Frieden im Ostseeraum: Konfliktbewältigungen vom Mittelalter bis 1945 [1 ed.] 9783412524326, 9783412524302


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Frieden im Ostseeraum: Konfliktbewältigungen vom Mittelalter bis 1945 [1 ed.]
 9783412524326, 9783412524302

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Dirk Schleinert (Hg.)

Frieden im Ostseeraum Konfliktbewältigungen vom Mittelalter bis 1945

forschungen zur pommerschen geschichte

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VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR POMMERN Für die Historische Kommission für Pommern herausgegeben von Gerd Albrecht, Felix Biermann, Nils Jörn, Michael Lissok und Jana Olschewski RE I HE V: FO R SCH U N GE N Z U R P O MME RSCHE N GE SCHI CHTE Ba n d 5 9

F R I E D E N I M O S T S E E R AU M KONFLIKTBEWÄLTIGUNGEN VOM MIT TEL ALTER BIS 1945

Herausgegeben von DIRK SCHLEINERT

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Friedens- und Privilegienurkunde des dänischen Reichsrates, Stralsund, 24. Mai 1370. Stadtarchiv Stralsund, Städtische Urkunden Nr. 460b Korrektorat: Volker Manz, Kenzingen Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz und Layout: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52432-6

Inhalt Abkürzungen  ............................................................................................................  Einleitung  ................................................................................................................. 

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Dirk Schleinert Stralsund und die Herzöge von Pommern-Wolgast zur Zeit des Stralsunder Friedens  ...........................................................................................  15 Oliver Auge Ein mittelalterlicher Frieden mit Konsequenzen bis heute. Der Vertrag von Perleberg vom 23. August 1420  . . .....................................................  41 Klaus Neitmann Landfriedensbündnisse zwischen dem Deutschen Orden und den pommerschen Herzogtümern aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: Vertragsschließungsverfahren und Vertragsinhalte. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Diplomatiegeschichte nordostdeutscher Reichsterritorien  .......................................................................................................  59 Bengt Büttner Der Frieden von Stettin 1570 und die Entwicklung der dänisch-schwedischen Rivalität bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts  ..............................................................  95 Joachim Krüger „Und dass dieser Friedens-Ort des Krieges Erinnerung sei“. Die Friedensschlüsse am Ende des Großen Nordischen Krieges 1719 – 1721  ..............  113 Jens E. Olesen Die neue deutsch-dänische Grenze 1920. Als Nordschleswig mit Dänemark vereint wurde  .....................................................  137 Karl Christian Lammers Das Kriegsende 1945 in Dänemark und das künftige Verhältnis Dänemarks zu Deutschland  . . ....................................................................................  155 Fritz Petrick Norwegen 1945  .........................................................................................................  163

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Inhalt

Kent Zetterberg Sweden and the end of the Second World War  ........................................................  175 Manfred Menger Finnlands Übergang vom Krieg zum Frieden 1944/1945  ..........................................  191 Matthias Manke Nach der deutschen Katastrophe. Vorpommern zwischen Mai und September 1945  ...........................................................................  201 Autorenverzeichnis  ...................................................................................................  231 Personenregister  ........................................................................................................  233 Ortsregister  ...............................................................................................................  239

Abkürzungen BALTAP Baltic Approaches BaltSt Baltische Studien Bl. Blatt CDB Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten CIS Commission Internationale de Surveillance du Plébiscite Slesvig DDR Deutsche Demokratische Republik Diss. Dissertation DNA Det norske Arbeidarpartiet DNT Danmark-Norges Traktater DOBN Deutscher Oberbefehlshaber Norwegen EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft HM Hochmeister HR Hanserezesse Hs Handschrift HUB Hansisches Urkundenbuch Jbb. Jahrbücher KPD Kommunistische Partei Deutschlands LAGw Landesarchiv Greifswald LASH Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig LHAS Landeshauptarchiv Schwerin masch. maschinenschriftlich MHA Militärhistoriska Avdelningen MUB Mecklenburgisches Urkundenbuch NATO North Atlantic Treaty Organization NF Neue Folge OBA Ordensbriefarchiv o. D. ohne Datum OF Ordensfolianten OKW Oberkommando der Wehrmacht p. Pagina PU Pergamenturkunden PUB Pommersches Urkundenbuch quadr. Quadrangel SAAB Svenska Aeroplan Aktiebolaget SBZ Sowjetische Besatzungszone SNDC Swedish National Defence College

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Abkürzungen

StAHH Staatsarchiv Hamburg StAP Stadtarchiv Perleberg StAS Stadtarchiv Stralsund StU Städtische Urkunden StV Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert UBStL Urkundenbuch der Stadt Lübeck Urk.-Abt. Urkunden-Abteilung Verf. Verfasser

Einleitung Dieser Band ist allein aufgrund seiner Entstehungsgeschichte schon etwas Besonderes. Er ist die Dokumentation einer Tagung, die zum Zeitpunkt seines Erscheinens noch gar nicht stattgefunden hat. Auch das hat Corona möglich gemacht. 2018 begannen in der Hansestadt Stralsund erste Überlegungen, wie man den 650. Jahres­ tag des Stralsunder Friedens von 1370 angemessen würdigen könnte. Immerhin handelt es sich um eines der wichtigsten Daten in der städtischen Erinnerungskultur. In ­diesem Zusammenhang entstand auch die Idee, die Jahrestage anderer Friedensschlüsse im Ostseeraum und das Ende des Zweiten Weltkriegs, das 2020 ebenfalls 75 Jahre zurücklag, in einer wissenschaftlichen Tagung zu behandeln.1 Die Historische Kommission für Pommern e. V. konnte dafür als Mitveranstalter gewonnen werden. Als Bestandteil des Veranstaltungsprogramms „650 Jahre Stralsunder Frieden“ der Hansestadt Stralsund, das auf einer Pressekonferenz am Freitag, dem 13. März 2020 vorgestellt wurde, sollte die Tagung unter dem Titel „Frieden im Ostseeraum“ am 6. und 7. November 2020 in Stralsund stattfinden. Das ließ sich leider nicht umsetzen und die Tagung wurde auf den November 2022 verschoben. Nichtsdestotrotz begannen die Arbeiten am Tagungsband, der nun vorliegt. Aus unterschiedlichen Gründen – auch hier war es zumeist Corona – konnten nicht alle Referenten ihre geplanten Vorträge entsprechend umarbeiten. Inhaltlich ist der Band so aufgebaut wie die geplante Tagung, d. h., er gliedert sich in zwei Teile, denen der Beitrag des Herausgebers vorangestellt ist. Der erste Teil behandelt Friedensschlüsse im Ostseeraum vom Mittelalter bis in das frühe 20. Jahrhundert. Im zweiten Teil wird das Ende des Zweiten Weltkriegs in den verschiedenen Ostseeanrainerstaaten, in die Norwegen stillschweigend einbezogen wurde, vorgestellt. Da Polen und das Baltikum bzw. die Sowjetunion nicht vertreten sind,2 beschränkt sich dies auf Skandinavien einschließlich Finnland und Deutschland, eingegrenzt auf Vorpommern.

1 Aus einer ähnlichen Motivation heraus, dem Ende des ­Ersten Weltkriegs in Osteuropa mit den Friedensschlüssen vom Februar und März 1918, fand 2018 eine vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa e. V. (GWZO) organisierte Tagung zu ostmitteleuropäischen Friedensschlüssen vom Mittelalter bis zur Gegenwart statt, deren Dokumentation während der Drucklegung ­dieses Bandes erscheint und deshalb hier nur noch erwähnt werden kann: Matthias Hardt, Marcin Wołoszyn (Hg.), Osteuropäische Friedensschlüsse ­zwischen Mittelalter und Gegenwart. Zum 6. Geburtstag von Christian Lübke (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, Bd. 8), Dresden 2021. 2 Verwiesen sei auf die Überblicksdarstellungen: Wlodzimierz Borodziej, Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, München 2010; Karsten Brüggemann, Ralph Tuchtenhagen, Anja Wilhelmi (Hg.), Das Baltikum. Geschichte einer europäischen Region, Bd. 3: Die Staaten Estland, Lettland und Litauen, Stuttgart 2020; Stefan Plaggenborg (Hg.), Handbuch der Geschichte Russlands. 1945 – 1991. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, Stuttgart 2004. Einen aktuellen Überblick zur einschlägigen Literatur bietet Alfred Bischoff (Hg.), Der 8. Mai 1945 – Kriegsende in Europa. Eine kommentierte

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Einleitung

Da dem Stralsunder Frieden von 1370 eine besondere Tagung, organisiert vom Netzwerk Kunst und Kultur der Hansestädte, gewidmet war, die zunächst ebenfalls ausfiel, dann aber im Herbst 2021 nachgeholt werden konnte, wird er auf dieser Tagung bzw. in ­diesem Band nur indirekt im Beitrag des Herausgebers behandelt. Bei den historischen Friedensschlüssen macht der Beitrag von Oliver Auge zum zugegeben nur wenig bekannte Perleberger Frieden von 1420 den Anfang. Er besteht eigentlich aus zwei Verträgen, deren Auswirkungen bis in das 20. Jahrhundert reichten. Der erste Vertrag sicherte der Dynastie der Hohenzollern ihre erst seit wenigen Jahren bestehende Herrschaft in der Mark Brandenburg. Die Hohenzollern blieben bekanntlich bis zum Ende der Monarchie 1918 Markgrafen von Brandenburg, bis zur Königskrönung 1701 der erste Titel, danach der zweite. Der zweite Vertrag führte zum Übergang vormals zum Herzogtum Sachsen-Lauenburg gehörender Gebiete in den Besitz der Hansestädte Hamburg und Lübeck. Die dadurch entstandenen Grenzen hatten bis 1937 Bestand und das damals in hamburgischen Besitz gelangte Bergerdorf und umliegende Orte bilden heute einen Hamburger Stadtbezirk. In den den Verträgen vorausgehenden Auseinandersetzungen und in den Verträgen selbst lassen sich einige für die mittelalterlichen Formen des Konfliktaustrags und der Konfliktlösung charakteristische Elemente erkennen. Der Vertrag z­ wischen den Städten Hamburg und Lübeck mit dem Herzog von Sachsen-Lauenburg war die Beilegung einer Fehde, der üblichen und legitimen Form der militärischen Auseinandersetzung im Mittelalter. Ebenso waren die dem zweiten Vertrag vorausgegangenen Auseinandersetzungen ­zwischen den beteiligten Fürsten eine bzw. mehrere miteinander verwobene Fehden. Im weiteren Verlauf kam es dann auch zu einer für die Konfliktlösung ­zwischen Dynastien typischen Erbei­ nung, verbunden mit einem Heiratsvertrag, nämlich den Perleberger Verträgen ­zwischen Brandenburg (Hohenzollern) und Mecklenburg-Schwerin von 1423. Auch das wiederum in Perleberg auf ewig abgeschlossene Bündnis z­ wischen Brandenburg und den beiden Linien des mecklenburgischen Herzogshauses kann als Erbeinung angesehen werden.3 Klaus Neitmann behandelt keinen konkreten Friedensschluss, sondern analysiert die Landfriedensbündnisse ­zwischen dem Deutschen Orden und den Herzögen von Pommern in der Mitte des 15. Jahrhunderts.4 Er gibt damit Antworten auf zwei zentrale Fragen der Tagung. Indem er die Verfahren der Vertragsschließung untersucht, legt er dar, wie Frieden zu jener Zeit gemacht wurde. Wer war an den Verhandlungen beteiligt, wie wurden die Verträge ausgearbeitet und wer schloss sie? Die Analyse der Vertragsinhalte gibt uns eine Vorstellung davon, was man damals unter (Land-)Frieden verstand. Resümierend stellt



Auswahlbibliographie (Edition Bibliographien zur Geschichte und Kultur Europas, Bd. 5), Berlin 2020. 3 Zu den Erbeinungen siehe Uwe Tresp, Erbeinungen, in: Irene Dingel u. a. (Hg.), Handbuch Frieden im Europa der frühen Neuzeit. Handbook of Peace in Early Modern Europe, Berlin, Boston 2021, S. 209 – 225. 4 Zum Landfrieden siehe Duncan Hardy, Landfrieden, in: Dingel u. a. (wie Anm. 3), S. 151 – 169.

Einleitung

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Neitmann zudem fest, dass der angeblich so reichsferne Nordosten das Handwerkszeug der Diplomatie kompetent beherrschte. Zudem wurden die Landfriedensbündnisse z­ wischen dem Deutschen Orden und den Herzögen von Pommern auf Augenhöhe ausgehandelt und zielten auf eine weit gehende Gleichbehandlung der Vertragspartner ab, im Gegensatz zu vielen anderen Landfriedensbündnissen, die häufig von der jeweiligen regionalen Hegemonialmacht bestimmt waren. Der Stettiner Frieden von 1570 markiert in mehrfacher Hinsicht ein neues Zeitalter. Der durch ihn beendete Nordische Siebenjährige oder Dreikronenkrieg ist die letzte größere militärische Auseinandersetzung der Hansestadt Lübeck und zugleich der Beginn der Rivalität der Königreiche Dänemark-Norwegen und Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Die Hanse als Bündnis der Kaufleute bzw. der von ihnen beherrschten Städte hatte ihre dominierende Rolle auf der Ostsee verloren und sich mehr und mehr auf Lübeck reduziert. Anders als bei den Auseinandersetzungen des späten 14. und des 15. Jahrhunderts kam kein Bündnis mit weiteren Städten mehr zustande. Die führende Rolle hatten längst die sich entwickelnden Machtstaaten, wie sie in der skandinavischen Forschung bezeichnet werden, übernommen.5 Gewandelt hatte sich im Vergleich zum Mittelalter auch der Charakter der militärischen Auseinandersetzungen. An die Stelle der Fehde z­ wischen Fürstenhäusern war der Krieg ­zwischen institutionalisierten Staaten getreten. Der zeitgenössischen Vorstellung nach galt aber der Krieg als der Ausnahme- und der Frieden als der Normalzustand in den zwischenstaatlichen Beziehungen.6 Gerade in den Beziehungen ­zwischen den beiden nordischen Staaten ist erkennbar, dass bis weit in das 17. Jahrhundert andere Formen der Konfliktregulierung dominierten. Bengt Büttner betont die Bedeutung der weiterhin stattfindenden Schlichtungs- und Schiedsverfahren, die zumeist unter Beteiligung der jeweiligen Reichsräte in grenznahen Orten stattfanden und aus der Zeit der Kalmarer Union (1397 – 1523) fortgeführt wurden. Und die Aushandlung des Friedens erfolgte als internationaler Kongress unter der Leitung eines kaiserlichen Kommissars und mit Beteiligung von Gesandten mehrerer Königs- und Fürstenhäuser, die bereits im Vorfeld auf diplomatischem Weg zur Beendigung des Krieges beigetragen hatten. Ausgefertigt wurden am 13. Dezember 1570 schließlich drei Vertragsdokumente, der Friedensvertrag z­ wischen Schweden und Dänemark, der Friedens­vertrag ­zwischen Schweden und Lübeck und der Vertrag ­zwischen dem Reich und Schweden über Livland.7



5 Als Überblick siehe Jens E. Olesen, Der Kampf um die Ostseeherrschaft z­ wischen Dänemark und Schweden (1563 – 1720/21), in: Geschichte, Politik und Kultur im Ostseeraum, hg. v. Jan Hecker-Stampehl, Bernd Henningsen, Berlin 2012, S. 59 – 79. 6 Anuschka Tischer, Zwischenstaatlicher Frieden, in: Dingel u. a. (wie Anm. 3), S. 321 – 341, hier S. 321. 7 Zu den frühneuzeitlichen Friedenskongressen siehe Johannes Burkhardt und Benjamin Durst, Friedenskongresse, in: Dingel u. a. (wie Anm. 3), S. 437 – 453.

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Einleitung

In die Zeit der Kabinettskriege des 17. und 18. Jahrhunderts führt der Beitrag von J­oachim Krüger, auch wenn man den Großen Nordischen Krieg von 1700 bis 1720/21 kaum als klassischen Kabinettskrieg bezeichnen kann. Stand der Frieden von Stettin für den Beginn der Rivalität der beiden Nordischen Reiche um die Vorherrschaft auf der Ostsee, markieren die Friedensschlüsse der Jahre 1719 bis 1721 das Ende dieser Auseinandersetzungen. Auch wenn Schweden der eigentliche Verlierer war und seine Großmachtstellung endgültig verlor, konnte der Rivale Dänemark-Norwegen daraus keinen wirklichen Gewinn erzielen. Neue Hegemonialmacht im Ostseeraum war Russland geworden. Beendet wurde der Große Nordische Krieg nicht mit einem alle Konfliktparteien einschließenden Friedenskongress, sondern in Einzelverträgen, die in verschiedenen Orten ausgehandelt und geschlossen wurden. Der Beitrag von Jens E. Olesen behandelt nur indirekt einen Friedensvertrag, denn Dänemark war keine kriegführende Partei im ­Ersten Weltkrieg. Dennoch sah man mit der Niederlage Deutschlands die Gelegenheit gekommen, die demütigende Grenzziehung von 1864 zu revidieren, und brachte ­dieses Thema in die Friedensverhandlungen von Versailles mit ein. Die Festlegung der neuen Grenze erfolgte dann auch durch eine internationale Kommission. An den Beitrag von Olesen schließt der von Karl Christian Lammers thematisch an. Er eröffnet zugleich den zweiten Teil des Bandes, in dem das Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive verschiedener Ostseeanrainer betrachtet wird. Kaum bekannt dürfte sein, dass Dänemark unmittelbar vor Kriegsende als Alliierter anerkannt wurde und deshalb mit eigenen Forderungen an den Friedensverhandlungen teilnehmen durfte. Auf eine Revision der Grenzziehung von 1920 verzichtete man. Auch sonst waren die Forderungen, geleitet von der Erkenntnis, dass Deutschland weiterhin als Nachbar im Süden wichtigster Handelspartner und Teil Europas bleiben würde, von Pragmatismus und Mäßigung gekennzeichnet. Verlangt wurde aber eine vollständige Abrüstung, um Deutschland als Sicherheitsrisiko für Dänemark zu eliminieren. Weitere Forderungen betrafen die Minderheitenrechte und die Internationalisierung des NordOstsee-Kanals. Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen 1947 blieben Abrüstung und Minderheitenrechte die bestimmenden ­Themen im dänisch-deutschen Verhältnis. Als Scheidejahr kann 1955 angesehen werden, als die Bundesrepublik auch mit dänischer Zustimmung Mitglied der NATO wurde. Das weitere Verhältnis der beiden Staaten entwickelte sich im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit. Mit der DDR kam es erst mit der Anerkennung von 1973 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Norwegen als zweites von Deutschland besetztes skandinavisches Land wurde seit Herbst 1944 durch Militäroperationen der Sowjetunion von Finnland aus allmählich befreit, wie Fritz Petrick darlegt. Bemerkenswert ist dabei die Rolle des norwegischen Widerstandes, der in erster Linie von den beiden Organisationen Milorg und Heimatfront getragen wurde. Die endgültige Kapitulation des deutschen Oberbefehlshabers erfolgte am 9. Mai 1945. In den folgenden Wochen kehrten Exilpolitiker und König ins Land zurück. Sie hatten sich bereits 1944 darauf verständigt, die bürgerliche Gesellschaftsordnung der

Einleitung

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­ orkriegszeit w V ­ iederherzustellen und beizubehalten. Hinsichtlich der Außenpolitik verfolgte man zunächst eine Brückenpolitik als Mittler ­zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion, gab diese aber bereits nach wenigen Jahren zugunsten der Hinwendung zum Westen auf. Norwegische Einheiten waren auch in der Britischen Besatzungszone (Niedersachsen) eingesetzt. Schweden war das einzige skandinavische Land, das sich nicht am Krieg beteiligte, dessen Politik während der Kriegsjahre aber dennoch vom Krieg bestimmt wurde. Überwog zunächst die – wenn auch unfreiwillige – Zusammenarbeit mit Deutschland, kam es mit dem Umschwung im Kriegsgeschehen ab dem Winter 1942/43 zu einer immer deutlicheren Annäherung an die Westalliierten. Wie Kent Zetterberg betont, war Schwedens Neutralität sowohl durch innere Faktoren wie nationale Einheit, Gesamtstrategie, Verteidigung, Aufrüstung und Handel (bis August 1944 fast ausschließlich mit Deutschland) als auch durch die Einschätzung aller Großmächte, dass sie ein stabilisierendes Element während des Krieges in Nordeuropa sei, gewährleistet. Wichtig war auch Schwedens Einsatz bei der Rettung von Juden und seine Hilfe für die skandinavischen Nachbarn; u. a. wurden ab 1944 auch norwegische Widerstandskämpfer in Schweden ausgebildet. Finnlands Rolle im Zweiten Weltkrieg muss wohl als einzigartig beschrieben werden. Die Gegnerschaft zur Sowjetunion führte es an die Seite Deutschlands. 1944 schloss es dann angesichts der Kriegslage einen Waffenstillstand mit der Sowjetunion und wandte sich gegen seinen Verbündeten. Obwohl dieser noch umfangreiche Truppenverbände in Finnland stationiert hatte, kam der Rückzug aus dem Krieg genau zum richtigen Zeitpunkt; Eine sowjetische Invasion wurde dadurch verhindert, während Deutschland militärisch nicht mehr zu Vergeltungsaktionen in der Lage war. Trotz erheblicher Bevölkerungs- und auch Gebietsverluste gehörte Finnland nicht zu den am meisten vom Krieg betroffenen Ländern, wie Manfred Menger ausführt. Nicht zuletzt begünstigte die geostrategische Lage Finnlands Schicksal bei Kriegsende. Es lag nicht auf dem Weg nach Berlin bzw. Deutschland wie das Baltikum, Polen oder die Tschechoslowakei, wurde demzufolge nicht von sowjetischen Truppen besetzt und geriet nicht unter direkten Einfluss der Sowjetunion. Man hatte Glück gehabt und passte sich der veränderten Situation an. Diese Flexibilität als Staat ­zwischen den Großmachtblöcken nach 1945 wurde auch international anerkannt und geachtet. Aber dazu gehört auch, dass man in Finnland unbequeme Aspekte aus der Zeit vor 1944 konsequent ausblendete. Der Beitrag von Matthias Manke liefert eine detaillierte Beschreibung der Situation in den vorpommerschen, d. h. der nach Kriegsende, Potsdamer Beschlüssen und sowjetisch-polnischem Grenzvertrag vom 20. September 1945 bei Deutschland verbliebenen Gebietsanteilen der preußischen Provinz bzw. des deckungsgleichen Gaus Pommern, in den Monaten Mai bis September 1945. Im Abschnitt mit dem nüchtern erscheinenden Titel „Vom Krieg zum Frieden“ werden u. a. Vergewaltigungen und Selbstmorde thematisiert. Die folgenden Abschnitte behandeln die Nahrungsmittelversorgung, den Aufbau und die Arbeit der Kommunalverwaltungen. Schließlich wird deren Wirksamkeit zur häufig realitätsfern agierenden Allmacht der Besatzungsmacht und der ebenso ­realitätsfernen

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Einleitung

Propaganda der ihr assistierenden kommunistischen Funktionäre in Beziehung gesetzt. Nicht alle Th ­ emen konnten im Rahmen d ­ ieses einen Aufsatzes behandelt werden. Ausdrücklich benennt der Autor die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den Ostgebieten oder das „Sondergebiet“ der Pölitzer Enklave bzw. Stettiner Zipfels. Hier liegen allerdings auch bereits Studien vor, von denen nur einige beispielhaft genannt sein mögen.8 Mankes Ausführungen bilden einen scharfen Kontrast zu denen der vorhergehenden Beiträge, aber das war auch eine der Intentionen der Tagung und ­dieses Bandes, die unterschiedlichen Folgen des Kriegsendes 1945 in den Ostseeanrainerstaaten darzustellen. Abschließend möchte der Herausgeber seiner Sekretärin Anke Boehk für ihre Unterstützung bei der redaktionellen Bearbeitung der Texte und der Erstellung der Register danken. Stralsund im Advent 2021

8 Von ihnen ­seien nur einige beispielhaft genannt: Martin Holz, Die doppelte Flucht. Die Spezifik des Kriegsendes 1945 am Beispiel Vorpommern, in: Zeitgeschichte regional, 9 (2005), H. 1, S. 16 – 25; ders., Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene auf der Insel Rügen 1943 – 1961 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, Bd. 39), Köln, Weimar, Wien 2003; Jan Berg, Ungeliebte Neuankömmlinge. Flüchtlinge und Vertriebene in Damgarten 1945 – 1947, in: Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, 54 (2016), H. 4, S. 4 – 13; Bernd Aischmann, Der „Pölitzer Bezirk“ 1945/46 – Mecklenburg-Vorpommerns Exklave auf Zeit an der Oder, in: Zeitgeschichte regional, 13 (2009), H. 2, S. 26 – 38; Bartosz Sitarz, Materiały archiwalne dotyczące historii ziemi polickiej wytworzone po 1945 r. w zasobie Archiwum Państwowego w Szczecinie (Archivalien zur Geschichte der Pölitzer Enklave ab 1945 im Bestand des Staatsarchivs Stettin), in: Szczecińskie Studia Archiwalno-Historyczne, 2020, S. 103 – 116.

Stralsund und die Herzöge von Pommern-Wolgast zur Zeit des Stralsunder Friedens Dirk Schleinert

1. Einleitung 21. Juni 1364: Herzog Barnim IV. von Pommern vermittelt in Stralsund einen bis zum 2. Februar 1368 geltenden Waffenstillstand ­zwischen König Waldemar IV. von Dänemark und den verbündeten Hansestädten. Zugleich verspricht er, sich dafür einzusetzen, dass für die Dauer des Waffenstillstandes das Strandrecht in Dänemark und Schonen aufgehoben und die streitigen Zölle gesenkt werden.1 12. Oktober 1365: In Stralsund verbündet sich Herzog Albrecht II. von Mecklenburg mit den Herzögen Wartislaw V., Wartislaw VI. und Bogislaw VI. von Pommern. Sie versprechen, sich gegenseitig gegen jeden Feind des anderen beizustehen. Allerdings sind zwei Herrscher ausgenommen: K ­ aiser Karl IV. und König Waldemar IV. von Dänemark. Den Grund, warum Waldemar ausgenommen war, nennt die Urkunde auch. Die Herzöge von Pommern waren seine Vasallen und verpflichtet, ihm auf Anforderung mit 50 ­Gewappneten in Dänemark zu dienen.2 13. Oktober 1365: Die eben genannten Herzöge von Pommern bekennen in Stralsund, dass sie die Entscheidung in dem Streit mit ihrem Bruder respektive Onkel, Herzog ­Bogislaw V., in die Hände ihrer treuen Mannen und Städte, also der Landstände, gegeben haben. Herzog Bogislaw V. bestätigt den Empfang der Klageartikel seines Bruders und seiner Neffen am 7. November und fordert die Landstände auf, die Entscheidung bis zum 22. Februar, spätestens jedoch bis zum 1. März zu treffen.3 6. Juni 1369: In Stralsund bestätigt Herzog Wartislaw VI. von Pommern der Stadt Stralsund alle von seinen Vorfahren verliehenen Privilegien.4 Im Gegenzug leisten Bürgermeister und Rat dem Herzog den Huldigungseid und erkennen ihn damit als ihren Herrn an. Im Rahmen der gerade bestätigten Privilegien sind sie ihm zu dienen schuldig. 7. Juli 1369: In Ribnitz bestätigt Herzog Albrecht II. von Mecklenburg den mit Herzog Wartislaw  VI . geschlossenen Sühnevertrag.5 Wartislaw hatte sich verpflichtet, die noch ausstehenden Lösegelder für sich und seine Vasallen zu zahlen. Weiterhin verpflichtet er

1 Hanserezesse (HR) I, Bd. I, Nr. 370, S. 288 und Nr. 331, S. 289. Originale Stadtarchiv Stralsund (StAS), Städtische Urkunden (StU) 426 und 427. 2 Mecklenburgisches Urkundenbuch (MUB), Bd. XV, Nr. 9402, S. 535. 3 StAS, StU 434 und 436. 4 StAS, StU 449. 5 MUB, Bd. XVI, Nr. 9938, S. 458.

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Dirk Schleinert

sich, den noch ausstehenden Brautschatz für seine Schwester Elisabeth zu zahlen. Am selben Tag schließen Albrecht, Wartislaw und sein jüngerer Bruder Bogislaw VI. ebenfalls in Ribnitz ein erneutes Hilfsbündnis.6 Albrecht verzichtet auf den Pfandbesitz der zu Pommern gehörenden Vogteien und Schlösser Grimmen und Tribsees. Dafür verpflichten sich Wartislaw und Bogislaw zur Stellung von 60 Gewappneten, die auch zur Heerfolge über See herangezogen werden können. Warum wurde das hier alles aufgezählt? Es soll einen Eindruck von dem komplizierten Beziehungsgeflecht einiger Akteure während der Auseinandersetzungen der Hansestädte mit König Waldemar IV. von Dänemark in der zweiten Hälfte der 1360er Jahre geben. Und es soll deutlich werden, dass diese Auseinandersetzungen nur einer von mehreren Handlungsräumen waren, in denen die Beteiligten gleichzeitig agieren mussten. Dieser Beitrag versucht, die Jahre z­ wischen 1360 und 1370 aus einer etwas anderen Perspektive darzustellen, nämlich der der Herzöge von Pommern-Wolgast, zugleich Fürsten von Rügen. Etwa nach dem Motto: Was war außer dem Krieg der Hansestädte mit Waldemar von Dänemark noch so los in Stralsund und Vorpommern? Er orientiert sich dabei an der jüngst von Oliver Auge formulierten Forderung, dass nur eine Verknüpfung von klassischer Hansegeschichte mit der Regionalgeschichte der Erfassung dieser Komplexität der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Ebenen des historischen Geschehens in einer Region gerecht werden kann.7 Für den gewählten Untersuchungsraum, das Herzogtum Pommern-Wolgast mit dem gerade erst von jenem erworbenen Fürstentum Rügen, die darin gelegenen Städte, insbesondere Stralsund, und die benachbarten Fürsten­tümer und Königreiche, insbesondere Mecklenburg, Werle und Dänemark, knüpft diese Untersuchung an die Arbeiten Horst Wernickes und Heidelore Böckers aus den 1980er und 1990er Jahren an.8

6 MUB, Bd. XVI, Nr. 9939, S. 465. 7 Oliver Auge, Die Hanse in der Region und Regionalgeschichte, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte, 37 (2019), S. 37 – 56. 8 Horst Wernicke, Studien zum Verhältnis der Städtehanse zum norddeutschen Fürstentum und zum Reich, Diss. B, masch., Greifswald 1984. Ein Verzeichnis der daraus hervorgegangenen Aufsätze in: Sonja Birli, Nils Jörn, Christian Peplow, Haik Thomas Porada, Dirk Schleinert (Hg.), ene vruntlike topesatte. Beiträge zur Geschichte Pommerns, des Ostseeraums und der Hanse. Festschrift für Horst Wernicke zum 65. Geburtstag (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft, Bd. 12), Hamburg 2016, S. 32 – 39; Heidelore Böcker, Regionale Bindungen und gesamthansische Beziehungen pommerscher Städte im Mittelalter, in: Hansische Geschichtsblätter, 112 (1994), S. 57 – 96; dies., Die Bedeutung von Städten bei der Festigung feudaler Territorialherrschaften am Beispiel des Fürstentums Rügen, in: Beiträge zur Geschichte Vorpommerns. Die Demminer Kolloquien 1985 – 1994, hg. v. Haik Thomas Porada, Schwerin 1997, S. 125 – 128.

Stralsund und die Herzöge von Pommern-Wolgast

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2. Der Untersuchungszeitraum – eine Krisenzeit? Vor der Darstellung und Analyse der Ereignisse soll kurz skizziert werden, in welcher Zeit sie sich abspielten. Unter w ­ elchen Rahmenbedingungen lebten die Menschen im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts und agierten schließlich auch die Entscheidungsträger der 1360er Jahre? Es ist quasi die mittlere Dauer innerhalb des Konzeptes der longue durée Fernand Braudels, wogegen die anschließende Darstellung der Ereignisgeschichte die dritte Dauer abbildet.9 Beginnen wir diesen Abschnitt mit einem Zitat. Und umb diese Zeit ist noch groß Sterben und Teurung im Lande zu Pommern gewest. Dann vom siebenundsechzigsten Jahre sagt die Matrikul zu Marienthron diese Wort: Es ist itzund das eilfte Jahr, sieder daß wir dies Kloster gehabt, darinne mannigerlei Strafen Gottes gewuetet haben. Dann fast bei 20 Jahren hat die Pestilenz die ganze Welt uberfallen, darzu noch große Teurung und Hunger geschlagen seins. Dann wie wir ins Kloster kemen, hat der Scheffel Korns gegolten zehen genge Schillinge, das ist ein halber Gulden, welches nach Art d ­ ieses Landes sehr teur ist. Jtzund gilt er an d ­ iesem Ort einen Gulden und sonst zum Sunde und in der Mark anderthalb Gulden, darumb viele Volkes beide an Pestilenz und Hunger ist umbkommen. Also hat unser Herr Gott zu dieser Zeit die Welt heimgesucht und einmal Raum gemacht.10

Inwieweit dieser Auszug aus der Matrikel des Klosters Marienthron bei Neustettin authentisch ist, können wir nicht mehr nachprüfen, denn sie hat sich nicht erhalten.11 Trotzdem liest sich das Zitat wie eine Kurzbeschreibung des Spätmittelalters, jedenfalls nach dem Bild, das die Forschung seit Jahren davon gezeichnet hat und wie es in den gängigen Gesamtdarstellungen noch vermittelt wird.12 Im Gegensatz zu den Jahrhunderten zuvor erscheint der Zeitraum ­zwischen der Mitte des 14. und dem Anfang des 16. Jahrhunderts als eine Zeit der Krisen. Seuchen, beginnend mit dem sogenannten Schwarzen Tod der Jahre 1346 bis 1353, suchten Europa immer wieder heim.13 Das Klimaoptimum des 11. bis 9 Fernand Braudel, Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée, in: Marc Bloch, Fernand Braudel, Lucien Febvre, Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zu einer systematischen Aneignung historischer Prozesse, hg. v. Claudia Honegger, Frankfurt am Main 1977, S. 47 – 85. 10 Georg Gaebel (Hg.), Pomerania. Eine pommersche Chronik aus dem 16. Jahrhundert, Stettin 1908, S. 288. 11 Hermann Hoogeweg, Die Stifter und Klöster der Provinz Pommern, Bd. 2, Stettin 1925, S. 224. 12 Stellvertretend Ulf Dirlmeier, Gerhard Fouquet, Bernd Fuhrmann, Europa im Spätmittel­ alter 1215 – 1378 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 8), München 2009, S. 1 – 21. 13 Manfred Vasold, Die Ausbreitung des Schwarzen Todes in Deutschland nach 1348. Zugleich ein Beitrag zur deutschen Bevölkerungsgeschichte, in: Historische Zeitschrift 277 (2003),

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frühen 14. ­Jahrhunderts ging zu Ende.14 Es hatte eine Ausweitung der Landwirtschaft ermöglicht, die wiederum ein Bevölkerungswachstum auslöste. Ohne ­dieses wäre der für die Geschichte des südlichen Ostseeraums fundamentale Prozess des deutschrechtlichen Landesausbaus vom 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert nicht denkbar.15 Von der eigent­ lichen Kleinen Eiszeit, die bis zum 19. Jahrhundert andauern und im 17. Jahrhundert ihren Höhe-, besser wohl Tiefpunkt erreichte, kann man in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zwar noch nicht reden. Aber der Höhepunkt des Klimaoptimums war überschritten. Eine Folge war der allmähliche Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge, was mittel- und langfristig wieder zu einer Stagnation und letztlich zu einem Rückgang der Bevölkerung führte. Sichtbarstes ­Zeichen dafür sind die Wüstungen dieser Zeit, sowohl Orts- als auch Flurwüstungen. Die diesbezüglichen Arbeiten Wilhelm Abels haben unser Bild von der Krisenhaftigkeit des Spätmittelalters wesentlich geprägt.16 Um 1370 stehen wir, europa- und weltweit gesehen, am Beginn eines Epochenwandels, der bereits knapp ein Jahrhundert zuvor begonnen hatte und in der neueren Literatur mit dem Begriff „The Great Transition“ oder „The crisis of the 14th century“ bezeichnet wird.17 Aber stimmt das Bild, insbesondere für Pommern bzw. den Ostseeraum? Beschreibt das oben referierte Zitat nur die Momentaufnahme eines ­kurzen Zeitabschnitts oder ist es tatsächlich der Beginn einer länger anhaltenden Krise? Beginnen wir mit der Pest. 1350 erreichte diese Seuche bisher ungekannten ­Ausmaßes auch die südliche Ostseeküste.18 Sie verursachte große Bevölkerungsverluste. Bis in die jüngste Vergangenheit liest man in den gängigen Überblicksdarstellungen, dass rund ein Drittel bis hin zur Hälfte der Bevölkerung starb. Das wird aber in der neueren Forschung angezweifelt.19 Die Verlustraten ­seien differenzierter zu betrachten. Dort, wo genauere Zahlen in den Quellen vorhanden sind, ergeben sich z. T. deutlich niedrigere S.  281 – 308; ders., Grippe, Pest und Cholera. Eine Geschichte der Seuchen in Europa, Stuttgart 22015. 14 Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, München 42011, S. 108 – 122; Rüdiger Glaser, Historische Klimatologie Mitteleuropas, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz–Institut für Europäische Geschichte, Mainz 2012 – 09 – 19, URL: http://www.ieg-ego.eu/glaserr-2012-de, URN:urn:nbn:de:0159-2012091821, Abschnitt 16, letzter Zugriff am 10. 01. 2021. 15 Walter Kuhn, Vergleichende Untersuchungen zur mittelalterlichen Ostsiedlung, Köln, Wien 1973; Charles Higounet, Die deutsche Ostsiedlung im Mittelalter, Berlin 1990. 16 Wilhelm Abel, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Hamburg 31978. 17 Bruce M. S. Campbell, The Great Transition. Climate, disease and society in the late-medieval world, Cambridge 2016; Martin Bauch, Gerrit Jasper Schenk (Hg.), The crisis of the 14th century. Teleconnections between environmental and societal change? (Das Mittelalter, Beihefte 13), Berlin 2020. 18 Jürgen Hartwig Ibs, Die Pest in Schleswig-Holstein von 1350 – 1547/48 (Kieler Werkstücke, Bd. 12), Frankfurt am Main u. a. 1994. 19 Vasold, Ausbreitung (wie Anm. 13), S. 304.

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S­ terberaten. In anderen Gebieten oder Ländern, z. B. Norwegen, sind sie dagegen erheblich höher.20 Allerdings liegen ­solche Zahlen nur für die wenigstens Städte vor, für das platte Land fehlen sie ganz. Wie zuverlässig die knappen Hinweise in den Chroniken sind, die in der Regel Jahrzehnte, wenn nicht noch ­später nach den Ereignissen aufgeschrieben wurden, ist kaum überprüfbar. In einer stralsundischen Chronik des 15. Jahrhunderts lesen wir diesen Eintrag: „Anno Domini 1350 do was eyn grot doet; do starf dar dat drudde part volckes.“ 21 Genauere Angaben haben wir für Stralsund nicht. Aber es gibt Indizien in anderen Quellen, die diesen chronikalischen Eintrag bestätigen. Zum einen ist das Jahr 1350 das­ jenige, aus dem die mit Abstand meisten Testamente vorliegen.22 Zum anderen gab es, sollte nicht ein Fehler des Schreibers vorliegen, in ­diesem Jahr keine Bürgerrechtsverleihungen.23 1358 gab es erneut eine Pestwelle an der südlichen Ostseeküste,24 und 1359 haben wir wieder eine Spitze bei den Testamenten in Stralsund,25 dafür aber sowohl 1358 als auch 1359 Bürgerrechtsverleihungen. Von 1367 bis 1369 trat die Pest wieder auf. Stralsund scheint 1368 betroffen gewesen zu sein.26 Wieder schnellt die Zahl der Testamente nach oben 27 und diesmal fehlen auch wieder die Bürgerrechtsverleihungen.28 1365 starb Herzog ­Barnim  IV. von Pommern-Wolgast und bereits im Jahr davor dessen Ehefrau Sophia, beide „in der Pestilenz“ bzw. „im selben Sterben“.29 Bis in das frühe 18. Jahrhundert blieb 20 Ole Jørgen Benedictow, Svartedauen og senere Pestepidemier i Norge. Pestepidemiens historie 1348 – 1654, Oslo 2002. 21 Rudolf Baier (Hg.), Zwei Stralsundische Chroniken des fünfzehnten Jahrhunderts, Stralsund 1893, S. 4, Original StAS, Hs 464. Vgl. auch Ingrid Coch, Geschichtliches über die Pest in Stralsund, Diss. masch., Greifswald 1964, S. 25. 22 Johannes Schildhauer, Hansestädtischer Alltag. Untersuchungen auf der Grundlage der Stralsunder Bürgertestamente vom Anfang des 14. bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. 28), Weimar 1992, S. 12, 18. 23 StAS, Hs 30. Dort sind keine mit der Jahreszahl 1350 ausgewiesenen Eintragungen vorhanden, es sei denn, bei der Rubrik „Infra collectam“ auf Bl. 2r wurde die Jahresangabe vergessen. Aber auch dann wären 1350 nur 85 Eintragungen erfolgt, im Gegensatz zu 128 für 1349 und 244 für 1351. Da die Zahl für 1349 inklusive der 85 Eintragungen mit 213 wesentlich näher an denen für 1348 (239) und 1351 (244) liegt, scheint die Variante, dass es 1350 keine Eintragungen gegeben hat, die wahrscheinlichere. 24 Ibs (wie Anm. 18), S. 97 – 99. Zieht man die Bürgerrechtsverleihungen als Indikator heran, ist aber 1357 das wahrscheinlichere Jahr, denn in d ­ iesem erfolgten keine Einträge (StAS, Hs 30, Bl. 5v–6v (1356), Bl. 7r/v (1358). 25 Schildhauer (wie Anm. 22), S. 12, 18, wo das ganze Jahrzehnt von 1349 bis 1359 als eine wahrscheinlich durch Pestepidemien verursachte Spitze bei der Errichtung von Testamenten bezeichnet wird. 26 Ibs (wie Anm. 18), S. 199 – 204. 27 Schildhauer (wie Anm. 22), S. 12. 28 StAS, Hs 30: Die Eintragungen für 1367 reichen von Bl. 15v bis Bl. 17v, die für 1369 beginnen auf Bl. 18r. Hier ist der Befund eindeutiger als für 1350. 29 Gaebel (wie Anm. 10), S. 287.

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die Pest eine immer wiederkehrende Bedrohung für die Menschen in Stralsund und an der südlichen Ostseeküste.30 Eine zweite ansteckende Krankheit sollte nicht ganz außer Acht bleiben, die Lepra oder der Aussatz.31 Sie gab es schon länger und sie richtete auch nicht Verheerungen wie die Pest an. Allerdings war sie eine Dauererscheinung in den Städten des Mittelalters. Deutlichstes Z ­ eichen der Gefahr, die von ihr ausging, war die Errichtung von St.-Georg-­ Hospitälern, in Norddeutschland üblicherweise mit der niederdeutschen Namensvariante St. Jürgen bezeichnet. In Stralsund lässt sich ein solches Hospital, das stets vor den Mauern der Stadt errichtet wurde, seit 1278 nachweisen.32 Erst im 16. Jahrhundert verschwand die Lepra allmählich.33 Wüstungen gelten seit den Forschungen von Wilhelm Abel als der Ausdruck der spätmittel­alterlichen Krise.34 Als Ursachen werden v. a. der Bevölkerungsrückgang durch Seuchen und die Klimaverschlechterung genannt. Gab es ein nennenswertes Wüstungs­ geschehen in Vorpommern? Nach den Untersuchungen von Karl Lenz für die Insel Rügen hielt es sich dort im 14. und 15. Jahrhundert in engen Grenzen.35 Zudem handelte es sich offenbar in erster Linie um Ortswüstungen. Das heißt, die landwirtschaftlichen Flächen blieben überwiegend weiterhin in Nutzung. Vom Festland hat sich der Autor selbst viele Jahre mit dem Land Loitz beschäftigt. Alle dort bekannten Wüstungen entstanden erst im 15. Jahrhundert, und es fällt auf, dass sie schwerpunktmäßig in Gebieten mit schlechter Bodenqualität auftraten. In der Regel sind es wie auf Rügen offenbar reine Ortswüstungen, deren Wirtschaftsflächen von anderen Orten aus weiter bewirtschaftet wurden, wenn auch zumeist in extensiver Form als Weideland.36 30 Jörg Zapnik, Pest und Krieg im Ostseeraum. Der „Schwarze Tod“ in Stralsund während des Großen Nordischen Krieges (1700 – 1721) (Greifswalder Historische Studien, Bd. 7), Hamburg 2007. 31 Dirlmeier, Fouquet und Fuhrmann (wie Anm. 12), S. 21. 32 Peter Pooth, Das Kloster St. Jürgen am Strande zu Stralsund, in: Baltische Studien (BaltSt), NF  36 (1934), S. 60 – 90; ders., Das Kloster St. Jürgen vor Rambin auf Rügen, in: BaltSt, NF 42 (1940), S. 62 – 89. 33 Vasold, Grippe (wie Anm. 13), S. 135 – 136; Martin Uhrmacher, Leprosorien in Mittelalter und früher Neuzeit (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft 8.5, Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde NF 12, Abt. 1b), Köln 2000. 34 Wilhelm Abel, Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 1), Stuttgart 1955. Einen aktuellen Überblick zum Thema bietet Eike Henning Michl, Wüstungsforschung in Deutschland. Eine Einführung, Norderstedt 2021. 35 Karl Lenz, Die Wüstungen der Insel Rügen (Forschungen zur Deutschen Landeskunde, Bd. 113), Remagen 1958, S. 23 – 31. 36 Von den 102 im Bederegister des Landes Loitz von 1343 genannten Orten (Pommersches Urkundenbuch (PUB) XI, Nr. 6190, S. 280) sind knapp 10 % wüst gefallen, einige davon aber wieder im 16. Jahrhundert besiedelt; vgl. Fritz Curschmann, Das Bederegister des Landes Loitz von 1343, in: Pommersche Jahrbücher, 34 (1940), S. 1 – 46 und ergänzend zu den wieder aufgebauten Wüstungen Dirk Schleinert, Die Gutswirtschaft im Herzogtum PommernWolgast im 16. und frühen 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission

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Soweit es der gegenwärtige Forschungsstand zulässt, kann also davon ausgegangen werden, dass es in Vorpommern keine gravierenden Einschnitte bei der Bevölkerungszahl und der bewirtschafteten Flächen durch Wüstungsprozesse im Spätmittelalter gegeben hat. Wie steht es mit Veränderungen beim Klima? Das ist schwer zu beantworten, jedenfalls für einen begrenzten Raum wie Vorpommern bzw. die Gebiete an der südlichen Ostseeküste. Die chronikalische Überlieferung erwähnt besondere Ereignisse,37 bietet aber keine Grundlage für längerfristige Trends. Aber auch punktuelle Wetteranomalien konnten beträchtliche Auswirkungen haben, wie das obige Zitat aus der Matrikel des Klosters Marienthron verdeutlicht.38 Was kann man als Fazit sagen? Auf jeden Fall war die äußere Expansion der Gesellschaft an der südlichen Ostseeküste in der Mitte des 14. Jahrhunderts abgeschlossen. Die Gründung von neuen Städten und Dörfern war so gut wie beendet. Die Urbarmachung von Neuland war es auch. Das Fell des Bären war also, salopp gesagt, aufgeteilt. Wer vor Ort jetzt mehr wollte, konnte dies nur noch auf Kosten des anderen. Oder man wich auf entferntere Gegenden, wie etwa das zum Teil noch heidnische Baltikum, aus. Viele der Konflikte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts können deshalb auch als Verteilungskämpfe um die vorhandenen Ressourcen verstanden werden. Bei den Auseinandersetzungen der Hansestädte mit Dänemark unter Waldemar IV. tritt dies ganz deutlich zutage. Der Kampf um die Handelsprivilegien der Städte war in erster Linie ein Kampf um die Erträge des Handels und der ihm zugrunde liegenden Wirtschaftszweige. Der erhebliche Stellenwert des Handels mit dem Hering von Schonen erklärt vieles von der Intensität der hansisch-dänischen Kriege der 1360er Jahre.

3. Handlungsfelder der Stadt Stralsund und der pommerschen Herzöge Die beiden Hauptakteure, deren Handeln analysiert werden soll, sind die Hansestadt Stralsund und die pommerschen Herzöge Wolgaster Linie. Bei näherer Betrachtung f­ allen verschiedene Handlungsräume oder Perspektiven des Handelns ins Auge. Beginnen wir mit Stralsund. Ein Handlungsfeld ist die Mitgliedschaft im Städtebund der Hanse. Sie sicherte den Erwerbszweig der Stadt, der die Grundlage für ihre Entstehung und ihre Bedeutung als für Pommern, Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, Bd. 36), Köln, Weimar, Wien 2001, S. 87, 134. 37 Für das Jahr 1323 wird ein strenger Winter genannt, der die Ostsee komplett zufrieren ließ, sodass man von Pommern nach Dänemark auf dem Eis fahren konnte (Gaebel (wie Anm. 10), S. 253), für das Jahr 1347 starker Schneefall (ebd., S. 278). 38 In den Chroniken erwähnte Hungersnöte und Teuerungswellen können auch auf Missernten hinweisen, die wiederum auf Wetteranomalien zurückzuführen sind. Eine Hungersnot wird außer im o. g. Zitat für die Jahre ­zwischen 1350 und 1367 noch für 1403 genannt (Gaebel (wie Anm. 10), S. 315).

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Gemeinwesen war: den Handel, insbesondere den Seehandel. Stralsund ist in erster Linie eine Fern- und Zwischenhandelsstadt.39 Ein zweites Handlungsfeld ist das Hinterland.40 Dieses lässt sich gleich in mehrere Unterfelder teilen, die teilweise miteinander verknüpft sind. Da sind zunächst die Herzöge von Pommern als Landesherren.41 Sie garantierten einen bedeutenden Teil der Privilegien der Stadt und damit die Rechtssicherheit innerhalb ihres Herrschaftsbereichs. Dem Landesherrn trat Stralsund entweder als Einzelkommune oder korporativ als Teil der Landstände gegenüber. Dann sind da die Städte im Hinterland und das Hinterland selbst als Partner und Gegenstand des Landhandels.42 Hier haben wir auch eine Überschneidung mit dem Handlungsfeld Hanse. Denn See- und Landhandel sind miteinander verknüpft. Des Weiteren sind hier die Beziehungen zum umwohnenden Adel und zu anderen Grundbesitzern zu zählen.43 Diese Beziehungen erhielten ihre besondere Bedeutung dadurch, dass ­Stralsund, 39 Konrad Fritze, Die Hansestadt Stralsund. Die beiden ersten Jahrhunderte ihrer Geschichte (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Stralsund, Bd. 4), Schwerin 1961; ders., Entstehung, Aufstieg und Blüte der Hansestadt Stralsund, in: Herbert Ewe (Hg.), Geschichte der Stadt Stralsund (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Stralsund, Bd. 10), Weimar 1984, S. 9 – 102. 40 Horst Wernicke, Auseinandersetzungsformen der Städtehanse und der hansischen Städtemitglieder mit der feudaladligen Umwelt. Stufen einer Klassenauseinandersetzung, in: Wissen­ schaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 30 (1981), H. 1 – 2, S. 21 – 28; ders., Städtehanse und Stände im Norden des Deutschen Reiches zum Ausgang des Spätmittelalters, in: Der Ost- und Nordseeraum. Politik – Ideologie – Kultur vom 12. bis zum 17. Jahrhundert (Hansische Studien VII, Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. 25), hg. v. Konrad Fritze, Eckhart MüllerMertens, Johannes Schildhauer, Weimar 1986, S. 189 – 208; ders., Städtehanse und Landstände in Norddeutschland vom 13. bis 15. Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, 36 (1987), H. 3 – 4, S. 82 – 84; ders., 1348 – Karl IV., Pommern und Mecklenburg. Reichspolitik und Nachbarschaft im Konflikt, in: Mecklenburg und das Reich in feudaler und bürgerlicher Gesellschaft. Agrargeschichte – Sozialgeschichte – Regionalgeschichte. Beiträge des Inter­ nationalen Kolloquiums vom 29./30. März 1990 anläßlich des 65. Geburtstages von Prof. Dr. sc. phil. Gerhard Heitz in Rostock (Agrargeschichte, 23), red. v. Ernst Münch, T. 1, Rostock 1990, S.  30 – 35; ders., Das Herzogtum Pommern, das Reich und Dänemark ­zwischen Lehns­ staat, Territorialfürstenstaat und Ständestaat 1348 – 1468, in: Porada (wie Anm. 8), S. 151 – 168. 41 Konrad Fritze, Hansisches Bürgertum und Fürsten in der Konfrontation. Stralsunds Konflikte mit den Pommernherzögen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Hansische Stadt­ geschichte – Brandenburgische Landesgeschichte. Hansische Studien VIII (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. 26), hg. v. Evamaria Engel, Konrad Fritze, Johannes Schildhauer, Weimar 1989, S. 158 – 170. 42 Horst Wernicke, Zwischen Herzögen und der Hanse. Der Vierstädtebund in Vorpommern, in: Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, Bd. 29), hg. v. Werner Buchholz; Günter Mangelsdorf, Köln, Weimar, Wien 1995, S. 197 – 213. 43 Horst Wernicke, Rügisch-pommerscher Adel im Spannungsfeld von Herzogtum und Stadt während des Spätmittelalters, in: Pommern. Geschichte, Kultur, Wissenschaft. 1. Kolloquium

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die ­Kirchen, Hospitäler, aber auch Bürger u. a. selbst umfangreichen Grundbesitz besaßen. Die Bedeutung des Grundbesitzes für die Wirtschaft der Stadt, aber auch ihre Versorgung und nicht zuletzt ihre Sicherheit ist nicht zu unterschätzen.44 Das dritte Handlungsfeld befindet sich innerhalb der Stadt. Die Organisation der für die Versorgung der Stadt notwendigen Wirtschaftszweige, insbesondere des Handwerks, gehört hierzu,45 aber auch die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und der Rechtssicherheit.46 Wahrgenommen wurden die mit allen genannten Handlungsräumen verknüpften Aufgaben durch den Rat bzw. Bürgermeister und Rat, wie es in den Quellen heißt. Dies entsprach dem auch in Stralsund geltenden lübischen Recht, in dem die Machtfülle des Rates in der Legislative, Exekutive und Judikative verankert war.47 Kommen wir zu den Herzögen. Sie haben zwei Handlungsräume.48 Der erste ist ihr Herrschaftsgebiet, also ein nach innen gerichteter Handlungsraum. Als Landesherren sind sie Garanten für den Schutz ihrer Untertanen. Das gilt in rechtlicher wie auch in militärischer Hinsicht, sprich sie waren Gerichtsherren ebenso wie militärische Befehlshaber. Wenigstens Teile der damit zusammenhängenden Aufgaben konnten sie nur im Zusammen­wirken mit den Landständen wahrnehmen.49 zur Pommerschen Geschichte, 13. bis 15. November 1990, hg. v. Hans-Jürgen Zobel, Greifswald 1991, S. 60 – 69. 44 Konrad Fritze, Bürger und Bauern zur Hansezeit. Studien zu den Stadt-Land-Beziehungen an der südwestlichen Ostseeküste vom 13. bis zum 16. Jahrhundert (Abhandlungen zur Handelsund Sozialgeschichte, Bd. 16), Weimar 1976; ders., Stadt-Land-Beziehungen im hansischen Bereich im Mittelalter, in: Gewerbliche Produktion und Stadt-Land-Beziehungen. Hansische Studien IV (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. 18), hg. v. Konrad Fritze, Eckhard Müller-Mertens, Johannes Schildhauer, Weimar 1979, S. 109 – 117. 45 Konrad Fritze, Am Wendepunkt der Hanse. Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte wendischer Hansestädte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Bd. 3), Berlin 1967; ders., Entwicklungsprobleme der nichtagrarischen Produktion im hansischen Wirtschaftsraum, in: Fritze, Müller-Mertens, Schildhauer (wie Anm. 44), S. 13 – 25. 46 Konrad Fritze, Bürgervertretungen in wendischen Hansestädten, in: Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas. Beiträge zu Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit (Städteforschung A. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, Bd. 34), hg. v. Wilfried Ehbrech, Köln, Weimar, Wien, 1994, S.  147 – 157. 47 Wilhelm Ebel, Lübisches Recht im Ostseeraum (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 143), Köln, Opladen [1967]. 48 Oliver Auge, Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit (Mittelalter-Forschungen, Bd. 28), Ostfildern 2009; vgl. auch: André R. Köller, Landesherrliche Handlungsräume und Handlungsspielräume im spätmittelalterlichen Hansischen Durchgangsgebiet am Beispiel der Grafen von Hoya, in: Rudolf Holbach und Henning Steinführer (Hg.), Hansestädte und Landesherrschaft (Hansische Studien XXVIII), Wismar 2020, S. 39 – 71. 49 Dietmar Willoweit, Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, in: Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh (Hg.),

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Ihr zweiter Handlungsraum waren die Außenbeziehungen. Hier lässt sich wieder eine Untergliederung in zwei Teilräume feststellen. Zum einen waren die Herzöge Untertanen bzw. Vasallen übergeordneter Herrscher. Das war einmal seit 1348 für alle Herzöge von Pommern der K ­ aiser. Aber seit 1325 war auch das Fürstentum Rügen Teil des Herrschaftsgebietes der Wolgaster Herzöge. Dort herrschten sie aber nicht als Herzöge von Pommern, sondern als Fürsten von Rügen. Und als ­solche waren sie Vasallen des Königs von Dänemark. Das war von erheblicher Bedeutung für ihr Verhalten während der hansisch-dänischen Auseinandersetzungen der 1360er Jahre.50 Zugleich waren sie auch Grundbesitzer ausgedehnter Ländereien im eigentlichen Königreich Dänemark. Den Chroniken des 16. Jahrhunderts zufolge gehörten den pommerschen Herzögen um 1370 Listern, Stevenherde, Huddingen und Fledingen. Soweit sich diese Orts- bzw. Landschaftsbezeichnungen identifizieren lassen, handelt es sich dabei um Lister bei Sölvesborg in Blekinge (heute Schweden), Stevns Herred und Store Heddinge auf Seeland. Lediglich Fledingen konnte bislang noch nicht zugeordnet werden. Der gleichen Quelle zufolge wurden den Herzögen diese Besitzungen von König Waldemar bei seinem Aufenthalt in Wolgast im Herbst 1363 nicht nur bestätigt, sondern er „vermehrete ihnen dieselbigen“ noch. Auch dieser Umstand beeinflusste das ­Verhalten der Herzöge.51 Der zweite Handlungsteilraum in den Außenbeziehungen der pommerschen Herzöge ist ihr Verhältnis zu den benachbarten Herrschaftsträgern, insbesondere den Fürsten und geistlichen Landesherren. Wesentlicher Bestandteil dieser Beziehungen waren die dynastischen Verbindungen zu den benachbarten Fürstenhäusern. Diese existierten im Betrachtungszeitraum insbesondere z­ wischen Mecklenburg/Werle und Pommern gleich mehrfach.52 Nachdem wir den Handlungsrahmen abgesteckt haben, kehren wir an den Anfang des Beitrags zurück und versuchen nun, die dort aufgezählten Dokumente einzuordnen. Deutsche Verwaltungsgeschichte. 1. Band: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, Stuttgart 1983, S. 66 – 142; Ernst Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 35), München 22006; Auge (wie Anm. 48), S.  96 – 170. 50 Ralf-Gunnar Werlich, Greifen, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch (Residenzenforschung 15/1), Ostfildern 2003, S. 74 – 84; ders., Pommern, in: ebd., S. 871 – 880. 51 Gaebel (wie Anm. 10), S. 287 (Zitat), 292. Siehe auch Joachim Krüger, Die dänischen Könige als Lehnsherren der Herzöge von Pommern-Wolgast 1325 – 1438 anhand der urkundlichen Überlieferung, in: BaltSt, NF 95 (2009), S. 9 – 34. Für die Identifizierung der in den Chroniken genannten dänischen Orte und Landschaften ein herzlicher Dank an Jens E. O ­ lesen, Joachim Krüger und Bengt Büttner. 52 Die Beziehungen zu Mecklenburg und Werle am ausführlichsten bei Werner Strecker, Die äußere Politik Albrechts II. von Mecklenburg, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, 48 (1913), S. 1 – 300. Vgl. auch Auge (wie Anm. 48), S.  201 – 255.

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4. Stralsund und die Herzöge von Pommern-Wolgast in den Waldemarkriegen Mit der Eroberung und Plünderung von Gotland und Visby im Juli 1361 durch ­Waldemar IV. von Dänemark war die Zeit der Verhandlungen mit den Hansestädten vorbei. Noch auf dem Hansetag zu Greifswald am 1. August 1361 beschlossen die dort versammelten Vertreter der Städte den Abbruch des Handels und Verkehrs mit Dänemark. Auf der folgenden, ebenfalls in Greifswald stattfindenden Versammlung am 7. September 1361 wurden die diesbezüglichen Festlegungen nochmals verschärft. Die Städte verbündeten sich mit den ebenfalls anwesenden Königen von Schweden und Norwegen gegen Dänemark. Zudem wurde eine neue Abgabe, der Pfundzoll, zur Deckung der zu erwartenden Ausgaben beschlossen.53 Stralsund verpflichtete sich, gemeinsam mit Greifswald sechs Koggen, sechs Schniggen oder Schuten, 600 Gewappnete sowie eine Blide (Wurfmaschine) und ein Werk (Belagerungsgerät) zu stellen. Damit waren diese beiden Städte gleichauf mit Lübeck, das allein diese Anzahl an Schiffen, Mannschaft und Kriegsgerät stellte, sowie Rostock und Wismar, die zusammen ebenso viel stellten.54 Der Feldzug der vor allem wendischen und pommerschen Hansestädte des Jahres 1362 verlief für diese bekanntlich unglücklich. Ein Waffenstillstand beendete zunächst die Kampfhandlungen bis zum 6. Januar 1364. Im Herbst 1363 gab es intensive Verhandlungen ­zwischen den Hansestädten und König Waldemar. Letzterer hielt sich dabei zeitweise bei seinen Vasallen, den pommerschen Herzögen, in Wolgast auf. Diese versuchten zu vermitteln. Die Verhandlungen scheiterten und die Hansestädte rüsteten zu Beginn des Jahres 1364 zu einem neuen Waffengang. Sozusagen in letzter Minute vermochten aber die pommerschen Herzöge, insbesondere Barnim IV., und Stralsund die Wiederaufnahme der Verhandlungen zu bewirken. Am 25. Mai 1364 wurden Stralsund und Greifswald von den in Lübeck versammelten Hansestädten ermächtigt, Herzog Barnim IV. von Pommern die Bereitschaft der Städte zur Fortsetzung des Waffenstillstandes zu erklären.55 Dieser Waffenstillstand wurde dann, wie eingangs beschrieben, am 21. Juni 1364 in Stralsund geschlossen.56 Noch während seiner Laufzeit, er sollte bis zum 2. Februar 1368 gelten, kam es am 22. November 1365 zum Abschluss des Friedens von Wordingborg.57 53 Die Darstellung der Ereignisgeschichte der Kriege von 1361 bis 1370, soweit nicht anders angegeben, nach Jochen Goetze, Von Greifswald bis Stralsund. Die Auseinandersetzungen der deutschen Seestädte und ihrer Verbündeten mit König Valdemar von Dänemark 1361 – 1370, in: Hansische Geschichtsblätter, 88 (1970), S. 83 – 122. Vgl. auch HR I/1, S. 184 – 194 (Nr. 258 – 265). 54 HR I/1, S. 191 – 192 (Nr. 263). 55 HR I/1, S. 280 – 284 (Nr. 325). Die Bevollmächtigung Stralsunds und Greifswalds in §§ 10 und 11 des Rezesses, S. 282. 56 Ebd., S.  286 – 298 (Nr.  327 – 337). 57 Ebd., S.  318 – 322 (Nr.  269 – 371).

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Dieser Frieden hielt jedoch nicht lange. Die Unzufriedenheit der Städte wuchs, und es gelang, anders als 1361 und 1362, im Verlauf der Jahre 1366 und 1367 ein wesentlich breiteres Bündnis für den Kampf gegen Waldemar IV. aufzustellen, die hinlänglich bekannte Kölner Konföderation vom 19. November 1367. In dieser Situation hätten die Herzöge von Pommern-Wolgast theoretisch erneut vermittelnd eingreifen können. Aber sie waren seit Herbst 1365 mit einem innerdynastischen Konflikt beschäftigt, auf den im nächsten Abschnitt noch näher einzugehen sein wird. Anders als ihr Nachbar, Herzog Albrecht II. von Mecklenburg, der als Vater des schwedischen Königs Albrecht eigene Interessen verfolgte, verhielten sie sich auch noch aus anderen Gründen neutral. Einerseits waren sie als Fürsten von Rügen Vasallen des Königs von Dänemark. Hinzu kam, dass sie und Waldemar IV. Blutsverwandte zweiten Grades waren. Ihr Vater und Waldemars ­Mutter waren Geschwister. Ob sich Waldemar, wie ohne Quellenbeleg behauptet wird,58 in seiner Kindheit und Jugend tatsächlich bei seinen Cousins am Wolgaster Hof aufgehalten hatte, lässt sich nicht beweisen, scheint aber möglich. Immerhin gehören zwei im Mai und Juni 1338 in Greifswald ausgestellte Urkunden zu den frühesten Nachweisen der Herrschaftsausübung Waldemars IV.59 Andererseits befanden sich die wichtigsten Städte des Herrschaftsgebietes der Wolgaster Herzöge auf Seiten der Kölner Konföderation, darunter auch Stralsund und Greifswald. Für einen offenen Konflikt mit diesen war die Machtbasis der Herzöge aber zu schwach. Ohne die finanzielle Unterstützung der Städte war ihre Herrschaft auf Dauer nicht zu halten. In dieser Situation blieb ihnen kaum eine andere Wahl als die des vorsichtigen Lavierens. Dennoch waren sich die Kriegsparteien, insbesondere die Gegner Waldemars IV., nicht völlig sicher, ob die Herzöge von Pommern-Wolgast nicht doch für ihren Lehnsherrn zu den Waffen greifen würden. Diese Gefahr bestand offenbar zu Beginn des Jahres 1368. Sowohl Herzog Albrecht II. von Mecklenburg als auch die Hansestädte selbst bemühten sich deshalb darum, dass die Neutralität gewahrt wurde.60 Zusätzlich sperrten Stralsund und Greifswald die Ausfahrt aus der Peene – gemeint ist wohl der Peenestrom, der wichtigste Ausfluss aus dem Stettiner Haff in die Pommersche Bucht –, damit die Feinde nicht nach Dänemark übersetzen konnten.61 Die pommerschen Herzöge wurden zwar nicht direkt als die potentiellen Feinde benannt, aber im Zusammenhang mit den gleichzeitigen Korrespondenzen dürfte kaum ein Zweifel bestehen, dass in erster Linie sie damit gemeint waren. Es stellt sich allerdings die Frage, auf w ­ elche Weise sie nach Dänemark hätten übersetzen können. Woher hätten die Herzöge die dafür notwendigen Schiffe bekommen, wenn die 58 Heinz Stoob, K ­ aiser Karl IV. und der Ostseeraum, in: Hansische Geschichtsblätter, 88 (1970), S. 163 – 214, hier S. 175. 59 Sven Tägil, Valdemar Atterdag och Europa (Bibliotheca Historica Lundensis, Bd. IX), Lund 1962, S. 23. Tägil vermutet eher einen Aufenthalt am brandenburgischen Hof, ebd., S. 22, weist aber auch darauf hin, dass es über Waldemars Jugendjahre so gut wie keine Quellen gibt, ebd., S. 21. 60 Strecker (wie Anm. 52), S. 171 – 173. 61 HR I/1, S. 396 (Rezess Grevesmühlen, 1368 Februar 27, § 11).

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Seestädte ihres Herrschaftsbereichs alle zur Kölner Konföderation gehörten? Hatten sie eigene Schiffe oder wären ihre Truppen von dänischen Schiffen „abgeholt“ worden? Im Sommer 1368 befand sich dann Herzog Barnim III . von der Stettiner Linie der Greifen eindeutig auf Seiten Waldemars, der gerade dabei war, ein Bündnis norddeutscher Fürsten zum Kampf gegen die Kölner Konföderation zu bilden und sich deshalb beim Markgrafen von Brandenburg befand.62 Zu einer Beteiligung der pommerschen, insbesondere der Wolgaster Herzöge am Zweiten Waldemarkrieg ist es 1368 dann doch nicht gekommen. Sie verfolgten nach der Beilegung ihres innerdynastischen Konflikts andere Ziele, die ihre Kräfte banden, aber auch die einiger Gegner Waldemars IV.63 Die militärische Niederlage der Wolgaster Herzöge im November 1368 und das fast gleichzeitige Bündnis der Stettiner Vettern mit Waldemars Gegner Albrecht II. von Mecklenburg ließen die Bündnispläne des Königs endgültig scheitern.64 Vielmehr verbündeten sich die Wolgaster Herzöge ­Wartislaw  VI. und Bogislaw VI. infolge ihrer Niederlage im Herbst 1368 im Juli 1369 mit Herzog Albrecht II. von Mecklenburg und versprachen ihm militärische Hilfe.65 Das Verhalten der Herzöge von Pommern-Wolgast im Zweiten Waldemarkrieg war also eher zurückhaltend und wurde von dem gleichzeitigen innerdynastischen Konflikt überlagert. Ganz anders verhielten sich dagegen die Seestädte ihres Herrschaftsbereichs, allen voran Stralsund. Stralsunds Engagement zeigt sich schon anhand weniger Zahlen. Das gemeinsam mit Greifswald zu stellende Kontingent im E ­ rsten Waldemarkrieg von 1361 wurde bereits genannt. Es verdeutlicht das finanzielle und damit wirtschaftliche Potential der Stadt am Sund. Ein zweiter Punkt, der die Bedeutung Stralsunds in den Waldemarkriegen belegt, ist die Verteilung der Versammlungsorte der Hansestädte in den Jahren 1361 bis 1370, genauer von August 1361 bis Mai 1370.66 Es fanden insgesamt 61 Zusammenkünfte statt, von den 21 in Stralsund abgehalten wurden, also rund ein Drittel. Es folgen Rostock mit elf, Lübeck mit zehn und Wismar mit fünf Versammlungen. In Stralsund wurden insbesondere die vertraglichen Vereinbarungen mit Dänemark – mit Ausnahme des Waffenstillstandes von Rostock vom November 1362 und des Friedens von Wordingborg vom November 1365 – geschlossen: der Waffenstillstand vom Juni 1364, der Vorfrieden vom November 1369 und der Frieden vom Mai 1370. Der mit Abstand am häufigsten teilnehmende Stralsunder Ratssendebote war der Ratsherr, ab 1364 Bürgermeister Bertram Wulflam. Von den bei Koeppen angegebenen 41 Versammlungen der Jahre 1361 bis 1370 besuchte Wulflam 33. Es folgen Hermann von Rode mit 21, Ludolf von Külpen mit 20, Johann Ruge mit 13 und Heinrich Scheele mit 12.67 Wulflam 62 MUB XXV A, Nr. 14594, S. 504. 63 Siehe dazu weiter unten. 64 Tägil (wie Anm. 59), S. 344 – 347. 65 MUB XVI, Nr. 9939, S. 465 (Bündnisvertrag Ribnitz, 1369 Juli 7). 66 Die Zahlen wurden anhand von HR I/1 ermittelt. 67 Hans Koeppen, Führende Stralsunder Ratsfamilien vom Ausgang des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Greifswalder Abhandlungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 10),

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galt auch noch in den Jahren nach dem Stralsunder Frieden von 1370 als der bedeutendste Bürgermeister Stralsunds, der die Geschicke der Stadt entscheidend beeinflusste. Dennoch bleibt die Frage, warum Stralsund der Ort der abschließenden Verhandlungen ­zwischen den Hansestädten und dem dänischen Reichsrat ab Herbst 1369 war. Darüber ist bereits viel geschrieben worden, ohne dass ein endgültiges Ergebnis vorliegen würde. Eine abschließende Antwort wird sich auch hier nicht formulieren lassen, aber einige Indizien sollen doch zusammengetragen werden: Stralsund war in den 1360er Jahren die nach Lübeck zweitgrößte und wirtschaftlich potenteste Stadt innerhalb der Kerngruppe der gegen Waldemar IV. kämpfenden Hansestädte, der wendischen Städte. Stralsund gehörte zwar zum Herrschaftsgebiet der Herzöge von Pommern-Wolgast, lag aber im Fürstentum Rügen, das weiterhin ein Lehen des Königreichs Dänemark war. In Stralsund gab es Liegenschaften, die sich für die Aufnahme einer dänischen Gesandtschaft besonders eigneten. Das waren insbesondere die Stadthöfe der Feldklöster. Hier wäre v. a. an den Hof des Klosters Hiddensee in der Mühlenstraße zu denken, denn d ­ ieses Kloster unterstand wie die ganze Insel Rügen samt Nebeninseln (Hiddensee und Ummanz) dem Bischof von Roskilde. Aufenthalte der Roskilder Bischöfe in Stralsund sind für das 14. und 15. Jahrhundert vielfach belegt.68 Auch die Herzöge von Pommern benutzten einen Gebäudekomplex für ihre Aufenthalte in der Stadt, das Pfarrgrundstück der Nikolaikirche in der heutigen Mönchstraße. Auch ein Aufenthalt der dänischen Gesandtschaft außerhalb Stralsunds wäre vorstellbar. Dafür hätte sich insbesondere Putbus, der Stammsitz des gleichnamigen rügischen Adelsgeschlechtes, angeboten. Der dänische Verhandlungsführer Henning von Putbus entstammte ­diesem Geschlecht und hatte weiterhin einen Anteil an dessen Gütern im Fürstentum Rügen.69 Mit dem 1371 urkundlich erstmals erwähnten Steinhaus wäre auch ein angemessenes Gebäude vorhanden gewesen.70 Weiterhin käme auch Ralswiek als Sitz des Greifswald 1938, Anhang II, S. 169. Nach w ­ elchen Kriterien Koeppen die Auswahl der 41 Versammlungen aus den insgesamt 61 im Zeitraum vom August 1361 bis Mai 1370 getroffen hat, ist nicht angegeben. 68 Bengt Büttner, Die Pfarreien der Insel Rügen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, Bd. 42), Köln, Weimar, Wien 2007, S. 103 – 105. 69 Dietrich Kausche, Geschichte des Hauses Putbus und seines Besitzes im Mittelalter (Greifswalder Abhandlungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 9), Greifswald 1937, S. 154 – 158; ders., Putbusser Regesten (Veröffentlichungen der Landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern, Bd. VII), Stettin 1940, Nr. 376 und 377, S. 105 zu 1371 Oktober 16; Nr. 430, S. 119 zu 1377 Februar 2; Nr. 459a, S. 126 zu 1378 o. T.; Nr. 471, S. 130 zu 1380 August 18; Nr. 476, S. 131 zu 1381 März 31. Zu Henning von Putbus siehe Ralf-Gunnar Werlich, Henning von Putbus. Des dänischen Reiches Hauptmann und Drost, in: Nils Jörn u. a. (Hg.), Der Stralsunder Frieden von 1370. Prosopographische Studien (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte N. F., Bd. 46), Köln, Weimar, Wien 1998, S. 153 – 205. 70 Kausche, Regesten (wie Anm. 69), Nr. 376 und 377, S. 105.

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bischöflichen Offizials von Roskilde in Betracht. Auch dort sind Aufenthalte des Bischofs von Roskilde im 14. Jahrhundert nachweisbar.71 Stralsunds Ratssendeboten, insbesondere Bürgermeister Bertram Wulflam, zählten zu den wichtigsten Akteuren auf Seiten der Hansestädte. Vor allem zum dänischen Verhandlungsführer der letzten Jahre, Henning von Putbus, bestanden von Stralsund aus besonders enge Beziehungen, die sich aus der Nachbarschaft der Stadt zu den Besitzungen des Geschlechts von Putbus ergaben.72 Wie gesagt, dies sind alles nur Indizien, die zur Wahl Stralsunds als Ort der abschließenden Verhandlungen ­zwischen dem dänischen Reichsrat und den Hansestädten beige­ tragen haben können.

5. Die Herzöge von Pommern-Wolgast in den 1360er Jahren Das allgemein nach der Hauptresidenz Wolgast als Herzogtum Pommern-Wolgast bezeichnete Herrschaftsgebiet war durch die Landesteilung von 1295 entstanden, die auch eine Aufspaltung der Dynastie der Greifen in die beiden Hauptlinien Pommern-Wolgast und Pommern-Stettin bewirkte. 1317 erfuhr die Wolgaster Teilherrschaft mit dem Erwerb der Länder Schlawe und Stolp eine erhebliche Gebietserweiterung im Osten. Für das hier zu behandelnde Thema noch bedeutsamer war die Erwerbung des Fürstentums Rügen nach dem Tod des letzten Fürsten Wizlaw III. durch dessen Schwestersohn Wartislaw IV. von Pommern-Wolgast, Vater bzw. Großvater der in den 1360er Jahren lebenden Wolgaster Herzöge. Wartislaws Tod bereits ein Jahr darauf löste die sogenannten Rügischen Erbfolgekriege ­zwischen Pommern einerseits und Mecklenburg und Werle andererseits aus, die erst 1354 mit dem Stralsunder Frieden beendet wurden.73 Das Fürstentum Rügen bestand aus der Insel Rügen und einem festländischen Teil, der sich aus den Ländern oder Vogteien Sund, Barth, Grimmen, Tribsees und Loitz zusammensetzte.74 Zwischen 1328 und 1354 waren Barth, Grimmen und Tribsees an Mecklenburg bzw. Werle verpfändet.75

71 Büttner (wie Anm. 68), S. 105. 72 Vgl. Kausche, Regesten (wie Anm. 69), passim. 73 Werlich, Pommern (wie Anm. 50), S. 872. Zum E ­ rsten Rügischen Erbfolgekrieg HorstDiether Schroeder, Der Erste Rügische Erbfolgekrieg. Ursachen – Verlauf – Ergebnisse, in: Porada (wie Anm. 8), S. 129 – 139, sowie Strecker (wie Anm. 52), S. 9 – 10, zum Zweiten Rügischen Erbfolgekrieg ders., S. 48 – 54, 79 – 86 und 255 – 257. Die Urkunde des Stralsunder Friedens von 1354 ist abgedruckt in MUB XIII, Nr. 7890, S. 428; Oliver Auge, Die pommerschen Greifen als Fürsten von Rügen und Herzöge von Barth, in: Melanie Ehler, Matthias Müller (Hg.), Unter fürstlichem Regiment. Barth als Residenz der pommerschen Herzöge, Berlin 2005, S. 13 – 30. 74 Curschmann (wie Anm. 36), S. 39; Schroeder (wie Anm. 73), S. 130. 75 Schroeder (wie Anm. 73), S. 137, Strecker (wie Anm. 52), S. 10, 48, 54, 86.

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Als Wartislaw IV. 1326 starb, hinterließ er eine hochschwangere Frau und zwei minderjährige Söhne. Diese erreichten ab 1338 nacheinander die Mündigkeit, beginnend mit dem ältesten Bruder Bogislaw V., dem Barnim IV. und der nachgeborene Wartislaw V. bis um 1350 folgten.76 Die Herrschaft übten alle drei gemeinsam aus, doch muss es noch vor 1365, dem Todesjahr Barnims IV., bereits zu einer gewissen Aufteilung der Herrschaft gekommen sein. Sicher ist, dass Wartislaw V. bereits vor 1365 aus der gemeinschaftlichen Regierung ausschied und „ene gantze nughe ghenomen unde ene afsunderynghe … nach synem eghenen wilkore“.77 Aber auch Bogislaw V. und Barnim IV. scheinen nicht mehr in allen Angelegenheiten gemeinschaftlich agiert zu haben. Möglich ist, dass nach dem Rückerwerb der an Mecklenburg und Werle verpfändeten Länder/Vogteien Barth, Grimmen und Tribsees eine Aufteilung der Herrschaft dergestalt erfolgte, dass Bogislaw V. die östlichen Landesteile und Barnim IV. die westlichen, insbesondere das Fürstentum Rügen, regierte. Eine förmliche Urkunde gibt es darüber nicht und die diesbezüglichen Formulierungen Bogislaws V. auf die Klageartikel Wartislaws V., Wartislaws VI. und Bogislaws VI. sind sehr vage. Aber es fällt auf, dass Barnim IV. ab 1359 in Angelegenheiten, die sich ausschließlich auf das Fürstentum Rügen bzw. Orte und Personen in und aus d ­ iesem beziehen, allein urkundet.78 Am 22. August 1365 starb Herzog Barnim IV., der Vermittler des Waffenstillstandes vom 21. Juli 1364. Er hinterließ zwei Söhne, Wartislaw VI. und Bogislaw VI., sowie eine Tochter Elisabeth. Außerdem lebten Barnims Brüder noch, der ältere Bogislaw V. und der jüngere Wartislaw V. Barnims Söhne und dessen jüngerer Bruder Wartislaw V. verbündeten sich anscheinend unmittelbar nach dem Tod Barnims IV. gegen Bogislaw V. Es ging ihnen um die Teilung des Landes bzw. die Einforderung des Erbes des verstorbenen Herzogs Barnim IV. In ­diesem Zusammenhang ist dann auch das Bündnis der drei Herzöge Wartislaw V., Wartislaw VI. und Bogislaw VI. mit Herzog Albrecht II. von Mecklenburg vom 12. Oktober 1365 zu sehen. Mit dem Mecklenburger hatte man einen mächtigen Verbündeten, der in jenen Jahren eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Ostseeraums spielte.79 Die Beilegung des Konflikts z­ wischen den pommerschen Herzögen überließen diese, wie die beiden eingangs erwähnten Dokumente vom 13. Oktober und 7. November 1365 belegen, ihren Landständen. Das gelang diesen allerdings nicht, sodass sich der Konflikt fortsetzte. Das Bündnis vom 12. Oktober 1365 mit Albrecht II. von Mecklenburg wurde wirksam, hielt aber offenbar nicht lange. Herzog Bogislaw V. suchte sich ebenfalls Verbündete und fand diese zunächst bei den Herren von Werle und bei Bischof Johann I. von 76 Martin Wehrmann, Genealogie des pommerschen Herzogshauses (Veröffentlichungen der landesgeschichtlichen Forschungsstelle für Pommern, Reihe 1, Bd. 5), Stettin 1937, S. 79 – 82. 77 StAS, StU 435: Antwort Bogislaws V. auf die Klageartikel Wartislaws V., Wartislaws VI. und Bogislaws VI., o. O., 1365 November 7. 78 Dirk Schleinert, Die Landesteilungen der Wolgaster Herzöge von 1368 und 1372, in: BaltSt, NF 107 (2021), S. 19 – 42. 79 Strecker (wie Anm. 52).

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­Cammin, einem geborenen Herzog von Sachsen-Lauenburg. Später wechselte ­Albrecht II. von Mecklenburg die Seiten und unterstützte nun Bogislaw V. Außerdem setzte sich ­Bogislaws Schwiegersohn, ­Kaiser Karl IV., für ihn ein.80 Dafür erhielten die jungen Herzöge und Wartislaw V. Unterstützung vom Schwiegervater Wartislaws VI., Herzog Johann I. von Mecklenburg-Stargard, sowie von ihren Stettiner Vettern Barnim III. und dessen Söhnen. Der Streit endete zunächst mit dem Anklamer Vergleich vom 25. Mai 1368. Dieser sah eine vorläufige Teilung der Herrschaft vor, die zunächst auf drei Jahre befristet war. Die jungen Herzöge Wartislaw VI . und Bogislaw VI . erhielten die Gebiete westlich der Swine, ihr Onkel Bogislaw V. diejenigen östlich der Swine. Der andere Onkel, Wartislaw V., wurde mit dem Land Neustettin abgefunden.81 Aber kaum war der Ausgleich innerhalb des pommerschen Herzogshauses der Wolgaster Linie erfolgt, stürzte sich der junge Herzog Wartislaw VI. in eine erneute Auseinandersetzung. Im November 1368 kam es bei Damgarten zu einem Gefecht ­zwischen dem Aufgebot Wartislaws VI. und dem der Herren von Werle. Der Grund dafür war wahrscheinlich eine ausstehende Geldforderung. Die M ­ utter der jungen Wolgaster Herzöge war 82 eine geborene von Werle, und ihnen war bis zur Zahlung des Brautschatzes offenbar das zu Werle gehörende Land Stavenhagen verpfändet. Urkundlich belegt ist das nicht, aber eine Passage im Anklamer Vergleich von 1368 deutet darauf hin. Hinzu kommt ein nur als Regest des 16. Jahrhunderts überlieferter Vergleich der Wolgaster Herzöge Bogislaw V. und Wartislaw V. mit Herzog Barnim III. von Stettin wegen des Landes Stavenhagen.83 Die Verpfändung von Grundbesitz war die übliche Form der Versicherung für noch nicht gezahlte Brautschätze. Solche Verpfändungen gab es in den 1360er Jahren in Mecklenburg, Werle und Pommern wegen der Heiratsverbindungen z­ wischen den Fürstenhäusern mehrfach. 1363 hatte Wartislaw VI. Anna von Mecklenburg, Tochter Herzog Johanns I. von Mecklenburg-Stargard, geheiratet. Für den Brautschatz war das damals in mecklenburgischem Besitz befindliche Haus, Stadt und Land Strasburg zum Unterpfand gesetzt worden.84 Bereits 1362 hatte Elisabeth von Pommern, Tochter Barnims IV., Magnus I. von Mecklenburg-Schwerin, Sohn Albrechts II ., geheiratet. Im Ehevertrag vom 5. Juli 1362 wurde die Zahlung des Brautschatzes in Höhe von 3000 Mark lötigem Silber innerhalb von vier Jahren zugesagt.85 Eine Absicherung durch Verpfändung von Grundbesitz seitens des Brautvaters enthält die Urkunde jedoch nicht. Aber vom Bräutigam erhielt die Braut Stadt und Land Grevesmühlen zum Leibgedinge.86 80 Lübeckisches Urkundenbuch, I. Abt., Theil III, Nr. DCXXII, S. 668. 81 MUB XXV A, Nr. 14593, S. 501; Tägil (wie Anm. 59), S. 332 – 336; Schleinert (wie Anm. 78), S.  27 f. 82 Wehrmann (wie Anm. 76), S. 81. 83 MUB XXV A, Nr. 14591, S. 500. 84 MUB XV, Nr. 9153, S. 307. 85 MUB XV, Nr. 9062, S. 210. 86 MUB XV, Nr. 9063, S. 213. Die Verschreibung eines Leibgedinges, dessen Wert bzw. jähr­ licher Ertrag anhand der Höhe des Brautschatzes berechnet wurde, war die übliche Form der

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Die Feindseligkeiten ­zwischen den jungen Herzögen von Pommern-Wolgast und den Herren von Werle begannen schon im Sommer 1368. Auf dem Hansetag in Wismar am 10. August 1368 wurde eine Bitte an Herzog Heinrich von Mecklenburg behandelt, der sich bei dem anbahnenden Streit z­ wischen Pommern-Wolgast und Werle um freies Geleit für die Gesandten der pommerschen Städte durch das Gebiet der Herrschaft Werle bemühen solle.87 Wenn sich, wie von Strecker vermutet, zu Beginn der Fehde auch die Herzöge von Pommern-Stettin an der Seite ihrer Wolgaster Vettern beteiligten, so sind diese wohl durch die Anerkennung ihrer Lehnshoheit über das Land Stavenhagen durch Johann von Werle am 6. November 1368 in Demmin zum Ausscheiden bewogen worden. Dazu passt dann auch das am Tag darauf geschlossene Landfriedensbündnis des Stettiner Herzogs Kasimir III. mit Herzog Albrecht II. von Mecklenburg.88 Die Wolgaster Herzöge haben demnach ihren Kampf gegen die Herren von Werle allein fortgesetzt und sich mit jenen wenige Tage ­später, den Chronisten zufolge um Martini, bei Damgarten auf eine Schlacht eingelassen.89 Die Pommern hatten schon fast den Sieg errungen, als Herzog Albrecht II. von Mecklenburg den Herren von Werle zu Hilfe kam.90 Wartislaw VI. selbst und viele aus seinem Gefolge wurden gefangen genommen. Sie mussten sich gegen hohes Lösegeld freikaufen. Die entsprechende Aussöhnung fand am 7. Juli 1369 in Ribnitz statt.91 Im Sühnevertrag kam noch ein zweiter Punkt zur Sprache: das seit 1362 ausstehende Ehegeld für Wartislaws Schwester Elisabeth. Das wurde nun auch geregelt. Um ­welche Summen ging es? Das Ehegeld der Elisabeth von Pommern betrug wie oben bereits angegeben 3000 Mark lötiges Silber, jede Mark zu drei Mark lübisch. Das Lösegeld für die Gefangenen betrug zweimal 9000 Mark lötiges Silber. Wer bezahlte? Beim Ehegeld wissen wir es nicht. Aber bei den ersten 9000 Mark des Lösegeldes heißt es: „dar wi se mede wiset hebben an de raetmanne vnser stede Stralissund vnde Gripeswolt.“ Unmittelbar vor dem Abschluss ­dieses Vertrages hatte die Bestätigung der Stralsunder Privilegien durch Herzog Wartislaw VI. stattgefunden. Zweifellos war dies

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Witwenversorgung im Hochadel; vgl. Karl-Heinz Spiess, Witwenversorgung im Hochadel. Rechtlicher Rahmen und praktische Gestaltung im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit, in: Martina Schattkowsky (Hg.), Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürst­ liche und adlige Witwen z­ wischen Fremd- und Selbstbestimmung (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 6), Leipzig 2003, S. 87 – 114, insbesondere S. 92 – 102. HR I/1, Nr. 475 § 13, S. 427. Strecker (wie Anm. 52), S. 173. Abdruck der beiden Urkunden vom 6. bzw. 7. November 1368 in MUB XVI, Nr. 9838, S. 375 und Nr. 9839, S. 376. Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Lübeck. Erster Band, bearb. v. Karl Koppmann, Leipzig 1884, S. 540 – 541. Vgl. auch Strecker (wie Anm. 52), S. 173. Tägil (wie Anm. 59), S. 346 vermutet, dass die Schlacht vor den Demminer Verträgen vom 6. November 1368 stattgefunden und erst deren Zustandekommen ermöglicht hat. Dem mag sich der Verfasser nicht anschließen. Vielmehr ließen die Verträge das Bündnis der Wolgaster und Stettiner Herzöge zerbrechen und erleichterten Albrecht II. den militärischen Sieg über die nun allein kämpfenden Wolgaster Herzöge. MUB XVI, Nr. 9938, S. 375.

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die notwendige Voraussetzung zur Zahlungsbereitschaft der Stadt. Die Zahlung des Lösegeldes erfolgte bis Februar 1370, wie aus den Quittungen Albrechts II. von Mecklenburg hervorgeht.92 Auch im weiteren Verlauf können wir Geldanleihen der Herzöge bei den Städten Stralsund und Greifswald nachweisen. Am 9. August 1369 liehen sich die Herzöge Wartislaw VI. und Bogislaw VI. 1000 Mark sundisch bei Stralsund und verpfändeten dafür 100 Mark der jährlichen Bede von der Insel Rügen.93 Am 11. Januar 1375 rechneten die beiden eben genannten Herzöge ihre Schulden bei den Städten Stralsund und Greifswald ab.94 Die Gesamtschuld betrug 4000 Mark reines Silber. Davon waren rund 605 Mark sowie die Kosten für zwei nach Tribsees gelieferte Mühlsteine noch nicht bezahlt. Die Tatsache, dass Wartislaw  VI. am 9. Juni 1369, also knapp einen Monat vor dem Sühnevertrag mit Albrecht II. von Mecklenburg, der Stadt Stralsund vor Ort ihre Privilegien bestätigen konnte, weist auf noch einen anderen Umstand hin: Er muss bereits vor Abschluss des Sühnevertrages freigekommen sein. Und in der Tat wird im Vertrag auch die erste der beiden Lösegeldforderungen um 1422 Mark reduziert, „de unsen vanghenen alrede afgescattet sin“. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um die Summe für die Freilassung Wartislaws VI. und vielleicht noch einiger weiterer seiner Mitgefangenen handelte.95 Aber was haben diese Ereignisse des Sommers 1369 mit dem Krieg der Kölner Konföderation gegen Waldemar IV. von Dänemark zu tun? Albrecht II. von Mecklenburg hatte im Februar 1368 ein Bündnis mit den wendischen Hansestädten gegen Waldemar geschlossen.96 Ihm ging es vor allem um die Sicherung der Herrschaft seines Sohnes ­Albrecht, der seit 1364 König von Schweden war. Dessen Gegner war vor allem der norwegische König Håkon VI., ein Sohn des vorherigen schwedischen Königs Magnus Eriksson und Schwieger­sohn Waldemars  IV.97 Zusammen mit der Aussöhnung schlossen Albrecht II. und die pommerschen Herzöge Wartislaw VI. und Bogislaw VI. am 7. Juli 1369 in Ribnitz auch ein neues Bündnis.98 Die pommerschen Herzöge verpflichteten sich, Albrecht ein Kontingent von 60 Gewappneten für den Kampf über See zu stellen. Damit waren sie, obwohl Vasallen Waldemars IV. von Dänemark und ­diesem zum Kriegsdienst verpflichtet, dem Bündnis der Feinde ­Dänemarks 92 MUB XVI, Nr. 9999, S. 521 und Nr. 10027, S. 541. 93 StAS, StU, Nr. 450. Hierzu gehört wohl auch eine Urkunde vom 7. August 1369, in der die Städte Stralsund und Greifswald den Empfang der Länder und Schlösser Loitz, Grimmen, Tribsees, Damgarten, Hertesburg und Barth bestätigen, die sie so lange im Besitz behalten sollen, bis ihnen die Herzöge Wartislaw VI. und Bogislaw VI. das geliehene Geld und andere Schulden beglichen haben (Der Stralsunder Liber memorialis, Teil 1, bearb. v. Horst-Diether Schröder / Veröffentlichungen des Stadtarchivs Stralsund, Bd. VI/1), Schwerin 1964, S. 84 f. 94 StAS, StU, Nr. 476. 95 Insofern ist Strecker (wie Anm. 52), S. 174, Anm. 12 und S. 179 zu berichtigen, der annimmt, dass Wartislaw erst unmittelbar vor Abschluss des Vertrages von Ribnitz am 7. Juli 1369 aus der Gefangenschaft entlassen worden sei. 96 HR I/1, S. 394; MUB XVI, Nr. 9744, S. 295. Vgl. Strecker (wie Anm. 52), S. 153 – 155. 97 Strecker (wie Anm. 52), S. 116 – 150. 98 MUB XVI, Nr. 9939, S. 465; Strecker (wie Anm. 52), S. 179; Tägil (wie Anm. 59), S. 359.

