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German Pages 302 Year 1998
DIETER HÜNING
Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes
Schriften zur Rechtstheorie Heft 185
Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes
Von Dieter Hüning
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hüning, Dieter: Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes / von Dieter Hüning. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 185) Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09046-2
Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-09046-2
Meiner M u t t e r und meiner Großmutter
Vorwort
Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine überarbeitete Fassung einer Arbeit, die im Sommersemester 1996 vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen wurde. Daß sie zustande kommen konnte, verdanke ich in erster Linie meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Burkhard Tuschling. Er hat in mir das Interesse für die Fragen und Probleme der Rechtsphilosophie geweckt, den Anstoß zu dem Thema der Arbeit gegeben und für ihre finanzielle Basis Sorge getragen. Trotz der lang anhaltenden Geburtswehen der vorliegenden Studie hat er niemals die Hoffnung aufgegeben, daß sie zu einem guten Ende kommen würde. Mein besonderer Dank gilt meinem Freund und Kollegen Dr. Olaf Asbach. Er hat nicht nur die nicht enden wollenden Mühen des Korrekturlesens auf sich genommen, sondern den Fortgang der Arbeit durch seine kritischen Bemerkungen wie durch seine Anregungen und Aufmunterungen in entscheidender Weise gefördert. Für kritische Hinweise danke ich schließlich auch Dr. Franz Hespe, Torsten Poths, Peter Schröder, Gideon Stiening und Uli Vogel.
Dieter Hüning
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Karneades und Hobbes: Ein antiker Angriff auf die Naturrechtslehre und seine neuzeitlichen Folgen
13
A.
Das Naturzustandsargument
30
I.
Der Aufbau von T)e Cive' und der begründungstheoretische Zusammenhang von Liberias' und Imperium'
30
Π.
Der Primat des natürlichen Gesetzes in der traditionellen Naturrechtslehre.
38
ΙΠ.
Hobbes' geltungstheoretische Revolution
42
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
51
V.
69
Der rechtslogische Status des 'ius in omnia'
VI. Der Naturzustand als Kriegszustand
80
VE. Der praktische Selbstwiderspruch des Naturzustandes und das exeundum...
84
B.
Die Theorie der natürlichen Gesetze
94
I.
Die Definition des natürlichen Gesetzes
94
Π.
Die widersprüchliche Verhältnisbestimmung von Recht und Gesetz
101
ΠΙ.
Die Bedeutung der 'recta ratio'
107
IV. Die natürlichen Gesetze als konstitutive Formalbedingungen des Rechtsfriedens 113 1. Das Gebot der Friedenssuche ("quaerendam esse pacem", DC Π, 2)
V.
114
2. Das Gebot der rechtlichen Normierung des Freiheitsgebrauchs ("jus in omnia non esse retinendum", DC Π, 3)
115
3. Das Gebot der unbedingten Vertragstreue ("Pacta sunt servanda", DC ΠΙ, 1)
123
Die natürlichen Gesetze als Prinzipien der staatsbürgerlichen Tugend
125
VI. Die Frage nach dem verbindlichkeitstheoretischen Status der natürlichen Gesetze
133
Inhaltsverzeichnis
10
1. Die natürlichen Gesetze als Befehle Gottes?
137
2. Die natürlichen Gesetze als hypothetische Imperative?
149
VE. Vom Prinzip der Moralität zur Begründung des Rechtszwanges
152
C.
Hobbes* philosophische Staatsrechtslehre
158
I.
Staatsrecht und Souveränität
158
1. Die Frage nach dem Wesen des Staates
162
2. Die Rechtspersönlichkeit des Staates
175
Die Theorie des staatsbegründenden Vertrages
191
1. Die allgemeine begründungstheoretische Funktion des staatsphilosophischen Kontraktualismus
191
Π.
2. Die Vertragskonstruktion in De Cive und ihre Defizite
204
3. Die Theorie der Autorisation im Leviathan
213
4. Der Unterschied zwischen dem institutionellen Staatsvertrag und dem "covenant of obedience"
218
Die rechtlichen Implikationen des Hobbesschen Staatsbegriffs
220
1. Die staatsrechtliche Differenz zwischen 'multitudo' und 'populus'
220
2. Die Unmöglichkeit des kollektiven Widerstandsrechts
224
3. Die Rationalisierung des Strafrechts
227
4. Die Überwindung der klassischen Staatsformenlehre
232
D.
Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
237
I.
Die Antinomie zwischen Naturrecht und staatlichem Gesetz
240
Π.
Das Despotismusproblem
251
1. Absolutismus- oder Despotismusvorwurf?
251
2. Die Zweideutigkeit der Hobbesschen Staatsrechtslehre
257
3. Die Aufhebung der Rechtspersönlichkeit und die rechtliche Möglichkeit der Sklaverei
260
4. Rousseaus Kritik des Hobbesschen Unterwerfungsvertrags
265
ΙΠ.
Schlußbetrachtung: Hobbes und das Problem der Positivität des Rechts
276
Literaturverzeichnis
285
Sachregister
300
Verzeichnis der Siglen
AA
Kant's gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902 ff.
AT
Descartes, René: Œuvres complètes, publiées par Charles Adam et Paul Tannery, 12 vol., Paris 1897-1913.
Behemoth
Hobbes, Thomas: Behemoth or the Long Parliament. Edited by Ferdinand Tönnies. With an Introduction by Stephen Holmes, Chicago/London 1990.
D.
Digestorum D. Iustiani Libri L, in: Corpus Juris Civilis, recognoverunt adnotionisbusque criticis instructum editerunt Albertus et Mauritius Frates Kriegeiii, Aemilius Herrmann, Eduardus Osenbrueggen, pars prior, Leipzig 61854, 55-992.
DC
Hobbes, Thomas: De Cive. The Latin Version. A Critical Edition by Howard Warrender (The Clarendon edition of the philosophical works of Thomas Hobbes, vol. 2), Oxford 1983.
Dialogue
Hobbes, Thomas: A dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England, ed. by Joseph Cropsey, Chicago, London 1971.
EdL
Montesquieu, Charles-Louis de Secondât, Baron de la Brède et de: De L'esprit des lois, éd. par Victor Goldschmidt, Paris 1979.
Elements
Hobbes, Thomas: The Elements of Law Natural and Politics, edited by J. C. A. Gaskin, Oxford 1994.
EW
Hobbes, Thomas: The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury. Now first collected and edited by Sir William Molesworth, London 1839-1845, vol. I-XL
FW
Fichtes Werke, hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845/46, Reprint Berlin 1970.
GS
Ebbinghaus, Julius: Gesammelte Schriften, hrsg. von Hariolf Oberer und Georg Geismann, Bde. 1-3, Bonn 1986 ff.
GW
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Gesammelte Werke, hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Hamburg 1968 ff.
12
Verzeichnis der Sigeln
ING
Pufendorf, Samuel von: De Ivre Natvrae et Gentivm. Libri Octo. Recensvit et animadversionibvs illustravit Gottfridvs Mascovivs, Frankfurt/Leipzig 1759.
Inst.
Institutionum D. Iustiniani Libri IV, in: Corpus Juris Civilis, recognoverunt adnotionisbusque criticis instructum editerunt Albertus et Mauritius Frates Kriegeiii, Aemilius Herrmann, Eduardus Osenbrueggen, pars prior, Leipzig 61854, 1-53.
JBP
Grotius, Hugo: De Iure Belli ac Pacis. Libri Très. Curavit B.J.A. de Kanter-van Hettinga Tromp, Leiden 1939.
Lev.
Hobbes, Thomas: Leviathan, ed. by Richard Tuck, Cambridge 1991.
Lev. OL ΠΙ
Leviathan sive de materia, forma, et potestate civitatis ecclesiastic® et civilis. - In: Thomas Hobbes Malmesburiensis Opera philosophica quae Latine scripsit omnia. Vol. ΠΙ, London 1841.
MM
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1969 ff.
OC
Rousseau, Jean-Jacques: Œuvres complètes. Édition publiée sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond, Vol. Iïï: Du Contrat Social. Écrits Politiques, Paris 1964; Vol. IV: Emile - Éducation Morale - Botanique, Paris 1969.
OL
Thomas Hobbes Malmesburiensis Opera philosophica quae Latine scripsit omnia. Studio et labore Gulielmi Molesworth, London 1839-1845, vol. I-V.
RL
Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten. Erster Theil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Kant's gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. VI, Berlin 1902.
Rph
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen. - In: Ders.: Werke in zwanzig Bänden, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 7, Frankfurt 1970.
ST
John Locke: The Second Treatise of Government. An Essay Concerning the True Original, Extent, and End Of Civil Government. - In: Ders., Two Treatises of Government, edited by Peter Laslett, Cambridge 1988.
"Neque scriptorem agnosco, qui argumentum scrutetur, quàm ille, profundiùs." (Gassendi)
Einleitung Karneades und Hobbes: Ein antiker Angriff auf die Naturrechtslehre und seine neuzeitlichen Folgen Die im Anschluß an John Rawls' Theory of Justice angestoßene Rehabilitation der politischen Philosophie hat auch zu einem erneuerten Interesse an den Rechts- und Staatsphilosophien der Neuzeit und insbesondere an der Lehre ihres Begründers Thomas Hobbes geführt. Allerdings bestand die Eigentümlichkeit dieser modernen Wiederbelebung von Denk- und Begründungskonzepten der frühen Neuzeit von Anfang an darin, daß das bei Hobbes und seinen Nachfolgern entwickelte Programm einer philosophischen Begründung von Recht und staatlicher Herrschaft zugunsten gänzlich andersgearteter Fragestellungen, z. B. der Frage nach den Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit oder der politischen Ethik, in den Hintergrund getreten ist. Das Bewußtsein sowohl für die ursprünglichen Begründungs- und Beweisabsichten des neuzeitlichen Vernunftrechts als auch für die mit einer philosophischen Theorie der Notwendigkeit von Recht und Staat verbundenen Probleme ist dabei weitgehend verloren gegangen. In der vorliegenden Untersuchung geht es nicht primär darum, einen Aktualitätsnachweis von Hobbes' politischer Philosophie zu liefern. Die hier gestellte Aufgabe ist vielmehr systematischer Natur, es geht darum, die Logik der rechtsphilosophischen Argumentation aufzuzeigen, die ihrerseits in dem wurzelt, was Hobbes als die objektive Logik einer jeden Rechtsordnung selbst betrachtet. Der systematische Charakter der Interpretation versucht, dem von Hobbes selbst erhobenen methodisch-systematischen Anspruch gerecht zu werden, nicht über bestimmte Gesetze und bestimmte Staaten, sondern darüber zu reflektieren, was der rechtsphilosophische Begriff des Gesetzes, der Rechtsordnung und des Staates überhaupt, d. h. getrennt von zufalligen historischen, kulturellen, sozialen, religiösen u. a. Umständen ist. Beabsichtigt ist also eine
Einleitung
14
Rekonstruktion der Grundzüge der Rechts- und Staatsphilosophie des Thomas Hobbes. Mit dieser Konzentration auf den spezifisch rechtsphilosophischen Argumentationsgang soll nicht bestritten werden, daß Hobbes' politische Philosophie darüber hinaus eine Vielzahl von empirisch-anthropologischen, politischen oder bloß pragmatischen Überlegungen aufbietet. Aber die meisten dieser Überlegungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie nur eine explikative Funktion besitzen und die rechtsphilosophische Argumentation als ihre Basis voraussetzen. Die philosophische Rechtsbegründung ist - so wird zu zeigen sein - in Hobbes' politischer Philosophie nicht ein Begründungs- und Argumentationsstrang unter vielen, sondern sie bildet das argumentative Zentrum, dem die übrigen Überlegungen systematisch untergeordnet werden müssen. Daher lautet die hier zu beweisende These: ins Zentrum von Hobbes' Werk führt nur eine rechtsphilosophische Interpretation, welche die spezifische Begründungsfunktion der zentralen Lehrstücke - der Naturzustandskonzeption, der Lehre von den natürlichen Gesetzen, der Theorie der Souveränität und schließlich der Vertragsfigur - freilegt. 1 Im Zentrum des hier unternommenen Versuchs, die Leistung des "ersten großen Rechtsphilosophen der Neuzeit"2, der - wie Gierke ausgeführt hat der naturrechtlichen Staatslehre "eine nach rückwärts abschließende und nach vorwärts grundlegende Gestalt" verliehen hat3, herauszuarbeiten, steht Hobbes' Versuch, die beiden begrifflichen Pole, um die sein rechtsphilosophisches Denken kreist, nämlich 'Libertas' und 'Imperium', Freiheit und Herrschaft 4, in einer Weise systematisch aufeinander zu beziehen, die dem, was ich als geltungstheoretische Revolution bezeichnen möchte, Rechnung trägt. Auf den Charakter dieser Revolution hat schon Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie hingewiesen: "Sie [sc. Hobbes' staatsphilosophische Schriften, D.H.] enthalten über die Natur der Gesellschaft und der Regierung gesündere Gedanken, als zum Teil noch im Umlauf sind. [...] Hobbes hat den Staatsverband, die Natur der Staatsgewalt auf Prinzipien zurückzuführen versucht, die in uns selbst liegen, die wir als unsere eigenen aner-
1
Anderer Auffassung ist Nonnenmacher, Die Ordnung der Gesellschaft, S. 15: "Ins Zentrum von Hobbes' Werk führt aber nur eine politische Interpretation. Hobbes hat seine drei wichtigsten Schriften als Analyse einer politischen Problemlage konzipiert. [...] Gerade daß er den Naturzustand nicht nur - kantisch - als 'Antagonismus der Freiheit', sondern auch als realen Antagonismus sich wechselseitig bedrohender Machtpotentiale konzipiert hat, macht die Bedeutung von Hobbes' Theorie für die Politische Wissenschaft aus." 2 Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 130; ähnlich Oakeshott, Hobbes on Civil Association, pp. 56-58, Ilting, Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, S. 85. 3 Gierke , Deutsches Genossenschaftsrecht, Bd. IV, S. 281. 4 Liberias' bzw. 'imperium' bilden die Überschriften der ersten beiden Teile von De Cive\ vgl. dazu im einzelnen Kapitel Α. I.
Karneades und Hobbes
15
kennen. [...] Er hat es versucht, die Grundsätze der Staatsgewalt, der monarchischen Gewalt usf. aus allgemeinen Bestimmungen abzuleiten."5
Hegel stellt mit Recht das Prinzip der Autonomie in das Zentrum dieser geltungstheoretischen Revolution des Thomas Hobbes: der Geltungsgrund aller Rechte und Pflichten liegt nicht in der Natur oder der göttlichen Schöpfungsordnung, sondern im eigenen Willen der Menschen. Der Versuch, Recht und Staat auf allgemeine Prinzipien zu gründen, kann nach Hobbes nur unter der Voraussetzung gelingen, daß alle rechtlichen Verbindlichkeiten als im Willen der ihnen Unterworfenen selbst liegende praktische Notwendigkeiten begriffen werden. Hobbes ist damit der erste Rechtsphilosoph der Neuzeit, der den Versuch unternimmt, die Rechtsphilosophie systematisch auf der Prämisse der Rechtssubjektivität aufzubauen: in der ursprünglichen Gleichheit und Freiheit sowie der Fähigkeit zu vernünftiger Selbstbestimmung liegt für Hobbes der Grund der Möglichkeit der Rechtspersönlichkeit des Menschen, d. h. seines Rechts, anerkannter Träger von subjektiven Ansprüchen zu sein. In dieser Prämisse der Rechtssubjektivität liegt der Unterschied der von Hobbes begründeten, neuzeitlichen Rechtsphilosophie und der vorhergehenden Naturrechtstradition. Denn während letztere vom Begriff der lex naturae bzw. vom Begriff der durch das natürliche Gesetz auferlegten Pflichten ausgeht, nimmt Hobbes' Lehre ihren Ausgang von einer Konzeption originärer subjektiver Rechte, denen die Rechtspflichten geltungslogisch nachgeordnet sind.6 Es gehört gleichfalls zu den zentralen Thesen dieser Arbeit, daß die rechtsphilosophische Argumentation, die Hobbes selbst unter dem traditionellen Titel des jus naturale thematisiert, in Wahrheit das Zentrum einer Theorie des selbst überpositiven Geltungsgrundes des staatlich gesetzten Rechts darstellt. Mit der Frage nach ihrem (überpositiven) Geltungsgrund geht Hobbes über ein rechtspositivistisches Verständnis der Rechtsordnung hinaus. Seine gesamte Rechtsphilosophie stellt hierdurch ein Unternehmen dar, vor dem Rechtspositivisten wie Austin, Bergbohm oder Kelsen gerade zurückschrecken. Während sich ζ. B. Kelsen nur für die immanenten normlogischen Probleme der positiven Geltung des Rechts interessiert und in der Grundnorm als rein formalem Geltungsgrund der Rechtsordnung die Schranke der wissenschaftlichen Analyse des positiven Rechts erreicht sieht7, will Hobbes eine Antwort auf die Frage nach dem materiellen Geltungsgrund des Rechts geben. So wird sich zeigen, daß alle scheinbar positivistischen oder staatsabsolutistischen Behauptungen von Hobbes geltungstheoretisch auf der o. g. Prämisse subjektiver 5
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, M M XX, S. 226 f. Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 188-191; Ilting, Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, S. 89; ders., Naturrecht und Sittlichkeit, S. 75 f.; Riedel, Metaphysik und Metapolitik, S. 248. 7 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 196-209, 223-227; ders., Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 351-354. 6
Einleitung
16
Freiheit beruhen. Mit dem Aufweis der geltungstheoretischen Bedingtheit der objektiven Rechtsnormen durch das subjektive natürliche Recht schafft Hobbes zugleich die Voraussetzungen, um subjektive Freiheit und staatliche Herrschaft, libertas und imperium, wenigstens im Ansatz vernunftrechtlich aufeinander zu beziehen und damit den Weg für die Lösung dieses rechtsphilosophischen Hauptproblems aufzuzeigen. Hobbes gilt also mit Recht als Begründer der modernen Rechtsphilosophie, weil er als erster Denker der Neuzeit die Logik der rechtlichen Freiheit, genauer gesagt, des freien Handelns entwickelt, das selbst die Notwendigkeit der Positivität des Rechts bzw. einer staatlich garantierten Rechtsordnung erzeugt. In dieser Rechtslogik des freien Handelns liegt für ihn die legitimationstheoretische Bedingung des positiven Rechts: ein Zwang, der die Möglichkeit einer Rechtsordnung, in der sich das freie Wollen der einzelnen realisiert, negiert, ist kein Rechtszwang mehr, sondern ein bloßer Gewaltakt. Als Vernunftrechtstheoretiker hält auch Hobbes daran fest, "daß die Staatsgewalt in einer Gesellschaft vernünftiger und freier Menschen nur unter einer einzigen Bedingung legitim, d. h.: Ursprung des subjektiven Rechts und verpflichtender Gesetze sein kann: sc. unter der Bedingung, daß der Staatswille und der individuelle Wille identisch sind."8 In der Beziehung auf die Freiheit der Individuen liegt daher sowohl die geltungs- wie die legitimationstheoretische Bedingung des positiven Rechts. Wenn sich die vorliegende Studie das Ziel setzt, Hobbes1 rechtsphilosophische Begründungsleistung in das rechte Licht zu rücken, dann wird damit nicht unterstellt, daß die von Hobbes vorgebrachten Begründungen hinsichtlich ihrer Prämissen und Schlußfolgerungen in jeder Hinsicht gelungen sind. Vielmehr wird sich zeigen, daß gegen eine Reihe von zentralen Lehrstücken des Thomas Hobbes - wie ζ. B. seine Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Gesetzlichkeit oder seine staatsrechtliche Analyse der Beziehungen des Souveräns zu den der Staatsgewalt unterworfenen Bürgern grundsätzliche Einwände erhoben werden müssen. Insbesondere wird sich zeigen, daß der Versuch, den Rechtsbegriff an den Lebens- bzw. Selbsterhaltungswillen der einzelnen zu binden, zu unauflöslichen Widersprüchen führt, wenn es darum geht, die Grenzen rechtlich möglicher Freiheitsnormierung zu bestimmen. Es wird sich gleichfalls zeigen, daß die Hobbessche Staatsrechtslehre an einem 'despotischen' Gebrechen, nämlich der Verwechslung von rechtlicher Absolutheit und rechtlicher Schrankenlosigkeit staatlicher Herrschaft, krankt und aus diesem Grunde zum Gegenstand massiver Kritik von Seiten der nachfolgenden Naturrechtslehrer wird. Kein Zweifel also, daß Hobbes' Versuch, die philosophische Begründung von Recht und Staat auf ein neues Fundament zu stellen, stets energischen Widerspruch hervorgerufen hat. Dennoch war es neben der "Großartigkeit seines Radikalismus" gerade die
8
Tusch ling, Hegel und Rousseau, S. 131.
Karneades und Hobbes
17
"Großartigkeit seiner Irrtümer" 9, welche die Auseinandersetzung mit Hobbes für seine Nachfolger, v. a. für Pufendorf und Locke, Rousseau und Kant, Fichte und Hegel ebenso notwendig wie attraktiv gemacht hat. Denn die Kritik der späteren Vernunftrechtstheoretiker erfolgt ihrerseits auf der Basis der von Hobbes gewonnenen rechtsphilosophischen Einsichten und dient der konstruktiven Weiterentwicklung des von ihm in Angriff genommenen Versuchs, Recht und Staat auf eine neue Grundlage zu stellen. Der Absicht, die Radikalität des Hobbesschen Bruches mit der überlieferten Naturrechtslehre einerseits und die in der Auseinandersetzung mit der 'Hobbesschen Erbschaft' stattfindende systematische Weiterentwicklung der philosophischen Rechtsbegründung andererseits zu illustrieren, dienen die zum Teil umfangreichen Verweise und Belege in den Fußnoten dieser Studie. Die explikative Funktion dieser Verweise kann selbstverständlich nur eine beschränkte sein: sie sollen zeigen, daß die Überlegungen späterer Rechtsphilosophen in vielen Punkten an Hobbessche Einsichten anknüpfen oder bestimmte Schwachpunkte seiner Lehre kritisieren. Keineswegs soll damit unterstellt werden, daß sich ζ. B. die Theorien von Rousseau oder Kant restlos aus der 'Hobbesschen Erbschaft' rekonstruieren lassen. Der Streit um den begründungstheoretischen Status der Hobbesschen Ausführungen über Recht, Gesetz und Staat ist so alt wie seine Rechtsphilosophie selbst. Insbesondere sein Bruch mit den über Jahrhunderte im wesentlichen anerkannten Grundüberzeugungen des traditionellen Naturrechts mußte in den Augen der Zeitgenossen als ungeheure Provokation erscheinen. Dieser Bruch erstreckt sich im Grunde genommen auf alle zentralen philosophischen Argumente der Naturrechtstradition. Der Naturzustand gilt ihm nicht als Zustand des ursprünglich friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Statt dessen stellt Hobbes die Behauptung auf, daß die Menschen keineswegs von Natur aus nach der politischen Vergesellschaftung streben. Ebenso bestreitet er die Existenz der recta ratio im Sinne der traditionellen Naturrechtslehre, d. h. im Sinne einer angeborenen Erkenntnis des Unterschieds von Recht und Unrecht. Da die durch das Streben nach Selbsterhaltung definierte menschliche Natur nichts darüber sage, wie der Mensch rechtlich handeln soll, beantworte jeder die Frage, ob eine Handlung gerechtfertigt ist, im Naturzustand nach Maßgabe seines privaten Nutzens. Schließlich bestreitet Hobbes, daß ein in durch die teleologische Verfaßtheit der Natur bedingtes Gesetz existiere, daß die Menschen a priori auf das gute und gerechte Leben in Übereinstimmung mit dem Gemeinwohl verpflichten würde. Der nichtstaatliche Zustand gilt ihm vielmehr als ein Zustand des absoluten Rechts, d. h. als Zustand, in welchem die Natur die Menschen zwar zu beliebigen Handlungen berechtigt, aber in keiner Weise ihre Freiheit einschränkt.
9
Ebbinghaus, GS I, S. 5.
2 Hüning
Einleitung
18
Der systematische Neubeginn, mit dem Hobbes die gesamte bisherige politische und naturrechtliche Tradition hinter sich läßt, steht in seiner Radikalität in keiner Weise hinter dem Cartesischen Zweifel
zurück: in der gleichen
Weise, in der Descartes die gesamte überlieferte Metaphysik in Frage stellt, bezweifelt auch Hobbes die Wissenschaftlichkeit aller vorhergehenden Rechtsund Staatstheorien. Und wie bei Descartes fuhrt auch bei Hobbes der Zweifel an der Gültigkeit der überlieferten Rechtsphilosophie nicht zu einem absoluten Skeptizismus, sondern der Angriff auf die Traditionsbestände der Philosophie dient nur der Schaffung des notwendigen Freiraums, um die Rechtsphilosophie erstmals in einer wissenschaftsmethodischen Ansprüchen genügenden Form zu begründen. Der darauf basierenden selbstbewußten Behauptung von Hobbes, die Rechts- und Staatsphilosophie sei nicht älter als sein 1642 erstmals erschienenes Buch De Cive 10, entspricht auch die von der Konvention abweichende literarische Form: weil Hobbes' Schriften beanspruchen, methodisch aufgebaute, Schritt für Schritt deduzierende Traktate zu sein, wird die Berufung auf Autoritäten überflüssig. Wenn es für die Entfaltung der Vernunft und die Darstellung der Logik der Sache allein auf die Befolgung der richtigen Methode ankommt, wenn nichts mehr, aber auch nichts weniger gefordert ist als richtiges Schlußfolgern, dann gibt deijenige, der glaubt, seine Ansicht durch die Berufung auf Autoritäten absichern zu müssen, in Wahrheit zu erkennen, daß er der Beweiskraft seiner eigenen Argumente nicht traut. Mit Blick auf die bei seinen Zeitgenossen und insbesondere bei Grotius 11 oder Althusius zu findenden Versuche, durch umfangreiche Zitate aus den Werken der antiken Klassiker die Belesenheit des Autors zu dokumentieren, bemerkt Hobbes: "That I have neglected the Ornament of quoting ancient Poets, Orators and Philosophers, contrary to the custome of late time, [...] proceedeth from my own judgement, grounded on many reasons" (Lev., A Review and Conclusion, p. 490). 12 10
De corpore (Ep. Ded.): "Physica ergo res novitia est. Sed philosophia civilis multo adhuc magis; ut quae antiquior non sit (dico lacessitus, utque sciant se parum profecisse obtrectatores mei) libro quem De Cive ipse scripsi." EW VE, p. 471: "I shall deserve the reputation of having beene ye first to lay the grounds of two sciences; this of Optiques, ye most curious, and yt other of Natural Justice, which I have done in my book DE CIVE, ye most profitable of all other." - Es ist bemerkenswert, daß Hobbes' seine rechtsphilosophische Begründungsleistung in beiden Fällen mit seiner Schrift De Cive und nicht mit dem Leviathan verbindet. 11 Grotius (JBP, prol. § 40) begründet sein Verfahren, "ad iuris huius probationem testimoniis philosophorum, historicorum, poetarum, et oratorum" heranzuziehen, damit, daß einem Argument, das von vielen zu verschiedenen Zeiten anerkannt worden sei, offenkundig eine "causa universalis" zugrunde liegen müsse. Ebenso glaubt Grotius, zwecks Gewinnung von "exempla et iudicia" auf die Geschichte zurückgreifen zu können. 12 Eine Ausnahme stellt die Berufung auf die Bibel bzw. der Versuch einer theologischen Rechtfertigung seiner politischen Philosophie dar. Wie noch im einzelnen zu
Karneades und Hobbes
19
Hobbes' Rechtsphilosophie beruht systematisch auf einem radikalen Bruch mit dem politischen Aristotelismus und der stoisch-scholastischen Naturrechtstradition einerseits sowie auf einem geschärften Bewußtsein für die Probleme der Gültigkeit und der Verbindlichkeit des Rechts andererseits. Beide Aspekte haben bei manchen Interpreten zu der Auffassung geführt, Hobbes gehöre zu der Gruppe deqenigen Theoretiker, die das Naturrecht bis in seine Grundlagen zerstört und in einen konsequenten Rechtspositivismus oder eine machtzentrierte Theorie der Politik aufgelöst haben. Repräsentativ für diese Einschätzung, die v. a. die Hobbes-Interpretation der Jahrhundertwende dominierte, ist die prägnante Formulierung Gierkes, nach dessen Überzeugung es sich bei Hobbes' Lehre um ein 'Naturrecht unter falscher Flagge' handelt.13 Aber schon die Zeitgenossen haben Hobbes wegen seiner entschiedenen Absage an die antiken Theorien der politischen Gerechtigkeit als Nachfolger oder Schüler des Karneades bezeichnet - eine Einschätzung, die zeigt, daß Hobbes' Angriff auf die Naturrechtstradition für seine Zeitgenossen ebenso schockierend war, wie der Angriff des Karneades auf das ethisch-politische Selbstverständnis der römischen Bürger. Ihre besondere Bedeutung erhält diese erstmals bei James Harrington zu findende, aber auch von anderen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts geteilte Einschätzung14 dadurch, daß Grotius die
zeigen sein wird, handelt es sich dabei nicht um eine systematische Notwendigkeit, auch nicht um ein aus Hobbes' privaten Glaubensüberzeugungen hervorgehendes Bedürfnis, sondern um eine unter den Bedingungen des intoleranten 17. Jahrhunderts unvermeidliche Rechtfertigungsstrategie, auf die jeder Autor schon aus Gründen des Selbstschutzes zurückgreifen mußte; vgl. hierzu Strauss , Persecution and the Art of Writing, v. a. pp. 22-37. 13 Gierke , Deutsches Genossenschaftsrecht Bd. IV, S. 380: Das Hobbessche Naturrecht "war auch kein Recht mehr, sondern führte diesen Namen nur noch als falsche Flagge, die den nackten Machtbegriff deckte." In dieselbe Richtung geht die HobbesInterpretation von Figgis: "It is not an accident that men like Machiavelli, and Hobbes, whose aim is to remove all restraints form the action of rulers except those of expediency, should be agreed in denying all meaning to the idea of natural law" (Figgis, Studies of Political Thought from Gerson to Grotius, p. 7). 14 Harrington , The Commonwealth of Oceana (1656), p. 38, der meint, Hobbes sei mit dem Angriff auf das Naturrecht seinem "furious master Karneades" gefolgt; Leibniz , Brief an Coming (1670), Philosophischer Briefwechsel Bd. 1, S. 30: "Ego suppono cum Cameade (et Hobbius consentit) Iustitiam sine utilitate propria (sive praesente si ve futura) summam esse stultitiam, longè enim absunt ab humana natura Stoicorum et Sadducaeorum de virtute propter se colenda superbae jactationes"; Vico , Sinopsi del diritto universale, p. 4; ders., De uni vero iuris uno principio et fine uno: De opera proloquium, p. 32; Vico stellt Hobbes zusammen in eine Reihe mit Epikur, Machiavelli, Spinoza und Bayle; Aube, Versuch über die Grundsätze des Rechts und der Moral, Vorrede statt der Einleitung [unpaginiert] sieht Hobbes als Nachfolger von Karneades; Datfes, Discours über sein Natur- und VölkerRecht, S. 56 f., der Hobbes neben Karneades und Machiavelli als Verfechter einer machttheoretischen Begründung des Rechts betrachtet. Auch Locke (Essays on the Law of Nature VIE: "An privata 2*
20
Einleitung
naturrechtliche Grundlegung seines einflußreichen Hauptwerkes, das die stoischen Versuche, die menschliche Natur in Gestalt eines Geselligkeitstriebs (appetitus societatis) als Geltungsgrund des Rechts einzuführen, erneuern will, mit einer scharfen Kritik an Karneades als dem Musterbeispiel für die Leugnung des Naturrechts beginnt. 15 Der Name Karneades steht also für den Standpunkt einer radikalen Kritik an der Vorstellung einer überpositiven, in der vernünftigen Natur des Menschen verankerten Idee der Gerechtigkeit. M i t der Verweis auf den Gegensatz des antiken Skeptikers zur stoischen Tradition skizziert Grotius in idealtypischer Form eine Alternative, auf welche die rechtsphilosophische Begründung systematisch festgelegt zu sein scheint. Wenn im folgenden diese Vermutung einer systematischen Anknüpfung an die naturrechtskritischen Argumente des Karneades diskutiert wird, so soll damit nicht behauptet werden, Hobbes hätte seine eigenen rechtsphilosophischen Argumente der Polemik des antiken Skeptikers entlehnt 16 , sondern nur, daß die Einschätzung Harringtons u. a. durchaus sachliche und systematische Gründe hat, zugleich aber die Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes nicht als ganze zu treffen vermag. 17
cujusque utilitate sit fundamentum legis naturae? Negatur", pp. 204-214) sieht in der Hobbesschen Behauptung (ohne allerdings Hobbes namentlich zu nennen), daß die Menschen "lege naturae in statu belli sunt" (p. 212), eine logische Folge der Trennung von Privatinteresse und Gerechtigkeit - eine Position, die Locke ausdrücklich auf die skeptisch-utilitaristischen Position des (namentlich genannten) Karneades zurückfuhrt. 15 Grotius, JBP, prol. §§ 5, 16-18. Der Behauptung des Karneades, der Nutzen sei die Grundlage des Rechts, entgegnet Grotius (JBP, prol. § 16): "Nam naturalis iuris mater est ipsa humana natura, quae nos, etiamsi re nulla indigeremus, ad societatem mutuam appetendam feret." 16 Hobbes erwähnt im Leviathan , daß Karneades aus Rom vertrieben wurde "for feare of corrupting the manners of the young men that delighted to hear him speak (as they thought) fine things" (Lev. XLVI, p. 460), ohne jedoch auf den Grund dieser Vertreibung, die berühmte Rede des Karneades sowohl pro und contra iustitiam, einzugehen und ohne Karneades' rechtsskeptizistische Auffassungen zu würdigen. 17 Die Beziehungen zwischen beiden Denkern sind m. W., von den eher kursorischen Bemerkungen von Strauss (Naturrecht und Geschichte, S. 174 f., 204) und von Polin (Politique et philosophie chez Thomas Hobbes, pp. 176-177) abgesehen, bisher kaum untersucht worden. Trotz des vielversprechenden Titels unergiebig ist der Aufsatz von Tuck , Grotius, Karneades and Hobbes, pp. 43-62. Tuck behauptet, daß es Hobbes in Übereinstimmung mit Grotius ("Hobbes was influenced by the Grotian inheritance" p. 59; "Grotius and Hobbes had had a common programme", p. 61) darum gegangen sei, "to provide a post-sceptical ethics and politics at all." Diese Gemeinsamkeit besteht nach Tuck darin, daß sowohl Grotius als auch Hobbes durch die Fundierung des Naturrechts auf das Selbsterhaltungsprinzip glaubten, die skeptischen Einwände des Karneades zurückweisen zu können. Aber bei Tuck fuhrt diese durchaus zutreffende Einschätzung der übereinstimmenden Absicht von Grotius und Hobbes, auf die skeptische Herausforderung des Karneades mit dem Versuch der Begründung eines wissenschaftlichen Naturrechts zu antworten, zu einer unzulässigen Verharmlosung der fundamentalen Differenzen der Naturrechtskonzeption beider Denker. Zwar leistet
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Karneades, der Begründer der sog. Neueren Akademie, der selbst nichts geschrieben zu haben scheint, so daß wir auf Überlieferungen aus zweiter Hand angewiesen sind 1 8 , hat im Rahmen einer diplomatischen Mission der Stadt Athen im Jahre 155 v. Chr. in Rom öffentliche Vorträge über die Gerechtigkeit gehalten. Das Aufsehenerregende seiner Lehrvorträge bestand nun darin, daß er am ersten Tag im Sinne der Naturrechtslehre pro justitia, am darauffolgenden Tage allerdings entschieden contra justitiam argumentierte. Er tat dies offenkundig mit derart scharfsinnigen Argumenten, daß nach dem Bericht des Kirchenvaters Lactantius selbst Cicero, der doch ein berühmter Redner und Jurist war, ihnen in seiner Schrift De re publica nichts entgegenzusetzen gehabt, sondern statt dessen die Einwände des Karneades gegen die stoische Naturrechtslehre 'wie eine Fallgrube' umgangen habe. 19 Cicero selbst bescheinigt dem griechischen Skeptiker, er habe niemals eine Ansicht ver-
Grotius für die Säkularisierung des neuzeitlichen Naturrechts einen wichtigen Beitrag, doch es erheben sich gegen seinen Versuch, die Notwendigkeit von Recht und Staat unter Rückgriff auf stoische Prinzipien, insbesondere den appetitus societatis zu begründen, all die Einwände, die schon Karneades vorgebracht hatte (und daß Grotius gleich zu Beginn seines Werkes auf diese Einwände zu sprechen kommt, ist wohl ein Indiz dafür, daß er ebensowenig wie Cicero in der Lage war, sie überzeugend zu widerlegen). Demgegenüber bleiben fur Hobbes im Gegensatz zu Grotius die kritischen Einwände des Karneades gegen die idealistische Naturrechtslehre gültig. Dies fuhrt bei Hobbes zu der Einsicht, daß eine Erneuerung des Naturrechts auch auf dem Boden der stoisch-scholastischen Tradition unmöglich ist. 18 Die wichtigste Quelle fur Karneades' Kritik des antiken Naturrechts ist das dritte Buch von Ciceros Schrift De re publica. Dort läßt Cicero in Form eines Gespräches, das den Begriff des wahren Staates und die beste Verfassung zum Gegenstand hat, Philus die Rolle des Naturrechtskritikers übernehmen, der in seiner Rede die Position des Karneades vorträgt. Der Frage, ob die Argumente, die Cicero dem Philus in den Mund legt, die authentische Position des Karneades wiedergeben, kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Auch die philologischen Probleme, die sich aus dem fragmentarischen Charakter der Überlieferung ergeben, können hier nicht diskutiert werden. - Ciceros Schrift war zu Hobbes' Zeiten verschollen (der Palimpsest, der den Großteil der heute bekannten Fragmente enthält, wurde erst im Jahre 1819 in der Vatikanischen Bibliothek entdeckt); die Grundzüge der Schrift, insbesondere die naturrechtskritischen Einwände des Karneades' waren jedoch durch die Referate der Kirchenväter Lactantius und Augustinus bekannt. 19 Cicero, De re publica ΠΙ, 31 (Bericht des Lactantius). - Ich sehe hier davon ab, daß Karneades' Argumentation pro und contra wohl in erster Linie eine rhetorische Übungsform darstellt, die weniger die Funktion hatte, die eigene Position des Redners dogmatisch zu begründen, als durch den Aufweis der Implikationen des jeweiligen Standpunktes das Problembewußtsein der Zuhörer zu schärfen; vgl. hierzu Cicero, De re publica ΙΠ, 9 (Bericht des Lactantius): "sed idem disputationem suam postridie contraria disputatione subvertit, et iustitiam quam pridie laudaverat sustulit, non quidem philosophi gravitate, cuius firma et stabilis debet esse sententia, sed quasi oratorio exercitii genere in utramque partem disserendi; quod ille facere solebat ut alios quidlibet adserentes posset refutare."
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fochten, die er nicht zu verteidigen, und niemals eine Auffassung bekämpft, die er nicht zu widerlegen vermocht hätte.20 Der Angriff des Karneades (bzw. des Philus) auf die 'Anwälte der Gerechtigkeit' richtete sich in erster Linie gegen Piaton, Aristoteles und gegen die von ihnen behauptete Möglichkeit eines natürlichen, d. h. vom Willen der Menschen unabhängigen Rechts. Ihren Theorien fehle das 'fundamentum stabile': indem sie die Gerechtigkeit als altruistische Maxime definieren, die fordert, "consulere generi hominum, suum cuique reddere, sacra publica aliena non tangere" (De re publica III, 22), setzen sie sich in Widerspruch zu der Erfahrungstatsache, daß einerseits die "vitae instituta", z. B. die Kultvorschriften oder die Stellung zum Privateigentum (III, 15) der Völker verschieden seien und sich im Laufe der Geschichte sogar in ein und derselben Stadt tausendfach geändert hätten. Gäbe es außer dem ius civile, dem staatlich gesetzten Recht, noch ein ius naturale, dann müßten die Bestimmungen über gerecht und ungerecht bei allen Völkern die gleichen sein. Statt sich an den Grundnormen der Gerechtigkeit, für die kein verläßlicher Maßstab zu finden ist, zu orientieren, würden alle Menschen und überhaupt alle Lebewesen "ad utilitates suas natura ducente" streben. Alle Rechtsordnungen seien daher nur Systeme von partikularer Geltung. Die an der Empirie orientierte Polemik des Karneades gegen die Gerechtigkeitstheorien führt zur Leugnung eines überpositiven, naturrechtlichen Fundaments von Rechtsnormen: "ius autem naturale esse nullum", wobei Karneades den Begriff des Rechts als das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit begreift. 21 Auf der Grundlage dieser Überlegungen, so berichtet Lactantius, habe Karneades den von den klassischen Gerechtigkeitstheorien behaupteten Zusammenhang von Gerechtigkeit einerseits und Weisheit und Nutzen andererseits bestritten, vielmehr die Gerechtigkeit "in duas partes" geteilt, "alteram civilem esse dicens, alteram naturalem". Er habe aber beide zerstört, indem er die Grundvoraussetzung der auf Piaton, Aristoteles und die Stoa zurückgehenden Naturrechtslehre, die Konvergenz von Gerechtigkeit und Klugheit bzw. Nützlichkeit auseinanderdividierte und den unversöhnlichen Gegensatzes zwischen φύσει δίκαιον und νόμω δίκαιον behauptete22: Zwar sei es gerecht, wenn jemand ohne Zwang die Normen des natürlichen Gesetzes befolge und sein Handeln am Gesichtspunkt der Übereinstimmung mit dem Gemeinwohl ausrichte, aber ein solches altruistisches Verhalten sei zugleich
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Cicero, De oratore Π, 161. Cicero, De re publica ΙΠ, 21 (Bericht des Lactantius). 22 Cicero, De re publica ΙΠ, 31 (Bericht des Lactantius): "ita ergo iustitiam cum in duas partes divisisset, alteram civilem esse dicens, alteram naturalem, utramque subvertit, quod illa civilis sapientia sit quidem, sed iustitia non sit, naturalis autem illa iustitia sit quidem, sed non sit sapientia." 21
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die "summa stultitia", weil es den eigenen Nutzen aus dem Auge verliert. 23 Den Beweis für diesen Satz führt Karneades zum einen aus dem Verhalten der Völker zueinander, insbesondere aus der Kritik des römischen 'Imperialismus'. Zum anderen verweist er auf privatrechtlichen Konfliktfalle, in denen Gerechtigkeit und Nutzen auseinanderfallen. Zuletzt weist er auf Notstandssituationen hin, um auch hier zu zeigen, daß die Einhaltung der ethischen Gerechtigkeitsnormen unweigerlich mit dem Lebensinteresse kollidiert. Was auf der anderen Seite die durch das positive Recht konstituierte iustitia civilis betrifft, so handelt es sich für ihn ausschließlich um eine Einrichtung "pro utilitate": das von Menschen gesetzte Recht habe nicht in der Natur, sondern in den verschiedenen und wechselnden Nützlichkeitserwägungen der Menschen seinen Grund; seine Geltung beruhe deswegen auch nicht auf der Gerechtigkeit, d. h. auf dem tugendhaften Willen der einzelnen, sondern auf der mit dem positiven Recht verknüpften Strafandrohung: "leges poena, non iustitia nostra comprobantur. nihil habet igitur naturale ius; ex quo illud efficitur, ne iustos quidem esse natura." 24
Die Naturrechtskritik gipfelt schließlich in der aporetischen Bestimmung des Verhältnisses des Nutzens bzw. der Klugheit auf der einen und der Gerechtigkeit auf der anderen Seite: - Klug, weil auf den eigenen Vorteil und Nutzen bedacht, handelt derjenige, der auf fremde Interessen keine Rücksicht nimmt; aber er verstößt gegen die ethische Maxime der Gerechtigkeit, daß jeder seinen besonderen Nutzen nur in Übereinstimmung mit den in der zweckmäßigen Einheit der Natur begründeten möglichen Nutzen aller anderen verfolgt. - Gerecht, weil in Übereinstimmung mit der Tugend und dem bonum commune, handelt demgegenüber deijenige, der in Rücksicht auf die berechtigten Interessen anderer handelt und sich zugunsten des fremden Vorteils beschränkt; aber ein solches Handeln wird nach Karneades in dem Maße zur "summa stultitia", wie es den eigenen Nutzen vernachlässigt. Nach dieser Auffassung ist der Mensch in seinem möglichen Tun wie alle anderen Dinge und Lebewesen a priori der lex naturae unterworfen, der gemäß die Welt ein für die Bedürfnisse der Menschen zweckmäßig eingerichtetes Ganzes darstellt. Naturrecht im Sinne der Stoa ist daher die Lehre von der 23
Cicero, De re publica ΙΠ, 20. Cicero, De re publica ΙΠ, 18. Karneades leugnet also nicht die Gerechtigkeit als solche, sondern den Erfolg der Versuche der "iustitiae patroni", diesem Begriff ein "fundamentum stabile" zu verschaffen. Hiermit stimmt der Bericht des Lactantius überein, daß Karneades nicht die Gerechtigkeit als solche, sondern ihre unzulängliche Begründung kritisiert habe: "non quia vituperandam esse iustitiam sentiebat, sed ut illos defensores eius ostenderet nihil certi, nihil firmi de iustitia disputare" (De re publica ΠΙ, 10). 24
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Bedingtheit allen Handelns durch ein vorhergehendes natürliches Gesetz, insofern ihrer Ansicht nach alle Menschen und Götter durch das Band der rechten, d. h. gerechtes Handeln gebietenden Vernunft verbunden sind: "est quidem vera lex ratio, naturae congruens, diffusa in omnis, constans sempiterna, quae vocet ad officium iubendo, vetando a fraude deterreat, quae tarnen neque probos frustra iubet aut vetat, nec improbos iubendo aut vetando movet. huic legi nec obrogari fas est, neque derogali aliquid ex hac licet, neque tota abrogari potest, nec vero aut per seinatum aut per populum solvi hac lege possumus, neque est quaerendus explanator aut interpres Sextus Aelius, nec erit alia lex Romae, alia Athenis, alia nunc, alia posthac, sed et omnes gentes et omni tempore una lex et sempiterna et inmutabilis continebit, unusque erit communis quasi magister et imperator omnium deum: ille legis huius inventor, disceptator, lator; cui qui non parebit, ipse se fugiet, ac naturam hominis aspernatus hoc ipso luet maximas poenas, etiamsi cetera supplica quae putantur effugerit" (De re publica ΠΙ, 33). 25
Dieses Gesetz fordert die Menschen auf, 'naturgemäß' zu leben, d. h. die eigenen Bedürfnisse nur in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Zwecken und dem möglichen Glück aller anderen zu befriedigen. Der normative Charakter der lex naturae besteht also darin, daß sie als "Gesetz der notwendigen Einheit aller Zwecke in Beziehung auf den Menschen als ein der Zwecksetzung fähiges Wesen [...] für diesen notwendigerweise eine Norm [ist], die ihm sagt, wie er sich Zwecke setzen soll", somit eine ethische "Norm der Zwecksetzung", der gemäß der Mensch in Übereinstimmung mit seiner vernünftigen Natur leben solle.26 Aber keine der durch die lex naturae den Menschen als pflichtmäßig auferlegten Handlungen wird von Cicero dadurch definiert, daß ihnen eine juridische Gesetzgebung, die ihrerseits den Grund der Möglichkeit für rechtlichen Zwang enthielte, zugrunde liegt. Vielmehr entspringen die Verbindlichkeiten unterschiedslos dem einen "ius humanae societatis" (De officiis I, 21), durch dessen Grundsätze jeder Mensch verpflichtet ist, die Realisierung der vernunftgemäßen Bestimmung des guten und gerechten Lebens der anderen durch sein Handeln nicht zu behindern und das
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Vgl. auch die folgenden einschlägigen Stellen: "Igitur doctissimis viris proficisci placuit a lege, haud scio an recte, si modo ut idem definiunt lex est ratio summa, insita in natura, quae iubet ea quae facienda sunt, prohibetque contraria, eadem ratio cum est in hominis mente confirmata et perfecta, lex est" (De legibus I, 18 f.); "Hanc igitur video sapientissimorum fuisse sententiam, legem neque hominum ingeniis excogitatam, nec scitum aliquod esse populorum, sed aeternum quiddam, quod universum mundum regeret imperandi prohibendique sapientia. ita principem legem illam et ultimam mentem esse dicebant omnia ratione aut cogentis aut vetantis dei. ex quo illa lex, quam di humano generi dederunt, recte est laudata: est enim ratio mensque sapientis ad iubendum et ad deterrendum idonea" (De legibus Π, 8). 26 Ebbinghaus, GS I, S. 341. Zur (stoischen) Forderung des naturgemäßen Lebens vgl. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen, VII, 87 f.; Cicero, De officiis I, 100; ΙΠ, 13; De finibus 111,31; IV, 16.
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Eigentum eines jeden anzuerkennen27; in diesem Verbot willkürlicher Schädigung des fremden Nutzens bzw. der rücksichtslosen Verfolgung des eigenen Vorteils besteht das "iustitia primum munus" (De officiis I, 7, 20). Mit dieser Problemstellung, der Aporie von Nutzen und Gerechtigkeit, aus der es nach Karneades kein Entrinnen gibt, ist zugleich der Ausgangspunkt der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes bestimmt. Sowohl das entscheidende naturrechtskritische Argument des Karneades ("ius autem naturale esse nullum") als auch die Überzeugung, daß es unmöglich ist, das Kriterium des Unterschieds von Recht und Unrecht auf der Grundlage einer auf die natürlichen Zwecke der Menschen gerichteten lex naturae zu bestimmen, bleiben mit unverminderter Schärfe auch für Hobbes gültig. Aber über die bloße Bestreitung der naturgegebenen Gerechtigkeit hinaus tut Karneades einen entscheidenden Schritt, der auch für den systematischen Aufbau der Hobbesschen Rechtsphilosophie von Bedeutung ist. Es ist das mit Karneades' Unterscheidung der beiden Arten der Gerechtigkeit sich anbahnende Bewußtsein für den Unterschied zwischen ethischen und juridischen Prinzipien. Von dieser Differenz zwischen rechtlichen und ethischen Pflichten bzw. zwischen der (ethischen) Gerechtigkeit als Tugend und dem Recht als möglicher Zwangsnorm hatten weder die von Karneades bekämpften "iustitiae patroni" Platon und Aristoteles noch die Stoiker einen Begriff. 28 Für die antike, von der Voraussetzung der lex naturae ausgehende Naturrechtslehre ist es charakteristisch, daß sie nicht zwischen Rechts- und Tugendpflichten unterscheidet und dementsprechend keine zureichende Antwort auf die Frage nach dem Grund der staatlichen Zwangsgewalt zu geben vermag. Denn wenn es innerhalb der durch die lex naturae konstituierten "gesetzlichen Liebesgemeinschaft [...] offenbar überhaupt keinen möglichen Nutzen [gibt], den Menschen nicht einander schulden können"29, dann gibt es offensichtlich auch kein (rechtliches) Kriterium für die Anwendung von Zwang gegen diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - ihr Handeln nicht am bonum commune, d. h. an der möglichen Übereinstimmung ihrer besonderen Zwecke mit den gesetzlichen Zwecken aller anderen. Auch die im Läsionsverbot ausgedrückte Forderung der Gerechtigkeit ist etwa für Cicero kein Prinzip der Bestimmung von 27
Cicero, De officiis I, 20 ff. Daß Cicero keineswegs daran denkt, die zwangsrechtlichen Befugnisse aus der lex naturae abzuleiten, zeigen seine Ausführungen zum Privateigentum. Obwohl das Naturrecht fordert, das suum von jedermann anzuerkennen, geht Cicero davon aus, daß es von Natur aus kein Privateigentum gibt (De officiis I, 21), dasselbe also nicht auf einem ursprünglichen Recht, sondern auf faktischen Aneignungs- und Eroberungsakten ('occupatio1 oder 'victoria') beruht. Worin aber der Rechtfertigungsgrund dieser faktischen Aneignung liegt, darüber schweigt sich Cicero aus. 28 Aber auch von Karneades selbst könnte man nicht sagen, daß ihm die Implikationen dieser Differenz mit letzter Deutlichkeit bewußt geworden wären. 29 Ebbinghaus, GS I, S. 345.
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Rechtspflichten, sondern eine ethische Maxime der Bestimmung des Handelns auf der Grundlage natürlicher Zwecke, die jeder Mensch nur insoweit realisieren darf, als er die anderen in der Fähigkeit ihrer Zweckrealisierung nicht beeinträchtigt. 30 Überhaupt unterscheidet sich die antike Naturrechtslehre von der neuzeitlichen Rechtsphilosophie dadurch, daß sie zwar eine ethische Theorie von den gerechten Zwecken und den damit verknüpften Pflichten der Menschen enthält, aber kein Prinzip, auf das sie eine Theorie erzwingbarer Rechtsnormen gründen würde und durch das die jeweiligen individuellen Freiheitssphären gegeneinander abgegrenzt werden könnten. Der Begriff des 'ius1, den Cicero auf der Grundlage der lex naturae-Konzeption gewinnt, ist nicht derjenige eines subjektiven und erzwingbaren Rechts im Sinne von Hobbes oder von Kant, das anzuerkennen andere unabhängig von ihren natürlichen Zwecken gezwungen werden können, sondern der Begriff einer ethischen Befugnis, die stets mit dem Begriff des tugendhaften Handelns verknüpft bleibt. Das 'ius', das durch die lex naturalis verliehen wird, kennzeichnet nur ein "rein ethischen Vermögen des Menschen, alle anderen (auf Grund der Götter und Menschen vereinenden Zweckeinheit aller Dinge) auf die eigene Zwecksetzung zu verpflichten" bzw. der ethisch begründete Anspruch eines jeden, in seinen besonderen Zwecksetzungen von den anderen respektiert und nach den Prinzipien der Gerechtigkeit und Nächstenliebe unterstüzt zu werden. 31 Das 'ius' ist bei Cicero somit einerseits ein ethisch begründeter Anspruch darauf, in bezug auf die Erfüllung der durch die lex naturae bestimmten Pflichten und auf die Befriedigung all derjenigen Bedürfnisse, die jedermann als Vernunftwesen notwendig zukommen, nicht gestört zu werden, andererseits aber zugleich ein Anspruch auf tätiges Wohlwollen anderer 32: es ist - wie Julius Ebbinghaus betont - "eigentlich nur die Idee von einer möglichen menschlichen Verpflichtung". 33 Dementsprechend sind die Menschen nur in dem Sinne frei, als sie in der Erfüllung ihrer natürlichen Pflichten von allen anderen unabhängig sind. Es wird im folgenden zu zeigen sein, daß Hobbes die zentralen naturrechtskritischen Argumente des Karneades übernimmt: 1. Es gibt kein Naturrecht im Sinne der Tradition, d. h. keine vom Willen der Menschen unabhängige Rechtsordnung; von Natur aus existiert kein 30 Vgl. Cicero, De officiis, Π, 22: "Illud natura non patitur, ut aliorum spoliis nostras facultates, copias, opes augeamus. " 31 Ebbinghaus, GS Π, S. 147. 32 Daher gehört zu den durch die lex naturae geboten ethischen Pflichten gleichermaßen die bloß einschränkende Pflicht des neminem laede wie die Tugendpflicht der benevolentia, ohne daß Cicero angeben könnte, wo genau die Grenzlinie zwischen beiden Arten von Pflichten verläuft und und welche Pflichten überhaupt zwangsföhig sind. 3 Ebbinghaus, GS , S. 47.
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objektives und allgemeingültiges Kriterium der Gerechtigkeit; der Geltungsgrund des positiven Rechts als eines Normensystems sui generis liegt nicht in der lex naturae. 2. Aus diesem Grunde muß die Idee des Naturrechts im Sinne einer der Natur immanenten gerechten Ordnung oder eines Kanons materieller Gerechtigkeitsnormen, aus dem das positive Recht abgeleitet werden könnte, als philosophisch nicht begründbar aufgegeben werden. 3. Die Menschen streben von Natur aus nicht die Gerechtigkeit, sondern ihren besonderen Nutzen an. 4. Die Einhaltung positiver Gesetze beruht nicht auf der individuellen Gerechtigkeitsgesinnung, sondern hängt von einer Strafandrohung ab. Offensichtlich ist die Einschätzung, Hobbes folge in seiner Gegnerschaft gegen die Naturrechtstradition seinem "furious master Karneades", nicht ohne fundamentum in re. Allerdings - und an dieser Stelle endet die Übereinstimmung beider Denker - zieht Karneades aus seiner Kritik der herrschenden Naturrechtsvorstellungen seiner Zeit andere Schlüsse als Hobbes. Bei jenem fuhrt die Eliminierung der Natur als Geltungsgrund von Recht und Gerechtigkeit und die ideologiekritische Entschlüsselung allen positiven Rechts als versteckter Durchsetzung von Machtinteressen dazu, die Möglichkeit einer philosophischen Begründung von Recht überhaupt in Frage zu stellen.34 An die Stelle der gescheiterten Suche nach dem Prinzip der Vereinbarkeit von iustitia und utilitas, von Tugend und Klugheit tritt bei ihm eine rein utilitaristischmachttheoretische Begründung des Rechts, auf deren Grundlage sich die Frage nach der Normativität des Rechts, seiner Verbindlichkeit und praktischen Notwendigkeit nicht mehr sinnvoll stellen läßt. Hobbes dagegen bestreitet mit Entschiedenheit, daß diese Schlußfolgerung notwendig und zutreffend ist: Zwar stimmt er mit Karneades darin überein, daß es kein Kriterium von Recht und Unrecht und kein die äußere Freiheit einschränkendes Gesetz außerhalb
des positiven Rechts gibt, so daß alle Rechtsnormen von Menschen gesetzt sind, aber daraus folgt für ihn keineswegs, daß das positive Recht deshalb, 34
Darüber hinaus ist es für Hobbes unzulässig, sich - wie Karneades dies tut (vgl. De re publica ΙΠ, 15) - auf die Verschiedenheit der Sitten und Gebräuche zu berufen, da ein bloß aus der Erfahrung gewonnenes Urteil keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann: "[A]n argument from the Practice of men, that have not sifted, to the bottom, and with exact reason weighed the causes, and nature of Commonwealths, and suffer daily those miseries that proceed from the ignorance thereof, is invalid. For though in all places of the world, men should lay the foundation of their houses on the sand, it could not thence be inferred, that so it ought to be. The skill of making, and maintaining Common-wealths, consisteth in certain Rules, as doth Arithmétique and Geometry; not (as Tennis-play) on Practice only: which Rules, neither poor men have the leisure, nor men that have had the leisure, have hitherto had the curiosity, or the method, to find out" (Lev. XX, p. 145).
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weil es von Menschen gemachtes Recht ist, bloß auf Willkür bzw. beliebiger Satzung beruht. Wo bei Karneades die Kritik des Naturrechts zur Leugnung der Möglichkeit einer überpositiv-philosophischen Rechtstheorie führt, bildet die vernichtende Kritik der vorhergehenden Naturrechtstradition bei Hobbes nicht das Ende der rechtsphilosophischen Fragestellung, sondern den Auftakt zu einem neuen Versuch, das vernunftrechtliche "fundamentum stabile" zu liefern, das Karneades bei Piaton und Aristoteles vermißt hatte.35 In dieser programmatischen Absicht, die Rechtsphilosophie auf neue Grundlagen zu stellen, welche der skeptischen These des Karneades, es gebe kein natürliches Recht (im Sinne der Unterscheidung von Recht und Unrecht), Rechnung tragen, ohne deshalb schon die Frage nach dem überpositiven Geltungsgrund von Rechten für erledigt zu halten, liegt, wie Leo Strauss betont hat, die Paradoxic begründet, daß Hobbes "die idealistische Tradition auf Grund einer grundlegenden Übereinstimmung mit ihr" ablehnt: die "stillschweigende Identifizierung von traditioneller politischer Philosophie und idealistischer Tradition" einerseits und das Schweigen im Hinblick auf den skeptizistischen Angriff auf diese Tradition andererseits begründet Strauss damit, daß Hobbes trotz seines radikalen Bruchs mit dem idealistischen Naturrecht in der Bestimmung von "Funktionen oder Bereich der politischen Philosophie" als Naturrechtslehre übereinstimmt.36 Hobbes1 Lehre von der Notwendigkeit der Positivität des Rechts beruht vielmehr auf dem rechtsphilosophischen Axiom, daß diese Positivität ihrerseits ihren Grund in überpositiven, vernunftrechtlichen Geltungsgründen hat und daher die Schaffung einer positiven Rechtsordnung weder ein ethisches Problem des gerechten Handelns noch bloße Willkür oder Produkt historisch kontingenter Umstände, sondern praktische Notwendigkeit ist. Der entschei-
dende Schritt, den Hobbes zu diesem Zweck einer philosophischen Begründung des positiven Rechts tun mußte, lag darin, daß er unter Rückgriff auf die naturrechtskritischen Argumente des Karneades die in der politischen Philosophie der Antike vorherrschende "Verwechslung des in einem Reich der Zwecke ganz richtigen Grundsatzes, daß das bonum commune allem Nutzen für den einzelnen vorhergehe, mit einem Prinzip der äußeren Freiheit des Menschen"37 kritisierte und es für unmöglich erklärte, im Hinblick auf die empirischen Zwecke der Menschen ein Kriterium für die mit Zwang verknüpfte Bestimmung von Recht und Unrecht zu entwickeln. Hobbes lehrt (hierin in Übereinstimmung mit Karneades), daß der objektive Grund der
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Cicero, De re publica ΠΙ, 11. Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 174; ähnlich Polin, Politique et philosophie chez Thomas Hobbes, p. 177. Diese idealistische Traditionslinie der politischen Philosophie kann v. a. durch die Namen Piaton, Aristoteles, Cicero, Thomas von Aquin und Grotius charakterisiert werden. 37 Ebbinghaus, GS I, S. 347. 36
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Möglichkeit und Notwendigkeit des Rechtszwangs nicht in dem gefunden werden kann, was die Menschen aufgrund ihrer anthropologischen Verfaßtheit von Natur aus wollen. Aber unter dieser Voraussetzung stellt sich erneut die Frage, wo denn, wenn nicht in der Natur, die Gründe einer möglichen zwangsweisen Einschränkung der äußeren Freiheit zu finden sind? Hobbes' revolutionäre Antwort, die im folgenden en détail untersucht werden soll, lautet: der Grund des Rechts (im objektiven Sinne, d. h. als Einschränkung der Freiheit) liegt nicht darin, daß Rechtsgesetze zur Realisierung bestimmter tugendhafter Zwecke der Menschen notwendig sind, sondern das Recht gründet in der Freiheit der Menschen, d. h. in ihrer Fähigkeit, ihr Tun und Lassen im Rahmen möglicher Selbsterhaltung nach Regeln der Vernunft auszurichten. Ein erstes Indiz für die These, daß bei Hobbes die Kritik der Gerechtigkeitskonzeption der lex naturae trotz seiner Übereinstimmung mit Karneades in diesem Punkte zu anderen systematischen Konsequenzen führt, findet sich im XV. Kapitel des Leviathan. Dort kommt Hobbes selbst auf das durch Karneades vorgegebene Problem zu sprechen, ob nicht die konsequenten Leugner der Gerechtigkeit38 mit ihrer Behauptung Recht hätten, "that every mans conservation, and contentment, being committed to his own care, there could be no reason, why every man might not do what he thought conduced thereunto: and therefore also to make, or not make; keep, or not keep Covenants, was not against Reason, when it conduced to ones benefit" (Lev. XV, p. 101). Im Anschluß daran wirft Hobbes die Frage auf, "whether Injustice, taking away the feare of God, [...] may not sometimes stand with that Reason, which dictateth to every man his own good; and particulary then, when it conduceth to such a benefit, as shall put a man in a condition, to neglect not onely the dispraise, and revillings, but also the power of other men", um darauf zu antworten, daß "[t]his specious reasoning is neverthelesse false" (Lev. XV, p. 102). Die Gründe zu rekonstruieren, warum Hobbes dieses Räsonnement für falsch hält und warum für ihn der Begriff der Gerechtigkeit keine bloße Schimäre ist, und zu zeigen, worin die vernunftrechtliche Revolution, die mit dem Namen des Thomas Hobbes verbunden ist, besteht, wird die Aufgabe der vorliegenden Studie sein.39
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Lev. XV, p. 101: "The Foole hath said in his heart, there is no such thing as Justice; and sometimes also with his tongue". Es handelt sich um ein Zitat aus Psalm XIV, 1 bzw. Lffl, 1. 39 Der Frage, in welcher Weise Hobbes und (der in dieser Hinsicht an ihn anknüpfende) Kant die klassische Gerechtigkeitsdefinition des suum cuique interpretieren und mit der Forderung des Eintritts in den status civilis verknüpfen, hat der Vf. an anderer Stelle untersucht, vgl. Vf., Von der Tugend der Gerechtigkeit zum Begriff der Rechtsordnung.
Α . Das Naturzustandsargument
I. Der Aufbau von De Cive und der begründungstheoretische Zusammenhang von f Libertas f und 'Imperium' Die vorliegende Studie folgt in ihrer Gliederung dem systematischen Aufbau von Hobbes' rechtsphilosophischem Hauptwerk De Cive, das erstmals im Jahre 1642 in einer kleinen Auflage erschien. Im Gegensatz zum Aufbau des 1651 veröffentlichten Leviathan bringt diese Gliederung nämlich das rechtsphilosophische Anliegen von Hobbes angemessen zur Darstellung, weil nur hier die im 'Libertas'-Teil entwickelte Begründungsfunktion des Naturrechts für das darauf im 'Imperium'-Teil folgende Staatsrecht deutlich wird. 1 Wenn hier die systematischen Gliederung von De Cive zur Grundlage der Interpretation gemacht wird, so bedeutet dies nicht, daß die offenkundigen argumentativen Fortschritte, die der Leviathan gegenüber der vorhergehenden Schrift enthält und die besonders in der präziseren Fassung des kontraktualistischen Arguments zum Vorschein kommen, unberücksichtigt bleiben dürfen. Neben diesen auch rechtstheoretisch relevanten Veränderungen gehen die übrigen Modifikationen im Leviathan jedoch zumeist auf die von vielen Interpreten festgestellte stärkere 'Politisierung' zurück, d. h. auf Hobbes' verstärkte Anknüpfung an das politische Bewußtsein der Zeitgenossen und die damit verbundene Zurückdrängung der spezifisch rechtsphilosophischen Argumentation. In dieser Hinsicht springt zunächst die immense Ausdehnung desjenigen Teils im Leviathan ins Auge, der sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Staatsrecht und Politik einerseits und den Problemen der Religion andererseits beschäftigt und der hier vom Umfang her etwa die Hälfte des Buches ausmacht.2 Der Hauptgrund für dieses Anwachsen des religionspolitischen Teils liegt sicherlich in Hobbes' Überzeugung, daß die religiös motivierten bzw. religiös verbrämten Streitigkeiten eine der zentralen Ursachen
1
Dies betonen zu Recht Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S.
13 f. 2 Es ist bemerkenswert, daß Hobbes selbst den politiktheoretischen Aspekt seiner Ausführungen im dritten und vierten Teil des Leviathan hervorhebt: sie betreffen "the Doctrine of the POLITIQUES" (Lev. XVn, p. 482), nicht aber die eigentliche rechtsund staatsphilosophische Grundlegung.
I. Der Aufbau von
e Cive'
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des englischen Bürgerkriegs darstellen. Aber diese durch das Hervortreten des politischen Interesses motivierte Schwerpunktverlagerung der Argumentation im Leviathan äußert sich v. a. darin, daß Hobbes sowohl die vernunftrechtliche Fundierung seiner Souveränitätslehre als auch den in diesem Rahmen geführten rein rationalen Beweis für die Notwendigkeit des Staates in dieser Schrift, die allgemein als sein staatsphilosophisches Hauptwerk gilt, nicht mit derselben Präzision entfaltet wie in De Cive? Während Hobbes im Rahmen seiner philosophischen Systematik die jeweiligen Lehren De Homine und De Cive deutlich trennt und betont, daß insbesondere seine in De Cive entwickelte philosophia civilis in begründungstheoretischer Hinsicht auf eigenen Prinzipien beruht und daher selbständig entfaltet werden kann4, werden im Leviathan beide Systemteile in einer Weise aufeinander bezogen, in welcher die Eigenständigkeit der Rechts- und Staatslehre nur mehr unzureichend zur Darstellung kommt. Abschließende Auskunft über die Gründe, welche die offenkundige Schwerpunktverlagerung von der rechtsphilosophischen Begründung der Staatstheorie hin zu einer primär politischen Theorie veranlaßten, könnte nur eine umfassende Analyse sowohl der philosophisch-systematischen Gründe als auch der historischen und biographischen Umstände liefern. Eine derartige Analyse ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt. Die grundlegende Studie zu dieser Frage stammt von David Johnston, der allerdings in seiner Untersuchung in erster Linie die rhetorische Strategie des Leviathan und die Veränderungen gegenüber den Elements und De Cive
thematisiert. Sowohl die Differenzen in der Präsentation, im Gang der Argumentation als schließlich auch der Wandel der literarischen und rethorischen Form "from a dry discourse [in den Elements , D. H.] to speaking picture" des Leviathan erklären sich Johnston zufolge aus der Veränderung der Zielgruppe, insofern sich Hobbes nun nicht mehr, wie noch in De Cive, vornehmlich an die Gelehrtenwelt richtet5:
3
Tönnies, Hobbes, S. 34-37; Taylor, The Ethical Doctrine of Hobbes, p. 36. Ilting (Der verrufene und umstrittene Autor, S. 225) spricht in Übereinstimmung mit Tönnies von einer "Verlagerung seines [d. i. Hobbes', D.H.] ursprünglichen Interesses", die sich in der "wachsende[n] Bedeutung, die die Politik innerhalb der politischen Philosophie des Hobbes gewann", äußerte. 4 Vgl. DC, Prœfatio ad lectores, pp. 82-83. 5 Johnston , The Rhetoric of Leviathan, pp. 66-67: "But perhaps the most striking difference between Leviathan and the earlier versions of his political theory is the new language in which that theory was expressed. [...] The expositional strategy adopted in Leviathan was almost diametrically opposed to that of this manuscript [sc. die Elements , D.H.]." - Hobbes selbst hat seinem Leviathan die politische Funktion zugewiesen, die königstreuen Gentlemen davon zu überzeugen, "to obey the established government" (EW VII, p. 336), d. h. den status quo der Republik anzuerkennen. Zum Stellenwert der Berufung auf Erfahrung sowie zur nicht-gelehrten Zielgruppe des Leviathan vgl. auch Geismann/Herb , Hobbes über die Freiheit, Scholion 156, S. 100;
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Α. Das Naturzustandsargument " Leviathan [...] was intended to be read not by this or that special audience [wie dies bei der Schrift De Cive der Fall war, D. H.], but by the public at large, or at least by as large a segment ofthat public as could be persuaded to read any work of political philosophy. [...] It was a book of philosophy, but it was intended for a large, public audience and aimed to shape popular opinion directly, rather than through intermediaries alone as the Elements of Law and De Cive had been meant."6
Schon aufgrund der Publikation in lateinischer Sprache, vor allem aber wegen des systematischen Anspruchs, gemäß welchem das Buch De Cive die abschliessende "elementorum philosophic Sectio tertia" 7 bilden sollte, war De Cive dasjenige Werk, mit dem sich Hobbes an das gelehrte Publikum ganz Europas wandte, so daß man De Cive zu Recht als die "official version of the science of politics" bezeichnet hat. 8 Demgegenüber dominiert im Leviathan an Stelle der vernunftrechtlichen Argumentation die Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen politischen, staatsrechtlichen und religiösen Überzeugungen, die nach Hobbes in erster Linie für den englischen Bürgerkrieg verantwortlich waren. 9 Ein erster Hinweis auf die begründungstheoretische Struktur von Hobbes' Rechtsphilosophie ergibt sich aus der Komposition seines rechtsphilosophischen Hauptwerks De Cive, das sich in drei Teile gliedert: Liberias Imperium - Religio. Der letzte Teil behandelt unter dem Titel 'Religio' die im Zeitalter konfessioneller Bürgerkriege wichtigen Fragen der Bibelauslegung und des Verhältnisses von Staats- und Kirchenrecht. Dennoch soll er im
Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 105; Skinner , Reason and Rhetoric, p. 426; Warrender , Editor's Introduction, pp. 29-30. 6 Johnston , The Rhetoric of Leviathan, p. 89. 7 Der vollständige Titel der ersten, nur als Privatdruck erschienenen Auflage lautete: Elementorvm Philosophice Sectio Tertia De Cive\ dieser Titel wurde von Hobbes in den nachfolgenden Auflagen in Elemento philosophica de Cive umgeändert. 8 Sorell, The Science in Hobbes's Politics, p. 70. 9 Johnston (The Rhetoric of Leviathan, p. XX) fuhrt diese Veränderungen auf Hobbes' Absicht zurück, "to initiate a transformation in the culture of his time, to undermine a set of popular beliefs he considered inimical to political authority and replace them with 'enlightened' views of God, the universe, and the self'. Johnston kommt zu dem Ergebnis: "two essentially distinct but intimately intertwined aims pursued in Hobbes's Leviathan. The first and, to modern readers, vastly more familiar of these two aims is to demonstrate, once and for all time, the grounds and extent of the rights of sovereignty, and of the obligations of subjects, in any commonwealth on earth. The distribution of rights and obligations that should obtain in any commonwealth could be demonstrated, in his view, by rigorous philosophical reasoning. Like The Elements of Law and De Cive before it, Leviathan attempts to offer such a demonstration. But any interpretation of that work which fails to see beyond this aim is radically incomplete. For the second and no less essential aim of Leviathan is to initiate a cultural transformation, a process of enlightment by which Hobbes hoped to lay the foundations for a new kind of commonwealth" (p. 213).
I. Der Aufbau von
e Cive
folgenden ausgeblendet werden, da er keine eigenständige
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rechtsphiloso-
phische Funktion besitzt.10 In ihm wird nicht die rechtsphilosophische Analyse fortgesetzt, sondern er dient dem Nachweis, daß die rechts- und staatsphilosophischen Prinzipien, wie sie in den beiden vorhergehenden Teilen entwickelt worden sind, weder der Bibel widersprechen noch unter Berufung auf Offenbarungsüberzeugungen legitimerweise außer Kraft gesetzt werden können. 11 Wie immer man Hobbes1 persönliche Stellung zur christlichen Religion beurteilen mag, ob man Hobbes als heimlichen Atheisten12 oder als christlichen Materialisten bezeichnet13, für seine Rechtsphilosophie gilt, daß in ihr alle zentralen Prinzipienfragen ohne Rekurs auf Gott bzw. auf theologische Autoritäten gelöst werden können. Theologische Argumente haben für Hobbes keine konstitutive systematische Begründungsfünktion. 14 Hobbes selbst hebt den instrumentellen Charakter seiner 'politischen Theologie' hervor, wenn er im Einleitungsabsatz zu Kapitel XXXI des Leviathan (also nach der systematischen Begründung des Staates) schreibt: "There wants onely, for the entire knowledge of Civili duty, to know what are those Lawes of God. For without that, a man knows not, when he is commanded any thing by Civili Power, whether he is contrary to the Law of God, or not." In der Auseinandersetzung um das Verhältnis von Staat und Religion geht es Hobbes nur darum, dasjenige, was hinsichtlich der Rechtstheorie jeweils "by reasoning" entwickelt worden sei, nunmehr durch die Heilige Schrift zu bestätigen. Ohnehin muß dieser nachträgliche Versuch, die Prinzipien der zunächst rein rational begründeten Rechts- und Staatstheorie theologisch zu rechtferti10
Vgl. auch Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 38, S. 52-54. Wie wenig diese theologische Rechtfertigung systematisch relevant ist, weil Hobbes' Rechtsphilosophie auf dem Prinzip der rechtlichen Autonomie basiert und sowohl der Grund als auch die Inhalte der Rechtsverbindlichkeit dem Willen der verpflichteten Individuen selbst entspringen, zeigt sich daran, daß Hobbes in der Erstfassung seiner Lehre, in den Elements of Law, Natural and Politic , auf derartige theologielastige Exkurse verzichtet hat. Die Elements schließen mit der Betrachtung "of the nature and sorts of law" (Elements XXIX, 1), was den Kapiteln XIV in De Cive bzw. XXVI im Leviathan entspricht. 11 Rousseau (CS IV, 8; OC ΠΙ, p. 463), der nach über hundert Jahren Polemik gegen den Atheisten Hobbes diesen nicht ohne Ironie unter die "Auteurs Chrétiens" einreiht, betont, daß der Philosoph der einzige gewesen sei, "qui ait bien vû le mal et le remede, qui ait osé proposer de réunir les deux têtes de l'aigle, et de tout ramener à l'unité politique, sans laquelle jamais Etat ni Gouvernement ne sera bien constitué. [...] Ce n'est pas tannt ce qu'il y a d'horrible et de faux dans sa politique que ce qu'il y a de juste et de vrai qui l'a rendue odieuse." 12 Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 206 f.; vgl. demgegenüber Mint ζ, The Hunting of Leviathan, p. 44. 13 Letzteres nimmt Willms (Die Antwort des Leviathan, S. 20) an. 14 DC IV, 1. Vgl. auch DC, Epistola Dedicatoria, p. 76, wo Hobbes die theologischen Passagen als "adiectum" bezeichnet. 3 Hüning
Α. Das Naturzustandsargument
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gen, ein zweideutiges Unternehmen bleiben, wenn man bedenkt, daß das Christentum für Hobbes lediglich eine Lehre zur Erlangung des ewigen Seelenheils darstellt, denn die Absicht Jesu sei es nur gewesen, "viam docere & media omnia ad salutatem & vitam aeternam" (DC XVII, 13). Daher sei es sowohl notwendig wie erlaubt, "ius & leges naturales à principiis contractibusque humanis" (DC XVII, 13) abzuleiten: "Atque haec (nimirum ius, politia, & scientiœ naturales) subiecta sunt de quibus CHRISTVS praecepta tradere, aut quicquam docere, praeter hoc vnum, vt omnibus circa illa controuersis, ciues singuli, civitatis suae legibus & sententiis obedirent, ad officium suum pertinere negat" (DC XVII, 12).
