Wiener Aufstand von 1848 entlud und der verhasste Kanzler zur Abdankung gezwunden wurde. Er musste zunächst für einige Zeit nach England emigrieren, ehe er nach ca. drei Jahren wieder nach Österreich zurückkehren konnte. Dann hatte er zwar keinen aktiven Anteil mehr an der Politik ge-

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nommen, aber sich nach wie vor als einflussreicher Berater des Kaiserhauses betätigt, ehe er 1859 gestorben ist. In meinem 1996 erschienenen Buch: „Die Vereinigung des europäischen Kontinents“ Friedrich List – die gesamteuropäische Wirkungsgeschichte seines ökonomischen Denkens – habe ich Lists Verfolgung durch Metternich ausführlich behandelt24 und zu dessen engmaschiger Überwachung durch den habsburgischen Polizeistaat alle damals verfügbaren Belege zusammengetragen. Das Fadenkreuz der Observierung lag in den Händen der Wiener Polizeihofstelle, die von 1815 bis 1848, also über die gesamte Zeit des Vormärz hinweg, von Josef Graf Sedlnitzky Odrowacz v. Cholditz (1778-1855) geleitet wurde, der ein extrem unbeliebter Hofbeamter gewesen sein soll. Wie scharf List von dieser Behörde beschattet wurde, zeigt sich daran, dass bereits die Delegation des Handels- und Gewerbsverein bei ihrem Aufenthalt in der Donaumetropole „nicht aus den Augen gelassen wurde,“ was auch den Mitgliedern der Delegation bekannt war. In einem von den Delegierten Schnell und Weber mitgenommenen Brief an seine Frau Karolinie, schreibt List: „Wir waren von allen Seiten von Spionen umgeben, bei einem Spion einquartiert, von einem Spion bedient usw. Alle Briefe, die wir bekamen oder wegschickten, wurden erbrochen, was Du wohl gefunden haben wirst.“25 Sei es Metternichs Intervention gegen List als Konsulent des Handels- und Gewerbsvereins, gegen dessen Exequatur als amerikanischer Konsul im Königreich Sachsen, gegen ihn als Journalist und Zeitungsredakteur oder gegen seine Eisenbahnpläne, von nun an wurden ihm von den verschiedensten Informanten, Erkundigungen über Lists Aktivitäten zugetragen. Der Kanzler war bestrebt, dessen Wirkungskreis so weit als möglich einzuschränken. Wolfram Siemann, der vor kurzem eine Biographie über den habsburgischen Hof- und Staatskanzler herausgebracht hat, charakterisiert den „habsburgischen Polizey-Staat“ wie folgt: „Will man den damaligen Sachverhalt der Polizeitätigkeit mit modernen Begriffen benennen, bieten sich die Worte ,geheimer Nachrichtendienst‘ und ,Verfassungsschutz‘ an“; d.h. die Habsburger Monarchie hatte unter Metternich ein europaweites Netzwerk an Informanten und Spitzeln aufgebaut, die weisungsgemäß über alle möglichen wichtigen und unwichtigen Details nach Wien an die dortige Polizeihofstelle zu berichten hatten. Auch wenn Siemann den Vergleich mit der Stasi zurückweist, erscheint mir dieser Vergleich durchaus zutreffend zu sein: denn „auch das Ausforschen bzw. geheime Mitlesen staatlicher und privater Korrespondenzen durch Zugriff auf den Postverkehr gehörten in dieses Arbeitsfeld. Diese modernen Begriffe hießen damals ,perlustrieren‘, d.h. durchleuchten und ,interzipieren‘, d.h. wegnehmen bzw. unterschlagen. Letzteres bezeichnete die heimliche Herausnahme eines Briefes aus der Postzustellung. Ein ,Interzept‘ war die Abschrift eines heimlich geöffneten Briefes. Dazu brauchte es viel Sachverstand. Dafür hatte Metternich in seiner Kanzlei ein besonderes Büro, das sog. Ziffernkabinett eingerichtet, das nicht nur dafür zuständig war, Briefe abzufangen, zu öffnen, abzuschreiben und unauffällig wieder in den

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Postverkehr zu leiten; es hatte gleichzeitig auch die chiffrierten Schreiben fremder Diplomaten zu dechiffrieren.26 In seiner Metternich-Biographie, das derzeit als das Standardwerk über den „Granseigneur des Ancien régime“ gilt, taucht an vier Stellen auch der Name von Friedrich List auf. Auf S. 790 behauptet Siemann: „Er (Metternich) verhandelte mit dem Liberalen Friedrich List in Wien, um den handelspolitischen Wünschen und Bedürfnissen der mittleren und kleineren Bundesstaaten entgegenzukommen“; auf S. 852 setzt der Verfasser noch eins drauf, wenn er schreibt: „Dass er (Metternich) in seinen wirtschaftspolitischen Überzeugungen ausgerechnet mit dem Papst des deutschen Wirtschaftsliberalismus, Friedrich List, harmonierte, haben wir schon kennengelernt.“ Wenig später (S. 867) versteigt sich Siemann sogar zu der Behauptung: „Er (Metternich) sprach für die Freiheit des Gewerbes, den offenen Kapitalmarkt, den Abbau von Handels- und Zollschranken, wobei er sich mit dem mustergültigen Wirtschaftsliberalen Friedrich List austauschte.“ Schließlich sei noch ein Zitat von S. 763 angeführt, das noch grotesker und aberwitziger erscheint: „Metternich bestätigte seine kaum bekannten (!) wirtschaftspolitischen Vorstellungen im Exil in Brüssel noch einmal, als er auf die Vormärzzeit zurückblickte und überaus zustimmend eine Eingabe Friedrich Lists beurteilte, der die gleichen Vorschläge für Ungarn gemacht hatte wie er selbst, nämlich vor aller Industrialisierung zunächst auf Landstraßen, Flüssen, Kanälen, Eisenbahnen für eine geeignete Infrastruktur zu sorgen.“ Es komme nach List auf die „Belebung der Kommunikationsmittel und Wege“ an. Wenn Metternich gar Friedrich List zu seinen positiven Gewährsleuten zähle, gäbe es laut Siemann einiges an dem vermeintlichen „Restaurator“zu revidieren. Er (hier ist List gemeint) habe, gemessen an seiner reichsstädtischen Herkunft, einen Wandel des Bewusstseins und der Mentalität mitgemacht, wie es nur wenigen seiner Zeit gelungen sei, die so wie er teilhatten am Ancien Régime und an der anbrechenden Moderne. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Nicht an Metternich ist einiges zu revidieren, sondern die zitierten Thesen von Siemann sind falsch und korrekturbedürftig. Der österreichische Staatskanzler hat sich zu keiner Zeit dazu herabgelassen, mit List „zu verhandeln.“ Ganz im Gegenteil er hat ihn während seiner Regierungszeit, so gut er konnte, mit allem Nachdruck bekämpft, indem er List vom habsburgischen Polizeistaat so intensiv, wie möglich, observieren ließ und dessen Aktivitäten, wo er nur konnte, hintertrieben hat. Bei den wenigen persönlichen Begegnungen wurde List vom Staatskanzler nur deshalb empfangen, um dessen Pläne auszukundschaften und entsprechende Hindernisse oder Schranken zu errichten. Trotz der feindseligen Haltung, mit der Metternich Lists Bemühungen verfolgte, gelang es diesem im August 1843 in Bad Ischl, bei dem dort zur Kur weilenden Kanzler zwei Audienzen zu erhalten. Bei der ersten Unterredung ging es List darum, „dem größten Staatsmann des Jahrhunderts“ seine Verehrung zu bezeugen und ihn für seine Eisenbahnpläne in Österreich und Süddeutschland zu ge-

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winnen. Sein Ziel war es, die geplanten und in Entstehung begriffenen Eisenbahnnetze von Österreich, Bayern und Württemberg mit einander zu verbinden und Metternich für den Plan einer großen Ost-West-Verbindung zu interessieren. Bei dieser Audienz zeigte Metternich das bekannte Doppelgesicht. Auf der einen Seite begegnete er List mit gespielter Freundlichkeit, die den Bittsteller hoffen ließ, „an ihm einen gnädigen Herrn gefunden“ zu haben. Andererseits ließ dieser über den österreichischen Gesandten in München postwendend folgende Klarstellung verbreiten: „von einer Berufung des Dr. List sei keinen Augenblick die Rede gewesen. Selbiger befinde sich allerdings in Ischl, aber nur zu eigenen Geschäften. Er habe eine Audienz begehrt und der Fürst habe sie wie jedem anderen Das Spinnennetz des habsburgischen Geheimdiensbewilligt, von etwas weiterem sei nicht die Rede.“ Bei der zweiten Audienz verfolge List die Ab- tes; in: Bauernfeld, E.: Die sicht, die österreichischen Vorbehalte, gegen das Republik der Thiere, Wien „Zollvereinsblatt“ auszuräumen und Metternich 1848, 4. Umschlagseite. um eine ungestörte Verbreitung des Blattes in der Donaumonarchie zu ersuchen. Bereits früher war das „Eisenbahnjournal“, das in Österreich zahlreiche Leser hatte, der Zensur zum Opfer gefallen und musste deswegen von List eingestellt werden. Dem „Zollvereinsblatt“ sollte dies erspart bleiben. List hoffte, dass es in den österreichischen Postkatalog aufgenommen wird und in allen Wiener Kaffee- und Gasthäusern ausgeliegen kann. Die zweite Audienz verlief wie die erste. List hatte zwar den Eindruck, dass er Metternich für seine Absichten überzeugen konnte, äußerte sich aber gleichzeitig auch skeptisch über „die zur Schau gestellte Ernsthaftigkeit“. Dass dieser Eindruck richtig war, zeigte sich rasch. Im September 1843 wurde ein Werbeartikel zum „Zollvereinsblatt“ von der Wiener Staatskanzlei geprüft und das Blatt zur Verbreitung in Österreich verboten, was die wirtschaftliche Grundlage der Zeitung erheblich einschränkte. Auf der Rückreise aus Ungarn wurde List am 3.12.1844 erneut von Metternich eine Audienz gewährt. Dieser zeigte sich wiederum sehr interessiert und forderte ihn auf, seine Ideen zur Transportverbesserung und nationalökonomischen Reform von Ungarn in zwei Denkschriften näher zu erläutern. In Wirklichkeit war Metternich überhaupt nicht daran interessiert; er wollte lediglich seinen Widersacher aushorchen, den er immer noch als „einen der verschlagensten deutschen Revolutionsmänner“ betrachtete. Diese ca. 100 Druckseiten umfassenden Denkschriften wurden vom Kanzler zwar positiv beurteilt, aber sofort in ihre Schranken verwiesen. Wie feindselig er

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seinem Widersacher gegenüber eingestellt war, lässt sich an mehreren Zitaten belegen. Das umfassendste, eindeutige und definitive Urteil findet sich in einem Brief, den Metternich am 10.2.1845, also bald nach Lists Rückkehr aus Ungarn dem Präsidenten der Hofkammer Karl Friedrich v. Kübeck zugeleitet hat. In dem Schreiben heißt es u.a.: „In ihrer allgemeinen Haltung scheint mir derselbe (gemeint ist List) richtige Gesichtspunkte aufgefasst zu haben, und ich möchte beinahe sagen, Gesichtspunkte, welche in die Reihe der Elementarbegriffe gehören. (…) Ich glaube, dass Eure Exzellenz von der Eingabe des List Gebrauch bei den Beratungen des Präsidialkomités der ungarischen Kanzlei zu machen, sich bewogen finden dürften. Das, warum ich in einem jedem Falle bitte, ist mir die Rückäußerung von dem Herrn List zu seiner Zeit an die Hand geben zu wollen. In jeder Beziehung erachte ich es als nötig, den Herrn List nicht die Stellung eines Projektanten überschreiten zu lassen, indem derselbe keine Garantie praktischen Gebrauchs bietet.“27 Damit waren List sämtliche Chancen verbaut, in den deutschen Territorialstaaten, wie auch in der Donaumonarchie eine führende Stellung im Eisenbahnbau oder in der Politik zu erhalten.

6. Johann Friedrich Freiherr Cotta v. Cottendorf (1764-1832), der bedeutendste Verleger und Buchhändler der deutschen Klassik Der Beginn der engen Bekanntschaft zwischen List und Cotta datiert aus der kurzen Zeit, in der List Abgeordneter in der württembergischen Deputiertenkammer war und bei Cotta große Sympathie genoss und deswegen in ihm den einzigen echten Unterstützer gefunden hat, der ihm auch in der Zeit der Verfolgung seine Treue bewahrte und Hilfe gewährte. Der berühmte Verleger wurde 1764 in Stuttgart geboren. Er begann sein Studium an der Universität Tübingen mit Mathematik und Geschichte und wechselte dann zur Rechtwissenschaft. Im Anschluss daran, war er eine Zeitlang in Tübingen als Hofgerichtsadvokat tätig. Auf Wunsch seiner Familie übernahm er 1787 die Cotta’sche Buchhandlung. Nach anfänglichen finanziellen Schwierigkeiten gelang es ihm mit unternehmerischer Tatkraft, Fleiß, Beharrlichkeit und Großmut gegenüber seinen Autoren das Familienunternehmen zum bedeutendsten Verlag der deutschen Klassik auszubauen. Die berühmtesten deutschsprachi-

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gen Literaten und Autoren im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts rechnete es sich zur Ehre an, wenn ihre Werke bei Cotta erscheinen konnten. Junge Talente unterstützte der Freiherr in edler und großzügiger Weise. Zu seinen illustren Autoren zählen u.a. Friedrich Schiller, Johann Wolfgang v. Goethe, Friedrich Hölderlin, Johann Peter Hebel, Ludwig Uhland, Gustav Schwab, Friedrich Schelling, Ludwig Fichte, Heinrich Pestalozzi, Heinrich v. Kleist, Annette v. Droste-Hülshoff, Alexander v. Humboldt, Jean Paul und Friedrich Hegel. Johann Friedrich v. Cotta gründete und verlegte auch eine ganze Reihe von Zeitungen und Zeitschriften. Aus der Sicht von Friedrich List sei vor allem die „Allgemeine Zeitung“ genannt, die zuerst in Stuttgart, dann in Ulm und ab 1816 in Augsburg herausgegeben wurde. Diese Zeitung entwickelte sich zum wichtigsten und einflussreichsten deutschen Presseorgan im 19. Jahrhundert. Sie entsprach damals ungefähr dem, was heute mit der FAZ vergleichbar wäre. Im Jahre 1810 verlegte der Freiherr seinen Wohnsitz nach Stuttgart und vertrat die Belange der deutschen Buchhändler auf dem Wiener Kongress. Seit 1820 war er ritterschaftlicher Abgeordneter des Schwarzwaldkreises in der württembergischen Deputiertenkammer. In dieser Funktion war er Zeitzeuge der Folgen der „Reutlinger Petition“ mit dem Ausschluss Lists aus dem Landtag. Cotta gehörte zu der Minderheit der Abgeordneten, die sich trauten gegen Lists Ausschluss zu stimmen. Auch danach setzte sich der Freiherr, soweit ihm das möglich war, vorbehaltslos für List ein. In einem Schreiben vom 5. Mai 1820 versicherte er ihm, dass er sich bei König Wilhelm I für ihn verwenden wolle und bedauerte, dass seine bisherigen Bemühungen erfolglos waren. An seinem ernsthaften guten Willen habe es sicher nicht gelegen, aber es scheine, dass ein unglückseliger Genius über ihn walte. Allerdings ließ Cotta auch durchblicken, dass sich List wesentlich demütiger verhalten und sich vor allem von der Wortwahl seiner Petition distanzieren sollte, was List als Kapitulation empfand und deswegen Cottas Rat nicht befolgen konnte. Als List nach seiner Rückkehr aus dem Schweizer Exil freiwillig nach Württemberg zurückkehrte und zur Verbüßung der Haftstrafe auf den Hohenasperg gebracht wurde, machte er Cotta auf die Vorzüge von Eisenbahnen aufmerksam, die er in England kenngelernt habe und wies auf deren Bedeutung für Württemberg hin. Gleichzeitig machte er den Vorschlag, man solle doch das im Schwarzwald geschlagene Holz anstelle von Flözen lieber mit einer Schienenbahn abtransportieren, was List selbst „als seltsames Zeugnis seiner Festungsmuße“ bezeichnete und von Cotta auch so aufgefasst wurde. Andererseits war Cotta in technischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht sehr interessiert und aufgeschlossen. Im Jahre 1824 setzte er in Augsburg die erste Dampfschnellpresse in Bayern ein. Bald darauf gründete er die Dampfschifffahrt auf dem Bodensee, die er zwei Jahre später auf den ganzen Rhein ausdehnte. Nahezu gleichzeitig setzte er sich für den Anschluss Bayerns und Württembergs an den preußischen Zollverein ein.

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Nach seiner Entlassung vom Hohenasperg war Johann Friedrich v. Cotta dem politisch Verfolgten in mehrfacher Hinsicht behilflich als List praktisch Ausgehverbot hatte und Schwierigkeiten bei der Erledigung der Passformalitäten bekam. Außerdem war Cottas zweite Ehefrau Elisabeth Sophie, geb. v. Gemmingen-Guttenberg (1789-1859) bei Lists tapferer Frau Karoline „ausnehmend teilnehmend“. „In der trübsten Periode seines Lebens“, hob List lobend hervor, habe sie sich „mit der edelmütigsten Teilnahme“ an seine Frau gewandt, sie getröstet und ihr Mut zugesprochen, wie eine edelmütige Schwester.“ Als sich Friedrich List in der Zeit seines amerikanischen Exils während seiner einjährigen Europareise in Paris aufgehalten hat, erinnerte er sich wieder an seinen einstigen Gönner und bat diesen, bei der württembergische Administration zu sondieren, ob er gefahrlos nach Württemberg reisen könne oder mit einer neuerlichen Verhaftung rechnen müsse. In seiner Antwort schrieb Cotta, er sei zwar davon überzeugt, dass in Württemberg kein unfreundlicher Gedanke mehr gegen ihn herrsche. Da er aber nur dann ungefährdet ins Land reise könnte, wenn das gegen ihn verhängte Urteil im Wege der Gnade aufgehoben werden würde und dies mit Umständen verknüpft sei, die ihm selbst nicht angenehm wären, so rate er, lieber auf einen Besuch zu verzichten.28 List hat sich mit dieser Absage zunächst nicht abgefunden, sondern sich noch mit Cotta auf badischem Gebiet in Karlsruhe getroffen. Ein Jahr später ist der Freiherr gestorben, sodass List nach seiner endgültigen Rückkehr nach Europa nicht mehr auf dessen Unterstützung zählen konnte. Wie schmerzlich der Verlust für ihn war, zeigt sich an einem Schreiben vom 21.2.1834 an den Sohn des Verstorbenen und dessen Nachfolger Georg v. Cotta. Darin führte er aus: Ohne Zweifel sei ihm bewusst, „mit welchem Interesse Ihr seliger Vater sich meiner angenommen hat. Durch seine Vermittlung erhielt ich die Erlaubnis zur Auswanderung und noch bei unserer persönlichen Zusammenkunft in Karlsruhe im Jahre 1831 versprach er mir, nach und nach zu bewirken, dass ich in Württemberg rehabilitiert werden würde. Sie können sich daher vorstellen, wie sehr ich seinen Tod beklage, den ich kurze Zeit nach meiner Landung in Hamburg vernahm. Ew. Hochwohlgeboren müssen aber nicht glauben, dass ich bloß aus persönlichen Rücksichten diesen Verlust beklage. Es war ein Verlust für ganz Deutschland, ein Verlust, den alle großen und tüchtigen Nationalunternehmen erlitten haben. Hätte Deutschland ein Dutzend Männer besessen wie er, der Gewerbefleiß der Nation und alle großartigen Anstalten würden auf ganz anderen Füßen stehen. Daher war es auch einer meiner liebsten Wünsche, solange ich noch in der württembergischen Welt lebte und webte, ihn an der Spitze der Finanzgeschäfte gestellt zu sehen. Auch habe ich während meiner kurzen Landständekarriere nichts unternommen, ohne mit ihm zuvor Rücksprache genommen zu haben. Selbst die verrufene Adresse (gemeint ist die „Reutlinger Petition“) hatte er vorher gelesen. Er war der einzige, der mich im Unglück nicht verließ. Mehr als 20 Briefe besitze ich von seiner Hand, die ich als Beweis seiner Ansichten über meine Verfolgung mit religiöser Sorgfalt aufbewahre.“29

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7. Justinus Kerner (1786-1862), schwäbischer Arzt, Dichter und Schriftsteller Der in Ludwigsburg geborene Justinus Kerner studierte nach dem Besuch der Klosterschule in Maulbronn Medizin und Naturwissenschaften an der Universität Tübingen, wo er übrigens als Assistenzart den kranken Hölderlin betreute. In Tübingen hatte er sich mit Ludwig Uhland und Karl Mayer befreundet, die sich alle als schwäbische Dichter und Schriftsteller einen Namen gemacht haben. Nach dem Studium unternahm Kerner längere Reisen und lebte einige Zeit u. a. in Hamburg, Berlin und Wien. Nach seiner Rückkehr nach Württemberg wurde er zunächst Badearzt in Wildbad, ehe er als Oberamtsarzt nach Weinsberg versetzt wurde und dort eine gut gehende Arztpraxis hatte, die von vielen auch hochstehenden und weitgereisten Patienten aufgesucht wurde. Am Fuß der alten Burgruine Weibertreu baute er sich ein geräumiges und idyllisches Haus im Schweizer Stil mit einem romantischen Garten und einem mittelalterlichen Turm. Von bedeutendem Einfluss auf seine medizinische Behandlung, seine Dichtung und schriftstellerische Arbeit waren seine „Experimente“ auf dem Gebiet des Mesmer’schen Magnetismus und seine mystischen Erfahrungen mit der sog. Seherin von Prevorst. Er konnte aber mit seinem sehr beherrschenden Hang zum Dämonismus auch Schabernack treiben. Justinus Kerner ist wegen seines ausgeprägten Interesses für Mystik, okkulte Erscheinungen, wie Somnambulismus und Spiritismus weithin bekannt gewesen, aber auch belächelt worden. Noch heute lebt er als Dichter der schwäbischen Nationalhymne: „Preisend mit viel schönen Reden ihrer Länder Wert und Zahl, saßen viele deutsche Fürsten einst zu Worms im Kaisersaal. – Eberhard, der mit dem Barte, Württembergs geliebter Herr, sprach: ,Mein Land hat kleine Städte, trägt nicht Berge silberschwer. – Doch ein Kleinod hält’s verborgen, dass in Wäldern noch so groß, ich mein Haupt kann kühnlich legen, jedem Untertan in Schoß!‘– Und so rief der Herr von Sachsen, der von Bayern, der vom Rhein: ,Graf im Bart Ihr seid der reichste, Euer Land trägt Edelstein!‘“ Während Kerner ein kauziger Sonderling war, der mit selbstsicherer, fast weltmännischer Unbefangenheit gegen jedermann aufgetreten ist und unzählige Patienten oft unentgeltlich behandelte, war seine Frau, das berühmte Rickele,

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die ihren Hausstand mit heiterem Gleichmut führte, die Stütze der Familie. Im Laufe ihres Lebens hat sie in ihrem offenen Haus über 1 000 Besucher und Gäste aus allen Schichten des Volkes sowie zahlreiche Gäste aus dem Ausland empfangen, über Nacht aufgenommen und freigiebig bewirtet. Viele Grafen und andere hochgestellte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Literatur, Politik und Kunst gaben sich im Kernerhaus ein Stelldichein. Die Namen der bedeutendsten Gäste wurden auf der Innenwand des Runden Turmes der Feste Weibertreu in Stein gemeißelt. Darunter befindet sich auch der Name von Friedrich List. Die Bekanntschaft und spätere Freundschaft zwischen Kerner und List geht auf die Initiative von Letzterem zurück, der sich als junger Professor im Sommer 1818 an Kerner wandte und seinen Wunsch zum Ausdruck brachte, diesen persönlich kennenzulernen. Kerner kam diesem Wunsch gerne nach. Über diese Bekanntschaft drückte List seine Begeisterung mit folgenden Worten aus: „Verehrungswürdigster Freund! Ich nenne Sie Freund. Ich war Ihnen längst von ganzem Herzen zugetan und glaube, bei unserer letzten Zusammenkunft auch Gleiches bei Ihnen bemerkt zu haben. Echte Freundschaft besteht ja doch nur durch die Übereinstimmung der Gesinnungen und könnte es eine schönere geben, als wenn die Herzen junger Männer gleich stark für die Freiheit schlagen?“30 Über seine besondere Beziehung zu Justinus Kerner berichtet dessen Sohn Theobald: „Ich erinnere mich aus frühester Kindheit, dass mein Vater und List sich immer mit ,Er‘ anredeten. „Alle Welt nennt sich ,Du‘ oder, Sie‘, wir wollen uns, ,Er‘ titulieren, hatte einst List gesagt.“31

Die Gravur von Lists Name im Kerner-Turm der Ruine Weibertreu in Weinsberg; Bildvorlage Kernerverein Weinheim.

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Das Wohnhaus von Justinus Kerner in Weinsberg mit der Ruine Weibertreu. Theobald fügte noch folgende nette Geschichte hinzu: „Einst fuhr List im Einspänner meines Vaters mit dem späteren Gemahl Bettinas, Achim von Arnim, nach Heilbronn. Mein Vater kutschierte. List und Arnim hatten schon in Weinsberg einen heißen politischen, nationalökonomischen Streit miteinander gehabt, den sie in der Chaise des Doktors fortsetzten. Plötzlich kam ein Gewitter mit starkem Platzregen. Mein Vater flüchtete sich vom Bock in die Chaise und kutschierte von da aus. List und Arnim, der Volkstribun und der Patrizier mussten sich abwechselnd auf den Schoß nehmen. Ich weiß noch, wie mein Vater erzählte: Am Anfang saß List auf Arnim und zwar aus lauter Gutmütigkeit. Er machte sich in seinem grauen Flaus nichts daraus, dass der Regen auf ihn einspritzte und wollte dem fein gekleideten Arnim sozusagen als Spritzleder dienen. List war aber in der Lebhaftigkeit des Gesprächs so unruhig, bald aufspringend von Arnims Schenkel, bald wieder prall auf denselben niederfallend, dem Freiherrn quasi a posteriori die Richtigkeit seiner nationalökonomischen Ansichten beweisend, dass Arnim es bald vorzog, sich auf den Schoß von List zu setzen, von dessen Arm umspannt, er sanft ruhte und dafür aber auch wieder bärenhaft gedrückt wurde. Beide waren froh, als die kleine Kutsche sich in Heilbronn am Gasthof ,Zur Sonne‘ zum Aussteigen öffnete. Aber das Liebe an der Geschichte war, dass sie als recht gute Freunde schieden und dankbar Gottes gnädige Fügung anerkannten, der durch direkten Einfluss des Himmels die nord- und süddeutschen widerstrebenden Elemente so gründlich zu einem einigen Deutschland amalgamiert hatte.“32

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Achim v. Arnim war ein preußischer Edelmann. Er hatte Jura, Mathematik, Physik und Chemie in Halle studiert und 1799 seine erste Schrift über den „Versuch einer Theorie elektrischer Erscheinungen“ veröffentlicht. Später war er Schriftsteller und Mitherausgeber der berühmten Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Vom Hohenasperg aus wandte sich List wieder an Kerner und träumte davon, mit ihm wieder einmal gemütlich zu lästern, zu lachen, zu träumen und zu weinen. Jedes Mal, wenn er auf dem Wall des Höllenberges spazieren gehe und nach unten schaue, spreche er sich Mut zu und habe er ein gutes Gewissen, weil er sich gegen die „Treiberknechte“ ausgesprochen habe. Nun sei er entschlossen, übers Meer zu ziehen und sich um den „ganzen europäischen Plunder, Euren alt- und neuwürttembergischen Quark inbegriffen“, nicht mehr kümmern wolle. Das sei nun beschlossen und werde ausgeführt, sobald die Schwalben ziehen. Ihr habt inzwischen, wie ich höre ein niedliches Haus gebaut mit einem lieblichen Gärtlein. Es ist auch mein Wunsch, nur soll mein Häuslein nicht auf europäischem Grund und Boden stehen, sondern in der freien Luft einer Republik, wo man die Leute nicht bei den Haaren herumzieht und einsperrt, wenn sie vernünftig reden.“33 Und dann äußerte er wie ein Schiffbrüchiger, der sich an das letzte Stück Holz klammert, folgenden Wunsch: „Es hat mir geträumt, ich werde in der Lotterie mein Reisegeld gewinnen und (sogar) noch etwas darüber. Da ich nun inzwischen (auch) ein Mystiker und Magnetiseur geworden bin, so zweifle ich keinen Augenblick an der Wahrheit dieses Ereignisses, nur sehe ich nicht ein, wie ich in der Lotterie gewinnen könnte, wenn ich nichts dareinsetze. Wolltet Ihr nicht die Güte haben, mir von irgendeinem Lotteriekollekteur in Heilbronn ein Los zu verschaffen, gleichviel von welcher Lotterie, – nur darf es nicht über 20 Gulden kosten. Im Hessischen und Bayerischen werden mehrere Güter ausgespielt, und ich glaube, die Lose kosten nur 6 bis 12 Gulden. Ein solches wäre mir am liebsten. Und je früher die Lotterie gezogen wird, umso lieber ist’s mir, denn ich brauche das Geld bald. Es ist dies mein vollkommener Ernst; sorgt, dass mir ein solches Los zur Einsicht geschickt wird nebst dem Plan. Vom Gewinn sollt Ihr Euren Teil erhalten, denn Eure Hand bringt mir Glück.“34 Natürlich ist es bei dem frommen Wunsch geblieben, weil List offenbar eine Niete gezogen hat. Nach seiner Rückkehr aus Amerika scheint der Kontakt zu Justinus Kerner abgebrochen zu sein, der fast ganz erblindet, ab 1851 seine Arztpraxis aufgeben musste. König Ludwig I von Bayern hat dem Dichter mit einem Gratial bedacht und König Wilhelm I noch eine Summe draufgelegt. Der Dichter wurde zum Ritter des Ordens der württembergischen Krone und zum Mitglied des bayerischen Maximilianordens ernannt. Sein dichterisches Schaffen hat sich in vielfältiger Weise in seiner reichhaltigen Lyrik, seinen Erzählungen und Schilderungen, in seinen berühmten Kleksographien und Romanen niedergeschlagen. Er ist 1862 in Weinsberg gestorben.

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8. Ludwig Uhland (1787-1861), Jurist, Sprachforscher, Dichter und Politiker Nach den Geisteshelden Friedrich Schiller und Friedrich Hölderlin zählen Ludwig Uhland und Eduard Möricke zu den berühmtesten schwäbischen Dichtern im 19. Jahrhundert. Der auch heute noch bekannte Dichter Uhland lebt z.B. in seinem Gedicht: „Ich hatte einen treuen Kameraden, einen Besseren find’st Du nicht!“ oder in seinem Gedicht „Dort oben stehet die Kapelle“, in dem er die Wurmlinger Kapelle besingt, volksnah fort. Uhland wurde 1787 in Tübingen geboren und studierte an der Universität Rechtswissenschaft. Gleichzeitig begeisterte er sich für die deutsche und französische Poesie des Mittelalters. Nach seinem Studium unternahm er eine mehrmonatige Reise nach Paris, wo er sich neben dem Code Civil vor allem dem Studium altfranzösischer und mittelhochdeutscher Manuskripte widmete. Nach seiner Rückkehr nach Württemberg ließ er sich als Anwalt in Stuttgart nieder. Bald darauf veröffentlichte er die erste Ausgabe seiner Gedichte, die ganz im Banne der Romantik verfasst sind. Im Laufe seines Lebens hat sich Uhland nicht nur als schwäbischer, sondern als deutscher Dichter einen bleibenden Namen gemacht. Neben seinen literarischen Arbeiten betätigte er sich auch als Politiker. Er schaltete sich in das politische Ringen um die neue Verfassung für das Königreich Württemberg ein, wobei er in seiner verklärten und rückwärts gewandten Art die Position der „Altrechtler“ vertrat. 1820 wurde er als Abgeordneter der freisinnigen Partei in die württembergische Ständekammer gewählt, und 1829 erhielt er eine Professur für deutsche Literatur an der Universität Tübingen, die er aber bereits 1832 wegen Differenzen mit der württembergischen Regierung niederlegte. Dann war er wieder Mitglieder der Deputiertenkammer, legte aber 1839 auch dieses Mandat nieder. Bis zur Revolution von 1848 lebte er zurückgezogen und arbeitete literarisch als Dichter und Gelehrter. Er wurde dann als Abgeordneter der Linken in die erste deutsche Nationalversammlung gewählt und setzte sich in der Paulskirche hinsichtlich der politischen Einigung Deutschlands für eine großdeutsche Lösung unter Einschluss Österreichs ein, wandte sich aber gegen das Erbkaisertum. Nach 1850 zog er sich wieder aus der Politik zurück und widmete sich in Tübingen weiterhin seinen literarischen Arbeiten bis er hoch verehrt, im Alter von 75 Jahren in Tübingen gestorben ist.

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Aus Uhlands Tagebuch ist bekannt, dass auch Friedrich List zum Freundeskreis des Advokaten zählte. Dabei sind in Tübingen drei Treffen belegt: am 9.11.1811 sowie am 20.1. und am 9.2.1812, ehe Uhland im Dezember 1812 nach Stuttgart umgezogen ist. Die Treffen fanden im Haus des Kaufmanns Friedrich Knaus, Am Markt 1, statt, welches sich rechter Hand an das Rathaus anschmiegt. Als entschiedener „Altrechtler“ stand Ludwig Uhland in der Verfassungsfrage in Opposition zu List. Am 9.2.1817 berichtete Uhland seinen Eltern, dass der Rechnungsrat List „als Handlanger Wangenheims“, in Waldenbuch eine Konferenz abgehalten habe, um Unterschriften für die neue Kommunalverfassung zu sammeln, was aber kläglich gescheitert sei.35 Nach Lists Berufung auf den Lehrstuhl der Staatswirtschaft an der Universität Tübingen äußerte Uhlands Vater, der als Universitätssekretär tätig war, bei seinem Sohn die Verwunderung, dass List als Mitglied in den Senat aufgenommen werden solle und die Universität nun auch nicht wissenschaftlich gebildete Professoren habe.36 Schließlich begegneten sich beide in der kurzen Zeit als Friedrich List ebenfalls Mitglied des Landtags war. Als es dann darum ging, List wegen seiner „Reutlinger Petition“ das Abgeordnetenmandat zu entziehen, wurde am 7.2.1821 eine siebenköpfige Kommission gebildet, die ein entsprechendes Rechtsgutachten erstellen sollte. Der Abgeordnete Uhland hatte den Vorsitz der Kommission inne. In der Sitzung vom 12. Februar gab der Abgeordnete von Heilbronn bekannt, dass ihm von vielen braven Heilbronner Bürgern eine mit der Sache List in Verbindung stehende Eingabe zugegangen sei und bat darum, diese Petition verlesen zu dürfen. Die Abstimmung mit 71 pro und 10 Gegenstimmen brachte ein eindeutiges Ergebnis. Die Heilbronner Bürger erklärten, dass List nichts als die trockene Wahrheit gesprochen habe und seine Sache vollkommen billigen. Allerdings wurde nach dem Verlesen der Adresse mit 44 gegen 37 Stimmen beschlossen, diese aus den Akten zu entfernen. (!)37 Bei diesen und den folgenden Abstimmungen hat Ludwig Uhland stets seine Stimme für List abgegeben. Auf der Sitzung vom 15. Februar, an der List nicht teilgenommen hatte, ging es darum, ob sich der Beschuldigte gegen die Anschuldigungen des Justizministers verteidigen dürfe. Bei der Debatte hatte sich Uhland 8 Mal zu Wort gemeldet und damit die meisten Redebeiträge geliefert. Da es zu keiner Abstimmung kam, wurde die Debatte am 16.2 fortgesetzt. Wiederum setzte sich Uhland dafür ein, dass sich List im Parlament verteidigen dürfe. DerAntrag führte dazu, dass dieser am folgenden Tag das Wort ergreifen durfte. In seiner 1 1/2 stündigen Rede, die eine staatswissenschaftliche und juristische Glanzleistung war, versuchte List, seine „Petititon“ zu rechtfertigen.38 Im Anschluss daran, wurde die Rechtauffassung der Kommission vom Berichterstatter Uhland vorgetragen. Das ca. 6 Druckseiten umfassenden Gutachten bezieht sich auf § 135 der Landesverfassung. Darin war festgelegt, dass ein Mitglied der Ständeversammlung „weder in eine Kriminaluntersuchung verflochten, noch durch gerichtliche Erkenntnis zur Dienstentsetzung, zur Festungsstrafe mit

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Zwang zu öffentlichen Arbeiten oder angemessener Beschäftigung oder zu Zuchthaus verurteilt worden oder wegen eines angeschuldigten Verbrechens bloß von der Instanz entbunden sein“ dürfe. In dem verklausulierten, etwas umständlichen und weitschweifigen Plädoyer sind nur wenige konkrete Sätze zu finden, die sich so zusammenfassen lassen: Es sei unbestritten, dass nicht jede bei einer Kriminalbehörde anhängige Untersuchung ohne Rücksicht auf die Art und Größe des angeschuldigten Vergehens und der dafür vorgesehenen Strafandrohung einen Ausschluss aus der Ständeversammlung rechtfertige. Der Wortlaut des § 135 setze ein Verbrechen, im Unterschied zu einem bloßen Vergehen voraus. Bis jetzt habe noch niemand behauptet, dass der vorliegende Fall in einem konstitutionellen Staat, dessen Verfassung die Pressefreiheit garantiere, als Kriminalverbrechen anzusehen sei. Für eine Kriminaluntersuchung fehle die formelle Rechtsgrundlage. Nach Abwägung und Würdigung aller Umstände stelle die Kommission den Antrag, dass die Kammer weder dem Ausschluss noch der Suspension des Abgeordneten List stattgebe und die Regierung von dieser Entscheidung in Kenntnis zu setzen sei. Am Gutachten der Kommission ist zu kritisieren, dass es weder die politischen Umstände noch den konkreten Wortlaut der Petition in Betracht gezogen hat und auch nicht die Frage erörtert wurde, ob der Duktus der Petition allenfalls eine Zeitstrafe ohne den entehrenden Zusatz rechtfertigen würde und List somit in der Kammer verbleiben könne. Weshalb die Kommission resp. Uhland so vorsichtig zu Werke gegangen sind, kann nur spekuliert werden. Als nämlich der amtierende Justizminister im Auftrag des Königs dem Parlament zu verstehen gab, dass dieser die Petition als Majestätsbeleidigung betrachte und damit drohte, der König werde das Parlament auflösen, falls sich die Abgeordneten dem Ausschluss widersetzen würden, konnten auch Uhland und die anderen Kommissionsmitglieder nichts mehr ausrichten. Bei der Abstimmung gehörten Ludwig Uhland und Johann Friedrich v. Cotta zu den 36 Abgeordneten, die sich gegen den Ausschluss ausgesprochen haben. Am folgenden Tag, hatte Uhland den Antrag gestellt, dass die Kammer ihre Entscheidung solange aussetzen möge, bis die Entscheidung des Obertribunals gefallen sei. Gegen diesen Antrag hielt der Justizminister entgegen: „Der König, der mich zu Ihnen sendet, treu zu seinem Worte und treu der Verfassung, wird es nicht dulden, dass irgendjemand dieses Kleinod des Volkes (gemeint ist die neue Landesverfassung) antastet. Zum Schutze derselben wird er jedes Mittel ergreifen, das die Verfassungsurkunde zur Entschlossenheit gewährt.“ Dies war eine unverhohlene Drohung an die Mitglieder der Deputiertenkammer. Damit war der Widerstand gebrochen und Lists Schicksal besiegelt. Daraufhin erklärte der Abgeordnete Ludwig Uhland: Die Verfassungsurkunde beschränke in keiner Weise seine eigene selbstständige Überzeugung, ob eine Kriminaluntersuchung vorhanden sei oder nicht. Er könne und wolle keinen solchen Fall sehen und wo sich ihm keiner darstelle, darum Nein!