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beigetreten. Dies machte, wie bereits oben ausgeführt, die Pläne Waldemars vom Frühjahr und Sommer 1368 zunichte, die Herzöge von Pommern, sowohl der Wolgaster als auch der Stettiner Linie, als Verbündete für seinen Kampf gegen die Kölner Konföderation zu gewinnen.99 Das Bündnis der Wolgaster Herzöge mit Herzog Albrecht II . von Mecklenburg hatte aber noch einen anderen Grund. Im Bündnis mit Herzog Magnus von BraunschweigLüneburg ging der Markgraf von Brandenburg im Frühjahr 1369 daran, die an Mecklenburg und Pommern verpfändeten märkischen Gebiete zurückzuerobern. Die ­Stettiner Herzöge hatten Teile der Uckermark in ihrem Besitz und die Wolgaster seit 1320 bzw. 1359 die Stadt Pasewalk und die Schlösser Alt und Neu Torgelow als Pfandbesitz. Außerdem war ihnen, wie oben ausgeführt, das benachbarte Land Strasburg, ebenfalls ursprünglich märkischer Besitz, verpfändet. Letzteres löste Albrecht II . im Ribnitzer Sühnevertrag vom 7. Juli 1369 aus. Tägil vermutet dahinter taktische Gründe, denn auch die Mecklenburger hatten märkische Gebiete in Besitz. Der Streit mit Markgraf Otto von Brandenburg endete vorläufig mit dem Waffenstillstand von Hindenburg bei Templin vom 21. Oktober 1369.100

6. Stralsund und die Herzöge von Pommern-Wolgast um 1370 – ein (a)symmetrisches Verhältnis? Rein formal betrachtet, war das Verhältnis der Herzöge von Pommern-Wolgast zur größten Stadt ihres Herrschaftsgebietes eindeutig. Sie waren die Landesherren und Stralsund ihnen untertan. Bei jedem Herrscherwechsel erkannte die Stadt ihren Landesherrn durch Untertaneneid bzw. Huldigung an und jener bestätigte ihnen die bereits verliehenen Privi­ legien bzw. ergänzte und erweiterte sie.101 99 Tägil (wie Anm. 59), S. 346. 100 Strecker (wie Anm. 52); S. 178 – 181; Tägil (wie Anm. 59), S. 358 – 360. 101 PUB VI, Nr. 3893, S. 305: Privilegienbestätigung Wartislaws IV. für Stralsund, 1325 Dezember 3, Stralsund; PUB VI, Nr. 3891, S. 303: ders. bestätigt Stralsund ihren Grundbesitz und die Fähre nach Rügen, 1325 November 26, Stralsund; PUB VI, Nr. 3894, S. 306, 3895, S. 306 und 3896, S. 307: weitere Privilegien Wartislaws IV. für Stralsund, 1325 Dezember 3, Stralsund; PUB X, 5696, S. 334: Privilegienbestätigung Bogislaws V. für Stralsund sowie die Ritterschaft und die Einwohner des Landes Rügen, 1338 Dezember 21, Stralsund; PUB X, Nr. 5697, S. 336 und 5698, S. 337: weitere Privilegien Bogislaws V. am selben Tag und selben Ort; StAS, StU 419: Privilegienbestätigung Barnims IV. für Stralsund, 1362 Oktober 10, Stralsund; StAS, StU 449: Privilegienbestätigung Wartislaws VI. für Stralsund, 1369 Juni 5, Stralsund; StAS, StU 517 (Teilabdruck in: Hansisches Urkundenbuch (HUB) IV, Nr. 784, S. 325): Wartislaw VI. befreit Stralsund von der Heerfolge und erteilt und bestätigt weitere Privilegien, 1383 Dezember 7, Stralsund; StAS, StU 518: Wartislaw VI. sichert Stralsund den freien Warenverkehr in seinen Landen im Kriegsfall, Zollfreiheit in Grimmen und freie Jagd, außer auf Hirsche, auf dem Darß, 1383 Dezember 7, Stralsund. Zur Thematik Huldigung und Privilegienbestätigung siehe Klaus Neitmann, Huldigung und Privilegienbestätigung. Die Ausbildung der

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Aber wie viel sagt das über das eigentliche Verhältnis, über den alltäglichen Umgang miteinander aus? Das Verhältnis der Hansestädte zu ihren jeweiligen Landesherren ist erst kürzlich an verschiedenen Beispielen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und für den gesamten Zeitraum vom 14. bis zum 17. Jahrhundert behandelt worden.102 Grundsätzlich belegen die Inhalte der Privilegienbestätigungen und -erweiterungen die nahezu unabhängige Stellung Stralsunds, die die Stadt bereits im Ergebnis der kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem letzten Fürsten von Rügen, Wizlaw III., im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts erlangt hatte.103 Die Herrschaftsübernahme Herzog Wartislaws  IV. 1325 war nur durch die Anerkennung der bereits von seinen Vorgängern seit der Stadtrechtsverleihung erteilten Privilegien möglich.104 Dafür setzte sich Stralsund nach dem Tod Wartislaws  IV. 1326 für dessen noch unmündige Söhne und gegen die Ansprüche der verbündeten Herren von Mecklenburg und Werle ein. Keine zwei Wochen nach dem Tod des Herzogs verbündete sich die Stadt mit dem Adel und den Einwohnern der Insel Rügen.105 Eine eindeutige Parteinahme enthält ­dieses Bündnis noch nicht, aber in den Wochen darauf bis zum Oktober 1326 wurde immer deutlicher, dass man sich König Waldemar III. von Dänemark anschloss und damit für die Söhne Wartislaws IV. eintrat.106 Gemeinsam mit den benachbarten Städten Greifswald, Anklam und Demmin, die zwar nicht im Fürstentum Rügen lagen, aber auch ein Interesse an der Besitzsicherung der Söhne Wartislaws IV. hatten, stritt Stralsund nun gegen die Mecklenburger und ihre Verbündeten.107 Der Grund des Einsatzes für die unmündigen Herzogssöhne dürfte auf der Hand liegen. Man versprach sich davon die vollständige Zusicherung der 1325 vom Vater erteilten Privilegien. Ob das bei einer Herrschaftsübernahme durch Heinrich II. von Mecklenburg auch geschehen würde, war mehr als fraglich. Das Beispiel der benachbarten Städte Wismar und Rostock stand wohl allzu deutlich vor Augen, zumal man sich ja zur selben Zeit gegen den eigenen Fürsten Wizlaw III. von Rügen erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte.108

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l­andständischen Verfassung der Neumark unter der Herrschaft des Deutschen Ordens und der frühen Hohenzollern, in: ders. (Hg.), Landesherr, Adel und Städte in der mittelalter­ lichen und frühneuzeitlichen Neumark (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 14), Berlin 2015, S. 245 – 317. Holbach, Steinführer (wie Anm. 48); Zur Bandbreite der dabei möglichen Themenfelder vgl. die Einleitung von Rudolf Holbach, ebd., S. 1 – 17. Fritze, Entstehung (wie Anm. 39), S. 49 – 57; ders., Der Kampf z­ wischen Bürgertum und Feudalfürstentum an der südwestlichen Ostseeküste zu Beginn des 14. Jahrhunderts, in: Wissen­ schaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 8 (1958/59), H. 3, S. 243 – 249. So die Formulierung im Generalprivileg vom 3. Dezember 1325 (PUB VI, Nr. 3893, S. 305): „a prima fundacione ipsius civitatis usque in hodiernum diem“. PUB VII , Nr. 4214, S. 54 und Nr. 4215, S. 57. PUB VII, Nr. 4216, S. 58; Nr. 4227, S. 65; Nr. 4228, S. 66; Nr. 4229, S. 67; Nr. 4230, S. 68. Vgl. Schroeder (wie Anm. 73), S. 133. Schroeder (wie Anm. 73), S. 133 – 139. Fritze, Der Kampf (wie Anm. 103).

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Damit war das wechselseitige Verhältnis ­zwischen Stadt und Herzögen hergestellt, das in den folgenden anderthalb Jahrhunderten bis zur Herrschaft Bogislaws X. Bestand haben sollte: Garantie der Privilegien auf der einen Seite und Hilfe und Unterstützung auf der anderen Seite. Aus Sicht der die Stadtpolitik dominierenden Fernkaufleute war das ein gutes Geschäft. Militärische oder noch häufiger finanzielle Unterstützung war kalkulierbarer als ein ständiger Kampf um die Bestätigung der Privilegien und damit die Sicherheit des Handels und der sonstigen Wirtschaftszweige der Stadt. Der Streit mit Herzog Bogislaw X. an der Wende zum 16. Jahrhundert zeigte, w ­ elche Kraftanstrengungen nötig waren, wenn das Verhältnis zum Landesherrn ernsthaft gestört war.109 Ein besonders anschauliches Beispiel für ­dieses wechselseitige Verhältnis bietet die Privilegienbestätigung von 1369 durch Herzog Wartislaw VI. Wie oben beschrieben, war der junge Herzog bei dem unglücklichen Gefecht bei Damgarten im November 1368 in mecklenburgische Gefangenschaft geraten, aus der er sich nur durch eine Lösegeldzahlung befreien konnte. Ein allerdings nicht belegbarer, sondern nur spekulativer weiterer Verlauf könnte so ausgesehen haben: Herzog Albrecht II. von Mecklenburg entließ Wartislaw VI. mit dem Versprechen, das Lösegeld bis zu einer bestimmten Frist zu zahlen, möglicherweise auch schon verbunden mit der im Ribnitzer Vergleich vom 7. Juli 1369 genannten Summe von 1422 Mark, die bereits als Abschlag gezahlt worden war. Beide Herzöge waren sich im Klaren darüber, dass nur die Städte in Wartislaws Herrschaftsbereich, also v. a. Stralsund und Greifswald, in der Lage waren, das Lösegeld zu bezahlen. Entweder nahm Wartislaw unmittelbar nach seiner Freilassung diesbezügliche Gespräche mit Stralsund auf oder ­solche hatten bereits davor stattgefunden. Das Ergebnis dieser Gespräche könnte so ausgesehen haben: Wartislaw erteilt die Privilegien, verzichtet dafür auf die Huldigungsfeierlichkeiten und erhält stattdessen ein Äquivalent in Geld, vielleicht die 1422 Mark; Stralsund verpflichtet sich dagegen – für Greifswald würde das ebenso gelten, auch wenn hier die Privilegienbestätigung erst 1372 erfolgte 110 –, die Zahlung des Lösegeldes zu übernehmen. Letzteres wurde, wie erwähnt, im Ribnitzer Vergleich festgelegt. Für die Herzöge war die größte Stadt ihres Herrschaftsbereichs aber noch mehr. Über sie konnte man alles bekommen, was für ein standesgemäßes Leben als Fürst notwendig war, inklusive Luxusgüter aller Art.111 Sie hatten in Stralsund auf dem Pfarrhof von St. Nikolai in der Mönchstraße, Ecke Ravensberger Straße, auch einen regelmäßig bei ihren Besuchen genutzten Aufenthaltsort, der entsprechend repräsentativ gestaltet war.112 Von den 109 Martin Wehrmann, Stralsund und Herzog Bogislaw X. von Pommern, in: BaltSt, NF 36 (1934), S.  121 – 143. 110 Carl Gesterding, Beitrag zur Geschichte der Stadt Greifswald, Greifswald 1827, Nr. 167, S. 68. 111 Vgl. dazu Gunnar Möller, Eine interessante „Schatzkiste“ aus dem Jahr 1318 in Stralsund – Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Sachkultur des norddeutschen Adels, in: BaltSt, NF 102 (2016), S.  31 – 52. 112 Gunnar Möller, Mittelalterliche Adelshöfe in Stralsund, in: Felix Biermann, Christofer Herrmann und Mathias Müller (Hg.), Castella Maris Baltici VII, Greifswald 2006, S. 97;

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im behandelten Zeitraum lebenden Herzögen scheint Wartislaw V. sogar seinen Lebensmittelpunkt in Stralsund gehabt zu haben oder verbrachte zumindest längere Abschnitte seines Lebens in der Stadt, weshalb er auch den Beinamen „der Herr vom Sunde“ erhielt.113 Für das Itinerar Wartislaws VI. lassen sich 34 Aufenthalte aus dem Zeitraum 1365 bis 1392 nachweisen, davon 13 in Stralsund, die meisten aus dem Zeitraum ab 1378, also in den Jahren der erneuten Teilung der Herrschaft mit seinem Bruder Bogislaw VI . Es folgen Greifswald mit fünf, Prenzlau mit drei und Rügenwalde mit zwei Aufenthalten. Bemerkenswerterweise gibt es keinen Nachweis für Barth, obwohl Wartislaw VI. in der Literatur meist als Herzog von Barth bezeichnet wird. Es ist zudem bekannt, dass Stralsunder Bürgermeister und Ratsherren mitunter als Berater der Herzöge fungierten. Bekanntestes Beispiel aus dem behandelten Zeitraum dürfte der Bürgermeister Bertram Wulflam sein, der zugleich der führende Stralsunder Bürgermeister im Kampf gegen Waldemar IV . von Dänemark war.114 Sein Sohn Wulf wurde dann sogar herzoglicher Rat, was aber nach Auffassung der Gegner der Wulflams gegen die städtischen Rechte verstieß.115 Dagegen war die Einflussnahme der Herzöge in die inneren Verhältnisse der Stadt sehr gering. Ein 1372 unternommener Versuch, einen Keil z­ wischen den Rat und die Bürgerschaft zu treiben, scheiterte.116 Die Reaktion des Rates belegt vielmehr die Ohnmacht der Herzöge, denn es wurde von ihnen die Rücknahme der Anschuldigungen und die vollständige öffentliche Wiedergutmachung gefordert. Auch das Eintreten Herzog Wartislaws VI . für seinen Rat Wulf Wulflam in dessen Konflikt mit der Stadt 1391 war nicht von Erfolg gekrönt.117 Lediglich durch die Verfügungsgewalt über einige Ämter behielten die Herzöge bildlich gesprochen einen Fuß in der Tür. So hatten sie weiterhin das Patronat über die K ­ irche in Voigdehagen und damit auch über die drei Stralsunder Pfarrkirchen, das sie in ausgedehnten kanonischen Prozessen gegen den Bischof von Schwerin und die Herren von Mecklenburg und Werle ­zwischen 1326 und ders., „… und erbauten die überaus reiche und stark befestigte Stadt Stralsund …“ – Stadtbefestigungen und Adelshöfe im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stralsund, in: Manfred Gläser (Hg.), Lübecker Kolloquium zur Stadtarchäologie im Hanseraum VII: Die Befestigungen, Lübeck 2010, S. 399. 113 Gaebel (wie Anm. 10), S. 293. 114 Koeppen (wie Anm. 67), S. 46. 115 Ebd.; Ralf-Gunnar Werlich, Wulf Wulflam – Ein hansischer Diplomat aus Stralsund, in: Detlef Kattinger, Horst Wernicke (Hg.), Akteure und Gegner der Hanse – Zur Prosopographie der Hansezeit (Hansische Studien, Bd. IX), Weimar 1998, S. 67 – 92, hier S. 76, 79, 83 f. Zum Verbot der Annahme landesherrlicher Dienste für Ratsherren von Städten lübischen Rechts siehe Wilhelm Ebel, Lübisches Recht. Erster Band, Lübeck 1971, S. 229. 116 Otto Fock, Rügensch-pommersche Geschichten aus sieben Jahrhunderten. IV . Innerer Zwist und blutige Fehden, Leipzig 1866, S. 62. Die Originalquelle in: Otto Franke, Das Verfestungsbuch der Stadt Stralsund (Hansische Geschichtsquellen, Bd. I), Halle 1875, S. 43 f., Nr. 384. 117 Fritze, Die Hansestadt (wie Anm. 39), S. 216.

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1348 behauptet hatten.118 Die Besetzung dieser Pfarrstellen war den Herzögen so wichtig, dass sie im Anklamer Vergleich von 1368 gesondert geregelt wurde.119 In den Urkunden über die endgültige Teilung des Herzogtums Pommern-Wolgast und des Fürstentums Rügen ist dieser Passus allerdings nicht mehr enthalten.120 Wurde 1368 eine wechselseitige Besetzung durch alle Herzöge festgelegt, wird sie dann ab 1372 offenbar nur noch durch diejenigen Herzöge erfolgt sein, die den Landesteil bekommen hatten, zu dem Stralsund gehörte. Die urkundliche Überlieferung bestätigt dies zumindest für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts.121 Die Priesterschaft mit dem Stralsunder Kirchenherrn an der Spitze betrieb aber durchaus eine eigene Politik gegenüber der Stadt, wie die Bonowschen Händel vom frühen 15. Jahrhundert belegen.122 Ein weiterer Rest der landesherrlichen Herrschaftsausübung aus den Anfangsjahren der Stadt war das bis zum Ende des 15. Jahrhunderts bestehende Amt des herzoglichen Stadtvogts. Aber auch dessen Befugnisse erstreckten sich auf die eines Beisitzers im städtischen Gericht.123 Dennoch taucht er regelmäßig in herzoglichen Urkunden als Zeuge auf und zählt zu den herzoglichen Räten. Allein sein dauerhafter Wohnsitz in Stralsund war für die Herzöge nützlich,124 hatten sie damit doch dauerhaft einen weiteren ihnen direkt unterstellten Informanten in der Stadt. Fazit: Das Verhältnis der Stadt Stralsund zu den Herzögen von Pommern-Wolgast im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts kann durchaus als eine Win-win-Situation für beide Seiten betrachtet werden. Die Herzöge sicherten der Stadt durch die Privilegien den 118 Klaus Wriedt, Die kanonischen Prozesse um die Ansprüche Mecklenburgs und Pommerns auf das rügische Erbe 1326 – 1348 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, Bd. 4), Köln, Graz 1963, S. 17 – 101, insbes. S. 96 – 97. Zu den Patronatsverhältnissen ebd., S. 179 f. 119 MUB XXV A, Nr. 14593, S. 501. 120 Ausgestellt durch Herzog Bogislaw V., Stargard, 1372 Juni 8, Abdruck in Gerhard Renn, Die Bedeutung des Namens „Pommern“ und die Bezeichnungen für das heutige Pommern in der Geschichte (Greifswalder Abhandlungen zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 8), Greifswald 1937, S.  97 – 104. 121 Wriedt (wie Anm. 118), S. 200 – 201. 122 Fock (wie Anm. 116), S. 122 – 136; Fritze, Entstehung (wie Anm. 39), S. 76 – 80. 123 Johann Albert Dinnies, Von der Gerichtsvogtei zu Stralsund und von den ehemaligen herzoglichen Gerichtsvögten daselbst, in: Pommersche Sammlungen, Bd. 1, Heft IV, Greifswald 1783, S.  339 – 382. 124 Das Wohnhaus der Gerichtsvögte zumindest zur Amtszeit der Familie Wesent von 1328 bis ca. 1400 war die Nr. 7 in der Ossenreyerstraße. Es lag nahe dem der Gewandschneiderkompanie, Ossenreyerstraße 5, und fast gegenüber dem Rathaus, also durchaus in einer repräsentativen Lage; vgl. Dinnies (wie Anm. 123), S. 361 f.; Hans Koeppen, Die Stralsunder Straßen­namen, masch. Ms. [Greifswald 1938], S. 36 f., kann den Namen „up den Wesent“ noch bis ins frühe 16. Jahrhundert nachweisen. Ein zweiter Straßenname mit Bezug auf die Familie Wesent bezeichnete einen heute nicht mehr existierenden Gang ­zwischen dem Katharinenberg und der Stadtmauer in Höhe der Landesherren-, heute Poststraße in der Neustadt; ebd., S. 29.

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r­ echtlichen Rahmen ihres Handlungsspielraums und die Stadt ermöglichte den Herzögen durch ihre wirtschaftliche und finanzielle Potenz zu beträchtlichen Teilen die Ausgestaltung von deren Handlungsspielraum. Zentraler Punkt des Handelns der Herzöge war der Erhalt der Dynastie und ihrer Herrschaft, zentraler Punkt des Handelns der Stadt Stralsund war die Sicherung des Handels als wirtschaftliche Grundlage ihrer Existenz.

Ein mittelalterlicher Frieden mit Konsequenzen bis heute Der Vertrag von Perleberg vom 23. August 1420 Oliver Auge Zu der beachtlichen Reihe von Friedensverträgen im Ostseeraum, deren Abschluss sich 2020 jährte und deren vergleichender Rückschau dieser Tagungsband gewidmet ist, hat man in jedem Fall den Perleberger Frieden vom 23. August 1420 zu rechnen. Dabei handelt es sich recht eigentlich nicht um einen, sondern gleich um zwei Verträge, deren „Bindeglied“ die Herzöge von Sachsen-Lauenburg bildeten. Denn sie waren in beide Konflikte involviert, die den Verträgen vorausgingen.1 In ihrer geographischen Dimension erstreckten sich diese zwei Konflikte zusammengenommen über den gesamten südwestlichen Ostseeraum. Der eine Vertrag sollte die damals noch junge Herrschaft der Hohenzollern in Brandenburg gegen gewaltsame Übergriffe aus Mecklenburg und Pommern absichern; der andere Friedens­schluss überführte wichtige Teile des Herzogtums Sachsen-Lauenburg in den dauerhaften Besitz der Hansestädte Hamburg und Lübeck. In wesentlichen Aspekten blieb die darauf fußende Grenzziehung bis 1937 bestehen, als das Großhamburg-Gesetz erlassen wurde. Mehr als 500 Jahre lang bestimmte der Frieden also die Geschichte in der Region ganz konkret mit – und wenn man bedenkt, dass Bergedorf und die Vierlande immer noch zu Hamburg gehören, dann reichen die Konsequenzen des Friedens von Perle­ berg aus dem Jahr 1420 sogar bis in die Gegenwart. Doch wie kam es überhaupt zu den zwei Vertragsschlüssen von Perleberg? Ausgangspunkt des einen Vertrags war der am 2. Februar 1420 erfolgte Abschluss einer auf zehn Jahre befristeten Allianz z­ wischen Hamburg und Lübeck, die sich gegen die Herzöge von Sachsen-Lauenburg richtete.2 Die beiden Städte sicherten sich gegenseitige m ­ ilitärische Hilfe 1 Jörg Meyn, Der Frieden von Perleberg 1420, in: Lauenburgische Heimat. Zeitschrift des Heimatbund und Geschichtsvereins Herzogtum Lauenburg, NF 177 (2007), S. 3 – 15, hier S. 4. 2 Siehe dazu und zum Folgenden Friedrich Bertheau, Die Politik Lübecks zur Sicherung der Handelswege durch Lauenburg im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, 15 (1913), S. 27 – 73, hier S. 69; Rainer Postel, Der Kampf um Bergedorf und die Vierlande z­ wischen den Herzögen von Lauen­burg (der Ratzeburger Linie) und den Hansestädten Lübeck und Hamburg (1401 – 1420), in: Herrscherwechsel im Herzogtum Lauenburg (Kolloquium der Lauenburgischen Akademie für Wissenschaft und Kultur 10), hg. v. Eckardt Opitz, Mölln 1998, S. 47 – 60, hier S. 55; Ehrhard Schulze, Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg und die lübische Territorialpolitik (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 33), Neumünster 1957, S. 111. – Siehe dazu und zu den folgenden Ereignissen bis zum Perleberger Frieden vom 23. August 1420 auch die kurze Darstellung bei Elisabeth Raiser, Städtische Territorialpolitik im Mittelalter. Eine vergleichende Untersuchung ihrer verschiedenen Formen am Beispiel Lübecks und Zürichs (Historische Studien 406), Lübeck/Hamburg 1969, S. 141 f., die das Bündnis vom 2. Februar

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zu und legten ihre hierfür zu erbringenden Kontingente im Umfang von je 300 Bewaffneten zu Pferde fest. Der Bündnistext sprach einen etwaigen territorialen Gewinn als Operationsziel der offensichtlich als unvermeidbar betrachteten Konfrontation unverblümt aus: „weret ok, dat wy in desseme kryge jenige lande, stede, slote edder veste zamentliken edder besunderen wunnen, de schole wy in beyden syden hebben unde beholden“.3 Was stand dahinter? Während es Hamburg vor allem darum ging, seine seit den 1390er Jahren erfolgreiche Landgebietspolitik entlang der Elbe fortzusetzen und sich Zugriffsmöglichkeiten auf die Holzbestände des Sachsenwaldes zu sichern, einen Elbübergang bei Eßlingen (heute Zollenspieker) zu gewinnen und seine handelsstrategische Position gegenüber dem Konkurrenten Lüneburg zu verbessern, kam es Lübeck darauf an, jenen Besitz zurückzugewinnen, den es im Zuge seiner eigenen Landgebietspolitik von den Herzögen von Sachsen-Lauenburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erworben, 1401 aber wieder gewaltsam verloren hatte.4 Konkret ging es um das Bergedorfer Schloss und die Vierlande sowie einen Teil des Sachsenwaldes und am Land Hadeln sowie um die Dörfer Duvensee und Nusse im Möllner Gebiet einschließlich aller damit verbundenen weltlichen und geistlichen Lehen, Einkünfte, Nutzungsrechte und Gerichtsbarkeiten. Der herzogliche Versuch, im Herbst 1409 auch das seit 1359 im Lübecker Pfandbesitz befindliche Mölln mittels Gewalt zurückzuerlangen, war immerhin gescheitert. Allerdings hatte der Herzog bei seinem Rückzug reiche Beute aus Mölln mitgenommen und die Stadt in Brand stecken lassen.5 Eine weitere Ahndung des Angriffs war vorerst unterblieben; vielmehr war Herzog Erich V. († 1435) sogar die jährliche Zahlung von 300 Mark lübisch für den Schutz der Land- und Wasserwege auf dem Gebiet der Möllner Vogtei vertraglich zugesagt worden.6 Im späteren Rechtsstreit um ­dieses Schutzgeld vor dem kaiserlichen Hofgericht war 1420 zwar auch mit dem Urkunden-Buch der Stadt Lübeck (UBStL), Bd. 6 (Codex diploma­ ticus Lubecensis. Lübeckisches Urkundenbuch 1.6), hg. v. dem Vereine für Lübeckische Geschichte und Alterthumskunde, Lübeck 1881, Nr. 171 (1420 Feb. 2), S. 214 – 216, belegt, aber fälschlicherweise den 20. Februar als Datum schreibt. 3 UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 171 (1420 Feb. 2), S. 214 – 216, hier S. 215. 4 Hans-Joachim Behr, Die Landgebietspolitik nordwestdeutscher Hansestädte, in: Hansische Geschichtsblätter, 94 (1976), S. 17 – 37, hier S. 18, 23; Bertheau (wie Anm. 2), S. 36, 54, 65 f.; Albert Düker, Lübecks Territorialpolitik im Mittelalter, Bremen 1932, S. 44 f.; Meyn (wie Anm. 1), S. 6 – 8; ders., Sachsen-Lauenburg im Hohen und Späten Mittelalter, in: Herzogtum Lauenburg. Das Land und seine Geschichte. Ein Handbuch, hg. v. Eckardt Opitz, Neumünster 2003, S. 55 – 147, hier S. 82; Ortwin Pelc, Burg Bergedorf im Hochmittelalter, in: Das Bergedorfer Schloss. Een sloten Huß. Entstehung, Funktionen, Baugeschichte, hg. v. Victoria Overlack, Hamburg 2008, S. 8 – 39, hier S. 30 f., 36; Postel (wie Anm. 2), S. 47 – 55. 5 Carl Friedrich Wehrmann, Der Aufstand in Lübeck bis zur Rückkehr des alten Raths 1408 – 1416, in: Hansische Geschichtsblätter, 8 (1878), S. 101 – 156, hier S. 123 f., liefert keine Hinweise auf Brandschatzung und Beute; außerdem berichtet er von Erich IV. (!) als dem handelnden Herzog. – Siehe auch Bertheau (wie Anm. 2), S. 54. 6 Siehe dazu und zum Folgenden Bertheau (wie Anm. 2), S. 65 f.; Postel (wie Anm. 2), S. 52; Schulze (wie Anm. 2), S. 103; Wehrmann (wie Anm. 5), S. 124 f.

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Lübeck dann in die Reichsacht gefallen. Sie wurde erst wieder aufgehoben, als sich die Stadt im März 1419 mit dem Herzog verständigt hatte. Wie schon 1401 und 1409 hatte Lübeck noch einmal nachgeben müssen.7 Nun also hatte sich Lübeck kein Jahr nach d ­ iesem neuerlichen Vergleich mit Hamburg gegen den Sachsen-Lauenburger verbündet und verfolgte damit ganz offen das Ziel, militärisch gegen ihn vorzugehen. Das machte gerade deswegen Sinn, weil Erich V. genau zu ­diesem Zeitpunkt in eine Fehde verwickelt war, die sich gegen den Markgrafen von Brandenburg richtete. Dem Nürnberger Burggrafen Friedrich VI . (1371 – 1440) aus dem Haus Hohenzollern war 1415 die Markgrafschaft Brandenburg zu erblichem Besitz verliehen worden, womit die Würde eines Kurfürsten und Erzkämmerers des Reiches verbunden war.8 Als neuer Landesherr war Friedrich nicht nur sogleich mit oppositionellen märkischen Vasallen gewaltsam aneinander-, sondern auch mit seinen nördlichen und nordöstlichen Nachbarn, den Herzögen Otto II . (um 1380 – 1428) und Kasimir V. († 1435) von Pommern-Stettin sowie den Herzögen von Mecklenburg und den mit ihnen verwandten Herren von Werle, in Konflikt geraten.9 Besonders konfliktträchtig war ­Friedrichs Ziel, die brandenburgische Lehnshoheit über das gesamte Herzogtum Pommern wieder durchzusetzen, was ihm im Mai 1417 auf dem Konstanzer Konzil zumindest in einem ersten Schritt für Pommern-Stettin gelang.10 Die Stettiner Herzöge antworteten darauf mit einem Bündnis mit den mecklenburgischen Nachbarn, die wohl ähnliche lehnsrechtliche Absichten des Brandenburgers ihnen gegenüber befürchteten. Gleichzeitig hatten die Mecklenburger die Übernahme der Prignitz im Auge, während die Pommernherzöge nach dem Besitz der Uckermark trachteten – beides waren Gebiete im ­brandenburgischen 7 Postel (wie Anm. 2), S. 54: „Wieder hatte der Friede Lübeck große Opfer gekostet. Zur Befreiung aus der Acht hatte es die gegnerischen Rechtspositionen akzeptieren müssen.“ 8 Heidelore Böcker, Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollernschen Kurfürsten und der Ausbau der Mark zum fürstlichen Territorialstaat während des 15. Jahrhunderts, in: Brandenburgische Geschichte, hg. v. Ingo Materna, Wolfgang Ribbe, Berlin 1995, S. 169 – 230, hier S. 170 f.; Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3: Die Mark unter Herrschaft der Hohenzollern (1415 – 1535), Berlin 1963, S. 12. 9 Böcker (wie Anm. 8), S. 171 – 176; Meyn (wie Anm. 1), S. 4 f.; Schultze (wie Anm. 8), S.  14 – 18. 10 Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus. Sammlung ungedruckter Urkunden zur Brandenburgischen Geschichte, Bd. 1, hg. v. Georg Wilhelm von Raumer, Berlin, ­Stettin, Elbing 1831, Nr. 53 (1417), S. 88 f.; Die Urkunden K ­ aiser Sigmunds (1410 – 1437), Bd. 1: 1410 – 1424 (Regesta Imperii 11), hg. v. Wilhelm Altmann, Innsbruck 1896/97, Nr. 2364 – 2366 (1417 April 31), S. 164 f.; ebd., Nr. 2487 (1417 Juli 24), S. 175; Landesarchiv Greifswald, Rep. 2 Ducalia, Nr. 232, 234 f. – Siehe dazu Oliver Auge, Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit (Mittelalter-Forschungen 28), Ostfildern 2009, S. 280; Otto Heinemann, Die kaiserlichen Lehnsurkunden für die Herzöge von Pommern, in: BaltSt, NF  3 (1899), S. 159 – 194, hier S. 178 – 181; Felix Rachfahl, Der Stettiner Erbfolgestreit (1464 – 1472). Ein Beitrag zur brandenburgisch-pommerschen Geschichte des fünfzehnten Jahrhunderts, B ­ reslau 1890, S. 61 f.

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Einflussbereich.11 Gemeinsam waren die Verbündeten wenig s­ päter brandschatzend durch die Mark Brandenburg gezogen, wobei Herzog Johann III . von Mecklenburg-Stargard († 1438) um die Jahreswende 1418/19 in brandenburgische Hände gefallen war. Er wurde in das Schloss von Tangermünde gebracht und sollte dort letztlich bis 1427 als Gefangener verbleiben. Um ihn zu befreien, war die Bildung eines ausgedehnten fürstlichen Bündnissystems gegen den Markgrafen erfolgt, in das jetzt auch die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, Heinrich II ./IV . (1397 – 1427), Herzog von Schleswig und Graf von Holstein, Herzog Wartislaw IX . von Pommern-Wolgast (um 1400 – 1457) sowie eben auch Herzog Erich V. von Sachsen-Lauenburg mit seinen Brüdern einbezogen wurden.12 Letzteren dürfte neben seinen verwandtschaftlichen Beziehungen auch seine Konkurrenz mit dem Markgrafen um die sächsische Kurwürde zum Eintritt in die Allianz bewegt haben.13 Die fürstlichen Bündnispartner hatten darauf versucht, gewaltsamen Druck auf den Brandenburger auszuüben. Allerdings war ihre militärische Unternehmung gegen die Stadt Strasburg in der Uckermark gescheitert; Friedrich hatte im folgenden Kleinkrieg in Prignitz und Uckermark im Frühjahr 1420 die Oberhand gewonnen. So hatte er am 20. März 1420 handstreichartig die Burgen Dömitz und Gorlosen von den Mecklenburgern erobert und schon fünf Tage ­später das seit 1354 pommersche Angermünde in der Uckermark besetzt, wo er am Folgetag einen fulminanten, sogar im Volkslied verherrlichten Sieg über den herbeigeeilten Herzog Kasimir V. von Pommern-Stettin und dessen polnische Verbündete errungen hatte.14 Infolgedessen waren Friedrichs Gegner zum Waffenstillstand bereit. Von diesen Ereignissen und insbesondere von Erichs V. Engagement in der Fürstenfehde wussten die Hansestädter und sahen nun eine günstige Gelegenheit gekommen, ihrerseits gegen den lästigen fürstlichen Nachbarn vorzugehen. Ein solcher Plan versprach aber insbesondere dann Erfolg, wenn man den Sachsen-Lauenburger bündnispolitisch einkreisen und militärisch in die Zange nehmen konnte. Und das war in diesen Tagen offenkundig am besten im Bund mit dem Brandenburger Markgrafen zu realisieren. Anscheinend hatten Hamburg und Lübeck eine ­solche Lösung von Anfang an im Sinn. Denn am 29. Mai 1420 überreichten sie dem Markgrafen zu Salzwedel wertvolle Präsente und versicherten ihm ausdrücklich, seinetwegen Herzog Erichs Feinde geworden zu sein – was angesichts der Vorgeschichte nur als vorgeschobene Begründung zu werten ist – und es bis ­Michaelis 11 Meyn (wie Anm. 1), S. 4 f. 12 Schultze (wie Anm. 8), S. 18. – Erich V. trat dem Bündnis am 13. Januar 1419 bei: Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig (LASH), Urk.-Abt. 210, Nr. 247. 13 Zur Konkurrenzsituation siehe Meyn (wie Anm. 1), S. 5; Wolf-Dieter Mohrmann, Der Landfriede im Ostseeraum während des späten Mittelalters (Regensburger historische Forschungen 2), Kallmünz 1972, S. 281, Anm. 265. – Für den Erbstreit sei verwiesen auf das Kapitel „Der Streit um die Kurwürde Sachsens“ bei Meyn (wie Anm. 4), S. 84 – 90. 14 Böcker (wie Anm. 8), S. 176; Manfred Hamann, Mecklenburgische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Landständischen Union von 1523 (Mitteldeutsche Forschungen 51), Köln 1968, S. 209; Schultze (wie Anm. 8), S. 18 f.

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(29. September) zu bleiben.15 Die Städte wollten zu d ­ iesem Zweck bis zum 24. Juni 400 Gleven, 200 Schützen zu Pferde und Fußsoldaten in angemessener Stärke auf eigene Kosten und eigenes Risiko unter Waffen stellen. Bei einem Feldzug zusammen eroberte Städte und Schlösser sollten je zur Hälfte den Städten und dem Markgrafen zufallen, getrennt voneinander erzielte Eroberungen den an der Einnahme Beteiligten zugeschlagen werden. Das gegen Erich V. gerichtete Bündnissystem wurde schließlich noch dadurch weiter abgerundet, dass Friedrich am 16. Juni 1420 mit den Herzögen von Braunschweig und Lüneburg eine Einung schloss.16 Nach offenbar akribischer Vorbereitung 17 starteten die beiden Städte ihre militärische Aktion am 11. Juli 1420. Fristgerecht hatten sie mindestens drei Tage vorher – Lübeck am 7. und Hamburg am 8. Juli – den Herzögen von Sachsen-Lauenburg die Fehde angekündigt.18 Sie galt damit auch Erichs vier Brüdern. Nun rückte das städtische Heer unter dem Kommando der Bürgermeister Hinrich oder Hein Hoyer (um 1380 – 1447) aus Hamburg und Jordan Pleskow († 1425) aus Lübeck bis zum Abend nach Bergedorf vor. Es soll sich um eine gewaltige Armee von 800 Reitern mit Gefolge, laut den erhaltenen Soldlisten überwiegend aus dem niederen Adel Niedersachsens und Westfalens, 2000 Bewaffneten zu Fuß und 1000 Schützen gehandelt haben.19 Schon am nächsten Tag wurde die Stadt eingenommen. Es folgte die Belagerung der Burg, wobei die Belagerer einige Verluste 15 UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 211 f. (1420 April 29), S. 251 f. – Siehe dazu Hans Kellinghusen: Die Eroberung Bergedorfs durch die beiden Städte Lübeck und Hamburg im Jahr 1420, in: Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte, 9 (1906), S. 258 – 274, hier S. 266; Meyn (wie Anm. 1), S. 9 („eine Formulierung, die die Hintergründe d ­ ieses Bündnisses völlig verkehrte“); Postel (wie Anm. 2), S. 55; Schulze (wie Anm. 2), S. 111 f. 16 Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten (CDB), Bd. 2.3, hg. v. Adolph Friedrich Riedel, Berlin 1846, Nr. 1377 f. (1420 Juni 16), S. 362 – 365. – Siehe dazu Meyn (wie Anm. 1), S. 9. 17 Pelc (wie Anm. 4), S. 36. 18 UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 241 (1420 Juli 7), S. 278; ebd., Nr. 242 (1420 Juli 8), S. 278 f. 19 Siehe die Angaben der Lübecker Chronistik: Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Lübeck, Bd. 3 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 28), hg. v. der historischen Commission bei der Königlichen Akademie der ­Wissenschaften, Leipzig 1902, Nr. 1340, S. 139 („By der sulven tiid toghen uth de van Lubeke by sunte Margareten daghe unde bestalleden dat hus to Bergherdorpe. Dar quemen ok vor de van Hamborch myt vele volkes. Se hadden to beyden siden dar vor by 8 hundert glevyen to perde unde by twen dusent wepenere tho voete unde by dusent schutten“); UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 273 – 283 (1420 Sept.), S. 308 – 316. – Siehe dazu und zum Folgenden Oliver Auge, Hansestädte(r) ziehen in den Krieg. Zu Hintergründen, Ablauf und Ergebnissen hansestädtischer Militäroperationen zu Lande, in: Hansestädte im Konflikt. Krisenmanagement und bewaffnete Auseinandersetzung vom 13. bis zum 17. Jahrhundert (Hansische Studien 23), hg. v. Ortwin Pelc, Wismar 2019, S. 1 – 20, hier S. 5 f., 11 – 14; Bertheau (wie Anm. 2), S. 70; Kellinghusen (wie Anm. 15), S.  267 – 271; Meyn (wie Anm. 1), S. 9; Pelc (wie Anm. 4), S. 36 – 39; Postel (wie Anm. 2), S.  55 f.; Schulze (wie Anm. 2), S. 112 f.

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­hinnehmen mussten.20 Unter anderem fiel der Hamburger Hauptmann Dietrich Schreyge im Kampf, an dessen Tod bis heute ein Gedenkstein erinnert.21 Erst am fünften Tag gelang es den Belagerern, die Besatzung zur Kapitulation zu bewegen. Die in den Vierlanden an der Elbe gelegene Riepenburg war das nächste Ziel; eine Streitmacht von nun 200 Gleven und 3000 Mann erreichte den Ort am 25. Juli 1420 bei Sonnenaufgang. Die wenigen Verteidiger streckten beim Anblick der städtischen Übermacht sofort die Waffen.22 Dann zog das Hamburg-Lübecker Heer weiter in Richtung Ratzeburg und zerstörte auf dem Weg die als Räubernest verrufene Burg Kuddewörde.23 Der Plan, nach Lauenburg zu ziehen, wurde nicht ausgeführt, weil dorthin angeblich Hilfe für den Herzog unterwegs war.24 Nach Ratzeburg gelangte der Heereszug ebenfalls nicht mehr, weil sich die Städte vorher auf einen vom Braunschweiger Herzog Wilhelm (1392 – 1482) vermittelten Waffenstillstand einließen.25 Der Waffenstillstand sollte vom 2. August an für zehn Tage gelten.26 Am 6. August trafen sich die Vertreter Hamburgs und Lübecks mit dem eben genannten Herzog Wilhelm in Lüchow, um eine nochmalige Verlängerung des Waffenstillstands ab dem 11. August für die Dauer von 14 Tagen und zugleich die Abhaltung eines Friedenskongresses zu Perleberg zu vereinbaren.27 Daran sollten neben den Konfliktparteien und dem Braunschweiger Herzog auch der Markgraf von Brandenburg sowie die Herzöge von Pommern-Stettin und Mecklenburg teilnehmen. Den Gesandten der Städte wurde sicheres Geleit durch Mecklenburg zugesichert.28 Für Perleberg als Ort der Friedensverhandlungen sprach wohl seine verkehrsgünstige Lage im Grenzbereich ­zwischen Brandenburg und Mecklenburg. Nicht von ungefähr fanden hier ­später auch weitere Treffen der Markgrafen mit den

20 Siehe den Bericht von Dietrich Morkerke, Jordan Pleskow und Tidemann Stehen an den Rat von Lübeck über die Einnahme Bergedorfs und den folgenden Angriff auf das Schloss: UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 244 (1420 Juli 14), S. 280 f. – Die Belagerung wird auch in der „Neuen Chronik“ geschildert: Die Chronica novella des Hermann Korner, hg. v. Jakob Schwalm, Göttingen 1895, S. 432. 21 Bei Pelc (wie Anm. 4), S. 39, ist fälschlicherweise der 19. Juni 1420 als Todesdatum genannt; dieser Angabe folgte irrtümlich Auge (wie Anm. 19), S. 18 f. Auf dem Gedenkstein steht indes: „In de jaren unses here MCCCCXX in suntte Margereten avende do ward Dyderik Screyge hir dot schaten god si em gnedich amen.“ Daraus ergibt sich der 12. Juli als Todesdatum, denn am 13. Juli wurde Margarete als Tagesheilige verehrt; „avende“ = „Abend“ verweist auf den Vortag (= 12. Juli). 22 UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 252 (1420 Juli 25), S. 287 – 289. 23 Chronica novella (wie Anm. 20), S. 432. 24 UBStL 1.6 (wie Anm. 2), Nr. 252 (1420 Juli 25), S. 287 – 289. 25 Kellinghusen (wie Anm. 15), S. 268 – 270. 26 UBStL 1.6 (wie Anm. 2), Nr. 256 f. (1420 Aug. 1), S. 291 f. 27 Ebd., Nr. 258 (1420 Aug. 6), S. 293 f. – Siehe zur Frage des Geleits nach Lüchow ebd., Nr. 254 (1420 Juli 31), S. 290; ebd., Nr. 256 (1420 Aug. 1), S. 291 f. – Für den weiteren Waffenstillstand sei verwiesen auf ebd., Nr. 259 – 261 (1420 Aug. 11), S. 294 f. 28 Ebd., Nr. 264 (1420 Aug. 14), S. 297 f.

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Herzögen von Mecklenburg statt.29 Die Wahl fiel aber wohl auch auf Perleberg, weil die Stadt als ökonomisches Zentrum der Prignitz seit 1358/59 der Hanse zugehörig war, was eine Verbindung zu Lübeck und Hamburg herstellte.30 Hier konnten sich also sehr gut die Mecklenburger samt Verbündeten mit Markgraf Friedrich I. treffen, um ihren Streit beizulegen, und gleichzeitig die Vertreter der Städte, damit sie ihren Frieden mit Erich V. schließen konnten. Am 18. August 1420 trafen sich die Parteien tatsächlich in Perleberg. Offenbar erschien Erich V. von Sachsen-Lauenburg, der während des ganzen Feldzugs nirgends in Erscheinung getreten und vielleicht sogar untergetaucht war,31 dort allein, also ohne seine Brüder. So erklärt sich die spätere Vereinbarung, dass von ihm eine vorläufige Vertragsurkunde innerhalb von acht Tagen an die Städte auszuhändigen und diese dann innerhalb von vier Wochen durch ein neues, auch von seinen Brüdern besiegeltes Exemplar auszutauschen sei.32 Die Anwesenheit Markgraf Friedrichs I. von Brandenburg, Herzog Wilhelms I. von Braunschweig sowie der Herzöge Albrecht V. (1397 – 1423) und Johann IV. (um 1378 – 1422) von Mecklenburg-Schwerin und Kasimir V. von Pommern-Stettin ist ebenfalls bezeugt.33 Neben den Vertretern der Hansestädte Hamburg und Lübeck sollen auch Abgeordnete aus Lüneburg, Rostock und Wismar in Perleberg gewesen sein, was die Literatur vom Lübecker Chronisten Hermann Korner weiß.34 Direkte Belege lassen sich dafür jedoch nicht beibringen. Der brandenburgische Kurfürst hatte Hamburg und Lübeck die versprochene militärische Hilfe nicht geleistet. Herzog Kasimir von Pommern-Stettin hatte nämlich mit polnischer Unterstützung doch noch einen weiteren Einfall ins Brandenburgische unternommen, was den Kurfürsten von der geplanten Unterstützung der städtischen Operation abgehalten hatte.35 Folglich kam die Frage, ob und wie der Markgraf an der Verteilung der Eroberungen partizipieren sollte, nach der Bündnisvereinbarung vom 29. Mai 1420 erst gar nicht auf. Aber auch ohne die Unterstützung des Kurfürsten war der Sieg über den Herzog von Sachsen-Lauenburg nahezu vollständig.36 Der Ansicht von Ortwin 29 Siehe dazu und zum Folgenden Dieter Hoffmann-Axthelm, Perleberg im Mittelalter. Stadtentwicklung und Geschichte, Berlin 2010, S. 73. 30 Ebd., S.  48 – 51. 31 Postel (wie Anm. 2), S. 56. – Meyn (wie Anm. 1), S. 9, nimmt demgegenüber an, dass Erich V. „an den militärischen Operationen gegen die Mark beteiligt war, da er bei der Verteidigung seines Landes gegen die Städte nirgends in Erscheinung trat“. – Zeitgleich fand nur der Kriegszug Kasimirs V. von Pommern-Stettin gegen Friedrich I. statt, an dem Erich V. teilgenommen haben soll. Direkt belegt ist seine Mitwirkung an der Unternehmung indes nicht. 32 LASH, Urk.-Abt. 210, Nr. 251. – Siehe dazu Kellinghusen (wie Anm. 15), S. 273. 33 CDB, Bd. 1.1, hg. v. Adolph Friedrich Riedel, Berlin 1838, Nr. 92 (1420), S. 176 – 178; LASH, Urk.-Abt. 210, Nr. 251, 253; UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 267 (1420 Aug. 23), S. 300 – 303. 34 Chronica novella (wie Anm. 20), S. 432. – Siehe dazu Kellinghusen (wie Anm. 15), S. 271; Pelc (wie Anm. 4), S. 39. 35 UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 244 (1420 Juli 14), S. 280 f. 36 Postel (wie Anm. 2), S. 56.

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Pelc ist zuzustimmen, dass die große Beharrlichkeit und der immense Aufwand, den die Städte beim Feldzug an den Tag gelegt hatten, ihr nachdrückliches Interesse daran deutlich machen, ihre vielen Probleme mit dem Sachsen-Lauenburger endlich längerfristig zu ihren Gunsten zu lösen und ihren Einfluss weit in dessen Herrschaftsbereich hinein auf Dauer auszudehnen.37 Die für die Städte vorteilhafte Verhandlungsposition spiegelte sich in ihrem „Entwurf“ zu einem Friedensschluss wider, den sie am 22. August 1422 vorlegten.38 Ihnen ging es dabei um fünf Punkte: Erstens forderten sie den dauerhaften Besitz von Bergedorf, Kuddewörde und Riepenburg sowie des Zolls von Eßlingen samt allen geistlichen und weltlichen Zugehörden, auch den Kirchspielen Alten- und Neuengamme, Curslack sowie Kirchwerder. Zweitens verlangten sie vom Herzog die Aushändigung des Schutzbriefs, in dem ihm 1410 die jährliche Zahlung von 300 Mark lübisch zugesagt worden war. Drittens wünschten sie innerhalb von acht Tagen eine in Lübeck besiegelte Verzichtsurkunde des Herzogs und seiner Brüder bezüglich der genannten Burgen und Güter. Viertens sollten alle anderen beiderseitigen Ansprüche, die man schon 1418 zur Entscheidung an die Hansestädte übergeben hatte, durch die vier Städte Lüneburg, Rostock, Stralsund und Wismar in Freundschaft und Recht entschieden werden. Fünftens und letztens sollten der Herzog und seine Brüder damit alle Streitpunkte mit den Städten als beseitigt ansehen und Hamburg, Lübeck und Lüneburg sowie den gemeinen Kaufmann und die Straßen beschirmen und beschützen. Einen an diesen „Entwurf“ angelehnten Friedensvertrag vermittelten tags darauf – also am 23. August 1420 – Markgraf Friedrich und Herzog Wilhelm z­ wischen Hamburg und Lübeck einer- und den Sachsen-Lauenburger Herzögen andererseits.39 Im Großen und Ganzen, wenn auch nicht in jedem Punkt, konnten die Städte ihre Ziele durchsetzen. Aus dem Vertragstext geht hervor, dass die Herzöge die Schlösser Bergedorf und Riepenburg und den Zoll von Eßlingen samt Fähre mit allem Zubehör, geistlich oder weltlich, an die Städte abtraten. Von Kuddewörde indes war nicht mehr die Rede; auch das Zubehör wurde, anders als im Entwurf vom Vortag, nicht näher definiert, sondern blieb vage gehalten. Andererseits hatte man den halben Sachsenwald neu in den Vertrag aufgenommen, woran vorher nicht gedacht worden war. Der halbe Herzogswald – das meinte den 37 Pelc (wie Anm. 4), S. 39. 38 Siehe dazu und zum Folgenden UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 265 (1420 Aug. 22), S. 298 f. – Eine am 19. Dezember 1873 im Wortlaut detailgenau durch Carl Friedrich Wehrmann vorgenommene Abschrift des „Entwurfs“ findet sich im Staatsarchiv Hamburg (StAHH), Abt.  710 – 1 I_Q26e. Auf der Rückseite der Abschrift ist vermerkt, dass Wehrmann seinerzeit in einem Begleitschreiben darauf aufmerksam machte, es handele sich recht eigentlich nicht um einen Vertragsentwurf, sondern nur um den Katalog derjenigen Ziele, die eben die Städte gegenüber den Herzögen durchzusetzen wünschten. – Siehe dazu Kellinghusen (wie Anm. 15), S.  271 f.; Meyn (wie Anm. 1), S. 10 f. 39 Siehe dazu und zum Folgenden LASH, Urk.-Abt. 210, Nr. 251. – Das Tagesdatum „an sunte Bartholomei auvende des hillighen apostels“: = „Bartholomäusabend“ meint den Abend vom 23. auf den 24. August bzw. – wie bei Sonnabend = Samstag – den ganzen Tag des 23. August.

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Sachsenwald – mit Zubehör sollte an die Städte fallen, ausgenommen die Jagd bzw. das Jagdrecht, das sich die Herzöge weiter vorbehielten. Die Jagd war ein besonderes Privileg des Adels und seine Lieblingsbeschäftigung, auf sie wollten die Herzöge augenscheinlich nicht verzichten.40 Offensichtlich diente der Sachsenwald als Kompensation dafür, dass die Städte sich bei der Übergabe Kuddewördes warum auch immer nicht durchzusetzen vermochten. Der Sachsenwald war für sie mit ihrem ungemein hohen Holz(kohle)bedarf aber ein überaus lukrativer Ersatz.41 Erstaunlicherweise wurden aber auch die Vierlande, anders als im Entwurf, nicht näher erwähnt. Tatsächlich wechselten seinerzeit auch nicht die vollständigen Vierlande den Besitzer, sondern die Teile, die zum Bistum Ratzeburg und den Klöstern Reinbek, Reinfeld und Scharnebeck gehörten, blieben unter der Oberhoheit der Herzöge.42 Die Tatsache, dass die von den Städten geforderten Gebietsabtretungen im endgültigen Vertrag viel ungenauer genannt wurden als im städtischen Entwurf vom Vortag, wird in der Forschung als überzeugendes Indiz dafür ausgelegt, dass hier nur mit Mühe eine Einigung erreicht wurde.43 Dem Entwurf entsprechend, wollten die Herzöge den erwähnten Schutzbrief an Lübeck aushändigen, womit ihr Anspruch auf 300 Mark lübisch pro Jahr erlosch. Wegen der Fehde und der Gebietsabtretungen wollten sie außerdem keine Ansprüche mehr erheben. Sie versprachen für sich und ihre Erben, sich den Städten gegenüber für jetzt und auf ewig friedlich zu verhalten. Wie schon erwähnt, garantierte die herzogliche Seite, binnen acht Tagen die Friedensurkunde zur Sicherheit an die Städte zu übergeben und innerhalb von vier Wochen eine gleichlautende, dann aber von allen Brüdern Herzog Erichs besiegelte Urkunde auszufertigen, gegen w ­ elche das erste Exemplar wieder an sie auszuhändigen sei. Die nach Perleberg mitgereisten herzoglichen Getreuen Otto und Vicke Schack gelobten die Einhaltung dieser Vereinbarung; der Zweitgenannte setzte mit dem Herzog sein Siegel unter die Urkunde.44 Tatsächlich erfolgte die Auswechslung der Vertragsurkunden nach dem vereinbarten Modus, sodass in Lübeck eine originale Ausfertigung mit den fünf S­ iegeln 40 Jagd und höfische Kultur im Mittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 135), hg. v. Werner Rösener, Göttingen 1997. 41 Siehe zum Phänomen allgemein Stefanie Rüther, Städtische Territorialpolitik? Übergriffe der Hansestädte auf Ressourcen des Umlandes im Mittelalter, in: Nutzung gestaltet Raum. Regionalhistorische Perspektiven ­zwischen Stormarn und Dänemark (Kieler Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 44), hg. v. Oliver Auge, Norbert Fischer, Frankfurt am Main 2017, S. 125 – 135; Harm von Seggern, Energiewirtschaft als Problem einer regionalen Hansegeschichte, in: Hansegeschichte als Regionalgeschichte. Beiträge einer internationalen und interdisziplinären Winterschule in Greifswald vom 20. bis 24. Februar 2012 (Kieler Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswig-­ holsteinischen und skandinavischen Geschichte 37), hg. v. Oliver Auge, Frankfurt am Main 2014, S.  85 – 102. 42 Kellinghusen (wie Anm. 15), S. 272 f. 43 Ebd., S. 272; Meyn (wie Anm. 1), S. 11. 44 Kellinghusen (wie Anm. 15), S. 273, Anm. 3, spricht von drei Siegeln; es handelte sich aber offensichtlich nur um zwei Siegel (von Erich V. und Vicke Schack), die heute übrigens fehlen.

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der Herzöge, (nach-)datiert auf den 23. August 1420,45 im Archiv der Sachsen-Lauenburger Herzöge hingegen die erste Version mit den zwei Siegeln Herzog Erichs V. und Vicke Schacks,46 eine ursprünglich mit drei Siegeln versehene Abschrift der Vertragsurkunde 47 sowie die sinnfällig auf den Folgetag, den 24. August 1420, datierte Bestätigungsurkunde von Bürgermeistern und Räten Hamburgs und Lübecks 48 verwahrt wurden. Das Archiv der Herzöge ist mittlerweile Bestandteil des Landesarchivs Schleswig-Holstein geworden, sodass sich diese Urkunden heutzutage in Schleswig befinden.49 Die im städtischen Vertragsentwurf gestellte Forderung, alle weiteren Streitfragen zur Entscheidung an die vier Hansestädte Lüneburg, Rostock, Stralsund und Wismar zu übertragen, taucht ebenfalls nicht im endgültigen Vertrag auf. Auch in dieser Frage hatten sich die Städte also nicht durchsetzen können. Stattdessen garantierte die herzogliche Seite, alle an die Hamburger und Lübecker ausgehändigten Urkunden der Herzöge sollten von der neuen Friedensregelung unbeschadet bleiben, sämtliche Streitpunkte z­ wischen beiden Parteien ausgeräumt und ihre und ihrer Mitstreiter Fehde gegen die Städte mit dem neuen Vertrag beendet sein. Wie gesagt, war dieser Friedensschluss aber nicht der einzige Vertrag, der am 23. August 1420 in Perleberg geschlossen wurde. Denn auch der große Fürstenstreit, der um die Gefangenschaft Johanns III . von Mecklenburg-Stargard entbrannt war, erfuhr zum gleichen Termin durch Herzog Wilhelms Vermittlung eine vorläufige Beilegung.50 Der Braunschweiger eignete sich im Übrigen gleich in beiden Fällen als Vermittler, weil er ein Vetter Herzog Erichs V. und zugleich mit den anderen involvierten Fürsten mehr oder minder nah verwandt oder verschwägert war. Er selbst sollte 1423 Cäcilie († 1449), eine Tochter Markgraf Friedrichs, zur Frau nehmen. Mit ihr war er erst seit dem 30. Juni 1420 verlobt.51 Das war, als man sich in Perleberg traf, also noch keine zwei Monate her. Der Verlobung war zwei Wochen zuvor, am 16. Juni 1420, ein Bündnis des Brandenburgers 45 Archiv der Hansestadt Lübeck, 7.1 – 3.26 Saxo-Lauenburgica 268*; UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 266 (1420 Aug. 23), S. 299 f. – Eine Abschrift von 1873 befindet sich im StAHH, 710 – 1 I_Q26e; einen leicht variierenden Wortlaut liefert die Hansische Chronick, hg. v. Johann Peter Willebrandt, Lübeck 1748, S. 83 f. 46 LASH, Urk.-Abt. 210, Nr. 251. 47 Ebd., Nr. 252. Das letzte der drei angehängten Siegel fehlt heute. 48 Ebd., Nr. 254. Verwiesen sei explizit auf die Datierung: „in s. Bartolomeus dage“. 49 Meyn (wie Anm. 1), S. 11 (mit S. 15, Anm. 59) hat lediglich die im UBStL 6 (wie Anm. 2), Nr. 266 (1420 Aug. 23), S. 299 f., abgedruckte Version zur Kenntnis genommen und sich nicht mit der originalen archivalischen Überlieferung befasst. – Zur Abfassungszeit ­dieses Beitrags befanden sich die Urkunden aus dem LASH, Urk.-Abt. 210, Nr. 252 – 254, in der Restauration und konnten nicht im Original, sondern lediglich in der Verfilmung von 1964 (ebd., Abt. 420, Nr. 190/1964) eingesehen werden. Ich danke Frau Dr. Elke Strang für ihre E‑Mail-Auskunft vom 25. Mai 2020. 50 Siehe dazu und zum Folgenden CDB 1.1 (wie Anm. 33), Nr. 92 (1420), S. 176 – 178; Stadtarchiv Perleberg (StAP), Urk.-Nr. 71. 51 Meyn (wie Anm. 1), S. 10.

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Abb. 1: Archiv der Hansestadt Lübeck (AHL) – 7.1_SaxoLauenburgica, Nr. 268_recto und verso: Die heute noch in Lübeck vorhandene originale Ausfertigung der Vertragsurkunde mit den fünf Siegeln der Herzöge, (nach-)datiert auf den 23. August 1420.

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Abb. 2: StadtAPerleberg, Urk.-Nr. 71 (1420): Originalurkunde zur Beilegung des großen Fürstenstreits in Perleberg am 23. August 1420.

mit den Herzögen von Braunschweig unter Einschluss Wilhelms vorausgegangen, was schon erwähnt wurde. Dieser Wilhelm wurde gemeinsam mit seinem Onkel Bernhard (zwischen 1358/64 – 1434) von beiden fürstlichen Konfliktparteien zum Schiedsrichter bestellt: von Markgraf Friedrich I. von Brandenburg einer- und den Herzögen Otto II . und Kasimir V. von Pommern-Stettin, Albrecht V. und Johann IV . von MecklenburgSchwerin, ihrem gefangenen Vetter Johann III . von Mecklenburg-Stargard, Wartislaw IX . von Pommern-Wolgast – übrigens mit einer Schwester Herzog Erichs V. namens Sophia († 1462) verheiratet –, dann besagtem Erich und seinen herzoglichen Brüdern von Sachsen-Lauenburg sowie den Fürsten von Wenden aus dem Hause Werle, ­Balthasar († 1421), Christoph († 1425) und Wilhelm († 1436) mit Namen, andererseits.52 Dazu 52 Von den Herzögen Albrecht II. und Heinrich dem Älteren von Mecklenburg-Stargard ist in ­diesem Zusammenhang, anders als Meyn (wie Anm. 1), S. 3 f. schreibt, nicht die Rede.

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Abb. 3: StadtAPerleberg, Urk.-Nr. 72 (1421): Noch heute in Perleberg verwahrter U ­ rkundenrezess ­zwischen Markgraf Friedrich I. von Brandenburg und den Fürsten von Werle-Wenden Wilhelm und Christoph vom 10. August 1421.

wurde v­ ereinbart, dass beide Parteien auf den nächstfolgenden Martinstag (11. November 1420) ihre Positionen und Klagepunkte den Schiedsmännern zu Wittstock übergeben sollten, wonach beiden Seiten die Gelegenheit gewährt werden sollte, in Reaktion darauf eine verschriftlichte Gegenposition zum Dreikönigstag (6. Januar) 1421 dem Amtmann der beiden Braunschweiger Herzöge zu Lüchow zu übergeben. Auf dieser schriftlichen Grundlage sollten jene dann einen Schiedsspruch fällen, den sie in Gegenwart der Fürsten zu Sankt Johannis, also am 24. Juni 1421, wieder in Perleberg verkünden wollten. Die entsprechenden Maßnahmen ­seien von den Parteien dann bis zum nächsten Jakobstag, dem 25. Juli 1421, umzusetzen. An Johannis 1421 sollten auch alle beiderseitigen Gefangenen aus der Gefangenschaft fortziehen dürfen; das betraf insbesondere Johann III ., um den sich die ganze Krise entsponnen hatte, sofern für ihn mitsamt seinen Mannen und Städten dem Markgrafen gegenüber gebürgt werde. Von nun an sollten jedenfalls

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die Waffen ruhen und ab dem 24. August 1420, dem Bartholomäustag, ein dreijähriger Waffenstillstand gelten. Die Konsequenzen der Perleberger Einigung vom 23. August 1420, die der Braunschweiger Herzog Wilhelm ­zwischen den fürstlichen Konfliktparteien herbeiführte, ­blieben auf den ersten Blick eher bescheiden. Der für Juni 1421 ins Auge gefasste Schiedsspruch kam nicht zustande; die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Lediglich ein Rezess ­zwischen dem Kurfürsten und den Fürsten Christoph und Wilhelm von Werle-Wenden, der die im August 1420 getroffenen Vereinbarungen nochmals bestätigte, wurde am 10. August 1421 beurkundet.53 Friedrich zumindest war zwischenzeitlich anderweitig stark in Anspruch genommen, sodass er für seinen Teil den Schiedsspruch womöglich aus dem Blick verlor. So nahm er 1421 an einem Feldzug gegen die Hussiten nach Böhmen teil, der jedoch kläglich scheiterte.54 Der Mecklenburg-Stargarder Johann III . kam folglich auch nicht frei.55 Immerhin blieb der Waffenstillstand einstweilen gewahrt. Und durch den am 6. Februar 1423 z­ wischen Friedrich I. und Albrecht V. von Mecklenburg-Schwerin erneut zu Perleberg auf Lebenszeit vereinbarten Friedensschluss, an den die Eheschließung ­zwischen Albrecht und Margarethe (um 1410 – 1462), einer weiteren Tochter Friedrichs von damals 13 Jahren, noch 1423 gekoppelt war und die dem Mecklenburger den Rückgewinn von Dömitz und Gorlosen einbrachte, entspannte sich das Verhältnis ­zwischen beiden Fürstentümern auf Dauer.56 Weniger gut entwickelte sich zunächst das Verhältnis des Markgrafen zu den Mecklenburg-Stargarder und den Pommernherzögen sowie zu den Fürsten von Wenden. Der Stargarder Herzog Heinrich der Ältere († 1466) fiel mit den Herzögen von Pommern Anfang 1425 in die brandenburgische Uckermark ein; sie bemächtigten sich daraufhin der Stadt Prenzlau.57 Am 1. Mai 1425 wurde unter Einschluss auch der Fürsten von Wenden gar ein zehnjähriges Bündnis geschlossen, das sich gegen Brandenburg richtete und am 27. Januar 1426 nochmals erneuert wurde.58 Erst die schwere Niederlage, die nun die Fürsten Christoph und Wilhelm von Wenden im August 1426 bei Pritzwalk erlitten – Christoph verlor dabei sein Leben –, leitete einen markanten Umschwung ein. So schlossen die pommerschen Herzöge am 22. Mai 1427 mit Markgraf Johann dem Alchemisten (1406 – 1464), Friedrichs I. Nachfolger, in Eberswalde einen Freundschaftsvertrag, dem im folgenden Monat auch Heinrich von Mecklenburg-Stargard und Wilhelm von Wenden beitraten.59 Johann III . sollte kurze Zeit 53 CDB 1.1 (wie Anm. 33), Nr. 93 (1421), S. 178 – 181; StAP, Urk.-Nr. 72. – Siehe dazu Meyn (wie Anm. 1), S. 14, Anm. 18. 54 Schultze (wie Anm. 8), S. 23 f. 55 Hamann (wie Anm. 14), S. 209. 56 CDB 2.3 (wie Anm. 16), Nr. 1434 (1423 Feb. 6), S. 439 – 441. – Siehe dazu Meyn (wie Anm. 1), S. 6; Schultze (wie Anm. 8), S. 25, 27. – Herzog Albrecht V. verstarb im Übrigen kurz nach der Vermählung. 57 Siehe dazu und zum Folgenden Schultze (wie Anm. 8), S. 27. 58 Ebd., S. 36. 59 Ebd., S. 37.

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­später am 28. Juni 1427 unter Schwur der Lehenstreue gegenüber dem Markgrafen und gegen Zahlung eines Lösegelds endlich freikommen.60 Am 8. Mai 1442 wurde schließlich – wieder sinnfällig zu Perleberg – ein ewiges Bündnis z­ wischen den Markgrafen von Brandenburg und den Herzögen von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Stargard inklusive Eventualhuldigung der mecklenburgischen Stände gegenüber dem Markgrafen geschlossen.61 Man könnte also sagen, dass der Perleberger Vertrag von 1420 immerhin den Weg in Richtung des ewigen Bündnisses von 1442 wies, auch wenn das anfangs so überhaupt nicht geplant oder vorhersehbar war. Erich V. und seine Brüder traten in d ­ iesem weiteren Konfliktgeschehen nicht mehr in Erscheinung. Ihnen waren nach der bitteren Niederlage gegen Hamburg und Lübeck wohl einfach zu sehr die Hände gebunden, womit wir auf die Konsequenzen der zweiten Vereinbarung vom 23. August 1420 zu sprechen kommen. Während die erstere, wie gesagt, zunächst nur bescheidene konkrete Auswirkungen hatte, aber wenigstens eine friedliche Atempause von drei bis fünf Jahren bescherte und dann die Weichen zum längerfristigen Ausgleich stellte, war die zweite Einigung z­ wischen den Hansestädten und den SachsenLauenburger Herzögen weitaus folgenreicher. Das war Erich V. schon bei der Einwilligung in die harten Friedensbedingungen bewusst. Deswegen ließ er auch am selben Tag um die erste Stunde, also um 7 Uhr morgens, in Anwesenheit des mecklenburgischen Herzogs Johann  IV. und des pommerschen Herzogs Kasimir V. durch den Kleriker der Bremer Diözese und kaiserlich bevollmächtigten Notar Johannes Achym eine geheime Protestation abfassen.62 Darin legte der Herzog dar, dass die Städte ihm und seinen Brüdern die Schlösser Bergedorf und Riepenburg mit Zugehörden sowie den Zoll von Eßlingen, wiewohl sie alles als väterliches Erbe friedvoll und in Ruhe besaßen, entrissen hätten. Im Fall Bergedorfs war seine Behauptung, es handele sich um ein väterliches Erbe, mehr als fraglich. Weiter klagte er, ihnen gingen so 3000 Mark an jährlichen Einnahmen verloren – eine Summe, die von ihm gewiss absichtlich überhöht wurde.63 Auch gäben er und seine Brüder den Schutzbrief, der die Lübecker zur Zahlung von 300 Mark lübisch jährlich an sie verpflichtete, nur aus Furcht vor weiterer Gewalt heraus. Er habe den ­Vertragsbedingungen nicht 60 Ludwig Schultz, Art. „Johann III.“, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 14, Leipzig 1881, S. 243 f.; Schultze (wie Anm. 8), S. 37. 61 CDB, Bd. 2.4, hg. v. Adolph Friedrich Riedel, Berlin 1847, Nr. 1636 (1442 April 8), S. 264 – 270. – Siehe dazu Auge (wie Anm. 10), S. 74; Meyn (wie Anm. 1), S. 6. 62 Siehe dazu und zum Folgenden LASH , Urk.-Abt. 210, Nr. 253 (unter dieser Signatur sind zwei besiegelte Ausfertigungen sowie eine unbesiegelte Ausfertigung der Urkunde zu finden); UBS tL 6 (wie Anm. 2), Nr. 267 (1420 Aug. 23), S. 300 – 303. – Siehe dazu Kellinghusen (wie Anm. 15), S. 273; Postel (wie Anm. 2), S. 56 f.; Schulze (wie Anm. 2), S. 114. 63 Victoria Overlack, Vom „verschlossenen Haus“ zum öffentlichen Ort, in: Das Bergedorfer Schloss. Een sloten Huß. Entstehung, Funktionen, Baugeschichte, hg. v. ders., Hamburg 2008, S. 40 – 93, hier S. 49, geht allerdings umgekehrt davon aus, dass die 1422 von den Städten geschätzten fiskalischen Einnahmen in Höhe von 800 Mark lübisch für das Amt Bergedorf, davon allein 380 Mark für den Zoll zu Eßlingen, und 470 Mark lübisch für Riepenburg (ebd., S. 48) zu niedrig angesetzt gewesen ­seien.

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freiwillig seine Zustimmung erteilt, sondern aus Furcht vor Gewalt, weshalb die Friedensurkunde nichtig sei. Diese Gewalt richte sich gegen Gott und die Gerechtigkeit. Allerdings blieb der herzogliche Protest wirkungslos.64 Symptomatisch steht Erichs erfolgloser Versuch, gegen den Perleberger Vertrag anzugehen, für seine nunmehrige Machtlosig­keit gegenüber Hamburg und Lübeck. Seine Protestation war aber auch deswegen von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil sein Hauptargument, die Einigung sei durch Gewalt erpresst worden, nicht unangefochten gelten konnte. Die Städte hatten die Orte in offener und angesagter Fehde erobert, wie der Vertragstext nicht umsonst betonte.65 Nach den damaligen Rechtsvorstellungen war eine s­ olche Eroberung legitim; die unterlegene Partei hatte sie zu akzeptieren.66 Bergedorf, Riepenburg und die Vierlande mit Geesthacht gingen den Sachsen-Lauen­ burger Herzögen dauerhaft verloren.67 Bergedorf und Riepenburg wurden fortan als Kondominium von je einem Amtmann aus Hamburg und Lübeck verwaltet. Die beiden Städte tauschten die Verwaltung der Ämter in vierjährigem bzw. ab 1446 in sechsjährigem Verwaltungsturnus, bis sie 1512 zu einem geschlossenen Amtsbezirk vereinigt wurden.68 Ab 1620 übten Amtsverwalter, die in Diensten beider Städte standen und abwechselnd aus Hamburg oder aus Lübeck entsandt wurden, ihr Amt lebenslänglich aus.69 Erst 1867 wurde die gemeinschaftliche Herrschaft aufgehoben, als Lübeck seinen Anteil an Bergedorf für 200.000 Taler an Hamburg verkaufte.70 Mit Wirkung vom 1. Januar 1868 an gebot Hamburg allein über Bergedorf. Stadt und Schloss Bergedorf mit den Kirchspielen Altengamme, Curslack und Geesthacht und einem Teil des Sachsenwaldes waren bereits von 1370 bis 1401 als Pfand in den Besitz Lübecks übergegangen und nur gewaltsam an die Herzöge von Sachsen-Lauenburg zurückgelangt. Der Perleberger Frieden warf den Herrschaftsbereich der Herzöge nicht nur wieder auf den Stand dieser gut 30-jährigen Phase ab 1370 zurück, sondern er reduzierte den herzoglichen Einfluss durch den Totalverlust auch der Riepenburg, der einträglichen Zollstelle Eßlingen mit zugehöriger Fähre und der benachbarten Kirchspiele Kirchwerder und Neuengamme, die bisher unbestrittener Besitz des Herzogs gewesen 64 Peter von Kobbe, Geschichte und Landesbeschreibung des Herzogthums Lauenburg, Bd. 2, Altona 1836, S. 139. – Der schriftlich formulierte Vorbehalt wurde erst rund 200 Jahre ­später bekannt. 65 AHL , 7.1 – 3.26 Saxo-Lauenburgica 268*; UBS tL 6 (wie Anm. 2), Nr. 266 (1420 Aug. 23), S.  299 f. 66 Overlack (wie Anm. 63), S. 43. 67 Siehe dazu und zum Folgenden Schulze (wie Anm. 2), S. 114, Anm. 355. 68 Overlack (wie Anm. 63), S. 51 – 56. – Johannes von Schröder, Hermann Biernatzki, Topographie der Herzogthümer Holstein und Lauenburg, des Fürstenthums Lübeck und des Gebiets der freien und Hanse-Städte Hamburg und Lübeck, Bd. 1, Oldenburg i. H. 21855, S. 149, erklären die Zusammenlegung durch den 1506 erfolgten Abriss des baufälligen Riepen­ burger Schlosses. 69 Overlack (wie Anm. 63), S. 66. 70 Ebd., S. 85.

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waren, noch viel weiter. Die Städte sicherten sich große und geostrategisch günstig entlang der Elbe gelegene Bereiche. Die militärische Machtdemonstration gegenüber den Herzögen war so durchschlagend und deren Niederlage so schwer, dass sich für lange Zeit keine weiteren Konflikte mehr ergaben. Da die Herzöge nur drei Jahre nach dem Perleberger Frieden von 1420 auch nicht das erhoffte Erbe ihrer Wittenberger Verwandten samt Kurwürde antreten konnten, stellen die 20er Jahre des 15. Jahrhunderts, wie Jörg Meyn zu Recht urteilt, „den absoluten Tiefpunkt in der Geschichte der Lauenburger Askanier“ dar.71 Nicht zuletzt dieser Tiefpunkt prägte ihnen das Stigma von klassischen „Verlierern der Geschichte“ auf.72 Zwar erfolgten unter Erichs Bruder und Nachfolger Bernhard II. (1385 – 1463) erste Schritte zur Rekonsolidierung der sachsen-lauenburgischen Herrschaft. Aber an den wesentlichen Bestimmungen des Perleberger Vertrags vom 23. August 1420 konnten weder er noch seine Nachfolger rütteln.

71 Jörg Meyn, Zur Dynastie der Askanier. Die askanischen Herzöge von Sachsen-Lauenburg, vornehmlich im 14. Jahrhundert, in: Askanier-Studien der Lauenburgischen Akademie (Kolloquium der Lauenburgischen Akademie für Wissenschaft und Kultur 16), hg. v. Eckardt Opitz, Bochum 2010, S. 289 – 320, hier S. 307. – Siehe zum erhofften, aber entgangenen Erbe ebd., S. 305. 72 Siehe die Auflistung bei Oliver Auge, Die Herzöge von Sachsen-Lauenburg und der dynastische Heiratsmarkt in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 148 (2012), S. 119 – 152, hier S. 119 f. („Verlierertum auf breiter Front“: S. 120). Auge widerspricht der Ansicht in dem betreffenden Beitrag zumindest für die herzogliche Heiratspolitik, die als durchaus erfolgreich zu bewerten ist (ebd., S. 147). – Siehe zu einer angezeigten Neubewertung der Herzöge nunmehr Franziska Hormuth, Strategien dynastischen Handelns in der Vormoderne. Die Herzöge von Sachsen-Lauenburg (1296 – 1689) (Kieler Schriften zur Regionalgeschichte 5), Kiel/Hamburg 2020.

Landfriedensbündnisse zwischen dem Deutschen Orden und den pommerschen Herzogtümern aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: Vertragsschließungsverfahren und Vertragsinhalte Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Diplomatiegeschichte nordostdeutscher Reichsterritorien Klaus Neitmann

1. Einleitung Im Gegensatz zu den Gegenständen der meisten anderen Beiträge ­dieses Bandes behandelt die vorliegende Untersuchung nicht einen der „großen“ spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Friedensverträge, nicht einen oder mehrere der durch umwälzende politische Ergebnisse und Wirkungen ausgezeichneten Friedensschlüsse. Auch die jedem Deutschordens- und Ostmitteleuropahistoriker vertrauten Friedensvereinbarungen ­zwischen dem Deutschen Orden, Polen und dessen Verbündeten aus dem 15. Jahrhundert, die beiden zu Thorn 1411 und 1466 und die zu Brest 1435, werden hier ausgespart, weil pommersche Herzöge zwar auf polnischer Seite in sie einbezogen waren, aber doch nur als Randfiguren, als Mitaussteller und Mitbesiegler der Urkunden ohne selbständige Rolle und eigenständige Gestaltungskraft. Stattdessen haben wir für unsere Analyse die Landfriedenseinungen und Landfriedensbündnisse ausgewählt, die in einer Zeit enger politischer Beziehungen ­zwischen dem Deutschen Orden, vornehmlich dessen Hochmeistern, aber auch dessen Vögten der Neumark und von Schivelbein, und pommerschen Herzogtümern, vornehmlich den Herzögen von Pommern-Stolp und Pommern-Stettin, in dem guten Jahrzehnt ­zwischen 1440 und 1452 eingehend und wiederholt erörtert wurden. Das Ziel der Verhandlungen bestand darin, ­zwischen den beteiligten Territorien, deren Landesherren wie deren Untertanen, den bestehenden Friedenszustand, wie er nach dem Krieg von 1433 ­zwischen dem Orden und Polen-Litauen unter Einschluss von Pommern-Stolp durch den „Ewigen Frieden“ von Brest 1435 hergestellt worden war,1 durch zeitlich begrenzte oder dauerhafte zusätzliche Absprachen besser zu gewährleisten und stärker zu vertiefen, indem in ausgedehnten, verschiedenartigen diplomatischen Kontakten Verfahren zur

1 Carl August Lückerath, Paul von Rusdorf. Hochmeister des Deutschen Ordens 1422 – 1441 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 15), Bad Godesberg 1969, S.  146 – 172; Klaus Neitmann, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230 – 1449. Studien zur Diplomatie eines spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaates (Neue Forschungen zur brandenburg-preußíschen Geschichte 6), Köln, Wien 1986, S. 208 – 219 u. ö. (vgl. Register, S. 692, s. v. Brester Friede mit Polen-Litauen [1435]).

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Schlichtung b­ eiderseitiger Rechtsstreitigkeiten und Konflikte und zum Ausgleich gegenseitiger Ansprüche und Klagen vereinbart werden sollten, um ihren gewaltsamen Austrag zu unterbinden. Gleich eingangs muss hervorgehoben werden, dass die Gespräche in all diesen Jahren letztlich kein endgültiges Ergebnis in Gestalt besiegelter und ausgetauschter Vertragsausfertigungen erreichten – infolge der grundlegenden politischen Konstellation, in der sie geführt wurden. Auch wenn der Deutsche Orden und Pommern unter sich eine bilaterale Vereinbarung anstrebten und ihr zeitweise und mehrfach in manchen Entwürfen sehr nahekamen, hingen ihr Verhalten und ihre Entscheidungen maßgeblich von einem abwesenden Dritten ab, dem Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg. Die Vertragsverhandlungen bewegten sich im politischen Dreieck Orden–Pommern–Brandenburg. Aus Sicht des Ordens und Pommerns waren sie vorrangig ein Mittel zur Abwehr und Eindämmung der Ansprüche des Kurfürsten Friedrichs II. auf die Wiedereingliederung der Neumark in das (angeblich laut Goldener Bulle unteilbare) Kurfürstentum Brandenburg bzw. auf die Durchsetzung der brandenburgischen Lehnsoberhoheit über Pommern und die Ausdehnung der märkischen Herrschaft im uckermärkisch-pommerschen Grenzgebiet. Je nachdem, ob ihre Beziehungen zu Brandenburg sich eher feindlich oder eher freundlich gestalteten, wurden die Bündnisverhandlungen von dem jeweils anderen Partner gefördert und vorangetrieben oder umgekehrt verlangsamt und auf Eis gelegt.2 Von diesen wechselnden politischen Lagen werden die nachfolgenden Darlegungen nicht handeln, stattdessen stehen in ihrem Mittelpunkt die ausgedehnten Erörterungen über den Landfrieden ­zwischen benachbarten Territorien: Wie kann Friede, Freundschaft und Eintracht unter den Vertragsparteien, d. h. ­zwischen ihren Landesherren, ihren Amtsträgern und all ihren Untertanen, erreicht werden und gewährleistet bleiben? Diese Absicht steht zwar in Zusammenhang mit den angedeuteten konkreten Konstellationen und Zielen der unterschiedlichen Akteure oder ist gar von ihnen ausgelöst, aber sie geht in ihnen nicht auf, sie existiert auch unabhängig von ihnen, weil der interterritoriale Friedenszustand über die aktuelle politische Verbindung hinaus umfassend angestrebt und verwirklicht werden soll. Gewünscht werden zumeist nicht nur Landfriedenseinungen zur Herbeiführung und Sicherung des Landfriedens, sondern Landfriedensbündnisse: Zwei an sich getrennte Ziele, 2 Vgl. die knappe, aber konzentrierte Darstellung bei Klaus Eberhard Murawski, Zwischen Tannenberg und Thorn. Die Geschichte des Deutschen Ordens unter dem Hochmeister Konrad von Erlichshausen 1441 – 1449 (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 10/11), Göttingen 1953, S. 145 – 151. – Die schmale Königsberger Dissertation von Wilhelm Loos, Die Beziehungen ­zwischen dem Deutsch-Ordensstaat und Pommern, Diss. phil. Königsberg 1937, behandelt die Vorgänge zwar detaillierter, aber nicht unbedingt tiefgründiger. – Zu den politischen Verhältnissen Pommerns in der ersten Hälfte und der Mitte des 15. Jhs. vgl. immer noch wegen seiner Ausführlichkeit: Martin Wehrmann, Geschichte von Pommern, Bd. 1: Bis zur Reformation (1523), Gotha 1919, ND Würzburg 1982, S. 188 – 210, bes. S. 201 f., 206 f. zu den innerpommerschen Landfriedensbünden und den Beziehungen zum Deutschen Orden. – Knapper: Hans Branig, Geschichte Pommerns, Teil I: Vom Werden des neuzeit­ lichen Staates bis zum Verlust der staatlichen Selbständigkeit 1300 – 1648, Köln, Weimar, Wien 1997, S.  44 – 53.

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nämlich einerseits die Herstellung eines politischen Bündnisses oder zumindest einer politischen Partnerschaft und andererseits die Herstellung einträchtigen Miteinanders und friedlicher Ruhe unter den Beteiligten, werden in unseren Fällen wiederholt miteinander verbunden in der Weise, dass die Pläne eines Bündnisses zu dessen Vertiefung die eines Landfriedens anstoßen. Unsere Mächte rangen dabei nicht um die Entscheidung der großen territorialpolitischen und staatsrechtlichen Konflikte miteinander, sondern bemühten sich darum, sozusagen im politischen „Alltag“ den z­ wischen ihnen an sich bestehenden, aber immer wieder von einzelnen adligen und bürgerlichen Friedensbrechern gestörten und daher sehr brüchigen, gefährdeten Friedenszustand ­zwischen ihren Landesherrschaften fester und unverbrüchlicher zu verankern. Die vorgesehenen Landfriedensvereinbarungen sollten nicht die von ihnen ausgetragenen Kriege beenden, sondern die ständigen Friedensverletzungen unterbinden, aufgebrochene Auseinandersetzungen einhegen und schlichten sowie gegenwärtige oder künftige kleinere oder größere Kriege und Fehden ausschließen bzw. von vornherein durch vorbeugende Regelungen zur Feststellung und Beachtung des „Rechtes“ vermeiden. Unter Berufung auf biblische Gebote wurde zuweilen ausdrücklich ein hoher Anspruch erhoben, wenn es einmal in der Arenga eines vom Deutschen Orden stammenden Vertragsentwurfes von 1448 heißt, man möge betrachten und zu Herzen nehmen „das gebot Gotis in dem ewangelio und ouch die ermanung des apostels van der liebe, eintracht und frede, das kein werck uff erden anname [= angenehm] sei, es sei denne, das es in die libe, eintracht und frede gegrundet werde.“ 3 Und Friede und Eintracht unter den Parteien konnten nur hergestellt und gewahrt werden, wenn sie sich auf das Recht gründeten, wenn die beiderseitigen Vorwürfe, Klagen und Beschwerden nach Recht untersucht und entschieden wurden. Das Begriffspaar „Krieg und Fehde“ taucht durchgängig in unseren Texten auf, beide Vokabeln werden eindeutig synonym gebraucht und bezeichnen nicht unterschiedliche Arten gewalttätiger Auseinandersetzungen. Die hier betrachteten Landfrieden waren darauf angelegt, das im 14. und 15. Jahrhundert in Pommern und an den Grenzen zu seinen Nachbarn blühende Fehdewesen von Landesherren, Adligen und Städten merklich einzugrenzen oder gänzlich aufzuheben, indem Rechtswege geschaffen wurden, die den gewaltsamen Streit und den bewaffneten Kampf ­zwischen zwei Landesherren und ihren jeweiligen Untertanen überflüssig machen, die Nachbarn zur Anerkennung eines sorgsam und überlegt gefundenen Rechtsspruches bringen und ihnen den allerletzten Ausweg, eben die Fehde zur Durchsetzung ihres eigenen Rechtsstandpunktes, verbauen sollten. Die Bekämpfung und Unterdrückung der Fehde, die Sicherung des befristeten oder möglichst des „ewigen“ Landfriedens ist bekanntlich ein großes Thema der Geschichte des Deutschen Reiches im 15. Jahrhundert,4 und unser kleiner Gegenstand gehört in diesen 3 Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, Bd. 2 (1438 – 1467), hg. v. Erich Weise, Marburg 1955 (im Folgenden zitiert: StV 2), Nr. 264, S. 85. 4 H.-J. Becker, Landfrieden, I. Deutschland, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München, Zürich 1991, Sp. 1657 – 1658; A[ndrea] Boockmann, Art. Fehde, Fehdewesen, in: ebd., Bd. 4,

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Rahmen hinein, geht es in ihm doch darum, wie benachbarte Territorien, ihre Fürsten, ihre Stände, ihre Untertanen, überzeugende und angenommene Rechtswege unter Ausschluss der bewaffneten Selbsthilfe zu schaffen suchten. Im Folgenden wollen wir unser eben in Grundzügen skizziertes Thema zur Erkenntnis von Formen und Inhalten der Landfriedensverträge in vier Schwerpunkte gliedern – ausschließlich auf der Grundlage des vorliegenden gedruckten,5 aber vor allem des im Hochmeisterarchiv (heutzutage im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in BerlinDahlem)6 vorhandenen ungedruckten Quellenstoffs, da die landesgeschichtliche Literatur sich bislang der spätmittelalterlichen Diplomatie im Hinblick auf die von ihr verwandten Techniken nur wenig angenommen hat. Wir gehen von den geplanten und eingeleiteten Vertragsschließungsverfahren aus: In welcher Weise sollte der Vertrag zustande kommen? Also: Wer war an den Verhandlungen und am Abschluss in welcher Weise mit welcher Funktion beteiligt? Welche Dokumente benötigte und benutzte die Diplomatie für ihre bi- oder multilateralen Kontakte an w ­ elchen Orten? Wo führten die Beteiligten ihre bilateralen Gespräche? Ferner: Wenn wir so nachdrücklich den Charakter der Landfriedensbündnisse herausgestellt haben, ergibt sich aus ihm zugleich, dass der Akzent gleichmäßig oder vorrangig, aber eben eng miteinander verquickt entweder auf das Bündnis oder auf den Landfrieden gelegt wurde. So werden wir die Inhalte der Verträge einerseits im Hinblick auf die Bündnisverpflichtungen und anderseits im Hinblick auf die Methoden zur Friedensherstellung und -sicherung untersuchen. Die detaillierten Erörterungen sollen in der Summe darauf zielen, unter Zurückstellung der konkreten politischen Absichten der beteiligten Parteien vorrangig ihre diplomatische Arbeitsweise in ihrem mündlichen und schriftlichen Verkehr zu erhellen.7 München, Zürich 1989, Sp. 331 – 334. – Eine repräsentative Quellensammlung zur Reichsreform des 15. Jahrhunderts verdeutlicht in zahlreichen abgedruckten Texten das Ringen von König und Reichsständen um die Sicherung des Landfriedens: Quellen zur Reichsreform im Spätmittelalter, ausgewählt u. übersetzt v. Lorenz Weinrich (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 39), Darmstadt 2001. 5 Maßgeblich ist der zweite Band von Erich Weises Edition der Staatsverträge des Deutschen Ordens, siehe Anm. 3. 6 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem, XX. Hauptabteilung: Historisches Staatsarchiv Königsberg. Für unsere Untersuchung wurden herangezogen die Bestände Pergamenturkunden (PU), Ordensbriefarchiv (OBA) und Ordensfolianten (OF). Dabei wird im Folgenden zur Vereinfachung der Nachweisführung auf die Angabe des sie verwahrenden Archivs verzichtet. 7 Die hier skizzierte Fragestellung gibt unschwer zu erkennen, dass mit ihr ­Themen wiederaufgegriffen und für einen sachlich und zeitlich eng begrenzten Rahmen, nämlich für die Beziehungen des Deutschen Ordens zu einem einzigen Nachbarland innerhalb eines guten Jahrzehnts in der Mitte des 15. Jahrhunderts, vertieft werden, die bereits in meiner Studie über die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen (siehe Anm. 1) behandelt worden sind, sodass im Folgenden zur Abrundung der hier vorgetragenen Überlegungen mehrfach auf diese zu verweisen sein wird. – Die hier skizzierte Schwerpunktsetzung berührt sich grundsätzlich und in manchen Einzelaspekten eng mit dem Tagungsband: ­Gesandtschaftswesen

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2. Die Arbeitsweise der Diplomatie: Unterhändler, Dokumente, Verhandlungsorte und Herrschertreffen Leiten wir unsere Überlegungen zum Vertragsschließungsverfahren mit den Unterhändlern ein, denen es vorrangig anvertraut war.8 Die Vertreter, die der Hochmeister des Deutschen Ordens für Gespräche, Tagfahrten und Gerichtstage mit den Herzögen von Pommern bestimmte, entstammten drei Gruppen innerhalb seiner Amtsträgerschaft. An der Spitze standen geradezu konkurrenzlos die in der Ordenshierarchie unmittelbar unter dem Hochmeister stehenden Gebietiger, also die Ordensbrüder, die einen lokalen Bezirk des Ordenslandes, eine Komturei oder ein Pflegeamt, verwalteten.9 Für die diplomatischen Geschäfte mit Pommern wurden vorrangig und schwerpunktmäßig diejenigen Gebietiger eingesetzt, deren Herrschaftsgebiete unmittelbar an Pommern angrenzten oder zumindest in Pommerellen in der weiteren Umgebung lagen,10 die daher mit den beiderseitigen nachbarschaftlichen Beziehungen und deren Problemen aus ihrer alltäglichen Praxis bestens vertraut waren und aufgrund der räumliche Nähe schnell den Kontakt zu ihren pommerschen Gesprächspartnern herstellen konnten. Vornehmlich sind zu nennen die Pfleger zu Bütow (Dietrich von Werdenau, Hans Graf von Gleichen),11 die zumindest quantitativ am meisten eingesetzt wurden, die Komture zu Schlochau (Hans Rabe)12 und Tuchel (Heinrich von Rabenstein),13 auch der Komtur von Schwetz (Hans von Reibenitz)14 und die Vögte von Lauenburg (Hans von Vippach)15 und Dirschau (Ulrich von Wrede, Hans

und B ­ otenwesen im spätmittelalterlichen Europa, hg. v. Rainer C. Schwinges, Klaus Wriedt (Vorträge und Forschungen 60), Ostfildern 2003; vgl. die einleitenden Bemerkungen der beiden Hg.: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittel­alterlichen Europa – eine Einführung, in: ebd., S. 9 – 14, bes. S. 12 f., mit der zentralen Aussage: „[…] geht es nun in ­diesem Band weniger um politische Inhalte und Gegenstände von Verhandlungen als vielmehr um die handelnden Personen, die Formen und die Praxis der gesandtschaftlichen Tätigkeit“ (S. 13). 8 Vgl. Neitmann (wie Anm. 1), S. 15 – 75 („Gesandte und Gesandtschaften“). – Tagungsband mit Beispielen aus verschiedenen europäischen Ländern: Gesandtschaftswesen, hg. v. ­Schwinges, Wriedt (wie Anm. 7). 9 Peter Gerrit Thielen, Die Verwaltung des Ordensstaates Preußen vornehmlich im 15. Jahrhundert (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 11), Köln, Graz 1965. 10 Vgl. die Karte: Verwaltung des Ordenslandes Preußen um 1400, entworfen v. Hans ­Mortensen †, Gertrud Mortensen, Reinhard Wenskus, bearb. v. Hartmut Gauss, ­Birgit Seeberg-­Elverfeldt (Historisch-geographischer Atlas des Preußenlandes, Lieferung 1), Wiesbaden 1968. 11 Dietrich von Werdenau: StV 2, Nr. 192, S. 11 (1441). – Hans Graf von Gleichen: StV 2, Nr. 232, Nr. 233, S. 51 (1444), Nr. 264, S. 85 (1448) u. ö., siehe weiter unten im Text. 12 PU Schiebl. 47 Nr. 3 (1451). 13 StV 2, Nr. 194, S. 12 (1442). 14 StV 2, Nr. 193 (1442, Schiedsrichter). 15 OF 17, S. 812 (1449).

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Dobenecker).16 Großes Gewicht kam den Vögten der Neumark (Georg von Egloffstein, Hans Dobenecker und Christoph Eglinger) und von Schivelbein (Walter Kerskorff, Hans Dobenecker)17 zu. Neumark, Schivelbein, Schlochau, Bütow und Lauenburg waren die Ordensbezirke, die unmittelbar an pommersche Herzogtümer bzw. das Bistum Cammin angrenzten. Gelegentlich – im Sinne der Ausnahme von der Regel – waren die hochrangigsten Gebietiger, die fünf bis sieben Ratsgebietiger des sog. Inneren Rates, beteiligt, deren Bezirke durch Größe und Vermögen herausragten: vornehmlich der Komtur zu Danzig (Nikolaus Postar),18 dessen Nähe zu Pommern sicherlich die maßgebliche Rolle spielte, außerdem der Komtur zu Elbing (Heinrich Reuß von Plauen),19 der als Person in der fraglichen Zeit über großen Einfluss in der Ordenskorporation verfügte, auch der Tressler (Ulrich Eisenhofer), der Hüter der hochmeisterlichen Kassen 20. Fast gar nicht erscheint ein Gebietiger aus den östlich der Weichsel gelegenen preußischen Komtureien, wie der Komtur zu Osterode (Wilhelm von Eppingen).21 Die niederadligen Gebietiger aus der Ordensbruderschaft ergänzten gelegentlich bürgerliche gelehrte Räte (mit geistlicher Funktion), wie Andreas Ruperti, Pfarrer zu St. Marien in Danzig,22 einer der bedeutendsten juristischen Ratgeber der Hochmeister in dieser Zeit, und Johann von Ast, Lehrer geist­lichen Rechtes und Pfarrer zu Thorn 23. Selten waren ständische Angehörige aus den Reihen des Adels oder der Städte beteiligt.24 Auf der Seite des Herzogtums Pommern-Stolp, das im betrachteten Zeitraum die engsten Beziehungen zum Orden pflegte, trat den Ordensvertretern eine weitgehend ihrer Stellung und Herkunft nach gleichartige Gruppe gegenüber. Zu Unterhändlern und Schiedsrichtern wurden bestellt hoch- und niederadlige Personen aus dem herzoglichen Hof wie aus der herzoglichen Landesverwaltung, gemeinhin landesherrliche „Räte“, also als hochrangigster Stand Graf Albrecht von Eberstein-Naugard,25 dann Hofbeamte wie der Marschall und Hofmeister (Konrad Flemming),26 der Kanzler (Henning Iwen, der spätere Bischof von 16 StV 2, Nr. 193 (1442, Schiedsrichter); Nr. 232, Nr. 233, S. 51 (1444). 17 StV 2, Nr. 194, S. 12 (1442); PU Schiebl. 47 Nr. 3 (1451). 18 StV 2, Nr. 232, Nr. 233, S. 51 (1444); OF 16, S. 1096 – 1097; OF 16, S. 1151 (1446). – Vgl. B ­ ernhart Jähnig, Der Danziger Deutschordenskonvent in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Personengeschichte des Deutschen Ordens, in: Danzig in acht Jahrhunderten. Beiträge zur Geschichte eines hansischen und preußischen Mittelpunktes, hg. v. dems. u. Peter Letkemann (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens 23), Münster 1985, S. 151 – 184, bes. S.  152 – 154. 19 StV 2, Nr. 194, S. 12 (1442). 20 StV 2, Nr. 232, Nr. 233, S. 12 (1444); OF 16, S. 1096 – 1097 (1446). 21 PU Schiebl. 47 Nr. 3 (1451). 22 StV 2, Nr. 194, S. 12 (1442). 23 OF 17, S. 812 (1449). 24 Fritz von Eppingen, Erbarmann aus Pommerellen, und der Bürgermeister zu Konitz Heinrich Schwentner, 1442 als Schiedsrichter (StV 2, Nr. 193). 25 StV 2, Nr. 193 (Schiedsrichter), Nr. 194, S. 12 (1442). 26 StV 2, Nr. 194, S. 12 (1442).