Über den Nachweis der theologischen Unbedenklichkeit seiner eigenen rechtsphilosophischen Prinzipien hinaus geht es Hobbes in diesem dritten Teil von De Cive um die Zurückweisung der Machtansprüche der zeitgenössischen
Theologen, die behaupteten, der Verbindlichkeitsanspruch der staatlichen Gesetze könne durch Glaubensüberzeugungen relativiert oder negiert werden, denn sowohl das neue Testament als auch das christliche Naturrecht stellten den Grundsatz auf: "Oportet obedire Deo magis quam hominibus."15 Hobbes sieht in dieser Überzeugung nicht zu Unrecht eine bleibende Quelle des Aufruhrs. Denn da Jesus keine eindeutige Regelung zur Unterscheidung zwischen weltlichen und geistlichen Angelegenheiten getroffen habe, falle diese Unterscheidung in die Kompetenz des Souveräns. Die Frage, wer das Wort Gottes verbindlich auslegt, ist deshalb keine theologische, sondern eine Rechts" frage. 16 Die systematisch relevante Zweiteilung von De Cive liefert einen ersten Hinweis auf Hobbes' rechtsphilosophische Grundlagenkonzeption. Denn schon der Aufbau des Buches zeigt, daß 'Libertas' und 'Imperium', subjektive Freiheit und staatliche Herrschaft in einem notwendig wechselseitigen begründungstheoretischen Verhältnis stehen. Einerseits bildet die subjektive Freiheit der einzelnen das systematische Fundament oder die Deduktionsbasis, aus welcher
15
Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae Ι-Π, qu. 96, a. 4, der diese Lehre des Evangeliums (Apostelgeschichte 5, 29) als naturrechtlichen Grundsatz aufstellt; sowie Hobbes' Zitat dieses Grundsatzes in DC XVm, 1. 16 "Definire autem quid sit spirituale , quid temporale, quoniam Seruator noster distinctionem illam non tradidit, rationis inquisitio est, pertinetque ad ius temporale" (DC XVn, 14); "Quaestio de Ecclesiœ proprietatibus, quaestio est de iure imperif (DC XVm, 14). - Anders als Locke, der sich in seinem Toleranzbrief an dem Problem abarbeitet, wie das Gesetzgebungsrecht des Staates mit dem auf dem Offenbarungsglauben beruhenden Rechtsanspruch der Kirchen auf freie Ausübung ihrer Gottesdienste, zu vereinbaren ist (vgl. hierzu Ebbinghaus, Einleitung zu John Lockes: Ein Brief über Toleranz, GS Π, S. 65 ff., bes. 85 f., 103 ff.), erkennt Hobbes kein vom Willen des Souveräns unabhängiges Kirchenrecht an, d. h. kein Recht einer Glaubensgemeinschaft, sich unter Berufung auf die Offenbarung als Kirche (als eigenständige Körperschaft) zu konstituieren.
I. Der Aufbau von De Cive'
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die Notwendigkeit staatlicher Herrschaft, genauer gesagt: das staatliche Herrschaftsrec/tf abgeleitet wird: ohne Freiheit keine staatliche Gesetzgebungsund Befehlsgewalt. Der 'Libertas'-Teil besitzt "eine strikte Begründungsfunktion für die Theorie der staatlichen Herrschaft" 17, insofern diese auf die Freiheit und den Willen der ihr Unterworfenen zurückgeführt wird. Aber es gilt auch das umgekehrte Begründungsverhältnis: ohne Staat bzw. ohne staatlich verbürgte Rechtsordnung keine gesicherte Freiheit und kein anerkanntes Recht des Individuums. Nur innerhalb des status civilis kommt die Freiheit der Menschen zu ihrem Recht. Der begründungstheoretische Primat des 'Libertas'Teils in De Cive macht deutlich, daß Hobbes von einer Konzeption originärer Rechte des einzelnen ausgeht und damit seiner Staatstheorie ein neues, auf den Begriff der subjektiven Freiheit bezogenes rechtsphilosophisches Begründungsfundament verleiht. Diese Grundlegung ist durchgängig individualistisch konzipiert: der Begriff der subjektiven Freiheit, der seinerseits in dem Gedanken kulminiert, daß der Mensch als solcher Träger von subjektiven Rechten ist, ist das systematische Strukturmoment der gesamten Rechtsphilosophie. Das bedeutet insbesondere, daß der objektive Grund der Notwendigkeit des souveränen Staates in der Sicherung der Rechte und des friedlichen Zusammenlebens der Bürger liegt. Die Begründung der rechtlichen Notwendigkeit des Staates konzentriert sich deshalb auf seine Funktion als Rechtssicherungsinstanz im Hinblick auf das subjektive Recht der einzelnen.18 Des weiteren spiegelt sich in der systematischen Zweiteilung der Schrift auch Hobbes' Auffassung vom Verhältnis 'natürlicher' und 'künstlicher' Elemente der Rechtsordnung wider. Unter dem Titel 'Libertas' entwickelt Hobbes zunächst das vernunftrechtliche Fundament für die Möglichkeit und Notwendigkeit staatlicher Herrschaft überhaupt: die 'Freiheit' und das durch sie begründete natürliche Recht sind insofern 'natürlich', als sie zu denjenigen Bedingungen der menschlichen Existenz, die Hobbes ihrerseits unter dem Titel "status naturae" zusammenfaßt, gehören, die der Existenz der Staatsgewalt geltungslogisch vorausgehen bzw. nicht durch sie begründet werden, sondern umgekehrt erst ermöglichen. Demgegenüber ist der "status civilis", die von der souveränen Staatsgewalt verbürgte Rechtsordnung nicht natürlich, sondern künst17
Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 14. Das originäre, subjektiv-natürliche Recht der Selbsterhaltung, das Hobbes dem Menschen zuspricht, kann aufgrund der juridischen Struktur des Naturzustandes kein Recht im strikten Sinne sein. Wie sich noch zeigen wird, gewinnt Hobbes in seiner Rechtsphilosophie durch die Analyse der juridischen Struktur des Naturzustandes die fundamentalen Einsicht, daß das natürliche Recht - getrennt von den Bedingungen seiner Verwirklichung im Rahmen der positiven Rechtsordnung - nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann. Das natürliche Recht bezeichnet für sich genommen nicht ein einklagbares, gesellschaftlich anerkanntes Recht, sondern dessen geltungstheoretische Voraussetzung im Sinne eines vernunftrechtlichen begründeten subjektiven Anspruchs; vgl. hierzu Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 241, Anm. 39. 18
3*
Α. Das Naturzustandsargument
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lieh, weil er erst durch einen freien Willensakt der Menschen konstituiert wird. Auch in der Gliederung des 'Libertas'-Teils selbst kommt - wie Hobbes selbst in der "Introductio" (DC 1,1) ausführt - ein Beweisprogramm zum Ausdruck, das aus zwei verschiedenen, aber aufeinander aufbauenden Argumentationsschritten besteht: 1. Im ersten Beweisschritt, d. h. im ersten Kapitel von De Cive, geht Hobbes der Frage nach, ob die Menschen von Natur aus, bloß aufgrund ihrer natürlichen Verfaßtheit zur (Rechts-)Gesellschaft befähigt sind und welche rechtslogischen Implikationen sich aus dem "status Hominum extra Societatem civilem" ergeben; die Überlegungen des ersten Kapitels gipfeln in dem, was im folgenden als das Argument der juridischen Widersprüchlichkeit des Naturzustandes (oder als Naturzustandsargument) bezeichnet werden soll, d. h. in dem Nachweis, daß ein durch keine äußeren Gesetze beschränkter Freiheitsgebrauch sich selbst widerspricht und die Bedingungen der Möglichkeit von subjektiven Rechten selbst zerstört. 2. Im zweiten Beweisschritt (Kapitel I I und III von De Cive) werden die notwendigen Schlußfolgerungen aus dieser zuvor aufgezeigten Widersprüchlichkeit gezogen: es werden die normativen Bedingungen entwickelt, die Hobbes als "societatis, siue Pacis humanae conditiones" (DC I, 1) bezeichnet 19 , denen die durch das jus naturale begründete natürliche Freiheit unterworfen werden muß, um nicht mit sich selbst in Widerspruch zu geraten. Diese Bedingungen eines vernünftigen, weil widerspruchsfreien Handelns bezeichnet Hobbes als die 'natürlichen Gesetze'. Natürlich sind diese Gesetze nicht, weil sie eine vorgegebene, 'von Natur aus' bestehende normative Ordnung ausdrücken, sondern nur im Hinblick auf die Vernunft als ihren Geltungsgrund: es sind solche Vorschriften, welche a priori im Begriff des vernünftigen
(äußeren) Handelns selbst liegen.
Die systematische Zweiteilung des 'Libertas'-Teils erweist sich somit als konsequenter Ausdruck der kritisch-konstruktiven Doppelfunktion der Lehre von der menschlichen Freiheit: Im Sinne einer radikalen Antithese zur traditionell-naturrechtlichen Grundüberzeugung zeigt der erste, kritische Schritt der Argumentation, daß das Recht im Sinne einer objektiv-gültigen Normordnimg den Grund seiner Geltung nicht in den von Natur gegebenen Bedingungen der menschlichen Existenz hat und daß das Recht im subjektiven Sinne (als rechtliche Freiheit) unter Bedingungen eines nichtstaatlichen Zustandes nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann; im zweiten, konstruktiven Argumentationsschritt werden nun umgekehrt diejenigen (nicht in
19
Vgl. auch Hobbes1 eigenes Referat des Libertas-Teils in DC, Praefatio ad lectores, p. 81.
I. Der Aufbau von T)e Cive'
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der Natur, sondern in der Vernunft liegenden) Bedingungen demonstriert, gemäß denen der Widerspruch der Freiheit mit sich selbst vermieden werden kann. Im Unterschied zur vernunftrechtlichen Grundlegung in den ersten drei Kapiteln von De Cive, handelt der 'Imperium'-Teil vom Begriff der souveränen Staatsgewalt sowie von den Prinzipien des Staatsrechts. Hobbes spricht deshalb in diesem Zusammenhang auch von der "Doctrina de Civitatis in cives potestate" (DC VI, 1 Annotatio), d. h. von der Lehre der kontraktualistischen Begründung und Legitimation staatlicher Herrschaft 20, die ihrerseits drei komplementäre begründungstheoretische Fragestellungen umfaßt: 1. Unter welchen institutionellen Bedingungen kann die im Naturzustand fehlende Rechtssicherheit erlangt und können die natürlichen Gesetze zu rechtskräftigen und rechtsverbindlichen Normen werden? 2. Was ist eine rechtliche Vereinigung staatliche Willenseinheit definiert?
von Menschen und wodurch ist die
3. Auf welche Weise, d. h. durch welchen Rechtsakt der einzelnen, wird die staatliche Herrschaft konstituiert?
20 Die Frage nach der Legitimation staatlicher Herrschaft stellt ein genuines Problem jeder Rechtsphilosophie dar: es muß begründet und insofern 'gerechtfertigt' werden, warum staatliche Herrschaft bzw. zwangsgesetzliche Einschränkungen der Freiheit überhaupt notwendig und wie sie rechtlich möglich sind. Durch die Überzeugung, daß die Rechtfertigung von Herrschaft überhaupt ein begründungstheoretisches Problem darstellt (vgl. hierzu Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, passim; Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 62 ff.) und daß die Frage nach den Legitimationsbedingungen staatlicher Herrschaft nur philosophisch gelöst werden kann, unterscheidet sich die Rechtsphilosophie von den Politikwissenschaften, der Soziologie und der Jurisprudenz, die entweder die Relevanz des Legitimationsproblems überhaupt in Frage stellen oder eigene Legitimationsbegriffe entwickeln. - Tuschling (Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 366 ff.) bekämpft den Legitimationsbegriff bei Habermas und verteidigt die Klassiker der neuzeitlichen Vernunftrechtslehre gegen den Vorwurf, sie lieferten bloß 'legitimierende Weltbilder', mit dem zutreffenden Hinweis, daß die Klassiker, gerade weil sie die rechtlich-politischen Grundformen des modernen Staates mit all ihren Widersprüchen und sozialen Härten entwickelt haben, wenn überhaupt, "Ideologielieferanten von zweifelhaftem Wert" (S. 367) sind. Indem Tuschling aber über seine berechtigte Kritik am Legitimationsbegriff von Habermas' Kritischer Theorie hinaus die neuzeitliche Vernunftrechtslehre primär gesellschaftstheoretisch und nur in zweiter Linie rechtsphilosophisch interpretieren zu können glaubt, verkennt er die konstitutive (und keineswegs bloß ideologische) Bedeutung der Legitimationsproblematik fur die Rechtsphilosophie, obwohl er im Rahmen seiner Rousseau-Interpretation selbst darauf hinweist, daß für Rousseau "die freie Vereinbarung" des Gesellschaftsvertrags "die Grundlage aller rechtmäßigen Autorität unter Menschen ausmacht" (S. 276). Genau dies ist aber die philosophische Bedeutung der Redeweise von der Legitimation staatlicher Herrschaft.
Α. Das Naturzustandsargument
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I L Der Primat des natürlichen Gesetzes in der traditionellen Naturrechtslehre Indem Hobbes' Rechtsphilosophie systematisch von der individuellen Freiheit ausgeht und eine Konzeption originärer subjektiver Rechte als Basis für die Deduktion der Rechtspflichten zugrunde legt, steht sie in fundamentaler Opposition zur vorhergehenden, aristotelisch-stoisch-scholastischen Naturrechtstradition. Für diese Tradition lag der Grund der Verbindlichkeit irgendwelcher Normen in ihrer Übereinstimmung mit dem, was die Natur dem Menschen vorschrieben hat. Unter Natur wurde entweder die aus der griechischen Philosophie stammende teleologische Konzeption der Welt als zweckmäßiger Einheit, innerhalb welcher alle Dinge "zur Möglichkeit der Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse des Menschen als eines vernünftigen Wesens zusammenstimmen"21, oder der Begriff einer göttlichen Schöpfungsordnung verstanden. In diesem Sinne konnte ζ. B. Cicero behaupten, daß die Forderung, das Recht (als Norm des gerechten Handelns) zu begründen, mit der Forderung identisch sei, es aus der besonderen Natur des Menschen oder aus dem Gesetz des Kosmos selbst abzuleiten.22 Das Recht (ius) 23 ist nach dieser Auffassung der Inbegriff der durch die lex naturae konstitutierten Pflichten. Soweit die Stoiker bzw. die von stoischem Gedankengut beeinflußten Naturrechtslehrer des Mittelalters und der Neuzeit überhaupt von individuellen Rechten sprechen, sind immer solche bedingten und beschränkten Ansprüche gemeint, die den einzelnen um der Gemeinschaftlichkeit des sozialen Lebens willen zugesprochen werden müssen. Das individuelle Recht ist - wie das folgende Zitat aus Ciceros Buch De officiis belegt - immer das Recht, das den einzelnen aus ihrer Stellung in der Gemeinschaft und aus ihrem Bezug zum Gemeinwohl erwächst, niemals aber eine gesetzliche Befugnis für den freien Gebrauch ihrer Willkür 24 : 21
Ebbinghaus, GS Π, S. 143. Cicero, De legibus I, 16-19; zunächst hatte Cicero die Formulierung benutzt, der "fons legum et iuris" sei in der Natur bzw. in der "naturalis societas" der Menschen zu suchen; dies sei gleichbedeutend mit der Forderung, die Natur des Rechts "ab hominis [...] natura" bzw. aus dem höchsten Gesetz ("a lege ducendum est iuris exordium") abzuleiten: Natur, die (vernünftige) Natur des Menschen und das natürliche Gesetz, das seinerseits die "recta ratio" (De legibus I, 23) ist, sind nur verschiedene Ausdrücke für ein und denselben Gedanken einer kosmologischen Ordnung, in der alle Menschen (und Götter) in harmonischer Zweckeinheit und zur Verwirklichung des bonum commune vereinigt sind, 23 Die Begriffe jus und lex werden von Cicero, aber auch von der späteren Naturrechtslehre noch nicht eindeutig als Recht im subjektiven Sinne (jus) und Recht im objektiven Sinne (lex) unterschieden. 24 Daß die Menschen kraft ihrer Menschheit ein Recht auf den freien Gebrauch ihrer Willkür, d. h. ein Recht zu äußeren Handlungen ohne jede Rücksicht auf die Zwecke anderer im Sinne der Kantischen "Unabhängigkeit von eines Anderen nöthi22
Π. Der Primat des Gesetzes in der traditionellen Naturrechtslehre
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"Nec tarnen nostrae nobis utilitates omittendae sunt aliisque tradendae, cum his ipsi egeamus, sed suae cuique utilitati, quod sine alterius iniuria fiat, serviendum est. Seite Chrysippus, ut multa, 'qui stadium', inquit, 'currit, eniti et contendere debet quam maxime possit, ut vincat, supplantare eum, quicum certet, aut manu depellere nullo modo debet; sic in vita sibi quemque petere, quod pertineat ad usum, non iniquum est, alteri deripere ius non est.'"2*
Ein Anspruch "auf mögliche Befriedigung der Bedürfnisse seines Lebens und also auf Glück in Gemeinschaft mit dem möglichen Glück aller anderen Menschen"26 resultiert also aus der lex naturae nur bedingterweise, insofern alle Menschen verpflichtet sind, sich einander nicht in der Befriedigung ihrer naturgemäßen Bedürfhisse zu beeinträchtigen: es ist "die Befugnis, das zu tun und zu sein, was notwendig ist, damit die Natur des Menschen im Handeln und so in einem menschlichen Leben wirklich werden kann." 27 Dieser normlogisch vorhergehende Grund der Erlaubnis ist das bonum commune, d. h. die aller subjektiven Befugnis vorhergehende Verbindlichkeit zum guten und gerechten Leben in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Zwecken aller. Eine Ungerechtigkeit ist nach dieser Überzeugung als die Rücksichtslosigkeit gegen die durch die lex naturalis notwendig gemachten natürlichen Lebensbedürfnisse anderer definiert. 28 Es liegt auf der Hand, daß unter diesen Voraussetzungen keine Konzeption originärer (subjektiver) Rechte möglich ist. Vielmehr wird jede subjektive Befugnis als abhängig gedacht "von einer angeblich durch die Natur selber (bzw. christlich gesehen: durch die 'Schöpfung') in den menschlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten angelegten möglichen Vereinigung aller deijenigen Zwecke, die durch diese Bedürfnisse notwendig gemacht werden." 29 Aus diesem Grunde fehlt der antiken Naturrechtslehre auch das Bewußtsein für den systematischen Unterschied von Recht und Ethik bzw. von Legalität und Moralität. In der Tat schließt die Fundierung der praktischen Philosophie auf das teleologische Prinzip der Natur, die alle Menschen zur gemeinschaftlichen Besorgung ihrer natürlichen Zwecke verpflichtet, den Gedanken aus, es könne ein Recht zu irgendwelchen Handlungen geben, die nicht zur Bewirkung des bonum commune, d. h. zur Befriedigung naturgemäßer Bedürfhisse in Übereinstimmung mit dem guten und gerechten
gender Willkür" (RL, VI, 23729), haben könnten, ist ein der Antike insgesamt fremder Gedanke; vgl. Ebbinghaus, GS I, S. 344 f. 25 Cicero, De officiis ΙΠ, 42. 26 Ebbinghaus, GS Π, S. 250. 27 Ritter, "Naturrecht' bei Aristoteles, S. 138. 28 Cicero, De officiis ΙΠ, 30: "communis utilitatis derelictio contra naturam est; est enim iniusta"; ΙΠ, 21: "Detrahere igitur alteri aliquid et hominem hominis incommodo suum commodum augere magis est contra naturam quam mors, quam paupertas, quam dolor, quam cetera, quae possunt aut corpori accidere aut rebus externis. Nam principio tollit convictum humanuni et societatem." 29 Ebbinghaus, GS I, S. 413.
Α. Das Naturzustandsargument
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Leben aller, beitragen. Letztlich fehlt der antiken Naturrechtslehre der moderne Begriff der Freiheit, deren Schranken nicht durch die Möglichkeit des gemeinsamen Nutzens, sondern durch die Vereinbarkeit dieser Freiheit mit der Freiheit aller anderen und den Bedingungen allgemeiner Rechtssicherheit bestimmt ist. Über die Naturrechtslehre der Scholastik30 bis in das späte 18. Jahrhundert hinein haben die meisten Rechtsphilosophen an dieser im wesentlichen auf die Lehren der Stoa zurückgehenden Auffassung einer geltungstheoretischen Fundierung des subjektiven Rechts in einer ihr vorhergehenden lex naturalis festgehalten, so daß der subjektive Anspruch des einen nur den materiellen Reflex der durch das Recht im objektiven Sinne bestimmten Rechtspflicht der anderen darstellt. Ein typisches Dokument für die Kontinuität des naturrechtlichen Denkens im Hinblick auf das Bedingungsverhältnis von Freiheit und natürlichem Gesetz ist Lockes Second Treatise
of Government. Für Locke
dient in Übereinstimmung mit der Tradition der Terminus 'Freiheit' zur Bezeichnung der aus der lex naturalis entspringenden Befugnis, sich gemäß dem bonum commune und der "obligation to mutual Love amongst Men" (ST § 5) bestimmte Zwecke zu setzen und ihnen entsprechend zu handeln. Locke bringt dieses traditionelle Bedingungsverhältnis in der Formel "where there is no Law, there is no Freedom" (ST § 57) sehr deutlich zum Ausdruck: Freiheit in diesem Sinne ist nicht "Licence", sondern immer nur die abgeleitete Befugnis, den durch die lex naturalis auferlegten Pflichten (wie ζ. B. der Pflicht zur 30
Thomas von Aquin, Summa theologiae Π-Π, qu. 57, a. 1 ad 2: "lex non est ipsum ius, proprie loquendi, sed aliqualis ratio iuris"; Suärez, De legibus I, Π, 4: "ius non esse legem, sed potius id quod lege praescribitur seu mensuratur". Vgl. hierzu Rommen, Die Staatslehre des Franz Suarez, S. 47: "Nie geht also die scholastische Rechtsphilosophie vom isolierten Menschen aus, fragt, was man als seine Rechte (Menschenrechte) betrachten müsse. [...] Indem so immer der Mensch als Glied einer von Gott gewollten Ordnung, also nach der moralischen Seite als unter dem System von ordnenden Gesetzen gesehen wird, ist es verständlich, daß die Scholastik 'Gesetzes'-Philosophie eher war denn Rechtsphilosophie. Der Ausgangspunkt ihrer Gedanken war also nicht (wie bei der individualistischen Naturrechtslehre der Folgezeit) das autonome Individuum [...]; sie sahen vielmehr das Individuum von vornherein ohne Aufgabe seines absoluten Wertes in eine gottgewollte soziale sinnvolle Ordnung, in einen organischen, gestuften Kosmos von Rechten und Pflichten hineingeboren. In dieser 'Gesetzesphilosophie' liegt es auch begründet, daß Suarez Lex naturalis und Jus naturale synonym gebraucht (De leg. I. c. 2. n. 11). Denn wenn das, was 'das Gesetz vorschreibt', Recht ist, dann kann jedes Gesetz als Inhalt Recht genannt werden." - Sauter (Grundlagen des Naturrechts, S. 72) betont, "daß die Scholastiker immer von Naturgesetz (lex naturalis) sprechen anstatt von Naturrecht (jus naturale), wie wir das heute gewohnt sind. Sie tun das deshalb, weil bei ihnen alles Recht auf einer Verpflichtung aufgebaut ist (z. B. hat jeder die Pflicht, seine Seinsanlagen zu vervollkommnen, also hat er auch das Recht, all das zu tun, was hierzu erforderlich ist, und all das abzuwehren, was ihn daran hindern könnte) und sie also mehr die ethische Seite des Naturrechts hervorheben wollen."
Π. Der Primat des Gesetzes in der traditionellen Naturrechtslehre
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Nächstenliebe) nachzukommen; Gesetz in diesem Sinne ist "not so much Limitation as the direction of a free and intelligent Agent to his proper Interest" (ST § 57). Gerade aufgrund der durch die lex naturalis vorgegebenen natürlichen Ordnung hat jeder Mensch ein Recht auf solche Handlungen, die mit dem T)onum commune' - sei es das Wohl der Menschheit oder des Volkes - als letztem Zweck dieser Ordnung übereinstimmen. Das subjektive Recht ist folglich nur die bedingte Befugnis, die zugrundeliegende naturrechtliche Ver31 bindlichkeit zu erfüllen, somit Pflichterfüllungsfreiheit , die von der unbestimmten Freiheit der Willkür unterschieden werden muß: "For Liberty is to bee free from restraint and violence from others which cannot be, where there is no Law: but Freedom is not, as we are told, A Liberty for every Man to do what he lists : (For who could befree, when every other Man's Humour might domineer over him?) But a Liberty to dispose, and order, as he lists, his Person, Actions, Possessions, and his whole Property, within the Allowance of those Laws under which he is; and therein not to be subject to the arbitrary will of another, but freely follow his own" (ST § 57). Im Rahmen dieser traditionellen Naturrechtskonzeption wird zum einen der natürliche Zustand der Menschen als prästabilierte Harmonie und als ursprünglicher Rechtsfrieden, d. h. als Zustand "within the bounds of the Law of Nature" (ST § 4) gedacht, in dem die Handlungen der Menschen a priori durch die lex naturalis als verbindliche Norm bestimmt werden. Zum anderen erlaubt das Festhalten an der geltungstheoretischen Abhängigkeit der Freiheit von einem ihr vorhergehenden natürlichen Gesetz die Versöhnung mit der christlichen Religion. So beeilt sich Locke denn auch darauf hinzuweisen, daß die Menschen "all the Workmanship of one Omnipotent, and infinitely wise Maker" sind, die bedingt durch den gottgewollten Zweck "one community of Nature" bilden (ST § 6 ) . 3 2 31 Gauthier (Why Ought One Obey God?) kommt in seiner Analyse von Lockes theologischer Begründung der Verbindlichkeit zu dem Ergebnis: "Law and duty, not right, is the foundation of Locke's ethics" (p. 432). - Auch Christian Wolff gründet, wie Riedel (Metaphysik und Metapolitik, S. 248) bemerkt, "sein ganzes System des Naturrechts [...] auf der These, daß die Verbindlichkeit durch das Gesetz 'früher 1 sei als das Recht (obligatio prior est jure). Aus der Voraussetzung, daß mit jeder Pflicht ein Recht, sie auszuüben, verbunden sei, hat Wolff gefolgert, daß es gar keine Rechte geben könne, die sich nicht auf Pflichten stützten." Daher ist für ihn (Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, § 95) das angeborene natürliche Recht die Befugnis "zu demjenigen, ohne welches man der natürlichen Verbindlichkeit kein Genüge leisten kann, worunter auch das Recht um Liebes-Dienste zu bitten, und den andern dazu vollkommen zu verbinden, enthalten ist." Zu Wolffs Naturrecht vgl. auch Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 41 f.; Ritter, Naturrecht' bei Aristoteles, S. 133-144; ebenso Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 149-151; Larenz, Zur Beurteilung des Naturrechts, S. 30 f. 32 Damit sollen Lockes Verdienste um die Begründung der Theorie der Menschenrechte nicht in Abrede gestellt werden. Die auf der Fähigkeit des Menschen, vernünftig zu handeln, beruhenden subjektiven Rechte - der Selbstbesitz der Person, die Un ver-
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Α. Das Naturzustandsargument
I I I . Hobbes' geltungstheoretische Revolution Terminologisch stimmt Hobbes mit der Forderung der Naturrechtslehre, das Recht aus der Natur abzuleiten, überein: in Anlehnung an die naturrechtliche Aufgabenstellung sucht er im ersten Kapitel von De Cive nach dem "Iuris
naturalis fundamentum primum" (DC I, 7). Aber die Anlehnung ist nur terminologisch, denn der Sache nach haben sich sowohl der Begriff der Natur als auch derjenige des Rechts fundamental geändert. Was zunächst den Begriff der Natur angeht, so erneuert Hobbes die Behauptung des Karneades, daß für die Menschen in bezug auf ihre natürlichen Zwecke keine rechtliche Übereinstimmmung, d. h. kein allgemeingültiges Gesetz existiert, nach welchem Recht oder Unrecht einer Handlung beurteilt werden könnten. Was jeder einzelne gemäß seinen naturgegebenen Zwecken als bonum sibi betrachtet, das ist aufgrund der "diversitas affectuum" (DC XIV, 7) notwendig ein bloß subjektiver und empirischer Maßstab: "Sciendum igitur est, ea bonum & malum nomina esse rebus imposita ad significandum appetitimi, vel auersionem eorum à quibus sie nominantur. Appetitus autem hominum pro diuersis eorvm temperamentis, consuetudinibus, opinionibusque, diuersi sunt; vt videre est in iis rebus quas sensu pereipimus, puta gustu, tactu, olfactu, sed multo magis, in iis rebus quae pertinent ad actiones vit® communes, vbi quod hic laudai , id est, appellai bonum, alter vitupérât vt malum ; immò saepissime idem homo diuersis temporibus idem & laudai & culpat. Haec dum faciunt necesse est oriri discordiam & pugnas. Sunt igitur tamdiu in statu belli, quam bonum & malum prae appetituum praesentium diuersitate, diuersis mensuris metiuntur" (DC m,31). 3 3
In bezug auf die empirischen Bestimmungsgründe des Willens, d. h. die Materie des willentlichen Begehrens, gibt es keine notwendige Übereinstimmung der Individuen. Mit der Einsicht in die Fragwürdigkeit der Versuche, das natürliche Begehren als ein allgemeingültiges Prinzip normativer Bewertungen aufzustellen, antizipiert Hobbes eine Einsicht, die auch für die praktische Philosophie Kants bestimmend ist: die Summe der empirischen Zwecke, die Menschen aufgrund ihrer anthropologischen Verfaßtheit haben müssen oder können, ist äußerlichkeit ihrer Freiheit (ST §§ 27, 63, 87, 123 u. ö.) - , die Locke in der Gütertrias "life, liberty, estate" zusammenfaßt, werden seither als unveräußerlicher Kernbestand der Menschenrechte zur Grundlage seiner politischen Theorie gezählt. Aber der Fortschritt in der Frage der Menschenrechte wird erkauft durch den Rückgriff auf eine traditionalistische Begründung der Verpflichtung zur Freiheit, die von schöpfungstheologischen Prämissen einerseits und überlieferten stoischen Naturrechtsvorstellungen andererseits Gebrauch macht. So revolutionär der Inhalt seiner politischen Theorie, so traditionell die Form der Begründung, warum die Freiheit und Rechtspersönlichkeit unveräußerlich sind. 33 Vgl. die gleichlautenden Ausführungen in DC I, 2; XIV, 17; Lev. XV, pp. llOlll.
HI. Hobbes' geltungstheoretische Revolution
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"doch nur der allgemeine Titel der subjectiven Bestimmungsgründe und bestimmt darum nichts specifisch [...]. Worin nämlich jeder seine Glückseligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Gefühl der Lust und Unlust an, und selbst in ein und demselben Subject auf die Verschiedenheit des Bedürfnisses nach den Abänderungen dieses Gefühls, und ein subjectiv notwendiges Gesetz (als Naturgesetz) ist also objectiv ein gar sehr zufälliges praktisches Princip, das in verschiedenen Subjecten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz abgeben kann [...]. Empirische Bestimmungsgründe taugen zu keiner allgemeinen äußeren Gesetzgebung, aber auch eben so wenig zur innern; denn jeder legt sein Subject, ein anderer aber ein anderes Subject der Neigung zum Grunde, und in dem Subject selber ist bald die, bald eine andere im Vorzuge des Einflusses. Ein Gesetz ausfindig zu machen, das sie insgesammt unter dieser Bedingung, nämlich mit allerseitiger Einstimmung, regierte, ist schlechterdings unmöglich" {Kant, KpV; AA V, S 25 · 26-35> 2823-28)·
Allerdings hält Hobbes trotz seiner im Ansatz vorhandenen Einsicht, daß der Versuch, die "Realität" des moralischen Prinzips "aus der besondern Eigenschaft der menschlichen Natur ableiten zu wollen" 34 , notwendig eine allgemeine Übereinstimmung in bezug auf die normative Bestimmung des Freiheitsgebrauchs ausschließt, an der Verknüpfung des Begriffs des natürlichen Rechts mit dem empirischen Moment der Selbsterhaltung fest. 35 Daher setzt sich auch Hobbes all den Einwänden aus, die Kant gegen den Versuch erhoben hat, moralische oder rechtliche Prinzipien auf der Grundlage empirischer Zwecke ableiten zu wollen. So wenig die Natur für Kant das Prinzip der Bestimmung der Pflichten sein kann, so wenig läßt sich aus ihr ein Prinzip der Berechtigung gewinnen. Tatsächlich führt die inhaltliche Bestimmung des Rechtsbegriffs durch das materiale Moment der Selbsterhaltung bzw. des Lebenswillens bei Hobbes selbst - wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird - zu unaufhebbaren Widersprüchen: alle Verbindlichkeit findet an dieser Unverzichtbarkeit der Selbsterhaltung ihre Schranke, wird also durch es relativiert; dort, wo der staatliche Gehorsamsanspruch das Recht der Selbsterhaltung tangiert, erlischt auf Seiten des Bürgers die Gehorsamspflicht. Hobbes konnte - insofern er an dem durch das Recht auf Selbsterhaltung bedingten Begriff der Rechtspflicht festhielt - die Rechtsantinomie zwischen diesem natürlichen Recht auf Seiten des Individuums und dem ebenso unbedingten Recht des Souveräns auf den staatsbürgerlichen Gehorsam nicht auflösen, so daß er trotz aller Bemühungen, die Identität von Natur- und positivem Recht aufzuzeigen und den Einbruch des Naturrechts
in das letztere
zu verhindern, konzedieren mußte, daß es zahlreiche Situationen gibt, in denen die Bürger aufgrund des natürlichen Rechts von ihrer Gehorsamspflicht gegenüber dem Souverän dispensiert sind. 36 34
Kant, GMS, AA IV, S. 4 2 5 1 4 f Diese Inkonsequenz ist sowohl von Ebbinghaus (GS Π, S. 262 f.) als auch von Geismann (Ethik und Herrschaftsordnung, S. 43-48) präzise herausgearbeitet worden. 36 Vgl. hierzu Kapitel D. I. 35
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Α. Das Naturzustandsargument
Erst wenn man den Begriff des Rechts, den Hobbes im ersten Kapitel 'fundieren' will, näher betrachtet und in seiner Opposition zum Rechtsbegriff der Naturrechtstradition begreift, wird die geltungstheoretische Revolution des Thomas Hobbes offenkundig. Wenn in der Hobbesschen Rechtsphilosophie strikt zwischen dem Recht im subjektiven Sinne (Jus), d. h. im Sinne einer individuellen Befugnis oder Erlaubnis, und dem Recht im objektiven Sinne (lex) als eines das Belieben des Tuns und Unterlassens einschränkenden Normensystems unterschieden wird, dann macht Hobbes mit dieser Unterscheidung nicht nur darauf aufmerksam, daß jus und lex, subjektive Befugnis und einschränkende Norm, Bestimmungen von unterschiedlicher Bedeutung sind. Vielmehr muß diese Unterscheidung selbst als notwendige Konsequenz des rechtsphilosophischen Programms der Ableitung staatlicher Herrschaft (imperium) aus der naturrechtlichen Freiheit (libertas) der Individuen verstanden werden: rechtliche Normierungen sind fur Hobbes im Gegensatz zur Naturrechtstradition von Cicero bis Grotius nicht Ausfluß einer schon bestehenden universellen Normordnung, sondern von Menschen gemachte und aus ihrem Willen hervorgehende Regeln. Alle Rechtsgesetzlichkeit setzt die Freiheit der Menschen sowohl als Normierungsgegenstand wie auch als Grund ihrer Möglichkeit voraus. Die von vielen Interpreten betonte Umkehrung des traditionellen Bedingungsverhältnisses zwischen Recht und Pflicht bzw. zwischen subjektiver Befugnis und objektivem Gesetz, der fundamentale "Wechsel von einer Orientierung an den natürlichen Pflichten zu einer Orientierung an den natürlichen Rechten"37 bildet somit das systematische Zentrum der geltungstheoretischen Revolution: das Recht im objektiven Sinne kann den Grund seiner Geltung nicht in einer vom Willen der Menschen unabhängigen teleologischen Ordnung der Natur haben, sondern nur in der Freiheit der Menschen, d. h. in ihrer vernünftigen Selbstbestimmung. Diese geltungstheoretische Revolution entfaltet Hobbes im Rahmen einer hypothetischen Konstruktion, welche den nichtstaatlichen Zustand der Menschen zum Gegenstand hat und die Hobbes als Naturzustand bezeichnet. Dieses Konstrukt besitzt eine fundamentale Begründungsfunktion, da Hobbes aus ihm einerseits die vernunftrechtlichen Bedingungen des Rechtsfiriedens und andererseits die Notwendigkeit einer souveränen Staatsgewalt entwickelt. Die Theorie des Naturzustandes ist kein historisches, kein psychologisches oder verhaltenstheoretisches und auch kein politisches, sondern ein rechtsphilosophisches Lehrstück. In ihm werden die Grundlagen einer gegenüber der Naturrechtstradition völlig veränderten Theorie der rechtlichen Selbstbegründung menschlicher Freiheit entfaltet. Hobbes lehrt insbesondere, daß es kein 37 Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 189; vgl. auch Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 154; Oakeshott, Hobbes on Civil Association, p. 57; Riedel, Metaphysik und Metapolitik, S. 184 f.; Vi Hey, Le droit de lindi vidu chez Hobbes, pp. 185-186; Ilting, Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, S. 89.
ΠΙ. Hobbes1 geltungstheoretische Revolution
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Naturrecht im Sinne der Tradition, keine vom Willen der Menschen unabhängige normative Ordnung gibt, sondern daß die Rechtsordnung ein 'Kunstwerk' ist, denn sie beruht auf dem Willen der Menschen, der diese Institutionen erst schaffen muß. Hobbes' Lehre vom Naturzustand kulminiert in der These, daß sich die Menschen von Natur aus in einem Zustand der Gesetzlosigkeit befinden, in dem ihre äußere Freiheit in keiner rechtlichen Weise beschränkt ist. Unter den Interpreten herrscht im wesentlichen noch Einverständnis darüber, daß es sich bei der Naturzustandskonzeption nicht um eine Beschreibung eines tatsächlichen historischen Zustandes handelt, und Hobbes selbst hat auf den Status der methodischen Abstraktion des Naturzustandes aufmerksam gemacht: "Vt redeamus iterùm in statum naturalem, consideremusque homines tamquam si essent iamiam subito è terrà (fungorem more) exorti & adulti, sine omni vnius ad alterum obligatione" (DC Vm, 1) * 8
Zugleich hat Hobbes den Naturzustand als Epoche "before the time of Civili Society" (Lev. XIV, p. 99) bezeichnet und auf die Lebensweise der "old inhabitants of Germany" (Elements XIV, 12) und der Indianer (DC I, 13; Lev. XIII, p. 89) als Illustrationen für die faktischen Folgen des Fehlens einer souveränen Staatsgewalt verwiesen. Auch die internationalen Beziehungen sollen den Realitätsgehalt der Naturzustandskonzeption anschaulich machen. Dieser Verweis auf den Realitätsgehalt der Naturzustandskonzeption hat in der Folge bei den Lesern der Hobbesschen Werke immer wieder dazu geführt, die Frage nach dem Status der Naturzustandskonzeption auf eine temporale bzw. empirische Ebene zu verlagern. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, daß Hobbes aufgrund seiner empirischen Bekräftigungsversuche solchen anthropologisierenden und historisierenden Deutungen des Naturzustandes Vorschub geleistet hat. Aber er läßt auf der anderen Seite keinen Zweifel daran, daß sich seine Vorgehensweise dem Methodenideal rein rationaler Prinzipienforschung verdankt. Systematisch betrachtet haben diese empirischen Bekräftigungsversuche eine illustrative Funktion, während der Wahrheitsanspruch der Naturzustandshypothese selbst nicht davon abhängen kann, ob die Menschen sich tatsächlich jemals in einem 'bellum omnium contra omnes' befinden oder befunden haben.39 Der Verweis auf den historischen Realitätsgehalt des Naturzustandes hat eine bloß explikative Funktion und ist keinesfalls eine Wahrheitsbedingung des Konzepts, wenn es darum geht, aus ihm ex negativo die konstitutiven Bedingungen von Recht und Staat abzuleiten. In Wahrheit versetzt das Bewußtsein der heuristischen Begründungsfunktion des Natur38
Vgl. zu diesem Problem insgesamt Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 138, S. 94 f. 39 Denn auf den Einwand, "there was never such a time, nor condition of warre as this", antwortet Hobbes: "I believe it was never generally so, over all the world: but there are many places, where they live so now" (Lev. ΧΙΠ, p. 89).
Α. Das Naturzustandsargument
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zustandes Hobbes in die Lage, allen entwicklungsgeschichtlichen Deutungsversuchen einen Riegel vorzuschieben, indem er betont, daß die Annahme der (politisch wie historisch) unvermittelten, abstrakten Existenz der Menschen ausreiche, um über die Strukturbedingungen des Naturzustands Auskunft zu geben. Erst bei späteren Hobbes-Kritikern fuhrt die Historisierung des Naturzustandes zu der Verwechslung von begründungstheoretischer und historischer Priorität. 40 Während also der hypothetisch-fiktive Charakter der Naturzustandskonzeption kaum in Zweifel gezogen wird, fangen die eigentlichen Schwierigkeiten und Differenzen der Interpreten bei der präzisen Bestimmung ihrer methodischen Aufgabenstellung an. So ist die Naturzustandshypothese zum Gegenstand ganz heterogener Deutungen geworden; sie wird betrachtet - als theoretische Bewältigung der politischen Problemstellungen des englischen Bürgerkriegs und der konfessionellen Auseinandersetzungen, die im Europa des 17. Jahrhunderts tobten41; - als Konzeptionalisierung des Problems der conditio humana: in diesem Falle erscheint der Naturzustand als "Inbegriff einer Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt des Normenzerfalls und des Verschwindens eines politisch sicheren Zustande"42, wohingegen der Staat die politische Lösung dieses Problems bilde; - als theoretisches Modell zur Erfassung der entstehenden frühkapitalistischen Markt- und Konkurrenzgesellschaft, die den Widerspruch des Naturzustandes primär als Interessengegensatz unbeschränkter privater Aneignung betrachtet43; - schließlich als "spieltheoretische Musterargumentation", die eine von bestimmten anthropologischen bzw. psychologischen Prämissen ausgehende Analyse des wirklichen oder wahrscheinlichen Verhaltens der Menschen bzw. eine kausale Verhaltens- und Motivationsanalyse beabsichtigt.44 Es liegt nahe, diese Mehrdeutigkeit der Interpretationen auf eine Mehrdeutigkeit des Naturzustandskonzepts selbst zurückzuführen. Nach Nonnen40
Zu den "Grundpositionen der neuzeitlichen Naturrechtstheorie", insbesondere zu dem Schicksal der Naturzustandskonzeption bei den Nachfolgern von Hobbes vgl. die informative Übersicht bei Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 19-72. 41 So Koselleck, Kritik und Krise, S. 17, der Hobbes' politische Philosophie als "paradigmatisch ftlr die Genese der modernen Staatstheorie aus der Situation der religiösen Bürgerkriege" betrachtet. 42 Willms, Die Antwort des Leviathan, S. 137. 43 Vgl. Macpherson , The Political Theory of Possessive Individualism, pp. 17-70. 44 Kersting , Hobbes zur Einfuhrung, S. 102-121; Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 58-96.
Ι . Hobbes geltungstheoretische Revolution
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machers Auffassung ist der Naturzustand "offen für konkurrierende und divergierende Deutungen, er ist mehrdeutig und in diesem Sinne weniger ein 'Konzept1 denn ein Symbol, eine sprachliche 'Verweisung', die von einander abgesonderte Wirklichkeitssphären überspannt, verschiedene Erfahrungsschichten integriert." 45 Das Unbefriedigende einer solchen Einschätzung liegt darin, daß sich die Hobbessche Beweisabsicht in eine Vielzahl miteinander konkurrierender und mehr oder weniger gleichgültig nebeneinander stehender Deutungen auflöst. Demgegenüber soll hier im Anschluß an die Interpretationen von Julius Ebbinghaus, Georg Geismann, Karlfriedrich Herb u. a. die Auffassung vertreten werden, daß es sich bei Hobbes' Naturzustandskonzeption um eine logische Hypothese in rechtsbegründender Absicht handelt, also um ein philosophisches Lehrstück in Sachen rechtlicher Notwendigkeit des Staates und nicht primär um den Versuch ter Auflösung eines politischen Dilemmas (der Ausübung und institutionellen Verteilung der staatlichen Macht). 4 6 Stellt man nun erneut die Frage, worin der abstrakte Charakter der Naturzustandshypothese besteht und wovon eigentlich abstrahiert wird, so gibt die Überschrift des ersten Kapitels von De Cive ("De statu Hominum extra Societatem civilem" 4 7 ) einen ersten entscheidenden Hinweis: Gegenstand der Analyse ist die 'Lage' der Menschen in nichtstaatlichen Verhältnissen. M i t der Abstraktion von der Existenz des Staates wird von den Funktionen der Staatsgewalt,
45
Nonnenmacher, Die Ordnung der Gesellschaft, S. 35. Nonnenmacher bezeichnet den Naturzustand auch als "Konzept zur Erfassung von Wirklichkeit" bzw. als "logisch-konzeptuelles Weiterdenken von Erfahrungsinhalten" (ebd. S. 36). Dementsprechend verlagert sich der Schwerpunkt der Hobbesschen Theorie vom Rechtsbegriff zum Problem der Macht bzw. der Machtausübung, so daß der Naturzustand nicht mehr primär als "Antagonismus der Freiheit", sondern als "reale[r] Antagonismus sich wechselseitig bedrohender Machtpotentiale" und als "zu Ende gedachte Logik eines gesellschaftlichen Ausnahmezustandes" (S. 15) verstanden wird. 46 Nonnenmacher, Die Ordnung der Gesellschaft, S. 14 f.: "Es geht hier nicht darum, die Möglichkeit einer rechtsphilosophischen Interpretation des Leviathan' auszuschließen. Selbstverständlich ist es legitim, Hobbes' Theorie in einzelne Elemente und Bedeutungsebenen zu zergliedern, um sie philosophisch, juristisch oder sozialwissenschaftlich auszuwerten. Ins Zentrum von Hobbes' Werk führt aber nur eine politische Interpretation: Hobbes hat seine drei wichtigsten Schriften als Analyse einer politischen Problemlage konzipiert." In dieser Überbetonung des politischen Aspekts, die in Deutschland seit der Hobbes-Interpretation Carl Schmitts generell dominiert, und der damit verbundenen Unterschätzung der rechtsphilosophischen Programmatik, die Thomas Hobbes in seinen Schriften formuliert, liegt wohl auch der Grund dafür, daß Nonnenmacher den entscheidenden Unterschied zwischen Hobbes und Machiavelli nur auf der methodischen Ebene der "Verbindung neuer politischer Inhalte mit einer neuen wissenschaftlichen Methode" durch Hobbes anzusiedeln weiß (S. 13). 47 Unter dem Begriff'societas civilis' versteht Hobbes in Übereinstimmung mit dem auf Aristoteles zurückgehenden Sprachgebrauch den Staat, genauer gesagt: die politisch verfaßte Gesellschaft im Unterschied zu anderen Gesellschaftsformen wie z. B. zur Familie oder privatrechtlichen Verbänden.
Α. Das Naturzustandsargument
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insbesondere aber von der durch die Staatsgewalt verbürgten positiven Rechtsordnung, dem gesetzlichen System der Rechte und Pflichten abstrahiert. 48 Aber diese bisherige Bestimmung des Abstraktionsstatus der Naturzustandskonzeption erweist sich als unzureichend. Denn tatsächlich treibt Hobbes (jedenfalls im ersten Kapitel von De Cive) die Abstraktion noch weiter, indem er nicht nur die positiv-rechtlichen Einschränkungen des äußeren Freiheitsgebrauchs, sondern zunächst auch die spezifisch vernunftrechtlichen Bedingungen des freien Handelns ausblendet, die im zweiten und dritten Kapitel von De Cive unter dem Titel der natürlichen Gesetze thematisiert werden: daher bezeichnet Hobbes den Naturzustand auf diesem Abstraktionsniveau auch als "status mere naturalis, siue antequam homines vllis pactis sese inuicem obstrinxissent" (DC I, 10); es ist der natürliche Zustand der Menschen jenseits aller vertraglichen Freiheitsnormierung. Daß Hobbes die Konzeption des Naturzustandes im Sinne einer rechtstheoretischen Fiktion gebraucht, impliziert zunächst schon der Terminus "status naturalis". Die Übernahme des juristischen status-Begriffs macht den Naturzustand als (fiktive) rechtstheoretische Konstruktion kenntlich: Hobbes ist sich hier - wie in vielen anderen Zusammenhängen auch - der juristischen Konnotation der von ihm gebrauchten Begriffe bewußt: in Anlehnung an die juristische Terminologie des Corpus juris civilis 49 versteht Hobbes unter status die Rechtsstellung bzw. die jeweilige Stufe der Rechtsfähigkeit, die ein Mensch einnimmt. In diesem Sinne gilt die Frage nach dem "status naturae" dem Problem der 'natürlichen', d. h. vorstaatlichen, institutionell nicht gesicherten Rechtslage der Menschen.50 Erst mit dem juristischen status-Begriff einerseits und der Prämisse der Abstraktion von der Existenz der Staatsgewalt sind die beiden rechtsphilosophischen Definitionselemente des Naturzustandes gewonnen.51 Genauer gesagt geht es Hobbes um die Klärung des Verhältnisses von subjektiv-natürlichem Recht einerseits und der staatlich garantierten Rechtsordnung andererseits, ein Verhältnis, das via negationis geklärt werden soll, d. h. durch Analyse des48
Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 191: "P]er Naturzustand ist ursprünglich durch die Tatsache charakterisiert, daß es in ihm vollkommene Rechte, aber keine vollkommenen Pflichten gibt." 49 D. 1,5: "De statu hominum". Vgl. hierzu Sohm, Institutionen, S. 167: "Das römische Recht unterscheidet drei status (d. h. Stufen der menschlichen Rechtsfähigkeit): den status libertatis (die Menschen sind entweder Freie oder Sklaven), den status civitatis (die Freien sind entweder Bürger von Rom oder Nichtbürger), den status familiae (der römische Bürger ist entweder paterfamilias oder filiusfamiliae)." 50 Der Naturzustand ist nicht 'natürlich', weil er der societas civilis in historischfaktischer Hinsicht vorhergeht, sondern weil es sich um die methodologische Konzeptualisierung solcher Rechtsbedingungen handelt, die im Hinblick auf ihre Geltung nicht durch den Staat bedingt sind. 51 Vgl. auch Pufendorf, De officio hominis et civis, Π, 1, § 1: "Vocamus autem statum in genere illam conditionem, in qua homines constituti intelliguntur ad certum genus actionum obeundum. Quem etiam pecularia fere jura comitantur."
ΠΙ. Hobbes geltungstheoretische Revolution
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jenigen Zustandes, in welchem die staatliche Garantieinstanz fehlt. Gerade aus dem Aufweis der juridischen Widersprüchlichkeit einer derartigen nichtstaatlichen und insofern 'natürlichen' Rechtsstellung der Menschen soll der Beweis für die Notwendigkeit des Zusammenhangs von subjektivem natürlichem Recht und der staatlichen Rechtsordnung bzw. des Zusammenhangs von Freiheit und (einschränkender) Gesetzlichkeit unter den Bedingungen staatlicher Herrschaft geführt werden. Im Sinne dieser unterschiedlichen Abstraktionsstufen hat Höffe in seiner Rekonstruktion des Hobbesschen Naturzustandsarguments im Leviathan zwischen dem primären und dem sekundären Naturzustand unterschieden: während dieser "von der Staatsform, damit auch von der öffentlichen Festlegung und Durchsetzung subjektiver Rechte abstrahiert", werden im primären Naturzustand als einer weitergehenden Abstraktionsstufe "alle Rechte und die ihnen korrespondierenden Freiheitseinschränkungen beiseite gesetzt", so daß es nunmehr um einen Zustand geht, "der von allen Rechts- und Staatsverhältnissen sowie anderen Formen sozialen Zwangs frei ist und an den sich die Frage stellt, ob er auch rundum konfliktfrei ist." 52 Höffe versucht nun seinerseits, aus Hobbes' Überlegungen im Leviathan einen "Argumentationskern" herauszupräparieren, der auf systematisch störende und überflüssige Elemente verzichtet, um auf diese Weise das einzig entscheidende "Element einer unstrittigen Minimalanthropologie" freilegt, nämlich das Prinzip der Handlungsfreiheit, aufgrund welcher jedermann nach seinem Gutdünken handelt. Höffes Versuch einer Befreiung des systematischen Argumentationskerns von störenden und strittigen anthropologischen und empirischen Definitionselementen ist zuzustimmen, zumal Hobbes selbst - wie Höffe betont - in seinen Überlegungen in den Kapiteln XIII bis XV des Leviathan dem Prinzip der Handlungsfreiheit sehr nahe kommt.53 Leider diskutiert Höffe nicht die begründungstheoretischen Differenzen zwischen De Cive und dem Leviathan , was dazu führt, daß sein Rekonstruktionsversuch durch die Ausrichtung an der Argumentation im Leviathan zur Erneuerung eines Problems führt, das Hobbes im ersten Kapitel von De Cive bereits überzeugend gelöst hatte. Denn wird der primäre Naturzustand als Versuchsanordnung begriffen, in der die Handlungs- bzw. Willkürfreiheit in nuce zur Darstellung kommen soll, dann stellt sich die Frage nach der Art und Weise, in der von dieser Handlungsfreiheit auf den vernunftrechtlichen Begriff der Freiheit geschlossen werden soll. Gerade in dieser Hinsicht bestehen zwischen beiden Schriften tiefgreifende Unterschiede. Im dreizehnten Kapitel des Leviathan wird der Naturzustand durch empirische Konfliktursachen bestimmt und betont, daß das Fehlen einer Zwangsgewalt
52 53
Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 300, 293. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 309 f., 312.
4 Hüning
50
Α. Das Naturzustandsargument
unweigerlich einen kulturellen und zivilisatorischen Tiefstand zur Folge hat 54 , während eine Analyse der rechtslogischen Aspekte des Naturzustandes hier nicht stattfindet, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß Hobbes in diesem Zusammenhang den rechtstheoretischen Terminus des 'status naturae' durch den unbestimmteren Begriff der "Naturall Condition of Mankind" (Lev. XIII) ersetzt hat. Statt dessen wird gleich zu Beginn des Kapitels XIV in Verbindung mit dem Freiheitsbegriff der Rechtsbegriff als eine nicht weiter begründbare Definition eingeführt. 55 Demgegenüber erweist sich der Argumentationsgang in De Cive als überlegen, weil hier im Rahmen der Naturzustandskonzeption Handlungsfreiheit, Rechtsbegriff und Begriff des natürlichen Gesetzes von vornherein eine argumentative Einheit bilden. Daher ergibt sich auch im Hinblick auf Höffes terminologische Unterscheidung von primärem und sekundärem Naturzustand in De Cive ein anderes Bild als im Leviathan. Zwar wird auch hier, um die Abstraktionsstufe des primären Naturzustandes zu gewinnen, von den institutionellen und gesetzlichen Freiheitseinschränkungen abstrahiert, aber das Resultat dieses Abstraktionsprozesses verbleibt innerhalb der Sphäre des vernunftrechtlichen
Begründungsprogramms',
am
Ende steht nicht die von aller normativen Bedeutung befreite pure Handlungsfreiheit, sondern derjenige subjektive Freiheitsgebrauch, der seinerseits den Kern des natürlichen Rechts auf Selbsterhaltung bildet. In De Cive - so soll im folgenden gezeigt werden - bildet das Prinzip der vernunftrechtlich begründeten Freiheit bzw. die zugrundeliegende implizite Prämisse, daß der Mensch Rechtssubjekt ist, d. h. aufgrund seiner Vernunft das Recht hat, als frei handelndes Wesen anerkannt zu werden, die Grundlage der Deduktion der rechtlichen Notwendigkeit des Staates. Ausgehend vom Prinzip der Rechtssubjektivität wird dort gezeigt, daß der Naturzustand aufgrund der spezifischen Bedingungen der Rechtsdurchsetzung ein Zustand allseitiger und unvermeidlicher Rechtskonflikte ist, durch die der einzelne buchstäblich rechtlos, d. h. aller bestimmten und gesicherten Rechtsansprüche ledig wird, ohne deshalb schon seine Qualität als frei handelndes Subjekt einzubüßen. Aus dem Nachweis, daß unter den rechtlichen Bedingungen des Naturzustandes das subjektive Recht eines jeden aus strukturellen Gründen ein prekärer und von 54 Maluschke, Philosophische Grundlagen, S. 26; bei Maluschke führt die Konzentration auf die durch das Fehlen zivilisatorischer Errungenschaften geprägte Schilderung des Naturzustandes im Leviathan allerdings zu der Behauptung, der Krieg aller gegen alle sei ein "naturales Phänomen, ein Chaos entfesselter Leidenschaften im Naturzustand" (S. 29). 55 Dies mag mit dem Hobbesschen Wissenschaftsverständnis und insbesondere mit seiner Konzeption der Definition 1 als systematisch entscheidender Argumentationsgrundlage zusammenhängen. Aber diese von Hobbes wohl als darstellungsmethodische Verbesserung verstandenen Veränderungen des Naturzustandsarguments im Leviathan erweist sich bei näherer Betrachtung als äußerst problematisches Unternehmen, das in Wahrheit den Duktus der Argumentation, wie er zuvor in De Cive entwickelt wurde, zum Schaden der rechtsphilosophischen Aussagekraft zerstört.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
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niemandem anerkannter Anspruch bleiben muß, zieht Hobbes in De Cive den Schluß auf die Vernunftnotwendigkeit des Staates. Hobbes' epochale rechtsphilosophische Leistung liegt in der Erkenntnis, daß der Naturzustand nicht wegen der (vermeintlichen) anthropologisch bedingten Bösartigkeit ein Zustand der Rechtlosigkeit ist, sondern aufgrund seiner juridischen Struktur, die bewirkt, daß jeder nach eigenem Urteil und Gewissen über Recht und Unrecht seines Handelns entscheidet. Er zieht aus dieser Erkenntnis den gleichfalls richtungsweisendenSchluß, daß die Errichtung einer souveränen Staatsgewalt aus Gründen des Rechts, d. h. zwecks Überwindung der naturzuständlichen Rechtsantinomie objektiv notwendig und unbedingt verbindlich ist. Daß die Errichtung einer souveränen Staatsgewalt eine objektivrechtliche Notwendigkeit darstellt, besagt nichts anderes, als daß es nicht in der Willkür und dem Belieben der einzelnen steht, den Staat zu wollen. Sofern sie überhaupt als frei handelnde Wesen rechtlich anerkannt sein wollen, müssen sie notwendig die objektiven Bedingungen wollen, unter denen diese rechtliche Anerkennung ihrer Person möglich ist: sie müssen wollen, daß ihre individuelle Freiheit solchen Einschränkungen unterworfen wird, die aus Gründen allgemeiner Rechtssicherheit erforderlich ist, und sie müssen ihre Unterwerfung unter eine souveräne Zwangsgewalt als Garantiemacht der Rechtsordnung wollen, weil diese Unterwerfung die Vorbedingung ist, um den Bestimmungen der Rechtsidee Wirksamkeit zu verleihen. Somit liegt auch der Grund der Verbindlichkeit, den Gesetzen des Staates zu gehorchen, nicht in dem durch diesen Staat bewirkten Zwang, sondern in einer Forderung der (praktischen) Vernunft.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts Mit seinem vehementen Angriff auf die klassische Naturrechtslehre hatte Hobbes allen Versuchen, Recht und Gesetz der Menschen auf eine von ihrem Willen unabhängige teleologischen Naturordnung oder den Schöpfungswillen Gottes zu gründen, die Grundlage genommen. Wollte Hobbes aber infolge dieses Bruchs mit der Naturrechtstradition nicht in das andere Extrem des völligen Rechtsskeptizismus oder -positivismus verfallen, und sollte das natürliche Recht der Menschen nicht im buchstäblichen Sinne grundlos sein, dann mußte die Frage nach dem 'Fundament1 des natürlichen Rechts, d. h. die Frage, worauf sich die Qualität des Menschen, Träger subjektiver Rechte zu sein, eigentlich gründet und aus welcher Quelle ein Rechtsanspruch abgeleitet werden kann, zu einem zentralen Anliegen der neuen Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes werden. Der Nachdruck, mit dem Hobbes auf diese Notwendigkeit eines "Iuris naturalis fundamentum primum" (DC I, 7) verweist, ist ein deutliches Indiz dafür, daß er sich dieser begründungstheoretischen Problematik bewußt war: Seine Rechtstheorie vermag nur dann eine über4*
Α. Das Naturzustandsargument
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zeugende Alternative zu der vorhergehenden Naturrechtstradition zu liefern, wenn es gelingt, dem Begriff des subjektiven natürlichen Rechts eine unerschütterliche Grundlage zu verschaffen. In den Elements macht Hobbes selbst auf diesen Zusammenhang zwischen der Kritik an der Naturrechtstradition einerseits und der Notwendigkeit einer systematischen Neubegründung des natürlichen Rechts andererseits aufmerksam. Während seine Vorgänger in Sachen "justice and policy" ihre Systeme "in the air" gebaut hätten, so daß sie "in general do all invade each other, and themselves, with contradictions", erhebt Hobbes für sich den Anspruch, seine Theorie in dieser Hinsicht "inexpugnable" gemacht zu haben: "To reduce this doctrine [von "justice and policy", D.H.] to the rules and infallibility of reason, there is no way, but first, to put such principles down for a foundation, as passion not mistrusting may not seek to displace: And afterward to build thereon the truth of cases in the law of nature [...] by degrees, till the whole is inexpugnable" ( Elements , The Epistle Dedicatory, p. 19).
Mit der Suche nach dem "Iuris naturalis fündamentum primum" stellt sich Hobbes eine Aufgabe, die in systematischer Hinsicht vergleichbar ist mit der Suche nach dem archimedischen Punkt der Erkenntnisgewißheit, die Descartes in seinen Meditationes anstellt.56 Bei beiden Denkern zeigt sich neben der gemeinsamen Gegnerschaft gegen den scholastischen Traditionsbestand der Philosophie, den sie für den trostlosen Zustand der zeitgenössischen Wissenschaften verantwortlich machen, eine grundlegende Übereinstimmung in den methodologischen Aspekten ihrer Wissenschaftskonzeption. Im Unterschied zu bloßer prudentia, d. h. der Alltags- und Handwerksklugheit, die sich in vorwissenschaftlichen Kenntnissen erschöpft, aber keine rationale, auf dem Wissen von Gründen gestützte Erkenntnis darstellt 57, beruht Wissenschaft im strengen Sinne auf einem deduktiven und an der Methodik der Geometrie orientierten Beweisverfahren, in welchem selbstevidente, keines weiteren Beweises mehr fähige, in einem resolutiv verfahrenden Forschungsprozeß aufgedeckte Prinzipien die sichere Grundlage für die durch richtiges Schließen methodisch zu gewinnenden Folgerungen bilden. Durch den deduktiv-methodischen Begründungszusammenhang bilden die selbstevidenten Prinzipien einerseits und die aus ihnen abgeleiteten Schlußfolgerungen andererseits ein geschlossenes System wissenschaftlich begründbarer Aussagen. Exakt in diesem Sinne beansprucht Hobbes, die politische Philosophie auf sichere Grundlagen zu stellen. Es wird sich im folgenden zeigen, 56
Descartes , Meditatio Π, 1; AT VII, p. 24: "Nihil nisi punctum petebat Archimedes, quod esset firmum & immobile, ut integram terram loco dimoveret; magna quoque speranda sunt, si vel minimum quid invenero quod certum sit & inconcussum." 57 Zur Unterscheidung zwischen rationaler, methodisch gewonnener Erkenntnis und bloßem Erfahrungswissen ("Experience, in which consistetti Prudence") vgl. Lev. XL VI, p. 458.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
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daß Hobbes zur Fundierung des natürlichen Rechts auf Aussagen über die menschliche Natur zurückgreift: Ausgangspunkt der Hobbesschen Deduktion des subjektiv-natürlichen Rechts ist die Behauptung, daß Menschen aufgrund ihrer natürlichen Verfaßtheit danach streben, sich selbst zu erhalten. In einer sehr dichten und deshalb nicht leicht zu entschlüsselnden Argumentation leitet Hobbes aus dieser Anspruchsgrundlage ein unbeschränktes Recht auf alles ab, das seinerseits die Basis für die Lehre vom Krieg aller gegen alle bildet. Die Schrift De Cive knüpft als dritter Teil innerhalb des Hobbesschen Systems der Philosophie58 an die Ergebnisse der systematisch vorhergehenden Anthropologie an, die in den ersten sechs Abschnitten des ersten Kapitels mit der Aufzählung der vier Vermögensgattungen der menschlichen Natur: "Vis corporea, Experientia, Ratio, Affectus" (DC I, 1), resümiert wird. Diese Aufzählung bildet die Grundlage für die Behandlung der Frage, inwieweit die Menschen von Natur aus, d. h. im Hinblick auf ihre anthropologische Verfaßtheit, zur Gesellschaft geeignet und befähigt sind und welches Motiv die Triebfeder der Vergesellschaftung ist. Hobbes macht zwar im Rahmen der Begründung des natürlichen Rechts von anthropologischen Voraussetzungen Gebrauch, die im Hinblick auf das Lehrstück vom Naturzustand von problemkonstitutiver Bedeutung sind, insofern sie die allgemeinen Bedingungen der menschlichen Natur formulieren, mit denen die philosophische Rechtstheorie zu rechnen hat. 59 Aber dies bedeutet nicht, daß das Lehrstück vom Naturzustand das faktische Verhalten der Menschen zum Gegenstand hat oder daß Hobbes die Menschen hier in anthropologischer Hinsicht thematisiert: wenn Hobbes lehrt, daß der nichtstaatliche Zustand der Menschen sich notwendigerweise als Kriegszustand darstellt, so liegt der Grund hierfür seiner Auffassung nach nicht in anthropologischen Defiziten wie z. B. in der naturhaften Bösartigkeit, geschweige denn in der angeblichen Wolfsnatur der Menschen: den Schluß von dem Grundsatz der notwendigen Konflikthaftigkeit eines nichtstaatlichen Zustandes auf die natürliche Bösartigkeit der Menschen hat Hobbes ausdrücklich als fehlerhaft zurückgewiesen.60 Ebensowenig ist der Weg zur Überwindung des Naturzustandes von der Voraussetzung bestimmter anthropologischer Eigenschaften abhängig. 58
Dieser systematische Zusammenhang besteht unbeschadet des Umstands, daß die Schrift De Homine erst 1658 erschienen ist. Im Titel der Erstauflage von 1641 ("Elementorvm Philosophie Sectio Tertia De Cive") ist diese Stellung der Rechtsphilosophie im System der Philosophie deutlich ausgedrückt. In der zweiten, 'offiziellen', d. h. für das breitere Publikum gedachten Auflage hat Hobbes auf Anraten seines Verlegers den Systembezug eliminiert, vgl. hierzu Warrender, Editor's Introduction, in: De Cive. The Latin Version, pp. 5, 10. 59 Auf die zwar problemkonstitutive, aber nicht problemlösungsrelevante Funktion der Hobbesschen Anthropologie haben mit Nachdruck Geismann/Herb (Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 22; Scholion 190, S. 118 f.) hingewiesen. 60 DC, Praefatio ad lectores, pp. 80-81.
Α. Das Naturzustandsargument
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In diesem Zusammenhang hat sich Hobbes polemisch gegen die Aristotelische und von der Stoa im Rahmen der οίκείωσις-Lehre 61 weiterentwickelte Konzeption des Menschen als ζώον πολιτικόν gewandt, die auch das scholastische Naturrechtsdenken 62 entscheidend geprägt hat: "Eorum qui de Rebus publicis aliquid conscripserunt, maxima pars, vel supponunt, vel petunt, vel postulant, Hominem esse animal aptum natum ad Societatem, Graeci dicunt Ζώον πολιτικόν, eoque fundamento ita superaedificant doctrinam ciuilem, tanquam ad conseruationem pacis, & totius generis humani regimen, nihil aliud opus esset, quam vt homines in pacta & conditiones quasdam, quas ipsi iam tum leges appellant, consentirent. Quod Axioma, quamquam à plurimis receptum, falsum tarnen errorque à nimis leui naturae humanae contemplatione profectus est. Causas enim quibus homines congregante, & societate mutua gaudent, penitiùs inspectantibus, facilè constabit, non ideo id fieri, quod aliter fieri natura non possit, sed ex accidente" (De cive I, 2).
Während die weiteren Passagen des Haupttextes von DC I, 2 zunächst den Anschein erwecken, als beträfe der Bruch mit dem Aristotelischen Axiom die Überzeugung, daß der Mensch auf die Gesellschaft angewiesen ist und nur in ihr ein seiner eigentlichen Bestimmung gemäßes Leben fuhren könne, so schafft die dazugehörige Anmerkung Klarheit über die Stoßrichtung dieser Polemik gegen das Axiom der vorhergehenden politischen Philosophie: zwar könne es merkwürdig scheinen, daß ein Autor bereits zu Beginn seiner 'doctrina civilis' seine Leser mit der anstößigen Behauptung provoziere, "Hominem ad Societatem aptum natum non esse", wo es doch offensichtlich sei, daß Menschen, soweit durch Erfahrung bekannt, immer nur unter vergesellschafteten Bedingungen existierten. Aus diesem Faktum folge jedoch nicht, daß die staatliche Verfaßtheit der Gesellschaft etwas sei, das gleichsam zwanglos, ohne eine entsprechende "disciplina", aus der Angewiesenheit der Menschen auf irgendwelche Formen der Vergesellschaftung überhaupt erwachsen würde. In der Verwechslung beider Aussagen besteht nach Hobbes der Fehler des Aristotelischen Axioms, der Mensch sei ein ζώον πολιτικόν: Dieses Axiom beruhe auf dem Fehlschluß von der für die Menschen aufgrund ihrer Bedürftigkeit konstitutiven Vergesellschaftung auf das unmittelbare Vorhandensein der rechtlichen Bedingungen dieser Vergesellschaftung selbst, so als ob die anthropologische Grundausstattung für sich genommen hinreichen würde, den Menschen eine friediche Existenz unter Rechtsgesetzen zu sichern.
61
Vgl. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen, VII, 85 f.; Cicero, De finibus ΙΠ, 63: "Itaque natura sumus apti ad coetus, concilia, civitates"; ΙΠ, 65: "ad coniunctionem congregationemque hominum et ad naturalem communitatem esse natos"; De officiis I, 12: "Eademque natura vi rationis hominem conciliât homini et ad orationis et ad vitae societatem". 62 Thomas von Aquin, Summa theologiae I, q. 96, a 4; Π-Π, q. 109, a. 3; q. 114, a. 2 ad 1; q. 129, a. 6 ad 1; Suàrez, De legibus ΠΙ, I, 3.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
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In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Menschen von den sog. staatenbildenden Tieren, während diese sich instinktiv zu einer naturwüchsigen Gemeinschaft vereinigen, in welcher das Auseinanderfallen von besonderem und allgemeinem Interesse ausgeschlossen ist, und sie aus diesem Grunde keiner politischen Institution bedürfen, um zu einer Übereinstimmung zu gelangen63, befinden sich die Menschen, gerade weil ihr Handeln auf ihrer Fähigkeit zu vernünftiger Selbstbestimmung beruht und auf ein bonum sibi, das nur in bezug auf das vorhergehende Begehren subjektiv zufallig ist und ihrem freien Urteil unterliegt, ausgerichtet ist, in einem Zustand, in dem das bonum sibi sich jederzeit und in jeder Hinsicht im Widerspruch nicht nur mit dem besonderen bonum sibi aller anderen, sondern auch zu den allgemeinen Voraussetzungen freien Handelns und damit auch zu sich selbst befindet. Die freie Selbstbestimmung der Handelnden in bezug auf das bonum sibi schließt daher jede Form einer natürlichen bzw. unmittelbaren gesellschaftlichen Übereinstimmung ihrer Zwecksetzungen und Handlungen aus. Die empirischen Zwecke der Menschen, die ihrerseits auf subjektiven Bestimmungsgründen in Gestalt von Lust und Unlust beruhen, können unter kein allgemeines Prinzip subsumiert und nicht zum Gegenstand einer Gesetzgebung gemacht werden, welche die Freiheit der einzelnen in allgemeingültiger Weise bestimmt. Im Hinblick darauf, was jeder von Natur aus als bonum sibi erstrebt, kann es keine rechtliche Übereinstimmung des Willens aller geben. Gerade weil der Mensch 'von Natur aus' befähigt ist, sich selbst als in sich reflektiertes Fürsichsein, d. h. als ein Individuum, das sich von allen anderen unterscheidet und sich eigene Zwecke setzt, zu begreifen und entsprechend auch zu handeln, kann die gesuchte gesellschaftliche Übereinstimmung ihres Wollens nicht in den natürlichen Bedingungen ihrer Existenz gefunden werden. Die "consensio hominum artificiosa est" (DC V, 5), d. h. es ist die Aufgabe der Menschen selbst, durch ihre eigene Vernunft diese rechtliche Form der Übereinstimmung ihres Wollens zu stiften. 64 Für die systematische Auflösung dieses Problems
63
Weil Ameisen und Bienen keiner politischen Institutionen bedürfen, um zu einer Übereinstimmung ihrer Aktivitäten zu gelangen, können sie nicht als politische Lebewesen im eigentlichen Sinne bezeichnet werden: "Non sunt tarnen ccetus eorum ciuitates, neque ideò ipsa ammalia politica dicenda sunt" (DC V, 5), denn ihnen fehlt dasjenige Moment, das Hobbes im Rahmen seiner Staatsrechtslehre als definiens der Staatlichkeit entwickelt. Die Ordnung im Ameisen- oder Bienen'staat' hat keinen institutionellen Charakter: die instinktive Übereinstimmung der Tiere stiftet keine politisch verfaßte Willenseinheit: "consensio creaturarum illarum brutarum naturalis est". 64 Die mit der Konstitution einer Staatsgewalt einhergehende Disziplinierung' des Individuums ("Ad societatem ergo homo aptus, non naturâ sed disciplina factus est", DC I, 2 annotatio) begreift Hobbes ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der entsprechenden rechtlich-politischen Funktionsnotwendigkeiten der societas civilis. Hierin unterscheidet er sich von Rousseau, für den der Übergang vom Natur- zum staatlichen Zustand zugleich mit einem "changement très remarquable" der menschlichen Natur selbst verbunden ist. Während Hobbes sich darauf beschränkt, das Ver-
56
Α. Das Naturzustandsargument
ist jedoch die Annahme eines natürlichen Geselligkeitstriebes völlig irrelevant. Denn auch wenn man zugesteht, daß die Menschen "natura cogente" einander bedürfen, so folgt aus dieser Annahme nicht zugleich, daß die Menschen auch im äußeren Gebrauch ihrer Freiheit nach Rechtsprinzipien übereinstimmen.65 Deshalb ist es auch ein Mißverständnis, wenn Hobbes vorgeworfen wird, er habe die "Gesellungsbedürftigkeit der Menschen" außer acht gelassen hätte.66 Der Grund, warum Hobbes entschieden mit allen Versuchen bricht, die menschliche Natur in Gestalt eines Geselligkeitstriebs (appetitus socialis) als Geltungsgrund des Rechts einzuführen, liegt in seiner Einsicht, daß diese in der Bedürftigkeit der menschlichen Natur begründete Notwendigkeit des Zusammenlebens überhaupt kein Prinzip darstellt, gemäß welchem darüber entschieden werden kann, wie der äußere Freiheitsgebrauch der Menschen rechtlich zur Übereinstimmung gebracht werden könnte. Könnten die Menschen bloß aufgrund ihrer natürlichen Existenzbedingungen in rechtlicher Übereinstimmung leben, gäbe es überhaupt keinen Bedarf für eine staatliche Herrschaft, "because there would be Peace without subjection" (Lev. XVII, p. 119). Im Zentrum der vorbereitenden Überlegungen des ersten Kapitels von De Cive steht der Grundsatz der natürlichen Gleichheit der Menschen, der eng
mit der vorhergehenden antiaristotelischen Polemik verknüpft ist. Sowenig die Menschen bloß aufgrund ihrer natürlichen Eigenschaften in rechtlicher Übereinstimmung miteinander leben, sowenig existieren von Natur aus irgendwelche rechtlichen Unterschiede oder Herrschaftsbeziehungen. Unter der natürlichen Gleichheit versteht Hobbes nicht, daß die Menschen hinsichtlich ihrer physischen Verfaßtheit faktisch gleich sind, denn er selbst spricht in diesem Zusammenhang von der Ungleichheit physischer und geistiger Vermögen. Die natürliche Gleichheit liegt vielmehr darin, daß von den Menschen - unbeschadet ihrer körperlichen oder geistigen Verschiedenheit - aufgrund ihrer hältnis von status naturalis und status civilis unter dem Aspekt des unterschiedlichen Modus des jeweiligen Freiheitsgebrauchs zu bestimmen, ist fur Rousseau der Eintritt in den état civil mit einem zivilisatorischen Fortschritt verbunden, der aus einem "animal stupide et borne [...] un être intelligent et un homme" (CS I, 8; OC ΠΙ, pp. 364365) werden läßt. 65 Vgl. DC I, 2 annotatio: "Porrò tametsi ea conditione natus esset homo ut societatem appeteret, non sequitur eundem ita natum esse ut societati ineundae sit idoneus", sowie Geismann/Herb (Hobbes über die Freiheit, Scholion 165, S. 106-108). 66 DießeIhorst, Ursprünge des modernen Systemdenkens bei Hobbes, S. 50 f. Maluschke (Philosophische Grundlagen des Verfassungsstaates, S. 53) behauptet, für Hobbes sei im Unterschied zu John Locke der Naturzustand nicht nur ein vorstaatlicher, sondern auch vorgesellschaftlicher Zustand gewesen. Aber auch diese Einschätzung trifft den Kern des Hobbesschen Naturzustandsarguments nicht: fiir Hobbes zeichnet sich der Naturzustand weniger durch das Fehlen gesellschaftlicher Beziehungen aus, als durch das Fehlen von Rechtsverhältnissen, die ihrerseits Sozialbeziehungen zwischen den einzelnen erst ermöglichen.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
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Fähigkeit, frei zu handeln und dadurch fremdes Handeln zu beeinträchtigen, das gleiche Gefährdungspotential ausgeht: "Aequales sunt qui aequalia contra se inuicem possunt; At qui maxima possunt, nimirum occidere, aequalia possunt. Sunt igitur omnes homines naturâ inter se aequales" (DC I, 3). Daß die Menschen von Natur aus gleich sind, bedeutet darüber hinaus, daß in den natürlichen Bedingungen ihrer Existenz keine Gründe für rechtliche Ungleichheit oder Herrschaftsverhältnisse liegen. 67 Erst im Abschnitt 7 geht Hobbes dazu über, aus den vorangegangenen Aussagen über die empirische Natur der Menschen Schlüsse auf ihre Qualität als Naturrechtssubjekte zu ziehen. 6 8 Der gesamte Abschnitt trägt den Titel "Definitio j u r i s " 6 9 und präsentiert folgendes Argument: "Fertur enim vnusquisque ad appetitionem eius quod sibi Bonum, & ad Fugam eius quod sibi malum est, maximè autem maximi malorum naturalium, quae est mors; idque necessitate quadam naturae, non minore quam qua fertur lapis deorsum. Non igitur absurdum, neque reprehendendum, neque contra rectam rationem est, si quis omnem operam det, vt à morte & doloribus proprium corpus & membra defendat, conseruetque. Quod autem contra rectam rationem non est, id iustè, & Iure factum omnes dicunt. Neque enim Iuris nomine aliud significatur, quam libertas quam quisque habet facultatibus naturalibus secundum rectam rationem vtendi. Itaque Iuris naturalis fundamentum primum est, vt quisque vitam & membra sua quantum potest tueatur" (DC I, 7). 7 0 Die hier ausgesprochene Verknüpfung von Selbsterhaltung und Naturrecht hat in der Geschichte der Rechtsphilosophie eine lange Tradition: In formeller 67
Vgl. Hobbes' wiederholte Polemik gegen die Aristotelische Annahme natürlicher Sklaverei: "I know that Aristotle in the first booke of his Politiques, for a foundation of his doctrine, maketh men by Nature, some more worthy to Command, meaning the wiser sort. [...] [A]s if Master and Servant were not introduced by consent of men, but by difference of Wit. [...] If Nature therefore have made men equall; that equalitie is to be acknowledged: or if Nature have made men unequal; yet because men that think themselves equall, will not enter into conditions of Peace, but upon Equall termes, such equalitie must be admitted." (Lev. XV, p. 107). Vgl. die fast gleichlautenden Formulierungen in DC ΙΠ, 13. 68 Die Schlüsselstellung von DC I, 7 betonen Geismann/Herb (Hobbes über die Freiheit, Scholion 190, S. 118 f.): "Genau an dieser Stelle, nicht früher und nicht später, beginnt [...] Hobbes' [...] Rechtsphilosophie'. Nicht früher: Die vorhergehenden Passagen dienen der Problemkonstitution. [...] Ab De Cive I, 7 bahnt Hobbes den Rechtsweg zu einer allgemeinen Konfliktlösung." 69 So in der Erstauflage von 1642; der Randtitel ist in den späteren Auflagen verändert in "Definitio Iuris & Iure facti". 70 Angesichts der fortwährenden Opposition gegen die Naturrechtstradition ist es im Hinblick auf das Hobbessche Selbstverständnis bemerkenswert, daß er hier der Form nach auf die klassische Definition des natürlichen Rechts ('gerecht von Natur ist dasjenige, was der recta ratio nicht widerspricht') zurückgreift; s. Thomas von Aquin, Summa theologiae Ι-Π, q. 95, a. 2: "In rebus autem humanis dicitur esse iustum ex eo quod est rectum secundum regulam rationis." sowie Aristoteles, Nikomachische Ethik VI, 13; 1144 b 21 ff.