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Dazu meinte Prof. Karl Bauder in einem Aufsatz von 1912: „Wenn man die Gründe wiegt, so ist List der Sieger, wenn man die Stimmen zählt, so ist er der ministeriellen Mehrheit unterlegen.“ Die Frage: Soll der Abgeordnete List das Recht haben, in die Kammer wieder einzutreten, wenn der Oberrichter die Kriminaluntersuchung für nichtig erklären wird, wird mit 50 gegen 36 Stimmen verneint. Selbst Lists Freunde verneinten diese Frage mit der Begründung, dass der zeitweilige Ausschluss eines Abgeordneten, also die Suspendierung, weder durch die württembergische Verfassung noch durch den Geist des konstitutionellen Staates vorgesehen sei. Sie konnten damit aber auch nicht den Ausschluss verhindern. Während seines Exils in der Schweiz wandte sich List nochmals an Uhland mit der Bitte, für ihn im Parlament eine offene Protestation vorzulegen.39 In seiner Antwort versicherte Uhland, dass er das gegen ihn ergangene Urteil nach wie vor als ungerecht empfinde und keinen Anlass scheue, dies auszusprechen. Er habe jedoch als Abgeordneter keine Möglichkeit, einen Richterspruch aufzuheben. Wenn ihm eine solches Recht zu Gebote stünde, würde er nicht zögern, dies unaufgefordert anzuwenden. List selbst sei es unbenommen, seine Position bei der Kammer zu vertreten. Allerdings sei dann eine „gemäßigte Sprache“ empfehlenswert, was „dem Gekränkten oft schwerfalle.“ Also wieder eine Absage, die den Verurteilten wohl bitter enttäuschte, aber aus der Abgeordnetensicht durchaus verständlich ist. Wie die gesamte Rechtslage von einem Unbeteiligten beurteilt wurde, zeigt die Stellungnahme des sächsischen Geschäftsträgers in Stuttgart Freiherr v. Wirsing an das sächsische Außenministerium vom 11.1.2.1834. Darin erinnerte der Gesandte, dass kein Geringerer als Seine Majestät der König v. Württemberg am 4.6.1817 vor der aus 42 Abgeordneten bestehenden Minorität der alten Ständeversammlung bei deren Auflösung gesagt habe: „Das Schreibereiwesen, als eines der Hauptübel des Landes, werde Ich mit der Wurzel auszurotten suchen, damit auch für die Zukunft dieser durch Übermut und Egoismus sich auszeichnende Stand unschädlich gemacht werde. Verkünden Sie, meine Herren! in denjenigen Gegenden des Landes, wohin Sie zurückkehren werden, diesen meinen festen Entschluss.“ Dann fügte v. Wirsing hinzu: „Gegen diese Klasse von Staatsdienern war nun hauptsächlich der Ausfall gerichtet, den List sich gegen die damalige Verwaltung erlaubte und wozu ihn eine so erhabene Autorität gleichsam berechtigt zu haben schien. (…) Dass List unklug sich benommen hat, dass er mit zu großer Leidenschaft die Gebrechen des Staates aufgedeckt habe, ist nicht zu leugnen und eine derbe Zurechtweisung mag er daher verdient haben. Aber eine infamierende Strafe war offenbar das Werk der Rache, welche bei einem gewissenhaften Richter keinen Eingang hätte finden sollen. Die Stimme des Publikums hat sich später lautstark dagegen ausgesprochen und es ist noch gar nicht lange her, dass der Abgeordnete Uhland in öffentlicher Sitzung der Deputiertenkammer in Gegenwart der Herren das oben erwähnte Erkenntnis einen Justizmord genannt hat, ohne dass einer derselben auch nur ein Wort darauf erwidert hätte.“40

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9. Johannes Herzog von Effingen (1773-1840), eidgenössischer Unternehmer, Politiker und Diplomat In der eigentlichen Restaurationsperiode von 1819 bis 1830 gelang es Metternich, die Entwicklung einer breiten Opposition und deren Publizistik nachhaltig zu unterdrücken. Diese Periode wird mit Begriffen wie „Gedankenpolizei“, „Gewissenstyrannei“, „Geistestyrannei“ und „Pressesklaverei“ bezeichnet. Die entsprechenden Verbote hatten auch Auswirkungen auf die Eidgenossenschaft. Vor allem die Universität Basel war in dieser Zeit zum Zufluchtsort der ersten Generation politischer Häftlinge geworden. Ein anderer Anziehungspunkt bildete Aarau, das während der Helvetik für kurze Zeit Hauptstadt der Eidgenossenschaft war und in der Restauration zu den fortschrittlichsten Kantonen der Schweiz zählte. Allerdings kann, wie F. C. Müller richtig bemerkt, noch nicht von einer „Flüchtlingswelle“ gesprochen werden. „Es waren im Vergleich zu den 1830er und 1840er Jahren höchstens ein paar Dutzend deutsche Liberale, die in der Schweiz Aufnahme fanden“; – und dazu zählte auch Friedrich List, der seine Niederlassung dem beherzten Einsatz des damaligen Amtsbürgermeisters Johannes Herzog verdankt.41 Johannes Herzog von Effingen gilt als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Schweizer Geschichte in der Zeit der Helvetik. Der Zusatz „von Effingen“ war kein aristokratisches Attribut, sondern diente als Unterscheidung zu einem gleichnamigen anderen Abgeordneten im Großen Rat der Helvetischen Republik. Aber das scheinbar adlige Kennzeichen, das von seiner Geburt in dem kleinen Dorf Effingen bei Brugg herrührt, verlieh ihm eine gewisse Noblesse, die durchaus seinem Status und seinem Gebaren entsprach. Obwohl er nur eine einfache Schulbildung genießen konnte, entwickelte er ein ausgeprägtes Bildungsinteresse, wobei er historische und wirtschaftliche Werke bevorzugte. Er studierte aber auch naturwissenschaftliche und philosophische Abhandlungen. Im Alter von 15 Jahren trat er in das väterliche Baumwollgeschäft in Effingen ein, welches er so vergrößerte, dass er bald zu den bedeutendsten Geschäftsleuten im Kanton Aargau zählte. Dann gründete er eine Baumwollspinnerei, die zunächst als Handspinnerei betrieben wurde. Im Jahre 1810 stellte er als erster Unternehmer des Kantons auf eine mechanische Fertigung um. In seinem Unternehmen beschäftigte er die, für die damaligen Verhält-

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nisse außerordentlich große Zahl von 600 bis 700 Arbeiterinnen und Arbeitern. Etwa 5 Mal so viele Menschen fanden nach seinen eigenen Worten im Aargau und den östlichen Kantonen bei der Verarbeitung seiner Spinnereiprodukte ihren Lebensunterhalt. Später gliederte er der Spinnerei noch eine Weberei an. Er brachte es zum wohlhabendsten und politisch einflussreichsten Bürger des jungen Kantons Aargau. Deshalb sprach man auch vom „Herzogtum Aargau“ und vom „Le roi d’Argovie“. Um deutlich zu machen, welche Dimension dieses Unternehmen hatte, sei darauf hingewiesen, dass es zur gleichen Zeit im Jahre 1810 im Königreich Württemberg nur zwei Betriebe gab, die jeweils 180 Beschäftigte hatten und dabei mit weitem Abstand die größten Fabrikationsbetriebe waren.42 Schon frühzeitig trat Herzog in vielfältiger Weise in der eidgenössischen Politik hervor. Dabei hat er sich als liberaler, auf Ausgleich und Verständigung bedachter Staatsmann einen Namen gemacht. Bei der Gründung der helvetischen Republik durch Napoleons Gnaden im Jahre 1798 wurde er als jüngstes Mitglied in den Großen Rat berufen und nach der Loslösung des Aargaus von Bern gehörte er meistens dem Großen oder dem Kleinen Rat der Kantonsregierung an. Als Abgesandter der Schweiz vertrat er die Eidgenossenschaft auf dem Wiener Kongress. Außerdem war er in mehreren Funktionen bei der Beilegung von politischen Unstimmigkeiten beteiligt. Über mehrere Jahrzehnte hinweg galt er als das eigentliche Haupt der kantonalen Regierung und sein politischer Einfluss erstreckte sich auf die gesamte eidgenössische Politik. Man kann sagen, dass Herzog über 40 Jahre lang von 1798 bis zu seinem Tod 1840 die schweizerische Politik maßgeblich mitbestimmte. Mit der Reputation eines „Staatsoberhauptes“ des Kantons Aargau, empfing Herzog u.a. auch den russischen Zaren Alexander I und den habsburgischen Kaiser Franz I bei ihrer Durchreise durch den Kanton. Herzog litt an starkem Rheuma. Um sich eine Linderung seiner Beschwerden zu verschaffen, begab er sich ab 1820 alljährlich nach Cannstatt zur Kur. Bei diesen Aufenthalten lernte er viele damals einflussreiche politische Persönlichkeiten der württembergischen Regierung kennen, u.a. auch König Wilhelm, der ihn gelegentlich zur Tafel eingeladen hat. Während eines solchen Kuraufenthaltes wurde in Schwenningen ein neues Salzvorkommen entdeckt. Herzog schlug vor, von dieser Saline den Aargau und andere Schweizer Kantone mit Salz zu beliefern, wobei er für den Absatz des Salzes in der Schweiz sorgen wolle. Der König stimmte diesem Ansinnen zu, was aber Herzog nicht nur Freunde, sondern auch heftige Kritik einbrachte. Die Eidgenossenschaft war gerade in der Zeit der Helvetik ein Zufluchtsort für politische Migranten, insbesondere deutsche, die als „Demagogen“ verfolgt, in der Schweiz um Asyl baten, wobei die Kantone Basel und der Aargau die liberalsten waren, in denen die meisten Migranten eine Niederlassungsbewilligung erhielten. Diese Aufnahmepraxis war nicht risikolos, weil sie vor allem dem habsburgischen Staatskanzler v. Metternich ein Dorn im Auge war und mit Arg-

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wohn verfolgt wurde. Hierbei zeigte sich Johannes Herzog v. Effingen als unerschrockener Eidgenosse, der die Niederlassung der politischen Flüchtlinge mit außergewöhnlichem Engagement unterstützte. Er vertrat die Meinung, dass man die Auslieferungsersuchen des benachbarten Auslandes mit dem Argument zurückweisen müsse, dass politische Schwärmer es nicht vermögen, die innere Ruhe der Schweiz zu stören und diese ein würdiges und unauffälliges Verhalten an den Tag legen. In diesem Zusammenhang ist ein anonymer Artikel in der „Neckarzeitung“ vom 2.7.1823 erwähnenswert, der wahrscheinlich aus Lists Feder stammt, der zu jener Zeit viele Artikel zu der von seinem Schwager herausgegebenen Zeitung beisteuerte. Darin berichtet der Verfasser von einer bemerkenswerten Rede, die Herzog vor dem Großen Rat des Kantons Aargau gehalten und die der geistvolle Redner mit folgendem mutigen Appel geschlossen hat: Sollte es treulosen Einflüsterungen gelingen, den Weg zu den Ohren der Regierung eines mit der Schweiz befreundeten Staates zu bahnen, welche die großzügige Aufnahmepraxis der Schweiz kritisieren, müsse man um „die ungünstigen Eindrücke solcher schädlichen Verleumdungen“ zu entkräften, diesen Regierungen mit aller Deutlichkeit klar machen: Kommt selbst in unsere fröhliche Bergwelt, in unsere friedlichen Täler und Ihr werdet Zeuge der Ruhe und Eintracht sein, die unter uns herrscht. Ihr werdet uns dann wieder mit der Überzeugung verlassen, dass die Schweiz weit davon entfernt ist, das Sammelbecken von ruhestörenden Demagogen zu sein. Im Gegenteil: das ruhigste Land auf Erden ist heute nichts anderes, als was es von jeher war und wozu es von der Natur bestimmt zu sein scheint: eine Freistätte für jeden rechtschaffenen Mann, der unverschuldet, durch umwälzende politische Ereignisse verfolgt, nichts mehr sucht und wünscht, als Ruhe und ein friedliches Grab. Man werde sich überzeugen, dass die Eidgenossenschaft in ihren bescheidenen Verhältnissen und sehr begrenzten Lage, die ihr jede Einmischung in auswärtige Angelegenheiten verbietet, mit gewissenhafter Treue jede Parteinahme unterlässt, die ihr gemäß ist und ihrer Neutralität zu Grunde liegt. Dies werde auch zeigen, dass sich alle Eidgenossen vom ersten Magistrat bis zum Hirten herab, nicht nur dem Worte nach, sondern mit ihrem neutralen Verhalten wünschen, ihre Freiheit und Unabhängigkeit, ohne die für sie kein erträgliches Leben denkbar wäre, zu bewahren und für die Bewahrung dieses hohen Gutes, wenn nötig, Blut und Leben zu opfern.“43 Da diese beherzte und nicht zu überhörende Mahnung zeitlich mit Lists Begehren um eine Niederlassungsbewilligung im Kanton Aargau zusammenfällt, steht der unmittelbare Zusammenhang außer Frage. Es ist zu vermuten, dass sich Herzog bei König Wilhelm rückversichert hat, dass dieser im Gegensatz zu Lists erstem Asyl im Elsass kein Auslieferungsersuchen stellen wird, wie er dies beim französischen Innenminister getan hat. Sein selbstloser Einsatz für politisch verfolgte Emigranten brachte Herzog von Effingen bei seinen eigenen Landsleuten auch zahlreiche persönliche An-

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feindungen ein, weil man ihn als Söldner des Auslandes diskreditierte. Solchen Anfeindungen trat er jedoch mit Entschiedenheit entgegen. Souverän bekannte er: „Ich kümmere mich sehr wenig über das Urteil solcher Menschen; es ist mir gleichgültig, solange mir mein innerer Richter das Zeugnis treu erfüllter Pflichten gibt; aber bedauerlich ist es, dass es noch so viele Menschen gibt, die es als Wahnsinn bezeichnen, wenn ihnen ein leidenschaftsloser, ruhiger Beobachter den freundlichen Rat gibt, sie möchten auf einem gefüllten Pulverfass wenigstens kein Feuer schlagen.“ Wegen dieser aufrechten Haltung genoss Herzog, trotz wachsender Opposition, in der ganzen Schweiz und im angrenzenden Ausland hohes Ansehen. Vor diesem ethischen und philanthropischen Hintergrund wird verständlich, dass Johannes Herzog auch das Niederlassungsersuchen von Friedrich List wohlwollend unterstützte und bei der württembergischen Regierung eine entsprechende Absicherung eingeholt hat. Ferner ist bekannt, dass List mehrfach bei Herzog vorsprach, um ihn durch „mündliche Erläuterung“ über seine schwierige Lage und Absichten zu informieren. Die „mannigfaltige“ und „wirksame“ Hilfe, die ihm dabei zu Teil wurde, nährte in List die Überzeugung, in Herzog einen wertvollen „Vermittler“ gefunden zu haben, der aufgrund seiner „unabhängigen Stellung“ mehr beim württembergischen König auszurichten vermochte, als selbst die einflussreichsten württembergische Regierungsvertreter.“ Im Juli 1824 befand sich Herzog zur Teilnahme an einer Tagsatzung in Bern. Zu jener Zeit erfuhr List, als er bereits alle Anstalten zur freiwilligen Rückkehr nach Württemberg getroffen hatte, dass König Wilhelm in Marseille weile und die Absicht habe, über die Schweiz zurück zu reisen und bei dieser Gelegenheit auch Johannes Herzog zu besuchen. Diese Mitteilung nahm List zum Anlass, um den Schweizer Staatsmann erneut um eine Vermittlerrolle zu bitten. Er bat ihn, entweder eine Audienz beim König zu vermitteln oder ihm wenigstens die beigefügte Petition zu überreichen. Dieses Anliegen beantwortete Herzog zwar wohlwollend, ohne jedoch ein konkretes Versprechen abzulegen. Er sei zwar nicht abgeneigt, ihm nach Kräften behilflich zu sein. Dies könne jedoch nicht auf dem gewünschten Wege erfolgen. Wahrscheinlich werde ihn der König doch nicht besuchen, sodass er ihn voraussichtlich erst wieder bei seiner nächsten Kur sehen werde. Dann sei er gerne bereit, ihm die Petition zu überreichen. Dass List die soziale Bereitschaft von Herzog richtig einschätzte, geht aus dem Schlusssatz seiner Antwort deutlich hervor. Darin betont Herzog: „Das Schicksal meiner Nebenmenschen ist für mich nie gleichgültig gewesen und so oft ich eine Träne zu trocknen vermochte, finde ich einen Gewinn für mich selbst darin. Könnte ich das Ihrige in eine frohere Zukunft verwandeln, so würde ich mich einer menschenfreundlichen Handlung mehr erfreuen.“ Solch mitfühlenden Worte hat List auf seinem beschwerlichen Lebensweg nur selten vernommen

Teil I: .Bedeutende Bekanntschaften aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

Teil II: Begegnungen aus der Zeit des amerikanischen Exils

1. Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette (1757-1834), französisch-amerikanischer General und Politiker Der Held des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes wurde 1757 als Spross einer alten französischen Adelsfamilie geboren. Schon als Junge zeigte er ein glühendes Verlangen für die höchsten Ziele der Aufklärung. Er gehörte zu den ersten Aristokraten Frankreichs, die der Sache der neuen Freiheit mit ganzem Herzen hingegeben waren. Der Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes begeisterte den jungen, schwärmerischen und ritterlichen Mann über alle Maßen. Obgleich Frankreich zunächst eine militärische Unterstützung für den amerikanischen Unabhängigkeitskampf verweigerte, rüstete der erst 19jährige Lafayette aus dem Erbe seines gefallenen Vaters und der früh verstorbenen Mutter – trotz ausdrücklichem Verbot des französischen Hofes, der Klagen seiner jungen Ehefrau und des Zorns ihrer Familie – auf eigene Kosten ein ganzes Schiff aus, um den Amerikanern zu Hilfe zu eilen. Der US-Kongress ernannte ihn zwar zum Generalmajor, doch Lafayette bestand darauf, als Freiwilliger ohne Sold zu dienen. Seine Siegeszuversicht und der persönliche Einsatz waren für die Amerikaner ein leuchtendes Vorbild. Bald hatte er durch seine Persönlichkeit und Ritterlichkeit die Freundschaft von George Washington gewonnen, der auf die Gesinnung und Denkweise von Lafayette einen mächtigen Einfluss ausübte. Lafayettes Beispiel strahlte auch auf die europäischen Nationen aus und bewog Tausende dazu, ihm zu folgen. Außerdem beflügelte er durch seinen Einsatzwillen auch die liberalen Bestrebungen in Frankreich. Nach dem Ende des Unabhängigkeitskampfes kehrte Lafayette wieder nach Frankreich zurück, wo er stürmisch gefeiert und fast vergöttert wurde. Hier entwarf er 1789 als Mitglied der Ständeversammlung die berühmte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die nach Friedrich Heer zu den „großen Dokumenten der Weltgeschichte“ zählt. Kurz darauf, wurde Lafayette zum Vizepräsidenten der Assemblé nationale gewählt und zum Generalkommandeur der Bürgergarde ernannt. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Wendler, Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31448-4_2

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Bei allen Hauptszenen der französischen Revolution tat er sich als besonnener, ausgleichender, auf Recht und Ordnung bedachter Politiker hervor. Er war u.a. bestrebt, das gefährdete Leben der königlichen Familie zu schützen und trat dafür ein, dass Ludwig XVI König bleiben solle, wenn er die neue Verfassung anerkennen würde. Unterdessen hatten die Jakobiner die Macht an sich gerissen und Lafayette des Hochverrats angeklagt. Er wurde zwar freigesprochen, aber nachdem der König und seine Familie hingerichtet worden waren und gegen Lafayette erneut Anklage erhoben wurde, flüchtete er mit einigen gleichgesinnten Offizieren ins Ausland. Seine Absicht war es, sich über Holland in die USA abzusetzen. Auf der Flucht wurde er jedoch von einer österreichischen Streifenwache gefangen genommen und 5 Jahre lang in den Festungen von Wesel, Magdeburg und Olmütz eingekerkert. George Washington bemühte sich erfolglos um seine Freilassung; sie wurde erst von Napoleon als wesentliche Bedingung beim Friedensschluss mit Österreich erzwungen. So zuvorkommend er auch vom Ersten Konsul behandelt wurde, verleugnete Lafayette jedoch weder sein Misstrauen gegen Napoleon noch die Grundsätze der französischen Revolution von 1789. Die Ernennung zum Senator, die man ihm anbot, lehnte er ab, weil er sich erst davon überzeugen wollte, ob Napoleon die bürgerliche Freiheit respektieren würde. Diese Brüskierung erboste den Ersten Konsul in höchstem Maße. Während der gesamten napoleonischen Ära lebte Lafayette zurückgezogen auf seinem Landgut La Grange. Auch während der ersten Restauration gab er seine Zurückgezogenheit nicht auf, obwohl ihm Napoleon die Pairswürde angetragen hat. Lafayette lehnte jedoch abermals ab. Erst nach der Schlacht bei Waterloo, meldete er sich wieder zurück und pochte erneut auf die Einhaltung der Grundsätze von 1789 und drängte Napoleon zur Abdankung. Dann wurde er Mitglied der Kommission, die mit der Heiligen Allianz den Waffenstillstand aushandelte. Danach wurde Lafayette wieder in die Nationalversammlung gewählt, in der er sich als Mann des Rechts und standhafter Verteidiger der öffentlichen Ordnung und Freiheit große Verdienste erworben hat, bei den extremen Gruppen aber auch auf heftige Ablehnung stieß. Im Januar 1824 wurde Lafayette vom damaligen Präsidenten der Vereinigten Statten, John Quincy Adams, eingeladen, in Begleitung seines Sohnes, George Washington de Lafayette sowie seines Schwiegersohnes und Sekretärs Auguste Levasseur, zu einer Rundreise durch die atlantischen Küstensaaten in die USA zu kommen. Diese ca. 1 1/4 Jahre dauernde Reise wurde für Lafayette zu einem wahren Triumphzug, mit dem die amerikanische Nation ihren tief empfundenen Dank für die Unterstützung beim Kampf um die Unabhängigkeit zum Ausdruck bringen wollte. Bei der Juli-Revolution von 1830 spielte Lafayette nochmals eine bedeutende Rolle. Er leitete den Aufstand, organisierte die Nationalgarde von Paris, erklärte die Absetzung der Bourbonen und stimmte schließlich dem Vorschlag zu, den Herzog v. Orléans zum König zu wählen. Als sich aber die liberalen Versprechungen des Königs

Teil II: .Aus der Zeit des amerikanischen Exils

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Begrüßung von Lafayette als Staatsgast der USA. nicht erfüllten, zog sich Lafayette endgültig aus dem politischen Leben zurück. Bis zu seinem Tode im Jahre 1834 blieb er der liberalen Partei aber treu verbunden. Die in der jahrelangen Kerkerhaft erlittenen Qualen und natürlich dessen liberale Gesinnung mögen bei Lafayette dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass Friedrich List in ihm einen ehrlichen und verlässlichen Fürsprecher fand. Den ersten indirekten Kontakt mit Lafayette hatte List bei seinem ersten Exil in Straßburg. Im Jahre 1822 hatte der französische Rechtsgelehrte Etienne Aignan, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, unter dem Titel „Histoire du Jury“ eine Schrift über die französischen Geschworenengerichte veröffentlicht. Diese wurde von Friedrich List unter der Mithilfe seines Freundes Karl Flachsland ins Deutsche übersetzt und als erstes Bändchen seiner Schriftenreihe „Themis“ im März 1823 bei G. L. Schuler in Straßburg gedruckt. Die Schrift ist keinem Geringeren als Marquis de Lafayette in „Verehrung und Freundschaft“ gewidmet. Während des sich anschließenden Exils in der Schweiz nahm List schriftlich mit Lafayette Kontakt auf, ehe er mit einem anderen deutschen Emigranten, Karl Follen., im April 1824 von Aarau aus nach Paris reiste, um dort die Möglichkeit zur Niederlassung und Gründung einer dauerhaften Existenz bzw. zur Auswanderung in die Vereinigten Staaten zu sondieren. In Paris wurde List von Karl Follen mit einem Vertrauten Lafayettes, dem Philosophieprofessor Victor Cousin bekannt gemacht, der ihm eine persönliche Unterredung mit Lafayette vermittelte. Schon vor dieser Begegnung äußerte sich Lafayette, aufgrund der Korrespondenz wohlwollend und anerkennend über List. Er lobte dessen mutigen philosophischen Geist und bescheinigte ihm, die Verbannung mit großer Würde zu ertragen, was für Freunde der Gerechtigkeit und Freiheit ein besonderer Ehrentitel sei; er bedauerte die Widrigkeiten, die List durchmachen musste und versicherte ihm seine Anteilnahme und guten Wünsche für eine bessere Zukunft. Außerdem bescheinigte ihm Lafayette, dass er die französische Sprache schon ganz gut beherrsche.44

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Über die erste persönliche Begegnung mit dem Marquis und dessen Bereitschaft, List zu der geplanten Reise nach Nordamerika mitzunehmen, schrieb der Eingeladene voller Begeisterung an seine Frau: „Es seien ihm (Lafayette) über 100 Briefe zugekommen um Mitnahme; er habe sie alle abgewiesen. Meine Verhältnisse aber seien von der Art, dass er es meiner Person und der guten Sache schuldig zu sein glaube, alles für mich zu tun, was in seinen Kräften stehe. Der herrliche Alte embrassierte mich und rührte mich zu Tränen. Abreisen werde er erst im August und er werde vorher noch Nachricht geben, damit man sich richten könne. Außerdem habe sich Lafayette bereit erklärt, ihm für die Weiterreise nach London Empfehlungsschreiben mitzugeben, damit er dort die nützlichsten Bekanntschaften machen könne.“45 Nachdem Lists Antwort zunächst ablehnend ausgefallen war, weil er sich mit Rücksicht auf seine Frau und die Kinder für die freiwillige Rückkehr nach Württemberg entschieden hatte, teilte ihm Lafayette sein Bedauern mit und versicherte abermals seine hohe Wertschätzung und aufrichtige Verbundenheit. Er bekräftigte nochmals die Einladung und versicherte ihm, dass ihn seine Freunde in den USA gut empfangen würden. Für List wäre es von größtem Nutzen gewesen, hätte er Lafayettes Einladung sofort angenommen. Im Januar 1825 schrieb ihm der Marquis aus Richmond in Virginia: er wünschte sich, List an den Wohltaten der Reise teilhaben zu lassen, die er auf seiner triumphalen Tour erfahre und hoffe, ihn bald in den Vereinigten Staaten begrüßen zu dürfen. Über die weitreichende Bedeutung dieser Einladung war sich List wohl bewusst, wenn er feststellt: „Mein Schicksal war mir ein Schlüssel, der mir die Türen der bedeutendsten und edelsten Männer der Zeit öffnete und mir die besten Kenntnisse über Nordamerika, zugleich aber auch die besten Empfehlungs-

Monticello, der Landsitz von Thomas Jefferson, dem 3. Präsidenten der USA.

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briefe nach jenem Lande verschaffte. So war ich, schon als ich zu Schiffe ging, ein ganz anderer Mann als zur Zeit meines Austritts aus der württembergischen Deputiertenkammer.“46 Als List am 5. Juni 1825 mit seiner Familie in New York eintraf, hatte Lafayette bereits mehr als zwei Drittel seiner Reise durch die atlantischen Küstenstaaten zurückgelegt. Da er zur selben Zeit in New York war, konnten die Neuankömmlinge unmittelbar mit ihm zusammentreffen. Über die herzliche Aufnahme berichtet Lists älteste Tochter Emilie: „In New York langten wir am 5. Juni 1825 an; hielten uns aber nur wenige Tage auf; Lafayette war gerade dort anwesend und eine meiner ersten Erinnerungen ist es, dass der Vater uns Kinder zu ihm führte und der alte Herr freundlich mit uns sprach und uns küsste. Lafayette lud den Vater ein, mit ihm zu reisen und Vater nahm dies dankbar an, da er hoffte, auf dieser Reise nützliche Bekanntschaften zu machen und sich im Lande etwas umzusehen. Er brachte uns nach Philadelphia, mietete ein kleines Haus in den Northern Liberties, einer Vorstadt, wo meistens Deutsche wohnen, brachte uns Kinder in eine englische Schule und reiste ab.“ Er ging wieder nach New York zurück und fuhr dann mit dem Dampfer den Hudson hinauf bis nach Albany, wo er wieder mit Lafayette zusammentraf. Dadurch bot sich dem Neuankömmling „eine Gelegenheit, wie sie willkommener nicht hätte sein können, das Leben und Treiben in der neuen Welt unter den günstigsten Umständen kennenzulernen. 2 1/2 Monate lang führte ihn die Reise durch die am dichtesten besiedelten und blühendsten Gegenden der Union, vom nördlichen New York durch die nordatlantischen Staaten bis nach Maryland und Virginia im Süden. Nicht minder interessant als das soziale und wirtschaftliche Leben, das da an seinem Auge vorbeizog, dürften für seinen regen Gesichtskreis die Bilder aus der politischen und kulturhistorischen Entwicklung seiner neuen Heimat gewesen sein, die ihm auf den Schlachtfeldern des Revolutionskrieges, wo die Unabhängigkeit der Union erkämpft wurde und an den Stätten, wo das Fundament des neuen Staatswesens geschaffen worden war, sowie in den Gewerbezentren und Ackerbaugegenden so unmittelbar entgegentraten. Meistens folgte List in der dritten, auf die beiden ersten Lafayette, dessen Sohn George Washington de Lafayette sowie seinem Schwiegersohn Auguste Levasseur47 vorbehaltenen Kutschen, die mitunter bei besonders prächtigen Empfängen von einer starken Reitereskorte begleitet waren. Dass ihn diese Ehre mit froher Rührung und freudigem Glücksgefühl erfüllte, versteht sich nach den erlittenen Schmähungen und der strapaziösen Auswanderung nur allzu gut. Auf dieser Jubelreise lernte der Neuankömmling alle damals führenden Männer der Vereinigten-Staaten kennen. Kein Deutscher hatte zu jener Zeit so viele Kontakte zu den maßgebenden Politikern der USA wie Friedrich List. Seine Tochter Emilie bemerkt dazu: „Diese Reise Lafayettes war ein wahrer Triumphzug und, dass er gleichsam von Lafayette in Amerika eingeführt wurde, kam ihm bei seinen späteren Unternehmungen sehr zu statten.“ Deswegen wurde der Auswanderer später auch von Mitgliedern der

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Regierung und des Kongresses mitunter über europäische Handelsangelegenheiten konsultiert. Da Lafayettes Schwiegersohn und Sekretär die Eindrücke dieser Reise in einem ausführlichen und umfassenden Bericht festgehalten hat, ist es möglich, auch die Eindrücke, die List auf der letzten Etappe mitnehmen konnte, dementsprechend wiederzugeben. Am 2.7.1825 traf List in Albany wieder mit Lafayette zusammen. Aus einer kurzen Zeitungsnotiz erfahren wir, dass in der Halle des Kapitols ein Essen stattfand, an dem neben den Ehrengästen der Gouverneur Van Ness, der Richter Storey, Mr. Webster aus Boston, die Richter Woodworth und Spencer, General van Reusselaer sowie Professor List von der Universität Tübingen teilgenommen haben. Einige der Toasts, die auf diesem Dinner gesprochen wurden, seien es wert, zitiert zu werden, wie das folgende Beispiel von Professor List zeige: „The United States: Unlike the ancient republics of the world creating citizens instead of subjects.“ Am frühen Morgen des 4. Juli, dem 49. Jahrestag der Unabhängigkeit der USA, kehrten die Gäste mit dem Dampfer „Chancellor Kent“ nach New York zurück. Eine große Anzahl von auswärts kommenden Besuchern kam in die Stadt, als sie davon hörten, dass Lafayette zur Feier der Unabhängigkeit kommen werde. Um Mitternacht kündigte Artilleriefeuer die Ankunft der Gäste an und am Morgen patrouillierte bewaffnetes Militär auf den Straßen und Plätzen, an den Kirchen versammelten sich Trauben von Menschen. Die offizielle Empfangsparty fand im Bunker’s Mansion House am Broadway statt. Dieses historische Gebäude war vom 23.2. bis 30.8.1790 Wohnsitz von Präsident George Washington, solange New York zwei Jahre lang Hauptstadt der USA war. Deshalb erhielt es auch den Namen „the second Presidential Mansion“. Als die Reisegruppe in Manhatten ankam, war List von dem begeisterten Empfang, den die Bevölkerung Lafayette bereitete, überwältigt.48 Er sah, wie glücklich und freudig berührt die Menschen waren und welch starken Einfluss Lafayette als eine der geachtetsten und einflussreichsten Persönlichkeiten auf dieses Land hatte. Eines der wichtigsten Ereignisse an diesem Tag war die Grundsteinlegung für den Neubau der Mechanic Library in Brooklyn. Die Menschenmenge, die sich zu diesem Anlass eingefunden hatte, bildete ein zwei Meilen langes Spalier. Lafayette kam auf einer alten Fulton-Fähre, bestieg dann eine kanariengelbe Kalesche, die von vier Schimmeln gezogen wurde; dabei handelte es sich wahrscheinlich um die Staatskarosse, die bereits von George Washington benutzt wurde. Unter der euphorischen Menschenmenge befanden sich auch zahlreiche Veteranen sowie eine Anzahl von Schwarzen, die von der Sklaverei befreit worden waren. Lafayette war sichtlich gerührt und neben seinem Lächeln flossen auch Tränen über sein Gesicht. Eine halbe Meile von der Anlegestelle der Fähre entfernt, ließ Lafayette die Kutsche anhalten und stieg aus, um die Menge zu begrüßen. Nach der Grundsteinlegung in Brooklyn wurden Lafayette und seine Begleiter von einer Abordnung von Geschäftsleuten eskortiert und zurück in die Stadt gebracht. Dann besuchten die Gäste Gottesdienste und wohnten der Verlesung der Unabhängig-

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Montpelier, der Landsitz von James Madison, dem 4. Präsidenten der USA. keitserklärung bei. Dann folgten ein Empfang und ein Bankett in der City Hall, wobei das wichtigste Dekorationsobjekt der Armsessel von George Washington war, den dieser als erster amerikanischer Präsident benutzt hatte. Am 5. Juli besuchten die Gäste eine Ausstellung von „transparent paintings“ und am nächsten Tag eine Aufführung im Chatham Theatre. In jenen Tagen plante Lafayette seine Rückreise nach Frankreich und erhielt von John Quincy Adams die Nachricht, dass ihm der Präsident die Fregatte „Brandywine“ zur Verfügung stellen werde. Die Fregatte sei nagelneu und erst Anfang Juni in Dienst gestellt. In der Regel, so schreibt Adams, tragen die Fregatten den Namen eines amerikanischen Flusses, wie auch in diesem Fall nach der berühmten Schlacht „Brandywine“, die nach dem gleichnamigen Fluss benannt ist und bei der sich der General große Verdienste erworben und sein Blut vergossen habe. Die Schlacht von Brandywine war eine bedeutende Schlacht im amerikanischen Unabhängigkeitskampf, die am 11.9.1777 ausgefochten wurde. Sie endete mit einem klaren Sieg der Briten und ermöglichte es ihnen, Philadelphia, die damals größte Stadt der USA, einzunehmen. Bei dieser Schlacht, die auf amerikanischer Seite von George Washington befehligt wurde, hatte Lafayette tapfer mitgekämpft und wurde am Bein verwundet. Das Kommando der Fregatte, fügte Adams hinzu, werde von einem der fähigsten Kapitäne der US-Navy übernommen. Von dieser noblen Geste zeigte sich Lafayette tief berührt. Die Gäste reisten dann über New Jersey weiter nach Pennsylvania, wo sie über Chester kamen und nochmals das Schlachtfeld Brandywine besuchten. Überall in Pennsylvania wurden sie mit Hurra-Rufen empfangen, sodass List den Eindruck mitnahm, dass die deutschen und französischen Farmer den „französischen Befreier“ gleichermaßen schätzten und hochleben ließen. Am 20. Juli besuchten sie

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Bordentown, Germantown und Chesnut Hill bei Philadelphia. In Bordentown besuchten die Gäste Joseph Bonaparte, den ältesten Bruder von Napoleon Bonaparte. Dieser wurde von Napoleon als Joseph I zum König von Neapel (1800-1806) und ebenfalls als Joseph I zum König von Spanien (1808-1813) ernannt. Nach dem Sturz Napoleons emigrierte sein Bruder in die USA, wo er sich in New Jersey in Bordentown einen Landsitz mit dem Namen „Point Breeze“ zulegte. In Germantown besichtigten die Gäste die dortige Universität, an der sie von den Studenten begeistert empfangen wurden. Darunter befand sich auch Fernando Bolivar, der Neffe und angenommene Sohn von Simon Bolivar. Da letzterer keine eigenen Kinder hatte, adoptierte Simon Bolivar den Sohn seines Bruders, als dieser im Unabhängigkeitskampf gefallen war. Lafayette unterhielt sich mit dem Studenten und drückte seine Hoffnung aus, welche die Freunde der Freiheit in den Befreier Südamerikas setzen. Fernando Bolivar bedankte sich und der General fügte hinzu, er hoffe, dass dieser nicht umsonst die demokratischen politischen Einrichtungen in den USA studiere. Der Ruhm Bolivars erfüllte damals die Bürger der Vereinigten Staaten, und diese zollten ihm im Glauben an seine uneigennützige Vaterlandsliebe begeisterten Beifall. Der Adoptivsohn ist allerdings nicht in die Fußstapfen des politischen Revolutionärs gestiegen und hat sich später vor allem literarisch betätigt. In Monticello, wo Thomas Jefferson, seinen Landsitz hatte, erlebten sie, was nur wenigen Menschen zu Teil wird, dass sie gleich mit drei ehemaligen US-Präsidenten dinieren dürfen; in diesem Fall mit Thomas Jefferson, James Madison und James Monroe. Genau ein Jahr später, am 4. Juli 1826, dem 50. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeit sind die beiden Ex-Präsidenten John Adams und Thomas Jefferson am selben Tag gestorben.