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Cammin, bzw. Magister Johann Abtshagen),27 Räte am Hof oder in der Lokalverwaltung, wie Lorenz Puttkamer (Rat)28 oder Lüdike Massow (Hofmeister und Hauptmann von Zanow)29. Mitglieder der Stände wurden nur sehr selten berücksichtigt. So wurden der Abt Gregor von Belbuk und der Ritter Henning von Dewitz zu Schiedsrichtern bestellt, und einmal entsandten die pommerschen Herzöge und Stände nach gemeinsamer Beratung den Bürgermeister von Stargard, Tonies Parcham, zum Vogt der Neumark zur Anbahnung eines herrscherlichen Treffens.30 Ein Gegenstück zu Ruperti, also ein gelehrter Rat, fehlte unter den Pommern. Einen ressortmäßig abgegrenzten diplomatischen Dienst gab es selbstverständlich nicht, die benannten Gebietiger und Räte nahmen neben ihren sonstigen Aufgaben in der Hofund Landesverwaltung auch außenpolitische Einsätze entsprechend ihrer sachlichen Nähe zu den jeweiligen Gegenständen wahr. Es waren in erster Linie Personen aus dem unmittel­ baren Umfeld der Landesherren, Amtsträger in ihrer Residenz oder in ihren L ­ andgebieten, weltliche Räte der Herzöge in Pommern und die ihnen funktional entsprechenden geistlichen Gebietiger im Ordensstaat, die für die Verhandlungen mit den anderen Territorialmächten zu Gesandtschaftsdiensten herangezogen wurden. Wenn es das Gewicht des Verhandlungspartners bzw. des Verhandlungsgegenstandes nahelegte, wurde eine aus den eigentlichen Unterhändlern und ihrer größeren Begleitung bestehende Gesandtschaft zusammengestellt. 1449 kündigte der Hochmeister dem Herzog von Wolgast zur Behandlung und Schlichtung aktueller Streitigkeiten die Entsendung seines gelehrten Pfarrers zu Thorn, des Vogtes zu Lauenburg und anderer an. Dabei ersuchte er ihn, für seine über Pommern nach Lübeck weiterreisende „mercliche botschafft“, eine offensichtlich umfangreiche Gesellschaft, einen Geleitbrief für deren Zug durch die herzoglichen Lande in allen denkbaren Varianten auszustellen: Er bat darum, dass der Herzog die beiden genannten Sendeboten „mit irem gesinde, pferden, habe, gerete und geferten zcu euch und ouch widder van euch durch euwerer herlichkeit lande, gebite, stete, gegenoten, zcu lande und zcu wasser us und in, hen und widder hieczwsschen [Januar 28] und sant Johannis baptisten tag [Juni 24] sichern, veligen und geleiten“ wolle.31 Zur Pflege der nachbarschaftlichen Beziehungen und zur Erörterung von Vertragsbedingungen waren neben und vielleicht sogar vor den sachkundigen Räten der eigenen Seite auch „Vertrauensleute“ auf der anderen Seite von größter Bedeutung, also Amtsinhaber in gewichtigen Positionen, denen an freundschaftlichen Verhältnissen zum Nachbarn gelegen war, die ihm aufgrund solcher Überzeugung inhaltsreiche Hinweise über politische Überlegungen des eigenen Landes vermittelten und politische Empfehlungen aussprachen. Ein paar aussagekräftige Beispiele ­seien dazu vorgeführt. Im August 1450 27 28 29 30 31

StV 2, Nr. 194, S. 12 (1442), Nr. 258, Protokoll vor § 1 (1447). StV 2, Nr. 192, S. 11 (1441), Nr. 237 (1445), Nr. 258, Protokoll vor § 1 (1447). Siehe die Belege unten S. 66 f. mit Anm. 34 – 36. StV 2, Nr. 193 (1442); OBA 11512 (1452). OF 17, S. 812 (1449 Januar 28).

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berichtete Bischof Henning von Cammin dem Pfleger zu Bütow, Hans Graf von Gleichen, über seine Gespräche mit den pommerschen Herzögen Wartislaw IX ., Barnim VII . und Barnim VIII . von Wolgast und Joachim von Stettin wegen eines von ihnen mit dem Orden erwogenen Bündnisvertrages. Dabei leitete er bezeichnenderweise sein Schreiben mit der Selbstcharakterisierung seines grundsätzlichen Standpunktes ein, den er schon in seiner Tätigkeit als Kanzler des 1446 verstorbenen Herzogs Bogislaw IX . von Stolp vertreten habe: Der Pfleger wisse wohl, „dat wii allewege gerne deden umme des ordens willen dat beste unde menden den orden mid groten truwen und weren den eren gerne behulpen, wor wii konden und mochten, also wii ock alduslange gerne dan hebben unde ock noch gudwillich sint thu dunde.“ Der Bischof befürwortete das von ihm dem Pfleger schon früher angedeutete Landfriedensbündnis, damit sich nicht die Stettiner Herzöge mit anderen Fürsten zum Nachteil des Ordens zusammenschlossen, „dat wii doch, God weyt, rechte ungerne zegen unde uns van alleme herten leit were“. So forderte er den Pfleger nachdrücklich dazu auf, um seines, des Bischofs willen selbst zum Hochmeister zu reiten und dessen Haltung zu einem Bündnisabschluss zu erfragen, damit er, der Bischof, dementsprechend die Herzöge unterrichten könne.32 Umgekehrt erfreute sich derselbe Bütower Pfleger des Wohlwollens und der Zuneigung seines pommerschen Nachbarn, des ehemaligen dänischen und schwedischen Königs Erichs VII ., nachdem dieser sich 1449 nach Pommern-Stolp bzw. Rügenwalde zurückgezogen hatte. Im Oktober 1450 wurde Erich nämlich davon überrascht, dass Hochmeister Ludwig von Erlichshausen den Grafen von Gleichen seines Bütower Pflegeramtes entbunden hatte, und fragte das Ordensoberhaupt besorgt, ob die Absetzung von dessen soeben stattgefundenen Verhandlungen mit dem König oder gar um des Königs willen verursacht worden sei, und er bat den Hochmeister darum, „gi deme ergescrevenen unseme heren unde vrunde [sc. dem Grafen von Gleichen] unser nicht lathen entghelden, dat hee unse vrunt is unde uns vruntliken gezocht heft“.33 Auf pommerscher Seite gehörte vorrangig Lüdike Massow zu den unverbrüchlichen Ordensfreunden,34 befürwortete wiederholt Bündnis- und Friedensverträge beider ­Seiten 32 OBA 10325 (1450 August 13). 33 OBA 10413 (1450 Oktober 26). Über die unmittelbare schriftliche Ansprache des Pflegers von Bütow hatte König Erich eine persönliche Begegnung mit dem Hochmeister (HM) Konrad von Erlichshausen wohl im Jahr 1449 zu erreichen gesucht; OBA 10468 (1450 Dezember 17, König Erich an HM Ludwig von Erlichshausen). 34 1452 bot Massow Hochmeister Ludwig von Erlichshausen in einer über übliche Freundschaftsbekundungen hinausgehenden Formulierung an, ihm und dem Orden Dienste in allen denkbaren Angelegenheiten leisten zu wollen, „dar schal mi alleweghe iuwe gnade vinden alse iuwen truwen denre“ (OBA 11199, 1452 April 9, Lüdike Massow an HM Ludwig von Erlichshausen). Vgl. Massows Beteiligung an den Verhandlungen bzw. Gerichtstagen z­ wischen den Herzögen von Pommern-Stolp und den Hochmeistern Konrad und Ludwig von Erlichshausen oder deren Gesandten: StV 2, Nr. 191, S. 10 (1440), Nr. 192, S. 11 (1441); Nr. 193, 194 (1442); Nr. 232, 234 (1444); Nr. 237 (1445); Nr. 258, Protokoll vor § 1; OF 16, S. 1181 – 1182 (1447); OF 17, S. 804 und StV 2 Nr. 264, S. 85 (1448); OF 17, S. 812 (1449); StV 2, Nr. 270, S. 92 (1453).

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unter Skizzierung ihrer Leitgedanken und unterrichtete den Hochmeister, vermittelt über dessen Amtsträger an der pommerschen Grenze wie den Pfleger von Bütow, über interne Erörterungen zwecks Abwehr ordensfeindlicher Maßnahmen. So benachrichtigte er im Sommer 1448 den Hochmeister darüber, dass das Bündnis der Stettiner Herzöge mit dem Markgrafen von Brandenburg für den Orden unschädlich sei, fügte jedoch nach dem Referat des Hochmeisters hinzu: „idach were dir [sc. Lüdike Massow] van [­ ey-]nem gutten frunde und burger, der derselben herren [sc. des Herzogs von Stettin und der über­ swinischen Herzöge] mechtig ist, gesaget, weres, das du uns guttis gondest, so mochtestu gedencken uff eynen fund, das men mochte dawiddir geseyn mit gelimpe, das denne der bund uns und unsirm orden nicht schedelich were.“ Der Hochmeister griff Massows „rath und gutduncken“, also dessen Anregung zu einem eigenen Bündnis des Ordens mit den Herzögen, in seiner an ihn in nahezu freundschaftlichem Tonfall gehaltenen Antwort zustimmend auf und ersuchte ihn unter Empfehlung einer bestimmten Taktik darum, „du wellest dich vordan in dissen sachen getruwlichen bearbeiten und beweysen, dieselbe sache und weyse der verschreibung an die berurten herren herczoge und an ire rethe als van dir selbst [!] und so du das beqwemste weist czu beleyten bringen und czwusschen en und uns zcu verhandelung und volfurung semlicher verschreibung eynen beqwemen tag und czeit uff gelegentliche stad [ne]men.“ 35 Dementsprechend, d. h. „noch […] geheiß“ des Hochmeisters, wie es der Pfleger zu Bütow ausdrückte, begab sich Massow zu seinen Herzögen.36 Überhaupt offenbaren die Verhandlungen des Jahres 1448 z­ wischen dem Hochmeister und den pommerschen Herzögen über den erwogenen und geplanten Abschluss eines Bündnisses und ein Herrschertreffen zu dessen Vollendung die Rolle der lokalen Amtsträger und ihrer Vertrauenspositionen. Die politischen Standpunkte wurden nicht im direkten Briefwechsel der Landesherren erörtert, sondern es waren Lüdike Massow auf pommerscher und Graf Hans von Gleichen auf Ordensseite, die den diplomatischen Gedankenaustausch anstießen und vorantrieben, indem sie sich mündlich oder schriftlich über die aktuellen Sachstände unterrichteten und durch ihre Boten oder selbst in unmittelbarem Gespräch mit ihren Herrschern über deren Positionen erkundigten und sie ihrem Partner zur Weiterleitung an dessen Herrscher mitteilten. Die beiden Lokalbeamten loteten so in ihrem gegenseitigen Kontakt und in ihren jeweiligen Kontakten mit ihren Oberhäuptern die Möglichkeiten zu einer Vertragsvereinbarung aus, ohne freilich abgesehen von deren allgemeiner Befürwortung endgültig darüber entscheiden zu können.37 Im Februar 1444 35 OBA 9622 (1448 August 7, HM Konrad von Erlichshausen an Lüdike Massow); das erste Zitat erscheint nahezu wörtlich gleichlautend OBA 9618 (1448 August 4, HM Konrad von Erlichs­ hausen an die Komture von Elbing und Christburg). 36 OBA 9644 (1448 August 30, Pfleger zu Bütow an HM). 37 OBA 9488 (1448 vor März 21, Lüdike Massow an Pfleger zu Bütow), OBA 9622 (1448 August 7, HM an Lüdike Massow), OBA 9644 (1448 August 30, Pfleger zu Bütow an HM), OBA 9654 (1448 September 7, Pfleger zu Bütow an HM), OBA 9660 (1448 September 14, Pfleger zu Bütow an HM), OBA 9783 (1448 ca. September 29, Erklärung des HM).

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leitete der Herzog von Stolp seine Pläne zu einem Bündnis aller pommerschen Herzöge mit dem Hochmeister gegen den Markgrafen von Brandenburg in der Weise in den diplo­ matischen Kanal ein, dass er den Pfleger zu Bütow zu sich in die Stadt Stolp entbot, weil er ihm sein Anliegen nicht schreiben könne, d ­ ieses ihm dort nicht selbst vortrug, sondern durch Lüdike Massow seine Einschätzung der aktuellen politischen Lage vortragen ließ und ihn aufforderte, er solle dem Hochmeister wegen dessen Haltung zu einem Bündnisabschluss schreiben und dessen Antwort an den Pfleger ihm, dem Herzog, mitteilen.38 Der Herzog selbst enthielt sich also, als er den Bündnisgedanken in die diplomatische Diskussion eingab, einer eigenen mündlichen und erst recht schriftlichen Darstellung, sondern benutzte den benachbarten, vertrauten Lokalbeamten des Ordens dazu, die erste Reaktion des Hochmeisters auf seine Botschaft zu erkunden und so zu erkennen, ob förmliche Verhandlungen überhaupt Aussicht auf Erfolg hatten. Erfolgversprechende Außenpolitik bedurfte, wie man sieht, der Pflege enger Beziehungen zu solchen Vertrauensleuten, weil sie aus intimer Kenntnis vertrauliche Informationen und förderliche Ratschläge zu erteilen wussten sowie für Ratschläge ihrer Partner zugänglich waren, sodass mit ihrem Einsatz diplomatische Initiativen leichter auf den Weg gebracht werden konnten. Auch wenn gerade die Außenpolitik des eigenen Territoriums einschließlich ihrer Bündnis- und Friedensvertragsabschlüsse letztlich in die Entscheidungsgewalt des Landesherrn fiel, war er entsprechend gebräuchlicher mittelalterlicher Regierungsweise auf den Rat seiner Räte verwiesen und pflegte die anstehenden Vorhaben mit seinen maßgeblichen Ratgebern zur Vorbereitung des eigenen Entschlusses zu erörtern. Wie weit oder wie eng deren Kreis im Einzelfall gezogen wurde, ob er auf hochrangige Mitglieder der landesherrlichen Verwaltung beschränkt oder auf Angehörige der Stände ausgeweitet wurde, stand im Ermessen des Fürsten und hing wohl davon ab, ob und in welchem Ausmaß er es für erforderlich hielt, sich politische Unterstützung im eigenen Lande für eine erwogene außenpolitische Handlung zu verschaffen. Im Oktober 1452 berieten nach einem Bericht des neumärkischen Vogtes die Stettiner Herzöge mit ihren Räten, Mannen und Städten über die Absicht zu einem persönlichen Herrschertreffen mit dem Hochmeister.39 Als in der Folge Herzog Otto III. von Stettin seinen Getreuen Gunther Bilrebeke zu Hochmeister Ludwig von Erlichshausen entsandte, betonte er in dem seinem Gesandten mitgegebenen Begleitschreiben, dass er ihn „nach gantzer vulbort unde truwem rade unser leven gemeynen rede“ bevollmächtigt habe, dem Hochmeister das zu berichten, „des wii iuw nicht vorscriven konen“, und dass dieser Bilrebeke glauben möge, „efft wi sulven [sc. der Herzog] myd unserem gemeinen reden my iuwer werdicheit spreken“ 40. Der Hochmeister war laut Ordensstatuten und -gewohnheiten in Preußen vornehmlich an den Rat seiner Gebietiger gebunden, mit denen er sich auf einer Gebietigerversammlung oder durch schriftliche Umfragen austauschte, indem er sie zur Stellungnahme zu dem von 38 OBA 8440 (1444 Februar 28). 39 OBA 11512 (1452 Oktober 14, Vogt der Neumark an HM). 40 OBA 11533 (1452 Oktober 23).

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ihm dargelegten Sachverhalt aufforderte. Als Lüdike Massow im Sommer 1448 dem Hochmeister ein Bündnis mit mehreren pommerschen Herzögen zur Neutralisierung von deren brandenburgischen Verbindungen empfahl, unterrichtete Konrad von Erlichshausen seine Ratsgebietiger von den vorgeschlagenen Bedingungen und befahl ihnen, ihm unverzüglich ihren Rat und ihre Meinung zu schreiben. Überliefert ist die Antwort der Komture von Elbing und Christburg, Heinrich Reuß von Plauen und Wilhelm von Helfenstein, die sich darüber untereinander auf einer Begegnung in Preußisch Holland verständigt hatten; sie befürworteten Vertragsverhandlungen und einen Vertragsabschluss, „den wir unserem orden keinen schaden noch beswerungen, die dorvon mochte komen, fulen den alleine, was man in botschaft, so eiin teyl zcu anderen senden worde, vorczeren muste.“ 41 Auch wenn sie den politischen Nutzen gering einschätzten, rechtfertigte dieser immerhin die mit der Durchführung des Vorhabens verbundenen Reisekosten der Unterhändler! Die Komture fügten allerdings ihrem zitierten Ratschlag im unmittelbaren Anschluss die Aussage hinzu: „Idoch secze wir alle ding gancz zu eweren genoden.“ Die endgültige Entscheidung der Frage stellten sie dem Hochmeister anheim und erkannten damit seine Stellung als letztverantwortliches Ordensoberhaupt an. Die Entsendung und Tätigkeit einer Botschaft erforderten eine sorgfältige Vorbereitung, indem die dafür benötigten diplomatischen Unterlagen bereitzustellen waren, damit sowohl die eigenen Vertreter über ihre Befugnisse unterrichtet wurden als auch ihre Gesprächspartner sich deren förmlicher Beauftragung vergewissern konnten, denn die spätmittelalterliche Diplomatie arbeitete ganz selbstverständlich mit schriftlichen Dokumenten zur allseitigen Klärung der Befugnisse der auftretenden Personen. Ein Unterhändler bedurfte auf jeden Fall der Beglaubigung, der Vollmacht und der Instruktion, wobei die beiden erstgenannten Papiere zur Vorlage für die Gegenseite bestimmt waren, während das dritte gemeinhin nur internen Charakter hatte, der Verständigung ­zwischen dem Landesherrn und seinem Beauftragten diente. Beglaubigungs- und Vollmachturkunden waren stark formalisiert und unterschieden sich nur geringfügig in ihrem Wortlaut, weil sie immer denselben Zweck verfolgten. Das landesherrliche Beglaubigungsschreiben bzw. Kreditiv – das in seiner recht formularmäßigen Gestaltung dem Brief- und nicht dem Urkundenstil folgte – bat den Empfänger darum, den von seinem Aussteller entsandten Boten anzuhören und ihm denselben Glauben zu schenken, als ob der Aussteller selbst persönlich gegenwärtig wäre und spräche, bat mithin darum, ihn sozusagen vorbehaltlos als sein Sprachrohr zu verstehen. Am 13. Dezember 1450 schrieb Herzog Joachim von Pommern-Stettin an Hochmeister Ludwig von Erlichshausen: „Wii schikken unde senden an iuwe werdicheit den erbaren Erasmus Trampen, unsen leven, getruwen man unde rad, mit unsen egentliken werven unde bidden mit allen flyte, wes de genannte unse man unde rad uppe ditmael van unser wegen werven wird, gy ene in den unsen werven gudliken horen willen, ok em der gentzliken wol geloven liikerwiis,

41 OBA 9618 (1448 August 4).

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efte wii sulven personliken mit iuw darvan spreken.“ 42 Indem der Herzog dem Hochmeister von seinem Gesandten das Kreditiv vorzeigen ließ, leistete er ihm die notwendige Sicherheit dafür, dass sein Bote in seinem Auftrag sprach und für seine Äußerungen uneingeschränktes Vertrauen verdiente. Die Vollmachturkunde – deren Wortlaut sich in Aufbau und Formulierung an der üblichen urkundlichen Darstellungsweise orientiert – geht über das Beglaubigungsschreiben in seiner Wirkung merklich hinaus, insofern ihr Aussteller seine genannten Vertreter dazu bevollmächtigt, mit der Gegenseite über den bloßen Gedankenaustausch hinaus, wie er durch das Beglaubigungsschreiben angedeutet wird, verbindlich zu verhandeln und mit ihr Ergebnisse wie etwa einen Vertragstext verpflichtend zu vereinbaren. Das entscheidende Gewicht erhält die Vollmacht dadurch, dass der Aussteller sich in ihr dazu verpflichtet, die Zusagen seiner Unterhändler für sich selbst und seine Herrschaft unverbrüchlich einzuhalten. Als erstes Beispiel diene der besiegelte „machtbrieff“ Hochmeister Konrads von Erlichshausen vom 29. September 1448 für seine Gesandten, die Komture von Danzig, Nikolaus Postar, von Tuchel, Hans Rabenstein, und von Schlochau, Hermann Hug von Heiligenberge, sowie den Pfleger von Bütow, Hans Graf von Gleichen: Er bevollmächtigt sie mit Willen und Zustimmung seiner Mitgebietiger dazu, sich mit den Überswineschen und Stettinschen Fürsten oder ihren bevollmächtigten Räten auf ihrer Zusammenkunft am 6. Oktober „van unsirn, unsirs ordens und unsirer lande wegen in besundere frundschafft, frede, liebe und eyntracht zcu vereynen, vertragen und obirkomen und, was dabey notturftig van beiden teylen dirkant wirt, zcu vorschreiben adir zu verramen, zcu vorschreiben mogen.“ Alles, was von seinen „machtboten“ oder ihrem größeren Teil angenommen, beschlossen und verschrieben wird, gelobt der Hochmeister für sich, seine Nachkommen und seinen Orden fest und unverletzt zu ewigen Zeiten zu halten.43 Die vier Ordensgesandten oder zumindest ihre Mehrheit sind mithin ermächtigt, namens ihres Herrn und seiner Lande einem ausgehandelten Vertragsabschluss zuzustimmen, an den ihr Herr allein schon durch ihr Handeln uneingeschränkt gebunden ist. Und sie zeigen zu Verhandlungsbeginn ihre Vollmacht der Gegenseite vor, damit diese sich von ihrer Befugnis und damit von ihrem ernsthaften Verhandlungswillen überzeugen kann. Das zweite Beispiel, die Urkunde des Hochmeisters Ludwig von Erlichshausen vom 24. Juni 1451, fällt vergleichsweise insofern differenzierter aus, als sie seinen Gesandten je nach Verhandlungsverlauf gestufte Handlungsbefugnisse gewährt. Der Hochmeister bevollmächtigt in einem ersten Schritt die Komture von Osterode und Schlochau, ­Wilhelm von 42 OBA 10460 (1450 Dezember 13). – Vgl. weitere Beispiele: OF 16, S. 1096 – 1097 (1446 Februar 17, HM an Herzog von Stolp); OF 17, S. 665 – 666 (1451 Juni 24, HM an Herzog von Stettin und seine versammelten Räte); OBA 11521 (1452 Okt. 23, Herzog Wartislaw von Stettin an HM); OBA 11533 (1452 Okt. 25, Herzog Otto von Stettin an HM); OBA 12750 (1454 Januar 25, König Erich VII. von Dänemark an HM). 43 OF 17, S. 28.

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Eppingen und Hans Raben, den Vogt zu Schivelbein, Hans Dobenecker, und ihre hinzugezogenen Helfer dazu, den Streit mit Donnies von der Ost, dem Bernsteiner Vogt des Stettiner Herzogs Joachim, über die Ordensuntertanen zugefügte Gewalt an dem vereinbarten Tag zu Naulin am 6. Juli gemäß dem z­ wischen Pommern-Stettin und der N ­ eumark abgeschlossenen Landfriedensvertrag zu behandeln und ihn entweder in Freundschaft gütlich beizulegen oder unter Gebrauch des Rechtes zu entscheiden. Für den Fall, dass der Konflikt so nicht geregelt werden kann, trifft der Hochmeister mit einem zweiten Schritt Vorsorge, indem er seine Vertreter zusätzlich dazu bevollmächtigt, dass sie einem geistlichen oder weltlichen Fürsten oder einer oder mehreren Städten, die von beiden Parteien gemeinsam erwählt worden sind, den Streit übertragen und dass der Fürst mit seinen Räten oder die Stadt bzw. die Städte diesen Streit rechtlich erkennen und nach Recht entscheiden; in ­diesem Zusammenhang werden die Ordensvertreter ausdrücklich dazu bevollmächtigt, dass sie alle oder zumindest etliche von ihnen den dazu neu angesetzten Tag besuchen oder Unterbevollmächtigte dorthin ­schicken. Der Hochmeister schließt seine Urkunden, indem er sich zur Einhaltung der von seinen „machtboten“ getroffenen Beschlüsse verpflichtet.44 Die Vollmacht enthält keinerlei inhaltliche Aussage über die Verhandlungslinie oder Verhandlungsziele der Ordensgesandten, aber sie gibt ihnen die Verfahrensschritte vor, denen sie folgen dürfen: einen ersten Vergleichsversuch z­ wischen den Bevollmächtigten beider Landesherrschaften, die sich sowohl um einen gütlichen Ausgleich nach „Freundschaft“ als auch um eine förmliche Entscheidung nach „Recht“ bemühen sollen, und, für den Fall ihres Scheiterns, einen zweiten Vergleichsversuch, bei dem die von den zerstrittenen Parteien übereinstimmend ausgewählten Schiedsrichter, ein Fürst oder eine bzw. mehrere Städte, ausschließlich nach Recht bzw. nach geltenden Rechtsnormen ihren Spruch zu fällen haben. Im Vorfeld von förmlichen Verhandlungen oder Verhandlungstagen entschied mithin über deren Ranghöhe und Ergebnisorientierung, ob die Vertragspartner sich gegenseitig die Entsendung bevollmächtigter Unterhändler (einschließlich der Befugnis zum Vertragsabschluss) ankündigten (oder eben nicht). Im August 1448 ließ Lüdike Massow dem Hochmeister zu dessen Orientierung ausrichten, die pommerschen Herzöge würden auf den vorgesehenen Verhandlungstag ihre Bevollmächtigten entsenden, und zwar mit Siegeln (zur Beurkundung von Vertragstexten), wie zur Unterstreichung der ernsthaften Absichten hinzugefügt wurde, und erwarteten im Gegenzug die Entsendung bevollmächtigter Unterhändler seitens des Hochmeisters.45 In den Ausgleichsverhandlungen z­ wischen dem Deutschen Orden und Mecklenburg brachte Mitte Juni 1444 der Vermittler, Herzog Bogislaw IX. von Stolp, die Ehefrau des mecklenburgischen Herzogs Heinrichs des Älteren, seine Schwester, und dessen Räte dazu, dass sie dessen persönliches Erscheinen auf dem vorgesehenen Verhandlungstag am 19. Juli zusicherten, sofern er nicht daran durch schwere 44 PU, Schieblade 47 Nr. 3 (Ausfertigung) = OF 17, S. 666 – 667 (gleichzeitige Abschrift) (1451 Juni 24). 45 OBA 9644 (1448 August 30). Vgl. dazu ferner: OBA 9622 (1448 Aug. 7, HM Konrad von Erlichshausen an Lüdike Massow).

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Erkrankung gehindert werde; könne er selbst dorthin doch nicht kommen, so werde er seinen bevollmächtigten Rat zum abgesprochenen Verhandlungsort zur abgesprochenen Verhandlungszeit entsenden, „dor by unde ane to doende yn aller wyse, yft he persoenlyken zulven dor to der stede were“.46 Das persönliche Ausbleiben des Herrschers sollte dadurch kompensiert werden, dass an seine Stelle wenigstens sein Gesandter mit uneingeschränkter Handlungs- und Abschlussvollmacht trat und mit ihm ein rechtsverbindliches Verhandlungsergebnis abgeschlossen werden konnte. Als Hochmeister Konrad von Erlichshausen im Herbst 1447 die Streitigkeiten ­zwischen Herzogin Maria von Stolp und dem Vogt von Schivelbein zu schlichten gedachte, ersuchte er Erstere darum, einen bevollmächtigten Rat zu ihm nach Schlochau, wohin er Letzteren bestellte, zu entsenden,47 damit auch in Abwesenheit der Herzogin eine endgültige, beide Seite bindende Vereinbarung zustande kommen konnte. Im vorangegangenen Frühjahr hatte er gegenüber der Herzogin betont, dass nach einem ergebnislosen ersten Verhandlungstag die streitenden Parteien beider Seiten persönlich oder jedenfalls durch Bevollmächtigte zum zweiten Verhandlungstag erscheinen sollten, damit der Konflikt endlich entschieden werde und „nicht furdere addir meh reisen, tageferte, muhe und zcerunge thun addir darwß mehe umbequemkeit komen bedurffe.“ 48 Im Sommer 1447 schlug der Hochmeister der Herzogin vor, einen einzelnen Streit ­zwischen ihren Untertanen und dem Vogt von Schivelbein dadurch beizulegen, dass entweder sie selbst und der Vogt persönlich zu einer Tagfahrt an der Grenze ihrer beider Lande erscheinen oder andernfalls sie beide ihre bevollmächtigten Räte dorthin zur Untersuchung und Entscheidung der Sachen entsenden sollten.49 Wie die Beispiele zu erkennen geben, war die Vollmachturkunde ein formales Dokument, regelte die Rechtsstellung ihres Inhabers innerhalb der anstehenden und laufenden diplomatischen Erörterungen, traf aber keinerlei Aussage zu seinen inhaltlichen Positionen. Man könnte sich sogar fragen, ob sich nicht der bevollmächtigende Landesherr ganz und gar in die Hand seiner Bevollmächtigten begab, wenn er sich von vornherein, bereits vor der Verhandlungsaufnahme, zur Anerkennung der Verhandlungsergebnisse verpflichtete. Aber die Bevollmächtigten waren nicht frei in ihrer Verhandlungsführung, sondern in ihrer Argumentation, in ihren Zielen und in ihren Zugeständnissen an die Instruktion gebunden, die ihnen ihr Fürst mitgegeben und in denen er ihnen den von ihnen zu beachtenden Rahmen vorgezeichnet hatte.50 Diese im Ordensarchiv zuweilen überlieferten inhaltlichen Anweisungen für die Verhandlungsführung sind mithin die für den Historiker besonders aussagekräftigen Zeugnisse, da sie es erlauben, in die politischen Überlegungen der Ordensseite für die Verhandlungen und Verträge mit Pommern 46 OBA 8493 (1444 Juni 20, Herzog Bogislaw IX. an HM Konrad von Erlichshausen). 47 OF 16, S. 752 (1447 November 5, HM an Vogt von Schivelbein); OF 16, S. 1217 (1447 November 3, HM an Herzogin). 48 OF 16, S. 1181 – 1182 (1447 April 15, HM an Herzogin Maria von Stolp). 49 OF 16, S. 1192 – 1193 (1447 Juni 30, HM an Herzogin von Stolp). 50 Eine Verhandlungsinstruktion erwähnt in StV 2, Nr. 233, S. 51.

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tieferen Einblick zu gewinnen. Die Instruktionen wurden vor den bi- oder multilateralen Verhandlungen zu deren inhaltlicher Vorbereitung angefertigt und geben somit die Erwartungen vor den Unterhändlergesprächen wieder. Gegebenenfalls wurden ihnen noch Klagepunkte beigegeben, eine Zusammenstellung von Beschwerden, die etwa die von der Gegenseite an den Untertanen der eigenen Seite verübten Rechtsbrüche beinhalteten.51 Über die stattgefundenen Verhandlungen, die Diskussionen der Unterhändler mit ihren jeweiligen übereinstimmenden oder konträren Auffassungen geben die Verhandlungsberichte Auskunft, die für die Ordensseite im Ordensarchiv mannigfach vorhanden sind, Berichte, die die Gesandten dem Hochmeister über die geführten Gespräche und die in ihnen erreichten oder verfehlten Abschlüsse erstatteten.52 In ­diesem Zusammenhang ist es allerdings geboten, darauf hinzuweisen, dass die Verfasser amtlicher Korrespondenzen sich in der schriftlichen Darstellung ihrer politischen Gegenstände wiederholt äußerster Zurückhaltung befleißigten und allenfalls das Thema vage andeuteten unter der Voraussetzung, dass der Briefempfänger aufgrund seiner allgemeinen Kenntnis die Bemerkung angemessen auslegen oder dass sie ihm von einem Boten oder Gesandten mündlich in aller Ausführlichkeit auseinandergesetzt werde. Denn man konnte nie wissen, ob nicht der fragliche Brief während seiner Beförderung in unrechte Hände geriet! Als der Vogt der Neumark im Oktober 1452 dem Hochmeister den Wunsch der pommerschen Herzöge zu einer persönlichen Herrscherbegegnung meldete, vermied er es bewusst, deren politische Anliegen zu skizzieren, sondern begnügte sich mit der Aussage, die Herzöge wollten „personlich mit euch vorhandelen sulche sachen, als denne euwir gnode wol merken mogen, was sye denne vor ougen haben.“ 53 Die Auswahl der Verhandlungsorte orientierte sich an dem Gedanken der Gleichrangigkeit beider Herrschaften: Keine von ihnen sollte sichtbar dadurch bevorzugt werden, dass die Gespräche mitten in einem Territorium oder in der landesherrlichen Residenz stattfanden und so die eine Seite auf den Status des Gastgebers erhöht und die andere auf die des Gastes herabgedrückt wurde. Für die Zusammenkünfte der Botschafter wie der Herrscher wurden durchgängig entweder Orte unmittelbar an der Grenze der beiden Territorien oder zumindest Orte in deren Nähe bestimmt.54 Als sich die pommerschen Herzöge im Frühherbst 1452 um eine persönliche Zusammenkunft mit Hochmeister 51 Beispiele erwähnt in StV 2, Nr. 238, S. 55. 52 Beispiel erwähnt in StV 2, Nr. 234, S. 52. 53 OBA 11512 (1452 Oktober 14, Vogt der Neumark an HM). 54 Gerald Schwedler, Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen – Rituale – Wirkungen (Mittelalter-Forschungen 21), Ostfildern 2008, S. 334 – 339, hier: „Gerade ein neutraler Treffpunkt sollte die dominierende Stellung eines der Beteiligten vermeiden. Daher wurden ergebnisoffene Treffen – etwa Zusammenkünfte für Friedensverhandlungen – an der Grenze geplant, um ein militärisches wie zeremonielles Ungleichgewicht auszuschließen. […] konnten freie Wiesen, Felder oder Lichtungen in Grenzland die Neutralität wahren“ (S. 334). – Zu den Gegebenheiten des Deutschordenslandes Preußen und seiner Nachbarländer vgl. Neitmann (wie Anm. 1), S. 76 – 115 („Verhandlungstage“).

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Ludwig von Erlichshausen bemühten, ließen sie ihn sehr freundlich befragen, „ab euwir gnode sich muhen muchte unde sich fugen welde in der nehde uff eyne gelegeliche stete an der grenitcze kegen Pomeren, war is euwirn gnoden zcu den besten gelegelichen unde beqwemesten were.“ 55 Der größten Beliebtheit erfreuten sich, wie an der Häufigkeit der dortigen Begegnungen abzulesen ist, der Platz Sadicker z­ wischen der Stadt Hammerstein in der Ordenskomturei Schlochau und der Stadt Neustettin im Herzogtum Stolp 56 und der Ort Langeböse z­ wischen Lauenburg auf Ordens- und Stolp auf pommerscher Seite 57; damit gab es aus Sicht des zweigeteilten, vom Bistum Cammin getrennten Herzogtums Pommern-Stolp zwei geeignete Treffpunkte, den einen (Sadicker) für das nordöstliche Teilgebiet mit dem Zentrum Stolp und den anderen für das südwestliche Teilgebiet mit dem Zentrum Belgard.58 Als sich Lüdike Massow 1448 für einen Bündnisabschluss ­zwischen Pommern und dem Orden einsetzte, befürwortete er zwecks dessen Vollendung eine Begegnung aller beteiligten Herrscher und empfahl, dass die beiden „überswinischen“ Herzöge, d. h. die westlich der Swine regierenden Herzöge Wartislaw IX . und Barnim VII . von Wolgast, am Sonntag, dem 6. Oktober, abends nach Neustettin und zum gleichen Zeitpunkt der Hochmeister mit seinen Gebietigern nach Hammerstein kommen sowie dass dann am Montag, dem 7. Oktober, vormittags alle auf dem Sadicker zusammentreffen sollten.59 Dieser Platz war 1417 als Grenzpunkt dadurch verdeutlicht worden, dass Hochmeister Michael Küchmeister und Herzog Bogislaw VIII . selbst eine dortige Fichte 55 OBA 11512 (1452 Oktober 14, Vogt der Neumark an HM ). Ganz ähnlich OBA 8444 (1444 März 4, Komtur von Danzig an HM). – 1450 bat König Erich HM Ludwig von Erlichshausen zur Vorbereitung eines gewünschten Herrschertreffens darum, dieser möge ihm eine Reise an die Grenze zu Pommern und seinen dortigen Aufenthaltsort mitteilen, damit er seine Gesandten zu ihm zwecks Gesprächen entsende; OBA 10468 (1450 Dezember 17, König Erich an HM Ludwig von Erlichshausen). 56 StV 2, Nr. 192, S. 11 (Zusammentreffen z­ wischen HM Konrad von Erlichshausen und Herzog Bogislaw IX. von Stolp, 1441 Oktober 1); StV 2, Nr. 233, S. 51 (1444); OBA 8749 und StV 2, Nr. 236 (1445); StV 2, Nr. 264 S. 85 (1448). 57 StV 2, Nr. 234 § 3; OF 16, S. 1181 – 1182 (1447 April 15, HM an Herzog von Stolp wegen jüngster ergebnisloser Tagfahrt zu Langeböse und neuer Tagfahrt ebenfalls zu Langeböse am 25. Juni); OBA 16, S. 1226 – 1227 (1448 Januar 30, HM an Herzogin von Stolp wegen Tag zu Langeböse am 3. März betr. Konflikt ­zwischen dem alten Mündemeister des Deutschen Ordens und Rügenwalde). 58 Vgl. die Karte „Pommern 1295 – 1478“ mit Darstellung der pommerschen Landesteilungen und Teilherzogtümer in: Historischer und geographischer Atlas von Mecklenburg und Pommern, hg. im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Bd. 2: Mecklenburg und Pommern. Das Land im Rückblick, o. O., o. J. [1995], S. 30 f. 59 OBA 9488 (1448 vor März 21, Lüdike Massow an Graf Hans von Gleichen, Pfleger zu Bütow); OBA 9676 (1448 Oktober 4, Herzöge Wartislaw IX. und Barnim VII. an HM Konrad von Erlichshausen). – Für die dann auf den 8. Dezember 1448 verschobene, erneut für den S­ adicker vorgesehene Herrscherbegegnung kam der Hochmeister nach Hammerstein, musste dort aber von den Räten der Herzöge erfahren, dass diese das Treffen wegen der in ihrem Land ausgebrochenen Fehden abgesagt hatten. OF 17, S. 108 – 109.

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mit Grenzzeichen markiert hatten.60 Die ­Schiedsgerichtsverhandlungen zur Beendigung der Fehde ­zwischen Mecklenburg und dem Orden wegen des mecklenburgischen Einfalles in die Neumark verlegte der erwählte Schiedsrichter, Herzog Bogislaw IX . von Stolp, im Sommer 1444 entsprechend einem Vorschlag des Hochmeisters Konrad von Jungingen, dem er zuvor eine passende Stätte bei Neustettin oder Lauenburg empfohlen hatte, auf die Grenze z­ wischen Stolp und Lauenburg, eben nach Langeböse, und suchte auch seinen mecklenburgischen Schwager Herzog Heinrich den Älteren zum dortigen persönlichen Erscheinen zu bewegen, „wowol dat yd em verne ys unde unbequeme“.61 Streitigkeiten ­zwischen der Herzogin von Stolp und dem Vogt zu Schivelbein und ihren Untertanen sollten die Vermittler im Sommer oder Frühherbst 1447 an der Grenze ­zwischen Schivel­ bein und Belgard bei Battin schlichten.62 Für Tagfahrten oder Richttage beider Seiten wurden auch die nahe der Grenze gelegenen Städte Stolp,63 Lauenburg,64 Hammerstein 65 und Bütow 66 wegen ihrer Versorgungsmöglichkeiten ausgewählt.67 60 Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, Bd. 1 (1398 – 1437), hg. v. Erich Weise, Marburg 21970, Nr. 128 § 1; dieser Artikel, der die Grenze z­ wischen dem Ordensland und dem Herzogtum Pommern-Stolp z­ wischen Neustettin einer-, Hammerstein und Baldenburg andererseits beschreibt, wurde 1438 in das Handfestenbuch der Komturei Schlochau durch wörtliche Übernahme aus der Vertragsurkunde von 1417 eingetragen, vgl. Handfesten der Komturei Schlochau, bearb. v. Paul Panske (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens 10), Danzig 1921, ND Münster 2014, Nr. 178, dazu Einleitung S. XIII; der Heraus­geber Panske hat die Herkunft dieser Eintragung im Handfestenbuch nicht erkannt. 61 OBA 8440 (1444 Februar 28, Pfleger zu Bütow an HM); OBA 8444 (1444 März 4, Komtur von Danzig an HM); StV 2, Nr. 232 (1444 Juli 19), Nr. 233, S. 51; OBA 8493 (1444 Juni 20, Herzog Bogislaw IX. an HM Konrad von Erlichshausen). Der Herzog bat auch den Hochmeister darum, sich selbst an den Verhandlungsort zu begeben; OBA 8501 (1444 Juli 3, Herzog Bogislaw IX. an HM). 62 OBA 9442 (1447 vor August 20); OF 16, S. 1192 – 1193 (1447 Juni 30, HM an Herzogin von Stolp: schlägt Tagfahrt zu Battin für den 29. September 1447 vor). – Vgl. auch StV 2, Nr. 233 (1444 Juli 22, Rechtserbieten Herzog Heinrichs d. Ä. von Mecklenburg für die Schiedsgerichtsverhandlungen ­zwischen Belgard und Schivelbein zu Battin [Kreis Belgard]). 63 StV 2, Nr. 192 § 1 (1441 Oktober 1, geplante Verhandlung mit bevollmächtigten Ordensgebietigern über Bündnisabschluss); Schiedsgerichtsverhandlungen Herzog Bogislaws IX. von Stolp ­zwischen Mecklenburg und dem Deutschen Orden, 1445 August 8/9: OBA 8787 (1445 Juni 19, Herzog Bogislaw IX. an HM Konrad von Erlichshausen); StV 2, Nr. 238. 64 OBA 8313 (Zusammentreffen des HM Konrad von Erlichshausen mit Herzog Bogislaw IX. von Stolp am 3. September 1443), danach erwähnt StV 2, Nr. 207, S. 26; OF 16, S. 1151 (1446 November 26, HM an Herzog von Stolp wegen Verhandlungstages zur Untersuchung und Entscheidungen der Streitigkeiten z­ wischen dem DO.-Mündemeister und herzogliche Untertanen zu Rügenwalde). 65 StV 2, Nr. 192 § 2, Nr. 193 (Richttag 1441/42). 66 StV 2, Nr. 192 § 1 (1441 Oktober 1, geplante Verhandlung mit bevollmächtigten Ordensgebietigern über Bündnisabschluss). 67 StV 2, Nr. 192 § 1; OBA 8313 (1443 Sept. 6). – Die für den 6. Oktober 1448 geplante Zusammenkunft des Hochmeisters mit pommerschen Herzöge zu Hammerstein kam nicht zustande,

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Mit besonderer Aufmerksamkeit behandelten die Beteiligten die Frage, ob und wann die Landesherren persönlich zur Weiterführung oder gar Vollendung der Verhandlungen ebenso wie zuvor ihre Unterhändler an einem Grenzort zusammentreffen sollten, wie schon angeklungen ist.68 Dabei wurde zur Wahrung der Gleichrangigkeit der Teilnehmer ebenso wie zur Herstellung der uneingeschränkten landesherrlichen Handlungsbefugnis Wert darauf gelegt, dass möglichst beide Territorien durch ihre Herrscher vertreten waren und nicht nur eines, dass also die Herzöge dem Hochmeister begegneten und nicht bloß dessen Bevollmächtigten oder umgekehrt. Als Lüdike Massow sich 1448 um die Anbahnung eines Bündnisses ­zwischen Pommern und dem Orden bemühte, erreichte er zuerst die Zusage der pommerschen Herzöge zur persönlichen Teilnahme an dem geplanten Verhandlungstag und forderte anschließend seinen unmittelbaren Gesprächspartner auf der Ordensseite, den Pfleger von Bütow, dazu auf, sich ebenfalls für das persönliche Erscheinen des Hochmeisters mit seinen Gebietigern zu verwenden, „uppe domit, wes de heren van beiden delen to spreken hadden, dat sik dat dar mochte endegen sunder ruggesprake.“ 69 Die persönliche Verhandlung der Herrscher beider Seiten sollte gewährleisten, dass sie sich selbst über offene Fragen abschließend und unverzüglich äußerten und möglichst verständigten, während in ihrer Abwesenheit ihre Unterhändler in kontroversen Zweifelsfällen des Verhandlungsablaufes erst wieder umständliche und zeitraubende Rücksprache mit ihrem herrscherlichen Auftraggeber zur Einholung von dessen Auffassung hätten halten müssen. Als dann Ende September 1448 Konrad von Erlichshausen wortreich, wenn auch ohne Angabe eines konkreten Grundes, seine persönliche Anwesenheit auf dem vorgesehenen Tag mit den Herzögen Wartislaw IX. und Barnim VII. absagte und stattdessen (nur) seine bevollmächtigten Gebietiger ankündigte, zeigte er von vornherein Verständnis dafür, dass dann die Herzöge ihr persönliches Erscheinen ebenfalls aufgeben könnten. Er empfahl ihnen zwar eine Zusammenkunft mit seinen Gesandten in der Hoffnung auf die Einigung über den anstehenden Vertragsabschluss; wenn aber dieser ihnen nicht gelinge, wolle er, der Hochmeister, sich zu einem späteren Zeitpunkt, Anfang November, in eigener Person an die Grenze verfügen unter der Voraussetzung einer dortigen Begegnung mit den Fürsten.70 Die Herzöge, die sich bereits auf die Anreise zum Verhandlungsort begeben hatten, brachen nach Erhalt dieser hochmeisterlichen Botschaft in Wollin sogleich ihren Ritt ab und kehrten um: „So kone wii wol derkennen, went wii mit unseme heren unde vgl. OBA 9654 (1448 September 7, Pfleger zu Bütow an HM), OBA 9660 (1448 September 14, Pfleger zu Bütow an HM). 68 Vgl. zur allgemeinen Problematik die weitgespannte, eindringliche Untersuchung von ­Schwedler (wie Anm. 54). 69 OBA 9488 (1448 vor März 21, Lüdike Massow an den Pfleger von Bütow). 70 OBA 9783 (ca. nach 1448 Sept. 29, Erklärung des HM). – Nach Murawski (wie Anm. 2), S. 151, spielte für die hochmeisterliche Absage „wohl die Tradition, daß der Hochmeister nicht aus Preußen ausreiste, eine Rolle“. Aber beabsichtigt war ja gar nicht die Ausreise aus Preußen nach Pommern, sondern ganz traditionell eine Herrscherbegegnung an einem Grenzort, vgl. oben S. 74 mit Anm. 57.

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vrunde, deme meistere, personliken nicht tosamende quemen, dat an den vorscreven stucken nicht gesloten konde werden, sunder dar moste een ander dach up werden begrepen, dat wii personliken tosamende mochte kamen.“ 71 Der Abschluss der Verhandlungen bis zur vollständigen Einigung über den Vertragstext war in Abwesenheit des Hochmeisters nicht mehr zu erwarten, und damit war der eigentliche Zweck der Herrscherbegegnung infrage gestellt. Sie wurde vornehmlich dann geplant, wenn die voraufgegangenen Unterhändlerdebatten zu einvernehmlichen vorläufigen Ergebnissen geführt hatten und die Landesherren übriggebliebene offene Fragen selbst und sogleich klären konnten. Der Gedankenaustausch der Bevollmächtigten stand immer in Gefahr, ins Stocken zu geraten, wenn ihre Instruktionen nicht alle Gesprächswendungen abdeckten und daher zur Klärung neu aufgeworfener Punkte erst eine Rücksprache mit dem abwesenden Herrscher erforderlich war 72 – was auf eine zusätzliche Gesprächsrunde in der näheren oder ferneren Zukunft hinauslief.

3. Vertragsschließung: vom Vertragsentwurf zur Vertragsausfertigung Waren sich die Parteien grundsätzlich darüber einig geworden, einen Bündnis- bzw. Friedensvertrag anzustreben, bestand der nächste Schritt darin, im gegenseitigen Gedankenaustausch einen ersten schriftlichen Vertragstext zu entwerfen und ihn nötigenfalls zu verändern bzw. zu korrigieren, bis eine einvernehmliche Fassung erreicht war. Wenn beide Seiten sich prinzipiell einen Vertrags- oder Bündnisabschluss vorgenommen hatten, etwa auf einem persönlichen Herrschertreffen, lag es nahe, dass eine von ihnen einen ersten Entwurf zu Papier brachte und der anderen zur Stellungnahme und ggf. zu Veränderungen zuleitete, damit so im Austausch schriftlicher Texte eine endgültige Version erzielt werden konnte.73 Gut bezeugt und dokumentiert sind die Vertragsverhandlungen ­zwischen Hochmeister Konrad von Erlichshausen und Herzog Bogislaw IX. von Stolp 1443/44. Auf ihrer persönlichen Zusammenkunft in Lauenburg am 3. September 1443 verständigten sich beide grundsätzlich auf die Vereinbarung eines Schutz- und Landfriedensbündnisses und kamen zu dessen weiterer Vorbereitung überein, wie der Herzog wenig s­ päter formulierte, „dat gy [sc. der Hochmeister] by uns [sc. dem Herzog] leden, dat wy yd [sc. die Vertragsschrift] entwerpen laten scholden“; der Hochmeister überließ es also dem Herzog, einen Vertragstext zu konzipieren. Bogislaw berief sogleich am 4. September früh seine Räte, seine Ritter und Städte zu sich nach Belgard, ließ dort nach Beratungen mit ihnen am 71 OBA 9676 (1448 Oktober 4, Herzöge Wartislaw IX. und Barnim VII. an HM Konrad von Erlichshausen). – Als die Herzöge 1452 dem neuen Hochmeister Ludwig von Erlichshausen den Abschluss der mit seinem Vorgänger über Vertragsentwürfe geführten Bündnisverhandlungen nahelegten, erklärten sie sich dazu bereit, „das se gherne wolden teghen iuwen gnaden riden uppe ene boqueme stede, dar id iuwen gnaden recht were, unde dat vort to endigende.“ OBA 11199 (1452 April 9, Lüdike Massow an HM). 72 OBA 9488 (1448 vor März 21). 73 Vgl. Neitmann (wie Anm. 1), S. 116 – 133 („Schriftliche Vertragsverhandlungen“).

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6. September einen vollständigen Urkundentext mit allen Bestandteilen, also neben der aus 14 Artikeln bestehenden Dispositio auch mit den formalen Eingangs- und Ausgangsformeln im Protokoll und im Eschatokoll (einschließlich seiner Siegelankündigung und der Datumsangabe), auf Papier aufsetzen, und zwar im Wortlaut der geplanten pommerschen Vertragsausfertigung, und übersandte noch am selben Tag mit einem erläuternden Begleitschreiben ­dieses Dokument dem Hochmeister: „… hebben dor entwerpen laten alsodane scryft, also wy denne yn dysseme unseme breve beslaten unde vorzegheld senden yuwer herescop sunder zumen alsodane stucke und artikele“. Bogislaw forderte Konrad von Erlichshausen zur Stellungnahme auf, also entweder im Falle seines und seiner Räte Einverständnisses die Ordensausfertigung gemäß dem Wortlaut des pommerschen Entwurfes mit den notwendigen Änderungen aufzusetzen und Zeit und Ort für eine Herrscherzusammenkunft zur Vollendung der Dinge, also zum endgültigen Vertragsschluss mit Austausch der beiderseitigen pergamentenen Vertragsausfertigungen, vorzuschlagen oder im Falle von Bedenken oder anderen Vorstellungen den herzoglichen Entwurf zu kürzen oder zu ergänzen: „Dunket over yuwer herelycheyt, dat yd nod zy, vurder dor wes meer to to settende edder ap to latende, dor mach yuwe grodmechtycheyt vor raden unde dor to denken, was yuwe, unser unde unser lande bestand, vrame und beste ys, dor zynd gy wol mechtich over uns med to radende.“ 74 Konrad von Erlichshausen wünschte sich eine erhebliche Vertiefung und Konkretisierung der gegenseitigen militärischen Beistandsverpflichtungen. Mehrere Kräfte seiner Kanzlei fertigten unter geringfügigen Anlehnungen an den herzoglichen Vorschlag einen weitgehend neuen, erheblich erweiterten, auf den 25. November datierten Vertragstext; überliefert ist der mit zahlreichen vornehmlich stilistischen, weniger inhaltlichen Korrekturen verschiedener Hände versehene Erstentwurf, ein Papierheft von acht Blatt Umfang. Bogislaw reagierte schließlich nach langwierigen Erörterungen über die von ihm gewünschte Einbeziehung anderer pommerscher Herzöge in das Bündnis am 24. Mai 1444 mit einem von zwei Händen geschriebenen, nur mit wenigen Korrekturen versehenen Reinentwurf, der weitgehend den Wortlaut der Ordensfassung übernahm, und leitete ihn dem Hochmeister zu mit dem Vermerk am Schluss: „collacionata in cancellaria domini ducis Pomeranie“. Die Marienburger Kanzlei fügte dann in ihren ursprünglichen Entwurf vom 25. November die durch den Hinzutritt weiterer pommerscher Herzöge notwendig gewordenen Ergänzungen ein. Zur sprachlichen Gestaltung der Texte ist zu bemerken, dass jede Seite das ihren Kanzleikräften gebräuchliche Deutsch verwandt hat, die Ordensentwürfe mithin auf hochdeutsch, die pommerschen dagegen auf niederdeutsch abgefasst und die wörtlich übernommenen 74 OBA 8313 (1443 Sept. 6, Herzog von Stolp an HM); StV 2, Nr. 207 S. 26 – 30 (Vertragsentwurf des Herzogs). Weise (wie Anm. 3), S. 27, glaubt, wörtliche Übernahmen aus dem pommerschen Bündnisangebot vom 29. November 1442 erkennen zu können, aber die von ihm durch Petitdruck gekennzeichneten Übereinstimmungen sind so geringfügig und bestehen ausschließlich aus formelhaften Wendungen, dass die Anlehnung an den älteren Vertragsentwurf geradezu ausgeschlossen erscheint.

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Formulierungen der Gegenseite in die eigene Sprache übertragen worden sind.75 Zur verbindlichen Inkraftsetzung des Vertrages ist es wegen einer veränderten Interessenlage des Hochmeisters nicht mehr gekommen; dazu wäre es notwendig gewesen, dass der Herzog, wie er einmal von seiner Verpflichtung schrieb, die von ihm und seinen Räten gelobte und besiegelte Bündnisurkunde zu Schivelbein dem Orden übergeben hätte.76 Es fehlten also die letzten Schritte des Vertragsschließungsverfahrens, die Besiegelung und der Austausch der Vertragsausfertigungen.77 Eben ist schon beiläufig die Einbeziehung der landesherrlichen Räte und der Stände, also des Adels und der Städte, in die Vertragsberatungen berührt worden, und der Einzelfall kann verallgemeinert werden: Sowohl die ausgewählten Räte als auch die ausgewählten Angehörigen der Geistlichkeit, der Ritterschaft und Städte waren am Vertragsabschluss und an der Vertragsbeurkundung beteiligt, und zwar in verschiedener Weise: als Ratgeber und Befürworter des Vertrages mit der Verpflichtung zu dessen unbedingter Einhaltung wie als Zeugen und als Siegler der Urkunde.78 Mehrere Verträge bekunden einleitend in 75 StV 2, Nr. 208 S. 30 – 35. – Das Vorgehen der mitteldeutsch schreibenden Hochmeisterkanzlei entsprach anscheinend ihrer gängigen Praxis: Eine niederdeutsch geschriebene Urkunde des Markgrafen Woldemar von Brandenburg von 1309 hat sie bald für ihre eigenen Zwecke ins Mitteldeutsche übersetzen lassen. Kurt Forstreuter, Latein und Deutsch im Deutschen Orden. Zur Frage einer Amtssprache, in: Studien zur Geschichte des Preußenlandes. Festschrift für Erich Keyser zu seinem 70. Geburtstag, hg. v. Ernst Bahr, Marburg 1963, S. 373 – 391, hier S.  382 f. 76 OBA 8444 (1444 März 4, Komtur von Danzig an HM). 77 Weitere Beispiele für die Verfahren zur Erstellung bilateraler Dokumente: Am 22. Juli 1444 übersandte Herzog Bogislaw IX. von Stolp dem Komtur von Danzig Nikolaus Postar gemäß der Absprache seiner Räte mit den Ordensgebietigern am 19. Juli zu Langeböse den von ihm nach seinem Gutdünken abgefassten Entwurf einer besiegelten Urkunde, mit der sich Herzog Heinrich d. Ä. von Mecklenburg in seinem Streit mit dem Hochmeister auf den Herzog von Stolp als Schiedsrichter verpflichten sollte. OBA 8510 (1444 Juli 20, Herzog von Stolp an Komtur zu Danzig), in Verbindung mit StV 2, Nr. 233. – Am 23. April 1445 schickte der Herzog den Komturen von Danzig und Schlochau sowie dem Pfleger von Bütow den Entwurf einer Urkunde zu, den er entsprechend der von ihnen mit seinen Räten unmittelbar zuvor getroffenen Vereinbarung über ein Rechtserbieten von Bürgen des Ordens und Mecklenburgs an ihn, den Stolper Herzog, erstellt hatte. In seinem Begleitschreiben betonte er, das Recht des Ordens ausreichend berücksichtigt zu haben, und fügte hinzu, entgegen der Absprache der Gesandten die Zahl der Bürgen beider Seiten von zwölf auf acht verringert zu haben, zuzüglich Herzog Barnims VIII. von Stettin, was ihm ausreichend erschien. OBA 8749 (1445 April 232, Herzog von Stolp an die gen. Ordensgebietiger), in Verbindung mit StV 2, Nr. 236. 78 Zur grundsätzlichen Problematik mit preußischen Beispielen: Klaus Neitmann, Die preußischen Stände und die Außenpolitik des Deutschen Ordens vom I. Thorner Frieden bis zum Abfall des Preußischen Bundes (1411 – 1454). Formen und Wege ständischer Einflußnahme, in: Ordensherrschaft, Stände und Stadtpolitik. Zur Entwicklung des Preußenlandes im 14. und 15. Jahrhundert, hg. v. Udo Arnold (Schriftenreihe Nordost-Archiv 25), Lüneburg 1985, S. 27 – 79. Vgl. auch ders., Vom „ewigen Frieden“. Die Kunst des Friedensschlusses ­zwischen dem Deutschen Orden und Polen-Litauen 1398 – 1435, in: Tannenberg – Grunwald –

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der Narratio ausdrücklich, dass sich der herzogliche Aussteller „mitt ratte und ­willen unßir gemeinen rethe“ bzw. „mit witscop, willen, volbort, wolbedachem mode unde ripeme rade […] unser lande rete unde manscap“ bzw. der hochmeisterliche Aussteller „mit wissen, willen, volbort, wolbedachtem mte und reiffem rates unsers rades zu Preußen gebietiger, der Neuenmarke und Schivelbeyn voithen und manen“ seinem Partner verbunden habe.79 Dass hier nicht eine bloße Floskel in den Text eingefügt worden ist, sondern bestimmte, namentlich gekennzeichnete Personenkreise ausdrücklich in das Vertragsverfahren einbezogen und dadurch auf den Vertragsinhalt verpflichtet worden sind, ergibt sich aus dem Eschatokoll, in dem sie unter Wiederholung ihres Rates als Zeugen und ggf. auch als Siegler benannt sind. „Unde desse vereininghe unde vruntlike tozamende zettinghe ist ghescheen na rade und vulbord unsers ghemeinen rates der geistlichen und der werliken, di uns hirane raden hebben unde hir over weset zind, also die …“ Es folgen im Vertragsentwurf Herzog Bogislaws IX . vom September 1443 elf Personen, nämlich vier herzogliche Amtsträger (Marschall Curd Fleming, Hofmeister Lüdeke Massow, Kanzler Henning Iwen und Vogt zu Pollnow Henning Ramelow), ein Geistlicher (der Abt zu Belbuck), sechs Adlige, nämlich Graf Albrecht von Eberstein-Naugard und fünf Ritter, darunter drei Angehörige der Familie von Borcke, sowie zwei Städte, Stargard und Stolp, „unde all di anderen, in unseren landen beleghen“.80 Im Februar 1444 stellte der Herzog in Aussicht, seinen besiegelten Bündnisbrief der Ordensseite zu überantworten, nachdem er ihn einzuhalten mit seinen Räten gelobt habe.81 In ähnlicher Weise gelobten in einem Vertragsentwurf des Ordens nach dem Hochmeister seine „Ratsgebietiger“, alle Artikel, die mit ihrem Willen, Rat, Wissen und Zustimmung verschrieben worden waren, unverbrüchlich einzuhalten.82 Die Urkunde des Hochmeisters vom Mai 1444 geht insofern einen Schritt weiter, als sie nicht nur vom Landesherrn, sondern auch von seinen Ordensgebietigern und ständischen Vertretern der Neumark besiegelt werden soll, nämlich von sechs preußischen Ratsgebietigern – den fünf Großgebietigern und dem Komtur von Thorn – sowie von den Vögten der Neumark und von Schivelbein und von elf ihrer Mannen, die jeweils in fünf Pommern benachbarten Landen dieser beiden Amtsbezirke (an der Oder sowie in den Landen Lippehne, Arnswalde, Waldenburg und Schivelbein) ansässig sind. Die herzogliche Gegenurkunde kündigt als Siegler neben dem Herzog den Bischof, den Propst, den Dekan und das Kapitel des Stifts Cammin sowie herzogliche Räte

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­Žalgiris 1410: Krieg und Frieden im späten Mittelalter, hg. v. Werner Paravicini, Rimvydas ­ etrauskas, Grischa Vercamer (Deutsches Historisches Institut Warschau, Quellen und P Studien 26), Wiesbaden 2012, S. 201 – 209. StV 2, Nr. 194, S. 12 (1442 November 29) und Nr. 208, S. 32. StV 2, Nr. 207, S. 29 f. Bereits das Protokoll seines Vertragsentwurfes verweist auf die namentliche Zusammenstellung der Räte, wenn es in ihm heißt, der Herzog habe das Bündnis „na rade unser nascreven redere“ vereinbart. Ebd., S. 27, Kursivierung durch Verf. OBA 8444 (1444 März 4, Komtur zu Danzig an HM, berichtet über die Verhandlungen des Pflegers zu Bütow mit dem Herzog am 25. Februar 1444). StV 2, Nr. 264, S. 86.

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und Mannen an, von denen allerdings wegen des Entwurfscharakters des Dokuments nur der Graf von Eberstein-Naugard angeführt wird.83 Die Landfriedenseinigung ­zwischen dem Herzogtum Pommern-Stolp, dem Bistum Cammin und der Deutschordensvogtei Neumark wurde 1440 außer von den drei landesherrlichen Ausstellern jeweils von vier adligen Angehörigen jeder Vertragspartei besiegelt.84 Die verschiedenen Mitwirkungsweisen verfolgten alle dasselbe Ziel: Hochrangige landesherrliche Amtsträger ebenso wie ausgewählte Angehörige der Stände sollten sich selbst ausdrücklich und förmlich zur Beachtung und Bewahrung des Vertrages verpflichten, neben und mit dem Landesherrn als dessen Untertanen für ihn einstehen, durch ihr Verhalten bewirken, dass er allen Widerständen und Störern zum Trotz in Kraft blieb. Die Auswahl der ständischen Vertreter orientierte sich, wie die detaillierte Analyse etwa zum pommerschen Albrecht Graf von Eberstein-Naugard oder zum neumärkischen Eckhard von Guntersberg erhellt, am ständischen Rang der jeweiligen Personen wie an ihrer politischen Nähe zur Landesherrschaft: Sie traten sowohl durch die Größe ihres Besitzes als auch durch ihre Dienste für die Landesherrschaft hervor. Wer als Zeuge und/oder Siegler der Vertragsausfertigung hinzugezogen wurde, lag im Ermessen des Landesherrn: Er stützte sich neben seinen Amtsträgern auf ihm nahestehende Adlige (oder ggf. auch Städte), deren Einverständnisses er sich gewiss sein konnte, behauptete aber zugleich, dass mit ihnen das gesamte Land zugestimmt habe und gebunden sei. Die ­zwischen Reichsunmittelbarkeit und herzoglicher Schutzherrschaft schwankende Stellung des Bischofs von Cammin äußerte sich darin, dass er einerseits gleichberechtigt neben und mit dem Herzog von Stolp als eigener Mitaussteller eine Landfriedenseinigung mit dem neumärkischen Ordensvogt abschloss, andererseits zusammen mit seinem Domkapitel in einem Landfriedensbündnis ­zwischen Pommern und dem Ordensland wie ein Landstand im selben Atemzug wie die herzoglichen Räte und Mannen Rat und Hilfe zu dessen Einhaltung zusicherte und die Urkunde besiegelte.85 Die Sonderstellung des Camminer Stifts bedingte auch, dass das „Land“ Cammin eigenständig neben dem „Land“ Stettin und der Neumark (ggf. auch Schivelbein) und Preußen in der Beschreibung des Geltungsbereichs eines Landfriedens erwähnt wurde.86

4. (Landfriedens-)Bündnisse Wenn wir zu den Inhalten der Landfriedensbündnisse übergehen, soll zuerst knapp ihr Bündnischarakter hervorgehoben werden. Er ergibt sich daraus, dass sich die beiden Vertragspartner stillschweigend oder offenkundig nur politische oder auch politische und militärische Hilfe gegen Dritte versprechen, Dritte, die gemeinhin zur Abdeckung ­ungeahnter 83 StV 2, Nr. 208, S. 35. Nach der Nennung des Grafen sind zwei Zeilen im Entwurf freigelassen worden, offensichtlich, um weitere Siegler noch zu ergänzen. 84 StV 2, Nr. 191, S. 10. 85 StV 2, Nr. 191 (1440 Oktober 1), Nr. 208, S. 32, 35 (1444 April 24). 86 StV 2, Nr. 191.

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Zukunftsfälle ungenannt bleiben, aber doch in der konkreten politischen Konstellation leicht zu erkennen sind, in der Regel wie schon eingangs erwähnt die Mark Brandenburg. Die Bündnisvertragsentwürfe unterscheiden dabei, wie aus den diplomatischen Erörterungen ebenso wie aus den Texten eindeutig abzuleiten ist, zwei unterschiedliche Möglichkeiten, eine schwächere und eine stärkere Beistandsverpflichtung gegenüber dem Partner: diejenige zur Wahrung der Neutralität im Falle eines Konflikts des jeweils anderen mit einem Dritten oder diejenige einer in Stufen gegliederten Unterstützung des Vertragspartners in einer solchen Situation.87 Im Oktober 1448 gedachte der Hochmeister sich mit den beiden Herzögen von Wolgast in der Weise zu verbinden, dass er ihren Gegnern, wenn sie sich seinem zum Ausgleich der Streitigkeiten angebotenen Schiedsgerichtsverfahren verweigerten und ihn um Unterstützung anriefen, „wedir die benanten herren herczogen, irer einen adir ire lande adir leute, keinen beistandt, hulffe nach rath adir taeth mit unsern landen adir leuten thun ader bestellen adir gestaten getan zcu werden in keiner weise, sunder wellen und sullen zcu den sachen stille sitczen.“ 88 Die beiden Vertragspartner versprechen sich also gegenseitig, dass sie im Falle von Ansprüchen oder Angriffen eines Dritten gegen einen von ihnen dem Dritten auf dessen Ersuchen keine direkte oder indirekte, von ihnen selbst oder von anderen geleistete Unterstützung gewähren oder gewähren lassen werden; sie sichern sich, so könnte man es in moderner Begrifflichkeit formulieren, wohlwollende Neutralität zu. Die meisten Vertragsentwürfe sind jedoch dem Typus des – zeitlich (etwa auf zehn Jahre) befristeten 89 oder unbefristeten – Beistandspaktes zuzuordnen: Die Vertragspartner sagen sich politische und nötigenfalls auch militärische Hilfe gegen den feindlichen Dritten zu, sehen aber gegen dessen Vorgehen in der ersten Stufe ein Schiedsgerichtsverfahren vor. Genauer gesagt: Wenn ein Dritter einen Bündnispartner gewaltsam überfällt, ihn mit Krieg oder Fehde überzieht, wird der andere ermächtigte Bündnispartner den Angreifer dazu auffordern, sich einem unter seiner Leitung stehenden Schiedsgericht zur Prüfung und Entscheidung der erhobenen Ansprüche zu unterwerfen. Verweigert sich der Angreifer dem Angebot oder sieht er seine Ansprüche durch den gefällten Schiedsspruch als nicht hinreichend erfüllt an, wird der eine Partner seinem anderen, angegriffenen, militärisch mit seinem Aufgebot zu Hilfe kommen und zur Seite stehen.90 Unterschieden wird dabei z­ wischen der militärischen Hilfe auf dem Gebiet des Bündnispartners zu dessen Befreiung vom dort eingefallenen Feind und der Kampfführung auf dem Gebiet der gegnerischen Seite: Im ersten Fall ist etwa der Herzog von Pommern ohne ausdrückliche 87 Vgl. die Frage Hochmeister Konrads von Erlichshausen an Herzog Bogislaw VIII. nach der Art des Bündnisses: „Nichtangriffspakt“ oder „Beistandspakt“ (so Weise in seinem Kommentar), StV 2, Nr. 192, S. 11. 88 StV 2, Nr. 264 (Kursivierung durch Verf.). 89 StV 2, Nr. 207 § 14: Der Vertrag „schall staen unde in macht bliven van ghevinghe disses brieffes 10 jare umme, also de negestvolgende zind, de tid al uth unde nicht lengher“. – Nr. 208, S. 32 (Protokoll). 90 StV 2, Nr. 207 § 3; Nr. 208 § 1; Nr. 238 §§ 2 – 3; Nr. 270 §§ 1 – 2.

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Aufforderung des Hochmeisters zur Bündnishilfe verpflichtet, soll er die Ordenslande „mit alle unser macht helpen beweren binnen landes [sc. innerhalb des Ordenslandes] und den weldenere [Vergewaltiger] stren unde de land mit macht entsetten in alrer wize, ifft id unsen eighenden landen ghulde unde unser lande weren“. Im zweiten Fall wird der Herzog dem Hochmeister nur dann auf dessen Heereszug außerhalb seines Landes folgen, wenn er von ihm dazu förmlich ermahnt wird und dieser dafür Zahlungen leistet.91 Das angebotene Schiedsgericht kann von den Bündnispartnern ernst gemeint sein, indem mit ihm ein letzter Versuch zur Schlichtung der Streitigkeiten und zur Vermeidung des Krieges unternommen wird. Seine Ausgleichsbemühung kann aber auch nur vorgeschützt sein, da der Schiedsrichter nicht vollständig neutral und unbeteiligt ist, sondern mit einer Streitpartei ein Bündnis abgeschlossen hat, sodass er geneigt sein mag, das Verfahren zu dessen Gunsten parteiisch zu führen, aber im Falle seines Scheiterns nach außen hin umso mehr seine eigene Friedenswilligkeit und das Unrecht des Angreifers herauszustreichen. Die militärischen Verpflichtungen sind in erster Linie danach zu beurteilen, ob sie gleichmäßig auf die Schultern beider Parteien verteilt werden oder ob der einen Seite größere Bürden zugemutet werden als der anderen, was gänzlich von den jeweiligen politischen Absichten der Beteiligten und von der jeweiligen Kräftekonstellation in der gegebenen Lage abhängt. Bevorzugt zielen die militärischen Absprachen auf eine annähernd gleichmäßige Aufteilung der zu erwartenden Lasten ab, bevorzugen dabei den Schutz der angegriffenen Seite in ihrem eigenen Lande und sehen nur sehr zurückhaltend einen (räumlich begrenzten) Ausgriff in das Land des Gegners bzw. in die voraussichtlichen Kampfzonen vor. Dieser Unterschied tritt deutlich zutage, wenn wie in den meisten Entwürfen genauere Bedingungen über das Ausmaß des militärischen Einsatzes festgelegt werden, also über die Größe der einzusetzenden Truppe, über ihr Einsatzgebiet und ihre dortigen Rechte sowie über die Aufbringung und Teilung der anfallenden Kosten. Für ein recht ausgewogenes Verhältnis des militärischen Einsatzes stehen die Bündnisentwürfe von 1443/44. Der Bündnispartner soll rechtzeitig von seinem Kriegseinsatz unterrichtet werden, nämlich zwei Monate zuvor, damit er sich mit den Seinen auf seinen Zug vorbereiten kann. Ihm wird nach Kriegsbeginn die Bereitstellung von Futter und Kosten sowie Schadenersatz innerhalb wie außerhalb des Landes, also sowohl auf den Gebieten der beiden Verbündeten wie auf denen des Gegners, zugesichert. Die persönliche Teilnahme der Landesherren am Kriegszug wird nicht gefordert.92 Die militärische Beistandsverpflichtung wurde im Mai 144493 sehr detailliert und ausgefeilt beschrieben. Jeder Partner stellt im Allgemeinen für den bewaffneten Einsatz im Land des anderen 500 Glevenien bereit; jede Glevenie besteht aus drei Pferden, einem Bewaffneten, einem Schützen und einem Jungen. In besonderen Fällen wird der Einsatz reduziert: In Preußen werden die herzoglichen Truppen äußerstenfalls drei Meilen jenseits von Königsberg eingesetzt, und wenn der Kriegszug die Soldaten 91 StV 2, Nr. 194/1 – 3; Nr. 207/3. 92 StV 2, Nr. 207 §§ 6 – 7. 93 StV 2, Nr. 208/2 – 4.

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12 Meilen über die Oder, also westlich des Flusses, oder 12 Meilen jenseits von Pasewalk führt (also gegen Brandenburg, wie zu ergänzen ist), stellt jeder Bündnispartner 100 Glevenien, ebenso wie auch für einen Reiterkrieg auf und an ihren jeweiligen Grenzen. Die Kosten werden immer in der Weise geteilt, dass der unterstützte Partner „futer und koste“, also die Verpflegung trägt, sobald die Truppen des unterstützenden Partners sein eigenes Land betreten haben, während dieser für mögliche Schäden eintritt; gefangene Glevenien sollen vom Unterstützten ausgelöst werden. Nach einem anderen Vertragsentwurf sollten die Herzöge dem Hochmeister im Kriegsfall gegen seine Feinde ihre Städte und Schlösser, ihre Wege und Brücken öffnen,94 ihm somit die Nutzung der Infrastruktur ihres Herrschaftsgebietes für seine Kriegführung erlauben. Hingegen setzt der pommersche Bündnisvertragsentwurf vom Sommer 1451 deutlich unterschiedliche Leistungen beider Vertragspartner an, verteilt die Aufwendungen und Risiken nicht gleichmäßig auf beide Partner, sondern belastet einseitig den Orden gegenüber Pommern. Im Kriegsfall sendet der Herzog dem Hochmeister 100 Gewappnete, 100 gewappnete reisige Schützen und 300 Pferde zu, umgekehrt der Hochmeister dem Herzog die doppelten Mengen. Die pommerschen Truppen werden im Ordensland vom Hochmeister unterhalten und erhalten Schadenersatz von ihm, während umgekehrt die Ordenstruppen in Pommern vom Herzog zwar Unterhalt bekommen, aber für ihre Schäden der Hochmeister einzustehen hat. Im Notfall wird auf Anforderung der einen Seite die andere Seite mit all ihrer Streitmacht Hilfe leisten, aber in der einen wie in der anderen Lage werden die anfallenden Kosten, Zehrung und Schadenersatz allein dem Orden aufgebürdet. Feindesgebiet soll so lange von den eigenen Truppen besetzt bleiben, bis das eigene Recht gewährleistet und die eigenen, dem Feinde benachbarten Lande hinreichend befriedet und beschirmt sind. Vom Gegner eroberte Städte und Schlösser sollen unter den Bündnispartnern gleichmäßig geteilt werden. Wenn allerdings der Herzog eigene Städte oder Schlösser verliert, soll der Hochmeister den Schaden zur Hälfte tragen.95 Aus dem üblichen Rahmen fällt heraus, dass Herzog Bogislaw IX. von Stolp in seinem Bündnisvertragsentwurf vom September 1443 dem Orden nicht nur politischen und militärischen Beistand gegen eine dritte Landesherrschaft, also gegen die Mark Brandenburg, sondern auch gegen den „unhorsam“ bzw. „unhorsame“ im Ordensland, also gegen die 1440 im Preußischen Bund vereinigte ständische Opposition, zusichert. Er bietet sich zuerst dafür an, mit seinem Rat auf die Anzeige des Hochmeisters die Ungehorsamen gütlich über ihre Pflichten gegenüber ihrer Herrschaft zu unterweisen. Verweigern sie sich der herzoglichen Belehrung, so wird er „mit macht ganczliken dortho helpen, dat em [sc. 94 StV 2, Nr. 270 § 2. – In ähnlicher Weise sah das vom Herzog von Stolp vermittelte Bündnis ­zwischen dem Orden und Mecklenburg vor, dass Mecklenburgs Herzog Heinrich dem Hochmeister auf dessen Anforderung hin seine Schlösser und Städte zur Fehdeführung gegen dessen Feinde öffnen sollte. StV 2, Nr. 238 § 4. 95 StV 2, Nr. 270 §§ 3 – 6.

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dem Hochmeister] de sinen, de em unhorsam worden zint, wedder horsam werden unde horsam bliven.“ 96 Der Hochmeister griff in seinem Gegenentwurf diesen Vorschlag, der das Modell einer interterritorialen Vermittlung auf innerterritoriale Konflikte ­zwischen Herrschaft und Ständen übertrug, nicht auf. Da ein Bündnis mit seinen beiderseitigen Verpflichtungen die Partner auf ein gemeinsames Vorgehen festlegt, sind sie gehalten, keine einseitige Verständigung mit dem Gegner zu suchen, sondern nur gemeinsam mit ihm Waffenstillstands- und Friedensverträge abzuschließen. Anders gesagt, es wird die unterstützte Partei gegenüber ihrem Feind d­ arauf bestehen, dass die sie unterstützende Partei in die Vereinbarung eingeschlossen wird, damit diese nicht anschließend vom Feind geschädigt wird.97 Schließlich verdient noch erwähnt zu werden, dass einzelne Herren von der Bündnisverpflichtung ausdrücklich ausgenommen werden: vorrangig der Papst und der K ­ aiser, also die höchste geistliche Autorität der Christenheit sowie das Reichsoberhaupt, dem Pommern eindeutig und das Deutsch­ ordensland Preußen vieldeutig untersteht,98 nachrangig die anderen pommerschen Herzöge, also die verwandten Angehörigen derselben Greifendynastie (einschließlich König Erichs von Dänemark), und der König von Polen, weil der mit ihm bestehende Friedensvertrag (von Brest 1435) nicht bezweifelt werden soll.99

5. Landfriedenssicherung: Rechtsverfahren statt Fehdeführung Wenden wir uns dem Landfrieden z­ wischen den vertragschließenden Landesherrschaften und ihren Untertanen zu: Was zeichnet ihn in seinem Kern aus? Als Herzog Bogislaw  IX . von Stolp 1445 die Streitigkeiten ­zwischen Mecklenburg und dem Deutschen Orden schlichtete, leitete er die einzelnen Vertragsbestimmungen mit der Beschreibung des grundsätzlichen Friedenszustandes ein: „Tho deme ersten zo schal alle veide, unwille unde twedracht unde allent, wat daraff upghestaen is, id zi roff, mort, schattinghe efte brant, ghentzceliken in date desses breves vorzonet, voreinighet unde entliken untflegen wesen, unde de erghescreven heren, ere lande unde ere undersate van beiden delen scholen under den anderen nummer viende werden, men ein deil scal deme anderen alleweghe willen unde vruntschop bewisen unde ein deil deme andern nummer under oghen mid veide 96 StV 2, Nr. 207 § 4. 97 StV 2, Nr. 208 § 5; Nr. 270/7: „Ok schale wij, heren an beiden deilen, und willen uns mit unsern vigeden edder mit unsern weddersaten nummer affvreden [Kursivierung durch Vf.], wij don dat denne mit unser twiger willen und mit gantczer eindracht.“ Hier werden nicht nur gemeinsame Waffenstillstände (so Weises Regest), sondern auch gemeinsame Friedensverträge gemeint sein. 98 Ottokar Israel, Das Verhältnis des Hochmeisters des Deutschen Ordens zum Reich im 15. Jahrhundert (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas 4), Marburg 1952. 99 StV 2, Nr. 194 § 2, Nr. 207 § 1, Nr. 208, S. 32, Nr. 264, Nr. 270 § 9 (ausgenommen Papst, ­Kirche, Römischer König).

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to wesende.“ 100 Die bisherige Feindschaft, die vorangegangene Fehde mit ihren üblichen Begleiterscheinungen, wie der gewaltsamen Beraubung, Beschatzung und Ermordung der Bevölkerung und Inbrandsetzung ihrer Häuser und Höfe, sollen gänzlich aufhören, an ihre Stelle soll Freundschaft treten, Versöhnung und Vereinigung, damit die Fehde keinesfalls wiederauflebt. Die Landfriedenseinung ­zwischen dem Herzog vom Pommern-Stolp, dem Bischof von Cammin und dem Vogt der Neumark vom Oktober 1440 untersagte all ihren Untertanen jegliche Art der Förderung von Landfriedensbrechern, deren Namen jede Seite zwecks Verbreitung allgemeiner Kenntnis öffentlich verkünden und den anderen Vertragspartnern mitteilen werde: Niemand sollte Räuber, Mörder, Schinder, Mordbrenner oder Missetäter hausen, hegen, speisen, unterstützen, beraten oder geleiten.101 Der Schriftwechsel der Landesherren und ihrer Amtsträger schildert noch genauer mit konkreten Einzelfällen die zu überwindenden Umstände der damaligen Fehdeführung. Der Komtur von Schlochau soll Bürger von Neustettin gefangengenommen und in den Turm geworfen, ihnen ihre Pferde, Wagen und ihr Gut abgenommen haben, alles wider Recht, sodass Herzog Bogislaw beklagte: „Unse endracht jo so nichten steyt, und wy mid dem orden anders nichten weten men leve unde vruntscop.“ 102 Dass die eigenen Untertanen, Ritter ebenso wie Bürger, von der Gegenseite bzw. deren lokalen Amtleuten entgegen dem Ewigen Frieden von Brest 1435 beschatzt worden waren, dass um die Rückgabe des erpressten Geldes gebeten wurde, waren die Beschwerden, mit denen die Parteien sich gegenseitig überzogen.103 Der Rat von Stargard beklagte, dass ein „böser wicht“ zwei seiner guten Dörfer abgebrannt, seinen Bürgern ihre Hände abgehauen und sie beraubt habe, ohne zuvor sich am Recht genügen zu lassen, ohne Ansprüche gegen Stargarder Bürger wie angeboten auf einem Verhandlungstag vorgebracht zu haben.104 Die Herzogin von Stolp hielt dem Orden vor, dass der Waldmeister zu Schivelbein mit seinen Mannen ihr Schlösschen Schlawe teilweise abgebrochen habe – weil, wie zur Rechtfertigung dieser Handlung ausgeführt wurde, von dort aus die Ordensuntertanen durch Gefangennahme und Beschatzung geschädigt und sie auf den Straßen beraubt worden s­ eien. Der Vogt von Schivelbein habe, so weiter die Herzogin, den Einwohnern des Städtchens Arnshausen ihre Güter beraubt – weil, so der Vogt, seine Feinde in der Fehde, die von Leckow, von dort aus ihre Raubzüge unternommen hätten. Der herzogliche Vogt habe, so klagte wiederum der Schivelbeiner Vogt, die Ordensfeinde „gehauset und geheget“, das herzogliche Hofgesinde habe Ordensleute „beschindet, gemordet, gebrandt und beroubet.“ 105 Die Bürger von Thorn und Danzig ­seien nicht, wie Herzog Bogislaw beteuerte, von seinen eigenen Untertanen überfallen, sondern ihr Gut sei von den Kolbergern, die Mordbrennerei und 100 101 102 103 104 105

StV 2, Nr. 238 § 1. StV 2, Nr. 191, S. 10 (1440 Oktober 1). OBA 7734 (1440 Juli 23). OBA 7820 (o. J. [1440?]). OBA 7821 (o. J.). StV 2, Nr. 258, §§ 1 – 3.

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Straßenraub auszuüben pflegten, beraubt und nach Kolberg verbracht worden, wo diese die abgenommenen Kleider trügen.106 Die Reihe solcher tatsächlichen oder vermeintlichen Übergriffe ließe sich aus dem diplomatischen Schriftverkehr beider Seiten leicht und lange fortsetzen,107 die ausgewählten Beispiele sollen nur verdeutlichen, in welcher Weise das friedliche Einvernehmen ­zwischen den Landesherrschaften und ihren Untertanen gestört wurde und ­welche Probleme sie zu deren Herstellung zu bewältigen hatten. Friede, Freundschaft und Eintracht z­ wischen zwei Territorien setzen, so heißt es, grundsätzlich voraus, dass niemand, weder die Herrschaften noch ihre Untertanen, in ihrer Gerechtigkeit gemindert oder gekränkt wird, dass jedermann in seinem ihm gewährten Recht und Privileg verbleibt und er darin nicht vergewaltigt wird.108 Den Vertragspartnern war bewusst, dass ein solches hehres Ziel angesichts der verschiedenen und gegensätzlichen Rechtsansprüche nur umgesetzt werden konnte, wenn die Parteien zur nachdrücklichen Durchsetzung ihrer Ansprüche auf das beliebte eigenmächtige, ja gewaltsame Vorgehen verzichteten, Untertanen der Gegenseite im eigenen Lande festzusetzen, in Arrest zu nehmen oder zu beschatzen oder sonstwie zu bedrohen, sondern sich stattdessen auf ein Rechtsverfahren zur Behandlung und Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten und zur Befolgung der gefällten Urteile verständigten.109 So konzentrierten sich die Landfrieden schwerpunktmäßig darauf, den Ablauf von Konflikten verbindlich zu regeln und die Kompetenzen und Aufgaben der beteiligten Gerichte zu klären: Landfrieden bestanden in ihrem Kern aus der Schaffung einer Landfriedensgerichtsbarkeit. Gemeinhin wurde ein mehrstufiges Verfahren, ein Zweiinstanzenzug eingerichtet. Ein Untertan, ein bürgerlicher oder bäuerlicher Kläger soll zuerst seine Beschwerde, Mahnung oder Klage am Wohnsitz des Beklagten, an der Lage des Tatortes oder des Streitobjekts vor dem dortigen Gericht vorbringen und nach dem im dortigen Land geltenden Landrecht untersuchen und entscheiden lassen; der Landesherr des Beklagten hat dabei behilflich zu sein, dass dem Kläger aus dem anderen Land Recht widerfährt. Ein pommerscher Entwurf sieht zudem vor, dass ein solcher Kläger, sofern er mit seinem Anliegen im lokalen Gericht erfolglos bleibt, seine Forderung den landesherrlichen Räten der Gegenseite auf ihrer nächsten Zusammenkunft zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten vortragen soll.110 Oder Klage und Streit werden sogleich wegen des Ranges der Beteiligten auf die landesherrliche Ebene gehoben: Wenn der Hochmeister, sein Orden oder seine Ordensgebietiger, die Prälaten, Herren, Ritter und Knechte und sonstige Untertanen ihre Ansprüche und 106 OBA 8620 (1444 Dezember 6). 107 So z. B. OBA 10594 (1451 März 4). 108 StV II, Nr. 207 § 5. Der allgemeine Grundsatz wird dann in einzelnen Sachfragen konkretisiert und präzisiert, vgl. z. B.: Alle Straßen im eigenen Lande sollen den Untertanen der Gegenseite frei sein, ausgenommen die alten Zölle (StV 2, Nr. 207 § 9). Bäuerliche Untertanen sollen nicht entführt oder vorenthalten werden, sondern wenn jemand seinen Bauern in Schlössern, Städten oder Dörfern findet, soll er ihm rechtgemäß überlassen werden (StV 2 Nr. 207 § 11). 109 StV 2, Nr. 207 § 10, Nr. 208 § 6. 110 StV 2, Nr. 207 § 10; Nr. 208 § 6; Nr. 270 §§ 11 – 12.

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Klagen gegen die Herzöge von Pommern, deren Prälaten, Herren, Ritter und Knechte und sonstige Untertanen vortragen, soll der Hochmeister sie den Herzögen schriftlich zur Behandlung und Entscheidung der Angelegenheiten mitteilen.111 Landesherrliche Räte wurden eingesetzt, wenn zwei benachbarte Territorien wieder einmal einen ihrer dauernden Streitpunkte beizulegen, nämlich den rechten Grenzverlauf zu klären hatten. Unter Bezugnahme auf den Ewigen Frieden von 1435 bekräftigte der pommersche Bündnisvertragsentwurf von 1443 die Beachtung der alten Grenzen und legte für Grenzstreitigkeiten das Verfahren fest, dass die eine Vertragspartei die andere mit einer Frist von zwei Monaten an den umstrittenen Grenzpunkt oder Grenzverlauf entbieten solle, damit dann die Räte beider Seiten den Konflikt entschieden und niemand in seinen Grenzen Unrecht erfahre, sondern beide Landesherren und ihre Untertanen „deste beth in ghuder eindracht unde vrede bliven unde wezen moghen.“ 112 Was aber geschieht, wenn der Herr oder ein Angehöriger des einen Landes glaubt, dabei von dem zuständigen Untergericht, dem Herrn oder Angehörigen des anderen Landes benachteiligt oder übervorteilt, um sein Recht gebracht worden zu sein? Wenn der Kläger meint, in ­diesem Prozess rechtswidrig behandelt und beschieden worden zu sein, kann er an ein gemeinsam von beiden Landen bestelltes Gericht, ein zur Unter­suchung und Aburteilung interterritorialer Konflikte aus Angehörigen beider Territorien zusammengesetztes Schiedsgericht 113 appellieren, an den sog. Richttag, wie er im Brester Frieden von 1435 ­zwischen allen Vertragsparteien und damit auch z­ wischen dem Ordensland und dem Herzogtum Pommern-Stolp vorgeschrieben war.114 Jede Seite wählte aus den Amtsträgern der anderen zwei Richter aus, und alle vier zusammen hatten die ihnen vorgetragenen Klagen über Rechtsbrüche auf ihren jährlich zu Michaelis (29. September) an wechselnden Grenzorten stattfindenden Zusammenkünften zu prüfen und zu entscheiden. Die Richttage ­zwischen dem Orden und Pommern-Stolp sollten jährlich ­zwischen benachbarten Grenzstädten wechseln, die ­zwischen Preußen und Pommern-Stolp im einen Jahr in Stolp, im anderen Jahr in Bütow stattfinden, die ­zwischen der Neumark und Pommern-Stolp im einen Jahr in Reetz und im anderen in Zachan, sofern sich die Parteien 111 StV 2, Nr. 270 § 10. 112 StV 2, Nr. 207 § 12. – Vgl. die Vereinbarung über die beiderseitige Grenzbereitung von 1441, StV 2, Nr. 192 § 6. 113 J[ürgen] Weitzel, Art. Schiedsgericht, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München, Zürich 1995, Sp. 1454 f., mit der auch unseren Gegenstand treffenden Aussage: „Große Bedeutung haben seit dem 13. Jh. institutionalisierte Schiedsgerichte in Streitigkeiten mit und z­ wischen Herrschaftsträgern sowie in deren Bünden erlangt“ (Sp. 1455). – Zahlreiche territoriale Beispiele spätmittelalterlicher Schiedsgerichtsbarkeit behandeln die meisten Beiträge der Tagungsdokumentation: Konzepte und Praktiken der Schiedsgerichtsbarkeit im römisch-deutschen Reich des Spätmittelalters, hg. v. Claudia Garnier, Hendrik Baumbach, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 155 (2019), S. 233 – 416. 114 Vgl. zu d ­ iesem Richttag und insbesondere zur nachfolgenden Umsetzung der friedensvertraglichen Regelungen von 1435 Neitmann (wie Anm. 1), S. 476 – 504, bes. S. 483 – 486, 498 f. zu den Richttagen ­zwischen dem Deutschen Orden und Pommern-Stolp.

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nicht auf andere Orte einigten.115 Die Einsetzung eines bilateralen Richttages 1435 stand ausgesprochen oder unausgesprochen im Hintergrund, wenn der Hochmeister und die pommerschen Herzöge nach 1440 über Verfahren zur Schlichtung ihrer beiderseitigen Streitigkeiten berieten und dabei nach geeigneten Entscheidungsforen suchten. Der Vorschlag, den Bogislaw IX . 1443 unterbreitete, verfeinerte und ergänzte die Regelung von 1435. Die Arbeitsweise der Gerichtstage ist demnach so gestaltet, dass sie für Streitigkeiten sowohl ­zwischen beiden Landesherrschaften als auch ­zwischen Untertanen und einer Landesherrschaft wie ­zwischen Untertanen beider Landesherrschaften nach den Methoden eines Schiedsgerichtes vorgehen. Das heißt, wenn eine Seite Klage gegen die andere erhebt, soll jede von ihnen zwei Räte aus ihren eigenen Reihen – Räte des Hochmeisters oder der Vögte der Neumark und von Schivelbein bzw. Räte des pommerschen Herzogs – bestellen, die zweimal jährlich, am Sonntag nach Pfingsten und an Michaelis, an der Grenze zusammentreffen, nämlich in dem einen Jahr nach Pfingsten an der preußisch-pommerschen Grenze ­zwischen Stolp und Langeböse und zu Michaelis an der neumärkisch-pommerschen Grenze ­zwischen Stargard und Arnswalde sowie in dem anderen Jahr nach Pfingsten z­ wischen Neustettin und Hammerstein und zu Michaelis z­ wischen Schivelbein und Belgard. Der Kläger soll den Beklagten vor d ­ ieses Gericht vorladen und ihn dort beschuldigen. Wenn der Beklagte unentschuldigt abwesend ist, wird er gemäß der Ansprache des Klägers verurteilt werden, und d ­ iesem wird gemäß dem Richterspruch sein Schaden vom Gebietiger oder Vogt, „dar de harthrigghe under bezeten is“, ersetzt werden.116 Der Gegenentwurf des Ordens fügte, da jetzt auch die Stettiner Herzöge in den Landfrieden einbezogen werden sollten, einen weiteren Gerichtsort hinzu: Streitigkeiten ­zwischen diesen beiden Parteien sollten von jeweils zwei Räten jeder Seite in Greifenberg in Pommern behandelt und entschieden werden.117 Die wesentlich gewichtigere Ergänzung des hochmeisterlichen Vertragstextes bestand freilich darin, dass versucht wurde, die Kernprobleme des interterritorialen Gerichtstages anzupacken und eine Pattsituation unter den Richtern aufzulösen – wohl vor dem Hintergrund einer negativen Erfahrung, die der Orden bereits kurz zuvor mit dem pommerschen Modell gemacht hatte. Der Hochmeister und der Herzog von Stolp hatten am 1. Oktober 1441 einen Richttag zu Hammerstein für den 19. November vereinbart, auf dem insgesamt acht Räte, jeweils von jeder Seite ausgewählte vier Personen, die gegenseitigen Ansprüche und Streitigkeiten der beiderseitigen Untertanen, „es sei von robrie, nemerie, plackrie, adir welcherlei die sin“, nach Klage und Antwort entscheiden sollten, wobei sie nicht eher wieder voneinander scheiden dürften, bis sie alle Sachen „mit eintracht“ gerichtet hätten. Die Kläger sollten die von ihnen im Nachbarland Beklagten namentlich erfassen und deren Verzeichnis dem dortigen Amtsträger übergeben, damit dieser sie auf den Richttag vorlud: Die pommerschen Untertanen hatten sich an den Komtur zu 115 StV 1, (wie Anm. 60), Nr. 181 § 32. 116 StV 2, Nr. 207 § 8. 117 StV 2, Nr. 208 § 12.

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Schlochau, die ­Ordensuntertanen an den Vogt zu (Neu-)Stettin zu wenden.118 Die Vereinbarung zielte offenkundig darauf ab, das Richtergremium unter Entscheidungsdruck zu setzen, und hoffte so auf einvernehmliche Beschlüsse, ohne für den Fall eines unaufhebbaren Dissenses Vorkehrungen zu treffen. So ergab sich auf dem schließlich am 13. März 1442 zu Hammerstein zusammentretenden Richttag nicht unerwartet die Lage, dass die vier pommerschen und die vier Ordensrichter sich nicht über den Ausgleich der anstehenden Schadensforderungen verständigten und die Angelegenheiten wieder an ihre Landesherren zur Vereinbarung eines weiteren Richttages zurückverwiesen.119 Jeder Richter hatte im Sinne der ihn entsendenden Partei geurteilt, sodass das paritätisch besetzte gemeinsame Gremium keinen Ausweg aus der gegenseitigen Blockade mangels einer Methode zu deren Überwindung fand. Die Richttagsregelung von 1435 hatte zwar auch ein paritätisch besetztes Gericht vorgegeben, aber jede Seite dazu verpflichtet, „ihren“ Richter aus dem Amtsträger­kreis der anderen Seite auszuwählen, in der Hoffnung, dass so unparteiisch gesonnene Personen zum Zuge kommen würden. Hochmeister Konrad von Erlichshausen bevorzugte 1444 in seinem Vertragsentwurf ein ähnliches, aber verfeinertes Verfahren mit derselben Absicht. Da für ein paritätisch aus Räten beider Landesherrschaften zusammengesetztes Kollegium eine Parteinahme für den Kläger oder Beklagten aus dem eigenen Lande und damit letztlich Stimmengleichheit zu befürchten ist, wird den vier Räten eine entscheidende fünfte Person beigegeben, der sog. Obermann oder „Gemeine“, also ein Vorsitzender, dessen Auswahl so geregelt wird, dass nach Möglichkeit seine Unparteilichkeit von vornherein gefördert wird. Für eine pommersche Klage gegen den Orden soll nämlich der Herzog einen Ratsgebietiger des Hochmeisters oder einen Rat des neumärkischen oder Schivelbeiner Vogtes auswählen, umgekehrt für eine Ordensklage gegen Pommern der Hochmeister einen herzoglichen Rat. Der Obermann entstammt also dem Lande des Beklagten, wird aber vom Land des Klägers ausgesucht, um Einseitigkeiten möglichst zu vermeiden, und er wird ausdrücklich 118 StV 2, Nr. 192 §§ 2, 8. – Gleichartige, vereinfachte Verfahren zur Behandlung jeweils eines einzigen Rechtsstreites wurden wiederholt erwogen. So berichtete der Herzog von Stolp dem Hochmeister am 3. August 1444, er bemühe sich um die Beendigung des Streites ­zwischen dem Vogt von Schivelbein und seinen Untertanen, den Angehörigen der Familie Leckow, wegen deren angeblicher Gefangennahme von Ordensuntertanen in der Weise, dass die Leckowen zwei, drei oder vier herzogliche Räte auswählen und sie zur Verhandlung nach Recht oder Freundschaft bevollmächtigen sollten sowie der Vogt ebenfalls zwei, drei oder vier seiner Räte in gleicher Weise bestimmen sollte, damit die Auseinandersetzung durch Recht oder durch Güte beigelegt würde. OBA 8518 (Herzog Bogislaw IX. von Stolp an HM Konrad von Erlichs­ hausen). – Am 26. November 1446 schlug der Hochmeister dem Herzog von Stolp vor: Der Herzog und der Hochmeister sollten jeweils zwei Räte zum 10. Dezember nach Lauenburg entsenden, wo die vier den Konflikt ­zwischen dem Mündemeister des Ordens und herzog­lichen Untertanen zu Rügenwalde verhandeln, die ebenfalls anwesenden Streitparteien verhören und ihre Klagen entscheiden sollten, mit der Verpflichtung, dass ihr Rechtsspruch beachtet und umgesetzt wurde. OF 16, S. 1151. 119 StV 2, Nr. 193.