Α. Das Naturzustandsargument
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Übereinstimmung mit den wichtigsten Vertretern der Naturrechtstradition von Chrysipp 71 , Cicero 72 und Thomas von Aquin 7 3 bis hin zu Grotius 74 , Locke 7 5 und Rousseau76 geht auch Hobbes von einem - durch den empirischen Zweck der Selbsterhaltung bedingten - allgemeinen Recht der Menschen aus. 7 7 Aber zugleich macht die Art und Weise, in der er das Selbsterhaltungsstreben bestimmt, seinen Bruch mit der Tradition deutlich: War für diese das Recht auf Selbsterhaltung eine durch das natürliche Gesetz bedingte und daher durch das bonum commune beschränkte Befugnis, so löst Hobbes den Selbsterhaltungstrieb sowohl vom Sozialitätsprinzip als auch von seiner Einbindung in die lex naturae-Konzeption vollkommen ab, wodurch das Selbsterhaltungsstreben als solches seiner staatsbildenden Kraft und damit seiner traditionellen 71
Vgl. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen, VE, 85. Cicero, De officiis I, 11: "Principio generi animantium omni est a natura tributum, ut se, vitam corpusque tueatur, declinet ea, quae noscitura videantur, omniaque, quae sint ad vivendum necessaria anquirat et paret, ut pastum, ut latibula, ut alia generis eiusdem"; De officiis ΙΠ, 22: "Nam sibi ut quisque malit, quod ad usum vitae pertineat, quam alteri adquirere, concessum est non repugnante natura, illud natura non patitur, ut aliorum spoliis nostras facultates, copias, opes augeamus"; vgl. außerdem die einschlägigen Passagen in De finibus Π, 33; ΠΙ, 16; IV, 25; V, 24. 73 Thomas von Aquin, Summa theologiae Ι-Π, qu. 94, a. 2: "Inest enim primo inclinatio homini ad bonum secundum naturam in qua communicat cum omnibus substantiis: prout scilicet quaelibet substantia appétit conservationem sui esse secundum suam naturam." 7 4 Grotius , JBP 1,2. 75 Locke , ST § 6: "Every one as he is bound to preserve himself, and not to quit his Station wilfully; so by the like reason when his own Preservation comes not in competition, ought he, as much as he can, to preserve the rest of Mankind, and may not, unless it be to do Justice on an Offender, take away, or impair the life, or what tends to the Preservation of the Life, the Liberty, Health, Limb, or Goods of another." Da der einzelne durch das göttliche Gesetz zur Selbsterhaltung verpflichtet ist, entspringt aus dieser Verbindlichkeit zugleich ein Rechtsanspruch gegen andere, in erster Linie das "Right of Self-preservation", das aber seinerseits mit der Pflicht und dem "Right of Preserving all Mankind" (ST § 11 u. ö.) verknüpft ist. 7 6 Rousseau, CS I, 2; OC ΠΙ, p. 352: "Cette liberté commune est une conséquence de la nature de l'homme. Sa premiere loi est de veiller à sa propre conservation, ses premiers soins sont ceux qu'il se doit à lui-même, et, sitôt qu'il est en âge de raison, lui seul étant juge des moyens propres à se conserver devient par-là son propre maitre"; Emile Π; OC IV, p. 307: "On croit que l'homme a un vif amour pour sa conservation, et cela est vrai, mais on ne voit pas que cet amour tel que nous le sentons est en grande partie l'ouvrage des hommes. Naturellement l'homme ne s'inquiete pour se conserver qu'autant que les moyens en sont en son pouvoir." Auch die "maxime de bonté naturelle" des Discours sur l'inégalité ("Fais ton bien avec le moindre mal d'autrui qu'il est possible", OC ΙΠ, p. 156) aktualisiert das Gedankengut der stoischen Ethik. Allerdings handelt es sich bei dem Rückgriff auf stoisches Gedankengut um isolierte Überlegunen, von denen Rousseau im Rahmen seiner Rechtsbegründung keinen systematischen Gebrauch macht. 7 7 Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 43 f. 7 2
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Begründungsfunktion entkleidet wird. In dieser Hinsicht ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß die Besonderheit von Hobbes1 Begriff des natürlichen Rechts und seine Differenz zur traditionellen Naturrechtslehre nicht in "dessen Definiertheit durch den empirischen Zweck der Selbsterhaltung" besteht, sondern in der "konsequente[n] Analyse der mit diesem Naturrecht analytisch verbundenen rechtlichen Implikate".78 Das Argument, das Hobbes im obigen Zitat vorträgt, umfaßt drei methodische Schritte: zunächst eine Deduktion, die in eine Definition des natürlichen Rechts mündet, welche dann ihrerseits in einem Nachsatz näher erläutert wird. Die Deduktion des Rechtsbegrififs wird von Hobbes in Form eines Syllogismus präsentiert: aus den beiden Vordersätzen, (1) daß Menschen aufgrund einer natürlichen Notwendigkeit das größte natürliche Übel, den Tod, unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu vermeiden streben, und (2) daß dann, wenn eine Handlung unter der Bedingung dieser Notwendigkeit steht, sie weder als absurd, noch als tadelnswert, noch als vernunftwidrig bezeichnet werden kann, folgert Hobbes, (3) daß eine solche - sowohl durch das naturnotwendige Streben nach Selbsterhaltung bzw. Todesvermeidung bedingte, wie durch die Vernunft legitimierte - Handlung zulässig bzw. erlaubt ist. Von demjenigen, dessen Handeln die aufgezeigten Bedingungen erfüllt, kann gesagt werden, er habe in moralisch zulässiger Weise bzw. gerecht 79 sowie mit Recht gehandelt ("iustè, & Iure factum", DC I, 7). An diese Definition des natürlichen Rechts - rechtmäßig ist solches Handeln, das gemäß dem Urteil der rechten Vernunft mit den Bedingungen möglicher Selbsterhaltung vereinbar ist - schließt eine Erläuterung (4) an, in welcher der zuvor abgeleitete Begriff des natürlichen Rechts als freie und vernünftige Selbstbestimmung präzisiert wird. 80 Das logische Bedingungsverhältnis der verschiedenen Elemente des Arguments (natürliche Notwendigkeit, Selbsterhaltung, natürliches Recht, rechte Vernunft und Freiheit) ist jedoch, wie im weiteren noch zu zeigen sein wird, keineswegs so eindeutig, wie es die syllogistische Form des
7 8
Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 20. Die in der deutschen Ausgabe von De Cive zufindende Übersetzung von 'iustus' mit 'richtig' scheint mir irreführend, denn mit der Kombination von 'justus & iure' spielt Hobbes nicht nur auf die seit dem Corpus Juris Civilis geläufige Formel "De iustitia et iure" an, sondern macht mit der Kombination beider Termini vielmehr deutlich, daß solches Handeln weder gegen die Bedingungen der Moral noch des Rechts, d. h. weder gegen die Idee der inneren noch der äußeren Gerechtigkeit verstoßen kann. 80 "Neque enim Iuris nomine aliud significata, quam libertas quam quisque habet facultatibus naturalibus secundum rectam rationem vtendi" (DC I, 7). Hatte Hobbes in der abstrakten Definition des natürlichen Rechts (recht und gerecht ist das, was nicht der rechten Vernunft widerspricht) die scholastische Formel übernommen, so erfolgt diese Erläuterung der Rechtsdefinition sicherlich in Anlehnung an das Römische Recht, das die rechtliche Freiheit definiert als diejenige "naturalis facultas eius, quod cuique facere libet, nisi si quid vi, aut iure prohibetur" verstanden wird (Inst. I, 5,4). 79
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Arguments nahelegt, so daß sich die Frage stellt, was denn eigentlich das gesuchte "fiindamentum primum" des natürlichen Rechts ist. Damit ist eine weitere Frage eng verknüpft: auf welche Weise gelangt Hobbes von einführenden Aussagen über die Natur des Menschen zum Begriff des Rechts, in welchem Verhältnis also stehen deskriptiv-anthropologische und normative Aussagen zueinander? Zunächst ist auffällig, daß Hobbes die Gültigkeit seiner Behauptung, daß die Menschen immer und überall den Tod als größtes Übel zu vermeiden streben, nicht beweist, sondern als plausible anthropologische Feststellung voraussetzt. Zusammen mit der "cupiditas naturalis" gehört das Streben nach Selbsterhaltung für Hobbes zu den "certissima naturae humanae postulata" (DC, Epistola Dedicatoria, p. 75). Im Sinne des Hobbesschen Methodenverständnisses handelt es sich also um die selbstevidenten Prinzipien, die keiner weiteren Begründung fähig noch bedürftig sind, die gerade deshalb als Grundlage der gesamten weiteren Argumentation dienen.81 Die systematisch relevante Problematik betrifft jedoch weniger den vorausgesetzten Wahrheitsgehalt dieser Prämisse als die Art und Weise, in der Hobbes auf dieser Grundlage zur Deduktion des Rechtsbegriffs zu gelangen sucht. In der Tat beginnen an dieser Stelle die eigentlichen interpretatorischen Schwierigkeiten. Zunächst muß der begründungstheoretische Status der 'necessitas quadam naturae', auf die sich Hobbes zu Beginn seiner Argumentation (in DC I, 7) beruft, geklärt werden. Auf den ersten Blick scheint vieles dafür zu sprechen, daß Hobbes das natürliche Recht unmittelbar aus dem Streben nach Selbsterhaltung ableitet und daß für ihn der Gedanke einer Fundierung des subjektiven natürlichen Rechts in einer 'gewissen Notwendigkeit der Natur' seine Plausibilität daraus bezieht, daß das Streben nach Selbsterhaltung ein solches Gut darstellt, in bezug auf das der Wille von jedermann determiniert ist: was immer ein Mensch will, er kann es nicht im Widerspruch zu den Bedingungen möglicher Selbsterhaltung wollen. Daraus scheint weiterhin zu folgen, daß die natürliche Notwendigkeit der Selbsterhaltung unmittelbar die Kausalnotwendigkeit gewisser Handlungen impliziert, die ihrerseits keinem Verbot unterliegen können und deshalb ein subjektives natürliches Recht begründen. In diesem Sinne hat z. B. Reinhard Brandt argumentiert. Hobbes' Ableitung des natürlichen Rechts sei zunächst diejenige "des Rechts der Notwehr", indem er das "Naturrecht [...] in der Mtfwrgesetzlichkeit verankert". Demgemäß habe Hobbes den Versuch unternommen, den Rechtsbegriff via negationis, d. h. über den Nachweis einzuführen, daß Handlungen, die durch eine "natürliche Notwendigkeit" verursacht werden, nicht-willentliche Zwangs- und Reflexhandlungen sind, die ihrerseits nicht zum Gegenstand einer rechtlichen Normierung gemacht 81
Hobbes hegt daher keine Zweifel am Wahrheitsgehalt oder an der empirischen Verifizierbarkeit dieser Prämisse; vgl. Maluschke, Die philosophischen Grundlagen des Verfassungsstaates, S. 24.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
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werden können.82 Die Redeweise von der Verankerung des natürlichen Rechts der Selbsterhaltung in einer Naturgesetzlichkeit ist jedoch insofern irreführend, als Hobbes selbst in diesem Zusammenhang nur von einer "necessitas naturae" und von "impedimenta" spricht, durch welche die Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. Im Unterschied etwa zu Descartes oder Spinoza 83, welche die physikalische Notwendigkeit als Gesetz bezeichnen, wird bei Hobbes der Terminus "lex" ausschließlich im normativen Kontext verwandt. Der Terminus 'lex' ist nur auf solche Verhältnisse anwendbar, in denen es um das Verhältnis von Befehl und Gehorsam bzw. um die Beziehungen zwischen einem Gesetzgeber und einem mit Vernunft begabten Normadressaten geht. Aus diesem Grunde bleiben bei Hobbes die Welt der physikalischen Notwendigkeit, d. h. der regelmäßigen Abfolge von Ursachen und Wirkungen, und die moralisch-rechtliche Welt des Nomos - jedenfalls terminologisch - strikt getrennt. Hobbes1 neue Grundlegung der Rechtsphilosophie wird mißverstanden, wenn man sie - wie ζ. B. Habermas dies tut - als Ablösung der klassischen Ethik des Naturrechts durch eine "moderne Physik der menschlichen Natur" interpretiert, um dann gegen Hobbes den Vorwurf eines "äquivoken Gebrauch[s] des Terminus Naturgesetz" zu erheben. Es ist unbelegt und unzutreffend, wenn behauptet wird, daß Hobbes sowohl "den kausalen Zusammenhang der asozialen Triebnaturen" als auch "die normative Regelung ihres sozialen Zusammenlebens nach der vertraglichen Konstituierung von Gesellschaft und Staat" als 'Naturgesetz' bezeichne.84 Die Annahme, Hobbes leite das natürliche Recht aus der durch die Notwendigkeit des Selbsterhaltungsstrebens verursachten Unvermeidlichkeit bestimmter Notwehrhandlungen ab, erweist sich bei genauerer Berücksichtung seiner handlungstheoretischen Überlegungen und der "definitio juris" als nicht haltbar. Zwar kann es für Hobbes als striktem Deterministen keine Freiheit in 82
Brandt, Der Autor des Leviathan, S. 156 f. Descartes, Discours de la méthode V, 2-3 (AT VI, pp. 41-43); Principia philosophiae Π, 37 (AT VIII-1, p. 62); Spinoza , Tractatus theologico-politicus, cap. IV. 84 Habermas , Die klassische Lehre von der Politik in ihrem Verhältnis zur Sozialphilosophie, S. 69 ff. - Obwohl der Begriff des Naturgesetzes schon in der Antike von einzelnen Autoren, z. B. von Lukrez (De rerum natura VI, 907), zur Bezeichnung der Notwendigkeit und Regelmäßigkeit von Naturphänomenen verwendet wurde (vgl. hierzu Reich, Der historische Ursprung des Naturgesetzbegriffs, S. 121-134), bildet die Anwendung des Gesetzesbegriffs auf physikalische Sachverhalte im 17. Jahrhundert eher eine Ausnahme. So geht Suarez (De legibus I, 1,2) davon aus, daß die "necessitas naturalis" nur "per metaphoram" als Gesetz bezeichnet werden könne, "nam res carentes ratione non sunt proprie capaces legis, sicut nec obedientiae". Ebensowenig benutzen Bacon, Galilei, Locke oder Newton - wie Zilsel (Die Entstehung des Begriffs des physikalischen Gesetzes, S. 66-97) und Casini (La loi naturelle, pp. 417^432) gezeigt haben - den Terminus 'lex' im modernen naturwissenschaftlichen Sinne. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts setzt sich der Gesetzesbegriff im allgemeinen Sprachgebrauch als Terminus zur Bezeichnung physikalisch-kausaler Sachverhalte durch. 83
. Das Naturzustandsargument
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bezug auf den Willen selbst geben: "non enim volumus velie, sed facere" (DC V, 8). Anders als für Kant, für den die Zwecksetzung selbst "ein Act der Freiheit des handelnden Subjekts, nicht eine Wirkung der Natur" (TL, AA VI, 3853 f) ist, geht nach der deterministischen Auffassung von Hobbes alles Handeln "naturâ cogente" aus einer durch den Reiz äußerer Gegenstände verursachten Begehrung ("initium quidem exequendi ab appetitu") bzw. Ablehnung hervor. Aus dieser deterministischen Voraussetzung folgt, daß der Wille, da er selbst nicht frei ist, nur das "actionum voluntarium principium" (DC V, 8; VI, 11), also Prinzip des durch das Begehren motivierten Handelns sein kann. Der oberste Zweck der Selbsterhaltung ist die unveränderliche kausale Determinante des Wollens. Hobbes erkennt also nur die empirische Freiheit bzw. Willentlichkeit von Handlungen an, während er als Determinist die Willensfreiheit im eigentliche Sinne entschieden bestreitet. Die Annahme der Willensfreiheit sei absurd, weil dadurch die Geltung des Satzes vom Grunde aufgehoben und der Wille gewissermaßen zu einer Leerstelle im universellen Determinationszusammenhang der Natur werden würde. 85 Der Wille ist aus diesem Grunde nicht die Ursache der Inhalte dessen, was gewollt wird (der Objekte des Begehrens), sondern nur das formale Prinzip der Betätigung des Handelns.86 Wenn Hobbes von einer 'necessitas quadam naturae' spricht, die bewirkt, daß jeder nach dem bonum sibi' strebt und gleichzeitig das größte der natürlichen Übel, den Tod, flieht, dann ist dies die kausale Notwendigkeit des Begehrens: die Weise, in der bestimmte Objekte motivierend auf den Willen wirken, ist nach Hobbes mit der physikalischen Notwendigkeit, mit welcher ein Stein zu Boden fällt, vergleichbar. 87 Aber die Aussage, daß alles Begehren seiner Materie nach mit Notwendigkeit durch bestimmte Gegenstände verursacht wird, ist nach Hobbes widerspruchsfrei mit der Behauptung vereinbar, daß alle Handlungen, soweit sie überhaupt intentionalen Charakter haben, freiwilliger Natur sind: "Liberty , and Necessity are consistent; as in the water, that hath not only liberty , but a necessity of descending by the Channel; so, likewise in the Actions which men voluntarily doe: which, because they proceed from their will, proceedfrom liberty , and yet, because every act of mans will, and every desire, and inclination proceedeth from some cause, and that from another cause, in a continuali chaîne,
85
Vgl. Lev. XXI, p. 146: "[F]rom the use of the words Free-will , no Liberty can be inferred of the will, desire, or inclination, but the Liberty of the man; which consistetti in this, that he finds no stop in doing what he has the will, desire, or inclination to doe." 86 "Appetentibus agere quidem liberum esse potest; ipsum autem appetere non potest" (De Homine XI, 2). 87 Die 'gewisse Notwendigkeit der Natur' ist - und das ist der springende Punkt die Notwendigkeit der dem Handeln vorhergehenden Begehrung ("appetitus") oder Ablehnung ("fuga"), aber nicht die Notwendigkeit der Handlung selbst; vgl. De Homine XI, 1 ff.; Lev. VI, pp. 44-45.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
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(whose first link is in the hand of God the first of all causes,) they proceed from necessity " (Lev. XXI, pp. 146-147).
Freiwillige Handlungen ("voluntary actions"88) zeichnen sich dadurch aus, daß ihnen ein Entscheidungsprozeß vorhergeht, den Hobbes als Überlegung ("deliberatio" 89) bezeichnet, d. h. ein mentaler Prozeß des Abwägens von Verlangen, Abneigung, Furcht und Hoffnung. 90 Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht in der spezifischen Art und Weise, wie die Überlegung motivierend auf den Willen zu wirken vermag: Nur der Mensch ist nach Hobbes dazu befähigt, seine Entscheidungen einem vernünftigen Kalkül zu 88
"For a Voluntary Act is that, which proceed from the Will , and no other" (Lev. VI, p. 44); "because they [sc. "Actions which men voluntary doe", D.H.] proceed from their will, proceed from liberty" (Lev. XXI, p. 146); "for voluntary [action] presupposes some precedent deliberation , that is to say, some consideration , and mediation , of what is to follow , both upon the doing, and abstaining from the action deliberated of' (EW IV, p. 243). - Zum Unterschied zwischen willentlichen bzw. intentionalen und nicht-willentlichen Handlungen vgl. Elements ΧΠ, 3: "VOLUNTARY actions and omissions are such as have beginning in the will; all other are INVOLUNTARY or MIXED. Voluntary such as a man doth upon appetite or fear, involuntary such as he doth by necessity of nature, as when he is pushed, or falleth, and thereby doth good or hurt to another, mixed, such as participate of both". Von "Actions which men voluntarily doe" gilt: "because they proceed from their will, proceedfrom liberty " (Lev. XXI, p. 146). - Mit der Unterscheidung von willentlichen, unwillentlichen und gemischten Handlungen knüpft Hobbes an ein zentrales Lehrstück der ansonsten von ihm heftig bekämpften praktischen Philosophie des Aristoteles an. Zugleich aber besitzt die Definition der freiwilligen Handlungen auch eine subtile antiaristotelische Stoßrichtung. Denn während für Aristoteles (Nikomachische Ethik ΠΙ, 1; 1109 a 30 ff.) Handlungen, die aus Furcht vor Übeln, die von anderen angedroht werden, nicht als freiwillig gelten, da in diesem Falle das Prinzip der Handlung dem Handelnden selbst äußerlich ist und er nicht als Ursache betrachtet werden kann, erklärt Hobbes Freiheit (als Freiwilligkeit der Handlung; Lev. XXI, p. 146) und Furcht für vereinbar, da die Androhung von Übeln für den Handelnden zwar ein Motiv, nicht aber den letzten Grund seiner Entscheidung darstellt, der nur in der je eigenen deliberatio liegt. Wer also durch Furcht motiviert handelt, ist frei, insofern die Furcht, d. h. die Reflexion auf das drohende Übel, zum bestimmenden Motiv seines Willens geworden ist. Von dieser Differenzierung macht Hobbes in seiner Strafrechtslehre Gebrauch, insofern er die Strafbarkeit einer Handlung daran bindet, daß die Handlung willentlich vom Individuum verursacht worden ist. Er erweist sich als ein früher Vertreter derjenigen Position, welche die heutige Strafrechtslehre als 'kausalen Handlungsbegriff (vgl. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, S. 150 f.) bezeichnet. Darüber hinaus werden die nicht-willentlichen Handlungen von Hobbes nicht weiter betrachtet, da sie rechtstheoretisch weitgehend irrelevant sind. 89
De homine XI, 2; DC ΧΙΠ, 16; Lev. VI, p. 44. Wobei Hobbes die Überlegung, die letztlich die Entscheidung für eine bestimmte Handlung bewirkt, als ein Vermögen betrachtet, das der Mensch mit den Tieren gemeinsam hat; vgl. Lev. VI, p. 44; EW IV, p. 275; DC ΧΙΠ, 16: "Et deliberatio nihil aliud est nisi commodorum & incommodorum facti quod aggredimur, tanquam in bilance ponderatio, vbi quod praeponderat necessario secundum inclinationem suam procedit." 90
Α. Das Natuzustandsargument
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unterwerfen, das die Voraussicht und Vorhersage zukünftiger Handlungen und ihrer möglichen Wirkungen erlaubt. 91 Durch diese Befähigung, sein Handeln unter den Vorbehalt eines Zweck-Mittel-Kalküls zu stellen, in welchem aus einem vorgestellten Sachverhalt auf die möglichen Wirkungen desselben geschlossen wird 92 , sind die Menschen den Tieren überlegen: "I have said before, [...] that a Man did excell all other Animals in this faculty, that when he conceived any thing whatsoever, he was apt to enquire the consequences of it, and what effects he could do with it" (Lev. V, p. 34).
Aber auch solche Handlungen, die wie ζ. B. Notstands- und Notwehrhandlungen unter dem Eindruck unmittelbarer Todesfurcht vorgenommen werden, sind nach Hobbes willentliche, durch Überlegung vermittelte Handlungen, "[f]or no action of a man can be said to be without deliberation , though never be so sudden, because it is supposed that he had time to deliberate all the precedent time of his life, whether he should do that kind of action or not" (EWIV, p. 272).
Nun haben Handlungen, die aus existentiellen Grenzsituationen wie ζ. Β. unmittelbarer Todesfurcht hervorgehen, eine Eigentümlichkeit, die sie von allen übrigen willentlichen Handlungen unterscheidet: sie sind deshalb von besonderer Art, weil es zu solchen Handlungen der Gefahrenabwehr keine Alternative gibt, so daß die Überlegung immer eindeutig zu ihren Gunsten ausfällt, weil niemand wollen kann, sich im Falle eines Angriffs auf Leib und Leben nicht selbst zu verteidigen. Solche Handlungen, welche die unmittelbare Abwendung der Todesgefahr zum Inhalt haben, können aus einem zweifachen Grunde nicht zum Gegenstand einer rechtlichen Normierung bzw. eines Verbotes gemacht werden. Aber Notwehrhandlungen sind nicht deshalb straflos, weil sie aufgrund eines unwiderstehlichen "Naturimpulses"93 geschehen, sondern weil die für diesen Fall angedrohte Strafe unmöglich ein Motiv zur Unterlassung der Handlung sein kann. Denn die für den Fall der Übertretung der Verbotsnorm angedrohte größtmögliche Strafe, nämlich die Todesstrafe, kann im Hinblick auf ihre Motivationskraft nicht größer sein als dasjenige Übel, das dem Normadressaten im Falle der Handlungsunterlassung unmittel91
Vgl. hierzu die detaillierten Ausführungen von Cramer , Naturzustand und Vernunft, bes. S. 42-49. 92 Lev. ΙΠ, p. 21; V, p. 34. 93 Brandt , Der Autor des Leviathan, S. 156; der s., Rechtsverzicht und Herrschaft in Hobbes' Staatsverträgen, S. 45: "Die Notwehr ist eine 'natural necessity' (DC Π, 3), eine nicht mehr gesteuerte Reflexliandlung' und kann als solche nicht einem Verbotsgesetz unterliegen, sie muß folglich erlaubt werden und stellt zwangsläufig ein subjektives Recht dar, auf das realiter zu verzichten dem Menschen unmöglich ist." Würde Hobbes, wie Brandt argumentiert, das natürliche Recht aus der Unvermeidlichkeit reflexhafter Notwehrhandlungen ableiten, so könnte er auf diese Weise keine umfassende Handlungsermächtigung in bezug auf mögliches Tun und Unterlassen begründen. Das natürliche Recht würde in diesem Falle bestenfalls eine Schranke möglichen Verpflichtetseins aufstellen.
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
65
bar droht. 94 Folglich kann der Rechtsgrund irgendwelcher Handlungen nicht in der Unmöglichkeit für das Individuum liegen, angesichts der Todesgefahr sein Handeln noch willentlich zu bestimmen. Eine universelle rechtliche Befugnis, beliebige Handlungen zu tun oder zu unterlassen, kann aber auch nicht auf dem Wege der Verallgemeinerung des Grundsatzes der Unmöglichkeit einer Verbotsnorm in Beziehung auf nicht-willentliche Handlungen begründet werden 95, da dieser Grundsatz als Prämisse für das Recht auf alles, das doch das Zentrum für die Begründung der Widersprüchlichkeit des Naturzustandes ist, nicht ausreicht. 96 Sieht man sich den zweiten Vordersatz (2) des in DC I, 7 entfalteten Arguments genauer an, so scheint für Hobbes die Rechtfertigung von Handlungen darin zu liegen, daß sie sich aufgrund des Vernunftkalküls als adäquate Mittel auf den vorausgesetzten Zweck der Selbsterhaltung beziehen. Ein Recht auf eine Handlung zu haben, würde dann mit ihrer Zweckrationalität zusammenfallen. Aber es stellt sich die Frage, ob man dann noch sinnvollerweise von einer Berechtigung im normativen Sinne sprechen kann? Ist die Zweckrationalität einer Handlung schon ein hinreichendes Kriterium, um - wie Hobbes dies in seiner Schlußfolgerung (3) tut - davon sprechen zu können, daß jemand "iustè, & Iure" gehandelt hat? Nun spricht Hobbes selbst ausdrücklich davon, daß Handlungen, die dem Selbsterhaltungszweck dienen, nicht nur nicht 'absurd' sind, d. h. nicht im Widerspruch zur Zweckrationalität stehen, 94
Dieses Argument entwickelt Hobbes im Leviathan : "If a man by the terrour of present death, be compelled to doe a fact against the Law, he is totally excused; because no Law can oblige a man to abandon his own preservation. And supposing such a Law were obligatory; yet a man would reason thus, If I doe it not, I die presently; if I doe it, I die afterwards; therefore by doing it, there is time of life gaine Nature therefore compells him to the fact" (Lev. XXVII, p. 208). - Auch Kant (RL, AA VI, S. 235 f.) ist der Auffassung, daß es "kein Strafgesetz geben [kann], welches demjenigen den Tod zuerkennte, der im Schiffbruche, mit einem Andern in gleicher Lebensgefahr schwebend, diesen von dem Brette, worauf er sich gerettet hat, wegstieße, um sich selbst zu retten. Denn die durchs Gesetz angedrohte Strafe könnte doch nicht größer sein, als die des Verlusts des Lebens des ersteren. Nun kann ein solches Strafgesetz die beabsichtigte Wirkung gar nicht haben; denn die Bedrohung mit einem Übel, was noch ungewiß ist, (dem Tode durch denrichterlichen Ausspruch) kann die Furcht vor dem Übel, was gewiß ist, (nämlich dem Ersaufen) nicht überwiegen." Kant schließt also wie Hobbes von der Unmöglichkeit motivierender Wirkungen von Strafen im Falle existentieller Gefährdung auf ihre "subjective Straflosigkeit"; aber daraus kann nicht auf ihre "objective Gesetzmäßigkeit" geschlossen werden, da der Notstand die Gesetzwidrigkeit der jeweiligen Handlung voraussetzt. 95 So aber Brandt, Der Autor des Leviathan, S. 157: "Was für einen Teilbereich der menschlichen Handlungen - dem der Notlage - bewiesen wurde, läßt sich generalisieren: Die Handlungen, die ihm in der betrachteten Situation nicht verboten werden können, müssen ihm allgemein erlaubt werden, d. h. sie sind sein generelles Recht." 96 Diesen Einwand hat Siep (Diskussionsbeitrag, S. 168) gegen Brandts Ableitung des Naturrechts aus der Notwehr vorgebracht. 5 Hüning
Α. Das Natuizustandsargument
66
sondern auch nicht 'tadelnswert', also nicht zum Gegenstand einer moralischen Verurteilung gemacht werden können. Diese Verknüpfung von 'absurd' und zugleich 'nicht tadelnswert' scheint darauf hinzudeuten, daß für Hobbes Zweckrationalität und Rechtmäßigkeit bzw. Erlaubtsein einer Handlung zusammenfallen. In dem, was hier als conclusio (3) bezeichnet wird, greift Hobbes auf die traditionelle Formel des gerechten Handelns zurück: "Quod autem contra rectam rationem non est, id iustè, & Iure factum omnes dicunt." Diese Berufung auf die traditionelle Definition des gerechten Handelns vermag allerdings nicht zu überzeugen, wenn man in Betracht zieht, daß Hobbes' Begriff der recta ratio 97 im Gegensatz zur traditionellen Auffassung kein Vermögen materialer Werterkenntnis, sondern nur die formale Tätigkeit richtigen Schließens aus wahren Prämissen bzw. zweckrationales Kalkül ist. Erst in der an diese Rechtsdefinition anknüpfende Erläuterung (4) ("Neque enim Iuris nomine aliud significatur, quam libertas quam quisque habet facultatibus naturalibus secundum rectam rationem vtendi") bringt Hobbes ein Element ins Spiel, das den Weg zu einer normativen Betrachtung von Handlungen eröffnet. Denn der Begriff des Rechts im Sinne des Erlaubtseins einer Handlung wird nunmehr auf die praktische Freiheit der Menschen bezogen: er bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, innerhalb der Grenzen möglicher Selbsterhaltung von seiner Freiheit einen vernunftbestimmten Gebrauch zu machen, d. h. den im Rahmen seiner 'natürlichen Vermögen' möglichen äußeren Freiheitsgebrauch bestimmten (zweckrationalen) Regeln zu unterwerfen. In dieser Fähigkeit des Menschen, "sich innerhalb der dem Menschen von Natur möglichen Zwecke Regeln für sein Handeln zu machen" bzw. "sich in seinen äußeren Willkürhandlungen irgendwelchen Regeln gemäß zu bestimmen, die er sich selbst [...] gemacht hat" 98 , liegt sowohl der Grund der möglichen Rechtssubjektivität des Menschen als auch das ermöglichende Moment einer normativen Begründung von Rechtsgesetz und Rechtszwang. Durch diese Verknüpfung hat Hobbes eindeutig die Vernunft zum "Bestimmungsgrund für die Rechtlichkeit des Freiheitsgebrauchs" erklärt: "nur weil die Selbsterhaltung als vernunftgemäß erscheint, wird ihr Betreiben zum Recht".99
97
Vgl. hierzu Kapitel Β. IV. Ich gebrauche hier Formulierungen, derer sich Ebbinghaus (GS ΙΠ, S. 165) im Zusammenhang mit der Begründung seiner These bedient, daß auch die Kantische Rechtslehre zur Mobjektive[n] Aufstellung der Normen des Rechts" nur diese "aus der Erfahrung bekannte Freiheit" (S. 164), keineswegs aber die transzendentale Freiheit unterstellt. In der Tat ist Kant (TL, Einleitung X, AA VI, S. 396^ j) der Auffassung, daß die rechtliche Möglichkeit des Zwangs bloß in bezug auf diese äußere Freiheit "nach dem Satz des Widerspruchs" begründet werden kann und muß. 99 Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 193, S. 120. 98
IV. Die Suche nach dem Fundament des natürlichen Rechts
67
Aus der systematischen Verknüpfung zweier Aussagen - Menschen sind erstens mit Vernunft begabt, d. h. sie sind mit einem Vermögen ausgestattet, das sie befähigt, das Streben nach Selbsterhaltung einer rationalen Zweck-MittelBetrachtung zu unterwerfen und so die Leitung der Handlungen zu übernehmen100, und sie sind zweitens praktisch frei, weil ihr Handeln im Unterschied zu dem Verhalten instinktgeleiteter Tiere aus einer Vielzahl unterschiedlicher Optionen besteht - wird das Argument für die Rechtlichkeit des Handelns gewonnen: unter der Voraussetzung, daß alles Wollen der Menschen auf Selbsterhaltung als obersten Zweck abzielt, kann man den Menschen vernünftigerweise nicht die Berechtigung ihrer willentlichen Handlungen absprechen: "Non igitur absurdum, neque reprehendendum, neque contra rectam rationem est, si quis omnem operam det, vt à morte & doloribus proprium corpus & membra defendat, conseruetque." Dasjenige Moment der Rechtsdefinition, das eine vernunftrechtliche Befugnis zu freiem Handeln stiftet, ist also nicht die Kausalität der Handlungen aufgrund der Notwendigkeit der Selbsterhaltung, sondern ihre mögliche Vernunftbestimmtheit. Weil ein solches selbstbestimmtes Handeln nicht gegen die rechte Vernunft verstößt, sondern eine adäquate Zweck-Mittel-Relation herstellt, hat der Mensch ein Recht darauf, von seiner Fähigkeit, selbst gemäß seinem vernünftigen Urteil darüber zu bestimmen, welche Mittel zwecks Realisierung seiner Erhaltung praktisch notwendig sind, einen ungehinderten Gebrauch zu machen. Genau dieser Zusammenhang zwischen determiniertem Selbsterhaltungsbegehren einerseits und Handlungen, die als zweckrational bestimmte Mittel diesem Zweck dienen, bringt die 'definitio juris' zur Sprache: sie begründet ein Recht auf die Totalität möglicher Handlungen, ein Recht auf die Gesamtheit dessen, was zur Realisierung der Selbsterhaltung notwendig ist. In dieser Fähigkeit vernünftiger Selbstbestimmung, nicht in der Bindung des Naturrechtsbegriffs an das Streben nach Selbsterhaltung, liegt das fundierende Moment der Hobbesschen Rechtstheorie. An dieser Stelle soll nur darauf aufmerksam gemacht werden, daß sich aufgrund der vorstehenden Überlegungen nunmehr die strittige Frage entscheiden läßt, ob Selbsterhaltung für Hobbes eine (naturrechtliche) Pflicht darstellt. Angesichts des Textbefundes muß die Frage verneint werden: Hobbes hat die Selbsterhaltung nirgendwo explizit als eine naturrechtlich fundierte Verbindlichkeit bezeichnet, und das mit gutem Grund. Denn wenn Selbst100 V g l De XIV 7 16: "Vnusquisque enim media ad finem quam sibimet ipsi proponit ratiocinando quaerit; si ergo rectè ratiocinetur (hoc est, incipiens à principiis euidentissimis texat discursum ex consequentibus continuò necessariis) progredietur intinere directissimo, aliter deuiabit". De Homine, ΧΠ, 1: "Nam ex foedere animi et corporis est, ut initium quidem exequendi ab appetitu, consilium autem a ratione sit. Itaque, cum bonum verum in longinquum prospiciendo quaerendum sit, id quod rationis opus est, arripit appetitus bonum praesens, non praevisis quae ipsi necessario adhaerent majora mala". 5*
Α. Das Natuzustandsargument
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erhaltung die oberste Bedingung aller empirischen Zwecke, die sich Menschen setzen können, aber aus diesem Grunde zugleich ein Inhalt des Begehrens ist, auf den alles Handeln immer schon mit Naturnotwendigkeit bezogen ist, dann wäre es sinnlos, davon zu sprechen, jemand könne durch die recta ratio zu dem, was sein Wille von Natur aus intendiert, in irgendeiner Weise verpflichtet werden. 101 Was nicht zur Disposition des Willens steht, ist auch kein Gegenstand einer möglichen Verbindlichkeit. Diejenigen Interpreten 102, die dennoch der Auffassung sind, Hobbes betrachte das Streben nach Selbsterhaltung als eine naturrechtliche Pflicht, übersehen den oben bereits erwähnten Umstand, daß dieses Streben für Hobbes nicht in die Klasse der willentlichen Handlungen gehört, sondern ein Begehren, ein "factum brutum" darstellt, das allein auf der "reflexionslosen Triebkraft, die das Leben selber ist", beruht. 103 Weil dieses Streben als solches gar nicht Gegenstand der Willkür und aus diesem Grunde auch keiner Bestimmung durch die Vernunft fähig ist, kann es auch nicht als etwas gedacht werden, in bezug auf das sich ein Wollender verpflichtet denken könnte. Wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, macht das natürliche Gesetz den Menschen nicht die Selbsterhaltung als solche zur Pflicht, sondern es verpflichtet die Menschen, ihr Selbsterhaltungsstreben so zu organisieren, daß es mit der möglichen Selbsterhaltung aller anderen kompatibel ist. Die Auffassung, Hobbes mache das Streben nach Selbsterhaltung zur Pflicht, beruht auf der Vernachlässigung von Hobbes' verbindlichkeitstheoretischer Prämisse, daß die Möglichkeit, verpflichtet zu werden, immer die vernünftige Selbstbestimmung auf Seiten des Handelnden voraussetzt und daher nur in bezug auf solche Handlungen, die zu tun oder zu unterlassen der Mensch frei ist, sinnvoll von normierender Gesetzlichkeit gesprochen werden kann. 104
101
Vgl. Warrender, The Political Philosophy of Hobbes, pp. 213-214; Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 188; Sommerville, Thomas Hobbes, p. 46. Cramer , Naturzustand und Vernunft, S. 51; Rod, Thomas Hobbes, S. 162. - Vgl. hierzu auch Kants Bemerkungen über das Verhältnis von Glückseligkeit und Pflicht: "[E]igene Glückseligkeit ist ein Zweck, den zwar alle Menschen (vermöge des Antriebes ihrer Natur) haben, nie aber kann dieser Zweck als Pflicht angesehen werden, ohne sich selbst zu widersprechen. Was ein jeder unvermeidlich schon von selbst will, das gehört nicht unter den Begriff von Pflicht,; denn diese ist eine Nöthigung zu einem ungern genommenen Zweck. Es widerspricht sich also zu sagen: man sei verpflichtet seine eigene Glückseligkeit mit allen Kräften zu befördern" (TL, AA VI, S. 3861_7). 102 Stephen, Hobbes, pp. 189-190; Fetscher, Einleitung des Herausgebers, S. XXIV; Forschner, Rousseau, S. 92 (Fußnote 71), S. 96; Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 189, S. 118; Scholion 242, S. 141; Kummerow, Vertrag und Vertragstreue, S. 475 f. 103 Cramer , Naturzustand und Vernunft, S. 51. 104 Wie noch zu zeigen sein wird, trägt die Definition des natürlichen Gesetzes genau dieser verbindlichkeitstheoretischen Prämisse Rechnung: das natürliche Gesetz ist eine Norm nur im Hinblick auf die vernünftige Auswahl der Mittel zur Verwirk-
V. Der rechtslogische Status des 'ius in omnia'
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Es soll hier nicht behauptet werden, daß Hobbes die Aufgabe der Fundierung des natürlichen Rechts in befriedigender Weise gelöst hätte. Weder hat er alle implizit in seinem Argument enthaltenen Prämissen entfaltet noch sich die Frage gestellt, ob die Prämisse des Selbsterhaltungsstrebens tatsächlich eine angemessene Grundlage zur Charakterisierung des menschlichen Handelns darstellt. In rechtsphilosophischer Hinsicht wichtiger ist allerdings der Umstand, daß er durch die Bindung des Begriffs des natürlichen Rechts an das materiale Moment der Selbsterhaltung seine gesamte Theorie mit einem Problem belastet, dessen Konsequenzen in aller Schärfe erst in der Staatsrechtslehre zutage treten. Dort wird sich zeigen, daß die Behauptung, daß Menschen nur innerhalb der Grenzen möglicher Selbsterhaltung verpflichtet sein können, in einem antinomischen Verhältnis zum Recht des Staates steht, die einzelnen bestimmten Zwangsmaßnahmen zu unterwerfen. Es wird an dieser Stelle offenbar, daß das natürliche Recht, sofern es durch das Moment der Selbsterhaltung und des Lebenswillens definiert ist, überhaupt kein Recht ist, in bezug auf welches es "eine universale Übereinstimmung über den Gebrauch der freien Willkür" geben könnte. 105 Aber sieht man einmal von diesem Problem der Beschränkung möglicher Verpflichtung auf den Bereich selbsterhaltungskompatibler Handlungen ab, dann zeigt sich, daß Hobbes mit der für die Menschen innerhalb der Grenzen möglicher Selbsterhaltung gegebenen praktischen Freiheit bzw. der Fähigkeit vernünftiger Selbstbestimmung dasjenige Prinzip entdeckt hat, das seine gesamte Rechtsphilosophie systematisch organisiert: - die praktische Freiheit ist der Grund für die umfassende rechtliche Befugnis; - sie ist der Grund für die systematische Erweiterung des natürlichen Rechts zu einem Recht auf alles und damit für die Widersprüchlichkeit des Naturzustandes; - sie ist der Grund der Möglichkeit der Normativität der natürlichen Gesetze; - sie ist schließlich auch der Grund für die Notwendigkeit des souveränen Staates. V. Der rechtslogische Status des fius in omnia' Auf dem 'Fundament' des in DC I, 7 gewonnenen Begriffs des natürlichen Rechts entwickelt Hobbes in den folgenden Paragraphen das, was ich im wei-
lichung des natürlichen Rechts (denn nur diese Auswahl stellt eine "willentliche Handlung" dar). 105 Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 44.
Α. Das Natuzustandsargument
70
teren in Anschluß an Hobbes' eigenen Sprachgebrauch 106 als Naturzustandsargument bezeichnen möchte. Das Naturzustandsargument besteht im Kern in der Analyse der rechtslogischen Implikationen des Begriffs des natürlichen Rechts unter den Bedingungen des "status hominum extra societatem civilem". Hobbes trifft in diesem Argument also eine Aussage über die naturzustandsspezifische Form der Ausübung des natürlichen Rechts. Während der bloße Begriff des natürlichen Rechts (als diejenige Freiheit, die eigenen natürlichen Fähigkeiten gemäß der rechten Vernunft zu gebrauchen) noch keine Aussage über die Art und Weise des Verhältnisses zu anderen Naturrechtssubjekten enthält, sondern jeden Menschen für sich in seiner Eigenschaft als Rechtssubjekt betrachtet, kommt das (naturrechtliche) Verhältnis zu anderen erst in Betracht, wenn es um die Frage geht, in welcher Form das natürliche Recht im Naturzustand, also in einer nicht staatlich organisierten bzw. nicht gesetzlich geregelten Gemeinschaft frei Handelnder ausgeübt werden kann. Die Erweiterung des natürlichen Rechts zu einem schrankenlosen Recht auf alles ist daher erst die rechtslogische Konsequenz dieser veränderten Perspektive seiner Ausübung im äußeren Verhältnis zu anderen Menschen unter den spezifischen Bedingungen des Naturzustandes - es resultiert "ex ipso statu" (DC II, 18). Das natürliche Recht wird somit zu einem (sich selbst widersprechenden) 'jus in omnia' nicht per definitionem, sondern per exercitium. 107 Umgekehrt gilt der Schluß, daß aus dem natürlichen Selbsterhaltungsrecht das Recht aller auf alles folgt, im status civilis nicht, und zwar nicht bloß aus faktischen, sondern aus vernunftrechtlichen Gründen: denn hier ist das prekäre natürliche Recht eines jeden in positive, gesellschaftlich anerkannte und einklagbare Rechtsansprüche überführt, das Recht des einzelnen also durch die gleichen Rechte anderer begrenzt. Das heißt: das natürliche Recht unterliegt hier dem von der Vernunft selbst geforderten gesetzlichen Ausübungsmodus, durch den überhaupt erst das natürliche Recht in gesicherte Rechtsansprüche, die jeder gegenüber allen Mitgliedern der societas civilis geltend machen kann, verwandelt wird. Das bedeutet zugleich, daß durch die Unterscheidung
106
Vgl. DC I, 10 annotatio. Das Verdienst des Nachweises, daß es sich bei dem jus in omnia um eine rechtslogische Konsequenz handelt, gebührt (wie in vielen anderen Punkten der rechtsphilosophischen Analyse) der Interpretation, die Geismann/Herb in ihrer HobbesEdition entwickelt haben, vgl. Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholien 196 f., S. 122 f. - Demgegenüber beruht die Interpretation des natürlichen Rechts bei Kavka (Hobbesian Moral and Political Theory, pp. 315-316) ähnlich wie schon bei Kersting auf der Vermischung dieser unterschiedlichen Argumentationsschritte. Er betrachtet das natürliche Recht richtig als ein "permission right ", d. h. als eine naturrechtliche Ermächtigung, die nicht impliziere, "that others have any obligation to stand out of your way to pursue your own preservation". Zugleich aber behauptet er, das natürliche Recht sei als solches ein "unlimited right", ohne sich über die Hobbessche Ableitung dieser Aussage aus der juridischen Struktur des Naturzustandes Rechenschaft zu geben. 107
V. Der rechtslogische Status des 'ius in omnia'
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von status naturalis und status civilis ein Unterschied im Modus der Ausübung des natürlichen Rechts bezeichnet ist: Während im Naturzustand jeder für sich über Art und Umfang seines Freiheitsgebrauchs entscheidet, ist dieser im Staat an das positive Gesetz als seine vernünftige Form gebunden. Im einzelnen enthält das Argument verschiedene Beweisschritte. Zunächst werden aus dem natürlichen Recht analytisch folgende Ausübungsbestimmungen abgeleitet: 1. Das "ius [...] utendi omnibus mediis, et agendi omnem actionem, sine qua conseruare se non potest" (DC I, 8). Wenn der Zweck der Selbsterhaltung nach dem Naturrecht gerechtfertigt ist, müssen es auch die entsprechenden Mittel sein: jeder Mensch hat somit im Naturzustand ein Recht auf alle diejenigen Mittel und Handlungen, die zur Realisierung des natürlichen Rechts notwendig sind (DC I, 8; Lev. XIV). Jeder Mensch hat daher im Naturzustand eine absolute, unbeschränkte Berechtigung hinsichtlich der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Mittel; es gibt keine Schranke der individuellen Bestimmung von Zweck und Mittel, keinen rechtlich qualifizierbaren Unterschied zwischen Person und Sache, vielmehr sind Menschen, Tiere und Dinge gleichermaßen Objekte möglicher Aneignung. 2. Das Recht, "judicem esse mediorum ad sui conseruationem" (DC I, 9). Da die Menschen von Natur aus frei sind, haben sie auch das absolute Recht auf das eigene Urteil in allen Fragen des eigenen Handelns. Jeder ist "iudex in propria causa", er folgt nur seiner eigenen Vernunft 108 , d. h. er besitzt eine absolute Urteilskompetenz über Recht und Unrecht seiner Handlungen. Dies Recht soll im folgenden als das vernunftrechtliche ipse-iudex-Prinzip bezeichnet werden, nach welchem jeder selbst über die Rechtmäßigkeit seines eigenen Freiheitsgebrauchs entscheidet. Daß jeder Richter in eigener Sache ist, bedeutet im Naturzustand keine Einschränkung: denn weil jeder Richter in eigener Sache ist, entscheidet er selbst darüber, was seine eigene Sache ist. Es liegt in der logischen Struktur des Totalitätsbezugs des natürlichen Rechts, daß prinzipiell nichts und niemand als Gegenstand dieses Rechts ausgeschlossen werden kann. 3. Aus dem Zusammenwirken des abstrakten natürlichen Rechts, wie es in der "definitio juris" bestimmt wurde, und den beiden daraus abgeleiteten Rechtsbestimmungen folgert Hobbes, daß unter nichtstaatlichen Bedingungen das natürliche Recht notwendig die Gestalt eines Rechts auf alles annimmt, weil hier tendenziell alle Mittel und Handlungen - auch diejenigen, die nicht unmittelbar auf die eigene Erhaltung abzielen, sondern Mittel sind, um die freie Entfaltung fremden Handelns zu negieren - als Mittel der eigenen Rechtsrealisierung in Betracht kommen. Auch wenn für die Selbsterhaltung 108
Vgl. Lev. XIV, p. 91.
Α. Das Natuzustandsargument
72
des einzelnen für sich genommen eine begrenzte Gütermenge und eine beschränkte Sphäre freier Handlungen ausreichend wäre, so macht es doch die Unbestimmbarkeit des fremden Wollens erforderlich, nicht nur den eigenen Erfolg, sondern auch den fremden Mißerfolg als Bedingung der eigenen Rechtsverwirklichung zu wollen. Gleiches gilt für das Recht der Selbstverteidigung. Auch hier kann das Recht zur Anwendung von Gewalt nicht davon abhängig gemacht werden, daß andere schon durch faktische Gewalthandlungen meine Selbsterhaltung bedrohen: jeder ist vielmehr zur präventiven Gewaltanwendung befugt. 109 Das natürliche Recht erweist sich somit als ein "ius in omnia": "omnia habere & facere in statu naturae omnibus licere" (DC I, 10). Der Naturzustand ist daher der Zustand der absoluten Freiheit der Zwecke, der Mittel sowie des Urteils über beide.
4. Schließlich zeigt Hobbes, daß das absolute Recht auf alles aufgrund seiner immanenten Negativität in ein Recht auf nichts umschlägt: das absolute Recht eines jeden negiert zwar die möglichen Rechtsansprüche aller anderen in ihrem ganzen Umfang, aber es wird seinerseits durch deren Recht auf alles negiert. Die paradoxe Folge dieser wechselseitigen Negation der jeweiligen subjektiven Rechtsansprüche ist die Unvermeidlichkeit und strukturelle Perpetuierung von Rechtskonflikten. Diese rechtsantinomische Struktur der Beziehungen der einzelnen im Naturzustand bringt Hobbes auf folgende Formel: "alter iure inuadit, alter iure resistit" (DC I, 12), d. h.: Rechtskonflikte sind unvermeidlich, weil im Falle eines Rechtsstreites auf beiden Seiten der gleiche absolute Rechtsanspruch vorliegt; aus dem gleichen Grunde kann es auch kein objektives Rechtsurteil geben. Aber die Rechtskonflikte sind zugleich strukturell ewig, da jeder gewaltsame Versuch der Konfliktlösung die Rechtsantinomie in Wahrheit nur reproduziert. 110 Die Konsequenz des rein subjektiven Modus der Rechtsbestimmung und -durchsetzung ist der Umschlag des Rechts auf alles in ein absolut leeres Recht auf nichts und damit die Negation möglicher Verhältnisse objektiven Rechts: "Minimè autem vtile hominibus fuit, quod huiusmodi habuerint in omnia, ius commune. Nam effectus eius iuris idem penè est, ac si nullum omnino ius extiterit. Quamquam enim quis de re omni poterat dicere, hoc meum est, frui tarnen eâ non
109
Nach der klassisch-normativistischen Naturrechtsdoktrin ist die gerechte Gewaltanwendung die Folge einer zuvor geschehenen Störung des Rechtsfriedens; zugleich wird entschieden bestritten, daß schon die bloße Möglichlichkeit, Opfer einer Gewalthandlung zu werden, zu präventiver Gewaltanwendung berechtigt; vgl. Cicero, De re publica ΙΠ, 35; Thomas von Aquin, Summa theologiae Π-Π, qu. 64, a. 7; Grotius, JBP Π, 1,§ 17. 110 Durch seine Struktur ("suâ natura") ist der Naturzustand durch die Permanenz der Rechtskonflikte gekennzeichnet: er ist ein "sempiternum [...] Bellum [...], quod prae certantium aequalitate, victoria nulla potest finiri; in eo enim ipsis victorious periculum semper adeo imminet" (DC 1,13).
V. Der rechtslogische Status des 'ius in omnia'
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poterat propter vicinum, qui aequali iure, & aequali vi, praetendebat idem esse suum." 111
Dieser Umschlag des Rechts auf alles in ein leeres Recht auf nichts ist nur die juridische Konsequenz des Umstands, daß das schrankenlose Recht auf alles gerade wegen seiner Schrankenlosigkeit nicht nur ein absolut unbestimmbares, sondern zugleich ein absolut unsicheres Recht ist, das in keinem Fall die Grundfunktion positivierter Rechtsansprüche erfüllt, nämlich das Recht eines jeden zu bestimmen und zu sichern. Nichts Bestimmtes, keine bestimmte Sache oder Handlung wird durch das natürliche Recht einem Individuum ausschließlich als das Seinige zugeschrieben. Das rechtliche Dilemma des Naturzustands besteht also darin, daß er ein Zustand ist, in welchem es nur subjektive Rechte gibt, aber keine korrespondierenden Pflichten anderer, d. h. ein Zustand der absoluten Subjektivität des Rechts, in dem jeder mangels eines allgemeingültigen, gesetzlichen Kriteriums für die Beurteilung seines Handelns ausschließlich auf das eigene Nützlichkeitsurteil verwiesen ist. 1 1 2 Das natürliche Recht als Recht auf alles enthält die folgenden Implikationen: - Das ius in omnia ist schlechthin umfassend, denn es bezieht sich nicht nur auf die Totalität aneignungsfähiger Sachen, sondern auch auf die Körper anderer Individuen 113 ; niemand kann im Naturzustand irgendwelche Persönlichkeitsrechte geltend machen, an denen das Recht anderer seine Schranke findet. Das ius in omnia ist zugleich ein ius in omnes: ein Unterschied zwischen einem Recht auf Sachen und einem Recht an Personen bzw. auf bestimmte Handlungen findet nicht statt. - Das Recht auf alles impliziert die vollständige Negation aller übrigen juristischen Unterscheidungen: es ist nur der Ausdruck für die Aufhebung des objektiven Unterschieds zwischen Recht und Pflicht, zwischen Mein und
111
Das einschränkende "penè" scheint auf der Annahme zu beruhen, daß jeder im Naturzustand, solange er lebt, ein potentielles Subjekt von (wenngleich unbestimmbaren) Rechtsansprüchen bleibt und alles zum Zwecke seiner Erhaltung tun darf. Tatsächlich besteht das Charakteristikum des Naturzustandes ja nicht im Mangel des lus , das Hobbes immer als subjektive Befugnis begreift, sondern im Mangel an einem das subjektive Recht eines jeden bestimmenden und sichernden Gesetz; Kant (AA VI, S. 979 f ; RL § 42, AA VI, S. 307 27 ; TuP, AA VDI, S. 301 28 . 30 ; EF, AA Vm, S. 349 19 ; S. 3544 f ) bezeichnet aus diesem Grunde den Naturzustand ganz folgerichtig als Zustand der äußeren Gesetzlosigkeit. 112 DC I, 10: "in statu naturae Mensuram iuris esse Vtilitatem." 113 Die Unsicherheit des Rechts betrifft, wie Brandt (Rechtsverzieht und Herrschaft, S. 42, 46 f.) gezeigt hat, bei Hobbes im Unterschied zur Kantischen Rechtslehre sowohl das innere wie das äußere Mein und Dein; das natürliche Recht erstreckt sich nicht nur auf die Totalität der Sachen, sondern ebenso auf die Totalität anderer Individuen, deren Körper gleichfalls als Sache "angeeignet" werden kann: "in such a condition, every man has a Right to every thing; even to one anothers body" (Lev. XIV, p. 91).
Α. Das Natuzustandsargument
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Dein, zwischen Recht und Gewalt bzw. Unrecht, kurz: ein Zustand, in dem juristische Kategorien nicht zur Anwendung kommen können. 1 1 4 - Trotz seines Totalitätsbezugs erweist sich das natürliche Recht im Naturzustand als ein Recht auf nichts, genauer: als ein Recht auf nichts bestimmtes, als inhaltlich absolut leeres Recht, denn der Rechtsanspruch eines jeden wird durch die gleichen Rechtsansprüche aller anderen in jeder beliebigen Weise negiert. Niemand ist im Naturzustand verpflichtet, die maßlosen Rechtsansprüche anderer anzuerkennen. Als allgemeiner Modus gedacht, wie das subjektive Recht realisiert werden soll, heben sich die jeweiligen Rechtsansprüche aller in ihrer möglichen Bestimmtheit vollkommen auf. - Die absolute, unbeschränkte Freiheit, die mit dem Recht auf alles verknüpft ist, erweist sich wegen ihrer Unbestimmtheit als eine völlig leere Freiheit ('libertas integerrima', DC Χ, 1); sie ist zugleich eine völlig nutzlose Freiheit ('libertas infructuosa', DC X, 1), weil sie mit der absoluten Freiheit aller anderen in jeder beliebigen Hinsicht im Widerspruch steht: "[P]roptereà quod qui propter libertatem suam omnia agit arbitrio suo, propter libertatem aliorum omnia patitur arbitrio alieno" (DC X, 1 y 1 5 Das natürliche Recht auf Selbsterhaltung als solches, auf das jeder von Natur aus, d. h. immer und überall, sowohl im Naturzustand wie im status civilis Anspruch erheben und das deshalb auch nicht übertragen oder aufgegeben 114
Lev. ΧΙΠ, p. 90: "To this warre of every man against every man, this also is consequent; that nothing can be Unjust. The notions of Right and Wrong, Justice and Injustice have there no place. Where there is no common Power, there is no Law: where no Law, no Injustice." 115 Vor diesem Hintergrund liefert Hegel im Abschnitt Das Fürsichseyn' seiner Wissenschaft der Logik (GW 21, S. 144 ff.) u. a. in Auseinandersetzung mit der atomistischen "Staatswissenschaft, die von dem einzelnen Willen der Individuen ausgeht" (S. 155! f ), eine rein logische, von den spezifisch rechtstheoretischen Elementen abstralüerende Rekonstruktion des reinen Fürsichseins und seiner Beziehung auf anderes Fürsichsein, in welcher er in Übereinstimmung mit Hobbes zu dem Ergebnis kommt, daß "die Selbständigkeit, auf die Spitze des abstrakten fürsichseyenden Eins getrieben, [...] die abstrakte, formelle Selbständigkeit [ist], die sich selbst zerstört". Die Vorstellung der "abstracte[n] Freiheit beruhe in Wahrheit auf dem "Irrthum, das als negativ anzusehen und sich gegen das als negativ zu verhalten, was ihr eigenes Wesen ist." Die Versöhnung des Fürsichseins als ausschließender Besonderheit mit sich selbst komme nur zustande durch "die Anerkennung dessen, gegen welches das negative Verhalten geht, [...] als seines Wesens" (S. 160 f.). Aber im Unterschied zu Hegel verfügt Hobbes nicht über die begrifflichen Mittel der spekulativen Logik, auch nicht über die zureichende Erkenntnis der Gesellschaft, um die "spekulative Identität" beider Momente, von Besonderheit und Allgemeinheit, zu begreifen. Statt dessen bewegt er sich in dem unaufgelösten Dualismus, einerseits das Auseinanderfallen von besonderem und allgemeinem Willen und andererseits die Notwendigkeit ihrer Identität in der durch Zwang hergestellten formalen Allgemeinheit des Rechts zu behaupten.
V. Der rechtslogische Status des 'ius in omnia'
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werden kann, fällt, so haben wir gesehen, nicht unmittelbar mit dem ius in omnia zusammen: das Recht auf alles ist das natürliche Recht, sofern es unter den Bedingungen des Naturzustandes betrachtet wird. Es ist also eine rechtslogische Konsequenz aus dem natürlichen Recht, die nur unter bestimmten Umständen, dann aber mit Notwendigkeit eintritt. Die Erweiterung des hinsichtlich seiner Reichweite zunächst unbestimmten ius naturale zum schrankenlosen ius in omnia ist Ergebnis der Analyse der Ausübungs- und Anwendungsbedingungen des natürlichen Rechts im Naturzustand. Unter den Bedingungen des status civilis hingegen ist das natürliche Recht nicht nur faktisch (durch die staatliche Zwangsgewalt), sondern seinem vernunftrechtlichen Begriffe nach ein eingeschränktes Recht, das hier grundsätzlich positivrechtlichen Anwendungsbedingungen unterliegt. Obwohl sich das natürliche Recht aufgrund der Dialektik des ipse-iudexPrinzips tendenziell auf alles und jedes erstreckt und somit sowohl dem Inhalt wie dem Umfang nach absolut unbestimmbar ist, behauptet Hobbes nicht, daß
dieses Recht als völlig "unkontrollierte und ungehemmte Expansion" der menschlichen Fähigkeiten und Kräfte aufgefaßt werden darf: seinem Begriff nach ist es als vernunftrechtliche Erlaubnis auf die Klasse deijenigen Handlungen eingeschränkt, "die den Kriterien der Zweckrationalität in der Ausbildung des Entwurfs meines zukünftigen Zustandes genügen··, keineswegs aber ein Recht des irrationalen und ungehemmten "Zugriffs auf Alles und Jedes".116 Vielmehr besagt die Hobbessche Definition des natürlichen Rechts - wie Ilting mit Recht hervorhebt - , "daß man die 'Freiheit' habe (d. h. daß es einem erlaubt ist), seine Macht nach eigenem Gutdünken zu gebrauchen, vorausgesetzt, daß dies [nach dem Urteil der je eigenen Vernunft, D. H.] der Selbsterhaltung dient oder zu dienen scheint."117 Die Erkenntnis, daß das natürliche Recht seiner Definition nach von Anfang an ein vernunftbedingtes Recht ist, schiebt allen Interpretationen des Naturzustandes einen Riegel vor, welche den Irrationalismus menschlicher Leidenschaften für die eigentliche Konfliktursache des Naturzustandes halten. 118 Wenn das natürliche Recht ein
116
Cramer , Naturzustand und Vernunft, S. 55 f. Diese These von der durch die Vernunft gesetzten immanent-begrifflichen Limitation des natürlichen Rechts auf funktionale Selbsterhaltung ist von den Interpreten häufig hervorgehoben worden; vgl. Ewin, Virtues and Rights, p. 66; Goldsmith, Hobbes's Science of Politics, p. 88; Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 193, S. 120; McNeilly, The Anatomy of Leviathan, p. 176; Tuck , Thomas Hobbes, p. 60. 117 Ilting, Der verrufene und umstrittene Autor, S. 234. 118 Diese Auffassung findet sich z. B. bei Rapaczynski, Nature and Politics, pp. 72, 101, Sommerville, Thomas Hobbes, p. 41 oder (mit Einschränkungen) Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 63-68, die von einem "passions account of conflict" im Naturzustand spricht. - Wenn Hobbes in DC X, 1 versucht, den Unterschied von Naturzustand und Staat an der Differenz von imperium affectuum und
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Α. Das Natuzustandsargument
Recht auf alles darstellt und als ein "sozial uneingeschränktes Dürfen" 119 begriffen werden muß, dann ist dies für Hobbes keine Auswirkung einer anthropologischen Konstante oder einer irrationalen, naturhaften Bösartigkeit, insbesondere nicht Ergebnis einer Wolfsnatur des Menschen. Dieser Punkt muß umso mehr betont werden, Weil Hobbes' plakatives Dictum "Homo homini Lupus" (DC, epistola dedicatoria, p. 73) von Anfang an den größten Mißverständnissen ausgesetzt war. Zumeist wurde nämlich übersehen, daß Hobbes diesen Ausspruch im Hinblick auf die Beziehungen der Staaten untereinander formuliert und daß er durch das andere Diktum "Homo homini Deus" komplettiert wird, mit dem Hobbes die wechselseitige Wertschätzung der Menschen als Bürger charakterisiert. 120 Die Pointe des Hobbesschen Naturzustandsarguments besteht deshalb darin, der 'Krieg aller gegen alle' eine strukturell bedingte Konsequenz des nichtstaatlichen Zustandes darstellt, die gerade daraus resultiert, daß die Individuen ihre Zwecke rational verfolgen, aber zugleich über die objektiven Bedingungen ihres äußeren Freiheitsgebrauchs keine Übereinstimmung erzielen können. Wohlgemerkt handelt es sich bei der Differenz zwischen dem abstrakten jus naturale und dem jus in omnia nur um unterschiedliche Bestimmungen, die sich aus seiner jeweiligen Stellung im Gang des Naturzustandsarguments ergeben. Keineswegs aber erlaubt dieser Unterschied den Schluß, Hobbes operiere hier "in Wahrheit mit zwei Versionen des 'ius in omnia'." 121 Denn die formale Vernunftbedingtheit des natürlichen Rechts steht keineswegs im Widerspruch zu der gleichfalls von Hobbes als Ergebnis seiner Beweisführung aufgestellten Behauptung, daß dieses Recht unter den Bedingungen des Naturzustandes vernunftnotwendig die Gestalt eines Rechts auf alles annimmt, also materiell unbeschränkt ist. Allerdings ändert diese vernunftrechtliche Bedingtheit des natürlichen Rechts weder etwas an seiner Widersprüchlichkeit noch an der Unmöglichkeit, im Naturzustand seine Schranken objektiv zu bestimmen.122 Das methodische Verfahren, in welchem Hobbes den Begriff des natürlichen Rechts zunächst unter Abstraktion von allen korrespondierenden Verbindlichkeiten einführt, hat bei einer Reihe von Interpreten den Verdacht geimperium rationis festzumachen, fallt er hinter das Niveau seiner eigenen rechtsphilosophischen Einsichten zurück. 119 Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 313. 120 Zur Kritik der durch den Vergleich Mensch-Wolf initiierten Mißverständnisse vgl. Johnson, Hobbes and the Wolf-Man, pp. 31-44. 121 Gehrmann, Zum Recht des Naturzustandes, S. 200: "Auf der einen Seite bedeutet es ein völlig unbegrenztes Recht, auf der anderen aber ein Recht, das durch die subjektive Vernunft beschränkt wird." 122 Wenn Hobbes (wie ζ. B. in DC ΠΙ, 27) dennoch den Versuch unternimmt, aus der Vernunftbedingtheit des natürlichen Rechts bestimmte materiale Normen zu entwickeln, widerspricht dies der von ihm selbst aufgezeigten Logik des ipse-iudexPrinzips.
V. Der rechtslogische Status des 'ius in omnia'
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nährt, hier werde nur zum Schein in der Sprache des Rechts argumentiert. In Wahrheit sei Hobbes' Rechtsbegriff keine juridische Kategorie, sondern ein aller normativen Bedeutung beraubter, bloß deskriptiver Begriff, der das wirkliche oder wahrscheinliche Verhalten der Menschen im Naturzustand thematisiert. 123 Der Vorwurf, Hobbes' natürliches Recht sei im Grunde genommen ein reiner Machtbegriff, ist schon von Pufendorf erhoben worden. Pufendorf rügt, daß Hobbes das Recht im Sinne einer normativ zu verstehenden Erlaubnis mit der faktischen Handlungsmacht verwechselt habe. Dieser Unterschied aber sei für das Verständnis des Rechtsbegriffs konstitutiv: denn sofern es nur um die Auswirkungen menschlicher Handlungen auf unbelebte Dinge oder auf Tiere gehe, sei die Redeweise von einem natürlichen Recht unsinnig, da es sich hier nur um die Ausübung eines physisches Vermögen handele. Von einem Recht im eigentlichen Sinne könne nur dort gesprochen werden, wo Handlungen moralische Auswirkungen auf andere Menschen haben, d. h. nur dort, wo dem Recht als moralischen Handlungsvermögen Verbindlichkeiten anderer korrespondieren. 124 Die These von der notwendigen Korrelativität des (subjektiven) Recht und der korrespondierenden Pflichten anderer ist bei Pufendorf allerdings verknüpft mit der Revision dessen, was hier als geltungstheoretische Revolution des Thomas Hobbes bezeichnet worden ist. Zwar hält auch Pufendorf an der strikten terminologischen Unterscheidung zwischen ius und lex, d. h. zwischen dem subjektiven Anspruch und der objektiven Norm fest. Aber für ihn ist die rechtliche Befugnis des Individuums immer schon in einer ihr zugrundeliegenden Norm des natürlichen Gesetzes fundiert: das ius ist immer ein abgeleiteter Anspruch, nur ein Reflex der vorausgesetzten Normordnung, - folglich nur Ausdruck deijenigen Freiheit, auf die jeder zum Zwecke der Pflichterfüllung und Befolgung des natürlichen Gesetzes Anspruch erheben darf. In modifizierter Form hat Wolfgang Kersting den Vorwurf der Verwechslung von Macht und Recht und der juridischen Bedeutungslosigkeit des Hobbesschen Rechtsbegriff erneuert. Nach seiner Auffassung kann man Hobbes' Äußerungen über das ius naturale wegen des 'offenkundigen Widerspruchs', daß dem natürlichen Recht keine Pflichten anderer korrespondieren, nicht "als eine Definition des subjektiven Freiheitsrechts" gelten lassen. Aus 123 Ygi die gleichlautenden Einschätzungen von Goyard-Fabre, Le droit et la loi, pp. 67-70; dies., Right and Anthropology in Hobbes's Philosophy, p. 22; Finnis , Natural Law and Natural Rights* p. 208; Maluschke , Philosophische Grundlagen des Verfassungsstaates, S. 33; Mintz, The Hunting of Leviathan, p. 32; Polin, Politique et philosophie chez Thomas Hobbes, p. 184; ders Hobbes, Dieu et les hommes, pp. 232233; Rapaczynki , Nature and Politics, p. 61, 77; Willms , Politische Ideen, S. 32. - Tatsächlich finden sich bei Hobbes Belegstellen, an denen er das natürliche Recht mit den 'natürlichen Kräften und Fähigkeiten' (DC VIII, 10) gleichsetzt und dementsprechend von dem 'natürlichen Recht des Tieres' spricht, einen Menschen zu töten. 124 Pufendorf.\ INGΙΠ, 5, § 3.
Α. Das Natuzustandsargument
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diesem Grunde stelle das Hobbessche jus naturale keine Rechtskategorie dar, sondern f,nur die Beschreibung des rationalen Verhaltens der selbsterhaltungsinteressierten Menschen unter Naturzustandsbedingungen. [..,] Sein Recht, alles zu tun und alles zu nehmen, ist nur die Beschreibung des Sachverhalts, daß es im Naturzustand keinerlei Rechte gibt". Das natürliche Freiheitsrecht so fuhrt Kersting weiter aus - sei "nicht nur eine in sich widersprüchliche begriffliche Konstruktion", es sei darüber hinaus auch "eine unvernünftige und kurzsichtige Verhaltensstrategie". 125 Hobbes habe aus dem Widerspruch des subjektiven Rechts nur auf die Notwendigkeit geschlossen, "ein Regelsystem zu etablieren, das den durch das subjektive Freiheitsrecht beschriebenen Selbsterhaltungskampf befriedet", ohne zugleich wie Kant "auf eine objektive Verteilungsregel, die jedem das gleiche Maß an notwendig begrenzter Freiheit zuspricht", zu verweisen. 126 Indem Kersting den Hobbesschen Rechtsbegriff am Maßstab der Kantischen Rechtslehre beurteilt, läuft seine Kritik auf die Leugnung des rechtstheoretischen Charakters der Hobbesschen Argumentation hinaus. 127 Sicherlich bleibt Hobbes - darin ist Kersting zuzustimmen - hinter der Vernunftrechtslehre Kants und der dort im Rechtsgesetz a priori formulierten Kompatibilitätsforderung des eigenen Freiheitsgebrauchs mit der gleichen Freiheit aller anderen zurück. Dennoch muß die naturalistische Deutung, welche die rechtstheoretische Relevanz des Begriffs des 'ius naturale' bei Hobbes in Abrede stellt, zurückgewiesen werden, denn sie beruht auf einer mangelnden Berücksichtigung des Hobbesschen Beweisverfahrens. Nun kann kein Zweifel daran bestehen, daß Hobbes' natürliches Recht ein Recht ohne Verpflichtungscharakter ist: niemand ist im Naturzustand verpflichtet, die Rechtsansprüche anderer anzuerkennen. Die entscheidende Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet jedoch, ob der These von der Unbeschränktheit des natürlichen Rechts eine sinnvolle rechtstheoretische Argumentation zugrunde liegt oder ob Hobbes sich hier nur in irreführender Weise der normativen Begrifflichkeiten der Naturrechtsterminologie bedient. Was Kersting als 'offenkundigen Widerspruch' der Begriffsbestimmung des natürlichen Rechts bezeichnet, ist nicht Folge von Hobbes' mangelnder philosophischer Definitionskompetenz, sondern das konsequente Ergebnis der apagogischen Struktur seines Beweises für die unbedingte Notwendigkeit der souveränen Staatsgewalt: weder ist das ius naturale eine widersinnige Konstruktion noch ist es Ausdruck einer unvernünftigen Verhaltensstrategie, welche die langfristigen Erfolgsbedingungen des eigenen Handelns ignoriert. Unter dem Titel des natürlichen Rechts auf 125
Kersting, Hobbes zur Einfuhrung, S. 125 f. Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 125. 127 Daraufhat mit Recht Hespe (Rezension von Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 481 f.) hingewiesen; vgl. auch Vf., Rezension von Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 1350-1354. 126
V. Der rechtslogische Status des 'ius in omnia'
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alles thematisiert Hobbes statt dessen die Implikationen der widersprüchlichen 'Rechtslage1, in welcher sich die Menschen von Natur aus, d. h. im nichtstaatlichen Zustand, befinden. Unter der Voraussetzung, daß keine souveräne Zwangsgewalt existiert, welche die Einhaltung irgendwelcher Handlungsnormen garantiert, ist es vernunftgemäß, wenn jeder selbst über den äußeren Gebrauch seiner Freiheit bestimmt und alles für seine Selbsterhaltung Erforderliche tut: das Recht auf alles ist selber das Ergebnis einer vernunftgemäßen Betrachtung der rechtlichen Freiheit, auf die jeder Mensch im Naturzustand Anspruch erheben darf. Nicht der Begriff des natürlichen Rechts ist widersprüchlich, sondern derjenige Zustand, der die Menschen dazu zwingt, ihr Recht mit rücksichtsloser Gewalt durchzusetzen. Es ist deshalb nur als folgerichtig zu bezeichnen, wenn Hobbes in der methodischen Abstraktion des Naturzustandes zunächst nur das Moment der subjektiven Befugnis, eben des natürlichen Rechts betrachtet und zeigt, daß ein Zustand, in welchem jeder ein Recht auf alles und eine absolute, unbeschränkte Freiheit hat, von niemandem vernünftigerweise gewollt werden kann. Aus der von ihm selbst konstatierten Widersprüchlichkeit der absoluten Freiheit bzw. des Rechts auf alles entwickelt Hobbes im weiteren Verlauf seiner Argumentation zunächst die sog. natürlichen Gesetze als objektive Konstitutionsprinzipien einer jeden Rechtsordnung. In einem weiteren Schritt schließt er auf die Notwendigkeit der Schaffung einer souveränen Zwangsgewalt. Der Begriff des natürlichen Rechts fungiert nicht - wie Kersting behauptet - als deskriptive Kategorie der Darstellung des Verhaltens selbsterhaltungsinteressierter Menschen, sondern er dient dem Nachweis, daß der naturzuständliche Modus der Rechtsbestimmung und -ausübung in Gestalt des ipse-iudex-Prinzips systematisch die Geltungsund Existenzbedingungen von Verhältnissen des objektiven Rechts zerstört. Die Behauptung, die Kersting in der Nachfolge von Pufendorf aufstellt - "der Begriff des Rechts verlangt nach dem Begriff der Pflicht und umgekehrt: Recht und Pflicht sind normative Komplementärbegriffe, die nur zusammen eine normative Verhaltensorientierung bieten und die Rechtmäßigkeitsgrenzen des Freiheitsgebrauchs festlegen" 128 - , enthält keine Einsicht, die Hobbes nicht bereits selbst gewonnen hätte. Auch Hobbes läßt keinen Zweifel daran, daß mit dem Recht auf alles kein Staat und keine Rechtsordnung zu machen ist. Nun bleibt Hobbes nicht bei der Feststellung des juridischen Widerspruchs des Naturzustandes stehen. Denn dieselbe Vernunft, die lehrt, daß es im Naturzustand vernunftgemäß ist, fremde Rechtsansprüche nicht anzuerkennen, lehrt auch, daß es vernünftig ist, den Naturzustand zu verlassen und das Recht auf alles zu negieren. In der Tat konstatiert Hobbes, daß das natürliche Recht im Naturzustand nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann, weil der Versuch seiner Ver-
128
Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 124.