Oak Hill, der Landsitz von James Monroe, dem 5. Präsidenten der USA.

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In Philadelphia besuchten die Gäste ein neues Wasserwerk, mit dem 125 000 Menschen mit Wasser versorgt werden konnten. Es war extrem heiß; das Thermometer zeigte in jenen Tagen 104 Grad Fahrenheit, also über 40° C an. Aber diese Hitze hat Lafayette nicht davon abgehalten, das gesamte Reiseprogramm ungekürzt durchzustehen. Außerdem wurden noch zahlreiche Freunde besucht. Ferner wurde ihnen ein Fischerboot zur Verfügung gestellt, sodass sie in der Schuylkill jede Menge Fische fangen konnten, die dann für sie zubereitet wurden. Lafayettes Sekretär Auguste Levasseur erinnert sich: Nie sei ein Picknick fröhlicher gefeiert und mit edlerem Wein begossen worden und noch lange würden sich die Gäste mit größtem Vergnügen an diese herzliche Aufnahme erinnern, die ihnen im Land der Schuylkill zu Teil geworden sei. Diese nachhaltigen Eindrücke mögen List dazu veranlasst haben, sich später in dieser Region niederzulassen. Am 25. Juli besuchte die Delegation Wilmington in Delaware. Dort wurde sie von einer großen Menschenmenge mit frenetischem Beifall empfangen und erneut zum Schlachtfeld von Brandywine geleitet. Obwohl die Schlacht aus amerikanischer Sicht nicht siegreich verlief, gehört sie in der Geschichte des achtjährigen Unabhängigkeitskampfes zu den wichtigsten Kriegsschauplätzen. Als die Gäste und die große Menschenmenge aus Pennsylvania und Virginia, die sie geleiteten, auf dem Schlachtfeld ankamen, wurde Lafayette mit Hochrufen empfangen und dieser erinnerte sich an jene Unglückstage und lobte die Tapferkeit der Soldaten und Offiziere. Dann folgte Lancaster, wo die Gruppe am 27. Juli willkommen geheißen wurde und drei Tage blieb. Die ganze Bevölkerung nahm mit einem begeisterten Empfang an diesem historischen Ereignis teil. Nach einem Zeitungsbericht gab es nur ganz wenige Hände, die Lafayette damals nicht die Hand schütteln konnten. Am 1. August waren sie wieder in Washington zurück. Einige Meilen außerhalb von Washington kam ihnen eine Kutsche mit dem ältesten Sohn von John Quincy Adams entgegen. Dieser überbrachte eine Einladung an den General und seine Begleitung, Gäste im Executive Mansion des Präsidenten zu sein. Andererseits hatten die Gäste eine Einladung nach Baltimore, wo bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen waren. Die Einladung wurde von zwei Männern überbracht, die glühende Anhänger von Andrew Jackson waren. Insofern wurden die Gäste vor die heikle Entscheidung gestellt, welche Einladung sie annehmen sollten. Sie haben sich für die Einladung des Präsidenten entschieden und dort bis zum 6. August einige ruhige Tage verbracht, wo sie mit herzlicher Gastfreundschaft bestens von der Adams Ehefrau versorgt wurden. Gleichzeitig konnte List dort seinen 36. Geburtstag feiern. Lafayette drückte dann den Wunsch aus, dem Ex-Präsidenten James Monroe nochmals einen Besuch abzustatten. Am Nachmittag des 6. August brachen die Gäste in Begleitung von John Adams in zwei Kutschen zu dem 37 Meilen entfernten Oak Hill auf, – dem Landsitz von James Monroe. Sie wurden hierbei von keiner Eskorte begleitet, sondern reisten als Privatleute. Darüber berichtet Levasseur folgende nette Episode. Präsident Adams habe den General, dessen Sohn und einen Freund (damit kann nur List gemeint sein) in seiner Kutsche mitgenommen.

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Zur Überquerung des Potomac mussten sie anhalten und Brückenzoll bezahlen. Nachdem die Gebühr dem Torwächter entrichtet war und sie die Erlaubnis zur Weiterfahrt bekamen, rief ihnen plötzlich der Zollwächter nach: „Mr. President! Mr. President!: sie haben 11 Cent zu wenig bezahlt.“ Als Adams im Begriff war, seine Geldbörse zu öffnen und den fehlenden Betrag zu erstatten, erkannte der Torwächter den Gast und entschuldigte sich tausendmal, weil er den Staatsgast der USA zu spät erkannt und nicht berücksichtigt habe, dass dieser umsonst reise und somit nichts zu bezahlen habe. Da entgegnete ihm Adams, dass der General gerade als Privatperson reise und man somit verpflichtet sei, den Obolus zu entrichten und händigte dem Torwächter die restlichen 11 Cent aus. Es waren extrem heiße Tage und Monroe und seine Nachbarn nahmen die illustren Gäste freundlichst auf. Auf dem Rückweg erlitt eines der Pferde eine Apoplexy (d.h. einen Hitzschlag), sodass die Gruppe geduldig am Wegesrand in einer Wiese liegend, warten musste, bis ein Ersatzpferd im Nachbarort geholt wurde und die Reise fortgesetzt werden konnte. Levasseur fügte amüsiert hinzu, dass die illustren Gäste von den vorbeiziehenden Personen nicht erkannt worden waren. Lafayette und seine Begleitung hatten den Wunsch, den beiden alten Kampfgefährten Jefferson und Madison noch einen Abschiedsbesuch zu machen. Dabei besichtigten sie einige am Wege gelegene Orte; wie Culpepper, Faquir und Warrenton. Bis nach Monticello (dem Landsitz von Thomas Jefferson) und Montpelier (dem Landsitz von James Madison) wurden sie von James Monroe begleitet und verbrachten dann noch einige Tage auf dessen Landsitz. Auf dem Weg wurden sie von der Kavallerie des Staates Virginia eskortiert. Am 25. August war die Delegation wieder in Washington zurück. Dort gab der Präsident am 6. September, dem 68. Geburtstag von Lafayette, noch ein festliches Abschiedsdinner, an dem viele Gäste aus allen Bundesstaaten teilgenommen haben. Gegen Ende des Mahls stand der Präsident auf. Von den diplomatischen Gepflogenheiten abweichend, weil Trinksprüche an einer Tafel des Präsidenten nicht vorgesehen waren, ergriff der Präsident selbst das Wort und brachte folgenden Trinkspruch aus: „Dem 22. Februar und dem 6. September, den Geburtstagen von Washington und Lafayette!“ Tief gerührt erhob sich Lafayette und erwiderte: „Dem 4. Juli, dem Geburtstag der Freiheit in beiden Weltteilen!“ Auf der ganzen Abschiedstour erlebte List, wie gerührt die alten Kämpfer der Unabhängigkeit über ihr Wiedersehen und den gleichzeitigen Abschied waren, was natürlich auch von Lafayette mit tiefer innerer Bewegung und Rührung wahrgenommen wurde. Man kann sich auch lebhaft vorstellen, welch überwältigenden Gefühle Friedrich List bewegt haben müssen, als er sich von dem edelmütigen Lafayette und dessen Sohn verabschieden musste und nun mutterseelenallein auf sich gestellt, an der Pier stand, mit dem feuchten Taschentuch winkte und traurig gestimmt, nach Philadelphia zurückkehrte, wo er sehnsüchtig von seiner Frau und den vier kleinen Kindern erwartet wurde. Von Bord der „Brandywine“ sandte der Marquis dem „lieben Professor List“ noch einen Abschiedsgruß: Er verlasse dieses geliebte Gestade mit dem Bedauern,

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dass es nicht in seiner Kraft stehe, List die, seinen Verdiensten zukommenden und für sein Eintreten um die Freiheit erduldeten Leiden, im Interesse, das die bedeutendsten Gelehrten und wohlmeinenden Menschen Europas an seinem Schicksal haben, angemessene Unterstützung zukommen zu lassen. Sein Talent als Professor, seine Hingabe für die Freiheit als Abgeordneter im sog. württembergischen Parlament und die befremdliche Verfolgung würden nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die guten Wünsche und aktive Unterstützung vieler amerikanischer Freunde erfahren, gäbe es nicht die in diesem Lande unerlässliche Bedingung, die englische Sprache zu sprechen, bevor man etwas unternehme.49 Da es gerade an dieser Voraussetzung mangelte, blieb List zunächst nichts andres übrig, als sich als Farmer zu versuchen und möglichst rasch die englische Sprache zu erlernen. Die Ehrengäste kamen am 4. Oktober in Le Havre an, wo den Amerikafahrern ebenfalls ein begeisterter Empfang bereitet wurde. Von dort aus reisten Lafayette und sein Sohn zu ihrem Landsitz La Grange, wo sie am 9. Oktober ankamen. Am darauffolgenden Sonntag wurde ein großes Fest gefeiert, an dem 4000 Menschen teilnahmen und Charles Sumner (1811-1874) Senator von Massachusetts, sprach davon, diese triumphale Reise „belongs to the poetry of the history“. Der briefliche Kontakt zum Marquis dauerte noch an. Im Frühjahr 1826 wandte sich List erneut hilfesuchend an den General. Er beschrieb ihm sehr ausführlich seine missliche Lage und bat ihn um nochmalige Unterstützung. Aus seinem Bittgesuch ist folgendes zu entnehmen: „Württemberg ist ein kleines Land, das ist wahr, aber es ist ein Teil des großen Deutschlands und zwar in konstitutioneller Beziehung ein sehr bedeutender Teil. Indem man die konstitutionellen Lehren in Württemberg verbreitet und ihnen dort zum Sieg verhilft, ist man auf dem Wege, 30 Millionen Jünger in Deutschland zu gewinnen. (…) Das liberale Deutschland wird jederzeit die Freiheit der Franzosen befördern helfen, während das despotisch regierte Deutschland jederzeit ein bereitwilliges Werkzeug in den Händen der Despoten sein wird, um die Freiheit der Franzosen vernichten zu helfen.“50 Worte, die im 20. Jahrhundert bittere Realität geworden sind. List hat dabei nochmals auf den großen Unterschied hingewiesen, den sein Fall von den sog. Demagogen unterscheide. Er sei weder ein Revolutionär noch ein Verschwörer, sondern seine politischen Aktivitäten seien stets auf dem Boden der Verfassung erfolgt. Für diesen Freisinn habe man ihn schändlich angeklagt, einerschändlichen Prozedur unterworfen, schändlich verurteilt, das schändliche Urteil auf schändliche Weise vollzogen, man habe ihn seines bürgerlichen Zustands, seines Vermögens und zuletzt seines Vaterlandes beraubt und mit Weib und Kinder über das Weltmeer getrieben. Ihm sei der fünffache Schmerz zu Teil geworden: in der Verbannung leben zu müssen, der Mittel zur öffentlichen Verteidigung beraubt zu sein, seine Familie im fremden Lande dem Mangel entgegenzugehen und zu Hause die Schändlichkeit triumphieren zu sehen, weil man ihm allein die Schuld gebe, Urheber seines Ungemachs zu sein.

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Frankreich sei noch das einzige liberale Land auf dem Kontinent, wo es eine öffentliche Meinung gebe und wo man ohne persönliche Verfolgung zu befürchten, seine Sympathie für einen ungerecht Verfolgten bezeugen könne und die freie Presse Angelegenheiten wie die Seine, diskutieren dürfe. In dem Schreiben an Lafayette hat List den Marquis gebeten, ob er sich nicht bei Prinz Paul v. Württemberg, dem etwas aus der Art geschlagenen Bruder von König Wilhelm I, für ihn verwenden könne. Außerdem dachte List daran, die Unrechtmäßigkeit seiner Verurteilung in französischen Journalen zu veröffentlichen, um Druck auf Württemberg auszuüben. Ob der General die erste Bitte erfüllte und das von List an Prinz Paul beigefügte Schreiben weitergeleitet hat, ist unbekannt. Bezüglich der zweiten Bitte ließ er List mitteilen, dass das französische Innenministerium eine solche Veröffentlichung wahrscheinlich nicht dulden werde. Deshalb solle List versuchen, seine Geschichte zunächst in englischer Sprache in einer amerikanischen Zeitung zu publizieren. Dann könne man versuchen, diese in französischer Übersetzung in der „Revue Americaine“ abzudrucken. Im November 1826 schrieb der Sohn von Lafayette, er und sein Vater erinnerten sich oft mit großem Vergnügen an Lists Reisebegleitung und wünschen seinen literarischen Bemühungen besten Erfolg. Als List im November 1827 nach der Veröffentlichung seiner „Outlines of American Political Economy“ bei einem Empfang durch die „Pennsylvania Society for the Encouragement of Manufactures and the Mechanic Arts“ in Anwesenheit des amerikanischen Präsidenten John Quincy Adams hoch geehrt wurde, begrüßte man ihn mit dem Hinweis, dass er durch Lafayette in die USA eingeführt worden sei und bekräftigte dies mit einem Toast: Unser Gast, Prof List, der sich durch einen von Lafayette unterzeichnete Pass und einem auf seiner umfassenden Kenntnis der Politischen Ökonomie beruhenden Empfehlungsschreiben ausweist, lebe hoch! Am 29.11.1827 informierte List den „lieben General“ über seinen Erfolg, den er mit den „Outlines“ erzielte und verwies darauf, dass er ihm diese Anerkennung verdanke. Wiederum fragte er bei Lafayette an, ob dieser nicht versuchen könne, einen entsprechenden Artikel für deutsche Zeitungen zu verfassen und dabei drauf hinzuweisen, dass ihm der bayerische König Ludwig I für seinen lauteren Charakter volle Gerechtigkeit widerfahren lasse. Dies könne für eine Rückkehr nach Europa sehr hilfreich sein. Aber auch daraus ist letzten Endes nichts geworden. Wie gewichtig und weitreichend Lafayettes Referenz war, zeigt sich auch daran, dass List im Februar 1828 zum ersten Präsidenten des 1826 in Eaton im Staate Pennsylvania gegründeten „Lafayette College“ gewählt wurde. Aber der Gewählte lehnte diese ehrenvolle Berufung mit der schwer verständlichen Begründung ab: er hätte nicht gezögert, sich sofort mit dieser Institution zu verbinden, wenn er nicht verschiedene Verpflichtungen eingegangen wäre, die ihm dies verwehren. Stattdessen empfahl er einen anderen deutschen Auswanderer, Dr. Benedikt Jäger, der kurz zuvor aus Deutschland gekommen war und später an der Princeton University eine Professur bekam. Die Gründe für diese Ablehnung sind darin zu suchen, dass List

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damals als Redakteur des „Readinger Adler“ einen Vertrag hatte, der noch bis 1830 lief. Ferner schien er zu dieser Zeit die begründete Hoffnung zu haben, an einer amerikanischen Universität einen Lehrstuhl für Politische Ökonomie zu bekommen und zudem hatte er ja am Blue Mountain ein reiches Steinkohlevorkommen entdeckt und musste nun seine ganze Aktivität auf die Finanzierung und den Bau der Little Schuylkill-Eisenbahn konzentrieren. Zudem befand er sich damals in einem psychischen Tief, das ihn so lähmte, dass er einfach nicht in der Lage war, diese einmalige Chance zu ergreifen, was sich aus einem Briefentwurf vom 5.10.1828 an seinen Freund Ernst Weber belegen lässt. Darin lässt er seinen Gefühlen freien Lauf: Er habe seit sechs Wochen wieder Heimweh und sei solange zu amerikanischen Geschäften nicht zu gebrauchen. Mit seinem Vaterland gehe es ihm, wie den Müttern mit ihren krüppelhaften Kindern: sie liebten sie umso stärker, je krüppelhafter sie sind. Im Hintergrund all seiner Pläne liege Deutschland – die Rückkehr nach Deutschland. Es ist wahr, er würde sich dort ärgern über die Kleinstädter und Kleinstaaterei…; dann bricht das Briefkonzept ab.51

2. Henry Clay (1777-1852), amerikanischer Politiker, Außenminister und mehrfacher Bewerber um das Präsidentenamt Über Lafayette wurde List nicht nur mit dem amtierenden US-Präsidenten John Quincy Adams, sondern auch mit dessen Secretary of State Henry Clay bekannt. Dieser war einer der aktivsten und einflussreichsten Politiker jener Zeit, aber auch der einzige, der als Hauptkandidat bei drei Präsidentschaftswahlen nicht als Sieger hervorgegangen ist. Im Jahre 1824 unterlag er als Demokrat-Republikaner gegen John Quincy Adams, 1832 als National-Republikaner gegen seinen Intimfeind Andrew Jackson und 1844 als Whig gegen den von Jackson unterstützten James K. Polk. Dazu kamen noch zwei verlorene Vorwahlen, sodass Henry Clay insgesamt fünf vergebliche Anläufe auf das Präsidentenamt unternommen hat.52 Clay war früh verwaist und konnte deswegen nur eine einfache Schulbildung genießen. Er widmete sich der Juristerei und ging frühzeitig in die Politik. Zunächst war er Mitglied des Repräsentantenhauses in Kentucky, wurde dann in den Bundessenat gewählt und Kongressabgeordneter. Dabei war er bemüht, in der

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Sklavenfrage zwischen den Nord- und Südstaaten zu vermitteln. Unter dem 5. Präsidenten John Quincy Adams wurde Clay Außenminister. Nach der Amtsübernahme von Jackson betätigte sich Clay als Senator von Kentucky. „Um Lists Stellungnahme zu den wichtigsten Fragen, die in der damaligen Nationalpolitik der Vereinigten Staaten eine Rolle spielten, ins rechte Licht zu stellen, ist es angebracht, sich die politische Geschichte jener Zeit kurz zu vergegenwärtigen. Seine Ankunft in Amerika fiel in eine Übergangszeit. Das Staatsruder lag bisher in den Händen von Männern aus der Zeit des Revolutionskrieges. Nun trat eine neue Generation in den Vordergrund und neue ,Issues‘ beschäftigten das öffentliche Interesse. Es waren vor allem zwei Fragen: 1. innere Verbesserungen (internal improvements) auf Kosten der Nation und 2. Schutzzoll, zusammen das ,Amerikanische System‘ darstellend, an denen sich schließlich die Geister schieden. Ehe diese beiden Fragen sich aber zu scharf umrissenen Parteifragen gestalteten, drehte sich der parteipolitische Kampf mehr um Personen als um Sachen. In der Präsidentenwahl des Jahres 1824 hatte keiner der Kandidaten eine Majorität der Elektoralstimmen erhalten. Nach den Bestimmungen der Bundesverfassung fiel die Entscheidung des Repräsentantenhauses im Kongress zu. Obgleich Andrew Jackson 99 Elektoralstimmen auf sich vereinigt hatte, gegenüber 84 für John Quincy Adams, entschied sich die Mehrheit der Repräsentanten für Adams. (…) Adams, Sohn des früheren Präsidenten John Adams, hatte bereits eine glänzende Karriere hinter sich als Gesandter der Vereinigten am niederländischen und russischen Hof, dann in Portugal, Preußen und England, später als Mitglied des Bundessenats und zuletzt als Secretary of State unter dem Präsidenten Monroe. Er war ein feingebildeter und durchaus fähiger Mann. Seine Wahl zum Präsidenten wurde durch die Unterstützung der Anhänger Henry Clays ermöglicht, der bei der Urwahl an vierter Stelle stand und zugunsten von Adams auf seine Elektoralstimmen verzichtete. Jackson war bitter enttäuscht und tief gekränkt über diese Niederlage und bezichtigte seine Gegner offen einer ,korrupten Vereinbarung‘. Als der neu gewählte Präsident dann Clay zum Secretary of State ernannte, stieg die Verbitterung der Anhänger Jacksons dermaßen, dass es schließlich zu einer Spaltung der bisherigen demokratischrepublikanischen Partei kam. Die Anhänger Adams und Clays bildeten die sog. National-Republikanische Partei (später: die Whigs) und heute einfach: Republikaner); Jackson und seine Freunde die demokratische Partei. Erstere vertraten eine liberale Auslegung der Bundesverfassung (loose construtionists) und befürworteten das erwähnte, amerikanische System; d.h. die Verwendung von öffentlichen Geldern für den Bau von Straßen, Kanälen und inländischen Verbesserungen. Adams und Clay befürworteten dagegen eine Schutzzollpolitik. Jackson und seine Partei hingegen (strict constructionists) neigten einer engeren Auslegung der Bundesverfassung zu und meinten, dass innere Verbesserungen im dargelegten Sinne Aufgabe der Bundesstaaten sei und somit auf deren Kosten durchzuführen sind.“53

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Das ist, wie William Notz im Band II der Gesamtausgabe betont, in groben Zügen das Bild des politischen Lebens, in welches sich List hineinversetzt sah und mit welchem er bald aufs Engste verwoben wurde. Das Nächstliegende wäre es gewesen, dass er sich mit der Partei der Nationalrepublikaner liiert hätte, denn durch die Vermittlung von Lafayette, war er mit den Anführern dieser Partei, Adams, Clay u.a. persönlich bekannt geworden. Kenneth Rush, den Adams zum Finanzminister (Secretary of the Treasury) gemacht hatte und der dann als Vizepräsident nominiert wurde, hatte List schon Anfang der zwanziger Jahre in London kennengelernt. Rush war damals amerikanischer Gesandter und hatte List aufs freundlichste empfangen. Auch als Rush Schatzamtsminister war, hatte er noch mit List in Beziehung gestanden. Dazu kam noch der weitere Umstand, dass die von Adams, Clay und Rush vertretene Handelspolitik sich mit Lists Ansichten deckte. Dagegen stand die demokratische Partei der Schutzzollpolitik ablehnend gegenüber, wenngleich die Haltung von Jackson dazu nicht eindeutig war. Trotzdem schloss sich List der Jackson-Partei an. In Form einer mehrteiligen Artikelfolge von 1838 in der „Allgemeinen Zeitung“ über das Demokratieverständnis in den USA und die wirtschaftspolitischen Fehler der Jackson-Van Buren Administration, hat Friedrich List die politischen Umstände bei den Präsidentschaftswahlen von 1824, 1828, 1832 und 1837 einer ausführlichen und gründlichen Analyse unterzogen.54 Darin schildert er sowohl die fragwürdige Rolle von Henry Clay als Steigbügelhalter und Königsmacher von John Quincy Adams, als auch die Meinungsmache und politischen Intrigen bei den Wahlen von Andrew Jackson und Martin Van Buren. Dabei hielt er mit seiner Meinung über die Fehler der Jackson-Van Buren Administration nicht hinterm Berg und machte deutlich, dass er sich eher dem Adams-Lager zugehörig fühlte. Bei dem ehrenvollen Dinner, das für List wegen seiner Verdienste um die „Outlines of American Political Economy“ am 3.11.1827 im Mansion House in Philadelphia veranstaltet wurde, waren nicht nur Präsident Adams, sondern auch Henry Clay anwesend. Ferner konnte sich List rühmen, dass er „von den angesehensten Männern des Landes, wie z.B. von dem alten ehrwürdigen James Madison, von Henry Clay und Edward Livingston Glückwünsche erhalten habe. Dies geht u. a. aus einem Schreiben von Henry Clay vom 5.11.1828 hervor, als dieser noch Außenminister war. Darin heißt es: Er teile ihm mit, dass er seine Sendung mit einem Paket an General Lafayette und der Kopie seiner „Philadelphia Speech“ erhalten habe. Das Paket werde mit amtlichen Depeschen weitergeleitet. Seine Rede habe er nochmals mit großer Befriedigung Revue passieren lassen. Außerdem habe er von M. Ingersoll die Mitteilung erhalten, dass seine „Briefe“ großen Anklang finden. Er freue sich, dass eine so gute Sache einen so guten Anwalt gefunden hat.55 Der Kontakt zu Clay muss auch nach Lists Rückkehr nach Europa weiter bestanden haben. Als Clay 1844 zum letzten Mal als Präsidentschaftskandidat kandidierte und gegen Polk verloren hat, hatte sich List eine ehrenvolle Ernennung erhofft, wie aus einem Schreiben an Johann Martin Pacher v. Theinburg vom 9.10.1843 hervor-

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geht. Darin schreibt er: „Mein Mann ist Henry Clay, der größte Staatsmann, der nobelste Charakter, den die Vereinigten Staaten besitzen und zugleich mein spezieller Freund ist. Geht die Sache gut, so sitzt Herr Clay am 3.3.1845 auf dem Präsidentenstuhl und Ihr gehorsamster Diener hält am 3. März seinen Einzug als amerikanischer Gesandter in Wien. Geht’s nicht gut, so habe ich doch die Satisfaktion, einen Mann von Geist, Kopf und Herz, der von den gemeinsten Intriganten bisher in den Kot geschleift worden ist, vor Amerika, vor England, vor der ganzen gebildeten Welt ins richtige Licht gestellt zu haben“56; – denn List hatte die Absicht im „Zollvereinsblatt“ Clay eingehender zu würdigen, was aber dann doch nicht erfolgt ist. Dies mag auch erklären, weshalb er nach seiner Ungarnreise nicht sofort nach Augsburg zu seiner Familie zurückgekehrt ist, ganz abgesehen davon, dass er sich beim Mühltalprojekt in Bratislava engagiert hatte und immer noch darauf hoffte, im österreichisch-ungarischen Eisenbahnwesen eine Anstellung zu finden.

3. Andrew Jackson (1767-1845), General und von 1829 bis 1837 7. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Es erscheint angebracht, die Namen der ersten Präsidenten der USA kurz ins Gedächtnis zu rufen: Auf George Washington folgte als 2. Präsident John Adams (1797-1801), 3. Präsident war Thomas Jefferson (1801-1809), dem als 4. Präsident James Madison (1809-1817) und als 5. Präsident James Monroe (1817-1825) folgten. Als 6. Präsident wurde der Sohn von John Adams, John Quincy Adams (1825-1829), ins Präsidentenamt gewählt. Und auf John Quincy Adams folgten Andrew Jackson (1829-1837)57 als 7. und Martin Van Buren (1837-1841) als 8. US-Präsident. Nach diesem folgten William Henry Harrison (1841) als 9. und als 10. Präsident John Tyler (1841-45) auf dem Präsidentenamt. Diesem wiederum folgte James K. Polk (1845-1849) als 11. Präsident.59 Wahrscheinlich ist List dem Ex-Präsidenten Thomas Jefferson in dessen Landsitz nur einmal bei dem Dinner zu Ehren von Lafayette am 4.7.1825 begegnet. Er hat ihn später einige Male namentlich erwähnt, z.B. im 4. Brief seiner „Outlines of American Political Economy“ vom 18.7.1827, wo er schreibt: In einhundert Jahren werden sich 50 Mio. Amerikaner über den ganzen Kontinent ausbreiten. Was werden sie tun? Land roden, Weizen anbauen und diesen essen. Diese drei Tätig-

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keiten werden dann, wie es Jefferson voraussagte, die Wirtschaft der USA bestimmen; allerdings werden dann, so fügte List hinzu, neben den Farmern in Zukunft auch die Unternehmer stehen. Nachdem die University of Virginia in Charlottesville 1817 auf Initiative von Jefferson gegründet wurde und der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, genau am 50. Jahrestag dieser Deklaration gestorben ist, äußerte sich List in einer kurzen Notiz im „Readinger Adler“: „Es schreibt der Apostel Matthäus im 7 Kapitel und 9. Vers: ,Welcher ist unter euch Menschen, so ihn sein Sohn um Brot bittet, der ihm einen Stein reiche und siehe, der Hohe Rat des Landes, das da genannt wird Virginien, versammelte sich und pflegte Rats, wie es seinem großen Sohn, Thomas Jefferson, ein Denkmal erbaue aus köstlichem Marmorstein. Während die Gesetzgebung von Virginien Jeffersons Geist einen Stein zu opfern beschloss, hat die Gesetzgebung von Ohio seinen Kindern Brot gereicht. Nach einem Beschluss derselben sollen 10 000 Taler Stocks zur Verfügung der Erben des verstorbenen Präsidenten (zur Verfügung) gestellt werden. Geht hin und tuet desgleichen.“60 Zu James Madison ist ebenfalls nur eine persönliche Bekanntschaft bekannt, als List beim Abschiedsbesuch von Lafayette auf Madisons Landsitz in Montpelier zu Gast war. Bei einem Empfang im Stadthotel von Philadelpia hat er den 4. Präsidenten der USA so gewürdigt: „James Madison, der Weise von 1788. Er spricht und die Leidenschaften erlahmen, Demagogen schämen sich, Verräter erschrecken, Mietlinge verstummen und die Vernunft regiert.“61 In den „Outlines“ und anderen handelspolitischen Schriften wird Madison als einer der herausragenden Väter der amerikanischen Verfassung und wegen seiner Wirtschaftspolitik mehrfach lobend erwähnt. Außerdem übersandte List seine „Outlines“ zusammen mit zehn (!) weiteren, nicht näher bezeichneten handelspolitischen Schriften an Madison mit der Bitte, diese einer näheren Prüfung zu unterziehen. In dem Schreiben vom 21.1.1829 bringt er Madison seine höchste Verehrung zum Ausdruck und verweist darauf, dass er dessen Auffassung teile, wonach der Freihandel kein „nationalökonomisches“, sondern ein „kosmopolitisches“ Prinzip sei. Eine Antwort dazu ist nicht bekannt. Friedrich List erwähnte jedoch, dass er von Madison Glückwünsche bekommen habe.62 Andrew Jackson wurde 1767 als Sohn irischer Einwanderer in South Carolina geboren. Mit 15 Jahren verließ er die Schule, um als Freiwilliger am amerikanischen Unabhängigkeitskampf teilzunehmen. Nachdem zwei seiner Brüder bei diesem Krieg gefallen und Vater und Mutter kurz darauf gestorben waren, verließ Jackson zunächst den Militärdienst und ließ sich als Rechtanwalt nieder. Noch bevor Tennessee der Union beigetreten war, wurde er in Nashville zum Prokurator gewählt und zum Befehlshaber der Miliz ernannt. In dieser Eigenschaft schlug er in mehreren Gefechten die Indianer zurück. Nachdem Tennessee Mitglied der Union geworden war, wurde Jackson zum Senator und bald darauf zum Oberrichter und Oberbefehlshaber des jungen Bundesstaates ernannt. Im Jahre 1802 kehrte er auf sein Landgut zurück, stellte sich aber 1812 bei Ausbruch des Krieges gegen England

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Flugblatt von F. List zum Wahlkampf von Andrew Jackson gegen John Quincy Adams; Original im Besitz der Historical Society in Reading, PA.

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wieder dem Militärdienst zur Verfügung. Der amerikanische Kongress ernannte ihn zum Generalmajor und übertrug ihm den Oberbefehl über die Armee. 1813 schlug Jackson einen von den Spaniern unterstützten Überfall der Creek-Indianer bis nach Florida blutig zurück und 1815 wehrte er den Angriff eines wohlgerüsteten englischen Heeres bei New Orleans durch einen glänzenden Sieg ab. In den Jahren 1816 bis 1821 zeichnete er sich wieder im Kampf gegen die Indianer aus und erlangte als „Old Hickory“ große Volkstümlichkeit, was man mit „alter Haudegen“ übersetzten kann. Nachdem Florida den Spaniern abgetrotzt und der Union einverleibt wurde, kehrte Jackson nach Tennessee zurück. Bei der Präsidentschaftswahl im Jahre 1824 wurde er von der gesetzgebenden Versammlung seines Heimatstaates als Kandidat aufgestellt. Er konnte, wie bereits erwähnt, die Majorität der Wahlmänner auf sich vereinigen, unterlag aber bei der Abstimmung im Kongress seinem Konkurrenten John Quincy Adams. Nachdem in weiten Kreisen der amerikanischen Bevölkerung die Ansicht vorherrschte, dass Jackson um den Wahlsieg betrogen wurde und dieser zudem sehr viel populärer war, als der stolze und zurückhaltende Adams, wurde Jackson 1828 unter einer wahren Hochflut der Begeisterung zum 7. Präsidenten der USA gewählt. In der Zeit als Friedrich List als Redakteur beim „Readinger Adler“ tätig wurde, war er unmittelbar in den Wahlkampf involviert. Wie bereits erwähnt, hätte man annehmen können, dass er die Wiederwahl von Adams unterstützte. Stattdessen hatte er sich auf die Seite von Jackson geschlagen, weil sein Arbeitgeber, der Eigentümer des „Readinger Adler“, John Ritter, dessen glühendster Anhänger war. Nach dem Motto: „wes’ Brot ich ess’, des Lied ich sing’!“ hatte List keine andere Wahl. Im „Readinger Adler“ bekannte er sich dazu: Der Handel und Kauf der Ämter eines Präsidenten der Vereinigten Staaten und des Secretary of State zwischen Adams und Clay sei eine der Hauptursachen, warum ihm die Wiederwahl von John Quincy Adams widerstrebe. Dass diese Art von Patronage bei Jackson zu dessen politischem System zählte, konnte er zu diesem Zeitpunkt entweder noch nicht ahnen oder er musste sich, seinem Prinzipal zuliebe, dementsprechend verhalten. Deshalb hat List in seiner journalistischen Arbeit Jackson tatkräftig unterstützt und seine Leserschaft und damit einen wesentlichen Teil der Bewohner von Pennsylvania für die Wahl von Jackson motiviert. In einem Artikel vom 4.12.1827 hat sich der Redakteur folgendermaßen für seinen Favoriten ausgesprochen: „Wenn wir die Zahl der Stellen, die ein Mann bekleidet, zum Maßstab seiner Tüchtigkeit nehmen, so müssen wir offenbar Jackson den Vorzug vor Adams einräumen; sehen wir aber darauf, inwiefern ein Mann durch das Vertrauen seiner Mitbürger zu öffentlichen Stellen berufen worden sei, so lässt General Jackson Herrn Adams weit hinter sich zurück; sehen wir aber auf den glücklichen Erfolg, so kann dieser mit ersterem keinen Vergleich aushalten. Sehen wir endlich auf die Festigkeit der Grundsätze, auf die Offenheit, Geradlinigkeit, Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit des Generals, so ist es sonnenklar, dass es in jeder Hinsicht, wir mögen den

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Vergleich anstellen unter welchem Gesichtspunkt wir wollen, vor Herrn Adams den Vorzug verdient. Bringen wir aber noch den Grundsatz in Erwägung, der in der Wahl entscheiden soll und die Folgen der Wahl, so ist es uns unmöglich zu begreifen, wie ein echter Vaterlandsfreund einen Augenblick anstehen kann, dem General Jackson vor Herrn Adams den Vorzug zu geben!“63 Diese eindeutige Festlegung wirkte sich auch meinungsbildend auf die anderen deutsch-amerikanischen Zeitungen in Pennsylvania aus. Von 27 deutschsprachigen Zeitungen haben 17 die Kandidatur von Jackson unterstützt. Da die Anhänger von Adams im Osten in etwa der Zahl der Jackson-Anhänger im Westen und Süden gleichkam, hing die Entscheidung vor allem von den Wählern in den mittleren Staaten ab und dort bildeten die deutschstämmigen Siedler die Mehrheit. Deswegen kam den deutschsprachigen Zeitungen eine so große Bedeutung zu. Während eines Besuches in Reading machte mich der damalige Inhaber des „Reading Eagle“ Mr. Barbey darauf aufmerksam, dass es vielleicht ein von List verfasstes Flugblatt zu Jacksons Kandidatur gegen könnte. Mit Hilfe der „Historical Society of Reading“ war es mir möglich, tatsächlich ein derartiges Pamphlet ausfindig zu machen. Darin wird ein direkter Vergleich von Jackson versus Adams angestellt. Wie in dem zitierten Artikel im „Readinger Adler“, wird Jackson als Kämpfer für Freiheit und Demokratie bejubelt und Adams als Anti-Demokrat abqualifiziert. Dieser Vergleich wird mit einem aufrechtstehenden bzw. einen mit dem Kopf nach unten hängenden Adler illustriert und versinnbildlicht. Einer der Gefolgsleute von Andrew Jackson war Henry A. Mühlenberg, der in Reading für den Senat kandidierte. General Mühlenberg war ein berühmter General des Unabhängigkeitskampfes und seine Tochter Esther Mühlenberg mit Dr. Isaac Hiester verheiratet. Hiester wiederum, war zu dieser Zeit der Compagnon von List beim Bau der Little Schuylkill-Eisenbahn. In dem Flugblatt wird gleichzeitig für den Kandidaten der demokratischen Partei H.A. Mühlenberg Wahlwerbung gemacht. Es schließt mit dem Aufruf: „Hurrah für Jackson! Nieder mit dem AntiDemokraten!“ Obwohl es sich um ein anonymes Pamphlet handelt, darf als sicher gelten, dass es von List verfasst wurde, weil es voll und ganz seiner Agitation und Diktion entsprach. Im Übrigen handelt es sich um das einzige derartige Flugblatt, das während seiner Tätigkeit für den „Readinger Adler“ in dessen Druckerei angefertigt wurde. Das Beispiel zeigt, dass List bereits das Mittel und die Wirksamkeit der politischen Propaganda erkannt und meisterlich beherrscht hat. Während der ersten Amtsperiode von Andrew Jackson sind drei ganz entscheidende historische Weichenstellungen hervorzuheben, die für den Verlauf der amerikanischen Geschichte bis zum heutigen Tage bedeutsam sind. Zum einen handelt es sich um den sog. Indian Removal Act von 1830, der zur Umsiedlung und weitgehenden Ausrottung der Indianer führte. Welche Haltung List dazu eingenommen hat, wird im Band X: „Friedrich List als Eisenbahnpionier in den USA“, S. 43-48. ausgeführt. Das andere Ereignis war die Privatisierung der „Bank of the United States“, also der Nationalbank und das dritte Ereignis die Einführung des sog. „spoils system“.