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in dem fraglichen Rechtsfall von all seinen Verpflichtungen gegenüber seinem eigenen Herrn entbunden, damit er „dester unvordechtlicher in den sachen sein moge“.120 In einem überlieferten konkreten Rechtsstreit wurde der pommersche Rat Lorenz Puttkamer, der auch ansonsten an den Verhandlungen mit dem Orden beteiligt war, für Ansprüche von Ordensuntertanen an Pommern und umgekehrt der Komtur von Danzig für Ansprüche von Pommern gegen Ordensuntertanen bestimmt.121 Falls unter den vier landesherrlichen Räten aus ihrer Stimmabgabe ein Patt erwächst, gibt der Obermann mit seinem Votum und der dadurch ermöglichten Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen den Ausschlag. Die Richter sind aufgefordert, die Streitigkeiten zu untersuchen und nach Vorbringen von Klage und Antwort rechtsgemäß zu entscheiden, und ihr Ausspruch soll unverbrüchlich eingehalten werden. Wenn ein Beklagter unentschuldigt nicht vor Gericht erscheint, wird der Kläger entsprechend seinem Anspruch entschädigt, und der lokale Gebietiger, Vogt oder Amtmann ist verpflichtet, den Beklagten zur Befolgung des Urteils anzuhalten.122 Wie Hochmeister Konrad von Erlichshausen das Instrument des Richttages einschätzte und wie er mit ihm umging, verrät in aller Deutlichkeit sein Schreiben vom 22. Oktober 1447 an den Vogt zu Schivelbein, in dem er ihn wegen seiner unzulänglichen Verfahrensvorschläge zur Entscheidung seiner Klagen gegen die Herzogin von Stolp und deren Untertanen zurechtwies und ihn über die gültige Rechtslage in interterritorialen Rechtsstreitigkeiten unterrichtete, ja regelrecht belehrte. Denn da die Landfriedenspläne von 1443/44 nicht durch einen Vertragsabschluss gekrönt wurden, galt dafür weiterhin der Brester Frieden. Er, der Hochmeister, könne nicht, wie vom Vogt vorgeschlagen, die Herzogin dazu auffordern, dass sie ihre vom Vogt bezeichneten beklagten Untertanen entsprechend der hochmeisterlichen Ladung zu einem Tag nach Hammerstein oder Schlochau (auf Ordensgebiet) schicke, denn so würde er gegen den ewigen Frieden von 1435 und dessen Bestimmungen zur Beilegung gegenseitiger Rechtsansprüche verstoßen. Stattdessen wollte der Hochmeister während seines Umzuges durch Pommerellen die Herzogin darum ersuchen, ihre bevollmächtigten Räte zu ihm nach Schlochau zu entsenden, wo er sich mit ihnen bemühen werde, dass sie die beiseitigen Klagen „gutlich und fruntlich henlegen und entscheiden mogen.“ Misslinge sein Ausgleichsversuch, wolle er einen Richttag nach Inhalt des ewigen Friedens vereinbaren. Der Hochmeister zog also eine formlosere Güteverhandlung ­zwischen den nach freiem Ermessen jeder Seite beauftragten Vertretern beider Landesherrschaften einem förmlichen Richttag mit förmlich bestelltem Richterkollegium und mit Vorgehen nach Recht vor, „wen unser meynung anders nicht gewesen ist, denne das wir die sachen durch fruntschaft henlegen, entscheiden und uff eyn gut bestehen bearbeiten mogen.“ 123 Genau in ­diesem Sinne und in dieser Weise wurde ­tatsächlich einen 120 121 122 123

StV 2, Nr. 208 §§ 10 – 11. Vgl. das gleichartige Verfahren StV 2, Nr. 270 § 10. StV 2, Nr. 237 § 2. StV 2, Nr. 208 §§ 8 – 11. OF 16, S. 734 – 735; vgl. ferner OF 16, S. 752 (1447 November 5, Hochmeister an Vogt von Schivelbein).

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Monat s­ päter ­verfahren, anscheinend erfolgreich. Die beiden Streitparteien, die Herzogin, die durch drei ihrer Räte, darunter den Kanzler, vertreten war, und der Vogt zu Schivelbein, der sich selbst vertrat, bevollmächtigten auf ihrer Zusammenkunft auf der Ordensburg Schlochau am 19. November 1447 den anwesenden Hochmeister damit, ihre Konflikte „durch frundschaft adir recht czu endscheiden“. Der Hochmeister hörte und erwog mit seinen beteiligten Gebietigern und Räten Rede und Gegenrede der beiden Parteien und entschied danach die vorgebrachten Händel „in frundschaft, das uns beiden teilen bequeme dauchte“: Er fällte ein geradezu salomonisches Urteil, indem er verkündete, die gegenseitigen Ansprüche „sollen gleich kegen einandir genczlich abgegethan sein, so das kein teil vorbas der gedochten gebrechen dem anderen czusachen slle.“ Eine Schuldforderung des Vogtes gegen den verstorbenen Herzog von 220 Mark Finkenaugen wurde mehr als zur Hälfte erlassen, die Ausleihe von Getreide und eines stählernen Panzers an den verstorbenen Herzog wurde in ein Geschenk für dessen Witwe umgewandelt.124 Die Vorgehensweise war insofern ein wenig ungewöhnlich, als der Landesherr der einen Seite, des Ordensvogtes, von den Bevollmächtigten der Gegenseite zum Schiedsrichter mit der Befugnis zu einem nach Freundschaft oder Recht zu fällenden Schiedsspruch bestellt wurde. Der Hochmeister rechtfertigte den ihm entgegengebrachten Vertrauensvorschuss, indem er in einer nur nach Freundschaft durchgeführten Verhandlung und Abwägung die wesentlichen gegenseitigen Klagen für gleichgewichtig erklärte und so gegenseitig aufhob und zudem der pommerschen Seite in zwei zusätzlichen Einzelfragen merklich entgegenkam. Ein beachtliches Verhandlungsgeschick wird man ihm nicht absprechen können. Für die Zukunft ordnete er noch an, dass beide Herrschaften gemeinsame Tage an einer passenden Stätte an der Grenze ansetzen sollten, wenn Untertanen der einen Seite Ansprüche gegen Untertanen der anderen Seite oder gegen die andere Herrschaft erhöben.125 Als sich die Herzogin von Stolp ihrerseits im Herbst 1448 auf den ewigen Frieden von Brest und dessen Verfahren zur Behandlung und Entscheidung bilateraler Streitigkeiten mangels anderer vereinbarter Landfriedensregelungen berief, um offensichtlich die Ansprüche des Stolper Bürgermeisters Thomas vam Hagen durchsetzen zu können, griff der Hochmeister ihre Anregung auf und erklärte sich grundsätzlich mit einer Gerichtsverhandlung der beiderseitigen Räte an der Grenze einverstanden, wünschte sich nur Flexibilität in der Bestimmung des Ortes und des Zeitpunktes innerhalb des Zeitrahmens, in dem er demnächst auf seinem Umzug in die Nähe der Grenze zum Herzogtum Stolp kommen werde. Er mahnte an, dass die Räte beider Länder den ewigen Frieden, d. h. wohl eine Abschrift des Friedensvertrages, mitbringen sollten – wahrscheinlich, um so zu gewährleisten, dass dessen Bestimmungen allseits vollständig bekannt waren –, und sicherte seine Einhaltung der von den Räten gefundenen Entscheidung an: „Wir haben bisher der vorschr(eibung) des ewigen fredes nachgegan(gen) und wellen ouch noch gerne thun alles, was wir nach inhaldunge und luwte derselben vorschr(eibung) durch euwer und unsir rethe zcu thun dirkant 124 StV 2, Nr. 258. 125 StV 2, Nr. 258 § 7.

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werden.“ 126 Später forderte der Hochmeister die Herzogin wie auch die Stadt Stolp dazu auf, ihre Räte bzw. Ratskumpane mit Thomas vam Hagen zu ihm nach Hammerstein oder Lauenburg zu genannten Terminen zwecks einer Ausgleichsverhandlung zu entsenden.127 Auch wenn er einem Richttag gemäß ewigen Frieden zustimmte, so umging er doch dessen formale Vorschriften und strebte offenkundig ein ähnliches Vorgehen wie ein Jahr zuvor an. Die referierten Bestimmungen zum Umgang mit interterritorialen Konflikten und Fehden sind nicht nur auf dem Papier oder Pergament stehen geblieben, sondern gerade in einem gewichtigen Fall mit Leben erfüllt und erfolgreich angewandt worden, als nämlich 1445 Herzog Bogislaw IX. von Stolp durch seinen Schiedsspruch den „Krieg“, der ­zwischen Hochmeister Konrad von Erlichshausen und Herzog Heinrich dem Älteren von Mecklenburg durch dessen Einfall in die Neumark entstanden war, schlichtete und beendete. Das in all seinen Phasen und Stufen gut dokumentierte Schiedsgerichtsverfahren zeigt bei näherer Analyse, zu der hier der erforderliche Platz fehlt und die an anderer Stelle geleistet werden soll, die diplomatische Vorgehensweise mit allen damit verbundenen Rechtsdokumenten zur Beendigung einer Fehde und zur Wiederherstellung des Friedens.128

6. Schluss Die hier behandelten Landfrieden fallen, wie abschließend zu betonen ist, in keiner Weise aus den zahlreichen Landfriedenseinungen heraus, die im 14. und 15. Jahrhundert überall im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation mit oder ohne Beteiligung des Königtums 129 unter den Territorialmächten abgeschlossen wurden. Pommern und der Deutsche Orden bedienten sich eines weit verbreiteten Instrumentariums zur Herstellung und Bewahrung eines interterritorialen Friedenszustandes. Die skizzierten Vorgänge zeigen, dass ihnen die diesbezüglichen Rechtswerkzeuge und Rechtsbestimmungen in vollem Umfange bekannt und vertraut waren und sie diese mit ihrer Rechtsgelehrsamkeit und ihrem Erfahrungsschatz geradezu virtuos auf die vertragliche Gestaltung ihrer nachbarschaftlichen Beziehungen anzuwenden vermochten. Es waren die Handwerkszeuge der Diplomatie und des Rechts, mit denen sich die (nieder-)adligen Räte ihrer Landesherren im 15. Jahrhundert auskannten und die sie in ihrer diplomatischen Praxis aufgrund ihrer Erfahrungen einsetzten. Ihre Herrscher und sie benutzten die ausgebildeten Umgangsformen des diplomatischen Verkehrs mit ihren Kommunikationstechniken und Schriftgutarten. Gelehrte Juristen tauchen so selten und so beiläufig auf, dass ihre Kenntnisse des gelehrten, des kanonischen wie des gemeinen Rechts für die hier in Rede stehenden Beziehungen nicht in nennenswertem Ausmaß benötigt wurden. 126 OF 17, S. 793 (1448 Oktober 3, HM an Herzogin von Stolp). 127 OF 17, S. 804 (1448 Dezember 10, HM an Stadt Stolp). 128 StV 2, Nr. 232 – 236, Nr. 237 § 1, Nr. 238 § 5; OBA 1444 Juni 20. 129 Heinz Angermeier, Königtum und Landfrieden im deutschen Spätmittelalter, München 1966.

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Zur Einordnung des vom Deutschen Orden und Pommern gewählten Typus von Landfrieden ist zu bedenken, dass hier zwei Territorien von annähernd gleichem politischem und verfassungsrechtlichem Gewicht, sozusagen die Territorien zweier gleichrangiger Reichsfürsten, einander gegenübertraten und dass sie in den äußeren Formen ihrer Beziehungen ebenso wie in deren inhaltlichen Gestaltung auf Gleichberechtigung achteten: Keiner war dem anderen in irgendeiner Weise untergeordnet, beide suchten sie die Gegenseitigkeit ihrer Verpflichtungen zu wahren und die Ausgewogenheit und Gleichwertigkeit ihrer Zusagen zu berücksichtigen. So dienten die Landfriedensbündnisse ihrer politischen Selbstbehauptung gegen feindselige Dritte in der Weise, dass die Verpflichtungen beider Seiten annähernd gleichgewichtig formuliert wurden. Sie unterschieden sich damit von den vielfach im Reich vereinbarten Landfrieden, die untergründig oder offensichtlich von der jeweiligen regionalen Hegemonialmacht bestimmt waren oder geradezu von ihr diktiert wurden: Solche Landfrieden bezweckten demgegenüber, die mindermächtigen Herrschaften im Grad ihrer politischen und rechtlichen Selbständigkeit einzuengen und niederzudrücken, sie letztlich zu mediatisieren. So hängt die Beurteilung einzelner Landfrieden letztlich immer von den politischen Umständen ab, in die sie eingebettet waren, und es ist daher immer nach den Zwecken zu fragen, ­welche die Beteiligten mit ihnen verfolgten.

Der Frieden von Stettin 1570 und die Entwicklung der dänisch-schwedischen Rivalität bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts Bengt Büttner

Am 13. Dezember 1570 ging in Stettin der erste internationale Friedenskongress in der Geschichte Nordeuropas mit der Unterzeichnung der Friedensverträge zu Ende. An die Unterzeichnungszeremonie im Stettiner Rathaus schlossen sich ein Dankgottesdienst und ein Festmahl auf dem Stettiner Schloss an.1 Die Friedensverträge beendeten den ­Nordischen Siebenjährigen Krieg, den Dänemark, Lübeck und Polen seit 1563 als Bündnispartner gegen Schweden geführt hatten und der mit Kampfhandlungen in den Grenzlandschaften ­zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen, auf der Ostsee und in Livland ausgetragen worden war. Eine Darstellung der Unterzeichnungszeremonie wurde rund 20 Jahre ­später in eine Sammlung von Kupferstichen aufgenommen, die der holsteinisch-dänische Staatsmann Heinrich Rantzau, einer der Mitunterzeichner des Vertragswerks, nach dem Tod seines Dienstherrn und persönlichen Freundes, des dänischen Königs Frederik II. (reg.  1559 – 1588), zum Lobpreis von dessen Großtaten („res gestae“) beim Kupferstecher Frans Hogenberg in Auftrag gab (vgl. Abb. 1). Die Aufnahme nicht nur der militärischen Ereignisse des Nordischen Siebenjährigen Krieges, sondern auch der Vertragsschließung zu seiner Beendigung belegt, wie sehr auch der Friedensvertrag zu den Großtaten des Königs gerechnet wurde, obwohl König Frederik auf dem Stettiner Friedenskongress nicht persönlich anwesend gewesen war.2

1 Vgl. Frede P. Jensen, Danmarks konflikt med Sverige, 1563 – 1570 (Skrifter udgivet af det Historiske institut ved Københavns Universitet 12), København 1982, S. 330; L. Laursen in Danmark-Norges Traktater 1523 – 1750 (DNT), Bd. II (1561 – 1588), hg. v. L. Laursen, København 1912, S. 231. Die Bewertung als erster Friedenskongress Nordeuropas bei Karl-Erik ­Frandsen, 1523 – 1588, in: Esben Albrectsen, Karl-Erik Frandsen, Gunner Lind, Konger og krige 700 – 1648 (Dansk udenrigspolitiks historie 1), København 2001, S. 216 – 339, hier S. 315. – Für Textkorrekturen danke ich Herrn Eckhard Thiele, Göttingen, für die Bildbearbeitung Herrn Achim Weisbrod, Marburg. 2 Frans Hogenberg, Simon Novellanus, Res gestæ … Friderici II., Daniæ, Norwegiæ, Gottorum Wandalorumque regis, ducis Slesvici, Holsatiæ … ex monumento pyramidali Segebergæ ab Henrico Ranzouio, regio per Holsatiam vicario, erecto, desumptæ aeneisque nunc tabulis sculptæ ac expreßæ …, o. O. 1589, Tafel 12. Die Kupferstiche dokumentieren gleichzeitig die Abbildungen zu Ehren des Königs im Inneren der ebenfalls von Heinrich Rantzau gestifteten sog. „Segeberger Pyramide“; vgl. Wiebke Steinmetz, Heinrich Rantzau (1526 – 1598). Ein Vertreter des Humanismus in Nordeuropa und seine Wirkungen als Förderer der Künste (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXVIII 125), Bd. I–III, Frankfurt am Main 1991, zur

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Abb. 1: Die Unterzeichnung des Stettiner Friedens am 13. Dezember 1570. Kupferstich in: Frans Hogenberg, Simon Novellanus, Res gestæ … Friderici II., Daniæ, Norwegiæ, Gottorum Wandalorumque regis …, [o. O.] 1589. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: M: Gs 4° 45.

Der folgende Überblick soll die Entstehung d ­ ieses ersten Krieges in einer langen Reihe von dänisch-schwedischen Kriegen bis ins 19. Jahrhundert nachvollziehen, seinen militärischen Verlauf und die diplomatischen Anstrengungen zu seiner Beendigung skizzieren, die Frage klären, warum dieser Kongress gerade in Stettin stattfand, und dessen Ablauf nachzeichnen. Schließlich soll ein Ausblick auf die weitere Entwicklung der dänisch-schwedischen Rivalität erfolgen, die sich nach dem Frieden von Stettin nur für eine kurze Zeit entspannte und dann in weiteren Kriegen entlud. Noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts waren die Doppelmonarchie Dänemark-Norwegen und das Königreich Schweden, zu dem immer auch Finnland zählte, in der nordischen Unionsmonarchie zusammengeschlossen, regiert von einem gemeinsamen König und jeweils eigenen Reichsräten nach Maßgabe ihrer eigenen Rechte und Gesetze. Dieser Zusammenschluss bestand um 1500 jedoch nur noch in der ­Theorie, denn tatsächlich war die Teilnahme Schwedens an der Union seit der Mitte des 15. Jahrhunderts dauerhaft Kupferstichsammlung Bd. I, S. 305 – 310, zur Segeberger Pyramide ebd., S. 253 – 259, zur Darstellung der Vertragsunterzeichnung mit Bildbeschreibung Bd. II, S. 622 f., Kat. Nr. 62. Das dargestellte Interieur des historischen Stettiner Rathauses ist vermutlich nicht authentisch. – Für die Überlassung der Abbildung danke ich der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.

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­strittig. Immer wieder erhoben sich in Schweden Aufstände gegen die dänischen Unionsmonarchen aus dem deutschen Haus Oldenburg. Die schwedischen Stände wählten eigene Reichsvorsteher und erkannten die Herrschaft der Unionskönige nur in ­kurzen Phasen an. Was den schwedischen Adel von der Unionsmonarchie trennte, war sein Verfassungsverständnis mit der Vorstellung von einem Königtum, das eher auf eine aristokratische Wahl­ monarchie hinauslief als auf die Idee des Königs und seiner Anhänger von einer integrierten Erbmonarchie.3 Selbst wenn dieser Verfassungskonflikt noch kein nationaler Konflikt war, so legte die lange Verfallszeit der nordischen Union mit ihren vielen antiköniglichen Aufständen und königlichen Strafexpeditionen doch eine Basis für die aufkeimende nationale Gegnerschaft ­zwischen Dänemark und Schweden. Den Anlass für das endgültige Zerbrechen der Union schuf der letzte Unionskönig Christian II. selbst: Auf dem Gipfel seiner Macht, als er nach einem erfolgreichen schwedischen Feldzug und nach Verhandlungen mit dem schwedischen Reichsrat die Krönung zum schwedischen König in Stockholm empfing, beging er einen Justizmord, indem er seine Krönungsgäste festsetzen und die Angehörigen der schwedischen Adelsopposition unter ihnen anklagen, aburteilen und hinrichten ließ. Dieses sog. „Stockholmer Blutbad“ vom November 1520 und seine Nutzung für die antikönigliche Propaganda haben viel dazu beigetragen, in der schwedischen Führungsschicht ein bleibendes antidänisches Ressentiment zu verankern und ihren Kampf gegen das Unionskönigtum zu einem nationalen Befreiungskampf zu stilisieren.4 Wenn König Christian mit seiner Bluttat den Zweck verfolgte, die nordische Union zu festigen, so erreichte er genau das Gegenteil: In Schweden erhoben sich bereits Ende des Jahres 1520 neue Aufstände gegen Christians Herrschaft; deren Anführer Gustav Eriksson Vasa wurde 1521 zum schwedischen Reichsvorsteher gewählt und 1523 zum schwedischen König gekrönt. Die schwedischen Aufstände wurden von der Hansestadt Lübeck unterstützt, die darin eine gute Gelegenheit erblickte, mit dem Unionskönig auch dessen ungeliebte Handelspolitik zum Nachteil Lübecks und der Hanse loszuwerden. In Dänemark wiederum knüpfte Lübeck 1522 Verbindungen mit Christians Onkel, Herzog Friedrich von Schleswig und Holstein, der sich im März 1523 von einer Gruppe oppositioneller Adeliger zum dänischen König wählen ließ. Im April reiste der geschlagene Unionskönig aus Dänemark ab, und seine selbständig gewordenen 3 Vgl. Thomas Lindkvist, Die nordischen Monarchien und die politisch-wirtschaftlichen Transformationen des Ostseeraums 1250 – 1520, in: Geschichte, Politik und Kultur im Ostseeraum, hg. v. Jan Hecker-Stampehl, Bernd Henningsen, Berlin 2012, S. 45 – 58, hier S.  50 – 57. 4 Vgl. Esben Albrectsen, 700 – 1523, in: ders., Frandsen, Lind (wie Anm. 1), S. 10 – 215, hier S. 203 f.; Jens E. Olesen, Dänemark, Norwegen und Island, in: Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 62), hg. v. Matthias Asche, Anton ­Schindling, Münster 2003, S. 27 – 106, hier S. 35 f.; Werner Buchholz, Schweden und Finnland, in: ebd., S. 107 – 238, hier S. 128 f.

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Reichsteile, die Doppelmonarchie Dänemark-Norwegen und das Königreich Schweden, schlossen 1524 Frieden.5 Von nun an gab es zwei Monarchien im Norden Europas, die eine ausgesprochen ambivalente Beziehung zueinander pflegten: Auf der einen Seite verschärfte sich ihre Gegnerschaft immer weiter und entwickelte sich geradewegs zu einer Konstante der Geschichte Nordeuropas in der Frühen Neuzeit. Dabei ging es um alte schwedische Gebietsansprüche an Dänemark, v. a. auf die Insel Gotland, die der dänische König im 14. Jahrhundert annektiert hatte, aber auch auf andere ostdänische oder norwegische Landschaften. Weiterhin erstreckte sich die Rivalität auf den dänischen Wunsch nach der Wiederherstellung der Unionsmonarchie, dem die Schweden die Selbstbehauptung und Unabhängigkeit ihrer Monarchie entgegensetzten, auf das Bestreben nach Bewahrung oder Gewinnung der Vorherrschaft über ganz Skandinavien und die Ostsee, also auf das vielbeschworene „Dominium maris Baltici“, und letztlich immer auch auf das Ziel, die staatliche Unabhängigkeit oder Existenz des Nachbarlandes zu beenden.6 Zu diesen durchgehenden Grundkonflikten konnten bei Gelegenheit noch weitere aktuelle Konfliktthemen treten, die dann den Anlass für eine militärische Konfliktaustragung abgaben. Auf der anderen Seite mag es geradezu paradox erscheinen, wenn Dänemark und Schweden neben ihrer Gegnerschaft zunächst noch eine enge nachbarschaftliche Sonderbeziehung unterhielten, die auf die Verhandlungsformen der Unionszeit zurückgriff und ihre Konflikte in die Hände der jeweiligen Reichsräte legte, die auf grenznahen Treffen darüber verhandeln oder mit speziellen Schlichtungs- oder Schiedsverfahren darüber entscheiden sollten. Diesen Verhandlungsformen ist es zu verdanken, dass der dänisch-schwedische Konflikt in den ersten 100 Jahren nach dem Ende der Union phasenweise eingehegt oder verzögert werden konnte.7 In den ersten Jahrzehnten nach dem Zerbrechen der Union dominierte zunächst die nachbarschaftliche Seite der dänisch-schwedischen Beziehungen: Beide Reiche bildeten eher widerwillig eine Art Notgemeinschaft, die sie einerseits gegen äußere Bedrohungen wie die Rückkehr des vertriebenen Unionskönigs Christian II., gegen Interventionen von dessen Erben oder seinem mächtigen Schwager K ­ aiser Karl V. und gegen das Hegemonialstreben der Stadt Lübeck, andererseits zur inneren Stabilisierung ihrer usurpatorischen Königsherrschaften z. B. gegen neue Aufrührer in Schweden, zur Gewinnung ­internationaler 5 Vgl. Albrectsen (wie Anm. 4), S. 203 – 205. 6 Vgl. Jens E. Olesen, Der Kampf um die Ostseeherrschaft ­zwischen Dänemark und Schweden (1563 – 1720/21), in: Geschichte, Politik und Kultur im Ostseeraum (wie Anm. 3), S. 59 – 79, hier S. 59 f.; Knud J. V. Jespersen, Rivalry without Victory. Denmark, Sweden and the Struggle for the Baltic, 1500 – 1720, in: In Quest of Trade and Security. The Baltic in Power Politics 1500 – 1990, hg. v. Göran Rystad, Klaus-Richard Böhme, Wilhelm M. Carlgren, Bd. I, S.  137 – 176, hier S.  140 – 143; Jensen (wie Anm. 1), S. 9 – 12. 7 Vgl. Georg Landberg, De nordiska rikena under Brömsebroförbundet, Uppsala 1925, S. 1 – 4; Sven Ulric Palme, Sverige och Danmark 1596 – 1611, Uppsala 1942, S. 5 – 35.

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Anerkennung oder zur Reformation ihrer Kirchenwesen zusammenschloss. Beide Seiten gingen daher eine Reihe von Verträgen und Abkommen miteinander ein, mit denen sie ihre Streitigkeiten vertagten, Schiedsverfahren oder freien Handel vereinbarten, militärischen Beistand gegen Angriffe verabredeten (Lödöse 1528, Stockholm 1534, Brömsebro 1541) oder sich sogar ihrer gegenseitigen Freundschaft versicherten (Malmö 1524, Stockholm 1534, Brömsebro 1541). Am weitesten gingen sie dabei 1541 in dem auf 50 Jahre angelegten Bündnis von Brömsebro.8 Trotz dieser Verträge blieb das dänisch-schwedische Verhältnis von tiefem Misstrauen geprägt, vor allem beim schwedischen König Gustav Vasa, der beim Stockholmer Blutbad seinen Vater und weitere nahe Angehörige verloren hatte. Die verabredeten Schiedsverfahren wurden niemals in die Praxis umgesetzt, und die Beziehungen gerieten zeitweise sogar bis an den Rand eines Krieges.9 Im Laufe der 1550er Jahre verschlechterten sich die Beziehungen: Zum Symbol für diese Verschlechterung wurde die Wiederaufnahme des Drei-Kronen-Wappens im Wappenschild der dänischen Könige Christian III. und Frederik  II. Die Schweden leiteten aus dieser Wappenführung ein neuerliches dänisches Streben nach der Wiedererrichtung der Unionsmonarchie ab und beantworteten sie mit der Aufnahme des dänischen und norwegischen Wappens in das schwedische Königswappen. Die endgültige Weichenstellung zum Krieg, der wegen der Bedeutung des Drei-KronenWappens für seine Entstehung auch als Drei-Kronen-Krieg bezeichnet wird, erfolgte an der Wende zu den 1560er Jahren einerseits mit dem Livländischen Krieg, andererseits mit dem Thronwechsel in beiden Monarchien.10 Im Livländischen Krieg hatten Feldzüge des Moskauer Großfürsten Iwan IV. seit 1558 das Machtgefüge der Livländischen Konföderation aus dem Deutschen Orden und den geistlichen Fürstentümern Riga, Dorpat, Ösel und Kurland zum Einsturz gebracht, sodass die Städte und Ritterschaften Livlands bei den benachbarten Königen von Dänemark, Schweden und Polen um Schutz und Hilfe nachsuchten.11 Mit dem Herrschaftsantritt der Könige Frederik II. in Dänemark 1559 und Erik XIV. in Schweden 1560 kamen in beiden nordischen Monarchien junge und ehrgeizige Herrscher an die Regierung, die die von ihren Vätern Christian III. und Gustav Vasa erlebte Bedrohung ihrer Reiche durch gemeinsame 8 Bündnis von Brömsebro: Danmark-Norges Traktater 1523 – 1750 (DNT), Bd. I (1523 – 1560), hg. v. L. Laursen, København 1907, S. 348 – 384; vgl. Laursen ebd., S. 341 – 347; Jespersen (wie Anm. 6), S. 33; Landberg (wie Anm. 7), S. 15 – 17; Palme (wie Anm. 7), S. 30 – 33. 9 Vgl. Landberg (wie Anm. 7), S. 33. 10 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 293, 304; Olesen (wie Anm. 6), S. 61; Jensen (wie Anm. 1), S.  25 – 28. 11 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 293 f.; Jens E. Olesen, Die Hochstifte Ösel und Kurland unter dänischer Herrschaft, in: Die baltischen Länder im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, hg. v. Matthias Asche, Werner Buchholz, Anton Schindling, Teil 2 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 70), Münster 2010, S. 191 – 216, hier S. 192 f.; Robert Frost, The Northern Wars. War, State and Society in Northeastern Europe, 1558 – 1721, Harlow 2000, S. 24 f.

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äußere Gegner nicht mehr erfahren hatten. Daher nahmen sie die livländische Krise vor allem als Chance für die Erweiterung ihrer Einflusssphären wahr.12 Im Jahr 1559 erwarb der dänische König Frederik II. durch eine Geldzahlung an den letzten amtierenden Bischof das livländische Bistum Ösel-Wiek für seinen Bruder, Herzog Magnus von Schleswig-Holstein. Frederik knüpfte damit nicht nur an mittelalterliche dänische Ansprüche in Livland an; er wollte damit auch die Erbansprüche seines Bruders auf einen Anteil an den Herzogtümern Schleswig und Holstein abfinden, deren neuerliche Teilung verhindern und gleichzeitig Stützpunkte gegen seine baltischen Konkurrenten Schweden und Polen gewinnen.13 Herzog Magnus erlangte 1560 Anerkennung als Landesherr des Hochstifts Ösel-Wiek und machte sich gleich an die Erweiterung seines Machtbereichs auf dem livländischen Festland im Hochstift Kurland, im Bistum Reval sowie in den Landschaften Harrien und Wierland. Dabei wurde er einerseits von neuen russischen Angriffen, andererseits von schwedischen Versuchen bedrängt, ihn für eigene Interessen zu gewinnen, bis er 1561 zurück nach Dänemark floh, wo ihn König Frederik vorerst entmachtete.14 Die Stadt Reval (Tallinn) sowie die südlich und östlich angrenzenden Landschaften Harrien und Wierland stellten sich inzwischen unter den Schutz des schwedischen Königs Erik XIV. Um den Russlandhandel unter ihre Kontrolle zu bekommen und auf ihren neuerworbenen Hafen Reval zu lenken, begannen die Schweden mit der Blockade des russischen Hafens Narva und mit der Aufbringung von Handelsschiffen auf dem Weg dorthin. Damit brachten sie nicht nur Russland, sondern auch dessen Handelspartner gegen sich auf, vor allem Lübeck, Dänemark, die Niederlande und England.15 Anstatt das Brömsebro-Bündnis zu bestätigen, wie es im Vertrag von 1541 beim Amtsantritt neuer Könige vorgesehen war (Art. 17), konnten sich Dänemark und Schweden 1561 nur auf ein einjähriges Stillhalteabkommen verständigen, und als 1562 neue Verhandlungen über dessen Verlängerung scheiterten, traf König Frederik II. im April 1563 die Entscheidung zum Krieg gegen Schweden.16 Noch während Dänen und Lübecker ihre Klagen und Ansprüche gegen schwedische Übergriffe für ein Bündnis gegen Schweden untereinander abstimmten, kam es Ende Mai 1563 vor Bornholm zu einem Seegefecht ­zwischen einem dänischen und einem schwedischen Flottengeschwader, das die Schweden für sich entschieden, was die dänische Entschlossenheit zum Krieg nur noch steigerte.17 Dem dänisch-lübeckischen Kriegsbündnis vom 13. Juni 1563 schloss sich im Oktober noch das Königreich Polen an. Zusätzlich zur militärischen Hilfeleistung und Durchsetzung 12 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 299; Olesen (wie Anm. 6), S. 61. 13 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 294, 300; Olesen (wie Anm. 11), S. 193 – 195. 14 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 300; Olesen (wie Anm. 11), S. 195 – 197. 15 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 301 f., 306; Olesen (wie Anm. 11), S. 193; Olesen (wie Anm. 6), S. 61 f.; Jensen (wie Anm. 1), S. 58, 62. 16 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 304; Landberg (wie Anm. 7), S. 296 – 307. 17 Vgl. Laursen in DNT   II (wie Anm. 1), S. 55 – 62; Jensen (wie Anm. 1), S. 68 – 70; Hans Christian Bjerg, Ole L. Frantzen, Danmark i krig, København 2005, S. 49 f.

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der freien Schifffahrt auf der Ostsee sicherten sich die Bündnispartner zu, Maßnahmen zu ergreifen, um Schweden von allen Zufuhren an Soldaten, Waren und Lebensmitteln abzuschneiden. Anfang August übermittelten Dänemark und Lübeck ihre Kriegserklärung nach Schweden.18 Die dänisch-norwegische Doppelmonarchie und das Königreich Schweden verfügten über ganz unterschiedliche Voraussetzungen zur Kriegführung, und ebenso unterschiedlich wie diese waren die Strategien, die sie dabei verfolgten: Dänemark war ein wohlhabendes Land mit engen internationalen Verbindungen, weshalb der dänische König auf eine professionelle Armee aus angeworbenen Söldnern, auf großangelegte Operationen und einen ­kurzen Krieg zur Eroberung Schwedens setzen konnte. Ein langer Krieg mit hohen Soldzahlungen musste den dänischen König dagegen ruinieren. Schweden war vergleichsweise arm und isoliert; der schwedische König war daher auf sein Aufgebotsheer aus einheimischen Bauernsoldaten und adeliger Reiterei angewiesen. Er wollte zunächst die erwarteten Angriffe der Dänen überstehen und deren Zahlungsunfähigkeit abwarten, um dann seine eigene Offensive gegen die dänischen Landschaften östlich des Öresunds zu starten. Letztlich erwiesen sich jedoch beide Strategien als Fehleinschätzungen. Die dänische Kriegführung vermochte zwar 1563 nach kurzer Belagerung die Festung Älvsborg zu erobern – sie galt als Schwedens „Fenster“ zum Nordseeraum, gelegen an der Mündung der Göta Älv in den Kattegat ­zwischen der dänischen Landschaft Halland und der norwegischen Landschaft Bohuslän; aber bereits bei dieser Operation zeigten sich Schwierigkeiten, das dänische Heer ausreichend zu versorgen. Ein rascher Vorstoß ins schwedische Kerngebiet rund um Stockholm gelang nicht, und ein dänischer Feldzug nach Småland musste im folgenden Jahr 1564 nach einer Meuterei der unbezahlt gebliebenen Söldner sogar abgebrochen werden. In der resultierenden Krise verloren die Dänen zwar 1565 die Festung Varberg am Kattegat an ein schwedisches Belagerungsheer, aber sie konnten gleich anschließend die Schlacht von Axtorna gewinnen, die einzige größere Feldschlacht des Nordischen Siebenjährigen Krieges. Nachdem sich ihre Streitmacht stabilisiert hatte, führten die Dänen Ende 1567 einen Winterfeldzug nach Östergötland durch und eroberten 1569 Varberg zurück. Ein dänischer Sommerfeldzug kam 1570 aus Geldmangel nicht mehr zustande.19 Auf der Ostsee erwies sich die vereinigte dänisch-lübeckische Flotte als zu klein für eine komplette Blockade Schwedens. Selbst nach dem Verlust des mächtigen schwedischen Flaggschiffs „Mars“ (oder „Makalös“) vor Öland 1564 blieb die schwedische Flotte bei mehreren nachfolgenden Treffen ungeschlagen (Gotska Sandön 1563, Mecklenburger Bucht 1565, Öland 1566) oder sogar siegreich (Bornholm 1565). Nach dem Verlust der 18 Bündnis Dänemark und Lübeck 1563: DNT II (wie Anm. 1), S. 62 – 79; Bündnis Dänemark, Polen und Lübeck 1563: ebd., S. 96 – 108; vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 307; Jensen (wie Anm. 1), S. 70 – 73. 19 Vgl. Frost (wie Anm. 11), S. 30 – 34; Jensen (wie Anm. 1), S. 335 – 337.

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­halben dänischen Flotte bei einem Sturm vor Gotland im Juni 1566 trafen die beiden Flotten nicht mehr aufeinander.20 Die schwedische Kriegführung zu Lande beschränkte sich zunächst auf einzelne Überfälle und Überraschungsaktionen. Nach der gescheiterten Eroberung von Halmstad 1563 gelang es den Schweden im folgenden Jahr, Trondheim in Norwegen über Land anzugreifen, einzunehmen und für eine kurze Zeit zu halten. Der größte Erfolg für das schwedische Heer war jedoch die Eroberung von Varberg im Jahr 1565; er wurde allerdings durch die im Anschluss verlorene Schlacht von Axtorna geschmälert. Die schwedische Armee blieb einfach zu schwach, um sich gegen das dänische Söldnerheer zu behaupten, selbst nachdem d ­ ieses aus Kostengründen verkleinert worden war. Die militärische Erfolglosigkeit trug zum psychischen Zusammenbruch König Eriks XIV . sowie zu dessen Absetzung und Ablösung durch seinen Bruder, Herzog Johan von Finnland, bei, der sich verhandlungsbereit zeigte und 1568 den Frieden von Roskilde aushandeln ließ.21 Nach dessen Scheitern waren die Schweden 1570 nur noch zu einer Flottenoperation vor die Insel Bornholm in der Lage, die jedoch vorzeitig abgebrochen wurde. In Livland verlief die schwedische Kriegführung erfolgreicher: Die Schweden konnten nicht nur die dänischen Besitzungen auf dem estländischen Festland, sondern auch den größten Teil der Insel Ösel erobern.22 Insgesamt betrachtet war im Nordischen Siebenjährigen Krieg keine der beiden Kriegsparteien in der Lage, ihre strategischen Ziele durchzusetzen und eine militärische Entscheidung zu erzwingen. Damit lief der Krieg bald auf einen bloßen Zermürbungskrieg hinaus, bei dem sich beide Seiten nur noch so viel Schaden zufügten, wie sie konnten.23 Der Nordische Siebenjährige Krieg wurde jedoch nicht nur auf den Schlachtfeldern ausgefochten, sondern war von Beginn an auch von diplomatischen Initiativen zu seiner Beendigung begleitet. Sie gingen von verschiedenen Fürsten und Mächten aus, zunächst von protestantischen deutschen Fürsten wie Kurfürst August von Sachsen, einem Schwager des dänischen Königs, und Landgraf Philipp von Hessen, die einen Krieg z­ wischen zwei protestantischen Königreichen als schädlich für das evangelische Lager ansahen; aber auch altgläubige Fürsten, wie Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel oder ­Kaiser Maximilian II., und europäische Mächte, wie Frankreich oder Polen, setzten sich für ein Kriegsende ein.24 Das Königreich Polen hatte sich 1563 zwar dem antischwedischen Bündnis ­zwischen Dänemark und Lübeck angeschlossen, verfolgte aber in Livland und beim Russlandhandel ganz andere Interessen als seine Bündnispartner, hielt sich von deren militärischen 20 Vgl. Frost (wie Anm. 11), S. 35; Olesen (wie Anm. 6), S. 62; Bjerg, Frantzen (wie Anm. 17), S.  50 – 61, 68 f. 21 Vgl. Frost (wie Anm. 11), S. 30 – 34; Jensen (wie Anm. 1), S. 336 f. 22 Vgl. Jensen (wie Anm. 1), S. 324; Olesen (wie Anm. 11), S. 199. 23 Vgl. Frost (wie Anm. 11), S. 36; Olesen (wie Anm. 6), S. 62. 24 Vgl. Laursen in DNT II (wie Anm. 1), S. 166 – 168.

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Operationen fern und verlegte sich nach dem schwedischen Thronwechsel auf eine Vermittlerrolle, da der neue schwedische König Johan III. mit einer Schwester des polnischen Königs Sigismund II. August verheiratet war.25 Auch aus dem Herzogtum Pommern wurden seit 1564 Initiativen zur Friedensvermittlung angestoßen oder mitbefördert. Das Herzogtum verfolgte zwar eine strikte Politik der Neutralität, war aber kaum zu deren Durchsetzung in der Lage und litt mit seiner langen Küstenlinie und angesichts der Handelsinteressen seiner Hafenstädte stark unter den Seeblockaden der Kriegsparteien. Pommersche Schiffer und Händler verloren im Laufe des Krieges rund 50 Schiffe und deren Ladungen durch Kaperung oder Beschlagnahme vor allem durch dänische oder lübeckische Freibeuter, Amtleute oder Zöllner; unter diesen Schiffen waren mehr als 30 allein aus Stralsund. Die Pommern hatten also ganz handfeste Interessen, um sich für eine Beendigung des Krieges in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft einzusetzen. Dreh- und Angelpunkt ihrer Neutralitäts- und Friedenspolitik war der herzogliche Rat und zeitweilige Kanzler Jakob von Zitzewitz, der 1568 zum ersten Berater von Herzog Johann Friedrich aufstieg und diesen nach dem Erbvergleich von 1569 ins Herzogtum Pommern-Stettin begleitete. Bei seinen Vermittlungsreisen erwarb er sich das besondere Vertrauen des dänischen Königs Frederik II ., der ihn 1569 zusätzlich zum königlichen Rat ernannte. Eine ­solche Doppelstellung war in der Frühen Neuzeit nicht unüblich.26 Alle Friedensinitiativen scheiterten jedoch zunächst an der Unnachgiebigkeit vor allem des schwedischen Königs Erik XIV. Erst nach dessen Sturz leitete der neue schwedische Regent Herzog Johan Verhandlungen ein, die im November 1568 zu einem Friedensschluss führten. Die Friedensverträge von Roskilde nahmen die Bestimmungen des Friedens von Stettin in den meisten Punkten vorweg. Jedoch hatten die schwedischen Verhandler dabei ihr Mandat überschritten, sodass die Verträge bei den schwedischen Reichsständen durchfielen.27 Ein Gesandtentreffen auf der dänisch-schwedischen Grenze bei Knäred im Sommer 1569 scheiterte nach rund vier Wochen am Streit um die Kriegsschuldfrage und das Drei-Kronen-Wappen. Der Krieg wurde wiederaufgenommen.28 Nachdem um den Jahreswechsel 1569/70 ein auf französischen Vorschlag verabredetes Gesandtentreffen in Rostock am Ausbleiben der schwedischen Delegierten geplatzt war, übten König Sigismund II. August von Polen, Kurfürst August von Sachsen und K ­ aiser 25 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 312 f.; Frost (wie Anm. 11), S. 36; Jensen (wie Anm. 1), S.  248 – 251; Otto Blümcke, Pommern während des nordischen siebenjährigen Krieges, Teil I in: BaltSt, 40 (1890), S. 134 – 480; Teil II in: BaltSt, 41 (1891), S. 1 – 98, hier S. 13 f. 26 Vgl. Max von Stojentin, Jacob von Zitzewitz, ein pommerscher Staatsmann aus dem Reformations-Zeitalter, in: BaltSt, NF 1 (1897), S. 143 – 288, hier S. 215 – 220, 232 f., 235. Die pommerschen Verluste während des Krieges werden aufgezählt bei Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  87 – 94. 27 Vgl. Laursen in DNT II (wie Anm. 1), S. 170 – 173; Jensen (wie Anm. 1), S. 340; Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S. 5 – 7, 13. 28 Vgl. Laursen in DNT II (wie Anm. 1), S. 175 f.; Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S. 18 f.

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Maximilian II. über das Frühjahr 1570 so lange Druck auf die Kriegsparteien aus, bis diese ihre Angriffspläne zurückstellten und für den Sommer in Verhandlungen einwilligten. Sie sollten erst in Rostock oder Wismar stattfinden, wurden aber auf schwedischen und polnischen Wunsch schließlich nach Stettin verlegt.29 Die Wahl von Stettin als Veranstaltungsort stellte nicht nur die Stadt, sondern auch das ganze Herzogtum Pommern vor große Herausforderungen. Die Schwierigkeiten begannen schon mit der Bereitstellung von Unterkunft und Verpflegung für die angekündigten Delegationen und deren Pferde, was Herzog Johann Friedrich und seiner Residenzstadt schwerfiel; und sie wurden auch nicht gerade dadurch erleichtert, dass Herzog Ernst ­Ludwig von Pommern-Wolgast und der abgedankte Herzog Barnim IX . nur wenig Neigung zeigten, ihren Bruder bzw. Großneffen angemessen zu unterstützen.30 Eine besondere Auszeichnung bedeutete es, dass ­Kaiser Maximilian II . den knapp 28-jährigen Herzog Johann Friedrich zu seinem Prinzipalkommissar ernannte, also zum formellen Leiter der kaiserlichen Delegation, die zusammen mit einem französischen und mehreren polnischen und sächsischen Gesandten die Vermittlung ­zwischen den Kriegsparteien übernahm. Der politisch wenig erfahrene Herzog brauchte mehrere Tage Bedenkzeit, bevor er sich nach gutem Zureden seiner Räte und herzoglichen Verwandten zur Übernahme des Amts durchringen konnte. Auf Empfehlung entschied sich der Herzog dafür, die praktische Verhandlungsleitung an seine Räte zu delegieren, vor allem an Zitzewitz und Herzog Barnims Kanzler Lorenz Otto, während sich Johann Friedrich selbst zumeist außerhalb von Stettin aufhalten wollte.31 Die Person des Kanzlers Lorenz Otto lieferte noch Anlass für eine eigene Affäre, als sich herausstellte, dass er außer in Pommern noch beim polnischen König im Dienst stand, von dem er noch eigens entbunden werden musste.32 Umso bemerkenswerter erscheint es, wenn die vergleichbare Doppelstellung Jakobs von Zitzewitz als herzoglich-pommerscher und königlich-dänischer Rat nicht zu ähnlichen Problemen führte. Stattdessen konnte Zitzewitz sogar die Führung des Verhandlungsprotokolls übernehmen und als Protokollführer während der Verhandlungen im Sinne seiner dänischen Gönner wirken. Ein weiterer pommerscher Rat, Graf Ludwig von Eberstein, war von Kurfürst August von Sachsen zu einem von zwei sächsischen Kongressvertretern ernannt worden.33 Das Eintreffen der Delegationen in Stettin zog sich über zwei Monate hin. Den Anfang machten in den ersten Julitagen Dänen und Lübecker, die einen angeführt von den Reichsräten Peder Bille und Jørgen Rosenkrantz, die anderen von den Bürgermeistern Hieronymus 29 Vgl. Laursen in DNT II (wie Anm. 1), S. 214 f.; Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  20 – 22, 29 f.; Jensen (wie Anm. 1), S. 310 – 312. 30 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  36 – 39; Jensen (wie Anm. 1), S. 313. 31 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  30 – 33; Stojentin (wie Anm. 26), S. 236 f.; Jensen (wie Anm. 1), S. 313. 32 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S. 41 f.; Stojentin (wie Anm. 26), S. 238. 33 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S. 30; Jensen (wie Anm. 1), S. 313 f.; Stojentin (wie Anm. 26), S. 239 Anm.

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Lüneburg und Christian Tode zusammen mit Syndicus Calixt Schein; begleitet ­wurden die jeweiligen Verhandler von mehreren Sekretären. Die dänische Delegation brachte außerdem noch den königlichen Statthalter der Herzogtümer Schleswig und Holstein, Heinrich Rantzau, mit nach Stettin, der über weitreichende Kontakte zu vielen europä­ ischen Höfen verfügte und s­ päter den Kupferstich von der Unterzeichnungszeremonie in Auftrag gab. Bald darauf folgte der französische Gesandte Charles Dançay, der sich auch ohne eine offizielle Vollmacht seines Königs Gehör als Vermittler verschaffte, sowie als zweiter sächsischer Vertreter Erich Volkmar von Berlepsch. In der zweiten Julihälfte trafen zum einen die schwedische Delegation mit den Reichsräten Göran Gera und Bengt Gylta, Kanzler Nils Gyllenstierna und mehreren Sekretären, zum anderen der kaiserliche Rat Caspar von Minckwitz in Stettin ein. Der zweite kaiserliche Vermittler, Christoph von Carlowitz, der auch die kaiserliche Instruktion mitbrachte, ließ sich Zeit bis zum 28. August – einen Tag vor der polnischen Delegation unter dem geistlichen Diplomaten Martin Kromer, mit dem die Vermittler vollzählig waren.34 Am 2. September 1570 hielt Herzog Johann Friedrich seinen feierlichen Einzug in Stettin, und nach der Festlegung auf einen Geschäftsgang mit schriftlichem Verfahren begannen die Verhandlungen am 5. September mit der ersten Sitzung.35 Schon vor den offiziellen Verhandlungen stellte sich die Situation in Livland als das größte Problem heraus. In Stettin wurden Nachrichten vom Bündnis des Herzogs ­Magnus mit dem Moskauer Großfürsten, von den Aktivitäten russischer Freibeuter auf der Ostsee und von der Festnahme eines dänischen Sekretärs in Polen bekannt. Die polnische Delegation beklagte sich sowohl über eine unterstellte dänisch-russische Zusammenarbeit als auch über das schwedische Vorgehen in Livland und verlangte eine Klärung noch vor Verhandlungsbeginn, wurde damit aber von den übrigen Vermittlern abgewiesen. Dagegen konnten die Dänen bei der Verhandlungsleitung einen ersten Erfolg verbuchen, indem der von Schweden abgelehnte Frieden von Roskilde zur Verhandlungsbasis gemacht wurde.36 Gleich zu Kongressbeginn erhob sich ein Streit um die Verhandlungsvollmacht der schwedischen Delegation, in der Lübeck nicht als Verhandlungspartner erwähnt war. Man konnte sich darauf einigen, eine neue Vollmacht in Schweden einzuholen und bis dahin mit den Verhandlungen fortzufahren.37 Zu einem ernsteren Problem entwickelten sich die Vorwürfe, die die polnische Delegation bei Herzog Johann Friedrich und den kaiserlichen Gesandten gegen Dänemark vorbrachte und die sich auf das russische Bündnis mit Herzog Magnus und auf die dänische Unterstützung für russische Freibeuter bezogen. Auf einem nach Treptow (Trzebiatów) an der Rega eingelaufenen Freibeuterschiff aufgefundene Bestallungsbriefe, Pässe und Empfehlungsschreiben schienen 34 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 313; Jensen (wie Anm. 1), S. 311 f., 314; Blümcke (wie Anm. 25), Teil  II, S. 29. 35 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  43 – 45; Jensen (wie Anm. 1), S. 317. 36 Vgl. Jensen (wie Anm. 1), S. 314 – 317. 37 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  46 – 48; Jensen (wie Anm. 1), S. 317.

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zudem Beweise für eine militärische Zusammenarbeit ­zwischen Dänemark und dem Moskauer Großfürsten zu liefern. Dänen und Lübecker mussten den Verdacht in aller Form zurückweisen, und die sächsische Delegation gab sich alle Mühe, um die Verdächtigungen zu zerstreuen.38 Am 13. Oktober 1570 legten die Vermittler einen ersten Kompromissvorschlag vor, der alle Forderungen nach Geldbußen für die Kriegsschuld fallenließ, Dänemark und Schweden gleichermaßen die Verwendung des Drei-Kronen-Wappens zugestand und die Rückgabe von Älvsborg gegen eine Geldzahlung vorsah. Die Antworten der Parteien blieben vorerst ohne größere Zugeständnisse, da die dänischen und schwedischen Verhandler noch an ihre ursprünglichen Instruktionen gebunden waren.39 Der zweite Vermittlungsvorschlag vom 1. November war inhaltlich fast unverändert, wurde jedoch mit der Ankündigung mündlicher Verhandlungen verbunden. Erst als wenige Tage s­päter die neue schwedische Instruktion eintraf und eine Wende in der Livland-Politik vollzog, kam im Lauf des Novembers Bewegung in die nunmehr mündlich geführten Verhandlungen. Außerdem zahlte sich nun der Informationsvorsprung aus, den die dänische Delegation durch ihren vertraulichen Umgang mit den sächsischen Vermittlern und durch ihre Bestechungszahlungen an die übrigen gewonnen hatte. Auch die schwedische Delegation zahlte Bestechungsgelder, aber nach Berechnungen des dänischen Historikers Frede P. Jensen wohl weniger als die Dänen.40 Nach schwedischen Zugeständnissen in der Livland-Frage, von denen die dänische Seite im Voraus erfahren hatte, und nach langem Feilschen um die Geldsumme für die Rückgabe von Älvsborg erreichten Dänen und Schweden am 5. Dezember 1570 eine Einigung. Am 12. Dezember einigten sich die Schweden mit den Lübeckern, sodass die Delegationen tags darauf im Stettiner Rathaus zur feierlichen Unterzeichnung der Verträge zusammenkommen konnten. Dabei legte die polnische Delegation formellen Protest gegen die Regelungen der Livland-Frage ein und beharrte auf der Erledigung ihrer Beschwerden gegen ihre Bündnispartner von 1563, Dänemark und Lübeck. Erst nachdem Herzog Johann Friedrich bis zum 15. Dezember ein Abkommen darüber vermittelt hatte, konnten die Kongressteilnehmer am 18. Dezember die jeweils zwei Friedens- und Ausführungsverträge besiegeln und danach auseinandergehen.41 Der dänisch-schwedische Friedensvertrag verzichtete zunächst auf Geldbußen für die Kriegsschuld (Art. 3), errichtete ein Schiedsgericht zur Entscheidung der DreiKronen-Frage (Art. 4), bestätigte die Grenzen beider Reiche und schloss gegenseitige Herrschafts- und Gebietsansprüche aus (Art. 5 – 6). Die von den Dänen eroberte Festung Älvsborg fiel gegen eine Geldzahlung und andere Leistungen zurück an Schweden (Art. 10 – 12). Die von den Schweden eroberten dänischen Gebiete in Livland sollten 38 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  53 – 58; Jensen (wie Anm. 1), S. 317 f. 39 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  66 – 72; Jensen (wie Anm. 1), S. 318 f. 40 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S. 73 f.; Jensen (wie Anm. 1), S. 320, 326 – 329. 41 Vgl. Blümcke (wie Anm. 25), Teil II, S.  84 – 85; Jensen (wie Anm. 1), S. 329 f.

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über eine ­Abtretung an den K ­ aiser wieder an Dänemark gelangen (Art. 17). Beide Seiten sicherten sich gegenseitig zollfreie Schifffahrt durch den Öresund und nach Narva zu (Art. 20) und richteten ein mehrstufiges Schlichtungs- und Schiedsverfahren für künftige Streitigkeiten ein (Art. 24).42 Für die Abtretung und Rückübertragung der livländischen Gebiete schlossen Dänen und Schweden jeweils eigene Ausführungsverträge mit den kaiserlichen Kommissaren, die eine eigene Abtretungszeremonie 1571 in Rostock sowie eine Kostenerstattung an Schweden vorsahen.43 Der schwedisch-lübeckische Friedensvertrag schließlich legte die Streitigkeiten um die Lübecker Handelsprivilegien in Schweden sowie um die schwedischen Schulden in Lübeck bei, indem die Schweden die Bestätigung der Privilegien zusagten und ihre Schulden mit einer Pauschalsumme abgalten. Auch hier vereinbarten beide Seiten ein Schiedsverfahren für künftige Streitfälle.44 Im Zusatzabkommen ­zwischen Dänemark, Polen und Lübeck ging es um den Austausch von Gefangenen, um freien Handel und Ersatz für beschlagnahmte Schiffe.45 In den folgenden Jahren wurden die einzelnen Bestimmungen des Stettiner Vertragswerks ganz unterschiedlich in die Praxis umgesetzt: Die Schiedsentscheidung über den strittigen Anspruch auf das Drei-Kronen-Wappen, für die der dänisch-schwedische Friedensvertrag sogar schon Anhörungstermine für die Jahre 1572 bis 1575 festgelegt hatte, wurde mehrfach vertagt und wiederaufgenommen, bis sich beide Seiten im Frieden von Knäred 1613 darauf einigten, auf die weitere Verfolgung des Streits ganz zu verzichten (Art. 3).46 Die Festung Älvsborg an der schwedischen Westküste wurde im März 1571 an Schweden zurückgegeben, doch von der dafür fälligen Geldsumme war noch 1575 eine Restschuld offen. Die Schweden mussten mehrfach um Aufschub dafür bitten und leisteten die Zahlung schließlich 1578 in Geld und Rohkupfer.47 42 Friedensvertrag von Stettin 1570 (Dänemark – Schweden): DNT II (wie Anm. 1), S. 233 – 260. 43 Ausführungsvertrag über Livland 1570 (HRR – Dänemark): DNT II (wie Anm. 1), S. 274 – 281; Ausführungsvertrag über Livland 1570 (HRR – Schweden): Sverges traktater med främmande magter jemte andra dit hörande handlingar (ST), hg. v. O. S. Rydberg, Bd. IV (1521 – 1571), Stockholm 1888, S. 432 – 441. 44 Friedensvertrag von Stettin 1570 (Schweden – Lübeck): ST IV (wie Anm. 43), S. 411 – 424. 45 Abkommen ­zwischen Dänemark, Polen und Lübeck 1570: DNT II (wie Anm. 1), S. 285 – 291. 46 Friedensvertrag von Knäred 1613: Danmark-Norges Traktater 1523 – 1750 (DNT ), Bd. III (1589 – 1625), hg. v. L. Laursen, København 1916, S. 303 – 311; vgl. Bengt Büttner, Schiedsspruch oder Krieg – die Entwicklung der dänisch-schwedischen Schiedsgerichtsbarkeit von ihren Anfängen bis ins 17. Jahrhundert, in: Publikationsportal Europäische Friedensverträge, hg. v. Institut für Europäische Geschichte, Mainz 2009, Abschnitt 1 – 34, hier Abs. 26, URL: http:// www.ieg-friedensvertraege.de/likecms.php?site=index.html&nav=35&siteid=63&p_id=22&last​ siteid=&searchquery=%26onlytype%3D%26searchstring%3D%26detailsite%3D63 %26p_ epoch%3D%26p_author%3D18 %26p_topic%3D%26p_countries%3D%26p_genre%3D%26p_ language%3D2 %26fire_ajax%3D1, letzter Zugriff am 31. 05. 2021. 47 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 325 f.; Laursen in DNT II (wie Anm. 1), S. 348 – 351, 498 f.

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In Livland kam die vereinbarte Rückgabe der von den Schweden eroberten Gebiete nicht zustande, da die Schweden auf der Erstattung ihrer Kosten für den Schutz dieser Gebiete gegen russische Angriffe bestanden. Stattdessen übernahm König Frederik 1572/73 erneut den Anteil seines Bruders Magnus an der Insel Ösel; und nachdem die Dänen den schwedischen Befehlshaber auf der Festung Sonnenburg 1575 besiegt hatten, war die gesamte Insel Ösel dänisch und blieb es bis 1645.48 Der Livländische Krieg ging nach 1570 mit Kämpfen z­ wischen Schweden, Russland und Polen weiter. Russlandhandel und Narvafahrt blieben umstritten und wurden von den Schweden weiter behindert und blockiert. Im schwedischen Thronstreit, der 1599 nach dem Ende einer kurzlebigen schwedisch-polnischen Personalunion unter König Sigismund III. Vasa (reg. in Polen 1587 – 1632, in Schweden 1592 – 1599) entbrannte, weiteten die Schweden ihre Behinderungen und Blockaden dann auch auf den Zugang nach Riga und andere polnische Häfen aus, was den dänischen Interessen an Ostseehandel und Zollerhebung im Öresund zuwiderlief.49 Weitere Streitigkeiten ­zwischen Dänemark und Schweden erstreckten sich auf neue gegenseitige Zollforderungen und schwedische Expansionsbestrebungen in Lappland mit dem Ziel, schwedisches Hoheitsrecht über den skandinavischen Höhenzug hinweg bis an die Nordmeerküste auszudehnen, was mit den traditionellen dänisch-norwegischen Herrschaftsrechten kollidierte. Die schwedischen Aktivitäten gingen auf die merkantilistische Handelspolitik zurück, die der neue schwedische König Karl IX. mit der Absicht verfolgte, den schwedischen Handel um den dänisch beherrschten Öresund herumzulenken und auf die 1603 gegründete Stadt Göteborg unweit von Älvsborg zu konzentrieren.50 Alle diese Th ­ emen wurden auf den Grenztreffen verhandelt, zu denen delegierte Reichsräte beider Seiten unregelmäßig an oder auf der dänisch-schwedischen Grenze zusammentrafen, um die Streitpunkte ­zwischen ihren Reichen nach Möglichkeit zu vergleichen oder zu vertagen (Avaskär 1572, Sjöaryd 1575, 1580, Flabäck 1591, 1601, Sjöaryd 1602, Flabäck 1603). Die Institution dieser Grenztreffen stand in der Tradition der Unionszeit und des Brömsebro-Bündnisses von 1541, wurde durch den Stettiner Frieden 1570 aber noch ausgebaut, indem der Friedensvertrag das Schiedsverfahren eines Reichsräte-Gremiums um eine Obmann-Instanz ergänzte (Art. 24).51 Obwohl nach 1570 mehrfach gefordert, 48 Vgl. Olesen (wie Anm. 11), S. 199 f.; Laursen in DNT II (wie Anm. 1), S. 262 – 272. 49 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 326; Gunner Lind, 1588 – 1648, in: Albrectsen, Frandsen, Lind (wie Anm. 1), S. 340 – 469, hier S. 370, 378; Olesen (wie Anm. 6), S. 63 f. 50 Vgl. Lind (wie Anm. 49), S. 370, 378; Olesen (wie Anm. 6), S. 64; Palme (wie Anm. 7), S. 44 f., 535 f., 552 – 557; Leo Tandrup, Mod triumf eller tragedie. En politisk-diplomatisk studie over forløbet af den dansk-svenske magtkamp fra Kalmarkrigen til Kejserkrigen (Skrifter udgivet af Jysk Selskab for Historie 35), Bd. I–II, Aarhus 1979, hier Bd. I, S. 66 – 70, 82 – 85. 51 Vgl. Frandsen (wie Anm. 1), S. 325 f.; Lind (wie Anm. 49), S. 364, 370 f., 379 f.; Jespersen (wie Anm. 6), S. 144 f., Büttner (wie Anm. 46), Abs. 24 – 29; Bengt Büttner, „an beider reiche grentzen oder sonst einem gelegenen ort“ – die dänisch-schwedischen Grenztreffen im 16. und 17. Jahrhundert, in: Grenzen des Friedens. Europäische Friedensräume und -orte der

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wurde ein solches Schiedsverfahren jedoch nur einmal formal in Gang gesetzt: Im Jahr 1603 kam ein Schiedsgericht aus je sechs dänischen und schwedischen Reichsräten zu einem gespaltenen Votum über den vereinbarten Fragenkatalog. Das dadurch notwendige Obmann-Verfahren wurde in den folgenden Jahren aber von beiden Seiten sabotiert und verlief im Sande.52 Die Grenztreffen formalisierten den dänisch-schwedischen Konflikt jedoch nicht nur und verzögerten seinen neuerlichen offenen Ausbruch, sondern sie schufen auch einen verfassungsrechtlichen Konflikt: Grundsätzlich war die Außenpolitik auch in den skandinavischen Monarchien eine königliche Prärogative, nur in der dänisch-schwedischen Beziehung hatten die jeweiligen Reichsräte in Friedenszeiten ein Mitspracherecht, das über ihre sonstige Mitwirkung an der Regierung hinausging und die nachbarschaftliche Beziehung zu einem Faktor der Innenpolitik jedes einzelnen Königreichs machte.53 Wenn sich ein König von ­diesem Mitspracherecht seiner Reichsräte freimachen wollte, musste er also bloß einen Krieg mit dem Nachbarn heraufbeschwören – und das war ganz im Sinne eines Königs, der auch sonst im Konflikt mit seinem Reichsrat regierte, nämlich König Christians IV. von Dänemark. Er setzte deshalb alles daran, die Grenztreffen zu hintertreiben, und forderte ab 1603 die Zustimmung seines Reichsrats zu einem neuen Krieg gegen Schweden.54 Der Kalmarkrieg von 1611 bis 1613 nahm einen ähnlichen Verlauf wie der Nordische Siebenjährige Krieg: Wieder konnten die Dänen strategisch wichtige Festungen wie Kalmar oder erneut Älvsborg erobern; wieder aber konnten sie die Schweden nicht vollständig besiegen. In dem unter englischer Vermittlung erzielten Frieden von Knäred mussten die Schweden auf ihren Vorstoß ans Nordmeer verzichten und erhielten ihre Festungen gegen eine Geldzahlung zurück, sonst blieb alles beim Alten, und der Stettiner Frieden wurde bestätigt.55 Die Institution der Grenztreffen fand noch zweimal statt (Sjöaryd 1619, 1624) und schlief nach dem Königstreffen von Ulfsbäck 1629 ein.56 In den zwei Jahrzehnten nach 1613 verlagerte sich der Schauplatz der dänisch-schwedischen Rivalität nach Deutschland: Beide skandinavischen Mächte traten nacheinander in den Dreißigjährigen Krieg ein, hatten damit aber sehr unterschiedlichen Erfolg. Dänemark musste den gescheiterten Feldzug Christians IV . in Norddeutschland mit der Vormoderne (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beihefte online 4), hg. v. Martin Peters, Mainz 2010, Abschnitt 84 – 110, hier Abs. 87, mit Aufzählung Abs. 109, URL: http://www.ieg-mainz.de/Beihefte-online------_site.site..ls_dir._nav.72_supple​ ment.8_article.36_likecms.html, letzter Zugriff am 31. 05. 2021. 52 Vgl. Büttner (wie Anm. 46), Abs. 30 f.; Palme (wie Anm. 7), S. 459 – 464, 486 – 494, 527 – 533. 53 Vgl. Olesen (wie Anm. 6), S. 63; Jespersen (wie Anm. 6), S. 145 – 148. 54 Vgl. Lind (wie Anm. 49), S. 379 – 383; Palme (wie Anm. 7), S. 469 – 476, 480 – 486, 537 – 542, 589 – 592, 616 – 519. 55 Vgl. Lind (wie Anm. 49), S. 383 – 385; Olesen (wie Anm. 6), S. 64 f.; Jespersen (wie Anm. 6), S. 148; Tandrup (wie Anm. 50), Bd. I, S. 138, 192 – 194, 219 – 223. 56 Vgl. Büttner, Grenztreffen (wie Anm. 51), Abs. 109; Büttner (wie Anm. 46), Abs. 32.

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Besetzung Jütlands durch kaiserliche Truppen bezahlen und schied 1629 mit dem Frieden von Lübeck aus dem Krieg aus.57 Noch kurz zuvor war es zur einzigen militärischen Zusammenarbeit z­ wischen Dänemark und Schweden seit der Grafenfehde (1534 – 1536) gekommen, als beide Mächte 1628 bei der Verteidigung Stralsunds gegen Wallenstein zusammenwirkten.58 Anders als Dänemark stieg Schweden durch den Siegeslauf seiner Armeen nach 1630 zur Führungsmacht des evangelischen Lagers und zu einer europäischen Großmacht auf, die weite Teile Deutschlands kontrollierte.59 Dänemark hatte dem nichts entgegenzusetzen und beschränkte sich auf eine Vermittlerrolle – nicht nur zur Beendigung des Krieges, sondern immer auch mit der Absicht, schwedische Landgewinne in Deutschland an der dänischen Südflanke zu verhindern. Die Schweden reagierten 1643 mit dem Torstensson-Krieg, bei dem sie Dänemark nicht nur von Osten, sondern auch von Süden angreifen konnten.60 Im Frieden von Brömsebro, ausgehandelt unter französischer und niederländischer Vermittlung, erlitt Dänemark-Norwegen 1645 erstmals territoriale Verluste: Die Inseln Gotland und Ösel sowie die norwegischen Landschaften Jämtland und Härjedalen fielen an Schweden, die dänische Landschaft Halland wurde für 30 Jahre an Schweden verpfändet.61 Erst der dänische Versuch, d ­ ieses Ergebnis zu revidieren, löste dann in den 1650er Jahren die verheerenden Kriegszüge des schwedischen Königs Karl X. ­Gustav nach Dänemark aus, die in den Friedensschlüssen von Roskilde 1658 und Kopenhagen 1660 zur Abtretung der dänischen Landschaften östlich des Öresunds an Schweden führten und diejenigen Grenzen schufen, wie sie seither z­ wischen Dänemark und Schweden bestehen.62 Eine ­solche Eskalation der dänisch-schwedischen Rivalität war beim Friedensschluss von 1570 sicher noch nicht angelegt, zumal dem Stettiner Frieden zunächst eine 40-jährige Periode ohne Krieg z­ wischen Dänemark und Schweden nachfolgte. Die notorische Rivalität blieb jedoch bestehen, und da sich die Beilegungsmechanismen des Friedensvertrags als ungeeignet für deren Entschärfung erwiesen, haben Dänemark und Schweden in den nicht ganz zwei Jahrhunderten vom Ende der Union 1523/24 bis zum Jahr 1720 57 Vgl. Olesen (wie Anm. 6), S. 65 – 68; Jespersen (wie Anm. 6), S. 150 f.; Tandrup (wie Anm. 50), Bd. I, S. 85 f., 501 – 504, Bd. II, S. 517 f. 58 Vgl. Jens E. Olesen, Dänische und schwedische Zusammenarbeit gegen Wallenstein und den ­Kaiser 1626 – 1629, in: Terra felix Mecklenburg – Wallenstein in Nordeuropa. Fiktion und Machtkalkül des Herzogs zu Mecklenburg. Internationale Tagung 7. – 9. Nov. 2008 auf Schloss Güstrow, hg. v. Staatlichen Museum Schwerin u. a. (Publikationen des Lehrstuhls für Nordische Geschichte, 11), Greifswald 2010, S. 41 – 57. 59 Vgl. Olesen (wie Anm. 6), S. 69 f.; Lind (wie Anm. 49), S. 449 – 452. 60 Vgl. Olesen (wie Anm. 6), S. 70; Lind (wie Anm. 49), S. 457 – 461. 61 Vgl. Olesen (wie Anm. 6), S. 70; Lind (wie Anm. 49), S. 461 – 463. 62 Vgl. Olesen (wie Anm. 6), S. 71 f.; Knud J. V. Jespersen, 1648 – 1720, in: ders., Ole ­Feldbæk, Revanche og neutralitet 1648 – 1814 (Dansk udenrigspolitiks historie 2), København 2006, S.  10 – 199, hier S.  60 – 77.

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s­ chließlich 29 Jahre lang Krieg gegeneinander geführt.63 Da ihr Dauerkonflikt gleichzeitig vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Internationalisierung des Ostseeraums stattfand, hat am Ende keiner der beiden Kontrahenten seine Hegemonie über die Region durchsetzen können. Stattdessen waren es auswärtige Mächte, wie die Seemächte Niederlande und England, oder neue Ostseeanrainer, wie Russland und Brandenburg-Preußen, die letztendlich vom innerskandinavischen Machtkampf profitierten.64 Der Einstieg in diese Internationalisierung des Konflikts aber erfolgte 1570 mit dem internationalen Friedenskongress in Stettin.

63 Nach einer Berechnung für den Zeitraum 1563 – 1720 bei Jespersen (wie Anm. 6), S. 143. 64 Vgl. Olesen (wie Anm. 6), S. 79; Jespersen (wie Anm. 6), S. 164, 168 – 171; Tandrup (wie Anm. 50), Bd. I, S. 86 f.

„Und dass dieser Friedens-Ort des Krieges Erinnerung sei“ Die Friedensschlüsse am Ende des Großen Nordischen Krieges 1719 – 1721 Joachim Krüger 1. Einführung Im Jahr 1719 wurde bei dem Gut Østrup am Esromsee nordwestlich von Kopenhagen mit dem Bau eines Lustschlosses begonnen, das 1724 fertiggestellt wurde. Bauherr war der dänisch-norwegische König Friedrich IV. (1671 – 1730, Regierungszeit 1699 – 1730). Zwei Jahre vorher, anlässlich eines vorgezogenen Einweihungsfestes am Geburtstag des Königs am 11. Oktober 1722, wurde der Name des Lusthauses bekanntgegeben: „Fredensborg“ (= Friedensburg).1 Eine Inschrift über der Toreinfahrt gibt Aufschluss über die ­Bedeutung des Namens: Da Kriig og Orlogs-Tiid ved Gud en Ende fik, Blev Fredensborg opbygt i fred af Friderich, Og at det Freds Paulun skal Krigens Minde være, Saa fik det Navn af Fred og Friderich at bære.2 Da Kriegs- und Seekriegszeit mit Gott ein Ende fanden, Wurde Friedensburg erbaut im Frieden von Friedrich, Und dass dieser Friedens-Ort des Krieges Erinnerung sei, trägt er den Namen des Friedens und Friedrichs.3

Bei dem Krieg, auf den die Inschrift abzielt, handelt es sich um den wichtigsten militärischen Konflikt, in den Dänemark-Norwegen während der Regierungszeit Friedrichs IV. verwickelt war, den Großen Nordischen Krieg, der von 1700 bis 1721 dauerte.4 Auch an 1 Sebastian Olden-Jørgensen, Ind i enevælden, in: Magt og pragt. Enevælde 1660 – 1848, hg. v. Thomas Lyngby, Søren Mentz, Sebastian Olden-Jørgensen, København 2010, S. 13 – 95, hier S.  86 – 87. 2 Ulla Kjær, Kongens nordsjællandske lyststatt, in: Fredensborg Slot og Slotshave, hg. v. Ulla Kjær, Bente Scavenius, Christine Waage Rasmussen, (København) 2013, S. 8 – 207, hier S. 50. 3 Übersetzung durch den Verfasser. Der Begriff „paulun“ kann mit „Behausung, (Wohn)sitz, Schlupfwinkel, Aufenthaltsort“ usw. übersetzt werden. 4 Aus dänisch-norwegischer Sicht handelt es sich um zwei Konflikte: den sogenannten „Kurzen Krieg“ vom März bis August 1700 und den eigentlichen Großen Nordischen Krieg 1709 – 1720;

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­ iesem Erinnerungsort gilt: Der Krieg definiert den Frieden.5 Der hier beschworene Friede d nimmt Bezug auf einen konkreten Krieg und wird als Endpunkt einer gut zwanzig Jahre andauernden Ereigniskette wahrgenommen. Der Große Nordische Krieg zählt zu den längsten frühneuzeitlichen Konflikten im Ostseeraum. Darüber hinaus trägt er europäische Züge. Gleichzeitig stellt sein Ende eine Zäsur dar: Die skandinavischen Staaten wurden zu Mittelmächten degradiert, die schwedische Großmachtstellung im Ostseeraum war definitiv Geschichte. Und auch die Außenpolitik Dänemark-Norwegens verlor ihre frühere Dynamik und Aggressivität. Das Russland Peters I. stieg zur europäischen Macht auf. Auch Hannover und vor allem Preußen profitierten vom Krieg. Polen-Litauen hingegen war auf dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit.6

2. Ein Überblick über den Großen Nordischen Krieg Die Ursachen des Krieges müssen hier nicht näher erläutert werden. Zum Teil reichen sie bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurück.7 1699 hatte sich eine Koalition aus Dänemark-Norwegen, Russland und Sachsen-Polen gebildet, die einen Angriff auf Schweden und das mit Schweden verbündete Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf plante. Der Krieg brach im Februar 1700 mit einem sächsischen Überfall auf Riga aus. Nur wenig ­später, im März 1700, rückten die Truppen des dänisch-norwegischen Königs Friedrich  IV. in das Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf ein. Im August 1700 folgte die russische Kriegserklärung. Der Krieg verlief zunächst alles andere als erwartet. Schweden agierte unter seinem jungen König Karl XII., teils mit Unterstützung Englands, der siehe Joachim Krüger, Der letzte Versuch einer Hegemonialpolitik am Öresund. Dänemark-Norwegen und der Große Nordische Krieg (1700 – 1721) (Nordische Geschichte 13), Berlin 2019, S. 21. 5 Joachim Krüger, Krieg und Frieden in der Perspektive des Museums, in: Warum Frieden­ schließen so schwer ist. Frühneuzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses (Schriftenreihe zur Neueren Geschichte 39), hg. v. Dorothée Goetze, Lena Oetzel, Münster 2019, S. 377 – 394, hier S. 390. 6 Stefan Hartmann, Die Beziehungen Preußens zu Dänemark von 1688 bis 1789 (Neue Forschungen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte 3), Köln, Wien 1983, S. 320 – 322; Erich Hassinger, Brandenburg-Preußen, Rußland und Schweden (Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts München 2), München 1953, S. 5. 7 Vgl. z. B. Robert Frost, The Northern Wars. War, State and Society in Northeastern Europe, 1558 – 1721, Harlow 2000, S. 226 – 228; Joachim Krüger, Der Große Nordische Krieg – Eine Zeit des Umbruchs, in: Von Degen, Segeln und Kanonen – Der Untergang der Prinzessin Hedvig Sofia, hg. v. Kirsten Baumann, Ralf Bleile, Dresden 2015, S. 76 – 99; Jens E. Olesen, The struggle for dominium maris baltici between Denmark-Norway and Sweden (1563 – 1720/21), in: “Princess Hedvig Sofia” and the Great Northern War, hg. v. Ralf Bleile, Joachim Krüger, Dresden 2015, S. 16 – 29; Olle Larsson, Stormaktens sista krig. Sverige och Stora Nordiska Kriget 1700 – 1721, Lund 2009.

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Niederlande und verschiedener deutscher Fürstentümer, überaus erfolgreich.8 Bereits am 18. August 1700 wurde Dänemark-Norwegen zum Frieden von Traventhal gezwungen und schied damit bis 1709 aus dem Krieg aus. Die Feldzüge verlagerten sich in den polnischen und baltischen Raum. 1706 wurde Kursachsen von Schweden besetzt.9 Im Vertrag von Altranstädt wurde August II. gezwungen, die polnische Krone niederzulegen.10 Von Sachsen aus marschierte die schwedische Armee 1707 durch Polen in Richtung Russland. Infolge von Versorgungsschwierigkeiten, in ­welche die schwedische Armee geriet, entschied sich der schwedische König, neue Versorgungsbasen in der Ukraine zu erschließen. Am 8. Juli 1709 kam es bei der Stadt Poltawa zu einer Entscheidungsschlacht, die der russische Zar für sich entschied. Die Reste der schwedischen Armee kapitulierten wenige Tage s­päter am Dnjepr.11 Karl XII. entkam mit einem kleinen Gefolge ins Osmanische Reich, wo er sich bis 1714 aufhielt. Dort gelang es ihm insgesamt dreimal, das Osmanische Reich zum Kriegseintritt gegen Russland zu bewegen.12 Damit wurde eine neue Phase des Großen Nordischen Krieges eingeläutet. August II. und Friedrich IV. erneuerten ihre Koalition mit Peter I. Damit verlagerte sich das Geschehen in den Ostseeraum zurück, der Krieg nahm deutlich maritime Züge an. Die Kriegserklärung des dänisch-norwegischen Königs an Schweden wurde am 28. Oktober 1709 überstellt.13 Friedrich IV . ging damit ein großes Risiko ein, immerhin war das Land weder personell noch wirtschaftlich auf einen Krieg vorbereitet. Entsprechend endete das Unternehmen in einem Fiasko. Noch im Herbst 1709 erfolgte eine dänische Seelandung in Schonen, dann allerdings erlitt das dänische Heer bei Helsingborg am 10. März 1710 eine vernichtende Niederlage. Ein erneuter Plan einer Seelandung, diesmal mit russischer

8 Joachim Krüger, Karl XII. – Der „heroische“ Militärmonarch Schwedens, in: Die Inszenierung der heroischen Monarchie. Frühneuzeitliches Königtum ­zwischen ritterlichem Erbe und militärischer Herausforderung (Historische Zeitschrift, Beiheft 62), hg. v. Martin Wrede, München 2014, S. 358 – 381, hier S. 367 – 368. 9 Alexander Querengässer, Das kursächsische Militär im Großen Nordischen Krieg 1700 – 1717 (Krieg in der Geschichte 107), Paderborn 2019, S. 276 – 330. 10 Frank Metasch, Der Ausbruch des Großen Nordischen Krieges und der Altranstädter Frieden von 1706, in: 300 Jahre Altranstädter Konvention – 300 Jahre Schlesische Toleranz / 300 lat ugody Altransztadzkiej – 300 lat śląskiej tolerancij. Begleitpublikation zur Ausstellung des Schlesischen Museums Görlitz, hg. v. Frank Metasch, Dresden 2007, S. 21 – 25. 11 Umfassend zu Poltava und der Kapitulation der schwedischen Armee Peter Englund, Poltava. Berättelsen om en armés undergång, Stockholm 1988, S. 293 – 314; Rolf Torstendahl, Poltava: Slaget, historien och symbolen, in: Poltava. Krigsfångar och kulturutbyte, hg. v. Lena Jonson, Tamara Torstendahl Salytjeva, Stockholm 2009, S. 21 – 39; Frost (wie Anm. 7), S.  289 – 294. 12 Athanassios I. Gouridis, Per Sandin, Karl XII i Demotika och Timurtasch, in: Karl XII och svenskarna i Osmanska riket, hg. v. Åsa Karlsson, Klas Kronberg, Per Sandin, Stockholm 2015, S. 122 – 141; Eric Tengberg, Från Poltava till Bender. En studie i Karl XII:s turkiska politik 1709 – 1713, Lund 1953, S. 260 – 271. 13 Krüger (wie Anm. 4), S. 187 – 205.

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Unterstützung, scheiterte aufgrund der Seeschlacht in der Köge-Bucht, die vom 4. bis 6. Oktober 1710 dauerte.14 Trotz dieser Fehlschläge entschieden sich Friedrich IV. und August II., den Krieg mit Schweden im Bündnis mit Peter I. fortzusetzen. Allerdings wurde das Hauptaugenmerk auf die schwedischen Provinzen im norddeutschen Raum gelegt. Der von den ­Seemächten, Hannover, Preußen und dem ­Kaiser unternommene Versuch einer Neutralisierung der schwedischen Provinzen scheiterte an der starren Haltung Karls XII ., der vor allem Schwedisch-P­ommern als notwendigen Brückenkopf betrachtete.15 Als Ziele für den für 1711 geplanten Feldzug wurden Schwedisch-Pommern und Wismar bestimmt, wobei das Hauptaugenmerk auf den Festungsstädten Wismar und Stettin lag. Stralsund sollte nur blockiert werden. Der erste Pommernfeldzug scheiterte aufgrund von Unstimmigkeiten in der militärischen Führung, denn Friedrich IV. ließ sich von August II. umstimmen, Stralsund zu belagern. Darauf waren die verbündeten Armeen nicht vorbereitet. Aufgrund der naturräumlich günstigen Lage Stralsunds mit der vorgelagerten Insel Rügen konnte die Stadt nicht vollständig eingeschlossen werden. Am 7. Januar 1712 erfolgte die Aufhebung der ersten Belagerung.16 Nach den Fehlschlägen der Jahre 1709 – 1711 plante der dänisch-norwegische König die Besetzung der Herzogtümer Bremen und Verden, die militärisch als wesentlich schwächer eingeschätzt wurden. Der dänische Feldzug verlief alles in allem recht erfolgreich, am 7. September 1712 kapitulierte die Festung Stade.17 Allerdings konnte Friedrich IV. nur das Herzogtum Bremen erobern, denn parallel dazu ließ Kurfürst Georg Ludwig von Hannover das Herzogtum Verden besetzen. Große Probleme bereiteten die schwedischen Kaperfahrer, die vorwiegend von Göteborg, aber auch von Stralsund aus operierten. Stralsund wurde als Gefahr im Rücken der im Herzogtum Bremen operierenden dänischen Armee empfunden, weshalb der dänisch-norwegische König große Hoffnungen auf die Blockade Stralsunds durch sächsische und russische Truppen setzte.18 Die Alliierten einigten sich darauf, dass während des dänischen Feldzuges ins Herzogtum Bremen die Festungsstädte Stralsund und Stettin von sächsischen und russischen Truppen mit Unterstützung durch die dänische Flotte belagert werden sollten.19 14 15 16 17

Hans Christian Bjerg, Ole L. Frantzen, Danmark i krig, København 2005, S. 200 – 206. Krüger (wie Anm. 4), S. 210 – 217. Querengässer (wie Anm. 9), S. 454; Krüger (wie Anm. 4), S. 245 – 250. Jens E. Olesen, Die dänischen Militäroperationen 1710 – 1712 bis zur Schlacht von Gadebusch, in: 300 Jahre Schlacht bei Gadebusch. Internationale Tagung vom 12. bis 14. Oktober 2012 in Gadebusch (Publikationen des Lehrstuhls für Nordische Geschichte 18) hg. v. Reno Stutz, Greifswald 2014, S. 127 – 151; Stefan Kroll, Stadtgesellschaft und Krieg. Sozialstruktur, Bevölkerung und Wirtschaft in Stralsund und Stade, 1700 – 1715 (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 18), Göttingen 1997, S. 311 – 312. 18 Lars Ericson Wolke, The Swedish Navy and Pomerania, 1700 – 1721. A Strategic Asset or Burden, in: Skyllis. Zeitschrift für Unterwasserarchäologie, 12/1 (2012), S. 47 – 56. 19 Krüger (wie Anm. 4), S. 271 – 292.

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Eine gewisse Entlastung für die schwedischen Provinzen sollte eine schwedische Armee bringen, die im September 1712 auf der Insel Rügen angelandet wurde. Sie stand unter dem Kommando des Generals und späteren Feldmarschalls Magnus Stenbock, des Siegers von Helsingborg. Allerdings gelang es der dänischen Flotte, eine schwedische Versorgungsflotte vor Rügen zu vernichten, weshalb Stenbock nicht wie geplant in Richtung Südosten vorstoßen konnte. Stattdessen entschied er sich, nach Westen in Richtung des Herzogtums Schleswig-Holstein-Gottorf zu marschieren.20 Trotz eines Sieges über eine dänische Armee in der Schlacht bei Gadebusch im Dezember 1712 musste die schwedische Armee im Mai 1713 in der Festung Tönning kapitulieren.21 Trotz d ­ ieses Erfolges konnte Stralsund nicht eingenommen werden. Peter I. warf den Hauptteil seiner in Pommern operierenden Armee auf Stettin; die Stadt kapitulierte am 29. September 1713.22 Stralsund wurde deshalb nicht mit der nötigen Energie belagert. Nach dem Durchbruch eines schwedischen Versorgungskonvois und dem Abschluss eines sächsisch-russisch-schwedischen Waffenstillstands wurde die zweite Belagerung Stralsunds aufgehoben.23 Die Eroberung Stettins mündete in den Vertrag von Schwedt, mit dem das bis dahin neutrale Preußen mit russischer Zustimmung das Gebiet Schwedisch-Pommerns bis an die Peene inklusive der Inseln Usedom und Wollin in Sequester nahm.24 Allerdings profitierte Russland von den Ereignissen im südwestlichen Ostseeraum. Nach dem Sieg über Stenbock und trotz der Belagerung Stettins entschied der Zar, im Mai 1713 Finnland anzugreifen, das bis 1714 fast vollständig besetzt werden konnte.25 Schon vorher, bis 1710, waren die baltischen Provinzen Schwedens besetzt worden.26 Damit war die einstige schwedische Vormachtstellung in der nördlichen und östlichen Ostsee vollständig zusammengebrochen, die schwedische Hauptstadt Stockholm lag im Aktionsbereich der russischen Galeerenflotte.27 20 Thomas Eisentraut, Joachim Krüger, Die Seeschlacht vor Wittow nach einem unbeachteten Augenzeugenbericht, in: BaltSt, NF 100 (2014), S. 129 – 154; Jørgen H. Barfod, Niels Juels flåde. Den danske flådes historie 1660 – 1720 (Marinehistoriske skrifter 27), København 1997, S.  180 – 181. 21 Krüger (wie Anm. 4), S. 334 – 336. 22 Hartmann (wie Anm. 6), S. 59 – 61. 23 Krüger (wie Anm. 4), S. 252 – 254; Querengässer (wie Anm. 9), S. 478 – 480. 24 Ein Druck in: Preußens Staatsverträge aus der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. (Publikationen aus dem K. Preußischen Staatsarchiven 87), hg. v. Viktor Loewe, Leipzig 1913, S.  28 – 35. 25 Krüger (wie Anm. 4), S. 354 – 358. 26 Ralph Tuchtenhagen, Die Kapitulationen von 1710 im Kontext der schwedischen Reichspolitik Ende des 17. Jahrhunderts, in: Die baltischen Kapitulationen von 1710. Kontext – Wirkungen – Interpretationen (Quellen und Studien zur Baltischen Geschichte 23), hg. v. Karsten Brüggemann, Mati Laur, Pärtel Piirimäe, Köln, Weimar, Wien 2014, S. 43 – 64. 27 Lars Ericson Wolke, Linjeskepp, galärer och brigantiner. Kriget till sjöss 1700 – 1721, in: Stor seger – litet nederlag? Perspektiv på sjöslaget vid Rilax 1714 (Meddelanden från Sjöhistoriska

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Aufgrund des russischen Engagements in Finnland und der personellen und materiellen Erschöpfung der übrigen Kriegsteilnehmer schlief der Krieg an der südlichen Ostseeküste 1714 zunächst ein. Aber 1715 wendete sich das Blatt. Im Besitz Schwedens waren hier nur noch die Festungen Stralsund mit Rügen und Wismar. Nun erklärten auch Preußen und Hannover Schweden den Krieg. Stralsund wurde zum dritten Mal belagert, diesmal durch dänische, sächsische und preußische Truppen. Die dänische Flotte wurde trotz britischer Neutralität durch ein englisches Geschwader unterstützt.28 In einer gemeinsamen Aktion wurde eine preußisch-dänisch-sächsische Armee auf Rügen angelandet. Damit war das Schicksal Stralsunds besiegelt. Die Stadt kapitulierte Weihnachten 1715 und wurde mitsamt Vorpommern nördlich der Peene vom dänisch-norwegischen König in Besitz genommen. Wismar kapitulierte nach einer Belagerung durch hannoversche, dänische und preußische Truppen im April 1716.29 Der Krieg war damit noch nicht beendet. Auch nachdem Schweden alle Provinzen verloren hatte, war Karl XII. nur bedingt zu Friedensverhandlungen bereit. 1716 griff er Norwegen an. Aufgrund fehlender Versorgung und Belagerungsartillerie scheiterte das Unternehmen. 1718 folgte ein zweiter Feldzug, in dessen Verlauf Karl XII. am 30. November/11. Dezember 1718 bei der Belagerung der norwegischen Grenzfestung Fredriksten unter ungeklärten Umständen von einer Kugel tödlich getroffen wurde. Damit begann ein Thronstreit, der zu einem Systemwechsel in Schweden führen sollte.30

3. Frühere Friedensverträge Auch der Große Nordische Krieg zerfällt in mehrere Teilkonflikte, die durch Friedensschlüsse entweder nur auf dem Papier oder auch tatsächlich beendet wurden. Diese sollen hier kurz charakterisiert werden. Der erste Friedensvertrag wurde unter hauptsächlicher Vermittlung Hannovers und unter dem militärischen Druck der Niederlande und Englands nach nur wenigen Monaten Krieg am 18. August 1700 in Traventhal (Holstein) z­ wischen dem Königreich Dänemark-Norwegen und dem Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf geschlossen.31 Auf der Grundlage des Altonaer Vergleichs von 1689 wurde das Herzogtum institutet vid Åbo Akademi 34), hg. v. Nils Erik Villstrand, Kasper Westerlund, Åbo 2015, S. 15 – 36, hier S. 24 – 26. 28 Krüger (wie Anm. 4), S. 391 – 392. 29 Ebd., S. 401 – 404. Kurz vor der Kapitulation stellte die russische Armee noch ein Bataillon für die Belagerung Wismars bereit, das allerdings erst kurz vor den Kapitulationsverhandlungen vor Wismar Stellung bezog. 30 Joachim Krüger, Uta Kuhl, Die Erbfolgefrage Herzog Karl Friedrichs von Schleswig-Holstein-Gottorf, in: Von Degen, Segeln und Kanonen (wie Anm. 7), S. 124 – 135, hier S. 130 – 133. 31 Ein Druck in: Danmark-Norges Traktater 1523 – 1750 med dertil hørende aktstykker, hg. v. Laurs Rasmus Laursen, 11 Bde., København 1907 – 1949, hier Bd. XI, S. 378 – 392; eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1700 %20VIII%2018 %20 Friedensvertrag%20von%20Traventhal/t-116-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015.