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Α. Das Natuzustandsargument
wirklichung unmittelbar die Bedingungen, unter denen Rechtsverhältnisse möglich sind, zerstört, weshalb die naturzuständliche Ausübung des jus naturale in Gestalt des jus in omnia negiert werden muß. Erst dadurch wird nach Hobbes das Korrespondenzverhältnis des subjektivem Rechts des einen und der Verbindlichkeit der anderen möglich. Wenn Kersting demgegenüber behauptet, daß der Begriff des natürlichen Rechts selbst eine widersprüchliche Kategorie darstellt, dann verfehlt er den Ort, an dem Hobbes die Widersprüchlichkeit des Naturzustandes ansiedelt. Die recta ratio ist somit nicht nur die Instanz, die den Menschen die rechtliche Freiheit ihres Handelns verschafft, sondern sie ist ebenso diejenige Instanz, die das normative, d. h. wechselseitige und gleiche Eingeschränktsein des äußeren Freiheitsgebrauch auf die Bedingungen der Kompatibilität fordert. 129 Sie lehrt schließlich auch, daß es sich hierbei um eine aus der Logik des subjektiven Rechts selbst entspringende Verbindlichkeit handelt. Kersting ignoriert das Spezifikum der Hobbesschen Argumentation, daß sie diese Notwendigkeit der Korrelation von Recht und Pflicht bzw. der gesetzlichen Einschränkung des äußeren Freiheitsgebrauchs erst beweisen will, daß sie somit auch erst das Resultat der juridischen Analyse des Naturzustandes sein kann. Die notwendige Beziehung von Recht und Pflicht fungiert bei Hobbes - wie noch zu zeigen sein wird - nicht als Voraussetzung, sondern als Ergebnis des apagogischen Beweises, den das Naturzustandstheorem enthält.
VI. Der Naturzustand als Kriegszustand Im Bewußtsein, daß seine Lehre von der Schrankenlosigkeit des natürlichen Rechts der traditionellen Vorstellung eines a priori durch die lex naturae eingeschränkten Naturrechts widerspricht, hat Hobbes in einer Anmerkung eine Zusammenfassung seines Naturzustandsarguments gegeben: "Sed quia in quibusdam casibus conclusionis duritas, praemissarum memoriam expellit, contrahere argumentum volo, unoque intuitu oculis conspiciendum subjicere. Vnicuique jus est se conservando per Art. 7. Eidem ergo jus est omnibus uti mediis ad eum finem necessariis, per Art. 8. Media autem necessaria sunt, quae ipse talia esse judicabit, per Art. 9. Eidem ergo jus est omnia facere & possidere, quae ipse ad sui conservationem necessaria esse judicabit. Ipsius ergo facientis judicio id quod fit jure fit, vel injuria, itaque jure fit" (DC I, 10 annotatio).
Das Naturzustandsargument, das Hobbes an dieser Stelle in konzentrierter Form vorträgt, besitzt wiederum eine syllogistische Struktur: Das natürliche Selbsterhaltungsrecht in Verbindung mit den beiden analytisch aus ihm gefol-
129 Er hat diese Forderung im neunten natürlichen Gesetz aufgestellt. Dieses Gesetz verlangt, "vt quaecumque iura vniusquisque sibimetipsi postulat, eadem etiam vnicuique concédât coeterum." Vgl. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 307.
VI. Der Naturzustand als Kriegszustand
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gerten Derivatrechten wird unter den Bedingungen des Naturzustandes, d. h. dort, wo jeder Richter in eigener Sache ist, zum Recht auf alles. Aber die eigentliche Bedeutung von Hobbes* eigener Zusammenfassung des Naturzustandsarguments liegt darin, daß sie zeigt, wo für ihn selbst der entscheidende Grund für die Konflikthaftigkeit des Naturzustandes liegt. Während er in anderen Zusammenhängen seine rechtstheoretische Beweisführung mit empirischen Argumenten historischer, anthropologischer oder sonstiger nichtjuridischer Provenienz über die Konstitution der menschlichen Natur oder die Wirklichkeit menschlichen Verhaltens zu stützen versucht, liefert er hier eine rein rechtstheoretische Begründung. 130 Der objektive Grund für die Widersprüchlichkeit des Naturzustandes liegt weder in der Annahme einer anthropologischen Konstante schrankenlosen Machtstrebens noch im "Kampf um knappe Güter". 131 Die These von der Güterknappheit als zentraler Konfliktursache im Naturzustand kehrt die Hobbessche Begründung um: die Menschen geraten nämlich nicht deshalb in Gegensatz zueinander, weil die Güter knapp sind, sondern es ist vielmehr der Wille zu unbeschränkt privater Aneignung, der die Gütermenge selbst dann knapp erscheinen läßt, wenn sie zur Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse ausreichen würde. Wo alles zum möglichen Objekt individueller Aneignung werden kann und wo jeder seinen Zweck nur dadurch erreicht, daß er andere, die auf diese individuell angeeigneten Sachen als Lebensmittel angewiesen sind, von sich abhängig macht, somit anderen die Mittel ihrer Zweckrealisierung systematisch bestreitet, dort fungieren die Güter nämlich nicht als Mittel zum Zweck der unmittelbaren physischen Reproduktion, sondern sie sind Herrschaftsinstrumente. 132 Der rechtliche Widerspruch des Naturzustandes liegt schließlich auch nicht - wie Georg Geismann und Karlfriedrich Herb gezeigt haben - "in dem natürlichen
130 Dies betonen mit Nachdruck Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 224, S. 133; vgl. auch Scholion 220, S. 129-133. Daß Hobbes selbst sich in seinen Schriften nicht auf diesen rein rechtslogischen Aspekt seines Arguments beschränkt hat, sondern daneben noch zahlreiche andere, teils kalkülrationale, teils motivationstheoretische Aspekte benennt, macht ändert jedoch nichts an dem Sachverhalt, daß diese Aspekte in begründungstheoretischer Hinsicht nicht notwendig sind. 131 So aber die übereinstimmende These von Münkler, Thomas Hobbes, S. 115 ff. (kritisch hierzu Asbach, Rezension von Münkler, S. 100), Nonnenmacher, Die Ordnung der Gesellschaft, S. 22 ff., und Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 104 f. 132 Den ideologischen Charakter des Knappheitsarguments hat Heger (Die Politik des Thomas Hobbes, S. 27) herausgearbeitet: "Das geläufige Argument, menschliches Begehren sei von Natur aus unendlich und maßlos und deshalb müßten ihm, um gesellschaftliches Leben überhaupt zu ermöglichen, mit der Durchsetzung übergreifender Ordnungsprinzipien Schranken gezogen werden, operiert also genau besehen mit einem Quidproquo von Grund und Folge. Nicht die Maßlosigkeit der menschlichen Bedürfnisse erheischt soziale Ordnungsleistungen, sondern die von der Ordnung gesetzten Schranken bilden den Hintergrund, auf dem die Bedürftigkeit als schrankenlos erscheint."
6 Hüning
Α. Das Natuzustandsargument
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Recht auf Selbsterhaltung, dem 'ius naturale' als solchem, geschweige denn in dem empirischen Moment des Selbsterhaltungstrieb". Er resultiert vielmehr "aus dem, mit dem Begriff des 'ius in omnia' charakterisierten, bloß privaten Modus der Rechtsbestimmung und Rechtsdurchsetzung. In dieser - im juridischen Naturzustand einzig möglichen und zugleich widersprüchlichen - bloß privaten Rechtsdistribution liegt der erste und absolute Grund der Friedlosigkeit des Naturzustandes und dessen apriorischer Mangel." 133 Als Ergebnis der rechtslogischen Analyse, die er in den Paragraphen 7-11 angestellt hat, präsentiert Hobbes den Lehrsatz vom Kriegszustand: "Statum hominum extra Societatem bellum esse" (DC I, 12 Randtitel). Wie bereits die bisherige Rekonstruktion der Hobbesschen Argumentation gezeigt hat, ist auch dieser Lehrsatz in seiner rechtstheoretischen Gültigkeit von allen besonderen Annahmen der empirischen Anthropologie und Psychologie unabhängig. Die Beweiskraft des Lehrsatzes, daß der Naturzustand ein Zustand des Krieges aller gegen alle ist, beruht nicht auf der Plausibilität der deskriptiven Psychologie, mit welcher Hobbes durchaus operiert, sondern darauf, daß er sich als Ergebnis der rechtslogischen Implikationen des Begriffs des natürlichen Rechts unter nichtstaatlichen Bedingungen erweist. Der Lehrsatz, daß Natur- und Kriegszustand identisch sind, stellt also keine deskriptive Aussage über das wirkliche oder mögliche Verhalten der Menschen oder über ihre motivationalen Dispositionen unter nichtstaatlich organisierten Verhältnissen d a r 1 3 4 ; er behauptet auch nicht, daß der Naturzustand faktisch ein Zustand permanenter lebensbedrohender Kampfhandlungen ist: "For WARRE, consisteth not in Battel onely, or the act of fighting; but in a tract of time, wherein the Will to contend by Battel is sufficiently known: and therefore the notion of Time is to be considered in the nature of Warre; as it is in the nature of Weather. For as the nature of Foule weather, lyeth not in a showre or two of rain; but in an inclination thereto of many dayes together: So the nature of War, consisteth not in actual fighting; but in the known disposition thereto, during all the
133
Geismann/Herb , Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 24 f. Vgl. auch Scholion 220, S. 132: "Das Skandalon des nichtstaatlichen Zustandes liegt nicht in dem natürlichen Recht des Einzelnen auf Selbsterhaltung, sondern in dem naturzuständlichen Modus, die Grenzen dieses Rechts nach Maßgabe der je eigenen Rechtsvernunft zu bestimmen und mit dem je eigenen Schwert zu sichern." 134 Charakteristisch fur die Mißverständnisse der klugheitstheoretischen Interpretation des Naturzustandes ist Kavkas Versuch (Hobbesian Moral and Political Theory, pp. 73, 121-123), empirische und historische Bedingungen (so sollen die Menschen "neither too poor nor too rich" sein) für die Realität des Krieges aller gegen alle a u f zeigen. Sein Hinweis auf sozialanthropologische Untersuchungen über Stämme, die sich auf dem Entwicklungsniveau von Jägern und Sammlern befinden, die über ausgeprägt egoistische Verhaltensmuster verfügen und insofern "in some real situations approximating the state of nature" leben, ohne daß daraus ein aktiver Kriegszustand resultieren würde, offenbart nur, wie wenig seine "Hobbesian Theory" noch mit den rechtsphilosophischen Leistungen ihres Namensgebers zu tun hat.
VI. Der Naturzustand als Kriegszustand
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time there is no assurance to the contrary. All other time is PEACE" (Lev. ΧΙΠ, pp. 88-89). 135 Der Begriff 'Kriegszustand 1 fungiert also als ein Terminus technicus der Vernunftrechtslehre zur Bestimmung eines Zustandes, der strukturell so beschaffen ist, daß erstens Rechtskonflikte unvermeidlich sind und zweitens nur gewaltsam gelöst werden können. 1 3 6 Schon allein deswegen, weil und insofern im Naturzustand jeder Richter in eigener Sache ist und sein Verhältnis zu anderen bloß nach seinem Belieben bestimmt, wird der Naturzustand zu einer Situation permanenter Rechtsunsicherheit bzw. permanenter Bereitschaft, beliebige Rechtskonflikte mit Gewalt auszutragen. Unter Berücksichtigung der rechtsphilosophischen Aufgabenstellung der Naturzustandskonstruktion erschließt sich auch der sachliche Gehalt der Hobbesschen Behauptung, die Menschen hätten im Naturzustand den Willen, einander zu schaden: "Voluntas laedendi omnibus quidem inest in statu naturae" (DC I, 4). Wenngleich Hobbes in diesem Zusammenhang eine Begründung vorbringt, welche die empirisch-psychologischen Konfliktursachen betont 1 3 7 , läßt sich im Rückblick auf unsere Rekonstruktion feststellen, daß der entscheidende Gesichtspunkt in seiner Einsicht besteht, daß - ganz unabhängig von den subjektiv zufalligen Motiven, andere schädigen zu wollen oder auch bescheiden zu sein
135
Hobbes gebraucht die Termini Kriegszustand und Krieg als Synomyme, weshalb sich Kant in seiner Religionsschrift zu folgender Korrektur veranlaßt sah: "Hobbes' Satz: status hominum naturalis est bellum omnium in omnes, hat weiter keinen Fehler, als daß es heißen sollte, est status belli etc. Denn wenn man gleich nicht einräumt, daß zwischen Menschen, die nicht unter äußern und öffentlichen Gesetzen stehen, jederzeit wirkliche Feindseligkeiten herrschen: so ist doch der Zustand derselben (status iuridicus), d. i. das Verhältnis, in und durch welches sie der Rechte (des Erwerbs oder der Erhaltung derselben) fähig sind, ein solcher Zustand, in welchem ein jeder selbst Richter über das sein will, was ihm gegen andere recht sei, aber auch fur dieses keine Sicherheit von anderen hat oder ihnen giebt, als jedes seine eigene Gewalt, welches der Kriegszustand ist, in dem jedermann wider jedermann beständig gerüstet sein muß" (Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft; AA VI, S. 9725.34). Wie Geismann/Herb (Hobbes über die Freiheit, Scholion 219, S. 129) mit Recht hervorheben, betrifft diese Korrektur jedoch eigentlich nur die Terminologie, nicht die Sache selbst, in der zwischen beiden Denkern keine Differenz besteht. 136 Vgl. die "Belli & Pacis definitiones" in DC I, 12: "BELLVM enim quid est, praeter tempus illud in quo voluntas certandi per vim verbis factisve satis declaratur? Tempus Reliquum PAX vocatur." "Status naturalis iuridice est status belli, denn der modus ius suum perseqvendi ist nicht per processum sondern per bellum" (Kant, Refi. 7936; AA XIX, S. 560 4 f ). 137 Nach dieser Begründung erwächst der Wille zu schaden bei einigen Menschen "ab inuani gloria & falsa virium aestimatione", während die übrigen Menschen, die an sich bescheiden sind, einen solchen negatorischen Willen nur zwecks der Erhaltung ihrer Freiheit und ihres Besitzes an den Tag legen; in modifizierter Form entwickelt Hobbes dieses Argument auch im Leviathan (Lev. ΧΙΠ, pp. 87-88). 6*
Α. Das Natuzustandsargument
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- alle Menschen aufgrund der juridischen Struktur dieses Zustandes gezwungen sind, ihren Willen in dieser Form ausschließender Besonderheit zu bestimmen und ihr Recht mit Gewalt und durch Schädigung des fremden Willens durchzusetzen. In der Tat zeichnet sich der Naturzustand ja nicht bloß durch die Schädigung eines fremden Interesses aus, sondern durch die universelle Läsion, die Verletzung
eines fremden
Rechtsanspruches.
138
Schon die
feste Bedeutung des Begriffs der "Läsion" in der juristischen Terminologie er ist in der Ulpianischen Formel des 'neminem laedere' enthalten 139 - legt eine eher rechtstheoretische als eine psychologische Interpretation nahe. Erst Kant wird den Weg der völligen Befreiung der Naturzustandskonzeption von überflüssigem anthropologischen Beiwerk und der Präzisierung der rechtstheoretischen Argumentation beschreiten, indem er zeigt, daß der Naturzustand "eine continuirliche Läsion der Rechte aller anderen [ist] durch die Anmaßung in seiner eigenen Sache Richter zu sein und andern Menschen keine Sicherheit wegen des Ihrigen zu lassen, als bloß seine eigene Willkür" (AA VI, S. 9735.3g). Eine Läsion liegt im Naturzustand insofern vor, als durch das gesetzlose Wollen eines jeden überhaupt die Totalität möglicher subjektiver Rechtsansprüche anderer negiert und damit in ganz prinzipieller Weise 'lädiert' wird.
V I L Der praktische Selbstwiderspruch des Naturzustandes und das exeundum Die Art und Weise, wie Hobbes im Abschnitt De Cive I, 13 die Forderung einfühlt, den Naturzustand zu verlassen, nämlich als Forderung zweckrationalen Handelns 140 , legt den Verdacht nahe, daß der Eintritt in den status
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Leider eliminieren sowohl die englische Übersetzung dieser Passage in den Rudiments ("All men in the State of nature have a desire, and will to hurt") als auch die deutsche Obersetzung ("Den Willen zu schaden haben im Naturzustand alle Menschen") die spezifisch juristische Bedeutung dieses Begriffs. Vgl. Hobbes, Philosophical Rudiments concerning Government and Society, p. 46; Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, hrsg. von Günter Gawlik, S. 80. 139 Inst. 1, 1, 3; und D. 1, 1, 10, 1, wo das "alterum non laedere" zusammen mit dem "honeste vivere" und dem "suum cuique tribuere" die Trias der "iuris praecepta" bildet. 140 "Quicumque igitur manendum in eo statu censuerit, in quo omnia liceant omnibus, contradicit sibimet ipsi; nam vnusquisque naturali necessitate bonum sibi appétit, neque est quisquam qui bellum istud omnium contra omnes, quod tali statui naturaliter adhaeret, sibi existimat esse bonum. Atque ita euenit vt mutuo metu, è tali statu exeundum & quaerendos socios putemus; vt si bellum habendum sit, non sit tarnen contra omnes, nec sine auxiliis" (DC I, 13). Ähnlich lautete die Argumentation bereits in den Elements : "He therefore that desireth to live in such an estate, as is the estate of liberty and right of all to all, contradicteth himself' (Elements, XIV, 12).
ΥΠ. Der praktische Selbstwiderspruch des Naturzustandes
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civilis nur auf der Grundlage eines subjektiv-pragmatischen Nützlichkeitskalküls erfolgt. Allerdings hat sich Hobbes an dieser Stelle darauf beschränkt, das logisch-praktische Absurdum dieses Zustandes141 nur auf handlungstheoretischer Ebene zu bestimmen: wird dagegen die absolute Freiheit der Selbstbestimmung als allgemeines Handlungsprinzip gedacht, so führt dies dazu, daß die Realisation der subjektiven Handlungsintentionen des bonum sibi, das jedermann "naturali necessitate" erstrebt, durch die objektive Struktur des Naturzustandes systematisch unmöglich gemacht wird. Durch den Rekurs auf die Notwendigkeit des Selbsterhaltungsstrebens und die mit ihm verknüpfte individuelle Motivationslage sowie den Appell an das individuelle Nutzenkalkül, demgemäß die einzelnen auf die prognostizierbaren "evill consequences" eines nichtstaatlichen Zustandes reflektieren sollen, denen gegenüber auch der despotische Staat als kleineres Übel erscheinen soll 1 4 2 , hat Hobbes jedoch selbst Ansatzpunkte für eine Reihe von Interpretationen in der neueren Forschung geliefert, die - zum Schaden für das spezifisch rechtsphilosophische Problembewußtsein - ausschließlich auf diese klugheitstheoretischen Aspekte abstellen. Nach dem Interpretationsmuster dieser klugheitsbzw. motivationstheoretischen Überlegungen wird der Eintritt in den status civilis zum Ergebnis einer subjektiven Nutzen-Kosten-Bilanz und damit in der Tat vom "souveränen Nützlichkeitsurteil des einzelnen"143 abhängig gemacht.
141
Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 226. 142 "And though of so unlimited a Power, men may fancy many evill consequences, yet the consequences of the want of it, which is perpetuali warre of every man against his neighbour, are much worse" (Lev. XX, pp. 144-5). Hobbes scheint sich in solchen Zusammenhängen mit der handlungstheoretischen Annahme zu begnügen, daß "man by nature chooseth the lesser evill" (Lev. XIV, p. 98). Auch an anderen Stellen greift Hobbes auf pragmatische, nicht spezifisch rechtslogische Argumente zurück, so ζ. B. wenn er denjenigen, die gegen die Notwendigkeit der souveränen Staatsgewalt opponieren, vorwirft, sie würden nicht berücksichtigen, "that the estate of Man can never be without some incommodity or other, and that the greatest, that in any forme of Government can possibly happen to the people in generali, is scare sensible, in respect of the miseries, and horrible calamities, that accompany a Civili Warre" (Lev. XVIII, p. 128; vgl. auch Dialogue , p. 57: "[B]ut Peace at home may then be expected durable, when the common people shall be made to see the benefit they shall receive by their Obedience and Adhaesion to their own Soveraign, and the harm they must suffer by taking part with them, who by promises of Reformation, or change of Government, deceive them"). - Polin (Hobbes, Dieu et les hommes, p. 112) hält Hobbes' Verweis auf das kleinere Übel für ein stichhaltiges Argument, übersieht aber, daß derartige pragmatische Überlegungen für die rechtliche Begründung einer unbedingten Pflicht staatsbürgerlichen Gehorsams nicht entscheidend sind. 143 Schottky, Die staatsphilosophische Vertragstheorie, S. 85. Schottky unterstellt eine zirkuläre Argumentation, wenn er in diesem Zusammenhang behauptet, die Vertragstheorien hätten aus der Bindung des staatsbürgerlichen Gehorsams an das individuelle Nützlichkeitsurteil keine anarchistischen Konsequenzen gezogen, weil sie
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Α. Das Natuzustandsargument
So betrachtet ζ. B. Kavka den Staat als eine Institution, die "Hobbesian People" im Rahmen einer "disaster-avoidance"-Strategie begründen würden, "to ameliorate conflict and enable cooperation among rational individuals with differing goals, aims and interests". 144 Auch Hamptons Versuch einer Rekonstruktion der Hobbesschen Vertragstheorie mit den analytischen Mitteln der modernen Spieltheorie läuft auf die Behauptung hinaus, Hobbes habe eine Art "ethical subjectivism" auf der Basis eines rationalen Klugheitskalküls begründen wollen. Daher behauptet sie, Hobbes habe in seinem "radical revisionist project" die Frage beantworten wollen, "Why should I act morally?" Er habe auf diese Frage eine verblüffend einfache Antwort gegeben: man soll moralisch handeln, weil dies dem Eigeninteresse dient. Wir sollen in derselben Weise moralisch handeln, wie wir Medizin einnehmen sollen, wenn wir krank sind. 145 Die Naturzustandshypothese analysiert Hampton unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwägung durch die einzelnen, dergemäß jeder zu der Einsicht gelangt, daß die Gefahren im Naturzustand größer sind als im Staat: "Hobbes's contention [is] that people will decide that the risks to life in the state of nature [...] are greater than the risks to life in a commonwealth, in which one person or assembly has absolute power and hence can dispose of any of the subjects as desired." 146 Diese klugheits- und motivationstheoretische Bestimmung der Funktion des Naturzustandes macht indes deutlich, daß Hampton - wie der Großteil der angelsächsischen Hobbes-Interpretationen überhaupt - nicht hinreichend zwischen rechts- und moralphilosophischen Begründungsaufgaben sowie zwischen der Begründung einer rechtlichen Verbindlichkeit und den möglichen subjektiven Motiven der Pflichterfüllung unterscheidet. Insgesamt verkennen diejenigen Interpreten, die glauben, den Grund der Notwendigkeit des exeundum auf den Aspekt des subjektiven Widerspruchs zwischen Absicht und Resultat des individuellen Handelns reduzieren zu kön-
"fast durchweg von der rational erkennbaren Nützlichkeit des Staates als solchen durchaus überzeugt" waren. 144 Kavka, Hobbesian Moral and Political Theory, p. 201. 145 Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 29, 50-51. - In dem gleichen Sinne betrachtet Kersting die Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze: '"Die natürlichen Gesetze verpflichten' bedeutet bei Hobbes: Die instrumentelle Vernunft, die sich der menschlichen Interessen annimmt und sich in kriegszustandsanalogen Situationen vor allem um das Selbsterhaltungsinteresse kümmert, erkennt, daß eine gemeinsame Befolgung der traditionell als 'natürliche Gesetze' bezeichneten Regeln der Kooperation, der Fairneß und Gerechtigkeit im Interesse von jedermann ist und jedermann sich folglich einen Zustand wünschen muß, in dem diese Grundsätze gelten. [...] Die rationalen Bedingungen eines friedvollen Zusammenlebens, produktivitätssteigernder Kooperation und einer gelingenden Lebensführung besitzen als solche keinerlei verpflichtende Kraft" (Kersting, Hobbes zur Einfuhrung, S. 133). 146 Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition, p. 192.
ΥΠ. Der praktische Selbstwiderspruch des Naturzustandes
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nen, die Logik der Hobbesschen Argumentation. Denn die Dramaturgie des Naturzustandes dient nicht in erster Linie der Aufklärung des rationalen Egoisten über eine vorteilhaftere "Alternative zur Naturzustandsstrategie" 147 oder dazu, "die Entscheidung, den Naturzustand zu verlassen und in den Gesellschaftszustand einzutreten, [...] nach dem Kalkülmodell der Nutzenmaximierung" zu entwickeln, so daß sich der einzelne nur "gänzlich der Idee der strategischen Konsequenz hingeben" muß, um die unbedingte Unterwerfung unter die souveräne Zwangsgewalt plausibel zu finden. 148 Die klugheitstheoretischen Interpretationen ignorieren die Pointe des Hobbesschen exeundumArguments: wenngleich Hobbes keinen Zweifel an seiner Überzeugung läßt, daß der Eintritt in den status civilis für die einzelnen von Nutzen ist, so folgt daraus doch nicht, daß die Begründung der Notwendigkeit der souveränen Staatsgewalt in erster Linie bloß Resultat eines Nutzenkalküls ist. Noch weniger bedeutet es, daß die Existenz und das Recht der souveränen Staatsgewalt davon abhängig gemacht werden kann, ob das individuelle Klugheitskalkül aufgeht. Der Beweis für die Notwendigkeit des exeundum wird systematisch nicht auf Gesichtspunkte allgemeiner Nützlichkeit gestützt. Vielmehr liefert Hobbes eine Theorie der Notwendigkeit des Ausgangs aus dem Naturzustand und der unbedingten Unterwerfung unter die souveräne Rechtszwangsgesetzgebung und der von ihr auferlegten Rechtspflichten, welche "die Einhaltung solcher Pflichten im Konfliktfall garantiert" und dadurch "von subjektiver Zustimmung gerade unabhängig" macht. 149 Auch der Selbstwiderspruch im Verhältnis von subjektiven Handlungsintentionen und Handlungsfolgen setzt den zuvor in DC I, 7-12 entfalteten Fundamentalwiderspruch voraus, insbesondere aber die Zusammenfassung des Naturzustandsarguments, in DC I, 10 annotatio, daß der Naturzustand ein Zustand ist, in welchem die Menschen unmöglich im Hinblick auf die Bestimmung der Rechtlichkeit ihres äußeren Freiheitsgebrauchs übereinstimmen können. Ein solcher Zustand der unvermeidlichen Rechtsantinomie und der bloß gewaltsamen Durchsetzung von Rechtsansprüchen führt zu Konsequenzen, die mit der Rechtslogik des freien Handelns unverträglich sind. Er ist deshalb sowohl theoretisch wie praktisch absurd: er ist theoretisch absurd, weil die eigentümliche Dialektik des natürlichen Rechts im Naturzustand eine Unterscheidung von Recht und Unrecht sowie von Recht und Pflicht unmöglich macht; er ist zugleich praktisch absurd, weil die absolute Freiheit des Naturzustandes eo ipso die Bedingungen negiert, unter denen überhaupt Rechtsverhältnisse und stabile gesellschaftliche Beziehungen möglich sind und unter denen ein Wille überhaupt als ein rechtlich anerkannter Wille auf-
147 148 149
Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 115. Münkler, Thomas Hobbes, S. 100, 130. Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 216.
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treten kann. Der objektive Selbstwiderspruch, in den sich jeder durch die Gesetzlosigkeit seiner Freiheit verwickelt, läßt sich daher auf der Basis von Hobbes' Argumentation als der Widerspruch rekonstruieren, nach dem die absolute Freiheit - gedacht als allgemeines Prinzip des Freiheitsgebrauchs jede rechtliche Vereinigung unter Menschen a priori unmöglich macht. Die Forderung, den Naturzustand zu verlassen, bezieht sich jetzt nicht mehr auf Fragen subjektiver Klugheit und Nützlichkeit, sondern auf die immanente Notwendigkeit eines Willens, der die Sicherheit seines Rechts, d. h. seine Freiheit unter Bedingungen rechtlicher Anerkennung will. Wer trotz der permanenten Negation seines Rechts durch das gleiche Recht aller anderen dennoch im Zustand der absoluten Freiheit (DC XV, 1) bzw. der unbeschränkten, aber gerade deswegen nutzlosen Freiheit (DC X, 1) verbleiben will, widerspricht sich selbst, und zwar unabhängig von den besonderen Zwecken und dem besonderen Nutzen seines Wollens: denn er will ein subjektives Recht, ohne gleichzeitig diejenigen Bedingungen zu wollen, unter denen es überhaupt gesichert, garantiert und somit objektiv möglich gemacht werden kann. Ein solcher Wille, der die Bedingungen der eigenen Möglichkeit systematisch negiert, widerspricht sich selbst, weil niemand vernünftigerweise wollen kann, daß die Möglichkeit seiner Selbsterhaltung bloß von der beliebigen Willkür eines anderen abhängt und daß sein Recht nicht weiter reicht als seine zufallige Fähigkeit, es selbst aufgrund eigener Stärke durchzusetzen. Also fordert die praktische Vernunft von jedem, der Recht als praktisches Verhältnis der Menschen will, den äußeren Freiheitsgebrauch solchen Bedingungen zu unterwerfen, durch welche die Freiheit von jedermann mit der Freiheit aller auf ein miteinander verträgliches Maß eingeschränkt wird: "Recht fordern und Unterwerfung der äußeren Freiheit der Menschen unter den reinen Vernunftbegriff ihrer gesetzlichen Übereinstimmung fordern, ist ein und dasselbe."150 Zum Abschluß dieses Kapitels lohnt es sich, einen Blick auf die verbindlichkeitstheoretische Präzisierung zu weifen, welche die Exeundum-Forderung in der Kantischen Rechtslehre erfahren hat. Kant hat sich im Hinblick auf die Lehre vom Naturzustand und die Forderung des exeundum mehrfach eindeutig auf Hobbes bezogen und keinen Zweifel daran gelassen, daß er sich dieser 'Hobbesschen Erbschaft' seiner Rechtsphilosophie bewußt ist. 1 5 1 Aber noch
150
Ebbinghaus, GS I, S. 356. Vgl. neben den im folgenden angeführten Stellen auch Kritik der reinen Vernunft Β 780; AA VI, S. 9725_38; AA XXVII/2. 2 (Naturrecht Feyerabend), S. 13827 f . Zur Charakterisierung der juridischen Widersprüchlichkeit des Naturzustandes benutzt Kant in einer Nachlaßreflexion eine Formulierung, die fast wörtlich mit einer Passage aus De Cive übereinstimmt: "In statu naturali ist iedes ius ein ius dubium, wo es heißt alter iure aggredita, alter iure resistit: also status belli" (AA XIX, S. 5013 f ; ebenso AA XIX, S. 560 30 - 5612); bei Hobbes lautete die Formulierung folgendermaßen: "[...] ius omnium in omnia, quo alter iure inuadit, alter iure resistit" (De Cive I, 12); der zu 151
ΥΠ. Der praktische Selbstwiderspruch des Naturzustandes
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schärfer als sein Vorgänger hat Kant die rechtsphilosophische Begründungsfunktion der Naturzustandskonstruktion herausgearbeitet: "der status naturalis existiert an sich gar nicht, und hat nie existirt, es ist eine bloße Vernunft-Idee, die die Beurtheilung des Privatverhältnisses der Menschen unter einander enthält, wie sich nämlich die Freiheit des einen gegen die Freiheit des anderen nach den Gesetzen der allgemeinen Freiheit bestimmt. [...] Der Zustand der Läsion würde immerwährend seyn, solange Jeder allein Gesetzgeber und Richter wäre: Dies ist es, was man statum naturalem nennt, ein Zustand aber, der der angeborenen Freiheit ganz entgegen läuft. Es ist daher nothwendig, daß, sobald Menschen sich bis zur Ausübung ihrer wechselseitigen Freiheit nähern, sie den statum naturalem, verlassen, um ein notwendiges Gesetz, einen statum civilem, einzugehen; d. i. es ist eine allgemeine Gesetzgebung, die für Jedermann Recht und Unrecht festsetzt, eine allgemeine Gewalt, die jeden in seinem Recht schützt und eine richterliche Gewalt nöthig, die das gekränkte Recht wiederherstellt oder sogenannte justitiam distributivam eruirt (suum cuique tribuit). Dies ist es, was unter allen Naturrechtslehrern allein Hobbes als das oberste Princip des status civilis annimmt: exeundum esse ex statu naturali" (Metaphysik der Sitten Vigilantius, AA XXVn/2. 1, S. 589 2 4 - 5 9 0 1 0 ) . 1 5 2
Die Präzisierung des Naturzustandsarguments bei Kant äußert sich zunächst darin, daß Kant den hypothetischen Charakter des Naturzustandes bzw. seine heuristische Funktion als "Vernunft-Idee" betont und darüber hinaus die Konzeption des Naturzustandes von den bei Hobbes noch vorhandenen empirischen Randbedingungen befreit und dadurch allen Versuchen einer entwicklungsgeschichtlichen oder anthropologischen Deutung des Naturzustandes diesem Abschnitt gehörige Randtitel lautet: "Statum hominum extra Societatem bellum esse." 152 Vgl. zur Hobbesschen Erbschaft' der Kantischen Rechtsphilosophie v. a. Ebbinghaus, GS Π, S. 249-281, sowie Geismann, Kant als Vollender von Hobbes und Rousseau, S. 177-189, und Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 35-38; vgl. auch Vf., Kant auf den Spuren von Thomas Hobbes?, S. 761-771. - Ich sehe in den nachfolgenden Ausführungen davon ab, daß sich die Begründung der rechtlichen Notwendigkeit des exeundum in der Rechtslehre nicht auf die Tiobbessche Erbschaft' reduzieren läßt, weil es mir in diesem Zusammenhang nur um den weniger anspruchsvollen Nachweis geht, daß Kant sehr wohl auf die Argumente seines Vorgängers zurückgreift. Eine detaillierte und scharfsinnige Interpretation des Kantischen exeundum-Arguments und der mit ihm verbundenen unterschiedlichen Begründungsstrategien haben Herb/ Ludwig (Naturzustand, Eigentum und Staat. Immanuel Kants Relativierung des Ideal des hobbes') vorgelegt. Sie machen mit Recht darauf aufmerksam, daß die Systematik der Kantischen Rechtslehre in erster Linie durch viel weiter reichende Beweisaufgaben bestimmt ist: die Forderung, den Naturzustand zu verlassen bzw. in den Zustand einer staatlich verbürgten Rechtsordnung einzutreten, ist hier in den argumentativen Kontext der Begründung des äußeren Mein und Dein eingebettet. Diese 'eigentumstheoretische' Begründung des exeundum hat ihr systematisches Zentrum in dem 'rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft', das Kant im § 2 der Rechtslehre aufstellt. Mit diesem Postulat liefert Kant eine Begründung für die Möglichkeit des intelligiblen Besitzes, dessen Geltungsgrund nicht im staatlich gesetzten Recht, sondern in der Gesetzgebung der rechtlich-praktischen Vernunft liegt.
Α. Das Natuzustandsargument
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eine entschiedene Absage erteilt. Er macht damit deutlich, daß er die Einwände, die Rousseau in seinem Discours sur l'inégalité kritisch gegen Hobbes erheben zu können glaubte, nicht teilt, weil sie die originäre rechtsphilosophische Funktion, die das Naturzustandskonzept bei Hobbes besitzt, in eine entwicklungsgeschichtliche Fragestellung umdeuten. Mit Hobbes ist Kant der Auffassung, daß es nicht darum geht, den Vahren' Naturzustand des Menschen (im Sinne nicht nur eines vorstaatlichen, sondern vorgesellschaftlichen und vorgeschichtlichen Ursprungszustandes) in einem geschichtsphilosophischen Rekonstruktionsprozeß aufzufinden, in dem zwischen der ursprünglichen Naturausstattung des Menschen und den durch die Mechanismen der Vergesellschaftung erzeugten Charakteristika des homme social unterschieden werden kann 153 , sondern um die Darlegung der rechtlichen Lage, in welcher sich die Menschen ohne eine Zwangsgewalt befinden würden: "der Stand der Natur: ein Ideal des hobbes. Es wird hier das recht im Stande der Natur und nicht das factum erwogen. Es wird bewiesen, daß es nicht willkürlich sey, aus dem Stande der Natur herauszugehen, sondern nothwendig nach Regeln des Rechts" (AA XIX, S. 99 3 4 - IOO3).
Noch wichtiger als die Befreiung von anthropologischem und entwicklungsgeschichtlichen Ballast ist jedoch Kants Präzisierung des verbindlichkeitstheoretischen Status der vernunftrechtlichen Forderung des exeundum. Zwar lehrt auch Hobbes, daß der Naturzustand die Bedingungen der Möglichkeit einer Rechtsordnung negiert, und daß es folglich ein dictamen rectae rationis ist, die unbeschränkte natürliche Freiheit aufzugeben und den Naturzustand zu verlassen, damit an die Stelle der Gesetzlosigkeit des Naturzustandes die Rechtsordnung des status civilis und an die Stelle des völlig unbestimmten und ungesicherten "ius in omnia" das gegen jedermann erzwingbare "ius finitum" (DC X, 1) treten kann. Insofern ist auch für Hobbes der Staat aus Gründen des (natürlichen) Rechts notwendig, weil anders eine gesetzliche Übereinstimmung der Menschen hinsichtlich der Bedingungen des Gebrauchs ihrer äußeren Freiheit nicht möglich ist. Aber nach Hobbes tun die Menschen, wenn sie den Geboten der Vernunft zuwiderhandeln, kein Unrecht, weil die Qualifikation einer Handlung einen bestimmten gesetzlichen Maßstab voraussetzt, nämlich ein System vertraglich begründeter Rechte und Pflichten. Demgegenüber stellt für Kant der Grundsatz, "man müsse aus dem Naturzustande, in welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, herausgehen und sich mit allen anderen [...] dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußerem Zwange zu unterwerfen" (AA VI, S. 312!4.i8), eine vernunftrecht153
Rousseau, Discours sur l'inégalité; OC ΠΙ, p. 123: "[C]e n'est pas une légére entreprise de démêler ce qu'il y a d'originaire et d'artificiel dans la Nature actuelle de l'homme, et de bien connoître un état qui n'existe plus, qui n'a peut-être point existé, qui probablement n'existera jamais, et dont il est pourtant necessaire d'avoir des Notions justes pour bien juger de nôtre état présent."
ΥΠ. Der praktische Selbstwiderspruch des Naturzustandes
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liehe Verbindlichkeit dar, die zu erfüllen dem Menschen "obliegt, wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsagen will" (AA VI, S. 312χ3 f). Aus diesem Grunde ist der Vorsatz, "in diesem Zustande äußerlich gesetzloser Freiheit zu sein und zu bleiben" (AA VI, S. 30727 f.), ist nicht bloß - wie bei Hobbes eine widersprüchliche Handlungsmaxime, weil durch sie Rechtsverhältnisse überhaupt unmöglich gemacht werden. Vielmehr sind nach Kant solche Handlungen, die den Eintritt in den status civilis unmöglich machen, als Unrecht zu betrachten. Vom Hobbesschen Standpunkt aus könnte eingewandt werden, daß im Naturzustand die Voraussetzungen, um Handlungen als unrechtmäßig zu qualifizieren, nicht gegeben seien. Was Recht bzw. Unrecht ist, werde erst durch die staatliche Rechtsordnung festgelegt. Die Kantische Argumentation trägt jedoch diesem Einwand Rechnung: der Unrechtscharakter solcher Handlungen kann nicht darin bestehen, daß jemand durch die Gesetzlosigkeit ihres Handelns Rechtsansprüche anderer, die erst mit dem Eintritt in den status civilis erworben werden, verletzt. Auch kann niemand - wie Kant unter Rückgriff auf den schon von Hobbes aufgestellten Grundsatz der Reziprozität erläutert - verbunden sein, "sich des Eingriffs in den Besitz des Anderen zu enthalten, wenn dieser ihm nicht gleichmäßig auch Sicherheit giebt, er werde eben dieselbe Enthaltsamkeit gegen ihn beobachten" (AA VI, S. 307 14 _ 16 ). Deshalb tun die Menschen auch nach Kants Auffassung "einander [...] gar nicht unrecht, wenn sie sich untereinander befehden; denn was dem Einen gilt, das gilt auch wechselseitig dem Anderen, gleich als durch eine Übereinkunft (uti partes de iure suo disponunt, ita ius est)" (RL § 42, AA VI, S. 307283i). 1 5 4 Der Unrechtscharakter naturzustandsverlängender Handlungen kann sich offenbar nicht auf die erwerblichen Rechte der Menschen beziehen. Welches Recht wird dann aber durch den Vorsatz, im Naturzustand bleiben zu wollen, verletzt? Es ist das angeborene "Recht der Menschen" (AA VI, 3086), d. h. das Recht eines jeden im äußeren Gebrauch ihrer Freiheit "von eines Anderen nöthigender Willkür" (AA VI, S. 23729) unabhängig und nur Freiheitseinschränkungen auf gesetzlicher Grundlage unterworfen zu sein. Der Vorsatz, im Naturzustand verbleiben zu wollen, ist aus diesem Grunde an sich rechtswidrig, so daß die Menschen im Naturzustand "im höchsten Grade daran unrecht [tun,] in einem Zustande sein und bleiben zu wollen, der kein rechtlicher ist, d. i. in dem Niemand des Seinen wider Gewalttätigkeit sicher ist" (AA VI, S. 30731- 308 6 ). 155
154 Diesen naturrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung konnte Kant in abgewandelter Form auch bei Hobbes finden, vgl. DC X, 1: "[PJroptereà quod qui propter libertatem suam omnia agit arbitrio suo, propter libertatem aliorum omnia patito arbitrio alieno." 155 Zur Erläuterung fügt Kant an dieser Stelle folgende Fußnote ein: "Dieser Unterschied zwischen dem, was bloß formaliter, und dem, was auch materialiter unrecht ist, hat in der Rechtslehre mannigfaltigen Gebrauch. Der Feind, der, statt seine Capitulation mit der Besatzung einer belagerten Festung ehrlich zu vollziehen, sie bei
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Α. Das Natuzustandsargument
Mit der Frage, ob es Handlungen gibt, die an sich Unrecht sind, d. h. deren
Unrechtscharakter vor und unabhängig von der Existenz eines Zustandes distributiver Gerechtigkeit beurteilt werden kann, stellt Kant Überlegungen an, die systematisch über die Hobbessche Rechtsphilosophie hinausgehen. Handlungen, die darauf abzielen, den Naturzustand zu verewigen bzw. die Schaffung von Rechtsverhältnissen unmöglich zu machen, sind zwar nicht "formaliter" unrecht, weil sie keine Verstöße gegen ein schon existierendes Normensystem, keine Verstöße gegen bestimmte vertragliche Verbindlichkeiten darstellen. Aber sie sind "materialiter unrecht" bzw. Unrecht schlechthin, weil durch sie die Rechtsfähigkeit der Person als solche in Frage gestellt wird und durch sie die nach Prinzipien des Vernunftrechts geforderte allgemeine Rechtssicherheit verhindert wird. Paradoxerweise - so könnte man hinzufügen - tun sich die Menschen im Naturzustand dadurch Unrecht, daß sie die gesetzliche Bestimmung von Umecht überhaupt unmöglich machen.156 Anders als Hobbes gelingt es Kant durch die Einführung dieser systematischen Unterscheidung "zwischen dem, was bloß formaliter, und dem, was auch materialiter unrecht ist" 1 5 7 , das dictamen rectae rationis zugleich mit einer zwangsrechtlichen Befugnis zu verknüpfen. Durch diese Zwangsbefugnis vermag ich jedermann zu "nöthigen, entweder mit mir in einen gemeinschaftlich-gesetzlichen Zustand zu treten, oder aus meiner Nachbarschaft zu
dieser ihrem Auszuge mißhandelt, oder sonst diesen Vertrag bricht, kann nicht über Unrecht klagen, wenn sein Gegner bei Gelegenheit ihm denselben Streich spielt. Aber sie thun überhaupt im höchsten Grade unrecht, weil sie dem Begriff des Rechts selber alle Gültigkeit nehmen und alles der wilden Gewalt gleichsam gesetzmäßig überliefern und so das Recht der Menschen überhaupt umstürzen" (RL § 42, AA VI, S. 307 33 3086). 156 Vgl. Kant: Refi. 7647; AA XIX, S. 476 27 - 4773: "ich bin von andern Menschen, die im natürlichen Zustande sind, laesus per statum. Denn ich habe keine Sicherheit und das Eigenthum ist immer in Gefahr. Ich bin nicht verbunden, in dieser Furcht zu bleiben." AA VI, S. 97 35 . 38 : "Dieser Zustand ist eine continuirliche Läsion der Rechte aller andern durch die Anmaßung in seiner eigenen Sache Richter zu sein und andern Menschen keine Sicherheit wegen des Ihrigen zu lassen, als bloß seine eigene Willkür." 157 Zu dieser systematischen Unterscheidung vgl. AA Vili, S. 429 31 _ 37 ; AA XIX, S. 44 4 f, S. \46β_η \ besonders deutlich kommt der reflexive Status dieser Fragestellung in einer der Vorarbeiten für die Rechtslehre zum Ausdruck: "Ob eine Handlung Recht oder Unrecht sey kan analytisch aus dem oben angefuehrten Princip der Freyheit erkannt werden. Ob aber ein aeusseres Object der Willkühr mein oder dein sey diese Frage betritt nicht eine handlung sondern geht darauf: ob jemand ein Recht als äußerlichen Besitz habe oder einen äußeren obgleich nicht physischen habe oder nicht. Wenn also ein Zustand angenommen wird darinn noch keiner von beyden irgend ein äußeres Recht besitzen kan so koennen wohl beyde unrecht thun darin daß sie der Bedingung der Möglichkeit der Erzeugung eines äußeren Rechts zuwieder handeln keinem von beyden aber geschieht dadurch von dem andern unrecht weil sie beyde noch in einem Zustande sind darinn kein Mein und Dein statt findet" (AA ΧΧΙΠ, S. 215 27 - 2162).
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weichen" (AA VIII, S. 349 2 o-22)· 158 Die dem ursprünglichen Freiheitsrecht korrespondierende Pflicht zum Eintritt in den status civilis, die eine analytische Konsequenz des in § C der Rechtslehre entwickelten allgemeinen Prinzips des Rechts darstellt, bildet als "Postulat des öffentlichen Rechts" das Fundament des Staatsrechts: "du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit, übergehen" (RL § 42; AA VI, S. 307 8 _n). 1 5 9
158 Diese verbindlichkeitstheoretische Auslegung des exeundum kommt sehr deutlich auch in der Reflexion Nr. 7735 zum Ausdruck: "Der Satz: exeundum est e statu naturali bedeutet: Man kann ieden zwingen mit uns oder unserer republic in statum civilem zu treten" (AA XIX, S. 50 3 2 8 f ). 159 Noch deutlicher kommt diese Verknüpfung des Begriffs der (distributiven) Gerechtigkeit mit der Pflicht des exeundum in einer Nachlaßreflexion (nach Adickes datiert diese Reflexion aus den Jahren 1776-78) zum Ausdruck: "Schaffe, daß ein jeder vor das Seine in ansehung deiner in Sicherheit sey (dieses ist die Pflicht zur Bürgerlichen Gesellschaft, die allgemeine Bedingung aller Rechte und Eigenthums der Menschen). Stelle einen jeden wegen seines rechts von deiner Seite in Sicherheit (suum cuiqve); denn nur alsdenn kan er sagen, daß etwas sein ist, und zwar facto, nicht blos jure, wenn er wegen dessen Besitzes gesichert ist. Dieses ist die einzige affirmative äußere natürliche Pflicht: exeundum e statu naturali" (Refi. 7075, XIX 242 2 9 2435).
Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
I. Die Definition des natürlichen Gesetzes Während das erste Kapitel von De Cive das Naturzustandsargument entfaltet und den Nachweis erbringt, daß der nichtstaatliche Zustand notwendig ein Zustand des Krieges ist und der Begriff des Rechts auf alles "als Norm für das menschliche Handeln genommen nichts weiter bedeuten würde, als einen Widerspruch der Freiheit menschlicher Willkürhandlungen mit sich selbst"1, zeigt Hobbes im zweiten und dritten Kapitel im Rahmen seiner Theorie der natürlichen Gesetze die 'Wege zum Frieden'2 auf, die beschritten werden müssen, damit die Forderung der Vernunft, den Naturzustand als Zustand der äußeren Gesetzlosigkeit der Freiheit zu überwinden, erfüllt werden kann. Hobbes liefert unter dem Titel der Lehre vom natürlichen Gesetz eine normative Theorie der rechtlich notwendigen Einschränkungen des äußeren Freiheitsgebrauchs und der apriorischen Bedingungen der Errichtung einer rechtlichen Vereinigung von Menschen. Die Theorie der natürlichen Freiheit, die im Naturzustandsargument kul-
miniert, und die Theorie des natürlichen Gesetzes bilden erst in ihrem systematischen Bezug aufeinander die vollständige Lehre von der 'Libertas' als einer Theorie von den a priori gültigen Bedingungen des Friedens, auf welche der Gebrauch der freien Willkür festgelegt und normativ eingeschränkt werden muß. Erst aus dem systematischen Zusammenhang von jus naturale und lex naturalis ergibt sich nämlich das vernunftrechtliche Fundament freier Selbstbestimmung, aus dem Hobbes im zweiten, staatsrechtlichen Teil seiner Lehre die Notwendigkeit des souveränen Staates abzuleiten vermag. Diese Vermittlungsfunktion im vernunftrechtlichen Beweisgang zwischen dem absoluten Recht des Naturzustandes und seinen widersprüchlichen Implikationen einerseits und dem Beweis der Notwendigkeit des souveränen Staates andererseits wird insbesondere in den politikwissenschaftlich orientierten Hobbesinterpretationen vernachlässigt. Am leichtesten haben es selbstverständlich 1
Ebbinghaus, GS Π, S. 162. Hobbes bezeichnet die natürlichen Gesetze als "viae pacis" (DC Π, 2), als "societatis, siue Pacis humanae conditiones" (DC I, 1) bzw. als "convenient articles of peace" (Lev. ΧΙΠ, p. 90). 2
I. Die Definition des natürlichen Gesetzes
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solche Interpretationen, die das Problem der natürlichen Gesetze und die Frage ihrer Verbindlichkeit völlig ignorieren und statt dessen das Naturzustands- und das Vertragsargument "kurzschließen", ohne (wie dies ζ. B. bei Münkler der Fall ist) die begründungstheoretische Vermittlungsfunktion der natürlichen Gesetze auch nur zu erwähnen.3 Der 'Erfinder' dieses politikwisssenschaftlichen Deutungsmusters, das den in der Theorie der natürlichen Gesetze thematisierten Autonomiebegriff ausblendet, ist - jedenfalls was den deutschsprachigen Raum angeht - sicherlich Carl Schmitt gewesen. Sein Versuch, die Hobbessche Lehre aus der Perspektive der Politischen Theologie auf den Punkt (bzw. den 'Ausgangs'- und 'Endpunkt') zu bringen, zeigt die Richtung an, in welche die Eliminierung der Vernunftrechtslehre geht: "Ausgangspunkt der Staatskonstruktion des Hobbes ist die Angst des Naturzustandes, Ziel und Endpunkt die Sicherheit des zivilen, staatlichen Zustandes".4 Auch Heger entwickelt in seiner durchaus problemorientierten Studie die Notwendigkeit des Staates ohne Rekurs auf die natürlichen Gesetze unmittelbar aus dem Naturzustand, den er von vornherein negatorisch als "Konkurrenz ohne Staat" definiert 5; er macht zwar selbst auf die systematische Stellung der Theorie der natürlichen Gesetze "zwischen der Lehre vom Naturzustand und der Souveränitätsdoktrin" aufmerksam, geht diesem Umstand aber nicht weiter nach. Da er die natürlichen Gesetze primär unter dem Aspekt ihrer moralischen Verbindlichkeit betrachtet, werden sie bei ihm erst in einem zweiten Schritt (nämlich bei der Betrachtung des Verhältnisses von Legalität und Moralität) in die Interpretation miteinbezogen.6 Während im deutschsprachigen Raum die politikwissenschaftliche Hobbes-Interpretation dominiert, welche die Frage nach Funktion und Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze zumeist umgeht, ist der Großteil der angelsächsischen HobbesLiteratur durch das andere Extrem charakterisiert: hier bildet die Debatte um die natürlichen Gesetze den Auftakt zur Suche nach Hobbes' 'moral philosophy', wobei strittig ist, welche Frage Hobbes im Rahmen seiner Theorie der natürlichen Gesetze eigentlich beantworten will. Während Taylor der Auffassung ist, es gehe erstens um die Beantwortung der Frage, warum man ein guter Bürger sein und wie man als solcher handeln soll, und zweitens, welche Anreize es geben könne, um Verbindlichkeiten zu sichern, wenn das Wissen um sie nicht hinreichend effektiv ist 7 , sieht Brown in seiner Kritik der naturrechtlichen Hobbes-Interpretation Hobbes' Beweisziel, in der Beantwortung
3 Ζ. B. Maluschke, Die philosophischen Grundlagen des Verfassungsstaates; Nonnenmacher, Die Ordnung der Gesellschaft; Münkler, Thomas Hobbes; dazu die Kritik des Vf., Rezension von Münkler, Thomas Hobbes, S. 778-780. 4 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 47. 5 Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 37 ff. 6 Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 65 ff. 7 Taylor , The Ethical Doctrine of Hobbes, p. 36.
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der Frage, warum sind Menschen verpflichtet, sich dem Staat bedingungslos zu unterwerfen? 8 Die Diskussion um die Hobbessche 'moral philosophy1 unterschlägt dabei nur allzu oft, daß es gerade Hobbes gewesen ist, der durch seinen Versuch einer philosophischen Rechtsbegründung das Bewußtsein für den Unterschied zwischen Rechts- und Moralphilosophie geschärft hat.9 Hatte Hobbes im ersten Kapitel von De Cive das rechtsphilosophische Grundlagenproblem exponiert, daß die Gesetzlosigkeit des äußeren Freiheitsgebrauchs die Bedingungen der Möglichkeit eben dieser Freiheit zerstört, so liefern das zweite und dritte Kapitel die Antwort, genauer gesagt: eine erste Teilantwort auf die Frage, wie Freiheit und Selbsterhaltung von jedermann im gesellschaftlichen Maßstab organisiert werden können. Die Theorie der natürlichen Gesetze beruht auf der Einsicht, daß unter der Voraussetzung, daß alle Menschen von Natur aus frei und gleich sind, jede normative Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit einer spezifischen Begründung und Rechtfertigung bedarf, die ihrerseits in der natürlichen Freiheit der Menschen selbst ihren Grund hat. Einschränkungen der Freiheit, d. h. Verbindlichkeiten, können nur aus dem Wollen freier Menschen hervorgehen. Das Prinzip der Autonomie, das den Grund für die Qualität des Menschen als (Naturrechts-)Subjekt bildet, enthält zugleich den Grund des möglichen Verpflichtetseins. Auch in diesem Punkt der Begründung von Normen durch das Prinzip der Autonomie erweist sich Hobbes als revolutionärer Denker, denn dieses Prinzip beseitigt, wenn es konsequent durchgeführt wird, die Vorstellung, eine Verbindlichkeit könnte etwas sein, das dem Willen von außen (ζ. B. durch den Willen Gottes oder durch den Willen eines anderen Menschen) auferlegt wird. Damit eine Norm Anspruch auf Verbindlichkeit erheben kann, muß gezeigt werden, daß sie aus dem Willen des ihr Unterworfenen hervorgehend gedacht werden kann, ihm immanent, nicht transzendent ist.
Die Gliederung der Theorie der natürlichen Gesetze in zwei Kapitel ist Folge einer unterschiedlichen rechtsphilosophischen Aufgabenstellung. Das zweite Kapitel von De Cive, das den Titel "De lege naturae circa contractus" trägt, liefert im Anschluß an die Grundnorm der Friedenssuche zunächst eine Theorie der formalen Bedingungen möglicher vertraglicher Willenshandlungen. Hobbes untersucht hier den Vertrag als diejenige Form freier Selbstbindung, durch die sich Menschen Pflichten auferlegen, um den äußeren Gebrauch ihrer Freiheit in Übereinstimmung zu bringen. Der Vertrag ist für Hobbes das Instrument der Schaffung eines übereinstimmenden Willens bzw. derjenige Willensakt, durch den Menschen "direct all their actions to one and
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Brown , The Taylor Thesis, p. 64. Vgl. hierzu auch die Bemerkungen von Tus eh ling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 215 f., 239 f. 9
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the same end" (Elements XIX, 4 ) . 1 0 Was den Begriff der vertraglichen Selbstbindung angeht, so ist zu beachten, daß die freiwillige Selbstbindung immer nur gedacht werden kann als Begründung einer Verbindlichkeit gegenüber einer anderen Person. Demgegenüber kritisiert Hobbes den Begriff der rechtlichen Selbstverpflichtung, wodurch die Person sich gegenüber sich selbst verpflichtet ist, aufgrund seiner verbindlichkeitstheoretischen Grundposition als widersprüchliche Vorstellung, weil derjenige, der die Freiheit hat, sich selbst zu verpflichten, auch die Freiheit besitzt, die durch ihn begründete Verbindlichkeit nach Belieben aufzuheben. Selbstverpflichtung in diesem Sinne, d. h. im Sinne des Zusammenfallens des obligatus und des obligans, von Urheber und Adressat der Verbindlichkeit in ein und derselben Person, ist eine sinnlose Redeweise.11 Die vernunftrechtliche Vertragsdogmatik des zweiten Kapitels wird dann im dritten Kapitel ergänzt durch eine komplementäre Theorie der moralischen Tugenden der Vertragsschließung und -Sicherung. Am Beginn der Lehre vom natürlichen Gesetz steht getreu dem Hobbesschen Deduktionsanspruch, wonach sich die wissenschaftliche Verfahrensweise dadurch auszeichnet, daß Schlußfolgerungen "ex veris prineipiis" (DC, Prarfatio ad lectores, p. 78) abgeleitet werden, die Definition des natürlichen Gesetzes:
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Es muß unterschieden werden zwischen dem Vertrag als demjenigen rechtlichen Willensakt, durch den sich jemand (im Verhältnis zu anderen) Pflichten auferlegt, und den natürlichen Gesetzen als Bedingungen möglicher Vertragshandlungen, die selbst kein Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen sein können. 11 DC VI, 14; ΧΠ, 4; Lev. XXVI, p. 184, XXIX, p. 224. Um das Zusammenfallen von obligans und obligatus zu vermeiden, konnte es Hobbes an manchen Stellen wünschenswert erscheinen, die Verbindlichkeit des natürlichen Gesetzes als eine Verbindlichkeit gegen Gott darzustellen. - Die Auffassung vom logischen Widerspruch der Selbstverpflichtung in dem hier bezeichneten Sinne der Identität von obligans und obligatus in einer Person wird auch von Kant geteilt, der ebenfalls die darin behauptete unmittelbare Identität von Urheber und Adressat einer Verbindlichkeit als rechtlich widersprüchliche Konstruktion zurückweist, weil in diesem Falle das Prinzip, daß niemand Richter in eigener Sache sein darf, verletzt würde: eine Selbstverpflichtung setzt nach Kant gerade die Unterscheidung von Kläger und Ankläger bzw. von Urheber und Adressat der Verpflichtung voraus: "Niemand hat eine Pflicht gegen sich selbst wenn der Verpflichtende und der Verpflichtete in einer und derselben Person gedacht werden: denn weil einer der Gesetzgebende ist und der demselben Gehorchende eben dieselbe Person in demselben Sinne des Wortes seyn soll so kann der erstere den Andern mithin sich selbst von der Verbindlichkeit lossprechen oder überhaupt das Gesetz aufheben" (AA XXIII, S. 399 f.). Das Dilemma wird vermieden durch die Unterscheidung zwischen dem gesetzgebenden homo noumemon, d. h. der Idee der Menschheit in unserer eigenen Person, und dem homo phaenomenon als der dieser Gesetzgebung unterworfene empirische Mensch: "Ich, der Kläger und doch auch Angeklagter, bin eben derselbe Mensch (numero idem), aber als Subject der moralischen, von dem Begriffe der Freiheit ausgehenden Gesetzgebung, wo der Mensch einem Gesetz unterthan ist, das er sich selbst giebt (homo noumenon), ist er als ein Anderer als der mit Vernunft begabte Sinnenmensch (specie diversus), aber nur in praktischer Rücksicht zu betrachten" (Tugendlehre, AA VI 43927.31)· 7 Hüning
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"Est igitur lex naturalis, vt eam defmiam, Dictamen rectae rationis circa ea, quae agenda vel omittenda sunt ad vitae membrorumque conseruationem, quantum fieri potest, diuturnam" (DC Π, l ) . 1 2
In diesem Zusammenhang hat Hobbes sich summarisch von denjenigen Naturrechtstheoretikern abgegrenzt, die versuchten, die Normativität des natürlichen Gesetzes konsenstheoretisch zu begründen und den Verstoß gegen das natürliche Gesetz als Verstoß entweder "contra consensum factum sit omnium, vel sapientissimarum, vel eruditissimarum gentium" oder "contra consensum totius generis humani" (DC II, 1) definierten. Vermutlich handelt es sich hierbei u. a. um eine implizite Kritik an Grotius, der in Anlehnung an Cicero 13 den "communis consensus" neben der rationalen Ableitung "ex naturae principiis" anerkannt hatte.14 Hobbes sieht in derartigen Versuchen eine unzulässige metabasis eis allo génos, denn aus dem faktischen Handeln oder Meinen kann das Recht nicht abgeleitet werden; es sei vielmehr "iniquum [...], naturae autem leges, ab eorum consensu recipere, qui eas violant saepiùs quàm obseruant" (DC II, 1). Hobbes diskutiert die natürlichen Gesetze in drei unterschiedlichen Bedeutungen: 1. unter methodischen Gesichtspunkten als von der Vernunft a priori gewonnene Schlußfolgerungen ("conclusiones", DC III, 33; "Conclusions, or
Theoremes", Lev. XV, p. I l l ) mit universellem theoretischem Geltungsanspruch; 2. unter rechtsphilosophischen Gesichtspunkten als Wege und Mittel zur Realisierung des Friedens und des Staates ("societatis, siue Pacis humanae
conditiones", DC I, 1; "viae pacis", DC II, 2, bzw. "convenient articles of peace", Lev. XIII, p. 90), d. h. als Normen für das um der Selbsterhaltung und des Friedens willen notwendige Tun und Unterlassen; 3. schließlich unter moralphilosophischen Gesichtspunkten als Formen der Gesinnung (DC III, 29; V, 2), d. h. als Normen, die bloß Tugendpflichten
auferlegen (DC III, 33; V, 27). 12
Diese Definition wird - gewissermaßen als Resümee des gesamten Argumentationsganges - am Ende des dritten Kapitels (nunmehr mit Blick auf die Gesamtheit der vernunftrechtlichen Bestimmungen) wiederholt: "Naturœ autem quas vocamus leges cùm nihil aliud sint, quam conclusiones quaedam ratione intellectae, de agendis & omittendis" (DC ΠΙ, 33). - Vgl. auch Lev. XIV, p. 91: "A LAW OF NATURE, (Lex naturalis,) is a Precept, or generali Rule, found out by Reason, by which a man is forbidden to do, that which is destructive of his life, or taketh away the means of preserving the same; and to omit that by which he thinketh it may be best preserved." Auch im Leviathan wird (am Schluß des XV. Kapitels) die Definition des natürlichen Gesetzes wiederholt. 13 Cicero, Tusculanae disputationes I, 30. 14 Grotius, JBP, prol. § 40; vgl. auch JBP I, 1, § 12, 2 mit weiteren Belegen aus den Schriften Aristoteles', Senecas u. a.
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Die in der "definitio legis Naturalis" (DC II, 1) gebrauchte Formel, daß die natürlichen Gesetze die dictamina (rectae) rationis sind, hat Hobbes nicht erfunden - sie gehört zur gängigen Naturrechtsterminologie bei Thomas, Hooker oder Grotius. 15 Diese terminologische Anknüpfung an die Naturrechtstradition verweist darauf, daß sie mit einem ähnlich universellen Geltungsanspruch auftreten wie die lex naturae der klassischen Naturrechtstradition. Aber durch das begründungstheoretische Verhältnis, in welchem diese Gesetze zu ihrem geltungstheoretischen Fundament, der Lehre von der natürlichen Freiheit der Menschen stehen, und durch den Inhalt dessen, was sie nach Hobbes 'diktieren1, wird abermals der manifeste Bruch seiner Rechtsphilosophie mit der Tradition deutlich. Denn während diese seit den Stoikern behauptet hatte, das natürliche Gesetz sei der Ausdruck eines kosmologischen Vernunft- und Rechtszusammenhanges, dem alle Lebewesen, besonders aber die Menschen, unterworfen sind, ist es für Hobbes zunächst ein Lehrsatz über die Bedingungen der Möglichkeit einer jeden Ordnung, in welcher das natürliche Recht der Selbsterhaltung verwirklicht werden kann. Seine Aufgabe kann es also nicht mehr sein, die Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung einer Handlung mit einer vorgegebenen normativen Ordnung 'anzuzeigen' 16 oder die von Natur aus bzw. durch den Willen Gottes bestimmte Gerechtigkeit darzustellen,
vielmehr äußert sich ihr präskriptiver
Charakter
gerade darin, daß sie die Bedingungen 'diktieren', unter denen überhaupt von Recht und Gerechtigkeit gesprochen werden kann. Die Ableitung der natürlichen Gesetze aus dem juridischen Widerspruch des Naturzustandes und ihre daraus folgende Bestimmung, den Weg zum
15 Thomas von Aquin, Summa theologiae Ι-Π, qu. 91, a. 3; Hooker, The Laws of Ecclesiastical Polity I, 7, § 4; Grotius , JBP I, 1, § 10, 1: "Jus naturale est dictatum rectae rationis, indicans actui alicui, ex ejus convenentia aut diconvenentia cum ipsa natura rationali, inesse moralem turpitudinem, aut necessitatem moralem, ac consequenter ab autore naturae Deo talem actum aut vetari aut praecipi." - Der Sache nach geht dieser Gedanke schon auf die Stoa zurück, für welche Gesetz und Vernunft als Ausdruck der zweckmäßigen Verfassung des Kosmos unmittelbar identisch sind (während für Hobbes das Gesetz aus der in Beziehung auf menschliche Freiheit gesetzgebenden Vernunft hervorgeht). Schon Chrysipps Definition des (natürlichen) Gesetzes, die in den Digesten Justinians Aufnahme gefunden hat, hebt diese Identität hervor: "Lex est omnium divinarum et humanarum rerum regina. Oportet autem earn esse praesidem et bonis et malis, et principem et ducem esse; et secundum hoc regulam esse iustorum et iniustorum, et eorum, quae natura civilia sunt, animantium, praeceptricem quidem faciendorum, prohibitricem autem non faciendorum" (D. I, 3, 2). Auf den Prämissen der Stoiker fußt auch Ciceros berühmte Definition des natürlichen Gesetzes: "est quidem vera lex recta ratio, [...] quae vocet ad officium iubendo, vetando a fraude detereat" (Cicero, De re publica ΠΙ, 33); "lex est ratio summa, insita a natura, quae iubet ea quae facienda sunt, prohibetque contraria" (Cicero, De legibus I, 18); "ratio [...] ad recte faciendam inpellens et a delicto advocans" (De legibus Π, 10). 16 So die Definition der recta ratio bei Grotius, vgl. vorhergehende Fußnote.
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Rechtsfrieden zu bahnen, erlaubt es Hobbes, das eigentliche Objekt rechtsphilosophischer Begründung sowie die eigentümliche Sphäre rechtlicher Normierung bzw. - um einen Kantischen Ausdruck zu gebrauchen - die Sphäre der juridischen Gesetzgebung 17 präzise zu bestimmen. Die Rechtsphilo" sophie18 hat eine rein weltliche Aufgabenstellung, die ausschließlich auf den Begriff der Legalität, der bloß äußeren, durch Androhung von Zwang bewerkstelligten Konformität von Handlung und Gesetz abzielt. Sie ist die Lehre vom Recht und von den Pflichten in bezug auf das äußere Handeln im Unterschied zu allem, was dem Bereich der moralischen Innerlichkeit angehört. Die Grenze eines rechtlich möglichen Zwangs ist dort erreicht, wo überhaupt die Freiheit des willentlich Handelnden aufhört: das Recht, dessen philosophische Begründung Hobbes intendiert, ist die "Rule of Actions onely" (Lev. XL VI, p. 471): "no human law is intended to oblige the conscience of a man, but the actions only" (Elements XXV, 3). Mit Entschiedenheit wehrt Hobbes daher jeden Versuch ab, die natürlichen Gesetze nicht bloß als jene Regeln zu begreifen, "which conduce to the preservation of mans life on earth, but to the attaining of an eternali felicity after death" (Lev. XV, p. 103), und sie auf diese Weise auf den Bereich der religiösen Überzeugungen auszudehnen.19 Weil die Naturrechtslehre ihrem Zwecke und Inhalte nach auf das diesseitige Leben beschränkt ist, steht auch die durch die natürlichen Gesetze geforderte rechtliche Vereinigung der Menschen in keinem notwendigen Verhältnis zu irgendeinem im Glauben an Gott liegenden Zweck, sondern dient ausschließlich der Sicherung ihrer Selbsterhaltung unter Rechtsbedingungen. Daraus ergibt sich weiterhin, daß zwangsrechtliche Normierungen nur in bezug auf zwei Klassen von Willensäußerungen möglich sind: 1. die Klasse der äußeren Handlungen, d. h. die eine äußere, empirische Gestalt annehmen ("appear by any outward act", Lev. XXVII, p. 202) und die - wie Kant es später ausrücken wird - "als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können" (RL, AA VI, S. 230 10 f.); folglich bleibt der Bereich des forum internum, der moralischen Innerlichkeit und der Gesinnungen einer rechtlichen Regelung entzogen; 2. die Klasse der willentlichen Handlungen, d. h. solcher Handlungen, die aus dem eigenen Willen des Handelnden als der Summe der inneren Bestim17
"Diese Gesetze der Freiheit heißen zum Unterschiede von Naturgesetzen moralisch. So fern sie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit gehen, heißen sie juridisch" (Kant, RL, AA VI, S. 214 13 . 15 ). 18 Dieser Ausdruck wird von Hobbes nicht benutzt; er spricht statt dessen von der "inquisitio iustitiae naturalis" (DC, Praefatio ad lectores, p. 75) bzw. von der "Science of Naturall Justice" (Lev. XXX, p. 254). 19 DC IV, 24: "Leges enim feruntur de actionibus quae voluntatem sequuntur nostrani, non de opinionibus, neque de fide, quae extra potestatem nostram existentes, voluntatem nostram non sequuntur."
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mungsgründe hervorgehen. So definiert Hobbes als "voluntary actions" nicht nur diejenigen Handlungen, "that have their beginning from Covetousness, Ambition, Lust, or other Appetites to the thing propounded; but also those that have their beginning from Aversion, or Feare of those consequences that follow the omission" (Lev. VI, p. 45). In diesem Sinne, daß Handlungen bloß aus internen Bestimmungsgründen (insbesondere den "passions") hervorgehen und nicht direkt durch äußere physische Ursachen bewirkt werden, spricht Hobbes auch davon, daß Handlungen frei sind.
I L Die widersprüchliche Verhältnisbestimmungvon Recht und Gesetz Obwohl die Einsicht in den konstitutiven Zusammenhang von Freiheit und Gesetzlichkeit zu den zentralen Erkenntnissen der Naturzustandsanalyse gehört, gelingt es Hobbes nicht, beide Momente seiner Rechtsphilosophie wirklich widerspruchsfrei zu vereinigen. Denn er hält einseitig daran fest, daß das natürliche Recht einerseits und das natürliche (sowie das aus ihm folgende positive) Gesetz andererseits sich konträr zueinander verhalten. Nun ist die strikte terminologische Unterscheidung von Recht im subjektiven und Recht im objektiven Sinne bzw. von Rechtsanspruch und einschränkender Gesetzesnorm für sich genommen noch unproblematisch, weil in ihr nur die beiden verschiedenen Aspekte der Rechtsnormierung geschieden werden: "For though they that speak of this subject, use to confound Jus and Lex, Right and Law, ; yet they ought to be distinguished; because RIGHT, consistetti in liberty to do, or to forbeare; Whereas LAW, determineth, and bindeth to one of them: so that Law and Right, differ as much, as Obligation and Liberty; which in one and the same matter are inconsistent" (Lev. XIV, p. 91; vgl. auch XXVI, p. 200; DC XIV, 3).
Während das 'ius' immer die Seite der Freiheit, also eine subjektive Befugnis oder einen Anspruch auf eine Handlung oder eine Sache bezeichnet, ist die lex die Einschränkung dieser als absolut vorausgesetzten Freiheit, so daß Recht und Gesetz als Gegensätze bzw. als Glieder einer vollständigen Disjunktion erscheinen: das Vorhandensein der Freiheit zeigt an, daß kein entsprechendes einschränkendes Gesetz existiert, und wo umgekehrt das Gesetz herrscht, ist die Freiheit aufgehoben. Die strikte Unterscheidung zwischen jus und lex im Sinne entgegengesetzter juridischer Aspekte hat ihren systematischen Grund in der Art und Weise, wie Hobbes die Notwendigkeit der Gesetzlichkeit des Freiheitsgebrauchs entwickelt, nämlich als notwendige Negation der dem Naturzustand eigentümlichen absoluten Freiheit. Das Gesetz als Recht im objektiven Sinne ist bei ihm die abstrakte Negation des Rechts als einer subjektiven Befugnis. Daher ist das Gesetz immer nur als eine die vorhergehende Freiheit einschränkende Norm denkbar, so daß dort, wo das Gesetz herrscht, die Freiheit aufgehoben ist. 20 Nun ist der Sache nach die Ein-
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sieht, daß die Verwirklichung von Recht im objektiven Sinne nur als Aufhebung der absoluten Willkür, zu der jedermann im Naturzustand berechtigt ist, gedacht werden kann, das zentrale Ergebnis der rechtstheoretischen Analyse des Naturzustandes. Hobbes ist jedoch nicht in der Lage, diese Einsicht auch terminologisch präzise umzusetzen. Denn er hat sich nicht darauf beschränkt, Recht und Gesetz, Befugnis bzw. Erlaubnis und Pflicht als zwei aufeinander bezogene Aspekte ein und desselben Rechtsbegriffs zu unterscheiden, sondern er hat sie als abstrakte Gegensätze behandelt: "lex enim vinculum , ius libertas
est, differuntque vt contraria" (DC XIV, 3). 21 Durch den abstrakten Gegensatz von subjektivem Recht und Gesetz verschließt sich Hobbes jedoch einem positiven Verständnis des Gesetzes als Ermöglichungsbedingung
subjektiver
Freiheit. Dadurch setzt er sich zugleich in Widerspruch zu den von ihm selbst formulierten Ergebnissen seiner Theorie, nach denen der Begriff der absolutunbeschränkten Freiheit unter Bedingungen des Naturzustandes immer leer und somit bedeutungslos bleiben muß, so daß das Recht als subjektiver Anspruch, der gegen andere geltend gemacht werden soll, selbst auf die Notwendigkeit einer gesetzlichen Freiheitsnormierung verweist. So interpretiert er nach dem Motto silentium legis, libertas civium die Freiheit des Untertanen
immer nur unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Einschränkung, d. h. als den von den positiven Gesetzen definierten Restbestand der natürlichen Freiheit 22 , die ihm als die eigentliche und wahre Freiheit gilt. Kein Wunder also,
20
Vgl. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 571: "Gerade in dieser Vorstellung von dem Recht' auf ein eigenes Tun und Lassen, in der Auffassung des Rechtes als 'dürfen' steckt der spezifische Grundfehler des Naturrechtes, das mit Recht' die von der Staatsordnung frei gelassene Sphäre, das Nicht-Gebotene oder Verbotene das Nichtgesollte, also Gedurfte identifizierte." - Zum Verhältnis von subjektivem und objektivem Recht bei Kant und den Kantianern vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 198 ff. Es mag diese Vorstellung einer wechselseitigen Ausschlußbeziehung der beiden rechtlichen Momente des subjektiven Anspruchs und seiner gesetzlichen Normierung gewesen sein, die Hegel (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie ΙΠ; M M XX, S. 226) zu folgender Kritik veranlaßten: "Es ist aber eben nichts Spekulatives, eigentlich Philosophisches darin." 21 Vgl. Elements XXIX, 5: "The names leχ, and jus, that is to say, law and right, are often confounded; and yet scarce are there any two words of more contrary signification"; DC XIV, 3; Lev. XIV, p. 91; XXI, p. 148; XXVI, p. 200; Dialogue, p. 73. - Auch Kelsen (Reine Rechtslehre, S. 388 f.) ist der Auffassung, daß die Freiheit mit Zwang als ihrem "Gegenteil" unvereinbar ist; wie Hobbes setzt er einen abstrakten Freiheitsbegriff voraus, der "rein negativen Charakter" hat: "Es ist die individualistische Forderung, daß der Mensch frei, das heißt: keiner normativen, sein Verhalten einschränkenden Ordnung unterworfen sein soll. Es ist eine Norm, die die Geltung aller die individuelle Freiheit einschränkenden sozialen Normen ausschließt. In dieser ihrer ursprünglichen Gestalt ist die Idee der Freiheit ein asoziales, ja antisoziales Prinzip."