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Das Capitol in Washington um 1830. Nachdem Jackson im Jahre 1819 erlebt hatte, wie die Zins- und Kreditpolitik der „Bank of the United States“ amerikanische Farmer in den Ruin getrieben hat, wurde die Zerschlagung der Nationalbank zu einem seiner zentralen politischen Anliegen. Sein Vorgehen gegen die Nationalbank ist als „Bank-War“ (Bank-Krieg) in die amerikanische Geschichte eingegangen. Diese führte zu einer scharfen politischen Auseinandersetzung mit Senator Henry Clay und dem Bankdirektor Nicholas Biddle, die beide eine persönliche Abneigung gegen Jackson hatten. Nicholas Biddle wars übrigens ein Cousin von Thomas Biddle, dessen Bankhaus List und Isaac Hiester die Finanzierung der Little Schuylkill-Eisenbahn ermöglichte. Als die zweite Amtszeit von Jackson anstand und auch Clay wieder kandidierte, entschloss sich Letzterer zu einem riskanten Schachzug, mit dem er hoffte, den Präsidenten entscheidend zu schwächen. Clay stellte im Kongress den Antrag, die noch bis 1836 laufende Lizenz der „Bank of the United States“ vorzeitig zu verlängern. Obwohl sowohl der Senat als auch das Repräsentantenhaus diesen Antrag mehrheitlich unterstützten, legte Jackson mit der fadenscheinigen Begründung sein Veto ein, dass mit dem Fortbestand der Nationalbank eine erhebliche Gefahr für die Bürger und die Wirtschaft des Landes verbunden sei. Mit einer Zweidrittelmehrheit hätte der Kongress das Veto des Präsidenten überstimmen können, die aber nicht zustande kam. Wenige Monate später musste Clay mit einer klaren Wahlniederlage einen weiteren schweren politisch en Rückschlag hinnehmen. Damit hatte Jackson sein Ziel erreicht. Im Jahre 1836 wurde die Nationalbank in Form der amerikanischen Notenbank privatisiert und daran hat sich bis heute nichts geändert. Vermutlich als Dank für dieses „schlaue“ Manöver ziert das Porträt von Andrew Jackson den heutigen 20 $-Schein. List konnte diesen Winkelzug nur aus dem fernen Europa betrachten. Da seine Wahrnehmung und kritische Stellungnahme in die Amtszeit von Martin Van Buren fallen, wird sie in diesem Zusammenhang näher beleuchtet.

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Der US-Präsident Andrew Jackson im Kampf gegen die Krise und Auflösung der Nationalbank. Im Mittelpunkt, der Herr mit dem Zylinder, der Bankier Nicholas Biddle – der Vetter des Bankiers Thomas Biddle, der List und Hiester bei der Finanzierung der Litte Schuylkill-Eisenbahn unterstützt hat. Unter dem „spoils system“ versteht man die politische Praxis, dass die Unterstützer des Wahlsiegers mit Posten in der öffentlichen Verwaltung belohnt werden. Es soll ein Anreiz sein, für die Partei des Wahlsiegers auch in Zukunft zu arbeiten. Frei übersetzt bedeutet dieses System: Dem Sieger steht die Beute zu! Nach seinem Wahlsieg belohnte Jackson viele seiner Anhänger mit wichtigen Regierungsstellen. In den beiden Perioden seiner Amtszeit wurden ca. 10 % der Regierungsbeamten mit eigenen Leuten besetzt. Dies scheint relativ wenig; man muss aber bedenken, dass mindestens die Hälfte der Beamten schon von vornherein treue JacksonAnhänger waren. Dieses Postengeschacher wurde damit begründet, dass die siegreiche Partei auch das Mandat habe, die Schlüsselämter mit Leuten aus den eigenen Reihen zu besetzen. Sollten die Bürger damit unzufrieden sein, hätten sie ja bei der nächsten Wahl die Möglichkeit, mit dem Präsidenten auch die gesamte Exekutive abzuwählen. Die Kritiker dieses System halten dagegen, dass es die Inkompetenz und Korruption begünstige und schlussendlich die Gefolgsleute des Wahlsiegers eindeutig bevorzugt werden, was dem republikanischen Grundgedanken in der

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Demokratie sowie den Grundrechten widerspreche.Angesichts der erwiesenen Wahlkampfhilfe ist es verständlich, dass sich List an den von Jackson ernannten Secretary of State Martin Van Buren wandte und diesen um eine diplomatische Funktion ersuchte. Im Oktober 1830 reiste er zum Besuch des Präsidenten nach Washington, der ihm am 18. und 23.10. zwei Audienzen gewährte und ihm „mit freundschaftlichem, ja väterlichen Vertrauen begegnete.“ Schon kurz darauf teilte der Präsident seinem Außenminister mit: Unter Bezeugung seiner Hochachtung bestätigt der Präsident den Empfang des heutigen Schreibens, in welchem Herr List vorgestellt wird. Der Präsident ist der Meinung, dass durch Herrn List viele wertvolle Informationen beschafft werden können. Wenn daher ein Konsulat frei werden sollte, für das er ernannt zu werden wünscht, würde er seinen Wünschen entsprechen, ihm dieses zu übertragen, zumal er zur Übernahme eines solchen nicht der Einkünfte wegen bereit sei, sondern um sich in die Lage zu versetzen, in der er von Nutzen sein könnte. Bereits am 8.11.1830 ernannte ihn Jackson, nachdem List wenige Tage zuvor das amerikanische Bürgerrecht erhalten hatte, zum amerikanischen Konsul für Hamburg, vorbehaltlich der Bestätigung durch den amerikanischen Senat. Wenige Tage später reiste List nach Europa, um seine Rückkehrmöglichkeit in die alte Heimat zu sondieren und, wie er hoffte, von Paris aus, sein diplomatisches Amt auszuüben. Im Committee on Commerce stellten sich jedoch Schwierigkeiten in den Weg, weil es der Senat am 8. Februar 1831 mit 30 gegen 6 Stimmen ablehnte, List zum Konsul zu ernennen. Andres Jackson stand jedoch zu seinem Wort und ernannte List im folgenden Jahr, am 13. 7. 1832, zum Konsul der Vereinigten Staaten für das Großherzogtum Baden. Da List bei der badischen Regierung nie um das erforderliche Exequatur nachgesucht hat, blieb auch diese Ernennung wirkungslos. Dies änderte sich erst bei der am 30.6.1834 ausgesprochenen Ernennung zum Konsul für das Königreich Sachsen. In der Ernennungsurkunde weist der Präsident darauf hin, dass er die Berufung Lists im Vertrauen auf dessen Fähigkeiten und Rechtschaffenheit vorgenommen habe und seine Majestät, den König von Sachsen, dessen Regierung und seine Beamten ersuche, dem Konsul jenes Amt unbeschränkt und ruhig besitzen und ausüben zu lassen, ohne ihm irgend eine Belästigung oder Störung zuzufügen, noch zu dulden, dass ihm dergleichen zugefügt werden, vielmehr demselben allen geeigneten Schutz und Beistand zu leisten. Auf die Widerstände, die von Seiten Metternichs und der württembergischen Regierung dieser Ernennung entgegengesetzt wurden, wird hier nicht eingegangen. Mit der Funktion des Konsuls war kein festes Gehalt verbunden. List bezog lediglich für die Beglaubigung von Konsulatsfakturen der Leipziger Kaufleute jährlich etwa 100 $. Da diese Einnahmen nicht einmal annähernd zum Lebensunterhalt reichten, wandte sich List erneut an Jackson und regte an, dass es zweckmäßig wäre, wenn die USA beim neu geschaffenen Zollverein einen eigenen Vertreter im Rang eines Generalkonsuls akkreditieren würden und bat darum, ihn mit dieser Aufgabe zu betrauen. Da der Präsident vermutlich die daraus resultierenden Schwierigkeiten und Hindernisse ahnte, ist er auf diesen Vorschlag nicht näher eingegangen.

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4. Martin Van Buren (1782-1862), Außenminister und von 1837 bis 1841 8. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Nach Ablauf der zweiten Amtsperiode von Andrew Jackson übernahm dessen Außenminister Martin Van Buren das höchste politische Amt der USA. „Der Nachfolger Jacksons war in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil von ,Old Hickory‘, gedrungen von Gestalt, konziliant und freundlich, dabei vorsichtig taktierend, alles andere als ein temperamentvoller Draufgänger, eher jemand, der dazu verführte, ihn zu unterschätzen, ein ,little Magician‘ (kleiner Zauberer), wie einer seiner nicht unbedingt schmeichelhaften Beinamen lautete.“ Als Sohn holländischer Einwanderer, ließ sich Buren – wie sein Amtsvorgänger – nach mangelhafter Schulbildung im Alter von 14 Jahren als Rechtsanwalt nieder. Dies war möglich, weil das Studium der Rechtswissenschaft keine zwingende Voraussetzung für eine Betätigung als Rechtsanwalt bildete. Schon in jungen Jahren war Van Buren ein engagierter Anhänger der Demokraten. Im Jahre 1812 wurde er als Senator in die gesetzgebende Versammlung des Staates New York gewählt und 1815 zum Staatanwalt ernannt. Ab 1821 war er als Senator im Kongress in Washington tätig. Beim Präsidentschaftswahlkampf von 1828 unterstützte Martin Van Buren die Kandidatur von Jackson. Im selben Jahr wurde er zum Gouverneur von New York gewählt und im März des folgenden Jahres berief ihn Jackson zum Secretary of State.65 In dieser Funktion wurde er mit Friedrich List bekannt und unterstützte dessen Bemühungen um ein Konsulat in der alten Heimat. Seine Korrespondenz mit Van Buren beweist, dass er zu diesem in lebhafter und freundschaftlicher Verbindung stand. Als Friedrich List im November 1831 seine Sondierungsreise nach Europa angetreten hat, war er nicht nur mit der Ernennungsurkunde zum Konsul für Hamburg, sondern auch mit einer von Van Buren am 15.11.1830 unterzeichneten Vollmacht als „Executive Agent“ ausgestattet, die folgenden Wortlaut hatte: Nachdem sich dem Außenministerium die Gelegenheit bietet, dringende Depeschen des Ministers der Vereinigten Staaten durch einen zuverlässigen privaten Überbringer zu übermitteln, wird Herr List mit der Verrichtung dieser Aufgabe betraut. Er solle auftragsgemäß für die ausgehändigten Päckchen Sorge tragen und diese in Paris umgehend dem damaligen amerikanischen Botschafter Mr. Rives aushändigen. Für diesen Dienst erhielt er vom Außenministerium 500 $, die zum vollen Ausgleich der über-

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Die Ernennung von List als Executive Agent durch Martin Van Buren, Original im Besitz des Autors.

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Karikatur zur Wirtschaftskrise von 1837 in der Van Buren Administration; Lithographie von Edward Williams Clay. Der an einer Grippe (nicht am CoronaVirus!) erkrankte Uncle Sam symbolisiert die Krise der USA. Neben dem Politiker Thomas Hart Benton sind Jackson und Van Buren als „Tante Matty“ dargestellt. tragenen Aufgabe und zur Deckung der Reisekosten in den USA und Frankreich einschließlich der Überfahrt nach Europa sowie anderer Zuschüsse an Überbringer dringender Nachrichten, vor allem von Mitarbeitern der Regierung, gedacht waren. Nach Ablehnung der Ernennung zum Konsul für Hamburg, lag es an Van Buren den in Paris weilenden List über die amerikanische Vertretung davon in Kenntnis zu setzen. Dabei wurde ihm vom Außenminister versichert, dass der Präsident weiterhin an seiner Überzeugung festhalte und die nächste sich bietende Gelegenheit nutzen werde, um ihm ein Konsulat zu übertragen. Als Präsident Jackson aufgrund einer Kabinettsumbildung die Absicht hatte, seinen bisherigen Außenminister Van Buren als amerikanischen Geschäftsträger nach England zu entsenden, verweigerte ihm der Senat ebenso seine Zustimmung wie bei Lists Ernennung. Dies brachte ihm den Ruf eines „verfolgten Patrioten ein“. Um die damit verbundene Demütigung wieder gut zu machen, wählten ihn die Demo-

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kraten 1832 zum Vizepräsidenten und Secretary of State. Nachdem Jackson für die zweite Amtsperiode wiedergewählt worden war, berief er Van Buren wieder zu seinem Außenminister. Bei der Wahl von 1837 siegte Martin Van Buren über den Mitbewerber Henry Clay. Während seiner Amtszeit setzte sich die schwere Wirtschaftskrise, die bereits in der zweiten Amtsperiode von Jackson begann, in verschärfter Form fort. Zwei Monate nach Van Burens Amtsantritt brachen in New York die ersten Banken zusammen und es folgten zahllose im ganzen Land. „Aber auch Wirtschaft und Gesellschaft litten erheblich unter einer der schwersten Wirtschaftskrisen des 19. Jahrhunderts. In New York und anderen Städten kam es zu Lebensmittelaufständen. Massenarbeitslosigkeit machte sich breit, die Preise verfielen. Mehr als jedes andere einzelne Ereignis dürfte diese sich bis in den Beginn der vierziger Jahre hinschleppende Wirtschaftskrise dafür verantwortlich sein, dass Van Burens Bemühungen um eine Wiederwahl 1840 scheiterten.“ Dies wurde von List vor allem auf zwei Gründe zurückgeführt. Zum einen auf die liberale Handelspolitik und zum anderen auf die Abschaffung der Nationalbank. Die liberale Handelspolitik habe zu einem immer höheren Schuldenberg und einer Schieflage in der Handelsbilanz geführt. List führte die wirtschaftliche Depression vor allem auf das große Handelsbilanzdefizit zurück. Die Privatbanken hätten das ihnen anvertraute Kapital leichtfertigen Spekulanten an den Kopf geworfen und dadurch den unvernünftigen Import von außen und die Spekulationswut im Innern angeheizt, während die Unionsbank gezwungen war, zu ihrer eigenen Sicherheit die Kreditvergabe einzuschränken. Mit drastischen Worten kritisierte er: „Ämterwechsel, Beschränkung der Ausgaben! Abschaffung aller Missbräuche, Radikalreformen!“ Dies waren die Parolen der Anhänger von Jackson und Van Buren. Als diese dann an die Macht gekommen sind, habe man sich nur an das erste Losungswort, d.h. den Ämterwechsel erinnert, dieses aber umso pflichtgetreuer umgesetzt. Kein Schreiber in Washington, kein Postmeister in der Stadt oder auf dem Lande, kein Marschall oder Stabträger bei den Unionsgerichtshöfen behielt seinen Job, wenn er sich nicht als eifriger Jackson-Anhänger ausweisen konnte., geschweige denn irgendein höherer Unionsbeamter blieb im Amt. Die alte Erfahrung trat außer Dienst und wurde häufig durch Unverstand, Habsucht und Leidenschaft abgelöst.° Obwohl List erst kurz zuvor von der sächsischen Regierung das Exequatur als amerikanischer Konsul erhalten hatte und damit eigentlich zu einem loyalen Verhalten verpflichtet war, konnte er sich diese schonungslose Kritik nicht verkneifen. Er hatte sich aber insofern vorgesehen, dass die Artikelfolge nicht unter seinem Namen publiziert, sondern nur mit seinem internen Verfassersymbol, einem Dreieck, gekennzeichnet war. Außerdem hat er seinen Verleger Georg v. Cotta um „strengstes Inkognito“ gebeten, „was sich wohl von selbst versteht.“ Immerhin war er selbst auch Leidtragender dieser Wirtschaftskrise, weil er dabei sein noch vorhandenes Vermögen durch den Zusammenbruch des Bankhauses Biddle verloren hat.

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5. William Henry Harrison (1773-1841), Generalmajor und 1841 für einen Monat 9. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Im Jahre 1836 wurde Harrison von den Whigs als Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahl nominiert. Sein Gegenkandidat war Martin Van Buren, der von Jackson protegiert, die Wahl gewonnen hat. Wegen der schweren Wirtschaftskrise, die das Land in dieser Zeit durchlebte, hat sich das Blatt bei der Bevölkerung gewendet, sodass Van Buren nach seiner ersten Amtszeit nicht wiedergewählt wurde und W. H. Harrison als Wahlsieger hervorgegangen ist. Allerdings war diesem lediglich eine Amtszeit von einem Monat beschieden, weil er kurz nach der Amtseinführung verstarb. Harrision fiel einer Lungenentzündung zum Opfer, die er sich bei seiner Antrittsrede zugezogen hatte. Er ist damit in der Geschichte der Vereinigten Staaten der Präsident mit der kürzesten Amtszeit. Er wird von Horst Dippel mit folgenden Worten charakterisiert: „Harrison, der bis Ronald Reagan der älteste amerikanische Präsident bei Amtsantritt sein sollte, pflegte einen jovialen und unprätentiösen Umgangston, der Hemmschwellen gar nicht erst aufkommen ließ, der aber auch dazu verleitete, ihn als unbedarft einzustufen und zu versuchen, ihn für eigene politische Ziele zu vereinnahmen und zu kontrollieren.“66 Über General Lafayette war Friedrich List mit General Harrison persönlich bekannt geworden. Dabei muss er einen exzellenten Eindruck von ihm gewonnen haben, wie die folgenden Sätze zeigen. List hatte an dessen 1 1/2stündiger und damit ungewöhnlich langen Antrittsrede, die ihm zumindest in Auszügen bekannt geworden ist, große Erwartungen geknüpft. In seiner typischen süffisanten Art nahm er die englischen Kommentare zu dieser Rede aufs Korn und bemängelte dabei: englische Brillen seien aus deutscher Sicht ein wichtiger Importartikel, von dem sich die Deutschen jedoch in Acht nehmen sollten, zumal wenn sie auf Zustände in anderen Nationen Bezug nehmen und diese „beobachten und beurteilen“. Dies habe sich beim Amtsantritt von General Harrison wieder einmal ganz deutlich gezeigt. Fast ohne Ausnahme, wie er wisse, hätten die englischen Blätter diese Rede als ein weitschweifiges, unpraktisches und theoretisches Wischiwaschi kritisieret, worin von allem Möglichen die Rede sei, bloß nicht von den nordamerikanischen Interessen und den zwischen England und den USA offenen Fragen. Aufgrund

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einer getreu übersetzten Wiedergabe eines Auszuges aus dieser Rede in der „Allgemeinen Zeitung“ sei zu fragen: Wo ist der unbefangene und in amerikanischen Angelegenheiten gut bewanderte Deutsche, der dem englische Urteil beipflichten kann? Er ganz bestimmt nicht, weil er sich für berechtigt halte, eine ganz und gar entgegengesetzte Meinung einzunehmen. „Harrison wird seiner Nation ein zweiter Washington sein; Harrison hat den Weg, der ihn zu diesem Ziel führen soll, mit großer Klugheit gewählt; Harrisons Rede muss jedem nach- und wohldenkenden Amerikaner Vertrauen einflößen; Harrison wird halten, was er verspricht.“ Dies sei seine feste Überzeugung.67 Insofern ist es zu bedauern, dass diese überaus positive Einschätzung durch den frühen Tod von William Henry Harrison hinfällig wurde.

6. John Tyler (1790-1862), von 1841 bis 1845 10. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika John Tyler war der erste nicht gewählte Amtsinhaber im Weißen Haus. Nach dem Tod von William Henry Harrison stieg er als 10. Vizepräsident der USA automatisch zum Präsidenten auf. Zuvor war er Gouverneur in Virginia und vertrat diesen Staat auch als Senator im USSenat. Diese Nachfolge war heftig umstritten, weil sie in der amerikanischen Verfassung nicht geregelt war.68 Insbesondere Henry Clay und Martin Van Buren waren heftige Kritiker von John Tyler. Als einziger übrig gebliebener Minister blieb Daniel Webster Außenminister, dem List schon beim Empfang zu Ehren Lafayettes in Albany persönlich begegnet war. Im Frühjahr 1843 wurde List mit einem von Daniel Webster unterzeichneten Schreiben mit der Ernennung zum amerikanischen Konsul für das Königreich Württemberg überrascht. Darin heißt es: Der Präsident durch und mit der Empfehlung und Zustimmung des Senats hat Sie zum Konsul der Vereinigten Staaten für das Königreich Württemberg ernannt und überträgt Ihnen dieses Amt. Eine gedruckte Kopie der allgemeinen Konsularanweisungen, wobei das 1. und 2. Kapitel ihrer sofortigen Aufmerksamkeit empfohlen wird, ein Konsularzertifikat und andere Dokumente für den Gebrauch Ihres Konsulates, die in der Anlage aufgeführt sind, liegen bei. Sie wollen dem Department of State noch den Namen des Staates oder Landes mitteilen, in dem Sie geboren wurden.

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Die Initiative zu dieser Ernennung ging von dem deutschstämmigen amerikanischen Politiker und Schriftsteller Francis Joseph Grund aus, dem die Gründung eines deutschen Miniaturstaates für Auswanderer vorschwebte. Aus den wenigen Quellen, die über diesen merkwürdigen Vorgang Aufschluss geben, lässt sich folgender Sachverhalt rekonstruieren: Grund hatte die Absicht, ein groß angelegtes Siedlungsprojekt für deutsche Auswanderer in den Vereinigen Staaten zu gründen. Dabei setzte er auf die Mitwirkung von List, obgleich sich dieser im Januar 1839 mehr als deutlich von dem damaligen amerikanischen Konsul in Antwerpen distanzierte. Dieser sei (gemeint ist Francis Grund) „ein nichtswürdiger Charakter. Jede Zeile von seiner Hand sei eine Sünde wider den heiligen Geist; – eine Einschätzung, die List später wahrscheinlich revidieren musste. Es könnte aber auch sein, dass er sich, wie bereits erwähnt, nachdem er anlässlich des 25jährigen Regierungsjubiläums von König Wilhelm seine bürgerlichen Ehrenrechte im Wege der Amnestie zurückbekommen hat, eine Rückkehr nach Württemberg erhoffte und ihm dann der diplomatische Status sehr willkommen gewesen wäre. Obwohl Tyler seine grundsätzliche Zustimmung zu erkennen gab, waren ihm zunächst die Hände gebunden, weil der amerikanische Präsident den „bankrotten Buchhändler Kiderlin“ mit dieser diplomatischen Funktion betraut hatte. Damit wollte sich Grund aber nicht zufriedengeben. Er zog alle Register, um – wie er es formulierte, „die Fabrikation der öffentlichen Meinung in Gang zu bringen.“ Durch Freunde organisierte er „indignation Meetings“ – also Protestversammlungen und ließ „ein paar tausend Unterschriften gegen Kiderlin“ sammeln. Dann entsandte Grund eine Abordnung nach Washington, wie aus einem Schreiben an List vom 7.3.1843 hervorgeht. Außerdem ließ er Bittschriften zu Lists Gunsten „in allen Enden der Union zirkulieren und von Buffalo, New Orleans, Cincinnati und St. Louis an den Präsidenten schreiben. Er selbst dirigierte, wie er sich auszudrückte, „das stehende Heer in Philadelphia“. Der massive Meinungsdruck brachte offenbar den gewünschten Erfolgt. Präsident Tyler erklärte sich schließlich dazu bereit, Kiderlens Ernennung zu widerrufen und List an dessen Stelle zu setzen. Am letzten Tag der Sitzungsperiode, „eine halbe Stunde vor dem Schluss des Kongresses“ legte Präsident Tyler Lists Ernennung dem Senat zur Annahme vor. Vermutlich unter dem Eindruck des nahen Endes der Sitzungsperiode wurde Lists Ernennung einstimmig durchgewinkt. Davon hat List Nachricht erhalten und veranlasst, dass in der „Allgemeinen Zeitung“ vom 12.4.1843 folgende Notiz abgedruckt wurde: „Unter den neu angestellten Konsuln ist Dr. Fr. List der merkwürdigste (im Sinne von namhafteste bzw. bekannteste). Er ist der erste amerikanische Konsul, der in Württemberg angestellt wird, und seine Ernennung hat bei den vielen Freunden des Doktors allgemeine Freude und Zufriedenheit ausgelöst. Der bedeutende Ruf des „Nationalen Systems der Politischen Ökonomie“ hatte zur Folge, dass die deutsche Bevölkerung in den Vereinigten Staaten sowohl in öffentlichen Blättern, als sich auch in zahlreichen Volksversammlungen viele für den Verfasser aussprachen und ohne

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Ernennungsurkunde von F. List zum amerikanischen Konsul für das Königreich Württemberg; Original im Besitz des Autors.

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sein Vorwissen (was nicht stimmen dürfte) den Präsidenten um eine Anstellung ersuchten. Der Präsident erklärte sich bereit, dem allgemeinen Wunsch der Deutschen nachzukommen und ernannte Herrn List noch am letzten Tag der Kongresssitzung. Der Senat hat diese Ernennung einstimmig gebilligt; – ein Umstand der bei dem jetzigen Parteienkampf auffällig ist und bemerkt zu werden verdient.“ Diese Notiz war natürlich weitgehend aus der Luft gegriffen, weil das „Nationale System“ damals in den USA wahrscheinlich völlig unbekannt war und auch noch keine englischsprachige Übersetzung vorlag. Wohl wissend, dass diese Ernennung für Württemberg politisch höchst brisant war, wurde List von Francis Grund dringend ersucht: „Nehmen Sie ja das Konsulat an und verlassen Sie sich auf mich, dass es in kurzer Zeit wertvoll und wichtig sein wird.“ Lists alte Freunde, der Esslinger Fabrikant Karl Deffner und der Rechtskonsulent Eduard Schübler, gratulierten zu dieser Ernennung, ließen aber auch Skepsis anklingen. Deffner meinte: „Empfangen Sie meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Ernennung von Seiten des nordamerikanischen Kongresses zum Konsul von Württemberg. Die Einstimmigkeit, womit Sie ernannt worden sind, ist bei so heftigen politischen Parteien in der Tat merkwürdig und sehr ehrenvoll für Sie. Ohne Zweifel haben Sie diese allgemeine Anerkennung Ihrem entschiedenen und sachkundigen Auftreten gegen Englands Handelsdespotie zu verdanken. (…) Wenn auch jetzt noch kein sehr bedeutender Verkehr zwischen Württemberg und Nordamerika stattfindet, so lässt sich vielleicht durch Ihre Vermittlung demselben einige Ausdehnung geben und vielleicht auch für Auswanderer nützlich sein. Ich bin begierig, welche Gesichter Sie in Stuttgart erhalten werden. (…) Übrigens haben Sie immer noch nicht viele Freunde in der Beamtenwelt in Stuttgart!“ Ähnlich zurückhaltend äußerte sich Eduard Schübler: „Von Herzen wünsche ich Dir Glück wegen des Auftrags von Nordamerika, welcher an Dich ergangen ist. Ich weiß zwar nicht, welche Realität damit verbunden ist. Aber jedenfalls hat die Sache großen Wert gegenüber den Philistern, den Bürokraten und all Deinen Gegnern.“ Natürlich war die württembergische Regierung über diese Ernennung bestürzt und ging sofort auf Abwehrstellung. Da sich List darüber im Klaren war und über welche Kanäle auch immer, bestimmt Erkundigungen einholte, ob man ihm das Exequatur erteilen werde, hat er, weil er offenbar mit einer Ablehnung rechnete, nicht darum ersucht. Dennoch führte ihn das Department of State bis 1845 offiziell als „Consul at Stuttgart“, ehe er am 26.2.1845 durch Charles R. Leffering ersetzt wurde. Damit war Lists Funktion als amerikanischer Diplomat lediglich als Konsul für das Königreich Sachsen ein gewisser Erfolg beschieden, denn dadurch war es ihm überhaupt erst möglich, nach Deutschland zurückzukehren und trotz der nach wie vor feindseligen Haltung der Behörden als Privatmann einigermaßen Fuß zu fassen, weil ihm diese Funktion ein gewisses Prestige verschaffte, das sein Brandmal als politisch Verfolgter zwar nicht beseitigte, aber immerhin etwas übertünchte.

Teil I: .Bedeutende Bekanntschaften aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil

Teil III: Begegnungen aus der Zeit nach dem amerikanischen Exil

1. Carl v. Rotteck (1775-1840) und Karl Theodor Welcker (1790-1869), liberale Professoren und Politiker Die beiden Freiburger Professoren Karl v. Rotteck und Karl Theodor Welcker sind, wie sich Hans-Peter Becht ausdrückte, „sicher keine Zentralfiguren der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts und sie erfreuen sich in der Öffentlichkeit (vielleicht von Freiburg abgesehen) auch keinesfalls einer Prominenz“; ihr Name ist jedoch in Fachkreisen mit der Herausgabe des Staatslexikons, das den Beinamen „Bibel der Liberalen“ bekam, eng verbunden. Der in Freiburg geborene Rotteck studierte an der dortigen Universität Rechtswissenschaft und erhielt im Jahre 1818 Carl von Rotteck auch einen Lehrstuhl für Vernunftrecht und Staatswissenschaft. Seine freisinnigen Ideen brachten ihn jedoch bei der badischen Regierung rasch in Misskredit. Trotzdem, oder gerade deswegen, wurde er etwa zur selben Zeit als Abgeordneter in die Erste Kammer gewählt, in der er neben seinem Kollegen Karl Theodor Welcker zum Wortführer der badischen Liberalen avancierte. Nachdem seine Wiederwahl 1825 vereitelt wurde, trat Rotteck 1831 in die Zweite badische Kammer ein, der er 10 Jahre lang als führendes Mitglied der liberalen Opposition angehörte. Allerdings wurde er wegen dieser Wahl bereits ein Jahr später seiner Professur enthoben und in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Er war literarisch äußerst aktiv und erfolgreich und kämpfte für ein auf dem Ver- Karl Theodor Welker © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Wendler, Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31448-4_3

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nunftrecht basierten Rechtssystem und einer dem Willen des Volkes entsprechenden Staatskonstitution. Nach seinem Tod 1840 verblasste sein Ruhm und sein Name wird allenfalls noch mit dem „Rotteck-Welker’schen Staatslexikon“ in Verbindung gebracht.69 Ähnliches gilt für Karl Theodor Welcker. Dieser studierte in Gießen und Heidelberg Rechtswissenschaft und folgte anschließend Rufen nach Kiel, Heidelberg, Bonn und Freiburg. Auch er wurde 1831 in die Zweite badische Kammer gewählt und profilierte sich dort neben v. Rotteck zum Wortführer der Liberalen, wurde aber bald darauf ebenfalls von seinem Lehrstuhl suspendiert und in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Im Jahre 1840 kehrte er zwar wieder auf seinen Lehrstuhl zurück, wurde aber im folgenden Jahr schon wieder entlassen. Von nun an lebte er in Heidelberg. Während der Revolution von 1848 wurde er als Mitglied in die Paulskirche gewählt, anschließend war er Gesandter in Stockholm und schließlich 1866 Vorsitzender der von ihm mitbegründeten Deutschen Partei. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus den USA versuchte List eine seiner besten literarischen Ideen zu verwirklichen. In Anlehnung an das große Werk der französischen Enzyklopädisten schwebte ihm vor, ein mehrbändiges staatswirtschaftliches Lexikon herauszugeben, das vor allem für Kaufleute, Rechtsanwälte, Verwaltungsbeamte, Redakteure und Abgeordnete gedacht war. Darin sollten volkwirtschaftliche, politische, juristische, historische und geographische Stichwörter behandelt werden. Der Grundgedanke geht bereits auf Lists Engagement im Lehrverein zu Aarau zurück, als er dort einen Lehrauftrag für die „Enzyklopädie der Staatswissenschaften“ übernommen und kurze Zeit ausgeübt hatte. Als er sich während seiner Europareise 1831 in Paris aufhielt, setzte er sich dort mit einem deutschen Buchhändler in Verbindung, den er aber nicht für diese Idee gewinnen konnte. Erst ein Jahr später, als er wegen der Erkrankung seiner Frau in Hamburg eine Zwangspause einlegen musste, kam er diesem Vorhaben einen Schritt näher. Es gelang ihm, den Inhaber der Hammerisch’en Buchhandlung in Altona, Thomas Lesser, für dieses Projekt zu gewinnen, der auch eine Verlagsniederlassung in Leipzig hatte. Die größten Hindernisse, die dabei zu überwinden waren, lagen darin, dass List als nicht amnestierter politisch Verfolgter und amerikanischer Staatsbürger nicht als Herausgeber oder Chefredakteur namentlich in Erscheinung treten konnte und zudem die strengen Zensurbestimmungen beachtet bzw. umgangen werden mussten. Deswegen wurde Altona als Verlagsort gewählt, das damals zum Herzogtum Holstein und damit zum Königreich Dänemark gehörte. Da der Verlag von Johann Friedrich Hammerich auch in Leipzig ansässig war, unterstand das Projekt der sächsischen Aufsicht. Wegen der relativ freizügigen Zensurbestimmungen im Großherzogtum Baden und weil er dort bereits persönliche Kontakte hatte, setzte sich List mit den beiden in den Ruhestand versetzten Jura-Professoren von der Universität Freiburg, Carl v. Rotteck und Karl Theodor Welcker in Verbindung, um diese als Herausgeber zu

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Titelseite des Staats-Lexikons, Band. I, 2. Auflage, Altona 1845.