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restituiert und die Souveränität des Gottorfer Herzogs für seine Schleswiger Landesteile bestätigt. Garanten des Vertrags waren u. a. England und die Niederlande, Hannover und Braunschweig-Lüneburg-Celle sowie das Königreich Schweden. Dänemark-Norwegen schied bis 1709 aus dem Krieg aus.32 Am 18./28. November 1705 wurde ­zwischen Schweden und der polnischen Republik der Frieden von Warschau unterzeichnet.33 Auf der Grundlage des Friedens von Oliva (1660) wurde die Zugehörigkeit Livlands zu Schweden bestätigt. Offiziell schied Polen aus dem Krieg aus. Allerdings wurde der Vertrag vom formell abgesetzten König August II. und der ihn unterstützenden Konföderation von Sandomier nicht anerkannt, sodass der Kriegszustand in Teilen Polens andauerte.34 Die fortgesetzte Weigerung Augusts II., seine Absetzung anzuerkennen, führte schließlich zum Frieden von Altranstädt, der am 14./24. September 1706 geschlossen wurde.35 Nach dem überragenden Sieg des schwedischen Generals Carl Gustav Rehnskiölds über die letzte sächsische Feldarmee bei Fraustadt (17. Februar 1706) wurde ganz Kursachsen von schwedischen Truppen besetzt. August II. blieb keine andere Wahl, nun auch offiziell die polnische Krone niederzulegen.36 Die darauf folgende Zeit bis zum Wiedereintritt Sachsens 1709 in den Krieg wurde vor allem zu einer Heeresreform genutzt.37 Der Vollständigkeit halber sei noch auf die ein Jahr ­später ­zwischen ­Kaiser Joseph I. und Karl XII . abgeschlossene Konvention von Altranstädt verwiesen, die in Liebertwolkwitz bei Leipzig unterzeichnet wurde und die für den Ostseeraum von nachhaltiger Wirkung gewesen ist.38 Da sich Joseph I. verpflichten musste, die Rechte der Lutheraner in Schlesien anzuerkennen und Karl XII . gewissermaßen die Schutzherrschaft über diese übernahm, wird der schwedische König gerne in die Nähe Gustav II . Adolfs gerückt.39 32 Krüger (wie Anm. 4), S. 90 – 98. 33 Eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1705 %20 XI%2018_28 %20Friedensvertrag%20von%20Warschau/t-791 – 1-de.html?h=1, die Separatartikel unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1705 %20XI%2018_28 %20 Separatartikel%20zum%20Friedensvertrag%20von%20Warschau/t-71-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015. 34 Krüger (wie Anm. 4), S. 121. 35 Eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1706 %20 IX %2014_24 %20Friedensvertrag%20von%20Altranst%C3 %A4dt%20 %28Dresden​%29/t-​ 117 – 1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015. Abgedruckt in Hellmuth Kretzschmar, Der Friedensschluß von Altranstädt, in: Um die polnische Krone. Sachsen und Polen während des Nordischen Krieges 1700 – 1721, hg. v. Johannes Kalisch, Józef ­Gierowski (Schriftenreihe der Kommission der Historiker der DDR und Volkspolens 1), Berlin 1962, S. 161 – 183; Metasch (wie Anm. 10), S. 21 – 25. 36 Krüger (wie Anm. 4), S. 123. 37 Querengässer (wie Anm. 9), S. 331 – 340. 38 Abgedruckt in Ernst Carlson, Der Vertrag z­ wischen Karl XII. von Schweden und K ­ aiser Joseph I. zu Altranstädt 1707, Stockholm 1907, S. 34 – 71. 39 So z. B. Haik Thomas Porada, Detlef Schnell, Ein Erinnerungsort für den schwedischen Sieg bei Fraustadt 1706. Carl Gustav Rehnskiölds Schloss Griebenow, in: Jahrbuch für ­Schlesische

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Dabei wird meist übersehen, dass der Anlass der Verhandlungen von Altranstädt im Ostseeraum zu suchen ist: die noch ausstehende kaiserliche Konfirmation der Ansprüche der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf auf die Wahl des Koadjutors im Fürstbistum Lübeck sowie das 1608 eingeführte Primogeniturrecht im Herzogtum.40 Beides war vom dänisch-norwegischen König wiederholt angefochten worden. Die strittige Frage der Wahl des Koadjutors im Bistum führte 1705 zur Besetzung Eutins durch dänische Truppen. König Friedrich IV . ging trotz der versuchten Mediatisierung durch England auf Konfrontationskurs zu Schleswig-Holstein-Gottorf. Die Region befand sich am Rande eines neuen Krieges. Der schwedische Sieg von Fraustadt und die Besetzung Kur­ sachsens führten dann zu einem Umdenken in Kopenhagen. Unter dem Eindruck der schwedischen Erfolge wurde Eutin geräumt. Die 1707 erfolgte kaiserliche Konfirmation der getroffenen Regelungen wurde anerkannt und trug mit zum friedlichen Fortbestand des Fürstbistums bis 1803 bei.41 Mit in die Betrachtungen über die Friedensschlüsse im Rahmen des Großen Nordischen Krieges muss auch der russisch-türkische Kriegsschauplatz mit einbezogen werden. Trotz der geographisch weiten Entfernung wurden dort Entscheidungen getroffen, die das Geschehen im Ostseeraum nachhaltig beeinflussten. Nach der Flucht Karls XII . in das Osmanische Reich gelang es dem schwedischen König ­zwischen 1710 und 1713 insgesamt drei Mal, das Osmanische Reich zu einer Kriegserklärung an Russland zu bewegen. Vor allem der Pruthfeldzug führte die Herrschaft des Zaren beinahe in den Untergang. Die Armee Peters I. wurde im Juli 1711 bei Husi am Pruth von einer überlegenen osmanischen Armee eingekesselt. Peter musste sich auf Gnade und Ungnade ergeben.42 Durch großes Verhandlungsgeschick und großzügige Geschenke gelang es ihm jedoch, am 23. Juli 1711 einen für ihn äußerst vorteilhaften Frieden abzuschließen, der ihm und seiner Armee freien Abzug gewährte.43 Noch zwei weitere Kriegserklärungen von Seiten des Osmanischen Reichs folgten, die allerdings kaum zu Kampfhandlungen führten und mit den Kirchengeschichte, 87/2008 (2010), S. 33 – 58, hier S. 51. 40 Joachim Krüger, Karl XII . und Lützen, in: Deutschland – Schweden – Finnland. Kriege, Politik und Kultur durch die Jahrhunderte. Beiträge eines wissenschaftlichen Kolloquiums der schwedischen Lützen-Stiftung Göteborg in Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Museum Lützen vom 3. – 6. November 2012, hg. v. Inger Schuberth, Maik Reichel, Lützen, Göteborg 2018, S. 19 – 31, hier S. 24 – 25; Jörg Philipp Lengeler, Das Ringen um die Ruhe des Nordens. Großbritanniens Nordeuropa-Politik und Dänemark zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Kieler Historische Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 18), Frankfurt am Main 1998, S. 82 – 97; Stig Backman, Från Rawicz till Fraustadt. Studier i Det Stora Nordiska Krigets Diplomati 1704 – 1706, Lund 1940, S.  404 – 419. 41 Krüger (wie Anm. 4), S. 143 – 150. 42 Ebd., S.  246 – 247. 43 Eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1711 %20 VII %2022 %20/%201123 %20 AH %20Friedensvertrag,%20geschlossen%20am%20 Pruth%20 %28Beta%20Version%29/t-1262-1-de.html?h=1, abgerufen am 18. 11. 2015.

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Friedensschlüssen von Konstantinopel (5. April 1712) und Adrianopel (16./27. Juni 1713) endeten.44 Russland war allerdings für einen längeren Zeitraum gezwungen, Regimenter in Bereitschaft zu halten, die im Ostseeraum fehlten.

4. Die politische Lage in der zweiten Kriegshälfte Schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigte sich der zunehmende Einfluss verschiedener europäischer Mächte im Ostseeraum, die militärische Konflikte auf dem diplomatischen Weg beendeten und Friedensverträge vermittelten oder diktierten. Als Beispiele genannt s­ eien nur die Verträge von Roskilde (1658) und Kopenhagen (1660), vermittelt durch England und die Niederlande, sowie jene von Saint-Germain-en-Laye und Fontainebleau (1679), die Diktate Ludwigs XIV. waren.45 Auch am Beginn des Großen Nordischen Krieges waren England und die Niederlande bestrebt, die Ruhe im Ostseeraum zu bewahren.46 Der 1701 ausbrechende Spanische Erbfolgekrieg hinderte allerdings Frankreich und die Seemächte, im Ostseeraum aktiv einzugreifen. Erst nach den Friedensschlüssen von Utrecht (1713), Rastatt und Baden (beide 1714) war ein Engagement möglich.47 Aufgrund der sich ändernden Konstellationen im Ostseeraum – Russland ging Bündnisse mit Preußen und Mecklenburg-Schwerin ein – und der fortgesetzten Weigerung des schwedischen Königs Karls XII., Friedensverträgen zuzustimmen, dauerte es allerdings noch bis 1719, bis erfolgreiche Gespräche geführt werden konnten. Erst der Tod Karls XII. machte den Weg frei.48 Die alles überragende Macht auf dem diplomatischen Parkett war Großbritannien. Die britischen Interessen lagen vor allem auf der Aufrechterhaltung des einträglichen und strategisch bedeutsamen Ostseehandels. Ein Eckpfeiler dieser Politik war die Wiederherstellung des Kräftegleichgewichts an den Ostseezugängen, vor allem am Öresund. Aus britischer Sicht musste eine Rückeroberung der früheren ostdänischen Gebiete (Schonen, Halland, Blekinge) unbedingt verhindert werden. Außerdem sah der britische König Georg I. die zunehmende Präsenz Russlands im Ostseeraum als Bedrohung an. Aus ­diesem Grund 44 Tengberg (wie Anm. 12), S. 271. 45 Zu den Friedensschlüssen von Roskilde und Kopenhagen siehe Ann-Catherine Lichtblau, Joachim Krüger, Die Niederlande und die „Ruhe im Norden“ unter besonderer Berücksichtigung des Friedens von Roskilde, in: Wissenstransfer und Kulturimport in der Frühen Neuzeit. Die Niederlande und Schleswig-Holstein, hg. v. Kirsten Baumann, Constanze Köster, Uta Kuhl, Petersberg 2020, S. 37 – 46; zum Frieden von St.-Germain und Fontainebleau siehe Göran Rystad, Vägen till fred, in: Kampen om Skåne, hg. v. Finn Askaard, Arne Stade, København 1983, S. 399 – 420, hier S. 415 – 416. 46 Lichtblau, Krüger (wie Anm. 45), S. 37; Lengeler (wie Anm. 40), S. 11 – 12. 47 Matthias Schnettger, Der spanische Erbfolgekrieg 1701 – 1713/14, München 2014, S. 110 – 111. 48 Dorothée Goetze, Die Friedensschlüsse der Nordischen Kriege 1570 – 1814, in: Handbuch Frieden im Europa der Frühen Neuzeit. Handbook of Peace in Early Modern Europe, hg. v. Irene Dingel, Michael Rohrschneider, Inken Schmidt-Voges, Siegrid Westphal, ­Joachim Whaley, Berlin, Boston 2021, S. 985 – 999, hier S. 995.

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sollte Preußen aus dem Bündnis mit Russland gelöst werden. Schweden durfte nicht zu stark geschwächt werden, sollte es doch ein Gegengewicht zu Dänemark-Norwegen bilden und als möglicher Verbündeter in zukünftigen Konflikten mit Russland erhalten bleiben. Auf der anderen Seite war ein gutes Verhältnis zu Dänemark-Norwegen wichtig, das die Ostseezugänge kontrollierte.49 Als Kurfürst von Hannover verfolgte Georg I. auch eigene Interessen im norddeutschen Raum. Nachdem bereits 1712 das Herzogtum Verden in Sequester genommen worden war, konnte 1715 Friedrich IV . von Dänemark-Norwegen zu einer Abtretung Bremens bewegt werden, während im Gegenzug Hannover Schweden den Krieg erklärte. Neben einer großen Geldzahlung wurden britische Garantien für den dauerhaften Erwerb Schleswigs und der Besitz Schwedisch-Pommerns nördlich der Peene mit der Insel Rügen in Aussicht gestellt. Georg I. strebte nun einen Verzicht Schwedens auf Bremen und Verden an, weshalb nach dem Tode Karls XII . eine Unterstützung Schwedens gegen Russland geboten war.50 Das Verhältnis z­ wischen Peter I. und Georg I. verschlechterte sich ab 1716 massiv. Ein Grund dafür war das Bündnis z­ wischen Herzog Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin und dem russischen Zaren, das durch die 1716 geschlossene Ehe mit Katharina Ivanova, einer Nichte Peters I., besiegelt wurde. Der Bündnisvertrag gestattete es Peter I., Truppen in Mecklenburg-Schwerin zu stationieren, was im Winter 1716 – 1717 auch erfolgte. Rund 40.000 Mann gingen in Mecklenburg-Schwerin in die Winterquartiere. Der mecklenburgische Herzog nutzte die russischen Regimenter als Druckmittel in seiner Auseinandersetzung mit der mecklenburgischen Ritterschaft. Der mecklenburgische Adel war allerdings auf das Engste mit dem hannoverschen Adel verschwägert. Der Verhandlungsführer der mecklenburgischen Stände war kein Geringerer als Andreas Gottlieb von Bernstorff (1649 – 1726), der gleichzeitig der einflussreichste Minister in Kurhannover war. Bernstorff war auch der wichtigste Berater Georgs I. in Großbritannien.51 Das Verhältnis Georgs I. zu Friedrich Wilhelm I. von Preußen war ebenfalls nicht spannungsfrei. Der z­ wischen dem preußischen König und dem russischen Fürsten Alexander Danilowitsch Menschikow geschlossene Vertrag von Schwedt vom 6. Oktober 1713 gestattete es Preußen, Schwedisch-Pommern südlich der Peene mit der Hauptstadt Stettin und den Inseln Usedom und Wollin in Sequester zu nehmen. In einem Separatartikel verpflichtete sich Russland, Preußen beim Erwerb des südlichen Schwedisch-Pommerns nach einem 49 Krüger (wie Anm. 4), S. 444 – 448; Jan Kanstrup, Svigagtig angivelse. Øresundtolden i 1700tallet, in: Tolden i Sundet. Toldopkrævning, politik og skibfart i Øresund 1429 – 1857, hg. v. Ole Degn, København 2010, S. 371 – 454. 50 Lutz Erich Krüger, Der Erwerb Bremen-Verdens durch Hannover. Ein Beitrag zur Geschichte des großen Nordischen Krieges in den Jahren 1709 – 1719 (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes Stade 2), Hamburg 1974, S. 94 – 95. 51 Ragnhild Hatton, Georg I. Ein deutscher Kurfürst auf Englands Thron, Frankfurt am Main 1982, S. 207 – 208; Eckardt Opitz, Die Bernstorffs. Eine europäische Familie (Kleine Schleswig-­ Holstein-Bücher 51), Heide 2001, S. 13 – 25.

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endgültigen Friedensschluss zu unterstützen.52 Die preußische Sequestration ermöglichte es Peter I., seine Kräfte zu bündeln und in einer konzertierten Aktion Finnland zu erobern.53 Die von Russland unterstützte preußische Erwerbspolitik an der südlichen Ostseeküste wurde vom britischen König als mögliche Gefahr für Hannovers Interessen empfunden. Die konkurrierende Macht zu Großbritannien war Russland. Zunächst strebte Peter I. den dauerhaften Erwerb des Gebiets an der Neva-Mündung an, wo er 1703/1704 St. Petersburg hatte gründen lassen. Die Stadt wurde 1712 zur russischen Hauptstadt erhoben.54 Mit den baltischen Kapitulationen von 1710 verschoben sich die Zielsetzungen des Zaren. Aufgrund des immer stärker zutage tretenden Zerwürfnisses mit Georg I. war der Zar bestrebt, einen separaten Frieden mit Schweden herbeizuführen, ohne Rücksicht auf seine Verbündeten. Unterstützung erhielt Peter I. durch den Gottorfer Minister Baron Georg Heinrich von Schlitz, genannt von Görtz, der als persönlicher Berater Karls XII. fungierte. Görtz entwarf 1717 Eckpunkte für einen Ausgleich z­ wischen Schweden und Russland, der die Eroberungen des Zaren mit Ingermanland und Karelien im Kern berücksichtigte. Dafür sollte Schweden an anderer Stelle entschädigt werden: mit Norwegen. August II. sollte sich, da er nichts erobert hatte, mit einem Frieden begnügen. Zusätzlich sollte er den Titel des polnischen Gegenkönigs Stanisław Leszczynski anerkennen und ihm ein standesgemäßes Leben in Schweden ermöglichen. Preußen sollte Schwedisch-Pommern südlich der Peene mit Stettin erhalten, für eine Garantieerklärung für die Restitution des Herzogtums Schleswig-Holstein-Gottorf. Georg I. sollte Gebiete Bremens und Verdens erhalten und sich für eine Rückgabe der übrigen schwedischen Provinzen im Reich (Vorpommern nördlich der Peene sowie Wismar mit den Ämtern Poel und Neukloster) einsetzen. Der große Verlierer wäre Friedrich IV. von Dänemark-Norwegen gewesen.55 Zunächst hatte Peter I. Bedenken, einem solchen Plan zuzustimmen. Im Dezember 1717 bot er dem dänisch-norwegischen König ein neues Offensivbündnis gegen Schweden an, das durch eine Ehe des dänisch-norwegischen Kronprinzen mit der älteren Tochter des Zaren, Großfürstin Anna Petrovna, besiegelt werden sollte. Die russische Offerte wurde von Kopenhagen aus zwei Gründen zurückgewiesen. Zum einem befürchtete Friedrich IV. einen Bruch mit Großbritannien. Der zweite Grund war persönlicher Natur und verstimmte die Zarenfamilie zutiefst: Die ­Mutter Anna Petrovnas, Martha Skawronskaja (die spätere Katharina I.), war von niederer Herkunft. Anna wurde 1708 als uneheliches Kind des Zaren geboren und erst durch die 1711 geschlossene Ehe der Eltern zur Großfürstin erhoben. Für die standesbewussten Dänen war eine Ehe mit einer Person von solch zweifelhafter Herkunft nahezu ausgeschlossen.56 52 Hartmann (wie Anm. 6), S. 60 – 61. 53 Krüger (wie Anm. 4), S. 354 – 358. 54 Tilman Plath, Lost victory? The Great Northern War in the memorial culture of Russia, in: “Princess Hedvig Sofia” and the Great Northern War (wie Anm. 7), S. 350 – 357. 55 Krüger (wie Anm. 4), S. 433 – 434. 56 Gerd Steinwascher, Die Oldenburger. Die Geschichte einer europäischen Dynastie, Stuttgart 2011, S. 186 – 188; Hans Bagger, Dansk-russiske forbindelser i 1700-tallet, in: Danmark

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Der gekränkte Zar ließ daraufhin die Friedensverhandlungen mit Schweden intensivieren. Die Konferenz begann im Mai 1718 auf Lövö, einer der Åland-Inseln.57 Anfang August lag ein fertiger Friedensvertrag vor, der mit einigen Modifikationen auf den 1717 geäußerten Vorschlägen des Barons von Görtz beruhte. In einem Punkt waren die Vorschläge noch weitreichender: Russland versprach Schweden Unterstützung beim Erwerb Norwegens.58 An den Höfen in London, Hannover und Berlin ging man im Sommer 1718 davon aus, dass der Frieden ­zwischen Russland und Schweden unmittelbar bevorstehen würde. Kopenhagen war isoliert, der dänisch-norwegische König hatte sich durch sein ständiges Lavieren ­zwischen Großbritannien und Russland außenpolitisch in eine Sackgasse manövriert. Ironischerweise war es Karl XII., der Dänemark-Norwegen rettete. Der schwedische König ließ im August 1718 die Verhandlungen auf den Åland-Inseln platzen. Die von Peter I. ausgesprochenen Garantien genügten ihm nicht, außerdem forderte er plötzlich doch die Rückgabe Livlands und Estlands. Für Schweden sollte der Abbruch der Friedensverhandlungen dramatische Konsequenzen haben. Der nun doppelt brüskierte Zar ließ Operationen gegen die schwedische Ostküste vorbereiten, die in Form von Terrorangriffen im Sommer 1719 mit voller Wucht über die schwedische Zivilbevölkerung hereinbrachen. Zahlreiche schwedische Küstenorte wurden niedergebrannt.59 Der Tod Karls  XII. am 30. November/11. Dezember 1718 brachte eine neue Dynamik in die festgefahrenen Verhandlungen. In Schweden brach ein offener Streit um die Nachfolge aus. Die sogenannte Gottorfer Partei, deren vornehmster Wortführer Baron von Görtz war, vertrat die Ansprüche Herzog Karl Friedrichs von Schleswig-Holstein-Gottorf, des Neffen und nächsten männlichen Verwandten Karls XII. Trotz der gescheiterten Verhandlungen auf den Åland-Inseln stand Görtz für eine Russland-freundliche Politik. Die hessische Partei wurde durch die jüngere Schwester Karls XII., Ulrika Eleonora, und deren Mann, Friedrich von Hessen, repräsentiert. Sie standen für eine Anlehnung an Großbritannien. Die rasche Ausschaltung des Wortführers der Gottorfer Partei – Baron von Görtz wurde im Auftrag Friedrichs von Hessen verhaftet und kurz vor der Wahl hingerichtet – und der angekündigte Verzicht Ulrika Eleonoras auf eine souveräne Regierungsweise ebneten der hessischen Partei den Weg. Ulrika Eleonora erklärte sich bereit, die Krone durch die Wahl og Rusland i 500 år, hg. v. Svend Aage Christensen, Henning Gottlieb, København 21994, S. 62 – 84, hier S. 65. 57 Stig Drejer, Åland under Stora Nordiska Kriget. En studie rörande förhållandena på Åland 1700 – 1721 (Skrifter utgivna av Ålands Kulturstiftelse 5), Mariehamn 1970, S. 103 – 109; Helmut Burmeister, Friedrich von Hessen in Schweden, in: Friedrich, König von Schweden, Landgraf von Hessen-Kassel. Studien zu Leben und Wirken eines umstrittenen Fürsten (1676 – 1751), hg. v. Helmut Burmeister, Hofgeismar 2003, S. 73 – 152, hier S. 88 – 90. 58 K. J. Hartman, Ålandska kongressen och dess förhistoria 3: Fredstraktaternas tillkomst (Juni – August 1718), in: Acta Academiae Aboensis, 4/3 (1925), S. 1 – 173, hier S. 95 – 98. 59 Christer Kuvaja, Karolinska krigare 1660 – 1721 (Krigen kring Östersjön 4), Helsingfors 2008, S.  251 – 255; Göran Eriksson, Slaget vid Rilax 1714, Vasa 22014, S. 23; Lars Ericson Wolke, Sjöslag och rysshärjningar. Kampen om Östersjön under stora nordiska kriget 1700 – 1721, Stockholm 2011, S. 249 – 260.

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der Stände anzunehmen. Am 3. Februar 1719 wurde die jüngere Schwester Karls XII. zur Königin gewählt, anschließend unterzeichnete sie die neue Regierungsform, mit welcher der Reichstag als die gesetzgebende Institution anerkannt wurde.60 Für die schwedische Außenpolitik war nun ein Regierungsrat unter dem gemeinsamen Vorsitz Arvid Horns und Ulrika Eleonoras zuständig. Ein wichtiges Motiv der neuen Königin war die Sicherung der Thronfolge gegen die auch weiterhin erhobenen Ansprüche Herzog Karl Friedrichs.61 Eine Unterstützung war nur von Großbritannien aus zu erwarten. Denn weder in Kopenhagen noch in Berlin hatte man genaue Kenntnis von den inneren schwedischen Verhältnissen. Der dänisch-norwegische König Friedrich IV. wies seine Residenten in London und Hannover an, für eine Unterstützung der holsteinischen Kandidatur zu bitten. Er erhoffte sich davon einen Verzicht Karl Friedrichs auf seine Erblande.62 Der preußische König wiederum ließ Friedrich IV. mitteilen, dass er ebenfalls den Gottorfer bevorzuge, da eine Wahl Ulrika Eleonoras die hessische Partei stärken würde, was preußischen Interessen zuwiderlaufen würde.63 Mit der ständig einsatzbereiten Flotte verfügte Großbritannien über ein ernst zu nehmendes Druckmittel im Ostseeraum. Dabei gab es durchaus Differenzen ­zwischen der britischen und der hannoverschen Außenpolitik. Die alles beherrschende Figur in ­diesem Spiel war der Staatssekretär und faktische Premierminister James Stanhope, 1. Earl of Stanhope, der die Wahl Ulrika Eleonoras unterstützte.64 Das große Ziel Stanhopes und auch Georgs I. war die Schaffung eines gegen Russland gerichteten Allianzsystems, in dem Schweden naturgemäß eine wichtige Rolle spielen sollte.65 Deshalb musste für Schweden ein möglichst günstiger Frieden vermittelt werden. Allerdings sollte Schweden auf seine deutschen Provinzen verzichten, was Hannover und auch Dänemark-­Norwegen stärken würde. Was das Verhältnis zu Preußen betraf, kollidierten allerdings die Interessen Stanhopes und Georgs I. Der britische König war als Kurfürst von Hannover eine der tragenden Säulen der am 5. Januar 1719 zusammengetretenen Allianz von Wien, die vor dem Hintergrund der bevorstehenden Reichsexekution gegen den Herzog von Mecklenburg-Schwerin geschlossen worden war und die russische und preußische Interessen verletzte.66 Stanhope 60 Krüger, Kuhl (wie Anm. 30), S. 133 – 135. 61 Jerker Rosén, Den svenska utrikes politikens historia II /1: 1697 – 1721, Stockholm 1952, S.  160 – 161. 62 K. C. Rockstroh, Krigens afslutning 1719 – 1720 (Bidrag til Den Store Nordiske Krigs Historie 10), København 1934, S. 11. 63 Hartmann (wie Anm. 6), S. 102. 64 British Diplomatic Instructions 1 – 3, hg. v. James Frederick Chance, London 1922 – 1926, hier Bd. 3, S. 51, 30. Januar 1719, Stanhope an den britischen Residenten in Kopenhagen; Krüger (wie Anm. 4), S. 446. 65 Hatton (wie Anm. 51), S. 238. 66 Ein Druck des Vertragstexts, allerdings ohne Geheimartikel, in: Johann Gustav Droysen, Zur Geschichte Friedrichs I. und Friedrich Wilhelms I. (Geschichte der preußischen Politik, 4. Theil, 4. Abt.), Leipzig 1870, S. 371 – 377; Walter Mediger, Mecklenburg, Rußland und

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verfügte jedoch über ein Mittel, um Preußen aus der Allianz mit Peter I. zu lösen: eine umfassende britische Garantieerklärung für den dauerhaften Besitz Schwedisch-Pommerns südlich der Peene mit den Inseln Usedom und Wollin.67 Stanhope startete im Frühjahr 1719 eine diplomatische Offensive an den Höfen in Stockholm, Berlin und Kopenhagen. Da Schweden infolge der russischen Rüstungen außenpolitisch unter Druck stand, zeichnete sich schon recht früh ein Ausgleich mit Großbritannien ab. Ulrika Eleonora hob zunächst das Kaperedikt auf, durch das der britische und niederländische Handel stark belastet worden war. Das führte zur Aufhebung des britischen Handelsembargos gegen Schweden.68 Friedrich IV. machte den Briten zunächst einen Strich durch die Rechnung. Zunächst verhängte der dänisch-norwegische König eine Blockade über Göteborg, die den gerade anlaufenden britisch-schwedischen Handel störte. Außerdem plante er von Norwegen aus einen Angriff auf Schweden, der im Juli 1719 tatsächlich begann. Damit verspielte Friedrich IV. sämtliche Sympathien. Peter I. warf ihm vor, dass dieser Angriff nicht mit Russland abgestimmt sei. Stanhope und Georg I. mutmaßten genau das Gegenteil. Der dänisch-norwegische Vorstoß lief sich schnell fest. Unter dem Eindruck einer Niederlage des norwegischen Seehelden Peter Wessel Tordenskiold bei Ny Elfsborg und der außenpolitischen Verstimmung sowohl in Russland sowie in Großbritannien brach Friedrich IV. das Unternehmen am 8. August 1719 ab.69 Der Schaden auf dem politischen Parkett war allerdings angerichtet. Der dänisch-norwegische König hatte sich außenpolitisch in eine vollständige Sackgasse manövriert, die sich letztlich als Vorteil für Schweden erweisen sollte.70 Tatsächlich gelang es relativ schnell, Preußen aus dem Bündnis mit Russland zu lösen. Am 14. August 1719 unterzeichneten die preußischen Minister Knyphausen und Ilgen einen vom britischen Gesandten Whitworth vermittelten Allianzvertrag mit Hannover.71 Der Vertrag wurde auf den 4. August vordatiert, um Unkenntnis über die Ergebnisse der hannoversch-schwedischen Verhandlungen vorzutäuschen, die am 11./22. Juli 1719 zu einem Präliminarvertrag geführt hatten, der u. a. den Verzicht Schwedens auf die Herzogtümer Bremen und Verden beinhaltete.72 Die wichtigsten Punkte des preußisch-hannoverschen Vertragswerks waren die Erneuerung des Friedens mit Großbritannien und das preußische

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England-Hannover 1706 – 1721. Ein Beitrag zur Geschichte des Nordischen Krieges (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 70), Hildesheim 1967, S. 410 – 411; ­Reinhard Wittram, Peter I. Czar und ­Kaiser. Zur Geschichte Peters des Großen und seiner Zeit 2, Göttingen 1964, S. 406 – 407. British Diplomatic Instructions 2 (wie Anm. 64), S. 138 – 140. Ericson Wolke (wie Anm. 59), S. 197; Krüger (wie Anm. 4), S. 447. Krüger (wie Anm. 4), S. 450 – 452. A. P. Tuxen, Poul Vendelbo Løvenørn, København 1924, S. 112 – 113. Eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1719 %20 VIII%204 %20B%C3 %BCndnisvertrag%20von%20Berlin/t-122-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015. Krüger (wie Anm. 4), S. 453 – 455.

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Versprechen, unter britischer Vermittlung einen Frieden mit Schweden zu schließen. Für Preußen waren die gegenseitigen Garantien über den zukünftigen Besitz der ehemaligen schwedischen Provinzen besonders wichtig. Nun musste noch Friedrich IV. von der Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Schweden überzeugt werden. Am 25. August 1719 stimmte der dänisch-norwegische König Friedensgesprächen zu, stellte aber gleichzeitig exorbitant hohe Forderungen. Diese waren nicht neu, der dänische Gesandte Poul Vendelbo Løvenørn hatte sie bereits anlässlich der Wahl und Krönung Ulrika Eleonoras inoffiziell übermittelt: der Verzicht Schwedens auf SchwedischPommern nördlich der Peene mit Rügen und Stralsund, der Verzicht Schwedens auf Wismar, der Verzicht Schwedens auf die frühere norwegische Landschaft Bohuslän mit der Festung Marstrand und die Aufhebung der Zollfreiheit Schwedens im Öresund. Entsprechende Forderungen wurden im September dem in Kopenhagen weilenden schwedischen Oberst Adlerfelt übergeben.73 Schweden wiederum beharrte auf der vollständigen Räumung aller von Dänemark-Norwegen besetzten Gebiete gegen die Zahlung einer Geldsumme. Außerdem sollte das Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf restituiert werden. Die letztere Forderung wurde in der Hoffnung gestellt, dass Herzog Karl Friedrich dafür auf seine Ansprüche auf den schwedischen Thron verzichten würde. Direkte Gespräche scheiterten an den kompromisslos vorgetragenen Forderungen, Adlerfelt reiste im September 1719 ergebnislos ab.74 Allerdings standen beide Parteien unter enormen Druck. Schweden litt unter den Folgen der ersten russischen Angriffe auf die schwedische Ostküste, während der diplomatische Druck auf Kopenhagen nach Bekanntwerden des hannoversch-preußischen Bündnisses zunahm. Außerdem vereinigte sich ein Geschwader britischer Linienschiffe unter dem Kommando des Admirals Sir John Norris mit einem schwedischen Geschwader unter Admiral Sparre zwecks Abwehr der russischen Angriffe.75 Die vereinigte Flotte kreuzte bis in den Oktober hinein vor der schwedischen Ostküste.76 Das hatte gleichzeitig Signalwirkung auf Friedrich IV.: Am 10. Oktober 1719 gab er nach und stimmte einer britischen Friedensvermittlung und der Aushandlung eines sechsmonatigen Waffenstillstandes zu, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er an seinen Forderungen festhalte.77 Einer der Hauptstreitpunkte war der zukünftige Status Vorpommerns nördlich der Peene mit der Insel Rügen, seit Dezember 1715 in dänischer Hand.78 Stanhope war zunächst 73 Tuxen (wie Anm. 70), S. 101, S. 113 – 114. 74 Rockstroh (wie Anm. 62), S. 162 – 164. 75 Friedrich IV. war ebenfalls um dänische Flottenhilfe gebeten worden, hatte die Entscheidung darüber allerdings zu lange hinausgezögert, sodass sich der britische Admiral entschied, allein im Bündnis mit Schweden zu agieren; ebd., S. 120 – 126, S. 148 – 151. 76 David Aldridge, Sir John Norris, 1600?–1749, in: Precursors of Nelson. British Admirals of the eighteenth century, hg. v. Peter Le Fevre, Richard Harding, London 2000, S. 129 – 149, hier S.  143 – 144. 77 Krüger (wie Anm. 4), S. 458. 78 Joachim Krüger, Wolgast in der Asche. Ausgewählte Quellen zur Lustration der Stadt in der Dänenzeit (1715 – 1721), Greifswald 2007, S. 35 – 38; Martin Meier, Vorpommern nördlich der

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der Ansicht, Schweden könne auf all seine deutschen Provinzen verzichten. Aber noch im August 1719 rückte er davon ab, er schrieb an seine Gesandten, der König von Dänemark könne sich auch mit einer Geldsumme begnügen.79 Was hatte den Meinungswechsel herbeigeführt? Hier ist ein Blick auf die französischen Interessen bedeutsam. Frankreich agierte während der Verhandlungen in Stockholm, Kopenhagen und Hannover mehr im Hintergrund, war aber gleichwohl durch eigene Gesandte präsent. Außerdem stand Stanhope in brieflichen Kontakt mit Kardinal Guillaume Dubois, dem französischen Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, einem der wichtigsten Berater des französischen Regenten, des Herzogs von Orléans.80 Zusammengefasst liefen die Wünsche Frankreichs auf Folgendes hinaus: Unterstützung Preußens als Gegenpol zu Österreich und die Restitution Schwedens im Heiligen Römischen Reich mit Sitz und Stimme im Reichstag.81 Georg I. und Stanhope akzeptierten die Unterstützung Preußens, da Friedrich Wilhelm I. aus der Allianz mit Russland herausgelöst worden war. Die teilweise Restitution Schwedens war bedeutend schwieriger, da Georg I. Friedrich IV. nicht verprellen wollte, der wegen der dänischen Kontrolle der Ostseezugänge ein strategisch wichtiger Partner war.82 Kardinal Dubois schickte zunächst den Grafen de la Marck, der am 13. März 1719 Kopenhagen erreichte und dort u. a. mit dem britischen Gesandten verhandelte. Ende April war de la Marck wieder in Paris zurück. Sein Friedensplan sah, nicht weiter verwunderlich, ebenfalls eine Teilrestitution der schwedischen Gebiete im Reich vor.83 Stanhope und das Parlament in London waren gezwungen, den Wünschen Frankreichs zumindest teilweise Peene unter dänischer Verwaltung 1715 bis 1721. Aufbau einer funktionierenden Verwaltung und Herrschaftssicherung in einem im Kriege eroberten Gebiet (Beiträge zur Militärgeschichte 65), München 2008, S. 25 – 26. 79 British Diplomatic Instructions 1 (wie Anm. 64), S. 130 – 131; Bd. 3, S. 51 – 53. 80 Stanhope und Dubois korrespondierten seit dem Frühjahr 1719 über die Rahmenbedingungen eines allgemeinen Friedens im Ostseeraum. Die unterschiedlichen Positionen werden ausführlich diskutiert in Basil Williams, Stanhope. A study in eigtheenth century war and diplomacy, Oxford 1932, S. 364 – 365. 81 Zur schwedischen Teilnahme am Reichstag während des Großen Nordischen Krieges siehe Dorothée Goetze, Desintegration im Ostseeraum – Integration im Reich? Die Vertretung der schwedischen Herzogtümer beim Immerwährenden Reichstag während des Großen Nordischen Krieges (1700 – 1721) am Beispiel des Corpus Evangelicorum, in: Friedensordnung und machtpolitische Rivalitäten. Die schwedischen Besitzungen in Niedersachsen im europäischen Kontext ­zwischen 1648 und 1721, hg. v. Beate-Christine Fiedler, Christine van den Heuvel (Veröffentlichungen des Niedersächsischen Landesarchivs 3), Göttingen 2019, S. 126 – 148. 82 Ole Feldbæk, Helstaten 1720 – 1814, in: Dansk udenrigspolitiks historie 2: Revanche og neutralitet 1648 – 1814, hg. v. Carsten Due-Nielsen, Ole Feldbæk, Nikolaj Petersen, København 2002, S. 200 – 513, hier S. 212 – 213. 83 British Diplomatic Instructions 2 (wie Anm. 64), S. 145 – 148, hier S. 147, Whitehall, 28. April 1719, an den Earl of Stair. “When Your Excellency sends us what the Abbé du Bois promised to communicate to you from the Count de la Marque (…) that the French will not disguise their Resolution to insist upon is that Sueden their old Ally should preserve some footing in Germany, a point, which I believe, differs from the King’s thoughts upon that subject.”

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entgegenzukommen. Frankreich war im Kampf um die Befriedung des Mittelmeers und in der aktuell laufenden Auseinandersetzung mit Spanien zu einem wichtigen Verbündeten geworden.84 Außerdem bestand die Gefahr, dass Schweden dem russischen Druck nachgeben würde und damit aus der angestrebten Allianz gegen Russland vorzeitig ausscheren könne. Blieb die Frage, wie man den dänisch-norwegischen König zu einer Abtretung Vorpommerns drängen könnte, ohne ihn als Alliierten zu verlieren. Die Lösung waren französische Subsidienzahlungen, mit deren Hilfe Schweden Vorpommern nördlich der Peene auslösen konnte. Der dann bestimmte französische Sondergesandte für den Konflikt im Norden, Jacques Campredon, traf sich im Juni 1719 mit Stanhope in Hannover. Campredon hatte in Frankreich um Hilfe für Schweden geworben, was schließlich zur Zusage französischer Subsidien führte, obwohl Kardinal Dubois zunächst darauf beharrte, dass wegen des Krieges mit Spanien kein Geld vorhanden sei. Auf dem Weg nach Hannover transportierte Campredon Goldbarren im Wert von 300.000 Kronen.85 Und Dubois hatte ihm die eindeutige Botschaft mitgegeben, dass Schweden ohne die Hoffnung auf Rückgabe Stralsunds und Rügens keinen Frieden mit Georg I. schließen könne.86 Die dänische Verzögerungstaktik lieferte schließlich das entscheidende Argument für einen Verzicht auf Vorpommern. Solange Admiral Norris auf dänisch-norwegische Unterstützung hoffte, verhielt sich Stanhope Friedrich IV. gegenüber entgegenkommend, was dessen Forderung nach Stralsund und Rügen anging. Aber diese Stütze fiel weg, als Norris Verstärkung aus Großbritannien erhielt und sich mit der schwedischen Flotte vereinigen konnte, übrigens ein klares Signal an Dänemark-Norwegen, dass Schweden nun als Verbündeter Großbritanniens zu betrachten sei. Die abwartende Haltung Friedrichs IV. spielte der französischen Nordeuropa-Politik in die Hände.87

5. Die Friedensschlüsse 1719 – 1720 Nach der endgültigen Zusage Friedrichs IV., die Mediation Georgs I. und Großbritanniens zu akzeptieren, wurde zunächst ein sechsmonatiger Waffenstillstand ­zwischen DänemarkNorwegen und Schweden ausgehandelt. Die ­zwischen Großbritannien und Friedrich IV. geschlossene Konvention wurde am 30. Oktober 1719 unterzeichnet. Dafür garantierte Georg I. als König von Großbritannien dem dänisch-norwegischen König und seinen Erben die Gottorfer Anteile des Herzogtums Schleswig.88 Auch in Stockholm konnte ein 84 Hatton (wie Anm. 51), S. 254 – 259. 85 Basil Williams, Carteret and Newcastle. A contrast in Contemporaries, London 21966, S.  24 – 25. 86 James Frederick Chance, Georg I. and the Northern War. A study of british-hanoverian policy in the north of Europe in the years 1709 to 1721, London 1909, S. 343 – 344. 87 Ebd., S. 148, 162. 88 Eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1719 %20 X%2030 %20Vermittlungskonvention%20von%20Kopenhagen/t-1347-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015; Krüger (wie Anm. 4), S. 460.

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Durchbruch erzielt werden. Am 27. Oktober/7. November 1719 wurde eine ähnliche Konvention mit Schweden abgeschlossen. Vom 16. November 1719 bis zum 9. Mai 1720 sollten die Waffen ruhen. Damit hatte die Friedensvermittlung Stanhopes und Georgs I. einen ersten vorzeigbaren Erfolg errungen. Ein Versuch Peters I., Friedrich IV. doch wieder auf seine Seite zu ziehen, wurde von Kopenhagen höflich, aber bestimmt zurückgewiesen.89 Damit war der Weg für die eigentlichen Friedensverhandlungen geebnet. Da Großbritannien und Hannover die wichtigsten Stützen Schwedens waren, verwundert es nicht, dass der erste Friedensvertrag z­ wischen dem Königreich Schweden und Hannover abgeschlossen wurde. Am 9./20. November 1719 wurde das Vertragswerk in Stockholm unterzeichnet. In der Präambel wurde dem französischen König Ludwig XV. für seine Vermittlung gedankt. Artikel 3 regelte den zukünftigen Status der früheren schwedischen Provinzen Bremen und Verden. In Bezug auf die Präliminarien vom 11./22. Juli 1719 trat Schweden die Herzogtümer an Hannover ab. Gleichzeitig wurde Ulrika Eleonora vom Direktorium des Niedersächsischen Kreises entbunden.90 Am 21. Januar/1. Februar 1720 folgte der von Lord Carteret und Campredon vermittelte zweite Friedensvertrag von Stockholm, d ­ ieses Mal geschlossen z­ wischen Schweden und Preußen. Der aus Sicht Friedrich Wilhelms I. wichtigste Punkt wurde in Artikel 3 geregelt: Das frühere Schwedisch-Pommern südlich der Peene wurde mit der Hauptstadt Stettin und den Inseln Usedom und Wollin an Preußen übertragen. Artikel 4 regelte das zukünftige Kreisdirektorium im Obersächsischen Kreis auf bilateraler Ebene.91 Ein im gleichen Zeitraum durch Lord Carteret und Campredon vermitteltes Friedensangebot Schwedens an August II. als Kurfürst von Sachsen scheint nicht angenommen worden zu sein.92 Das rechtlich unsichere Verhältnis wurde erst 1729 in Form einer einseitigen Friedensdeklaration König Friedrichs I. von Schweden beendet.93 Der Kriegszustand ­zwischen Polen-Litauen und Schweden dauerte formell sogar bis 1732 an.94 89 Nachdem Friedrich IV. der britischen Mediation zugestimmt hatte und die Waffenstillstandsverhandlungen angelaufen waren, bot Peter I. einen neuen Bündnisvertrag und einen neuen Operationsplan gegen Schweden an; Tuxen (wie Anm. 70), S. 114. 90 Eine Online-Edition des Vertrags unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/ treaty/1719 %20VII%2011_22 %20Pr%C3 %A4liminarfriedensrezess%20von%20Stockholm/t36-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015. 91 Eine Online-Edition des Vertrags unter folgender URL : http://www.ieg-friedensvertraege. de/treaty/1720 %20I%2021_II %201 %20Friedensvertrag%20von%20Stockholm/t-125 – 1-de. html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015; ein Druck in: Preußens Staatsverträge Friedrich ­Wilhelms I. (wie Anm. 24), S. 226 – 243. 92 Eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1720 %20 I%207 %20Waffenstillstandsangebot%20von%20Stockholm/t-124-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015; Krüger (wie Anm. 4), S. 462. 93 Eine Online-Edition unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/treaty/1729 %20 IV%2028 %20Friedensdeklaration%20von%20Stockholm/t-126-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015; Krüger (wie Anm. 4), S. 470. 94 Goetze (wie Anm. 48), S. 996.

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Die anberaumten Friedensverhandlungen ­zwischen Dänemark-Norwegen und Schweden wurden noch durch einen weiteren Punkt erschwert: die Gottorfer Frage. Herzog Karl Friedrich warb am kaiserlichen Hof für die Restitution seines Herzogtums. Der ­Kaiser drohte König Friedrich IV. mit der Reichsexekution, falls dieser nicht wenigstens die holsteinischen Anteile Gottorfs räumen würde. Die Mächte, die mit der Exekution beauftragt werden sollten, waren Preußen und Hannover, die noch unter Waffen standen. Dazu ließ es Friedrich IV. allerdings nicht kommen, er beugte sich dem kaiserlichen Druck.95 Die Hauptstreitpunkte in den in Stockholm geführten Friedensverhandlungen z­ wischen Dänemark-Norwegen und Schweden waren die Vorpommernfrage und der zukünftige Status der Landschaft Bohuslän. Friedrich IV . schickte den zum Generalmajor erhobenen Løvenørn als Sondergesandten nach Stockholm; im Gepäck hatte er die aus britischer Sicht überzogenen Forderungen. Der dänische Gesandte spielte aber kaum noch eine Rolle. Die alles dominierende Figur war Lord Carteret, der von seinem französischen Kollegen Campredon unterstützt wurde.96 Mit der Drohung einer Rücknahme der britisch-hannoverschen Garantien für die herzoglichen Anteile in Schleswig wurde die Annahme der im März 1720 festgelegten Friedenspräliminarien durch Dänemark-Norwegen erzwungen. Schweden erklärte seine Bereitschaft, auf die Zollfreiheit im Öresund zu verzichten, ein Punkt, der den Seemächten und Friedrich IV. entgegenkam, da damit ein wichtiger handelspolitischer Vorteil der schwedischen Schifffahrt wegfiel. Außerdem versprach der schwedische Reichsrat, das Bündnis mit Gottorf zu lösen und sich zukünftig nicht mehr in die Angelegenheiten des Herzogtums einzumischen. Für Ulrika Eleonora und ihren Gemahl, dem kurz vor seiner Wahl zum schwedischen König stehenden Friedrich von Hessen, war dieser Punkt besonders wichtig, bedeutete er doch eine weitere Schwächung der Ansprüche Herzog Karl F ­ riedrichs auf den schwedischen Thron.97 Die Landschaft Bohuslän sollte schwedisch bleiben, die von Dänemark-Norwegen eroberte Stadt und Festung Marstrand sollte zurückgegeben werden. Für die Übergabe der vorpommerschen Gebiete, Wismars und Marstrands sollte eine Geldsumme gezahlt werden, die Frankreich zur Verfügung stellen wollte.98 Friedrich IV . musste schließlich darauf eingehen, wollte er nicht den Besitz Schleswigs gefährden. Allerdings forderte er für den Verzicht auf Vorpommern und Wismar eine Million Reichstaler. Løvenørn gelang es indes nicht, diese Forderung d ­ urchzusetzen – 95 Ulrich Lange, Landesherr und große Politik – Vom Konsens des 16. Jahrhunderts zu den Konflikten des 17. Jahrhunderts, in: Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Ulrich Lange, Neumünster 22003, S. 153 – 265, hier S. 256; Rockstroh (wie Anm. 62), S. 167; Joachim Krüger, Das Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf im 17. Jahrhundert, in: Staat – Militär – Gesellschaft. Festschrift für Jens E. Olesen zum 65. Geburtstag (Publikationen des Lehrstuhls für Nordische Geschichte 20), hg. v. Robert Oldach, Thomas Wegener Friis, Greifswald 2015, S. 93 – 116, hier S. 115 – 116. 96 Williams (wie Anm. 85), S. 26; Tuxen (wie Anm. 70), S. 116 – 121, S. 132. 97 Zur Wahl und Krönung Friedrichs (I.) von Hessen siehe Burmeister (wie Anm. 57), S. 112 – 118. 98 Krüger (wie Anm. 4), S. 463.

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die ­Entschädigungssumme für den Verzicht auf Bohuslän mit Marstrand, Vorpommern mit Rügen und Stralsund und die Stadt Wismar wurde auf 600.000 Reichstaler festgesetzt.99 Eine in Aussicht gestellte französische Garantie für Schleswig, die zeitgleich mit der Annahme des Friedenswerks durch Campredon erklärt werden sollte, gab schließlich den Ausschlag. Die Verhandlungen wurden daraufhin in das dänische Frederiksborg verlegt. Alles Weitere war Formsache. Der ­zwischen Dänemark-Norwegen und Schweden ausgehandelte Friedensvertrag wurde am 3./14. Juli 1720 in Frederiksborg unterzeichnet.100 Noch im Juli wurden die gegenseitigen Ratifikationen ausgetauscht. Die britische Garantie für Schleswig wurde am 26. Juli unterzeichnet. Die Ausstellung der französischen Garantieerklärung verzögerte sich, denn Friedrich IV. forderte noch Nachbesserungen an der Formulierung, sodass die französische Versicherung hinsichtlich Schleswigs erst am 15. Oktober 1720 vorlag.101 Die Umsetzung der einzelnen Punkte des Friedensvertrags zog sich bis in den Sommer 1721 hin. Die schwedische Festung Marstrand blieb bis zur Zahlung der vereinbarten Ablösesumme von dänisch-norwegischen Truppen besetzt. Die Übergabe Vorpommerns und Wismars erfolgte am 21. Januar 1721, nach der Aushändigung der Wechsel in Höhe der vertraglich festgesetzten Summe von 600.000 Reichstalern.102 Den Status des Gottorfer Herzogs Karl Friedrich klärte ein kaiserliches Edikt vom 9. August 1720.103 Damit wurde das Gottorfer Herzogtum in seinen holsteinischen Landesteilen restituiert. Für den nunmehrigen Herzog von Holstein-Gottorf bedeutete das, dass er auf ca. drei Fünftel seines früheren Territoriums verzichten musste. Das Herzogtum Schleswig wurde in Dänemark inkorporiert. Der Herrschaftsantritt Friedrichs IV . wurde durch ein öffentliches Patent vom 22. August 1721 verkündet. Huldigung und Eidesleistung auf den persönlich anwesenden König erfolgten am 4. September 1721 auf Schloss Gottorf.104

99 Tuxen (wie Anm. 70), S. 128 – 130. 100 Eine Online-Edition des Vertrags unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/ treaty/1720 %20VII %203 %20Friedensvertrag%20von%20Frederiksborg/t-25-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015. 101 Eine erste französische Erklärung vom 18. August 1720 war dem König zu allgemein gehalten; Krüger (wie Anm. 4), S. 464. 102 Meier (wie Anm. 78), S. 290 – 293. 103 A. D. Jørgensen, Sønderjyllands indlemmelse i den Danske Krone 1721, København 1885, S.  6 – 7; Kai Fuhrmann, Die Auseinandersetzungen ­zwischen königlicher und gottorfischer Linie in den Herzogtümern Schleswig und Holstein in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Kieler Werkstücke, Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 1), Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris 1990, S. 354 – 358. 104 Die Eidesformel ist abgedruckt in: Kristian Erslev, Frederik IV og Slesvig. En historisk for­ tolkning af arvehyldingsakterne af 1721, København 1901, S. 14 – 15; siehe auch Fuhrmann (wie Anm. 103), S. 360 – 372.

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6. Der Friedensschluss von Nystad 1721 Im südwestlichen Ostseeraum herrschte endlich Frieden, die Außenpolitik Georgs I. feierte Triumphe. Im Osten ging der Krieg weiter. Was Russland anging, war die britische Strategie gescheitert, trotz einer Isolierung des Zaren. Georg I. und dem britischen Parlament gelang es nicht, eine große antirussische Koalition unter Beteiligung des Kaisers zu schmieden. Auch der preußische König Friedrich Wilhelm I. war zu keinen bindenden Zusagen bereit.105 Auf der anderen Seite gelang es Peter I. nicht, die Friedensschlüsse zu verhindern. Noch während der Unterzeichnung des Vertrags von Frederiksborg überbrachte der russische Gesandte Dolgorukij den Protest des Zaren.106 Die Anwesenheit einer britischen Flotte unter Admiral Norris, die sich im Mai 1720 mit der schwedischen Flotte vereinigte, verhinderte eine groß angelegte russische Landungsoperation an der schwedischen Küste. Lediglich um Umeå herum kam es zu begrenzten Einfällen.107 Eine britische Friedensvermittlung wies Peter I. zurück, weshalb Stanhope der schwedischen Regierung empfahl, sich um französische Vermittlung zu bemühen. Dem französischen Gesandten Campredon wurde allerdings im Januar 1721 deutlich gemacht, dass Russland auch keine Vermittlung Frankreichs wünsche.108 Da die Voraussetzungen für den britischen Ostseehandel 1720 weitgehend wiederhergestellt worden waren, stand das britische Parlament einem weiteren kostenintensiven Einsatz der britischen Flotte in der Ostsee ablehnend gegenüber. Das nutzte Peter I. aus. Um Schweden endgültig in die Knie zu zwingen, wurden 1721 weite Teile der schwedischen Ostküste nördlich von Stockholm von russischen Galeeren heimgesucht und geplündert. Die schwedische Abwehr brach vollständig zusammen.109 Das gab den Ausschlag, der schwedische Reichsrat stimmte der erneuten Aufnahme von Friedensverhandlungen zu. Am 30. August/10. September 1721 wurde der Vertrag von Nystad unterzeichnet.110 Gegen eine Zahlung von zwei Millionen Reichstalern trat Schweden seine baltischen Besitzungen Estland, Livland sowie Ingermanland und das Gebiet um Viborg an Russland ab.111

105 Karl VI . und Friedrich Wilhelm I. befürchteten einen wachsenden britischen Einfluss im Ostseeraum; Einar Carlsson, Freden i Nystad. Frederik I:s personliga politik och des betydelse för förhållandet mellan Sverige och England Sommaren 1720, Uppsala 1932, S. 200 – 210; Mediger (wie Anm. 66), S. 422 – 428. 106 Friedrich IV. fegte den Protest mit der Begründung, dass der Zar seit Jahren mit Schweden verhandle, ohne ihn zu informieren, beiseite; Krüger (wie Anm. 4), S. 464. 107 Kuvaja (wie Anm. 59), S. 256 – 257; Ericson Wolke (wie Anm. 59), S. 276 – 278. 108 Chance (wie Anm. 86), S. 454 – 456; Krüger (wie Anm. 4), S. 469. 109 Kuvaja (wie Anm. 59), S. 256 – 257; Eriksson Wolke (wie Anm. 59), S. 23. 110 Eine Online-Edition des Vertrags unter folgender URL: http://www.ieg-friedensvertraege.de/ treaty/1721 %20VIII%2030 %20Friedensvertrag%20von%20Nystad/t-72-1-de.html?h=1, letzter Zugriff am 18. 11. 2015. 111 Goetze (wie Anm. 48), S. 996.

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7. Zusammenfassung Die Friedensschlüsse der Jahre 1719 bis 1721 stellen eine Zäsur in der Geschichte des Ostseeraums dar. Die schwedische Großmachtstellung war zusammengebrochen. Das schwedisch dominierte Mare Baltici war Geschichte. Bis auf das nördliche Vorpommern und die Stadt Wismar hatte Schweden alle seine Provinzen und Gebiete Finnlands abtreten müssen. Gleichzeitig war der innerskandinavische Gegensatz beendet worden. Der Frieden von Frederiksborg führte zu einer radikalen Neuausrichtung der dänisch-norwegischen Außenpolitik. Diese war seit der Mitte des 17. Jahrhunderts vom Revanchegedanken gegenüber dem skandinavischen Nachbarn und der Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle über den Öresund geprägt gewesen. Gleichzeitig war eine hegemoniale Stellung im norddeutschen Raum angestrebt worden. Nach dem Krieg setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine Rückeroberung der früheren ostdänischen und südnorwegischen Landschaften sowie eine Ausdehnung des dänischen Machtbereichs in Richtung Süden mit militärischen Mitteln nicht mehr zu erreichen sei.112 Das von Großbritannien und den Niederlanden favorisierte Konzept der „Ruhe des Nordens“ fand in der dänischen Regierung ihren lebhaftesten Befürworter.113 Preußen und Hannover hatten ihre Territorien mit einem relativ geringen militärischen Aufwand bedeutend vergrößern können. August II. war es als König von Polen-Litauen nicht gelungen, den Frieden von Oliva (1660) zu revidieren. Im Gegenteil, die Nichthinzuziehung Polens (und auch Sachsens) zu den Friedensverhandlungen war ein Hinweis auf die politische Bedeutungslosigkeit, in die Polen im Verlauf des 18. Jahrhunderts absinken sollte.114 Aus einer europäischen Perspektive betrachtet kommt dem Großen Nordischen Krieg eine Schlüsselrolle zu.115 Der russische Zar hatte das Ziel eines Ostseezugangs und damit eine direkte Partizipation am europäischen Handel erreicht.116 Mit Russland hatte eine neue Macht die politische und militärische Bühne Europas betreten, die sogar der b­ ritischen

112 Krüger (wie Anm. 4), S. 477. 113 Feldbæk (wie Anm. 82), S. 218 – 219; Carsten Jahnke, Geschichte Dänemarks, Stuttgart 2017, S.  177 – 178; Lichtblau, Krüger (wie Anm. 45), S. 37, S. 44; Lengeler (wie Anm. 40), S.  11 – 12. 114 Goetze (wie Anm. 48), S. 990 – 992, 995 – 996. 115 Jens E. Olesen, The struggle for supremacy in the Baltic between Denmark and Sweden, 1563 – 1721, in: The Cambridge History of Scandinavia 2: 1520 – 1870, hg. v. Erki I. Kouri, Jens E. Olesen, Cambridge 2016, S. 246 – 267, hier S. 246 – 247. 116 Aleksandr Filjuškin, Der Diskurs von der Notwendigkeit des Durchbruchs zur Ostsee in der russischen Geschichte und Historiographie, in: Narva und die Ostseeregion – Narva and the Baltic Sea Region. Beiträge der II. Internationalen Konferenz über die politischen und kulturellen Beziehungen z­ wischen Rußland und der Ostseeregion (Narva, 1. – 3. Mai 2003) (Studia Humaniora et Paedagogica Colegii Narovensis 1), hg. v. Karsten Brüggemann, Narva 2004, S.  171 – 183, hier S.  175 – 178.

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Bündnispolitik gewachsen war. Eine europäische Politik ohne Russland ist seit 1720/1721 nicht mehr denkbar. Der sich schon seit der Mitte des 17. Jahrhunderts abzeichnende Trend einer zunehmenden Europäisierung der Konflikte im Ostseeraum zeigte sich besonders deutlich während der Verhandlungen 1719 – 1720. Großbritannien, unterstützt von Frankreich, war die alles dominierende Macht. Der Kriegsverlauf und die Eroberung feindlicher Gebiete hatten nur noch nachrangige Auswirkungen auf die Friedensschlüsse. Die britische Flotte und französisches Gold erwiesen sich als die geeigneten Mittel, um Verhandlungen zu erzwingen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen und um die „Balance of Power“ an den strategisch wichtigen Ostseezugängen zu bewahren.117

8. Ausklang Auch wenn der Krieg in der östlichen Ostsee noch andauern sollte: Die von Großbritannien herausgeschlagenen und von Frankreich bereitgestellten Entschädigungszahlungen für den Verzicht auf das nördliche Vorpommern und Bohuslän gaben Friedrich IV. die Möglichkeit, einen lang gehegten Traum umzusetzen: den Neubau eines Lustschlosses auf dem nördlichen Teil der Insel Seeland, der einzige Schlossneubau Friedrichs. Wesentliche Anteile der ausgehandelten Summen flossen in das Anwesen, das dann zum Lieblingssitz des Königs und seiner zweiten Gemahlin, der nichtfürstlichen Anna Sophie von Reventlow, werden sollte.118 Die eingangs erwähnte Tafel über der Toreinfahrt von Fredensborg weist deutlich auf den Zusammenhang ­zwischen dem Krieg und dem darauffolgenden Frieden hin. Fredensborg ist einer der bedeutendsten Erinnerungsorte an den Großen Nordischen Krieg und die Friedensschlüsse im südwestlichen Ostseeraum.

117 Knud J. V. Jespersen, Rivalry without victory. Denmark, Sweden and the struggle for the Baltic 1500 – 1720, in: In Quest of trade and society. The Baltic in power politics 1500 – 1900, 1, hg. v. Göran Rystad, Klaus-Richard Böhme, Wilhelm M. Carlgren, Lund 1994, S. 137 – 176, hier S. 170 – 171; Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785 (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen 4), Paderborn, München, Wien, Zürich 1997, S. 200. 118 Kjær (wie Anm. 2), S. 15.

Die neue deutsch-dänische Grenze 1920 Als Nordschleswig mit Dänemark vereint wurde Jens E. Olesen Die deutsch-dänische Grenze konnte 2020 ihr hundertjähriges Bestehen feiern. Das runde Jubiläum wurde als deutsch-dänisches Freundschaftsjahr mit Publikationen, vielen Veranstaltungen, Ausstellungen und Konzerten geplant, aber aufgrund der seit März 2020 herrschenden Corona-Epidemie mussten viele Feierlichkeiten klein gehalten, ganz abgesagt oder ins Jahr 2021 verschoben werden. Die Aufmerksamkeit für das Jubiläum war groß, besonders auf dänischer Seite, da die Vereinigung Dänemarks mit Nordschleswig in der neueren dänischen Geschichte ein markantes und zentrales Ereignis darstellt.1 Der alte nationale dänisch-deutsche Kampf um Schleswig trug 1920 in Dänemark zur Verwendung des Begriffes „Wiedervereinigung“ (dän. „Genforening“) bei, obwohl Schleswig (dänisch „Sønderjylland“) staatsrechtlich ein uraltes eigenes Herzogtum mit einer festen Grenze an Nordjütland bei Kolding darstellt.2 Die tiefe und innerliche Verbundenheit der dänischen Bevölkerung mit dem Ereignis der Vereinigung Nordschleswigs mit Dänemark lässt sich in den mehr als 600 steinernen Denkmälern und Erinnerungstafeln überall in Dänemark in den Jahren nach 1920 ablesen. Die alten sagenhaften Mythen und Erzählungen wurden darüber hinaus in der Kunst, Geschichte und Literatur gepflegt. Die Heimkehr der verlorenen Tochter („Schleswig“) zu ihrer ­Mutter („Dänemark“) wurde bildlich stilisiert. Am 10. Juli 1920 überschritt König Christian X. die alte Grenze bei Christiansfeld auf einem weißen Pferd, so wie die alte Sage es vorhergesagt hatte. Sowohl ­dieses Ereignis als auch das Volksfest auf den Düppeler Schanzen am 11. Juli wurden groß gefeiert und in der Tagespresse umfassend erörtert.3



1 Genforeningen 2020. 100-året for Danmarks genforening. Programbog, hg. Sekretariatet for Genforeningen, Aabenraa 2020; Hans Schultz Hansen, Genforeningen, Aarhus Universitetsforlag, Aarhus 2020; Genforeningen 100 år 1920 – 2020, Red. Mikkel Leth Jespersen, Sonderburg 2020; Dänisch-Deutsches Freundschaftsjahr 2020, Debatten und Perspektiven, hg. v. Paul Greiner, Bernd Henningsen, Clemens Räthel, Nordeuropa-Institut, Humboldt Universität zu Berlin 2021. 2 Hans Schultz Hansen, Genforeningen i 1920 – og i 2020, in: Historisk Tidsskrift, 121:1 (2021), S. 246 – 262, hier S. 260 – 262. 3 Inge Adriansen und Immo Doege, Dansk eller tysk? Billeder af national selvforståelse i 1920 (Historisk Samfund for Sønderjylland og Institut for sønderjysk Lokalhistorie), Aabenraa 1992; Inge Adriansen, Erindringssteder i Danmark – monumenter, mindesmærker og mødesteder, Kopenhagen 2010.

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Die Ereignisse 1920 in Nordschleswig trugen vor dem Hintergrund der langandauernden deutsch-dänischen nationalen Kämpfe um Schleswig dazu bei, den zwei friedlichen Volksabstimmungen, die unter internationaler Beobachtung standen, einen prominenten Platz in der modernen deutsch-dänischen Geschichte zu verschaffen. Die Situation vor den entscheidenden Jahren 1918 – 1920 sowie die unterschiedlichen Meinungen zur Festlegung einer neuen Grenze sowohl unter Deutschen als auch unter Dänen wird allerdings oft nur kurz dargestellt oder teilweise ausgeblendet.4 Vor d ­ iesem Hintergrund soll im Folgenden der Vorgeschichte der Volksabstimmungen, der Festlegung der Abstimmungsgebiete, der Wahlberechtigten sowie den konkreten Wahlergebnissen und der Festlegung der neuen deutsch-dänische Staatsgrenze nachgegangen werden.

1. Von 1864 bis zum Ersten Weltkrieg Die dänische Niederlage im Zweiten Schleswigschen Krieg 1864 gegen Preußen und Österreich ließ den dänischen Gesamtstaat zerfallen. Der Prozess hatte bereits 1814 mit dem Verlust Norwegens an Schweden als ein Resultat der dänischen Unterstützung Napoleons begonnen. Im Frieden von Wien im Oktober 1864 folgte die dänische Abtretung der Herzogtümer Schleswig und Holstein samt Lauenburg an Preußen und Österreich. Der dänische Gesamtstaat büßte etwa zwei Fünftel seines Territoriums, verbunden mit einem entsprechend hohen Bevölkerungsanteil, ein. Die neue Grenze verlief jetzt entlang der Königsau bei der Stadt Kolding, der jahrhundertealten Grenze ­zwischen Nordjütland und dem Herzogtum Schleswig, und in einem Bogen südöstlich von Ripen und nördlich von Tondern.5 Die Verwaltung von Schleswig und Holstein war ein wichtiger Auslöser für den Preußisch-Österreichischen Krieg 1866. Im Friedensvertrag von Prag, vermittelt vom französischen Kaiser Napoleon III., wurde im Artikel fünf eine mögliche zukünftige freie Volksabstimmung in den nördlichen Distrikten Nordschleswigs über die Staatszugehörigkeit der Einwohner aufgenommen. Die Frage wurde vorläufig vom Kanzler Otto von Bismarck in der Schwebe gehalten, unterschiedliche Kontakte und Vorschläge von dänischer Seite blieben erfolglos. Die Herzogtümer wurden 1867 in Preußen eingegliedert. Als die d ­ eutschen

4 Siehe Anm. 1 u. 2 und u. a. Jan Schlürmann, Eine Grenze für den Frieden. Die Volksabstimmung ­zwischen Deutschland und Dänemark, Kiel, Hamburg 2019; Broder Schwensen, Die plebiszitäre Teilung Schleswigs 1918 – 1920, in: Geschichte Schleswigs vom frühen Mittelalter bis 1920, Red. Henrik Becker-Christensen, Ulrich Lange (Dänisch-deutsche Historikerkonferenz des Instituts für Grenzregionsforschung in Zusammenarbeit mit der Akademie ­Sankelmark vom 28. bis 30. September 1997 in Sankelmark), Aabenraa 1998, S. 205 – 224; Troels Fink, Da Sønderjylland blev delt 1918 – 1920, Bd. I–III, Institut for Grænseregionsforskning, Aabenraa 1978 – 1979. Die zentralen Quellen finden sich bei: Franz von Jessen, Haandbog i det slesvigske Spørgsmaals Historie 1900 – 1937, Bd. II: 1918 – 1920, Kopenhagen 1938. 5 Claus Bjørn, Carsten Due-Nielsen, Fra Helstat til Nationalstat 1814 – 1914, Dansk Udenrigspolitiks Historie Bd. 3, Kopenhagen 22006, S.  236 – 256, 259 – 260.

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Behörden Rekruten für den Militärdienst forderten, optierten viele für Dänemark und Tausende wurden ausgewiesen.6 Die dänische Regierung hoffte darauf, in den folgenden Jahren Schleswig mit Hilfe der Großmächte zurückzugewinnen. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 führte zu dänischen Revanche-Plänen, und in der Regierung wurde ein Bündnis mit Frankreich ernsthaft debattiert. Die ersten französischen Niederlagen Anfang August 1870 zeigten aber, wie riskant eine Allianz mit Frankreich sein konnte. Nach außen hin hatte die Situation offenbart, dass es gefährlich war, mit hohem Einsatz zu spielen und sich aktiv in die Politik der Großmächte einzumischen. Auf der innenpolitischen Ebene wurde ferner eine deutliche Kluft innerhalb der Staatsführung und ­zwischen der Mehrheit der Regierung und dem König sichtbar. Letzten Endes konnte nicht geklärt werden, wer in der Frage um Krieg und Frieden das letzte Wort hatte. Dagegen avancierte die dauernde eindeutige Neutralitätspolitik von nun an zu einem Grundprinzip der dänischen Außenpolitik.7 Die politische Krise in Kopenhagen in den Augusttagen 1870 bedeutete den endgül­ tigen Verzicht auf eine militärische Rückeroberung Schleswigs mit Hilfe der europäischen Großmächte. Auf lange Sicht führten sowohl der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 wie auch die Etablierung des deutschen Kaiserreiches zu einer international und militärisch veränderten Ausgangssituation für das dänische Königreich. Europas Zentrum verschob sich von Paris nach Berlin. Keine der anderen Großmächte konnte oder wollte Dänemark aktiv gegen Deutschland unterstützen. Die Schleswig-Frage wurde vielmehr von der europäischen Tagesordnung genommen und fortan als ein bilaterales Problem ­zwischen Deutschland und Dänemark betrachtet. Im dänischen Außenministerium erachtete man dies einige Jahre ­später als klaren Vorteil, da Deutschland nun nicht mehr befürchten musste, dass die anderen europäischen Großmächte die deutsch-dänische Grenzfrage für ihre Zwecke ­nutzen würden. Deutschland konnte demnach aus eigenem Antrieb eine Lösung des Problems anstreben und Dänemark Nordschleswig überlassen. An diese Hoffnung klammerte man sich in Dänemark mindestens noch in den nächsten acht bis neun Jahren.8 Kanzler Otto von Bismarck hatte spätestens Mitte der 1870er Jahre Pläne, den oben genannten Artikel fünf des Prager Friedensvertrags aufzuheben, aber Österreich war dagegen. Am Ende des Russisch-Türkischen Krieges 1877/78 wurde Österreich vom Plan überzeugt, und im Monat April 1878 schlossen die beiden Mächte ein Übereinkommen, worin Artikel fünf aufgehoben wurde. Der Vertrag sollte ein Jahr geheim gehalten werden, aber schon im Februar 1879 wurde die Vereinbarung offiziell bekannt (jetzt mit einer Datierung vom 11. Oktober 1878). In Dänemark war die Enttäuschung groß, und auch die dänische 6 Povl Engelstoft, Frantz Wilhelm Wendt, Haandbog i Danmarks politiske historie fra ­freden i Kiel til vore dage, Kopenhagen 1964, S. 180, 209 – 214. 7 Bjørn, Due-Nielsen (wie Anm. 5), S. 269 – 273, 277 – 292. 8 Jens E. Olesen, Dänemark z­ wischen Deutschland und Frankreich und die Situation im westlichen Ostseeraum 1870/71, in: Konflikt und Kooperation. Die Ostsee als Handlungs- und Kulturraum, hg. v. Martin Gollnitz, Nils Abraham, Thomas Wegener Friis, Helmut Müller-Enbergs, Berlin 2019, S. 195 – 209.

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­Minderheit südlich der Königsau fühlte sich hintergangen. Die Ungewissheit über die Zukunft führte dazu, dass die Dänen in Nordschleswig langfristig auf eine aktive Kulturarbeit mit Erhaltung der dänischen Sprache und Kultur setzten.9 In den 1880er Jahren traten die preußischen Behörden allmählich mehr und mehr gegen die dänisch Gesinnten in Nordschleswig auf; u. a. hörten dänische Unterrichtsstunden 1888 in der Volksschule auf und Deutsch wurde als Verwaltungssprache weiter gefördert. Nach Ablauf der Optionsfrist waren Tausende von jungen Dänen ausgewandert, vor allem nach Amerika. Um sich gegen die preußischen Maßnahmen zu wehren, gründeten die Dänen in Nordschleswig mehrere Vereine, u. a. 1880 einen Sprachverein (dän. Sprogforeningen), 1888 folgte ein Wählerverein (dän. Vælgerforeningen), 1892 dann ein Schulverein (dän. Skoleforeningen). Im Landtag wirkte Hans Peter Hanssen (1862 – 1936) von Nörremölle ab 1896 energisch für die Interessen der dänischen Bevölkerungsgruppe in Nordschleswig, bevor er 1906 als Reichstagsabgeordneter nach Berlin wechselte.10 Einen Höhepunkt in den preußischen Bestrebungen gegenüber der dänischen Minderheit bildeten die Jahre 1897 – 1901, als der nationalkonservative Ernst Mathias von Köller das Amt als Präsident des Schleswiger Oberpräsidiums innehatte („Köller-Politik“). In der Optanten-Frage kam es 1898 zu den ersten Ausweisungen, besonders wurden Dienstboten dänischer Staatsangehörigkeit ausgewiesen. Nach den Bestimmungen der Gravensteiner Konferenz 1898 konnten Optanten ebenso wie Geburtsdänen und andere Ausländer ausgewiesen werden, wenn sie u. a. an demonstrativen Massenausflügen nach Dänemark teilgenommen hatten.11 Die Optanten waren Schleswig-Holsteiner, die aufgrund des Artikels 19 des Wiener Friedens von 1864 von dem Recht Gebrauch gemacht hatten, innerhalb von sechs Jahren für Dänemark zu optieren. Sie sollten dann eigentlich endgültig nach Dänemark übersiedeln und ihre Familie und bewegliche Habe mitnehmen. Diese Bestimmungen wurden aber von den preußischen Behörden insofern milder gehandhabt, als man die Übersiedlung nicht forderte. Nach Einführung der Wehrpflicht in den Herzogtümern, besonders zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges, traten viele Wehrpflichtige nach Dänemark über. Um nach Kriegsende ihre Rückkehr in die Heimat zu ermög­ lichen, hatten Preußen und Dänemark 1872 die sogenannte Apenrader-Erklärung abgeschlossen, in der preußischerseits sogar auf die notwendige Optionserklärung verzichtet wurde. Allerdings sollten die Rückkehr dieser Optanten und ihr Aufenthalt nur unter der Bedingung gestattet werden, dass sie sich nicht an agitatorischen Bestrebungen 9 Engelstoft, Wendt (wie Anm. 6), S. 278 – 280. 10 Troels Fink, Båndene bandt. Forbindelsen over Kongeåen 1864 – 1914, Bd. I, Institut for Grænseregionsforskning, Aabenraa 1999, S. 135 – 154, 194 – 218; Lorenz Rerup, Slesvig og Holsten efter 1830, Danmarkshistorie, Red. Svend Ellehøj, Kristof Glamann, Kopenhagen 1982, S.  277 – 286. 11 Kai Detlev Sievers, Die Köllerpolitik und ihr Echo in der deutschen Presse 1897 – 1901 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins Bd. 47), Neumünster 1964, S. 46 – 61, 69 – 73.

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b­ eteiligten. Diese Bestimmung war in der Gravensteiner Konferenz auf alle Optanten ausgedehnt worden, das heißt auch auf diejenigen, die innerhalb der sechsjährigen Frist für Dänemark optiert hatten und im Land geblieben waren. Ihnen stand der Schutz gemäß Artikel 19 von 1864 zu.12 Im Mai 1899 wurden in Schleswig neue Maßnahmen gegen die dänischgesinnten getroffen; diesmal ging es um kulturelle Bestrebungen gegen die Dänen, u. a. durch die Förderung der deutschen Presse; darüber hinaus wurden Schuldispensationen verweigert. Im März 1900 wurden weitere Maßnahmen gegen das dänische Kulturleben in Vereinen und Versammlungen und gegen politisch belastete Personen getroffen. Als von Köller im Sommer 1901 von der Provinz Schleswig-Holstein nach Straßburg wechselte, hatte sich die politische Situation in Nordschleswig keineswegs verbessert, sondern eher verschlechtert. Nach den Jahren des schweren politischen Drucks bahnte sich für die dänisch Gesinnten allmählich eine gewisse Erleichterung der Verhältnisse an.13 Die dänische Regierung bemühte sich, die Optanten-Frage zu lösen. Mit Unterstützung von H. P. Hanssen wurden Verhandlungen mit Deutschland aufgenommen. Das Ergebnis lag in Form einer Konvention von 11. Januar 1907 vor. Der Vertrag wurde von der deutschen Seite als vorteilhaft für Dänemark betrachtet, verschaffte aber nicht die erhoffte Beruhigung unter der dänischen Minderheit in Nordschleswig und in Dänemark.14 Im Jahr 1909 bereitete die preußische Regierung eine verschärfte Regierungsweise und Assimilierungspolitik in Nordschleswig vor. Die Ausweisungen wurden wieder aufgenommen. Zudem wurden etwa 200 dänische Bauernhöfe von deutschen Kolonisten gezielt aufgekauft. Als Gegenmaßnahme gründeten die Dänen in Nordschleswig einen Kreditverein (dän. Kreditforeningen), und 1913 folgte ein Verein (dän. Landeværnet), um dänische Höfe in dänischen Händen zu halten. Das deutsch-dänische Verhältnis war 1914, im Jubiläumsjahr des Krieges von 1864, gespannt wie nie zuvor.15

2. Aktualisierung der Grenzfrage Beim Ausbruch des E ­ rsten Weltkriegs erklärte sich Dänemark wie Norwegen und Schweden für neutral, und eine Sammlungsregierung der vier politischen Parteien wurde gebildet. Dänische Friedensbemühungen und Vermittlungsversuche z­ wischen den kriegführenden Mächten bis zum Kriegseintritt Italiens 1915 wurden u. a. von dem bekannten H. N. Andersen, Gründer und Direktor der Ostasiatischen Kompagnie, mit Unterstützung von Außenminister Erik Scavenius, Diplomaten sowie König Christian X. unternommen, auch um eine sicherheitspolitische Verschärfung und Eskalation der gefährliche Lage zu 12 Ebd., S.  79 – 87, 130 – 135. 13 Ebd., S.  136 – 156, 161 – 165. 14 Troels Fink, Båndene bandt. Forbindelsen over Kongeåen 1864 – 1914, Bd. II , Institut for Grænseregionsforskning, Aabenraa 1978, S. 44 – 67. 15 Fink (wie Anm. 14), S. 240 – 251, 270 – 277; Rerup (wie Anm. 10), S. 292 – 295.

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vermeiden.16 In der zweiten Hälfte des Monats Januar 1918 am Ende des Krieges wurden diese Vermittlungspläne wieder aufgenommen. Diesmal wandte sich König Christian X. persönlich an den englischen König und den deutschen K ­ aiser, hatte aber bei König Georg 17 in London keinen Erfolg. Während des Krieges wurde die Schleswig-Frage nicht vergessen. Die dänische Regierung verfolgte aufmerksam die schwierige Situation südlich der Grenze, wagte es aber nicht, eine konkrete Lösung im Hinblick auf Nordschleswig vorzuschlagen. Eine Initiative gegenüber Deutschland wurde als gefährlich betrachtet, denn gelang eine Einigung mit dem Kaiserreich, konnte Dänemark im Falle einer eventuellen deutschen Niederlage als „Vasall“ bestraft werden. Strebte die dänische Regierung andererseits zu früh eine Lösung für Schleswig mit den Entente-Mächten an, drohte dies dazu zu führen, dass man mit weniger Landgebieten als gewünscht abgespeist würde.18 Im Herbst 1918 wurden das Kaiserreich und dessen Alliierte mit Österreich-Ungarn an der Spitze an allen Fronten zurückgedrängt. Die Ereignisse entwickelten sich besonders rasant ab September an der westlichen Kriegsfront. Bulgarien kapitulierte, und in Deutschland kam es zu einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise. Anfang Oktober 1918 wurden nach Forderungen der Deutschen Heeresleitung Waffenstillstandsverhandlungen aufgenommen.19 Als eine deutsche Niederlage sich abzeichnete, wurden in Dänemark alte national­liberale Gesichtspunkte wieder ins Leben gerufen, die eine Übernahme von Schleswig bis zum alten Grenzfluss Eider ins Auge fassten. Diese „neue Eider-Dänen“, u. a. der bekannte Historiker Vilhelm la Cour, agitierten stark dafür, ganz Schleswig an Dänemark anzugliedern, und versuchten Einfluss bei den Alliierten zu gewinnen. Andere wollten sogar eine zukünftige Grenze etwas weiter südlich beim Kieler Kanal (Nord-Ostsee-Kanal), an dem Dänemark als einer der internationalen Garanten beteiligt war, und sahen eine zukünftige große deutsche Minderheit weniger als Problem an. Die dänische Sammlungsregierung war über diese weitreichenden territorialen Forderungen bis zur Eider oder zum Kieler Kanal beunruhigt, auch weil die Presse diese Gesichtspunkte verbreitete. Dazu kam, dass eine große deutsche Minderheit in diesen Gebieten zukünftig Unruhe mit sich bringen konnte. Am 17. Oktober trafen sich die Politiker in der Sammlungsregierung intern, konnten sich aber über eine öffentliche Erklärung an die dänische Bevölkerung nicht einigen. In der konservativen Partei und unter den Liberalen argumentierten einige mit der vorherrschenden Stimmung in der Bevölkerung und wollten sich noch 16 Wilhelm Ernst Winterhager, Mission für den Frieden. Europäische Mächtepolitik und dänische Friedensvermittlung im 1. Weltkrieg vom August 1914 bis zum Italienischen Kriegseintritt Mai 1915 (Quellen und Studien zu den Friedensbemühungen des 1. Weltkrieges, Bd. 5), Stuttgart 1984. 17 Indenrigsminister Ove Rodes Dagbøger 1914 – 1918, hg. Tage Kaarsted (Skrifter udgivet af Jysk Selskab for historie 29), Aarhus 1972, S. 188. 18 Indenrigsminister Ove Rodes Dagbøger (wie Anm. 17), S. 189 – 190, 192 – 197. 19 Siehe u. a. Schwensen (wie Anm. 4), S. 205 – 206.

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Abb. 1: Hans Peter Hanssen (1862 – 1936) von Nørremølle bei Satrup in Sundewitt war dänischer Reichstagsabgeordneter in Berlin von 1906 und der markante Architekt der nordschleswigschen Vereinigung mit Dänemark 1918 – 1920. Foto von 1900. Arkivet ved Dansk Centralbibliothek for Sydslesvig.

nicht in der Grenzfrage endgültig festlegen. Nach weiteren Diskussionen in den einzelnen politischen Parteien in den folgenden zwei Tagen wurde Einigkeit in der Frage einer zukünftigen Grenze nach klaren Nationalitätskriterien erreicht. Die Initiative sollte am besten von den Dänen in Nordschleswig selbst ergriffen werden, und nur wo Dänen die Mehrheit innehatten, war man bereit, diese Gebiete zu übernehmen. Die Zustimmung zu dieser Auffassung bedeutete eine feste und legitime Grundlage bei den kommenden Verhandlungen und sollte sicherheitspolitisch zukünftige Konflikte mit Deutschland verhindern.20 König Christian X. hatte hingegen auf weitere Gebietsteile Schleswigs gehofft; er klagte über die Einberufung der internen Regierungssitzung und zeigte sich gegenüber dem Ministerpräsidenten Zahle enttäuscht.21 Die konkrete Initiative in der Schleswig-Frage ergriff letztendlich der dänische Reichstagsabgeordnete H. P. Hanssen in Berlin. Er war als Vertreter der dänischen Minderheit in Nordschleswig über die Entwicklung im Kaiserreich bestens informiert, und als die Ereignisse sich nach dem 4. Oktober 1918 überschlugen, wurde es möglich, die nordschleswigsche Grenzfrage nach vorne zu bringen. H. P. Hanssen sprach mit mehreren einflussreichen Politikern, darunter mehrere Sozialdemokraten. Bei der Vorbereitung der Argumente zur Zukunft Nordschleswigs ließ er nach dem 4. Oktober Teile seines Archivs mit Akten und Briefen nach Berlin bringen.22 20 Indenrigsminister Ove Rodes Dagbøger (wie Anm. 17), S. 191 – 197; Tage Kaarsted, Påskekrisen 1920 (Jysk Selskab for historie 23), Aarhus 21969, S.  32 – 34. 21 Indenrigsminister Ove Rodes Dagbøger (wie Anm. 17), S. 201 – 202. 22 Axel Linvald, Brevskriveren, in: Bogen om H. P. Hanssen skrevet af hans venner, Red. H. Lausten-Thomsen, Kopenhagen 1948, S. 145 – 170, hier S. 146 – 148. Zu H. P. Hanssen siehe Hans Schultz Hansen, Genforeningens arkitekt: H. P. Hanssen 1914 – 1936 (Historisk Samfund for Sønderylland), Aabenraa 2020.

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Das Programm des Präsidenten der Vereinigten Staaten Woodrow Wilson vom Januar 1918 über eine demokratische Neuordnung Europas mit 14 Punkten und mit besonderer Hervorhebung der Selbstbestimmungsrechte der Völker wurde von der neuen deutschen parlamentarischen Regierung dem Waffenstillstandsbegehren an die Alliierten zugrunde gelegt. Dies lag interessanterweise vom dänischen Gesichtspunkt auf derselben Ebene wie Artikel fünf von 1866 über eine zukünftige Volksabstimmung in den nördlichen Distrikten Schleswigs, jene Bestimmung, die Otto von Bismarck 1878 aufgehoben hatte.23 H. P. Hanssen strebte eine Lösung der Nordschleswigschen Frage durch eine Volksabstimmung an. Für diesen Wunsch sollte sich die dänische Regierung auf einer sich anbahnenden Friedenskonferenz ernsthaft und solide einsetzen. Am 5. Oktober 1918 beantragte er im deutschen Außenministerium eine Lösung der Nordschleswigschen Frage im Sinne des Friedensprogramms von Präsident Wilson, und etwa eine Woche s­ päter traf er sich in Flensburg mit dem Kontrollrat (dän. „Tilsynsråd“) des dänischen Wählervereins. Hanssen fand dabei große und mehrheitliche Unterstützung für eine zukünftige Grenze nördlich von Flensburg (die Krusau-Höjer-Linie) auf der Grundlage der minutiösen sprachlichen Ortsuntersuchungen von H. V. Clausen von 1891.24 Das dänische Mitglied des preußischen Landtages Hans D. Kloppenborg Skrumsager gelang eine schwierige Reise nach Kopenhagen über die geschlossene und bewachte Ländergrenze, wo er die Regierung über die Stellungnahme des Wählervereins informieren konnte.25 Am 23. Oktober forderte H. P. Hanssen im Deutschen Reichstag mit Verweis auf Artikel fünf von 1866 eine Lösung der nordschleswigschen Grenzfrage auf der Grundlage der Selbstbestimmungsrechte der Völker. Eine juristische Forderung, die sich auf besagten Artikel fünf stützte, wurde zwar am folgenden Tag von deutscher Seite abgewiesen und nicht angenommen, aber inoffiziell wurde H. P. Hanssen mitgeteilt, dass die grundlegenden Gesichtspunkte des Wilson-­Programms auch für Nordschleswig gelten sollten.26 In Kopenhagen wurde die dänische Regierung nach übermittelten Informationen vom Geschichtsprofessor Aage Friis, einem Kontaktmann von H. P. Hanssen, über die historische Chance, die Nordschleswigsche Frage zu lösen, informiert. Die Regierungsmitglieder waren sich im Klaren darüber, dass Hanssen die Initiative ergreifen wollte, kannten aber allem Anschein nach nicht das konkrete Datum. Sowohl im dänischen Folketing als auch im Landsting herrschte zu dieser Zeit nach weiteren Diskussionen bald Einigkeit unter den Parteien hinsichtlich einer plebiszitären Lösung der Grenzfrage (Reichstag-Resolution). Die deutsche Regierung wollte aber keine bilaterale Lösung der deutsch-dänischen Grenzfrage. Die angespannten innenpolitischen Verhältnisse spielten dabei eine ausschlaggebende Rolle, und im Monat November kam es zur Revolution und Abdankung des Kaisers. Am 23 Troels Fink (wie Anm. 4), Bd. I, S. 10 – 11; Schwensen (wie Anm. 4), S. 206. 24 Siehe u. a. Henrik Becker-Christensen, Den nye grænse, in: Grænsen 75 år 1920 – 1995, Institut for grænseregionsforskning, Aabenraa 1995, S. 24 – 43, hier S. 26. 25 Indenrigsminister Ove Rodes Dagbøger (wie Anm. 17), S. 193. 26 Fink (wie Anm. 4), Bd. I, S. 11 – 15.

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14. November erhielt Hanssen offiziell eine schriftliche deutsche Regierungsbestätigung, dass die nordschleswigsche Grenzfrage eine Lösung auf einer kommenden Friedenskonferenz finden sollte.27 Am 16. und 17. November 1918 tagte der Kontrollrat (dän. Tilsynsråd) des Wählervereins im Folkehjem in Apenrade. H. P. Hanssen und die Delegierten waren sich einig, dass Nordschleswig en bloc abstimmen sollte. Nordschleswig sollte als Gebiet nördlich einer Linie südlich von Tondern und nördlich von Flensburg verstanden werden. Alle Frauen und Männer über 20 Jahre, die in Nordschleswig geboren und ansässig waren oder hier mindestens zehn Jahre gelebt hatten und eventuell ausgewiesen worden waren, sollten Stimmrecht erhalten. Die freie Stimmrechtsausübung sollte als Prinzip abgesichert werden. Die Teilnehmer sahen es als natürlich an, dass die angrenzenden Distrikte im mittleren Schleswig nach Wunsch auch ein Recht zur Abstimmung bekommen sollten, „ob sie an Dänemark zurückkommen möchten.“ Der letzte Punkt kam mittelschleswigschen Gesichtspunkten, die angefangen hatten, sich geltend zu machen, entgegen. Die Resolution von Apenrade kombinierte auf diese Weise zwei unterschiedliche Prinzipien im Hinblick auf eine Volksabstimmung. In Nordschleswig sollte die Abstimmung eine Grenze bestätigen, die schon vorher festgelegt war. In Mittelschleswig konnte die Volksabstimmung möglicherweise eine weiter südlich gelegene deutsch-dänische Grenze definieren, insofern eine dänische Mehrheit bei der Abstimmung in den angrenzenden Distrikten erreicht wurde.28 Die Verhandlungen in Folkehjem kulminierten mit einem großen öffentlichen Zusammentreffen mit etwa 3000 Teilnehmern. H. P. Hanssen hielt eine sehr emotionale Rede, die wohl berühmteste Rede seines Lebens. Wenige Tage ­später überreichte er die angenommenen und bestätigten Bestimmungen an den dänischen Gesandten in Berlin zusammen mit dem Brief der deutschen Regierung vom 14. November. Die dänische Regierung hatte somit eine solide und fundierte Grundlage, um sich an die Alliierten zu wenden. Dies geschah, und die Schleswigsche Frage wurde in die Tagesordnung der kommenden Friedenskonferenz aufgenommen.29 Anfang Dezember 1918 kam H. P. Hanssen nach Kopenhagen und traf sich mit Teilen der Regierung. Die sich verschlechternden Verhältnisse in Deutschland wurden diskutiert und die Bildung einer Kommission zur Vorbereitung der Wiedervereinigung mit den nördlichen Gebieten in Schleswig beschlossen. Die Kommission sollte als Verbindungsglied zu der Schleswigschen Kommission (siehe unten) wirken, Informationen einsammeln und viele vorläufige und endgültige verwaltungsmäßige Bestimmungen vorbereiten. Am Abend des 4. Dezember fand eine Festlichkeit zu Ehren von H. P. Hanssen in Anwesenheit von mehreren Ministern, Politikern und Kulturpersönlichkeiten, etwa 50 Personen, statt. In einer klugen und kraftvollen Dankesrede betonte Hanssen die von den dänischen Schleswigern vorgeschlagene Grenze, die uns „eine Dänemark-Karte geben werde, wo alles 27 Ebd., Bd. I, S. 16 – 27; Becker-Christensen (wie Anm. 24), S. 27. 28 Fink (wie Anm. 4), Bd. I, S. 67 – 70. 29 Ebd., Bd. I, S. 71 – 78.

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Dänische wieder unser ist“ (dän.: „et Danmarks kort, hvor alt dansk igen er vort“). Seine Rede wurde am selben Abend stenographisch aufgezeichnet und veröffentlicht, auch um die beginnende Agitation in Mittelschleswig einzudämmen.30

3. Eine Abstimmungslösung in zwei Zonen setzt sich durch Die Lösung der Nordschleswigschen Frage, die H. P. Hanssen, der Wählerverein und die dänische Regierung anstrebten, wurde nicht von allem Dänen angenommen. Denn früh existierten wie oben erwähnt Kreise, die sich mit Nachdruck für andere Lösungen einsetzten. Im Winter 1918 – 1919 bildeten sich drei Gruppierungen mit unterschiedlichen Positionen zum Prinzip der Selbstbestimmungsrechte der Völker heraus. Die Danewerk-Bewegung mit Unterstützung von früheren Eider- und Kieler-Kanal-Anhängern forderte eine Grenze entlang des alten historischen Grenzwalls in Südschleswig, von der Mündung der Schlei südlich der Stadt Schleswig und das Danewerk entlang und weiter bis ins Wattenmeer südlich von Husum. Dieser Bewegung fehlte aber gewissermaßen politischer Einfluss. Umso mehr arbeiteten die Anhänger, um die öffentliche Meinung für ihre Gesichtspunkte zu gewinnen. Die Danewerk-Bewegung hoffte, dass die Alliierten Dänemark einen wesentlichen größeren Teil von Schleswig zustehen wollten, als die Kopenhagener Reichstags­ resolution und die Resolution von Apenrade festlegten.31 Eine andere aktive Bewegung war die sogenannte „Flensburger-Bewegung“, die sich zu einer breiten Volksbewegung sowohl in Dänemark als auch in Nordschleswig entwickelte. Unter anderem mit dem Historiker Vilhelm la Cour als starkem Fürsprecher (er war früher Anhänger einer Grenze bei Eider oder dem Danewerk) nahm sie ihren Ausgangspunkt im Selbstbestimmungsrecht, argumentierte aber gleichzeitig mit der alten historischen Zugehörigkeit der Stadt Flensburg zu Dänemark und der dänischen Mehrheit unter den ­Bürgern im Jahr 1867. Am 18. November 1918, dem Tag nach der Zusammenkunft in Apenrade, wurde in Flensburg ein mittelschleswigscher Ausschuss gegründet. Trotz heftiger deutscher Reaktionen konnte die neue Gründung in kurzer Zeit 3401 Unterschriften in der Stadt und 876 auf dem platten Land westlich von Flensburg als Unterstützung für ein Gesuch an die dänische Regierung sammeln, um für eine Volksabstimmung in Distrikten zu arbeiten. Die Bewegung bekam mit der Zeit ein deutlicher markiertes Profil. Das Hauptziel war ab Januar 1919, bei einer Volksabstimmung Flensburg unter allen Umständen für Dänemark zu sichern.32 Die dritte Bewegung hinsichtlich der Grenzfrage wurde von den Apenradener Anhängern gestellt. Sie hielten an der Resolution von Apenrade fest und wollten eine Grenze nördlich von Flensburg und südlich von Tondern. Der natürliche und charismatische Leiter 30 Indenrigsminister Ove Rodes Dagbøger (wie Anm. 17), S. 213 – 215; Fink (wie Anm. 4), Bd. I, S.  127 – 134. 31 Schultz Hansen (wie Anm. 1), S. 36. 32 Ebd., S.  36 – 37.

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war H. P. Hanssen. In Dänemark wurden die Gesichtspunkte dieser Bewegung von der Partei der radikalen Linken, der Sozialdemokratie sowie von einer Mehrheit innerhalb der liberalen Partei („Venstre“) unterstützt.33 Mit den neuen Bewegungen, der Danewerk- und der Flensburger-Bewegung, wurde eine gemeinsame dänische Front in der Grenzfrage aufgelöst und zunichte gemacht. Ein Vermittlungsversuch z­ wischen Apenradener und FlensburgerAnhängern im Januar 1919 an der Volkshochschule in Askov endete ohne Ergebnisse, und die Gegensätze setzten sich erbittert weiter fort. Hanssen wurde im Juni 1919 zum Minister in der Regierung Zahle ernannt, um die Wiedervereinigung von Nordschleswig mit Dänemark durch eine Volksabstimmung vorzubereiten. Dies wurde von der Opposition stark kritisiert. Die Arbeit im Kontrollrat des Wählervereins wurde im Juli 1919 wegen unterschiedlicher Meinungen gesprengt und erst im Oktober wieder reorganisiert, auch wegen vieler neuer Mitglieder in Mittelschleswig.34 Auf deutscher Seite wurde am 31. Oktober 1918 in Flensburg ein Verein („Der Deutsche Ausschuss für das Herzogtum Schleswig“) gegründet, um den dänischen Bemühungen entgegenzuwirken. Interne Auseinandersetzungen führten aber zu unrealistischen politischen Standpunkten hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechtes und lähmten in der Realität die Arbeit des Vereins bis zum Frühsommer 1919, gefolgt von einer weiteren Schwäche als Folge separatistischer schleswig-holsteinischer Gesichtspunkte.35 Am 18. Januar 1919 wurde die Friedenskonferenz in Paris eröffnet und beschäftigte sich drei Tage s­päter erstmals mit der Nordschleswigschen Frage. Eine kombinierte belgischschleswigsche Kommission unter Leitung des Franzosen André Tardieu wurde gebildet. Am 6. März trat eine dänische-schleswigsche Delegation inkl. H. P. Hanssen mit der Kommission zusammen und präsentierte ihre Hauptgesichtspunkte. Die wichtigsten Entscheidungen waren aber möglicherweise schon vorher getroffen worden. Die Kommission entschloss sich, den Vorschlag der Apenradener-Resolution hinsichtlich der Südgrenze als En-bloc-Abstimmung vorzunehmen. Die Abstimmung in den Distrikten sollte aber bis zur Linie Kappel-Tönning inkl. der Halbinsel Eiderstedt erweitert werden. Weiterhin beschloss die Kommission, dass die Abstimmung von einer internationalen Kommission überwacht werden sollte. Neben alliierten Repräsentanten sollten auch norwegische und schwedische Mitglieder aufgenommen werden.36 Die Friedensbedingungen wurden am 7. Mai 1919 veröffentlicht. Was Schleswig betraf, wurden die dänischen Wünsche nach einer gemeinsamen Abstimmung in Nordschleswig (Zone 1) sowie einer Abstimmung in den Distrikten der angrenzenden Gebiete (Zone 2) angenommen. Neu und überraschend war, dass der Friedensvorschlag auch eine dritte 33 Ebd., S. 37. 34 Fink (wie Anm. 4), Bd. I, S. 135 – 141, 149, Bd. II S.  56 – 66, 112 – 120. 35 Frank Lubowitz, Der Deutsche Ausschuss für das Herzogtum Schleswig, in: Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg, 7 – 9, Juli–September 2020, S. 161 – 167. 36 Fink (wie Anm. 4), Bd. I, S. 181 – 191, 192 – 199, 200 – 208.