Π. Die widersprüchliche Verhältnisbestimmung von Recht und Gesetz
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daß schon bei Hobbes das subjektive Recht des Bürgers als ein "Loch im Normenkreise" 23 erscheint. Mit dieser Vorstellung, die Freiheit des Bürgers sei nur das Residuum der naturzuständlichen Gesetzlosigkeit, fallt Hobbes allerdings hinter die von ihm selbst erreichte Einsicht zurück, daß die absolutunbeschränkte Freiheit, als allgemeines Handlungsprinzip gedacht, sich selbst aufhebt und daher das Gesetz die von der Vernunft geforderte Realisationsform der Freiheit darstellt. Wenn er an der gleichen Stelle selbst diese Funktion der Freiheitsgewährung durch das positive Recht hervorhebt 24, so schwächt er damit seine eigene Behauptung ab, daß sich das (positive) Gesetz nur negatorisch auf die Willkürfreiheit bezieht. Dennoch findet sich bei Hobbes noch kein positiver Freiheitsbegriff, der es erlauben würde, die rechtliche Freiheit als durch das Gesetz realisierte Befugnis zu begreifen, obwohl die von ihm initiierte geltungstheoretische Revolution eine derartige Position nahegelegt hätte, da er doch selbst die Notwendigkeit der Gesetzlichkeit der Freiheit aus den juridischen Widersprüchen, denen diese Freiheit im Naturzustand unterliegt, entwickelt. Den Zugang zu diesem positiven, auf die Verwirklichung vernünftiger Freiheit bezogenen Begriff des Rechtsgesetzes hat sich Hobbes durch die strikte Entgegensetzung von Recht (bzw. Freiheit) und Gesetz verstellt. Ist aber der Begriff der absoluten Freiheit bzw. der ausschließenden Befugnis in sich widersprüchlich und subjektive Freiheit nur in einer durch die souveräne Zwangsgewalt gesicherten Rechtsordnung, in einem System gesetzlich bestimmter Rechte und Pflichten möglich, dann erweist sich die einseitige Betonung des negatorischen Charakters des Gesetzes als unzureichend, um seine Funktion angemessen ausdrücken zu können. Der Grund für diese einseitige Verhältnisbestimmung von Freiheit und Gesetzlichkeit liegt sicherlich in Hobbes' undialektischer, auf dem Satz des Widerspruchs beruhender Logik, die es ihm unmöglich macht, den dialektischen Charakter des Gesetzes als einer Schranke des Freiheitsgebrauches zu begreifen und die beiden von ihm zu Recht unterschiedenen Momente von subjektivem Anspruch und gesetzlicher Normierung als in einem übergreifenden Begriff vereinigt zu denken und so das Recht als dialektische Einheit unterschiedener
22
DC ΧΙΠ, 15: "libertas hoc loco intelliganda est, nempe pro iuris naturalis parte eâ, quae ciuibus à legibus permissa, & relieta est." 23 So der Ausdruck von Karl Binding, zitiert nach Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 25. 24 DC ΧΙΠ, 15: "non enim ad actiones hominum tollendas, sed dirigendas inuentae sunt leges"; Lev. XXVI, p. 185: "Law was brought into the world for nothing else, but to limit the naturali liberty of particular men, in such manner, as they might not hurt, but assist one another, and joyn together against a common Enemy"; Lev. XXX, p. 239: "For the use of Lawes, (which are but Rules Authorized) is not to bind the People from all Voluntary Actions, but to direct and keep them in such a motion, as not to hurt themselves by their own impetuous desires, rashnesse, or indiscretion".
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Momente zu begreifen. Aber es gibt noch einen weiteren, eher historischen Aspekt, der sich aus der kritischen Intention ergibt, die Hobbes mit seiner Unterscheidung verfolgt. Es ist nämlich leicht zu sehen, daß Hobbes' Kritik an der Konfusion von Freiheit und Gesetzlichkeit sowohl gegen die zeitgenössische Naturrechtslehre 25 als auch gegen die englische Rechts- und Verfassungstheorie und hier insbesondere gegen die Common-law-Konzeption Edward Cokes gerichtet ist. 2 6 So plausibel Hobbes' Bemühen ist, angesichts der Unscharfe des zeitgenössischen Gebrauchs der Termini 'ius' und 'lex' die Freiheit als Handlungsbefugnis strikt von dem Gesetz als einer einschränkenden Handlungsnorm zu unterscheiden, so wenig ist zu übersehen, daß Hobbes durch die Entgegensetzung beider Momente an der Einsicht gehindert wird, "daß die einzig mögliche Positivität der Freiheit identisch ist mit jenem negativen Moment der dem bürgerlichen Gesetz immanenten Verpflichtung, daher auch die Autonomie des bürgerlichen Individuums, genau besehen, nicht als die Freiheit zu bestimmen ist, die 'das bürgerliche Gesetz uns läßt', sondern vielmehr als die Freiheit, die das bürgerliche Gesetz uns erst gibt." 27 25
Vgl. ζ. B. Grotius, JBP I, 1, § 10, 1. Vgl. insbesondere Dialogue, pp. 73-77. 27 Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 54. - Anders als Hobbes betrachten Rousseau, Kant und Hegel die bürgerliche Freiheit nicht bloß als Restbestand der natürlichen bzw. 'wilden, gesetzlosen Freiheit' des Naturzustandes (Kant), sondern als qualitativ neuen Rechtsanspruch, der zwar nicht seine Geltung, wohl aber seine Wirksamkeit der staatlichen Rechtsordnung verdankt. Damit eröffnen sie zugleich den Weg zu einer affirmativen Begriff der Freiheit als Freiheit unter Rechtsgesetzen'. Der locus classicus dieses Gedankens findet sich in Rousseaus Contrat social. "Ce que l'homme perd par le contract social, c'est sa liberté naturelle et un droit illimité à tout ce qui le tente et qu'il peut atteindre; ce qu'il gagne, c'est la liberté civile et la propriété de tout ce qu'il possédé. Pour ne pas se tromper dans ces compensations, il faut bien distinguer la liberté naturelle qui n'a pour bornes que les forces de l'individu, de la liberté civile qui est limitée par la volonté générale, et la possession qui n'est que l'effet de la force ou le droit du premier occupant, de la propriété qui ne peut être fondée que sur un titre positif. On pourroit sur ce qui précédé ajouter à l'acquis de l'état civil la liberté morale, qui seule rend l'homme vraiment maitre de lui; car l'impulsion du seul appétit est esclavage, et l'obéissance à la loi qu'on s'est prescritte est liberté" (CS I, 8; OC ΙΠ, p. 364365). - An diesen Gedanken der Unterscheidung zwischen natürlicher und bürgerlicher Freiheit knüpfen auch Kant und Hegel an: "Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Contract, nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d. i. des Volks als Staat betrachtet (universi), sofort wieder aufzunehmen, und man kann nicht sagen: der Mensch im Staate habe einen Theil seiner angebornen äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, sondern er hat die wilde, gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Zustande, unvermindert wieder zu finden, weil diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden Willen ent26
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Heger hat außerdem darauf aufmerksam gemacht, daß die Schwierigkeiten, die Hobbes hat, das Verhältnis von Freiheit und Gesetzlichkeit angemessen zu bestimmen, in der ungenügenden Explikation des Freiheitsbegriffs selbst ihren Grund haben. 28 Sieht man sich Hobbes' freiheitstheoretische Überlegungen genauer an, so findet Hegers Einschätzung ihre Bestätigung, da Hobbes keine letzte Klarheit über den Unterschied zwischen der moralischen Bedeutung der Freiheit und seiner 'offiziellen' naturalistischen Definition der Freiheit gewonnen hat. 2 9 Wenn Hobbes behauptet, der Mensch sei von Natur aus bzw. im Naturzustand frei, so umfaßt sein Freiheitsbegriff folgende Aspekte: - frei ist jemand, insofern sein Handeln nicht durch äußere Hindernisse beschränkt ist; - niemand ist im Naturzustand in seinem Handeln durch objektiv gültige und äußerlich verbindliche Gesetze eingeschränkt; - niemand ist ursprünglich der Herrschaft eines anderen unterworfen.
springt" (Kant, RL § 47; AA VI, S. 315 30 - 3166). - "Die absolute Idee der Sittlichkeit enthält dagegen den Naturstand, und die Majestät, als schlechthin identisch, indem die letztere selbst nichts anders als die absolute sittliche Natur ist, und an keinen Verlust der absoluten Freyheit, welche man unter der natürlichen Freyheit verstehen müßte, oder ein Aufgeben der sittlichen Natur, durch das reellseyn der Majestät gedacht werden kann; das natürliche aber, welches im sittlichen Verhältniß als ein aufzugebendes gedacht werden müßte, würde selbst nichts sittliches seyn, und also am wenigsten dasselbe in seiner Ursprünglichkeit darstellen" (Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, GW 4, S. 427]5.22). 28 Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 54: "Man kann unschwer ausmachen, worauf diese Unschärfe bei Hobbes zurückgeht, die ihn hindert, die in seiner Argumentation selbst angelegte Konsequenz: daß der Leviathan die Freiheit nicht bis auf einen übriggebliebenen Rest beseitigt, sondern erst konkret ermöglicht, explizit zu machen. Darauf nämlich, daß er die 'natürliche Freiheit', das den Individuen des Naturzustandes eigene Recht auf alles, als die 'einzige Freiheit' ansieht, die man zurecht so nennt. [...] Inkonsequent ist Hobbes an diesem Punkt, weil er ja selbst mit seiner Lehre vom Naturzustand nachgewiesen hat, warum die absolute Freiheit des Rechts auf alles, als Freiheit von vielen, in absoluter Unfreiheit kulminiert". 29 Lev. XIV, p. 91: "By LIBERTY, is understood, according to the proper signification of the word, the absence of externall Impediments: which Impediments may oft take away part of a mans power to do what hee would; but cannot hinder him from using the power left him, according as his judgement, and reason shall dictate to him." Lev. XXI, p. 145: "LIBERTY, or FREEDOME, signifieth (properly) the absence of Opposition (by Opposition, I mean externall Impediments of motion); and may be applyed no lesse to Irrationall, and Inanimate creatures, than to Rationall. For whatsoever is so tyed, or environed, as it cannot move, but within a certain space, which space is determined by the opposition of some externall body, we say it hath not Liberty to go further." Vgl. auch DC IX, 9: "LIBERTAS, vt earn definiamus, nihil aliud est quam absentia impedimentorum motûs\ vt aqua vase conclusa, ideò non est libera, quia vas impedimento est ne efïluat, quae fracto vase liberatur."
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Einerseits gibt es bei Hobbes eine starke Tendenz, die (moralische) Freiheit des Handelns mit der Freiheit im Sinne der Abwesenheit äußerer physischer Hindernisse zu identifizieren. In diesem Sinne erklärt er an prominenter Stelle, nämlich zu Beginn des XXI. Kapitels des Leviathan , welches von der "Liberty of Subjects" handelt, daß die allgemeine Definition der Freiheit als Abwesenheit äußerer Hindernisse gleichermaßen auf Menschen, Tiere und Dinge angewandt werden kann. Dieser naturalistischen Deutung des Freiheitsbegriffs entspricht ein nicht-normativer Begriff natürlicher Verbindlichkeit, die dort vorliegen soll, "vbi libertas impedimentis corporeis tollitur" (DC XV, 7). Es ist jedoch leicht zu sehen, daß dieses bloß dinglich-physische Beschränktsein der Bewegungsfreiheit in moral- und rechtsphilosophischer Hinsicht völlig irrelevant ist, weil diese Form eines Hindernisses der äußeren Freiheit innerhalb der praktischen Philosophie überhaupt kein begründungsoder rechtfertigungstheoretisches Problem darstellt. Denn der Umstand, daß der Handlungsfreiheit bestimmte physische Schranken gesetzt sind, daß sie also durch 'äußere Hindernisse' eingeschränkt ist, mag zwar für den einzelnen Anlaß zur Klage oder zu dem Versuch sein, durch die Erforschung der Natur deren Notwendigkeiten kennenzulernen, um sie gemäß den eigenen Zwecken anzuwenden. Aus der Abhängigkeit des Menschen von natürlichen Umständen und Notwendigkeiten sowie aus der Endlichkeit des Willens, sich in der Welt der Dinge durchzusetzen, folgt jedoch in keinerlei Hinsicht eine Notwendigkeit zur Rechtfertigung dieser Freiheitseinschränkung. Die Rechtstheorie fragt nicht danach, welche Handlungen jemand faktisch ausführen kann, sondern danach, welche Handlungen er tun oder lassen darf bzw. soll. Deshalb taugt der naturalistische Freiheits- und Verbindlichkeitsbegriff auch nicht als systematischer Ausgangspunkt für eine philosophische Theorie des Rechts und insbesondere nicht zur Lösung des Problems, wie sich die Errichtung der souveränen Staatsgewalt als ein im Willen der ihr Unterworfenen selbst begründeter Rechtsakt begreifen läßt. Die naturalistische Deutung des Freiheitsbegriffs, die Hobbes nach Iltings Auffassung an manchen Stellen wohl aus Gründen der Einheit seines philosophischen Systems vornimmt, führt letztlich auch zu einer Mißdeutung des spezifischen Notwendigkeitscharakters moralischer bzw. juridischer Gesetze. Die Notwendigkeit, die durch die Verbindlichkeit irgendeiner Norm ausgedrückt wird, ist ganz anderer Art als die Unterwerfung des Willens unter eine natürliche Notwendigkeit.30 Wäh-
30 Die kritisch gegen Hobbes gewendete Einsicht des begrifflichen Unterschieds zwischen natürlichen und moralischen Einschränkungen der Freiheit findet sich bei Pufendorf. "Libertas, inquit [sc. Hobbes, D.H.], nihil est aliud, quam absentia impedimentorum motus. Quae impedimenta sunt vel naturalia & externa, vel moralia siue arbitraria." (ING VI, 3, § 10). Aber erst Rousseau betont die moralische Indifferenz einer rein natürlichen Abhängigkeit: "Π y a deux sortes de dépendance. Celle des choses qui est de nature; celle des hommes qui est de la société. La dépendance des
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rend die Notwendigkeit eines (moralischen) Gesetzes praktischer Natur ist und eine Sollensforderung ausspricht, die immer als eine immanente, von dem gesetzesunterworfenen Willen selbst gewollte Bestimmung gedacht werden muß, ist das äußere Eingeschränktsein des Willens durch die Notwendigkeit der Natur diesem äußerlich. Diese mangelnde Differenzierung im Hinblick auf die verschiedenen Dimensionen des Freiheitsbegriffs hat zur Folge, daß die Identifikation von Freiheit überhaupt mit (physischer) Bewegungsfreiheit 31 einen doppelten Widerspruch darstellt: 1. sie widerspricht dem Begriff rechtlicher Freiheit, den Hobbes ζ. B. in DC I, 7 entwickelt: dort wird die (äußere) Freiheit bestimmt als eine subjektive Handlungsbefugnis, die ihrerseits Folge einer vernunftrechtlichen Ermächtigung ist. Freiheit bezeichnet denjenigen Gebrauch der freien Willkür und der natürlichen Fähigkeiten, zu dem jeder aufgrund der recta ratio befugt ist; somit ein Vermögen, "im Hinblick auf Normen, die als Kriterium für die Unterscheidung erlaubter und verbotener Handlungen dienen, zu handeln".32 2. Die Identifikation der Handlungsfreiheit mit Bewegungsfreiheit steht gleichfalls im Widerspruch zu der in diesem Zusammenhang von Hobbes formulierten Einsicht, daß von einer rechtlichen Einschränkung der Freiheit und somit von Rechtsverbindlichkeit nur unter der Voraussetzung der Fähigkeit willentlicher und vernunftbestimmter Handlungen gesprochen werden kann. I I I . Die Bedeutung der 'recta ratio 1 Wie der Begriff der lex naturae ist auch der Terminus der recta ratio der Sprache des traditionellen Naturrechts entlehnt, aber auch in diesem Punkt bestätigt sich, was sich schon im Zusammenhang mit den Definitionen des natürlichen Rechts und des natürlichen Gesetzes gezeigt hatte, nämlich die Umkehrung der traditionellen Bedeutung dieser Termini und ihre systematische Einordnung in eine apriorische Rechtstheorie aus Vernunftgründen, die mit der transzendenten Bestimmung der Gründe der Verbindlichkeit radikal choses n'ayant aucune moralité ne nuit point à la liberté et n'engendre point de vices. La dépendance des hommes étant desordonnée les engendre tous, et c'est par elle que le maitre et l'esclave se dépravent mutuellement. S'il y a quelque moyen de remédier à ce mal dans la société c'est de substituer la loi à l'homme, et d'armer les volontés générales d'une force réelle supérieure à l'action des toute volonté particulière" (Emile Π, OC IV, p. 311). 31 Lev. XXI, p. 147: "[...] that naturall liberty , which only is properly called liberty "; "wee take Liberty in the proper sense, for corporali Liberty". 32 Ilting, Der verrufene und umstrittene Autor, S. 236.
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bricht. Diese Benutzung der traditionellen Terminologie 33 scheint bei den Lesern der Erstauflage von De Cive entweder kritische Einwände oder Mißverständnisse provoziert zu haben, so daß sich Hobbes in einer Anmerkung zur zweiten Auflage von De Cive zu einer Präzisierung veranlaßt sah, in welchem Sinne die Aussage, das natürliche Gesetz sei ein Diktat der rechten Vernunft, zu verstehen sei. 34 Diese Präzisierung ist eine explizite Abgrenzung gegen den traditionellen Begriff der recta ratio: "Per Rectam rationem in statu hominum naturali, intelligo, non ut multi Facultatem infallibilem, sed ratiocinandi actum, id est, Ratiocinationem uniuscuj usque propriam, & veram circa actiones suas, quae in utilitatem, vel damnum caeterorum hominum redundare possint. Propriam dico, quia quamquam in Civitate, ipsius Civitatis ratio (hoc est Lex civilis) à singulis civibus pro recta habenda sit; tarnen extra Civitatem, ubi rectam rationem à falsa dignoscere nisi comparatane factâ cum sua nemo potest, sua cujusque ratio non modo pro actionum propriarum, quae suo periculo fiunt, regulâ, sed etiam in suis rebus pro rationis aliénas mensurâ censenda est" (DC Π, 1 annotatio) 35
33
Geismann/Herb (Hobbes über die Freiheit, Scholion 52, S. 60 f.) haben darauf hingewiesen, daß Hobbes trotz seiner entschiedenen Ablehnung der Tradition des politischen Aristotelismus in inhaltlicher Hinsicht im Hinblick auf die "Begrifflichkeit der neuen 'scientia civilis' [...] die Kontinuität mit dieser Tradition" bewahrt habe; vgl. auch Stephen, Hobbes, p. 173: "He [sc. Hobbes, D.H.] applies to the questions of the day certain conceptions already current in political theory, though he uses them in such a way as materially to alter their significance." Der Grund für diesen terminologischen Konservatismus liegt in Hobbes' Wissenschaftsverständnis, das zunächst darauf abzielt, "to examine the Definitions of former Authors". Diese können dann entweder verbessert oder durch bessere ersetzt werden (Lev. IV, p. 28). Die kritische Aufgabe der Wissenschaft besteht weniger in der Erfindung neuer Begriffe oder besser gesagt: neuer Namen (denn für Hobbes als strikten Nominalisten sind alle Begriffe in Wahrheit bloß konventionelle Bezeichnungen: "words [...] have their signification by agreement, and constitution of men", Lev. XXXI, p. 253), sondern darin, die Bedeutung der verwendeten Wörter festzulegen und sie auf diese Weise in wahre Definitionen zu überführen (vgl. Lev. IV, p. 28). - Demgegenüber sieht Mintz (The Hunting of Leviathan, pp. 34-35) in Hobbes' Festhalten an der Sprache des traditionellen Naturrechts den Versuch einer ironischen Unterminierung orthodoxer Naturrechts- und Glaubensüberzeugungen: "His [sc. Hobbes', D.H.] system was not merely irreligious - it was barbed with irony. It delivered outrageously heterodox opinions at the same time that it professed to be orthodox. And it used the language of orthodoxy as a means of exploding orthodox beliefs." 34
Es macht Sinn, wenn Hobbes den Vernunftbegriff erst an dieser Stelle (zu Beginn seiner Theorie der natürlichen Gesetze) präzisiert, obwohl - wie gezeigt - das Vernunftvermögen als konstitutiver Bestandteil der menschlichen Natur und als Definiens für den rechten Freiheitsgebrauch von Anfang an (DC I, 1,7) eine zentrale Rolle spielte. Erst im Zusammenhang mit der Theorie der natürlichen Gesetze kommt der harte Kern der Hobbesschen Lehre von der recta ratio als souveränem Gesetzgebungsvermögen voll zum Tragen. 35 Vgl. Elements XXIX, 8: "It was necessary there should be a common measure of all things that might fall in controversy [...]. This common measure, some say, is right
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Die Auffassung, gegen die Hobbes hier polemisiert, daß nämlich die Vernunft eine 'untrügliche Fähigkeit' der angeborenen Erkenntnis von Recht und Unrecht einer Handlung ist, war die Grundüberzeugung der Naturrechtstradition. 3 6 Für sie war die Vernunft primär das universelle Gesetz, das Menschen und Götter (bzw. im Christentum: Gott) zu einer vernünftigen Zweckgemeinschaft zusammenschließt, so daß die recta ratio auf Seiten des Individuums nur im subjektiv-erkennenden Nachvollzug der objektiven Gesetzmäßigkeit der kosmischen Ordnung besteht, die deshalb zugleich die "ratio summa, insita in natura" 3 7 ist. Vernünftig zu leben heißt somit in Übereinstimmung mit dem zu leben, was die Natur aufgrund ihrer zweckmäßigen Verfaßtheit im Hinblick
reason: with whom I should consent, if there were any such thing to be found or known in rerum naturâ" Lev. V, p. 39: "There being nothing simply and absolutely so; nor any common Rule of Good and Evill, to be taken from the nature of the objects themselves; but from the Person of the man (where there is no Common-wealth;) or, (in a Common-wealth,) from the Person that representeth it; or from an Arbitrator or Judge, whom men disagreeing shall by consent set up, and make his sentence the Rule thereof." Dialogue , p. 67: "There is not amongst Men a Universal Reason agreed upon in any Nation, besides the Reason of him that hath the Soveraign Power, yet though his Reason be but the Reason of one Man, yet it is set up to supply the place of that Universal Reason, which is expounded to us by our Saviour in the Gospel". - Diese Abgrenzung ist umso bedeutsamer, als der junge Hobbes selbst noch ganz unbefangen und unter Berufung auf Cicero (De legibus I, 18) an die klassische Konzeption der recta ratio angeknüpft hatte: "That common reason we have engrafted in our natures, is a Law, directing what we are to do, forbidding the contrary, according to Cicero: Eadem ratio cum est in hominis mentis confirmata, & confecta, lex est" (A Discourse of Laws, in: Ders., Three Discourses, pp. 115-116). Vgl. zum Wandel des Hobbesschen Vernunftbegriffs Saxonhouse , Hobbes and Modern Political Thought, pp. 150-151. 36 Diese Auffassung von der normativen Funktion der recta ratio hat bei Cicero, der bis in das späte 18. Jahrhundert eine der wichtigsten Quellen für die praktische Philosophie der Stoa gewesen ist, ihren klassischen Ausdruck gefunden: "quibus enim ratio a natura data est, isdem etiam recta ratio data est; ergo et lex, quae est recta ratio in iubendo et vetando; si lex, ius quoque, at omnibus ratio: ius igitur datum est omnibus" (De legibus I, 33); "erat enim ratio, profecta a rerum natura, et ad recte faciendum impellens et a delicto avocans, quae non tum denique incipit lex esse quom scripta est, sed tum quom orta est. orta autem est simul cum mente divina, quam ob rem lex vera atque princeps, apta ad iubendam et ad vetandam, ratio est recta summi Iovis" (De legibus Π, 10). Diese Vernunft wirkt nach Cicero in allen tugendhaften Menschen im Sinne eines untrüglichen Unterscheidungsvermögens: "etenim omnes viri boni ipsam aequitatem et ius ipsum amant, nec est viri boni errare et diligere quod per se non sit diligendum: per se igitur ius est expetendum et colendum" (De legibus I, 48). - Diese Konzeption der recta ratio als der angeborenen Erkenntnis der vernünftigen, mit dem bonum commune übereinstimmenden Natur des Menschen, gehört auch zu den Grundüberzeugungen des thomistischen Naturrechts; durch die recta ratio, dem Vermögen der Unterscheidung "quid sit bonum et quid sit malum", wird hier der vernünftigen Kreatur die "participatio legis aeternae" ermöglicht; vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae Ι-Π, qu. 91, a. 2 und qu. 94, a. 2. 37 Cicero, De legibus I, 18.
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auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse den Menschen als Gesetz diktiert. Anders als für die vorhergehende Naturrechtstradition besitzt die recta ratio für Hobbes keine notwendige Beziehung auf ontologisch fundierte Werte 38, sondern einen methodischen Status39: sie ist das Erkenntnisvermögen bzw. der Erkenntnisakt, wodurch die Bedingungen des rechten und gerechten Handelns überhaupt erst bestimmt und festgelegt werden. 40 Aus dieser Definition der recta ratio als "ratiocinatio", als Vermögen richtigen Schließens folgt: die Vernunft existiert nicht abstrakt, als ewige Wahrheit, die durch das Denken der einzelnen gleichsam nur abgebildet oder reproduziert würde, sondern sie existiert konkret immer nur als das vernünftige menschliche Denken. 'Richtig' ist die ratiocinatio also nicht durch ihren Bezug auf die angeblich natur- oder gottgewollte zweckmäßige Einrichtung der Welt, vielmehr beruht die Wahrheit ihrer Operationen darauf, daß sie "ex veris principiis rectè compositis" (DC II, 1 annotatio), somit nach dem methodischen Vorbild der Geometrie, gewonnen worden sind. Zugleich ist die recta ratio immer die 'ratio propria'. Denn ob eine Aussage 'wahr' ist, ob sie also gemäß den Regeln der Syllogistik gewonnen worden ist, darüber kann jeweils nur der einzelne gemäß seiner Urteilskraft und nur für sich selbst entscheiden. Wenn Hobbes die Existenz der recta ratio "in rerum naturä" (Elements XXIX, 8; Lev. V, p. 33) bestreitet, bedeutet dies also nicht, daß es keine objektive Wissenschaft, keine Kriterien der Wissenschaftlichkeit, keine gültigen Beweise und kein richtiges Schlußfolgern gäbe.41 Wohl aber bedeutet es, daß jede Behauptung, die mit dem Anspruch objektiver Erkenntnisgültigkeit auftritt, vom einzelnen nur nach den Gründen und Maßstäben der je eigenen Vernunft beurteilt wird und werden muß, wobei die Übereinstimmung des subjektiven Urteils mit der an sich seienden Wahrheit immer mit dem Moment der Zufälligkeit behaftet bleibt. Da aber jeder immer nur für sich selbst entscheiden kann, ob die vorgebrachten Begründungen überzeugend sind oder nicht, so folgt aus der Individualität des Urteilsvermögens weiterhin, daß nie-
38 Mit der Kritik an dem traditionellen Begriff der recta ratio geht die Kritik an der scholastischen Definition des Willens als "appetitus rationalis" (vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae Π-Ι, qu. 8, a. 1; qu. 58, a. 4) einher, vgl. Lev. VI, p. 44: "The Definition of the Will, given commonly by the Schooles, that it is a Rationall Appetite , is not good. For if it were, then could there be no Voluntary Act against reason." 39 Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, pp. 118-119; Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 154. 40 Pufendorf (De officio hominis et ci vis, I, 3, § 12) stimmt in dieser Frage mit Hobbes überein: "Quod vulgo dicitur, isthanc legem natura notam esse, id non ita capiendum videtur, quasi in animis hominum jam nascentium inhaerent actuales & distinctae propositiones circa agenda & fugienda.". 41 Im Gegenteil: "whereas nothing is produced by Reasoning aright, but generali, eternali, and immutable Truth" (Lev. XLVI, p. 458).
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mand Von Natur aus' dazu verpflichtet ist, dem Urteil eines anderen im Sinne des subjektiven Fürwahrhaltens beizustimmen. 42 Die vehemente Kritik der traditionellen Konzeption der recta ratio bedeutet bei Hobbes also keine Absage an die Leistungsfähigkeit der Vernunft, sondern ganz im Gegenteil die Absage an den naturrechtlichen Dogmatismus ihrer Anbindung an eine vorgängige normative Ordnung. Eine Deutung, die Hobbes eine derartige Auffassung unterstellt, widerspräche schon dem immer wieder von ihm hervorgehobenen aprioristischen Deduktions- und Begründungsanspruch, der die "science of naturall Justice" in den Rang einer a priori demonstrierbaren Wissenschaft erhebt: "Of arts, some are demonstrable, others indemonstrable; and demonstrable are those the construction of the subject whereof is in the power of the artist himself, who, in his demonstration, does no more but deduce the consequences of his own operation. The reason whereof is this, that the science of every subject is derived from a precognition of the causes, generation, and construction of the same; and consequently where the causes are known, there is place for demonstration, but not where the causes are to seek for. Geometry therefore is demonstrable, for the lines and figures from which we reason are drawn and described by ourselves; and civil philosophy is demonstrable, because we make the commonwealth ourselves. But because of natural bodies we know not the construction, but seek it from the effects,
42 Offenkungig nicht ohne theologiekritische Hintergedanken erörtert Hobbes die unvermeidliche Individualität des Vernunftgebrauchs am Beispiel des Apostel Paulus, dessen Predigt bei den Thessalonichern nur zum Teil auf fruchtbaren Boden gefallen war: "What was the reason, when they all beleeved the Scripture, that they did not all beleeve alike; but that some approved, others disapproved, the Interpretation of St. Paul that cited them; and every one Interpreted them to himself? It was this: St. Paul came to them without any Legall Commission, and in the manner of one that would not Command, but perswade; which he must needs do, either by Miracles, as Moses did to the Israelites in Egypt, that they might see his Authority in Gods works; or by Reasoning from the already received Scripture, that they might see the truth of his doctrine in Gods Word. But whosoever perswadeth by reasoning from principles written, maketh him to whom he speaketh Judge; both of the meaning of those principles and also of the force of his inferences upon them. [...] And generally in all cases of the world, he that pretendeth any proofe, maketh Judge of his proof him to whom he addresseth his speech" (Lev. XLn, pp. 354-355). - Die ungeheure Provokation, die fur die zeitgenössischen kirchentreuen Theologen mit diesen Ausführungen verbunden sein mußte, liegt darin, daß mit ihnen jeder Anspruch der Kirche, sie sei die einzige autorisierte Instanz, das Wort Gottes verbindlich zu interpretieren, aus Rechtsgründen bestritten wird. Niemand kann unter Berufung darauf, daß er entweder selbst eine göttliche Offenbarung vernommen hat oder einer von Gott erleuchteten Gemeinschaft von Menschen angehört, andere dazu verpflichten, sich diesen Überzeugungen zu unterwerfen. Damit ist natürlich auch der Sache nach jedem zwangskirchlichen Regiment der Boden, d. h. der spezifisch theologische Rechtfertigungsgrund entzogen. Wenn Hobbes dennoch (jedenfalls noch in De Cive) eine solche Staatskirche für erforderlich hält, so tut er dies aufgrund rein politischer Zweckmäßigkeitsüberlegungen.
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there lies no demonstration of what the causes be we seek for, but only of what they may be" (Six Lessons to the Professors of the Mathematics, EW Vïï, p. 183-184).43
Was Hobbes kritisch ins Visier nimmt, ist die Vorstellung der menschlichen Vernunft als einer "facultas infallibile", d. h. die Vorstellung der recta ratio im Sinne eines intuitiven Wissens um den Unterschied zwischen Recht und Unrecht, wie sie Cicero, der stoischen Philosophie folgend, unterstellt, wenn er behauptet, daß der Mensch bloß dadurch, daß ihm Vernunft (im Sinne des Erkenntnisvermögens) gegeben ist, zugleich auch über den objektiven Maßstab für Recht und Unrecht verfügt. 44 Eine solche vermittlungslose Gewißheit der Differenz von gut und böse, gerecht und ungerecht widerspricht jedoch zunächst dem rationalistischen Ideal einer methodisch abgesicherten Vorgehensweise, in welcher die einzelnen Argumentations- und Begründungsschritte nachvollziehbar und überprüfbar aufgezeigt werden müssen. Damit eine Aussage als mit der rechten Vernunft übereinstimmend angesehen werden kann, muß gezeigt werden, wie sie als logisch notwendige Schlußfolgerung aus dem Denkakt (dem "ratiocinandi actum") hervorgeht, so daß sich die Wahrheit einer Aussage aus ihrem logischen Verhältnis zu den vorhergehenden Überlegungen ergibt. Um zu wahren und vernünftigen Resultaten zu kommen, müssen methodische Denk- und Erkenntnisleistungen erbracht werden, so daß das begründete Wissen immer durch die Tätigkeit des erkennenden Subjekts erworben werden muß. Das gleiche gilt für die Philosophie als der Vernunftwissenschaft schlechthin: sie ist die "per rectam rationem acquisita cognitio" (De Corpore I, 6, 2) und besteht aus "knowledge acquired by Reasoning" (Lev. XL VI, p. 458): "Reason is not as Sense, and Memory, borne with us; nor gotten by Experience onely, as Prudence is; but attayned by Industry; first in apt imposing of Names; and secondly by getting a good and orderly Method in proceeding from the Elements, which are Names, to Assertions made by Connexion of one of them to another; and so to Syllogismes, which are the Connexions of one Assertion to another, till we come to a knowledge of all the Consequences of names appertaining to the subject in hand; and that is it, men call SCIENCE" (Lev. V, p. 35).
Die recta ratio ist gemäß dem neuzeitlichen Methodenideal nicht die unmittelbare Gewißheit, sondern das aus logisch wahren Schlußfolgerungen bestehende Verfahren der Erkenntnisgewinnung: "making of syllogisms is that 43 Wenn die "civil philosophy" eine a priori demonstrierbare Wissenschaft ist, dann treffen Einwände, die sich auf eine angeblich abweichende Praxis berufen, nicht den Wahrheitsanspruch der Rechtsphilosophie. Dementsprechend antwortet Hobbes auf den Einwand, sein Begriff des souveränen Staates widerspräche der tatsächlichen Organisation der historisch gewordenen Staaten: "an argument from the Practise of men [...] is invalid. For though in all places of the world, men should lay the foundation of their houses on the sand, it could not thence be inferred, that so it ought tobe." (Lev. XX, p. 145). 44 Vgl. die Belege in Anm. 36.
IV. Die natürlichen Gesetze als Formalbedingungen des Friedens
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we call RATIOCINATION or reasoning." (Elements V, 11); die Wissenschaft "is [...] attained by Reasoning" (Lev. XLVI, p. 458). Entsprechend heißt es im Leviathan: "for Reason serves only to convince the truth (not of fact, but) of consequence" (Lev. XXXIII, p. 261). In dieser Entfaltung der systematischen Prämissen einerseits und der daraus schrittweise gewonnenen bzw. 'demonstrierten' Schlußfolgerungen andererseits besteht für Hobbes der eigentliche "actus rationcinandi", und nur in dieser methodisch verbürgten Vorgehensweise45 kann der Wahrheitsanspruch der recta ratio liegen. Wissenschaft bezeichnet in diesem Sinne ein System von evidenten, durch Abstraktion gewonnenen Prämissen und Prinzipien und darauf aufbauenden, logisch überprüfbaren und methodisch fortschreitenden Schlußfolgerungen: "fondamenta doctrinae ciuilis vera, & verè demonstrata" (DC XIII, 9).
IV. Die natürlichen Gesetze als konstitutive Formalbedingungen des Rechtsfriedens Hobbes' Rechtsphilosophie erschließt aus der Widersprüchlichkeit eines Zustandes, in dem der äußere Freiheitsgebrauch keinerlei einschränkendem Gesetz unterworfen ist, die notwendigen rechtlichen Bedingungen, gemäß denen das subjektive Selbsterhaltungsrecht ausgeübt werden kann. Mit dieser auf Vernunftprinzipien beruhenden Begründung der formalen Prinzipien der Rechtsordnung macht Hobbes den "revolutionäre[n] Gedanke[n], der [...] die Vernunft des Menschen an Stelle von Gottes Schöpferwillen zur Gesetzgeberin seiner Freiheit macht", zur Grundlage der Rechtsphilosophie.46 Die Menschen können demnach zur Bestimmung dessen, was zwischen ihnen als Recht und Unrecht gelten soll, nur auf ihre eigene Vernunft zurückgreifen. Woher aber soll die Vernunft, wenn sie keine untrügliche Erkenntnis einer an sich seienden Gerechtigkeitsordnung ist, den konkreten Inhalt ihrer Gesetzgebung für das Handeln nehmen? Scheint sie doch ohne eine solche Ordnung vor dem normativen Nichts zu stehen. Aber auch auf diese Frage gibt Hobbes gleichfalls eine einfache und revolutionäre Antwort: die Vernunft gewinnt die Prinzipien von Recht und Umecht ausschließlich aus dem Willen des Menschen, d. h. daraus, daß Menschen überhaupt in Übereinstimmung mit den Bedingungen möglicher Selbsterhaltung frei handeln wollen. Indem Hobbes die dictamina rectae rationis der Friedenssuche immanent, rein aus der menschlichen Vernunft begründet, die sich in bezug auf mögliche menschliche Willkürhandlungen selbst bestimmt, wird von Hobbes
45
Hierunter versteht Hobbes das Verfahren der Demonstration "of Consequences of one Affirmation, to another" (Lev. IX, p. 60). 46 Ebbinghaus, GS Π, S. 123. 8 Hüning
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"zum ersten Male der Ursprung aller möglichen Geltung des Rechtes in der menschlichen Gemeinschaft aus einer Forderung der Vernunft des Menschen, die Gesetze für seine vor dem Gesetze des natürlichen Rechtes sich selbst widersprechende Freiheit fordert, mit präzisen Begriffen festgestellt." 47
Es sind im wesentlichen die ersten drei, von der 'recta ratio' entdeckten natürlichen Gesetze, in denen die Grundlagen rechtlicher Friedensstiftung enthalten sind: 1. Das Gebot der Friedenssuche ("quserendam esse pacem", DC Π, 2) Hobbes unterscheidet zwischen einer "prima & fundamentalis lex naturae" einerseits und den daraus abgeleiteten natürlichen Gesetzen andererseits. Sie verhalten sich zueinander wie Ziel und Mittel 48 : das erste und grundlegende natürliche Gesetz, das man auch als die Grundnorm der Hobbesschen Rechts-
philosophie oder auch als "das rechtliche Grundpostulat der Vernunft" 49 bezeichnen könnte, formuliert das oberste Ziel aller rechtlichen Freiheitsnormierung. Es ist die schon am Schluß des ersten Kapitels von De Cive erwähnte Forderung der rechtlich-praktischen Vernunft, einen solchen Zustand zu stiften, in welchem die Menschen in Frieden und Sicherheit miteinander leben können. Dieses rationale Gebot der Friedenssuche
ist also mit der
Forderung identisch, daß zwischen Menschen überhaupt Rechtsverhältnisse herrschen sollen, in denen ihr Freiheitsgebrauch allgemeinen Regeln unterworfen und der Gebrauch von Gewalt zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen rechtlich ausgeschlossen ist: "Prima autem & fundamentalis lex naturœ est, qucerendam esse pacem vbi haben potest; vbi non potest, quœrenda esse belli auxilia" (DC Π, 2).
Dieses oberste Gebot kann nun in zweierlei Hinsicht betrachtet werden: erstens insofern es selbst als Gebot der rechten Vernunft aus dem Widerspruch des Naturzustandes abgeleitet ist: als solches stellt es die unbedingte Forderung auf, den Rechtsfrieden zu verwirklichen 50; zweitens aber insofern es seinerseits die Grundlage für die Ableitung der besonderen natürlichen 47
Ebbinghaus, GS Π, S. 254. Die Unterscheidung von natürlichem Grundgesetz einerseits und den daraus abgeleiteten Bestimmungen unterliegt also dem gleichen Zweck-Mittel-Verhältnis wie die bereits betrachtete Gliederung des natürlichen Rechts. Zugleich ist nicht zu übersehen, daß Hobbes mit der Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem natürlichen Gesetz formal an die thomistische Naturrechtslehre anknüpft, vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae Ι-Π, qu. 94, a. 2. 49 Ebbinghaus, GS Π, S. 254. 50 Kant hat diesen Grundsatz der Schaffung von Rechtsverhältnissen als "unbedingte und erste Pflicht" bzw. als "die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht" (TuP, AA Vm, S. 289 2i 24f.) bezeichnet. 48
IV. Die natürlichen Gesetze als Foraialbedingungen des Rechtsfriedens
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Gesetze darstellt. Diese besonderen Gesetze stehen in verbindlichkeitstheoretischer Abhängigkeit vom obersten natürlichen Gesetz, da sie die besonderen Bedingungen formulieren, durch die das Grundgesetz realisiert werden kann. Das Friedensgebot Çquœrendam esse pacem") gilt unbedingt, d. h. es kann keine Situation geben, wo die Vernunft nicht zur Bereitschaft auffordert, den Naturzustand zu überwinden und mit anderen Menschen in solche Verhältnisse zu treten, durch die der Rechtsfriede möglich wird. Die Pflicht, zur Friedensstiftung bereit zu sein, besteht auch dort unbedingt, wo - wie im Naturzustand - aufgrund der jeweiligen Situation das individuelle Bemühen um friedliche Konfliktregelung zum Scheitern verurteilt ist. Der Nachsatz des Friedensgebotes ("vbi non potest, quaerenda esse belli auxilia") bedeutet deshalb keine Relativierung seiner unbedingten Geltung, sondern eine Spezifizierung seines Befolgungsmodus. 2. Das Gebot der rechtlichen Normierung des Freiheitsgebrauchs ("jus in omnia non esse retinendum", DC Π, 3) Das erste von dem Fundamentalgebot des Friedens abgeleitete natürliche Gesetz ("Lex naturae specialis prima", DC II, 3) ist die Forderung des Verzichts auf das Recht auf alles. So wie das Gebot der Friedenssuche die allgemeine Forderung aufstellt, eine Rechtsordnung, in welcher individuelle Gewaltanwendung eliminiert bzw. sanktioniert wird, zu etablieren, formuliert das Gebot des Rechtsverzichts die oberste formale Bedingung einer solchen Rechtsordnung. Es knüpft systematisch genau an demjenigen Punkt an, der zuvor als Grund für die Konflikthaftigkeit des Naturzustandes diagnostiziert worden war: wenn sich der Naturzustand durch die Gesetzlosigkeit der Freiheit zu einem Krieg aller gegen alle entwickelt, so muß die erste (konkrete) Norm des Vernunftrechts den Verzicht auf die absolute und unbestimmte Handlungsfreiheit, auf das schrankenlose Recht auf alles zum Gegenstand haben. Nur unter dieser Voraussetzung, daß das absolute Recht auf alles, mithin die sich selbst negierende absolute Freiheit ihrerseits negiert wird und an ihre Stelle Verhältnisse des normierten Freiheitsgebrauches treten, ist der Frieden möglich. Wer also durch die Grundnorm auf den Zweck der Realisierung des Rechtsfriedens verpflichtet ist, der ist zugleich auf die adäquaten Mittel dieser Realisierung verpflichtet. Im Leviathan präzisiert Hobbes den normativen Gehalt dieses natürliches Gesetzes: während in De Cive ausschließlich vom Verzicht auf das unbestimmte Recht auf alles die Rede war, so betont er nunmehr, daß dieser Verzicht gemäß den Bedingungen möglicher Reziprozität zu erfolgen hat. 51 Mit der Einschränkung des äußeren Freiheitsgebrauchs von
51 In De Cive (DC ΠΙ, 14) war diese Gleichheitsbedingung erst im Rahmen des neunten natürlichen Gesetzes formuliert worden: "Quid enim aliud est aequalitatem
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jedermann durch allgemeine Regeln geht die Forderung einher, die anderen als gleichermaßen freie Rechtspersonen, als Träger von gleichen Rechten, anzuerkennen. Damit macht Hobbes deutlich, daß die durch das Rechtsinstituts des Verzichts bewirkte Negation des Rechts auf alles logisch die Schaffung eines Systems gleichen Rechts impliziert, in welchem sich die einzelnen wechselseitig den gleichen Umfang des Rechts der Handlungsfreiheit einräumen. Das zweite Kapitel von De Cive enthält, wie oben bereits angedeutet wurde, zunächst nur eine formale Theorie möglicher Verträge, die nichts darüber besagt, welche besonderen Verträge Menschen untereinander abschließen bzw. auf welche besonderen Vertragsinhalte sie sich einigen sollen. Eine solche inhaltliche Theorie privatrechtlicher Verträge liefert Hobbes auch an keiner anderen Stelle seiner Werke; sie stünde im Widerspruch zu der Behauptung, daß die Menschen in bezug auf ihre vertraglichen Verpflichtungen von Natur aus frei sind. Soweit sie sich gegenüber anderen (privatrechtlich) verpflichten, tun sie dies aus freiem Belieben.52 Diese Abstraktion der Hobbesschen Vertragslehre von den Inhalten der Vertragsverhältnisse hat jedoch eine entscheidende Ausnahme: der einzige bestimmte Vertragsinhalt ist der Verzicht auf das Recht auf alles. Diese Ausnahme des Verzichts auf das Recht auf alles, der zugleich den eigentlichen Gegenstand des staatsbegründenden Vertrags ausmacht, trägt dem Problem der Reflexivität der Vertragsgeltung Rechnung. Eine Theorie, die die Gesamtheit der Verbindlichkeiten auf die vertragliche Selbstbindung der Verpflichteten selbst zurückführt, muß ihrerseits auf Regeln beruhen, die unabhängig von und vor allen vertraglichen Akten der Selbstbindung objektiv gültig und - da sie die obersten Bedingungen der Verwirklichung des Rechtsfriedens darstellen - zugleich verbindlich sind. Die Attraktivität der Vertragsfigur besteht - wie leicht ersichtlich ist - darin, daß vertragliche Willenshandlungen das juristische Instrument sind, durch das sich Menschen wechselseitig verpflichten und durch den Erwerb von Rechten bzw. durch Auferlegung von korrespondierenden Pflichten ihre Handlungssphären rechtlich gegeneinander abgrenzen. Da der Vertrag "die Grundform eines Rechtsgeschäftes darstellt, bei dem aus Freiheit rechtskräftige Verbindlich-
personarum agnoscere in societate ineunda, quam aequalia ipsis tribuere, quos alioqui societatem inire ratio nulla exigit?". 52 Es ist dies das weite Feld der nur formal durch staatliche Gesetze bestimmten Betätigung der 'libertas innoxia' (DC ΧΙΠ, 15), d. h. die Sphäre des gesellschaftlichen Verkehrs, in welcher sich die einzelnen als formal gleiche und freie Rechtssubjekte bzw. als Käufer und Verkäufer gegenübertreten; vgl. hierzu Lev. XXI, p. 148: "The Liberty of a Subject, lyeth therefore only in those things which, in regulating their actions, the Soveraign hath praetermitted: such as is the Liberty to buy, and sell, and otherwise contract with one another; to choose their own abode, their own diet, their own trade of life, and institute their children as they themselves think fit; & the like."
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keiten entstehen"53, lag es nahe, den privatrechtlichen Modus der Genese von Pflichten auch auf den staatsbegründenden Akt zu übertragen. Im Zentrum der Hobbesschen Vertragsdogmatik steht zunächst die Betrachtung des Instituts des Rechtsverzichts. Ein rechtlich verpflichtender Verzicht auf das Recht auf alles unterstellt einen Willensakt, durch den das Recht entweder einfach aufgegeben oder auf einen anderen übertragen wird. Der Rechtsverzicht durch Übertragung ("translatio juris", DC II, 4) zugunsten eines Dritten bildet, wie noch zu zeigen sein wird, das eigentliche juristische Zentrum des staatsbegründenden Vertrages. Die Redeweise von der Übertragung, die sich jedoch eher der Anknüpfung an die naturrechtlich-juristische Terminologie verdankt, ist genau genommen irreführend, da es für Hobbes keine Rechtsübertragung im eigentlichen Sinne geben kann 54 und in Wahrheit nur ein qualifizierter Rechtsverzicht zugunsten eines anderen vorliegt. Der eigentliche Gegenstand der Hobbesschen Vertragslehre ist jedoch die Analyse des Problems der Vertragsge/tewg. In Übereinstimmung mit der für das Römische Recht charakteristischen Betonung des Willlensmomentes sind Verträge für Hobbes ausschließlich deshalb gültig, weil und insofern die Vertragspartner sich willentlich durch Rechtsverzicht zu irgendeiner Einschränkung ihrer Freiheit verpflichtet haben. Die obligatio contracta überhaupt wird durch den Willen desjenigen begründet, der sich - aus welchen Motiven auch immer - gegenüber einem anderen zu einer Handlung bzw. einer bestimmten Handlungsweise vertraglich verpflichtet. 55 Mit der Reduktion der vertraglichen Geltungsbedingungen auf das Willensmoment stellt sich Hobbes in Gegensatz zur Naturrechtstradition, für welche die Gültigkeit der Verträge insbesondere von Gesichtspunkten materialer Gerechtigkeit bestimmt war. Aufschlußreich ist in dieser Hinsicht ein Vergleich mit der vertragstheoretischen Position, die Cicero im dritten Buch seiner Schrift De officiis bezüglich von Verhältnissen des freiwilligen Tauschverkehrs und der Frage des gerechten Preises exemplifiziert hatte. Cicero behandelt dort in einem fiktiven Zwiegespräch zwischen Diogenes von Babylon und Antipater von Tarsos als Beispiel für einen (nach Ciceros Auffassung nur scheinbaren) Widerspruch zwischen utile und honestum den Fall des Kaufmanns, der seinen Kunden die bevorstehende
53
Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 447. Wie Hobbes betrachtet auch Grotius (JBP, Prol. § 15) den Vertrag als "modus naturalis [...] se obligandi". - Die Probleme, die mit dieser Übertragung der privatrechtlichen Vertragskonzeption auf die Ebene des Staatsrechts verbunden sind, werden im entsprechenden Zusammenhang noch ausführlich analysiert werden. 54 Da jedermann bereits von Natur aus ein Recht auf alles hat, erwirbt er durch die Rechtsübertragung kein "nouum ius", "sed iusta transferentis resistentia [...] extinguitur" (DC Π, 4). 55 Wer einen Vertrag schließt, wird dadurch zum Autor eines Rechtsverhältnisses bzw. einer Rechtspflicht gegenüber anderen.
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Ankunft der Getreideschiffe verheimlicht, um den Preis in die Höhe zu treiben. Während Antipater als Vertreter des strikt moralischen Standpunkts die Gültigkeit von Kaufverträgen davon abhängig macht, daß sie (nach den Prinzipien der ausgleichenden Gerechtigkeit) in Übereinstimmung mit der "utilitas communis" stehen, die der 'vir bonus' zu berücksichtigen hat 56 , will sein Diskussionspartner Diogenes ganz im Sinne von Hobbes die Preisgestaltung ausschließlich dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage und damit dem Willen der Kaufparteien überlassen.57 In offenkundiger Anspielung auf Ciceros Problemdarstellung, zugleich aber in entschiedener Entgegensetzung zu dem (von Antipater und Cicero verfochtenen) Konzept der iustitia commutativa, wonach der Austausch von Gütern ihre objektive Wertgleichheit erfordere, erklärt Hobbes im Falle von Kaufverträgen das Willensmoment zum einzigen Geltungsgrund vertraglicher Verbindlichkeit. Ob Kaufverträge rechtsgültig sind, hängt nicht davon ab, ob die ausgetauschten Leistungen oder Dinge gleichwertig sind, sondern davon, ob dieser Austausch, zu welchem Preis und aus welchen Motiven auch immer, von beiden Parteien gewollt wird: "As if it were Injustice to sell dearer than we buy; or to give more to a man than he merits. The value of all things contracted for, is measured by the Appetite of the Contractors: and therefore the just value, is that which they be contented to give" (Lev. XV, p. 105).
Die Kritik, die Hobbes hiermit gegen die naturrechtliche Vertragslehre erhebt, ist ihrerseits Ergebnis der rechtsphilosophischen Revolution: während für Cicero und die stoisch-scholastische Naturrechtstradition Verträge immer schon auf den als gültig vorausgesetzten materialen Gerechtigkeitsprinzipien der lex naturae beruhen müssen und diese Ordnung nur zur Darstellung bringen sollen, sind für Hobbes Verträge nicht Ausdruck einer solchen vorhergehenden normativen Ordnimg, sondern umgekehrt "Fountain and Originali of JUSTICE" (Lev. XV, p. 100), weil erst durch vertraglich auferlegte Rechtspflichten die unbeschränkte Freiheit des Naturzustandes aufgehoben wird und die jeweiligen individuellen Handlungsspielräume gegeneinander abgegrenzt werden: Verträge sind nicht Ausdruck oder Folge einer vom Willen der Menschen unabhängigen Naturrechtsordnung, sondern sie sind aus dem Willen der Menschen selbst hervorgehende Akte der Rechtsstiftung.
56 Cicero, De officiis ΠΙ, 52: "tu, cum hominibus consulere debeas et servire humanae societati eaque lege natus sis et ea habeas principia naturae, quibus parere et quae sequi debeas, ut utilitas tua communis sit utilitas vicissimque communis utilitas tua sit, celabis homines, quid iis adsit commoditatis et copiae?" Schon zuvor hatte Cicero (De officiis Π, 40) darauf verwiesen, daß selbst diejenigen, "qui vedunt, emunt, conducimi, locant contrahendisque negotiis implicantur", nicht auf die Gerechtigkeit verzichten können. 57 Cicero, De officiis ΙΠ, 51: "'Advexi, exposui, vendo meum non pluris, quam ceteri, fortasse etiam minoris, cum maior est copia; cui fit iniuria?'"
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Wenn die Geltung der Verträge nicht von den zufälligen Motiven der Vertragspartner abhängt, sondern ausschließlich darauf beruht, daß der jeweilige Vertragsinhalt von den Vertragspartnern gewollt wird, dann folgt daraus notwendig, daß Verträge auch im Naturzustand gültig sind. Will man die vertragstheoretische Position, nach welcher die Vertragsgeltung von der Existenz einer souveränen Zwangsgewalt unabhängig ist, angemessen verstehen, dann muß man an die rechtstheoretische Funktion der Theorie der natürlichen Gesetze insgesamt erinnern: es geht Hobbes hier um den Aufweis der apriorischen Geltungsgründe vertraglicher Willenshandlungen, die im Hinblick auf ihre Wahrheit und Verbindlichkeit von der Faktizität der Staatsgewalt unabhängig sind, da sie allererst die Rahmenbedingungen festlegen, denen eine jede Rechtsordnung genügen muß, wenn ihre Gesetze als verbindlich anerkannt werden sollen. Wenn Hobbes davon spricht, daß Verträge auch im Naturzustand gültig sind, dann expliziert er damit eine für den nicht-positivistischen Status seines Vernunftrechts zentrale geltungstheoretische Grundüberzeugung: die staatliche Gesetzgebung und die von ihr geschaffene Rechtsordnung haben ihren (Rechts-)Grund in geltungslogisch vorhergehenden vertraglichen Willenshandlungen der Menschen. Überhaupt besteht der juridische Widerspruch des Naturzustandes in bezug auf den Abschluß von Verträgen nicht darin, daß hier die Menschen an sich keine gültigen Verträge schließen könnten. Sie können sich sehr wohl auf die wechselseitige Übertragung von Rechten oder den Austausch irgendwelcher Leistungen einigen, da die formalen geltungstheoretischen Voraussetzungen für den Abschluß gültiger Verträge auch im Naturzustand vorhanden sind; und zu dieser Behauptung ist Hobbes durch die starke Betonung des Willensmomentes als Grund möglicher Verbindlichkeiten gezwungen. Was aber außerhalb der Möglichkeit gemeinschaftlichen Handelns liegt, ist die Gewährleistung von Vertragssicherheit, durch welche die bloß naturrechtliche Verbindlichkeit privater Obligationsverhältnisse zu einer anerkannten und sanktionierten Wirklichkeit wird. Was die Vertragsgeltung und damit den Abschluß der Verträge selbst so prekär macht, ist eben die fehlende, erst durch ein Sanktionensystem zu bewirkende Sicherheit der vereinbarten Leistung, da im Naturzustand die einzelnen straflos gegen ihre eingegangenen Verbindlichkeiten verstoßen können. Aufgrund dieses Sicherheitsdefizits des Naturzustandes schaltet Hobbes nun eine Klausel ein, die bewirkt, daß im Naturzustand abgeschlossene Verträge, in denen eine zukünftige Leistung vereinbart worden ist, bei 'begründeter Furcht' ("iustus metus", DC II, 12), ihre Gültigkeit verlieren und die einzelnen selbst Richter darüber bleiben, ob sie weiterhin an die vertraglich eingegangenen Verpflichtungen gebunden sind bzw. ob Umstände eingetreten sind, die bewirken, daß derartige Verträge ihre Gültigkeit verlieren. Hobbes macht hier implizit von der aus dem Römischen Recht stammenden 'clausula rebus sie stantibus' Gebrauch, wonach Verträge bei einer wesentlichen Veränderung der Geschäftsgrundlage ungültig werden.
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Die Pointe der Hobbesschen Ausführungen über die naturzuständliche Vertragsgeltung besteht also darin, daß zwar einerseits die formalen Bedingungen der Gültigkeit von Verträgen, soweit sie im Vertragswillen der beteiligten Parteien liegen, auch im Naturzustand vorhanden sind, daß aber andererseits angesichts der skizzierten Vertragsunsicherheit kein rationales Motiv existiert, im Naturzustand überhaupt Verträge - insbesondere solche, bei denen die Leistungen der jeweiligen Parteien zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden sollen - abzuschließen: "For he that performeth first, has no assurance the other will perform after; because the bonds of words are too weak to bridle mens ambition, avarice, anger, and other passions, without the fear of some coërcive Power, which in the condition of meer Nature, where all men are equall, and judges of the justness of their own fears, cannot possibly be supposed. And therefore he which performeth first, does but betray himself to his enemy; contrary to the right (he can never abandon) of defending his life and means of living" (Lev. XIV, p. 96; vgl. auch Elements XVII, 10; DC Π, 11; ΠΙ, 27; VI, 3).
Fehlt - wie im Naturzustand - aus strukturellen Gründen diese wechselseitige Sicherheit der Vertragsbefolgung, so konstituiert das natürliche Gesetz nur eine innere, d. h. moralische Verpflichtung. Und gerade diese Abhängigkeit der Wirksamkeit (nicht der Geltung) von Verträgen von der individuellen Bereitschaft zur Vertragstreue ist es, die unter den Bedingungen des Naturzustandes eine jede mögliche Rechtswirksamkeit und Rechtssicherheit aufhebt. Daher kann es eine rechtliche Verbindlichkeit zur Einhaltung von Verträgen nur unter der Bedingung der Reziprozität ihrer Einhaltung geben. Das Fehlen einer souveränen Zwangsgewalt stellt somit im Falle berechtigter Furcht einen hinreichenden vernunftrechtlichen Dispensgrund dar: die Vernunft fordert nicht, daß sich jemand den Normierungen der natürlichen Gesetze unterwirft und auf die Beliebigkeit seines Freiheitsgebrauchs verzichtet, ohne die Sicherheit zu haben, daß auch die anderen Individuen den gleichen Einschränkungen unterworfen sind. Nicht die Vernünftigkeit der Forderung gesetzeskonformen Handelns der einzelnen selbst, wohl aber die aus dieser Forderung entspringende rechtliche Verbindlichkeit ist somit abhängig von institutionell gesicherter Reziprozität des Rechtsgehorsams. Die Schaffung von Sicherheit im Hinblick auf die "Reciprocität der Verbindlichkeit", die aus der Anwendung der "allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses" überhaupt folgt (RL § 8, AA VI, S. 2564, 255 32 f.), ist somit schon für Hobbes eine vernunftnotwendige Bedingung für die Kontinuität der rechtlichen Verbindlichkeit von Verträgen. 58 Als erster Interpret hat Α. E. Taylor diese Gemein58 Dieses Reziprozitätsargument findet sich bei nahezu allen neuzeitlichen Naturrechtslehrern: vgl. Rousseau, CS Π, 4; OC ΠΙ, p. 373: "Les engagemens qui nous lient au corps social ne sont obligatoires que parce qu'ils sont mutuels"; allerdings tritt bei Rousseau an dieser Stelle zu der juridischen Bedingung der Reziprozität noch die soziale Komponente hinzu, daß diese Pflichten der Verwirklichung des gemeinsamen
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samkeit zwischen Hobbes und Kant im Hinblick auf den Gedanken der "Reziprozität der Verbindlichkeit" im Rechtsbegriff hervorgehoben. 59 Die von manchen Interpreten vom Standpunkt des Rechtspositivismus vorgetragene Behauptung, Hobbes lehre, daß Verträge in ihrer Gültigkeit von der Existenz einer Rechtssicherungsinstanz abhängig seien 60 , ignoriert die Unterscheidung von Vertragsgeltung und Vertragssicherheit, die eines der fundamentalen Ergebnisse der Hobbesschen Vertragslehre bildet. Zwar ist auch Hobbes der Auffassung, daß Verträge ohne eine ihre Befolgung sichernde Macht des Schwertes bloße Worte sind ("Covenants, without the Sword, are but Words, and of no strength to secure a man at all", Lev. XVII, p. 117, bzw. "of none effect", wie es in Elements XV, 10, heißt); aber Hobbes geht es in diesem Zusammenhang eindeutig um die Frage der Befolgungssicherheit, d. h. um das Problem der Reziprozität der Vertragserfüllung, nicht um das Problem der Geltung bzw. der Verbindlichkeit der Verträge, wie der Nachsatz "of no strength to secure a man at all" - deutlich macht. Insofern liegt das Problem der Geltung abgeschlossener Verträge nicht darin, daß ihnen überhaupt keine mögliche Verbindlichkeit zukommen kann, sondern darin, daß diese Verbindlichkeit im Naturzustand nicht dauerhaft gegen die Willkür der Vertragspartner gesichert werden kann. 6 1
Nutzens der Bürger dienen. Kant, RL, AA VI, S. 255 33 - 2565: "Ich bin also nicht verbunden, das äußere Seine des Anderen unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder Andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach ebendemselben Princip verhalten; welche Sicherstellung gar nicht eines besonderen rechtlichen Acts bedarf, sondern schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprozität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel enthalten ist"; vgl. auch RL, AA VI, S. 30714_ 16. 59 Taylor, The Ethical Doctrine of Hobbes, p. 41; Warrender, The Political Philosophy of Thomas Hobbes, pp. 73-75, 196-199, 336; vgl. auch Ilting, Naturrecht und Sittlichkeit, S. 97 und S. 228 f, sowie Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 132, der hervorhebt, daß Hobbes "im zweiten natürlichen Gesetz mit dem Gedanken der Wechselseitigkeit und Gleichheit ein Moralprinzip (vertritt), das Kants Kriterium der allgemeinen Gesetzlichkeit sehr nahe kommt". 60 Mayer-Tasch, Hobbes und das Widerstandsrecht, S. 46 f.; Schottky, Die staatsphilosophische Vertragstheorie, S. 88; Maluschke, Philosophische Grundlagen des Verfassungsstaates, S. 34. 61 Vgl. Warrender , The Political Philosophy of Thomas Hobbes, p. 142: "The problem of the State of Nature in this respect, therefore, is not the difficulty of making valid covenants, but of preserving their validity through time"; p. 103: "[T]he dilemma of man outside civil society is constituted, in Hobbes's theory, not by the absence of a moral law, but by the total frustration of that law. This frustration arises from the fact that moral principles must perforce be left to the interpretation of the individual conscience, and may be suspended or partially suspended as far as external action in accordance with them is concerned, through the prevalence of insecurity."
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Daß Hobbes diese (aus der Logik seiner eigenen Rechtsphilosophie folgende) rechtstheoretische Unterscheidung zwischen der unbedingten Vertragsgeltung einerseits und der nur im status civilis (d. h. im Rahmen staatlicher Gesetze) zu verwirklichenden allgemeinen Vertragswirksamkeit andererseits 62 nicht immer konsequent durchhält , ändert nichts an der für die Rechtsphilosophie fundamentalen Bedeutung dieser Erkenntnis. Denn nur, wenn man die begründungstheoretische Funktion des Naturzustandes im Auge behält, erschließt sich die Bedeutung der Hobbesschen Ausführungen über die Möglichkeit des Vertragsschließens im Naturzustand: wenn - so die in der vorliegenden Arbeit verfochtene These - die Naturzustandshypothese von Hobbes eingeführt wird, um die apriorischen Geltungsgründe allen positiven Rechts freizulegen, dann kann es nicht darum gehen, den Naturzustand als einen Zustand faktisch abgeschlossener Verträge zu schildern. Diese Absicht konnte Hobbes schon deshalb nicht haben, weil für ihn der Naturzustand kein wirklich existierender Zustand ist, sondern eine rechtstheoretische Fiktion. Auch die bei Geismann/Herb63 zu findende Annahme eines 'kontraktuellen' Naturzustandes, "in welchem sich diese [sc. die Menschen, D.H.] durch Rechtsübertragung, insbesondere durch Abschluß von Verträgen, also durch Rechtsstiftung und Rechtserwerb, gegenseitig gebunden, d. h. verpflichtet und insoweit ihres natürlichen 'Rechts auf alles' begeben haben", scheint mir problematisch zu sein. Wenn Hobbes erklärt, daß Vertragsabschlüsse an sich im Naturzustand möglich und derartige Verträge auch an sich gültig seien, dann will er damit nicht eine wie auch immer geartete Stiftung prekärer oder provisorischer Rechtsverhältnisse diskutieren, sondern bestimmte geltungslogische Voraussetzungen des Vertrages benennen, die nicht erst Ergebnis der staatlichen Zwangsgesetzgebung sind. Im Hinblick auf diese Aufgabenstellung will Hobbes die gleichsam transzendentalen Bedingungen der Vertragsgeltung von dem Problemkomplex der Vertragswirksamkeit unterscheiden. In genau diesem Spannungsverhältnis, daß abgeschlossene Verträge im Naturzustand zwar an sich gültig sein können, ihnen aber aus strukturellen Gründen keine dauerhafte Wirksamkeit beschieden ist, bewegt sich die gesamte vernunftrechtliche Vertragsdogmatik des Thomas Hobbes. Die Unterscheidung zwischen der Gültigkeit der Verträge einerseits und den (im Naturzustand fehlenden) Bedingungen ihrer Wirksamkeit andererseits bildet eine der wich62
Vgl. DC XIV, 2; Lev. XV, p. 101: "[T]he Validity of Covenants begins not but with the Constitution of a Civili Power, sufficient to compell men to keep them". Hobbes scheint hier im Widerspruch zu seinen rechtslogischen Einsichten die Gültigkeit von Verträgen im Naturzustand überhaupt zu bestreiten. Vgl. hierzu Ilting, Der verrufene und umstrittene Autor, S. 257-267, der allerdings zu weit geht, wenn er die von Hobbes terminologisch nicht immer sorgfältig berücksichtigte Unterscheidung auf eine "fundamentale Inkonsistenz seiner Rechtstheorie" (S. 264) zurückführt. 63 Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 31; Scholion 201, S. 124 f.
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tigsten Einsichten der Hobbesschen Vernunftrechtslehre. Denn aufgrund dieser Unterscheidung ist Hobbes im Gegensatz zu den positivistischen Vertragstheorien in der Lage, die apriorischen, d. h. im Willen der frei handelnden Menschen selbst liegenden Geltungsgründe des Rechts auf das Element der Rechtssicherheit zu beziehen, das erst mit der Schaffung des staatlichen Institutionensystems Wirklichkeit wird. 3. Das Gebot der unbedingten Vertragstreue ("Pacta sunt servanda", DC m , 1) Das zweite abgeleitete Gesetz formuliert als Quintessenz der vorangegangenen vertragsdogmatischen Überlegung das Gebot der unbedingten Einhaltung abgeschlossener Verträge. Denn da der Vertrag bzw. der vertraglich vereinbarte Verzicht auf das einem jeden im Naturzustand zustehende Recht auf alles derjenige Akt ist, durch den überhaupt die absolute Freiheit des Naturzustandes eingeschränkt und durch die wechselseitige Abgrenzung der rechtlichen Freiheitssphären überhaupt ein Unterschied zwischen Recht und Unrecht im strikten Sinne gestiftet werden kann 64 , stellt die Vertragstreue eine "ad pacem conciliandum" notwendige Bedingung und aus dem natürlichen Gesetz entspringende Pflicht dar. Unter der Voraussetzung des ersten abgeleiteten Gesetzes, daß Verträge dasjenige Mittel sind, durch das Menschen in die Lage versetzt werden, sich über die Bedingungen ihres Freiheitsgebrauchs zu einigen, besagt dieses Gebot, daß alle Verträge, nachdem sie einmal geschlossen sind, unbedingte Geltung beanspruchen, so daß die Menschen zwar frei sind im Hinblick auf die vertraglich zu vereinbarenden Leistungen, nicht aber im Hinblick auf die Geltungsbedingungen der von ihnen willentlich eingegangenen Verbindlichkeiten. Dieses Gebot gilt insbesondere für den staatsbegründenden Vertrag, der die Bedingung der Möglichkeit aller übrigen vertraglich begründeten Rechtsverhältnisse65 darstellt. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Hobbes1 Ausführungen über die Narren, die der Auffassung sind, "that Justice is but a word, without substance" (Lev. XXX, p. 232). 66 Indem die Narren fragen, "whether Injustice [...] may not sometimes stand with that Reason, which dictates to every man his own good" (Lev. XV, p. 101) und zu dem zu dem Ergebnis kommen, daß die Einhaltung 64 DC ΠΙ, 4: "Pacti violatio [...] vocatur INIVRIA. [...] Videturque iniuriœ nomen, inde actioni vel omissioni tribui, quia sine iure est, vtpote quod ab eo qui agit vel omittit, translatum antea in alium fuerat." 65 Daß das Gebot pacta sunt servanda sich insbesondere auf diesen Vertrag bezieht, hat Tuschling (Die 'offene 1 und die 'abstrakte1 Gesellschaft, S. 228) mit Recht hervorgehoben. 66 Lev. XV, p. 101: "The Foole hath sayd in his heart, there is no thing as Justice; and sometimes also with his tongue"; es handelt sich eine Anspielung auf Psalm XIV, 1 bzw. LEI, 1.
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abgeschlossener Verträge nicht in jedem Fall vernünftig ist, konstruieren sie einen Gegensatz zwischen den vernunftrechtlichen Forderungen einerseits und dem obersten Handlungsmotiv des Strebens nach dem bonum sibi. Hobbes' Kritik an dieser relativistischen Position scheint auf den ersten Blick überraschend, wenn man daran erinnert, daß auch Hobbes im Naturzustand Gründe für die Nichteinhaltung von Verträgen anerkannt hat. Aber insofern Verträge überhaupt die Rechtsform darstellen, in welcher Menschen den Gebrauch ihrer Willkür in Übereinstimmung bringen können, lehrt die recta ratio den Nutzen prinzipieller Vertragstreue. Deshalb kann es nach Hobbes' Auffassung unmöglich vernünftig sein, dieses Mittel der Friedensstiftung zugunsten kurzfristiger Vorteile in Frage zu stellen. Diejenigen hingegen, die über das nach vernünftigen Prinzipien organisierte Zusammenleben der Menschen und die Bedingungen des "peace of Mankind" (Lev. XV, p. 100) nachdenken, müssen nach Hobbes notwendig die Frage nach der Möglichkeit der durch das positive Recht verwirklichten Gerechtigkeit stellen. Diese Ausführungen machen deutlich, daß Hobbes versucht, die Prinzipien der Rechtsverbindlichkeit aus der Logik des subjektiven Rechts der Selbsterhaltung selbst zu entwickeln. Die wichtigste rechtstheoretische Implikation des Gebots der Vertragstreue ist die Einsicht, daß die Vertragsgeltung motivationsunabhängig gedacht werden muß. Denn ebensowenig wie Gesichtspunkte materialer Gerechtigkeit taugen nach Hobbes die besonderen Motive der Vertragsparteien als Kriterium für die Gültigkeit von Verträgen. Daß die Vertragsgeltung von den besonderen Interessen und Motiven der Vertragsparteien abhängig sein könne, wie ζ. B. Cicero dies für den Fall behauptet, daß gegebene Versprechen durch veränderte Umstände zum Nachteil der Vertragspartner ausschlagen können67, ist für Hobbes systematisch ausgeschlossen. Hobbes kritisiert an dieser Auffassung, daß sie nicht zwischen Versprechen - die, sofern sie sich auf die Zukunft beziehen, auch für Hobbes ohne rechtliche Bindewirkung sind - und Verträgen unterscheidet68, v. a. aber, daß diese Position - wenn sie als allgemeines Prinzip der Vertragsgeltung betrachtet wird - die Verbindlichkeit solcher Akte vom zufälligen Rechtsurteil der einzelnen abhängig machen würde.
67 Cicero, De officiis I, 31 f.: "Sed incidunt saepe tempora, cum ea, quae maxime videntur digna esse iusto homine, eoque quem virum bonum dicimus, commutantur fiuntque contraria, ut reddere depositum (etiamne furioso?), facere promissum quaeque pertinent ad veritatem et ad fidem, ea migrare interdum et non servare fit iustum. [...] Nec promissa igitur servanda sunt ea, quae sint is, quibus promiseris, inutilia, nés si plus tibi ea noceant, quam illi prosint cui promiseris, contra officium est, maius anteponi minori [...]. Iam illis promissis standum non esse quis non videt, quae coactus quis metus, quae deceptus dolo promiserit?" 68 Zum Unterschied zwischen Versprechen und Verträgen s. DC Π, 6-8; Lev. XV, pp. 94-95.