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gewinnen. Um Rotteck ins Boot zu holen, fühlte er zunächst bei K. T. Welcker vor. Denn nach der kühlen Aufnahme, die ihm Rotteck und andere badische Liberale während seines Europa-Aufenthaltes 1831 zu Teil werden ließen, konnte er nicht davon ausgehen, dass sich Rotteck mit ihm allein verbünden würde. Mit Welckers Bereitwilligkeit war dagegen eher zu rechnen. In ihrem gemeinsamen Antwortschreiben vom 16.4.1833 stimmten beide dem „großartigen Unternehmen“ zu, zumal diese Idee mit ihrer „Frucht und Gewinn verheißenden Aussicht, so schön und einladend sei, dass es unverantwortlich wäre, diese von der Hand zu weisen“. Dabei hatte List selbstverständlich von Anfang an die Absicht, als Dritter im Bunde tatkräftig an diesem Lexikon mitzuwirken und verpflichtete sich auch zu einer entsprechenden finanziellen Beteiligung, setzte sich aber gutgläubig über frühere Alarmglocken hinweg. Er hätte wissen müssen, dass vor allem K.T. Welcker ein schwieriger Charakter war, mit dem man nicht gut Kirschen essen konnte. Als es bereits zu spät war, erinnerte er sich an seine erste Begegnung mit diesem „habsüchtigen“ und „streitsüchtigen“ Juristen. In einem ausführlichen Schreiben an Carl v. Rotteck vom 3. August 1838 brachte er seine tiefe Enttäuschung zum Ausdruck: Man sagt, der erste Eindruck, den eine neue Bekanntschaft auf uns mache, sei der richtige. Er habe sehr zu bedauern, diese Maxime in Beziehung auf Herrn Welcker nicht beachtet zu haben; denn als er ihn zum ersten Mal in Basel sah, wohin dieser 1822 gekommen war, um die dort angestellten deutschen refugies zu besuchen, erschien ihm alles, was er von Welcker hörte, so unpraktisch und pedantisch, so schwülstig und bombastisch, dass ihm nicht im Traum einfiel, ein solcher Mann werde einst zu einem großen Ruf als Patriot und Politiker gelangen. Als er darüber mit einigen dortigen Freunden, vor allem Wilhelm Snell sprach, der Welcker von Jugend an kannte und seine Verwunderung aussprach, erzählte man ihm von Manuskripten, welche dieser schon als Student im Nachlass eines befreundeten Rechtsgelehrten gefunden habe, die er bearbeitet, unter einem imposanten Titel publiziert und dadurch seinen literarischen Ruf begründet habe, den er jetzt durch seine juristische Gelehrsamkeit nur notdürftig übertünche. Welckers Äußerungen über die Tagespolitik und über die aktuellen Entwicklungstendenzen seien „höchst beschränkt“, ja zum Teil überaus lächerlich gewesen. Bei einem Besuch in Freiburg habe er List keines Blickes gewürdigt und ihn mit Missachtung gestraft. Sie hätten sich damals als entschiedene Gegner getrennt. Anschließend hätten ihm seine Freunde gesagt, dass Herr Welcker schon immer eine kleinliche Gesinnung an den Tag gelegt habe.70 Obgleich Carl v. Rotteck aus einem anderen Holz geschnitzt war, hatte List auch bei ihm eine Enttäuschung erlebt. Aus seinem Schweizer Exil wandte er sich in einem Bittschreiben an die juristische Fakultät der Universität Freiburg mit der Bitte, für ihn ein Rechtsgutachten zu erstellen. Die juristischen Fakultäten waren zu jener Zeit vielfach auch als Spruchbehörden tätig, die zwar Urteile von Gerichten nicht außer Kraft setzen konnten, aber vielfach bei Gericht als Leitlinien dien-

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ten. In einem Begleitschreiben an Carl v. Rotteck, machte er deutlich, wie wichtig das erbetene Rechtsgutachten für ihn wäre und wie dringend er ein solches benötige. Sein Anliegen wurde jedoch von der Fakultät immer wieder verschleppt und erst im Jahre 1836, also mit 13jähriger Verzögerung abgeliefert, sodass auch der darin ausgesprochene Freispruch wirkungslos blieb.71 List und Lesser erschienen Rotteck und Welcker für ihr gemeinsames Vorhaben geeignet zu sein. Diese hatten zu diesem Zeitpunkt durch ihre Aktivitäten in der badischen Zweiten Kammer einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht und waren nach der zeitweiligen Schließung der Universität Freiburg sowie durch ihre Zwangspensionierung im Jahre 1832 in der öffentlichen Meinung überdies zu „Märtyrern der Pressefreiheit und Kultfiguren“ des badischen Liberalismus geworden. Rottecks populäre „Allgemeine Weltgeschichte“ war mit einer enormen Auflage von insgesamt 100 000 Exemplaren weit verbreitet. Im April 1833 begannen die Verhandlungen mit Lesser, die zunächst nur schleppend vorankamen. Bis zur Unterzeichnung des Vertrages war List „als Urheber des Planes“ von Rotteck und Welcker damit beauftragt, die Leitung des Vorhabens zu übernehmen. Nachdem man sich auf den Titel „Staatslexikon oder Enzyklopädie sämmtlicher Staatswissenschaften“ geeinigt hatte, entwarf List eine Werbeschrift, stellte ein alphabetisches Artikelverzeichnis zusammen und schlug geeignete Mitarbeiter vor; mit einem Wort: er war die treibende Kraft an diesem Projekt. Rotteck und Welcker akzeptierten das Angebot, das ihren Plänen entgegenkam und die Möglichkeit bot. ihre liberal-konstitutionelle Staatstheorie einem größeren Leserkreis nahe zu bringen. Deren Intentionen haben sich jedoch grundlegend von Lists Vorstellungen unterschieden, sodass es in der Folgezeit immer wieder Dissonanzen zwischen Rotteck und Welcker einerseits und List andererseits gegeben hat. Die Freiburger Kollegen stießen List insofern vor den Kopf, weil K.T. Welcker am 5.2.1834 hinter Lists Rücken mit Theodor Lesser den Verlagsvertrag zur Herausgabe des „Staats-Lexikons“ geschlossen hat. Darin wurde Lists Name noch nicht einmal erwähnt, obwohl er sich dazu verpflichtet hatte, die Hälfte der Produktionskosten zu übernehmen. Mit dieser Intrige wurde er ganz bewusst jedem anderen Mitarbeiter an diesem Werk gleichgestellt. Es versteht sich von selbst, dass List über dieses heimtückische Verhalten empört war und seiner Verärgerung Luft machte. Welckers Rechtfertigung war fadenscheinig und scheinheilig und hat beim Urheber der Idee tiefe Risse hinterlassen. Welcker redete sich damit heraus, man habe gar nicht gewusst, dass sich List an diesem Projekt redaktionell beteiligen wolle und List musste die in jenem Brief vom 14.1.1834 verwendete Anrede „Hochverehrtester Freund!“ als puren Hohn empfinden. Auch inhaltlich gab es beträchtliche Differenzen. List war wohl auch Liberaler, aber seine nationalstaatliche Denkweise hatte die innenpolitische in den Hintergrund gedrängt. Das Liberale war ihm niemals Selbstzweck, sondern es ging ihm um die politische Bildung des Volkes. Sein Ziel war nicht die innenpolitische Re-

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volutionierung, sondern es ging ihm vor allem um die politische Einheit und Stärkung des Vaterlandes. Rotteck und Welcker machten jedoch das Staats-Lexikon zu einem liberalen Parteibuch, dem alle anderen politischen Strömungen feindlich gegenüberstanden. Darüber hinaus stellte sich List ein komprimiertes Gesamtwerk von lediglich 5 bis maximal 8 Bänden vor. Die beiden Herausgeber, insbesondere Welcker, blähten das Ganze jedoch so stark auf, dass es am Ende 15 Bände geworden sind, wobei die Anfangsbuchstaben des Alphabets in epischer Länge und die letzten in gedrängter Form abgehandelt wurden, damit das Gesamtwerk überhaupt zum Abschluss gebracht werden konnte. Vor allem Karl T. Welcker trug dazu bei, dass die Enzyklopädie mit teilweise völlig überladenen, schwülstigen und langatmigen Beiträgen gefüllt wurde, um möglichst viel Honorar zu kassieren und seine Habgier zu bemänteln. Deshalb warf ihm List vor, dass er den Inhalt mit den Bruchstücken eines noch ungedruckten, also mit dem Kadaver eines im Buchhandel bereits krepierten Werkes, ausgestopft habe. Dem vor die Türe Gesetzten blieb nur die Möglichkeit, einige wenige Beiträge für das Staats-Lexikon zu verfassen. Im ganzen Lexikon findet man von Lists Feder nur 13 Beiträge, die sich auf die beiden ersten und den vierten Band verteilen. Im Band I sind es die Artikel: Advokat, Ägypten, Afrika, Arabien, Arbeiter, Arbeitslohn, Arbeit ersparende Maschinen und Asien; im Band II: Australien, Baierische Hypotheken- und Wechselbank, Banken und Banknoten und im Band IV: der grundlegende Aufsatzüber: Eisenbahnen und Canäle, Dampfboote und Dampfwagentransport. Weshalb auch Lesser bei diesem dubiosen Spiel mitgemacht hat, lässt sich aus folgender Stellungnahme entnehmen: „Herr List hat sich hier in Altona brav und rechtschaffen benommen, seine Erfahrungen, sein reger Geist und seine Persönlichkeit haben mir Vertrauen und Achtung eingeflößt, aber vom ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an, habe ich gefunden, dass er gerne Luftschlösser baut und alles schon im Voraus so glänzend ausgeführt sieht, wie er es wünscht. Seine Erwartungen sind stets überspannt und da erst die Zukunft ihn widerlegt, so muss man schweigen.“72 Da kann man nur hinzufügen, dass die Zukunft List eher recht gegeben, als ihn widerlegt hat. Hans Zehntner, der sich am intensivsten mit der Entstehungsgeschichte der Staatslexikons befasst hat, meint dazu: „Auch wenn man zugibt, dass Lists ausgeprägtes Selbstbewusstsein und seine Heftigkeit, Widerspruch erregen und Zusammenstöße herbeiführen konnten, auch wenn man berücksichtigt, dass List in jenen an Enttäuschungen so reichen Jahren besonders empfindlich und erregbar war und daher mit einem Manne wie Welcker, der uns als sprudelnde, cholerische und derbe Natur geschildert wird, leicht zu scharfen Auseinandersetzungen kommen konnte, so ist damit Welckers Verhalten doch kaum zu rechtfertigen. Hier handelt es sich über sachliche Gegensätze hinaus, um finanzielle Angelegenheiten, deren Behandlung auf Welcker ein recht ungünstiges Licht wirft. Das sehr wohlverstandene

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Eigeninteresse scheint Welckers schwächste Seite auszumachen; schon früher bildeten ähnliche Streitigkeiten den Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen ihm und seinen Verlegern. Auch Rottecks Vertrauensseligkeit hat er auszunutzen verstanden und nach Rottecks Tod wusste er dessen Erben nach jahrelangem Verhandeln um einen Teil des Gewinns am Staatslexikon zu bringen.“73 Ende Februar 1836 reiste List nach Freiburg, um mit der Redaktion persönlich zu verhandeln. Da er vor allem bei Welcker wenig Entgegenkommen fand, kam es nach einer scharfen Auseinandersetzung trotz der Vermittlungsversuche von Rotteck, der sich auf Lists Seite stellte, zum Bruch mit Welcker und damit endete auch Lists weitere Mitarbeit am Staatslexikon. Er konnte sich nach Rottecks Tod 1840 nicht einmal dazu durchringen, den für ihn besonders wichtigen Beitrag zum Stichwort „Nationalökonomie“ trotz entsprechender Aufforderung von Welcker fertigzustellen und abzuliefern. Aus diesem Grund ist die gesamte Enzyklopädie unter dem Namen „Rotteck-Welcker’sches Staatslexikon“ bekannt und berühmt geworden, während der Name seines geistigen Urhebers in weitgehende Vergessenheit geraten ist. Trotz der geschilderten Mängel ist das Staats-Lexikon als „Bibel der Liberalen“ bekannt und berühmt geworden; es erlebte drei Auflagen, wobei vor allem die erste Auflage, deren Erscheinen sich von 1834 bis 1843 erstreckte und die zweite 12bändige Auflage + 4 Supplementbände von 1845-1848 die Bedeutung dieser Enzyklopädie ausmachen, während die dritte, sehr stark veränderte und 14 Bände umfassende Ausgabe von 1856 bis 1866 nicht die Bedeutung der 1. und 2. Auflage erreichte. Unter diesen Querelen ist auch der Nachruf von Welcker in der 2. Auflage von 1847 zu betrachten, in dem er dem Verstorbenen sieben (!) eng bedruckte Seiten widmet. Darin werden Lists Meriten um das Staats-Lexikon lediglich in zwei Nebensätzen erwähnt: „Als Teilnehmer am Verlag und dann als tätiger Mitarbeiter am Staats-Lexikon erwarb er sich auch Verdienste um dieses Werk. (…) Über seine Hauptverdienste geben die Artikel des Staats-Lexikons (…) weitere Aufschlüsse.“ Der Nachruf endet mit einem weiteren Seitenhieb: „Ich kenne eine Universität, deren hochweiser disziplinarischer Senat einst zur Klassifikation für die akademischen Zeugnisse der abgehenden Studierenden die drei Rangstufen, ,ruhiger Kopf‘, ,unruhiger Kopf ‘, ,sehr unruhiger Kopf` wählte und die letzte Note natürlich für die schlechteste erklärte. Der so unruhige List hätte gewiss nur diese dritte Note erhalten. Er war einer von jenen unruhigen Köpfen, die in unserem vielfach despotischen und pedantischen, spießbürgerlichen und höfischen lieben Deutschland überall anstoßen und Ärgernis geben, sich Zurücksetzung, Verfolgung und vornehmes Achselzucken zuziehen und für ihre gemeinnützigen und genialen Bestrebungen so schwer die rechte Stellung finden, in welcher sie für sich und andere ohne Gefahr und Störung wirken können. Die dem Vaterland und der Menschheit dennoch unendlich viel mehr wert sind und zu Nutzen und Ehre gereichen als Hunderte hochmütiger gelehrter Pedanten oder serviler Zivil- und Militärbeamten.“74 Die Würdigung eines „verehrten Freundes“ sieht anders aus.

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2. Clara Schumann, geb. Wieck (1819-1896), gefeierte Pianistin und Komponistin Im Sommer 1833 übersiedelte List mit seiner Familie nach Leipzig, um „in der Herzkammer des deutschen Binnenverkehrs, des Buchhandels und der deutschen Fabrik-Industrie“ für den Bau der „Sächsischen Eisenbahn“ zu wirken. In der Poststraße bezog die Familie eine kleine Wohnung; die beiden ältesten Töchter, Emilie und Elise, waren zu dieser Zeit 14 und 11 Jahre alt. Die Wohnung lag nur einen Steinwurf von der Grimmaischen Straße entfernt, in der sich die Wohnung des bekannten Klavierpädagogen und Musikalienhändlers Friedrich Wieck befand. Seine 13jährige Tochter Clara war damals schon eine gefeierte Pianistin, die von ihrem Vater, in strenge Zucht genommen, zielbewusst auf ihre Karriere als Künstlerin ausgebildet worden war und deswegen so gut wie keine Kindheit kannte.75 Vermutlich auf der Straße oder im Konfirmandenunterricht lernten sich Emilie List und Clara Wieck kennen. Auf jeden Fall wurden sie gemeinsam am 12.1.1834 in der Leipziger Thomaskirche konfirmiert. Für Emilie und Clara war es die erste Jugendfreundschaft, aus der sich eine lebenslange Freundschaft entwickelte. In diesen Freundesbund wurde nach und nach auch Schwester Elise aufgenommen; – der „Engelskopf“ oder „schöne Lockenkopf“, wie sie von Robert und Clara Schumann liebevoll genannt wurde.76 Die ganze Familie gehörte zu Wiecks Freundeskreis in Leipzig, der den freundschaftlichen Umgang seiner Tochter Clara mit Emilie sehr begrüßte. Ihr liebes, etwas ernstes, in der Neuen Welt gereiftes Wesen ließ ihn den Umgang mit ihr besonders erwünscht erscheinen, und er hoffte, damit auch den Einfluss seines Schülers Robert Schumann auf Clara abzuschwächen. Durch den häufigen Umgang im Hause Wieck wurde Robert Schumann ebenfalls mit der aufgeweckten Emilie bekannt. In einem Brief an seine Mutter vom 2. Juli 1834 drückte er seine Begeisterung über den „Neuzugang“ aus. „Dazu sind noch in unseren Kreis zwei herrliche weibliche Wesen gekommen, die 16jährige Tochter des amerikanischen Konsuls List, Emilie, eine Engländerin durch und durch mit scharfem, leuchtenden Auge, festem Schritt, viel Geist, Haltung und Leben. Die andere, Ernestine , die Tochter eines reichen böhmischen Barons v. Fricken“ – in die sich Robert dann auch zunächst verliebte und sich mit ihr verlobte.

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Als Emilie im Jahre 1836 zur sprachlichen Ausbildung von ihren Eltern nach Paris auf ein Internat geschickt wurde, blieben die Freundinnen in Briefkontakt. Und als Clara Anfang 1839 von ihrem Vater zu einem halbjährigen Aufenthalt in die französische Hauptstadt verbannt wurde, um der heftigen Liebe zu ihrem Robert ein Ende zu setzen, wurde Clara von ihrer Freundin Emilie nicht nur mit Sehnsucht erwartet, sondern von der inzwischen nach Paris übergesiedelten Familie List herzlich aufgenommen. Die Lists wohnten damals in der vielsagenden Rue des Martyrs 43 am Montmartre, Clara wohnte zunächst im Hôtel Michadière, Rue Michadière No. 7, wurde aber täglich von Emilie besucht oder von der Familie List eingeladen. Ihren wertvollen Schmuck gab Clara Friedrich List in Verwahrung. Emilie brachte ihr Englisch bei und Clara schrieb, dass sie fast immer bei den Lists sei und Emiliens Vater sich ihrer „höchst freundschaftlich“ annehme. In Emilie fand Clara die treue Freundin., die mit ihr weinte und scherzte, der sie ihr Herz ausschütten und mit der sie alle Sorgen um den geliebten Robert und die eskalierenden Widerwärtigkeiten des Vaters teilen konnte. Über Claras erste musikalischen Schritte in Paris berichtete List in einem Artikel in der „Allgemeine Zeitung“: „Neulich ist Clara Wieck aus Leipzig über Nürnberg und Stuttgart, wo sie bekanntlich hoch gefeiert wurde, hier angekommen. In Paris muss jeder Tonkünstler, um mit Erfolg öffentlich aufzutreten, erst die Weihe des Konservatoriums empfangen. Die berühmte Kammervirtuosin des k. u. k. österreichischen Hofes wird daher zu allererst sich dort hören lassen. Vorläufig hat sie, nach der France musicale in einer Soiree bei Erard (dem Inhaber der gleichnamigen 1778 in Paris gegründeten Pianofortefabrik) vor einigen der ersten musikalischen Autoritäten von Paris gespielt und großen Eindruck hervorgebracht. Meyerbeer soll von ihr gesagt haben, sie vereinige männliche Kraft mit weiblicher Grazie.“ In einem anderen Artikel informierte List die Leser der „Allgemeinen Zeitung“ über das Pariser Musikleben und hob dabei besonders Clara Wieck hervor: „Im Fach des Pianoforte ist auch diesmal wieder der deutschen Künstlerschaft der Siegerkranz zu Teil geworden. Die Gekrönte heißt Clara Wieck. Ihr Konzert war eines der elegantesten, das man je in Paris gesehen hat. Alle unparteiischen Kunstrichter wiesen ihr einstimmig den Rang neben Liszt und Thalberg an. Als eine noch nie dagewesene Eigentümlichkeit dieser großen Künstlerin heben sie hervor, dass sie auf bewunderungswürdige Weise männliche Kraft und weibliche Grazie vereinige. Seit ihrem Konzert haben wir Fräulein Wieck wiederholt in den glänzenden musikalischen Privatzirkeln der Gräfinnen Appony, Perthuis und Sparre und erst noch vor wenigen Tagen in einem von der letzteren Dame zum besten einer verunglückten Familie veranstalteten öffentlichen Konzert gehört. Überall wurde ihrem Spiel, wie der Genialität ihrer Kompositionen die reichste Bewunderung zu Teil. Als Clara Wieck Ende März 1839 ihr Domizil wechselte und in der Rue Navarin No. 12 eine Wohnung mietete, zogen Lists mit ein. Da die Familie List wegen eines offenbar längerfristigen Mietvertrages ihre Wohnung „contractwidrig“ verließ, trat Clara als offizielle Mieterin in Erscheinung. Im Juni 1839 war Clara zugegen, als die

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Familie List die schreckliche Nachricht vom Tod ihres einzigen Sohnes Oskar aus Algier erhielt, der dort als Soldat in der Fremdenlegion diente und an Typhus verstarb. Einen ganzen Tag lang verbarg Frau List die Todesnachricht vor ihrem Mann, und Clara hielt ihr tiefes Mitgefühl in ihrem Tagebuch fest: „Er war der einzige Sohn, 19 Jahre alt, das ganze Hoffen seines Vaters und dieser musste in der Fremde, keine freundlich pflegende Hand, im Hospital sterben. Mich hat das Unglück sehr angegriffen – ich kann mir den Schmerz in seiner ganzen Größe vorstellen. Es zerschneidet mir beinahe das Herz, wenn ich die Mutter und den Vater weinen sehen muss.“ „Da sich in der französischen Hauptstadt für ihn keine passende Tätigkeit finden ließ, hatte Oskar – zum Leidwesen des Vaters – den Wunsch geäußert, Soldat zu werden und in die Fremdenlegion einzutreten. War es Passion für den Militärstand, war es der Wunsch, den Eltern nicht zur Last zu fallen“ – das Motiv bleibe, wie Clara meinte, „im Dunkeln“. Ihre Freundin Emilie berichtete zwar, dass Oskar – „ein junger Mensch voll Herzensgüte und mit guten Anlagen“ – von jeher eine große Vorliebe für den Soldatenstand gehabt habe, der Vater aber nie darauf eingegangen sei. Er habe einen tüchtigen Techniker aus ihm machen wollen und ihn deswegen zuerst nach Brüssel getan und dann nach Paris nachkommen lassen. Dort wurde Oskars berufliche Absicht neu geweckt und nach heftigen Auseinandersetzungen ließ ihn der Vater schließlich nach Algier ziehen.“ Nach einem tränenvollen Abschied zog Oskar ins ferne Land. Anfangs kamen erfreuliche Nachrichten; dann kam auf einmal keine Nachricht mehr und schließlich nur noch die Nachricht seines Todes. „Einen ganzen Tag lang verbarg Frau List die Todesnachricht vor ihrem Mann.“ Über Oskars Tod äußerte sich Clara auch in einem an Robert gerichteten Brief vom 24.6.1839: „Eine Stunde bevor wir vorgestern abfahren wollten, bekamen Lists die Nachricht, dass ihr Sohn Oskar in Algier gestorben sei und wie kam die Nachricht? Bestehend aus der Aufforderung an Herrn List, sich da und da das Geld zurückzuholen, was er seinem Sohn geschickt (hatte), das ihn aber erst einige Tage nach seinem Tode getroffen habe. Glücklicher Weise war Herr List nicht da und so wurde es ihm nach und nach beigebracht. Oskar war Soldat dort; sein Vater hatte es durchaus nicht gewollt, doch er bestand darauf, dahin zu gehen und etwas Großes zu werden, da er sehr großen Mut hatte, nur war seine einzige Sorge die, nicht etwa krank zu werden.“ „Dies hatte er in seinem letzten Brief geschrieben. Er lag 5 Wochen im Hospital und ist nun schon 4 Wochen tot. Du kannst Dir denken, was ich jetzt leide, diesen Schmerz der Mutter zu sehen, die immer nach ihm ruft und die Hände ringt und den Vater, der in stummem Schmerz versunken ist und dem die Tränen fortwährend in den Augen stehen.“ List Tochter Emilie meinte dazu: „Von diesem Schlag hat sich der Vater nie ganz erholt; oft, in späteren Zeiten, brach er plötzlich in Tränen aus, wenn er an das Schicksal seines einzigen Sohnes dachte; er machte sich Vorwürfe, dass er ihn habe gehen lassen und sah sein trauriges Los als eine Folge seines eigenen widrigen Geschicks an.“

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Rue des Martyrs in Paris; Wohnsitz von Familie List und Heinrich Heine. Im August 1839 waren Friedrich List, seine Tochter Elise und Clara Wieck bei der Feier zum 86. Geburtstag und 60jährigen Doktorat von Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie eingeladen, den Clara „wie einen Heiligen“ verehrte. Hierbei traten Clara als Pianistin und Elise als Sängerin auf, und List berichtete darüber in einem weiteren Artikel der „Allgemeine Zeitung“, wobei er „von der herrlichen Clara Wieck, welche die Geburtstagsgesellschaft mit dem Schönsten und Kunstreichsten entzückte“, schwärmte. Friedrich Wieck setzte nach wie vor alles daran, um Clara und Robert auseinanderzubringen. Um eine Heirat unmöglich zu machen, weigerte er sich, Claras Vermögen herauszugeben, das sie sich durch ihre Konzerte verdient hatte. In ihrer Not wandte sie sich ratsuchend an List, der ja „ein halber Advokat“ sei. Dieser machte ihr die Rechtslage klar und versicherte ihr, dass ihr Vater „durchaus nicht gezwungen werden könne“, das Geld herauszugeben. Dies hänge ausschließlich von dessen gutem Willen ab. Das, was Kinder bis zu ihrer Mündigkeit verdient hätten, gehöre den Eltern. In ihrer Verzweiflung reichten die Liebenden beim sächsischen Appellationsgericht Klage gegen den störrischen Vater ein, um ihre Eheschließung auf gerichtlichem Weg zu erzwingen. Der Ausgang war ungewiss. Deshalb bot sich List an, er wolle mit einem französischen Geistlichen sprechen und ihn fragen, ob er auch ohne väterliche Einwilligung dazu bereit wäre, das Paar zu trauen. Während Clara dieser Idee sehr skeptisch gegenüberstand, weil List immer so große Pläne habe, zeigte sich Robert an diesem Vorschlag sehr interessiert und beauftragte Clara, mit List alle Einzelheiten zu besprechen, um im äußersten Notfall sich auf diesem Wege trauen zu lasen. Er war sich allerdings bewusst, dass das Paar dann so bald nicht

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nach Sachsen zurückkehren könne und zögerte deshalb auch, nach Paris zu kommen, um dort die Eheschließung vorzunehmen. Am 1. August 1840 erteilte das Gericht dann doch die lang ersehnte Heiratserlaubnis und am 12.9.1840, einen Tag vor Claras 21. Geburtstag, konnte dann die Trauung in Leipzig stattfinden. An der kleinen Hochzeitsgesellschaft nahmen auf Roberts persönlichen Wunsch auch Claras Freundinnen Emilie und Elise List sowie deren Eltern teil. In der neuen Wohnung des jungen Paares waren die Lists häufig zu Gast. Man unterhielt sich, musizierte miteinander und besuchte sich gegenseitig. Friedrich List und Robert Schumann verkehrten damals mehrfach in Schumanns Stammlokal, dem berühmten Leipziger Kaffeebaum. Ihre Zusammenkünfte kommentierte Schumann mit den Worten: Die Familie List ist „eine abenteuerliche Familie, für Maler und Schriftsteller gleich interessant“. Schumann hatte sogar die Absicht, Elise List seinen berühmten „Eichendorff’schen Liederkreis“ zu widmen und dazu deren Zustimmung eingeholt. Ihre Einwilligung kam allerdings zu spät beim Verleger an, so dass die Widmung nicht mehr angebracht werden konnte und auch bei späteren Auflagen unterblieben ist. Bei den Zusammenkünften der beiden Familien ging es meistens um Elises Zukunft als Sängerin, und die Eltern schütteten bei den Schumanns ihr Herz aus. Robert war von Elises Stimme begeistert; sie sei eine der seltensten und herrlichsten; dennoch überwogen seine Bedenken. In seinem Tagebuch schreibt er: „Elise leidet und jammert an dem Lampenfieber; sie will es Allen recht machen und das geht nicht. Jeder rät ihr anders und so müssen sich zuletzt all ihre Sinne verwirren, wenn sie nicht bestimmt und entschlossen auftritt und sagt, was sie will. Ich bedaure sie; sie hat weder einen musikalischen Vater, noch eine musikalische Mutter, die ihr raten können. Wunderbar ist es doch, wie sich das Mädchen so weit gebildet hat, ohne alle Anleitung, im Gegenteil, Widerstand von Seiten der Eltern.“ Auch die kleine Lina (Lists jüngste Tochter) habe großes Talent zur Musik, doch werde dies vor allem von der Mutter unterdrückt, die eine Hausfrau aus ihr machen wolle, weil dies bei den beiden ältesten nicht geglückt sei. „Wie dauert einen doch das!“ fügte Schumann mitleidsvoll hinzu. Clara beurteilte Elises stimmliche Begabung zurückhaltender als Robert. Allerdings notierte sie im September 1840 in ihr Tagebuch: „Sonderbar ist es; – Elise hatte mich bis jetzt, trotz ihrer himmlisch schönen Stimme, noch nie was man sagt: gepackt! Heute aber entzückte sie mich in einer Arie von Rossini. Ich weiß selbst kaum durch was; sie sang ganz eigen animiert. Von Roberts Liedern sang sie einige. Doch scheint mir, zu den deutschen Liedern fehlt ich eine tiefere Regung, ein inniges Erfassen des Textes. Ich kann mich darüber gar nicht aussprechen; es ist etwas, das ich nicht zu benennen weiß.“ Welche Sorgen und Nöte wegen Elises Karriere auf der ganzen Familie lastete; hielt Robert Schumann in einem Stimmungsbild fest: „Den Abend verbrachte ich bei den Lists. Elise traf ich in tiefster Melancholie, Emilie weinend, Madam List flehend, dass ich nicht fortgehen möchte; kurzum, die Szene war eine interessante!

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Ich trug mein Möglichstes dazu bei, sie alle ein wenig zu erheitern und Elise Mut einzuflößen, was mir dann auch einigermaßen gelang. Es ist doch eine liebe Familie, und Elise hat so ihre Tage, wo sie unwiderstehlich liebenswürdig ist – so heute – trotz ihrer Melancholie, die sie im Gegenteil noch interessanter macht. Elises Angst nimmt auf eine Weise überhand, wie mir dies noch nie vorgekommen ist. Mehrmals war sie schon entschlossen, nicht mehr zu singen bzw. das öffentliche Singen aufzugeben und dabei hat sie damit noch gar nicht angefangen. Die Eltern sind außer sich, die arme Emilie weint die bittersten Tränen. Am meisten aber bedaure ich Elise selbst, die gar keinen Halt an niemand hat, deren Eltern so ganz unmusikalisch sind und ihr keinen Mut einflößen können.“ Elise stand unmittelbar vor ihrer Feuerprobe. Vier Auftritte im berühmten Leipziger Gewandhaus sollten über ihre Karriere als Künstlerin die letzte Entscheidung bringen. Vor dem ersten Auftritt quälte sie sich schrecklich mit der Einbildung, sicher zu versagen. Dazu bemerkte Robert: „Man muss manchmal lachen, doch mir ist’s fast nicht mehr so – ich zittere vor Sonntag, wenn sie nur nicht mitten im Stück aufhört!“ Zwei Tage später musste er wieder seinen besänftigenden Einfluss ausüben: „Ich konnte Lists Bitten auch heute nicht widerstehen und ging abends wieder hin.“ Mit Zittern verfolgte Robert die Probe im Gewandhaus – aber es ging alles gut. Elisens Stimme merkte man trotz der großen Angst nichts an, nur ein wenig schwächer schien sie ihm als gewöhnlich. Sie sang gut bis auf etwas zu langsame Tempi, die ihr eigen waren. Robert zeigte auch dafür Verständnis – das Unbehagen aber blieb. Er wünsche sich, dass der Sonntag doch schon vorbei wäre.“ „Der erste öffentliche Auftritt kam und ging“, wie Robert erleichtert feststellt, „leidlich von Statten“. Über das Konzert berichtete er in der von ihm herausgegebenen „Neuen Zeitschrift für Musik“: Elise List „ist die Tochter des durch seine staatswirtschaftlichen Schriften etc. rühmlich bekannten Prof. List, früher Generalkonsul der Vereinigten Staaten in Leipzig. In den letzten Jahren hielt sie sich in Paris auf, wo sie den Unterricht der ausgezeichnetsten Lehrer, namentlich Lablache`s und Bordogni`s genoss. Öffentlich ließ sie sich noch nirgends hören; viel aber und mit großem Glück in einigen Pariser Salons. Vor einigen Wochen noch hatte sie die Ehre, vor Ihrer kaiserlichen Hoheit der Großherzogin von Weimar zu singen, die sie auf das Huldreichste empfing und beschenkte.“ Robert wünschte sich, dass es Elise vergönnt wäre, noch eine Zeitlang unter der täglichen Aufsicht eines Meisters oder Komponisten zu singen, „der dieses schöne Instrument zu beleben verstünde“. Wie müsste Elise alle mit ihrer noblen Stimme entzücken, welche Furore müsste sie machen, wenn sie im Konzert nur halb so gut sänge wie zu Hause. Das arme Mädchen habe so viel studiert und gelernt, nichts fehle ihr, um das größte Glück der Welt zu machen, nur die quälende Angst verderbe ihr die schönste Karriere. Robert glaubte kaum, dass sich dies geben werde. Clara hingegen hegte Hoffnung: Wenn sich Elise einmal verliebe, werde sie auch mit mehr Seele und innerer Ruhe singen. Dass die Liebe viel zu erreichen vermag, habe sie selbst erfahren. Und in der Tat, beim dritten Konzert schien es aufwärts zu gehen. Elise sang

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besser und auch mit großem Beifall. Robert schöpfte neue Hoffnung und meinte, an Aufhören sei jetzt nicht mehr zu denken. Er rühmte sogar ihre italienische Aussprache und den „eigentümlichen Zauber“, mit dem sie ihre Lieder am Klavier selbst begleitet. Doch schon im vierten Konzert war der alte Kummer wieder da. Elise sang nur mit ganz geringem Applaus. Clara wusste auch keinen Rat mehr. „Gott weiß, was das ist mit der Elise! Robert sagt, die Familie leitet kein Glücksstern und so scheint es wirklich. Wie leid sie ihm tue, könne er nicht in Worte fassen. Bald darauf übersiedelte List mit seiner Familie nach Augsburg, sodass die Freundinnen nur noch schriftlich miteinander in Verbindung standen. Erst bei einer Konzertreise nach Wien im Spätherbst 1846 kam es zu einem Wiedersehen, weil Clara und Robert Schumann aus einem Nachruf in der Wiener Zeitung von Lists tragischem Tod erfahren haben. Während der politischen Wirren von 1848 gedachte Clara noch einmal in einem Brief an ihre Freundin Emilie des engagierten Wirkens ihres Vaters. „Wie oft dachte ich an Deinen guten Vater, der jetzt, lebte er noch, den Lohn für seine rastlose Tätigkeit und reelle Gesinnung erhalten würde – Minister wäre er gewiss geworden. Gott wollte es anders! Hier möchte man sich fragen: warum? Doch dem Schicksal müssen wir uns in Ergebenheit fügen. Es muss doch noch eine bessere Welt geben und dahin hat Gott Deinen Vater geführt, – vielleicht, um ihn vor manchem Ungemach noch zu schützen! Lass uns das glauben, der Glaube ist der beste Trost.“

3. Leopold I (1790-1865), ab 1831 König von Belgien Während seines Europaaufenthaltes im Jahre 1831 erlebte List in Paris die ersten Lebensmonate des belgischen Staates. Im Verlauf der Julirevolution von 1830 hatte sich Belgien gegen die holländische Herrschaft erhoben und am 5.10.1830 die Unabhängigkeit erklärt. Am 26.7.1831 bestätigte das Londoner Protokoll der fünf Großmächte das Königreich Belgien zum unabhängigen und neutralen Staat. Bereits am 7.1.1831 hatte sich List an den amerikanischen Außenminister Van Buren gewandt und darauf aufmerksam gemacht, dass der junge belgische Staat für die USA von großer Bedeutung sei. Falls die amerikanische Regierung die Ernennung eines diplomatischen Vertreters plane, habe er den Wunsch, dass ihn der Präsident mit diesem Amt beauftragen würde. Er begrün-

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dete seine Bewerbung damit, dass er über die nötige Sprach- und Sachkenntnis verfüge und im amerikanischen Interesse zum Nutzen beider Staaten wirken könne. Allerdings ist diese Bewerbung im Sande verlaufen. In Paris kam List u.a. mit dem dort akkreditierten belgischen Gesandten Alexandre Gendebien in Kontakt, um diesem seine Pläne für den Bau einer Eisenbahnverbindung zwischen Ostende, Antwerpen und Köln vorzutragen. Zunächst stand Gendebien der Idee skeptisch gegenüber und befürwortete stattdessen den Bau von Kanälen. Aufgrund der Unterredung(en) änderte er aber seine Meinung und gab den Plan an die belgische Regierung weiter. Nachdem Georg Christian von Sachsen-Coburg und Gotha am 23.7.1831 als Leopold I zum König von Belgien gekrönt wurde, gehörte der Eisenbahnbau zu den vordringlichsten Zielen seiner Regentschaft. Ob er dazu aus dem Bericht von Gendebien Anregungen erhalten hat, ist nicht belegt. Auf jeden Fall lobte List die fortschrittliche Gesinnung des Monarchen, dass er das „erste National-Eisenbahnsystem auf Staatsschulden“ beschlossen habe. Dieses Modell werde auch in anderen Ländern Schule machen. Eine besondere Anerkennung verdiene auch der Verkehrsminister Jean Baptiste Nothomb, der diese Politik maßgeblich gestaltet und gefördert habe. Es sei fast unglaublich, mit welcher Energie die junge belgische Regierung den Aufbau eines nationalen Eisenbahnsystems betreibe. Dadurch gewinne sie die Achtung des Volkes und der europäischen Länder. Im industriellen Wettlauf, der in Europa zwischen den Regierungen nun entbrannt sei, gebühre dem belgischen Staat – dem jüngsten von allen – der Siegerkranz.“ Die erste belgische Eisenbahnstrecke von Brüssel nach Mechelen wurde am 5.5.1835 in Dienst gestellt; – ein halbes Jahr vor der ersten deutschen Strecke, der Ludwigsbahn von Nürnberg nach Fürth. An der Einweihung war zwar König Leopold zugegen, allerdings nur inkognito und fuhr auch nicht mit dem Zug. Das fand man anscheinend noch zu riskant. Die zweite Strecke war die Verlängerung von Mechelen nach Antwerpen am 3. Mai 1836, die im Beisein des Königs und von George Stephenson stattfand. Bei der Einweihung der dritten Strecke von Mechelen nach Dendermonde am 2.1.1837 nahm König Leopold auch teil, legte sich aber eine gewisse Zurückhaltung auf. Bei der Einweihung der Strecke von Mechelen nach Löwen war der König nicht anwesend und ließ sich von Minister Nothomb vertreten. Der König war kurzfristig nach England abgereist. Den Grund für diese im Grunde unverständliche Zurückhaltung, lieferte List in seinen „Reiseblättern aus Belgien“: „Eine Regierung, welche die Interessen der arbeitenden Klassen fördert, ist der Anhänglichkeit und Dankbarkeit der großen Majorität im Volk immer gewiss und kann mit Zuversicht auf den Sieg über die Oppositionsparteien rechnen, die, wie die belgischen, zum großen Teil aus den Mitgliedern der höheren Klassen bestehend, einzig auf die Erinnerung früherer Zustände oder Theorien basiert sind. Man muss gestehen, dass König Leopold – denn ihm allein gebührt die Ehre – als Urheber des Projekts und seines Erfolges – sein Ziel klar erkannt hat und mit großer Energie zu erreichen bestrebt war. Er, der seit seinem