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Zone beinhaltete, mit der Schlei, dem Danewerk und Tönning als Südgrenze. Letzteres war aber gegen die Lösung, die von einer breiten politischen Mehrheit in Dänemark und unter den dänisch Gesinnten in Nordschleswig angestrebt wurde, und gegen das, was von der dänisch-schleswigschen Delegation präsentiert worden war. In Kopenhagen gab es eine Mehrheit, von einer dritten Zone Abstand zu nehmen, und wenige Tage ­später wurde offiziell die Kritik an d ­ iesem Vorschlag auf der Friedenskonferenz erörtert. Am 14. Juni wurde der Vorschlag hinsichtlich einer dritten Zone fallen gelassen und zwei Tage s­ päter die Entscheidung über eine Volksabstimmung in zwei Zonen bestätigt. Deutsche Gegenvorschläge weckten keine Aufmerksamkeit und konnten sich nicht durchsetzen. Um eine Wiederaufnahme des Krieges zu verhindern, unterzeichnete die deutsche Regierung unter Protest am 28. Juni 1919 die vorgelegten Friedensbedingungen.37 Als Vorbereitung für die Volksabstimmungen in Nordschleswig wurde von deutscher Seite im August der „Schleswig-Holsteiner Bund“ gegründet. Diese Organisation umfasste die ganze Provinz und erreichte schon im Monat November 20.000 Mitglieder. Das Hauptziel war es, die Länder- und Volksteile, die mit Unrecht und Gewalt an Dänemark gelangt waren, zu befreien. Weiter wollte der Bund sich für eine Revision des Friedensvertrags im Hinblick auf ein echtes und wahres Selbstbestimmungsrecht der Völker einsetzen und eine Selbstverwaltung sichern, die zur berechtigten schleswig-holsteinischen Eigenart passe. Endlich sollte das besondere Schleswig-Holsteinische aufrechterhalten und vertieft werden. Somit wurde im Abstimmungskampf eine schleswig-holsteinische Bewegung mit einem reichen Bündel von historischen Argumenten lanciert. Auch die deutschen Sozialdemokraten nahmen am Abstimmungskampf aktiv teil. Der preußische Staatskommissar Adolf Köster, der im Monat April 1919 ernannt und bis Januar 1920 tätig war, entfaltete mit Sitz in Flensburg energische Bestrebungen, um die deutsch Gesinnten in der Zeit vor den Volksabstimmungen zu stärken.38 Auf dänischer Seite führte die Veröffentlichung der endgültigen Friedensbedingungen zu heftigen Kontroversen. Die Danewerk-Bewegung und auch der „Mittelschleswigsche Ausschuss“ weigerten sich anzuerkennen, dass ihre Sache verloren war. H. P. Hanssen wurde beschuldigt, als Minister einen deutsch-freundlichen Kurs zu führen, und Gruppierungen im Wählerverein und deren Kontrollrat versuchten über diplomatische Kanäle erfolglos, die Bestimmungen im Friedensvertrag zu Schleswig zu ändern.39

4. Volksabstimmung unter internationaler Beobachtung Der Friedensvertrag von Versailles legte fest, dass eine internationale Kommission mit fünf Mitgliedern die Volksabstimmung in Nordschleswig überwachen sollte. Der offizielle Name der Kommission war „Commission Internationale de Surveillance du Plébiscite Slesvig“ 37 Ebd., Bd. II, S.  11 – 22, 23 – 32, 33 – 48, 49 – 55, 78 – 92, 93 – 98, 99 – 111. 38 Schwensen (wie Anm. 4), S. 209 – 210. 39 Ebd., S. 210.

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(gekürzt CIS). Der englische Botschafter Sir Charles Marling wurde Vorsitzender und die übrigen Mitglieder waren der französische Botschafter und Autor Paul Claudel, der norwegische Telegrafendirektor Thomas Heftye und der schwedische Amtmann Oscar von Sydow. Ein amerikanisches Mitglied wurde aufgrund der Weigerung des US-Kongresses, den Vertrag von Versailles zu ratifizieren, nie ernannt. Sowohl Claudel als auch Heftye waren beide ausgeprägt dänisch-freundlich eingestellt mit Sympathie für die FlensburgerBewegung, Marling und Sydow nahmen eher neutrale Positionen ein, waren aber offen für die Gesichtspunkte der dänischen Regierung.40 Am 25. Januar 1920 übernahm die internationale Kommission die Kontrolle über das Abstimmungsgebiet mit Sitz im Hotel Flensburger Hof. Deutsches Militär räumte nach Absprache das Gebiet und englische und französische Truppen rückten mit etwa 3000 Mann ein. Die ranghöchsten deutschen Amtleute verließen ihre Amtsposten und das Abstimmungsgebiet. In den Ämtern Hadersleben, Apenrade, Sonderburg und Tondern traten kommissarische dänische Amtleute an. Der Oberbürgermeister und der Amtmann von Flensburg waren beide moderat deutsch gesinnt. Auch die lokalen Polizeileiter wurden ersetzt sowie technische Experten und ein Volksversorgungsrat mit dänischen und deutschen Mitgliedern ernannt. Die CIS gründete außerdem eine eigene Gendarmerie, während die Städte ihre kommunale Polizei beibehielten. Außerdem kontrollierte die CIS die Eisenbahnen, Post und Telegrafen und veröffentlichte insgesamt 14 Briefmarken. Es kann zu Recht gesagt werden, dass sowohl Zone 1 als auch Zone 2 für fünf Monate eine Art „Kleinstaat“ bildeten. Die CIS-Mitglieder vermochten es, dänische und deutsche Ratgeber an sich zu binden, und bereiteten trotz Kritik nach bestem Willen die Grundlagen für die kommenden Volksabstimmungen vor.41 Die Abstimmung in Zone 1 wurde auf den 10. Februar 1920 und in Zone 2 auf den 14. März festgelegt. Gemeinsam mit den lokalen Behörden und Ausschüssen wurden in beiden Wahlzonen energische Aktivitäten entfaltet, um die Stimmberechtigten festzulegen und zu informieren. Stimmberechtigt war jeder, der bei der Ratifikation des Friedensschlusses 20 Jahre alt war und aus dem Wahlgebiet stammte oder seit dem 1. Januar 1900 seinen festen Wohnsitz dort gehabt hatte und danach von den deutschen Behörden mit Verlust des Wohnsitzes ausgewiesen worden war. Die Stimmabgabe sollte in den Heimatkommunen der jeweiligen Wahlberechtigten stattfinden. Es wurden großen Anstrengungen sowohl von dänischer als auch von deutscher Seite unternommen, um möglichst sämtliche Wahlberechtigten aufzuspüren; unter anderem wurden Reisen mit Zug und Schiff für auswärtige Stimmberechtigte vorbereitet.42 Sowohl die dänische als auch die deutsche Seite agitierte eifrig für die Abstimmung. Im Großen und Ganzen verlief der Abstimmungskampf nach modernem Muster mit einem massiven Einsatz einer breiten Palette an Propagandamitteln. Mit Hilfe u. a. von Flugblättern, Plakaten, Zeitungen und Zeitschriften sowie in Liedtexten und mit Karikaturen 40 Kaarsted (wie Anm. 20), S. 40 – 47; Fink (wie Anm. 4), Bd. II, S.  163 – 170, 85 – 190. 41 Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S.  12 – 18; Schwensen (wie Anm. 4), S. 212 – 214. 42 Schwensen (wie Anm. 4), S. 215.

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wurden nationale und identitätsstiftende Symbole verwendet. Bei Versammlungen und Demonstrationen wurde die nationale Zugehörigkeit demonstrativ durch das Zeigen der nationalen Flaggen zum Ausdruck gebracht.43 Während des Abstimmungskampfes in Zone 1 hielten sich sowohl Dänen als auch Deutsche jeder für sich. Es war deutlich, dass jeder wusste, zu welchem Lager er oder sie gehörte. Am Tag der Abstimmung am 10. Februar 1920 lagen in den Wahlräumen Stimmzetteln mit „Danmark Dänemark“ und „Deutschland Tyskland“. Von den insgesamt 111.191 Stimmberechtigten gaben 101.652 ihre Wählerstimme ab, eine Wahlbeteiligung von 91,5 Prozent. Insgesamt 75.431 Personen stimmten für Dänemark (74,9 %) und 25.329 für Deutschland (25,1 %). Die Anzahl der Anreisenden nördlich der Zone betraf 16.638, und 11.069 kamen aus den Gebieten südlich der Zone. Unter Letzteren stimmten etwa 700 für Dänemark, von den aus dem Norden Anreisenden stimmten 125 für Deutschland. Abgesehen von den Gemeinden Tingleben, Udbjerg und Höjer gab es eine dänische Mehrheit in allen Gemeinden auf dem platten Land. Die Städte Apenrade, Sonderburg und Tondern hatten als die einzigen eine deutsche Mehrheit. Wenn man die Wählerstimmen der Anreisenden in den zwei ersten Städten außen vor lässt, war die Beteiligung hier ungefähr gleich groß.44 Zone 1 hatte somit mit klarer Mehrheit für die Zugehörigkeit zu Dänemark abgestimmt. Die Abstimmung wurde aber von der deutschen Seite am folgenden Tag angefochten, vielleicht auch als Vorbereitung für den nächsten Abstimmungskampf in Zone 2. Johannes Tiedje, der Fachexperte zu Schleswig im deutschen Außenministerium, argumentierte für eine Regulierung der Südgrenze in Zone 1 mit einem Verlauf nördlich von Höjer, Tondern, Ravsted, Tingleben und Rinkenæs – die sogenannte Tiedje-Linie. In ­diesem Gebiet gab es gesamt eine kleine deutsche Mehrheit, auch wenn die Stimmen der Anreisenden nicht mitgezählt wurden. Die starke deutsche Agitation für die Tiedje-Linie hatte aber letztendlich keinen Einfluss auf den Verlauf der Grenze.45 Am 14. März 1920 wurde in Zone 2 abgestimmt. Auch hier gab es eine hohe Wahlbeteiligung (91,1 %). Der Abstimmungskampf verlief härter im Vergleich mit Zone 1, u. a. kam es zum „Flaggenkrieg“. Die CIS führte vor ­diesem Hintergrund ein Flaggenverbot in den Tagen vor der Abstimmung ein. Deutsche Proteste veranlassten, dass das Flaggenverbot an öffentlichen Gebäuden und Erdgeschossen anderer Häuser eingeschränkt wurde.46 Es gehört zu der Volksabstimmung in Zone 2, dass ein fehlgeschlagener nationalkonservativer militärischer Staatsputsch, der sogenannte Kapp-Putsch, am 13. März gegen die im November 1919 eingeführte demokratische Verfassung der Weimarer Republik in 43 Adriansen, Doege (wie Anm. 3); Marianne Kristensen, Lisette Juhl Hansen, Afstemningsdagen vil give et tydeligt bevis for, at vi er danske, in: Over Grænser. Festskrift til Hans Schultz Hansen, Red. Peter Hansen, Jørgen Mikkelsen, Leif Hansen Nielsen (Rigsarkivet og Historisk Samfund for Sønderjylland Skrifter nr. 120), Aabenraa 2020, S. 235 – 251. 44 Schwensen (wie Anm. 4), S. 216 – 217; Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S.  19 – 26; Rerup (wie Anm. 10), S. 338 – 339. 45 Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S.  47 – 54; Schwensen (wie Anm. 4), S. 218. 46 Schwensen (wie Anm. 4), S. 217; Rerup (wie Anm. 10), S. 339 – 344.

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Abb. 2: Abstimmungsergebnis 1920 in Schleswig © Bennet Schulte nach Alexander Scharff, Geschichte Schleswig-Holsteins, S. 90 – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia. org/w/index.php?​curid=7192317.

Berlin unternommen wurde. Die legitime Regierung und die Fachvereine trafen eine Entscheidung, wonach ein Generalstreik mit Wirkung ab dem folgenden Tag in Kraft treten sollte. Dies umfasste auch den regionalen Eisenbahnverkehr mit dem Ergebnis, dass Reisende nach Flensburg am 14. März nicht ankamen. Die Anzahl der nicht angekommenen Stimmberechtigten war allem Anschein nach gering, auch dank des Einsatzes und der Bemühungen von Adolf Köster.47 Das Abstimmungsergebnis in Zone 2 wurde wie vorausgesehen eine tiefe Enttäuschung für die dänisch Gesinnten, veranlasste aber große Freude und Jubel unter den deutsch Gesinnten. Insgesamt wurden 12.800 Stimmen für Dänemark abgegeben (18,8 %) und 51.724 für Deutschland (80,2 %). In der Stadt Flensburg wurden 8944 Stimmen für Dänemark abgegeben (24,8 %) und 27.081 für Deutschland. Eine dänische Mehrheit gab es nur in drei kleinen Gemeinden an der Westseite der Insel Föhr. Auf dem Festland gab es keine Gemeinden mit Mehrheit für Dänemark, überall zeigte sich eine markante Zustimmung für die Zugehörigkeit zu Deutschland.48 47 Wolfgang Niess, Die Revolution von 1918/19. Der wahre Beginn unserer Demokratie, Berlin, München, Zürich, Wien 2017, S. 421 – 426; Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S. 37. 48 Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S. 39, 40 – 46; Rerup (wie Anm. 10), S. 344.

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Die internationale Wahlkommission CIS hatte jetzt die Aufgabe, auf der Grundlage der Wahlergebnisse und unter Beobachtung wirtschaftlicher und geographischer Gesichtspunkte einen abschließenden Vorschlag zur Grenzziehung z­ wischen Dänemark und Deutschland vorzulegen. Von deutscher Seite, aber auch von Anhängern der dänischen Flensburger-Bewegung, wurden Versuche unternommen, die Arbeit der Kommission zu beeinflussen. Am 17. März 1920 sandte Adolf Köster einen umfassenden Vorschlag an sie. Er argumentierte für die Tiedje-Linie als die einzig mögliche zukünftige dänisch-deutsche Grenze. Der Vorschlag beeinflusste die Kommission nur wenig. Zwei ihrer Mitglieder, darunter der englische Vorsitzende Marling, schlugen eine Grenzlinie vor, die im Großen und Ganzen der Clausen-Linie entsprach. Demgegenüber schlugen der Franzose Claudel und der Norweger Heftye eine Grenze vor, die unter geographischen und wirtschaftlichen Aspekten vier mittelschleswigsche Gemeinden einschloss und näher an Flensburg verlief. Die Verhandlungen in der Kommission wurden am 16. April beendet. In letzter Instanz setzte sich in Paris der Vorschlag von Marling und von Sydow mit kleineren Abweichungen durch und bildete die neue zukünftige Grenze ­zwischen Zone 1 und Zone 2.49 Auf dänischer Seite war die Flensburger-Bewegung mit dem Abstimmungsergebnis in Zone 2 nicht zufrieden, und es wurden Pläne für das zukünftige Verbleiben Flensburgs bei Dänemark erarbeitet. Die Regierung Zahle, Minister H. P. Hanssen und die liberale Partei „Venstre“ standen mittlerweile fest auf der Clausen-Linie. Vor ­diesem Hintergrund wurde es unter den Flensburger-Anhängern für notwendig erachtet, die Regierung zu stürzen und gegenüber der internationalen Kommission für eine Internationalisierung von Zone 2 und 3 zu arbeiten in der Hoffnung, bei einer erneuten Volksabstimmung nach 10 bis 15 Jahren Flensburg für Dänemark zu gewinnen.50 Die Ereignisse nahmen in Kopenhagen Fahrt auf und kulminierten in der sogenannten „Oster-Krise“ Aus Platzgründen soll hier nur erwähnt werden, dass König Christian X. von der Danewerk- und Flensburger-Bewegung beeinflusst war. Bei einem Treffen mit Ministerpräsident C. Th. Zahle am 29. März kam es am Ende des Gesprächs dazu, dass der König eigenmächtig die Regierung auflöste. Eine vorläufige Regierung unter Leitung des Höchstrichters Otto Liebe wurde am folgenden Tag gebildet, konnte sich aber u. a. wegen Generalstreikdrohungen der Sozialdemokraten und großer Demonstrationen nicht halten und wurde am 4. April von einer neuen vorläufigen, unpolitischen Regierung unter Leitung von M. P. Friis abgelöst. H. P. Hanssen stand dieser neuen Regierung als Privatperson mit Ratschlägen zur Seite. Bei Neuwahlen im April 1920 bildete Niels Neergaard von der liberalen Partei „Venstre“ eine Minderheitsregierung, unterstützt von der konservativen Partei. Die neue Regierung fuhr in der Grenzfrage einen vorsichtigen Kurs, ohne sich eindeutig festzulegen.51 49 Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S.  105 – 114. 50 Siehe u. a. Schwensen (wie Anm. 4), S. 219. 51 Kaarsted (wie Anm. 20) passim; Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S.  85 – 94, 95 – 104.

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Die offizielle Notifikation der Grenzziehung z­ wischen Dänemark und Deutschland wurde von der Friedenskonferenz in Paris am 15. Juni 1920 an die Regierungen der beiden Staaten verschickt. Am 9. Juli unterzeichnete König Christian X. im dänischen Staatsrat das Gesetz über die Vereinigung der schleswigschen Länderteile mit dem Königreich. Schon in den Monaten Mai und Juni hatten dänische Behörden angefangen, die gesamte Verwaltung zu übernehmen. Dänisches Militär rückte am 5. Mai in die Zone 1 ein, und am 20. Mai wurden das dänische Münzwesen und der dänische Postverkehr eingeführt. Ende Mai begann die Passkontrolle ­zwischen Zone 1 und Zone 2.52 Die Vereinigung Dänemarks mit den nördlichen Teilen Schleswigs war somit vollendet. Am 10. Juli überschritt König Christian X., gefolgt von seinen zwei Söhnen ­Frederik und Knud, die alte deutsch-dänische Grenze von 1864 bei Frederikshöj nördlich von Christiansfeld und reiste weiter nach Hadersleben, Apenrade und Sonderburg. Die königliche Familie nahm am großen Wiedervereinigungsfest auf den Düppeler Schanzen am 11. Juli teil. Unter den Rednern war auch H. P. Hanssen. Seine Feinde von der Flensburger-Bewegung versuchten ihn als Redner zu verhindern, hatten aber letztendlich keinen Erfolg.53

5. Zusammenfassung Vor dem Hintergrund der zwei Schleswigschen Kriege 1848 – 1850 und 1864 ist der nationale Kampf um Schleswig bis zur Festlegung der neuen Staatsgrenze z­ wischen Deutschland und Dänemark im Jahr 1920 ein markantes und zentrales Kapitel in der neueren und modernen Geschichte Dänemarks und Schleswig-Holsteins. Die Grenze nach 1864 verlief entlang der Königsau bei der Stadt Kolding und in einem Bogen südöstlich von Ripen und nördlich von Tondern. Eine mögliche Volksabstimmung über die nationale Zugehörigkeit in den nördlichen Distrikten Nordschleswigs wurde 1866 im Friedensvertrag von Prag ­zwischen Preußen und Österreich festgelegt (Art. 5), aber diese Bestimmung wurde 1878 von Otto von Bismarck mit geheimer Zustimmung Österreichs aufgehoben. Während des ­Ersten Weltkriegs wagte die dänische Regierung nicht, die Schleswig-Frage anzusprechen. Als sich dann aber im Herbst 1918 eine deutsche Niederlage abzeichnete und sich die Ereignisse überschlugen, kamen in Dänemark alte nationalliberale Stimmungen und Träume für eine zukünftige Grenze am Fluss Eider, ja sogar bis zum Kieler Kanal oder entlang des alten Grenzwalls Danewerk auf. Die dänische Regierung und die politischen Parteien setzten sich bald gegen diese weitgehenden Forderungen für eine klare Lösung nach dem Nationalitätenprinzip in Nordschleswig ein, andere plädierten für eine Lösung in der Grenzfrage inklusive Flensburg.

52 Fink (wie Anm. 4), Bd. III, S.  188 – 197. 53 Hans Schultz Hansen, H. P. Hanssen sat i skyggen, in: Genforeningen 100 år 1920 – 2020 (wie Anm. 1), S. 88 – 93; Schwensen (wie Anm. 4), S. 223.

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Das von US-Präsident Woodrow Wilson lancierte 14-Punkte-Programm mit Hervorhebung der Selbstbestimmungsrechte der Völker kam dem Reichstagsabgeordneten H. P. Hanssen als Repräsentant der dänischen Minderheit im Deutschen Reichstag entgegen. Eine Lösung auf der Grundlage der Selbstbestimmungsrechte wurde von der deutschen Regierung positiv aufgenommen und am 14. November 1918 schriftlich bestätigt. H. P. Hanssen und der dänische Wählerverein in Nordschleswig setzten sich auf der Grundlage der Sprach- und Ortsuntersuchungen von H. V. Clausen von 1891 für eine En-bloc-Abstimmung nördlich von Flensburg ein; eine Abstimmung in Distrikten und Gemeinden südlich dieser Linie sollte darüber hinaus auch möglich sein. Die dänische Regierung unterstützte diese Entscheidungen, die eine feste und tragfähige Grundlage für Verhandlungen schufen. Eine Zwei-Zonen-Lösung konnte sich letztendlich auf der Friedenskonferenz in Paris 1919 durchsetzen; eine vorgeschlagene dritte Zone wurde nach dänischem Widerstand zurückgenommen. Eine internationale Kommission (CIS) mit der Aufgabe, die Volksabstimmungen vorzubereiten und zu überwachen, wurde ernannt. Die Volksabstimmungen in Zone 1 und Zone 2 in Nordschleswig wurden am 10. ­Februar und am 14. März 1920 friedlich durchgeführt. Ein deutscher Korrekturvorschlag, die sogenannte Tiedje-Linie, erarbeitet nach der ersten Abstimmung, wurde nicht angenommen. Die von beiden Seiten aktiv geführten nationalen Abstimmungskämpfe vollzogen sich nach modernen Prinzipien. In Zone 1 gab es eine dänische Mehrheit, in Zone 2 hingegen eine deutsche Mehrheit. Die Flensburger-Bewegung suchte energisch, die alte Grenzstadt für Dänemark zu sichern, aber diese Bemühungen, unterstützt von König Christian X., scheiterten letztendlich. Der Vorschlag der internationalen Kommission wurde mit kleineren Veränderungen von der Pariser Friedenskonferenz bestätigt. Die neue Staatsgrenze ­zwischen Dänemark und Deutschland verlief ab Sommer 1920 nördlich von Flensburg bei Krusau und in einer Linie südlich von Höjer und Tondern. Diese Grenze hat sich seither bewährt und stellt seit langem mit der Grenzregion und ihren Minderheiten ein Vorzeige­ modell in Europa dar.54

54 Grænsen i 75 år 1920 – 1995, Red. Henrik Becker-Christensen, Aabenraa 1995; Oliver Auge, Von gesamtstaatlicher Zusammenhörigkeit über nationale Konfrontation und Ausgrenzung zum Modelfall für den Umgang mit Minderheiten: Der deutsch-dänische Grenzraum vom Mittelalter bis zur Gegenwart, in: Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklen­ burg, 7 – 9, Juli–September 2020, S. 122 – 145.

Das Kriegsende 1945 in Dänemark und das künftige Verhältnis Dänemarks zu Deutschland Karl Christian Lammers

1. Kriegsende 1945 Am 5. Mai 1945 hatten bekanntlich die deutschen Truppen, die im April 1940 Dänemark angegriffen und besetzt hatten, kapituliert. Sie ergaben sich den Briten und wurden mit der Zeit nach Deutschland repatriiert. Damit war auch die deutsche Besatzungsherrschaft in Dänemark zu Ende, und das dänische politische System konnte sich mit Parlament (Rigsdagen) und der Bildung der sogenannten Regierung der Befreiung neu etablieren und normalisieren. Am Ende der Okkupation hinterließen die Deutschen aber ein großes Problem: Es befanden sich auch etwa 250.000 Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten im Land, die seit Anfang 1945 nach Dänemark gekommen waren, und deren Rückführung in das nunmehr besetzte Deutschland sollte bis Anfang 1949 andauern. Die Existenz der vielen Flüchtlinge auf dänischem Boden war eine große Belastung für die dänischen Behörden.1 Es ist aber sicherlich den wenigsten geläufig, dass das im April 1940 von Deutschland besetzte Dänemark kurz vor Kriegsende 1945 als verbündete oder alliierte Macht im Krieg gegen Deutschland anerkannt wurde. Die Anerkennung als alliierte Macht war vor allem das Verdienst der dänischen Widerstandsbewegung, deren Widerstandsaktionen gegen die deutsche Besatzungsmacht als Krieg gegen Deutschland bewertet und eingestuft wurden. Als alliierte Macht gehörte Dänemark deshalb auch zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen (UN), die als Weiterführung der antideutschen Kriegsallianz im April 1945 in San Francisco gegründet worden waren. Und als alliierte Macht wurde Dänemark, wie gezeigt werden soll, 1946 vom Rat der alliierten Außenminister eingeladen, seine Friedensforderungen in Bezug auf Deutschland einzureichen.2 Noch bevor dies erfolgen konnte, war Dänemark als alliierte Macht im August 1945 aufgefordert worden, seine Forderungen auf Kriegsentschädigungen (Reparationen) gegen das Deutsche Reich einzureichen. Im Oktober 1945 überreichte die dänische Seite Forderungen auf Entschädigungen, die sich insgesamt auf 11,6 Mrd. Dänische Kronen (D.Kr.) beliefen. Im November 1945 nahm eine dänische Delegation an der Pariser Entschädigungskonferenz teil, die im Januar 1946 eine Abmachung über deutsche Reparationen erzielte. Die Abmachung führte dazu, dass Dänemark bis 1951 insgesamt 225 Mio. D.Kr.

1 Siehe hierzu Thomas Harder, De uønskede, Kopenhagen 2020. 2 Vgl. hierzu Karl Christian Lammers, Hvad skal vi gøre ved tyskerne bagefter? Det dansk-tyske forhold efter 1945, Kopenhagen 2005, S. 42 f.

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an ­Entschädigungen samt Rückerstattung der Kosten für die deutschen Flüchtlinge erhielt. Eine endgültige Regelung in der Reparationsfrage wurde auf eine künftige Friedensregelung mit Deutschland verschoben.3 Bis Kriegsende und bis zum Ende der Okkupation war Deutschland ein Problem für Dänemark gewesen.4 Seit der Niederlage im Krieg gegen Preußen 1864 wurde das mächtige Nachbarland Deutschland als Bedrohung für die Sicherheit und Unabhängigkeit Dänemarks empfunden, und die dänische Außenpolitik passte sich dem an und galt als deutschfreundlich, eben um diese Bedrohung zu unterbinden. Das hatte die Neutralität Dänemarks im ­Ersten Weltkrieg gesichert, reichte allerdings nicht, um den deutschen Angriff vom April 1940 und die nachfolgende Besetzung zu verhindern. Die Niederlage des Deutschen Reiches und der Untergang des deutschen Staates 1945 hatte mittelbar Deutschland als sicherheitspolitisches Problem und militärische Bedrohung Dänemarks eliminiert. Die deutsche Kapitulation schien somit eine Gelegenheit, um an der Lage Dänemarks gegenüber Deutschland vielleicht dauerhaft etwas zu verändern – die Frage war, wie die Dänen mit der neuen Lage umzugehen beabsichtigten. Die dänische Regierung ließ unmittelbar nach der Befreiung verlauten, dass die Grenze zu Deutschland festliege. Man wolle mit anderen Worten nicht die deutsche Niederlage ausnutzen, um, wie von nationalistischen Kreisen in Dänemark gefordert, an der seit 1920 neu etablierten dänisch-deutschen Grenze etwas zu ändern. Von nationalistischer Seite wurde die Rückgewinnung von Teilen Südschleswigs, die nach der Niederlage 1864 abgetreten worden waren, und somit die Verlegung der dänisch-deutschen Grenze nach Süden gefordert. Auch eine überraschende britische Initiative 1946, die anscheinend eine Grenzänderung zugunsten Dänemarks zu ermöglichen schien, wurde von offizieller dänischer Seite abgelehnt, da Dänemark eine ­solche Forderung nicht gestellt habe.5

2. Die dänischen Friedensforderungen Die Frage war nun, wie sich die dänische Regierung das künftige Verhältnis zu Deutschland vorstellte. Und w ­ elche waren die Friedensforderungen der dänischen Regierung in Bezug auf das Deutsche Reich? Obwohl der Hass auf und die Abneigung gegen die Deutschen in der dänischen Öffentlichkeit bei Kriegsende groß waren, herrschte bei der Regierung Pragmatismus und Mäßigung vor, begründet auf der Erkenntnis, dass Deutschland trotz Krieg und Kriegsverbrechen doch zu Europa gehöre und für Europa und seine 3 Vgl. hierzu Julie Lindholm, De danske fredskrav til Tyskland i efterkrigstiden, in: Venskab og fjendskab. Danmark og Tyskland i det 19. og 20. århundrede, hg. v. Rasmus Mariager, Niklas Olsen, Kopenhagen 2018, S. 203 – 227. 4 Vgl. hierzu den einschlägigen Titel der Analyse von Troels Fink, Deutschland als Problem Dänemarks. Die geschichtlichen Voraussetzungen der dänischen Außenpolitik, Flensburg 1968. 5 Vgl. zur Grenzfrage Johan Peter Noack, Det sydslesvigske grænsespørgsmål 1945 – 1947, Apenrade 1991; Lindholm (wie Anm. 3), S. 216.

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­ iederaufrichtung notwendig sei. Deutschland würde auch künftig nächster Nachbar und W wichtig für die Zusammenarbeit in Europa und für den Handelsverkehr Dänemarks sein.6 Wie erwähnt war die dänische Regierung 1946 aufgefordert worden, ihre Friedensforderungen und Friedenswünsche gegenüber Deutschland an die alliierte Außenministerkonferenz, die die Deutschland betreffenden Friedensbedingungen vorbereiten sollte, einzureichen. Die dänische Regierung überreichte folglich in Januar 1947 ihre Friedensforderungen.7 Die wenig bekannten Friedensvorstellungen der dänischen Regierung – die übrigens nie (ernsthaft) seriös vom Rat der Außenminister erörtert und verhandelt wurden – geben allerdings eine gute Vorstellung davon, wie man sich dänischerseits das künftige Deutschland und das dänisch-deutsche Verhältnis in Zukunft vorstellte und wünschte. Deshalb sollen hier diese Vorstellungen genauer präsentiert werden. Einführend gab die Regierung ihre Auffassung kund, dass die zu „lösende Aufgabe darin besteht, auf der einen Seite Sicherheit gegen neue deutsche Angriffskriege zu schaffen und auf der anderen Seite Bedingungen für eine ­solche wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Deutschland zu schaffen, dass dem deutschen Volk die Möglichkeit und die Hoffnung gegeben wird, die deutsche Gesellschaft auf einer gesunden und nachhaltigen demokratischen Grundlage aufzubauen“. Dies sei die Voraussetzung für eine friedliche und fruchtbare politische Entwicklung in Zukunft.8 Die in der zwölf Seiten langen Denkschrift angeführten 22 konkreten Friedensforderungen zielten insgesamt darauf, Deutschland als militärische und sicherheitspolitische Bedrohung für Dänemark zu eliminieren. Deshalb wurden eine völlige Abrüstung Deutschlands und die ständige Ausrottung des Militarismus gefordert, ferner sollte eine militärische Ausbildung der deutschen Jugend unterbunden und der Wiederherstellung einer deutschen Rüstungsindustrie vorgebeugt werden. Die Dänen forderten eine Weiterführung der Entnazifizierung, um zu verhindern, dass ehemalige Nationalsozialisten wieder Einfluss bekommen konnten. Ebenso wurden eine Dezentralisierung Deutschlands und die Einführung bürgerlicher und demokratischer Freiheitsrechte gefordert. Notwendig sei, hieß es, die Sicherung der Rechte der nicht-deutschen Volksgruppen im Deutschen Reich. Eine administrative Trennung ­zwischen Schleswig und Holstein wurde gefordert, um die Stellung und die Rechte der dänisch gesinnten Minderheit in Südschleswig zu sichern. Es wurde ferner die Entfernung der vielen Flüchtlinge aus Südschleswig gefordert und theoretisch erneut das Selbstbestimmungsrecht der dänisch Gesinnten unterstrichen: 6 Lammers (wie Anm. 2), S. 64 f. 7 Memorandum indeholdende Den kgl. Danske regerings Synspunkter med Hensyn til Tysk­ lands fremtidige Ordning, Udenrigsministeriet, København 1947, 12 Seiten, Rigsarkivet RA UM. 6.G.120.c. In Auszügen abgedruckt in: Danmarks udenrigspolitik efter 1945. Kilder til belysning af Danmarks udenrigspolitiske m¨l 1945 – 1970, hg. v. Bertel Heurlin, Kopenhagen 1971, S. 38 – 49. Vgl. hierzu auch Lindholm (wie Anm. 3). Die dänischen Texte sind vom Verfasser übersetzt worden. 8 Memorandum (wie Anm. 7), S. 3; Heurlin (wie Anm. 7), S. 38 – 39.

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„Unter diesen Umständen beabsichtigt die dänische Regierung nicht, Vorschläge über eine Änderung der staatspolitischen Zugehörigkeit Südschleswigs zu stellen. Es muss auf der südschleswigschen Bevölkerung selbst beruhen, inwieweit sie wünscht, die Frage über den Zugang zur Ausübung ihres natürlichen Selbstbestimmungsrechts zu erheben“. Auf dänischer Seite wünschte man sich auch eine Internationalisierung des Nord-Ostsee-Kanals (Kiel Canal). Außerdem forderten die Dänen generell Kriegsentschädigungszahlungen.9 Diese waren, wie erwähnt, bereits separat auf der Pariser Konferenz verhandelt worden. Insgesamt waren dies Forderungen, die weiterhin mit einem Deutschland südlich von Dänemark rechneten, aber doch ein entmilitarisiertes und demokratisches Deutschland voraussetzten. Bekanntlich blieben die Verhandlungen im Alliierten Rat der Außenminister Ende 1947 ohne Ergebnis, da die vier großen Siegermächte sich in der Deutschlandfrage nicht einigen konnten. Der Rat konnte sich folglich nicht auf Friedensbedingungen und einen Friedensvertrag mit dem Deutschen Reich verständigen, weshalb bekanntlich auch kein Frieden mit Deutschland geschlossen wurde. Damit waren aber auch die dänischen Friedenswünsche vom Tisch und erledigt, ohne verhandelt worden zu sein. Welche Möglichkeiten beließ dies der dänischen Regierung, vor allem in Bezug auf ihren Wunsch, die Lage der dänischen Minderheit südlich der Grenze zu verbessern? Die dänische Regierung war nun bestrebt, eine Abmachung über die Lage der seit 1945 stark angewachsenen dänischen Minderheit in Südschleswig mit der für Schleswig-Holstein zuständigen britischen Besatzungsmacht zu erzielen. Das scheiterte allerdings im November 1948, als die Briten die dänischen Wünsche zum Schutz der dänischen Minderheit, u. a. die Trennung Schleswigs von Holstein und die Entfernung der vielen Flüchtlinge aus Südschleswig, ablehnten und es den Dänen nahelegten, eine Regelung über die Stellung und Rechte der dänischen Minderheit mit der Landesregierung des neuen Bundeslandes Schleswig-Holstein auszuhandeln.10

3. Minderheitenfrage und deutsche Wiederaufrüstung Damit wurde die Frage der Stellung und Rechte der dänischen Minderheit zu einer Art Schlüsselfrage in den dänisch-deutschen Beziehungen, die sich seit dem Ende des Kriegszustandes und der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik 1951 normalisiert hatten.11 Obwohl sich die für die dänische Minderheit zuständige schleswig-holsteinische Landesregierung in der Kieler Erklärung von 1949 zum Schutz 9 Zitat Memorandum (wie Anm. 7), S. 6, Heurlin (wie Anm. 7), S. 42; Lindholm (wie Anm. 3), S. 210 f. 10 Vgl. hierzu Karl Christian Lammers, Britische Anweisung zur Befriedung im Grenzland, in: Grenzfriedenshefte, 4, 1998, S. 257 – 272. 11 Allein die Beziehungen zur Bundesrepublik als das anerkannte Deutschland wurden normalisiert, nicht aber zum zweiten deutschen Staat, zur DDR, zu der es keine offiziellen Beziehungen gab, da die DDR nicht anerkannt wurde. Vgl. zu den Beziehungen Dänemarks zur DDR die Analyse bei Lammers (wie Anm. 2), S. 171 f.

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der Rechte der dänischen und friesischen Minderheit verpflichtet hatte, wurde ihr Verhalten gegenüber der Minderheit in der Praxis von den Dänen als Schikane empfunden, und das dänisch-deutsche Verhältnis wurde Anfang der 1950er Jahre von ­diesem Problem erheblich belastet. Auf dänischer Seite kamen aufgrund der deutschen Haltung in der Minderheitenfrage Zweifel an der neuen deutschen Demokratie auf, und eine Meinung lautete, dass die Deutschen unter Demokratie etwas anderes verstünden als die Dänen.12 Die deutsche Einstellung zur Stellung und den Rechten der dänisch gesinnten Minderheit sollte deshalb zur Schlüsselfrage für die künftigen Beziehungen zur Bundesrepublik werden. Diese waren aber nicht zuletzt aufgrund der Politik der schleswig-holsteinischen Landes­ regierung lange sehr schwierig. Es war schließlich die implizite Koppelung der Frage der Stellung der dänischen Minderheit mit der Frage der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik, die 1955 zu einem Durchbruch in den dänisch-deutschen Beziehungen führen sollte.13 Wie angedeutet, hatte Dänemark sich für die Zukunft ein abgerüstetes und entmilitarisiertes demokratisches Deutschland gewünscht, und das war mit der alliierten Besetzung und Kontrolle von Deutschland praktisch erfolgt. Dies war jedoch zeitbedingt. Im Kalten Krieg wurden nun nach der Etablierung der Bundesrepublik Forderungen nach einem westdeutschen Wehrbeitrag und deutscher Wiederaufrüstung lauter. Aufgrund der Geschichte mit Deutschland stand man auf dänischer Seite anfänglich skeptisch zu der amerikanischen Forderung nach einem deutschen Wehrbeitrag. Nachdem die Integration der Bundesrepublik in die European Defence Community (EDC) 1954 gescheitert war, schien ein solcher Beitrag Mitte der 1950er Jahre im Rahmen des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses der NATO möglich zu werden. Um die dänische Haltung in dieser Frage zu erklären und zu verstehen, sollte nicht übersehen werden, dass für Dänemark wie für Norwegen die NATO auch und zuerst als eine Garantie für ihre Sicherheit gegenüber Deutschland und gegenüber einem neuen deutschen Militarismus gesehen wurde. Sollte man sich nun mit dem Feind von gestern – Deutschland – gegen den möglichen Feind von morgen (d. h. die Sowjetunion) verbünden? Die dänische Haltung wurde 1951 vom Außenminister Ole Bjørn Kraft klargestellt: „Die deutsche Beteiligung an der Verteidigung Europas ist eine Sache, deutscher Militarismus eine andere“.14 Die dänische Argumentation lief darauf hinaus, dass eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen der NATO kein Wiederaufleben des deutschen Militarismus bedeute, da man annahm, dass das neue Deutschland mit dem traditionellen Militarismus gebrochen habe und auch nicht militaristisch geworden sei. Kraft fand es natürlich, dass es in Dänemark starke Ressentiments gegen eine Wiederaufrüstung Deutschlands gab, unterstrich aber, dass dänische Bedenken vor der Rücksicht 12 Ebd., S. 113. 13 Ebd., S. 112 f.; Karl Christian Lammers, Zäsuren der bundesrepublikanischen Geschichte aus dänischer Sicht, in: Francia, 38 (2011), S. 279 – 287. 14 Rigsdagstidende 1951/52, Folketinget Sp. 65, zit. nach Lammers (wie Anm. 2), S. 123.

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auf die Notwendigkeit zurückweichen müssten, „jede Möglichkeit auszunutzen, um die Verteidigung Westeuropas und damit auch Dänemarks zu stärken“.15 Dänemark war also mit einer integrierten und kontrollierten Wiederaufrüstung der Bundesrepublik innerhalb der NATO einverstanden. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen im NATO -Rat über die Pariser Verträge im Herbst 1954 verband man auf dänischer Seite die Verhandlungen über einen deutschen NATO -Beitritt indirekt mit dem Wunsch nach einer zwischenstaatlichen Regelung in der Minderheitenfrage, da dies die Beziehungen z­ wischen den beiden künftigen Bündnispartnern verbessern würde. Der dänische Ministerpräsident H. C. Hansen argumentierte demgemäß, „[dass] niemand bezweifeln wird, dass die Rechte einer Minderheit direkt jene Ideale berühren, auf denen die Menschenrechte gründen. Vor d ­ iesem Hintergrund kann die Art und Weise, wie eine Minderheit behandelt wird, durchaus den Charakter eines Symbols zugesprochen werden, eines Symbols für unsere künftige Zusammenarbeit, so wie wir sie uns gern vorstellen.“ Es sei die dänische Erwartung, so sagte Hansen weiter, dass die „Ideale, die der NATO -Zusammenarbeit zugrunde liegen, Deutschland dazu bewegen werden, eine in allen die Minderheit betreffenden Fragen tolerante Politik zur Aufrechterhaltung eines guten, gegenseitigen Verhältnisses zu betreiben“.16 Dass es wichtig war, eine Geste des Entgegenkommens auf deutscher Seite zu zeigen, wurde nicht zuletzt vom ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer verstanden, denn rein theoretisch hätte Dänemark die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO mit einem Veto blockieren können. Praktisch war das aber natürlich keine Option. Adenauer zeigte Verständnis und Entgegenkommen für den Wunsch der Dänen, er setzte die scheinbar unwillige Landesregierung unter Druck und ließ Gespräche mit den Dänen einleiten. Nach monatelangen geheimen Verhandlungen kam es Ende März 1955 zum Durchbruch mit den sogenannten Bonn-Kopenhagen-Erklärungen über die Stellung der beiden Minderheiten – es existierte auch eine deutsche Minderheit nördlich der Grenze. Mit den beiden fast gleichlautenden unilateralen Erklärungen verpflichteten sich die beiden Regierungen – die dänische wie die deutsche – gegenüber der auf ihrem Staatsgebiet ansässigen Minderheit; das Bekenntnis zur dänischen bzw. deutschen Nationalität und Kultur – und damit zur Minderheit – sei frei und dürfe nicht überprüft werden; ferner verpflichteten sie sich, die Kultur der Minderheiten zu ­schützen und ihr Schulwesen zu fördern. Die Erklärungen basierten sozusagen auf dem liberalen und nicht nachzuprüfenden Prinzip: „Minderheit ist, wer Minderheit sein will“.17 Die beiden Erklärungen leiteten eine Entwicklung ein, die auf lange Sicht zu einer Befriedung im dänisch-deutschen Grenzgebiet oder, anders ausgedrückt, von einem 15 Udenrigsministeriet Dansk sikkerhedspolitik 1948 – 1966, Kopenhagen 1968, zit. nach Lammers (wie Anm. 2), S. 123. 16 Fink (wie Anm. 4), S. 80, zit. nach Lammers (wie Anm. 2), S. 114. 17 Zit. nach Lammers (wie Anm. 2), S. 118.

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­ egeneinander zu einem Miteinander im dänisch-deutschen Grenzland führte.18 Damit G wurde die Zusammenarbeit im Grenzland zu einer Art Brücke ­zwischen Dänemark und der Bundesrepublik. Später im Mai 1955 wurde die Bundesrepublik als Mitglied in die NATO aufgenommen und war somit mit Dänemark verbündet. Damit wurde das Jahr 1955 zu einem Eckdatum in den dänisch-deutschen Beziehungen.19 Im Kalten Krieg war der ehemalige Feind von gestern – Deutschland – nunmehr Bündnispartner Dänemarks, und zwar Partner in einem Verteidigungsbündnis z­ wischen demokratischen Staaten; die Organisation der Nordregion der NATO forderte geradezu eine praktische Zusammenarbeit der Armeen Dänemarks und Norwegens mit der neuen Bundeswehr. Dies war in der dänischen Öffentlichkeit nicht unumstritten und wurde von Protesten begleitet. Die konkrete Zusammenarbeit zeigte sich Anfang der 1960er Jahre in der Etablierung der für den Ostseeraum zuständigen Organisation (Baltic Approaches) BALTAP , wo Dänemark und die Bundesrepublik kooperierten und abwechselnd das Kommando über die gemeinsamen militärischen Kräfte hatten.

4. Die Zäsur von 1955 Dänemark und die Bundesrepublik waren seit 1955 nunmehr nicht nur Nachbarn, sondern auch politische und militärische Bündnispartner. Das hatte es so zuvor nie gegeben. Mehr noch, Dänemark war in seiner Verteidigung sogar von einer Zusammenarbeit mit der deutschen Bundeswehr abhängig. Danach entwickelten sich die dänisch-westdeutschen Beziehungen immer enger, und trotz gewisser mentaler und psychologischer Vorbehalte unter den Dänen wurde die Bundesrepublik allmählich zum wichtigsten wirtschaftlichen Partner Dänemarks. Auch politisch wurden die Beziehungen zur Bundesrepublik enger, als Dänemark 1973 auch der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beitrat. Zugleich wurden im Januar 1973 die Beziehungen zur DDR normalisiert, als Dänemark die DDR offiziell anerkannte und diplomatische Beziehungen mit ihr aufnahm.

18 Vgl. hierzu Lorenz Rerup, Slesvig delt i 75 år. Symbiose – konfrontation – naboskab, Kopenhagen 1995. 19 Vgl. Lammers (wie Anm. 13).

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Für das vor 115 Jahren souverän gewordene Königreich Norwegen waren die Nordsee, das Europäische Nordmeer und der Nordatlantik, an deren Schifffahrt seine Handelsflotte großen Anteil hatte, von vornherein beträchtlich wichtiger als die Ostsee. Selbst der Warenaustausch mit dem Deutschen Reich, seinem nach Großbritannien immerhin größten Handelspartner, erfolgte vorrangig über die Nordsee. Von seinen Häfen hatte vor allem der im jenseits des Polarkreises gelegenen Narvik (seit 1902) als ganzjährig nutzbarer Umschlagplatz für per Bahn aus Schweden angeliefertes Eisenerz besondere Bedeutung für die deutsche Schwer- und Rüstungsindustrie gewonnen – vom am Bottnischen Meerbusen gelegenen schwedischen Luleå aus, dem anderen Endpunkt der Erzbahn, ist eine Verschiffung im Winter kaum möglich. Am 9. April 1940 hatte Hitlerdeutschland das neutrale Königreich Norwegen überfallen, um die eigene Versorgung mit Schwedenerz zu sichern (und die britische zu unterbinden). Für die Wehrmacht war dieser Überfall allerdings zu einem zwei Monate dauernden „Norwegen-Feldzug“ missraten, in dem sie außer den norwegischen Streitkräften auch alliierte britische, französische und (exil-)polnische Expeditionsstreitkräfte bekämpfen musste. Ihr „Norwegen-Feldzug“, bei dem die Kriegsmarine erhebliche unwiederbringliche Verluste (ein von zwei Schweren und zwei von fünf Leichten Kreuzern sowie zehn von 22 Zerstörern) erlitten hatte, war erst am 10. Juni 1940 mit der Kapitulation der zuletzt noch im Raum Narvik kämpfenden norwegischen Streitkräfte beendet worden. Drei Tage zuvor hatten sich der 1905 als Haakon VII. (1872 – 1957; Haakon  VI. war als letzter der altnorwegischen Könige 1380 verstorben) per Volksabstimmung gewählte König und die 1935 unter Johan Nygaardsvold (1879 – 1952) gebildete – und nach dem deutschen Überfall um jeweils einen Minister ohne Geschäftsbereich (konsultativen Staatsrat) aus der Bauernpartei (Bondepartiet) sowie der Liberalen (Venstre) und der Konservativen (Høyre) Partei erweiterte – Minderheitsregierung der sozialdemokratischen Norwegischen Arbeiterpartei (DNA) mit der erklärten Absicht, den Krieg bis zur Befreiung ihres Landes fortzusetzen, ins Vereinigte Königreich begeben. Dort wurde Norwegens Exilregierung vor allem dank der Transportleistungen der requirierten Handelsflotte – damals übrigens nach der britischen, US-amerikanischen und japanischen die (mit rd. 4.000.000 BRT) viertgrößte und im Hinblick auf Tankschiffe sogar modernste der Welt – zum wichtigen, hoch geschätzten (und bezahlten) Partner der Mächte der sich sukzessive formierenden Anti-Hitler-Koalition, aus der im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs die Organisation der Vereinten Nationen (UN) hervorging. Nachdem Norwegens Exilregierung bereits am 28. Mai 1941 in einer Militärkonvention mit der britischen Regierung die vollständige Befreiung ihres Landes als gemeinsames

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Abb. 1: Ausschnitt aus Karte Europäisches Nordmeer – © Norman Einstein, CC BY-SA 3.0. https:/commons. wikimedia.org/w/index. php?curid=6670426.

Kriegsziel vereinbart hatte, konnte sie am 16. Mai 1944 mit den Regierungen sowohl des Vereinigten Königreiches als auch der USA sowie der Sowjetunion ein Abkommen schließen, wonach ihr die Verwaltung aller durch alliierte Streitkräfte befreiten und besetzten Gebiete Norwegens, sobald militärisch möglich, zu übergeben war. Wesentlichen Anteil am Zustandekommen dieser Verträge hatte der weithin respektierte sozialdemokratische Außenminister Trygve Lie (1896 – 1968), der das Königreich Norwegen dann auch auf der Gründungskonferenz der Organisation der Vereinten Nationen am 24. Oktober 1945 in San Francisco vertrat und von der ersten Generalversammlung am 29. Januar 1946 in London ohne Gegenstimme zum UN-Generalsekretär gewählt wurde. Unter norwegischer Hoheit war während des Krieges nur die an der Grenze des Europäischen Nordmeers zur Grönlandsee gelegene, knapp 400 km2 große – und nach einem holländischen Walfänger des 17. Jahrhunderts benannte – Insel Jan Mayen mit ihrer Wetterund Funkstation verblieben, die erst seit 1930 zum Königreich gehörte. Den bekannteren und schon fünf Jahre zuvor international als norwegisches Hoheitsgebiet anerkannten Spitzbergen- bzw. Svalbard-Archipel (insgesamt über 61.000 km2), der laut Pariser ­Vertrag

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Abb. 2: Soldaten der Roten Armee überschreiten die Grenze Norwegens, 18. Oktober 1944. Quelle: Через фиорды [Cerez fiordy], Moskau 1969, S. 16.

vom 9. Februar 1920 „niemals zu Kriegszwecken benutzt werden“ (Artikel 9) durfte, hatte die Wehrmacht ebenfalls nicht besetzt. Ein norwegisches und ein sowjetisches Unternehmen konnten dort die reichen und leicht zugänglichen Kohlevorkommen noch bis August 1941 abbauen. Dann hatte die britische Marine die etwa 900 Norweger und 2000 sowjetischen Staatsangehörigen evakuiert – die Letzteren nach Archangelsk (Operation Gauntlet). Die Wehrmacht setzte erst im Zusammenhang mit der Bekämpfung der alliierten Nordmeergeleitzüge nach Murmansk und Archangelsk auf Inseln des Archipels kleine Wetterbeobachtungstrupps ein. Deren letzter – ein Leutnant und elf Mann – ist übrigens erst am 4. September 1945, also zwei Tage nach der Kapitulation Japans und dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als letzte Einheit der Wehrmacht überhaupt vom Kapitän eines norwegischen Robbenfangschiffs in Kriegsgefangenschaft genommen und nach Tromsø überführt worden. Norwegisches Staatsgebiet war übrigens erst knapp ein Jahr zuvor durch Streitkräfte der Alliierten befreit und besetzt worden, nachdem Finnland im September 1944 den Krieg gegen die Sowjetunion beendet und den Abzug aller deutschen Truppen von seinem Territorium – zu dem damals das Petsamo-Gebiet gehörte – gefordert hatte. Das galt vor allem für die über 200.000 Mann starke Lapplandarmee der Wehrmacht, die seit 1941 von Nordnorwegen und Nordfinnland aus vergeblich versucht hatte, die Hafenstadt Murmansk zu erobern. Nunmehr sollte sie, gemäß „Führerbefehl“ vom 4. Oktober 1944, von ihrer „Eismeerfront“ an der Westlichen (Zapadnaja) Liza in die über 1000 km entfernt

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Abb. 3: Das Befreiungsdenkmal (frigjøringsmonumentet) in Kirkenes: 2 m hohe Bronzestatue von Stinius Fredriksen (1902 – 1977) auf einem 3,5 m hohen Steinsockel, enthüllt am 8. Juni 1952, nachdem Fredriksen den toten Deutschen Reichsadler unter dem Soldatenstiefel zu einem Stein umgestaltet hatte. Quelle: CTHOE – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=36807851

am norwegischen Lyngenfjord – nahe der schwedisch-finnischen Grenze – errichtete Auffangstellung zurückgeführt werden. Den überstürzten Beginn ­dieses Rückzuges („Unternehmen Nordlicht“) erzwang die Rote Armee mit ihrer „Petsamo-Kirkenes-Operation“ (7. – 29.  Oktober 1944).1 Sie konnte bereits am 18. Oktober 1944 die norwegische Grenze überschreiten und am 25. Oktober die Stadt Kirkenes einnehmen, drang dann aber nur etwa 150 km weit bis zum Tana-Fluss vor, den sie am 6. November erreichte. Am selben Tag war im nahe Murmansk gelegenen Hafen Poljarny, per Schiff aus Schottland, eine nur 208 Mann zählende Kompanie der norwegischen Gebirgstruppen eingetroffen, die vertragsgemäß – bis zum 6. Februar 1945 – dem sowjetischen Frontbefehlshaber unterstellt blieb und mit Fahrzeugen der Roten Armee zunächst nach Kirkenes transportiert wurde. Diese 2. Bergkompanie gilt als die einzige an der Befreiung des Landes von der Besatzungsmacht unmittelbar beteiligte reguläre Einheit der norwegischen Landstreitkräfte. Am 24. November 1944 begann ihr Einsatz in dem von der Wehrmacht beim Rückzug per Zwangsevakuierung – der sich immerhin 25.000 der rund 90.000 Einwohner zu entziehen vermochten – entvölkerten und systematisch bis zur Unbewohnbarkeit zerstörten Territorium nördlich des Lyngenfjords. Dort rückten seit dem 12. Januar 1945 zudem ein Bataillon

1 Earl F. Ziemke, Stalingrad to Berlin: The German Defeat in the East, Washington DC 1987, S. 397: „[that] the first phase of NORDLICHT would be executed was determined by the Russians who … opened an offensive against XIX Mountain Corps on 7 october“.

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und zwei Kompanien – ca. 1300 Mann – der seit 1942 im offiziell neutralen Schweden von geflüchteten Norwegern insgeheim aufgestellten „Polizeitruppen“ mit einem Feldlazarett ein. Zusammen mit rekrutierten Wehrpflichtigen, die hier verblieben waren – ca. 1500 Mann – bildeten sie am 26. Januar das Distriktkommando Finnmarken der norwegischen Landstreitkräfte, dem sich am 6. Februar auch die Bergkompanie zuordnete. Der Chef des Distriktkommandos, Oberst Arne Dagfin Dahl (1894 – 1990), der mit dieser Kompanie aus Schottland gekommen war, hatte als Chef der norwegischen Militärmission für Finnmarken von der Regierung umfassende Vollmachten erhalten. In ihrem Auftrag bestellte er Peder Ragnar Holt (1899 – 1963), einen vom sowjetischen Oberkommando bereits mit der Zivilverwaltung betrauten Lokalpolitiker der DNA, zum Fylkesmann (Regierungspräsident) von Finnmarken. Vollständig von der deutschen Besatzungsherrschaft befreit wurde das Land der Fjorde jedoch erst, nachdem der „Wehrmachtbefehlshaber Norwegen“ in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 in seinem Hauptquartier in der 180 km nördlich von Oslo gelegenen kleinen – und heute als Wintersportzentrum weltbekannten – Stadt Lillehammer vor einer aus Schottland eingeflogenen Kommission des Alliierten Oberkommandos, die aus einem britischen Brigadegeneral, einem britischen Oberst und dem norwegischen Marineoffizier Per Askim (1881 – 1963) bestand, kapituliert hatte. Das Kapitulationsgebiet der Wehrmacht wurde damit zum alliierten Okkupationsgebiet. Ein Foto, das diesen Kapitulationsakt veranschaulicht, existiert meines Wissens nicht. Weit verbreitet ist hingegen, und das nicht nur in Norwegen, ein Foto von der am 11. Mai 1945 erfolgten Übergabe der als „Kriegswehrmachtsgefängnis“ genutzten repräsentativen Osloer Festung Akershus durch den deutschen Kommandanten Major Josef (Wilhelm) Nichterlein (1886 – 1947) an Terje Rollem (1915 – 1993), einen sportlich-zivil gekleideten Gruppenführer der verständlicherweise nicht uniformierten Militärorganisation (Milorg) der norwegischen Widerstandsbewegung (Hjemmefront = Heimatfront). Die Milorg war von der Exilregierung bereits im November 1941 als reguläre Gliederung der norwegischen Streitkräfte anerkannt und ihrem Oberkommando unterstellt worden, als dessen Chef seit dem 30. Juni 1944 Kronprinz Olav amtierte. Die Milorg gehörte somit offiziell zu den alliierten Streitkräften und wurde von Schottland aus auf dem See- und Luftweg mit Waffen und Ausrüstung versorgt. In sie sollten sich, wie von der Exilregierung und von der Führung der Heimatfront (Hjemmefrontens Ledelse – HL) gefordert, alle Patrioten einreihen, die willens und fähig waren, mit einer Invasion der Alliierten die Befreiung Norwegens vorzubereiten. Als Chef der Heimatfrontführung – und als solcher von der Exilregierung anerkannt – fungierte Paal Berg (1873 – 1968), der zur Liberalen Partei (Venstre) gehörende Präsident des Obersten Gerichts Norwegens. Dessen Angehörige waren beim deutschen Überfall nicht ebenso aus der Hauptstadt geflüchtet wie – organisiert von Carl Joachim Hambro (1885 – 1964), dem der Konservativen Partei (Høyre) angehörenden Präsidenten des Parlaments (Storting) – die des Königshauses, der Regierung und des Storting. Wie er hatten auch die anderen Richter des Obersten Gerichts ihre Ämter am 21. Dezember 1940 niedergelegt.

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Abb. 4: Übergabe der Festung Akershus durch Major Nichterlein am 11. Mai 1945. Foto Johannes Stage. Oslo Museum OB.F125709.

Jurist wie Berg, aber erheblich jünger, war Jens Christian Hauge (1915 – 2006), der seit 1943 als Chef der Milorg fungierte, die bereits nach Beendigung der regulären Kampfhandlungen in Norwegen von aus deutscher Kriegsgefangenschaft entlassenen Offizieren und Soldaten des Heeres insgeheim formiert worden war und danach vor allem Sportler, Studenten und zuletzt viele Jugendliche, die sich der vom Kollaborationsregime des Vidkun Quisling angeordneten Arbeitsdienstpflicht durch Flucht in die Wälder entzogen, integriert hatte. Unabhängig von Hjemmefront und Milorg existierten die auf Partisanen- und Sabotage­ krieg orientierten kommunistisch geführten Gruppen der Widerstandsbewegung, die sich erst Anfang Mai 1945 – im Einvernehmen mit der Milorg – dem Oberkommando der Streitkräfte unterordneten. Die so zusammengefassten Heimatstreitkräfte (Hjemmestyrkene) zählten, als der „Wehrmachtbefehlshaber Norwegen“ mit seinen 364.000 Soldaten und 84.000 vor allem sowjetischen und jugoslawischen Kriegsgefangenen in Lillehammer kapitulierte, über 40.000 Mann. Sie wurden per 10. Mai 1945 den Distriktskommandos der norwegischen Streitkräfte unterstellt. Bis zum Eintreffen der alliierten Truppen sollten sie Ruhe und Ordnung im Kapitulationsgebiet der Wehrmacht sichern und zunächst die relevanten zentralen Einrichtungen unter ihre Kontrolle bringen, wie eben in Oslo die Festung Akershus oder das Königliche Schloss, das vom Quisling-Regime als Amtssitz missbraucht worden war. – Dieser „Ministerpräsident“ Vidkun Quisling, dessen Name längst weltweit zum Synonym für „Landesverräter“ und „Kollaborateur“ geworden war, und sechs seiner „Minister“ ließen sich übrigens bereits am 9. Mai von den H ­ jemmestyrkene verhaften.

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Sie wurden danach in regulären Gerichtsverfahren verurteilt – Quisling zum Tode durch Erschießen, exekutiert am 24. Oktober 1945 in der Festung Akershus. Insgesamt haben in Norwegen damals gegen fast 93.000 (92.805) Personen Gerichtsverfahren wegen Landesverrat stattgefunden, bestraft wurden über 46.000 (46.085), davon 25 mit dem Tode. Außerdem kam es zu zahlreichen außergerichtlichen und ungesetzlichen Strafaktionen insbesondere gegen norwegische Frauen, die Umgang mit Männern der Besatzungsmacht gehabt hatten und als „Tyskerjenter(-tøser)“ kahlgeschoren und sogar interniert wurden. Für Tausende von ihnen begann damit eine lebenslänglich anhaltende Stigmatisierung. Sie – und noch mehr die aus ihren Beziehungen hervorgegangenen Kinder – galten noch lange Zeit als moralisch und sogar genetisch minderwertig. Mit der Entwaffnung, Internierung und Abschiebung der Wehrmacht – ihrer Angehörigen und ihrer Gefangenen – bekamen es die Hjemmestyrkene und auch die seit dem 9. Mai 1945 per Bahn aus Schweden in Oslo, Trondheim und Narvik eintreffenden norwegischen „Polizeitruppen“ – zunächst 12.000 Mann – nicht zu tun. Das blieb vorerst Sache der alliierten Mächte, vor denen die Wehrmacht kapituliert hatte, und ihrer regulären Streitkräfte. Britische Truppen landeten am 10. Mai auf den Flugplätzen bei Oslo und Stavanger. Ihnen folgten US-Truppen. Die Zahl der Angehörigen angloamerikanischer Streitkräfte im Kapitulationsgebiet der Wehrmacht stieg bis Anfang Juni auf 30.000 an. Ihr Befehlshaber, der britische General Andrew Thorne (1885 – 1970), der – zusammen mit dem Kronprinzen und einer Delegation der Exilregierung, von der sogleich zu berichten ist – auf dem Seeweg am 13. Mai 1945 nach Oslo kam, übernahm mit der militärischen zunächst, d. h. bis zur Rückkehr des norwegischen Königs, die gesamte hoheitliche Gewalt im alliierten Okkupationsgebiet (südwärts des Lyngenfjords). Mit seinem Stab quartierte er sich in der – zuvor von Quisling als Residenz bewohnten – schlossartigen „Villa Grande“ auf der zu Oslo gehörenden Halbinsel Bygdøy ein. Ebenfalls in Oslo wurde im am nördlichen Stadtrand gelegenen Bogstad danach auch der „Wehrmachtbefehlshaber Norwegen“ als nunmehr „Deutscher Oberbefehlshaber Norwegen“ (DOBN) stationiert, der – unter alliierter Kontrolle – für die Entwaffnung, Internierung und Rückführung der deutschen Truppen zu sorgen hatte. – Darauf wird noch zurückzukommen sein. Zuvor ist zu vermerken, dass Exilregierung und Heimatfrontführung sich nach anfänglichen Differenzen auf ein generelles Programm für die Nachkriegsentwicklung Norwegens und ein detailliertes Procedere für die Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung nach der Befreiung des Landes geeinigt hatten. Das als Proklamation an die Bevölkerung Norwegens am 19. Mai 1944 – zwei Tage nach dem Nationalfeiertag – über den britischen Rundfunk verkündete Programm sah die Wiederherstellung und Sicherung der Freiheit und Unabhängigkeit des Königreiches auf der Grundlage der bürgerlich-demokratischen Verfassung von 1814 vor. Unmittelbar nach der Befreiung des Landes sollten alle Befehle und Bestimmungen der Okkupationsmacht und des Kollaborationsregimes aufgehoben, die Kollaborateure der Bestrafung zugeführt, die politischen Gefangenen freigelassen und die aus ihren Stellungen entfernten Beamten wiedereingesetzt werden. Die unter der Fremdherrschaft entstandene „nationale Solidarität“ sollte bewahrt und darauf gerichtet werden,

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den Wiederaufbau der Wirtschaft zu fördern und Arbeit für alle zu schaffen. Norwegens Außenpolitik sollte aktiv zur Sicherung des Friedens in der Welt beitragen. Gemäß dem vereinbarten Procedere sollten Heimatfront und Milorg bis zur Rückkehr der Regierung und des Königs für Ruhe und Ordnung im Lande sorgen, wie es auch geschehen und hier skizziert worden ist. Dann aber sollte das 1936 gewählte Parlament zusammentreten, die amtierende Regierung demissionieren und für die Zeit bis zu Neuwahlen eine parteiübergreifende Koalitionsregierung gebildet werden. Dass Heimatfrontführung und Hjemmestyrkene wie vorgesehen agierten, während die Regierung zunächst nur eine Delegation entsandte, ist bereits erwähnt worden. Ihr gehörten immerhin fünf der insgesamt neun Minister (Staatsräte) an, und geleitet wurde sie vom Verteidigungsminister und langjährigen – seit 1923 – DNA-Vorsitzenden Oscar Torp (1893 – 1958). Offiziell begrüßt wurden der Kronprinz und die Regierungsdelegation im Rahmen einer festlichen Kundgebung vor dem unmittelbar am Landungsplatz gelegenen Osloer Rathaus vom Leiter der Heimatfront Paal Berg sowie vom bereits wieder agierenden Bürgermeister Einar Gerhardsen (1897 – 1987). Gerhardsen, seit 1939 stellvertretender DNA-Vorsitzender, war im okkupierten Norwegen verblieben und am 6. Juli 1940 vom Landesvorstand als „fungierender“ Vorsitzender bestätigt worden. Als langjähriger Abgeordneter des von seiner Partei dominierten Stadtparlaments von Oslo und erfahrener Kommunalpolitiker hatte er im August 1940 sogar das Bürgermeisteramt übernommen, es dann aber auf Betreiben der deutschen Besatzungsverwaltung wieder aufgeben müssen. Fortan zunehmend an der Formierung der Heimatfront beteiligt, war er im September 1941 im Zusammenhang mit der Niederschlagung des sogenannten „Milchstreiks“ der Osloer Arbeiter verhaftet worden. Am 8. Mai 1945 mit über 5000 anderen verfolgten Norwegern aus dem Häftlingslager der Sipo (Sicherheitspolizei) Grini bei Oslo (Ilebu) befreit, trat er als zur Heimatfront gehörender Parteiführer und umgehend auch als Bürgermeister der Hauptstadt öffentlich unübersehbar in Erscheinung: wie schon beim Eintreffen der Regierungsdelegation, so danach auch bei der Rückkehr des Ministerpräsidenten und der anderen Ressortchefs, darunter Außenminister Trygve Lie, am 31. Mai sowie des Königs am 7. Juni 1945. Haakons VII. Heimkehr nach Norwegen (Oslo) – auf den Tag genau fünf Jahre nachdem er das Land (von Tromsø aus) verlassen hatte – wurde in besonderer Weise gefeiert. Er war mit seinem 1905 angenommenen Wahlspruch „Alt for Norge“ (Alles für Norwegen) über die Parteigrenzen hinweg zum verbindenden Idol des Kampfes für Norwegens Befreiung geworden. Zwei Tage nach seiner offiziellen Begrüßung ehrten ihn die Hjemmestyrkene mit einer großen Parade zum Königlichen Schloss. Am 15. Juli wurden sie demobilisiert, zugleich übernahm General Otto Ruge (1882 – 1961) wieder sein damaliges – und nunmehr von Kronprinz Olav geführtes – Amt als Chef der Landesverteidigung. Er hatte sich nach der Kapitulation 1940 demonstrativ in deutsche Kriegsgefangenschaft begeben, aus der er erst am 22. April 1945 von der Roten Armee bei der Einnahme von Luckenwalde (Stalag III A) befreit worden und danach – via Moskau – am 3. Juni nach Norwegen zurückgekehrt war. Dass er wieder sein militärisches Amt übernahm, illustriert geradezu b­ eispielhaft das

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zunächst noch vorherrschende prinzipielle Bemühen um politische Kontinuität. Dessen Erfolg blieb allerdings begrenzt – übrigens auch im Fall Ruges, der sein Amt bereits Ende des Jahres 1945 endgültig aufgab. Als Einar Gerhardsen am 31. Mai den Ministerpräsidenten und am 7. Juni den König vor dem Osloer Rathaus willkommen hieß, hatte er Oscar Torp als Vorsitzender des zwei Tage zuvor neugewählten Parteivorstands (sentralstyre) der DNA gerade abgelöst. Unter seinem Vorsitz war der alte Parteivorstand bereits am 11. Mai – vor Ankunft der Regierungsdelegation und also ohne Torp – zusammengekommen, um den politischen Kurs der Partei zu beraten. Am 28. Mai hatte der neugewählte Vorstand dann beschlossen, dass die neue Übergangsregierung der parteipolitischen Zusammensetzung des 1936 gewählten Stortings entsprechen und also nicht weiterhin von einem DNA-Politiker, sondern sozusagen „überparteilich“ von Paal Berg (Sekretär Hauge) geführt werden sollte. Und zu agieren hätte sie auf der Grundlage eines „Gemeinsamen Programmes“ (fellesprogramm), das inhaltlich in den Grundzügen der bereits im Jahr zuvor verkündeten Proklamation der Heimatfrontführung entsprach, der umgehend auch die Kommunistische Partei Norwegens (NKP) zugestimmt hatte. Die aus der DNA als abgespaltene Minderheit 1923 hervorgegangene und im Storting seit 1930 nicht mehr vertretene NKP hatte sich im Widerstandskampf besonders hervorgetan und – nicht zuletzt aus der Jugendorganisation der DNA – neue Mitstreiter gewonnen. Für in beiden Parteien ohnehin immer wieder einmal aufkommende Bestrebungen nach einem politischen Zusammenwirken bis hin zur Vereinigung schien sich nunmehr eine reale Chance zu bieten. Den am 12. Mai von einem prominenten Gewerkschaftsführer unterbreiteten Vorschlag, mit der NKP über eine Vereinigung zu verhandeln, nahm der DNA-Vorstand jedenfalls am 28. Mai an. Diese Verhandlungen begannen bereits am 8. Juni und scheiterten letztlich erst am 23. August. Erheblich schneller zeitigten die hier ebenfalls nicht en détail darstellbaren Verhandlungen der DNA sowohl innerhalb der eigenen Gremien als auch mit führenden Vertretern der Heimatfront sowie der im Parlament vertretenen Parteien und der NKP über die Bildung der Übergangsregierung Ergebnisse. Nachdem Bergs diesbezügliche Bemühungen schon nach wenigen Tagen scheiterten, konnte Gerhardsen eine „Sammlungsregierung“ formieren, die am 25. Juni 1945 ihre Tätigkeit aufnahm. Ihr gehörten außer ihm selbst als Staatsminister fünf weitere Männer der Arbeiterpartei, darunter nach wie vor Trygve Lie als Außen- und Oscar Torp als Verteidigungsminister, sowie fünf der bürgerlichen Parteien an. Hinzu kamen je zwei Vertreter der HL und der NKP, darunter mit Kirsten Hansteen (1903 – 1974) erstmals in Norwegen eine Ministerin. Diese Regierung sollte übergangsweise bis zur Konstituierung des – wie bereits vorgesehen – am 8. Oktober 1945 neu gewählten Parlaments amtieren. Nachdem die DNA in dieser Wahl 76 Mandate (die NKP 11) und damit erstmals in ihrer Geschichte die absolute parlamentarische Mehrheit errungen hatte, bildete Gerhardsen eine reine DNA-Regierung – nach wie vor mit Trygve Lie als Außenminister und auch mit Oscar Torp, nun aber als Versorgungsminister. Das Verteidigungsministerium ü ­ bernahm

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der Milorg-Leiter Jens Christian Hauge (1915 – 2006), der bereits im Juni Sekretär des Staatsministers Gerhardsen und danach auch Mitglied der Arbeiterpartei geworden war. Der König ernannte die neue Regierung am 1. November 1945. Tags zuvor war das für den Kapitulationsbereich der Wehrmacht eingerichtete alliierte Oberkommando abgewickelt worden – und General Thorne abgereist, nachdem er am 12. Oktober anstelle des „Deutschen Oberbefehlshabers Norwegen“ fünf Befehlshaber für die in den „Zonen“ Tromsø, Trondheim, Bergen, Stavanger und Oslo in insgesamt 120 Lagern internierten Angehörigen der Wehrmacht und der deutschen Besatzungsbehörden eingesetzt hatte. Mit deren „Abschiebung“ über See – direkt bzw. via Schweden – in die alliierten Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs war zwar bereits im Juni begonnen worden, allerdings erforderte das viel mehr Schiffsraum, als dafür zur Verfügung gestellt werden konnte. Die „Abschiebung“ dauerte deshalb auch 1946 noch an. – In den Gefangenenlagern Norwegens blieben die Strukturen der Wehrmacht, die Befehlsgewalt der Offiziere und die Militärgerichtsbarkeit erhalten. Auf die damit verbundene Problematik machte bekanntlich 1978 der gerade erst verstorbene Dramatiker Rolf Hochhuth (1931 – 2020) aufmerksam, als er die Affäre um den damaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und früheren Richter der Kriegsmarine Hans Filbinger (1913 – 2007) auslöste. Bereits Anfang 1947 folgte den entlassenen deutschen Kriegsgefangenen eine Brigade der norwegischen Streitkräfte, die in der Britischen Besatzungszone zunächst in Niedersachsen (Northeim) und 1948 in Schleswig-Holstein (Rendsburg) stationiert wurde. Das Königreich Norwegen trat damit zu den drei westlichen Besatzungsmächten, die den Kriegszustand mit Deutschland am 9. Juli 1951 einvernehmlich für beendet erklärten. Die Rote Armee hatte das von ihr besetzte Gebiet schon bis zum 4. Oktober 1945 verlassen. Ihre nahezu ein Jahr andauernde Anwesenheit hat die nachbarschaftlichen Beziehungen der im Küstenbereich der Nordkalotte beheimateten Norweger und Russen nicht getrübt. Weitgehend ausgeräumt schienen unterdessen auch Befürchtungen für die zwischenstaatlichen Beziehungen zu sein, ausgelöst durch „Vorschläge“, die Trygve Lie bei seinem Moskau-Besuch im November 1944 vom sowjetischen Außenminister W. M. Molotow unterbreitet worden waren. Danach sollte Norwegen den Spitzbergen-Vertrag annullieren, dem die Sowjetunion 1935 unter Molotows Amtsvorgänger M. M. Litwinow noch beigetreten war, sowie ein norwegisch-sowjetisches „Kondominium“ über den Archipel akzeptieren und die auf halbem Wege ­zwischen Nordkap und Archipel gelegene kleine – aber für die Schifffahrt strategisch bedeutende – Bäreninsel (Bjørnøya, 178 km2) an die Sowjetunion abtreten. Davon war seit April 1945 jedoch keine Rede mehr, nur noch von einer gemeinsamen Verteidigung des Archipels im Kriegsfall. Die im Januar 1947 erhobene Forderung, dort einen sowjetischen Militärstützpunkt zu errichten, wurde vom Storting am 3. März mit Verweis auf den Spitzbergen-Vertrag abgelehnt. Sie ist danach nicht wiederholt worden. Zu dieser Zeit hatte die nach wie vor von Einar Gerhardsen geführte Regierung ihre in den ersten drei Nachkriegsjahren verfolgte und von Trygve Lie erst als Außenminister und dann als UN-Generalsekretär verkörperte „Brückenbaupolitik“ ­(brobyggingspolitikken)

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längst aufgegeben, die in einem internen Dokument des State Department (James F. ­Byrnes, 28. August 1946) wie folgt charakterisiert wurde: Norwegen verfolge eine Außenpolitik pro Vereinigte Staaten und Großbritannien, soweit der Mut reiche, pro Sowjetunion, soweit es sein müsse, und pro UN, soweit irgend möglich.2

Weiterführende Literatur Fritz Petrick, Einar Gerhardsen, in: Otfrid Dankelmann (Hg.), Lebensbilder euro­ päischer Sozialdemokraten des 20. Jahrhunderts, Wien 1995, S. 175 – 185. Magne Skodvin (Red.), Norge i krig. Fremmedåk og frihetskamp 1940 – 1945, Oslo 1984 – 1987: Bd. 6: Ivar Kraglund, Arnfinn Moland, Hjemmefronten, Oslo 1987; Bd. 7: Olav Riste, Utefront, Oslo 1987; Bd. 8: Knut Einar Eriksen, Terje Halvorsen, Frigjøring, Oslo 1987. Wolfram Wette (Hg.), Filbinger – eine deutsche Karriere, Springe 2006.

2 “Norway has adopted a foreign policy which may be described as being pro USA and UK to the greatest extent it dares, pro Soviet to the extent it must, and pro UN to the greatest extent it can.” Zit. nach Knut Einar Eriksen in: Vekst og velstand.Norsk politisk historie 1945 – 1965, Red. Trond Bergh, Universitetsforlaget 1977, S. 179.

Sweden and the end of the Second World War Kent Zetterberg

1. Background: Sweden during the Second World War 1939 – 1945 Sweden succeded to remain Neutral during the Second World War 1939 – 1945. Allt the other Nordic States, Denmark, Finland, Norway and Iceland (Independent 1944) were drawn into the War and could not stay neutral as their prime goal was. Sweden had a favorable geopoliticial location with The Baltic Sea as a Bulwark to the great powers. By using Realpolitik, including a great War Trade with Germany, diplomacy and a strong defence and military build-up from 1940, Sweden could keep good relations with all great powers, Germany, USSR, Great Britain and USA. The Swedish Strategy to stay out of the War, was transformed and adopted to the different periods of World War II. First the Swedish Neutrality Politics favored Germany 1940 – 1942, then it favored the Allied Powers 1943 – 1945. But above all, the consideration for the Nordic „Brother Countries“ (Ockupied Denmark and Norway, Finland, fighting three wars) was a core value in the Swedish Politics. Why Sweden’s neutrality was respected by all great powers during the Second World War can be discussed and explained in different ways. There is no simple or easy answer. This is my interpretation after more than 40 years of research. I shall try to base my answer on an analysis of the political, economic, military and strategic factors. The success of the nonaligned, neutral policy was a major achievement for Sweden. In this outcome the role of the Swedish diplomats and the government was of great importance. Sweden’s neutrality was also in the interest of the Western powers, which were weak in the Baltic area. Sweden’s flexible politics 1940 – 1943 against Germany in this bad situation was considered wise by the Western powers. It also proved to be of great value to her Nordic neighbour countries: Norway became an Allied power, whereas Finland was on the other side, at war with the Allies from 1941 – 1944, and Denmark was occupied under protest by Germany but with King and Government remaining in Copenhagen.

2. Sweden helped her Nordic neighbours Sweden thus could help her Nordic brothers and neighbours in many ways – refugees, humanitarian aid, news, economic aid, diplomatic support etc., although Finland and Norway were fighting in different war camps. Around 25,000 Danish and Norwegian refugees were trained as soldiers in Sweden in 1943 – 1945 in order to participate in the Liberation of their countries at the end of the war. They were called “police soldiers” or “reserve soldiers” but were regular infantry units. Germany protested diplomatically against this Swedish action, but in vain. Now Sweden openly formed a pro-Allied security politics waiting for the defeat of Nazi Germany.

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3. A safe-haven for refugees and exchanges of prisoners-of wars by the Swedish Red Cross Sweden’s peace and neutrality also had positive humanitarian effects during the war years. Sweden could offer aid and a safe-haven for many refugees from the Nordic and Baltic countries and in 1945 from Nazi Concentration Camps in the “Operation White Busses” by Count Folke Bernadotte and the Swedish Red Cross in April–May 1945. There were also exchanges of war-prisoners between United Kingdom and Germany by Swedish ships and the Swedish Red Cross. During World War II the Drottningholm and the Gripsholm were used as repatriation ships and made 33 voyages to exchange prisoners of war, diplomats, women and children, between the warring nations. The Gripsholm was chartered to the US State Department during World War II, from 1942 to 1946, as an exchange and repatriation ship, under the protection of the Red Cross, hence the term “mercy ship”. These benefits of Sweden’s neutrality balanced the effect of trade with Germany that continued until August 1944. One great Swedish asset was that Germany never saw an immediate interest in attacking and occupying Sweden for its own geostrategic reasons. Germany would only invade Sweden as a reaction of a threat of an Allied operation to stop the Swedish export of iron ore to Germany, mainly from the iron fields in Kiruna-­ Malmberget. If Hitler in his military planning in summer–autumn 1940 had thought it necessary to attack Sweden, he probably could have done that. Later on it was too late, as we shall see. Sweden’s policy towards Nazi Germany in the dark years of 1940 – 1942 was a flexible combination of concessions, resistance and diplomatic manoeuvring that worked surprisingly well. After hard German pressure in the period from summer 1940 to summer 1942, the demands eased. By the winter 1942/43 Sweden was transforming its policies to become increasingly pro-Allied. Throughout the war, the Swedish government was guided by one overriding interest, wanting to protect the Swedish people from the horrors of war by an adaptive neutral policy. Doing so would also help her Nordic neighbours Finland, Norway and Denmark as much as possible. Sweden’s contribution in humanitarian efforts ended up as second to none: more than 300,000 refugees, including many Jews, were received by Sweden between 1939 and 1945. In December 1944 there were around 200,000 refugees in Sweden. However, the politics of Sweden’s national security – balancing under the umbrella “neutrality” – by nature had to adapt to the actual situation, initially from 1940 to 1942 favouring Germany, then shifting to serve the interests of the Allies just as had been the case during the First World War.1



1 For Sweden in the years 1914 – 1919 see Torsten Gihl, Den svenska utrikespolitikens historia 4, 1914 – 19, Stockholm 1957.

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Fig. 1: M. S. Gripsholm, Svenska Amerika Linien. Swedish American Line, Gothenburg, Sweden. Printed in Sweden. 41:6. 100.000. 11.9.46.307, unknown photographer, Sjöhistoriska Stockholm.

4. A middle range state in the eyes of the Great Powers Sweden was a middle range state in the eyes of the Great Powers with many assets: national unity, grand strategy, neutrality, defence and rearmament, and, finally, war trade. These Swedish policy tools were used during these dark war years. Combined they should support Sweden’s policy to stay outside the war. They were employed in a “Realpolitik” by the Swedish government in a counter-balancing of security policies to keep Sweden neutral and out of the war. In a historical perspective, this security policy was a continuation of a long Swedish tradition since 1815.2 Of the Nordic states, only Sweden had all these tools available on her side during the Second World War. The Swedish government used them in its adaptive neutrality politics in close cooperation with parliament, trade and industry. Sweden thus succeeded in developing trust and confidence for her armed neutrality in Berlin as well as in Moscow, London and Washington. Sweden’s neutrality thus was regarded as a factor of stability in the war in Northern Europe by all the Great Powers. This was remarkable, and it was the result of an able management of Swedish politics and combined interests in all camps.

2 See Kent Zetterberg, Konsten att överleva. Studier i svensk säkerhetspolitik, strategi och militärhistoria under 200 år, Stockholm 2007.

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The strong Swedish armed neutrality could only be broken in case of an external attack on Sweden. In strategic and operational military terms this was not easy to perform even by Nazi Germany or Stalin’s Soviet Union, and not least by the Western powers. Sweden had a good strategic position and government; parliament and people were united in a strong national unity to defend neutrality and peace. Sweden could arm herself with an excellent defence industry including Bofors, ASEA, SAAB, Ericson, Volvo and Landsverk.

5. War trade and neutrality, Sweden and Germany In fact Sweden’s trade continued at a volume fixed in autumn 1939 with both London and Berlin, until August 1944, when all trade with Germany was stopped. Of course Sweden’s trade with the Western powers was stopped by Germany’s encirclement of Sweden in summer 1940. Now the strategic position of Sweden was different in 1940 – 1944 to that during the First World War 1914 – 1918. Whereas neutral Sweden could arm herself and trade with all great powers back then, now Sweden was encircled by Germany from summer 1940 to summer 1944 and thus became heavily dependent on trade with Germany to survive. Germany, the other way around, was dependent on trade with Sweden to get important import goods: iron ore, metals, wood and pulp, machinery, and ball-bearings. So Sweden and Germany were locked with each other in the years 1940 – 1944 by war trade agreements and the strategic positions of Germany in occupied Denmark and Norway. If Sweden broke the war trade agreements, it meant war with German, as was clear. But ­Hitler nevertheless feared that Sweden would break away in the long run and join the Allied powers from 1942 and further on. Dr Klaus Wittmann (later on a NATO-strategist) wrote in his doctoral thesis about trade between Sweden and Germany 1933 – 19453 that the war trade was balanced and complex with negotiations and war trade agreements each year in 1939 – 1944. The volume of iron ore export of 1939 was respected, but of course the Swedish trade with the West almost disappeared after the German occupation of Denmark and Norway in 1940. In the crucial years 1940 – 1943, forty million tons of iron ore exportation were agreed between Berlin and Stockholm, but around 35 million tons were delivered due to shortage of ships and German transport disruption. However, Berlin gave priority for the Swedish trade as of great importance for the war effort and it goes on without great losses. For Sweden, encircled by Germany, there was not much other to do than continue war trade, since no other big trading partner was in sight and Sweden wanted to stay neutral and survive on its own conditions.4 Wittmann finds that Sweden was able to perform a successful war trade policy of neutrality (“Handelsneutralität”) using the “playing ground” and a certain degree of autonomy 3 See Klaus Wittmann, Towards a New Strategic Concept for NATO, Rome 2009. 4 Klaus Wittmann, Schwedens Wirtschaftsbeziehungen zum Dritten Reich 1933 – 1945, München 1978, pp. 393 – 400, Summary; Chapters V–VIII deal with the years1940 – 45.

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Fig. 2: Adolf Hitler. Municipal Archive Stralsund, Rep. 29, No. 1633.

and using the power-blocs of the great powers against each other. Sweden had able trade negotiators comprising diplomats, industrialists and bankers, thus being able to counterbalance the pressure from Germany in 1940 – 1942 and, later on, from the Western powers in 1943 – 1945. “Den svenska linjen” (“The Swedish Line”) succeeded as an elastic policy, following the war situation and not stumbling on principles. Thus, Sweden succeeded in staying outside the German grip and never became a part of the German “Machtbereich”. Swedish security politics from 1943 definitely favoured the Allied side, and it was felt as a relief for the Swedish government and the Swedish people to be able to do so. However, Sweden did not break her diplomatic relations with Germany 1943 – 1945 in order to be able to give help and assistance for her neighbours and give shelter for refugees, Jews, interned soldiers etc. In the war years Sweden gave shelter for more than 300,000 human beings escaping from Nazi tyranny and occupation – but also from the Soviet Union, the Red Army and Soviet occupation (the Baltic states, refugees and children from Finland 1939 – 1940, 1944 – 1945 etc.). Sweden was second to none in this area of humanitarian help and saved and gave shelter for refugees, including Jews, from many countries. Nowadays this humanitarian effort in a good Swedish tradition is shadowed by a moral debate about “living close to evil itself ”, that is the Holocaust debate and Sweden after the end of the Cold War. To me, this new perspective is relevant even for small states but cannot overshadow the value of Swedish neutrality politics and humanitarian aid during the war years. Sweden could not seek war with Nazi Germany in 1940 – 1943 in its bad strategic position, and it was ready to join the Allies in 1945 concerning liberating Denmark and Norway.

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Fig. 3: En svensk tiger (“A Swedish tiger” or “A Swede remains silent”). Av Anders Lagerås; original by sv:Bertil Almqvist (1902 – 1972) – Eget arbete, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/ w/index.php?curid=2553526.

In the final war years, 1943 – 1945, Sweden made great efforts to help and rescue refugees, internees, Jews, children etc. and give food, medicine etc. (to Holland, Greece, Norway, Finland), but the Nazi regime stopped many Swedish efforts by refusals (Jewish children, the Jews in Norway etc.).5 As historian Klas Åmark has remarked in his great study, Sweden’s passive attitude to the Holocaust was shared by most states, but the crimes lie on the perpetrators, not on the bystanders.6 The Swedish top diplomat Erik Boheman was frank about this to the US Minister Johnson 7 in Stockholm 1942: He remarked that Sweden was made neutral by sheer force of circumstances, that it would be quite impossible to induce the Swedish people to fight either Norway or Finland. He emphatically stated that it was the determination of the Swedes to resist by force any attack on their territory from whatever quarters it came.

Another US report from Stockholm on July 2, 1942 was also positive: Swedes have successfully resisted German “War of nerves” which seems to have been abounded and it is doubtful if any further effort along this line will be effective.8



5 The Swedish diplomats made great efforts in these fields 1942 – 45, including Raoul Wallenberg; see Paul A. Levine, From indifference to activism. Swedish diplomacy and the Holocaust, 1938 – 1944, Uppsala 1996; also Paul A. Levine, Raoul Wallenberg in Budapest. Myth, history and Holocaust, Edgware 2010. 6 Klas Åmark, Att bo granne med ondskan, Stockholm 2011, p. 664. 7 Also in OSS: The Secret History of America’s First Central Intelligence Agency, Stockholm 2005. 8 Bo Hugemark (Ed.), I orkanens öga- 1941 – osäker neutralitet, Stockholm 1991, p. 26.

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Herschel V. Johnson was the American Minister in Stockholm, Sweden, 1939 – 1945. During the refugee crisis and Nazi deportation actions in Denmark 1943 and central Europe, Johnson advocated help for Jewish refugees. He reported that Swedish government officials and members of the Foreign Ministry had taken actions on behalf of Dutch and Norwegian Jews. He tried to get the US government to help during this refugee crisis. In October 1943, he reported on the Danish-Swedish rescue of Jews. Johnson became the War Refugee Board representative to Sweden and recommended Raoul Wallenberg for its rescue mission in Budapest, Hungary in 1944.9 The restrictive Swedish policy was modified in 1942 following the deportation of almost half of occupied Norway’s Jewish population – a few hundred individuals – to Germany; most of the remainder managed to escape, primarily to Sweden. The following year the Danish resistance movement transferred almost all Danish Jews, more than 7,000 people, to Sweden. Tens of thousands of non-Jewish Norwegian and Danish refugees also arrived in Sweden during the war, along with 30,000 Balts fleeing the advancing Red Army across the Baltic Sea in 1944 – 45. Another 170,000 refugees and evacuees arrived in Sweden from Finland, which in its turn took in half a million Karelians in its new borders in autumn 1944. The arrival of refugees in Sweden required an extensive organisation for administering their reception. The Ministry of Health and Social Affairs provided refugees with housing, education and employment in an operation requiring collaboration between government agencies, humanitarian organisations and institutions established by the refugees themselves, coordinated by the National Board of Refugees (Nationella flyktingnämnden).

6. Violations of Swedish territory 1939 – 1945, Swedish protests to Berlin and the Allies Sweden often protested of violations of her territory by the Allied powers and Germany. In April–May 1944, as an example, Sweden protested in London (bombers over southern Sweden), in Berlin (shots at a Swedish submarine and German mines in Swedish waters) and in Moscow (bombers at several places).10 Swedish air territory was often violated, due to Swedish reports. In the period of April 1940 to May 1945, the figures were as follows: Violations of Swedish territory by foreign aircraft April 1940 to May 1945 In total 4,701 reported cases 9 https://www.holocaustrescue.org/us-diplomats-who-aided-jews (last access 23. 08. 2021); Richard Breitman, American rescue activities in Sweden, in: Holocaust and Genocide Studies, 7 (2), Fall 1993, pp. 202 – 215; Henry Feingold, The Politics of Rescue. The Roosevelt Administration and the Holocaust, 1938 – 1944, New Brunswick 1970, p. 258. 10 Per Anders Fogelström (Ed.), Världspolitiken i karikatyrer, 1943 – 1945, Stockholm 1945, p. 40, drawing “Sweden protests”. For the diplomatic protests see Wilhem M. Carlgren, Svensk utrikespolitik 1939 – 1945, Stockholm 1973.

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Observed Aircraft between 17,701 – 17,880 40 % not identified by nation 8,142 Allied aircraft 2,620 German aircraft 11

7. The Joint Chiefs of Staff wanted to get Sweden and Turkey into the war in October 1943 In October 1943, the Joint Chiefs of Staff now wanted to get both Sweden and Turkey into the war against Germany. This issue was discussed in Washington on October 25, 1943, and during the Moscow Conference. The U. S. Defense Staff thought it was desirable to get two states more in the war but stated that the Western powers had little chance to help Sweden and Turkey by military means, since this would affect other operational areas in Europe negatively. Operation Overlord (the invasion of France) now had priority number one, and a Scandinavian operation would split the forces. The Western powers could help neither Sweden nor Turkey if they went to war with Germany, and the USSR was fully engaged on the Eastern front with Germany. In clear words that meant that Sweden and Turkey were desired to become new allies in the war but then had to fight Germany alone. That was indeed a bleak outlook for both Sweden and Turkey – no wonder that they remained neutral in the war. Turkey declared war on Germany only in 1945, which even Finland did in March 1945, little known today. An amphibious operation on Norway was hazardous and even so an operation to establish and maintain air bases in Sweden. Such operations furthermore ought to be carried out before the invasion of France (Operation Overlord 1944) at great risks. So it was, in principle, considered desirable to get Sweden into the war, but the Allies had little to offer in substantial help to fight the Germans on Swedish soil. This was the military advice to the President. President Franklin D. Roosevelt and Secretary Hull now followed the same line as the Joint Chiefs of Staff. London and Moscow were told that the United States could not deploy some 600 fighter planes and 4 – 5 Army divisions to support Sweden, plus 6 – 7 Army divisions to take parts of Norway and establish lines of communication. An operation of this magnitude would seriously affect the planned Cross Channel Operation. The U. S. Stockholm legation also discouraged from such planning. In a letter dated November 21, 1943, minister Johnson and the Military Attachés said it would be almost impossible for the Allies to establish some air bases in Sweden since the Germans had great opportunities to attack and destroy them.12 11 Tommy Pettersson, Överflygningar av Sverige 1939 – 1945, unpublished, MHA , SNDC , 1996. 12 Kent Zetterberg, Svensk säkerhetspolitik 1943, in: Bo Hugemark (Ed.), Nya fronter? – 1943, Stockholm 1994, p. 22.

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Fig. 4: Winston Churchill, December 30, 1941. Foto: Yousuf Karsh. Library and Archives Canada.

Churchill’s attitude to Swedish neutrality moved from critical to support. He met Erik Boheman several times in London from 1940 to 1942. In his memoirs Boheman recalls a long conversation he had with Churchill in 1942 where the two men discussed Sweden’s precarious situation after the Winter War and Hitler’s occupation of Denmark and Norway. Churchill’s analysis was clear: “I think I understand your attitude and your policy, you must arm and arm and prepare yourself for the worst, do not give way for German demands more than you absolute must, but on the other hand do not be fool-hardy, we do not want another victim. We do not want another victim, he repeated in his most boisterous tone.”13

8. The end of the war years 1944 – 1945 During the last war years, 1944 – 1945, Sweden strengthened its position in Europe politically, economically and militarily. The national government now openly followed a pro-Allied political line in anticipation of Germany’s coming defeat. Germany protested diplomatically against the training of around 20,000 Danish and Norwegian police/infantry troops in Sweden, but this had no effect. The Western powers United States and Britain were during the last years of the war very satisfied with Sweden’s new security politics and even 13 Zetterberg, (as note 12), p. 22; also Carlgren (as note 10), chapter on Germany.

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hoped that Sweden would take part in the war on the Allied side, if necessary, and later on in the reconstruction of war-torn Europe. Finally the Red Army invaded Norwegian Finnmark in 1944 – 1945, and Norwegian troops, trained in neutral Sweden, were flown by American transport planes from Kallax airbase/ Luleå in northern Sweden into Finnmark in order to establish Norwegian authority! This so-called Operation Balchen was undertaken also in order to “contain communism” in Norway. Finland secured an armistice on her front with the Soviet Union in September 1944 and then pressed the German army out of Finnish Laponia in the Lappland War of 1944 – 1945. In April 1945 the Commander in Chief of the Swedish Defence Staff, General Count Carl August Ehrensvärd, who himself volunteered for Finland in 1918 and 1939 (Winter War), declared in a secret press conference in Stockholm that the Swedish defence forces now were ready to join the Allies to liberate Denmark and Norway from German occupation – if the Germans did not surrender (Operations Save Denmark and Save Norway). Happily enough the Germans surrendered in good order, so the plans were not to be used. There also was a Swedish plan to receive, take care of and intern around 400,000 German soldiers and civilians from Norway in Sweden at this late stage of the war. The aim was to avoid “a bloodshell” in Norway. General Ehrensvärd also noted that the tide of the war in the far north were not be believed, saying that if anyone had told him two years ago in 1943 that Finnish troops were chasing the Germans out of Finland and the Red Army was standing by, just watching, he would have said that this person was mad. Yet now, Swedish and Allied troops, together with Norwegian and Danish troops, trained in Sweden, were ready to liberate Denmark and Norway if needed. This also was unbelievable two years previously. During the last war years, in late 1943 the German OKW were calculating for Sweden joining the Allied cause and thus shaping a dangerous northern front for Germany, exposed to air attacks by the Allies from Swedish air bases. In a report from October 1943 the Swedish army was analysed with respect, forming 12 – 14 army divisions, 6 – 8 cycle brigades, 4 armoured brigades, 1 motorised brigade, many commando units, corps artillery regiments etc. The new Swedish tank, Landsverk m/42, of 22 tons made a good impression; the Anti-Air Defences were strong etc. The Swedish infantry were praised – “Hervorragende Orientierung und Bewegung im Walde” (outstanding performance and orientation in forests) – like the Finnish soldiers. Also the commando units were considered as excellent as the Swedish close-fighting tactics, but the artillery needed more guns and the tank troops were lacking modern material. The Swedish air force holds 700 aircrafts of which 400 were modern. The navy had 7 armoured battleships, 4 cruisers, 25 destroyers, 25 submarines and a lot of torpedo-boats, patrol-boats and minesweepers. The navy was regarded as the strongest, followed by the army and last by the air force, due to lack of modern aircraft in substantial numbers.14 14 Kent Zetterberg, Storkriget går mot sitt slut. Sveriges läge förbättras, in: Bo Huldt, KlausRichard Böhme (Ed.), Vårstormar – 1944, Stockholm 1995, pp. 46 – 51.

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Fig. 5: The Swedish White Buses rescue programme led by Folke Bernadotte.The White buses at the quay in Sweden. May 1945. Photographer K. W. Gullers. Nordiska Museet.