V. Die natürlichen Gesetze als Prinzipien staatsbürgerlicher Tugend
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Aus diesem Grunde sind auch Verträge, bei denen die Furcht das entscheidende Motiv des Vertragsabschlusses darstellt, im Prinzip gültig: "Covenants entred into by fear, in the condition of meer Nature, are obligatory. For example, if I Covenant to pay a ransome, or service for my life, to an enemy; I am bound by it. For it is a Contract, wherein one receiveth the benefit of life; the other is to receive money, or service for it, and consequently, where no other Law (as in the condition, of meer Nature) forbiddeth the performance, the Covenant is valid" (Lev. XIV, pp. 97-98).69
V. Die natürlichen Gesetze als Prinzipien der staatsbürgerlichen Tugend Hobbes hat für sich beansprucht, die "prœcepta naturalia"
seien "quodam
ab vnico rationis, nos ad nostri conseruationem & incolumitatem hortantis, dictamine deriuata" (DC III, 26). Der programmatische Gedanke der Ableitung der speziellen natürlichen Gesetze aus dem Fundamentalgebot der Friedenssuche im Sinne einer Zweck-Mittel-Betrachtung ist Ausdruck des methodischen Selbstverständnisses der Hobbesschen Rechtsphilosophie als rationaler Prinzipientheorie, d. h. Ausdruck für den Anspruch, daß diese Diktate von der Vernunft strikt logisch aus der im ersten Kapitel von De Cive entfalteten Widersprüchlichkeit des Naturzustandes entwickelt werden. Für die beiden ersten speziellen Gesetze der Natur formuliert Hobbes damit sicherlich einen nachvollziehbaren Anspruch, insofern es sich bei diesen Forderungen in der Tat um Mittel handelt, die als analytische Konsequenzen aus der Grundnorm der Friedenssuche folgen. Bei den weiteren natürlichen Gesetzen ist die Einlösung dieses Ableitungsanspruchs weniger deutlich. Dies ist darin begründet, daß es sich bei den nachfolgenden natürlichen Gesetzen nicht mehr um spezifisch juridische Grundprinzipien für die Konstruktion einer jeden möglichen Rechtsordnung, sondern um eine bloße Aufzählung bestimmter moralischer Tugenden handelt, die entweder den Abschluß bzw. die Einhaltung von Verträgen befördern 70, oder Möglichkeiten schiedsrichterlicher Streitschlichtung 69
Im Unterschied zu Hobbes existiert für Spinoza, der im Rahmen seiner naturalistischen Rechts'lehre das Zusammenfallen von Recht und Macht lehrt, das Problem einer möglichen Vertragsgeltung im Naturzustand nicht; er behauptet, "pactum nullam vim habere posse nisi ratione utilitatis" (Tractatus theologico-politicus XVI, Opera I, p. 474), und verneint dementsprechend die Frage, ob im Naturzustand aus Furcht abgeschlossene Verträge gültig sind. 70 Bestimmungen, welche das Vertragschließen ermöglichen sollen, sind: das Gebot des Entgegenkommens (viertes natürliches Gesetz, DC ΠΙ, 9); das Gebot der Barmherzigkeit (fünftes Gesetz, DC ΠΙ, 10); das Verbot des Stolzes (achtes Gesetz, DC ΠΙ, 13); das Gebot der Bescheidenheit (neuntes Gesetz, DC ΠΙ, 14); das Gebot der Billigkeit (zehntes Gesetz, DC ΠΙ, 15); das Gebot der gemeinschaftlichen Nutzung unteilbarer Dinge (elftes Gebot, DC ΠΙ, 16); das Gebot der Güterverteilung durch Los
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oder Pflichten des Menschen gegen sich selbst aufzeigen. 71 In diesem Sinne hat Hobbes die natürlichen Gesetze nicht nur als rechtsbegründende "societatis, siue Pacis humanae conditiones" (DC I, 1), sondern auch als diejenigen Prinzipien bezeichnet, welche die "summa Philosophise moralis" (DC III, 32) ausmachen. Die natürlichen Gesetze sind zugleich individuelle Tugendpflichten, deren Einhaltung den gerechten Menschen auszeichnet: "Praecipiente ratione pacem esse bonam, sequitur eâdem ratione, omnia media ad pacem necessaria bona esse, ideoque modestiam, œquitatem, fidem, humanitatem, misericordiam, (quas demonstrauimus ad pacem esse necessarias) bonos esse mores, siue habitus, hoc est, virtutes. Lex ergo eo ipso quod praecipit media ad pacem, praecipit bonos mores, siue virtutes. Vocatur ergo moralis" (DC ΠΙ, 31). 72
Der in der Lehre von den natürlichen Gesetzen unternommene Versuch, Grundprinzipien einer Tugendlehre
des Rechtsfriedens
zu formulieren, ist
insofern nicht unproblematisch, als eines der zentralen Ergebnisse der Naturzustandsanalyse in der Einsicht bestand, daß die Unvermeidlichkeit der Rechtsantinomie nicht durch die mangelnde Gesinnung oder Tugend auf Seiten der einzelnen verursacht wird, sondern in der juridischen Struktur des Naturzustandes selbst begründet liegt. Aus diesem Grunde ist die individuelle Bereitschaft zur Tugendhaftigkeit ein zwar wünschenswertes, friedenswwterstützendes, aber kein fnedenskonstitutives Element. Ihre spezifische Funktion erfüllen die natürlichen Gesetze, soweit sie 'moralische Tugenden' zum Gegenstand haben, erst im status civilis, wo das positive Recht als Maßstab ihrer Anwendung vorausgesetzt ist. Als 'dispositiones animi' stellen die natürlichen Gesetze hier Formen der staatsbürgerlichen Moralität dar, in denen der einzelne seinen besonderen Willen mit den Anforderungen des Rechts vergleicht, ihn als guter Bürger am Maßstab des Erlaubten relativiert und beides in Gestalt der moralischen Reflexion verinnerlicht. Da Hobbes den ursprünglichen Gesichtspunkt seines Ableitungsanspruchs, in erster Linie rechtsnot(zwölftes Gesetz, DC ΠΙ, 17), und schließlich das Gebot der Anerkennung des Erstgeburtsrechtes (dreizehntes Gesetz, DC ΠΙ, 18). Das Gebot der Dankbarkeit (drittes natürliche Gesetz, DC ΠΙ, 8), das Verbot der Grausamkeit (sechstes Gesetz, DC ΠΙ, 11) sowie das Verbot der Schmähung (siebtes Gesetz, DC ΠΙ, 12) sind demgegenüber eher Tugenden der Vertragsbewahrung. 71 Die Bedingungen der Schiedsgerichtsbarkeit thematisieren das 14. - 19. Gesetz der Natur (DC ΠΙ, 19-24); die Pflichten des Menschen gegen sich selbst, die die Schwächung oder Schädigung des Vernunftvermögens verbieten, sind Gegenstand des 20. Gesetzes (DC ΠΙ, 25). Im Leviathan ist die Zählweise der natürlichen Gesetze geringfügig anders. 72 Lev. XV, p. I l l : "[A]ll men agree on this, that Peace is Good, and therefore also the way, or means of Peace, which (as I have shown before) are Justice , Gratitude , Modesty , Equity , Mercy , & the rest of the Laws of Nature, are good; that "is to say, Morali Vertues ; and their contrarie Vices, Evill. Now the science of Vertue and Vice, is Morali Philosophie; and therefore the true Doctrine of the Lawes of Nature is the true Morali Philosophy."
V. Die natürlichen Gesetze als Prinzipien staatsbürgerlicher T u g e n d 1 2 7 wendige Prinzipien der Kriegszustandsvermeidung und der Stiftung des Rechtsfriedens zu entwickeln, nicht konsequent durchzuhalten vermag, verwandelt sich seine Theorie der natürlichen Gesetze im weiteren Gang der Argumentation in eine sich weitgehend an den Tugendkanon der Naturrechtslehre anlehnende "Sammlung moralischer Billigkeitstopoi" 73 , die ethische Gemeinplätze formuliert, von denen denn auch in der nachfolgenden Staatsrechtslehre kein systematischer Gebrauch gemacht worden ist. Diese moralphilosophische Betrachtung der natürlichen Gesetze hat einige Autoren im Gegensatz zu der hier vertretenen These über ihre systematische Funktion zu dem Schluß geführt, Hobbes habe mit dieser Theorie eine aristotelisierende Tugendlehre entwickeln wollen, welche die moralischen Qualitäten thematisiert, die Menschen mitbringen müssen, um gute Staatsbürger zu sein. Hobbes müsse als ein "theorist of civic virtue" betrachtet werden, der "was concerned with educating subjects in civic virtue and the science of just and unjust, so that they would effectively exercise their duty to the public". 7 4
73
Kriele , Die Herausforderung des Verfassungsstaates, S. 24. Vgl. auch Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 228, Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 27, sowie Tricaud, Thomas Hobbes (Doxographie), S. 151, die den strikten Ableitungscharakter auf die genannten drei Gesetze beschränken. 7 4 Dietz, Hobbes's Subject as Citizen, pp. 91-119 (hier: p. 101); vgl. auch Skinner , Reason and Rhetoric, pp. 316-326, sowie Ewin, Virtues and Rights, pp. 5, 137-161. Ewin kommt ganz folgerichtig zu dem Ergebnis, daß Hobbes zwar überzeugende Argumente "for the necessity of giving primacy to public judgement in social life" (p. 39) vorbringe und demgemäß zeigen könne, "that communal life requires that there be a binding decision-procedure for each dispute about a matter requiring common action" (p. 167). Aber Hobbes erbringt nach Ewins Auffassung keinen Beweis dafür, daß diese öffentliche Streitschlichtung einen absoluten Souverän unterstellt. Ewin ist vielmehr der Auffassung, daß Hobbes sich in einem Zirkel bewegt: dieselben Tugenden, die vorausgesetzt werden müssen, damit die Menschen überhaupt als vertragsschließende Parteien gedacht werden können, machen zugleich die absolute Zwangsgewalt überflüssig (vgl. pp. 145, 200-201). Für das Gelingen des sozialen Zusammenlebens ist ein "committee" mit bestimmten Entscheidungsregeln und -Prozeduren ausreichend (p. 165). Wenn Ewin betont, "that private judgement can, without disaster, continue to play a healthy part in our lives", dann scheint er anzunehmen, Hobbes' Lehre ziele demgegenüber auf die Ausschaltung privater Urteile als solcher ab. Aber das Zentrum der Hobbesschen Souveränitätstheorie bildet nicht die Elimierung privater Urteile, sondern die Trennung von öffentlicher Entscheidung und privater Meinung. Jedem Bürger bleibt das private Urteil über die politischen Entscheidungen des Souveräns unbenommen; er kann es, sofern der Souverän dies erlaubt, auch öffentlich äußern; aber diese Freiheit des privaten Urteils gilt nur unter der Voraussetzung, daß die Bürger zwischen der Notwendigkeit des Gesetzesgehorsams einerseits und ihren privaten Meinungen andererseits zu unterscheiden wissen. Der entscheidende Schwachpunkt von Ewins Interpretation liegt jedoch in seiner Einschätzung, daß für Hobbes die Notwendigkeit der souveränen Staatsgewalt durch den fehlenden tugendhaften Wille der einzelnen bedingt sei. Hobbes und nach ihm Kant liefern im Gegenteil durchschlagende Argumente dafür, daß selbst dann, wenn alle einzelnen das Gute wollen und sie ihren Mitmen-
128
Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
In der Tat kann kein Zweifel daran bestehen, daß Hobbes die natürlichen Gesetze auch als zentrales Thema der Moralphilosophie angesehen hat. Aber eine solche moralphilosophische Perspektive betrifft die natürlichen Gesetze nur in zweiter Linie, nämlich nur, "quatenus pro animi dispositionibus intelliguntur" (DC III, 29). Insbesondere das Grundgesetz und die beiden ersten daraus abgeleiteten Bestimmungen sind zunächst objektive, auf die Möglichkeit des Rechtsfriedens bezogene Normen. Zu spezifisch moralischen Gesetzen bzw. Tugenden werden sie erst, wenn diese objektiven Normen auf das Verhalten des Individuums bezogen werden, d. h. soweit sie also den einzelnen auf eine moralische Haltung zu seinen Mitmenschen und in bezug auf sich selbst verpflichten. Diese moralphilosophische Perspektive, in welcher die natürlichen Gesetze als individuelle Tugenden betrachtet werden, ist ihrerseits systematisch von der rechtsphilosophischen Begründung der natürlichen Gesetze und damit von ihrer objektiven Funktion abhängig. Hobbes' Ausführungen über die Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze in foro interno haben daher nicht die Funktion der Begründung einer Moralphilosophie oder der Verankerung der Rechtstheorie in einer vorgängigen Tugendlehre. Die moralphilosophische Interpretation der natürlichen Gesetze übersieht die Pointe der Hobbesschen Verbindlichkeitslehre, daß diese Gesetze Konstitutionsprinzipien der Rechtsordnung sind, zu deren Einhaltung jedes Individuum aus guten Gründen gezwungen werden kann. Hobbes' Aussage, daß die natürlichen Gesetze auch Tugenden der einzelnen sind, bildet somit nur den individuellen Reflex ihrer objektiv-rechtlichen Bedeutung. Denn nur weil sie der Erhaltung des Friedens dienen, sind Gerechtigkeit, Mäßigung usw. solche charakterlichen Qualitäten, die als gut bzw. als Tugenden bezeichnet werden. Daher ist es Ausdruck einer tugendhaften Gesinnung, wenn die einzelnen die Forderungen des natürlichen Gesetzes (wie ζ. B. das Gebot der Vertragstreue) verinnerlichen, aber die Begründung der Geltung und Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze findet nicht in der Moralphilosophie, sondern im Rahmen spezifisch rechtsphilosophischer Überlegungen statt. In dieser systematischen Beziehung auf ihre rechtsphilosophische Begründung erweist sich die Moralität der einzelnen als "abhängige Funktion des Rechts".75
sehen in Gerechtigkeit und Nächstenliebe begegnen, der nichtstaatliche Zustand unmöglich ein Zustand des Rechtsfriedens sein kann. 75 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 228; Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 67. Aber schon Kant hat diese begründungstheoretische Priorität der Rechtslehre gegenüber der Ethik (als einer Tugendlehre) auf den Punkt gebracht, insofern "alle Pflichten blos darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik gehören; aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal in der Ethik enthalten, sondern von vielen derselben außerhalb derselben. So gebietet die Ethik, daß ich eine in einem Vertrage gethane Anheischigmachung, wenn mich der andere Theil gleich nicht dazu zwingen könnte, doch erfüllen müsse: allein sie nimmt das Gesetz (pacta sunt servanda) und die diesem correspondirende Pflicht aus der Rechtslehre als gegeben an.
V. Die natürlichen Gesetze als Prinzipien staatsbürgerlicher T u g e n d 1 2 9
Solange die natürlichen Gesetze bloß in foro interno gelten, solange also keine Zwangsgewalt existiert, die ihre Befolgung garantiert, spiegeln sie nur die "Dialektik des Gewissens"76 wider, daß jeder Richter in eigener Sache ist. Hobbes' These, daß auch die moralische Bereitschaft der einzelnen, die natürlichen Gesetze als verbindliche Prinzipien ihres Handelns anzuerkennen, nicht zur Überwindung des status belli ausreicht, zeigt in aller Deutlichkeit, daß der Grund der Widersprüchlichkeit des Naturzustands nicht der fehlenden moralischen Gesinnung der einzelnen geschuldet ist, sondern einzig und allein dem "bloß privaten Modus der Rechtsbestimmung und Rechtsdurchsetzung"77 Der gute Wille der einzelnen, sich über den normativen Gehalt der natürlichen Gesetze zu einigen und ihre Befolgung anzustreben, reicht deswegen zur Realisierung des Rechtsfriedens nicht hin, weil die Gegensätzlichkeit, Vielfalt und Unbestimmbarkeit ihrer Zwecke und Interessen eine solche 'Rechtslage' herbeiführen würde, in welcher "dubia tarnen, & controversial quotidie oriento, de legum harum ad facta applicatione, nimirum an quod factum sit, sit contra legem necne (quae quaestio iuris dicitur)" (DC III, 20; vgl. auch Lev. XV, pp. 108-109). Der andere Grund, warum die natürlichen Gesetze im nichtstaatlichen Zustand bloße Gewissensregeln bleiben, liegt in ihrem formalen Charakter 78: in ihrer Eigenschaft als Regeln der Kriegszustandsvermeidung79 und der Friedenssicherung, in bezug auf die die Menschen notwendig übereinstimmen müssen, lehren die natürlichen Gesetze nämlich nicht, welche Handlung im einzelnen gerecht ist, sondern sie lehren nur die formalen Bedingungen einer staatlichen Zwangsgesetzgebung, innerhalb derer durch konkrete positivrechtliche Normen der Unterschied zwischen Recht und Unrecht überhaupt erst etabliert werden kann. Aufgrund der Analyse der formalen Struktur der natürlichen Gesetze kommt Hobbes zu dem Ergebnis, daß sie im Naturzustand keine handlungsnormierende Funktion besitzen können, so daß alle Handlungen ihrer rechtlichen Qualitität nach gleichgültig, d. h. "Adiaphora" sind. 80 Also nicht in der Ethik, sondern im lus liegt die Gesetzgebung, daß angenommene Versprechen gehalten werden müssen." (RL, AA VI, S. 219 31 - 2202). 76 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 226. 7 7 Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 24. 78 Warrender, The Political Philosophy of Hobbes, p. 329, vgl. auch pp. 174, 243; Schottky, Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, S. 17; II ting, Der verrufene und umstrittene Autor, S. 271. 79 DC XV, 1: "Quod praecepta, quibus talis status [sc. den Kriegszustand, D.H.] euitatur, sint leges naturœ ." 80 DC V, 2: "Tritimi est inter arma silere leges\ & verum est, non modo de legibus ciuilibus , sed etiam de lege naturali , si non ad animum sed ad actiones referatur". DC ΧΠ, 1 : "Ante imperia, iustum & iniustum non existere; vt quorum natura ad mandatum sit relatiua; actioque omnis suâ naturâ Adiaphora est." - Damit kontrastiert freilich die Behauptung, die natürlichen Gesetze würden in einigen Fällen auch im Naturzustand 9 Hüning
130
Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
Selbst dann, wenn alle in der Anerkennung der natürlichen Gesetze übereinstimmen und nach ihrer strikten Befolgung streben würden, kämen die Menschen der Friedensstiftung keinen Schritt näher: "Porrò, quoniam, etsi homines in omnes has, & si quae aliae sunt naturœ leges consentirent, easque studerent obseruare, dubia tarnen, & controuersiae quotidie orientur, de legum harum ad facta applicatione, nimirum an quod factum sit, sit contra legem necne, (quae quaestio iuris dicitur:) ex quibus sequetur pugna inter partes, vtrimque se laesos esse existimantes" (DC ΙΠ, 20). 81 Dementsprechend gilt das natürliche Gesetz nur mittelbar als ein Prinzip zur Bestimmung des Unterschieds (gewissermaßen als negatives principium dijudicationis) der guten und schlechten, gerechten und ungerechten Handlungen, nämlich nur insoweit, als es der Form nach Handlungen, die auf die Beibehaltung des Rechts auf alles und damit auf die Perpetuierung des status belli abzielen, als vernunftrechtswidrig bezeichnet. Aber es liegt auf der Hand, daß eine solch formelle Norm "keinerlei Kriterium für ihre Anwendbarkeit" enthält. 82 Der traditionellen Auffassung, daß das natürliche Gesetz Verbotsnormen enthält, die festlegen, daß bestimmte Handlungen sua natura, d. h. an sich gut bzw. böse sind (weshalb die an sich schlechten Handlungen auch
"w foro externo " gelten, nämlich dort, wo die Befolgung der natürlichen Gesetze "cum securè" (DC ΠΙ, 27), d. h. ohne Widerspruch zum eigenen Selbsterhaltungsinteresse, geschehen kann. So soll ζ. B. Grausamkeit nach dem natürlichen Gesetz schlechthin, also auch im Naturzustand untersagt sein, da nicht abzusehen sei, was eine derartige Verhaltensweise "ad pacem vel conservationem cujusdam hominis conferre possit" (DC ΠΙ, 27 annotatio). Die von Hobbes selbst entdeckte Logik des ipse-iudex-Prinzips bewirkt jedoch, daß es im Naturzustand kein objektives Kriterium für die Grausamkeit einer Handlung geben kann, weil im Naturzustand jeder selbst über Art und Umfang der notwendigen Gewaltanwendung und somit auch darüber entscheidet, ob eine Handlung durch sein legitimes Selbsterhaltungsinteresse gedeckt ist oder nicht. 81 Zur einseitigen Befolgung der natürlichen Gesetze kann im Naturzustand deshalb niemand verpflichtet werden, weil eine solche individuelle Bereitschaft einerseits mit dem individuellen Interesse der Selbsterhaltung kollidiert, zum anderen aber, weil sie eine solche einseitige Befolgung keine Handlung ist, die zum Frieden führt, sondern nur dazu, daß ich mich zum Opfer fremder Willkür mache. - Ähnlich argumentiert Rousseau: "A considérer humainement les choses, faute de sanction naturelle les loix de la justice sont vaines parmi les hommes; elles ne font que le bien du méchant et le mal du juste, quand celui-ci les observe avec tout le monde sans que personne les observe avec lui. Il faut donc des conventions et des loix pour unir les droits aux devoirs et ramener la justice à son objet. Dans l'état de nature, où tout est commun, je ne dois rien à ceux à qui je n'ai rien promis, je ne reconnois pour être à autrui que ce qui m'est inutile. Il n'en est pas ainsi dans l'état civil où tous les droits sont fixés par la loi" (CS Π, 6; OC ΠΙ, p. 378). 82 Ilting, Hobbes und die praktische Philosophie, S. 95; Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 70 f.; Schottky, Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, S. 17; Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 130.
V. Die natürlichen Gesetze als Prinzipien staatsbürgerlicher Tugend
131
nicht durch das staatliche Gesetz erlaubt werden können)83, hält Hobbes entgegen, daß im Naturzustand die Handlungsprädikate gut und böse rein subjektive Werturteile und alle diese Veibotsnormen rein formal sind, insofern ihre materiale Anwendung immer dem Urteil des einzelnen überlassen bleibt. Wegen ihres Charakters als Leerformeln können diese Verbotsnormen im Naturzustand keinen handlungsnormierenden Sinn entfalten: "Furtum, Homicidium, Adulterium , atque iniurice omnes legibus naturae prohibentur; caeterum quid in ciue furtum , quid homicidium , quid adulterium , quid denique iniuria appellandum sit, id non naturali sed ciuili lege determinandum est. Non enim omnis ablatio rei, quam alter possidet, sed rei alienœ tantùm, furtum est; quid autem nostrum est, quid alienum, legis ciuilis quaestio est. Similiter non omnis occisio hominis Homicidium est, sed eius tantum quem occidere vetat lex ciuilis ; neque omnis concubitus adulterium est, sed is tantùm quem leges ciuiles prohibent. Denique promissi violatio iniuria est, vbi ipsum promissum licitum est; vbi vero ius non est paciscendi, ibi nullum ius transit; ideoque nulla sequitur iniuria " (DC VI,
16).84
Bobbio hat in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht erklärt, daß Hobbes' Kampf gegen die Naturrechtstradition hier "ist highest intensity, or, if you like, ist greatest wickedness" erreicht. 85 In der Tat nähert sich Hobbes mit dieser These von der notwendigen gesetzlichen Bestimmung des Unrechts, die ihrerseits nur die logische Konsequenz seines naturrechtskritischen Behauptung darstellt, es existierten keine mala in se, sondern nur mala prohibita, d. h. durch staatliche Gesetze bestimmte Unrechtshandlungen, einer Grundposition des modernen Rechtspositivismus.86 Die klassische Lehre, daß bestimmte Handlungen an sich Unrecht seien, widerspricht Hobbes' Grundüberzeugung, daß die rechtliche Qualität einer Handlung nur aufgrund eines vorhergehenden Gesetzes beurteilt werden kann. Zwar ist es nicht unmöglich, daß die Menschen eine Übereinstimmung darüber erzielen können, wie einzelne Tatbestände wie Diebstahl, Totschlag, Ehebruch usw. der Form nach als
Unrecht bestimmt sind und worin sie sich voneinander unterscheiden.87 Um 83
Aristoteles, Nikomachische Ethik Π, 6; 1107 a 9 ff.; Thomas von Aquin, Summa theologiae Π-Π, qu. 57, a. 2 ad 2; Suàrez , De legibus Π, 5, 5; Grotius, JBP I, 1, § 10, 5. 84 Vgl. auch die ähnlich lautende Argumentation von Pufendorf, ING I, 2, § 6. Hobbes verweist in diesem Zusammenhang auf das spartanische Gesetz, wonach die Aneignung einer fremden Sache für Kinder unter bestimmten Umständen straflos sein konnte. Dieses Gesetz, von dem z. B. Plutarch und Xenophon berichten, erfreute sich auch bei späteren Autoren bleibender Beliebtheit und wurde sowohl von Locke (vgl. Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 210 f.) als auch von Rousseau (EP; OC ΙΠ, p. 245) als Beispiel für die Notwendigkeit der Positivierung naturrechtlicher Verbotsnormen herangezogen. 85 Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 131. 86 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 118. 87 Im Rahmen des apriorischen Naturrechts kann der Form nach bestimmt werden, worin gerechte und ungerechte Handlungen bestehen. Daß Diebstahl im widerrecht9*
132
Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
aber diese formal-allgemeine Charakterisierung des Unrechts (Umecht ist Übertretung eines Gesetzes; Diebstahl ist die unerlaubte Wegnahme einer fremden Sache) auf konkrete Handlungen anwenden zu können, muß die Existenz und Geltung einer positiven Rechtsordnung vorausgesetzt werden, in welcher Justum und Injustum, Meum und Tuum schon festgelegt sind. Genau diesen Zusammenhang zwischen der generellen Norm des natürlichen Gesetzes und der Spezifizierung seiner Anwendungsbedingungen durch die individuellen Normen des positiven Rechts bringt Hobbes an anderer Stelle deutlich zum Ausdruck: "nam lex naturalis iubet [...] alieno abstineri; quando quid sit alienum lege civili definitum füerit" (DC XIV, 9). Wenn also die Forderung des natürlichen Gesetzes erfüllt werden soll, fremde Rechtsansprüche anzuerkennen, muß eine staatlich verbürgte Rechtsordnung geschaffen werden. Für sich genommen taugen also die formalen Verbotsnormen ebensowenig wie die natürlichen Gesetze als Regeln, nach denen der einzelne sein Handeln ausrichten oder bloß über die rechtliche Qualität einer bestimmten Handlung urteilen könnte, während in der traditionellen Naturrechtslehre die recta ratio nach Maßgabe der natürlichen Gesetze genau diese Bestimmungsfünktion des an sich Guten und Gerechten übernehmen sollte. Aber die oben zitierte Passage aus De Cive VI, 16 betrifft noch einen anderen, rechtsphilosophisch relevanten Aspekt des Verhältnisses von natürlichem und staatlichem Gesetz. Denn mit seinen Überlegungen reagiert Hobbes in subtiler Weise auf entsprechende Ausführungen in der thomistischen Naturrechtslehre. In seiner Summa theologiae hatte Thomas die Frage aufgeworfen, ob die Verbotsnormen des natürlichen Gesetzes geändert, d. h. präzisiert oder gar in ihrer Geltung aufgehoben werden könnten. Eine solche Durchbrechung der naturrechtlichen Verbotsnormen, die zur Folge hätte, daß die o. a. mala in se (wie ζ. B. Totschlag, Ehebruch oder Diebstahl) doch erlaubt seien, kann aber für Thomas nur ausnahmsweise infolge eines göttlichen Machtspruches stattfinden: die Tötung eines Menschen, obgleich vom natürlichen Gesetz verboten, ist dann keine Ungerechtigkeit bzw. kein Mord, wenn sie von Gott (wie im Falle des Schlachtopfers Abrahams) befohlen wurde. 88 Demgegenüber ist für Hobbes die Frage, ob eine Handlung unter die Kategorie der rechtswidrilichen Zugriff auf eine fremde Sache besteht, ist schon im Begriff desselben enthalten: "Possunt conuenire in generalia quaedam, veluti furtum, adulterium, & similia, esse peccata" (DC XIV, 17). 88 Thomas von Aquin, Summa theologiae Ι-Π, qu. 94, a. 5: "Et ideo absque aliqua iniustitia, secundum mandatum Dei, potest infligi mors cuicumque homini, vel nocenti vel innocenti. - Similiter etiam adulterium est concubi tus cum uxore aliena: quae quidem est ei deputata secundum legem divinitus traditam. Unde ad quamcumque mulierem aliquis accedat ex mandato divino, non est adulterium nec fornicatio. - Et eadem ratio est de furto, quod est acceptio rei alienae. Quidquid enim accipit aliquis ex mandato Dei, qui est Dominus universorum, non accipit absque voluntate domini, quod est furari."
VI. Die Frage nach dem Status der natürlichen Gesetze
133
gen Handlungen fällt, überhaupt nur ein Aspekt des Problems, das aus dem bloß geltungstheoretischen Status der naturrechtlichen Prinzipien einerseits, und aus der Anwendung bloß formeller Rechtsgrundsätze auf die konkreten Fälle des Rechtslebens andererseits resultiert. Übrigens hatte auch Thomas an dieser Stelle die Notwendigkeit der lex scripta "ad correctionem legis naturae" betont und diese Notwendigkeit auf die Unbestimmtheit des natürlichen Gesetzes zurückgeführt: "per legem scriptam supplementum est quod legi naturae deerat". Eine solche positiv-rechtliche Auffüllung einer naturgesetzlichen Lücke könne es jedoch nur "ad secunda praecepta" des Naturrechts, und auch hier nur in besonderen Ausnahmefallen geben.
VI. Die Frage nach dem verbindlichkeitstheoretischen Status der natürlichen Gesetze Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Hobbes sich durchgängig der Terminologie des traditionellen Naturrechts bedient: die Begriffe des jus naturale, der lex naturalis und der recta ratio sind Termini, die seit der Antike zum festen Traditionsbestand der praktischen Philosophie gehörten. Aber wir haben ebenso festgestellt, daß Hobbes durchgängig die überlieferte Bedeutung dieser Begriffe negiert und sie im Rahmen seiner geltungstheoretischen Revolutionierung der Rechtsphilosophie neu definiert. Die Zweideutigkeiten und Interpretationsprobleme, die daraus erwachsen, sind jedoch an keiner Stelle so gravierend wie im Hinblick auf die Frage nach dem verbindlichkeitstheoretischen Status der natürlichen Gesetze. Es ist daher kein Zufall, wenn diese Frage der eigentliche Zankapfel der konkurrierenden Hobbes-Interpretationen darstellt. Zwar behauptet Hobbes im Leviathan , daß jede Verbindlichkeit aus einem (vertraglichen) Willensakt hervorgeht. 89 Aber die vertragliche Erzeugung von Rechtspflichten setzt offenkundig schon den Grundsatz der Vertragstreue als verbindlichkeitsstiftende Grundnorm voraus, so daß die Verbindlichkeit abgeschlossener Verträge in ihrer Möglichkeit von einer vorhergehenden Normierung des natürlichen Gesetzes, das Vertragstreue gebietet, abhängt. Das System der vertraglich begründeten Verbindlichkeiten scheint also seinerseits auf einer systematisch vorhergehenden naturrechtlichen Verbindlichkeit, die durch die lex naturalis gestiftet wird und die selbst nicht Vertrag ist, zu beruhen. Unstreitig ist in diesem Zusammenhang, daß die natürlichen Gesetze für Hobbes Aussagen darstellen, die mit dem Anspruch auf objektive Erkenntnis-
89
Lev. XXI, p. 150: "There being no Obligation on any man, which ariseth not from some Act of his own; for all men equally are by Nature Free".
134
Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
gültigkeit auftreten. 90 Sie stellen wahre "dictamina rectae rationis" dar, d. h. aus den juridischen Voraussetzungen des Naturzustandes logisch korrekt abgeleitete 'Schlußfolgerungen', welche sie die Bedingungen aufzeigen, denen die natürliche Freiheit eines jeden aus Gründen der Sicherung des Selbsterhaltungsrechts unterworfen werden muß. In ihrer Eigenschaft als oberste konstitutionelle Prinzipien bzw. "konstitutive Momente einer jeden Gesellschaftsordnung" 91 sind die natürlichen Gesetze "immutabilis & aeternae" (DC III, 29; vgl. auch Lev. XV, p. 110) und damit menschlicher Willkür oder Setzung entzogen.92 Ihre objektive, auf ihrer Vernünftigkeit beruhende Geltung ist überhaupt von empirischen Bedingungen, insbesondere davon, daß sie von den einzelnen anerkannt werden, unabhängig. Dem Inhalte nach haben die natürlichen Gesetze den Status von Normen, "die aus der Anerkennung des Grundsatzes, es sollten überhaupt rechtlich geordnete Verhältnisse zwischen menschlichen Individuen hergestellt werden, hergeleitet werden". 93 Nun bestreitet Hobbes allerdings, daß die Menschen im Naturzustand zur strikten Befolgung der natürlichen Gesetze verpflichtet sind. Unter Rückgriff auf die scholastische Unterscheidung von forum internum und forum externum differenziert Hobbes den jeweiligen Modus ihrer Erfüllung.
Von
dem unbedingten Geltungsanspruch, der mit der Grundnorm der Friedenssuche verknüpft ist, muß der spezifische Modus ihrer Verbindlichkeit
unter-
schieden werden. Zwar sind die natürlichen Gesetze, insbesondere die Friedenspflicht, immer und überall gültig 94 , und deshalb stellen die natürlichen 90
Die Wichtigkeit dieser Unterscheidung zwischen objektiver Erkenntnisgültigkeit und objektiv-praktischer Gültigkeit bzw. Verbindlichkeit haben Geismann/Herb (Hobbes über die Freiheit, Scholion 247, S. 143-145) hervorgehoben. 91 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 227; ebenso Heller, Souveränität, S. 70, der Hobbes' natürliche Gesetze als "Konstitutionsprinzipien der reinen Rechtsform" begreift, die "als solche rechtslogische Geltung" beanspruchen. 92 Lev. XXVI, p. 192: "Princes succeed one another; and one Judge passeth, another commetti; nay, Heaven and Earth shall passe; but not one title of the Law of Nature shall passe; for it is the Eternali Law of God." 93 Ilting , Der verrufene und umstrittene Autor, S. 272. 94 An dieser Stelle könnte der Einwand vorgebracht werden, daß Hobbes' Redeweise von der Ewigkeit und Unveränderlichkeit der natürlichen, d. h. von empirischen Bedingungen und von der Willkür der Menschen unabhängigen Gesetze dem Prinzip der Autonomie widerspricht. In der Tat war es ja die Grundüberzeugung der Naturrechtstradition, daß die natürlichen Gesetze solche Normen für das menschliche Handeln sind, deren Geltungsgrund die vom Willen der Menschen unabhängige zweckmäßige Ordnung der Natur bzw. der Wille Gottes ist. Der Unterschied zwischen Recht und Unrecht, gut und böse hat seinen unveränderlichen Maßstab in der Natur, nicht in irgendwelchen Abmachungen oder Meinungen der Menschen; vgl. Cicero, De legibus I, 44: "atqui nos legem bonam a mala nulla alia nisi naturae norma diiudicare possumus. nec solum ius et iniuria natura diiudicatur, sed omnino omnia honestum et turpia. nam ita communis intelligentias nobis natura effecit, easque in animis nostris
VI. Die Frage nach dem Status der natürlichen Gesetze
135
Gesetze vor dem 'inneren Gerichtshof gültige Verbindlichkeiten, also Gewissenspflichten dar. Aber in dieser Eigenschaft verpflichten die natürlichen Gesetze nur zu dem Wunsch, "they should take place" (Lev. XV, p. 110), also nur zu einer friedenskonformen Gesinnung, dagegen nur ausnahmsweise auch zu ihrer tatsächlichen Einhaltung: "Non est igitur existimandum, natura, hoc est, ratione obligari homines ad exercitium earum omnium, in eo statu hominum in quo non exercentur ab aliis" (DC III, 27). So ist ζ. B. niemand im Naturzustand verpflichtet, einseitig sein Recht auf alles aufzugeben, solange es keine Sicherheit dafür gibt, daß auch alle anderen hierauf verzichten. Eine derartige einseitige Befolgung der natürlichen Gesetze würde also die von der recta ratio selbst geforderte Reziprozitätsbedingung verletzen. Denn wer keine Sicherheit hat, daß auch alle anderen die natürlichen Gesetze befolgen werden, dessen einseitiger Verzicht auf sein Recht auf alles wäre nicht nur unklug, weil er sich damit in Widerspruch zu seinem legitimen Selbsterhaltungsinteresse setzen würde, sondern auch rechtlich bedeutungslos, da die Menschen auf diese Weise dem Rechtsfrieden keinen Schritt näher kommen. Warum aber können die natürlichen Gesetze als bloße Gewissenspflichten ("leges conscientiam obligant", DC III, 28) nicht auch zu Normen werden, die in foro externo verpflichten und auf diese Weise nicht nur die Gesinnung, sondern auch das äußere Handeln normieren? Warum verpflichtet uns die "natura rationalis" (DC III, 30) nur zu dem Bestreben, daß ihre "praecepta" auch verwirklicht werden sollen, nicht aber auch zur tatsächlichen strikten Befolgung? Ein derartige einseitige Befolgung in Wahrheit wäre kein Beitrag zur Friedenssicherung ist, sondern eher den Auftakt für Gewalthandlungen anderer bildet. Weil also die einseitige Befolgung der natürlichen Gesetze jedermann zum Spielball fremder Willkür machen und damit im Widerspruch zum "Ground of all Lawes of Nature, which tend to Natures preservation" zu damit zur "destruction of his Nature by violence" (Lev. XV, p. 110) führen würde, muß die normative Geltung der natürlichen Gesetze unter diesen Umständen auf eine bloß moralische Verbindlichkeit beschränkt bleiben. Ihre auch im Naturzustand von der Vernunft geforderte Erfüllung erschöpft sich also normalerweise in der Bereitschaft, sie dort zu befolgen, wo dies ohne Gefahr für Leib und Leben möglich ist, insbesondere aber in der Bereitschaft zum Eintritt in den status civilis. 95 Diese Differenzierung des Befolgungs-
inchoavit, honesta in virtute ponantur, in vitiis turpia. ea autem in opinione existimare, non in natura posita dementis est." 95 "Interea tarnen obligamur ad animum eas obseruandi, quandocunque ad finem ad quem ordinantur earum obseruatio conducere videbitur. Ideòque concludendum est, legem naturae semper & vbique obligare in Foro interno , siue conscientia" (DC ΙΠ, 27; vgl. Lev. XV, p. 110). Soweit die eigene Sicherheit nicht gefährdet ist, verlangt die Vernunft auch die Befolgung der natürlichen Gesetze; vgl. DC ΠΙ, 27. Da Hobbes anderseits keinen Zweifel daran läßt, daß der Naturzustand ein Zustand prinzipieller
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Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
modus hat zur Konsequenz, daß den natürlichen Gesetzen erst im status civilis der Status von strikten Rechtspflichten zukommen kann. Weil sie im Naturzustand nur "pro animi dispositionibus intelliguntur, hoc est, quatenus in foro conscientiae spectantur, vbi solum obligant & sunt leges" (DC III, 29), hat Hobbes den natürlichen Gesetzen den Status von Gesetzen im strengen Sinne abgesprochen. Die Schwierigkeiten der Interpretation werden noch durch die Äußerungen verschärft, die sich im letzten Abschnitt des dritten Kapitels in De Cive bzw. am Schluß des 15. Kapitels im Leviathan finden. 96 Denn dort stellt Hobbes zwei Behauptungen auf, deren problematisches Verhältnis zueinander dazu geführt hat, daß Hobbes' Theorie der Verpflichtung trotz aller Interpretationsbemühungen "the obscure heart of Hobbes's moral theory" 97 geblieben ist. Zunächst behauptet er, die natürlichen Gesetze seien für sich genommen keine Gesetze in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, weil ihnen ein nach seiner Ansicht nach konstitutives Moment der Gesetzlichkeit, nämlich der Bezug auf den Willen eines Gesetzgebers fehlt. Deshalb seien sie nur richtige Schlußfolgerungen in bezug auf das zweckmäßige Tun und Unterlassen im Dienste der Selbsterhaltung. Die natürlichen Gesetze sind keine Gesetze im eigentlichen Sinne, aber - so fragt man sich nun - was sind sie dann? Genauer gefragt: können die natürlichen Gesetze überhaupt als normative Prinzipien begriffen werden, und wenn ja, welches ist ihr geltungs- und verbindlichkeitstheoretischer Status? Unmittelbar an die oben zitierte Feststellung gibt Hobbes selbst eine äußerst verwirrende und irreführende Antwort auf diese Frage: ein Gesetz "proprie et accurate" unterstellt einen Gesetzgeber, der sie erläßt; betrachte man die natürlichen Gesetze nun nicht als aus der Natur hervorgehend, sondern als Befehle Gottes, dann könnten sie als Gesetze im eigentlichen Sinne bezeichnet werden. Hobbes führt weiter aus, daß die natürlichen
Unsicherheit ist, kann sich das Individuum jederzeit als Richter in eigener Sache und mit gutem Gewissen von dieser Pflicht befreien. 96 DC ΠΙ, 33: "Lex naturalis non est propriè loquendo, lex, nisi quatenus traditur in scriptura sacrâ [Randtitel]. Naturœ autem quas vocamus leges cùm nihil aliud sint, quam conclusiones quaedam ratione intellect®, de agendis & omittendis; lex autem propriè atque accuratè loquendò, sit oratio eius qui aliquid fieri vel non fieri aliis iure imperai, non sunt illae propriè loquendo leges, quatenus à natura procedunt. Quatenus tarnen eaedem à Deo in scripturis sacris latae sunt, vt videbimus capite sequente, legum nomine propriissimè appellantur; est enim scriptura sacra in omnia maximo iure imperantis Dei oratio." Lev. XV, p. I l l : "These dictates of Reason, men use to call by the name of Lawes, but improperly: for they are but Conclusions, or Theoremes concerning what conduceth to the conservation and defence of themselves; whereas Law, properly is the word of him, that by right hath command over others. But yet if we consider the same Theoremes, as delivered in the word of God, that by right commandeth all things; then are they properly called Lawes." 97 Oakeshott , Hobbes on Civil Association, p. 92.
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Gesetze in diesem Fall, "if we consider the same Theorems, as delivered in the bindlichen Gesetzen im eigentlichen Sinne würden. Was das Verhältnis dieser beiden Aussagen angeht, so bestehen zwei Möglichkeiten der Interpretation, die beide von der bisherigen Hobbes-Forschung vertreten worden sind: entweder wird Hobbes als Verfechter einer theologischen Letztbegründung der Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze betrachtet; dann stellt die Zurückführung ihrer Verbindlichkeit auf den Willen Gottes den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis der Hobbesschen Rechtsphilosophie dar. Oder die natürlichen Gesetze haben nur den Status theoretisch wahrer Aussagen über das Gelingen der Selbsterhaltung; dann sind sie keine Normen, die ein bestimmtes Handeln verbindlich vorschreiben und der theologisierende Schlußsatz ist sachlich irrelevant bzw. eine bloße Schutzbehauptung des Autors. Die natürlichen Gesetze sind in diesem Fall mit jener Klasse von Prinzipien der Willensbestimmung vergleichbar, die Kant als hypothetische Imperative bezeichnet hat. Der Streit der Interpreten dreht sich um die in verbindlichkeitstheoretischer Hinsicht entscheidende Frage, ob sich der Geltungsanspruch der natürlichen Gesetzen bloß auf ihren theoretischen Status im Sinne richtiger Schlußfolgerungen erschöpft oder ob ihnen darüber hinaus auch noch eine praktische Geltung zukommt, die sie zu Normen mit verpflichtendem Anspruch werden läßt. Die These der nachfolgenden Ausführungen über den verbindlichkeitstheoretischen Status der natürlichen Gesetze lautet, daß beide in der Forschungsliteratur verbreiteten Lesarten auf einer unzureichenden Berücksichtigung ihrer normativen Begründungsfunktion beruhen und daher zurückgewiesen werden müssen.
1. Die natürlichen Gesetze als Befehle Gottes? Der naturrechtliche Interpretationsansatz geht im wesentlichen auf einen Aufsatz von Α. E. Taylor aus den dreißiger Jahren zurück. Nach seiner Auffassung entwickelt Hobbes im Rahmen seiner politischen Philosophie eine "veiy strict deontology", die zum einen von seiner egoistischen Psychologie unabhängig und in welcher es zum anderen vornehmlich um die Beantwortung zweier von einander zu unterscheidender Frage, warum jemand sich als guter Bürger verhalten sollte, gegangen sei. Taylor stützt seine Interpretation auf den Umstand, daß Hobbes unzweifelhaft von dem verpflichtenden Charakter der natürlichen Gesetze spricht und ihnen somit einen normativen Status zuschreibt.98 In kritischer Anknüpfung an Taylor hat Howard Warrender in seinem berühmten Buch The Political Philosophy of Thomas Hobbes
die naturrechtliche Hobbes-Deutung weiter entwickelt. Sowohl Taylor als auch
98
1938.
Taylor, The Ethical Doctrine of Hobbes. Der Aufsatz erschien erstmals im Jahre
138
Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
Warrender stimmen darin überein, daß Hobbes eine von den anthropologischen und psychologischen Prämissen unabhängige Theorie der Verbindlichkeit entwickelt hat. Anders jedoch als Taylor, der in Hobbes' Theorie der natürlichen Gesetze eine Antizipation der Kantischen Ethik sah, steht im Zentrum von Warrenders interpretatorischen Bemühungen der Versuch nachzuweisen, daß die Art und Weise, in welcher Hobbes die Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze durch ihre Zurückführung auf den Willen Gottes begründet, ihn als "natural-law philosopher" im traditionellen Sinne kenntlich macht. Will man zu einer angemessenen Einschätzung des Verbindlichkeitscharakters der natürlichen Gesetze gelangen, muß man an die Gründe erinnern, die dazu geführt haben, daß dieses Problem zu Beginn der Neuzeit einen so großen Stellenwert in den rechtsphilosophischen Debatten eingenommen hat. Das scholastische Naturrecht hatte die Verbindlichkeit der lex naturae auf den Willen Gottes zurückgeführt. Diese theologische Fundierung der Verbindlichkeit konnte nun zweierlei bedeuten: das Gesetz konnte verbindlich sein, weil es, wie ζ. B. Thomas von Aquin lehrt, mit der göttlichen Schöpfungsordnung und dem von ihr bezweckten bonum commune übereinstimmt; oder es konnte verbindlich sein, weil Gott dasjenige, was das Gesetz fordert, befohlen und seine Befolgung oder Übertretung mit Hilfe eines Systems von Belohnungen und Strafen verknüpft hat. Die Verbindlichkeit der lex naturae konnte m. a. W. darin begründet sein, daß dieses Gesetz seiner Materie nach gerecht war, oder aber darin, daß Gott es, gleichgültig was sein Inhalt war, befohlen hatte." Aber beide Varianten der theologischen Antwort auf die Frage nach dem Verpflichtungsgrund des natürlichen Gesetzes mußten in dem Augenblick als problematisch empfunden werden, als infolge der Reformation eine Vielzahl von Konfessionen auftauchte, die sich wechselseitig als ketzerische Vereinigungen bekämpften. Denn nunmehr wurde die theologische Fundierung von Recht und Gerechtigkeit zum Anstiftungsgrund für diverse Verfolgungen Andersgläubiger: Jede dieser besonderen Religionsgemeinschaften trat mit dem intoleranten Anspruch auf, in ihren besonderen Glaubenssätzen von Gott selbst erleuchtet worden zu sein, und betrachtete die Weigerung der anderen, sich der eigenen, als 'wahr' behaupteten Glaubensüberzeugung anzuschließen, zugleich als Manifestation einer Überzeugung, die das Gebot des 99 Diese Frage, ob Gottes Wille an die materiale Gerechtigkeitsordnung gebunden ist oder sein Wille über dem Gesetz steht, bildete einen der hauptsächlichen Streitpunkte zwischen der realistischen und der nominalistisch-voluntaristischen Richtung des scholastischen Naturrechts; vgl. hierzu Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 81 ff., 89 ff.; Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 29-34, 173184. Unter anderen Vorzeichen fand diese Debatte in der neuzeitlichen Metaphysik eine Fortsetzung, insbesondere in dem Streit um den Begriff der Vollkommenheit Gottes; vgl. hierzu Leibniz' Kritik (Discours de Métaphysique §§ 1 ff.) an der (cartesianischen) Lehre vom göttlichen Voluntarismus.
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wahren Gottes in Frage zu stellen schien. Wer aber den wahren Gott leugnete, der mußte ebenso die aus seinem Willen hervorgehende Verbindlichkeit leugnen. Solange allgemein die Vorstellung herrschte, daß die Rechtsfähigkeit der Person vom Bekenntnis zum wahren Gott abhängig sei, war offenkundig, daß Ketzer und insbesondere Atheisten überhaupt keine Mitglieder einer in der Gerechtigkeit des wahren Glaubens verbundenen Gemeinschaft von Menschen, sondern in Wahrheit nur rechtlos sein konnten. 100 Bemerkenswert ist übrigens, daß Hobbes im ersten Dialog des Behemoth die neuzeitliche Entdeckung der abstrakten Subjektivität der Vernunft als auslösendes Moment der Reformation betrachtet. 101 Das Auftreten verschiedener Kirchen und Sekten, von denen jede für sich den Anspruch auf legitime Trägerschaft der christlichen Offenbarung reklamierte, mußte nun unweigerlich zu der Frage führen, wie denn der einzelne diesen Streit der Offenbarungsüberzeugungen beurteilen solle. Denn es war ja gerade der Ausschließlichkeitsanspruch der verschiedenen Glaubensgemeinschaften, die jede für sich beanspruchte, den Weg zur alleinseligmachenden Glaubenswahrheit aufzuzeigen, der es verhinderte, daß sich der einzelne bedenkenlos den Forderungen einer bestimmten Kirche überlassen konnte. Jeder Gläubige mußte für sich entscheiden, was es bedeutete, wenn ζ. B. die katholische Kirche ihn selbst als Ketzer exkommunizierte und damit von der Erlangung der ewigen Seligkeit ausschloß.102 Denn durch sein Bekenntnis zu einer - wie zumindest die verschmähte Partei erklärte - von Gott verdammten Ketzerei lief er Gefahr, die Voraussetzungen für die
" Reception into the Kingdome of God" (Lev. XLIII, p. 403) zu verspielen. 103
100 W a s die Atheisten angeht, so erklärt noch Locke (Ein Brief über Toleranz, S. 94) ausdrücklich, daß diese (ebenso wie Katholiken) nicht geduldet werden können, weil "Promises, covenants, and oaths, which are the bonds of human society, have no hold upon an atheist. The taking away of God, though but even in thought, dissolves all". Der Grund für diesen Ausschluß der Atheisten von der Toleranz liegt in seiner Überzeugung, daß es unmöglich einen vom Willen Gottes unabhängigen Grund der Verbindlichkeit geben könne; vgl. zur Kritik der Lockeschen Position die ausgezeichnete Einleitung von Ebbinghaus zum Toleranzbrief sowie Gauthier, Why ought one to obey God?, der en detail die Unterschiede zwischen der säkularen Begründung der Verbindlichkeit bei Hobbes und der theonomen Begründung bei Locke herausarbeitet. Gauthier betont zu Recht, daß Hobbes - obwohl er vom Faktum der Existenz Gottes überzeugt war - "a practical atheist" (p. 435) gewesen sei, in dessen verbindlichkeitstheoretischen Überlegungen Gott keine systematische Funktion hat. 101 Vgl. Behemoth, pp. 21-23. Die These, daß der Durchbruch der neuzeitlichen Subjektivität mit der Reformation zusammenfällt, bildet bekanntlich auch eines der zentralen Argumente der Hegeischen Geschichtsphilosophie, vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (MM ΧΠ, S. 492 ff). 102 Ähnliche Probleme ergaben sich in dem Falle, daß der Souverän wegen des Abfalls vom wahren Glauben exkommuniziert wurde, womit nach Auffassung der katholischen Kirche die Aufhebung der staatsbürgerlichen Gehorsamspflicht verknüpft war. 103 Hobbes' Ausführungen über das Unum Necessarium zur Erlangung der ewigen
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Aber die Frage, welche Schlußfolgerungen aus dem Streit der Kirchen und Sekten zu ziehen sei, stellte sich nicht nur dem individuellen Gewissen. Auch die Inhaber der Staatsgewalt mußten für sich entscheiden, wie sie mit dem Anspruch der konkurrierenden Glaubensgemeinschaften, die Staatsgewalt möge die zu 'Ketzer' erklärten Andersgläubigen strafrechtlich belangen, beantworten wollten. Die Frage lautete also einerseits, ob eine Kirche unter Berufung auf die 'Wahrheit' ihrer dogmatischen Lehrsätze von der Staatsgewalt die Bekämpfung Andersgläubiger verlangen könne. Ihrem spezifisch staatsrechtlichen Gehalte hatte diese Frage andererseits noch die weitere Bedeutung, in welchem Verhältnis überhaupt das Recht der Kirche zum Recht des Staates steht. 104 Einen erstenrichtungsweisendenSchritt zur Überwindung der theologischen Begründung der Verbindlichkeit und damit zur Säkularisierung der Rechtsphilosophie hatte Grotius mit seinem berühmten Diktum unternommen, es sei möglich, die Grundlagen des Naturrechts aufzuzeigen, "etiamsi daremus, non esse Deum" 105 , und zwar deshalb, weil die Prinzipien des natürlichen Rechts universalistischer Natur sind. Deshalb gelten sie ohne Rücksicht auf die besonderen Glaubensüberzeugungen der Menschen, so daß Grotius die Frage, ob Verträge auch mit jenen, die "a vera religione alieni sunt", abgeschlossen werden können, vom Standpunkt des Naturrechts eindeutig beantwortet werden kann. 106 Hobbes setzt den von Grotius initiierten Prozeß der Emanzipation der Rechtsphilosophie von den Voraussetzungen der Offenbarungsreligion und der "Ersetzung der Transzendenz durch die Immanenz
Seligkeit (Lev. XLIII passim) haben in dieser Einsicht ihren Bezugspunkt. Allerdings geht es Hobbes - hierin unterscheidet er sich als Rechtsphilosoph fundamental von den zeitgenössischen Theologen - nicht um die dogmatische Klärung der Glaubenszweifel. Seine These, daß sich das Unum Necessarium in dem Glauben "Jesus is the Christ" erschöpft, hat vielmehr die Funktion, einerseits den Differenzen zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften die politische Schärfe zu nehmen und andererseits den Souverän in seiner politischen Kontrolle der Kirchen weitgehend zu ermächtigen. Außerdem liegt auf der Hand, daß das Unum Necessarium nicht aus einer systematischen Forderung seiner Rechtsphilosophie erwächst, sondern die im 17. Jahrhundert (jedenfalls in veröffentlichten Schriften) unüberwindbare Grenze der Distanzierung von der Gültigkeit der Offenbarungsreligion darstellt: das Bekenntnis zu diesem einen Glaubensartikel dient dem Schutz des Autors vor Verfolgung bzw. vor dem Vorwurf, er sei der Bote des Antichrist; vgl. 1. Joh. 2, 22: "Ist der nicht Lügner, der leugnet, daß Jesus der Christus ist? Der ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet." 104 Vgl. DC XVm, 14: der Streit um geistliche und weltliche Dinge ist in Wahrheit ein Streit um das 'ius imperij'. 105 Grotius, JBP, Prol. § 11. 106 Grotius, JBP Π, 15, § 8: "De federibus est quaestio, licitene ineantur cum his a vera religione alieni sunt: quae res in iure naturae dubitationem non habet. Nam id ius ita, omnibus hominibus commune est, ut religionis discrimen non admittat."
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der Gesetze"107 fort. Aber er radikalisiert diese Säkularisierungstendenz, indem er die überpositiven Prinzipien des Rechts nicht wie sein Vorgänger durch Rückgriff auf die stoische Oikeiosis-Lehre begründet, sondern seine Lehre vom natürlichen Gesetz auf das einzig mögliche rechtsphilosophische Fundament gründet: auf die Autonomie des Menschen. Aber der systematisch entscheidende Einwand gegen Warrenders Versuch, Hobbes1 Rechtsphilosophie an die Naturrechtstradition anzunähern, besteht weder in der mangelnden Textevidenz noch in dem Problem der Rechtsfähigkeit von Atheisten. Er liegt vielmehr darin, daß Warrenders Wiederannäherung an die Tradition unterschlägt, daß Hobbes1 verbindlichkeitstheoretische Ausführungen auf einen radikalen Bruch mit der vorhergehenden Naturrechtstradition verweisen, insofern er das überkommene Begründungsverhältnis von Freiheit und Verbindlichkeit, Recht und Pflicht umkehrt. Der Einwand, mit dem Warrender die schon bei Strauss zu findende Annahme einer geltungstheoretischen Revolution, welche alle Verbindlichkeiten aus der zugrundeliegenden Rechtssubjektivität des Menschen ableitet und so die Freiheit zum Fundament ihrer Verpflichtung erklärt, bestreitet, zeigt nur, daß Warrender Hobbes' begründungstheoretische Problemstellung verkennt. Hätte Hobbes das System der Verbindlichkeiten auf das natürliche Recht gegründet, so ergäbe sich - so Warrenders Einwand - das Paradoxon, daß die Pflichten aus ihrem Gegenteil, nämlich der Freiheit als Abwesenheit von Verpflichtung, abgeleitet würden. Nach Warrenders Auffassung gehört deshalb der Begriff des subjektiven Rechts nicht zu Hobbes' Theorie der Verbindlichkeit, sondern zur Theorie desjenigen, wozu man nicht verpflichtet werden kann. 108 Aber Warrender übersieht nicht nur, daß Hobbes zwar einerseits den disjunktiven Charakter der Begriffe jus und lex, Freiheit und Gesetz betont, aber zugleich durch die Logik der Sache, d. h. durch die Implikationen seiner vernunftrechtlichen Argumentation, gezwungen ist, die beiden entgegengesetzten Momente systematisch aufeinander zu beziehen. Hobbes' Rechtsphilosophie unterscheidet sich von der dominierenden Naturrechtstradition durch die Auffassung, daß die (praktisch-gesetzgebende) Vernunft ihre Normen aus dem ursprünglichen natürlichen Recht von jedermann deduziert, und zwar als vernünftige Realisationsbedingungen des ursprünglichen Rechts auf Selbsterhaltung.
107
Welze!, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 107. Warrender , The Political Philosophy of Hobbes, p. 21: "If Hobbes bases obligations upon rights of nature, and we take account of Hobbes's definition of right, he must be held to base obligations upon freedoms from obligation and it is difficult to see how this can, legitimately, be done. The answer to this paradox, however, is that this is not Hobbes's position, for the rights of nature do not belong to Hobbes's theory of what men are obliged to do, but to his theory of what they cannot be obliged to do." 108
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Im Lichte dieser hier nur skizzierten historischen Problemstellung der Reformation müssen die systematischen Überlegungen Warrenders betrachtet werden. Sein Ausgangspunkt ist die richtige Einsicht, daß Hobbes zum einen nirgendwo die Selbsterhaltung als solche als Pflicht bzw. als Grund möglicher Verpflichtung bezeichnet hat: ihre eigentliche Bedeutung bestehe darin, daß sie eine "validating condition" möglicher Verpflichtung überhaupt bilde, die erfüllt sein muß, damit wir zur Befolgung der Gesetze motiviert werden können. Aber dieser Grund möglicher Motivation falle nicht mit dem Grund möglicher Verpflichtung zusammen. Zum anderen kann Warrender auf die zahlreichen Passagen verweisen, in denen Hobbes eine von der Existenz der Staatsgewalt unabhängige Geltung der natürlichen Gesetze betont. Zur Bestätigung zieht Warrender insbesondere Hobbes1 Aussage heran, wonach die natürlichen Gesetze in foro interno immer und überall, also auch im Naturzustand verpflichten. 109 Infolgedessen sei es notwendig, innerhalb von Hobbes' politischer Philosophie zwischen dem System der Motive und dem System der Verpflichtungen bzw. zwischen dem Motivations- und dem Verpflichtungsgrund der natürlichen Gesetze zu unterscheiden. 110 Zunächst muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß Warrender mit den Verfechtern der bereits skizzierten Ansicht darin übereinstimmt, daß die natürlichen Gesetze, wenn sie bloß für sich, d. h. ohne Rekurs auf einen Gesetzgeber, dessen Wille ihre Verbindlichkeit stiftet, betrachtet werden, bloße Klugheitsregeln ohne Verbindlichkeit, aber auch ohne hinreichende Motivationskraft sind: "If the laws of nature in the State of Nature are not regarded as the commands of God, they may be taken to be merely rational principles of prudence." 111 Nach Warrenders Auffassung hat Hobbes selbst diesem Defizit einer bloß klugheitstheoretischen Auffassung, daß unter der Voraussetzung des bloßen Selbsterhaltungsstrebens keine 'Letztbegründung' moralischer Verbindlichkeit möglich sei, Rechnung getragen. In der Einsicht, daß seine politische Philosophie nur dann ein logisch geschlossenes System darstelle, wenn sie in der Lage ist, die verbindlichkeitstheoretische Lücke zu füllen und die Frage nach diesem fundamentalen ethischen Verpflichtungsgrund der Befolgung der natürlichen Gesetze schlüssig zu beantworten, habe Hobbes dann nach einer anderen
109 Warrender , Hobbes's Conception of Morality, pp. 440-441: "The basic obligation of the citizen to obey the soveraign cannot itself be created by the sovereign's fiat. As Hobbes makes clear, the obligation to keep the political covenant is prior to anything the soveraign decrees." 110 Warrender , The Political Philosophy of Hobbes, pp. 213, 252. Zur Unterscheidung zwischen Motivations- und Verbindlichkeitsgründen in der neuzeitlichen Vernunftrechtslehre vgl. auch Derathé , Rousseau et la science politique de son temps, pp. 173-174. 111 Warrender , The Political Philosophy of Hobbes, p. 99; vgl. auch p. 308: "If such a source is to be set aside, this part of Hobbes's theory remains only a formal, hypothetical projection on to a higher plane, of man's struggle for physical survival".
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Quelle der Verbindlichkeit gesucht. Diese gesuchte Quelle der Verbindlichkeit liege nun - und hier greift Warrender auf die oben bereits zitierte Behauptung von Hobbes zurück, daß die natürlichen Gesetze, betrachte man sie als Befehle Gottes, zu Gesetzen im eigentlichen Sinne werden - im Willen Gottes. Nur deshalb, weil Hobbes die natürlichen Gesetze als Gebote Gottes ansehe, könne er davon sprechen, daß es sich um Regeln handele, die in foro interno gültig seien. Aufgrund dieser Begründungsstrategie könne Hobbes als Vertreter des traditionellen Naturrechts angesehen werden. Seine politische Theorie sei in einem naturrechtlichen Fundament verankert, welches Gott als obersten (formalen) Geltungsgrund aller möglichen Verpflichtung anerkennt. 1 1 2 Warrender resümiert das Ergebnis seiner Untersuchung wie folgt: 112 Einen theologischen Rettungsversuch' hatte unter ganz anderen interpretatorischen Voraussetzungen nahezu zwanzig Jahre zuvor bereits Carl Schmitt unternommen. Hobbes habe - so Schmitt - "ein christliches Gemeinwesen, die civitas Christiana, voraus[ge]setzt, in welchem der Souverän den allein wesentlichen Glaubenssatz - that Jesus is the Christ - nicht antastet, sondern schützt und nur den theologischen Spekulationen und Distinktionen machtgieriger Priester und Sektierer ein Ende macht" (Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 20 f.). In dem Rezensionsaufsatz Die vollendete Revolution hat diese Deutung ihre Fortsetzung gefunden. Dort erklärt Schmitt, daß der Satz, that Jesus is the Christ, bei Hobbes "nicht nur ein subjektives Bekenntnis, sondern auch eine Achse des begrifflichen Systems seiner politischen Theologie" (S. 52) darstellt. Daher sei der Hobbessche Glaubenssatz auch nicht Ausdruck einer Säkularisierungs- bzw. Neutralisierungstendenz des Politischen, sondern "eher das Gegenteil, nämlich eine dogmatische Positivierung [durch eine Entscheidung des christlichen Souveräns, D.H.] gegenüber der Eigenart abweichender Meinungen des konfessionellen Gegners oder Nachbarn" (S. 62). - Schmitts Versuch, Hobbes in die Gemeinschaft christlicher Staatsdenker zu integrieren, kann nur zu Mißverständnissen führen. Wenn es überhaupt einen Grundsatz der Politischen Theologie' gibt, der für das Verständnis von Hobbes' politischer Philosophie eine zentrale Bedeutung besitzt, dann ist es das Jesus-Wort "My Kindome is not of this world" (Lev. XLI, p. 333; XLII, pp. 341, 392 u. ö.). Die Pointe der Hobbesschen Deutung dieser Sentenz liegt gerade darin, daß aus der Lehre Jesu keine rechtsphilosophischen oder politischen Schlußfolgerungen gezogen werden können. Gerade weil Hobbes Jesus als den Erlöser anerkennt - "Officij seruatoris nostri summa erat viam docere & media omnia ad salutatem & vitam aeternam" (DC XVII, 13) - , kann er dem Evangelium jede Bedeutung für die Entscheidung sowohl der naturwissenschaftlichen Streitfragen (z. B. der Wahrheit der Kopernikanischen Lehre) als auch der 'quaestiones iuris' (DC XVII, 6) absprechen: "Porro quoniam Seruator noster ciuibus nullas indicauit leges circa ciuitatis regimen, praeter leges naturae, hoc est, praeter mandatum obedientiae ciuilis [...]. Praeterea, haec omnia, propugnacula, domos, tempia aedificare; pondera ingentia mouere, ferre, tollere; Maria tutó transmittere; Machinas ad omnem vitae vsum construere; Orbis terrarum faciem, siderum cursus, Anni tempestates, temporum rationes & denique naturam rerum cognoscere; iura naturalia & civilia caliere; scientiaeque omnes quae Philosophiae nomine comprehenduntur, partim ad viuendum, partim ad bene viuendum necessariae sunt. Horum scientia (quia CHRISTVS earn non tradidit,) ratiocinatione, id est texendo consequentias initio sumpto ab experientiis, addiscenda est. [...] Atque haec (nimirum ius, poli tea, & scientiœ naturales) subiecta sunt de quibus CHRISTVS praeeepta tradere,
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"Hobbes's theory of political society is based upon a theory of duty, and his theory of duty belongs to the natural-law tradition. The laws of nature are eternal and unchangeable and, as commands of God, they oblige all men who reason properly, and so arrive at a belief in an omnipotent being whose subjects they are. [...] Thus the duties of men in Hobbes's State of Nature, and the duties of both sovereign and subject in civil society are a consequence of a continuous obligation to obey the laws in whatever form these laws apply to the circumstances in which these persons are placed." 113
Warrenders Betonung der naturrechtlichen Obligationstheorie und sein Versuch, Hobbes auf diese Weise für die klassische Naturrechtstradition zu vereinnahmen, war und ist vielen Kritiken, aber auch Mißverständnissen ausgesetzt.114 Zunächst läßt ein Vergleich der systematischen Stellung, den diese naturrechtstheologische Deutung der natürlichen Gesetze in den verschiedenen Fassungen von Hobbes' politischer Philosophie besitzt, Zweifel an aut quicquam docere, praeter hoc vnum, vt in omnibus circa illa controuersiis, ciues singuli, ciuitatis suae legibus & sententiis obedirent, ad officium suum pertinere negat" (DC XVn, 11 f.). 113 Warrender , The Political Philosophy of Hobbes, p. 322. 114 Zumindest an den Mißverständnissen ist Warrender nicht unschuldig gewesen, denn sein Versuch, Hobbes als "natural-law philosopher" im Sinne der Tradition zu rehabilitieren, wirft selbstverständlich die Frage auf, welcher Richtung oder Strömung des klassischen Naturrechts die Hobbessche Rechtsphilosophie zugeschlagen wird. Auf diese Frage gibt Warrenders Buch keine befriedigende Antwort. Vgl. hierzu Greenleaf, The Problem of Interpretation, pp. 14-15, der über die Nordkirchener Hobbes-Tagung im Jahre 1968 berichtet, daß Warrender angesichts kritischer Einwände bestritten habe, "that because he sees Hobbes as a natural law theorist, he is committed to associating him with the medieval Christian tradition: he would stress rather Hobbes's acceptance to prescriptive and universal principles from Stoic and Roman Law thinking." - Warrender hat in einem späteren Aufsatz seine Interpretation präzisiert: "I summarize the position in concluding that Hobbes is essentially a natural law philosopher. I do not, however, make the assertions attributed to me, namely that Hobbes subscribes to traditional natural law theory, still less to Christian natural law. Nowhere do I suggest that Hobbes did not innovate, and in fact state the contrary, indicating as one of Hobbes's most fruitful achievements the formal (minimum content) analysis he gave to the concept. Likewise, I hold that God was not necessary to Hobbes's system and that he could have rested it simply upon the laws of nature as rational principles, which in any case he regards as eternal and unchangeable (even by God)." Warrender hat des weiteren seine Vernachlässigung der innovativen Momente der Hobbesschen Naturrechtslehre mit dem damaligen Stand der Hobbes-Forschung gerechtfertigt, die nahezu ausschließlich die begründungstheoretische Funktion der naturrechtlichen Passagen in Hobbes' Werk bestritten hätten. Gegen diese Vernachlässigung der naturrechtlichen und insbesondere verbindlichkeitstheoretishen Elemente in Hobbes' politischer Philosophie sei sein Buch gerichtet gewesen: "My concern was to show that [...] Hobbes abandoned neither contract nor natural law, and although he transformed them they continued to have a central role in his system. Indeed it is only in terms of these concepts as revised that his political doctrine can be held to be a philosophic system at all" (Warrender , Political Theory and Historiography, pp. 932933).
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der Stichhaltigkeit von Warrenders Lesart aufkommen. In den Elements und in De Cive 115 besitzt die Aussage, daß die natürlichen Gesetze nur in bezug auf den Willen Gottes Gesetze im eigentlichen Sinne sind, offenkundig eine Überleitungsfunktion: sie bildet das Bindeglied zu dem auf die Theorie der natürlichen Gesetze folgenden Versuch, ihre Gültigkeit durch Bibelzitate zu stützen. 116 In der englischen Fassung des Leviathan aus dem Jahre 1651 hat Hobbes auf ein entsprechendes Kapitel verzichtet, so daß hier der Bezug auf die theologische Rechtfertigung der natürlichen Gesetze fehlt. Die Behauptung, daß die natürlichen Gesetze "as delivered in the words of God" Gesetze im eigentlichen Sinne darstellen (Lev. XV, p. I l l ) , ist also hier ihrer Vermittlungsfunktion beraubt und hängt gewissermaßen ohne systematische Funktion in der Luft. Es kann daher nicht weiter verwundern, daß Hobbes in der lateinischen Fassung des Leviathan von 1668 aus diesem systematischen Funktionsverlust die entsprechenden Konsequenzen gezogen hat: dort findet sich weder die theologische Rechtfertigung der natürlichen Gesetze noch die Behauptung, die natürlichen Gesetze seien Befehle Gottes; vielmehr beschränkt sich Hobbes nunmehr ausschließlich auf die Betonung des Unterschieds zwischen dem sog. natürlichen Gesetz und der "lex proprie dicta". 117 Liefert schon der Textbefund keinen überzeugenden Beweis für Warrenders naturrechtstheologische Deutung der Hobbesschen Verbindlichkeitslehre, so stehen seine Ausführungen über die Rechtsstellung und Rechtsfähigkeit der Atheisten im Widerspruch zu deijenigen Position, die Hobbes zumindest im Leviathan in dieser Hinsicht bezogen hat. Unter der von Warrender unterstellten verbindlichkeitstheoretischen Voraussetzung, daß Hobbes keinen vom Willen Gottes unterschiedenen und dem Willen des Verpflichteten selbst immanenten Grund möglicher Veibindlichkeit anerkennt, wäre die logische Konsequenz, daß Atheisten keine Bürger, d. h. keine anerkannten Glieder der Rechtsgemeinschaft sein können. Tatsächlich ist Warrender der Auffassung, daß der Atheist - insofern der Glaube an die Existenz Gottes die subjektive Bedingung darstellt, gemäß welcher ein Mensch überhaupt ein Wesen ist, das mit anderen in einem durch Rechte und Pflichten bestimmten Verhältnis stehen kann - für Hobbes ein Mensch sei, der überhaupt keine strikt-mora-
115
Elements XVII, 12; DC ΠΙ, 33. Diesem Versuch ist das XVIII. Kapitel der Elements ("A Confirmation of the Same [sc. der Lehre von den natürlichen Gesetzen, D.H.] out of the Word of God") bzw. das IV. Kapitel von De Cive ("Quod lex naturalis, est lex divina") gewidmet. 117 Lev. XV, OL ΙΠ, p. 122: "Dictamina haec rationis nomen quidem obtinerunt legum, sed improprie dictarum. Sunt enim de iis rebus, quae ad conservationem hominum conducimi, tantum theoremata. Lex autem, proprie dicta, est vox imperantis, vel prolata vel scripta, ita ut omnes, qui obedire tenetur, sciant vocem ejus esse." 116
10 Hüning
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Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
lischen Verbindlichkeiten anerkennen könne 118 : er "exists outside the competence of natural law completely, in a state of nature or war much more fundamental than the Hobbesian State of Nature obtaining before the institution of civil society."119 Und dies sei zugleich der Grund, warum sich der Atheist gegenüber dem Souverän im Verhältnis vollständiger Rechtlosigkeit befinde; ist jemand der Feind Gottes, so ist ihm gegenüber jedes beliebige Tun Recht. 120 Nun scheinen Hobbes1 Aussagen über die Rechtsstellung der Atheisten zunächst Warrenders Auslegung zu bestätigen, denn Hobbes hatte in De Cive (XIV, 19) in dieser Frage eine äußerst widersprüchliche Position eingenommen. Einerseits betrachtet er nämlich die Leugnung der göttlichen Vorsehung121 - in Übereinstimmung mit der vielfach geäußerten Überzeugung, daß Gesetze nur äußere Handlungen normieren können und dementsprechend nicht den Glauben betreffen - nicht als Verstoß gegen ein vorhergehendes staatliches Gesetz, sondern als "peccatum imprudenti«, sive ignoranti«". In der Tat ist nicht einzusehen, welches Unrecht gegen andere jemand begehen sollte, der sich gemäß Gründen seiner eigenen Vernunft nicht von der Existenz Gottes überzeugen kann. Ebensowenig stellt nach Hobbes der Unglaube einen Verstoß gegen das natürliche Gesetz Gottes dar, da er - wie er in einer längeren Anmerkung der zweiten Auflage von De Cive bemerkt - trotz 118
Warrender , The Political Philosophy of Hobbes, pp. 296-297: "It will follow also that the person who ignores or does not care for salvation or the punishments of God, will have no obligations. [...] For him, however, they [sc. die natürlichen Gesetze, D.H.] will simply be theorems or rational principles, as they must be unless they are regarded as the commands of God." Nach Warrenders Auffassung hat Hobbes die Fundierung der natürlichen Gesetze auch deshalb für notwendig erachtet, weil die durch Androhung von Strafen im Hinblick auf die "eternal salvation" ein starkes Motiv für die Einhaltung der natürlichen Gesetze darstellen würde. Nur unter der Voraussetzung eines Systems göttlicher Belohnungen und Strafen könne die Diskrepanz "between the duty and the interest of the individual, and again between private and public interest" (p. 274) überwunden werden: "these sanctions help to explain how the individual can be moved to do his duty, but not why he ought to do it, for the answer to this question is simply that his duty represents the will of God which ought to be obeyed" (p. 301). 119 Warrender , The Political Philosophy of Hobbes, p. 316. 120 Es liegt in der Logik der von Warrender vertretenen Argumentation, daß wenn der Glaube an Gott die Bedingung für die Rechtsfähigkeit der Person darstellt Gottesleugner als Menschen, die sich gegen die göttliche Ordnung auflehnen, nicht nur verfolgt werden können, sondern daß es vielmehr eine Pflicht des Staates zur strafrechtlichen Verfolgung von Atheisten geben müsse. Diesen Schluß zieht Warrender allerdings nicht. 121 Atheisten sind nach Hobbes' Auffassung nicht nur diejenigen, die die Existenz Gottes leugnen, sondern auch diejenigen, die die göttliche Vorsehung bestreiten: als Atheist wird jeder bezeichnet, "qui vel non existere Deum, vel non gubernare mundum affirmauerit", DC XIV, 19.
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eifrigen Bemühens kein solches Gesetz, das den Unglauben verbietet, gefunden habe. Der Atheist handelt nur unklug, da er sich nicht die Konsequenzen eines göttlichen Strafgerichts vergegenwärtigt, nicht aber ungerecht. Angesichts dieser Relativierung des Atheismus als bloßem "peccatum imprudenti«, sive ignoranti ae" hätte man erwarten können, daß Hobbes den Unglauben aus der Klasse strafbarer Handlungen ausscheidet. Andererseits wird genau diese Schlußfolgerung, daß der Atheismus nicht rechtmäßig bestraft werden kann, weil durch die persönliche Überzeugung die Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden, von Hobbes explizit bestritten. Der Atheist ist aufgrund seines Unglaubens vielmehr dem Rebellen vergleichbar, den Hobbes im nächsten Abschnitt (DC XIV, 20) behandelt122: beide werden nicht bestraft, weil sie gegen ein konkretes Gesetz verstoßen haben, sondern vielmehr weil sie sich außerhalb einer jeden gesetzlichen Ordnung stellen und daher als Feinde Gottes bzw. des Staates nach dem Kriegsrecht behandelt werden können. Aber die Annahme, daß dem Staat ein Recht zur Ausrottung von Atheisten zukommen könne, macht selber nur unter der Prämisse einen Sinn, daß diejenigen, die die göttliche Vorsehung leugnen, überhaupt keine Adressaten einer rationalen Verpflichtung durch das staatliche Gesetz sein können. Diese Prämisse wird allerdings von Hobbes nirgendwo kenntlich gemacht, und man kann sich angesichts der Windungen seiner Argumentation in der Anmerkung zu DC XIV, 19 nicht des Verdachts erwehren, es sei ihm selber dabei unwohl gewesen, wenn er dem Staat das Recht der Atheistenverfolgung zubilligt, ohne zugleich den Grund ihrer Bestrafung angeben zu können. Eine gewisse Einschränkung scheint darüber hinaus darin zu bestehen, daß Hobbes dieses Recht nur den von Gott eingesetzten Königen zugestehen will, so daß der Ausschluß der Atheisten aus der Rechtsgemeinschaft der Bürger eine Folge der besonderen Staatsräson der auf dem Gottesgnadentum beruhenden Monarchien wäre, während dies in anderen Staaten nicht zuträfe. 123 Die Widersprüche in De Cive haben Hobbes im Leviathan zu einer Neubestimmung seiner Position geführt. Hier werden die Atheisten zwar weiterhin als Feinde Gottes bezeichnet (Lev. XXXI, p. 246), aber es fehlt jede Andeutung, daß sie bloß aufgrund ihres Unglaubens von Seiten des Staates rechtmäßig verfolgt werden können. Im Gegenteil betont Hobbes nunmehr ausdrücklich, daß der Unglaube nicht mit der Ablehnung der natürlichen Gesetze identisch ist, so daß Atheisten sehr wohl Mitglieder der societas civilis sein können: "Faith of Supematurall Law, is not a fulfilling, but only an assenting to the same; and not a duty that we exhibit to God, but a gift which God freely giveth to whom
122 Im Unterschied zum einfachen Gesetzesbrecher kündigt der Rebell das 'pactum generale obediential" (DC XIV, 20) grundsätzlich auf. 123 Vgl. hierzu Polin, Hobbes, Dieu et les hommes, pp. 70-71. Dies wäre allerdings kein rechtsphilosophisches, sondern ein rein politisches Argument.