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21. Lebensjahr mit englischer Staatsweisheit getränkt und von der Bedeutung der Industrie durchdrungen und mit den dazu erforderlichen Hebeln vertraut ist, wodurch sie aus dem Nichts hervorgehoben wird, erkannte schon am Beginn seiner Regierung die Notwendigkeit, die größte Erfindung unserer Zeit zur Festigung seiner Regierung zu nutzen. Je heftiger die verschiedenen Oppositionen dagegen ankämpften, desto größer war der Sieg, denn ihm und seiner Regierung verblieb nun der Ruhm des Erfolges ganz ungeteilt. Man weiß, mit welcher Wut dieser wahrhafte König der Industrie von den Parteiblättern des Inlandes angefallen worden ist und noch täglich begeifert wird. Politische Quacksalber haben sich gewundert, dass der König von den in der Verfassung und in den Gesetzen liegenden Mitteln zu gerichtlicher und polizeilicher Verfolgung solcher Angriffe keinen Gebrauch machte – diese Toren! Sie sahen nicht ein, wie er nur dem Oppositionsgeist neue Nahrung gegeben hätte und wie eine grund- und bodenlose Opposition, wenn man den Ausbrüchen ihrer Leidenschaften keine Aufmerksamkeit würdigt, sich selbst verzehren muss, und wie eine neue und wohlgesinnte Regierung in den Augen des Volkes sich am besten durch großartige Leistungen legitimiert.“77 Dies mag der Grund dafür gewesen sein, weshalb König Leopold bei der vierten Streckeneinweihung mit voller Absicht nach England reiste, um die Opposition nicht zu provozieren. Angesichts dieser wegweisenden Politik ist es nicht verwunderlich, dass List als er sich Mitte 1837 dazu entschloss, nach Paris überzusiedeln, den Weg über Brüssel zu nehmen. Dort wurde er zunächst von Minister Nothomb empfangen. Bei dieser Begegnung erinnerte sich der Minister daran, dass Gendebien 1831 auf Lists Pläne einer Eisenbahnverbindung zwischen Ostende und Köln aufmerksam gemacht hat. Bei der Audienz muss List weitere Ideen vorgetragen haben, die bei Nothomb auf Interesse stießen. Aus diesem Grund vermittelte ihm Nothomb eine Audienz bei König Leopold I, die am 8. September 1837 stattgefunden hat. Dabei soll ihm der Monarch einen warmherzigen Empfang bereitet haben. Er wurde dazu eingeladen, als Gast der belgischen Regierung an der Einweihung der vierten belgischen Eisenbahnstrecke von Mechelen nach Löwen teilzunehmen, die zwei Tage später stattgefunden hat. Außerdem wurde ihm von Leopold versprochen, ein Empfehlungsschreiben an seinen Schwiegervater, den französischen Bürgerkönig Louis Philippe zu richten und sich bei diesem für ihn zu verwenden. Der König löste dieses Versprechen auch ein. Nachdem Lists Bemühungen in Paris ins Stocken geraten waren, hat er sich Ende Februar 1838 nochmals schriftlich an den belgischen König gewandt und damit die Hoffnung verbunden, „eine günstige Antwort zu erhalten“. Dieser Brief ist verschollen. Möglicherweise wurde er bei einem Brand im Brüsseler königlichen Hausarchiv vernichtet. Es ist auch unbekannt, ob List darauf eine Antwort erhalten hat. Unter der Überschrift: „Nouvelles de l`intérieur: Inauguration de la section du chemin de fer de Malines à Louvain“ findet man in der „L`indépendence Belge“ vom 12.9.1837, S. 2 und 3 einen sehr ausführlichen Bericht über die Einweihung dieser Strecke mit dem vollen Wortlaut der gehaltenen Reden. Wie List diese Einwei-

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hung erlebt hat, schildert er in seinen „Reiseblättern von Belgien“: „Ich habe vielen Volksfesten in England, Nordamerika und Frankreich beigewohnt; ich kann aber nicht sagen, dass ich eines gesehen hätte, welches die Eröffnungsfeier nach Leuven geschmackvoller und sinnreicher an Verlauf, Popularität und Ordnung übertroffen hätte. Die Autoritäten und Notabilitäten aller Städte waren dazu eingeladen. Von jeder Stadt kam ein festlich geschmückter Wagenzug unter Begleitung von Musik nach dem Zentralpunkt Mechelen, von wo aus alle Züge sich zum Ort des Inaugurationsfestes begaben. Hier wurden sie unter Kanonendonner feierlich von der Regenz (diesen imposanten Titel führen die Stadtmagistrate der belgischen Städte) empfangen. Der Bürgermeister der Stadt hielt eine Rede, in welcher er die alte industrielle und kommerzielle Größe Belgiens und wie diese durch die Fremdherrschaft verloren gegangen ist, in Erinnerung brachte, dann auf die Eisenbahn als Erstlingsfrucht der belgischen Unabhängigkeit aufmerksam machte und darauf hinwies, wie ein aufgeklärtes, industrielles Volk, reich an inneren Hilfsquellen, materiellen wie geistigen, sich durch eigene Kraft zu Größe und Macht emporzuschwingen vermag, darauf die Hoffnung auf eine von Wohlstand und Nationalehre erfüllte Zukunft gründet und endlich die Revolution und die Regierung König Leipolds als Begründer dieser neuen Ära preist.“78 „Nachdem hierauf von Seiten der Regierung – denn alle Minister und hohen Autoritäten befanden sich im Kostüme – diese Rede angemessen erwidert wurde, begann ein feierlicher Umzug, welchem sich die Lokalautoritäten, die Bürgergarde, die Schützenkorps und die Innungen, unter dem Geleit von Fahnen, Wahlsprüchen und Emblemen anschlossen. Alle Straßen, durch welche der Zug unter Jauchzen und Freudengeschrei des Volkes sich bewegte, waren mit grünen Zweigen und Bäumen und in der Quere von Haus zu Haus mit einem Dach von Girlanden aus verschiedenfarbigem Material dekoriert. Hierauf folgte ein großes Gastmahl, Speisung der Armen, Bogenschießen und abends Feuerwerk, Beleuchtung aller Straßen und Ball auf dem Rathaus und in allen Hotels. Die Anteilnahme des Volkes an den Orten der Feier, wie auf allen Straßen, die von den Wagenzügen durchkreuzt werden, ist ungeheuer. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Tausende an diesem Fest teilgenommen haben. Bei den Gastmahlen und Bällen herrschte großer Überfluss an Delikatessen und die Toasts atmeten ganz den englischen Geist: sie waren kurz und treffend.“ Wie er nach der Einweihung das Treiben der Fahrgäste erlebte, beschreibt List ebenfalls: „Kommst du um halb 12 Uhr aus Mechelen nach dem Bahnhof, um dein Billet zu lösen und deine Bagage aufzugeben, so findest du eine große von Palisaden umgebene und von etwa 12 schwarzen Linien durchzogene menschenleere Sandwüste, in deren Mitte ein großes geschmackvolles Gebäude steht, das verlassen zu sein scheint. 500 Schritte seitwärts gegen Mechelen hin gewahrst du 4 oder 5 Pavillons, unter welchen eine große Anzahl von Herren und Damen oder reinlich gekleidete Bürger und Bauersleute sich gelagert haben. Während du diese Gruppe betrachtest, erheben sie sich plötzlich auf das Zeichen einer Glocke und rennen nach

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dem Bahnhof. Der Konvoi von Brüssel ist im Anzug und macht vor dem Gebäude halt; du zählst 30 bis 40 Wagen, jeder mit 30 Personen gefüllt. Es ist dir unbegreiflich, wie eine einzige Maschine solche Lasten mit solcher Schnelligkeit bewegen kann. Am Ende des Zuges findest du das Rätsel gelöst. Im Widerspruch mit allem, was du bis jetzt für common sense gehalten hast, ist eine Maschine hinter dem Zug angespannt, die durch Schieben der vorne angehängten hilft. Während du dir vornimmst, in Zukunft nicht mehr über diejenigen zu spotten, die ein Pferd vorne und hinter einen Wagen spannen wollen, naht ein gleicher Wagenzug von Norden her, dann einer von Osten, dann einer von Westen; jeder stellt sich auf den für ihn bestimmten Platz, der zur Orientierung der Reisenden durch an hohen Pfosten befestigten Anschriften bezeichnet ist und nun geht es ans Ein- und Aussteigen, Hinund Herrennen, Ab- und Zuschleppen des Gepäcks, kurz an ein Durcheinandertreiben von Tausenden, dem geschäftigen Gewimmel eines Ameisenhaufens vollkommen ähnlich. Diejenigen, die in gerader Richtung steuern, wie z.B. von Brüssel nach Antwerpen oder von Leuven nach Gent, bleiben ruhig sitzen und ergötzen sich an dem Treiben der Übersiedler. Nicht selten kommt es vor, dass etliche hundert Passagiere, die in einem falschen Wagenzug Platz genommen haben, sich als Masse wieder erheben und nach den ihnen bezeichneten Plätzen rennen, ein äußerst komischer Anblick, der unter den Sesshaften immer lautes Lachen erregt. In weniger als zehn Minuten hat sich diese babylonische Verwirrung gelöst, dann brausen und rasseln die Wagenzüge nach allen vier Himmelsgegenden und der Bahnhof ist eine menschenleere Sandwüste wie zuvor.“79

4. Louis Philippe (1773-1850), von 1830 bis 1848 König der Franzosen Im Frühjahr 1830 verabschiedeten die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung eine Resolution, in der sie den regierenden Monarchen Karl X respektvoll um einen Regierungswechsel ersuchten. Als der König darauf mit einer Auflösung der Kammer reagierte, erhob sich die Pariser Bevölkerung in der sog. Juli-Revolution. Da die Abgeordneten der Opposition eine neue Republik befürchteten, appellierten sie an den Vetter des Königs, den Herzog von Orléans, die Regentschaft zu übernehmen. Dieser wurde am 9. August 1830 unter dem Namen Louis

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Philippe zum König erklärt. Er war ein großer, robuster Mann und besaß einige Charakterzüge, die an den Sonnenkönig erinnerten. In gewisser Hinsicht verkörperte er die Tugenden der Bourgeoisie, die ihn an die Macht gebracht hat. Hinter der Fassade einer berechnenden Freundlichkeit verbarg sich jedoch ein entschiedener Wille, unter Missachtung der Verfassung ein autoritäres Regime zu führen. Louis Philippe war der größte Grundbesitzer von Frankreich und besaß in allen Regionen des Königreichs ausgedehnte Ländereien. Er gab sich bescheiden, sparsam und gutmütig, kleidete sich bewusst bürgerlich als ein „Mann des Volkes“, was ihm den schmeichelhaften, aber im Grunde unberechtigten Beinamen „Bürgerkönig“ einbrachte. Von diesem Mythos sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Trotz seines bürgerlichen Auftretens vergaß Louis Philippe nicht, dass er der Herrscher ist. Obwohl das monarchische Gottesgnadentum durch das Prinzip der Volkssouveränität ersetzt wurde und sich der neue König nicht als „König von Frankreich“, sondern als „König der Franzosen“ bezeichnete, blieb das Volk von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Dieser und viele andere Missstände im Lande führten schließlich dazu, dass der durch die Revolution von 1830 an die Macht gekommene, 18 Jahre später durch die Februarrevolution von 1848 zum Rücktritt gezwungen wurde und nach England fliehen musste, wo er zwei Jahre später gestorben ist. Im Juni 1837 verfasste Friedrich List sein erstes „Mémoire“ an Louis Philippe, das er dem französischen Konsul in Leipzig zur Weiterleitung an seine Regierung übergab. Die Denkschrift, die zunächst dem Handelsminister Martin zuging, wurde von der französischen Regierung nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern gewissenhaft geprüft.80 Anfang Oktober 1837 reiste List dann mit seinem Sohn Oskar von Brüssel nach Paris. Dort wurde er unvermutet vom Sekretär des belgischen Königs aufgesucht, der ihm sagen ließ, dass er mit Louis Philippe über ihn gesprochen und ihn im Auftrags des Königs, seinem Schwiegervater weiterempfohlen habe. Der König der Franzosen wünsche ihn zu sprechen und deswegen möge er seine Adresse bei den Tuilerien mitteilen. List kam dieser Bitte umgehend nach und wartete nun jeden Moment auf die Einladung des Königs. Da die Sache, wie er meinte, eine rasche und günstige Wendung genommen habe, arbeitete er jetzt Tag und Nacht, um eine zweite Denkschrift auszuarbeiten, die er Louis Philippe persönlich überreichen wollte. Bei der Ausarbeitung der Denkschrift war ihm sein 17jähriger Sohn Oskar behilflich. Dieser schrieb an die Mutter: „Wir arbeiten den ganzen Tag bis 5 Uhr, dann gehen wir zu Tisch, nachher machen wir einen kleinen Spaziergang, kehren um 7 Uhr zurück und legen uns zu Bett, weil Vater immer um 2 oder 3 Uhr austeht.“ Aber es dauerte über 1 1/2 Monate, bis List die ersehnte Audienz gewährt wurde. Darüber berichtet er am 27.11.1837 seiner Frau: Seit 14 Tagen hätten sie vergeblich auf eine Einladung gewartet und schon befürchtet, die Sache sei wieder in Vergessenheit geraten., als vorgestern Abend die Einladung kam und er sich gestern Mittag um halb 12 Uhr zur Audienz beim König in den Tuilerien einzufinden habe. Er sei im Großen und Ganzen sehr gut aufgenommen worden. Der König kam ihm entge-

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gen, stellte ihm einen Stuhl zur Verfügung und bat ihn Platz zu nehmen. Nach einigen Minuten war die Unterhaltung in vollem Gange. Sie sprachen über Deutschland, vor allem aber über Nordamerika und die deutschen Siedler in Pennsylvania. Dann konnte List seine Vorschläge erläutern, mit denen sich der König aber nicht näher befasste; er versprach jedoch, diese prüfen und mit den Ministern besprechen zu wollen. Fürs erste habe er kaum mehr erwarten können. Der König habe sein Hauptanliegen, den Aufbau eines französischen Eisenbahnnetzes durch die Einführung von Papiergeld zu finanzieren, grundsätzlich positiv aufgenommen, aber auch die Befürchtung geäußert, dass es schwer sein dürfte, die Vorurteile, die aus der Zeit der Assignaten gegen Papiergeld bestehe, auszuräumen. Er habe aber seine Überzeugung geteilt, dass sich diese Vorurteile überwinden ließen. List habe sich gefreut, aus dem Munde des Königs zu hören, dass König Leopold I ihn empfohlen und gesagt habe, dass der französische König List achten solle, weil er dessen Vertrauen verdiene. Deshalb glaube er, dass er bei Louis Philipp mit seiner Person und seinen Ideen Anklang gefunden habe. Dieser lachte, scherzte mit ihm, war sehr freundlich und forderte ihn auf, auch ganz ungeniert seine finanziellen Forderungen anzusprechen. Die Unterhaltung wurde abwechselnd in Französisch, Deutsch und Englisch geführt, je nachdem von welchem Land gerade die Rede war. Besonders schienen Louis Philippe Lists Ansichten über Andrew Jackson und Martin Van Buren zu gefallen. Einstweilen, so glaubte er, habe er bei dieser Audienz viel erreicht; er habe nun bei allen Ministern Zutritt und keiner könne ihn schnöde abweisen, weil jeder wisse, welche Aufmerksamkeit er beim König gefunden habe. Er habe alles erreicht, was er vernünftiger Weise von dieser Audienz erwarten konnte. Dass er nicht missbraucht werde, wenn seine Vorschläge angenommen würden, dafür sorge der belgische König als Bürge, dem er offen seine Gehaltsvorstellungen dargelegt habe. Diese liefen auf eine feste Anstellung im französischen Eisenbahnwesen mit einem Jahresgehalt von 20 000 Francs hinaus. Sohn Oskar meinte dazu, dass der Vater „nicht blöde gewesen sei“ und dennoch seine Forderungen nicht überzogen habe. Diese Andeutungen lassen vermuten, dass die Gehaltsvorstellungen nicht gerade bescheiden waren. List wollte offenbar aus dem Debakel, das er in Leipzig bei der sächsischen Eisenbahn erlebte, seine Lehren ziehen und sich vorsehen, dass ihm in Paris nichts ähnliches widerfahren würde. Diese Furcht ließ ihn offenbar das rechte Augenmaß vermissen. Die beiden Denkschriften, die List dem Bürgerkönig zugleitet bzw. übergeben hat, enthalten im Wesentlichen seine Vorstellungen über die Vorzüge der Eisenbahn und die Notwendigkeit zum Bau eines französischen Eisenbahnnetzes und dessen Finanzierung. Dabei schwebte ihm vor, das Schienennetz durch die hypothekarisch abgesicherte Emission von Papiergeld zu finanzieren, wobei er vor allem auf die Vorteile von Papiergeld gegenüber Münzgeld hingewiesen habe und zur Sicherstellung, dass damit keine inflationäre Geldentwertung hervorgerufen wird, konkrete Vorschläge machte, damit sich die „Law’schen Schwindeleien“, von vor hundert Jahren, nicht wiederholen werden.

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Unmittelbar nach dieser Audienz stürzte sich List auf die beiden Preisfragen der französischen Akademie der Wissenschaften, die ihn nicht nur zu physischer und psychischer Höchstleistung herausforderten, sondern auch die Wartezeit auf die Reaktion des Königs und seiner Minister verkürzen sollte. Da für die Beantwortung der beiden Preisfragen nur noch knapp 6 Wochen zu Verfügung standen, musste er sich nun voll und ganz auf die Ausarbeitung der beiden Manuskripte konzentrieren. In dieser Zeit hatte List möglicherweise eine Einladung für eine weitere Audienz bei Louis Philippe erhalten, die er jedoch wegen der starken zeitlichen Belastung in fataler Verkennung der Folgen hinausgeschoben hat. Dafür spricht folgender spärliche Hinweise in einem Schreiben vom 1.1.1838 an seine Frau Karoline: „Während dieser Arbeit musste ich alles suspendieren – König – Minister – alte Bekannte – Briefwechsel jeder Art – alles musste verschoben werden. Ich durfte keine Minute versäumen.“ Dieser Umstand mag dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass Lists Bemühungen um eine Anstellung im französischen Eisenbahnwesen erfolglos blieben. In einem Schreiben vom 11.6.1838 wandte er sich noch einmal an den Handelsminister Martin. Dabei bezog er sich auf die stattgefundene Audienz bei Louis Phillippe sowie auf die beiden Denkschriften und erinnerte den Minister an die in Aussicht gestellten weiteren Audienzen. Darauf ist der Minister jedoch nicht mehr eingegangen, weil Lists Bewerbung zu diesem Zeitpunkt bereits im Sande verlaufen war. In einem Schreiben vom 24.12.1840 an Herzog Ernst I von Sachsen-Coburg und Gotha spricht List zwar im Plural von „Privataudienzen“, die ihm von Louis Philippe gewährt worden seien und wodurch er „mit einigen Ministern in Berührung gebracht worden“ sei, aber dafür gibt es keine Belege.

5. Franz Liszt (1811-1886), berühmter Pianist und Komponist Zwischen Friedrich List und dem 28 Jahre jüngeren Pianisten und Komponisten Franz Liszt kam und kommt es immer wieder zu Verwechslungen, wie es Arthur Raffalovich in einem humorvollen Essay schildert: „Es war im Jahre 1843. In einer der belebtesten Straßen der alten Reichsstadt Augsburg saß in seiner behaglichen Wohnung der Redakteur des „Zollvereinsblattes“, der berühmte Nationalökonom Friedrich List eben beim Frühstück und sah die neueste Nummer seines seit dem vorigen Jahr erscheinenden Blattes flüchtig durch, als der Postbote eintrat

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Das undankbare Deutschland: zeitgenössische Karikatur zu Friedrich List und Franz Liszt.

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und ein Paket Briefe auf den Tisch legte, denen er noch einige kleine, leicht transportable Päckchen und Packetchen hinzufügte. Wie gewöhnlich begann auch heute der rastlose und unausgesetzt tätige Nationalökonom nach Beendigung seines Imbisses das Tagewerk mit der Erledigung seiner Korrespondenz. Er öffnete die ersten Briefe, ist aber erstaunt, dass sie von Damenhand geschrieben sind. In einem wird er um ein Rendezvous ersucht, in einem anderen wird ihm große Bewunderung und Anerkennung versichert und aus einem Päckchen enthüllt er ein mit kostbarer Perlenstickerei geschmücktes Zigarettenetui mit einem liebevollen Begleitschreiben. Zur selben Zeit nächtigte in einem benachbarten Gasthof der Pianist und Komponist Franz Liszt, der am Vorabend „die ehrwürdige Stadt Augsburg in ein Delirium versetzt hatte, das dem neuromantischen Paris alle Ehre gemacht hätte.“ Franz Liszt konzertierte am 19.10. sowie am 1. und 4.11.1843 in Augsburg.81 „Der Künstler saß ebenfalls beim Frühstück, als ihm ein Diener die Post auf den Tisch legte. Auch er öffnete die ersten Briefe und kann mit diesen ebenso wenig anfangen wie der Namensvetter. Die Verwechslung klärte sich auf; alle Briefe waren an „Fr. List“ oder „Fr. Liszt“ adressiert, wobei beide Schreibweisen bei dem jeweils gedachten Empfänger vorkamen.“ Als Beispiel sei ein von dem belgischen Politiker Jobard an „Monsieur Liszt, publiciste à Augsbourg“ gerichtetes Schreiben erwähnt;82 das in meinem Buch „Das Band der ewigen Liebe“ – Clara Schumanns Briefwechsel mit Emilie und Elise List auf Seite 443 abgebildet ist. Die Verwechslung führte den Maestro zu seinem Nachbarn, „den er als einen wahren Märtyrer in seinem Vorzimmer stehend“ vorfindet. „Denn um das Maß des Unheils voll zu machen, hatten sich bei ihm noch ein Dutzend Diener und Kammermädchen eingefunden, die ihm von ihren Herrschaften Blumensträuße, Stickereien, Einladungen zu Diners usw. überbrachten und die alle behaupteten, an Herrn Lis(z)t abgeschickt zu sein. Beide schüttelten sich die Hand und „die Geister des Zollvereins und der Tonkunst schauten lächelnd“ auf das Geschehen herab. Dies war nicht das erste Mal, dass es eine derartige Verwechslung gab. Nachdem List bei seinem ersten Exil in Frankreich aus Straßburg ausgewiesen worden war, hatten die französischen Behörden die strikte Anweisung, falls List es wagen sollte, wieder ins Elsass zu reisen, sollte ihn die Gendarmerie sofort festnehmen und über die Grenze abschieben. Wie aufmerksam im Departement Bas-Rhin eine mögliche Rückkehr von Friedrich List verfolgt wurde, zeigt eine nette Anekdote der Stadtpolizei von Straßburg. Am 28.11.1823 wandte sich der Präfekt vom Niederrhein an den Straßburger Bürgermeister. Darin schreibt er in französischer Sprache: Er habe die Passagierliste der Dauphine-Post entnommen, dass unter dem 19. d. M. ein gewisser List, Grundbesitzer, in Begleitung seiner Familie aus Wien (Österreich) kommend, hier eingetroffen ist und in der Herberge „Zur Blume“ logiert. Er werde ersucht, ihm über diesen Ausländer rasch Auskunft zu geben. Es könne sein, dass es sich bei diesem um den berühmten Professor List

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handelt, der ein gefährlicher Mensch sei. Man möge so rasch als möglich entsprechende Erkundigungen mitteilen. Bereits am nächsten Tag antwortete der Bürgermeister, ebenfalls in Französisch: Der Reisende, um den er gebeten wurde, habe einen ähnlichen Namen wie der Professor List aus Stuttgart. Er nennt sich Adam Liszt, der in Edelsthal in Ungarn geboren wurde. Er reist mit seiner Frau, einer geb. Lager und wird von ihrem 11jährigen Sohn Franz Liszt begleitet. Dieser ist ein Klavierkünstler, von dem es heißt, dass er außergewöhnliches Talent besitzt und frühreif ist. Die Familie besitzt einen gültigen Pass für Paris und London, der von der französischen Botschaft in Wien ausgestellt ist. Die Familie logiert in der Herberge „Zur Blume“ und will sich noch einige Tage in der Stadt aufhalten. Während des Exils in Paris wurde Friedrich List über Clara Wieck mit Franz Liszt persönlich bekannt, der dort auch wegen Elises Gesangskünsten konsultiert wurde und sie „als Talent ersten Ranges“ bezeichnet haben soll. In einem Brief vom 5.11.1841 von Franz Liszt an Elise List findet sich ein sicherer Beweis für diese Bekanntschaft: Denn darin lässt der Komponist den Nationalökonomen in lebhafter Erinnerung herzlich grüßen. In einem Brief vom 3.9.1840 an seine Freundin Madame d’ Agoult weist Franz Liszt auf den von ihm verfassten Nekrolog über den italienischen „Teufelsgeiger“ Niccolo Paganini hin, den er in der „Gazette Musicale“ veröffentlicht hatte. Dem Komponisten schwebte vor, dass List den Artikel übersetzen und in der Beilage der „Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichen möge. Dieser hatte sich aber zum fraglichen Zeitpunkt bereits in Thüringen in die Planung des dortigen Eisenbahnwesens eingeschaltet, sodass die gewünschte Übersetzung unterblieben ist. Der Pianist empfand für Elise „eine ganz besondere Freundschaft und Bewunderung“. Er nannte sie, auf die gleichlautenden Familiennamen anspielend: „ma chère cousine“ und sagte ihr in einer schwermütigen Stunde: „Hätte ich eine Schwester gehabt, wie Sie, es wäre vieles in meinem Leben anders gekommen!“ In späteren Jahren wurde Elise nicht müde, ihren Kindern „von der hinreißenden Persönlichkeit Franz Liszts zu erzählen. „Es war gut“, sagte sie, „dass ich vor ihm die Bekanntschaft seiner drei Kinder machte, sonst hätte er, der 27jährige, mir, der 17jährigen, vielleicht gefährlich werden können. So war dies für sie ausgeschlossen. Sie empfing nur einen tiefen Eindruck seines Genies und empfand eine herzliche Freundschaft für ihn. „Liebe Freundin“, „lieber Liszt‘“, so nannten sie sich auch noch in späterer Zeit und musizierten auch ab und zu miteinander. Wegen ihrer schönen Alt-Stimme hatte Elise in Leipzig, Paris und Mailand eine professionelle Ausbildung zur Sängerin erhalten und weil sie eine ausgesprochene Schönheit war, wurde sie vom bayerischen König Ludwig I als eine, von wenigen nicht adligen Bürgerstöchtern für seine „Schönheitengalerie“ in Schloss Nymphenburg ausgesucht und von dessen Hofmaler Joseph Stieler gemalt.

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Etwa zur selben Zeit als Friedrich List nach seiner Rückkehr aus den USA in seiner Eigenschaft als amerikanischer Konsul für das Königreich Sachsen mit seiner Familie nach Leipzig übersiedelte, wurde dem damals bereits berühmten Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy die Leitung der Gewandhauskonzerte übertragen, die ihn in eine der höchsten Stellungen brachte, die man damals in der deutschen Musikwelt erreichen konnte. Von 1835 bis 1841 leitete der Komponist und Dirigent das Gewandhausorchester. Bis zum Frühjahr 1837 weilte auch List mit seiner Familie in Leipzig. Aus dieser Zeit stammen die persönlichen Begegnungen zwischen der Familie List mit Clara Wiek und Robert Schumann sowie Felix Mendelssohn-Bartholdy. Bislang war über Letzteren nur sehr wenig bekannt. Man wusste nur, dass der Komponist der jungen Elise eine außergewöhnliche stimmliche Begabung attestierte. Diese Einschätzung war mit dafür ausschlaggebend, dass Elise trotz der knappen Mittel die bestmögliche Gesangsausbildung erhalten hat. Außerdem war bekannt, dass Mendelssohn im Jahre 1841 Elise ein wunderbares Notenblatt mit der Vertonung eines Gedichtes von Heinrich Heine verehrte und dass Emiliens Herz für Mendelssohn „heftig gepocht“ haben soll. Diese spärlichen Hinweise lassen sich nun anhand einiger in Oxford neu entdeckter Briefe verifizieren. Im April 1840 wandte sich Friedrich List während seines Exils in Paris an Franz Liszt mit der Bitte, die stimmliche Begabung seiner Tochter Elise zu begutachten. Die Vermittlung erfolgte über Clara Wieck. Franz Liszt wandte sich dann an Felix Mendelssohn-Bartholdy und hat diesen gebeten, ein Urteil über den Gesang, die Stimme und das Talent von Elise abzugeben. Gleichzeitig hatte Friedrich List auch den Juristen, Tenor und Verwaltungsrat am Leipziger Gewandhaus Heinrich Conrad Schleinitz um eine Beurteilung ersucht. Dieser wiederum leitete die Bitte am 14.5.1840 an seinen Freund Felix Mendelsohn-Bartholdy weiter. Nachdem die Bitte nun von zwei Seiten an Mendelssohn herangetragen wurde, schaltete dieser bereits am nächsten Tag auch noch seinen Verwandten Giacomo Meyerbeer ein. Mendelssohn war der Enkel und Meyerbeer der Urenkel des berühmten Philosophen Moses Mendelssohn. Diese Kontaktaufnahme ist bemerkenswert. Nach Thomas Klische, der 2014 ein Buch über das „Inneneben der Familien Mendelssohn und Meyerbeer“ veröffentlichte, bestand zwischen den beiden Komponisten eine „Männerfeindschaft, die sich bis hin zum Hass steigerte“. Klische kennt nur einen Brief von Mendelssohn an Meyerbeer von 1846. Insofern stellt der Brief vom 1.5.1840 eine echte Überraschung dar.82 Außerdem wandte sich Mendelssohn an den Berliner Kapellmeister Wilhelm Taubert. „Bei meiner Rückkehr nach Hause finde ich einen Brief aus Leipzig von einem meiner Freunde vor, der mich bittet, Ihr Urteil über den Gesang, die Stimme und das Talent einer Fräulein Elise List, Tochter des amerikanischen Konsuls in Leipzig, zu erfahren und mir mitzuteilen. Es scheint, dass es sich darum handelt, diese Dame für die dortigen Konzerte zu engagieren, und natürlich möchte man vorher eine Stimme wie die Ihrige über die Leistungen der Demoiselle List gehört

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haben, um sicher zu gehen.“ Leider sind die entsprechenden Stellungnahmen verschollen. Im Ergebnis waren sie aber positiv, weil Elise ein Engagement im Gewandhaus erhalten hat, aber nur, wie bereits erwähnt, bei 4 Konzerten in Erscheinung trat. Dennoch hat sich ein sehr persönlicher Kontakt zu Mendelssohn ergeben, der dazu führte, dass Elise den berühmten Komponisten im folgenden Jahr um ein Albumblatt gebeten hat. Dieser Bitte kam Mendelsohn am 5.3.1841 nach, indem er Elise das gewünschte Notenblatt zukommen ließ und diese Zeilen hinzufügte: „Verehrtes Fräulein, haben Sie vielen Dank für Ihre freundlichen Zeilen, deren Empfang mir ein großes Vergnügen war. Ich schicke Ihnen inliegend ein kleines Lied, das ich für Sie aufgeschrieben habe und muss Sie nur bitten, zu entschuldigen, dass es eben nur ein so kleines ist; aber sehr viele Arbeiten und Geschäfte ließen mir keine Zeit zu etwas Größerem und Besseren. Möge es Sie wenigstens zuweilen an mich erinnern können, dann hat es seinen Zweck schon erfüllt. Mit der Bitte, mich den verehrten Ihrigen vielmals und angelegentlichst zu empfehlen und mit den herzlichsten Grüßen, die mir meine Frau an Sie aufträgt, bin ich, mein verehrtes Fräulein, stets Ihr Felix Mendelssohn-Bartholdy.“ Nach ihrem Misserfolg kam wieder Franz Liszt ins Spiel. Elise hoffte darauf, mit dem Pianisten auf Tournee zu gehen, obgleich die inzwischen verheiratete Clara Schumann dringend davon abgeraten hat. Das Ehepaar Schumann schätzte zwar den ungarischen Komponisten als genialen Künstler, sah aber auch seine menschlichen Schwächen. Clara bemängelte, dass Franz Liszt arrogant und herrisch sei und bei seinen musikalischen Auftritten zu viel „Effekthascherei“ betreibe. Als Robert von Liszts Plänen hörte, mit Elise auf Tournee zu gehen, meinte er lakonisch: „Der ist gescheit, das wäre aber für Elise eine gefährliche Sache!“, und Clara fügte hinzu: „Elise ist zu Englisch, Liszt zu diabolisch!“ Franz Liszt schien dieser Idee nicht abgeneigt gewesen zu sein und wahrscheinlich hat dabei auch seine ausgeprägte Leidenschaft für das weibliche Geschlecht eine Rolle gespielt. Denn in einem an die „belle cousine“ in französischer Sprache geschriebenen Brief vom 5.1.1841 heißt es: „Sie verletzen mich zutiefst, wenn Sie mich beschuldigen, dass ich Sie beinahe verführt hätte“. So unterblieb die geplante Konzertreise. Während seiner Ungarnreise 1844/45 wurde List eine besondere Beachtung und Wertschätzung zu Teil. So findet sich in der Zeitung „Budapesti Hirado“ vom 2.1.1845 folgende Notiz: „Es gibt Leute, die lebhaft bedauern, dass der Nationalökonom Friedrich List kürzlich nicht zum Mitglied der Akademie (d.h. der Ungarischen Akademie der Wissenschaften) gewählt wurde. Wir finden es jedoch vollkommen begreiflich, denn im Sinne der Satzung hat die ungarische akademische Gesellschaft die Pflicht, in erster Reihe das Ungartum zu schützen, wogegen List unser Vaterland am liebsten mit deutschen Auswanderern bevölkern möchte. Unserer Ansicht nach hätte der Klavierkünstler Liszt gewählt werden sollen, auf dass an unserer Akademie endlich eine schöne Harmonie herrsche.“ Aber auch Franz Liszt blieb die Aufnahme in den hohen Olymp der ungarischen Wissenschaften versagt.