9. Hitler and OKW did not trust Sweden 1944 – 1945 In September 1944, OKW and Hitler regarded Sweden as a threat in the north if they joined the Allies. Ten German army divisions and strong navy- and “Luftwaffe”-units therefore had to stay and protect Norway against an Allied invasion and the threat of the Allies joining hands with Sweden. In a war game in Norway in autumn 1944, the AOK Norwegen had found that they lacked mobile units to be able to stop a Swedish invasion on a broad scale. In January 1945, Hitler and the OKW were desperate and planned to shot V-1 and V-2 rockets on Stockholm if Sweden joined the Allies in the war (obviously from Peenemünde in former Swedish Pomerania (Swedish territory 1648 – 1815), an irony of history in the last phase of the war).15 15 Kent Zetterberg, Svensk säkerhetspolitik i krigslutet och inför det nya Europa 1945, in: Bo Huldt, Klaus-Richard Böhme (Ed.), Horisonten klarnar – 1945, Stockholm 1995, pp. 195 – 197;

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However, the war came to a swift end in May 1945 and Hitler committed suicide. Nazi Germany was defeated. And so ended the war in Europe. The shadow of Nazi Germany and Hitler was gone, and neutral Sweden now wanted to do its share to rebuild Europe and give as much humanitarian help as possible to a suffering mankind. This was done in the framework of the United Nations and on other arenas. Sweden had escaped the war and Hitler, but with a somewhat bad conscience as a bystander in this total war against Nazism and Fascism, notwithstanding the White Busses in 1945 or the Bernadotte-Operation to rescue Jews and internees.

10. Sweden – a middle range state in strategic terms In retrospect, one can characterize the policy that Sweden followed as a combination of concessions and resistance politics. The concessions to Germany dominated in the years 1940 – 41, an intermediate position was reached in 1942, and from 1942 – 1943 Sweden was gradually able to use the growing freedom of action to place herself closer to the side that she had always considered the right one, following an ever more pro-Western line during the last war years. In 1940 – 1942 the main objective of the Swedish government had been to prevent the catastrophe, a war with Germany, by staying neutral and maintaining good diplomatic and trade relations with the potential aggressor. There were, however, many politicians (social democrats, liberals,) and also diplomats like Gunnar Hägglöf who felt that this was only gave a limited and artificial breathing space. They did not believe that Sweden could keep good relations with a victorious Nazi Germany in the long run. Others, like foreign minister Christian Günther, considered this to be an open question. There was a fundamental difference of opinion on Germany in Sweden at this time, and the same difference existed also in the Swedish debate. Within the security policy elite (the Cabinet, party leaders, diplomats, military leaders) most preferred a “wait-and-see policy” and not to discuss Germany’s uncomfortable shadow over Sweden. This view dominated also in public debate and opinion. The thesis of the national unity and neutrality was firm and not for discussion. However, the politics of Sweden’s national security – balancing under the umbrella “neutrality” – by nature had to adapt to the actual situation, initially from 1940 to 1942 favouring Germany, then shifting to serve the interests of the Allies just as had been the case during the First World War.16 Sweden was a middle range state with five assets – national unity, grand strategy, neutrality, defence and rearmament, and, finally, trade. They were the Swedish policy tools available, and they were well used during these dark war years. Combined they supported Sweden’s policy to stay outside the war. They were employed in a “realpolitik” by the Swedish government in a counter-balancing security policy to keep Sweden neutral and Zetterberg (as note 12), pp. 22, 55 – 81. 16 For Sweden in the years 1914 – 1919 see Gihl (as note 1).

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Fig. 6: Prime Minister Per Albin Hansson talking with The Chairman of The Swedish Industralists’ Corporation, managing director Wethje at the Annual Meeting of The Swedish Industralists’ Corporation on April, 25th, 1944. Photographer unknown. Tekniska Museet Stockholm.

out of the war. In a historical perspective this security policy was a continuation of a long Swedish non-aligned tradition since 1815.17 Of the Nordic states only Sweden had all these tools available on her side during the Second World War. The government used them in “adaptive neutrality politics” in close cooperation with parliament, trade and industry. Sweden succeeded in developing trust and confidence for her armed neutrality in Berlin, on one side, and Moscow, London and Washington, on the other. Thus, Sweden’s neutrality was regarded as a factor of stability in the war by all the great powers. This was remarkable, yet it was the result of an able management of Swedish politics and interests in all camps. The strong Swedish armed neutrality could only be broken in case of an external attack on Sweden. In strategic and operational terms that was not easy to perform even by Nazi Germany or Stalin’s Soviet Union, not least by the Western powers. Sweden had a good defence position, and government, parliament and people were united in a strong national unity to defend neutrality and peace. Sweden also could arm herself with an excellent defence industry (Bofors, SAAB , Ericson, Volvo etc.). However, Sweden was encircled 17 See Zetterberg (as note 2).

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by Nazi Germany 1940 – 1943, and that shaped Sweden’s course during the Second World War: maintaining a strict Swedish armed neutrality, helping Nordic neighbours and doing humanitarian aid as much as possible, finally being a safe-haven for refugees, Jews and many others in the last war years. The price for the Swedish neutrality was a continued war trade with Nazi Germany until August 1944, including iron ore export, which followed fixed volumes from October 1939, in a deal with Great Britain and Germany, nowadays mostly forgotten. Finally, Sweden, mostly by her own strength, succeeded to protect her peace and neutrality during the Second World War. This was done in a grand strategy, using all strategic assets in the hand of the Swedish government. It was a remarkable achievement by the Swedish government and the Swedish people. The Swedish prime minister 1939 – 1945, the social democrat Per Albin Hansson, concluded in 1945: “We have done our part during the war. We have protected our peace and neutrality. We have nothing to be ashamed of.”

11. References Lars M. Andersson, Mattias Tydén (Ed.), Sverige och Nazityskland [Schweden und Nazideutschland], Stockholm 2007. Richard Areschoug, Dödlig resa. Svenska handelsflottans förluster 1939 – 1945 ­[Tödliche Reise. Die Verluste der schwedischen Handelsflotte 1939 – 1945], Stockholm 2008. Erik Boheman, På vakt – Kabinettssekreterare under det andra världskriget [Auf Wacht – Kabinettsekretäre während des Zweiten Weltkrieges], Stockholm 1964. Mats Bergquist, Alf W. Johansson, Krister Wahlbäck, Utrikespolitik och historia [Außenpolitik und Geschichte], Stockholm 1987. Leif Björkman, Sverige inför Operation Barbarossa [Schweden vor dem Unternehmen Barbarossa], Stockholm 1971. Klaus-Richard Böhme, Svenska vingar växer [Schwedens Schwingen wachsen], Stockholm 1982. Wilhelm M. Carlgren, Svensk utrikespolitik 1939 – 1945 [Schwedische Außenpolitik 1939 – 1945], Stockholm 1973. Wilhelm M. Carlgren, Svensk underrättelsetjänst 1939 – 1945 [Der schwedische Nachrichtendienst 1939 – 1945], Stockholm 1985. Carl August Ehrensvärd, Arméchef i orostid. Dagboksanteckningar 1938 – 1957 [Armeechef in unruhiger Zeit 1938 – 1957], Stockholm 2005. Yvonne Hirdman, Sveriges Kommunistiska Parti 1939 – 45 [Schwedens Kommunistische Partei 1939 – 45], Stockholm 1974. Mikael Holmström, Den dolda alliansen [The Secret Alliance with the West], Stockholm 2011. Bo Hugemark (Red.), Neutralitet och försvar. Perspektiv på svensk säkerhetspolitik 1809 – 1985 [Neutralität und Verteidigung. Perspektiven der schwedischen Sicherheits­ politik 1809 – 1985], Stockholm 1986.

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Kent Zetterberg

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Finnlands Übergang vom Krieg zum Frieden 1944/1945 Manfred Menger

Die Finnen gehören laut der von den Vereinten Nationen jährlich veröffentlichten Rangliste zur Lebenszufriedenheit („Word Happiness Report“) heute zu den glücklichsten Menschen. Dagegen wurde die Geschichte Finnlands und das Geschick seiner Bürger in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts oft als eine Reihe von Katastrophen beschrieben, denen Land und Leute immer nur knapp entkommen konnten. Finnland ist lange Zeit bedauert, kritisiert oder gelobt, aber nur selten beneidet worden; es war schwer geprüft durch innere Konflikte, äußere Bedrohungen und Kriege: 1918 durch einen Bürgerkrieg, der – nicht zuletzt wegen der Rache der Sieger – zu den grausamsten des Jahrhunderts gehörte.1 Noch ehe dessen Wunden geheilt waren, ist der Fortbestand eines souveränen Finnland durch zwei weitere Kriege bedroht worden: durch den aufgezwungenen Winterkrieg 1939/40, eine Folge des Hitler-Stalin-Paktes, und danach durch den 1941/44 an der Seite Deutschlands geführten sog. Fortsetzungskrieg. Beide Kriege waren überwiegend das Ergebnis von Großmachtinteressen. Finnlands Spielraum blieb gering, wurde von seiner Führung aber im Großen und Ganzen klug genutzt. Der Winterkrieg wurde durch die Akzeptanz harter Friedensbedingungen beendet und so die drohende Besetzung des Landes abgewendet, die Offensiven des Jahres 1941 sind eingestellt worden, sobald sich der Blitzkrieg als Illusion erwies. Obwohl viele das Ende Leningrads erhofften, versagte sich Finnlands Führung dem deutschen Drängen auf eine Beteiligung an direkt gegen die Stadt gerichteten Offensivhandlungen, um die Russen in dieser für sie besonders sensiblen Frage nicht herauszufordern.2 Finnland hat allerdings auch noch in den Jahren relativer Ruhe an seinen Fronten, also 1942/43, direkt und indirekt viel im Interesse der deutschen Kriegführung geleistet, galt als wichtigster Verbündeter, hat jedoch nie einen „totalen Krieg“ proklamiert und geführt. Es gab zeitweilig, besonders im Rausch der anfänglichen militärischen Erfolge, durchaus gravierende Fehlspekulationen, darunter illusorische Vorstellungen namentlich des Generalstabs über die künftige finnische Ostgrenze, und zudem längerfristig generell einige überaus problematische Vorgänge und Verhaltensweisen finnischer Instanzen und

1 Angesichts von 36.640 Opfern, davon 27.038 „Rote“, 5.179 „Weiße“, 4.423 andere, meist Russen. Angaben nach: Seppo Hentilä, Pitkät varjot. Muistamisen historia ja politiikka [Lange Schatten. Erinnerungsgeschichte und Politik], Helsinki 2018, S. 29. 2 Vgl. dazu Manfred Menger, Deutschland und Finnland im zweiten Weltkrieg. Genesis und Scheitern einer Militärallianz (Militärhistorische Studien 26, N. F.), Berlin 1988, S. 137 f., S.  141 f.

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Akteure.3 Dominierend war indessen eine Überlebensstrategie mit dem Ziel, ein Verbluten der Lebenskraft des Landes zu verhindern und den Krieg unter möglichst allen Bedingungen ohne Untergrabung der nationalen Existenzgrundlagen zu überstehen. Das ist letztlich weitgehend gelungen. Finnland wurde im Ergebnis des Winter- und Fortsetzungskriegs amputiert, hatte viel menschliches Leid, den Tod von ca. 93.000 Soldaten und 2000 Zivilpersonen zu beklagen,4 verlor etwa 12 Prozent seines Territoriums, mehr als ein Zehntel seiner industriellen Kapazität, musste Güter im Wert von 300 Millionen Dollar nach dem Kurswert von 1938 als Reparationsleistung liefern und war seit der Teheraner Konferenz eindeutig der sowjetischen Einflusssphäre zugeordnet.5 Es gehörte aber nicht zu den Ländern, die am meisten unter dem direkten Kriegsgeschehen zu leiden hatten; das Kernland blieb unzerstört, die Bevölkerungsverluste betrugen 3,1 Prozent, ähnlich wie in Ungarn, Österreich oder Griechenland.6 Besonders fiel auch ins Gewicht, dass Finnland außer Großbritannien als einziges der am Weltkrieg beteiligten Länder Europas nicht besetzt wurde – und das zudem als einzige Ausnahme unter Russlands europäischen Nachbarn seine nationale Souveränität und gesellschaftliche Struktur bewahren konnte. Das erschien vielen erstaunlich. Bezeichnend dafür ist die von J. F. Kennedy im Gespräch mit einem finnischen Diplomaten geäußerte Bemerkung, dass das, was die Amerikaner erstaune, die Frage sei, „wieso die Sowjetunion den Finnen gestattet hat, ihre Selbständig­ keit zu behalten“.7 Auf die Frage, warum nicht geschah, was zu befürchten war, gibt es viele Antworten.8 Die wichtigste ist wohl die, dass sich Finnland 1944 in richtiger Einschätzung der militärstrategischen Gesamtlage gerade noch zum rechten Zeitpunkt aus dem Kriegsgeschehen zurückziehen konnte – noch rechtzeitig genug, um einer Eroberung und Verwüstung des Landes durch die Sowjetarmee zu entgehen, und spät genug, um das Risiko zu befürchtender Repressivmaßnahmen der Wehrmacht in kalkulierbaren Grenzen zu halten.



3 In neueren Forschungen werden u. a. die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener, die selektive Besatzungspolitik in Sowjetkarelien, die enge Zusammenarbeit der finnischen Staatspolizei mit der Gestapo sowie die Rolle des finnischen SS-Bataillons sehr kritisch bewertet. 4 Henrik Meinander, Finnland 1944. Zwischen Hitlers Deutschland und Stalins Sowjetunion, Bad Vilbel 2019, S. 374. Finnland hatte 1938 3.863.753 Einwohner. Im Winterkrieg fielen 27.008, im Fortsetzungskrieg 63.204 und in den anschließenden Kämpfen mit der deutschen Wehrmacht 1.077 Soldaten. Angaben nach: Jatkosodan pikkujättiläinen [Kleiner Riese des Fortsetzungskriegs], hg. v. Jari Leskinen, Antti Juutilainen, Helsinki 2005, S. 1152. 5 Jaakko Kalela: Suomi kylmässä sodassa 1943 – 1991 (12. 11. 2017), http://sgseura.fi/index.php/ lisaeae-artikkeleita/67-jaakko-kalela, letzter Zugriff am 30. 05. 2021. 6 Meinander (wie Anm. 4), S. 374. 7 Max Jakobson Finnland: Mythos und Wirklichkeit, Keuruu 1988, S. 14. 8 Die detaillierteste deutschsprachige Darstellung der sowjetischen Finnlandpolitik der damaligen Periode bietet: Ruth Büttner, Sowjetisierung oder Selbständigkeit? Die sowjetische Finnlandpolitik 1943 – 1948 (Hamburger Beiträge zur Geschichte des östlichen Europas, hg. von Norbert Angermann, Bd. 8), Hamburg 2001.

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Die Sowjettruppen standen im Juli 1944 nach auf der Karelischen Landenge und in dem Gebiet ­zwischen Ladoga- und Onegasee im rasanten Tempo vorangekommenen Offensiven in bedenklicher Nähe der 1940 gezogenen Staatsgrenze. Dabei blieb es aber. Die Grenze wurde nicht durchbrochen, weil sich die finnische Abwehr nach Wochen des teils panikartigen Rückzugs, auch dank deutscher Unterstützung, besonders nördlich und nordöstlich von Wyborg in der Schlacht von Tali-Ihantala, zudem bald auch in Nordkarelien, letztlich stabilisierte. Zugleich aber auch deshalb, weil das sowjetische Oberkommando an der finnischen Front keine neuen Kräfte einsetzen wollte und das angesichts der finnischen Zwangslage und erkennbaren Friedensbereitschaft jetzt auch gar nicht mehr brauchte. ­Stalin soll auf ein Ersuchen des Kommandeurs der Leningrader Front, Generaloberst L. A. Govorov, um Verstärkung für einen Vormarsch nach Helsinki mit der Bemerkung reagiert haben: „Der Krieg wird in Berlin, nicht in Helsinki entschieden.“ 9 Gegen Finnland eingesetzte Streitkräfte wurden an die Fronten südlich des Finnischen Meerbusens verlegt.10 Der Krieg in Europa war in seine Endphase getreten, es begann der Wettlauf nach Berlin. Dass Finnland nicht besetzt wurde und damit eine andere Entwicklung als die osteuropäischen Staaten nehmen konnte, verdankte es also nicht nur dem eigenen Widerstand, sondern auch sehr weitgehend seiner geostrategischen Randlage – den Segnungen der Geographie. Läge es da, wo Polen oder die baltischen Republiken liegen, wäre sein Schicksal ein ganz anderes gewesen.11 Zu den Segnungen der Geographie gehörte auch die Nachbarschaft zum neutralen Schweden, das vom Kreml nicht als Gefahr betrachtet wurde und Finnland vielfältige Hilfe leistete. Im Sommer 1944 stand das Land vor der Alternative, mit Moskau zu einer Übereinkunft zu kommen oder beim nächsten Angriff selbst Kriegsschauplatz zu werden. Dabei war schon lange klar, zumindest seit den im März 1944, nach der Durchbrechung der Leningrader Blockade, vom Staatsrat J. K Paasikivi in Moskau geführten ersten Friedenssondierungen, dass harte Waffenstillstandsbedingungen zu erwarten waren. Zudem forderte der Kreml als Vorbedingung jeglicher Verhandlung eine unzweideutige Regierungserklärung über den Abbruch der Beziehungen zu Deutschland, verbunden mit der ultimativen Forderung an die Deutschen, ihre Truppen innerhalb von zwei Wochen vom finnischen Territorium zurückzuziehen. Sollten die das verweigern, müsse Finnland sie entwaffnen und gefangen nehmen.12 9 Nikolaj Ivanovič Baryšnikov, Finljandija: Iz istorii voennogo vremeni 1939 – 1944, Sankt Petersburg 2010, S. 74 f., S. 174 f. 10 Zwischen Mitte Juli und Mitte August wurden die sowjetischen Streitkräfte auf der Karelischen Landenge um zehn Infanteriedivisionen und fünf Panzerbrigaden reduziert. Vgl. ­Helmut Handzik, Politische Bedingungen sowjetischer Truppenabzüge 1925 – 1958, Baden-Baden 1993, S. 255. 11 Bernd Wegner, Finnland und der Zweite Weltkrieg – eine historische Ortsbestimmung, in: Ahti Jäntii, Marion Holtkam (Hg.), Schicksalsschwere Zeiten. Marschall Mannerheim und die deutsch-finnischen Beziehungen 1939 – 1945, Berlin 1997, S. 36. 12 Meinander (wie Anm. 4), S. 253 f.

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Das bedeutete: Der Weg zum Frieden erforderte die Bereitschaft zu einem weiteren Krieg, einem Kampf gegen den bisherigen „Waffenbruder“. Der galt aber den Finnen zunächst als „eine physische und moralische Unmöglichkeit“ 13. Gewiss war aber auch, dass die Wehrmacht nicht völlig kampflos abziehen würde und das in der gestellten Frist auch keinesfalls konnte. In Lappland standen, z­ wischen dem Polarkreis und dem Eismeer, 200.000 Mann der 20. Gebirgs-Armee in drei Armeekorps an der Front. Bei ihrem im Falle eines finnischen Separatfriedens seit längerem vorgesehenen Rückzug nach Norwegen („Operation Birke“) sollten jedenfalls der „wehrwirtschaftlich lebensnotwendige Nordraum“ (die Nickelgruben im Petsamogebiet) und die strategisch wichtigen Inseln im Süden (Åland und Suursaari/Hochland) behauptet werden.14 Darüber hinaus gab es noch viel weiter reichende Erwägungen über Umsturzpläne im Falle eines „finnischen Verrats“ 15. Nennenswerte eigene Kräfte standen der Wehrmacht aber in Süd- und Mittelfinnland nicht zur Verfügung und, wie vorauszusehen, generell auch kaum finnische Kollaborateure. Schwer bedroht war aber Lappland. Tatsächlich kam es dann dort seit Anfang Oktober nach einem zunächst unter Umgehung der Waffenstillstandsbedingungen ­zwischen finnischen und deutschen Kommandobehörden insgeheim vereinbarten und geführten Scheinkrieg unter sowjetischem Druck zu einem blutigen Kampf, bei dem auf beiden Seiten über 1000 Mann ihr Leben verloren 16 und Lapplands Infrastruktur und Ansiedlungen weitgehend verwüstet wurden. Generell war aber doch schon im Sommer 1944 absehbar, dass Deutschland zu landesweiten Sanktionen, ähnlich wie es sie gegen Italien oder Ungarn durch die Besetzung ergriffen hatte, nicht mehr in der Lage war. Nach der Anfang August erfolgten Wahl G. Mannerheims, des „Marschalls von Finnland“, zum Präsidenten und dessen Erklärung, sich nicht an die von Deutschland wenige Wochen zuvor (am 26. Juni) auf dem Höhepunkt der militärischen Krise in Karelien von seinem Amtsvorgänger R. Ryti erpresste Allianzverpflichtung gebunden zu fühlen, verkündete Finnlands Regierung am 2. September den von Moskau geforderten Bruch mit Deutschland. Mannerheim ersuchte Hitler dafür in einem im versöhnlichen Ton gehaltenen Brief mit Dankesbezeugungen um Verständnis. In dem Brief hieß es: „Ich möchte besonders unterstreichen, dass, auch wenn das Schicksal Ihren Waffen nicht den Erfolg gönnen sollte, Deutschland noch weiterleben wird. Eine ähnliche Behauptung kann im Falle Finnlands nicht vertreten werden. Wenn ­dieses Volk von kaum vier Millionen militärisch besiegt ist, kann man kaum bezweifeln, dass es verschleppt und ausgerottet werden würde.“ 17

13 Väinö Tanner, Suomen tie rauhaan 1943 – 1944 [Finnlands Weg zum Frieden 1943 – 1944], Helsinki 1952, S. 165. 14 Waldemar Eefurth, Der Finnische Krieg 1941 – 1944, Wiesbaden 1950, S. 282 – 321. 15 Menger (wie Anm. 2), S. 219 – 222; Meinander (wie Anm. 4), S. 229. 16 Meinander (wie Anm. 4), S. 304. 17 Zit. nach: Ahti Jäntii, Marion Holtkamp (Hg.), Schicksalsschwere Zeiten. Marschall Manner­ heim und die deutsch-finnischen Beziehungen 1939 – 1945, Berlin 1997, S. 58.

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Seit dem 5. September herrschte an der finnisch-sowjetischen Front Waffenruhe. Zu einem endgültigen Friedensvertrag kam es erst auf der Pariser Friedenskonferenz im ­Februar 1947,18 der war aber nahezu identisch mit dem am 19. September 1944 in Moskau unterzeichneten Waffenstillstands- bzw. Vorfriedensvertrag (Välirauhansopimus).19 Der Sache nach war das ein Diktat, kein wirkliches Verhandlungsergebnis. „Alle Forderungen (sind) Ultimaten. Sachliche Diskussion nur in Nebensachen“ 20, hatte der Delegationsleiter nach Helsinki telegraphiert. Wortführer bei den im Kreml geführten Unterredungen war W. M. Molotow, eine Hassfigur der Finnen, namensgebend für ihre im Winterkrieg genutzte primitive, aber wirksame Abwehrwaffe, den Molotowcocktail, den der staatliche Alkoholkonzern in Hunderttausenden Flaschen lieferte. Die in dem von Molotow vorgelegten Vertragstext gestellten Forderungen waren mit Großbritannien, das formell zu den Kriegsgegnern Finnlands gehörte, abgestimmt und entsprachen weitgehend dem, was Stalin schon im Dezember 1943 in Teheran verlangt hatte und was von Roosevelt und Churchill fast widerspruchslos zur Kenntnis genommen worden war. Churchill hatte immerhin für maßvolle Reparationsforderungen plädiert.21 Grundsätzlich waren aber sowohl Großbritannien als auch die USA bemüht, mit Blick auf Finnland alles zu unterlassen, was die Beziehungen zum sowjetischen Verbündeten trüben und Stalin als Illoyalität auslegen konnte. Sie begnügten sich mit Stalins Äußerung, ein so tapfer kämpfendes Volk wie die Finnen verdiene Anerkennung und die Bewahrung seiner Unabhängigkeit.22 Dessen Respekt vor dem nationalen Selbsterhaltungswillen der Finnen stand wohl außer Frage, aber eine Garantie für ein freies Finnland war das sicher nicht. Nichteinmischung war und blieb dann auch bis zum Ende des Kalten Krieges bestimmend für die Haltung der Westmächte in der Überzeugung, dass das sowohl im eigenen als auch im finnischen Interesse geboten war. Aber auch dem Kreml lag daran, in der finnischen Frage Konflikte mit den westlichen Alliierten zu vermeiden.23 Auch wurden, abgesehen vom Marshallplan, keine Einwände gegen finnische Kreditaufnahmen (Ende 1945 bis 1948: 135 Millionen Dollar)24 bei den USA erhoben. 18 http://www.verfassungen.eu/fin/frieden47-i.htm, letzter Zugriff am 06. 06. 2021. 19 https://karjalankuvalehti.fi/sso/asiakirjat/moskova_valirauhansopimus_1944.pdf, letzter Zugriff am 06. 06. 2021; englischer Text in: Tuomo Polvinen, Between East and West. Finland in International Politics 1944 – 1947, Minneapolis 1986, S. 289 – 293. 20 Zit. nach: Meinander (wie Anm. 4), S. 271. 21 Tuomo Polvinen, Barbarossasta Teheraniin. Suomi kansainvälisessä politiikassa I: 1941 – 1943 [Von Barbarossa nach Teheran. Finnland in der internationalen Politik I: 1941 – 1943], Juva 1979, S. 293; Meinander, (wie Anm. 4), S. 27; Charles E. Bohlen, Witness to History, New York 1973, S. 150 – 151. 22 Polvinen (wie Anm. 21), S. 290 – 293; Meinander, (wie Anm. 4), S. 27. 23 Kalela (wie Anm. 5); Tuomo Polvinen, Finnland und die Westmächte am Wendepunkt des zweiten Weltkrieges, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe, XXX (1981), H. 1 – 2, S. 67 – 70. 24 Manfred Menger, Die finnische Nachkriegswirtschaft, in: Kriegsende im Norden. Vom heißen zum kalten Krieg, hg. von Robert Bohn und Jürgen Elvert (Historische Mitteilungen

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Die Freude über die Waffenruhe wurde bei den meisten Finnen getrübt durch das Gefühl anhaltender Bedrohung, neuer Jahre der Gefahr. Diese Befürchtungen wurden besonders befördert durch bestimmte dem Land auferlegte, die politische Struktur und Rechtsauffassung berührende Verpflichtungen, durch den Ausbau der entsprechend den Friedensbedingungen, also unter Zwang, für 50 Jahre gepachteten, nur 30 Kilometer von Helsinki entfernten Halbinsel Porkkala zum sowjetischen Flottenstützpunkt und durch das Einrücken einer alliierten, faktisch sowjetischen Kontrollkommission mit 241 sowje­ tischen und etwa 15 britischen Offizieren. Sie stand unter dem Kommando eines ausgewiesenen Experten für Sowjetisierung, des Generalobersten Andrej A. Ždanov, einer der mächtigsten Granden der KP dSU , 1940 Hauptakteur beim Anschluss Estlands an die Sowjetunion.25 Im Herbst 1944 waren viele Faktoren, die s­ päter in eine positive Entwicklung mündeten, noch offen und unsicher. Bezeichnend für die diffuse Furcht war, dass auf Veranlassung des Generalstabs für den Fall äußerster Bedrängnis nach einer Besetzung insgeheim umfassende Vorbereitungen für einen Partisanenkrieg getroffen wurden.26 Ein weiteres, aber nicht aufgedecktes Wagnis war auch die Überwachung der Telefon- und Fernschreibverbindungen des Hauptquartiers der Kontrollkommission im Helsinkier Hotel Torni, dem Ort, wo Berthold Brecht Jahre zuvor von seinen finnischen Freunden vor der Abreise nach Kalifornien verabschiedet worden war. Letztlich verlief vieles besser als befürchtet. In den acht Monaten ­zwischen der Unterzeichnung des Waffenstillstandes bis zum Ende des europäischen Krieges konnte in Finnland im März 1945, also noch vor der Schlacht um Berlin, die erste freie Wahl im verwüsteten Europa durchgeführt werden. Generell erwies sich, dass die Kontrollkommission zwar unerbittlich auf die Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen drängte und dabei auch auf Einschüchterungen und Strafandrohungen zurückgriff, grundsätzlich aber ihre Befugnisse nicht überschritt. Die innere Ordnung blieb vollständig in der Kompetenz der finnischen Behörden.27 Die von Stalins Terror in den dreißiger Jahren hart betroffenen Kommunisten 28 durften und sollten nach einem Systemwechsel streben, wurden aber nicht durch über die Waffenstillstandsbedingungen hinausgehende Eingriffe in Finnlands der Ranke-Gesellschaft, Beiheft 14), Stuttgart 1995, S. 309. 25 Grundlegend dazu: Jukka Nevakivi, Ždanov Suomessa. Miksi meitä ei neuvostoliitolaistettu? [Ždanov in Finnland. Warum wurden wir nicht sowjetisiert?], Helsinki 1994. 26 Unter Leitung von Stabsoffizieren wurde insgeheim ein Netzwerk von Guerillaeinheiten aufgebaut mit Waffenlagern für eine 35.000 Mann starke Widerstandsbewegung. Den führend in die Aktion involvierten Personen und dem Land erwuchsen daraus letztlich nur erhebliche Probleme. 27 Osmo Jussila, Seppo Hentilä, Jukka Nevakivi, Politische Geschichte Finnlands seit 1809. Vom Großfürstentum zur Europäischen Union, Berlin 1999, S. 252. 28 Dem Terror sollen etwa 20.000 in der UdSSR lebende Finnen, vielfach Emigranten, zum Opfer gefallen sein. Siehe: Timo Vihavainen, Stalin ja suomalaiset [Stalin und die Finnen], Helsinki 1998, S. 111.

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­Innenpolitik unterstützt.29 Nach allem, was man heute weiß und kennt, kam es dem Kreml auf nicht mehr und nicht weniger an, als in Finnland eine möglichst willfährige Regierung auf breiter Basis an der Macht zu wissen, die bereit und imstande war, alle dem Land auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen und insbesondere auch die für die Sowjetunion in der gegebenen Situation ins Gewicht fallenden Reparationsleistungen zu erbringen. Diese Konstellation war seit November 1944, dann noch ausgeprägter nach den Wahlen vom Frühjahr 1945 durch die von Paasikivi unter Einbeziehung von Kommunisten gebildeten Regierungen gegeben. Paasikivi, ein Konservativer alter Schule, aber nicht belastet von der Zusammenarbeit mit Hitlerdeutschland, mit lebenslangen Erfahrungen im Ausgleich finnischer und russischer Anliegen, vertrat seit jeher die Auffassung, dass es in Finnlands eigenem Interesse lag, Russlands „legitimen“ Sicherheitsinteressen Rechnung zu tragen. Er war Persona grata im Kreml, eine Respektsperson auch für die Kontrollkommission. Um Vertrauen zu gewinnen und damit das Wesentlichste, die Selbständigkeit und das Gesellschaftssystem, zu sichern, war Finnland mit Ausnahme des gescheiterten Versuchs, in Abstimmung mit den Deutschen in Lappland nur einen Scheinkrieg zu führen, bestrebt, allen Vertragsverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion nachzukommen: •  Die Evakuierung und Neuansiedlung der Flüchtlinge aus den abzutretenden Gebieten erfolgten in einer Weise, die politischen Zündstoff auf Dauer wirksam aus dem Wege zu räumen versuchte. Sie betraf ca. 12 Prozent (420.000 Personen) der Gesamtbevölkerung. Zum Vergleich; Im Westen Deutschlands lag dieser Anteil bei 16, in der SBZ bei 24,9 Prozent (7,9 bzw. 4,3 Millionen).30 •  Die Güter, die der Sowjetunion als Wiedergutmachung und zu einem erheblichen Teil als Industrie- und Schiffbauerzeugnisse zu liefern waren und in den Jahren 1945 – 1948 ein Sechstel der Ausgaben des Staatshaushaltes ausmachten, rückten pünktlich nach Plan über die Grenze. Immerhin wurden im Sommer 1948 die damals noch ausstehenden Reparationen um 50 Prozent gesenkt, um 73,5 Millionen $.31 •  Im Lande verbliebene deutsche Staatsbürger, insgesamt 470 Personen, wurden interniert,32 2700 deutsche Kriegsgefangene ausgeliefert, deutscher Besitz nach der Potsdamer Konferenz der Sowjetunion übereignet, der auch die finnischen Staatsschulden 29 Nevakivi (wie Anm. 25), S. 87; Hentilä, (wie Anm. 1), S. 233. 30 Manfred Menger, Die Evakuierung und Neuansiedlung der Karelier während und im Gefolge des Zweiten Weltkrieges, in: Dynamiken der Gewalt. Krieg im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Gesellschaft. Festschrift für Bernd Wegner, hg. von Michael Jonas, Ulrich Lappenküper, Oliver v. Wrochem, Paderborn 2015, S. 90 – 101. 31 Ausführlich dazu: Büttner (wie Anm. 8), S. 258 – 292. 32 Zu dem Passus über die Internierung in Finnland lebender deutscher und ungarischer Staatsbürger kam es auf britische Initiative. Vgl. Lars Westerlund, Absturz einer Oberschicht. Zur Situation der Finnlanddeutschen 1933 – 1945, in: Finnland im Blick, Historische und zeitgeschichtliche Studien. Festschrift für Dörte Putensen, hg. v. d. Deutsch-Finnischen Gesellschaft e. V., Berlin 2014, S. 221.

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bei Deutschland auszuzahlen waren. Insgesamt stieg dieser Betrag auf 7,4 Milliarden Finnmark. Das entsprach etwa dem Wert von 40.000 Eisenbahnwaggons.33 •  Einschneidend für die innenpolitische Situation waren das Finnland auferlegte, radikal umgesetzte Verbot aller militärischen, halbmilitärischen und politischen Organisationen, die aus alliierter Sicht hitlerfreundlich oder faschistisch („hitleriläismieliset“, „fassisminluontoiset“) geprägt waren oder Propaganda gegen die Sowjetunion und deren Verbündete betrieben hatten, sowie die Forderungen nach Freilassung aller politischen Gefangenen und der Aufhebung aller diskriminierenden Einschränkungen ihrer freien Betätigung. Mitte Oktober wurde die Kommunistische Partei legalisiert. Ihre Versammlungen hatten großen Zulauf. •  Schließlich wurden 1946 entgegen der finnischen Rechtsauffassung und der überwiegenden Volksmeinung acht Politiker als Kriegsschuldige durch ein rückwirkendes Sondergesetz zu Haftstrafen z­ wischen zwei und zehn Jahren verurteilt, dann aber vorzeitig entlassen. Mannerheim, „bei dem man eigentlich hätte anfangen müssen“,34 blieb als Integrationsfigur, wie von Stalin schon 1943 „feierlich versichert“ worden war,35 verschont. Generell ist zu sagen: Die Finnen haben sich, soweit dies unumgänglich war, gefügt. Auch die Massenmedien machten eine Kehrtwendung: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (L. Wittgenstein). Aus den Schulbüchern wurden „fehlerhafte“, also politisch brisante „Informationen“ entfernt (anfangs überklebt).36 Im Parlament gab es viele neue Gesichter, vorübergehend bekamen Kommunisten eine Schlüsselstellung in der Sicherheitspolizei. Denkmäler sind aber nicht gestürzt worden, es gab keine Hinrichtungen, die Streitkräfte mussten erheblich reduziert werden, aber weder die Beamtenschaft noch das Offizierskorps wurden ausgewechselt, das Sozialgefüge blieb intakt, die Kontinuität der politischen Institutionen ungebrochen, der Übergang vom Krieg zum Frieden verlief unter der Regie führender Exponenten der alten Elite. Beide Spitzenpolitiker, Präsident Mannerheim und Ministerpräsident Paasikivi, plädierten dafür, den Machtverhältnissen und Vertragsbestimmungen Rechnung zu tragen. Die Entscheidungsgewalt lag zunehmend bei Paasikivi, der im März 1946 nach Mannerheims Rücktritt zum neuen Staatsoberhaupt gewählt wurde. Von einer „Stunde null“ war in Finnland nicht die Rede. Gleichwohl führte das Kriegsund Nachkriegsgeschehen in mehrfacher Hinsicht zu einer geschichtlichen Zäsur, zu einem Bruch, der bei allen Belastungen auch Positives bewirkte. Der Kriegsausgang und die Waffenstillstandsbedingungen, namentlich der Artikel 21 über das Verbot aller als politisch 33 Niklas Jensen-Eriksen, Saksalaisen omaisuuden luovuttaminen Neuvostoliittoon 1946 [Die Übergabe des Eigentums der Deutschen an die Sowjetunion 1946], in: Wars, Internees and the Transition to the Postwar Era, hg. v. Lars Westerlund, Helsinki 2010, S. 152. 34 So Ždanov, nach: Meinander (wie Anm. 4), S. 323. 35 Polvinen (wie Anm. 21), S. 286. 36 Meinander (wie Anm. 4), S. 353.

Finnlands Übergang vom Krieg zum Frieden 1944/1945

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problematisch erachteten Organisationen und einer profaschistischen Partei, markierten das Ende des 1918 etablierten „weißen“ Finnland, das zwar nicht in eine Diktatur abgeglitten war, in dem aber außerparlamentarische Kräfte, darunter vor allem die bewaffneten, nun aufgelösten Schutzkorps, „unverhältnismäßig viel Macht im Vergleich zum Rechtsstaat hatten“ 37, in dem auch militante Nationalisten agieren und politische Straftäter mit der Nachsicht der Justiz rechnen konnten, falls sie für ihr Verhalten „vaterländische“ Motive geltend machten.38 Innenpolitisch gab es bei der Wende vom Krieg zum Frieden keinen Verlust, sondern eher einen Zugewinn an Demokratie. Noch unmittelbarer und gravierender war der Umbruch im Verhältnis zur UdSSR . Maßgeblich für die finnische Position wurde und blieb die vor allem von Paasikivi u. a. in seiner legendär gewordenen Rede vom 6. Dezember 1944 geforderte Anpassung an die Machtrealitäten.39 Die verlangte, wie Paasikivi verdeutlichte, generell und dauerhaft die Bereitschaft, die sicherheitspolitischen Interessen der Sowjetunion genau zu berücksichtigen, dabei und damit aber stets die eigene Kultur, staatliche Souveränität und völkerrechtliche Selbstbestimmung zu bewahren. Das ist weitgehend gelungen, obwohl die Ausgangssituation des Landes 1944/45 äußerst schwierig und Finnland auf Dauer stärker als irgendein anderes Land außerhalb des Ostblocks in den Einflussbereich der Sowjetunion einbezogen war, durch ein Defensivbündnis auch militärpolitisch. Es wurde aber kein Satellitenstaat, und sein Bestreben, außerhalb der Konflikte der Großmächte zu bleiben, ist 1948 auch von der UdSSR vertraglich anerkannt worden. So blieb Finnland eine z­ wischen den Blöcken stehende bürgerliche Demokratie und entwickelte sich vom Lebensstandard her zu einem zur Spitze Europas gehörenden, intakten Wohlfahrtsstaat. Im Gegensatz zu so manchen kritischen Bewertungen der Position Finnlands in der Zeit des bipolaren Mächtekonflikts, seit 1966 kulminierend in dem politischen Kampfbegriff der „Finnlandisierung“, wird die Nachkriegsstrategie und flexible Anpassungsfähigkeit der Finnen heute auch in der westlichen Welt weitgehend mit Respekt beurteilt. In Finnland selbst gibt es seit dem Zerfall der Sowjetunion allerdings auch eine andere Tendenz beim Rückblick auf die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, eine Art „neupatrio­tische Wende“ 40. Im Grunde geht es dabei neben dem Schwarzmalen der Zeit unter ­Präsident 37 Paavo Lipponen, Die Vernunft siegt, Berlin 2014, S. 74. 38 Vgl. dazu: Presidentti Timo Eskon puhe Lakimiesliiton Seniorien tilaisuudessa 4. 12. 2018: Korkein oikeus 100 vuotta [Rede von Präsident Timo Esko auf einer Veranstaltung der Senioren der Anwaltskammer am 4. 12. 2018. 100 Jahre Oberstes Gericht. Wohin geht es?], in: https:// korkeinoikeus.fi/fi/index/ajankohtaista/puheet_1.html, letzter Zugriff am 10. 06. 2021. 39 Tuomo Polvinen, J. K. Paasikivi: Valtiomiehen elämäntyö 4: 1944 – 1948 [Das Lebenswerk des Staatsmanns 4: 1944 – 1948], Helsinki 1999, S. 28 – 30. 40 Vgl. Tiina Kinunnen, Die „Lotta“ als Verkörperung der Nation. Transformationen des nationalen Selbstbildnisses in der finnischen Nachkriegszeit, in: Finnland und Deutschland. Studien zur Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Bernd Wegner, Oliver von Wochem, Daniel Schümmer (Hamburger Beiträge zur Geschichte des östlichen Europa,

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U. K. K ­ ekkonen (1956 – 1981) auch um den Versuch, den Fortsetzungskrieg auf den gleichen heiligen Sockel zu stellen, auf dem der Winterkrieg zu Recht stets gestanden hat. Dass es ein Angriffskrieg an der Seite Hitlerdeutschlands war, wird ausgegrenzt mit dem Begriff des Sonderkriegs, in dem Finnland um die Wiederherstellung der Gerechtigkeit gekämpft und durch die Abwehr der sowjetischen Großoffensive auf der Karelischen Landenge im Sommer 1944 letztlich doch gesiegt hätte. Entgegen einer derartigen, von politischen Konjunkturen und Absichten geprägten „Vergangenheitsbewältigung“ 41 dominiert indessen eindeutig die Auffassung, dass sich Finnland beim Übergang vom Krieg zum Frieden und in der Zeit des Kalten Krieges durch flexibles Handeln, Realitätssinn, nationales Selbstbewusstsein und harte Arbeit behauptet, den Krieg verloren, aber den Frieden gewonnen hat.

Bd. 17), H ­ amburg 2009, S. 139 – 151; Seppo Hentilä, Über den öffentlichen Gebrauch der Geschichte, in: N ­ ORDEUROPA forum, 8 (1998), H. 2, S. 83 – 90. 41 Vgl. dazu auch: Lipponen (wie Anm. 37), S. 94 – 97.

Nach der deutschen Katastrophe. Vorpommern zwischen Mai und September 1945 Matthias Manke

1. Einleitung Die nationalsozialistische Diktatur über Deutschland bzw. weite Teile Europas und der von den deutschen Nationalsozialisten entfesselte Zweite Weltkrieg lassen sich durchaus als „deutsche Katastrophe“ interpretieren. Friedrich Meinecke, der diesen Titel bereits 1946 publizierte, zielte zwar in erster Linie auf die nationalsozialistische Machtergreifung 1933, sprach zugleich aber auch von der „heutige[n] fürchterliche[n] Katastrophe, die aus dem Hitlertum entsprang“.1 Beides, die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland und der Zweite Weltkrieg auf dem europäischen Kriegsschauplatz, endeten am 8. Mai 1945, ohne dass d ­ ieses Datum zwingend „die“ vielzitierte und viel diskutierte „Stunde Null“ darstellte. Der Krieg endete für verschiedene Personengruppen zu lokal, regional, international unterschiedlichen Zeitpunkten, und es schloss sich auch kein „Neuanfang ohne Voraussetzungen“ an.2 Der 8. Mai 1945 war „weder eine ‚Stunde Null‘ noch ausschließlich eine Niederlage“, vielmehr „war er ein Tag der Befreiung und der Niederlage, ein Tag des Endes und des Aufbruchs, ein Tag der Vernichtung und der Hoffnung.“ 3 Unabhängig von der Wahrnehmung des Datums als Befreiung oder Besatzung begann allerdings ein Prozess, in dessen Verlauf „sich Herrschafts- und Machtverhältnisse verkehrten“.4 Die im Osten des Deutschen Reiches in Gestalt der Roten Armee operierende AntiHitler-Koalition übernahm am 26. April 1945 das von der deutschen Wehrmacht aufgegebene Stettin. Bereits am 20. überschritten die sowjetischen Militärformationen in einer Großoffensive die Oder, am 25. gelang ihnen der Durchbruch, und in der Folge stießen sie mit rasanter Geschwindigkeit durch die westlich des Flusses gelegenen pommerschen 1 Bernd Sösemann (Hg.), Friedrich Meinecke: Die deutsche Katastrophe. Edition und internationale Rezeption, Berlin 2019, S. 25 sowie Anm. 12. 2 Martin H. Geyer, Die Nachkriegszeit als Gewaltzeit. Ausnahmezustände nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 70 (2020), H. 4 – 5, S. 39 – 46, hier S. 41 und Zitat S. 42. 3 Hartmut Mehringer, Michael Schwartz, Hermann Wentker, Einleitung, in: Erobert oder befreit? Deutschland im internationalen Kräftefeld und die Sowjetische Besatzungszone (1945/46), hg. v. dens., München 1999, S. 2 – 10, hier S. 2, nach Horst Möller, Die Relativität historischer Epochen. Das Jahr 1945 in der Perspektive des Jahres 1989, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 45 (1995), S. 3 – 9, hier S. 3. 4 Geyer (wie Anm. 2), S. 39.

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Landkreise, Städte und Dörfer. Östlich einer Linie von Wismar, Schwerin und Ludwigslust trafen die sowjetischen auf die angloamerikanischen Alliierten, am 2. Mai kapitulierte der Befehlshaber der 21. deutschen Armee in Schloss Ludwigslust.5 Ebenfalls am 2. Mai endeten, von letzten Gefechten auf den Inseln Usedom und Wollin ebenso abgesehen wie von taktierenden Verhandlungen auf Rügen bis zum 5. Mai, die Kampfhandlungen auf pommerschem Boden.6 Das offizielle Ende der Kampfhandlungen brachten die Kapitulationen der deutschen Truppen im westalliierten Hauptquartier in Reims bzw. der Kommandierenden der deutschen Teilstreitkräfte am Sitz des Oberkommandierenden der Roten Armee in Deutschland in Berlin-Karlshorst mit sich. Im Unterschied zu Pommern östlich der Oder bzw. zu Hinterpommern, das seit März 1945 der Verwaltung der Volksrepublik Polen unterstand, gelangte Vorpommern in den Hoheitsbereich der formal am 9. Juni 1945 eingerichteten Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD ) bzw. der von ihr de jure unter selbigem Datum ins Leben gerufenen Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern. De facto galt die Landesverwaltung bereits einen Tag früher als gebildet, und de facto war sie mindestens noch im Juli 1945 mit sich selbst bzw. der (Um-)Strukturierung ihrer selbst beschäftigt.7 Als Ausweis ihrer hergestellten Arbeitsfähigkeit kann womöglich die Übernahme der politischen Kontrolle über die Personalverwaltung des Landes Anfang August 1945 mit der am Monatsende beginnenden Entnazifizierung der Landesverwaltung gelten.8 Handlungsfähig erwies sich die Landesregierung Ende August 1945 mit der Bestellung eines Bevollmächtigten des Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern für ganz Vorpommern, 5 Detlev Brunner, Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern unter sowjetischer Besatzung 1945 bis 1949, Bd. 1: Die ernannte Landesverwaltung, Mai 1945 bis Dezember 1946, Bremen 2003, S. 11. Siehe detailliert zu den militärischen Operationen Erich Murawski, Der Kampf um Pommern. Die letzten Abwehrschlachten im Osten, Beltheim-Schnellbach 2010, bes. S.  381 – 399. 6 Murawski (wie Anm. 5), S. 462. Siehe auch Peter Neumann, Das Kriegsende in Vorpommern und Mecklenburg. Tagebuchaufzeichnungen aus dem April 1945, in: BaltSt, NF  68 (1982), S. 67 – 83 und Joachim Hartfiel (Hg.), Das Ende des Zweiten Weltkrieges in der Randow-Uecker-Region im Frühjahr 1945. Ein Beitrag zur Geschichte Vorpommerns und der Uckermark, Torgelow 2015 sowie ausführlicher zum Sonderfall Rügen Fritz Petrick, Rügens Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart in fünf Teilen, Tl. 4: Rügens Preußenzeit 1815 – 1945, Putbus 2010, S.  154 – 157. 7 Brunner (wie Anm. 5), S. 17 – 22. Siehe auch Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar, Landesregierungen und Minister in Mecklenburg 1871 – 1952. Ein biographisches Lexikon, Bremen 2012, S.  50 – 52. 8 Damian van Melis, Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern. Herrschaft und Verwaltung 1945 – 1948, München 1999, S. 80 – 93. Siehe für die Übernahme der politischen Kontrolle auch Detlev Brunner, Die Landesverwaltung/Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern 1945 – 1949. Struktur, Funktion und Kompetenz, in: Land – Zentrale – Besatzungsmacht. Landesverwaltung und Landesregierung in der Sowjetischen Besatzungszone, hg. v. Detlev Brunner, Werner Müller, Andreas Röpcke, Frankfurt am Main u. a. 2003, S. 21 – 47, hier S. 25.

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der allerdings am Ende des Folgemonats schon wieder Geschichte war.9 Einen weiteren Indikator ihres Gestaltungswillens könnte die gegen Vorbehalte der KPD -Landesleitung mit der Verordnung vom 5. September 1945 eingeleitete Bodenreform darstellen, auch wenn sie vornehmlich von der Besatzungsmacht gesteuert wurde.10 Unumschränkt traf Letzteres auf die am 21. September 1945 in Schwerin im sowjetisch-polnischen Grenzabkommen fixierte Westverschiebung der deutsch-polnischen Grenze zu,11 aus der erhebliche Konsequenzen für Stettin sowie die Kreise Randow und Usedom-Wollin bzw. ihre Verwaltungen resultierten.12 Eine allen Realitäten in d ­ iesem Zeitraum gerecht werdende Darstellung von Pommern westlich der Oder, von Vorpommern, der dann zu Mecklenburg-Vorpommern gelangenden Teile der ehemaligen preußischen Provinz Pommern, scheint im hier möglichen Rahmen kaum machbar. Von daher wird im Folgenden einerseits in keiner Hinsicht, weder in einzelnen historischen Phänomen noch in deren lokaler Widerspiegelung, Vollständigkeit beansprucht. Und es werden andererseits von vornherein bestimmte Aspekte wie die Flüchtlingsfrage 13 oder 9 Matthias Manke, Pommerscher Patriotismus oder mangelnde Parteilichkeit? Das Geschehen um den Bevollmächtigten des Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern für Vorpommern im September 1945, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus MecklenburgVorpommern, 25 (2021), H. 1, S. 40 – 51; ebd., S. 40 – 42, zu unterschiedlichen Datierungen für die Einsetzung und Aussetzung des Bevollmächtigten. Siehe zum Amt auch ders., Der Bevollmächtigte des Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern für Vorpommern, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 16 (2016), H. 2, S.  63 – 65. 10 Detlev Brunner, Die Bodenreform in Mecklenburg-Vorpommern, in: Ausgewählte Aspekte der Nachkriegsgeschichte im Kreis Herzogtum Lauenburg und in den Nachbargebieten, hg. v. Eckardt Opitz, Bochum 2004, S. 127 – 144, bes. S. 127 – 131. In d ­ iesem Sinne auch Siegfried Kuntsche, Bodenreform in einem Kernland des Großgrundbesitzes: Mecklenburg-Vorpommern, in: „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, hg. v. Arnd Bauerkämper, Stuttgart 1996, S. 51 – 68, hier S. 51 – 52 und S. 56. 11 Bernd Aischmann, Die Grenzziehung auf der Insel Usedom 1945 – 1951. Hat Polen Usedom besetzt?, in: Der Golm und die Tragödie von Swinemünde. Kriegsgräber als Wegweiser ­zwischen Vergangenheit und Zukunft, Red. d. Nils Köhler, Kamminke 2011, S. 307 – 332 mit dem Verhandlungsstatus der Vier-Mächte-Konferenzen und der normativen Kraft des Faktischen. Siehe weitgehend ohne die vorpommerschen Details auch Michael G. Hartenstein, Die Geschichte der Oder-Neiße-Linie. „Westverschiebung“ und „Umsiedlung“ – Kriegsziel der Alliierten oder Postulat polnischer Politik?, Reinbek, München 22014, S.  53 – 151. 12 Bernd Aischmann, Mecklenburg-Vorpommern, die Stadt Stettin ausgenommen. Eine zeitgeschichtliche Betrachtung, Schwerin 2008; Dirk Schleinert, Der Kreis Usedom-Wollin von Mai bis Oktober 1945 und sein erster Nachkriegslandrat, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 9 (2005), H. 2, S. 5 – 12; Matthias Manke, Die Stadt Stettin und der pommersche Kreis Randow in den ersten Nachkriegsmonaten (Mai bis Oktober 1945), in: Opitz (wie Anm. 10), S. 63 – 94. 13 Martin Holz, Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene auf der Insel Rügen 1943 – 1961 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur

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die Exklave Pölitz 14 aus der Betrachtung genommen, die ohne Zweifel von hoher Relevanz waren bzw. sind. Aus dem Verzicht resultiert umgekehrt der Vorteil einer Fokussierung auf andere zeitgenössische Problemlagen, wie sie beispielsweise der Präsident der jungen Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern am 20. August 1945 gegenüber den Landräten der Kreise und den Oberbürgermeistern der Städte formulierte. Vordringlich waren für ihn neben der Unterbringung der [!] „Flüchtlinge“ der Ernteeinsatz und die Herbstbestellung sowie, möglicherweise dem Publikum geschuldet, der Aufbau der kommunalen Verwaltungen.15 Letzterer, also die innere Organisation einschließlich der bereits erwähnten personellen Besetzung, war ohne die sowjetische Besatzungsmacht und die von ihr protegierten deutschen Kommunisten undenkbar.

2. Vom Krieg zum Frieden Stralsund geriet ab Mai 1944 mehrfach ins Visier der angloamerikanischen Bomber, denen beim verhängnisvollsten Angriff am 6. Oktober 650 – 700 Menschenleben sowie – neben 648 leicht, 225 mittelschwer und 176 schwer beschädigten Häusern – 336 Häuser komplett zum Opfer fielen.16 Anklam, d. h. die Innenstadt, war bereits am 9. Oktober 1943 und damit nahezu ein Jahr vor Stralsund in Schutt und Asche gefallen,17 am 4. August 1944 traf es v. a. pommerschen Geschichte, Bd. 39), Köln, Weimar, Wien 2003. Siehe für den politischen Rahmen in Land und SBZ Miriam Seils, Die fremde Hälfte. Aufnahme und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Mecklenburg nach 1945, Schwerin 2012, S. 50 – 84 und Michael Schwartz, Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945 – 1961, München 2004. 14 Bernd Aischmann, Der „Pölitzer Bezirk“ 1945/46 – Mecklenburg-Vorpommerns Exklave auf Zeit an der Oder, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 13 (2009), H. 2, S. 26 – 38. 15 Landeshauptarchiv Schwerin (LHAS), 10.31 – 1, Nr. 9, Bl. 75 – 78: Rede des Präsidenten Höcker auf der Konferenz des Präsidenten der Landesverwaltung mit seinen Mitarbeitern, den Landräten und Oberbürgermeister am 20. August 1945 in Schwerin, hier Bl. 76. 16 Achim Schade, Matthias Redieck (Hg.), Stralsund im Bombenhagel. Der Bombenangriff vom 6. Oktober 1944 mit Fotos aus der Sammlung Willy Lange, Rostock 2014, S. 14 – 28, hier bes. S. 19 – 22. Siehe auch Jörg Friedrich, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940 – 1945, München 62002, S. 187, wo von 1000 Todesopfern die Rede ist. 17 Günter Manthei, Ulrich Schulz, Zum Gedenken und zur Mahnung: Vor 60 Jahren – verheerendes Bombeninferno in Anklam, in: Heimatkalender Anklam und Umgebung, NF  12 (2003), S. 39 – 42; Peter Eggert, Anklam – 9. Oktober 1943: Die 8. US Air Force über ­Anklam – Hintergründe und Fakten, in: ebd., S. 43 – 53; Friedrich (wie Anm. 16), S.  184 – 185; Heinz Bemowsky, Vor 60 Jahren begann der 2. Weltkrieg, in: Heimatkalender Anklam und Umgebung, NF  8 (1999), S. 58 – 63, hier S. 61 – 62; Peter Kielmann, Vor 50 Jahren: Der 9. Oktober 1943 – das größte Unglück in der 700-jährigen Geschichte der Stadt Anklam, in: Heimatkalender Anklam und Umgebung, NF  2 (1993), S. 24 – 30; Axel Klätte, Vor 50 Jahren: Der 9. Oktober 1943 – Anklam im Bombenhagel, in: ebd., S. 30 – 32.

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das Arado-Werk, den Flugplatz und die Zuckerfabrik.18 „Es blieb dann jedoch deutschen Bomben und Granaten überlassen, der Innenstadt im April 1945, als die sowjetischen Truppen bereits in der Stadt waren, den Rest zu geben.“ 19 Britische Bomben trafen am 6. März 1945 auch Sassnitz, löschten knapp 1000 Menschenleben aus, beschädigten 336 Wohnungen schwer und 400 leicht und zerstörten neben Schiffen und Hafenanlagen 195 Wohnungen komplett.20 Während alliierte Luftangriffe in Anklam, Sassnitz, Stralsund und nicht zuletzt im bis Ende September 1945 noch deutsch verwalteten Swinemünde 21 schwere Zerstörungen anrichteten, blieben sowjetische Luftangriffe auf Greifswald am 25., 26. und 27. April 1945 vergleichsweise harmlos.22 Während Kampfhandlungen, bewaffnete Widerstandsakte bzw. überhaupt die militärische Besetzung in Demmin,23 Swinemünde 24 und Wolgast 25 schwere 18 Manthei, Schulz (wie Anm. 17), S. 41. Bei einem weiteren Bombardement am 25. August 1944 wurde der Flugplatz gänzlich zerstört. Siehe auch Bemowsky (wie Anm. 17), S. 62 und Kielmann (wie Anm. 17), S. 26. 19 Manthei, Schulz (wie Anm. 17), S. 42. Siehe auch Bemowsky (wie Anm. 17), S. 63 und Axel Klätte, Vor 50 Jahren – 29. April 1945 – Als der Krieg in Anklam zu Ende ging, in: Heimatkalender Anklam und Umgebung, NF 4 (1995), S. 21 – 23, hier S. 23. 20 Petrick (wie Anm. 6), S. 153. 21 Helmut Schnatz, Der Luftangriff auf Swinemünde. Dokumentation einer Tragödie, München 2004. Siehe dazu auch die Beiträge von dems., Erwin Rosenthal, Rolf-Dieter Müller, Nils Köhler und Klaus Utpadel in: Der Golm und die Tragödie von Swinemünde (wie Anm. 11) sowie Friedrich (wie Anm. 16), S. 170 – 176; Schleinert (wie Anm. 12), S. 7 – 8 zur unmittelbaren Nachkriegsgeschichte. 22 Günter Mangelsdorf (Hg.), Zwischen Greifswald und Riga. Auszüge aus den Tagebüchern des Greifswalder Rektors und Professors der Ur- und Frühgeschichte, Dr. Carl Engel, vom 1. November 1938 bis 26. Juli 1945, Stuttgart 2007, S. 281 [25., 26., 27. April 1945]. Dem offenbar folgend Henrik Eberle, „Ein wertvolles Instrument“. Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus, Köln, Weimar, Wien 2015, S. 592; Helge Matthiesen, Das Kriegsende 1945 und der Mythos von der kampflosen Übergabe, in: Horst Wernicke (Hg.), Greifswald. Geschichte der Stadt, Schwerin 2000, S. 135 – 140, hier S. 139 erwähnt „erste schwere Fliegerangriffe“ der von Anklam auf Greifswald vorrückenden Sowjets am 27. April. Auch Rudolf ­Hermann zufolge, dessen Aufzeichnungen erst am 27. April wieder einsetzen, handelte es sich an ­diesem Tag um einen russischen Luftangriff; Arnold Wiebel, Chronik von Rudolf Hermanns Lebenszeit und Lebensarbeit mit Einschub längerer Dokumente und Erörterungen, InternetFassung Mai 2011, zuletzt erweitert im März 2016, S. 146, https://theologie.uni-greifswald.de/ storages/uni-greifswald/fakultaet/theologie/ls-sys/Unpublizierte_Quellen/Rudolf-HermannChronik_Maerz_2016.pdf, letzter Zugriff am 31. 05. 2021; Joachim Mai, Die Jahre der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur, in: Wernicke (wie Anm. 22), S. 121 – 133, hier S. 133, erwähnt die Luftangriffe gar nicht und bezeichnet die Stadt als „unzerstört“. 23 Elke Scherstjanoi, Die Einnahme der Stadt Demmin durch die Rote Armee am 30. April 1945, in: Petra Clemens, Elke Scherstjanoi, Das Kriegsende in Demmin 1945. Umgang mit einem schwierigen Thema, Demmin 2013, S. 27 – 48. 24 Schleinert (wie Anm. 12), S. 5 – 6. 25 Tom Schröter, Wolgast. Noch mehr Geschichte und Geschichten, [Usedom] 2018, S. 255 – 270. Der Greifswalder Internist Gerhardt Katsch empfand Wolgast, als er die Stadt am 11. September 1945 durchfuhr, „nur unerheblich beschädigt, grobe Zerstörungen finden sich nur in

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Zerstörungen anrichteten, blieben Damgarten,26 Greifswald 27 und Grimmen 28 davon durch kampflose Übergabe bzw. Kapitulation im Wesentlichen verschont. Letzteres, also eine kampflose Überlassung, galt auch für die Stadt Stralsund und die Insel Rügen, wobei die festen Verbindungen z­ wischen ihnen am 1. bzw. 3. Mai von deutscher Hand zerstört bzw. schwer beschädigt worden waren.29 Am 29. und am 30. April hatte dasselbe Schicksal bereits die Querungen des Peenestroms zur Insel Usedom, die Zecheriner Brücke bei Anklam und die Wolgaster Peenebrücke, ereilt.30 Unabhängig von derlei Großschadensereignissen definierte der Landrat des Kreises Greifswald auf der bereits erwähnten Landräte- und Oberbürgermeistertagung am 20./21. August 1945 die allgemeine Situation wohl sachlich und präzise: „Als die Rote Armee einmarschierte, war die Wirtschaft den Umständen nach in Ordnung und vollständig ausgerüstet mit den notwendigen Produktionsmitteln und Bedarfsgütern, wenn auch natürlich die Kriegsjahre zu entsprechenden Einschränkungen in der Produktion zwangsläufig geführt haben. Durch Luftangriffe ist die Wirtschaft des Kreises Greifswald nicht geschädigt worden und somit intakt geblieben. Die mit dem Einmarsch der Roten Armee in Verbindung stehenden Kriegsereignisse haben sowohl die Landwirtschaft als auch die gewerbliche Wirtschaft einschließlich der kommunalen Versorgungsbetriebe und Verkehrsmittel stark in Mitleidenschaft gezogen bezw. zu einem Teil völlig lahmgelegt.“ 31 Parallel zur deutschen Niederlage bzw. zu den militärischen Erfolgen der sowjetischen Truppen brandeten vor allem Ende April, Anfang Mai kollektive Suizidwellen sowohl durch die Städte als auch über das platte Land. Aus unterschiedlichen, zum Teil nachvollziehbaren Gründen muss für ­dieses Phänomen immer wieder Demmin als Exempel herhalten. Dabei wird, ca. 500 quellengesicherten Selbsttötungsfällen zum Trotz, gern eine mit einem dramatisierenden Raunen unterlegte Opferzahl in größerer Höhe kolportiert.32 Über die fehlende der Nähe der Brücke“; Mathias Niendorf (Hg.), Gerhardt Katsch. Greifswalder Tagebuch 1945 – 46, Kiel 2015, S. 11. 26 Jan Berg, Die Stadt Damgarten unter nationalsozialistischer Herrschaft 1933 bis 1945, in: 775 Jahre Ribnitz – 750 Jahre Damgarten. Beiträge zur neueren Stadtgeschichte, hg. v. Axel Attula, Ribnitz-Damgarten 2008, S. 73 – 102, hier S. 101; Joachim Busch, Zur Geschichte der Stadt Damgarten von 1945 bis 1950, in: ebd., S. 103 – 115, hier S. 104. 27 Uwe Kiel (Hg.), Die unbekannten Retter Greifswalds. Beiträge zur kampflosen Übergabe der Stadt an die Rote Armee im April 1945, Kiel 2020. 28 Gerhard Strübing, Kreis Grimmen. Ein Grundriß der Geschichte. Von den Anfängen bis 1949, Greifswald 1989, S. 58 – 59. 29 Petrick (wie Anm. 6), S. 154 – 157. 30 Bodo Liermann, Die Zecheriner Brücke oder die wechselhafte Geschichte einer Wasserüberquerung, in: Heimatkalender Anklam und Umgebung, NF  8 (1999), S. 49 – 51. Siehe auch Klätte (wie Anm. 19), S. 22 sowie Schröter (wie Anm. 25), S. 258 – 260, 274. 31 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 51, hier: Bericht zur Sitzung am 20. und 21. August 1945 zu Ziff. 5 der Tagesordnung. 32 Petra Clemens, Die Sterbebücher des Standesamtes Demmin über die Selbsttötungen am Kriegsende 1945 in der Stadt, in: Dies., Scherstjanoi (wie Anm. 23), S. 1 – 11, hier S. 2 mit

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Sinnhaftigkeit des Gebrauchs realitäts- bzw. quellenferner Daten, für den sich in jüngster Zeit der Terminus Fake News eingebürgert hat, müssen weiter keine Worte verloren werden. Allerdings entfaltet auch die stete Fokussierung auf Demmin eine durchaus kontraproduktive Wirkung, da sie unnötigerweise die Perspektive reduziert. Singulär war das Grauen von Demmin keinesfalls, Katastrophen ähnlichen Ausmaßes durchliefen allein in der vorpommerschen Nachbarschaft mindestens Anklam 33 und Stralsund 34, Alt Teterin und Ducherow,35 vielleicht auch Rügen und Hiddensee 36. Integrale Bestandteile der „Selbstmordepidemie“ 37 bildeten den gesicherten Zahlen und Matthias Manke, Ertrunken in der Torfgrube. Sterben in Stavenhagen, Ivenack, Kittendorf und Zettemin im Jahr 1945, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 22 (2018), H. 2, S. 58 – 73, hier S. 58 – 59 mit Beispielen für die Ignoranz der Quellen. 33 Klätte (wie Anm. 19), S. 23; Jochen Futterknecht, Anklam, Neuer Markt 10. Wie wir das Kriegsende erlebten, in: Heimatkalender Anklam und Umgebung, NF 21 (2012), S. 52 – 60, hier S. 59. 34 Helmut Lindenblatt, Pommern 1945. Eines der letzten Kapitel in der Geschichte vom Untergang des Dritten Reiches, Leer 21993, S. 355 – 357 nach Oskar Eggert, Das Ende des Krieges und die Besatzungszeit in Stralsund und Umgebung 1945 – 1946, Hamburg 1967, S. 29; Ingo Küster, Im Zweifel für’s Leben. Die Geschichte der Gisela Schönow. Höhen und Tiefen eines menschlichen Schicksals, Stralsund 2016. Herbert Ewe (Hg.), Geschichte der Stadt Stralsund, Weimar 1984, S. 335 nennt 108 Suizide 1945, davon 65 im Mai, dem folgend H[ans]-H[elmuth] Knütter, Das Kriegsende in Stralsund und auf Rügen, Burg auf Fehmarn 1986, S. 23. Gisela Hawkey, Noch heute habe ich fast täglich diese Bilder im Kopf, in: Achim Schade, Matthias Redieck (Hg.), Stralsund: Ende des Krieges – Zeit des Werdens 1945 bis 1946, Rostock 2015, S. 23 – 25, hier S. 23 mit Schilderung des Freitods ihrer Familie. Auszüge aus dem Tagebuch von Dr. med. Paul Eichholz des Jahres 1945, in: ebd., S. 59 – 73, hier S. 60 erwähnt unter dem 3. Mai 1945 einige ihm bekannte Personen, die in den Suizid gegangen waren. Auszüge aus den Aufzeichnungen des Journalisten Walter Radüge, in: ebd., S. 74 – 215 erwähnt unter dem 4. Mai „zahlreiche Selbstmorde“ von Einwohnern, darunter „viele bekannte Persönlichkeiten“ (S. 75), unter dem 1. Juni „Selbstmörder“ (S. 80), unter dem 19. Juni zwölf nicht identifizierte und insgesamt 150 Suizidopfer: „Eine Reihe von Familien ist geschlossen in den Tod gegangen“ (S. 85). Ein weiterer Selbstmord ereignete sich am 19. Juli (S. 94). 35 Angela Krüger, Das Kriegsende in Teterin, in: Heimatkalender Anklam und Umgebung, NF 9 (2000), S. 57 – 59; Renate Meinhof, Das Tagebuch der Maria Meinhof. April 1945 bis März 1946 in Pommern – eine Spurensuche, Hamburg 22005, S. 54 – 56; Nils Köhler, Das Drama von Alt Teterin 1945 – ein Projektbericht, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 14 (2010), H. 1, S. 92 – 99. 36 Fritz Petrick, Rügens Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart in fünf Teilen, Tl. 5: Rügens Zeitgeschichte seit 1945, Putbus 2013, S. 13. Hier heißt es, die Gesamtzahl der Opfer stehe nicht fest; ebd., S. 27 werden einige Rügener Gutsbesitzer genannt, die sich mit ihren Familien beim Einmarsch der Roten Armee das Leben nahmen. 37 Christian Goeschel, Selbstmord im Dritten Reich, Berlin 2011, S. 230. Die Charakterisierung als Epidemie nahmen bereits Zeitgenossen wie etwa der Penzliner Pfarrer Konrad Hendrik vor, der am 12. August 1945 gegenüber dem Oberkirchenrat von „Freitodepidemie“ sprach. Margrit Käthow, Johann Peter Wurm (Hg.), Das Kriegsende 1945 in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs. Lageberichte aus den Kirchgemeinden, Tl. 1: Kirchenkreise Malchin, Stargard und Waren, Lübeck 2020, S. 226. Zitiert bereits von Berit Olschewski,

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ebenso Damgarten mit Langendamm,38 Wolgast,39 Eggesin, Torgelow und Ueckermünde,40 Behrenhoff, Karlsburg,41 Schlatkow oder Schmatzin 42. Die blanken Opferzahlen gestalteten sich hier womöglich weniger spektakulär als in Demmin, vielleicht sind sie aber auch lediglich schlechter dokumentiert oder werden in „falscher“ Relation dargestellt: Während in Demmin ca. 500 von ca. 18.000 Menschen und damit um drei Prozent der Bevölkerung den Suizid wählten, gingen in Alt Teterin 32 von ca. 300 Menschen und damit etwa jeder Zehnte diesen Schritt …43 Ebenso wenig wie um ein Alleinstellungsmerkmal für Demmin handelte es sich um ein (vor-)pommersches Spezifikum,44 vielmehr gebe es allein im regionalen Kontext „Freunde“ im Feindesland. Rote Armee und deutsche Nachkriegsgesellschaft im ehemaligen Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz 1945 – 1953, Berlin 2009, S. 207. 38 Busch (wie Anm. 26), S. 104 spricht von einer „Anzahl von Frauen und Männern“, die in Damgarten in den Freitod gingen, und führt drei konkrete Beispiele auf. Jana Behnke, Das Kriegsende in Ribnitz und Damgarten – eine Bilanz der Todesopfer 1945/46, in: Passgänge. Diesseits und jenseits der Recknitz, Jg. 2013, S. 62 – 66, hier S. 65 nennt etwas mehr Beispiele, verweist aber zugleich auf uneindeutig geführte Sterbebücher und eine physische Lücke im Beerdigungsregister. Hans-Gerd Warmann, Kalenderblätter aus einer verworrenen Zeit. Langendammer Tagebuch 15. März – 26. Mai 1945, Kückenshagen 2007, S. 68 – 69 notierte als Zeitgenosse die Aussage einer Bekannten, nach dem Einmarsch der Roten Armee hätten sich in Damgarten und Langendamm „Frauen mit Kindern“ im Saaler Bodden ertränkt. 39 Schröter (wie Anm. 25), S. 266 erwähnt, wohl Gerd Skibbe, Schritte durch zwei Diktaturen. Autobiographische Kirchgeschichte angefangen im Dritten Reich über die DDR bis zum Fall der Mauer, Friedrichdorf 2002, S. 22 folgend, „einige“ Wolgaster, die ihre Kinder an sich banden und mit Steinen beschwert in den Peenestrom sprangen. 40 Joachim Hartfiel (Hg.), Der Kreis Ueckermünde – Eine Einführung. Der Kreis Ueckermünde im Frühjahr 1945, Ueckermünde 2004, S. 196 – 197 wartet mit drei konkreten Fallbeispielen auf und, gestützt auf die Auswertung der Sterberegister von Eggesin, Ferdinandshof und Torgelow, mit der Pauschalierung: „Viele Bürger oder ganze Familien nahmen sich aber auch das Leben aus Furcht vor der anrückenden Roten Armee […]“; ebd., S. 340 wird ein Standesbeamter zitiert, der die Suizide in Torgelow bei Kriegsende auf 23 beziffert. Siehe auch Martin Albrecht, Ulrich Blume, Torgelow in Pommern, Tl. 4: 1945 – 1989, Friedland 2018, S. 24. Dies., Torgelow in Pommern, Tl. 3: 1862 bis 1945, Friedland 2013, S. 297 blieben noch höchst unbestimmt, indem sie unter die „Hunderte[n] Tote[n]“ der Gemeinde infolge der „vielfältigen Kriegsereignisse“ auch Selbstmordopfer fassen. 41 Helge Matthiesen, Greifswald unter sowjetischer Besatzung und in der DDR, in: W ­ ernicke (wie Anm. 22), S. 141 – 159, hier S. 141. 42 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 279 für von Nathusius-Schlatkow sowie Elsa von Behr-Behrenhoff und Nr. 1063 für Runge-Schmatzin. 43 Demmin hatte nach der Volkszählung vom 29. Oktober 1946 17.789 Einwohner, Alt Teterin 274. Landesregierung Mecklenburg, Ministerpräsidium, Abt. Statistik (Hg.), Gemeindeverzeichnis des Landes Mecklenburg, Schwerin [1947], S. 7, 10. 1939 hatte Demmin 15.534 Einwohner, bedingt durch eine unbekannte Anzahl vor Ort befindlicher Flüchtlinge mögen die Zahlen der Ortsanwesenden Anfang Mai 1945 in beiden Orten höher als vorgenannt gelegen haben. 44 Matthias Manke, In der Peene tot aufgefunden. Sterben in Dargun und Neukalen im Jahr 1945, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 21 (2017),

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der sogenannten drei DDR-Nordbezirke „keine Stadt, kein Dorf und keinen Gutshof, wo es damals nicht zu Selbsttötungen kam“.45 Überhaupt „[schwappte,] als der Krieg abebbte, eine allgemeine Suizid-Manie durch Deutschland“, in der sich „Zehntausende“ selbst entleibten.46 Im Übrigen verhielt es sich keinesfalls so, dass das Thema 1945 von den nunmehr Verantwortlichen vollkommen ausgeblendet wurde. Der Landrat des Kreises Greifswald führte über eine am 1. Juli 1945 in Neubrandenburg vom Oberkommando der Roten Armee einberufene Landräte- und Bürgermeisterbesprechung aus, dass Vermögenswerte von NSDAPMitgliedern und Amtswaltern, „die nach April 1945 durch Selbstmord geendet, oder aber geflüchtet sind“, gerichtlich beschlagnahmt würden.47 In Stralsund, Demmin und Anklam, jenen schwer von Krieg, schwer von „Befreiung“, schwer von Krieg und Befreiung gezeichneten Städten, nahmen sich die Menschen massenhaft das Leben. In Greifswald, kaum vom Krieg gezeichnet, aus freien Stücken vor dem sowjetischen Militär kapituliert – auch, zumindest „gelegentlich“:48 „Günter K. F. Schultzes, Wustrows und Steches haben sich vergiftet, desgl. Min. Dir. Jarmer“, vermerkte Universitätsrektor Carl Engel am 2. Mai in seinem Tagebuch.49 Veranlassung für den Suizid mit Morphiumspritze, den der erstgenannte Leiter der Frauenklinik beging, bot die Vergewaltigung seiner Frau, zu ihm geflohener Verwandter, der Krankenschwestern und mindestens zweier Ärztinnen im Praktikum durch sowjetische Soldaten, die er unter vorgehaltenen Maschinenpistolen mitansehen musste.50 Von den Selbstmorden der beiden erstgenannten Ehepaare wusste der Theologe Rudolf Hermann am 2. Mai ebenfalls, „auch H. 1, S. 45 – 58, hier S. 45 – 47 und ders. (wie Anm. 32), S. 60 mit weiteren Beispielen. 45 Dieter Krüger, Gerhard Finn, Mecklenburg-Vorpommern 1945 bis 1948 und das Lager Fünfeichen, Berlin 1991, S. 14. 46 David R. Beisel, The German Suicide, 1945, in: Journal of Psychohistory, 34 (2007), S. 203 – 213, dt. u. d. T. Der deutsche Suizid von 1945, in: Jahrbuch für Psychohistorische Forschung, 8 (2007), S. 167 – 178, hier S. 168. 47 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 72: Bericht über die am 11. Juli 1945 stattgefundene Bürgermeisterbesprechung, o. D. Diesen Bericht, in dem die Neubrandenburger Tagung nicht datiert ist und der Einladende ungenannt bleibt, verfasste offensichtlich ein Bürgermeister für die KPD -Kreisleitung. Siehe für den verwaltungsinternen Bericht über die Neubrandenburger Tagung LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 51, hier: Tagung der Landräte und Bürgermeister am 1. Juli 1945 in Neubrandenburg. Hier ist nicht explizit von Suiziden die Rede, sondern pauschaler von „Herrenlosen Güter[n]“. 48 Matthiesen (wie Anm. 41), S. 142. 49 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 282 [2. Mai 1945]. Siehe zur Biographie des Zahnmediziners Paul Wustrow ebd., S. 552 und Eberle (wie Anm. 22), S. 708 – 709, zu den beiden anderen genannten Hochschullehrern unten Anm. 50 und Anm. 52 sowie zu Ernst Jarmer Joachim Lilla, Der preußische Staatsrat 1921 – 1933. Ein biographisches Handbuch. Mit einer Dokumentation der im „Dritten Reich“ berufenen Staatsräte, Düsseldorf 2005, S. 78. 50 Eberle (wie Anm. 22), S. 594 nach Hans Georg Thümmel, Greifswald – Geschichte und Geschichten. Die Stadt, ihre ­Kirchen und ihre Universität, Paderborn u. a. 2011, S. 212 und Universitätsarchiv Greifswald, Personalakte Schultze Bd. 2. Der Vorfall wird auch erwähnt von Matthiesen (wie Anm. 41), S. 141.

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eine politisch sehr engagiert gewesene Frau Hoffmeister hat sich das Leben genommen.“ 51 Vom erweiterten Suizid des Germanisten Theodor Steche mit Frau und Tochter erfuhr er etwas ­später,52 mit dem Psychologen Heinrich Schole beging ein weiterer Hochschullehrer Suizid.53 Unter dem 18. Juli notierte Carl Engel dann gar „600 Selbstmorde in Anklam, tägl. in Greifswald“,54 und entsprechende Erwägungen spielten in seinem Bekanntenkreis ebenso wie offenbar für ihn selbst eine Rolle: „Erneutes Gerücht, ein 5 km breiter Küstenstreifen müsste geräumt werden wegen Anlage einer ‚Festung‘. Man macht sich wieder auf den Freitod gefaßt. Wie gestern Abend mit Herrn Demmin, so sagt man: ‚aus meinem Haus trägt man mich nur hinaus!‘“ 55 Überhaupt erging es den Greifswaldern kaum anders als den Menschen in jenen vorpommerschen Städten, die nicht kapituliert hatten. „23h Ausplünderung d. Russen, die zu 4en Frl. […] vergewaltigen“,56 schrieb Carl Engel am 2. Mai in sein Tagebuch, einen Tag zuvor von „ununterbrochene[n] Plünderungen seit 6 h von russ. M ­ arodeuren, Polenmädchen mit russ. Soldaten etc. […] Glawes ausgeplündert!“ 57 Daran und an ähnliche Willkürakte der Besatzungsarmee mussten sich die Greifswalder nunmehr offenbar gewöhnen, der Rektor und sein Umfeld stellten diesbezüglich keine Ausnahme dar.58 Während er bisweilen sehr klar formulierte, dass „Plünderungen u[nd] Vergewaltigungen auf Gütern u[nd] in Einzelhöfen nicht auf[hören]“,59 blieb der Stralsunder Oberbürgermeister in seinen Aufzeichnungen zurückhaltender: „Der erfolgte Einsatz von Arbeitskräften im 7 km Umkreis von Stralsund läuft zwar an, aber sofort wieder dadurch gestört, dass die Frauen aus den Kolonnen von den Soldaten der Roten Armee herausgeholt werden.“ 60 Ungeachtet dessen schien sich Ende des ersten Friedensmonats eine gewisse Normalität im Alltagsleben einzustellen. Das Stralsunder ­Theater nahm seinen Betrieb wieder auf 51 Wiebel (wie Anm. 22), S. 149 – 150 [2. Mai 1945]. 52 Wiebel (wie Anm. 22), S. 151 [7. Mai 1945]. Hier heißt es allerdings „Stache[?]“, ohne dass deutlich wird, ob es sich um ein paläographisches oder ein Identifizierungsproblem handelt. Siehe zur Biographie des Dozenten Eberle (wie Anm. 22), S. 849 – 850. 53 Eberle (wie Anm. 22), S. 594. Siehe zur Biographie ebd., S. 816 – 817. 54 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 295 [18. Juli 1945]. 55 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 295 [14. Juli 1945]. Walter Demmin war Revierförster und Forstsekretär des Universitätsforstamtes Eldena; ebd., S. 453. 56 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 282 [2. Mai 1945], Auslassung des Namens in der Edition. 57 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 282 [1. Mai 1945]. Siehe auch ebd., S. 283 [8. Mai 1945]: „bei Glawes, die total ausgeraubt.“ Siehe zur Biographie des Theologen Walther Glawe ebd., S. 467. 58 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 282 [3./5. Mai 1945], S. 283 [9. Mai], S. 284 [15. Mai], S. 285 [20. Mai], S. 286 [23./24. Mai], S. 288 [3./6. Juni], S. 290 [14./15./16. Juni], S. 297 [26. Juli]. 59 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 286 [27. Mai]. 60 Auszüge aus den Tagesberichten des Bürgermeisters/Oberbürgermeisters Otto Kortüm, in: Schade, Redieck (wie Anm. 34), S. 40 [16. Mai 1945].

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und konnte sich vor Publikum kaum retten,61 der Greifswalder Rektor ging ungeachtet aller Existenzängste des Blickes für die einfache Schönheit der Welt nicht verlustig: „Mandelbäumchen u. Birnen beginnen zu blühen“ stand neben der oberwähnten Suizid-Notiz, etwas ­später hieß es: „Äpfel in voller Blüte, desgl. Tulpen. Flieder beginnt aufzublühen, Grasmücken singen“, weitere vier Tage darauf: „Kastanien, Goldregen in voller Blüte. Alle Grasmücken, Spötter, Pirol singen.“ 62 Frühlings Erwachen verzückte ihn auch weiterhin,63 am Sonnabend vor Pfingsten erfreute er sich sowohl daran, dass „Lupinen, Akelei, Rotdorn blühen“, als auch an „ein[em] unbekannte[n] Komfort“: Nach fast drei Wochen gab es am 18. Mai erstmals „seit 30.IV. wieder elektr. Strom, d. h. Licht und Wasser. […] Morgens also gebraust!“ Und „wie die Ruhe zu Hause den abgebrauchten Nerven gut tut!“ In ­diesem Sinne fiel, zumal „durch Radio-Abgabe Fehlen aller Nachrichten“, sein Resümee für Pfingsten aus: „Die 3 Ruhetage haben den erschöpften Nerven sehr wohl getan.“ 64 Das Wohlgefühl dürfte nicht sehr lange angehalten haben, als die Universität und mit ihr die Bibliotheken geschlossen wurden, schließlich am 30. Mai „wieder kein Strom, kein Licht u. Wasser, da Peenemünde ohne Kohle.“ 65 Noch mehr an die Substanz dürften Carl Engel allerdings die Versorgungslage und die zahlreichen (Kurzzeit-)Verhaftungen in seinem Bekanntenkreis 66 gegangen sein. Im Unterschied zur Ernährungssituation, auf die in der Folge näher einzugehen sein wird, ließ sich bei den Verhaftungen nichts kompensieren. Vielmehr traf es ihn am 26. Juli 1945 selbst. Gleichwohl er Mitarbeiter des Reichskommissariats Ostland von Juni 1941 bis zu dessen Abwicklung 1944 und ad hoc auch des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg war, saß er ohne Anklage bis zu seinem Tod am 25. Januar 1947 in Neubrandenburg-Fünfeichen ein. Abgesehen von ­diesem Einzelschicksal kritisierten in dieser Frage sogar die deutschen Kommunisten die sowjetischen Stellen: „Von den Maßnahmen der Sowjetbehörden werden die wirtschaftlichen und politischen gebilligt, teilweise begrüßt. Nicht verstanden werden vielfach die Verhaftungen, bei denen harmlose oder Nichtfaschisten oft auf lange Dauer festgehalten werden, während aktive Nazis oft schon nach kurzer Vernehmung wieder freigelassen werden.“ 67 61 Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 42 [27. Mai, 2. Juni 1945]. Walter Radüge berichtet, dass nach der Repatriierung der Kriegsgefangenen u. a. die Theaterräume wieder zugänglich ­seien, spricht vom Probenbeginn und von der am 2. Juni bevorstehenden Spielzeiteröffnung. Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 76 – 77 [21., 26. Mai] und S. 80 [30. Mai]. Letzteres findet sich auch bei Paul Eichholz: Auszüge aus dem Tagebuch (wie Anm. 34), S. 62 [2. Juni]. 62 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 282 – 284 [2., 10., 14. Mai 1945]. 63 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 286 [24. Mai 1945], S. 288 [3./4. Juni], S. 292 [26. Juni]. 64 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 285 [19. – 21. Mai 1945]. 65 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 287 [30. Mai 1945]. Siehe auch ebd. [31. Mai], S. 291 [22. Juni], S. 297 [25. Juli]. 66 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 285 [19. Mai 1945], S. 286 [26. Mai], S. 287 [2. Juni], S. 288 [3. Juni], S. 289 [9. Juni], S. 290 [12./16. Juni], S. 291 [22. Juni], S. 293 [2./5. Juli]. 67 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 44 – 47: Fragebogen an den Leiter der KPD Greifswald vom 4. August 1945, hier Bl. 46. Zugl. ebd., Bl. 84 – 86.

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3. Die Nahrungsmittelversorgung Die Ernährung der städtischen Bevölkerungen verkörperte, wie beispielsweise ein am 30. Juni 1945 datierender „Bericht über die Ernährungslage der Stadt Anklam“ verdeutlicht, von Anfang an ein massives Problem. „Vom 30. April bis Mitte Mai konnte die Bevölkerung von Anklam überhaupt nicht mit Lebensmittel [sic!] versorgt werden. Erst ab Mitte Mai fanden die ersten Brotzuteilungen statt, es gab alle 3 bis 4 Tage 400 Gramm Brot für die arbeitende und 200 Gramm für die nichtarbeitende Bevölkerung. Fleisch wurde bis Ende Mai nur zweimal je 200 Gramm zugeteilt. Eine Zuteilung an anderen Lebensmittel, Nährmittel [sic!] usw. konnte nicht stattfinden. […] Infolge ungenügender Mehlzuteilung mußten die Brotrationen am 20.6. herabgesetzt werden und zwar für die arbeitende Bevölkerung auf 300 Gramm und für die nichtarbeitende Bevölkerung auf 150 g täglich. Mit Ausnahme an kleinen Zuteilungen an Butter für das Krankenhaus, Entbindungsheim und Kinderhort konnten an die Bevölkerung von Anklam noch keine Fettrationen ausgegeben werden.“ Mit anderen Worten: „Fett fehlt vollständig“, desgleichen Nährmittel außer Kartoffelmehl und dringend benötigte Kindernährmittel. Immerhin gab es pro Kopf 4 kg Kartoffeln, für einjährige Kinder einen halben und für Kinder bis zu zwei Jahren einen Viertelliter Milch, im Juni sogar 200 g Fleisch – jeweils pro Woche. Soweit die positiven Nachrichten, denn mit einer Fleischzuteilung konnte „in den nächsten Wochen nicht gerechnet werden.“ 68 Im Unterschied zu Anklam gab es in Greifswald schon am 2. Juni „kein Brot mehr“.69 Dieses Problem dauerte an, indem des Öfteren vergeblich danach angestanden wurde. Darin unterschied sich Greifswald nicht von Stralsund, wo am 5. Juli „die Brotration auf ein halbes Brot oder 750 g die Woche herabgesetzt worden [ist].“ 70 Am 7. Juni hieß es in Greifswald: „Fleisch und Fett fallen aus“,71 am 5. Juli: „seit Wochen kein Fett!“ 72 Infolgedessen verspürte Carl Engel „wenig Lust mehr zur Professur“, und seine Devise lautete: „Landwirt werden?“ 73 In der Ernährung konnte er von Ende Juni bis Ende Juli immerhin mit einer reichlichen Kirsch- und Erdbeer-Ernte,74 dann mit Johannis- und Stachelbeeren 75 einiges auffangen, im Juli gelegentlich auch mit Fisch 76. So am 2. Juli: „Abendessen bei Katschs (Fisch)“,77 während Gerhardt Katsch Anfang September f­ esthielt: 68 LHAS, 6.11 – 11, Nr. 206, hier: Bericht des Wirtschaftsamtes über die Ernährungslage der Stadt Anklam vom 30. Juni 1945. 69 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 288 [2. Juni 1945]. 70 Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 90 [5. Juli 1945]. Siehe auch ebd., S. 76 [18. Mai], S. 78 [28. Mai], S. 89 [29. Juni, 1. Juli], S. 91 [7. Juli], S. 95 [23./24. Juli]. 71 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 289 [7. Juni 1945]. 72 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 293 [5. Juli 1945]. 73 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 294 [9. Juli 1945]. 74 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 291 – 296 [20. Juni bis 22. Juli 1945]. 75 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 296 [24. Juli 1945]. Siehe auch ebd., S. 295 [14. Juli 1945]. 76 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 295 [16./18. Juli 1945]. 77 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 293 [2. Juli 1945].

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„Seit der R ­ ussenbesatzung hat die Bevölkerung praktisch überhaupt keine Fische bekommen, und ich sehe in Fischfängen die einzige praktisch durchführbare Möglichkeit, den Eiweißmangel unserer Ernährung aufzubessern.“ 78 Eine ähnliche Feststellung traf Walter Radüge bereits Wochen zuvor für Stralsund: „Fisch gibt es schon seit Monaten nicht, und das in einer Seestadt.“ 79 Beziehungsweise, so ließe sich präzisieren, in einem fluss- und seenreichen Küstenland. In Anklam etwa hörte die vormals reichliche Belieferung mit Fisch „nach dem Einmarsch der Roten Armee […] mit einem Schlage auf.“ Als ursächlich benannte die KPD -Kreisleitung die Zerstörung von Fischereiutensilien und die Beschlagnahme der Fänge für die Besatzungsmacht.80 Im Kreis Ueckermünde, es ist zu ahnen, stellte sich die Situation identisch dar. Der „früher“ wichtige Fischfang befinde sich „vollkommen in den Händen der Roten Armee“, während – so der Bevollmächtigte der Landesverwaltung mit einem leisen Anflug von Kritik – „die Bevölkerung selbst keinerlei Zuweisungen von Fischen [bekommt].“ 81 Das sollte sich so bald nicht ändern, aber womöglich stellte diese Leerstelle auf dem Speisezettel, obwohl Fisch „gerade für die minderbemittelte und werktätige Bevölkerung immer einen billigen Ersatz für Fleisch bedeutet hat“,82 das geringste aller diesbezüglichen Probleme dar. In Stralsund, wo sich die Brotzuteilung im Mai noch auf 200 – 400 g täglich belief,83 aber Anfang Juli nur noch auf ein halbes Brot wöchentlich,84 gab es im Mai/Juni sechs Pfund Kartoffeln pro Woche, 250 g Zucker für Kinder und 100 g für Erwachsene pro Monat, je einmal Ende Mai und Mitte Juni 100 g Fleisch, einmal 50 g Fett. Immerhin bekamen Kinder regelmäßig wöchentlich Nährmittel und Milch, wenn auch nur 25 – 50 g bzw. ¼–½ Liter.85 In Greifswald wurden offenbar am 7. Juli grundlegende Lebensmittel 78 Niendorf (wie Anm. 25), S. 6 [8. September 1945]. 79 Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 94 [16. Juli 1945]. Siehe auch ebd., S. 96 – 97 [25. Juli]. – Oberbürgermeister Otto Kortüm hatte Ende Mai die Aussicht, dass der Zivilbevölkerung wieder Fisch zur Verfügung gestellt werde, erwähnt späterhin Fisch-Schwarzhandel und das Verhältnis von gefangenem zu an die Zivilbevölkerung verteiltem Fisch im Mai/Juni. Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 42 [30. Mai 1945], S. 44 [23. Juni], S. 45 [5. Juli]. Offenbar okkupierte die Militärverwaltung den Stralsunder Fischfang am 4. Juni in wesentlichen Teilen und wenige Tage s­päter komplett. LHAS, 6.11 – 11, Nr. 204, p. 371 – 288: Tätigkeitsbericht der Stadtverwaltung Stralsund o. D., hier p. 374 – 375. 80 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 18, Bl. 16: Vermerk der KPD-Kreisleitung Anklam vom 6. November 1945 betr. Fischerei. 81 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 9, Bl. 49 – 53: Bericht des bevollmächtigten Vertreters der Landesverwaltung über die Landkreise Anklam, Ückermünde [sic!] und Randow vom 28. Juli 1945 an die Landesverwaltung, hier Bl. 51. 82 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 50, Bl. 39 – 42: Oberbürgermeister Stralsund am 17. Dezember 1945 an KPD-Landesleitung, hier Bl. 40. Demnach s­eien die Fischer vor einem halben Jahr für die Besatzungsmacht verpflichtet worden und durften ausschließlich an die Rote Armee liefern. 83 Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 41 [23. Mai 1945]. 84 Auszüge aus dem Tagebuch (wie Anm. 34), S. 64 [8. Juli 1945]. 85 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 50, Bl. 47: Vermerk von Gustav Sobottka über eine Unterredung mit Bürgermeister Korthy [Kortüm – d. Verf.], o. D.

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rationiert: „400 g Brot täglich, 60 g Fett u. 195 g Fleisch wöchentlich für Schwerarbeiter, die Hälfte für die übrigen.“ 86 Der Greifswalder Genosse Karl Hagemann nahm die Situa­ tion zudem als ungerecht wahr, indem er die Frage aufwarf: „Warum bekommen andere Städte wie Anklam, Stralsund, Jarmen ein ganzes Brot pro Person die Woche und hier [sic!] nur ½ Brot“?87 Tatsächlich aber konnte sich beispielsweise die Stralsunder Bevölkerung, die sich im Juni immerhin gelegentlich Hoffnung auf tierische Eiweiße in Form von Knochen 88 und Freibankfleisch 89 machen durfte, wohl nur für einen k­ urzen Moment glücklicher schätzen: „In der Woche vom 15. bis 21. Juli besteht die Lebensmittelzuteilung für Normalverbraucher aus 750 g Brot, 7 Pfund alter [sic!] Kartoffeln, 125 g Marmelade. […] Für den Tag haben wir also zur Verfügung: 1 Pfund alte Kartoffeln, 2 dünne Scheiben Brot – mehr dürfen nicht gegessen werden – und 18 g dünne, wässrige Marmelade. […] Kein Mehl, keine Milch, weder Quark noch Fett, weder Fleisch noch Salz. Auch keinen Essig. Selbst die Kinder erhielten vergangene Woche keine Butter.“ Daraus ergaben sich für Walter Radüge zwei Konsequenzen. Die Lebensmittelration sei „zum Leben zu wenig und zum Sterben bald auch nicht mehr“, und deshalb „muß [man] kaufen, tauschen und schieben. Sonst überlebt man nicht.“ 90 Zwei Wochen s­ päter besserte sich die Situation: „Mit einem Mal gibt es genügend Brot. Nachdem die Bevölkerung rund zwei Wochen kaum ein Brot zu sehen bekam […].“ Zugleich erledigte sich die in einer Versammlung der Stralsunder Kaufleute mit dem Militärkommandanten „gestellte Frage nach der Versorgung mit Fett und Fleisch. […] Eine ­solche Frage [könne] weder gestellt noch beantwortet werden, da sie in das politische Gebiet (!) gehöre.“ 91 Durchaus für diese These sprechen einige Ende September in Ueckermünde und Umgebung aufgetauchte Flugblätter: „Gebt uns mehr zu essen oder wir werden Hitler nie vergessen.“ 92 Geradezu paradiesisch stellte sich die Situation im Kreis Demmin dar, von Anfang Juni bis Mitte Juli gab es für die Bevölkerung Brot, Butter, Fleisch und Milch: 1,4 kg Brot, 100 g Butter, 200 g bzw. ab Juli 100 g Fleisch pro Woche, Kinder bis zum dritten Lebensjahr täglich einen halben Liter Vollmilch, alle anderen Personen einen Liter entrahmte Frischmilch pro Woche. Die Einwohner der Stadt Demmin bekamen überdies zweimal 86 87 88 89 90

Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 294 [7. Juli 1945]. Siehe auch ebd., S. 293 [5. Juli]. LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 57: Karl Hagemann am 2. Juli 1945 an KPD-Bezirksleitung. Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 80 [4. Juni 1945]. Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 83 [9. Juni 1945]. Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 94 [16. Juli 1945]. Siehe auch ebd., S. 106 [24. August]. 91 Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 98 [31. Juli 1945]. Siehe auch ebd., S. 106 [23. August]. – Die zeitgleichen Aufzeichnungen des Stralsunder Oberbürgermeisters lesen sich etwas anders: „Von heute ab werden 200 gr. Brot oder 300 gr. und 1 kg Kartoffeln pro Tag abgegeben.“ Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 47 [30. Juli 1945]. 92 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 53, Bl. 22: KPD-Kreisleitung Ueckermünde am 25. September 1945 an KPD-Landesleitung.