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Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
he pleaseth; as also Unbelief is not a breach of any of his Lawes; but a rejection of them all, except the Laws Naturali" (Lev. XXVI, p. 198). 124
Schon Sommerville hat zurecht eingewandt, daß es keine textevidenten Belege für Warrenders Behauptung einer notwendigen Verknüpfung des Glaubens an Gott und der Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze gibt. Atheisten haben nach Hobbes zwar keine Verbindlichkeiten gegen Gott, aber daraus folgt nicht, daß es für Atheisten keine rechtlichen Verbindlichkeiten geben könnte. Insbesondere aber ist Warrenders Voraussetzung falsch, wonach Hobbes die natürlichen Gesetze unabhängig vom göttlichen Willen bloß als unverbindliche Klugheitsregeln betrachtet habe. Demgegenüber gibt es in Hobbes' Ausführungen über die natürlichen Gesetze "not the slightest hint [...] in his discussion of natural law that atheists are under no obligation to obey it. [...] The primary sense in which the laws of nature oblige in Hobbes is as dictates or theorems of reason telling us how to preserve ourselves. Those who believe that the laws are also divine decrees [...] may have an additional incentive to obey them." 125
Warrender übersieht darüber hinaus, daß sich an der rechtlichen Ohnmacht der natürlichen Gesetze auch durch den Rekurs auf den göttlichen Willen nichts ändert. Auch wenn sie als moralisch verbindliche Prinzipien anerkannt werden, kann unter den Bedingungen des Naturzustandes niemand a priori wissen, auf welche Weise die Forderungen der natürlichen Gesetze handelnd erfüllt werden können - und zwar deshalb nicht, weil die natürlichen Gesetze in erster Linie Aussagen über die in der Logik des freien Handelns liegenden Notwendigkeiten einer jeden Rechtsordnung sind. Handlungsnormen sind die natürlichen Gesetze nur insoweit, als sie die Errichtung einer nach allgemeinen Prinzipien strukturierten Ordnung fordern, durch die rechtliches Handeln überhaupt erst möglich wird. Somit fordern auch die natürlichen Gesetze als Befehle Gottes nicht mehr, aber auch nicht weniger als die moralische 124
Vgl. auch Tuck , Hobbes and Locke on Toleration, p. 161: "Hobbes did not believe that the natural rationality of religion implied that an atheist could not grasp the laws of nature which constitute moral conduct. [...] He was always careful to avoid saying that an atheist should be punished because (for example) he would not keep his contracts." 125 Sommerville , Thomas Hobbes, p. 78; Polin , L'obligation morale et politique chez Thomas Hobbes, p. 151: "Hobbes [...] admet que des athées puissent faire partie du commonwealth et, par conséquent, vivre en bon citoyen, même s'ils n'ont par de foi religieuse. [...] Ce qui veut dire que l'athée est un sot, peut-être, mais que sa sottise ne tombe pas sous le coup des lois, donc qu'elle n'a pas à être punie par le souverain, qui doit donc traiter l'athée comme un juste. L'obligation politique suffit donc, en l'absence de toute obligation divine, à faire de lui un bon citoyen."; Tuck, Hobbes and Locke on Toleration, p. 161: "Hobbes did not believe that the natural rationality of religion implied that an atheist could not grasp the laws of nature which constitute moral conduct. [...] He was always careful to avoid saying that an atheist should be punished because (for example) he would not keep his contracts."
VI. Die Frage nach dem Status der natürlichen Gesetze
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Gesinnung, die zur Stiftung eines Rechtszustandes geeignet ist. Der hier von Hobbes vorgenommene Rückgriff auf eine theologische Moralbegründung ändert also nichts daran, daß die natürlichen Gesetze, auch wenn sie als Befehle Gottes betrachtet werden, keine handlungsnormierende Funktion haben. Selbst dann, wenn der einzelne davon überzeugt ist, daß Gott ihre Befolgung befiehlt, kann er aus dieser Überzeugung keine bestimmte Handlungsanweisung entnehmen, es sei denn diejenige, daß ein bestimmtes Mein und Dein erst durch den Eintritt in den status civilis möglich werden. Aus diesem Grunde wird Hobbes nicht müde zu betonen, daß das Reich Gottes, in dem die natürlichen Gesetze, bloß weil sie Tugendgesetze sind, befolgt werden, nicht von dieser Welt ist. 1 2 6 Auch wenn der gläubige Mensch sie im Vertrauen auf die Macht Gottes als verbindliche Befehle für sich anerkennt, entgeht er nicht der Aporie, daß die natürlichen Gesetze aufgrund ihres formalistischen Charakters keine mögliche Handlung als unerlaubt ausschließen: "Das 'von Gott' existierende 'natürliche' Gesetz vermag, unabhängig von der Existenz einer souveränen Staatsgewalt, den Krieg aller gegen alle nicht nur nicht aufzuheben; es ist vielmehr selbst nichts anderes als ein Ausdruck der destruktiven Dialektik dieses Zustandes: Was Gottes Gesetz gebietet, darüber befindet [...] allein das Gewissen des Individuums. Insofern ist ein Zustand, in dem nur 'Gottes Gesetz' gilt, ein Zustand, in dem jeder 'nur seinem Gewissen verantwortlich' ist und das Gewissen allein bestimmt, was Recht und Unrecht ist." 1 2 7
2. Die natürlichen Gesetze als hypothetische Imperative? Angesichts der aufgezeigten Probleme ist es kein Wunder, daß der Großteil der Interpreten Warrenders naturrechtstheologischen Rettungsversuch verworfen hat. Insbesondere die Theologisierung des Hobbesschen Verbindlichkeitsbegrififs bzw. die Überbetonung der Rolle, die der Wille Gottes als (formaler) Geltungsgrund der Verbindlichkeit bei Warrender spielt. Die einschlägigen Äußerungen, die Warrender zur Stützung seiner Einschätzung herangezogen hat, gelten ihnen als "Reminiszenzen" an einen der Sache nach 126
DC XVn, 6, 12; Lev. XLI, p. 333; XLII, p. 341, 392. - Auch Rousseau unterscheidet in diesem Sinne zwischen dem göttlichen Reich der Tugend und dem irdischen Reich der äußeren Gerechtigkeit: "Ce qui est bien et conforme à l'ordre est tel par la nature des choses et indépendamment des conventions humaines. Toute justice vient de Dieu, lui seul en est la source; mais si nous savions la recevoir de si haut nous n'aurions besoin ni de gouvernement ni de loix. Sans doute il est une justice universelle émanée de la raison seule; mais cette justice pour être admise entre nous doit être réciproque. A considérer humainement les choses, faute de sanction naturelle les loix de la justice sont vaines parmi les hommes; elles ne font que le bien du méchant et le mal du juste, quand celui-ci les observe avec tout le monde sans que personne les observe avec lui. Il faut donc des conventions et des loix pour unir les droits aux devoirs et ramener la justice à son objet" (CS Π, 6; OC ΠΙ, p. 378). 127 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 227, vgl. auch S. 340.
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Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
von Hobbes überwundenen Standpunkt.128 Hobbes' Aussage, daß es sich bei den natürlichen Gesetzen um "Conclusiones, or Theoremes" (Lev. XV, p. I l l ) , d. h. um Aussagen handelt, die den Anforderungen strenger Wissenschaftlichkeit und eines rein rationalen Deduktionsverfahrens genügen, wird von der Mehrzahl der Verfechter des klugheitstheoretischen Interpretationsansatzes so ausgelegt, als ob Hobbes hiermit nur einen theoretischen Geltungsanspruch im Sinne logisch korrekter Schlußfolgerungen unterstreichen wolle. In dieser Bedeutung müßten die natürlichen Gesetzen als bloß theoretische Sätze über die Bedingungen möglicher Selbsterhaltung, somit als Klugheitsregeln bzw. hypothetische Imperative im Sinne der Ethik Kants betrachtet werden. 129 Nach dieser Auffassung sind die natürlichen Gesetze als rationale Prinzipien nur "Verhaltensregeln, die eingehalten werden müssen, damit das Selbsterhaltungs- und Glücksinteresse der Menschen effektiv befriedigt wird. [...] Die rationalen Bedingungen eines friedvollen Zusammenlebens, produktivitätssteigernder Kooperation und einer gelingenden Lebensführung besitzen als solche keinerlei verpflichtende Kraft." 1 3 0
Diese Interpretationsrichtung scheint zugleich der Hobbesschen Theorie angemessener zu sein als Warrenders eher rückwärtsgewandte Darstellung, weil sie an der überlieferten Einschätzung festhält, daß Hobbes zur Bestimmung von Recht und Unrecht nicht auf eine kosmologisch-ontologische Ordnung, den Willen Gottes oder einen sonstwie gearteten transzendenten Maßstab (wie ζ. B. das bonum commune) zurückgreifen konnte, und daher die Naturrechtskritik und die mit ihr verknüpften modernen Elemente des Wissenschafts- und Politikbegriffs ernst nimmt. Dennoch ist auch die Problematik der klugheitstheoretischen Interpretation, die den Naturzustand als "spieltheoretische Musterargumentation" und die auf seiner Grundlage entwickelten natürlichen Gesetze als Grundprinzipien einer am Prinzip der Schadensminimierung orientierten subjektiven Entscheidungsrationalität begreift, nicht zu übersehen. Denn sie führt nicht nur dazu, die von Hobbes im Zusammenhang mit der Entfaltung der sich aus dem Naturzustand ergebenden Schlußfolgerungen gebrauchte normative Terminologie als bloße façon de parier 128
Röd, Thomas Hobbes, S. 163. Vgl. ζ. B. Goldsmith, Hobbes's Science of Politics, pp. 93-94, 108; Ilting, Hobbes und die praktische Philosophie der Neuzeit, S. 91 ff.; Mayer-Tasch, Hobbes und das Widerstandsrecht, S. 24; Nagel, Hobbes's Concept of Obligation, pp. 80-83; Oakeshott , Hobbes on Civil Associaion, pp. 90-91; Schottky , Die staatsphilosophische Vertragstheorie, S. 88; Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 46-56; Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 133-136. Die Auffassung, die natürlichen Gesetze seien bloße Klugheitsregeln schließt zumeist die Annahme ein, daß sie diesem Grunde von einer Geltung der natürlichen Gesetze eigentlich nur im theoretischen, nicht aber im normativen Sinne gesprochen werden könne. 130 Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 127,133. 129
VI. Die Frage nach dem Status der natürlichen Gesetze
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abzutun, sondern auch den natürlichen Gesetzen überhaupt den Charakter von verbindlichen Normen abzusprechen. So hat Ilting darauf hingewiesen, daß die natürlichen Gesetze - sofern sie nur in dieser Eigenschaft, d. h. als allgemeine Sätze über die Notwendigkeit bestimmter Freiheitseinschränkungen zum Zwecke der Gewährleistung der Selbsterhaltung betrachtet werden - bloß "theoretische Sätze über das, was unter bestimmten Bedingungen der Fall ist" bzw. der Fall sein wird, sind, aber noch nicht "praktischen Sätze über das, was unter bestimmten Bedingungen der Fall sein soll." 131 Abgesehen davon, daß diejenigen Interpretationen, welche die natürlichen Gesetze als bloße "rules of prudential morality" betrachten 132, ihren gesellschaftskonstitutiven Charakter verkennen, besteht die Problematik dieser und vergleichbarer Einschätzungen darin, daß sie die natürlichen Gesetze im Lichte der Kantischen Unterscheidung von hypothetischen und kategorischen Imperativen begreifen wollen. Eine solche Interpretation wird jedoch weder Hobbes1 rechtsphilosophischen Beweisabsichten, noch den systematischen Voraussetzungen seiner Pflichtenlehre gerecht. Schon Brandt hat gegen die hier diskutierte Lesart der natürlichen Gesetze eingewandt, daß zum einen aus dem "scientia-Charakter der Hobbesschen Rechtslehre", nach welchem die natürlichen Gesetze den Status richtiger Schlußfolgerungen haben, nicht gefolgert werden kann, daß die natürlichen Gesetze keine präskriptiven Sätze sind. Zum anderen aber sind die durch die natürlichen Gesetze auferlegten Pflichten "weder hypothetisch noch kategorisch im kantischen Sinne, weil die Voraussetzungen der Hobbesschen Pflichtenlehre inkompatibel sind mit denen von Kant." 133 Zwar ist nicht zu bestreiten, daß die besonderen natürlichen Gesetze als 'Wege des Friedens' ihrer formalen Struktur nach den hypothetischen Imperativen der Kantischen Ethik ähneln. 134 Sie setzen einen Zweck - den Frieden - voraus und formulieren die adäquaten Mittel, diesen Zweck zu erreichen. Dennoch verstellt die ausschließliche Reflexion auf diese formale Struktur der besonderen natürlichen Gesetze den Weg zu einem angemessenen Verständnis ihres verbindlichkeitstheoretischen Status. Denn die einseitige Fixierung auf die formale Struktur der besonderen natürlichen Gesetze trübt den Blick für ihre Abhängigkeit von der vernunftrechtlichen Grundnorm der Friedenssuche. In dieser Hinsicht zeigt sich, daß sich die besonderen natürlichen Gesetze auf einen Zweck beziehen, den zu wollen oder nicht zu wollen den Menschen nicht frei steht, und der nach Hobbes1 Ansicht durch keinen anderen Zweck 131
Ilting, Der verrufene und umstrittene Autor, S. 238. Raphael, Hobbes on Justice, p. 161; vgl. auch Kavka, Hobbesian Moral and Political Theory, p. 309, 360,448. 133 Brandt, Der Autor des Leviathan. Diskussionsbeitrag, S. 174 f. 134 Hypothetische Imperative werden von Kant als Prinzipien bestimmt, welche "die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen", vorstellen CKant 9 GMS, AA IV, S. 414 13 . 15 ). 132
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Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
ersetzt werden kann. Denn sofern sie überhaupt den Krieg aller gegen alle und den drohenden Tod als größtes mögliches Übel vermeiden, ihr Leben sichern und als Rechtspersonen anerkannt sein wollen, müssen sie die natürlichen Gesetze als objektive Bedingungen ihres eigenen freien Wollens anerkennen. Aus diesem Grunde ist das natürliche Gesetz nicht bloß ein hypothetischer Imperativ im Sinne einer "Vorschrift der Klugheit", die sich "auf die Wahl der Mittel zur eigenen Glückseligkeit" (GMS, AA IV, S. 4163.5) bezieht, also keine Regel, die sich auf bloß zufallige empirische Zwecke bezieht, sondern es stellt das "Apriori jedes inhaltsbezogenen Wollens" 135 dar. Seine Geltung ist aus diesem Grunde davon unabhängig, ob die einzelnen dasselbe auch faktisch als objektive Bedingung ihres eigenen vernünftigen Handelns begreifen. Daher legt Hobbes selbst größten Wert auf die Feststellung, daß die natürlichen Gesetze der menschlichen Willkür entzogen sind, daß sie vielmehr von der Vernunft geboten werden, weil und insofern zumindest die ersten drei natürlichen Gesetze die objektiven Bedingungen angeben, unter denen der selbsterhaltungssichernde Rechtsfriede unter Menschen bzw. der status civilis allein als möglich gedacht werden kann; und in dieser Hinsicht sind die natürlichen Gesetze mehr als bloße Klugheitsregeln: sie sind die rein rationalen Konstitutionsprinzipien der öffentlichen Gerechtigkeit. Von einer kategorischen Rechtspflicht kann Hobbes auf der anderen Seite allerdings nicht sprechen 136, weil durch die Bindung des Willens an das materiale Prinzip der Selbsterhaltung "die Idee und die Principien eines möglichen reinen Willens" (GMS, AA IV, S. 39034f), der sich der eigenen, unbedingt verbindlichen, aber zugleich nur formalen Gesetzgebung der Freiheit unterwirft, systematisch ausgeschlossen ist. Darüber hinaus beruht die klugheitstheoretische Interpretation der natürlichen Gesetze auf der keineswegs selbstverständlichen verbindlichkeitstheoretischen Grundüberzeugung, daß sich auf der Basis einer Theorie über die praktischen Bedingungen des aufgeklärten Selbstinteresses bzw. des rationalen Egoismus keine normativen Prinzipien gewinnen lassen.
V I I . Vom Prinzip der Moralität zur Begründung des Rechtszwanges Betrachtet man das Ergebnis der vorstehenden Überlegungen, dann scheint es keine konsistente Interpretation der Hobbesschen Verbindlichkeitstheorie zu geben und sein Versuch einer verbindlichkeitstheoretischen Grundlegung der Rechtsphilosophie gescheitert zu sein. Während Warrenders Rückgriff auf den
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Brandt, Der Autor des Leviathan (Diskussionsbeitrag), S. 175. Geismann (Kant als Vollender, S. 167) hatte die Pflicht zum Verlassen des Naturzustandes ursprünglich als kategorischen Imperativ betrachtet, diese Position allerdings inzwischen revidiert; vgl. Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, S. 142, Scholion 242; S. 223-225, Scholion 441. 136
VII. Vom Prinzip der Moralität zur Begründung des Rechtszwanges
153
Willen Gottes Hobbes' Selbstverständnis in zentralen Punkten ignoriert, scheint die klugheitstheoretische Interpretationsrichtung in dieser Hinsicht zwar angemessener, aber zugleich zu dem noch fataleren Ergebnis zu führen, daß den natürlichen Gesetzen der Status normativer Aussagen vorenthalten werden muß. Darüber hinaus beruht die klugheitstheoretische Interpretation der natürlichen Gesetze auf der keineswegs selbstverständlichen verbindlichkeitstheoretischen Grundüberzeugung, daß sich auf der Basis einer Theorie über die praktischen Bedingungen des aufgeklärten Selbstinteresses bzw. des rationalen Egoismus keine normativen Prinzipien gewinnen lassen. Gibt es aus dieser anscheinend unvermeidbaren Aporie der Interpretationsansätze einen Ausweg? Eine Antwort auf die Frage nach dem Status der Verbindlichkeit, die ich als moralitätskritisch bezeichnen möchte, haben aus politikwissenschaftlicher Perspektive Willms und Heger gegeben. Beide stellen darauf ab, daß der moralische Verbindlichkeitsmodus der natürlichen Gesetze allein keinen Rechtsfrieden zu stiften vermag. Sie kommen daher zu dem Ergebnis, daß die - unbestreitbare - systematische Vorordnung der Verpflichtung in foro interno vor der äußeren Verbindlichkeit in spezifisch moralitätskritischer Ansicht erfolgt: aus der Analyse des abstrakten Charakters der Moralität solle ex negativo die Einsicht gewonnen werden, daß das Moralitätsprinzip "unbedingt der Konkretion in Legalität bedarf, um wirklich zu werden" bzw. "daß allein auf Basis der moralischen Verpflichtung gegenüber dem natürlichen Gesetz eine praktikable Friedensordnung gerade nicht etabliert werden kann, daß vielmehr die Überwindung des Naturzustandes auf weitergehende objektive Bedingungen verweist, die nicht bloß in der Moralität der Subjekte begründet sein können." 137 Tatsächlich trifft diese Einschätzung einen zentralen Punkt der Hobbesschen Lehre der natürlichen Gesetze: der Nachweis der Defizienz des Standpunktes der Moralität bzw. der bloßen Verpflichtung vor dem individuellen Gewissen bildet - wie gezeigt wurde - die Prämisse für den Beweis der Notwendigkeit der souveränen Zwangsgewalt. Selbst der gute Wille aller ist keine hinreichende Bedingung allgemeiner Rechtssicherheit, weil sich durch den guten Willen zur Respektierung der natürlichen Gesetze prinzipiell nichts an der möglichen Konflikthafitigkeit des individuellen Wollens und an der Konkurrenz privater Rechtsurteile ändert. Jeder mag das bonum sibi, das bonum commune oder das Gute in Übereinstimmung mit den natürlichen Gesetzen wollen - solange er Richter in eigener Sache ist, kann "auch die strikte Befolgung von Vernunftgeboten [der sog. natürlichen Gesetze, D.H.] bei der Bestimmung des je eigenen Wollens und Handelns keinerlei Einheit zwischen den Individuen stiften [...]. Ein Individuum als solches kann immer nur für sich eine vernünftige Einheit in seinem Wollen und Handeln stiften, nicht aber auch 137
Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 67, der in diesem Punkt der Interpretation von Willms (Die Antwort des Leviathan, S. 114 f.) folgt.
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Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
für die Gemeinschaft mit anderen Individuen. Das bedeutet: auch eine Gemeinschaft rein vernunftgeleiteter Menschen befindet sich von Natur in einem Zustand prästabilierter Disharmonie und muß eine (nicht-natürliche) Eintracht erst stiften, den Staat als eine (künstliche) Einheit des Willens aller." 1 3 8
Aber Hobbes' Gründe für die Anerkennung einer der vertraglichen Bindung vorhergehenden Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze vor dem Gewissen erschöpft sich nicht in der moralkritischen Zielsetzung. Die diesen Akten vertraglicher Selbstbindung vorhergehende Norm 'pacta sunt servanda' begründet er aus dem Vermögen der recta ratio, die allgemeinen Bedingungen des Rechtsfriedens zu bestimmen. In der Logik dieser Argumentation liegt eine - wenngleich von Hobbes nicht mit letzter Konsequenz entwickelte Position begründet, welche der Vernunft den geltungstheoretischen Primat einräumt und sie dadurch nicht nur als ratio cognoscendi der natürlichen Gesetze begreift, sondern zugleich als ratio essendi der Verbindlichkeit anerkennt. Die oben skizzierten Debatten um den verbindlichkeitstheoretischen Status der natürlichen Gesetze können als Indiz dafür gelten, daß in den zeitgenössischen Diskussionen weitgehend das Bewußtsein für die Eigenart der spezifisch rechtsphilosophischen Begründung der Verbindlichkeit geschwunden ist. Zu dieser rechtsphilosophischen Eigenart gehört, daß Hobbes' verbindlichkeitstheoretische Position im Hinblick auf die systematisch notwendigen Voraussetzungen minimalistisch ist. Sie setzt auf Seiten des Individuums kein anderes Interesse voraus als das Interesse an der rechtsförmlichen Sicherung des Rechts der Selbsterhaltung. Die Begründung der praktischen Geltung der natürlichen Gesetze ist deshalb moralitätsunabhängig. Das bedeutet, daß auf Seiten der normunterworfenen Individuen für das pflichtgemäße Handeln keine spezifisch moralischen Bestimmungsgründe erforderlich sind. 139 Um die objektive Notwendigkeit und Gültigkeit ζ. B. des Friedensgebotes oder der Forderung nach Verzicht auf das Recht auf alles zu begründen, ist es nicht notwendig, auf besondere moralische Vermögen (wie ζ. B. auf den Geselligkeitstrieb oder den 'moral sense') oder auf eine Tugendgesinnung im Sinne der Kantischen Ethik zurückzugreifen. Um die sowohl theoretische wie praktische Rationalität dieser Prinzipien anzuerkennen, bedarf es keiner spezifisch moralischen Bestimmungsgründe auf Seiten des Normadressaten; dazu reicht vielmehr der Nachweis aus, daß die natürlichen Gesetze Prinzipien sind, die auch das rationale, aufgeklärte Selbstinteresse jedermann gebieten würde. Die Einsicht in die Unmöglichkeit einer transzendenten 'Letztbegründung' der
138
Geismann Spinoza jenseits von Hobbes und Rousseau, S. XXX. Die Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität im Kantischen Sinne, zwischen äußerer und innerer Gesetzmäßigkeit der Handlung ist bei Hobbes zwar noch nicht terminologisch, wohl aber der Sache nach voll ausgebildet, vgl. DC ΠΙ, 5, 28; IV, 21; Lev. XV, pp. 103-104. 139
VII. Vom Prinzip der Moralität zur Begründung des Rechtszwanges
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praktischen Verbindlichkeit führt bei ihm unmittelbar zu einem rechtsphilosophischen Programm, das sich auf den Nachweis beschränkt, daß die objektive praktische Notwendigkeit der Einschränkung der äußeren Freiheit in dem vernünftig bestimmten Handeln der Menschen selbst ihren Grund hat. Sofern Menschen überhaupt ein anerkanntes Recht auf freies Handeln, d. h. ein Recht, sich (im Rahmen möglicher Selbsterhaltung) irgendwelche Zwecke zu setzen und zu realisieren, haben wollen, sind sie praktisch gezwungen, zugleich die einschränkenden gesetzlichen Bedingungen dieser Freiheit zu wollen. Der hinreichende Grund der Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze ist also die durch vernünftiges Schließen gewonnene Einsicht, daß das Individuum ohne diese Einschränkungen seines Willkürgebrauches mit sich in Widerspruch geraten würde. Es bedarf keiner über den Gedanken der objektiven Notwendigkeit von Freiheitseinschränkungen der Freiheit durch die natürlichen Gesetze hinausgehenden Annahme der Willensfreiheit (oder transzendentalen Freiheit), durch die der Wille in der Lage wäre, unabhängig von allen empirischen Bestimmungsgründen bloß aus Pflicht (also aus einem rein ethischen Bestimmungsgrund) zu handeln. Zur Begründung der objektiven Geltung von Normen genügt die Erkenntnis, daß jeder, der überhaupt frei handeln und in dieser Qualität als Rechtssubjekt anerkannt werden will, durch diesen seinen Rechtswillen selbst die Notwendigkeit dieser Einschränkungen seines Freiheitsgebrauchs erzeugt und deshalb im Rahmen einer allgemeinen Rechtszwangsordnung auf die Bedingungen der Möglichkeit freien Handelns verpflichtet werden kann. Es ist die immanente Logik des eigenen freien Handelns, das den einzelnen diese Einschränkung ihrer natürlichen Freiheit aufnötigt, so daß der Zwang, der aufgrund der Logik des eigenen freien Handelns der Individuen erfolgt, der Zwang eines Willens, den sie als frei Handelnde notwendig selbst haben müssen.140 In genau dieser Funktion werden die natürlichen Gesetze im status civilis zu Rechtspflichten, d. h. zu solchen Verbindlichkeiten, zu deren Einhaltung jeder im Konfliktfalle rechtmäßig gezwungen werden kann. In diesem Begriff der theoretischen wie praktischen Konsequenzen freien Handelns bzw. des objektiven zwangsmäßigen Eingeschränktseins des äußeren
140 Aber erst Rousseau (CS I, 7; OC ΠΙ, p. 364) hat diesen Gedanken zur programmatischen Grundlage seiner Staatsrechtslehre gemacht. Er definiert den Rechtszwang, der in Übereinstimmung mit der volonté générale erfolgt, eine solche Nötigung ist, durch die jedermann gezwungen wird, frei zu sein: "Afin donc que le pacte social ne soit pas un vain formulaire, il renferme tacitement cet engagement qui seul peut donner de la force aux autres, que quiconque refusera d'obéir à la volonté générale y sera contraint par tout le corps: ce qui ne signifie autre chose sinon qu'on le forcera d'être libre; car telle est la condition qui donnant chaque Citoyen à la Patrie le garantit de toute dépendance personnelle; condition qui fait l'artifice et le jeu de la machine politique, et qui seule rend légitimes les engagemens civils, lesquels sans cela seroient absurdes, tyranniques, et sujets aux plus énormes abus."
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Β. Die Theorie der natürlichen Gesetze
Freiheitsgebrauchs auf die Bedingungen möglicher Vereinbarkeit mit der gleichen Freiheit aller anderen liegt das ganze verbindlichkeitstheoretische Geheimnis der Hobbesschen Rechtsphilosophie. Hobbes gibt auf die Frage, warum man überhaupt die Widersprüche des Naturzustandes vermeiden und eine Rechtsordnung etablieren soll, warum jeder von seiner Freiheit einen gesetzlichen Gebrauch machen und das Recht als Bedingung der Freiheitsrealisierung wollen soll, keine über die Gründe der Handlungsrationalität - der objektiv-praktischen Notwendigkeit widerspruchsfreien Handelns - systematisch hinausführende Antwort. Für die Aufstellung der transzendentalen Bedingungen der Rechtsordnung sowie für die Begründung der Erzwingbarkeit dieser in Gestalt der natürlichen Gesetze festgesetzten Prinzipien genügt Hobbes das Argument der vernunftnotwendigen Vermeidung der Widersprüche des Naturzustandes, d. h. der Nachweis, daß ein Wille, der ein absolutes Recht ohne das komplementäre Moment der gesetzlichen Freiheitseinschränkung will, die Bedingungen seiner eigenen Wirksamkeit und Existenz zerstört. Ein Vergleich mit den Ausführungen Kants über die Möglichkeit, das "Problem der Staatserrichtung [...] selbst für ein Volk von Teufeln" aufzulösen (AA VIII, S. 366i5 ff), kann dazu dienen, das Problem der Begründung einer rechtsformigen Zwangsbefugnis deutlicher zu darzustellen. Kant ist der Auffassung, daß dieses Problem auch für ein Volk von Teufeln auflösbar ist, "wenn sie nur Verstand haben". Diese Aufgabenstellung ist spezifisch rechtlicher Natur, da der Rechtszwang nicht darauf abzielt, die einzelnen zu 'moralisch-guten Menschen', sondern bloß zu 'guten Bürgern', die bereit sind, die Gesetze (aus welchen Motiven auch immer) zu befolgen, zu machen. Auf Seiten der Teufel ist aus diesem Grunde keineswegs eine moralische Gesinnung erforderlich; vielmehr wird unterstellt, daß sie an ihren Trösen Gesinnungen' festhalten und auch dann, wenn sie als vernünftige Wesen "allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, [...] insgeheim sich davon auszunehmen geneigt" sind. Für die Legitimation des Rechtszwangs bzw. der Unterwerfung unter des Willens aller unter eine souveräne Zwangsgewalt ist es hinreichend, "wenn sie nur Verstand haben". Offenbar wird hier vorausgesetzt, daß die Forderung der Handlungsrationalität bzw. der widerspruchsfreien Verallgemeinerung des eigenen Interesses eine hinreichende legitimationstheoretische Basis für die Begründung von Zwangspflichten darstellt: wer sich überhaupt in Sicherheit und Freiheit, d. h. in "Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür" (RL, AA VI, S. 23729) beliebige Zwecke setzen können will, der muß zugleich allen anderen die gleiche Sicherheit und Freiheit gewährleisten. Und er muß wollen, daß er selbst im Konfliktfalle zur Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Regeln gezwungen werden kann. Im Nachweis, daß ein "Volk von Teufeln" klug, d. h. in Übereinstimmung mit dem vernünftigen Selbstinteresse eines jeden handelt, wenn es eine souveräne Zwangsgewalt errichtet, liegt nicht nur der Grund der Legitimation des
V . Vom Prinzip der Moralität zur Begründung des Rechtszwanges
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Rechtszwangs, sondern darüber hinaus der Grund für die Verbindlichkeit derjenigen Regeln, die nach Art der natürlichen Gesetze überhaupt bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine Rechtsordnung möglich ist. Die Pointe von Hobbes' Theorie der natürlichen Gesetze liegt also nicht darin, daß er die einzelnen als solche auffordert, diese Gesetze zu moralischen Bestimmungsgründen ihres Handelns zu machen, sondern in der Einsicht, daß "Frieden halten (d. h. keine Gewalt gegen andere zu gebrauchen), sich der Staatsgewalt und ihrer souveränen Verfügung über die Zwecke, Mittel und Regeln der Vergesellschaftung zu unterwerfen, sich der existierenden Eigentumsverfassung zu unterwerfen", die objektiven Bedingungen einer jeden Rechtsordnung und deshalb Rechtspflichten sind, zu deren Einhaltung jedes Individuum aus Gründen der Vernunft und in Übereinstimmung mit dem jeweiligen Selbstinteresse gezwungen werden kann. 141 Wer eine derartig 'minimalistische' Begründungsstrategie, welche die rechtliche Verbindlichkeit von Normen aus dem aufgeklärte Selbstinteresse ableitet, zur Bewältigung der rechtsphilosophischen Aufgabenstellung nicht für ausreichend hält, dem könnte mit Gauthier entgegengehalten werden, "if [...] Hobbist morality does not satisfy us, then we must realize that we have no adequate conceptual foundation for the convention of morality, or for the bonds of human society which these conventions maintain." 142
141 142
Tuschling , Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 228. Gauthier , Why Ought One Obey God?, p. 446.
C. Hobbes1 philosophische Staatsrechtslehre I. Staatsrecht und Souveränität Hobbes' Lehre von der naturrechtlichen Freiheit mündet in dem Ergebnis, daß die Menschen unmöglich bloß aufgrund der Bedingungen ihrer natürlichen Existenz miteinander in rechtlicher Übereinstimmung ihrer Handlungen leben können. Es gibt im Naturzustand weder eine Instanz, die ihr natürliches Recht gegen andere wirksam sichern könnte, noch gibt es überhaupt ein Prinzip, nach welchem bestimmbar wäre, worauf jedermann sowohl im Hinblick auf das innere wie das äußere Mein und Dein unter Ausschluß aller anderen einen Rechtsanspruch erheben könnte: wo jeder ein Recht auf alles hat, existiert kein bestimmtes Recht; vielmehr befinden sich alle in einem Zustand durchgängiger Gesetzlosigkeit. Im einzelnen geht Hobbes' Staatslehre von folgenden Ergebnissen des 'Libertas'-Teils aus: 1. unter den Bedingungen des Naturzustandes kann es kein objektives und von allen anerkanntes Recht geben, weil hier jeder Richter in eigener Sache ist; 2. aus der Widersprüchlichkeit des Naturzustandes werden die natürlichen Gesetze als normative Einschränkungen des Freiheitsgebrauchs abgeleitet; 3. die bloße Erkenntnis der natürlichen Gesetze reicht nicht hin, um ihre Befolgung zu gewährleisten. Hobbes entwickelt einen rein rationalen Beweis für die Notwendigkeit des souveränen Staates, der systematisch an die Ergebnisse des 'Libertas'-Teils anknüpft. Dieser systematische Zusammenhang wird schon durch die Fragestellung offenkundig, mit welcher Hobbes seine Lehre von der souveränen Staatsgewalt in De Cive beginnt: gefragt wird nämlich, was denn garantieren könne, daß die natürlichen Gesetze in verbindlicher Weise für alle derart realisiert werden, daß sie tatsächlich zu handlungsnormierenden Prinzipien werden. Die Bedingung der Möglichkeit der gesuchten Befolgungssicherheit ist die wirkliche Aufhebung des ipse-iudex-Prinzips durch Unterwerfung des besonderen Willens aller unter eine mit souveränen Zwangsmitteln ausgestattete Instanz, die in der Lage ist, die Vernunftforderungen des natürlichen Gesetzes auch gegen den Sonderwillen der einzelnen durchzusetzen. Eine rechtsverbindliche Einigkeit über die Auslegung der natürlichen Gesetze und über die Bedingungen des möglichen äußeren Freiheitsgebrauchs können die Menschen nur
I. Staatsrecht und Souveränität
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dann erzielen, wenn alle darauf verzichten, über diese Bedingungen selbst zu bestimmen. Hobbes' Argument für die Souveränität
der Staatsgewalt lautet:
jede vom empirischen Willen der einzelnen abhängige Staatsgewalt, deren Gehorsamsanspruch durch das Rechtsurteil der einzelnen relativiert wird, ist unfähig, ihre vernunftrechtliche Funktion zu erfüllen. Denn niemand kann als verpflichtet gedacht werden, seine Verbindlichkeiten gegen alle anderen einzuhalten, wenn er nicht sicher sein kann, daß alle anderen ihm gegenüber ihre Verbindlichkeit einhalten. Die folgende Darstellung bleibt auf den Bereich dessen beschränkt, was Hegel in seiner Philosophie des Rechts als das 'innere Staatsrecht1 bezeichnet hat. Nur die staatsrechtliche Organisation der souveränen Zwangsgewalt, nicht aber Fragen und Probleme der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts werden an dieser Stelle analysiert werden.1 Nach den bisherigen Ausführungen über die Hobbessche Rechtsphilosophie und insbesondere über den Status der natürlichen Gesetze dürfte jedoch deutlich geworden sein, daß für Hobbes das Völkerrecht kein Recht im strengen Sinne sein kann. Wenn er erklärt, daß das sogenannte "Law of Nations" (Lev. XXX, p. 244) mit dem natürlichen Gesetz identisch sei, so ist diese Aussage in erster Linie so zu verstehen, daß sich auf der Ebene der internationalen Beziehungen der strukturelle juridische Widerspruch des Naturzustandes reproduziert. Zwar sind die natürlichen Gesetze, analog zum Naturzustand der Individuen, auch in der Sphäre der internationalen Beziehungen an sich, d. h. bloß moralisch, gültig; insbesondere das Gebot der Vertragstreue findet hier Anwendung. Aber weder bildet die Menschheit als solche eine 'politische und normative Einheit'2, noch sind die natürlichen Gesetze oder zwischenstaatliche Verträge sind dazu geeignet, den Naturzustand zwischen Staaten aufzuheben, d. h. die strukturell begründete Unmöglichkeit, auftretende Streitfragen (wie ζ. B. unterschiedliche Auffassungen über die angemessene Auslegung der Vertragsklauseln) anders als durch Gewalt zu entscheiden, zu überwinden. Denn es gehört für Hobbes zum Spezifikum der internationalen Beziehungen, daß jeder Staat aufgrund seiner Souveränität Richter in eigener Sache bleibt und mit Recht darüber ur1
Daß Hobbes' Rechtsphilosophie durch ihr geschärftes Bewußtsein für die Probleme der Rechtsgeltung und -Wirksamkeit dennoch Anknüpfungspunkte für die Völkerrechtstheorie enthält und auch die neuzeitliche Friedenstheorie beeinflußt hat, haben Olaf Asbach und Vf. an anderer Stelle zu zeigen versucht; vgl. Asbach/Hüning, Naturzustand und Rechtsbegründung. Zur Rezeption der Hobbesschen Rechtsphilosophie durch Saint-Pierre vgl. Asbach, Politik und Frieden beim Abbé de Saint-Pierre, bes. 153-161. 2 Auf dieser Prämisse beruhte die Völkerrechtskonzeption bei Suârez: "Ratio autem huius partis et iuris est quia humanum genus, quantumvis in varios populos et regna divisum, semper habet aliquam unitatem, non solum specifìcam, sed etiam quasi politicam et moralem, quam indicat naturale praeceptum mutui amoris et misericordiae quod ad omnes extenditur, etiam extraenos et cuiuscumque nationis" (De legibus Π, XIX, 9).
160
C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
teilen kann, ob die Bedingungen der Gültigkeit von Verträgen weiterhin unverändert vorliegen oder ob Gründe 'berechtigter Furcht* eingetreten sind, die von der Einhaltung der vertraglichen Verpflichtung suspendieren. Mit dieser Einsicht in die - aus dem ipse-iudex-Prinzip folgende - objektive Unentscheidbarkeit der konkurrierenden Rechtsansprüche von Staaten entzieht Hobbes zugleich der klassischen Lehre vom bellum justum die Grundlage. Analog zum Naturzustand der Individuen ist auch der Naturzustand zwischen Staaten rechtlich so beschaffen, daß sich im Streitfalle beide Parteien gleichermaßen auf ihr Recht berufen können, ohne daß eine objektive Entscheidung des strittigen Rechts möglich wäre. Somit kann auch die Unterscheidung zwischen einem Angriff sine jure und legitimer Selbstverteidigung des Staates aus strukturellen Gründen keine Anwendung finden. Dies wiederum bedeutet, daß für Hobbes das Völkerrecht kein Zwangsrecht, sondern nur die Beschreibung eines Zustandes sein kann, in welchem die Staaten einander wechselseitig keine institutionelle Sicherheit für die Einhaltung abgeschlossener Verträge gewähren. Folglich kann es ähnlich wie im individuellen Naturzustand auch im zwischenstaatlichen Naturzustand keine strikte Rechtsverbindlichkeit für einzelne Staaten geben, die Normen des natürlichen Gesetzes zur Grundlage ihrer Politik zu machen, solange keine Gewähr für die Reziprozität der Normbefolgung vorhanden ist. Der Begriff des souveränen Staates und der aus seiner Souveränität folgende Anspruch, in der Bestimmung dessen, was im Verhältnis zu anderen Staaten als Recht bzw. Unrecht zu gelten hat, frei und unabhängig zu sein, schließt nach Hobbes also nicht die Möglichkeit zwischenstaatlicher Verträge aus. Doch da es keine internationale Gesetzgebung und keine übergeordnete Instanz der Rechtsentscheidung gibt, welche die Konfliktparteien ihrem verbindlichen Rechtsurteil unterwirft, können auftretende Streitfragen zwischen den Staaten nicht anders als durch Gewalt entschieden werden. Nur am Rande sei schließlich bemerkt, daß Hegel (Rph §§ 333 f.) systematisch die Hobbessche Einsicht in den juridisch widersprüchlichen Charakter des Völkerrechts aufgreift: die Kluft zwischen dem Geltungsanspruch seiner Normen einerseits und ihrer bloß zufälligen Verwirklichung bildet das unaufhebbare Dilemma des Völkerrechts. Denn als "Grundsatz des Völkerrechts" stellt die Forderung 'pacta sunt servanda' eine Norm des "allgemeinen, an und für sich zwischen den Staaten gelten sollenden Rechts" dar; aufgrund der naturzuständlichen Struktur der internationalen Beziehungen, haben die sich aus diesem Grundsatz ergebenden Rechte der einzelnen Staaten "nicht in einem allgemeinen zur Macht über sie konstituierten, sondern in ihrem besonderen Willen ihre Wirklichkeit." Hobbes wie Hegel können insofern als Vertreter einer Position angesehen werden, die "aus erschwerten Durchsetzungsbedingungen auf unerfüllbare Gültigkeitsbedingungen schließt und ein prinzipienbegründetes internationales Recht für eine begriffliche Chimäre hält".3
3
Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 68.
161
I. Staatsrecht und Souveränität
Es ist die leitende These der nachfolgenden Überlegungen, daß Hobbes' Lehre vom Imperium, vom vernunftrechtlichen Begriff staatlicher Herrschaft, in Anknüpfung an die rechtslogischen Konsequenzen des Naturzustandsarguments zwei zwar eng miteinander verknüpfte, dennoch systematisch voneinander zu unterscheidende Fragestellungen untersucht: 1. die Frage nach der rechtlichen Notwendigkeit
und 2. die Frage nach der rechtlichen Möglichkeit
der souveränen Staatsgewalt. Die oben skizzierten systematischen Ergebnisse der Naturzustandslehre führen zu der Einsicht, daß der Krieg aller gegen alle nur unter der einen Bedingung der Schaffung einer souveränen Rechtszwangsgewalt, die das Handeln der einzelnen allgemeingültigen Rechtsregeln unterwirft und ihre Befolgung zugleich von der individuellen Willkür unabhängig macht, überwunden werden kann. Der Begriff, die Art und der Umfang der Staatsgewalt einerseits und ihre Spezifik im Sinne der Konstitution einer politischen Willenseinheit andererseits ist Gegenstand der Hobbesschen Souveränitätslehre. Hiervon muß die Lehre vom staatsbegründenden
Vertrag,
d. h. die
kontraktualistische Begründung der souveränen Staatsgewalt, unterschieden werden. Die Souveränitätslehre basiert auf der Frage, aufgrund welcher institutionellen Bedingungen der Naturzustand überwunden werden kann. Hobbes' Antwort auf diese Frage lautet: die notwendige Bedingung des Rechtsfriedens besteht in der Institutionalisierung einer souveränen, vom Willen der ihr unterworfenen Bürger rechtlich unabhängigen Staatsgewalt, die zugleich den Charakter einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit hat. Demgegenüber antwortet der staatsphilosophische Kontraktualismus auf die Frage nach dem Rechtsgrund staatlicher Herrschaft als Zwangsgesetzgebung und zeigt, durch welchen Akt der einzelnen eine solche Institutionalisierung rechtlich möglich ist. Diese systematische Unterscheidung trägt deutlicher, als dies bisher in der Hobbes-Forschung gesehen worden ist, dem begründungstheoretischen Umstand Rechnung, daß Hobbes im Rahmen seiner Lehre vom Wesen des Staates die rechtliche Notwendigkeit
der Souveränität vertragsunabhängig
begründet.
Daß die Staatsgewalt souverän und eine vom Willen der Bürger unabhängige juristische Person sein muß, wird von Hobbes rein aus der Logik des Naturzustandes entwickelt. Aber daß eine derartige absolute staatliche Zwangsgewalt auch rechtlich möglich ist, d. h. überhaupt als etwas gedacht werden kann, das nicht bloße Gewaltherrschaft ist, sondern in seiner rechtlichen Möglichkeit aus dem freien Willen der Staatsbürger selbst hervorgeht - dies zu beweisen ist die Aufgabe der Vertragslehre. Im folgenden (Kapitel C.) beschränke ich mich aus darstellungsmethodischen Gründen zunächst auf die Präsentation derjenigen Aspekte des Hobbesschen Staatsrechts, die mit den im vernunftrechtlichen Grundlagenteil entwickelten Prämissen kompatibel sind. Zu diesen bleibenden Errungenschaften der "doctrina civilis" (DC I, 2 annotatio) gehören neben der rechtsphilosophischen Staatszweckbestimmung v. a. die Theorie der Souveränität, die Konzeption der Rechtspersönlichkeit des Staates, die 11 Hüning
162
C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
kontraktualistische Begründung des einheitlichen Staatswillens durch den Willen der Bürger und schließlich die Unmöglichkeit des sog. Widerstandsrechts. Alle diese Lehrstücke der Hobbesschen Staatsrechtstheorie lassen sich als Elemente des Versuchs begreifen, die durch die staatliche Herrschaft gewährleistete äußere Gerechtigkeitsordnung als konsequente Rationalisierung der natürlichen Freiheit darzustellen. Es sind diese staatsrechtlichen Beweisschritte und -ergebnisse, die auch von den nachfolgenden Vernunftrechtstheoretikern (v. a. von Rousseau, Kant, Fichte und Hegel) akzeptiert und weiterentwickelt worden sind. Trotz dieserrichtungsweisendenErrungenschaften auf dem Gebiet der Souveränitätstheorie ist Hobbes zu keiner abschließenden und befriedigenden Lösung desjenigen Problems gelangt, das er selbst als das Problem des Verhältnisses von 'libertas' und 'imperium', von natürlicher Freiheit und staatlicher Herrschaft bestimmt hat. Die immanenten Widersprüche seiner Staatsrechtslehre, der Einbruch des natürlichen Rechts in die staatliche Rechtsordnung und das, was ich mit einem etwas altertümlichen Ausdruck als die despotischen Implikationen des Kontraktualismus bezeichnen möchte, sollen deshalb in einem zweiten Schritt untersucht werden (vgl. Kapitel D.). Ein solches Verfahren, das die vernunftrechtliche Entwicklungslinie des Hobbesschen Staatsrechts zunächst getrennt von dessen immanenten Widersprüchen darlegt, scheint mir zum einen für das Verständnis der Art und Weise von Nutzen zu sein, wie die nachfolgenden Vernunftrechtstheoretiker an die Ergebnisse der Hobbesschen Rechtsphilosophie anknüpfen. Zum anderen läßt sich auf diese Weise zeigen, daß gerade die im Hinblick auf die Hobbessche Staatstheorie kontroversen Positionen der Forschung, die zwischen der Betonung liberaler und autoritär-despotischer Aspekte der Staatstheorie schwankt4, gewissermaßen nur Ausdruck des bei Hobbes selbst vorhandenen Spannungsverhältnisses zwischen vernunftrechtlichen und vernunftrechtswidrigen Argumenten sind.
1· Die Frage nach dem Wesen des Staates Auch auf dem Gebiet der Staatsrechtslehre setzt Hobbes auf der Grundlage seiner völlig veränderten rechtsphilosophischen Prämissen seine Kritik an der 4 Zu dieser Kontroverse vgl. die abwägenden Überlegungen von Maluschke, Philosophische Grundlagen des Verfassungsstaates, S. 45-51. - Die liberal-rechtsstaatlichen Tendenzen der Hobbesschen Staatslehre betonen Cramer , Naturzustand und Vernunft, S. 65 f.; Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 165; Oakeshott, Hobbes on Civil association, p. 63; Polin, Hobbes, Dieu et les hommes, p. 152; Rapaczynski , Nature and Politics, pp. 63-65; Siep, Vertragstheorie, S. 135; Sommerville , Thomas Hobbes, pp. 103, 192-193; Tuck y Hobbes, pp. 72-73; Willms , Die Antwort des Leviathan, S. 26. Einer Lesart, die eher die absolutistisch-despotischen Elemente der Hobbesschen Staatslehre betont, neigen demgegenüber Kriele (Einführung in die Staatslehre, S. 5759, 132-139) und Nonnenmacher (Die Ordnung der Gesellschaft, S. 45-49) zu.
I. Staatsrecht und Souveränität
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vorhergehenden Tradition der politischen Philosophie fort. Dies betrifft zunächst die allgemeine philosophische Tendenz seiner Begründung staatlicher Herrschaft überhaupt. Alle Brücken zu den feudalen, aber auch den zeitgenössischen Versuchen einer entsprechenden theologischen Legitimation sind abgebrochen, d. h. zu dem Gedanken des Sündenfalls, wonach die moralische Korruption der Menschen erst die staatliche Zwangsgewalt notwendig gemacht hätte, während umgekehrt 'dem Gerechten kein Gesetz gegeben sei'. 5 Insbesondere das säkularisierte kontraktualistische Argument, "that the Right of all Soveraigns, is derived originally from the consent of every one of those that are to bee governed" (Lev. XLII, p. 395) 6 , gilt den Zeitgenossen als das eigentliche Skandalon seiner politischen Philosophie. 7 Hobbes' eigenes kritisches Hauptaugenmerk gilt jedoch der Auseinandersetzung mit der letztlich auf Aristoteles zurückgehenden Definition des Staates als einer auf natürlichen Zwecke des menschlichen Zusammenlebens gerichteten Gemeinschaft. Schon in den Elements hatte Hobbes die staatsrechtlichen bzw. souveränitätstheoreti5 Versuche, Hobbes' Naturzustandslehre in die Nähe der Lehre vom Sündenfall zu rücken, finden sich bei Schmitt (Der Begriff des Politischen, S. 41 ff); Goldsmith (Hobbes's Science of Politics, p. 177); Sommerville (Thomas Hobbes in Historical Context, p. 41); vgl. hierzu meine Rezension von Sommervilles Buch, S. 485 f. 6 Es wird im einzelnen noch zu zeigen sein, daß die Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen, die in der Vertragsfigur ausgedrückt wird, weder als empirische Zustimmung noch als historischer Akt mißverstanden werden darf. 7 Diese Säkularisierung der Rechtsphilosophie bildete in der zeitgenössischen Hobbes-Kritik den Grund lebhafter Klagen bzw. denunziatorischer Angriffe, wie die folgenden Beispiele von Autoren ganz unterschiedlicher politischer Provenienz zeigen: Filmer (Observations on Mr Hobbes's Leviathan, p. 1): "With no small content I read Mr. Hobbes's book De Cive , and his Leviathan , about the rights of sovereignty, which no man, that I know, hath so amply and judiciously handled: I consent with him about the rights of exercising government, but I cannot agree to his means of acquiring it. It may seem strange I should praise his building, and yet mislike his foundation; but so it is, his Jus Naturae , and his Regnum Institutivum , will not down with me: they appear full of contradiction and impossibilities"; Lawson (An examination of Mr. Hobbs his Leviathan , p. 16): "Civil Government derives its Being from Heaven: for it is a part of Gods Government over mankind, wherein he useth the Ministery of Angels, and the service of men [...]. To think that the sole or principal Cause of the constitution of a civil State is the consent of men, or that it aims at no further end then peace and plenty, is too mean a conceit of so noble an effect. And in this particular I cannot excuse Mr. Hobbs, who in the modelling both of a Civil, and also Ecclesiastical Common-wealth proceeds upon principles not only weak, but also false and dangerous"; Bramhall (The Catching of Leviathan, pp. 116-117): "That the Hobbesian principles are destructive to Christianity and all Religion. [...] He hath devised us a trimne Commonwealth, which is neither founded upon religion towards God, nor justice towards man, but meerly upon self interest, and self preservation. [...] Without religion, Societies are but like soapy bubbles, quickly dissolved." - Für die zeitgenössische, von theologischer Seite erhobene Kritik gilt, was Mintz (The Hunting of Leviathan, p. 45) gesagt hat: "The first task of a seventeenth-century divine would be to destroy Leviathan , the second might be to understand it."
1
164
C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
sehen Mißverständnisse seiner Zeitgenossen, wie sie insbesondere in der Konzeption des "mixed government" zum Ausdruck kommen, beklagt. Diese Irrtümer hätten ihren Ursprung in einem falschen Begriff des "body politic", der nicht bloß die willkürliche Übereinkunft (concord), sondern die politisch verfaßte Einheit (union) von Menschen bezeichne: "The error concerning mixed government hath proceeded from want of understanding of what is meant by this word body politic, and how it signifieth not the concord, but the union of many men" (Elements XXVII, 7). 8
Im Zentrum der Hobbesschen Staatstheorie steht daher die Frage nach der Natur bzw. dem Wesen des Staates9, d. h. die Frage, was den Staat als societas civilis von allen anderen menschlichen Verbänden und Vereinigungen unterscheidet. Mit dieser Frage nach der spezifischen Differenz der societas civilis spielt Hobbes durchaus auf die Fragestellung der klassischen politischen Philosophie an. So fragt er schon im ersten Kapitel von De Cive in offenkundiger Anlehnung an die Aristotelische Politik 10 nach dem leitenden Zweck des Staates als einer Vereinigung von Menschen: "Cùm enim societas voluntariò contrahitur, in omni societate quaeritur voluntatis Obiectum, hoc est, id quod videtur vnicuique congredientium Bonum sibi" (DC I, 2).
Die formale Parallele mit den Einleitungssätzen der Aristotelischen Politik ist nicht zu übersehen: wie bei Aristoteles ist auch bei Hobbes die societas civilis - wie jede andere societas, z. B. die Familie - eine um eines bestimmten Zwecks willen gebildete Gemeinschaft von Menschen. Aber in dieser formellen Bestimmung erschöpft sich auch schon die Übereinstimmung zwischen Aristoteles und Hobbes als dem Begründer der neuzeitlichen Rechts- und Staatsphilosophie. Sie bildet in Wahrheit für Hobbes nur den Ausgangspunkt einer umfassenden Kritik am Selbstverständnis des politischen Aristotelis-
8
Wenn hier und im folgenden vom body politic die Rede ist, so ist damit der souveräne Staat als rechtliche Körperschaft gemeint. Hobbes verwendet den Terminus body politic jedoch nicht bloß zur Bezeichnung für die Rechtspersönlichkeit des Staates, sondern aller körperschaftlichen Verbindungen mit eigener Rechtspersönlichkeit bzw. derjenigen Institutionen, die über eine "Person in Law" (Lev. ΧΧΠ, p. 155) verfügen: "The variety of Bodies Politique, is almost infinite: for they are not onely distinguished by the severall affaires, for which they are constituted, wherein there is an unspeakable diversifie; but also by the times, places, and numbers, subject to many limitations" (Lev. ΧΧΠ, p. 158). Der Unterschied zwischen dem Staat und den übrigen Körperschaften besteht also in der Art und Weise der souveränen Repräsentation, die nur dem souveränen body politic eigentümlich ist. 9 Dieses Stichwort fällt in allen drei Fassungen von Hobbes' politischer Philosophie jeweils zu Beginn der Staatsrechtslehre: Elements XX, 1 ("the nature of a body politic"); DC VI, 1 annotatio; VI, 3 ("civitatis natura") und in Lev. XVm, p. 121 ("the Essence of Common-wealth"). 10 Aristoteles, Politik I, 1; 1252 a 1 ff.
I. Staatsrecht und Souveränität
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mus. 11 Denn sobald man sich die Aristotelische Staatsdefinition in Erinnerung ruft, zeigt sich, daß Hobbes sowohl in bezug auf die Zweckbestimmung des Staates als auch in bezug auf die Form der staatlichen Vereinigung eine Theorie entwickelt, die der klassischen Lehre von der Politik in allen Punkten entgegengesetzt ist. Für Aristoteles manifestiert sich das Wesen der Staatlichkeit nicht in den untergeordneten Zweckbestimmungen des bloßen MSchutz[es] wider gegenseitige Beeinträchtigungen" oder der "Pflege des Tauschverkehrs" 12, sondern in der Ausrichtung auf das eine, dem Menschen wesensmäßig immanente Ziel des vollkommenen, d. h. des guten und gerechten Lebens in Übereinstimmung mit dem Wohl des Ganzen. Aristoteles rechnet den Menschen als ζωον ττολιτικόν zu den von Natur aus staatenbildenden Lebewesen. Insofern der Staat auf das gute und gelungene Leben der Bürger in Übereinstimmung mit ihren von Natur gegebenen Zwecken der Glückseligkeit abzielt, gehört er wie die Familie und die Hausgemeinschaft zu den natürlichen, nicht-beliebigen Formen der Vergesellschaftung. 13 Die politische Lebensweise ist den Menschen natürlich, weil sie sich auf einen Zweck bezieht, der nicht willkürlich, sondern den Menschen wesensmäßig immanent ist. Den Staat begreift Aristoteles daher als diejenige Gemeinschaft bzw. Gesellschaft, die "um des vollkommenen Lebens willen besteht"14 und die sich also auf das höchste praktische Gut, auf die Verwirklichung der Tugend, bezieht: "Zweck des Staates ist also, daß man gut lebe [...]. Staat aber ist die Gemeinschaft von Geschlechtern und Ortschaften in einem vollkommenen und sich selbst genügenden Dasein. Dieses aber besteht, wie wir erklären, in einem glücklichen und tugendhaften Leben. Und mithin muß man behaupten, daß die staatliche Gemeinschaft der tugendhaften Handlungen wegen besteht, und nicht des Zusammenlebens wegen."15
In dieser ethischen Staatszweckbestimmung liegt übrigens auch der Grund, daß die Aristotelische Politik überhaupt keine mit dem neuzeitlichen Naturund Vernunftrecht vergleichbare Legitimation der staatlichen Herrschaft durch den Willen der ihr Unterworfenen zu liefern vermag. Wo der Wille - zumindest der Wille der billig und gerecht Denkenden - immer schon von Natur aus auf das gute und tugendhafte Leben in Übereinstimmung mit dem guten Wil-
11
Zur Hobbesschen Kritik des politischen Aristotelismus vgl. Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 13-24. 12 Aristoteles, Politik DI, 9; 1280 b 30. 13 Aristoteles, Politik I, 2; 1252 a 30 ff. 14 Aristoteles, Politik I, 2; 1252 a 29 f.; ΙΠ, 6,1278 b 23; ΙΠ, 9, 1280 a 31. 15 Aristoteles, Politik ΠΙ, 9; 1280 b 39 ff - Wie der Kontext erhellt, formuliert Aristoteles seine staatstheoretische Position im bewußten Gegensatz gegen die sophistische Lehre, das Gesetz beruhe nur auf Vertrag und diene ausschließlich der Garantie der Wechselseitigkeit des Rechthandelns.
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
len aller anderen abzweckt, wo also - wie Ebbinghaus mit Recht betont - der höchste Zweck der Menschen darin besteht, "gemeinschaftlich mit den anderen in einem tugendhaften Leben glücklich zu sein", dort bedarf es zur Verwirklichung der Gerechtigkeit keines Zwangs; wo dennoch Zwang angewandt wird, beruht dieser nicht auf einer durch das natürliche Recht selbst geforderten Rechtszwangsgewalt, sondern stellt eine "ihrem Prinzip nach pädagogische Gewalt" dar. Ebbinghaus betont daher zu Recht, daß die "Frage
nach dem Rechte als einer möglichen Zwangsbefugnis unter Menschen" von der politischen Theorie des Aristoteles nicht gestellt worden ist und auf der Grundlage ihrer systematischen Voraussetzungen auch gar nicht gestellt werden konnte.16 Diese tugendethische Legitimation staatlicher Herrschaft wird dann in der - für das gesamte Mittelalter und die frühe Neuzeit richtungsweisenden - Staatsdefinition Ciceros 17 weiter vertieft. Auch hier beruht die societas civilis nur auf dem "der gemeinsame[n] Wille derer [...], die das im Einklang mit der Tugend stehende glückliche Gemeinschaftsleben wollen" 18 und in dieser vernünftigen Zwecktätigkeit durch das universelle Band der lex naturae zu einer Gemeinschaft des Rechts vereinigt sind. Von einem Staat im eigentlichen Sinne kann nach Ciceros nur unter der Voraussetzung einer gerechten Herrschaft
gesprochen werden, die auf die Verwirk-
lichung des vorgegebenen Vernunftzwecks und der natürlichen Rechtsgemeinschaft, auf das bonum commune abzielt und die den Menschen die Erfüllung ihrer natürlichen Pflichten erlaubt. 19 Die Aufgabe des Staates besteht nicht in der Rechtsschöpfung, d. h. in der Erzeugung einer Rechtsordnung, die verbindliche Kriterien des meum und tuum stiftet, sondern in der Sicherung der 16 Ebbinghaus, GS Π, S. 146 f.; ähnlich argumentieren Riedel, Metaphysik und Metapolitik, S. 102,260, und Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 277,279. 17 Cicero, De re publica I, 39: "Est igitur [...] res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus"; vgl. De re publica VI, 13, wo Cicero die Staaten als "concilia coetusque hominum iure sodati" bezeichnet. - Eine ausführliche Erörterung des Ciceronischen Staatsbegriffes findet sich bei Suerbaum, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff, S. 1-70. Suerbaum macht zum einen darauf aufmerksam, daß in Ciceros Definition die Staatsgewalt nicht als konstitutives Element erscheint (S. 26), zum anderen weist er daraufhin (S. 25 f., Fußnote 69), daß unter dem ius des iuris consensus nicht das objektive Recht, sondern das natürliche Gesetz bzw. die durch dasselbe verbürgte Ordnung der Gerechtigkeit zu verstehen ist. Zu der Nachwirkung dieser Definition des Staates vgl. Augustinus (De Civitate Dei Π, 21; XV, 8; XIX, 21); Thomas von Aquin (Summa theologiae Π-Π, qu. 42, a. 2); Althusius, Politica I, § 7; IX, § 4; Grotius (JBP I, 1, § 14, 1), der die civitas als "coetus perfectus liberorum hominum iuris fruendi et communis utilitatis causa sociatus" bezeichnet; schließlich Burlamaqui, Principes du droit politique I, IV, § 9. 18 Ebbinghaus, GS Π, S. 153. 19 In diesem Sinne erklärt Cicero (De re publica ΙΠ, 43-45), daß auf die verfassungsrechtlichen Entartungsformen der Tyrannis, der Oligarchie und der Ochlokratie der Begriff der res publica keine Anwendung findet.
I. Staatsrecht und Souveränität
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vom natürlichen Gesetz vorgeschriebenen Bestimmungen des gerechten Lebens gegen das mögliche ungerechte Begehren einzelner. Es ist schon gezeigt worden, daß Hobbes die Prämisse dieser traditionellen Definition des Staates als gerechter Herrschaft,
den Gedanken einer durch die
lex naturae bewirkten Zweckeinheit der Menschen als Fundament der Begründung einer Rechtsordnung, längst aufgegeben hat. So wie er in der Frage der rein rationalen Begründung des Rechts völlig neue Wege geht, so ist auch sein Staatsbegrüf das Resultat einer völlig neuen Deduktion. Die Notwendigkeit des Staates liegt nicht in der Ermöglichung des guten und gerechten Lebens in der wohlgeordneten Polis, sondern ausschließlich in der Verwirklichung und Sicherung von subjektiven Rechtsansprüchen. Diese Voraussetzungen dieser Deduktion des Staatsbegriffs, die an die Ergebnisse der Theorie der natürlichen Gesetze anknüpft 20, werden von Hobbes zu Beginn seiner Lehre vom Imperium im fünften Kapitel von De Cive resümiert, indem er an die schon gewonnene Einsicht erinnert, " leges naturales non statim vt cognitae sunt securitatem cuiquam praestare ipsas obseruandi, & proinde, quamdiu cautio ab inuasione aliorum non habetur, cauendi sibi quibuscunque modis voluerit & potuerit, vnicuique manere lus primaeuum, hoc est, lus in omnia, siue lus belli" (DC V, 1).
Aufgrund ihres Wirksamkeitsdefizits scheinen sich die natürlichen Gesetze, anstatt sichere "Wege zum Frieden" zu sein, als Sackgassen der Friedlosigkeit zu erweisen. Die Vernunft wird jedoch durch dieses Dilemma zu einer neuerlichen Zweck-Mittel-Überlegung angetrieben: wenn die natürlichen Gesetze die Mittel der Kriegszustandsvermeidung sind, sie aber für sich genommen ohnmächtig bleiben, weil sie als bloße Tugendpflichten nicht die Sicherheit ihrer Befolgung gewährleisten können, dann stellt sich die Frage, "quid sit quod talem securitatem praestare possit" (DC V, 3), welches Mittel oder welche Einrichtung bewirken kann, daß das natürliche Recht eines jeden auf die Bedingungen möglicher Kompatibilität mit dem natürlichen Recht aller anderen wirksam eingeschränkt werden kann. Fragt man also, welcher Art die gesuchte Sicherheit ist, die unter naturzuständlichen Bedingungen unmöglich erlangt werden kann, so ist Hobbes1 Antwort eindeutig: erst der status civilis stiftet diejenige Sicherheit, die in bezug auf das "legis naturalis exercitium" bzw. "ad exercitium iustitiœ naturalis" (DC V, 5) notwendig ist. Eine solche Sicherheit der Befolgung der natürlichen Gesetze kann es nicht geben, solange niemand gewiß sein kann, daß der äußere Freiheitsgebrauch der anderen tatsächlich eingeschränkt ist und die Gewähr besteht, daß sie abgeschlossene Verträge einhalten. Denn diese Unsicherheit ist der Grund, daß jeder sein Recht auf alles behält und bloß für sich 20
Insbesondere an den Nachweis, daß den natürlichen Gesetze im Naturzustand unmöglich der Status der Rechtsverbindlichkeit zukommen kann.
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
entscheidet, ob sein Handeln nach seinem Urteil den Anforderungen der recta ratio genügt. Hobbes' Überlegungen kreisen also um das Problem der unter Naturzustandsbedingungen unmöglich zu erlangenden Rechtssicherheit, nicht primär um dasjenige der physischen Sicherheit der Selbsterhaltung. Aus diesem Grunde bringen diejenigen Interpreten, die mit Carl Schmitt der Auffassung sind, die Konzeption des Naturzustandes illustriere das Problem des Überlebens und der Staat sei nur ein auf dieses Problem gegründeter sozialtechnologischer "Mechanismus im Dienst der Sicherung des diesseitigen physischen Daseins der von ihm beherrschten und beschützten Menschen"21, den Rechtsphilosophen Hobbes in diesem Punkt um den Ertrag seiner Argumentation. Alle von Hobbes in diesem Zusammenhang ins Spiel gebrachten empirischen Momente der Sicherung des individuellen Daseins haben nur die Funktion, das grundlegende Dilemma fehlender Rechts- bzw. Befolgungssicherheit zu erhellen. Deshalb ist der Interpretation von Geismann/Herb zuzustimmen, die betonen, daß "die besondere (extreme) physische Unsicherheit, welche Hobbes oft so eindringlich beschwört, [...] erst eine Konsequenz der totalen rechtlichen Unsicherheit des reinen Naturzustandes" ist. 22 Aber die Redeweise von der fehlenden Sicherheit im Hinblick auf die Ausübung der natürlichen Gesetze wäre irreführend, wenn wir uns nicht daran erinnerten, was dies angesichts der formalen Struktur der natürlichen Gesetze bedeutet. Da die natürlichen Gesetze zwar die Schaffung einer Ordnung des bestimmten Mein und Dein fordern, für sich genommen aber überhaupt keine Prinzipien der Rechtsbestimmung sind, unter die bestimmte Handlungen in bezug auf ihre rechtliche oder rechtswidrige Qualität subsumiert werden könnten, kann die mangelnde Ausübungssicherheit des Naturzustandes ihren Grund nicht darin haben, daß die Menschen es an Befolgungsbereitschaft fehlen lassen. Vielmehr gibt es im nichtstaatlichen Zustand deshalb keine Sicherheit der Ausübung der natürlichen Gesetze, weil niemand unter diesen Bedingungen wissen kann, welche Handlungen Recht oder Unrecht sind. Also ist die Forderung nach Schaffung einer reziproken Ausübungssicherheit in Wahrheit die Forderung nach Schaffung einer Gewalt, durch deren Zwangsgesetzgebung eine positive Rechtsordnung, d. h. das Recht in seiner möglichen Bestimmtheit, überhaupt erst verwirklicht werden kann. Auch in seiner Neuinterpretation der klassischen Staatszwecksformel Salus populi suprema lex kommt diese vernunftrechtliche Funktion des Staates als Rechtszwangsgewalt deutlich zum Ausdruck. 23 Der positiv-rechtlichen Absolutheit der Souveränität
21 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 54; vgl. auch S. 47; der Schmittschen These folgt z. B. Nonnenmacher, Die Ordnung der Gesellschaft, S. 38. 22 Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 220, S. 130. 23 DC XIV, 2; Lev. XXX, p. 231; DC ΧΙΠ, 2: "Imperantium autem officia omnia hoc vno dicto continentur: Salus populi suprema lex". - Die aus der Unterwerfung
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korrespondiert nämlich die Gewissenspflicht "eorum qui summi imperium administrant". 24 Die rechtliche Überordnung der Staatsgewalt über den Willen der Bürger ist insofern nur die Kehrseite ihrer vernunflrechtlichen Bindung an den Zweck der Vergesellschaftung, in bezug auf welchen sie als ein Mittel erscheint: "Civitas enim non sui, sed ciuium causa instituta est" (DC XIII, 3; Lev. X X X , p. 231). 2 5 Wenn Hobbes dem Souverän die Pflicht, für das Wohl des Volkes zu sorgen, zuspricht, dann bedeutet dies nicht nur, daß die Staatsgewalt der Sicherung des natürlichen Rechts der Selbsterhaltung und der Verwirklichung der von der recta ratio geforderten Normierung des äußeren Freiheitsgebrauches dient. Weil das Wohl des Volkes sich nicht in der bloßen Existenzsicherung erschöpft, gehört zur Aufgabe der staatlichen Politik auch die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens, in welchem die Bürger nach eigener Fasson glücklich werden können. 26 Trotz der Benutzung der klassischen Staatszwecksformel treten auch in diesem Punkt Hobbes' Differenzen zur vorhergehenden Tradition des Naturrechts deutlich hervor, denn die 'salus populi' wird nicht mehr aus den Bedingungen einer durch die Natur selbst geforderten Gemeinschaft der Zwecke des guten und gerechten Lebens abgeleitet. Die Staatsgewalt trägt der Forderung, das Wohl der Bürger zu reali-
unter die souveräne Staatsgewalt erwachsenden "commodia civium" sind rein weltlicher Natur, d. h. sie erstrecken sich nur auf die diesseitige "salus populi": "1. vt ab hostibus externis defendantur. 2. vt pax interna conseruetur. 3. vt quantum cum securitate publica consistere potest, locupletentur. 4. vt liberiate innoxiâ perfruantur. Amplius enim ad faelicitatem ciuilem, quam vt à bello externo & ciuili tuti, opibus industria partis frui possint, summi imperatores conferre non possunt" (DC ΧΙΠ, 6). 24 DC ΧΠΙ (Überschrift); vgl. Lev. XXX. 25 Eine solche instrumenteile Staatszweckbestimmung, wie sie Hobbes hier vornimmt, wird Hegel in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts als Ausdruck der Verwechslung der bürgerlichen Gesellschaft bzw. des Not- und Verstandesstaates mit dem Staat als "Wirklichkeit des substantiellen Willens" brandmarken. Für Hegel ist der Staat nicht Mittel für "die Sicherheit und den Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit", sondern "das an und für sich Vernünftige [...], absoluter unbewegter Selbstzweck" (Rph § 258 und Anm.), durch den die besonderen Zwecke, Interessen und Rechte der einzelnen transzendiert werden. Diese Kritik ist ein deutliches Indiz dafür, daß Hegel die individualistische Deduktionsbasis der neuzeitlichen Rechtsphilosophie verlassen hat: an die Stelle des abstrakten Individualismus, der von Hobbes bis Kant als systembestimmendes Moment der Rechts- und Staatsbegründung dominiert, tritt eine spekulative Konzeption der Subjektivität, die zwar in starkem Maße Ergebnisse des neuzeitlichen Vernunftrechts aufgreift und integriert, aber gerade durch die Konzeption des Staates als "Wirklichkeit der sittlichen Idee" (Rph § 257) und mit der Lehre der Selbstzweckhaftigkeit des Staates zu Ergebnissen gelangt, die mit den Grundüberzeugungen der vorhergehenden Vernunftrechtslehre unvereinbar sind. 26 DC ΧΙΠ, 4: "Per salutatem autem intelligi debet non sola vitae qualitercunque conseruatio, sed quatenus fieri potest vita beata. Nam eo fine homines in civitates institutiuas sponte coiere, vt possent, quamtum conditio fert humana, iucundissimè viuere."
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sieren, nur durch formalisierte Gerechtigkeit Rechnung, d. h. indem sie durch Gesetze, "quae vniuersales sunt" (DC XIII, 3), die Bedingungen der unschuldigen Freiheit ('libertas innoxia', DC XIII, 15), also eines Freiheitsgebrauchs, der mit der Möglichkeit des Rechtsfriedens vereinbar ist, sichert. 27 Aber hierin liegt zugleich die Schranke der staatlichen Fürsorge: sie zielt nur auf die formal-rechtlichen Voraussetzung der Verwirklichung individueller Lebenspläne, indem sie allgemeine Rechtsregeln und durch Schaffung bestimmter Normensysteme wie des Privat- und Strafrechts 28 für die wechselseitige Anerkennung der Bürger als Personen und ihres Besitzes sorgt. Die staatliche Politik gilt insofern nur "der Sicherung der (rechtlichen) Bedingungen für mögliches Streben nach individuellem Glück, nicht aber der Verwirklichung dieses Glücks selbst. [...] Rechtssicherheit, nicht Glücksdistribution ist die Aufgabe, zu deren Erfüllung der Hobbessche Staat verpflichtet ist." 29 In diesem Zusammenhang geht Hobbes wie selbstverständlich davon aus, daß der Souverän durch seine Gesetzgebung eine Gesellschaftsform etabliert, in welcher sich die einzelnen als Rechtspersonen und v. a. als Privateigentümer gegenübertreten. Die Aufgabe der Gesetze besteht also darin, die individuellen Freiheitssphären von einander abzugrenzen und die Eigentumsansprüche der einzelnen festzulegen, wobei Hobbes einen modernen Begriff des Eigentums im Sinne der ausschließenden Verfügungsgewalt über Sachen voraussetzt.30 Hobbes legt allerdings großen Wert auf die Feststellung, daß die staatliche Gewährleistung des Eigentums im Sinne einer ausschließenden Sachherrschaft nicht mit einer absoluten Eigentumsgarantie verwechselt werden darf, durch die auch der Souverän an eigentumsregulierenden Gesetzen oder Maßnahmen der Enteignung gehindert werden könnte.31 Mit der rechtlichen Anerkennung der mit der 'libertas innoxia' verknüpften individuellen Befugnisse, wird die Staatsgewalt zum politischen Subjekt solcher gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen nur die abstrakte Freiheit des Willens, sich im Rahmen des gesetzlich Erlaubten beliebige Zwecke setzen zu 27
Denn sozioökonomischen Gehalt dieser Freiheit skizziert Hobbes im Leviathan folgendermaßen: es handelt sich um "the Liberty to buy, and sell, and otherwise contract with one another, to choose their own aboad, their own diet, their own trade of life, and institute their children as they themselves think fit; & the like" (Lev. XXI, p. 148). 28 Zum Unterschied zwischen Privat- und Strafrecht (lex distributiua bzw. vindicatiua) vgl. DC XIV, 6-7. 29 Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 13. Vgl. auch Cramer , Naturzustand und Vernunft, S. 65 f. 30 DC XIV, 7: "nihil ergo lex agit, nisi ita intelligatur, vt sic tuum sit, vt omnes alij prohibeantur, ne impediant quo minus omni tempore eo possis tuo arbitratu secure vti & frui. Hoc enim est quod requiritur ad proprietatem bonorum, non vt quis iis possit vti, sed possit solus, quod fit prohibendo alios ne sint impedimento." 31 Vgl. hierzu DC ΧΠ, 7, Lev. XXIX, p. 224.
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dürfen, garantiert ist, während die Realisierung der Zwecke bzw. die Beschaffung der adäquaten Mittel den einzelnen als Bewährung in der Konkurrenz überlassen bleibt. Wenngleich aus dem naturrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung bestimmte Grundformen staatlicher Politik abgeleitet werden können (wie ζ. B. das Prinzip der verhältnismäßigen Besteuerung, vgl. DC XIII, 10 f.), so bleibt die konkrete Ausgestaltung dieser vernunftrechtlichen Aufgabe im wesentlichen Sache der politischen Klugheit. 32 Denn welche Maßnahmen "ad conseruationem [...] Pacis" (DC XIII, 9) erforderlich oder welche Gesetze im einzelnen zur Sicherung des Rechtsfriedens notwendig sind, wie hoch die Besteuerung sein muß oder in welcher Weise der Souverän die Ökonomie seines Landes fordert und durch flankierende Maßnahmen betreut 33 - all das ist keiner gesetzlichen Bestimmung a priori fähig. Angesichts von Hobbes' souveränitätstheoretischen Voraussetzungen ist jedoch klar, daß die aus diesem Grundsatz entspringende Verbindlichkeit nur eine Gewissenspflicht des Herrschers sein kann, aus der keine korrespondierenden Rechte des Volkes entspringen können. Der nicht-reflexive Charakter der Rechtsordnung schließt es aus, daß der Inhaber der souveränen Staatsgewalt mit Mitteln des Rechts, d. h. durch Unterordnung unter das Rechtsurteil einer höheren Instanz, an den Zweck der Vergesellschaftung gebunden werden kann. 34 Was auf der anderen Seite die Rechtsstellung der Untertanen betrifft, so hält Hobbes an der Einsicht fest, daß die bürgerlichen Freiheiten (mit Ausnahme des natürlichen Rechtes der Selbsterhaltung) aus dem gesetzlichen Willen des Souveräns hervorgehen, folglich Akte hoheitlicher Gewährung, keinesfalls aber Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates in die Freiheitssphäre des einzelnen sind, wie dies die liberale Grundrechtstheorie und das deutsche Bundesverfassungsgericht behaupten. Auch wenn die Staatsgewalt ihren Bürgern die Möglichkeit einräumt, gegen staatliche Maßnahmen die Gerichte anzurufen und auf diese Weise ihre Politik auf bestimmte Rechtsnormen
32 Hobbes bezeichnet das "summi imperij [...] exercitium" - das Stichwort Politik, das wir heute in diesem Zusammenhang erwarten würden, fällt in De Cive nur an entlegener Stelle (XVn, 12) - auch als eine Kunst' (DC ΧΙΠ, 2-3), die nicht auf a priori demonstrierbaren Prinzipien beruht, sondern zur 'prudentia', d. h. zu den auf Erfahrung gründenden Kenntnissen gehört. Nur für die Politik (als Staatskunst bzw. als kluge Regierungspraxis), nicht aber für die Rechtslehre, gilt also die Aristotelische Behauptung, daß sie wegen der mangelnden Bestimmtheit ihrer Prinzipien nicht in den Rang einer strengen Wissenschaft erhoben werden kann; vgl. Nikomachische Ethik I, 1; 1094 b 12 ff.. 33 Diesem Thema ist insbesondere das XXIV. Kapitel des Leviathan gewidmet, das einige Grundzüge der auf Privateigentum, Lohnarbeit und Warenproduktion beruhenden politischen Ökonomie der modernen bürgerlichen Gesellschaft enthält. Der entscheidende Gesichtspunkt ist für Hobbes, daß die Staatsgewalt in der Sphäre der Ökonomie im wesentlichen nur durch die rechtliche Gewährleistung des Privateigentums und durch fiskalpolitische Maßnahmen in Erscheinung tritt. 34 Tuschling, Rechtsform und Produktionsverhältnisse, S. 49 f., 81 f.