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6. Heinrich Heine (1797-1856), einer der bedeutendsten deutschen Dichter, Schriftsteller und Journalisten im 19. Jahrhundert Die Biographie von Heinrich Heine ist durch zwei Lebensabschnitte geprägt: seine Jugendzeit und Reifephase in Deutschland und sein Leben als Emigrant in Paris. Aus der ersten Lebensphase sind sein Jurastudium und seine Entwicklung als Dichter und politischer Schriftsteller hervorzuheben. Wegen seiner jüdischen Abstammung und seiner politischen Ansichten wurde er zunehmend angefeindet und der Zensur überdrüssig. Deshalb emigrierte er im Mai 1831 in die französische Hauptstadt. Ab 1832 war er Korrespondent der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, der damals meistgelesenen Zeitung in den deutschen Territorialstaaten. Zur selben Zeit war auch Friedrich List Emigrant und politischer Schriftsteller und als Korrespondent der „Allgemeinen Zeitung“ tätig. Obwohl deren Beiträge anonym veröffentlicht, aber mit einem graphischen Symbol gekennzeichnet waren, dürfte den interessierten Kreisen bekannt gewesen sein, wer die Verfasser waren. Mit ihren Beiträgen haben beide Meilensteine zur deutschen Pressegeschichte errichtet und den politischen Journalismus in Deutschland an maßgeblicher Stelle mitbegründet, indem sie die nationalliberale, demokratische Opposition im Vormärz repräsentierten. Ein knappes halbes Jahr, nachdem sich Heine in Paris niedergelassen hat, wurde List während seines knapp einjährigen Aufenthaltes in Europa mit den miteinander befreundeten Schriftstellern Heinrich Heine und Ludwig Börne bekannt. Dabei muss es in fröhlicher Runde hoch hergegangen sein; sie spielten sich die Bälle ihrer sprühenden Ideen zu, ein Einfall schöner als der andere und List soll sich vor Lachen fast gebogen haben. Bei ihrer Unterhaltung ging es vor allem um Lists Eisenbahnpläne, denn er schwärmte von einer Eisenbahn, die Paris mit Le Havre und Straßburg verbindet. Dann, so meinte er, könne man in 12 Stunden von Paris nach Straßburg und von dort aus in weiteren 6 Stunden nach Frankfurt reisen. Wenn man morgens in Paris abreist, könne man abends in Frankfurt Tee trinken und am nächsten Tag wieder in der französischen Hauptstadt zurück sein. Während Börne von Lists Schwärmereien wegen ihrer ungeheuren politischen Folgen fasziniert war, blieb Heine skeptisch. Für ihn war es „eine schreckliche Vorstellung“, schon in zwölf Stunden wieder in Deutschland zu sein.84

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Als List 1832 mit seiner Familie endgültig aus den USA nach Europa zurückkehrte, musste er wegen der Erkrankung seiner Frau in Hamburg eine fast einjährige Zwangspause einlegen, ehe er 1833 nach Leipzig übersiedelte. Von diesem Missgeschick unterrichtete der Verleger Julius Campe, der Lists Mitteilungen aus Nordamerika herausgegeben und Heines Schriften gedruckt hat, Heine in einem Brief vom 11.9.1832: „List, den Sie in Paris kennengelernt haben, ist jetzt hier. Seine Frau ist hier gemütskrank geworden nach Heinrich Heine bei Karl und Jenny Marx in Paris, der Seereise und wurde im 1844. hiesigen allgemeinen Krankenhaus aufgenommen. Er wird also hierbleiben müssen, um den Erfolg der Kur abzuwarten.“ Campe muss demnach über Lists Bekanntschaft mit Heine unterrichtet gewesen sein. Während Lists Exil in Paris vom Oktober 1837 bis Mai 1840 lebte die frühere Bekanntschaft wieder auf und die beiden verkehrten häufig miteinander, zumal sie eine Zeitlang in unmittelbarer Nachbarschaft in der „Rue des Martyrs“ – also in der Straße der Märtyrer – (Heine: Rue des Martyrs, No. 23 und List No. 43) bzw. in unmittelbarer Nähe in der Rue Navarin 12 wohnten. Die Straße der Märtyrer ist nach dem heiligen Dionysius (Saint Denis) benannt, der um 250 n. Chr. mit seinen Anhängern das Christum in die Stadt brachte und auf dem Märtyrerhügel, dem „Montmartre“ hingerichtet wurde. Die Rue des Martyrs führt direkt zur Sacre Coeur. Über diese Besuche erinnerte sich Lists Tochter Emilie: „die beiden sich an Geist und Witz gewachsenen Männer unterhielten sich herrlich zusammen und ihr Gelächter schallte oft durch die ganze Wohnung.“ Dabei wurde sicher auch heftig über Gemeinsamkeiten und unterschiedliche Auffassungen zur Politischen Ökonomie diskutiert. Emilie wusste zu berichten, dass sie außer von Heinrich Heine und Jakob Venedey, einem anderen deutschen Emigranten, von niemand sonst in Paris Besuche bekommen hätten. In einem Brief vom 25.1.1838 teilte Clara Wieck ihrem Robert mit, dass sie einen interessanten Brief von Emilie bekommen habe, der viel Interessantes über Lists

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Bekanntschaft mit Heine und anderen deutschen Künstlern enthalte. Dieser Brief ist leider verschollen. Als Clara dann selbst nach Paris gekommen war, schrieb sie am 19.3.1839 an Robert: „Heine kann ich allerdings aus gewissen Gründen nicht besuchen – vielleicht gehe ich doch einmal mit Herrn List dahin.“ Im Mai 1840 hatte Robert Schumann die Absicht, sein unmittelbar zuvor erschienenes Werk op. 24 „Liederkreis von H. Heine“, „durch gütige Besorgung des Herrn Konsul List“ dem Dichter zu übermitteln. Schumann war Heine erst einmal in München flüchtig begegnet. Deshalb hatte er die Idee, List mit der Übergabe der Komposition zu beauftragen. Daraus wurde aber nichts, weil List zu dieser Zeit bereits seine Zelte in der französischen Hauptstadt abgebrochen hatte und nach Thüringen zurückgekehrt war. Am1.7.1840 schrieb dann Heinrich Laube aus Leipzig an Heine: „List ist hier und bewegt Erde und Steine für neue Gedanken.“ Drei Jahre später, Ende Dezember 1843 lernten sich Heinrich Heine und Karl Marx in Paris kennen. Über die Familie seiner Mutter war Heine ein Cousin dritten Grades von Karl Marx. Es war der Beginn eines intensiven familiären Gedankenaustausches. Darüber berichtete die Tochter von Marx: Es gab eine Zeit, wo Heine tagaus tagein bei Marxens vorsprach, um ihnen seine Verse vorzulesen und das Urteil einzuholen. Ein Gedichtchen von acht Zeilen konnten Heine und Marx unzählige Male durchgehen, beständig das eine oder andere Wort diskutierend und so arbeitend und feilend, bis alles glatt und jede Spur von Arbeit und Feile aus dem Gedicht beseitigt war.“ Dabei darf es als ganz sicher gelten, dass bei dieser regen Unterhaltung auch über Friedrich List gesprochen und diskutiert wurde, denn zu diesem Zeitpunkt kannte Marx bereits das „Nationale System der Politischen Ökonomie“ und wollte es einer gründlichen Rezension unterziehen. Bereits am 1.1.1843 hatte sich Marx an Hermann Müller-Stübing gewandt, damit dieser seinen Studienfreund Karl-Heinrich Brüggemann bittet, gegen die „Prohibitivschrullen von List“ mit einigen deftigen Artikeln zu Felde zu ziehen. Und von Friedrich Engels ist überliefert, dass Marx seine ökonomischen Studien 1843 in Paris mit den großen Engländern und Franzosen begonnen und von den Deutschen nur Rau und List gekannt habe. Während seines Exils in der französischen Hauptstadt hat Marx zusammen mit Arnold Ruge die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ herausgegeben. Bevor Ruge 1843 nach Paris ging, war er in Halle als Privatdozent für Philosophie tätig. 1838 gründete er die „Hallischen Jahrbücher für deutsche Kunst und Wissenschaft“, die zu einem führenden Blatt der Linken wurden. Über den verehrten Freund Karl Eduard Vehse hatte sich List 1842 an Arnold Ruge gewandt, um diesen zu ersuchen, einige wohlwollende Artikel über ihn zu veröffentlichen, was Ruge jedoch ablehnte. Aber aus diesem Beziehungszusammenhang darf geschlossen werden, dass Marx, Heine und Ruge in jener Zeit intensiv über List und sein „Nationales System“ debattiert haben. Allerdings hat sich dieser Gedankenaustausch nur über ein Vierteljahr erstreckt; denn im März 1844 haben Marx und Ruge wegen unüberwindlicher Differenzen ihre Zusammenarbeit an den „Deutsch-französischen Jahrbüchern“ beendet und

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bald darauf ist Marx nach London emigriert. In dieser Zeit gab es bei Heine, Marx und List auch ein gemeinsames Thema, das alle drei tief berührte und auf den Plan rief: Die Not der schlesischen Weber, die sie als negative Folge der Frühindustrialisierung erkannt und als Warnsignal einer neuen Zeit verstanden haben. Nach Lists Tod erschien am 2.1.1847 in der „Allgemeine Zeitung“ ein Aufruf zur Sammlung für seine Angehörigen. Diesen hatte Heine in Paris gelesen. Aus Mitgefühl übersandte er dem Chefredakteur Gustav Kolb einen Wechsel über 25 Gulden, mit der Bitte, „diese kleine Summe dem Comité der Subskription für die Familie Lists zu übergeben.“ Heine gedachte mit dieser Geste der langjährigen gemeinsamen Mitarbeit als Korrespondenten der „Augsburger Allgemeinen“.

7. Louis Adolphe Thiers (1797-1877), einer der bedeutendsten französischen Staatsmänner im 19. Jahrhundert Der in Marseille geborene Historiker und Politiker Adolphe Thiers kam 1821 nach Paris, wo er zunächst als Journalist für das vornehme Blatt der liberalen Partei, dem „Constitutionnel“ tätig war. Im Jahre 1826 gab er eine Schrift über den berühmten englischen Finanzjongleur John Law heraus, und von 1823 bis 1827 veröffentlichte Thiers sein mehrbändiges Standardwerk „Histoire de la Revolution française“, das seinen Ruhm als Historiker begründete. Sein größtes und berühmtestes historisches Opus ist die 20bändige Ausgabe über die Geschichte des napoleonischen Konsulats und des Kaiserreichs, das seine anderen mehrbändigen historischen Werke an Umfang und Bedeutung überragt. Nachdem der französische König Karl X der liberalen Partei den Krieg erklärt hatte, war Thiers Mitbegründer der „Nation“, dem wichtigsten Oppositionsblatt, das durch die Kraft und Kühnheit seiner Polemik gegen die bestehende Dynastie bald großen Einfluss gewann; in dieser Zeit prägte Thiers das Schlagwort: „Le roi regne, mais il ne gouverne pas.“ Im Verlauf der Julirevolution verhandelte Thiers mit dem Herzog von Orléans und bewog ihn für die Thronbesteigung zu kandidieren. Als Abgeordneter der Stadt Aix-en-Provence wurde Adolphe Thiers in die Deputiertenkammer gewählt und erlangte bald durch sein rhetorisches Talent große Bekanntheit. In mehreren der zahlreichen Regierungen erhielt er einen Ministerposten. Außer-

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dem wechselte er wiederholt die Gefolgschaft gegenüber Louis Philippe; zeitweilig unterstützte er ihn und zeitweilig gehörte er der Opposition an. Thiers war auch Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Am 1. März 1840 übernahm er als Ministerpräsident die Regierung und bewirkte dabei die Überführung des Leichnams von Napoleon Bonaparte von St. Helena nach Paris. Er war bestrebt, das französische Territorium wieder bis zur Rheingrenze auszudehnen und drängte deswegen Louis Philippe zum Krieg, was aber an dessen Weigerung scheiterte. Bis zu seinem Tod 1877 war Adolphe Thiers in unterschiedlichen politischen Funktionen in der französischen Öffentlichkeit präsent. Bei allen konstitutionellen Revolten und Staatsstreichen zwischen 1848 bis 1877 spielte er eine wichtige Rolle. Mit größter Energie widersetzte er sich 1870, entgegen seiner früheren Haltung, der übereilten Kriegserklärung von Frankreich an Preußen. Nach der französischen Kapitulation leitete er die Friedensverhandlungen mit Bismarck. Die historische Bedeutung Thiers wird im Meyer’schen Konversationslexikon von 1897 so zusammengefasst: „Thiers, von kleiner Gestalt, aber scharf geschnittenen, lebendigen Zügen, war einer der bedeutendsten Staatsmänner Frankreichs im 19. Jahrhundert und jedenfalls der populärste. Seine Doktrin war die des konstitutionellen Systems, in welchem der aufgeklärte, wohlhabende Bürgerstand die beste Sicherung seiner geistigen und materiellen Güter erblickte; allen ökonomischen und sozialen Neuerungen war er durchaus freundlich gesinnt. Aber über allen Doktrinen stand bei Thiers seine Nation, Frankreich. Dessen Ruhm und Größe zu vermehren, war sein höchstes Ziel, wie er denn auch ein echter Franzose mit allen Vorzügen und Schwächen dieses Volkes war; er besaß eine unermüdliche Arbeitskraft, feine, edle Bildung, Scharfblick, eine sanguinische Elastizität des Geistes und echten Patriotismus, dabei aber eine naive Selbstsucht und Eitelkeit. Als Geschichtsschreiber verherrlichte er die Freiheitsideen der französischen Revolution und den Kriegsruhm Napoleons in schwungvoller Sprache und glänzender Darstellung, jedoch keineswegs stets wahrheitsgetreu und unparteiisch. In der Beilage der „Allgemeinen Zeitung“ Nro. 154 vom 3.6.1839 widmete List dem französischen Staatsmann einen sehr ausführlichen und äußerst positiven Aufsatz, der auf eine persönliche Bekanntschaft schließen lässt. Darin nimmt er Thiers gegen die vielfältigen politischen Verleumdungen und die heftige Kritik seiner politischen Gegner in Schutz und stellt ihm ein sehr ehrenvolles Zeugnis aus.85 ,Freilich – Ehrgeiz – heißt der oberste Götze, vor dem der kleine Herr Thiers mit dem unermesslich großen Kopfe die Knie beugt.‘– Gut! Aber ist der Ehrgeiz ein Laster, ist er unter allen Verhältnissen eine der öffentlichen Ordnung und dem Gemeinwesen verderbliche Eigenschaft? Das erfordert genauere Betrachtung. Vorläufig wird man uns zugestehen müssen, dass ein Mann, der Hunderttausende wegwirft, um im Lichte eines Mäcenas zu erscheinen, der seine so kostbare Zeit der Politik opfert, die ihm nur Verlust und Verfolgung bringt, kein so

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gemeiner Egoist sein kann, wie ihn viele darzustellen bemüht sind. Dass er auch – wenigstens jetzt nicht mehr – sich so sehr darin gefällt, den Großen zu spielen, beweist die Einfachheit, womit er überall erscheint. Vor einigen Tagen sah ich ihn in einer nicht besonders vornehmen Restauration am Carrouselleplatz dinieren.“ Der damalige Wohnsitz von Adolphe Thiers befand sich dort, wo sich heute das Palais Fondation Dosne-Thiers in Paris befindet: 27, Place Saint-Georges. Der Platz liegt in unmittelbarer Nähe der Rue des Martyrs und der Rue de Navarin, in denen List damals wohnte. Die Entfernung beträgt ca. 700 m. Ebenfalls in der Nähe ist der Place du Carrousel, – etwa 3 km von der Rue des Martyrs und 2,5 km vom Place Saint-Georges entfernt. Die kurzen Distanzen und präzisen Angaben sowie die übrigen Umstände sprechen dafür, dass List tatsächlich mit Adolphe Thiers persönlich bekannt geworden ist und von diesem das zweischneidige Angebot erhalten hat, in französische Dienste zu treten. Während seines Pariser Exils kamen List und Thiers in persönlichen Kontakt. Emilie List berichtet über dieses Zusammentreffen: Damals wurde er auch mit Thiers bekannt, der in unserer Nähe wohnte und ihm auch zuredete, in französische Dienste zu treten, wozu er sich aber nie entschließen konnte; – oft erzählte er mit Bewunderung von der großen Gabe Thiers, auf fremde Ideen einzugehen. Kaum ausgesprochen, bemächtige er sich ihrer und gebe sie mit einer Klarheit und Bestimmtheit wieder, die den ursprünglichen Besitzer ins größte Staunen versetze. Nachdem Louis Adolphe Thiers im März 1840 die Regierung übernommen hatte, soll er List das verlockende Angebot gemacht haben, bei einem Jahresgehalt von 12 000 Francs mit der „Aussicht auf bedeutende bleibende Anstellung“ in französische Dienste zu treten. Über die genaue Stellenbeschreibung, welche mit dieser Aufgabe verbunden gewesen wäre, ist nichts bekannt. Vermutlich war daran gedacht, List beim Aufbau des französischen Eisenbahnwesens eine leitende Position zu übertragen. An diese Aufgabe wäre aber auf jeden Fall die Verpflichtung geknüpft gewesen, „gegen Deutschland zu schreiben“; möglicher Weise auch Spionage zu treiben. So jedenfalls kann Lists Anmerkung in einem Schreiben an Herzog Ernst I von Sachsen-Coburg-Gotha vom 14. Dezember 1840 verstanden werden, wenn er schreibt: „Durch meine literarischen Arbeiten war ich mit Herrn Thiers in Berührung gekommen. Als nun dieser Staatsmann verflossenes Frühjahr zum Ministerium gelangte, machte er mir Vorschläge, die für mich sehr vorteilhaft gewesen wären, deren Annahme aber – zumal im Falle eines Krieges, mich in eine meinen Gefühlen und Gesinnungen widersprechenden Stellung versetzt hätten.“ Ob es sich hierbei um ein ernst zu nehmendes Angebot gehandelt hat, ist nicht eindeutig zu beantworten. Allerdings waren im damaligen Kabinett Thiers mit dem Unterrichtsminister Victor Cousin und dem Kriegsminister General Bernard zwei Ressortchefs vertreten, die List zu seinen alten Bekannten zählte und,

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die er bereits von der Zeit her kannte, „als sie noch nicht Minister, sondern hungrige Schlucker“ waren. Beide könnten Thiers in der Absicht bestärkt haben, List in französische Dienste zu nehmen. Wegen der bestehenden Kriegsgefahr mit Preußen, die Thiers damals kräftig schürte, schlug List dieses vorteilhaft erscheinende Angebot jedoch aus. Aufgrund der „kriegerischen Demonstrationen des Herrn Thiers“ fürchtete er, dass ihn diese Position im „Falle eines Krieges“ in eine schwierige Lage bringen würde, die er mit seinen „Gefühlen und Gesinnungen“ für Deutschland nicht vereinbaren konnte. In diesen Zusammenhang fügt sich auch eine Bemerkung des preußischen Gesandten in London, Christian v. Bunsen, nahtlos ein, der seinem König Friedrich Wilhelm IV am 31.7.1846 über List berichtete: „Doch widerstand er immer allen Versuchen Frankreichs, ihn zum Agenten zu gebrauchen, obwohl Thiers ihm ein Jahresgehalt von 20 000 Francs bot.“ Bunsen fügte noch hinzu, dass er für die Wahrheit dieser Aussage, Zeugnis und Belege habe. Wenn man von den unterschiedlichen Angaben über die Höhe der Dotierung absieht, so ergeben die Mosaiksteine ein schlüssiges Bild, und es ist verständlich, dass List schon aufgrund seiner moralischen Prinzipien ein solches Angebot – trotz der existenziellen Not – ausgeschlagen hat. Wahrscheinlich war jedoch der schmerzliche Tod seines Sohnes Oskar zumindest genauso maßgebend, dass die Familie sich in der Seinemetropole nicht mehr heimisch fühlte. So gaben neu aufkeimende Hoffnungen, im thüringischen Eisenbahnwesen eine leitende Stelle zu bekommen, den Ausschlag, das Exil in Paris aufzugeben und nach Thüringen überzusiedeln.

8. Georg Graf v. Cancrin (1774-1845), deutsch-russischer General und Finanzminister Im Juli 1843 wurde List unerwartet von dem in München durchreisenden russischen Finanzminister Graf v. Cancrin um eine Unterredung gebeten. Der deutschstämmige Graf war nach einem juristischen Studium an den Universitäten Gießen und Marburg seinem Vater nach Russland gefolgt und ist dort in den militärischen Dienst eingetreten. Während der Befreiungskriege gegen Napoleon war er als Generalproviantmeister für die Versorgung der Truppen verantwortlich. Dabei kam er bis nach Paris. Für seine Verdienste wurde er von Zar Alexander I zum General befördert. Im Jahre 1823 ernannte ihn der Zar zum

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Finanzminister. In dieser Funktion gelang es ihm, das völlig zerrüttete Finanzwesen zu ordnen und durch die Einführung des Silberrubel zu stabilisieren. Zu seinen Aufgabengebieten gehörten auch Handels- und Zollfragen, das Forst-, Berg- und Salinenwesen sowie die Verwaltung der Staatsdomänen. Cancrin setzte sich für die Entwicklung von Industrie und Gewerbe durch Schutzzölle ein. Außerdem förderte er die Gründung und den Aufbau von technischen Lehranstalten und unterstützte wissenschaftliche Expeditionen zur Erschließung von Bodenschätzen; z.B. die Forschungsreisen von Alexander v. Humboldt in den Ural und ins Altai Gebirge. Ferner setzte er sich für den Bau von Chausseen und Kanälen und die Förderung der Schifffahrt ein. Ausgerechnet für den Eisenbahnbau hatte er kein Verständnis. In seinen staatswirtschaftlichen Schriften setzte sich Cancrin mit den Physiokraten und Adam Smith auseinander; insofern zählt er zur sog. deutsch-russischen Schule der Nationalökonomie im 19. Jahrhundert, die sich dafür einsetzte, die Lehren der europäischen politischen Ökonomie auf Russland zu übertragen. Wegen seiner gewissenhaften, sparsamen und fleißigen Amtsführung als Finanzminister wurde Cancrin gelobt. Er sei der einzige Minister gewesen, vor dem Zar Nikolaus I Achtung hatte und von dem er gelegentlich auch Widerspruch und Belehrung geduldet haben soll. Cancrin schätze auch den Meinungsaustausch im kleinen Kreis. Aus den genannten Gründen ist es nicht verwunderlich, dass Cancrin auf der Durchreise zu einer Kur nach Bad Gastein in München Rast machte, sich für Lists Ansichten interessierte und ihn zu einem Gespräch in sein Hotel eingeladen hat. Die Unterhaltung war sehr intensiv; sie dauerte über fünf Stunden. Dabei sprachen die beiden auch über verlockende Aussichten, dass List in Russland „eine bedeutende Karriere“ machen könne.86 Dass dies offenbar ernsthaft erwogen wurde, zeigt eine Anmerkung von Franz v. Dingelstedt, Bibliothekar und Vorleser bei König Wilhelm I von Württemberg, der in einem Brief vom 5.8.1843 an List schreibt: „Begierig bin ich auf den Erfolg Ihrer Verhandlungen mit Cancrin.“87 Im ersten Augenblick wischte er jedoch dieses Ansinnen von der Hand, weil er hoffte, sein Weizen gehe doch noch in Deutschland auf. Dennoch lebte die Idee wieder auf, als Clara und Robert Schumann im Frühjahr 1844 von ihrer erfolgreichen Konzerttournee aus St. Petersburg zurückgekehrt waren, denn Emilie List erkundigte sich bei ihrer Freundin Clara über die Arbeits- und Lebensbedingungen in Russland und die Aussichten, in St. Petersburg eine Anstellung als Gouvernante zu finden. Clara teilte ihr die gewünschte Auskunft mit, fügte aber hinzu, welch hohe Anforderungen an die Garderobe gestellt werden und dass in Russland alles drei Mal so teuer sei, wie zu Hause. Diese nüchterne Einschätzung dürfte dazu beigetragen haben, dass der Gedanke, nach Russland zu gehen, von der Familie List endgültig aufgegeben wurde. Hinzu kommt noch, dass Cancrin zur selben Zeit als Finanzminister zurückgetreten und ein Jahr später verstorben ist.

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9. Johann Georg Freiherr Cotta v. Cottendorf (1796-1863), einer der bedeutendsten deutschen Verleger im 19. Jahrhundert Der in Tübingen geborene Georg v. Cotta war der Sohn des Verlegers Johann Friedrich v. Cotta. Von 1815 bis 1817 studierte er in Göttingen, Heidelberg und Tübingen Philosophie und Ästhetik, konnte aber krankheitsbedingt sein Studium nicht mit einem Examen abschließen. Erst eine Reise nach Rom brachte Besserung und versetzte ihn in der Lage, eine berufliche Betätigung auszuüben. Im Jahre 1821 trat er in das Verlagshaus seines Vaters ein und übernahm nach dessen Tod 1832 zusammen mit seinem Schwager die Leitung des Familienunternehmens. Es gelang ihnen, das zuletzt stark verschuldete Unternehmen zu sanieren und durch den Erwerb der bedeutenden Verlagshäuser Göschen in Leipzig sowie der Vogel’schen Bibelanstalt in Landshut wesentlich zu vergrößern. Der Verlag führte die Tradition der Klassikerausgaben fort und trug damit ganz maßgeblich zur deutschen Geistesgeschichte bei. Als Herausgeber der „Allgemeinen Zeitung“ und Gründer der „Deutschen Vierteljahrsschrift“ gewann Georg v. Cotta im politischen Leben seiner Zeit besondere Bedeutung. Wie sein Vater gehörte er von 1833 bis 1849 als Vertreter der Ritterschaft des Schwarzwaldkreises der Zweiten Kammer des Württembergischen Landtags an und 1848 war er Mitglied des Vorparlaments. Wegen seiner Frömmigkeit, seinem Nationalbewusstsein und seinem Pflichtgefühl war Georg v. Cotta eine allseits geachtete Persönlichkeit, die in der Öffentlichkeit eine fast fürstliche Stellung und Ehrerbietung genossen hat. Auch wenn Lists Verhältnis zu Georg v. Cotta nicht so herzlich und spannungsfrei, wie zu dessen Vater war, so verdankt er ihm im Grunde genommen einen wesentlichen Teil seines Bekanntheitsgrades und Nachruhms, weil er einen großen Teil seiner journalistischen und wissenschaftlichen Arbeiten bei Cotta publizieren konnte. In diesem Zusammenhang ist vor allem die „Allgemeine Zeitung“ hervorzuheben, in der List viele Aufsätze veröffentlichen konnte. Die Honorare, die ihm Cotta dafür zahlte, bildeten vielfach die einzige Einnahmequelle zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes. List beklagte, dass er der „Allgemeinen Zeitung“ mehr Zeit widmen würde, wenn die Redaktion nicht so vieles zurückweisen würde. Denn Cotta übte bei seinen Korrespondenten eine Art Vorzensur aus, um Schwierigkeiten bei der bayerischen Zensur-

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Letzter Kontoauszug des Cotta-Verlages von Friedrich List;

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Original im Besitz des Autors

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Die erste Ausgabe des Eisenbahn-Journals.

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behörde zu vermeiden. Dennoch machten ihn diese Beiträge, wie William O. Henderson hervorhebt, „zu einem der führenden deutschen Journalisten der 1840er Jahre“. Außerdem konnte List den Verleger Cotta dafür gewinnen, seine zwei wichtigsten in Eigenregie herausgegebenen Zeitungen, „Das Eisenbahnjournal“ und „Das Zollvereinsblatt“ zu verlegen. Beim „Eisenbahnjournal“ handelt es sich um die erste seriöse Zeitschrift mit dem Ziel, über den Aufbau, eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems zu informieren und dafür zu werben. „Das Zollvereinsblatt“ war als einigendes Band für alle im Zollverein von 1834 beteiligten deutsche Territorialstaaten gedacht und sollte vor allem über wirtschaftspolitische Themen im In- und Ausland berichten. Beiden Blättern war kein durchgreifender und dauerhafter Erfolg beschieden. W.O. Henderson führt diese vor allem darauf zurück, dass List seine Zeitungsprojekte anfänglich mit großem Engagement gegründet und verfolgt, später aber sein Interesse daran verloren habe.88 Deshalb sei es auch zu ernsten Differenzen mit Georg v. Cotta gekommen. Es ist zweifellos richtig, dass List wegen seiner Reisen und dem täglichen Lebenskampf keinem geregelten Leben nachkommen und somit auch kein regelmäßiges Erscheinen seiner Blätter gewährleisten konnte, was sicher auch bei den Abonnenten Missmut und Verärgerung hervorgerufen hat. Hinzukommt, dass der Verleger Cotta stets die Zensur im Nacken fürchten und deswegen seinen Autoren gewisse Beschränkungen auferlegen musste, was bei denen Ärger hervorgerufen und zu finanziellen Einbußen geführt hat. Ferner hat das von Metternich verhängte Verbot, die beiden Blätter in der Donaumonarchie zu verbreiten, deren wirtschaftliche Existenz so stark dezimiert, dass sie schließlich eingestellt werden mussten. Alle diese Gesichtspunkte müssten berücksichtigt werden, wenn man Lists Rolle als Journalist und dem persönlichen Verhältnis mit Georg v. Cotta gerecht werden will, denn im Grunde genommen waren die beiden Blätter für den Verlag Verlustgeschäfte. Immerhin war Cotta aber auch bereit, Lists Hauptwerk „Das nationale System der politischen Ökonomie“ in drei Auflagen herauszugeben und seine Abhandlung über „Die Ackerverfassung, die Zwergwirtschaft und die Auswanderung“ in der „Deutschen Vierteljahrsschrift“ abzudrucken und als separate Schrift zu verlegen. Nachdem das „Zollvereinsblatt“ dem Verlag nur „Verluste und Unannehmlichkeiten“ einbrachte, kam es im Frühjahr 1846 zum Zerwürfnis. Cotta stellte List vor die Wahl, entweder ein regelmäßiges Erscheinen der Zeitung zu garantieren, auf polemische Äußerungen zu verzichten und sich der Zensur des Verlages zu fügen oder das Erscheinen des Blattes einzustellen. Da List diese Forderungen nicht annehmen konnte und wollte, wurde die Zusammenarbeit zum 1. Juli 1846 beendet. Die Konsequenzen dieser Halsstarrigkeit wurden zunächst von der Londonreise überlagert, dürften aber nach der Rückkehr zu Lists Niedergeschlagenheit wesentlich beigetragen haben.

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10. Lajos (Ludwig) Kossuth (1801-1894), Anführer des ungarischen Unabhängigkeitskampfes von der Donaumonarchie Die erste Auflage des „Nationalen Systems“ ist im Mai 1841 erschienen, und der erste ungarische Intellektuelle, der sich damit auseinandersetzte und es öffentlich bekannt machte, war August v. Trefort.89 Nach dem Studium der Rechtswissenschaft arbeitete er als Publizist, wurde 1848 Staatssekretär für Landwirtschaft, Industrie und Handel. Nach der ungarischen Revolution lebte er zurückgezogen auf seinem Landgut, ehe er 1861 als Parlamentsabgeordneter wieder in die Politik zurückkehren konnte. Von 1872 bis 1888 war er Kultusminister und zwischendurch zwei Jahre lang Landwirtschafts-, Industrie- und Handelsminister. Er gilt als bedeutender Kultur- und Bildungspolitiker, der sich sowohl für die Pflege des ungarischen Kulturgutes als auch für die kulturelle Eigenständigkeit der deutschen Minderheit große Verdienste erworben hat. Schon in jungen Jahren wurde er Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und drei Jahre vor seinem Tod zu ihrem Präsidenten gewählt. In der Frühphase der ungarischen Nationalökonomie war August v. Trefort einer der fleißigsten Schriftsteller. Sein Hauptverdienst besteht darin, dass er einer der ersten war, der die Volkswirtschaftslehre mit der im Ausland zur Geltung gelangten sozialen Richtung in Verbindung brachte und in seiner Heimat auf die ausländische Literatur aufmerksam machte. So blieb ihm auch das Erscheinen des „Nationalen Systems“ nicht unbekannt. Bereits am 5.12.1841, also nur wenige Monate nach dem Erscheinen der Erstausgabe, machte der damals erst 25jährige in einem Vortrag auf einer Versammlung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften auf das neue Werk aufmerksam. In seiner Rede stellte Trefort Lists Theorie neben der Freihandelslehre von Adam Smith und dem Sozialismus als eigenständiges Wirtschaftssystem dar. Dabei teilte er den beiden anderen eine klare Absage. Zum Sozialismus bemerkte er: „Dieses System will neben der Neuverteilung der Produktionsmittel, neues Recht, neue Moral und neue Religion einführen, um den Arbeitern zu helfen. Doch diese Vorstellungen setzen Menschen voraus, die gar nicht existieren und der menschlichen Natur widersprechen. Hoffentlich findet diese Utopie in unserem Land kein Echo.“90

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Bereits ein Jahr nach dem Erscheinen des „Nationalen Systems“ wurde das Werk von Antal Sárvary ins Ungarische übersetzt. Die Übersetzung war schon am 1. August 1842 fertiggestellt; sie wurde 1843 in einer dreibändigen Ausgabe in Köszeg verlegt.91 In einem Brief vom 14.8.1843 an Georg v. Cotta bringt List seine Freude über die Übersetzung zum Ausdruck: „Mein nationales System ist im Ungarischen bereits erschienen, so schön gedruckt und auf so feinem Papier, wie die schönsten englischen Bücher“. Es ist die einzige fremdsprachige Übersetzung, die zu Lists Lebzeiten publiziert wurde. Als weiteres Beispiel für die hohe Anerkennung, die Lists Buch in Ungarn fand, ist der Gründer der ungarischen Handelsgesellschaft Paul Szábo zu nennen, der sich in einem Schreiben vom 12.10.1843 an List wandte und ihn um folgende Gefälligkeit gebeten hat: „Als Resultat Ihres in mancher Hinsicht ganz berühmten Werkes ,Das nationale System der politischen Ökonomie‘ habe ich hiermit die Ehre, die Statuten der zu errichtenden Handelsgesellschaft Ihnen einzusenden und zu bitten, falls Wohlgeboren in denselben in Deutschland einige günstige Aussichten zur Handelsverbindung vorfinden sollten, selbige in Ihrem vielgelesenen Zollvereinsblatte in Umgang zu bringen und Ihre Landsleute darauf aufmerksam zu machen.“ Im ersten in ungarischer Sprache verfassten nationalökonomischen Lehrund Handbuch von A. Kárvassy von 1845-47 wird Lists „Nationales System“ ebenfalls lobend erwähnt und als eigenständiges Wirtschaftssystem gewürdigt. Und in einer 1868 von der ungarischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Schrift von Julius Kautz wird der Einfluss von Lists Werk auf die ungarische Wirtschaftswissenschaft so zusammengefasst: „Von all den genialen Köpfen, welche im vierten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts im Ausland in Schrift und Wort die nationalökonomischen Ideen läuterten und einer glänzenden Vollendung näher brachten, hat Friedrich List den meisten Anspruch auf unser Interesse, wenn sich auch der Einfluss der übrigen großen Nationalökonomen auf Ungarn nicht verkennen lässt. Friedrich List ist der einzige ausländische große Nationalökonom, der auch Ungarn in den Kreis seiner Untersuchungen einbezog und dadurch, dass seine Ideen in den vierziger Jahren von Kossuth verteidigt wurden, hatte er sich in Ungarn eine maßgebende Autorität erworben, diente er als Richtschnur der nationalökonomischen Bestrebungen und war die Fackel, die zum Ziele leuchtet. Lists klare Prinzipien, welche ein selbstständiges nationales Wesen verteidigen und von dem warmen Gefühl des Patriotismus durchweht waren, verhallen (im Sinne von sich verbreiten); so kam es, dass Kossuth das Lager der Freihändler mit einem Male verließ, in die Reihe der Schutzzöllner trat, so gegen Széchenyi harte Stellung nahm und der Ansicht huldigte, die ungarischen Staatsmänner bräuchten nichts weiter zu tun, als die List`schen Theorien aus Deutschland nach Ungarn zu importieren und ihnen hier praktisches Bürgerrecht zu gewähren.“

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Der renommierteste politische Anhänger, der sich in Ungarn zu Lists Ideen bekannte, war zweifellos Lajos Kossuth (1802-1894). Dieser wurde 1802 in einem kleinen Dorf in der Tokayer Weingegend geboren. Ab 1832 vertrat er auf dem ersten ungarischen Reformlandtag, der sich über dreieinhalb Jahre erstreckte, einen abwesenden Magnaten. In dieser Zeit redigierte er die inoffizielle Zeitung des Landtages. Wegen der strengen habsburgischen Zensur konnte diese nicht in gedruckter Form erscheinen. Stattdessen wurde sie in 300 Exemplaren handschriftlich vervielfältigt und verteilt. Diese sog. Privatbriefe erschienen zweimal wöchentlich; sie gingen von Hand zu Hand und erreichten Tausende von Lesern. Nach Abschluss der Sitzungsperiode arbeitete Kossuth als politischer Journalist und gab ein ähnliches Blatt heraus, das auch nicht gedruckt, sondern ebenfalls in handschriftlichen Kopien verbreitet wurde, bis die habsburgische Regierung die Fortsetzung des Blatters untersagte und Kossuth 1837 gefangen nehmen ließ. Er wurde des Hochverrats beschuldigt und zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Aufgrund seiner Entschlossenheit, seines Mutes und seiner Überzeugungskraft gewann er in der Bevölkerung großes moralisches und politisches Ansehen und wurde zur Symbolfigur der Redefreiheit. Infolge einer allgemeinen Amnestie kam Kossuth 1840 vorzeitig frei. Dann übernahm er die Redaktion der Zeitung „Pesti Hirlap“, die er bis 1844 innehatte. Diese Zeitung gilt in jener Zeit als das freimütigste Presseorgan in Ungarn, ja sogar in der gesamten Donaumonarchie. Das Blatt war mit einer Auflage von 5 000 Exemplaren die damals auflagenstärkste ungarische Zeitung und hatte großen Einfluss auf die politische Meinungsbildung. Bis 1842 traten die ungarischen Liberalen für den Freihandel ein. Unter dem Einfluss des „Nationalen Systems“ strebte dann die von Kossuth angeführte Opposition in der parlamentarischen Versammlung in Pozsony in der Sitzungsperiode 1843/44 ein unabhängiges ungarisches Zollgebiet an, wobei der österreichische Zwischenzolll durch Schutzzölle ersetzt werden sollte. Als damaliger Augen- und Ohrenzeuge berichtet Franz v. Pulszky in der „Allgemeinen Zeitung“ vom 17.11.1844: während der anderthalbjährigen Sitzungsperiode hallten „die Säle der gesetzgebenden Körper“, also der Saal der Magnatentafel wie der Saal der Ständetafel, von Lists Namen wider, „so oft von Handel und Industrie, von Eisenbahnen oder von Zöllen die Rede“ war. Leider ist es schwierig, diese Mitteilung in den entsprechenden Protokollen zu verifizieren. Die Protokolle der Magnatentafel sind zwar gedruckt, aber nur in ungarischer Sprache und in der Nationalbibliothek in Budapest einsehbar, während die Protokolle der Ständetafel nur handschriftlich und in Kartons verpackt, vorliegen. Von beiden Recherchen habe ich aus verständlichen Gründen Abstand genommen. An anderer Stelle bemerkte Pulszky: „Das berühmte Werk Friedrich Lists bot uns Waffen, mit welchen wir die Regierung bekämpften.“