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125 g Quark, einmal 200 g Sirup, 70 g Essig, 125 g Waschpulver, Kinder bis zum zehnten Lebensjahr 200 g Zucker und Kinder bis zum dritten Lebensjahr 150 g Kinderstärkemehl – in eineinhalb Monaten, wohlgemerkt. Kindern auf dem platten Land ging es sogar noch etwas besser, ihre Rationen fielen hier etwas höher aus. Im Unterschied dazu stieß „die Versorgungslage für Normalverbraucher […], insbesondere für Flüchtlinge, mit Brot, auf besondere Schwierigkeiten.“ 93 In Swinemünde unterblieb in der ersten Septemberhälfte die Versorgung mit Brot und Kartoffeln,94 in Karlshagen soll es im September/Oktober kein Brot gegeben haben, Kartoffeln im ganzen Jahr 1945 nicht.95 Keinesfalls jedoch gestaltete sich die Ernährung auf dem Lande günstiger als in der Stadt, wie der Vorstand des Landarbeiterverbandes des Kreises Greifswald berichtete.96 Die Zusammenfassung der Versorgungslage, die der Landrat des Kreises Franzburg-Barth Ende September abgab, dürfte vermutlich auch darüber hinaus Geltung beanspruchen können: Die von der „Administration“ bewilligten Lebensmittel „ergeben, dass Ernährung der Bevölkerung hiermit unmöglich. Nicht nur Hunger, sondern Verhungern ist hiernach sicher. […] Stimmung in der Bevölkerung katastrophal. In Schwerin Äusserung von KZHäftlingen, dass Ernährung in der Nazi-Zeit selbst für sie noch besser als jetzt. Bei dieser Ernährungslage jede Aufbauarbeit und politische Arbeit unmöglich.“ 97

4. Von der Verwaltung des Notstandes: Die Kommunalverwaltungen Die angesprochene Aufbauarbeit gestaltete sich für die in der Regel von der Besatzungsmacht eingesetzten Kommunalverwaltungen zunächst einmal vielfältig, indem neben einem zuverlässigen Apparat auf allen Gebieten der Verwaltung der Alltag der Menschen mit dem Ernährungsproblem, dem Flüchtlingsproblem, dem Wohnraumproblem, dem Entnazifizierungsproblem, dem Wirtschaftsproblem, dem Polizeiproblem, dem Gesundheitsproblem, dem (Bar-)Geldproblem, dem Problem der Bildung und Zulassung von Parteien usw. usf. organisiert werden musste. Dafür galt es, z­ wischen den Belangen und Bedürfnissen ebenjener Menschen auf der einen Seite sowie den Interessen der Besatzungsmacht bzw. der Landesregierung auf der anderen Seite zu lavieren. Dabei klafften offenbar bereits die Erfordernisse im eigenen Zuständigkeitsbereich, d. h. z­ wischen den 93 LHAS, 6.12 – 1/2, Nr. 60, Bl. 23: Bericht des Kreisernährungsamtes Demmin vom 16. Juli 1945. Siehe auch ebd., Bl. 46: Bericht des Kreiswirtschaftsamtes Demmin vom 31. Juli 1945 über den Handelsverkehr im Kreise Demmin in der Zeit vom 1. Mai bis 1. August 1945. 94 LHAS, 6.11 – 11, Nr. 235, Bl. 335: Bürgermeister Swinemünde am 12. September 1945 an Präsident der Landesverwaltung. 95 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 50, Bl. 35 – 36: Erna Nehring, Karlshagen, am 15. Oktober 1945 an KPDLandesleitung, hier Bl. 36. 96 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 146 – 147: Bericht des KPD- und des SPD-Vorsitzenden des Landarbeiterverbandes des Kreises Greifswald vom 23. September 1945. 97 LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: Bericht über die Ernährungslage, 29. September 1945.

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eher städtischen und den eher ländlichen Regionen, auseinander, wie der Landrat des Kreises Anklam deutlich machte: „Die Zusammenarbeit ­zwischen dem Bürgermeister der Stadt Anklam und den Bürgermeistern der Landgemeinden einerseits und dem Landrat andererseits ist befriedigend. Also nicht gut.“ 98 Ausdruck des steten Lavierens ­zwischen den verschiedenen Positionen ist letztlich ein Resümee, das der am 15. Mai vom sowjetischen Zivilkommandanten eingesetzte und dann vom Kriegskommandanten bestätigte Landrat für den Kreis Demmin nach einem halben Jahr im Amt gegenüber dem Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern zog: „Der Kreis, vor allem die Stadt Demmin, hatten besonders schwer gelitten. 365 Häuser, ca. 70 Prozent der Stadt, lagen in Schutt und Asche, über 700 Einwohner hatten durch Selbstmord geendet. Überall Trümmer und Scherben. […] [Ich] mußte auf allen Gebieten und in allen Zweigen der Verwaltung entscheidend bestimmen, natürlich im Einvernehmen mit den [sic!] Herrn Kommandanten.“ 99 Ein Rückblick wie der des Demminer Landrates stellte durchaus eine Seltenheit dar – zumindest, wenn es um die unmittelbare „Befreiung“ ging. Gelegentlich wurden Versäumnisse von 1918100 oder Unzulänglichkeiten von 1933 thematisiert. In Hinsicht auf ihre eigenen Reihen verdrückten die Kommunisten rückwirkend schon mal eine Träne ob „unsere[r] Besten“, die mit ihrem Leben bezahlten und nun nicht mehr „unseren Sieg und unsere kommunistische Idee neu mitaufbauen“ konnten.101 Gedacht wurde ebenso der Mitverantwortung breiter Bevölkerungskreise für das Geschehen der zurückliegenden zwölf Jahre. Die „Mitschuld der deutschen Frau[en]“ habe beispielsweise darin bestanden, dass sie aufgrund der Schlagworte „Kirche und Familie“ „am ehesten den Lügenparolen der faschistischen Propaganda erlagen“ und die NSDAP gewählt hätten.102 Ein ähnlich verheerendes Zeugnis wurde übrigens der „jüngeren Generation“ ausgestellt.103 Gedacht wurde von den Kommunisten auch, „gerade weil ein Vertrag mit d ­ iesem Land bestand“, 98 LHAS, 6.11 – 11, Nr. 206, hier: Bericht der Abteilung Allgemeine Verwaltung vom 18. August 1945. 99 LHAS, 6.12 – 1/2, Nr. 46, Bl. 65 – 67: Tätigkeitsbericht für den Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 21. November 1945 über die Verwaltung des Kreises Demmin vom Mai bis November 1945. hier Bl. 65. Siehe für die Zahl der Suizidopfer auch die Ausführung oben zu Anm. 32. 100 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 9, Bl. 75 – 78: Rede des Präsidenten Höcker auf der Konferenz des Präsidenten der Landesverwaltung mit seinen Mitarbeitern, den Landräten und Oberbürgermeister am 20. August 1945 in Schwerin, hier Bl. 75. 101 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 21 – 28: Kreistagung der KPD [Usedom-Wollin] am 7. September 1945 in Swinemünde, hier Bl. 21. 102 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 45: Protokoll der Gründungsversammlung der Kommunistischen Frauengruppe [Greifswald] am 22. August 1945. Siehe für Schuldfragen auch ebd., Bl. 87 – 89: Mitgliederversammlung der Kommunistischen Partei, Ortsgruppe Greifswald, am 20. August 1945 und feierliche Aushändigung der ersten Mitgliedskarten. 103 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 44 – 47: Fragebogen an den Leiter der KPD Greifswald vom 4. August 1945, hier Bl. 46.

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des „vor allen Dingen Rußland zugefügten Schadens.“ 104 Im Unterschied zur Selbstbeweihräucherung der KPD-Funktionäre nahm die Verwaltungen in der Regel das Tagesgeschehen in Anspruch, und sie versuchten, nach vorn zu blicken. Das gestaltete sich schwierig genug, fehlte es doch beispielsweise an nahezu sämtlichen Kommunikationsmitteln. Noch Ende Juli wusste das Landratsamt Demmin im Grunde nicht, wie sich die Versorgung in den kreisangehörigen Städten Jarmen und Altentreptow bzw. auf den Dörfern gestaltete.105 In einer kaum glücklicheren Situation sah sich der Landrat des Kreises Greifswald, der die Grenzen sowohl seines Sprengels als auch überhaupt der Kreise Vorpommerns als unzweckmäßig erachtete. Die Kreisstädte Anklam, Demmin und Greifswald lägen nicht zentral im jeweiligen Kreisgebiet, Verwaltungsbezirke bildeten keine Einheit mit Wirtschafts- und Gerichtsbezirken. Die Weiterverarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte des Kreises Greifswald erfolge außerhalb – in der Kartoffel- und Stärkefabrik Anklam, in den Zuckerfabriken Anklam und Jarmen, während umgekehrt die Molkereigenossenschaft Greifswald ihren Rohstoff aus dem Kreis Grimmen beziehe. Überhaupt orientierten sich der Ost- und Südostteil des Kreises Grimmen stark nach Greifswald, und der Amtsgerichtsbezirk Greifswald rage in den Kreis Grimmen hinein. Die gebotene Neufestlegung der Kreisgrenzen würde den Kreis Grimmen wohl obsolet machen,106 und davon einmal abgesehen sei eine Zusammenfassung der vorpommerschen Kreise zu einem selbständigen Wirtschafts- und Verwaltungsbezirk des Landes erforderlich.107 Es bestanden jedoch noch weitere Begehrlichkeiten. Zwar dachte der Stralsunder Oberbürgermeister ähnlich wie der Greifswalder Landrat, also deutlich über seinen eigentlichen Zuständigkeitsbezirk hinaus. Der Kreis Franzburg-Barth müsse als das fehlende Hinterland angegliedert werden, „der Landesbeauftragte“ und „der General“ müssten ihren Sitz von Greifswald in den „naturgegeben[en] Mittelpunkt“ des nördlichen Vorpommern nach Stralsund verlagern. Die Stadt sei überdies Endpunkt sämtlicher Verkehrswege und Bahnlinien ­dieses Gebietes, zahlreiche Ämter mit Sitz in Stralsund arbeiteten für die Nachbarkreise bzw. gar für ganz Vorpommern.108 Als die Sowjetische Militäradministration dem 104 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 9, Bl. 75 – 78: Rede des Präsidenten Höcker auf der Konferenz des Präsidenten der Landesverwaltung mit seinen Mitarbeitern, den Landräten und Oberbürgermeister am 20. August 1945 in Schwerin, hier Bl. 76. 105 LHAS, 6.12 – 1/2, Nr. 60, Bl. 46: Bericht des Kreiswirtschaftsamtes Demmin vom 31. Juli 1945 über den Handelsverkehr im Kreise Demmin in der Zeit vom 1. Mai bis 1. August 1945. Siehe auch ebd., Bl. 28: Bericht vom 6. August 1945 über die bisherige Arbeit im Kreiswirtschaftsamt Demmin. 106 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 55: Vermerk des Landrates Greifswald vom 12. Juli 1945, ebenso LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 51. 107 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 51, hier: Bericht zur Sitzung am 20. und 21. August 1945 zu Ziff. 2 der Tagesordnung. 108 LHAS, 6.11 – 11, Nr. 204, Bl. 359: Tätigkeitsbericht des Sekretariates I des Oberbürgermeisters der Stadt Stralsund über den Aufbau der Verwaltung, o. D. [August/September 1945]. In ­diesem Sinne auch ebd., p. 371 – 388: Tätigkeitsbericht der Stadtverwaltung Stralsund, o. D., hier p. 372.

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Rechnung trug und die Landesregierung am 15. Februar 1946 anweisen ließ, das Landratsamt von Barth nach Stralsund zu verlegen, war erwähnter Oberbürgermeister längst nicht mehr im Amt.109 Der Landrat des Kreises Usedom meinte eine ­solche Verwaltungsneuordnung des Landes, wie sie der Landrat des Kreises Grimmen in Vorbereitung der Landräte und Oberbürgermeistertagung am 20./21. August 1945 formuliert hatte, dort als Gewissheit vernommen zu haben. „Mecklenburg / Vorpommern“ werde in einen Nordund einen Südbezirk geteilt, Sitze der Bezirkspräsidenten würden Greifswald und Neubrandenburg. Und auch dieser Landrat hatte Vorstellungen von einer Erweiterung seines Verwaltungssprengels, allerdings nach Reduzierungen an anderer Stelle: „Heute habe ich erfahren, dass wir polnisch werden einschließlich Kaseburg, Friedrichsthal und Kamminke. […] Damit der Teilkreis Usedom wieder lebensfähig wird, bekommen wir einen Teil vom Kreis Greifswald hinzu.“ 110 Letzteres sah der Vizepräsident der Abteilung Inneres der Landesverwaltung etwas anders. Unter der Voraussetzung, dass die Besatzungsmacht ihre Kommandostruktur entsprechend umgestaltete, hielt er eine Angliederung des Restkreises Usedom-Wollin an den Kreis Greifswald für sinnvoller.111 Hingegen entsprachen die durch den Usedomer Landrat skizzierten Verluste ungefähr der Beschlusslage der am 2. August beendeten Potsdamer Konferenz, der zufolge die vorläufige polnische Westgrenze „unmittelbar westlich von Swinemünde“ bzw., wie es der sowjetische Außenminister einen Monat s­ päter formulierte, 15 – 20 km westlich davon beginnen sollte. Die Potsdamer Beschlüsse gedachte die Sowjetunion sehr zum Ärger Polens jedoch längst noch nicht umzusetzen, sie ließ sich damit Zeit bis zum Schweriner Grenzabkommen vom 21. September bzw. bis zu dessen Vollzug am 6. Oktober. In Schwerin wurde die polnische Westgrenze übrigens östlich von Kamminke fixiert.112 109 Joachim Wächter, Änderungen der Verwaltungsgebiete Vorpommerns seit 1945, in: Pommern ­zwischen Zäsur und Kontinuität: 1918, 1933, 1945, 1989, hg. v. Bert Becker, Kyra T. Inachin, Schwerin 1999, S. 271 – 281, hier S. 272 nach LHAS, 6.11 – 11, Nr. 2438 und LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 58b. Siehe für die Absetzung des Oberbürgermeisters Otto Kortüm zum 1. September 1945 Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 47 – 49. 110 LHAS , 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 7 – 9. Funktionärssitzung des Landkreises Swinemünde am 24. August 1945 zur Tagung [der Landräte und Oberbürgermeister] in Schwerin am [21./]22. August 1945, hier Bl. 8. Mit seiner Bezugnahme auf den 20./21. August spielte der Landrat auf die vorgesehene Installierung zweier regionaler Bevollmächtigter an. Siehe dazu LHAS, 6.11 – 2, Nr. 1255, quadr. 242: Präsident der Landesverwaltung, Abt. Innere Verwaltung, am 13. September 1945 an Landräte, Oberbürgermeister, Bevollmächtigte pp., Bl. 56 – 61, hier Bl. 59 sowie das rekonstruierte Protokoll der Landräte- und Oberbürgermeistertagung bei Brunner (wie Anm. 5), S. 182 – 235 (Dok. 33), hier S. 191 – 192. Realisiert wurde lediglich der Bevollmächtigte für Vorpommern. Siehe oben Anm. 9. 111 LHAS, 6.11 – 11, Nr. 235, Bl. 326: Abt. Innere Verwaltung am 26. Oktober 1945 an den Chef der Sowjetischen Militäradministration in Schwerin. 112 Aischmann (wie Anm. 11), S. 314 – 319. Über die Potsdamer Beschlusslage informierte der Landrat unter Berufung auf Nachrichten des Berliner Rundfunks die Bürgermeister des Kreises sehr zeitnah. Siehe LHAS, 6.11 – 11, Nr. 235, Bl. 356: Landrat des Kreises Swinemünde (Usedom-­ Wollin) am 3. August 1945 an alle Bürgermeister des Kreises Swinemünde.

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5. Von Ohnmacht gegenüber der Besatzungsmacht und von deutschen Kommunisten Als der sowjetische Stadtkommandant von Loitz am 19. Juni 1945 bei der ersten Mitgliederversammlung der KPD-Ortsgruppe erschien und ihrer Gründung damit gleichsam seinen Segen erteilte, begrüßten die Anwesenden ihn „mit einem stürmischen ‚Heil Moskau‘.“ Das Vokabular ­dieses sehr wahrscheinlich aufrichtigen Freudenausbruchs muss, auch wenn dergleichen späterhin nicht mehr aktenkundig wurde, nicht zwangsläufig irritieren, verabschiedete sich der Major von den örtlichen deutschen Kommunisten doch mit dreimaliger Wiederholung selbigen Ausrufs.113 Sechs Wochen ­später entstand anderen Ortes ein etwas anderes Bild. Einer offensichtlich höheren Weisung folgend analysierte die Greifswalder KPD Anfang August die Stimmung der Bevölkerung nicht zuletzt gegenüber der Sowjetunion und gegenüber der Roten Armee. Letztere wurde demnach, natürlich dank der „Propaganda der illegalen Gruppe“, in der Stadt zunächst recht „herzlich“ empfangen. Sodann trübten „Übergriffe einzelner sowjetischer Soldaten“ d ­ ieses Verhältnis, „Unsicherheit und Ängstlichkeit, teils eine gewisse Abneigung“ zogen ein. Diese Missstimmung sei „durch das korrekte Verhalten der Offiziere und Soldaten in den letzten Wochen“ erneut umgeschlagen, zumindest teilweise.114 Ein gewisses Problembewusstsein tritt hier wie bisweilen auch in der Folge, beispielsweise über die Wirkung und Nachwirkung antisowjetischer NS -Propaganda, sehr klar zutage. Ungeachtet dessen driftete die Narratio nicht nur der Greifswalder KPD bisweilen in Richtung opportunistischer Realitätsverbrämung ab. So ist die Feststellung „zahlreiche[r] Meckerer, die noch vorkommende Vergewaltigungen und Viehwegführungen im faschistischen Sinne ausdeuten“,115 an Zynismus kaum zu überbieten. Und ein womöglich anstehender Besuch Marschall Georgi Shukows, „des Mitbefreiers Deutschlands“, veranlasste Kommandantur und Landrat des Kreises Swinemünde gleichsam zur Errichtung eines Potemkinschen Dorfes, indem sämtliche Mitarbeiter des Landratsamtes, „mit einer Schippe oder Spaten bewaffnet“, die Straßen und Chausseen Swinemündes zu säubern hatten.116 Ungeachtet dessen lag der Ort drei Wochen s­ päter noch immer oder erneut voller Unrat.117 113 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 19, hier: Protokoll Nr. 1 vom 19. Juni 1945. Demnach handelte es sich um die erste ordentliche Mitgliederversammlung, in der auch der Vorstand der Ortsgruppe gewählt wurde, die bereits am 8. Mai 1945 in Erscheinung trat. Siehe dazu ebd., Vollmacht vom 8. Mai 1945 für August Sehlhoff zur Ausübung des Amtes des Parteiorganisators und Ortsgruppensekretärs. 114 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 44 – 47: Fragebogen an den Leiter der KPD Greifswald vom 4. August 1945, hier Bl. 46. 115 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 44 – 47: Fragebogen an den Leiter der KPD Greifswald vom 4. August 1945, hier Bl. 47. 116 LHAS, 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 12: Vermerk des Landrates des Kreises Swinemünde vom 19. Juni 1945 über die kurze Besprechung der Abt[eilungs-]Funktionäre im Landratsamt. 117 LHAS, 6.12 – 1/9, Nr. 24, Bl. 11: Besprechung der Funktionäre beim stellv. Landrat am 10. Juli 1945. Mangelnde Sauberkeit der Städte bemängelten die Vertreter der Besatzungsmacht immer

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Bei aller Nachvollziehbarkeit der aus den Rechten der Sieger hergeleiteten Rechte der Stärkeren trat überdeutlich zutage, dass die Besatzer eher Ursache schwerwiegender Probleme als Teil ihrer Lösung darstellten. Während der Präsident der Landesverwaltung auf der Landräte- und Oberbürgermeisterkonferenz am 20./21. August ob der Präsenz des stellvertretenden Chefs der Sowjetischen Militäradministration wohl kaum umhin kam, derselben für Verständnis und Unterstützung zu danken,118 herrschte an Euphorie eher Mangel: „Wir sind froh, dass es die Russen sind, die in unser Land einmarschiert sind“, so brach es aus dem ohne Zweifel speziellen Usedomer Landrat heraus, und deshalb würden „wir“ auch freudig den Anzug gegen die Uniform tauschen für die „von uns“ gewünschte endgültige kriegerische Auseinandersetzung mit dem „Kapitalismus im Westen“.119 Tatsächlich handelte es sich bei d ­ iesem Gefühlsausbruch allenfalls um ein Lippenbekenntnis. Eine wesentliche Ursache für die Nahrungsmittelknappheit dürfte bei der Besatzungsmacht zu suchen sein, im Großen wie im Kleinen. Diesbezüglich ließ sich Anfang September beispielsweise der erst wenige Tage amtierende Leiter der Landwirtschaftsabteilung im Landratsamt Greifswald in einer Bürgermeistertagung dazu hinreißen, „von einer herankommenden Hungerkatastrophe in Deutschland“ zu sprechen und sich voller „Ironie und Zynismus“ über „von der Roten Armee aufoktroyiert[e]“ Maßnahmen in der Landwirtschaft auszulassen: „Wir sind gezwungen nach russischem Muster unsere Pläne zu erfüllen, es fehlt nur noch das Wort ‚Kolchose‘.“ 120 Es wäre ihm vermutlich ein Leichtes gewesen, entsprechende Details auszubreiten. Der Landrat des Kreises Franzburg-Barth beispielsweise wies seinen Kreiskommandanten darauf hin, dass die Rote Armee mehr als die 16 angegebenen Gutsbetriebe bewirtschafte. Er bat daher um Aufklärung über die Verhältnisse von weiteren 21 landwirtschaftlichen Betrieben und wies darauf hin, dass das Abgabesoll nicht aufgebracht werden könne.121 Die Ernte in Günz wurde dadurch aufgehalten, dass das Armeekommando in Nisdorf die wieder. Siehe Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 38 [4. Mai 1945]. 118 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 9, Bl. 75 – 78: Rede des Präsidenten Höcker auf der Konferenz des Präsidenten der Landesverwaltung mit seinen Mitarbeitern, den Landräten und Oberbürgermeister am 20. August 1945 in Schwerin, hier Bl. 76. 119 LHAS, 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 8: Funktionärssitzung. Siehe zur Persönlichkeit des Landrates Schleinert (wie Anm. 12), S. 9 – 10. 120 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 140: KPD-Sekretär des Kreises Greifswald am 9. September 1945 an KPD-Landesleitung, und Bl. 142: Landrat des Kreises Greifswald am 17. September 1945 an Vizepräsident der Landesverwaltung. Anders als von ihm befürchtet kam der in Rede stehende Agrarwissenschaftler Prof. Dr. Georg Friedrich Blohm, der die Greifswalder Universitätsgüter und ab 1946 auch das Universitätsinstitut für landwirtschaftliche Betriebs- und Arbeitslehre leitete, nicht nach „Sibirien“. Siehe zu seiner Biographie Theophil Gerber, Persönlichkeiten aus Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau und Veterinärmedizin. Biographisches Lexikon, Bd. 1, Berlin 2004, S. 73 – 74. 121 LHAS , 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: Landrat Franzburg-Barth am 3. August 1945 an Kreiskommandant. Siehe auch 6.12 – 1/3, Nr. 1078, Bl. 6: Prof. Blohm am 17. Juli 1945 [an Landrat Greifswald].

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dafür vorgesehenen 30 Mann und zwei Pferde fortwährend nach Nisdorf holte.122 Auf Gut Neuhof ließ sich der Winterroggen nicht einbringen, weil die Pferde der von der Bürgermeisterei Langenhanshagen geschickten Mähgespanne von dem lokalen Militärkommando zweckentfremdet wurden.123 Der örtliche Kommandant für die Güter Loissin, Brünzow und Gahlkow verweigerte im Herbst die Herausgabe von Saat-, Futter- und Brotgetreide, was die Ackerbestellung und damit die nächstkommende Ernte gefährdete.124 Von Fuhrwerken „aus der Richtung Barth“ wurde in Wobbelkow wiederholt „das vor der Reife stehende Getreidegemenge“ für Futterzwecke abgemäht, sodass auch hier die Einhaltung des Ablieferungssolls unmöglich schien.125 Bei Nichterfüllung des Ablieferungssolls drohte dann, wie der Abteilungsleiter Wirtschaft der KPD-Kreisleitung Rügen der Landesverwaltung in Schwerin mitteilte, schon mal die Verhaftung als Saboteur durch die zuständige Militärkommandantur – ungeachtet dessen, dass für die Arbeiten notwendiger Betriebsstoff nicht bereitgestellt wurde.126 Entgegen allgemeiner Weisungen bzw. Verbote von höchster Stelle „nahmen“ sowjetische Soldaten in Willerswalde, zum Versorgungsgebiet der Stadt Greifswald gehörend und im Zuständigkeitsbereich des Landrates des Kreises Grimmen befindlich, zahlreiche Stück Vieh „fort“ und „beschlagnahmten“ eine Menge Getreide „entschädigungslos“,127 d. h., sie „entwendeten“ es.128 In Karin ließ der Ortskommandant von Kröslin für die Versorgung seiner Soldaten bei einem Landwirt den Eber, genauer den Zucht-Eber, schlachten.129 „Hunderte von Milchkühen […], prächtige Exemplare der vorpommerschen Viehzucht[,] der ganze Stolze unserer Landwirte[,] Ergebnis einer arbeitsaufwendigen Herdbuch-Hochzucht“, wurden Anfang Juni täglich durch Stralsund getrieben, ohne dass sie gemolken werden und mit ihrer Milch zur Versorgung der Bevölkerung beitragen konnten.130 In Nonnendorf verlangte das örtliche Kommando „neue Kartoffeln zur Schweinefütterung, trotzdem noch alte genug vorhanden sind“, während der Grimmener Kreiskommandant und der Grimmener Landrat ebenso wie der Stralsunder Oberbürgermeister die Ausgabe 122 LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: Landrat Franzburg-Barth am 19. Juli 1945 an Kreiskommandant. 123 LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: Landrat Franzburg-Barth am 28. Juli 1945 an Kreiskommandant: „zu anderen Arbeiten verwendet“. 124 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 1078, Bl. 20: Landrat Greifswald am 12. Oktober an Stadtkommandant Greifswald. 125 LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: Landrat Franzburg-Barth am 9. August 1945 an Kreiskommandant. 126 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 42, Bl. 58: Leiter der KPD-Wirtschaftsabteilung Rügen am 23. Oktober 1945 an Vizepräsident der Landesregierung. 127 LHAS , 6.12 – 1/4, Nr. 10, Bl. 121: Oberbürgermeister Greifswald am 2. Juli 1945 an Landrat Grimmen. 128 LHAS, 6.12 – 1/4, Nr. 10, Bl. 121: Landrat Grimmen am 5. Juli 1945 an Kreiskommandant. 129 LHAS , 6.12 – 1/3, Nr. 1078, Bl. 17: Gemeindevorsteher Kröslin am 16. Juli 1945 an Landrat Greifswald. 130 Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 81 [4. Juni]. Ähnlich notierte Paul ­Eichholz: „Es wird noch viel Vieh abgetrieben.“ Auszüge aus dem Tagebuch (wie Anm. 34), S. 62 [5. Juni].

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neuer Kartoffeln zur Versorgung der Bevölkerung verboten – ursächlich war vermutlich die noch ausstehende Erfüllung des Ablieferungssolles durch die Produzenten.131 Und in Krummin hielt die Rote Armee 1200 Rinder und 700 Schafe, die binnen 14 Tagen 40 Morgen Rapsaussaat „restlos“ abgraste und sodann auf die Rübenfelder getrieben wurde, denen dasselbe drohte.132 Neben derlei Volten lokaler Repräsentanten der Besatzungsmacht taten sich auch strukturelle Probleme auf. So kritisierte es etwa der Landrat des Kreises Greifswald auf der Landräte- und Oberbürgermeistertagung am 20./21. August als „sehr nachteilig vor allen Dingen in der jetzigen Zeit, daß ein Teil der Kleinbahnstrecken abgebaut ist. Hierdurch werden der Abtransport der Ernte – die Kleinbahnen sind seinerzeit den Bedürfnissen der Wirtschaft entsprechend angelegt und werden direkt als ‚Rübenbahn‘ bezeichnet – und die Versorgung der Städte außerordentlich erschwert, ebenfalls natürlich der Abfluß etwaiger Überschüsse in die Bedarfsgebiete.“ 133 Dieses Demontageproblem traf auch den Kreis Demmin schwer, dessen Kleinbahnnetz über Jarmen nach Greifswald bzw. über Stavenhagen und Altentreptow nach Neubrandenburg gerade aufgrund der „wahnsinnigen Sprengung“ der Brücken über Peene und Tollense als „Lebensnerv“ des Kreises galt.134 Aus demselben Grund, also wegen fehlender Transportmittel, drohten Butter und ausgedroschenes Getreide auf Rügen zu verderben. Dennoch werde „auf Drängen der sowjetischen Administration […] mit Hochdruck“ weitergedroschen, und zwar zu Lasten der Einbringung der Kartoffelernte und der Neubestellung der Äcker. Diesem Wirrwarr abzuhelfen, indem „die kleinen Ortskommandanturen ausgeschaltet werden [müssen]“, konnte ungestraft wohl nur ein KPD-Mitglied vorschlagen.135 Grundsätzlich hätte es einer derartigen Anregung jedoch nicht bedurft, da sowohl „die Macht“ als auch die Verantwortung für jedwedes Verwaltungshandeln nominell bei Landräten und Oberbürgermeistern lag. Demgemäß hatten sich die sowjetischen Kommandanturen nicht in das Verwaltungshandeln einzumischen, sondern lediglich eine Kontrollfunktion auszuüben. Zugleich übten sie jedoch die absolute Befehlsgewalt 131 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 1078, Bl. 19: Landwirt Dr. Wiltfang, Nonnendorf, am 20. September 1945 an Stadtkommandant Greifswald. Siehe für Stralsund Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 94 [16. Juli 1945] und für Grimmen sowie die vermutete Verbotsursache LHAS, 6.12 – 1/4, Nr. 10, Bl. 130 – 132: Bericht zur Sitzung beim Stadtkommandanten Grimmen am 19. Juli 1945, hier Bl. 130. 132 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 78 – 79: Protokoll über die Tagung der Vertreter des Bauernhilfskomitees am 21. Oktober 1945 in Bansin, hier Bl. 78. 133 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 51, hier: Bericht zur Sitzung am 20. und 21. August 1945 zu Ziff. 5 der Tagesordnung. Der Kleinbahnabbau wird auch erwähnt bei Matthiesen (wie Anm. 41), S. 142. 134 LHAS, 6.12 – 1/2, Nr. 60, hier: Landrat des Kreises Demmin am 25. Juni 1945. Siehe auch ebd., Bl. 14: Landesbauamt Demmin der Pommerschen Landesbahnen am 16. Juli 1945 an Landrat Demmin. 135 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 42, Bl. 59: Leiter der KPD-Wirtschaftsabteilung Rügen am 23. Oktober 1945 an Vizepräsident der Landesregierung.

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aus,136 sodass sie in einer derart widersprüchlichen Konstellation der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in der Regel die – zumal bewaffnete – Oberhand behalten haben dürften. Erinnert sei hier an die Äußerung des Demminer Landrates zum „natürlich“ hergestellten Einvernehmen mit den sowjetischen Stellen. Nicht nur hier stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit bzw. gar Lauterkeit oder umgekehrt der Perfidität derlei verteilter Verantwortlichkeit. Dem Usedomer Landrat beispielsweise wurden Verzögerungen bei der Ernteeinbringung und die daraus resultierende Nichterfüllung des Ablieferungssolls „persönlich zu[r] Last gelegt“. Er flüchtete sich in Sabotagevorwürfe gegenüber in „einzelnen Gemeinden versteckt sitzenden Faschisten“ und nahm die Ortsbürgermeister in die Pflicht, indem er ihnen mit Geldstrafen drohte.137 Der erste Stralsunder NachkriegsOberbürgermeister jedenfalls musste entsprechende Konsequenzen tragen. Der städtische Militärkommandant versprach sich von der Amtsenthebung eine Festigung der städtischen Selbstverwaltung, die Erhöhung der Arbeitsleitung und eine straffere Ordnung.138 Die KPD-Landesleitung fochten derlei Zustände nicht an; mit Blick auf die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion vertrat sie die Auffassung, „wir haben nichts zu fordern“ von der Roten Armee.139 Diese Einstellung dürfte durchaus deren Zustimmung gefunden haben, denn einer ihrer Repräsentanten gab auf der Landräte- und Bürgermeistertagung am 1. Juli 1945 in Neubrandenburg zum Besten: „Ein guter Bürgermeister wird seinem Kommandanten nicht mit Klagen und Fragen kommen, sondern nachdenken, ausarbeiten und dem Kommandanten Vorschläge vorlegen.“ 140 Wohl in d ­ iesem Sinne nahmen die sowjetischen Funktionsträger sich ihre deutschen Brüder im Geiste gelegentlich durchaus heftig zur Brust bzw. in die Verantwortung: „Die Partei“ – gemeint war die KPD im Kreis Usedom-Wollin – „ist sehr groß, sie arbeitet sehr schlecht.“ 141 Der sowjetische Kommandant des Kreises Grimmen dürfte das ähnlich gesehen haben, und selbst die Kritisierten räumten ein, „der Stand der politischen Klarheit unserer Genossen ist schlecht. Referate 136 LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: [Vermerk zur] Besprechung in Greifswald bei [sic!] Oberst … am 18. August 1945. 137 LHAS, 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 1 – 5: Wichtige Funktionärssitzung am 6. September 1945 unter Anteilnahme der drei gebildeten Parteien im Kreis Swinemünde, hier Bl. 1 – 2. 138 Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 49. Ursächlich war offenbar nicht die frühere NSDAP-Mitgliedschaft des Oberbürgermeisters, die „der Kommandant“ zwei Monate zuvor ausdrücklich ignorierte (ebd., S. 47 [26. Juli 1945]) und die die Spitzen der Landesregierung ebenso wie der antifaschistisch-demokratische Block ausdrücklich hintanstellten. Siehe ebd., S. 48 [20./21. August 1945] und Hans-Joachim Hacker, Der Neuanfang, in: Schade, Redieck (wie Anm. 34), S. 27 – 36, hier S. 31 – 32. 139 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 21 – 28: Kreistagung der KPD am 7. September 1945 in Swinemünde, hier Bl. 27: Entgegnung des Genossen Haase. 140 LHAS , 6.12 – 1/3, Nr. 51, hier: Tagung der Landräte und Bürgermeister am 1. Juli 1945 in Neubrandenburg. 141 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 32: Bericht vom 10. September 1945 an die KPD-Landesleitung über Ausführungen des Obersten Tomatschef, Swinemünde, in der Unterredung mit Kollwitz und Hase am 6. September 1945.

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von großer Plattheit sind die Regeln [sic!].“ 142 Die schlechte Bilanz des Kreises Grimmen bei der Ablieferung des Getreidesolls begründete sich nach Ansicht des Kommandanten darin, dass er einerseits „heute, am Sonntag, im ganzen Kreis keinen Mann arbeiten“ gesehen habe, und andererseits darin, dass die Kommunisten „ganz schlecht“ arbeiteten. Vielmehr „arbeiten die Faschisten besser als die Kommunisten.“ Tertium comparationis: „Für die Kommunisten gibt es keinen Sonntag, sondern immer nur die Arbeit für das deutsche Volk.“ 143 Der Stadtkommandant von Loitz formulierte es ähnlich, um dann doch konkreter zu werden. „Damit das deutsche Volk mit Nahrungsmitteln versehen“ – und überdies die „Verpflichtungen gegenüber den Einsatzbehörden erfüll[t]“ – werden können, hätten die Genossen „sich voll und ganz energisch dafür einzusetzen, dass diese Ernte bis zum letzten Halm geborgen werde.“ Später hieß es dann übrigens, Priorität habe das Ablieferungssoll für die Rote Armee. Für die Einbringung der Ernte, so der Ratschlag des Stadtkommandanten, sei es Aufgabe der Genossen, „mit grossem Druck auf alle Landarbeiter zu wirken und dass nicht etwa die frühere normale 8 Stundenzeit bei dieser Ernte als Norm gilt, sondern das von morgens früh bis abends spät alles getan werden muss“ für die Einbringung der Ernte.144 Vermutlich ohne den Ratschlag zu kennen, setzte ihn das Arbeitsamt Stralsund beispielsweise in Klein Kedingshagen um: Die dortige Erntekolonne musste in einer Woche dreimal aufgesucht werden, „um sie mit Zucker und Peitsche dazu an[zu]halten, um wenigstens eine tragbare Tagesleistung zu erzielen.“ 145 Eine nebst dem Grimmener Kreis- und dem Loitzer Stadtkommandanten dritte und der Realität vermutlich am nächsten kommende Priorisierung bei der Versorgung Deutschlands gab „ein Oberstleutnant der Roten Armee“ im Lauf der Landräte- und Bürgermeistertagung am 1. Juli in Neubrandenburg zum Besten: „1. die Versorgung der Besatzungsarmee, 2. die Versorgung der Bevölkerung, 3. die Versorgung der Industrie mit den nötigen Rohstoffen.“ 146 Um eine versehentliche, missverständliche oder isolierte Einzelmeinung handelte es sich angesichts ähnlicher Postulate eines verantwortlichen Majors der Kriegskommandantur des Kreises Swinemünde und eines SMA-Vertreters nicht, den sie darauf 142 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 98 – 100: Bericht des 1. Sekretärs des [KPD-]Bezirkes Pommern, Kollwitz, an die [KPD-]Landesleitung Schwerin vom 15. August 1945, hier Bl. 98. 143 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 23, Bl. 8 – 9: Bericht an die KPD-Landesleitung über die Kreiskonferenz der KPD Grimmen am 9. September 1945, Zitate Bl. 8. Von einer Verfügung zur Sonntagsarbeit, die von der Stralsunder Bevölkerung auch im Kreis Franzburg-Barth abzuleisten war, ist bereits früher die Rede. Auszüge aus den Tagesberichten (wie Anm. 60), S. 45 [6. Juli 1945]. 144 LHAS , 10.31 – 1, Nr. 19, hier: Protokoll der Versammlung der KPD -Ortsgruppe Loitz am 24. Juli 1945. Siehe für die Verschiebung der Prioritäten auf die Versorgung der Roten Armee ebd., Niederschrift über die Versammlung der Kommunistischen Partei Ortsgruppe Loitz am 10. September 1945. 145 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 50, Bl. 29: Bericht [des Arbeitsamtes Stralsund] über den landwirtschaftlichen Einsatz für die Zeit vom 17. – 22. September 1945. 146 LHAS , 6.12 – 1/3, Nr. 51, hier: Tagung der Landräte und Bürgermeister am 1. Juli 1945 in Neubrandenburg.

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hinwiesen, dass die Nichterfüllung der Ablieferungssölle für „die Rote Armee wie das deutsche Volk in Kürze grössere Schwierigkeiten in der Ernährung“ mit sich brächten.147 Nun, um noch einmal auf den Ratschlag des Loitzer Stadtkommandanten zurückzukommen, so dürfte den „gelernten“ Landarbeitern dessen Befolgung nicht so schwer gefallen sein, da sie sowohl Druck als auch die Arbeit von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang kannten, wie der Landarbeiter Genosse Walter Müsebeck über den Kreis Greifswald zu berichten wusste. In Wusterhusen befinde sich immer noch ein Ökonom, der während des Nationalsozialismus als Bürgermeister amtiert habe und „es gut verstand, den Arbeiter so richtig zu drücken“. Abgesehen davon konterkarierte der deutsche Genosse den Ratschlag des sowjetischen Stadtkommandanten von Loitz: „Die Arbeitsbedingungen der Landarbeiter sind jetzt schlechter, als unter dem Faschismus. Die Löhne der Arbeiter sind schlechter, ihre Arbeitszeit ist länger, ihre Verpflegung ist schlechter als unter dem Faschismus.“ 148 Ganz ähnlich hieß es über Klein Kedingshagen, die Arbeitsstunden würden selbständig gekürzt, und über Lüssow, dass mit Arbeitsverweigerung eine Entlohnung erzwungen werden sollte. Hier wie anderswo stellte die Wurzel derlei Übels dar, dass bei geringer oder gar ohne Entlohnung und ohne Verpflegung gearbeitet werden sollte, die Menschen aber auch nicht mehr über Geldreserven für den Kauf von Lebensmitteln verfügten 149 – ein Teufelskreis. Insofern darf es eigentlich nicht verwundern, dass der Demminer Landrat ein halbes Jahr nach der „Befreiung“ konstatierte, die Stimmung der Bevölkerung sei „bei den meisten ernst und gedrückt. Es wird über die zu geringe Lebensmittelzuteilung geklagt. Auch der Mangel an Kleidung und Schuhzeug, besonders bei den Umsiedlern, wird mit Eintritt, der kalten Witterung besonders fühlbar.“ 150 Ohnehin war es der KPD-Landesleitung zufolge im Grunde ziemlich einfach, mit eventuellen Widrigkeiten des Alltags fertig zu werden: „Genossen[,] wir müssen von ­diesem Standpunkt [immer an uns zu denken – d. Verf.] abgehen, wenn wir ernste Arbeit des Kommunismus leisten wollen, denn über uns steht die Idee. Ich selbst bin 5 Tage ohne Schlaf.“ 151 Dazu passend wurde der Landrat des Kreises Usedom womöglich ungewollt oder missverstanden mit der Äußerung aktenkundig, „die Idee ist schwach, aber hinter 147 LHAS, 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 1 – 5: Wichtige Funktionärssitzung am 6. September 1945 unter Anteilnahme der drei gebildeten Parteien im Kreis Swinemünde, hier Bl. 3 (Zitat) und Bl. 5. 148 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 21, Bl. 66: Bericht des Genossen [Walter] Müsebeck über den Kreis Greifswald, o. D. Siehe zu Arbeitszeit und Entlohnung auch ebd., Bl. 146 – 147: Bericht des KPD- und des SPD-Vorsitzenden des Landarbeiterverbandes des Kreises Greifswald vom 23. September 1945, hier Bl. 146. Beruf und Vorname gem. ebd., Bl. 106: KPD-Kreisleitung Greifswald am 28. August 1945 an KPD-Landesleitung. 149 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 50, Bl. 29: Bericht [des Arbeitsamtes Stralsund] über den landwirtschaftlichen Einsatz für die Zeit vom 17. – 22. September 1945. 150 LHAS, 6.12 – 1/2, Nr. 46, Bl. 65 – 67: Tätigkeitsbericht für den Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 21. November 1945 über die Verwaltung des Kreises Demmin vom Mai bis November 1945. hier Bl. 67. 151 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 21 – 28: Kreistagung der KPD am 7. September 1945 in Swinemünde, hier Bl.  27 – 28.

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uns steht die Rote Armee“,152 während die KPD-Landesleitung lieber auf die beispielgebende Reaktion der „russ[ischen] Brüder“ nach dem Durchzug der deutschen Wehrmacht hinwies: „Sie haben nicht geklagt, sie sind hingegangen und haben das Korn mit dem Messer geschnitten und in Bünde gebunden und zusammen getragen.“ 153 Die russischen Brüder vor Ort, also die lokalen Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht, wussten mit gleichermaßen hilfreichen Ratschlägen aufzuwarten. Die rechte Hand des Loitzer Stadtkommandanten wünschte „Taten zu sehen“ und gab auch gleich ein Beispiel: „Ein Kommunist pflegt nicht anderen [sic!] zu fragen: wie mache ich dies oder das oder wie komme ich dorthin? Wo keine Fahrgelegenheiten vorhanden sind, geht er ohne Bedenken zu Fuss.“ Sein bereits erwähnter Vorgesetzter gab für die laufende Ernte den Hinweis, „jede Stunde […] muss ausgenutzt werden. Auch bei Regenwetter gibt es wichtige Arbeiten, wie mähen usw. zu verrichten.“ 154 Vor d ­ iesem Hintergrund machte sich allerdings die Erfahrung eines kampferprobten Genossen aus Kolberg, wo „jetzt die Polen“ sind, unter denen leider „nicht zu arbeiten“ sei, ganz schlecht. Angekommen im Kreis Usedom-Wollin „dachten [wir] nun natürlich, dass wir in die politische Arbeit mit aufgenommen würden, aber wurden aufs Land verpflichtet[,] wo wir keine dementsprechende Arbeit wie z. B. Pol[itischer] Leiter, Bürgermeister oder Landgendarm, wurden, sondern mussten auf dem Lande bei den Bauern arbeiten. Wir als Kommunisten sollen die Faschisten beseitigen, dann aber dürfen die Antifaschisten nicht mit der Schippe in der Hand arbeiten, wenn die Faschisten noch in den Ämtern sitzen.“ 155 Mit ­diesem Anspruch wäre er in der KPD-Ortsgruppe Loitz gut aufgehoben gewesen. Sie teilte die Stadt „strassenweise in Überwachungsstellen“ ein, für die „je ein Genosse als Wache bestellt“ wurde, um „Haus für Haus nach Drückebergern und Saboteuren nachzusuchen und […] zu melden.“ 156 Im ländlichen Umfeld sollte zur Erbringung des Erntesolls ähnlich vorgegangen werden, wobei die überwachenden Genossen „nicht mitzuarbeiten brauchen“, aber „selbstverständlich bezahlt und verpflegt“ werden.157 Ganz in ­diesem Sinne sah ein führender KPD-Funktionär des Kreises Swinemünde 152 LHAS , 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 7 – 9. Funktionärssitzung des Landkreises Swinemünde am 24. August 1945 zur Tagung [der Landräte und Oberbürgermeister] in Schwerin am [21./]22. August 1945, hier Bl. 8. 153 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 21 – 28: Kreistagung der KPD am 7. September 1945 in Swinemünde, hier Bl. 27 – 28. Das Messerschnitt-Beispiel auch ebd., Bl. 43 – 45: Bericht über die [KPD-]Kreiskonferenz Swinemünde am 8. September 1945, hier Bl. 45. 154 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 19, hier: Protokoll der Versammlung der KPD-Ortsgruppe Loitz am 24. Juli 1945. 155 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 37 – 41: Instrukteur-Bericht vom 10. September 1945 über die Kreiskonferenz der KPD im Kreis Usedom-Swinemünde, hier Bl. 39. Siehe dazu auch ebd., Bl. 21 – 28: Kreistagung der KPD am 7. September 1945 in Swinemünde, hier Bl. 24 und ähnlich, aber ohne den antipolnischen Duktus, ebd., Bl. 43. 156 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 19, hier: Protokoll der Versammlung der Ortsgruppe Loitz am 15. Juli 1945. 157 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 19, hier: Protokoll der Versammlung der KPD-Ortsgruppe Loitz am 24. Juli 1945.

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offenbar die Lösung aller Probleme darin, „die Zwangswirtschaft so einzurichten, dass die KPD eine […] Kontrolle [bekommt].“ 158

Während die Kommunisten womöglich ihrer Propaganda aufsitzen mochten, das richtige Bewusstsein werde die Probleme des Seins regulieren, litten die Menschen in den Städten und Dörfern nicht allein unter Hunger, sondern auch unter der Willkür der Besatzungsmacht. Diesbezüglich waren Inkompetenz und Reparationsleistungen das eine, selbstherrliche Brutalität aber etwas anderes. Die Rede ist hier nicht etwa, obwohl es durchaus auch vorkam, von der Requirierung von Fahrrädern,159 sondern eher von Vergewaltigungen 160 oder regelrechten Plünderungen mit vorgehaltener Waffe.161 Die Übergriffigkeit ihrer Angehörigen beschränkte sich nicht auf die Tage der „Befreiung“, sie reduzierte sich auch mit wachsendem zeitlichen Abstand dazu nicht zwangsläufig.162 Vielmehr machte der Stralsunder Oberbürgermeister für das letzte Quartal des Jahres in seinem Zuständigkeitsbereich vier Morde, eine Vergewaltigung sowie fast vierzig Einbrüche und Diebstähle durch Angehörige der Roten Armee namhaft, die zur Anzeige gekommen waren.163 Dahingestellt sei daher die Belastbarkeit einer Einlassung sowjetischer Stellen gegenüber Vertretern des Kreises Franzburg-Barth: „Die Bevölkerung ist vor allem aufzuklären, dass sie sich als wirklicher Besitzer ihres Eigentums fühlen soll. […] Der Bevölkerung muss weiter mitgeteilt werden, dass keiner das Recht hat, ausser den deutschen ­Verwaltungsorganen, irgend etwas 158 LHAS, 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 1 – 5: Wichtige Funktionärssitzung am 6. September 1945 unter Anteilnahme der drei gebildeten Parteien im Kreis Swinemünde, hier Bl. 3. 159 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 1078, Bl. 13: Landwirtschaftsabteilung des Kreises Greifswald am 10. August 1945 an Landrat Greifswald. Siehe auch LHAS, 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 1 – 5: Wichtige Funktionärssitzung am 6. September 1945 unter Anteilnahme der drei gebildeten Parteien im Kreis Swinemünde, hier Bl. 3 und LHAS, 10.31 – 1, Nr. 9, Bl. 49 – 53: Bericht des bevollmächtigten Vertreters der Landesverwaltung über die Landkreise Anklam, Ückermünde [sic!], und Randow vom 28. Juli 1945, hier Bl. 49. 160 Mangelsdorf (wie Anm. 22), S. 286 [27. Mai] und S. 293 [1. Juli]; LHAS, 6.12 – 1/4, Nr. 10, Bl. 122: Gemeinde Rakow am 4. Juli 1945 an Landrat Grimmen über einen Vorfall in Grischow am 3. Juli; LHAS, 10.31 – 1, Nr. 9, Bl. 51; LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 105: Reinhold Paul, Kamminke, am 18. Oktober 1945 an Landratsamt Usedom. 161 LHAS, 6.12 – 1/4, Nr. 10, Bl. 116: Polizei-Protokoll Wittenhagen vom 2. Juli 1945; ebd., Bl. 122: Gemeinde Rakow am 4. Juli 1945 an Landrat Grimmen über einen Vorfall in Grischow am 3. Juli; LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: Landrat Franzburg-Barth am 26. Juli 1945 an Kreiskommandanten über einen Vorfall in Bartelshagen am 21. Juli; ebd., dass. am 28. Juli über einen Vorfall in Langenhanshagen am 25. Juli; ebd., dass. am 31. Juli zu einer Meldung des Bürgermeisters von Kummerow; Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 99 [1. August] über einen Vorfall in Andershof; LHAS, 6.11 – 1, Nr. 235, Bl. 337: Leiter der Wirtschaftsabteilung des Kreises Swinemünde am 6. September 1945 an Präsident der Landesverwaltung über ein Vorkommnis in Ahlbeck; LHAS, 10.31 – 1, Nr. 55, Bl. 105: Bürgermeister Zirchow am 20. Oktober 1945 an Kreispolizeiamt in Bansin. 162 LHAS, 6.12 – 1/3, Nr. 1078; LHAS, 10.31 – 1, Nr. 53, Bl. 20 – 21: KPD-Kreisleitung Ueckermünde am 21./22. Januar 1946 an KPD-Landesleitung und Stadtkommandantur Ueckermünde. 163 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 50, Bl. 41 – 42: Oberbürgermeister Stralsund am 17. Dezember 1945.

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zu enteignen.“ 164 Dahingestellt sei auch, wie glaubwürdig der sowjetische Kommandant des Kreises Grimmen per 19. Juli versichern konnte, „dass seit der Besetzung durch die russische Wehrmacht das Leben und Eigentum jedes Einwohners so gesichert ist, dass vor den Russen nichts versteckt werden braucht. […] Sie können Gold und Edelsteine tragen, es wird ihnen nichts weggenommen werden.“ 165 Zweifel an der Wirkungsmächtigkeit derartiger Einlassungen sind nicht gleichbedeutend mit einem per se fehlenden Vertrauen in deren grundsätzlich gemeinte Aufrichtigkeit. Der Grimmener Kreiskommandant zeigte sich durchaus gewillt, ein in Neuendorf neu angekommenes und von der Bevölkerung „die Ablieferung einer grösseren Menge […] Butter, Fleisch, Speck und Eier“ forderndes Kommando ob des Verbotes eigenmächtiger Requirierungen „schwer zu bestrafen.“ 166 Auch der für Landwirtschaft zuständige Major der Swinemünder Kriegskommandantur erklärte auf eine sozialdemokratische Forderung nach mehr Schutz, „damit wir nicht stets an der Aufbauarbeit durch Fortnahme seitens der russischen Soldaten […] gehindert werden“, dass außer der Kriegskommandantur kein Soldat das Recht zur Requirierung habe. Diese „abermal[ige]“ Erklärung hielt den Sozialdemokraten im Übrigen nicht von der Aussage ab, die Übergriffigkeiten gingen „dennoch […] laufend weiter.“ 167 Der Demminer Kreiskommandant – und ähnlich wohl der Stralsunder Stadtkommandant – nahm sowohl Besatzer als auch Besetzte in die Pflicht, indem er Angehörigen der Roten Armee die „Nachtunterkunft“ in deutschen Privatwohnungen ebenso verbot wie umgekehrt den Bewohnern der deutschen Städte die ungenehmigte Gewährung von Nachtunterkunft für sowjetische Militärangehörige. Im Übertretungsfall drohte allerdings nur den Deutschen eine Sanktionierung, und überhaupt stellt sich die Frage, ob die Bezeichnung „Nachtunterkunft“ womöglich einen Euphemismus darstellte.168 Sein Pendant im Kreis Franzburg-Barth richtete jedenfalls am 3. August an drei Wochentagen ein je zweistündiges Zeitfenster ein, in denen er „Klagen“ respektive „Beschwerden der Bevölkerung entgegen nimmt.“ Abgesehen von einer Sonderregelung für den Darß sollte Ort der Begegnung das Landratsamt sein, „ein Besuch in der Kommandantur ist zwecklos.“ 169 In Odermünde und Stolzenhagen „verminderten“ die Stationierungen von Patrouillen durch die zuständigen Kommandanten bis dato vorkommende „Einzelfälle 164 LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: [Vermerk zur] Besprechung in Greifswald bei [sic!] Oberst … am 18. August 1945. 165 LHAS, 6.12 – 1/4, Nr. 10, Bl. 130 – 132: Bericht zur Sitzung beim Stadtkommandanten Grimmen am 19. Juli 1945, hier Bl. 130. 166 LHAS, 6.12 – 1/4, Nr. 10, Bl. 130 – 132: Bericht zur Sitzung beim Stadtkommandanten Grimmen am 19. Juli 1945, hier Bl. 131 – 132. 167 LHAS, 6.12 – 1/19, Nr. 24, Bl. 1 – 5: Wichtige Funktionärssitzung am 6. September 1945 unter Anteilnahme der drei gebildeten Parteien im Kreis Swinemünde, hier Bl. 3. 168 LHAS, 6.12 – 1/2, Nr. 34, Bl. 172: Befehl Nr. 36 des Kriegskommandanten des Kreises Demmin vom 9. August 1945. Siehe für Stralsund Aufzeichnungen Walter Radüge (wie Anm. 34), S. 103 [15. August]. 169 LHAS, 6.12 – 1/17, Nr. 31, hier: Militärkommandant Franzburg-Barth am 3. August 1945 an Landrat, hier Zitat „Klagen“; ebd., Bekanntmachung des Landrates o. D. (Zitate).

Nach der deutschen Katastrophe

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der Unsicherheit“, ein dort marodierender und plündernder Sergeant wurde „abgelöst“.170 Manchmal, wie aus Saal berichtet wird, bewirkte nach einer Beschwerde ein standrecht­ liches Exempel mehr als ein Vergewaltigungen untersagender Kommandanturbefehl,171 wie er in Loitz im Übrigen erst Ende August erlassen wurde.172

6. Schlussbemerkung Vorpommern ­zwischen Mai und September 1945 war, wie das Vorstehende verdeutlicht, eine partiell schwer vom Zweiten Weltkrieg heimgesuchte Landschaft, in der teilweise wohl traumatisierte und desillusionierte Menschen versuchten, über den von Willkür und fehlender Rechtsstaatlichkeit gekennzeichneten Tag zu kommen und ihren Alltag zu meistern. Dieses Los zu mildern bemühten sich in der Regel die deutschen Verwaltungsbehörden, die sich ihrerseits an realitätsfernen Forderungen, inhaltsleeren Parolen und würdelosen Zynismen kommunistischer Funktionäre und der sie stützenden Besatzungsmacht stießen. Über diesen Grundtenor hinwegzutäuschen vermögen weder temporäre Lichtblicke noch „weiße Ritter“ unter den neuen Machthabern. Diesbezüglich stellten die vorpommerschen Kreise und Städte jedoch keinen Einzelfall dar, sondern stehen pars pro toto zumindest für die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands.

170 LHAS, 6.11 – 11, Nr. 235, Bl. 241 – 348: Niederschrift über die Fahrt vom 14. – 16. August 1945 nach Swinemünde und dem Kreise Usedom, hier Bl. 345 – 346. 171 Warmann (wie Anm. 38), S. 68 [16. Mai 1945]. 172 LHAS, 10.31 – 1, Nr. 19, hier: Niederschrift über die Versammlung der KPD-Ortsgruppe Loitz am 27. August 1945. Eigentlich beinhaltete der Befehl lediglich eine Meldepflicht für Plünderungen und Vergewaltigungen an den Stadtkommandanten.

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Oliver Auge (geb. 1971 in Göppingen), seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Regional­geschichte mit Schwerpunkt zur Geschichte Schleswig-Holsteins in Mittelalter und früher Neuzeit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Dr. Bengt Büttner (geb. 1966 in Salzgitter), Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Dienstort Wernigerode. PD Dr. Joachim Krüger (geb. 1971 in Barth), 2013 – 2017 Kurator in der Stiftung Schleswig-­

Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig, 2017 – 2020 Vertretung der Professur für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Greifswald, seit 2020 Lehrbeauftragter für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Greifswald. Karl Christian Lammers, Ass. Professor em. (geb. 1943 in Peest/Pommern), 1969 – 2013 Ass. Professor am Historischen Institut, Universität Kopenhagen. 1994 Gastprofessor in Kiel, 1999/2000 Gastprofessor in Tübingen. Dr. Matthias Manke (geb. 1968 in Greifswald), seit 2000 wissenschaftlicher Archivar am Landeshauptarchiv Schwerin und seit 2009 dessen stellvertretender Leiter. Prof. i. R. Dr. Manfred Menger (geb. 1936 in Meuselbach), ehemals Sektion Geschichtswissen­ schaft/Historisches Institut der Universität Greifswald. Prof. Dr. Klaus Neitmann (geb. 1954 in Minden/Westfalen), 1993 – 2020 Direktor des Branden­burgischen Landeshauptarchivs, seit 2002 Vorsitzender der Brandenburgischen Historischen Kommission e. V. Prof. (em.) Dr. Dr. h. c. Jens E. Olesen (geb. 1950 in Casablanca), 1996 – 2017 Inhaber des Lehrstuhls für Nordische Geschichte an der Universität Greifswald. Dr. phil. habil. Fritz Petrick (geb. 1937 in Berlin), ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität Greifswald. Dr. Dirk Schleinert (geb. 1966 in Greifswald), seit 2014 Direktor des Stadtarchivs der Hanse­stadt Stralsund. Prof. Kent Zetterberg (geb. 1946 in Stockholm), Professor emeritus, Försvarshögskolan (National Defence University) Stockholm.

Personenregister A Abtshagen, Johann, Magister  65 Achym, Johannes, Notar  55 Adenauer, Konrad, deutscher Bundeskanzler  160 Adlerfelt, schwedischer Oberst  127 Albrecht Graf von Eberstein-Naugard  64, 80, 81 Albrecht II. Herzog von Mecklenburg  15, 16, 24, 26, 27, 30, 31, 32, 33, 34, 36, 52 Albrecht V. Herzog von Mecklenburg  47, 52, 54 Albrecht, König von Schweden  26, 33 Andersen, Hans Nils (H. N.), dänischer Geschäftsmann 141 Anna Herzogin von Pommern  31 Askim, Per, norwegischer Marineoffizier  167 Ast, Johann von, Lehrer geistlichen Rechts und Pfarrer zu Thorn  64 August II. (Friedrich August I.) König von Polen, Kurfürst von Sachsen  115, 116, 119, 123, 130, 134 August Kurfürst von Sachsen  102, 103, 104 B Balthasar, Herr von Werle (Fürst von Wenden)  52 Barnim III. Herzog von Pommern  27, 31 Barnim IV. Herzog von Pommern  15, 19, 25, 30, 31, 34 Barnim VII. Herzog von Pommern  66, 74, 76, 77 Barnim VIII. Herzog von Pommern  66, 79 Barnim IX. Herzog von Pommern  104 Behr-Behrenhoff, Elsa von  208 Berg, Paal, norwegischer Politiker  167, 170, 171 Berlepsch, Erich Volkmar von, sächsischer Gesandter 105 Bernadotte, Folke Graf  176, 185 Bernhard I. Herzog von BraunschweigLüneburg 52 Bernhard II. Herzog von Sachsen-Lauenburg  57

Bernstorff, Andreas Gottlieb von  122 Bille, Peder, Reichsrat  104 Bilrebeke, Gunther  68 Bismarck, Otto von, Kanzler  138, 139, 144, 153 Blohm, Georg Friedrich, Prof. Dr.  220 Bogislaw V. Herzog von Pommern  15, 30, 31, 34, 38 Bogislaw VI. Herzog von Pommern  15, 16, 27, 30,31, 33, 37 Bogislaw VIII. Herzog von Pommern  74, 82 Bogislaw IX. Herzog von Pommern  66, 71, 72, 74, 75, 77, 78, 79, 80, 84, 85, 86, 89, 90, 93 Bogislaw X. Herzog von Pommern  36 Boheman, Erik, Diplomat  180, 183 Borcke von, Familie  80 Brandenburg, Cäcilie von  50 Brandenburg, Margarethe von  54 Brecht, Berthold, Dichter  196 Byrnes, James F., amerikanischer Politiker  173 C Campredon, Jacques, französischer Sondergesandter  129, 130, 131, 132, 133 Carlowitz, Christoph von, kaiserlicher Vermittler 105 Carteret, John, 2. Earl Granville, britischer Diplomat  130, 131 Christian II. König von Dänemark (Kalmarer Union)  97, 98 Christian III. König von Dänemark  99 Christian IV. König von Dänemark  109 Christian X. König von Dänemark  137, 141, 142, 143, 152, 153, 154 Christoph Herr von Werle (Fürst von Wenden)  52, 53, 54 Churchill, Winston, britischer Politiker und Premierminister  183, 195 Claudel, Paul, französischer Botschafter  149, 152 Clausen, Hans Victor, dänischer Historiker  144, 154 Cour, Vilhelm la, Historiker  142, 146

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Personenregister

D Dahl, Arne Dagfin, Oberst  167 Dançay, Charles, französischer Gesandte  105 Demmin, Walter, Förster  210 Dewitz, Henning von, Ritter  65 Dobenecker, Hans, Vogt der Neumark  64 Dobenecker, Hans, Vogt von Dirschau  63 Dobenecker, Hans, Vogt von Schivelbein  64, 71 Dolgorukij, russischer Gesandter  133 Dubois, Guillaume, französischer Kardinal  128, 129 E Eberstein, Ludwig Graf von  104 Eglinger, Christoph, Vogt der Neumark  64 Egloffstein, Georg von, Vogt der Neumark  64 Eisenhofer, Ulrich, Tressler  64 Elisabeth von Pommern, Herzogin von Mecklenburg  16, 30, 31, 32 Engel, Carl, Rektor der Universität Greifswald  209, 210, 211, 212 Eppingen, Fritz von, Erbarmann aus Pommerellen 64 Eppingen, Wilhelm von, Komtur von Osterode  64, 71 Ehrensvärd, Carl August Graf von, schwedischer Militär  184 Erich IV. Herzog von Sachsen-Lauenburg  42 Erich V. Herzog von Sachsen-Lauenburg  42, 43, 44, 45, 47, 49, 50, 52, 55, 56, 57 Erich VII. König von Dänemark, Schweden und Norwegen, Herzog von Pommern  66, 70, 74, 85 Erik XIV. König von Schweden  99, 100, 102, 103 Erlichshausen, Konrad von, Hochmeister  66, 67, 69, 70, 71, 72, 74, 75, 76, 77, 78, 82, 90, 91, 93 Erlichshausen, Ludwig von, Hochmeister  66, 68, 69, 70, 74, 77 Ernst Ludwig Herzog von Pommern  104

F Filbinger, Hans, Richter der Kriegsmarine  172 Fleming, Curd, Marschall  80 Flemming, Konrad, Marschall und Hofmeister  64 Frederik II. (Friedrich II.) König von Dänemark  95, 99, 100, 103, 108 Frederik, Sohn von König Christian X. von Dänemark 153 Friedrich Herzog von Schleswig und Holstein  97 Friedrich I. König von Schweden  124, 131 Friedrich I. (VI.) Markgraf von Brandenburg, Burggraf von Nürnberg  43, 44, 45, 47, 48, 52, 53, 54 Friedrich IV. König von Dänemark  113, 114, 115, 116, 120, 122, 123, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 135 Friedrich Wilhelm I. König in Preußen  122, 128, 133 Friis, Aage, dänischer Historiker  144 Friis, Michael Pedersen, dänischer Politiker  152 G Georg I. König von Großbritannien, Georg Ludwig Kurfürst von Hannover  116, 121, 122, 123, 126, 128, 129, 133 Georg V. König von Großbritannien  142 Gera, Göran, schwedischer Reichsrat  105 Gerhardsen, Einar, norwegischer Ministerpräsident  170, 171, 172 Glawe, Walther, Theologe  210 Govorov, L. A., General, Kommandeur der Leningrader Front  193 Graf de la Marck, französischer Diplomat  128 Gregor von, Abt von Belbuk  65 Guntersberg, Eckhard von  81 Günther, Christian, schwedischer Außenminister 186 Gustav I. König von Schweden  97, 99 Gustav II. Adolf König von Schweden  119 Gyllenstierna, Nils, schwedischer Kanzler  105 Gylta, Bengt, schwedischer Reichsrat  105

Personenregister H Haakon VI. König von Norwegen  siehe Håkon VI. Haakon VII. König von Norwegen  163 Haase, kommunistischer Funktionär  223 Hagemann, Karl  214 Hagen, Thomas vam, Bürgermeister von Stolp  92, 93 Hägglöf, Gunnar, schwedischer Diplomat  186 Håkon VI. König von Norwegen  33, 163 Hambro, Carl Joachim, norwegischer Politiker 167 Hans Graf von Gleichen, Pfleger zu Bütow  63, 66, 67, 70, 74 Hansen, Hans Christian, dänischer Ministerpräsident 160 Hanssen, Hans Peter, dänischer Politiker  140, 141, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 152, 153, 154 Hansson, Per Albin, schwedischer Ministerpräsident  187, 188 Hansteen, Kirsten, norwegische Politikerin  171 Hauge, Jens Christian, norwegischer Politiker und Widerstandskämpfer  168, 171, 172 Heftye, Thomas, norwegischer Telegrafendirektor  149, 152 Heiligenberge, Hermann Hug von, Komtur von Schlochau  70 Heinrich der Ältere Herzog von Mecklenburg  52, 54, 75, 79, 84, 93 Heinrich der Jüngere Herzog von Braunschweig-Lüneburg 102 Heinrich II. Herzog von Mecklenburg  35 Heinrich II./IV. Herzog von BraunschweigLüneburg 44 Heinrich III. Herzog von Mecklenburg  32 Helfenstein, Wilhelm von, Komtur von Christburg 69 Hermann, Rudolf, Theologe  295, 209 Herzog von Mecklenburg(-Schwerin)  125 Herzog von Orléans  128 Hitler, Adolf, deutscher Reichskanzler  176, 178, 179, 185, 186, 194, 214 Hochhuth, Rolf, Dramatiker  172 Höcker, Wilhelm, deutscher Politiker  204, 216, 217, 220 Hoffmeister, Frau  210 Hogenberg, Frans, Kupferstecher  95

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Holt, Peder Ragnar, norwegischer Politiker  167 Horn, Arvid, schwedischer Kanzleipräsident und Reichsrat  125 Hoyer, Hinrich oder Hein, Bürgermeister von Hamburg 45 Hull, Cordell, Außenminister der Vereinigten Staaten 182 I Ilgen, Heinrich Rüdiger von, preußischer Minister 126 Iwan IV. Großfürst von Moskau  99 Iwen, Henning, pommerscher Kanzler, Bischof von Cammin  64, 80 J Jarmer, Ernst, deutscher Politiker und Verwaltungsjurist 209 Joachim Herzog von Pommern  66, 69, 71 Johann der Alchimist, Markgraf von Brandenburg 54 Johann Friedrich Herzog von Pommern  103, 104, 105, 106 Johann, Herr von Werle (Fürst von Wenden)  32 Johann I. Bischof von Cammin  30 Johann I. Herzog von Mecklenburg(-Stargard)  31 Johann III. Herzog von Mecklenburg(-Stargard)  44, 52, 53, 54 Johann III. König von Schweden, Prinz von Finnland  102, 103 Johann IV. Herzog von Mecklenburg(-Schwerin)  47, 52, 55 Johnson, Herschel V., Minister der Vereinigten Staaten  180, 181, 182 Joseph I. Kaiser  119 Jungingen, Konrad von, Hochmeister  75 K Karl IV. Kaiser  15 Karl V. Kaiser  98 Karl IX. König von Schweden  108 Karl X. Gustav König von Schweden  110 Karl XII. König von Schweden  114, 115, 118, 119, 124

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Personenregister

Karl Friedrich Herzog von Schleswig-HolsteinGottorf  127, 131, 132 Karl Leopold Herzog von Mecklenburg(-Schwerin) 122 Kasimir III. Herzog von Pommern  32 Kasimir V. Herzog von Pommern  43, 44, 47, 52, 55 Katharina I. Zarin von Russland (Skawronskaja, Martha) 123 Katharina Ivanova Herzogin von Mecklenburg 122 Katsch, Gerhardt, Mediziner  205, 212 Kekkonen, Urho K., finnischer Ministerpräsident 200 Kennedy, John F., Präsident der Vereinigten Staaten 192 Kerskorff, Walter, Vogt von Schivelbein  64 Kloppenborg Skrumsager, Hans D., dänisches Mitglied des preußischen Landtages  144 Knud, Sohn von König Christian X. von Dänemark 153 Knyphausen, Friedrich Ernst zu Innhausen und Knyphausen, preußischer Minister  126 Köller, Ernst Mathias von, deutscher Verwaltungsbeamter  140, 141 Kollwitz, Funktionär der KPD  223, 224 Korner, Hermann, Lübecker Chronist  47 Kortüm, Otto, Stralsunder Oberbürgermeister  213, 218 Köster, Adolf, preußischer Staatskommissar  148, 151, 152 Kraft, Ole Bjørn, dänischer Außenminister  159 Kromer, Martin, polnischer Diplomat  105 Küchmeister, Michael, Hochmeister  74 Külpen, Ludolf von, Bürgermeister von Stralsund 27 L Leckow, Familie  86, 90 Leszczynski, Stanisław, König von Polen  123 Lie, Trygve, norwegischer Außenminister  164, 170, 171, 172 Liebe, Otto, dänischer Ministerpräsident  152 Løvenørn, Poul Vendelbo, dänischer Gesandter  127, 131 Ludwig XV. König von Frankreich  130

Lüneburg, Hieronymus, Bürgermeister von Lübeck 104 M Magnus Eriksson König von Schweden  33 Magnus Herzog von BraunschweigLüneburg 34 Magnus I. Herzog von Mecklenburg(-Schwerin)  31 Magnus, Bruder von König Frederik (Friedrich II.) von Dänemark  100, 105, 198 Mannerheim, Carl Gustaf Emil, finnischer Militär und Politiker  194 198 Maria Herzogin von Pommern(-Stolp)  72, 74, 75, 86, 91, 92, 93 Marling, Sir Charles, englischer Botschafter  149, 152 Massow, Lüdike, pommerscher Hofmeister und Hauptmann von Zanow  65, 66, 67, 68, 69, 71, 74, 76, 77, 80 Maximilian II. Kaiser  102, 104 Meinecke, Friedrich, deutscher Historiker  201 Menschikow, Alexander Danilowitsch, Fürst, russischer Militär  122 Minckwitz, Caspar von, kaiserlicher Rat  105 Molotow, Wjatscheslaw M., sowjetischer Außenminister  172, 195 Müsebeck, Walter, Landarbeiter, Kommunist  225 N Napoleon I. Kaiser von Frankreich  138 Napoleon III. Kaiser von Frankreich  138 Neergaard, Niels, dänischer Ministerpräsident  152 Nehring, Erna  215 Nichterlein, Josef (Wilhelm), deutscher Militär  167, 168 Norris, Sir John, britischer Admiral  127, 129, 133 Nygaardsvold, Johan, norwegischer Ministerpräsident 163 O Olav, norwegischer Kronprinz  167, 170 Ost, Donnies von der, Vogt von Bernstein  71 Otto II. Herzog von Pommern  43, 52

Personenregister Otto III. Herzog von Pommern  68, 70 Otto Markgraf von Brandenburg  34 Otto, Lorenz, pommerscher Kanzler  104 P Paasikivi, Juho Kusti, finnischer Ministerpräsident  193, 197, 198, 199 Parcham, Tonies, Bürgermeister von Stargard  65 Paul, Reinhold  227 Peter I. Kaiser von Russland  115, 116, 117, 122, 123, 124, 126, 130, 133 Petrovna, Anna, Großfürstin von Russland  123 Philipp Landgraf von Hessen  102 Plauen, Heinrich Reuß von, Komtur zu Elbing  64, 69 Pleskow, Jordan, Bürgermeister von Lübeck  45, 46 Postar, Nikolaus, Komtur zu Danzig  64, 70, 79 Putbus, Henning von, dänischer Reichsrat  28, 29 Puttkamer, Lorenz, pommerscher Rat  65, 91 Q Quisling, Vidkun, norwegischer Politiker  168, 169

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Ruge, Johann, Bürgermeister von Stralsund  27 Ruge, Otto, norwegischer Militär  170 Runge-Schmatzin, Gutsbesitzer  208 Ruperti, Andreas, Pfarrer zu St. Marien in Danzig  64, 65 Ryti, Risto, Präsident von Finnland  194 S Scavenius, Erik, dänischer Außenminister  141 Schack, Otto  49 Schack, Vicke  49 Scheele, Heinrich, Bürgermeister von Stralsund 27 Schein, Calixt, Syndicus von Lübeck  105 Schlitz, Georg Heinrich von, genannt von Görtz, Baron, Gottorfer Minister  123 Schole, Heinrich, Psychologe  210 Schreyge, Dietrich, Hamburger Hauptmann  46 Schultze, Günter K. F., Mediziner  209 Schwentner, Heinrich, Bürgermeister zu Konitz 64 Shukow, Georgi, Marschall der Sowjetunion  219 Sigismund II. August König von Polen  103 Sigismund III. Vasa König von Polen  108 Sophia Herzogin von Pommern († 1364)  19 Sophia Herzogin von Pommern († 1462)  52 Sparre, Claes, schwedischer Admiral und Reichsrat 127 Stalin, Josef, sowjetischer Staatsführer  193, 195, 198 Stanhope, James, 1. Earl of, britischer Staatsmann  125 126, 127, 128, 129, 133 Steche, Theodor, Germanist  210 Stenbock, Magnus, schwedischer Feldmarschall  117 Sydow, Oscar von, schwedischer Amtmann  149, 152

R Rabe, Hans, Komtur zu Schlochau  63 Rabenstein, Heinrich von, Komtur zu Tuchel  63 Radüge, Walter, Publizist und Dichter  211, 213, 214 Ramelow, Henning, Vogt zu Pollnow  80 Rantzau, Heinrich, holsteinisch-dänischer Staatsmann  95, 105 Rehnskiöld, Carl Gustaf, schwedischer General  119 Reibenitz, Hans von, Komtur von Schwetz  63 T Reventlow, Anna Sophie von  135 Tardieu, André, französischer Politiker  147 Rode, Hermann von, Bürgermeister von Thorne, Andrew, britischer Militär  169, 172 Stralsund 27 Tiedje, Johannes, deutscher VerwaltungsRoosevelt, Franklin D., Präsident der beamter 150 Vereinigten Staaten  182, 195 Tode, Christian, Bürgermeister von Lübeck  105 Rosenkrantz, Jørgen, dänischer Reichsrat  104

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Personenregister

Tordenskiold, Peter Wessel, norwegischer Marineoffizier 126 Torp, Oscar, norwegischer Politiker  170, 171

Werdenau, Dietrich von, Pfleger zu Bütow  63 Wesent, Familie  38 Whitworth, Charles, 1. Baron Whitworth, britischer Diplomat  126 U Wilhelm Herr von Werle (Fürst von Wenden)  52, 53, 54 Ulrika Eleonora Königin von Schweden  124, Wilhelm I. Herzog von Braunschweig125, 126, 127, 130, 131 Lüneburg(-Wolfenbüttel)  46, 47, 48, 50, V 52, 54 Wilson, Woodrow, Präsident der Vereinigten Vippach, Hans von, Vogt von Lauenburg  63 Staaten  144, 154 W Wiltfang, Dr., Landwirt  222 Waldemar III. König von Dänemark  35 Wizlaw III. Fürst von Rügen  29, 35 Waldemar IV. König von Dänemark  15, 16, Wrede, Ulrich von, Vogt von Dirschau  63 21, 24, 25, 26, 28, 33, 37 Wulflam, Bertram, Bürgermeister von Wallenberg, Raoul, schwedischer Diplomat  Stralsund  27, 29, 37 180, 181 Wulflam, Wulf, Bürgermeister von Stralsund  37 Wallenstein, Albrecht von, kaiserlicher Feldherr  110 Wustrow, Paul  209 Wartislaw Herzog von Pommern (Stettin)  70 Wartislaw IV. Herzog von Pommern  29, 30, Z Zahle, Carl Theodor, dänischer Minister34,35 Wartislaw V. Herzog von Pommern  15, 30, präsident  143, 147, 152 31, 37 Zitzewitz, Jakob von, pommerscher Wartislaw VI. Herzog von Pommern  15, 16, Kanzler  103, 104 27, 30, 31, 32, 33, 34, 36, 37 Ždanov, Andrej A., sowjetischer Militär  196 Wartislaw IX. Herzog von Pommern  44, 52, 66, 74, 76, 77

Ortsregister A Adrianopel 121 Ahlbeck 227 Akershus  167, 168, 169 Åland-Inseln  124, 194 Alt Teterin  207, 208 Altengamme, Kirchspiel  56 Altentreptow  217, 222 Älvsborg  101, 106, 107, 108, 109 Andershof 227 Angermünde 44 Anklam  35, 204, 205, 206, 207, 209, 210, 212, 213, 214, 216, 217 Anklam, Landkreis/Kreis  213, 216, 227 Apenrade  145, 146, 149, 150, 153 Archangelsk 165 Arnshausen 86 Arnswalde  80, 89 Askov 147 Avaskär 108 Axtorna  101, 102 B Baden 121 Baden-Württemberg 172 Baldenburg 75 Baltikum  9, 13, 21 Bansin  222, 227 Bäreninsel (Bjørnøya)  172 Bartelshagen 227 Barth  37, 218, 221 Barth, Vogtei  29, 30, 33 Battin 75 Behrenhoff 208 Belgard  74, 75, 77, 89 Bergedorf  41, 45, 48, 55, 56 Berlin  13, 124, 125, 126, 139, 140, 143, 145, 151, 177, 178, 181, 187, 193, 196, 202 Blekinge  24, 121 Bogstad 169 Böhmen 54 Bohuslän  101, 127, 131, 132, 135 Bornholm  100, 101, 102 Bottnischer Meerbusen  163

Brandenburg  10, 27, 34, 41, 43, 44, 46, 47, 52, 53, 54, 55, 60, 67, 68, 82, 84 Brandenburg-Preußen 111 Braunschweig-Lüneburg, Herzogtum  34, 44, 119 Bremen, Herzogtum  116, 122, 126, 130 Brest  59, 85, 86, 92 Brömsebro  99, 110 Brünzow 221 Budapest 181 Bulgarien 142 Bundesrepublik Deutschland  siehe Deutschland Bütow  63, 64, 66, 67, 68, 70, 74, 75, 76, 79, 80, 88 Bygdøy 169 C Cammin, Bistum/Stift  64, 74, 80, 81, 86 Christburg  67, 69 Christiansfeld  137, 153 Copenhagen  siehe Kopenhagen Curslack  48, 56 D Damgarten  31, 32, 33, 36, 206, 208 Dänemark  12, 15, 16, 21, 24 – 28, 33, 35, 37, 70,85, 95, 97 – 102, 105 – 110, 128, 132, 137, 139 – 143, 145, 146, 147, 148, 150 – 161, 175, 176, 178, 179, 181, 183, 184 Dänemark-Norwegen  11, 12, 96, 98, 110, 113, 114, 115, 118, 119, 122, 123, 124, 125, 127, 129, 131, 132 Dannewerck (Danewerk)  146, 148, 153 DDR  12, 158, 161 Demmin  32, 35, 205 – 209, 214, 216, 217 Demmin, Kreis  214, 215, 216, 217, 222, 225, 228 Denmark  siehe Dänemark Deutsches Reich  siehe Deutschland Deutschland  9, 12, 13, 109, 110,139, 141, 142, 143, 145, 150 – 161, 163, 172, 175, 176, 178, 179, 181, 182, 183, 184, 186, 187, 188, 193, 194, 198, 201, 202, 209, 220

240

Ortsregister

Dnjepr 115 Dömitz  44, 54 Dorpat, Bistum  99 Ducherow 207 Düppeler Schanzen  137, 153 Duvensee 42 E Eberswalde 54 Eggesin 208 Eider  142, 146, 153 Eiderstedt 147 Eismeer 194 Elbe  42, 46, 57 Elbing  64, 67, 69 England  100, 111, 119, 120, 121 Esromsee 113 Eßlingen (Zollenspieker), Zollstelle  42, 48, 55, 56 Estland  124, 133, 196 Europa  17, 154, 156, 157, 193, 196 Europäisches Nordmeer  163, 164 Eutin 120 F Finnischer Meerbusen  193 Finnland/Finland  9, 12, 13, 102, 117, 118, 123, 165, 175, 176, 179, 180, 181, 182, 184, 191 – 200 Finnmark  167, 184 Flabäck 108 Fledingen 24 Flensburg  144 – 149, 151, 152, 153, 154 Föhr, Insel  151 Fontainebleau 121 Frankreich  102, 121, 128, 129, 131, 135, 139 Franzburg-Barth, Kreis  215, 217, 220, 221, 224, 227, 228 Fraustadt  119, 120 Fredensborg (Friedensburg)  113, 135 Frederiksborg  132, 133, 134 Frederikshöj 153 Fredriksten 118 Friedrichsthal 218 G Gadebusch 117 Gahlkow 221 Geesthacht 56

Germany  siehe Deutschland Gorlosen  44, 54 Göteborg  108, 116, 126 Gotland  25, 98, 102, 110 Gotska Sandön  101 Gottorf, Schloss  132 Greifenberg 89 Greifswald  25, 26, 27, 33, 35, 36, 37, 205, 206, 209 – 213, 216 – 223, 228 Greifswald, Kreis  206, 209, 215, 217, 218, 220, 222, 225, 227 Grevesmühlen, Land  31 Griechenland/Greece  180, 192 Grimmen  34, 206, 222 Grimmen, Kreis  217, 218, 221, 223, 224, 228 Grimmen, Vogtei  16, 29, 30, 33 Grini 170 Grischow 227 Grönlandsee 164 Großbritannien/Great Britain  121 – 126, 129, 130, 134, 135, 163, 173, 175, 176, 188, 192, 195 Günz 220 H Hadeln, Land  42 Hadersleben  149, 153 Halland  101, 110, 121 Halmstad 102 Hamburg  10, 41 – 48, 50, 55, 56 Hammerstein  74, 75, 89, 90, 91, 93 Hannover  124, 125, 128, 129 Hannover, Kurfürstentum  114, 116, 118, 119, 122, 123, 125, 126, 130, 131, 134 Härjedalen 110 Harrien 100 Heiliges Römisches Reich  11, 93, 94, 123, 128 Helsingborg  115, 117 Helsinki  193, 195, 196 Hiddensee  28, 207 Hiddensee, Kloster  28 Hindenburg 34 Hinterpommern 202 Höjer  150, 154 Holland 180 Holstein  44, 97, 100, 105, 138, 157, 158 Husi 120 Husum 146

Ortsregister I Ingermanland  123, 133 Italien  141, 194 J Jämtland 110 Jan Mayen, Insel  164 Jarmen  214, 217, 222 K Kalifornien 196 Kallax 184 Kalmar 109 Kamminke  218, 227 Kappel-Tönning 147 Karelien  123, 194 Karelische Landenge  193, 200 Karin 221 Karlsburg 208 Kaseburg 218 Katharinenberg (Stralsund)  38 Kattegat 101 Kirchwerder  48, 56 Kirkenes 166 Kiruna-Malmberget 176 Klein Kedingshagen  224, 225 Knäred  103, 107, 109 Köge-Bucht 116 Kolberg  87, 226 Kolding  137, 138, 153 Königsau  138, 140, 153 Königsberg 83 Konstantinopel 121 Kopenhagen  110, 113, 120, 121, 123 – 128, 130, 139, 144, 145, 148, 152, 175 Kröslin 221 Krummin 222 Krusau 154 Kuddewörde  46, 48 Kummerow (Niepars)  227 Kurhannover  siehe Hannover, Kurfürstentum Kurland, Bistum  99, 100 Kursachsen  siehe Sachsen, Kurfürstentum L Ladogasee 193 Langeböse  74, 75, 79, 89 Langendamm (Damgarten)  208

241

Langenhanshagen  221, 227 Lappland  108, 184, 194, 197 Lauenburg (Elbe)  46, 138 Lauenburg (Hinterpommern)  63, 64, 65, 74, 75, 77, 90, 93 Leipzig 119 Leningrad  siehe St. Petersburg Liebertwolkwitz 119 Lillehammer  167, 168 Lippehne 80 Lister 24 Livland  11, 95, 99, 100, 102, 105, 106, 107, 108, 119, 124, 133 Lödöse 99 Loissin 221 Loitz  219, 224, 225, 226, 229 Loitz, Land/Vogtei  20, 29, 33 London  124, 125, 128, 142, 164, 177, 178, 181, 182, 183, 187 Lövö 124 Lübeck  10, 11, 25, 27, 28, 41 – 49, 51, 55, 56, 65, 95, 97, 98, 100, 101, 102, 105, 106, 107, 110 Lübeck, Fürstbistum  120 Lüchow  46, 53 Luckenwalde 170 Ludwigslust 202 Luleå  163, 184 Lüneburg  42, 47, 48, 50 Lüssow (Stralsund)  225 Lyngenfjord 166 M Malmö 99 Marienthron bei Neustettin, Kloster  17, 21 Marstrand  127, 131, 132 Mecklenburg  16, 24, 29, 30, 31, 34, 35, 41, 46, 71, 75, 84, 85 Mecklenburger Bucht  101 Mecklenburg-Schwerin, Herzogtum  10, 121, 122 Mecklenburg-Vorpommern  202, 203, 204 Mittelmeer 129 Mölln (Möllner Gebiet)  42 Mönchstraße (Stralsund)  28, 36 Moskau/Moscow  170, 177, 181, 182, 187, 193, 194, 195, 219 Mühlenstraße (Stralsund)  28 Murmansk  165, 166

242

Ortsregister

N Narva  100, 107 Narvik  163, 169 Naulin 71 Neubrandenburg  209, 211, 218, 222, 223, 224 Neuengamme, Kirchspiel  48, 56 Neuhof (Saal)  221 Neukloster 123 Neumark  59, 60, 64, 65, 68, 71, 73, 74, 75, 80, 81, 86, 88, 89, 93 Neustettin  17, 74, 75, 86, 89, 90 Neustettin, Land  31 Neva 123 Niederlande  100, 111, 115, 118, 119, 121 Niedersachsen  13, 172 Niedersächsischer Kreis  130 Nisdorf  220, 221 Nonnendorf  221, 222 Nordatlantik 163 Nordeuropa/Northern Europe  13, 95, 98, 177 Nordjütland  137, 138 Nordkalotte 172 Nordkap 172 Nordkarelien 193 Nordmeer 109 Nord-Ostsee-Kanal/Kiel Canal  12, 142, 153, 158 Nordsee 163 Nörremölle 140 Northeim 172 Norwegen/Norway  9, 12, 19, 25, 95, 102, 118, 123, 126, 141, 159, 163, 164, 167 – 173, 175, 176, 178, 179, 180, 182, 183, 184, 185, 194 Nusse 42 Ny Elfsborg  126 Nystad 133 O Obersächsischer Kreis  130 Oder  80, 84, 201, 202, 203 Odermünde 228 Öland 101 Oliva  119, 134 Onegasee 193 Öresund  101, 107, 108, 110, 121, 127, 131, 134 Ösel  102, 108, 110 Ösel, Bistum  99, 100 Østrup, Gut  113

Oslo  167, 168, 169, 170, 172 Osmanisches Reich  115, 120 Ossenreyerstraße (Stralsund)  38 Östergötland 101 Österreich  128, 138, 139, 153, 172, 192 Österreich-Ungarn 142 Ostsee  11, 12, 21, 95, 98, 101, 105, 117, 133, 135, 163 P Paris  128, 139, 147, 152, 153, 154 Pasewalk  34, 84 Peene  26, 117, 118, 122, 123, 126, 127, 129, 130, 222 Peenemünde  185, 211 Peenestrom  26, 208 Perleberg  10, 41, 46, 47, 49, 50, 52, 53, 54, 55 Petsamo-Gebiet 165 Poel 123 Polarkreis 194 Polen/Polen-Litauen  9, 13, 59, 85, 95, 99, 100, 101, 102, 105, 107, 108, 114, 115, 119, 130, 134, 193, 202 Pölitz 204 Poljarny 166 Poltawa 115 Pommerellen  63, 64, 91 Pommern  13, 17, 18, 24, 31, 34, 41, 60, 61, 63, 64, 65, 72, 74, 76, 80, 81, 84, 85, 89, 90, 91, 93, 94, 117, 202, 203, 224 Pommern, Herzogtum  16, 43, 103, 104 Pommern-Stettin, Herzogtum  29, 43, 71, 103 Pommern-Stolp, Herzogtum  59, 64, 66, 74, 75, 81, 88 Pommern-Wolgast, Herzogtum  16, 29, 32, 38 Porkkala 196 Poststraße (Stralsund)  38 Prag  138, 153 Prenzlau  37, 54 Preußen, Königreich  114, 116, 117, 118, 121, 122, 123, 125, 126, 127, 130, 131, 134, 138, 140, 153, 156 Preußen, Ordensland  63, 68, 75, 76, 80, 81, 83, 84, 85, 88 Prignitz  43, 44, 47 Pritzwalk 54 Pruth 120 Putbus 28

Ortsregister R Ralswiek 28 Randow, Kreis  203, 213, 227 Rastatt 121 Ratzeburg 46 Ratzeburg, Bistum  49 Ravensberger Straße (Stralsund)  36 Ravsted 150 Reetz 88 Reims 202 Reinbek, Kloster  49 Reinfeld, Kloster  49 Rendsburg 172 Reval  siehe Tallinn Reval, Bistum  100 Ribnitz  15, 16, 32, 33 Riepenburg  46, 48, 55, 56 Riga  108, 114 Riga, Bistum  99 Rinkenæs 150 Ripen  138, 153 Roskilde  28, 103, 110 Rostock  25, 27, 35, 47, 48, 50, 103, 104, 107 Rügen  20, 28, 29, 33, 34, 35, 116, 117, 118, 122, 127, 129, 132, 202, 206, 207, 221, 222 Rügen, Fürstentum  16, 24, 28, 29, 30, 35, 38 Rügenwalde  37, 66, 74, 75, 90 Russland  12, 100, 108, 111, 114, 115, 117, 120 – 126, 128, 129, 133, 134, 135, 192, 197 S Saal 229 Saaler Bodden  208 Sachsen, Kurfürstentum  115 Sachsen-Lauenburg, Herzogtum  10, 31, 41 Sachsen-Polen  siehe Polen Sachsenwald  48, 49 Sadicker 74 Saint Germain-en-Laye  121 Salzwedel 44 San Francisco  155, 164 Sandomier 119 Sassnitz 205 Scharnebeck, Kloster  49 Schivelbein  59, 64, 71, 72, 75, 79, 80, 81, 86, 89 Schlatkow 208 Schlawe  29, 86

243

Schlei  146, 148 Schlesien 119 Schleswig, Herzogtum  100, 105, 129, 131, 132, 137, 138, 139, 141, 142, 145, 146, 147, 148, 150, 151, 153, 157 Schleswig, Stadt  50, 146 Schleswig-Holstein  141, 158, 172 Schleswig-Holstein-Gottorf, Herzogtum  114, 117, 118, 120, 123, 127 Schlochau  63, 64, 70, 72, 74, 75, 79, 86, 90, 91, 92 Schmatzin 208 Schonen  15, 21, 115, 121 Schottland  166, 167 Schweden/Sweden  11, 12, 13, 24, 95 – 102, 105 – 110, 114, 115, 116, 118, 119, 122 – 134, 138, 141, 163, 167, 169, 172, 175 – 190, 193 Schwedisch-Pommern  116, 122, 123, 127, 130 Schwedt  117, 122 Schwerin  202, 203, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 226 Seeland  24, 135 Sjöaryd  108, 109 Skandinavien  9, 98 Småland 101 Sölvesborg 24 Sonderburg  149, 150, 153 Sønderjylland 137 Sonnenburg, Festung  108 Sowjetunion/Soviet Union/UdSSR  9, 12, 13, 159, 164, 165, 172, 173, 176, 179, 184, 187, 192, 196, 197, 198, 199, 218, 219, 223 Spanien 129 Spitzbergen-Svalbard-Archipel 164 St. Petersburg  123, 191, 193 Stade 116 Stargard (Pommern)  38, 65, 80, 86, 89 Stavanger  169, 172 Stavenhagen 222 Stavenhagen, Land  31, 32 Stettin  81, 95, 96, 104, 105, 111, 116, 117, 122, 123, 130, 201, 203 Stevns Herred  24 Stockholm  97, 99, 101, 117, 126, 128, 129, 130, 131, 133, 178, 180, 181, 182, 184, 185 Stolp  29, 68, 74, 75, 80, 88, 89, 93 Stolzenhagen 228 Store Heddinge  24

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Ortsregister

Stralsund  9, 15, 16, 19 – 23, 25 – 29, 33 – 39, 48, 50, 103, 116, 117, 118, 127, 129, 132, 204, 205, 206, 207, 209, 210, 212, 213, 214, 217, 218, 221, 222, 224, 225, 227, 228 Strasburg, Land und Stadt  31, 34, 44 Straßburg (Elsass)  141 Südschleswig  146, 157, 158 Sund, Vogtei  29 Suursaari/Hochland 194 Swine  31, 74 Swinemünde  205, 215, 216, 218, 223, 225, 226, 229 Swinemünde, Kreis  siehe Usedom-Wollin, Kreis T Tali-Ihantala 193 Tallin 100 Tana-Fluss 166 Tangermünde 44 Teheran 195 Templin 34 Thorn  59, 64, 65, 80, 86 Tingleben 150 Tollense 222 Tondern  138, 145, 146, 149, 150, 153, 154 Torgelow  34, 208 Traventhal  115, 118 Treptow a. d. Rega  105 Tribsees 33 Tribsees, Vogtei  16, 29, 30, 33 Tromsø  165, 170, 172 Trondheim  102, 169, 172 U Uckermark  34, 43, 44, 54 Udbjerg 150 Ueckermünde  208, 214 Ueckermünde, Kreis  213, 227 Ukraine 115 Ulfsbäck 109 Umeå 133 Ummanz 28

Ungarn  181, 192, 194 Usedom, Insel und Stadt  117, 122, 126, 130,202, 206 Usedom-Wollin, Kreis  203, 216, 218, 219, 223 – 229 V Varberg  101, 102 Verden, Herzogtum  116, 122, 126, 130 Vereinigte Staaten von Amerika /United States/ USA  144, 164, 173, 175, 181, 195 Vereinigtes Königreich/United Kingdom  siehe Großbritannien Viborg 133 Vierlande  41, 42, 49, 56 Visby 25 Voigdehagen 37 Volksrepublik Polen  siehe Polen Vorpommern  9, 16, 20, 21, 118, 123, 129, 131, 132, 134, 135, 201, 202, 203, 217, 218, 229 W Waldenburg 80 Wattenmeer 146 Weichsel 64 Werle  16, 24, 29, 30, 31, 32, 35 Westfalen 45 Wien  125, 138 Wierland 100 Wismar  25, 27, 32, 35, 47, 48, 50, 104, 116, 118, 123, 127, 131, 132, 134, 202 Wittenhagen 227 Wobbelkow 221 Wolgast  24, 25, 29, 205, 208 Wollin, Insel und Stadt  76, 117, 122, 126, 130, 202 Wordingborg  25, 27 Wusterhusen 225 Wyborg 193 Z Zachan 88 Zirchow 227