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Nachdem der Versuch gescheitert war, für Ungarn ein unabhängiges Zollgebiet zu installieren, setzte sich Kossuth für die Gründung des ungarischen Schutzvereins (Védegylet) ein. Auf der konstituierenden Sitzung am 6.10.1844, also noch vor Lists Ankunft in der Donaumonarchie, wurden Graf Kasimir Batthyányi zum Präsidenten, Graf László Teleki zum Vizepräsidenten und Lajos Kossuth zum geschäftsführenden Direktor gewählt. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Pozsony war List am 2.11.1844 von führenden Mitgliedern des Schutzvereins zum einem „nationalökonomischen Vortrag mit Gastmahl“ eingeladen worden. Seine mit großem Beifall aufgenommene Rede schloss er mit einem Trinkspruch „auf das Gedeihen des ungarischen Schutzvereins und die ewige Verbrüderung zwischen Ungarn und Deutschland“. Da sich Kossuth nachweislich ebenfalls am 2. November 1844 in Pozsony aufgehalten hat, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er bei Lists Vortrag anwesend war. Nur so ist zu erklären, dass er am 14.11, als List als Zuhörer auf der Galerie die Generalversammlung die Stände des Pesther Komitats besuchte, den Gast sofort erkannte und ihm die spontane Huldigung des ganzen Hauses zu Teil werden ließ. Wie gut ihm die besondere Wertschätzung tat, die List während des gesamten Ungarnaufenthaltes widerfahren ist, beschreibt er am 19.12.1844 in einem Brief an seinen Freund Gustav Kolb in Augsburg mit folgenden Worten: „Ich werde hier sehr verehrt und jedermann glaubt an mich. Das ist doch vernünftiger, als wenn man mir unaufhörlich widerspricht. Sie glauben nicht, wie wohl es tut, Weihrauch einzuschlürfen; das ist eine ganz andere Empfindung, als wenn man Prügel kriegt. Ich begreife jetzt, warum die Damen sich so gerne anbeten lassen und könnte alle Tage selbst eine werden.“ Zwischen Kossuth und seinem politischen Rivalen Széchenyi bestanden tiefe weltanschauliche und politische Differenzen. Während sich Széchenyi Ungarn nur unter aristokratischer Führung innerhalb der Donaumonarchie vorstellen konnte, strebte Kossuth die Loslösung von Österreich und die Gründung eines souveränen Nationalstaates an. Dabei plädierte er nicht nur für dessen politische, sondern auch ökonomische Unabhängigkeit. Bei der Volksvertretung baute Kossuth auf die bürgerliche Gesellschaft. Damit stand er dem Volkswillen wesentlich näher als Széchenyi. In seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Vereins koordinierte Kossuth ca. 140 lokale Institutionen und erarbeitete Pläne für die Entwicklung der ungarischen Wirtschaft. Außerdem organisierte er die erste ungarische Industrieausstellung. Am 20.10.1846 trat Kossuth von seinem Amt als geschäftsführender Direktor des Schutzvereins zurück. Bei dessen Gründung war er der Idee des Deutschen Zollvereins und Lists diesbezüglichen Verdiensten gefolgt. Dazu bemerkte er: „Es gibt Zeiten, wo ein Gedankentaucher erscheint, welcher der rätselvollen Werkstätte der Natur eines ihrer alten Geheimnisse ablauscht – der Geistesfrucht schlafloser, bei Lampenschein durchwachter Nächte – und auf

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dem Entwicklungspfad der Menschheit als Meilenzeiger (d.h. als Wegweiser) dasteht. Aber die Menschheit schreitet auf dem bezeichneten Weg nur langsam vorwärts und kreißt oft ein Jahrhundert lang, bis ein Ereignis geboren wird, das dem in stetem Umschwung befindliche Rad der Begebenheiten einen Ruck nach vorne gibt.“ Für Kossuth war List, „dieser große Vorkämpfer des deutschen Zollverbandes“, jener „Gedankentaucher“, dessen „Epoche machende Lehre“ er sich mit „evangeliumartiger Ehrfurcht“ zu eigen machte. Neben dem Gedanken des Schutzzolls für die Industrialisierung des Landes hat Kossuth auch Lists Forderung nach staatlicher Einheit und Unabhängigkeit aufgegriffen. So spreche sich List folgendermaßen aus: „Deutschlands Fürsten und Völker werden mit jedem Tag klarer sehen, dass nur Nationaleinheit der starke Fels ist, auf dem das Gebäude der Ehre, Wohlfahrt und Macht aufgeführt werden kann.“93 Im November 1847 wurde Kossuth als gewählter Abgeordneter des Pesther Komitats in den Landtag entsandt und bald darauf Anführer der politischen Opposition, die er mit Kühnheit und rhetorischer Begabung aufpeitschte. Als Graf Kasimir Batthyányi am 17. März 1848 zum ersten ungarischen Ministerpräsidenten ernannt wurde, übertrug er Kossuth zunächst das Finanzministerium und wenige Monate später das Präsidium des Landesverteidigungsausschusses. Die Abdankung Kaiser Ferdinand I und die Thronbesteigung Franz Josephs am 2.12.1848, bewogen Kossuth am 14.4.1849 in Debrezin die Unabhängigkeit Ungarns von der Habsburger Monarchie auszurufen. Über wenige Wochen leitete er die Revolutionsregierung, wurde aber bereits im August zur Flucht in die Türkei gezwungen, wo er verhaftet und interniert wurde. Nach seiner Entlassung emigrierte er zunächst in die USA, kehrte dann wieder nach Europa zurück, um sich zunächst in England und dann in Italien niederzulassen. Obwohl er in seinem Heimatland wiederholt in Abwesenheit zum Abgeordneten gewählt wurde, lehnte Kossuth eine Rückkehr nach Ungarn ab, weil er den Treueeid auf die habsburgische Monarchie verweigerte. Im Jahre 1897 ist Kossuth im hohen Alter von 92 Jahren im italienischen Exil in Turin gestorben. Wie groß Lists Bedeutung für die Gründung des Ungarischen Schutzvereins war, bestätigt ein Artikel in der Zeitung „Budapesti Hiradó“ vom 28.2.1845, in dem Graf Emil Dessewffy, ein führender Anhänger des konservativen Hochadels und scharfer Gegner Kossuths, schreibt: „Ich wage zu behaupten, dass wenn das bekannte Buch Friedrich Lists im Jahre 1841 nicht erschienen wäre oder, wenn er für Deutschland gegen England keine hohen Schutzzölle gefordert und zu diesem Zweck nicht in einer Art agitiert hätte, welche bei uns in mehrfacher Hinsicht Widerhall finden musste, wenn ferner das Blatt ,Pesti Hirlap‘ damals den Gedanken der Schutzzölle sich nicht zu eigen machte, die Idee weder im Landtag aufgetaucht, noch der Schutzverein selbst jemals ausgeklügelt worden wäre.“

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11. Albert v. Sachsen-Coburg und Gotha (1819-1861), ab 1840 Gemahl und ab 1857 Prinzgemahl der Königin Victoria von England Prinz Albert war der zweite Sohn von Herzog Ernst I von Sachsen-CoburgGotha (1784-1844), der sich mit List nach dessen Rückkehr aus Paris wegen der Projektierung der thüringischen Eisenbahn beraten und bei den Regenten der beiden anderen thüringischen Herzogtümern, dem Herzog von SachsenAltenburg und dem Herzog von Sachsen-Meiningen, um eine Vermittlung zu bemühen. Wegen seiner diversen Liebschaften hat sich der Herzog kaum um die Erziehung seines Sohnes gekümmert. Zu den einflussreichsten Persönlichkeiten und wichtigsten Bezugspersonen des Prinzen Albert wurde dessen Onkel, König Leopold von Belgien. Dieser war auch der engste Vertraute und ein enger Verwandter der Herzogin Victoria von Kent, der späteren Königin Victoria von England. Über diese Verbindung lernten sich auch Victoria und Prinz Albert kennen. Im Jahre 1840 heiratete der Prinz seine Cousine, die britische Königin Victoria und hatte bis zu seinem Tode erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der englischen Monarchie. Er übernahm zahlreiche soziale Aufgaben, wurde 1847 zum Kanzler der Universität Cambridge gewählt, setzte 1851 seine Idee der ersten Weltausstellung in London durch und war Präsident der Royal Agricultural Society of England. Die ersten Pläne für Arbeiterwohnungen in Großbritannien gehen auf seine Initiative zurück und im Jahre 1860, ein Jahr vor seinem Tod, wurde er zum Mitglied in die Gelehrten Akademie Leopoldina gewählt. Seine Leidenschaften waren das Komponieren, die Landwirtschaft und die Gartenarchitektur. Ab 1857 bekam der den Ehrentitel Prince Consort (Prinzgemahl); am 14.12.1861 ist Prinz Albert im 22. Ehejahr gestorben. Aus der Perspektive von Friedrich List sind in diesem Beziehungsgeflecht noch die beiden engsten Vertrauten dieser Monarchen, Christian Friedrich Freiherr v. Stockmar (1787-1863) sowie Dr. Karl Mayer zu erwähnen. Stockmar war Leibarzt und enger Vertrauter von König Leopold wie auch von Prinz Albert. Selbst von Queen Victoria wurde er als enger Freund und Berater sehr geschätzt. List hatte Stockmar im Frühjahr 1831 in Paris, wahrscheinlich in einem Hotel zufällig kennengerlernt. Sie haben zusammen gefrühstückt und diniert und sich über die wirtschaftliche und politische Lage im jungen Belgien und in Frank-

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reich unterhalten. Aber keiner sei damals auf die Idee gekommen, sich über die Privatverhältnisse des anderen zu erkundigen. Erst später habe er erfahren, dass Baron von Stockmar der Adjutant und vertrauteste Freund des Königs von Belgien sei.94 Wahrscheinlich war Stockmar auch zugegen, als List am 8.9.1837 von König Leopold in Brüssel empfangen wurde. Während seines London Aufenthaltes im Frühsommer 1846 traf List erneut mit dem Baron zusammen und besprach mit diesem seine Pläne für eine deutschenglische Allianz. Durch die Vermittlung von König Leopold und des Barons v. Stockmar konnte List auch über andere Angehörige des belgischen Hofes relativ leicht auch andere Kontakte zur Londoner Gesellschaft herstellen. Mit Schreiben vom 25.8.1846 hat List v. Stockmar gebeten, die Reinschrift seiner „Allianzdenkschrift an Seine königl. Hoheit dem Prinzen Albert, diesem ebenso geistreichen, wie staatsklugen Fürsten, dem edelsinnigsten Vermittler zweier großer Nationen“ zu überreichen. Bereits vorher war List mit Prinz Albert wahrscheinlich ebenfalls auf Vermittlung von Stockmar persönlich bekannt geworden. Dabei regte der Prinz an, List möge noch einen kurzen Extrakt in englischer Sprache verfassen, wovon allerdings kein Exemplar bekannt geworden ist. Über diese Audienz berichtete der preußische Geschäftsträger am englischen Hof, Karl Freiherr v. Bunsen, am 5.8.1840 an den preußischen König:96 Die Allianzdenkschrift sei Prinz Albert (wohl zunächst in einem Rohentwurf) unterbreitet worden, der sie studiert und mit seinem Verfasser darüber eine zweistündige sehr lebhafte Diskussion hatte. Da der Gegenstand sehr interessant sei, habe der Prinz sehr gerne mit ihm darüber gesprochen. Er selbst habe auch das Dokument studiert und bemerkenswerte Wahrheiten darin gefunden. Deshalb habe er um eine Abschrift gebeten, um sie an seine Majestät, den König von Preußen, weiterzuleiten. Er füge eine kurze Stellungnahme bei, um dem König einen kurzen Überblick über die Denkschrift zu geben. Am 17.8.1846 übersandte List sein Memoire dem englischen Premierminister Robert Peel. In einem kurzen Begleitschreiben nimmt er auf die Unterredung mit Prinz Albert Bezug, der ihm versichert habe, dass er den Premierminister bereits über ihn und seine handels- und staatspolitischen Vorstellungen und die Beziehungen zwischen England und Deutschland informierte. 97 Bei der Audienz von Prinz Albert war auch dessen Sekretär Dr. Karl Mayer aus Rinteln zugegen, der List bei seinem Aufenthalt in London ebenfalls tatkräftig unterstützte. Welch tiefer Eindruck der Bittsteller hier bei Karl Mayer hinterlassen hat, geht aus einem außergewöhnlich langen Nachruf hervor, den der Sekretär unmittelbar nach dem Erhalt der Todesnachricht am 14.12.1846 verfasste und in Nr. 360 der „Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht wurde.98 Darin heißt es u.a.: „Ich lese soeben in dem heute mir zukommenden Blatte der Allgemeinen Zeitung die Nachricht von dem Tode unseres verehrten teuren Freundes Dr. List,

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und ich will das Gefühl nicht zurückweisen, das mich antreibt, diese Trauerbotschaft sogleich mit einem Echo der Trauer aus London und England, mit einem herzlichen Nachruf an den Verstorbenen, nicht nur in meinem eigenen, sondern auch im Namen aller Freunde zu erwidern, denen derselbe bei seinem erst vor kurzem stattgefundenen Londoner Aufenthalt lieb und wert geworden war. Sind es doch kaum drei Monate, dass wir den rüstigen, kräftigen Mann, im vollen Gebrauch all seiner wunderbaren körperlichen und geistigen Fähigkeiten, noch hier unter uns hatten, ihn täglich sahen und sprachen und, sooft er ein paar Stunden lang die drückende Last seiner mannigfachen Arbeiten abgeworfen hat, das Glück genossen, aus der nie stockenden geläuterten Quelle seiner politischen Ansichten und Erfahrungen reiche Nahrung für unser Denken und Wissen, bald aus der übersprudelnden Fülle seiner geistreichen witzigen Erinnerungen und Einfälle tröstlicher Heiterkeit für unsere Seele und frischen Mut des Daseins schöpfen zu können.“ „Wer von uns hätte sich damals eingebildet, dass dieses stark und stets brennende Geisteslicht so bald erlöschen, diese brausende jugendliche Lebenskraft so bald abgelaufen sein würde! Und doch werden ich heute, da ich im Bewusstsein des nun eingetretenen Todesfalles an jene Tage zurückdenke, an mehrere von unserem Freunde ausgestoßenen Worte und Reden erinnert, die in der Tat schon damals von einer in seiner Seele brütenden Todesahnung, einem stillen schwermütigen Gefühl, das von dem in ihm sich vorbereitenden Lebensende zu zeugen schien, obwohl ich dieselben damals, wo der tiefere Boden, aus dem sie aufstiegen, noch von dem Strom des Lebens bedeckt war, nur wenig achtete und sie als bloß zufällige Erzeugnisse einer eben entzündeten Einbildungskraft, vor ihm wie vor mir selber, lächerlich zu machen und aus unser beidem weiteren Nachdenken weg zu scherzen suchte.“ „,Ich muss eilen‘, sagte er eines Abends, da ich ihn leicht erkältet auf dem Bette liegend fand, ,ich muss eilen, mit meinen Geschäften hier fertig zu werden und meine Heimreise anzutreten; denn es ist mir als trüge ich eine tödliche Krankheit in meinem Körper und müsste bald sterben. Krank sein, sterben und begraben werden, aber möchte ich doch am liebsten in meinem Vaterland!‘ Ein anderes Mal auf einem Spaziergang klagte er über eine ungewöhnlich tiefe Niedergeschlagenheit seines Geistes und über die Qual, die es ihm mache, gerade jetzt angestrengt denken und schreiben zu müssen, ohne doch die ihm sonst zu Gebote stehende Leichtigkeit und Kreativität der Gedanken in sich zu finden.‘ ,Ich fange an‘, sagte er, ,dieser täglichen Arbeitshetzerei, dieses fortwährende Suchen und Versuchen ohne Ruhe und Sicherheit endlich müde zu werden. Sie meinen, der Deutsche Zollverein werde mir für alles, was ich für ihn getan habe, gewiss mit der Zeit einen Siegerkranz aufs Haupt setzen. Wäre das seine Absicht, so müsste er es bald tun. Heuer findet man wenigstens noch einige graue Haare zu bekränzen, aber wer weiß, ob man im nächsten Jahr etwas anderes finden wird, als einen Totenschädel.‘“

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„Armer, gehetzter, trefflicher Mann! Dreißig Jahre lang hin und her getrieben zwischen den verschiedenen Staaten Deutschlands, zwischen der Schweiz, Frankreich, England, zwischen Europa und Amerika, ohne irgendwo zu einem seiner würdigen Wirkungskreis, zu einer sichtbaren öffentlichen Stellung zu gelangen, in der er alle seine außerordentlichen Gaben zu des Vaterlandes Bestem, wie zu eigener Genugtuung glücklich hätte anwenden und entwickeln können. Und doch, trotz dieses ungünstigen bürgerlichen Schicksals, tätiger und wirksamer für jenes vaterländische allgemeine Beste, als die meisten seiner politisch-wissenschaftlichen Genossen und Nebenbuhler und besonders als alle jene in Amt und Würden sitzenden Persönlichkeiten, die vom Büro und Kathedern herab, die theoretische Unrichtigkeit seines Systems zu demonstrieren sich ereiferten, durch dessen Aufstellung und Beweisführung, der amtlos Umhergetriebene es trotz dieser Widrigkeiten durchführte, sodass die wahren Grundlagen der künftigen Einheit, Blüte und Macht Deutschlands gelegt wurden! Wir unterbrechen hier nach ungefähr der Hälfte das wörtliche Zitat dieser bewegenden Worte und weisen den Leser darauf hin, dass auch der zweite Teil ein anrührendes sprachliches und inhaltliches Meisterwerk ist. Wir halten es aber für erforderlich, den Schlussteil dieses Nachrufes ebenfalls noch aus der Vergessenheit hervorzuholen, weil der Verfasser, Dr. Karl Mayer, hierbei noch einmal auf die Bedeutung von Lists London-Reise eingeht: „Als Bürger der Vereinigten Staaten, im mitwirkenden Vollgefühl jenes großen öffentlichen Lebens der Neuen Welt, gelang ihm die staatswirtschaftliche Ausbildung eines Gedankens, von dessen volkstümlicher Notwendigkeit er über den Trümmern des weiland größten Reiches der Alten Welt (vermutlich ist damit das Heilige Römische Reich Deutscher Nation gemeint) die Überzeugung gewonnen hatte. Wie geschichtlich großartig aber, wie vollkommen frei von merkantilischer Befangenheit er diesen Gedanken fortwährend verfolgte, davon zeigt vor allem seine letzte London-Reise, die er zu dem ausschließlichen Zweck unternahm, an Ort und Stelle das englische Volk in seinen gebildetsten Vertretern, trotz aller Antipathien einer gewissen englischen Partei gegen das deutsche temporäre Schutzsystem und gegen den Zollverein, durch Wort und Schrift von der zusammenhängenden Notwendigkeit dieser Allianz sowie jener Maßregel nicht nur für Deutschland, sondern auch für England zu überzeugen und auf dieser Überzeugung, England zu einem dauernden weltgeschichtlichen Bündnis mit dem Zollverein oder vielmehr mit dem in ihm wurzelnden und wachsenden künftigen Deutschland einzuladen,“ – Worte, die man als ständige Mahnung in einen großen Gedenkstein in Brüssel meißeln und vor dem Hauptgebäude der Europäischen Kommission aufstellen sollte. „Zugleich ist auch wohl nichts geeigneter, uns von der Kühnheit und dem Unternehmungsgeist Lists einen Begriff zu geben, als diese seine LondonReise, in der er, wie er sich selbst scherzhaft ausdrückte, ,als ein Gesandter des

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deutschen Michel an den englischen John Bill‘, auftrat, mit keiner anderen Vollmacht versehen war, als dem Bewusstsein seiner klaren Einsicht und seiner feurigen Vaterlandsliebe.“ „Habe ich oben den Bezug auf Lists Tod einige schwermütige todesschwangere Äußerungen desselben aus seinem Londoner Aufenthalt angeführt, so glaubte ich seinem Bild, wie ich es sowohl mir als den Lesern zurückzurufen wünsche, unrecht zu tun, wenn ich gegenüber jenen Äußerungen nicht noch einmal auf die im Eingang berührte joviale Geistes- und Lebenskraft des Verstorbenen zurückkäme, auf jene übersprudelnde Fülle launiger Erinnerung und naiver Witze, durch die er, so wie immer und überall seine Umgebung, so auch seine Londoner Freunde, fortwährend erquickte. Freilich war dem tiefen Sinne nach, sein Leben im Kampf um Deutschlands Verhängnis ein unablässiges tragisches Ringen. Aber durch die unverwüstliche Heiterkeit seiner Natur wusste er oder suchte er wenigstens diese Tragödie von Blatt zu Blatt immer wieder in ein liebenswürdiges Lustspiel umzuwandeln. Heitere Verklärung seinem entfesselten Geist und Friede der Asche seines verglühenden Herzens!“ „Das deutsche Volk aber, für das er, wie wenig andere seiner Zeitgenossen, lebte und starb, möge der mannigfachen Mahnungen sich würdig zeigen, die sein Tod ihm ans Herz legt, Mahnungen sowohl hinsichtlich der Unternehmungen Lists hinsichtlich seines Namens und seiner Hinterlassenen. Wenn jemals künftig das wiedergeborene deutsche Volk den Schöpfern und Helden seiner Wiedergeburt eine Ruhmeshalle baut, so wird an der Schwelle derselben, neben Stein und Scharnhorst, gewiss auch dem Mitbegründer des Zollvereins und dem Begründer der deutschen Nationalökonomie eine Ehrensäule gebühren!“ Insofern ist anzumerken, dass man in der Ehrenhalle der Walhalla bei Regensburg noch immer eine Büste von List vermisst. Dieser berührende Nachruf erscheint angesichts des Brexits von geradezu visionärer Aktualität. Man darf sicher davon ausgehen, dass diese Worte vom Verfasser auch Prinz Albert zur Kenntnis gebracht und von diesem gutgeheißen wurden. Gustav Kolb, Lists engster Vertrauter und Redakteur der „Allgemeinen Zeitung“, bestätigt, dass dieser in London vor allem von dem preußischen Gesandten, Freiherr v. Bunsen, und dem Privatsekretär des Prinzen Albert unterstützt wurde. Bevor er die Reise nach England antrat, habe er mit ihm mehrere sehr ernsthafte Unterredungen gehabt und ihm vor Augen geführt, dass er das angestrebtte Ziel niemals erreichen werde. Dennoch habe sich List nicht davon abhalten lassen und gemeint, dass dies die „glorreichste Mission seines Lebens“ sei. Die Absicht, eine deutsch-englische Allianz zu besiegeln, sei „so großartig, dass er sich schon belohnt fühle, diese angeregt zu haben“. Gleichwohl gestand Kolb ein, dass dies „die ruhigste, folgerichtigste und geistvollste“ Denkschrift war, die aus Lists Feder gekommen ist. Und doch kehrte sein Verfasser tief enttäuscht und völlig entmutigt von dieser fehlgeschlagenen Mission zurück.

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12. Ludwig I (1786-1868), von 1825 bis 1848 König von Bayern Der als Ludwig Karl August getaufte Sohn des bayerischen Königs Max Joseph hat als Kronprinz sein Land auf dem Wiener Kongress vertreten und ist dort für eine deutsch-nationale Politik eingetreten. Anschließend hat er seine Kronprinzenjahre vorwiegend in Würzburg und in Italien verbracht, ehe er im Oktober 1825 nach dem Tod seines Vaters als Ludwig I den bayerischen Thron bestieg. Zu Beginn seiner Regierungszeit betrieb er eine relativ gemäßigte liberale Politik. Auf seine Initiative kam 1829 nach mehrjährigen Verhandlungen der Süddeutsche Zollverein zustande und 1834 trat Bayern dem Deutschen Zollverein bei. Nach der Julirevolution von 1830 hat die Politik von König Ludwig I zunehmend reaktionäre Züge angenommen. Er schränkte wieder die Pressefreiheit ein und eine Reihe von einschneidenden Notlagen, Restriktionen und Skandalen schürte die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die das Volk gegen den Regenten aufbrachte, sodass er schließlich als Folge der Unruhen und Aufstände von 1848 zur Abdankung gezwungen wurde.99 Als List mit der Delegation des Handels- und Gewerbsvereins in der zweiten Junihälfte 1819 dem bayerischen Hof seine Aufwartung machte, wurde sie am 19. Juni vom Kronprinzen empfangen und am 23. Juni wurde ihnen eine Audienz bei König Max Joseph in Schloss Nymphenburg gewährt, bei der wohl auch der Kronprinz zugegen war. Im Gegensatz zum späteren Empfang in Wien soll ihnen in München eine positive Aufnahme zu Teil geworden sein. Dies mag dazu beigetragen haben, dass der spätere König bei den Zollverhandlungen eine wichtige Rolle spielte. Beim Amtsantritt des jungen Monarchen hatte List die Hoffnung geäußert, wenn der König in der begonnenen Weise fortfahren möge, dann werde manches Schöne und Gute in Erfüllung gehen, an das vor einigen Jahren nicht zu denken war. Während seines Exils in den USA nahm List mit dem bayerischen Eisenbahnpionier Joseph v. Baader Kontakt auf, der seine Eisenbahnpläne dem König unterbreitete und diesem auch seine „Mitteilungen aus Nordamerika“ zukommen ließ. Während König Ludwig vor allem den Kanalbau zwischen dem Main und der Donau favorisierte, plädierte Baader für den Eisenbahnbau. Dazu stellte er sich offen auf die Seite von List und war bestrebt, den König für den Bau eines

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bayerischen Schienennetzes zu gewinnen. Angesichts der positiven Aufnahme von Lists Ideen, ist es nicht verwunderlich, dass sich dieser an den König mit zwei Patentanmeldungen wandte, ein Patent auf Eisenbahnwagen und ein zweites für „ein einfaches und wohlfeiles Verfahren zur Mehltrocknung“. Zu beiden Verfahren verweisen wir auf die detaillierten Ausführungen in unserem Buch „Friedrich List: Politisches Mosaik“.100 Es ist auch bekannt, dass der König ein aufmerksamer Leser der „Allgemeinen Zeitung“ war und sich dabei stets für Lists Aufsätze interessierte, weil ihm das Verfassersymbol in Form eines Dreiecks bekannt war und sicher auch Lists Bemühungen um die erste deutsche Ferneisenbahn mit Aufmerksamkeit verfolgte und zur Kenntnis genommen hat. Im Frühjahr1841 gewährten ihm zunächst am 10. März der bayerische Innenminister v. Abel und am folgenden Tag König Ludwig eine Audienz. Dabei ging es natürlich darum, ob List im bayerischen Eisenbahnwesen eine Anstellung bekommen könnte. Angesichts der positiven Resonanz, welche List mit der ersten Auflage des „Nationalen Systems“ erzielte, war der König in einer autonomen Entscheidung bereit, diesen im Juli 1841 zum Ritter des St. Michael-Ordens zu ernennen. Die Ordensverleihung musste jedoch aufgrund des politischen Drucks der maßgeblichen Minister seines Kabinetts und der württembergischen Regierung zurückgezogen werden, dem der König nur widerwillig und mit Bedauern nachgekommen ist. Dieser peinliche Vorgang hatte aber auch zur Folge, dass die bayerische Regierung List Bewerbung, im bayerischen Eisenbahnwesen eine Anstellung zu erhalten, nunmehr abschlägig beschieden hat. Zur selben Zeit war der bayerische König auf die Schönheit von Elise List aufmerksam geworden. Deshalb ließ er Elise bitten, sich von seinem Hofmaler Joseph Stieler malen zu lassen. Dieses Ansinnen kam aber zunächst nicht zur Ausführung, weil sich Elise damals zur stimmlichen Weiterbildung in Mailand aufgehalten hat. Einen zusätzlichen Anstoß gab Königin Elisabeth von Preußen, die Halbschwester von König Ludwig. Sie hatte Elise bei einem Hoffest in Berlin als Sängerin erlebt und am 15. April 1843 ihrem Bruder nach München berichtet: „Sie gab uns eine sehr schöne Stimme zum Besten, aber ihr Gesicht gefällt mir noch mehr, wie ihr Gesang und ich finde sie ganz würdig in Deiner Schönheitssammlung zu sein“. So kam es, dass Elise von Joseph Stieler porträtiert wurde und das Ölgemälde in die Schönheitengalerie von Schloss Nymphenburg gelangte. 101 Erst nach Lists Tod konnte König Ludwig seine Sympathie für Friedrich List offen bekunden, indem er ihn in Nr. 14 der „Allgemeinen Zeitung“ u.a. mit folgenden Worten würdigte: „Wie Dr. Friedrich List für die erste Anregung und Verbreitung der schönen, nun zur segensvollen Wirklichkeit gediehenen Idee eines deutschen Zollvereins; was er für die nicht minder wichtige Entwicklung einer nationalen deutschen Handelspolitik mit rastloser Tätigkeit und seltenen geistigen Mitteln gewirkt und was er hierfür geleistet hat, ist der Aufmerksam-

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

keit Sr. Majestät des Königs; die dem Wohle und der Ehre des deutschen Gesamtvaterlandes und allen auf deren Förderung gerichteten Bestrebungen zu allen Zeiten ganz besonders zugewendet gewesen ist und stets zugewendet bleiben wird, niemals entgangen und hat bei Allerhöchstdemselben stets die verdiente Würdigung und Anerkennung jederzeit gefunden. Sobald daher Se. Majestät von der Lage der Hinterbliebenen des Verlebten Kenntnis erlangt, haben Allerhöchstdieselbe sich bewogen gefunden, denselben eine jährliche Unterstützung von 800 Gulden, wovon 400 Elise List; Gemälde von Joseph Karl Stieler für Gulden der Mutter und bis die Schönheitengalerie in Schloss Nymphenburg. zur Verehelichung oder anderweitigen Versorgung je 200 Gulden einer jeden der beiden Töchter anzusetzen, die mit dem 1. Januar d. J. zu beginnen hat. Nicht minder haben Seine Majestät gern die Bewilligung erteilt, dass zur Unterstützung dieser Hinterbliebenen eine Sammlung von Beiträgen in Bayern veranstaltet und durch die Bildung von Comités in den größeren Städten des Königreichs gefördert werde.“ Büste von F. List in der Friedrich-List-Straße 35 in Stuttgart; Foto: Nagler.

Teil III: .Bedeutende Bekanntschaften aus der Zeit nach dem amerikanischen Exil

Quellenverzeichnis

Teil I: Begegnungen aus der Zeit vor dem amerikanischen Exil 01

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© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Wendler, Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31448-4

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

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Lafayette, M. de (1824): Brief an F. List von Anfang März 1824; in: W. VIII, S. 283. List, F. (1824): Brief an seine Frau Karoline vom 28.4.1824; in: W. VIII, S. 287. Lafayette, M. de (1824): Brief an F. List vom 13.7.1824; in: W. VIII, S. 293. Levasseur, A. (1829): Reise des General (!) Lafayette durch Amerika, Band II, Naumburg (Reprint). Klamkin, M. (1975): The Return of Lafayette, 1824-1825, New York, S. 177-202. Levasseur, A. (1829): Reise des General (!) Lafayette durch Amerika, Band II, Naumburg, (Reprint). Wendler. (1989): Friedrich List – Politische Wirkungsgeschichte des Vordenkers der europäischen Integration, München, S. 43-49. Ebda.. Mauch, C. (Hrsg.) (2015): Die Präsidenten der USA, München, S. 115-125. Notz, W. (1931: Friedrich List in Amerika; in: W. II, S. 14 f. List, F. (1838): Das Demokratieverständnis in den USA und die wirtschaftspolitischen Fehler der Jackson-Van Buren Administration; in: Wendler, E.: Friedrich List – Die Politik der Zukunft, S. 307-323. Hopkins, J. F. (1992): The Papers of Henry Clay, Vol. VII, S. 11. List, F. (1843): Brief an J.M. Pacher v. Theinburg vom 9.10.1843; in: W. VIII, S. 715. Wendler E. (1989): Friedrich List (1789-1846): Eine historische Gestalt und Pionier auch im deutsch-amerikanischen Bereich – An Historical Figure and Pioneer in German-American Relations, S. 91-108. Ders. (1989): Friedrich List – Politische Wirkungsgeschichte des Vordenkers der europäischen Integration, München, S. 50-67. Mauch, C. (218): Die Präsidenten der USA, Nördlingen, S. 126-138. List, F. (1827): Steinerne Dankbarkeit; in: W. II, S. 262. Ders. (1829): Brief an J. Madison vom 21.1.11829; in: W. VIII, S. 357 ff. Ders. ; in: W. II, S. 179 ff. Ders. (1827): Der erfahrene Staatsmann; in: W. II, S. 284 f. Wendler, E. (2016): Friedrich List`s Exile in the United States, New Findings, Heidelberg, S. Mauch, C. (218): Die Präsidenten der USA, Nördlingen, S. 139-144. Ebda., S. 145-147. W. V. 217 f. Mauch, C. (218): Die Präsidenten der USA, Nördlingen, S. 148-153.

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Teil III: .Aus der Zeit nach dem amerikanischen Exil

Buchpublikationen des Autors

Bantleon, W., Absatzwirtschaft, Praxisorientierte Wendler, E., Einführung in das Marketing, Opladen 1976 Wolff, J. Wendler, E.

Friedrich List – Leben und Wirken in Dokumenten, Reutlingen 1976

Wendler, E.

Das betriebswirtschaftliche Gedankengebäude von Friedrich List – Ein Beitrag zur Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Diss. Tübingen 1977

Wendler, E.

125 Jahre Technikum/Fachhochschule Reutlingen, Reutlingen 1980

Wendler, E.

Reutlingen und Friedrich List – Reutlinger Lebensbilder, Bd. I, Reutlingen 1983

Wendler, E.

Ludwig Finckh – Ein Leben als Heimatdichter und Naturfreund – Reutlinger Lebensbilder Bd. II, Reutlingen 1985

Wendler, E.

Leben und Wirken von Friedrich List während seines Exils in der Schweiz und sein Meinungsbild über die Eidgenossenschaft, Diss. Konstanz 1984

Wendler, E.

Friedrich List – Die Welt bewegt sich – Über die Auswirkungen der Dampfkraft und der neuen Transportmittel, 1837, Göttingen 1985

Wendler, E.

Friedrich List – Politische Wirkungsgeschichte des Vordenkers dereuropäischen Integration, München 1989

Wendler, E.

Friedrich List – Der geniale und vielverkannte Eisenbahnpionier, Reutlingen 1989

Wendler, E.

Friedrich List – Eine historische Gestalt und Pionier auch im deutsch-amerikanischen Bereich – A Historical Figure and Pioneer in German-American Relations, München 1989

Wendler, E.

„Das Band der ewigen Liebe“ – Clara Schumanns Briefwechsel mit Emilie und Elise List, Stuttgart 1996

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Wendler, Friedrich List: Persönliche Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31448-4

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Friedrich List: Begegnungen mit berühmten Zeitzeugen

Wendler, E. „Die Vereinigung des europäischen Kontinents“ – Friedrich List – Die gesamteuropäische Wirkungsgeschichte seines ökonomischen Denkens, Stuttgart 1996 Wendler, E., „Sey ihm die Erde leicht“ – Nachrufe zum Tode von Friedrich List, Gemeinhardt, H.A. in: Reutlinger Geschichtsblätter; Jg. 1996, N.F. 35, S. 9–181 Wendler, E. Durch Wohlstand zur Freiheit – Neues zum Leben und Werk von Friedrich List, Baden-Baden 2004 Wendler, E. Praxisnähe und Internationalität von Anfang an – Von der Webschule zur Hochschule Reutlingen – Historischer Rückblick auf die Entwicklungsgeschichte zum 150-jährigen Jubiläum im Jahre 2005, Reutlingen 2005 Wendler, E. Friedrich List – Das nationale System der politischen Ökonomie, Baden-Baden 2008 Wendler, E. Reutlingen – Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Stadt, 1. Aufl., Reutlingen 2011 Wendler, E. Gründung und Entstehung der Reutlinger Betriebswirtschaft, Reutlingen 2012 Wendler, E. Reutlingen – Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Stadt; 2. erw. Aufl., Reutlingen 2013 Wendler E.

Friedrich List (1789–1846) – Ein Ökonom mit Weitblick und sozialer Verantwortung, Wiesbaden 2013.

Wendler, E. Reutlingen – Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Stadt, 3. erw. Aufl., Reutlingen 2014. Wendler, E. Friedrich List (1789–1846) – A Visionary Economist with Social Responsibility, Heidelberg 2014 Wendler, E. Friedrich List im Zeitalter der Globalisierung – Eine Wiederentdeckung, Wiesbaden 2014 Wendler, E. Friedrich List’s Exile in the United States – New Findings, Heidelberg 2016 Wendler, E. Friedrich List – Die Politik der Zukunft, Wiesbaden 2016

Publikationen des Autors

Wendler, E.

Reutlingen – Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Stadt, 4. erweiterte Auflage, Reutlingen 2016

Wendler, E.

Friedrich List: Politisches Mosaik, Wiesbanden 2017

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Wendler, E. Sesam öffne dich! – Lechler-Fiola, R. Die Gewebesammlung der Hochschule Reutlingen, Schilling, R. Reutlingen 2017 Wendler, E.

Reutlingen – Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Stadt , 5. erweitere Aufl., Reutlingen 2017

Wendler, E.

Reutlingen – Geschichte und Gegenwart einer lebendigen Stadt, 6. erweiterte Auflage, Reutlingen 2017

Wendler, E.

Friedrich List – Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, Wiesbaden 2018

Wendler, E.

Friedrich List und die Dritte Welt, Wiesbaden 2019

Wendler, E.

Friedrich List und die Little Schuylkill Eisenbahn in Pennsylvania – Friedrich List and the Little Schuylkill-Railroad in Pennsylvania. Heidelberg 2019/20

Wendler, E.

Die ethischen Wurzeln der Staats- und Wirtschaftstheorie von Friedrich List (1789–1846), Wiesbaden 2019/20

Hagemann, H. Seiter, S. Wendler, E.

The economic thought of Friedrich List, New York 2019

Wendler, E.

Friedrich List – Politische Ökonomie, Wiesbaden 2020