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und Möglichkeiten der gerichtlichen Überprüfung festlegt, folgt daraus nicht, daß die Staatsgewalt an ihre eigenen Gesetze gebunden ist. Denn was Bindung der Staatsorgane an die Menschen- bzw. Grundrechte im einzelnen bedeutet, wird durch eines der Staatsorgane selbst - eben das Bundesverfassungsgericht - entschieden.35 Wenn bisher betont worden war, daß mit dem Übergang in den status civilis die Bedingungen geschaffen werden, unter denen die natürlichen Gesetze Rechtsverbindlichkeit erlangen, so muß diese Aussage nunmehr dahingehend präzisiert werden, daß die Positivierung der natürlichen Gesetze überhaupt im 35
Sowohl im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als auch in den einschlägigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes wird dieser Sachverhalt bis zur Unkenntlichkeit verschleiert. Nach Art. 1 Abs. 3 GG ist die Staatsgewalt in ihren verschiedenen Abteilungen ("Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung") an die in den Art. 1-19 GG enthaltenen Grundrechte "als unmittelbar geltendes Recht" gebunden; welche rechtlichen Konsequenzen sich jedoch aus den "unverletztlichen und unveräußerlichen Menschenrechten" (Art. 1 Abs. 2 GG) ergeben und welche Einschränkungen mit dem Wesensgehalt' der Grundrechte vereinbar ist, darüber entscheidet in verbindlicher und letztinstanzlicher Weise die Staatsgewalt in Gestalt einer ihrer verfassungsrechtlich fixierten Gewalten (d. h. in Gestalt des Bundesverfassungsgerichtes) selbst. Das Bundesverfassungsgericht seinerseits hat in diversen Entscheidungen betont, "daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist" (BVerfGE 6, 32 (41)), um in anderen Zusammenhängen festzustellen, daß das "Menschenbild" des Grundgesetzes "nicht das des selbstherrlichen Individuums, sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfaltig verpflichteten Persönlichkeit" ist (BVerfGE 33, 1 (10 f.)), mit deren Menschenwürde es sehr wohl vereinbar ist, wenn der einzelne "nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts [ist], insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fugen muß" (BVerfGE 30, 1 (25)). Das angeblich absolute und unmittelbar geltende Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit wird schon im Grundgesetz selbst nicht nur durch die Rechte anderer begrenzt durch die gleichen "Rechte anderer", sondern nur insoweit gewährleistet, als es "nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt" (GG Art. 2 Abs. 1). Was die Einschränkung der staatsbürgerlichen Freiheit durch die Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung angeht - eine Klausel, die der prinzipienlosen Freiheitseinschränkung auf dem Wege höchstrichterlicher Entscheidungen Tür und Tor öffnet - hat das Bundesverfassungsgericht konsequent genutzt, wenn es die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch "die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung" sowie durch "das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß" (BVerfGE 34, 238 (248)) relativiert. Die offenkundige Widersprüchlichkeit dieser Entscheidungen hat ihren Grund nicht - wie oftmals gegen die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichtes eingewandt wird - im Methodensynkretismus' der Verfassungsrichter, sondern im widersprüchlichen Status der Grundrechte selbst, die als elementare Verfassungsprinzipien einerseits dem Willen und Wirken der Staatsgewalt vorherzugehen scheinen und denen andererseits aufgrund ihrer hoheitlichen Gewährung bestimmte Schranken immanent sind.
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Rahmen einer durch die souveräne Zwangsgesetzgebung konstituierten Rechtsordnung geschieht. Zieht man den eigentümlichen Formalismus der natürlichen Gesetze in Betracht, der sie zu rein formalen Prinzipien einer jeden möglichen Rechtsordnung werden läßt, durch die wiederum keine bestimmten Handlungen ausgezeichnet werden, dann ergibt sich schon allein daraus ein "bis dahin unbekannte[r] Spielraum für positivrechtliche Normierungen im Sinne freier Rechtsschöpfüng". 36 Aber aufgrund des formalen und handlungsindifferenten Charakters der natürlichen Gesetze kann ihre Positivierung und ihre Verwandlung von Gewissensregeln in zwangsbewährte Normen nicht bloß bedeuten, daß sich die Art ihrer Verbindlichkeit ändert, während der Inhalt der Pflichten derselbe bliebe.37 Der souveräne Zwangsgesetzgeber ist daher auch nicht bloß der Erfüllungsgehilfe eines schon bestehenden Komplexes von Gerechtigkeitsnormen, wie Warrender annimmt.38 Zwar scheint auch Hobbes mit seiner Behauptung, daß Naturrecht (im Sinne der in der lex naturalis enthaltenen Normen) und positives Recht (als die durch den Staat verbürgte Rechtsordnung) nicht zwei hinsichtlich ihres Geltungsgrundes verschiedene Normensysteme sind, sondern einander wechselseitig bedingen39, den Unterschied zwischen status naturalis und status civilis auf den "Wandel in den Bedingungen der Erfüllung der natürlichen Gesetze"40 zu reduzieren. Gemäß dieser "mutual containement thesis"41 unterscheiden sich Naturzustand und staatliche Rechtsordnung nicht dadurch, daß dort ausschließlich die Normen des natürlichen, hier allein die Normen des positiven Rechts gelten würden - beide stellen die möglichen Fälle der Geltung des Naturrechts selbst dar. Mit dem exeundum ist deshalb nach dieser Lesart auch kein Verschwinden, kein Geltungsverlust des naturrechtlichen Normenkatalogs, sondern vielmehr ihre Verwandlung in erzwingbare Rechtspflichten verbunden. Aber diese von Hobbes an manchen Stellen seiner Schriften nahegelegte Deutung greift zu kurz. Die Positivierung des Rechts bedeutet nämlich in Wahrheit nicht in erster Linie die Verrechtlichung eines seinen Bestimmungen nach - vorgegebenen naturrechtlichen Normensystems, sondern vielmehr die Schaffung eines "System[s] qualitativ neuer Ansprüche, Pflichten und Gesetze", d. h. Schaffung von "Verhältnisse[n] des objektiven 36
Ilting, Naturrecht und Sittlichkeit, S. 82. Taylor, The Ethical Doctrine of Hobbes, pp. 43-44; Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 75. 38 Warrender , The Political Philosophie of Hobbes, p. 28: "Hobbes's civil souvereign [...] is concerned with the fulfilment of validating conditions of obligation, in a system of rights and duties that he does not himself control or create except in the most trivial sense." 39 "The Law of Nature, and the Civili Law contain each other, and are of equall extent" (Lev. XXVI, p. 185). 40 Geismann/Herb , Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 31. 41 So der Ausdruck von Kavka, Hobbesian Moral and Political Theory, p. 248. 37
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Rechts".42 Aber gerade im XXVI. Kapitel des Leviathan , wo Hobbes seine Theorie der staatlichen Gesetzgebung entwickelt, wird mit Nachdruck die vernunftrechtliche Funktionsbestimmung des positiven Rechts betont, das die Forderung der Rechtsvernunft realisiert, indem es Regeln des äußeren Freiheitsgebrauchs aufstellt: "Law was brought into the world for nothing else, but to limit the naturali liberty of particular men, in such manner, as they might not hurt, but assist one another, and joyn together against a common Enemy" (Lev. XXVI, p. 185).
Zunächst aber bleibt die Frage zu beantworten, warum denn eine wie auch immer geartete "societas mutui auxilij" auf freiwilliger Basis (DC V, 4) die Gewährleistung allgemeiner Rechtssicherheit nicht übernehmen kann. Sie ist dazu nicht in der Lage, weil eine solche vom Belieben ihrer Mitglieder abhängige 'societas' bestenfalls zur Gemeinschaftlichkeit eines besonderen Handlungszweckes führt. Die Übereinstimmung der Handlungen dieser Gemeinschaft bleibt zufällig und der Willkür der einzelnen anheimgestellt: im Konflikt- und Zweifelsfalle steht es im Belieben der einzelnen, ihr Sonderinteresse dem Zweck des Ganzen vorzuziehen. Solange die Vergesellschaftung nicht über den Status einer durch die Gemeinschaftlichkeit des Zweckinteresses gebildeten "conspiratio plurium voluntatum ad eundem finem" (DC V, 6) hinauskommt, die den wechselnden Interessenslagen ihrer Mitglieder unterworfen ist, wird der Naturzustand nicht verlassen. Gegenüber der klassischen politischen Philosophie erhebt Hobbes in De Cive den Vorwurf, daß sie die Notwendigkeit der Aufhebung individueller Willkür und damit das rechtliche Spezifikum der staatlichen Willenseinheit verkannt habe. Insbesondere Aristoteles habe in seiner Politik den Staat mit einer "multitudo hominum" verwechselt, die sich durch gemeinsame Übereinkunft auf bestimmte "formulas viuendi", d. h. Regeln des tugendhaften Zusammenlebens, einigt (DC XIV, 2). Ein solcher nicht-institutionalisierter Konsens ("consensio [...], siue societas contracta, sine potestate aliquâ communi", DC V, 5) 4 3 erzeugt jedoch keine dauerhafte rechtsverbindliche Übereinstimmung des Willens aller, sondern nur "nuda & invalida pacta": "Ex quo sequitur consensionem plurium, (quae consistit in eo tantum, vt precedente sectione definitimi est, quod actiones suas, omnes ad eundem finem, & bonum commune dirigant) hoc est, societatem mutui tantùm auxilij, non praestare consentientibus, siue sociis, securitatem quam quaerimus exercendi inter se ipsos leges naturœ supra dictas; sed oportere amplius quiddam fieri, vt qui semel ad pacem, & mutuum auxilium, causâ communis boni consenserint, ne posteà, cum bonum suum 42
Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 226; vgl. auch Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 130; Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 27. 43 "Consensio itaque, siue societas contracta, sine potestate aliquâ communi, per quam metu pcenae singuli regantur, non sufficit ad securitatem quae requiritur ad exercitium iustitiœ naturalis" (DC V, 5).
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aliquod priuatum à communi discrepauerit, iterùm dissentiant, metu prohibeantur" (DC V, 4).
Wenn also die bloß willkürliche Zweckvereinigung niemandem die notwendige Sicherheit seiner Rechte gewährt, muß die 'societas civilis' mehr sein als eine bloß willkürliche Zweckgemeinschaft (im Sinne der privatrechtlichen societas). Sie muß insbesondere dem Problem der Rechts- und Befolgungssicherheit dadurch Rechnung tragen, daß sie die Konstitution des Willens aller als unbedingte Unterwerfung der einzelnen unter eine solche Zwangsgewalt organisiert, die durch Ausstattung mit dem "summum Imperium" 44 und mit entsprechenden souveränen Machtmitteln die Aufhebung der privaten Willkür erst möglich macht. Eine dauerhafte rechtliche Übereinstimmung des Willens aller wird nur im Rahmen einer institutionellen Lösung erreicht, in der alle einzelnen eine vertraglich geschaffene souveräne Gewalt als ihren Repräsentanten, als Verkörperung ihres eigenen Rechtswillens anerkennen.45 Erst die Unterwerfung aller unter einen 'machthabenden Willen' (Kant) schafft also die spezifisch politische Einheit des Staates. Nur von einer solchen Vereinigung in einer repräsentativen Körperschaft kann gesagt werden, sie sei "more than Consent, or Concord; it is the reali Unitie of them all, in one and the same Person" (Lev. XVII, p. 120). Die Lösungsformel der eingangs formulierten Problemstellung, von welcher die Staatskonstruktion ihren Ausgang nimmt, lautet also: rechtlicher Friede und staatsbürgerliche
Freiheit durch vertrag-
liche Unterwerfung. Die rechtliche Spezifik dieses Unterwerfungsaktes, die Hobbes im Rahmen seiner Lehre vom staatsbegründenden Vertrag näher analysiert, soll erst an späterer Stelle weiter verfolgt werden. Hier soll zunächst nur das Resultat des Unterwerfungsaktes, die Konstitution der Staatspersönlichkeit, betrachtet werden, weil dieses Lehrstück schon für sich genommen eine bleibende Leistung des Thomas Hobbes darstellt und zugleich den Übergang zu einem modernen Staatsbegriff bedeutet, der die an den Vorgaben der Aristotelischen Politik orientierten Vorstellungen überwindet.
2. Die Rechtspersönlichkeit des Staates Als entscheidende Leistung der Hobbesschen Staatslehre gilt zumeist die konsequente Ausgestaltung der Souveränitätslehre. Hobbes befindet sich in 44
Den Begriff "summum imperium" benutzt Hobbes als lateinisches Synomym finden Begriff der "Soveraign Power" bzw. "Sovereignty". 45 DC ΙΠ, 20; V, 6; Kant , EF, AA Vm, S. 3716_12: "Freilich ist das Wollen aller einzelnen Menschen, in einer gesetzlichen Verfassung nach Freiheitsprincipien zu leben (die distributive Einheit des Willens Aller), zu diesem Zweck nicht hinreichend, sondern daß Alle zusammen diesen Zustand wollen (die collective Einheit des vereinigten Willens), diese Auflösung einer schweren Aufgabe, wird noch dazu erfordert, damit ein Ganzes der bürgerlichen Gesellschaft werde".
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dieser Hinsicht in Übereinstimmung mit Jean Bodin, auf dessen Buch Six
livres de la republique er sich in den Elements beruft. 46 Wie Bodin versteht Hobbes unter Souveränität den Inbegriff der unveräußerlichen und unteilbaren
staatlichen Kompetenzen, über die der Inhaber der obersten Staatsgewalt verfügen muß, um überhaupt herrschen zu können und die ihn in eine absolute Rechtsposition gegenüber den Untertanen versetzten: "Imperium autem quo maius ab hominibus in hominem transferri non potest, vocamus ABSOLVTVM. Quicunque enim voluntatem suam ita voluntati ciuitatis subiecit, vt quidlibet possit impunè facere, leges condere, lites iudicare, pcenas sumere, viribus & opibus omnium suo arbitrio vti, atque haec omnia iure; sanè imperium ei maximum quod concedi potest, concessit" (DC VI, 13). 47
Der aus dem Beweis der juridischen Notwendigkeit des Staates gewonnene Begriff der Souveränität als oberster und unteilbarer Gesetzgebungs- und Rechtsexekutionsinstanz führt Hobbes - auch in diesem Punkt in Übereinstimmung mit Bodin - folgerichtig zu einer kritischen Betrachtung der ständischen Gliederung der Gesellschaft. Obwohl er selbst Zeit seines Lebens in den Diensten führender Aristokraten stand, macht er sich als Rechts- und Staatsphilosoph keineswegs zum Anwalt ständischer oder monarchistischer Interessen, sondern entwickelt aus der Einsicht in die souveränitätstheoretischen Konsequenzen des neuzeitlichen Staates die Notwendigkeit der "Konzentrierung des öffentlichen Rechts"48, d. h. der Monopolisierung aller öffentlichrechtlichen Kompetenzen in den Händen des Souveräns, bei gleichzeitiger Ausschaltung (a) aller feudal-ständischen Zwischeninstanzen, (b) Zerstörung aller korporativen Vereinigungen, soweit sie eine vom souveränen Willen unabhängige Existenz für sich beanspruchen, und schließlich (c) Beseitigung
46 Elements XXVÏÏ, 7; Hobbes verweist auf die lateinische Fassung von Bodins Buch. Es handelt sich um eine der äußerst seltenen Stellen, an denen Hobbes auf die Übereinstimmung seiner Rechtsphilosophie mit einem neuzeitlichen Autor verweist; dagegen finden sich die Namen der beiden anderen wichtigen Vertreter der frühneuzeitlichen politischen Philosophie - Machiavelli und Grotius - weder in Hobbes' Schriften noch in seinen (im Jahre 1994 von Noel Malcolm edierten) Briefen. Zu Hobbes' Verhältnis zu Machiavelli vgl. aber Saxonhouse, Hobbes and the Beginnings of Modern Political Thought, pp. 124-126. 47 Vgl. auch die Aufzählung souveräner Kompetenzen in DC VI, 18: "Imperij autem summi notas sunt has, leges condere, & abrogare ; Bellum & pacem decernere; controuersias omnes per se vel per iudices à se constitutes cognoscere , & diiudicare, Magistrates, Ministros, Consiliarios omnes eligere"; sowie die Aufzählung der Rechte, welche die "Essence of Soveraignty" ausmachen, im XVIII. Kapitel des Leviathan. 48 Tönnies, Hobbes' Leben und Lehre, S. 216 f. Rod (Thomas Hobbes, S. 167) spricht von der "Absorption aller partikulären rechtlich geordneten Gemeinschaften durch den Staat". Den antifeudalen, gegen die Nobilität gerichteten Charakter der Hobbesschen Staatstheorie betont auch Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 26-27.
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aller sonstigen aristokratischen Privilegien. 49 Es ist bemerkenswert, wie konsequent sich Hobbes mit seiner Forderung nach Verallgemeinerung der staatlichen Herrschaftskompetenzen über die in Europa noch bestehenden ständisch-korporativen Verankerungen des einzelnen hinwegsetzt und seine Begründung der Notwendigkeit von Staat und Recht hinsichtlich ihrer Prämissen streng individualistisch konzipiert. Daß Hobbes' Souveränitätslehre ohne jeden Rekurs auf ständisch-intermediäre Elemente auskommt, bedeutet keineswegs, daß er die Möglichkeit der begrenzten Übertragung politischer Kompetenzen auf intermediäre Instanzen und die Möglichkeit der Existenz von juristischen Körperschaften unterhalb der Ebene des Staatsrechts der Souveränität geleugnet hat, wohl aber, daß solchen Institutionen eine vom politischen Staatswillen unabhängige staatsrechtliche Kompetenz zukommen könnte.50 Infolgedessen bestreitet Hobbes entschieden die Vereinbarkeit der in Europa noch existierenden Restbestände adeliger Privilegien mit den souveränitätsfunktionalen Anforderungen des modernen Staates. Er begrüßt nicht nur im Namen einer "just and rationall Judicature" die Abschaffung der aristokratischen Gerichtsprivilegien 51, sondern erklärt aristokratische Privilegien, wie ζ. B. das "Right of certain persons, to have place in the highest Councell of State by Inheritance", für "inconsistent with the Soveraign Power" (Lev. XXX, pp. 242, 243), weil hierdurch der Eindruck erweckt wird, es könne unabhän-
49 Zur Theorie der (untergeordneten öffentlichen und privatrechtlichen) Korporationen, die Hobbes in Kapitel ΧΧΠ des Leviathan ("Of Systems Subject, Politicali, and Private") ausführlich analysiert, vgl. Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, pp. 172-196. 50 Nur am Rande sei bemerkt, daß Hobbes nicht die historische Existenz von Staaten bzw. Staatsformen bestreitet, in denen das Prinzip der Souveränität nicht durchgeführt ist, in denen sich also die Staatsgewalt nicht als rechtlich unbedingter, einheitlicher politischer Wille konstituiert; vgl. Lev. XIX, pp. 133-135 (zur Frage der Anwendbarkeit der souveränitätstheoretischen Staatsformenlehre), XXIX, p. 228 (über die "mixt monarchy"). 51 "These properties of just and rationall Judicature considered, I cannot forbeare to observe the excellent constitution of the Courts of Justice, established both for Common, and also for Publique Pleas in England. [...] For whereas there were two orders of men, whereof one was Lords, the other Commons; The Lords had this Priviledge, to have for Judges if the plea were publique in all Capitali crimes none but Lords; [...] which being ever acknowledged as a Priviledge of favour, their Judge were none but such as they had themselves desired" (Lev. ΧΧΠ, p. 169). - Auch in der Kantischen Rechtslehre ist für den Adel als "erblichen Mittelstand zwischen ihm [sc. dem Souverän, D.H.] und den übrigen Staatsbürgern" kein Platz mehr; bei dem Adelsprivileg handelt es sich vielmehr um einen "widerrechtlich ertheilten erblichen Vorzug" bzw. um eine "Anomalie", die sich aufgrund historischer Zufalle "in das Maschinenwesen einer Regierung von alten Zeiten [...] eingeschlichen" hat und die nur noch solange fortbestehen darf, "bis selbst in der öffentlichen Meinung die Eintheilung in Souverän, Adel und Volk der einzigen natürlichen in Souverän und Volk Platz gemacht haben wird" (RL § 49 D; AA VI, S. 329).
12 Hüning
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gig von der öffentlichen Zwangsgewalt des Souveräns noch besondere öffentlich-rechtliche Kompetenzen der Stände geben - nicht ohne über die Vorstellung, es gäbe eine angeborene Befähigung zum Ratgeber in öffentlichen Angelegenheiten, und über den entsprechenden aristokratischen Dünkel seinen beißenden Spott auszugießen: "Good Corniseli comes not by Lot, nor by Inheritance; and therefore there is no more reason to expect good Advice from the rich, or noble, in matter of state, than in delineating the dimension of a fortress; unlesse we shall think there needs no method in the study of the Politiques, (as there does in the study of Geometry,) but onely to be lookers on; which is not so. For the Politiques is the harder study of the two" (Lev. XXX, pp. 242-243) 52
Die Erfassung der im Begriff der Souveränität liegenden Implikationen führt Hobbes dazu, die komplexe und vielschichtige Gliederung der ständischen Gesellschaft durch die eindeutige vertikale Herrschaftsrelation zwischen Souverän und Untertan zu ersetzen. Indem Hobbes staatliche Souveränität in der Form der abstrakten Beziehung zwischen der Staatsgewalt und ihren Untertanen begreift, entdeckt er ein zentrales Element moderner Staatlichkeit überhaupt, nämlich das staatliche Gewaltmonopol und die "Idee einer unmittelbaren (das heißt also: nicht mehr feudal oder ständisch vermittelten) Vertikalbindung von Regierenden und Regierten und einer daraus folgenden direkten Durchgriffsmöglichkeit der Staatsgewalt auf ihre Bürger". 53 Indem Hobbes die souveränitätstheoretische Logik des Staatsbegriffs konsequent zu Ende denkt, gelangt er schließlich auch zu einer Kritik des sowohl in den zeitgenössischen englischen wie den kontinentalen Verfassungslehren verbreiteten Gedankens des "fundamental law". Durch ein derartiges ständisches Verfassungsgesetz 54 sollte dem Inhaber der Staatsgewalt zwar im Hinblick auf die
52 In diesen Zusammenhang der souveränen Konstruktion des modernen Staates gehören auch Hobbes' Ausführungen über den Begriff der Ehre. Honor' bedeutet im römischen Recht ursprünglich nicht nur die Würde, sondern die reale Macht eines Amtes bzw. die mit dem jeweiligen Amt verknüpfte Kompetenz (vgl. hierzu Mommsen, Römisches Staatsrecht. Erster Band, S. 8). Demgegenüber degradiert Hobbes 'honour' zu einem bloßen Ehrentitel ohne herrschaftliche Bedeutung. Diese Verwandlung adeliger Privilegien in bloße Ehrenämter bzw. -titel, die Hobbes selbst als Form der Durchsetzung des souveränen Staates reflektiert, geschieht - so seine interessante Begründung - "for reasons of good and peaceable government": "Titles of Honour , such as are Duke, Count, Marquis, and Baron, [...] were in old times titles of Office, and Command. [...] In processe of time these offices of Honour, by occasion of trouble, and for reasons of good and peaceable government, were turned into meer Titles; serving for the most part, to distinguish the precedence, place and order of subjects in the Common-wealth" (Lev. X, pp. 68-69). 53 Mayer-Tasch, Politische Theorie des Verfassungsstaates, S. 24. 54 Das klassische Dokument eines derartigen "fundamental law" ist die englische Magna charta, die (neben dem Common Law) als Berufungsinstanz fur den Wider-
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einfache Gesetzgebung eine souveräne Rechtsposition zugebilligt werden, die staatliche Herrschaft zugleich aber durch Bindung der legitimen Herrschaft an einen verfassungskonstituierenden Fundamentalvertrag juristisch eingeschränkt werden. 55 Ausgangspunkt dieser verfassungsrechtlichen Vorstellung war die Unterscheidung zwischen einfachen gesetzgeberischen Akten und solchen Akten, durch welche die gesetzgebende Gewalt ihrerseits erst konstituiert wird, kurz: der materielle Unterschied zwischen Gesetz und Verfassung. Den Hintergrund dieser Unterscheidung bildet seinerseits die traditionelle verfassungsrechtliche Konzeption einer von der bestehenden Staatsgewalt verschiedenen "majestas realis", die der 'communitas1 als eigentlichem naturrechtlichen Subjekt der Staatsgewalt und (ideellem) Verfassungsgeber zukommt. Hobbes bestreitet demgegenüber, daß ein derartiges Fundamentalgesetz seinem materiellen Gehalt nach irgendeine einschränkende zwangsrechtliche Bedeutung für die Betätigung der Staatsgewalt und ihrer Organe besitzen könne. Für ihn existiert nur ein "Fundamentall Law in every Common-wealth [...] without which the Common-wealth cannot stand" (Lev. XXVI, p. 200), weil es die Grundbedingung der möglichen Wirksamkeit staatlicher Herrschaft enthält: es ist das natürliche Gesetz als diejenige vernunftrechtliche Grundnorm, "by which Subjects are bound to uphold whatsoever power is given to the Soveraign [...]" (Lev. XXVI, pp. 199-200).56 So wie Hobbes bereits aus prinzipiellen souveränitätstheoretischen Erwägungen heraus die Möglichkeit einer positiv-rechtlichen Bindung der Staatsgewalt bestritten hatte, weil eine solche rechtliche Bindung zugleich einen kompetenten, mit Zwangsbefiignissen ausgestatteten Richter verlangt, in dessen Belieben es liegt, die bestehende Autorität in Frage zu stellen, so leugnet er aus den gleichen systematischen Gründen auch die Möglichkeit der Bindung staatlicher Herrschaft an ein "fundamentall law" im Sinne der zeitgenössischen Verfassungstheorie. Eine derartige Einschränkung der Staatsgewalt durch spezifisch verfassungsrechtliche Grundnormen ist mit dem Begriff der Souveränität, insbesondere mit der rechtlichen Letztentscheidungskompetenz unvereinbar und würde zu den gleichen unlösbaren Schwierigkeiten führen wie der Gedanke der Bindung an positive Gesetze, da im Falle eines Verstoßes gegen die verfassungsrechtliche Grundnorm der Inhaber der Staatsgewalt entweder Richter in eigener Sache wäre und somit die Möglichkeit einer Anklage ent-
stand des Parlamentes gegen die Krone in der englischen Revolution eine wichtige Rolle spielte. 55 Zur Annahme einer verfassungsrechtlichen Einschränkung der Souveränität durch "leges fundamentales" vgl. Gierke , Althusius, S. 286 ff. 56 Vgl. Behemoth, pp. 67-68: "For I understand not how one law can be more fundamental than another, except only that law of nature that binds us all to obey him, whosoever he be, whom lawfully and for our own safety, we have promised to obey; nor any other fundamental law to a King, but salus populi , the safety and well-being of his people." 12*
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fallt, oder einer höheren Instanz unterworfen wäre, wodurch das Problem des 'quis judicabit?' nicht gelöst, sondern auf anderer Ebene reproduziert würde. 5 7 Aber Hobbes geht nicht nur dadurch über Bodin hinaus, daß er die Formen der Herrschaftslimitation, die Bodin noch angenommen hatte 58 , bestreitet und so die Absolutheit des Souveräns auf die Spitze treibt, sondern v. a. dadurch, daß er sich die Aufgabe stellt, die souveräne Rechtszwangsgewalt philosophisch zu fundieren, indem er ihre rechtliche Notwendigkeit aus dem Naturzustandsargument und ihre rechtliche Möglichkeit aus der Theorie des staatsphilosophischen Kontraktualismus gewinnt. 59 Die Frage nach dem Wesen des Staates ist daher keine politische, sondern eine rechts- bzw. staatsphilosophische Frage. Durch das Programm einer rechtsphilosophischen Legitimation staatlicher Herrschaft unterscheidet sich die Hobbessche Rechtsphilosophie übrigens auch von der Wissenschaft der Politik als Lehre von der Staatsräson, obwohl - wie Strauss betont - sowohl die Lehre von der Staatsräson als auch die rechtsphilosophische Begründung der Souveränität "durch den gleichen Geist", d. h. durch die Entgegensetzung gegen die klassische, aristotelische Politik bestimmt sind: "Die Schule der 'Staatsräson' ersetzte 'das beste Regime' durch "wirksame Regierung'. Die Schule des 'natürlichen öffentlichen Rechts' ersetzte 'das beste Regime'
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Auch Rousseau schließt aus souveränitätstheoretischen Gründen eine rechtliche Bindung der volonté générale an ein vorhergehendes Verfassungsgesetz aus; selbst der Gesellschaftsvertrag, der die Bedingungen legitimer Herrschaft formuliert, kann im Hinblick auf den souveränen Willen des Volkes nicht als verbindliche Norm gedacht werden. Vgl. CS I, 7; OC ΙΠ, p. 362: "il est contre la nature du corps politique que le Souverain s'impose une loi qu'il ne puisse enfreindre. Ne pouvant se considérer que sous un seul et même rapport il est alors dans le cas d'un particulier contractant avec soi-même: par où l'on voit qu'il n'y a ni ne peut y avoir nulle espece de loi fondamental obligatoire pour le corps du peuple, pas même le contract social." CS ΙΠ, 18; OC ΠΙ, p. 436: "je crois avoir démontré, savoir qu'il n'y a dans l'Etat aucune loi fondamentale qui ne se puisse révoquer, non pas même le pacte social". Vgl. auch Lettres écrites de la montagne VH, OC m, p. 826; Pologne, OC m, p. 996; Emile V, OC IV, p. 840. 58 Nach Bodin (Les Six Livres de la République I, 8; pp. 132-134) ist der Souverän sowohl an die Verträge, die er mit den Untertanen schließt, als auch an das eventuell vorhandene Verfassungsgesetz des Staates gebunden; vgl. hierzu Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft, S. 228 f.; Goldsmith, Hobbes's Science of Politics, pp. 144148; Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 59-61; Krautheim, Die Souveränitätskonzeption in den englischen Verfassungskonflikten, S. 347 f.; Quaritsch, Souveränität, S. 51-56. 59 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 458; Krautheim, Die Souveränitätskonzeption in den englischen Verfassungskonflikten, S. 333, 339: "Hobbes hat [...] als erster, und dies unterscheidet ihn ganz zentral von Bodin, in seiner Philosophie nachgewiesen, warum eigentlich der moderne Staat an seiner Spitze einen Souverän haben muß. [...] Hobbes hat mit seiner Theorie eigentlich erst die Notwendigkeit von Souveränität für die Gesellschaft seiner Zeit bewiesen. Insofern unterschied er sich fundamental von Bodin, der es bei der Konstatierung von Souveränität belassen hatte."
I. Staatsrecht und Souveränität
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durch 'die rechtmäßige Regierung'. [...] Die Souveränitätslehre ist eine Rechtslehre. Ihr Kern besteht nicht in der Zweckmäßigkeit der Zuweisung von Machtfülle an die herrschende Autorität, sondern darin, daß jene Machtfülle der herrschenden Gewalt rechtmäßig gehört. Die Rechte der Souveränität werden der höchsten Gewalt nicht auf der Grundlage eines positiven Gesetzes oder allgemeinen Brauchs, sondern des Naturrechts zugewiesen. Die Souveränitätsdoktrin formuliert natürliches öffentliches Recht." 60 Die spezifisch rechtsphilosophische Adaption des Souveränitätsbegriffes findet ihren Ausdruck in dem Umstand, daß Hobbes, um die rechtlichen Eigenschaften der durch die Unterwerfung der einzelnen geschaffenen Zwangsanstalt zu bestimmen, auf die aus dem Römischen Recht stammende Konzeption der juristischen Persönlichkeit zurückgreift. 61 Obwohl sich der Terminus "persona civitatis" schon bei Cicero findet und von ihm auch zur Bezeichnung einer Repräsentativfunktion benutzt w i r d 6 2 , haben weder die antike noch die mittelalterliche politische Philosophie einen präzisen Begriff der Staatspersönlichkeit ausgebildet; was sie daran hinderte, war die Vorstellung, daß der Staat eine durch die lex naturae konstituierte 'societas juris', eine Gemeinschaft von Menschen darstellt, die durch das Recht in ihrem natürlichen Streben vereinigt sind. Auf dieser Grundlage bestand nicht nur kein Bedarf für die Ausbildung eines Begriffs der Staatspersönlichkeit, vielmehr war - jedenfalls solange sich die Staatslehre in den Bahnen des politischen Aristotelismus bewegte - insbesondere der Gedanke der abstrakten Willenseinheit, der für die Hobbessche 'persona civitatis' kennzeichnend ist, systematisch ausgeschlossen, hatte Aristoteles doch gegen Piaton die Auffassung vertreten, daß der Gedanke der staatlichen Gemeinschaft gerade auf der Viel-
60 Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 197 f. - Die rechtsphilosophische Intention der Hobbesschen Souveränitätslehre betont auch Brandt (Der Autor des Leviathan, S. 155): "Beide [Hobbes und Kant, D.H.] sind [...]der Meinung, daß die von ihnen unternommene Kompetenz- und Befugnisbestimmimg von Bürger und Befehlshaber rechtlicher und nicht politischer Natur ist. Die einschlägigen Schriften von Hobbes mögen nach angelsächsischem Sprachgebrauch unter 'politics' rangieren, in der Tradition des Naturrechts, in der Hobbes und Kant stehen, ist das bezeichnete Problem grundsätzlich eine Rechtsfrage und nicht eine Frage der bloßen Erfahrung und der aus ihr zu gewinnenden politischen Klugheit, wie sie es ζ. B. für Machiavelli wäre." 61 Heilfron, Römische Rechtsgeschichte, S. 232 f.: "Das römische Recht erkennt als rechtsfähige Subjekte außer den natürlichen auch die juristischen Personen an, d. h. gewisse Personenvereinigungen und sonstige Organisationen, nämlich: Körperschaft, corpus, collegium, universitas (sc. personarum) [...] ist eine vom Rechte zu einer Einheit zusammengesetzte und als selbständiges Rechtssubjekt behandelte Personenmehrheit. Durch ihre Rechtsfähigkeit unterscheidet sich die universitas streng von der societas, dem vertragsmäßigen Zusammenschlüsse bestimmter Teilnehmer zur Errichtung bestimmmter Zwecke. Die juristische Person ist ein Rechtssubjekt, die Sozietät ein bloßes RechtsVerhältnis" 62 Cicero, De officiis I, 124: "Est igitur proprium munus magistratus intellegere se gerere personam civitatis".
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
heit aufbaue und daher als Einheit von verschiedenen Elementen begriffen werden müsse.63 Erst in dem Maße, in dem der Glaube an die einheitsstiftende Kraft der lex naturae-Konzeption schwand, konnte sich ein Staatsbegriff durchsetzen, der sich nicht in der Verwirklichung einer immer schon vorhandenen Rechtsgemeinschaft erschöpfte, sondern der umgekehrt diejenige Institution darstellt, durch deren Zwangsgesetzgebung Rechtsverhältnisse unter Menschen überhaupt erst rechtlich möglich werden. Die rechtliche Identität einer Menschenmenge entsteht einzig und allein durch Vereinigung des Willens aller in einem Willen, d. h. durch Schaffung einer juristischen Person als einer von ihnen unabhängigen Instanz, also durch Schaffung der repräsentativen Staatspersönlichkeit. Unabhängig bzw. getrennt von der Staatsverfassung existieren die Menschen lediglich als "multi tudo", als bloßes Aggregat von empirischen Einzelwillen, denen keine gemeinsame rechtliche Qualität, kein identischer Wille zugesprochen werden kann. In dieser künstlich geschaffenen Einheit des Willens ("in vnam personam [...] coalitâ", DC VI, 1) liegt nach Hobbes das Wesen des Staates: "Quid sit ciuitas. Vnio autem sie facta, apellatur ciuitas , siue societas ciuilis , atque etiam persona ciuilis ; nam cum vna sit omnium voluntas , pro vnâ personâ habenda est; & nomine vno ab omnibus hominibus particularibus distinguenda & dignoscenda, habens iura sua, & res sibi proprias. Ita vt neque ciuis aliquis, neque omnes simul (si excipiamus eum cuius voluntas sit pro voluntate omnium) pro ciuitate censenda sit. CIVITAS ergo (vt earn definiamus) est persona vna , cuius voluntas , ex pactis plurium hominum, pro voluntate habenda est ipsonim omnium; vt singulorum viribus & facultatibus vti possit, ad pacem & defensionem communem" (DC V, 9)64
Was bedeutet aber diese Benutzung der Rechtsfigur der Person im Rahmen der Staatsrechtslehre? Handelt es sich bei dieser Übertragung der juristischen Konzeption der Persönlichkeit auf die ihr ursprünglich fremde Sphäre des Staatsrechts tatsächlich um eine rechtsphilosophische Errungenschaft oder ist sie letzten Endes doch nur ein Akt einer a priori konstruierenden Willkür oder bestenfalls ein originelles Aperçu? Es ist frappierend, daß es bisher in der Hobbes-Forschung kaum Versuche gegeben hat, auf diese Fragen eine umfassende Antwort zu geben, obwohl doch gerade Hobbes' Definition des Staates als "Persona Civitatis" (Lev. XXVI, p. 183) dazu besonderen Anlaß gegeben hätte.65 Dabei hatte schon Ferdinand Tönnies "die begriffliche Setzung der
63
Aristoteles, Politik Π, 2; 1161 a 17 ff. Lev. XVn, p. 121: "[T]he Commonwealth [...] (to define it,) is: One Person, of whose Acts a great Multitude , by mutuali Covenants one with another ; have made themselves every one the Author, to the end he may use the strength and means of them all, as he shall think expedient for their Peace and Common Defence ." 65 Charakteristisch ist in dieser Hinsicht der Aufsatz von Zarka (Personne civile et représentation politique chez Hobbes, pp. 287-310). Zarka erkennt zwar an, daß der Begriff der juristischen Person "a une fonction majeure dans la théorie politique de 64
I. Staatsrecht und Souveränität
183
einheitlichen Staatsperson als des modernen und eigentlichen Staates" als "epochemachend" gewürdigt und "die Darstellung der Staatspersönlichkeit und des Staates als Rechtssubjekt" als Hobbes' "eigentliche Leistung" bestimmt. 66 Sicher ist, daß Hobbes "contre toute la tradition" 67 - wie Polin zu Recht betont - erstmals diesen Begriff der Persönlichkeit und den in ihm enthaltenen Gedanken der selbständigen Rechtsfähigkeit und -Subjektivität in systematischer
Weise auf den Begriff des body politic anwendet, und zwar in
Analogie zur juristischen Personalität des Individuums.68 Sicher ist auch, daß der Begriff der Staatspersönlichkeit seitdem eine feste Größe im Repertoire des
Hobbes" (p. 287), aber tatsächlich geht es ihm in erster Linie um den Aufweis der Gründe, die Hobbes zu einer Neufassung der Vertragskonzeption im Leviathan veranlaßt haben. Dies wiederum führt dazu, daß Zarka - anstatt den staatsrechtlichen Gehalt des Begriffs der Staatspersönlichkeit im Leviathan zu untersuchen - sogleich sogleich zu der Frage übergeht, wie die juristische Person des Staates durch den Willen der einzelnen vertraglich konstituiert wird. Weil Zarka nicht sieht, daß die Konzeptionen der Staatspersönlichkeit auf der einen und des staatsbegründenden Vertrages auf der anderen Seite auf unterschiedlichen staatsrechtlichen Fragestellungen beruhen, schließt er aus dem Wandel der Vertragskonzeption auf eine vollständig neue Ausarbeitung des Konzepts der Staatsperson im Leviathan. 66 Tönnies, Einleitung, S. 12 f., S. 28. Einen ersten Überblick über den Hobbesschen Sprachgebrauch vermittelt Tricaud (An Investigation concerning the Usage of the Words Person' and Persona' in the Political Treatises of Hobbes, pp. 89-98), der aber die juristischen Implikationen des Begriffs der Staatspersönlichkeit nur streift. Derathé (Rousseau et la science politique de son temps, pp. 397-410) liefert eine dogmengeschichtliche Übersicht über die Entwicklung der Konzeption des Begriffs der Staatspersönlichkeit zwischen Hobbes und Rousseau. Derathé seinerseits stützt sich auf die immer noch unverzichtbaren dogmengeschichtlichen Studien von Gierke (Althusius, bes. S. 189-200, 356-359, 385 f.; Deutsches Genossenschaftsrecht Bd. IV, S. 276-332). Einschlägig ist auch die Studie von Riedel, Metaphysik des Staates. Hobbes' Theorie des politischen Körpers im sprachlichen Kontext der 'ersten Philosophie', in: Oers., Metaphysik und Metapolitik, S. 171-191. 67 Polin, Politique et philosophie chez Thomas Hobbes, p. 230. - Um so überraschender und wohl nur durch die noch fest verankerte Gültigkeit des traditionellen Staatsverständnisses zu erklären ist es, daß die zeitgenössische Kritik der Hobbesschen Staatsdefinition diesen Punkt mit keinem Wort berührt. Statt der Frage der rechtsphilosophischen Bedeutung der Theorie der Staatspersönlichkeit nachzugehen, beklagt ζ. B. Lawson (An Examination of Leviathan, pp. 18-23), daß die Hobbessche Staatsdefinition "obscure" und "imperfect" sei, weil sie keinen Bezug auf "reason, or justice, or law" (p. 18) nimmt; wenn aber die Staatsgewalt nicht mehr im Aristotelischen Sinne durch ihren Bezug auf eine ihr vorhergehende Gerechtigkeitsordnung definiert ist, so wird sie - wie Lawson in Übereinstimmung mit Augustinus (De civitate Dei IV, 4) erklärt - von einer bloßen Zusammenrottung von Individuen in einer "latrocinia, a den of thieves, and a combination of devils" (p. 23) ununterscheidbar. Lawson hat also die Entgegensetzung der Hobbesschen Staatstheorie gegen die traditionellen gerechtigkeitstheoretischen Legitimationsversuche staatlicher Herrschaft sehr wohl konstatiert, aber er ist unfähig, auch nur die Frage zu stellen, ob Hobbes nicht rechtsphilosophische Gründe für seine Behauptungen haben könnte. 68 DC XIV, 4: "ciuitates semel institut® induunt proprietates hominum personales."
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
neuzeitlichen Vernunftrechts bildet: Pufendorf, Rousseau, Kant und Hegel greifen die Hobbessche Konzeption auf. 69 Hobbes selbst ist sich dieser revolutionären Neuerung, durch die eine bisher nur in privatrechtlichen Zusammenhängen benutzte Rechtsfigur auf das Staatsrecht übertragen wird, vollkommen bewußt: "And though in the charters of subordinate corporations, a corporation be declared to be one person in law, yet the same hath not been taken notice of in the body of a commonwealth or city, nor have any of those innumerable writers of politics observed any such union" (Elements XXVII, § 7).
Zunächst ist auf die Unterschiede hinzuweisen, die im Hinblick auf den Begriff des Staates als Person zwischen De Cive und dem Leviathan bestehen. In De Cive erfolgt die Einführung des Personenbegriffs gewissermaßen ohne Vorbereitung. Zwar hatte Hobbes schon im Rahmen der Theorie der natürlichen Gesetze vom Begriff der Person als Subjekt der Zuschreibung von gerechten oder ungerechten Handlungen bzw. Gesinnungen Gebrauch gemacht; an dieser Stelle hatte er den Terminus aber nicht näher erläutert. Erst in der Lehre der staatlichen Herrschaft folgt eine knappe Erklärung, daß die Person (des Staates) ein besonderes Subjekt sei, das über eigene, vom Willen der Untertanen unabhängige Rechte und Kompetenzen, nämlich die Souveränitätsrechte, verfügt: "habens iura sua, & res sibi proprias" (DC V, 9). 70 Im Leviathan wird die Einführung des Begriffs der Staatspersönlichkeit dagegen durch das XVI. Kapitel ("Of Persons, Authors, and things Personated")71 vorbereitet, das mit folgender Definition der (juristischen) Person als Subjekt der Zuschreibung von Worten und Handlungen beginnt: "A PERSON, is he, whose words or actions are considered, either as his own, or as representing the words or actions of another man, or of any other thing to whom they are attributed, whether Truly or by Fiction" (Lev. XVI, p. 111).
Durch die Definition des Staates als juristischer Person wird dieser zu einem Rechtssubjekt sui generis, das handlungsfähig und Träger eigener, vom Willen anderer Personen, insbesondere vom Willen der Untertanen verschiedener Rechte ist. Durch den vertraglichen Akt der Verwandlung der Einzelwillen zum vereinigten Willen aller wird die juristische Person des Staates erzeugt, d. h. ein Rechtssubjekt mit eigenständigen, von den Rechten der einzelnen Staatsmitglieder unterschiedenen Kompetenzen, nämlich den 69 Vgl. hierzu Gierke , Althusius, S. 189 ff; Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 169 ff., Häfelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 24 ff. 70 Vgl. Elements XXI, 19: Person ist, wer über eigenes Recht, "not derived from the present right of any other", verfügt. 71 Die Einschaltung dieses Kapitels selbst wird von Hobbes nicht begründet, es handelt sich, wie Brandt (Rechtsverzicht und Herrschaft, S. 49 f.) betont, um die Adaption eines Lehrstücks der juristischen Dogmatik, das in den "vorhergehenden naturrechtlichen Erörterungen" nicht begründet ist.
I. Staatsrecht und Souveränität
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mit dem souveränen Recht der Zwangsgesetzgebung notwendig verbundenen Befugnissen. 72 Die Benutzung des Begriffs der juristischen Person zur Kennzeichnung der rechtlichen Eigenschaften der Staates dient also dazu, ihre Verselbständigung gegenüber der Vielheit seiner Mitglieder deutlich zu machen. Hobbes läßt nun keinen Zweifel daran, daß die durch den Akt vertraglicher Selbstbindung vorgenommene Personifizierung des Staates in Wahrheit nur eine juristische Fiktion, eine Form der theoretischen Konstruktion von Rechtsbeziehungen darstellt. Durch den staatsbegründenden Vertrag wird die Rechtspersönlichkeit des Staates nur 'fingiert'. 73 Solche juristischen Fiktionen werden, wie Hobbes selbst betont, zu dem Zwecke eingeführt, das Verhältnis der einzelnen zu ihrem körperschaftlichen Willen begreiflich zu machen. Allerdings wäre es ein Irrtum zu glauben, Hobbes würde hier nur in zufälliger Weise von einer vorgefundenen Rechtsfigur Gebrauch machen. Die Betonung des fiktiven bzw. künstlichen Charakters der Staatspersönlichkeit hat in erster Linie eine systematische Bedeutung: mit ihr macht Hobbes deutlich, daß der im Willen des Souveräns vereinigte Wille aller von dem empirischen Sonderwillen der einzelnen abstrahiert. Damit leistet Hobbes einen wesentlichen Schritt zum Verständnis des modernen Staates, der als der abstrakt-allgemeine Wille der Bürger diesen zugleich als von ihnen unterschiedene politische Gewalt entgegentritt. Der ideelle Charakter des Staates als 'künstlicher Person' ist gewissermaßen nur der 'Staat in der Idee', d. h. der bloß ideelle Begriff der Vereinigung des Willens aller Vertragspartner. Als juristische Fiktion bzw. als künstliche Person ist der Staat als solcher handlungsunfähig. 74 So wie alle übrigen künstlichen Personen bedarf auch der Staat, um beschließen und handeln zu können, einer natürlichen Person aus Fleisch und Blut, die ihrerseits die juristische Person des Staates repräsentiert: "Si conferatur ciuitas cum homine, is qui habet summum Imperium est ad ciuitatem, in ea ratione in qua est anima humana ad ipsum hominem. [...] Caeterùm ex antedictis apparet, eum qui tali imperio praeditus est, (siue Homo siue curia) habere ad ciuitatem, rationem, non capitis, sed animae. Nam anima est per quam homo habet voluntatem, hoc est postest velie & nolle; ita per eum qui summum habet imperium, & non aliter, voluntatem habet, & potest velie & nolle ciuitatis" (DC VI, 19 und Randtitel; ΧΠ, 4; vgl. Lev. XLII, p. 398).
72 Hobbes bezeichnet die staatliche Zwangsgesetzgebungsgewalt auch als das Recht des "Gladius iustitiae" bzw. als "ius gladij" (DC VI, 5 ff.). 73 Lev. XVI, p. I l l : "When they [sc. die Rechtspersonen, D.H.] are considered as representing the words and actions of an other, then is he a Feigned or Artificall person ." Künstliche bzw. juristische Personen entstehen daher immer "by Fiction". 74 Hierbei handelt es sich keineswegs um einen Widerspruch zu den oben gemachten Ausführungen, daß die Betrachtung des Staates als juristischer Persönlichkeit gerade die Funktion hat, ihn als handlungs- und rechtsfähiges Subjekt zu begreifen.
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
Noch schärfer pointiert Hobbes die Fiktivität und Handlungsunfähigkeit der ideellen Rechtsperson des Staates im Leviathan: "[The] Commonwealth, which can do nothing but by the Person that Represents it" (Lev. XXIV, p. 171). "But the Common-wealth is no Person, nor has capacity to do anything but by the Representative, (that is, the Soveraign;) and therefore the Soveraign is the sole Legislator" (Lev. XXVI, p. 184).
Die Fiktivität oder Idealität der Staatsperson liefert ihrerseits die Grundlage für die Unterscheidung zwischen Staats- und Herrscherpersönlichkeit: der Staat ist der (abstrakt-ideelle) Begriff des in einer Person vereinigten Willens aller 75 , der Wille des Souveräns ist demgegenüber der Wille der konkreten empirischen Person, welche die oberste Gesetzgebungs- und Befehlsgewalt (das "summum imperium") innehat: "In omni ciuitate, Homo ille, vel Concilium illud, cuius voluntati singuli voluntatem suam (ita vt dictum est) subiecerunt, SVMMAM POTESTATEM, siue SVMMVM IMPERIVM siueDOMINIVMhabere dicitur" (DC V, 11). 76
75
Hobbes kennt noch nicht den Begriff des Allgemeinwillens (der "volonté générale" im Sinne Rousseaus); er kann daher den Staatswillen nur definieren als den vereinigten Willen aller (als "vnio", DC V, 7 ff.) bzw. als denjenigen Willen, der "pro voluntate omnium & singulorum" (DC V, 6, 9) gehalten wird. 76 Auch im Leviathan wird der Souverän im Unterschied zum Staat als solchem als Inhaber der obersten Staatsgewalt bzw. als Staatsoberhaupt definiert: "he that carryeth this Person, is called SOVERAIGNE, and said to have Soveraigne Power" (Lev. XVII, p. 121). - Auch die nachfolgenden Rechtsphilosophen halten überwiegend daran fest, daß der Begriff des Staates als juristischer Person bzw. als juristischer Körperschaft nur eine theoretische Fiktion ist, durch die ein künstliches Subjekt als Träger von bestimmten Rechten und Pflichten fingiert wird, das seinerseits nur durch eine empirische Person handlungsmächtig ist: "[L]e souverain n'est par sa nature qu'une personne morale, qu'il n'a qu'une existence abstraite et collective, et que l'idée qu'on attache à ce mot ne peut être unie à celle d'un simple individu" (Rousseau, CSMS I, 4; OC ΙΠ, pp. 294-295); "le corps politique, n'étant qu'une personne morale, n'est qu'un être de raison" (Rousseau, L'état de guerre; OC ΙΠ, p. 608). - "Die drei Gewalten im Staat, die aus dem Begriff eines gemeinen Wesens überhaupt (res publica latius dicta) hervorgehen, sind nur so viel Verhältnisse des vereinigten, a priori aus der Vernunft abstammenden Volkswillens und eine reine Idee von einem Staatsoberhaupt, welche objective praktische Realität hat. Dieses Oberhaupt (der Souverän) aber ist so fern nur ein (das gesammte Volk vorstellendes) Gedankending, als es noch an einer physischen Person mangelt, welche die höchste Staatsgewalt vorstellt und dieser Idee Wirksamkeit auf den Volkswillen verschafft. Das Verhältniß der ersteren zum letzteren ist nun auf dreierlei verschiedene Art denkbar: entweder daß Einer im Staate über alle, oder daß Einige, die einander gleich sind, vereinigt, über alle andere, oder daß Alle zusammen über einen jeden, mithin auch über sich selbst gebieten, d. i. die Staatsform ist entweder autokratisch, oder aristokratisch, oder demokratisch" (Kant, RL § 51; AA VI, S. 33822.35). - "Die Souveränität, zunächst nur als der allgemeine Gedanke dieser Idealität, existiert nur als die ihrer selbst gewisse Subjektivität und als die abstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung liegt. [...] Die Subjektivität aber ist in ihrer Wahrheit nur als Subjekt, die Persön-
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Auf diese Weise ergibt sich ein doppeltes Repräsentationsverhältnis 77: - Auf der einen Seite wird der Staat als Rechtspersönlichkeit vorgestellt, welcher als Willens- und Rechtssubjekt, das vom Willen der einzelnen Bürger verschieden ist, bestimmte Rechte und Kompetenzen zugeschrieben werden, insbesondere das Recht, den gemeinsamen Willen aller zu repräsentieren; - auf der anderen Seite bedarf die juristische Person des Staates ihrerseits der Repräsentation: es muß eine natürliche Person (oder eine aus mehreren natürlichen Personen bestehende Versammlung) geben, die als Staatsorgan im Namen der fiktiven Staatsperson handelt und dem ideellen Staatswillen Wirklichkeit verschafft, in diesem Sinne erklärt Hobbes, daß der Staat in der Person desjenigen enthalten ist, der das summum imperium (DC VI, 13 annotatio; XII, 4) innehat. Deutlicher noch als in De Cive unterscheidet Hobbes im Leviathan die (ideell-fiktive) Staatspersönlichkeit als Vereinigung des Willens aller von der Person des Repräsentanten dieser Staatspersönlichkeit, d. h. der natürlichen Person desjenigen, "that cariyeth this Person". Um die juristische Person des Staates in Aktion zu versetzen, bedarf es also einer natürlichen Person, die das Recht hat, stellvertretend für die einzelnen Bürger zu handeln bzw. "to Present the Person of them all, (that is to say, to be their Representative;)" (Lev. XVIII, p. 121).78 Das Problematische an dieser Identifikation von Staats- und Herrscherpersönlichkeit liegt nun darin, daß Hobbes beständig diese Notwendigkeit der Verkörperung des body politic durch den Willen eines wirklichen Menschen mit der Behauptung verwechselt, deswegen müsse auch der empirische Wille des Herrschers Prinzip der Bestimmung des positiven Rechts sein (vgl. hierzu Teil D. II.). So richtig es ist, daß die Abstraktion des Staates einer Realisierung durch wirkliche Menschen bedarf und der Repräsentant des vereinigten Willens aller auch in einer besonderen Person eindeutig identifizierbar sein muß, so wenig folgt aus dieser Notwendigkeit der Personifizierung des Staates, daß der empirische Wille der repräsentierenden Person mit
lichkeit nur als Person [...]. Die Persönlichkeit und die Subjektivität überhaupt hat aber ferner, als unendliches sich auf sich Beziehendes, schlechthin nur Wahrheit als Person, für sich seiendes Subjekt, und das für sich Seiende ist ebenso schlechthin Eines. Die Persönlichkeit des Staates ist nur als eine Person, der Monarch, wirklich. Persönlichkeit drückt den Begriff als solchen aus, die Person enthält zugleich die Wirklichkeit desselben, und der Begriff ist nur mit dieser Bestimmung Idee, Wahrheit. - Eine sogenannte moralische Person, Gesellschaft, Gemeinde, Familie, so konkret sie in sich ist, hat die Persönlichkeit nur als Moment, abstrakt in ihr; sie ist darin nicht zur Wahrheit ihrer Existenz gekommen" (Hegel, Rph § 279 u. Anm.). 77 Zu den 'zwei Dimensionen' der politischen Repräsentation vgl. auch Schräder, Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft, S. 62. 78 Vgl. auch Lev. XIX, p. 129; Lev. ΧΧΙΠ, p. 166; Lev. XXIV, p. 172; Lev. XXVm, p. 214; Lev. XXDi, p. 224.
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dem Staatswillen, d. h. mit dem Begriff des repräsentierten Willens selbst zusammenfallt. Wenn Hobbes den Staat außer als Person auch als body politic 1 bezeichnet, dann greift er zur Bestimmung des Verhältnisses der besonderen gesellschaftlichen bzw. rechtlichen Institutionen zur Souveränität mit der Körpermetapher auf ein klassisches, seit der Antike benutztes Bild der politischen Philosophie zurück, das den politischen Körper des Staates mit dem natürlichen Körper des Menschen als lebendigem Organismus vergleicht. 79 Viele Interpreten haben den Hobbesschen Begriff des body politic ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der organizistischen Metaphorik betrachtet. Obwohl Hobbes von dieser in der Tat regen Gebrauch macht, liegt die eigentliche Bedeutung des body politic-Begriffs nicht in den organizistischen, sondern in den juristischen Implikationen. 80 Nur insofern Hobbes den Begriff des body politic in dieser juristischen Bedeutung verwendet, kommt die eigene rechtsphilosophische Begründung zum Tragen. Hobbes' Übernahme der überlieferten Metaphorik erfolgt mit einer bezeichnenden Abänderung der organizistischen Metapher. Denn während die von der Scholastik beeinflußte politische Philosophie den Inhaber der obersten Staatsgewalt als Haupt des Staates bezeichnete 81 , tritt bei Hobbes an die Stelle des (Ober-)Hauptes der Souverän als Seele
79 Man denke nur an die bekannte (von Livius überlieferte) Fabel des Menenius Agrippa. Zur Geschichte der organologischen Staatsmetapher im Mittelalter vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, bes. S. 218 ff., 274 ff., sowie Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter. 80 Die Verwendung des Terminus body politic' wird von den Interpreten zumeist unter dem Aspekt politischer Metaphorik betrachtet (vgl. hierzu Haie, The Body Politic, pp. 128-30; Riedel, Metaphysik des Staates, S. 171-191; Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine, S. 20 ff.; Johnston, The Rhetoric of Leviathan, pp. 67, 91). Die unbestreitbaren metaphorischen Aspekte der Redeweise vom "body politic" stehen jedoch m. E. in der systematischen Bedeutung und in ihrem explikativen Gehalt eindeutig hinter der spezisch juristischen Funktion des Körperschaftsbegriffs zurück. Darüber hinaus lassen sich die über den gesamten Text des Leviathan verstreuten organologischen Vergleiche (vgl. hierzu die von Hobbes insbesondere im XXIX. Kapitel des Leviathan entfaltete politische Pathologie) weder zu einem einheitlichen Konzept zusammenfassen noch kann angesichts der Hobbesschen Vorbehalte gegen den Gebrauch politischer Metaphorik (vgl. Lev. V, p. 36, wo Hobbes Metaphern als "senselesse and ambiguous words" bekämpft) eine derartige Systematisierung überhaupt in seinem Sinne liegen. - Neben der organizistischen Körpermetapher macht Hobbes im Zusammenhang mit seiner Staatstheorie auch noch von der mechanistischen Uhrenmetapher Gebrauch; vgl. die berühmte methodologische Vorbemerkung in De Cive (Prasfatio ad lectores, p. 79), wo Hobbes den Staat mit einer Uhr vergleicht, deren Funktionsweise am besten aus der Wirkung ihrer einzelnen Elemente verstanden werden könne: "Ita in jure civitatis, civiumque officiis investigandis opus est, non quidem ut dissolvatur civitas, sed tarnen ut tanquam dissoluta consideretur". 81 Vgl. z. B. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 149; Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 31 ff., 208 ff., 218 ff.
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des Staates* 2 Der Grund für diesen Wechsel vom Haupt zur Seele liegt darin, daß in der Kennzeichnung des Souveräns als der Seele des Staates eine entschiedene Zurückweisung der spätmittelalterlichen Konzeption des body politic liegt, in welcher der Staat in Analogie zum Verständnis der Kirche als corpus mysticum* 3 - dessen Haupt Christus ist, während die Bischöfe, Priester und Gläubigen Leib und Glieder dieser ideellen Körperschaft darstellen - als corpus politicum, als staatliche Körperschaft begriffen werden konnte, an
deren Spitze (ebenfalls als Haupt des politischen Körpers) der König steht. Hobbes lehnt den am Haupt orientierten Gebrauch der Metapher ab, weil hier der König zwar die vornehmste Stelle innerhalb des body politic einnimmt, zugleich aber doch in Abhängigkeit von den übrigen Gliedern des gesellschaftlichen Organismus gedacht wird. Die Metapher des Staatsoberhauptes ordnet den König (bzw. den oder die Inhaber der Staatsgewalt) in einen organischen Zusammenhang ein; in ihr dominiert dadurch der Aspekt der notwendigen Beziehung und wechselseitigen Abhängigkeit aller Glieder des Staa-
tes, die ihrerseits insgesamt unter der Herrschaft der durch die lex naturae ausgedrückten Gerechtigkeit stehen.84 Daß es genau diese organische Einbindung des Staatsoberhauptes ist, die Hobbes an der traditionellen organologischen Lehre vom Staat als einem aus Haupt und Gliedern bestehenden Gemeinwesen stört, wird nicht zuletzt an seiner Kritik an Bellarmin deutlich. Denn Bellarmin behauptet seiner Ansicht nach fälschlicherweise, daß "the Members of every Common-wealth, as of a naturall Body, depend one of another: It is true, they cohaere together; but they depend onely on the Soveraign, which is the Soul of the Common-wealth; which failing, the Common-wealth is dissolved into a Civili war, no one man so much as cohaering to another, for want of a common Dépendance on a known Soveraign; Just as the Members of the naturali Body dissolve into Earth, for want of a Soul to hold them together" (Lev. XLII, p. 398). 85 82
Vgl. nochmals die bereits zitierte Passage aus DC VI, 19 und Randtitel: "Si conferatur ciuitas cum homine, is qui habet summum Imperium est ad ciuitatem, in ea ratione in qua est anima humana ad ipsum hominem. [...] Caeterùm ex antedictis apparet, eum qui tali imperio praeditus est, (siue Homo siue curia) habere ad ciuitatem, rationem, non capitis, sed animae. Nam anima est per quam homo habet voluntatem, hoc est postesi velie & nolle; ita per eum qui summum habet imperium , & non aliter, voluntatem habet, & potest velie & nolle ciuitatis." "For by Art is created that great LEVIATHAN called a COMMON-WEALTH, or STATE, (in latine CIVITAS) which is but an Artificall Man; though of greater structure and strength than the Naturall, for whose protection and defence it was intended; and in which, the Soveraignty is an Artificall Soul, as giving life and motion to the whole body" (Lev., Introduction, p. 9). 83 Diese Konzeption konnte anknüpfen an ein von Paulus benutztes Gleichnis, s. Römer 12,4-6; 1. Korinther 12-27. 84 Vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 38 f.; Gierke , Deutsches Genossenschaftsrecht Bd. IV, S. 329 f. 85 Vgl. auch DC XVII, 22; die Kirche könne zwar mit Recht als Corpus mysticum im Sinne der organologischen Tradition betrachtet werden, aber gerade deswegen fehlt
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
Dieser Wechsel in der Metapher des politischen Körpers vom Haupt zur Seele des Staates ist ein deutliches Indiz für Hobbes' Bewußtsein, daß die Funktionalisierung der Sprache der klassischen politischen Philosophie für die Bedürfhisse der neuen rationalistischen Rechtsphilosophie nur nach einer grundlegenden Umdeutung ihrer Metaphern möglich ist. In keinem Punkt, weder in den systematischen Prämissen noch in den terminologischen Begrifflichkeiten, kann Hobbes direkt auf die Konzeption seiner Vorgänger zurückgreifen, vielmehr ist er überall gezwungen, den überlieferten Sprachgebrauch der politischen Philosophie auf die eigenen rechtsphilosophischen Prämissen zu beziehen und in diesem Sinne zu modifizieren. Es spricht für Hobbes' ausgeprägtes Problembewußtsein, daß er die Einsicht in die Notwendigkeit einer systematischen Erneuerung bis in die letzten Verästelungen seiner Lehre hinein durchführt. 86 Nur die an der Dominanz der Seele orientierte Metapher des body politic erweist sich als fähig, die souveränitätstheoretischen Einsichten von Hobbes, insbesondere die 'juristische Transzendenz' des Souveräns gegenüber den vertragsschließenden Parteien 87, angemessen zum Ausdruck zu bringen. Sie erlaubt es Hobbes, die verschiedenen Teile des body politic in ihrer gemeinsamen Unterordnung
unter die einheitsstiftendene Kraft der
'künstlichen Seele' des Souveräns darzustellen: "The Soveraignty is the Soule of the Common-wealth; which once departed from the Body, the members doe no more receive their motion from it" (Lev. XXI, p. 153). "For the Sovereign, is the publique Soule, giving Life and Motion to the Commonwealth; which expiring, the Members are governed by it no more, than the Carcasse of a man, by his departed (though Immortali) Soule" (Lev. XXIX, p. 230).
ihr die Rechtspersönlichkeit, die den Staatskörper auszeichnet: "Est certe Ecclesia vniversa vnum Corpum mysticum cuius caput est CHRISTVS, sed eâdem ratione, qua omnes simul homines Deum rectorem mundi agnoscentes, vnum Regnum, & vna ciuitatis est, quae tamen neque vna persona est, neque vnam actionem aut sententiam communem habent." 86 Auch John Locke greift im Second Treatise die in der politischen Philosophie der frühen Neuzeit beliebte Seelenmetaphorik auf, vgl. ST § 135 Anm.: "[...] the Law of a Common-weal, the very Soul of a Politick Body, the parts whereof are by Law animated, held together, and set on work in such actions as the common good requireth." Über die legislative Gewalt schreibt er: "This is the Soul that gives Form , Life and Unity to the Commonwealth: From hence the several Members have their mutual Influence, Sympathy, and Connection: And therefore when the Legislative is broken, or dissolved , Dissolution and Death follows. For the Essence and Union of the Society consisting in having one Will, the Legislative" (ST § 212). 87 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 52.
Π. Die Theorie des staatsbegründenden Vertrages
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I I . Die Theorie des staatsbegründenden Vertrages 1. Die allgemeine begriindungstheoretische Funktion des staatsphilosophischen Kontraktualismus Nachdem gezeigt worden ist, daß die Notwendigkeit des souveränen Staates aus der Logik des Naturzustandes, d. h. aus der Problemstellung der Verwirklichung der natürlichen Gesetze entspringt und daß dieser Staat von Hobbes als Rechtszwangsgewalt mit eigener Rechtspersönlichkeit definiert wird, kann man zunächst fragen, warum und wozu es überhaupt noch eines staatsbegründenden Vertrages bedarf. Gibt es eine begründungs- und legitimationstheoretische Lücke, die durch die Benutzung der Vertragsfigur gefüllt werden muß, oder handelt es sich um einen konzeptionellen Mißgriff, durch den die Beziehungen zwischen Souverän und Bürger statt erklärt nur verschleiert werden? Die allgemeine rechtliche Funktion des staatsbegründenden Vertrages besteht darin, daß in ihm der schon im Rahmen der natürlichen Gesetze entwickelte Gedanke der Autonomie, d. h. der freien vertraglichen Selbstverpflichtung, für das Staatsrecht fruchtbar gemacht wird. Mit der Benutzung der Vertragsfigur will Hobbes zeigen, "how a multitude of persons natural are united [...] into one person civil or body politic" (Elements XX, l ) 8 8 , bzw. durch welchen Akt es rechtlich möglich wird, daß sich ein Volk (im Sinne einer bloßen Menschenmenge) als Volk (in staatsrechtlicher Bedeutung) konstituiert. 89 Der staatsphilosophische Kontraktualismus liefert den noch ausstehenden Rechtsgrund staatlicher Herrschaft 90, und zwar in zweifacher Hinsicht: der Staatsvertrag bildet einerseits den Akt, durch den das Zwangsrecht des Souveräns (das "ius imperandi", DC V, 11 bzw. das "Right of Soveraigntie", Lev. XXI, p. 154 oder "the right of Soveraign Power", Lev. XXX, p. 240) gestiftet wird. Aber er begründet auf der anderen Seite - wenngleich nur mittelbar und bedingterweise - die Pflicht staatsbürgerlichen Gehorsams.91 In diesem Sinne begreift Hobbes die vertragliche Institution der 88
Diese Formulierung bestätigt die hier vertretene Ansicht, daß es Hobbes mit der Benutzung der Vertragsfigur um das rechtliche Wie der Konstitution der souveränen Staatsgewalt geht, d. h. um die Frage nach der Art und Weise, wie ihre Existenz, die von Hobbes als faktisch gegeben vorausgesetzt wird, auch rechtlich begründet werden kann. 89 Rousseau, CS 1,4; OC ΠΙ, p. 359; Kant , RL § 47; AA VI, S. 31530_33. 90 Vgl. auch Lev. XVIH, p. 121: "From this Institution of a Common-wealth are derived all the Rights , and Facultyes of him, or them, on whom the Soveraigne Power is conferred by the consent of the People assembled." 91 Hobbes betont mit Nachdruck, daß die Verbindlichkeit des staatsbürgerlichen Gehorsams "non immediatè", d. h. nicht aus dem Akt der Rechtsübertragung der einzelnen auf den Souverän, "sed mediatè", nämlich nur insofern, als ohne Gehorsam auf
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
Staatsgewalt als Quelle der staatsrechtlichen Kompetenzen des Souveräns und der staatsbürgerlichen Pflichten: "A forma institutionis, tum potestas omnis et jura omnia summa habenüs potestatem, tum civium omnium officia derivantur" (Lev. XVIII, OL III, p. 182). Diese beiden komplementären Legitimationsaufgaben löst Hobbes im Rückgriff auf die Ergebnisse der vernunftrechtlichen Vertragsdogmatik, die zuvor in der Theorie der natürlichen Gesetze entwickelt worden ist. Das Konzept des staatsbegründenden Vertrages formuliert daher "die Idee von dem Rechtsakte, durch den sich alle wechselseitig zur Unterwerfung unter den Willen verpflichten, der diese Gesetzgebung äußerer Freiheit will, durch die das natürliche Recht überhaupt verwirklicht werden kann. 92 Dadurch erweist sich die kontraktualistische Begründung des Staates in begründungs- und legitimationstheoretischer Hinsicht gegenüber der theologischen und der machttheoretischen Version der Herrschaftslegitimation als überlegen, weil nur sie es erlaubt, das Herrschaftsrecht auf den Willen der Herrschaftsunterworfenen selbst zu gründen und den Staat als eine durch das freie Wollen der Bürger konstituierte Willenseinheit zu begreifen. 93 Auf dieser veränderten Grundlage des staatsphilosophischen Kontraktualismus vollzieht Hobbes schließlich auch die Ablehnung der traditionellen Vorstellungen des unanfechtbaren dynastischen Erbrecht und des Gottesgnadentums: in den letzteren vermag Hobbes nur noch eine papistische Anmaßung zu sehen.94
Seiten der Untertanen das "jus Imperij" nutzlos sein würde (DC VI, 13). Im gleichen Zusammenhang macht Hobbes auf den Unterschied zwischen der Übertragung des Jus imperandi und der tatsächlichen Befolgung des staatlichen Befehls durch die einzelnen Bürger aufmerksam: "Aliud enim est si dico, lus tibi do quidlibet imperandi; aliud si dico, faciam quicquid imperabis." - Die äußerst problematischen Konsequenzen aus dieser bloß mittelbar begründeten Pflicht des staatsbürgerlichen Gehorsams werden in Teil D. I. der vorliegenden Studie näher untersucht werden. 92 Ebbinghaus, GS Π, S. 301. 93 Vgl. Rousseau, Lettres écrites de la montagne VI, OC ΠΙ, pp. 806-807: "Mais quel est le fondement de cette obligation? Voila où les Auteurs se divisent. Selon les uns, c'est la force; selon d'autres, l'autorité paternelle; selon d'autres, la volonté de Dieu. Chacun établit son principe et attaque celui des autres: je n'ai pas moi-même fait autrement, et, suivant la plus saine partie de ceux qui ont discuté ces matières, j'ai posé pour fondement du corps politique la convention de ses membres, j'ai réfuté les principes différens du mien. Indépendamment de la vérité de ce principe, il l'emporte sur tous les autres par la solidité du fondement, qu'il établit; car quel fondement plus sûr peut avoir l'obligation parmi les hommes que le libre engagement de celui qui s'oblige? On peut disputer tout autre principe; on ne sauroit disputer celui-là." 94 Lev. XLIV, p. 420: "Consequent to this claim of the Pope to be vicar Generali of Christ in the present Church, (supposed to be that Kingdom of his, to which we are addressed in the Gospel,) is the Doctrine, that it is necessary for a Christian King, to receive his Crown by a Bishop; as if it were from that Ceremony, that he derives the clause of Dei gratiâ in his title; and that then onely he is made King by the favour of God, when he is crowned by the authority of Gods universali Vicegerent on earth". -
Π. Die Theorie des staatsbegründenden Vertrages
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In der Bestimmung der spezifisch rechtstheoretischen Funktion der Vertragskonstruktion liegt außerdem der Differenzpunkt zwischen den klassischen Sozialvertragstheorien des neuzeitlichen Vernunftrechts und dem modernen rechtfertigungstheoretischen Neokontraktualismus à la Rawls: während Hobbes, Locke, Rousseau und Kant den Gesellschaftsvertrag als heuristische Konzeption behandeln, die den Rechtsgrund staatlicher Herrschaft zum Gegenstand hat, kreisen die kontraktualistischen Theorien der Gegenwart nicht mehr um philosophischen Begründungsprobleme des Staatsrechts, sondern um Fragen der politischen Ethik und um entscheidungstheoretische Probleme der Verteilungsgerechtigkeit. 95 Wenn Rawls beansprucht, ein Gerechtigkeitskonzept zu entwickeln, "which generalizes and carries to a higher level of abstraction the familiar theory of social contract as found, say, in Locke, Rousseau, and Kant" 96 , dann wird offenbar unterstellt, daß es möglich und sinnvoll ist, die Vertragsfigur aus der spezifisch staatsrechtlichen bzw. herrschaftsbegründenden und -legitimierenden Aufgabenstellung herauszulösen. Diese Annahme einer universellen rechtfertigungstheoretischen Verwendbarkeit betrifft hierbei sowohl die jeweilige Ausgangssituation der Vertragsfigur und ihre theoretisch zu bewältigenden Konfliktpotentiale als auch die eigentlichen Inhalte des Vertrags. Der Gesellschaftsvertrag erscheint auf diese Weise als eine zur Lösung völlig unterschiedlicher rechtfertigungstheoretischer Probleme einsetzbare Argumentationsstruktur, die - wie Wolfgang Kersting es nennt - mit dem klassischen staatsrechtlichen Kontraktualismus nur noch das "Moment der Geltungsstiftung durch die autonome Zustimmung aller" gemeinsam hat. 97 Da eine Beurteilung der aktuellen Debatten um den modernen Kontraktualismus außerhalb der Aufgabenstellung der vorliegenden Untersuchung liegt, kommt es mir an dieser Stelle nur darauf an, die begründungstheoretische Differenz des klassischen und des modernen Kontraktualismus festzuhalten: anders als in den neokontraktualistischen Gerechtigkeitstheorien dient die Vertragsfigur in den Rechtsphilosophien des neuzeitlichen Vernunftrechts ausschließlich dem "Versuch, die Konstituierung des Staates und der Rechtsordnung begrifflich zu rekonstruieren". 98 Der Staatsvertrag - so die These der nachfolgenden Ausführungen - ist für Hobbes und seine Nachfolger der staatsrechtliche Begriff desjenigen Rechtsaktes und seiner rechtslogischen Auf den ersten Blick scheint Hobbes hier nur die katholische Begründung des Gottesgnadentums abzulehnen; in Wahrheit verstärkt er dadurch, daß er die Theorie des Gottesgnadentums ausschließlich als papistische Irrlehre brandmarkt, noch die Kritik an ihrem politischen Gehalt. 95 Zur Differenz zwischen staatsphilosophischem und rechtfertigungstheoretischem Kontraktualismus vgl. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 48 ff. 96 Rawls , A Theory of Justice, p. 11. 97 Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 263. 98 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 229. 13 Hüning
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
Implikationen, durch den die Einheit der societas civilis im Unterschied zu anderen möglichen menschlichen Zweckgemeinschaften als Körperschaft, als T)ody politic' konstituiert wird." Die vertragliche Begründung eines Herrschaftsrechts ist deshalb notwendig, weil die direkte Ableitung eines solchen Rechts aus dem zugrunde gelegten ursprünglichen Recht nicht möglich ist. Denn dieses Recht besagt nur, daß jedermann in seinem Streben nach Selbsterhaltung ursprünglich von der Verbindlichkeit gegen andere völlig frei und niemandem rechtlich untergeordnet ist. Die geltungstheoretischen Prämissen der natürlichen Freiheit und Gleichheit schließen also die Annahme einer naturgewollten Herrschaft einer bestimmten Person über eine andere aus. 100 Soll nun der von der Staatsgewalt ausgehende Zwang mehr bedeuten als die Faktizität ihrer Stärke, soll also der ausgeübte Zwang rechtlich verbindlich und somit eine Zwangsbefugnis sein, dann ist damit als die Legitimationsaufgabe des staatsphilosophischen Kontraktualismus die Begründung der staatlichen Zwangsbefugnis definiert. 101 Hobbes' staatsphilosophischer Kontraktualismus greift nun auf die Ergebnisse der vernunftrechtlichen Vertragsdogmatik zurück. Nach dem bereits in der Theorie der natürlichen Gesetze entwickelten verbindlichkeitstheoretischen Prinzip der Autonomie sind alle äußeren Rechtspflichten Resultate freiwilliger Selbstbindung. Wie alle anderen Verpflichtungen muß auch die Verbindlichkeit des Staatsvertrages auf einen Akt freiwilliger Selbstbindung zurückgeführt werden: "[T]here being no Obligation on any man, which ariseth not from some Act of his own; for all men equally are by Nature Free." (Lev. XXI, p. 150). Der staatsphilosophische Kontraktualismus hat also die rechtliche Konstitution der Staatsgewalt zum Gegenstand. Schon in der Einleitung des Leviathan
99 Vgl. Rousseau, CS I, 5; OC ΠΙ, 359, wo er betont, "qu'il faut toujours remonter à une premiere convention." Aber Rousseau übernimmt auch die der Hobbesschen Vertragslehre insgesamt zugrundeliegende geltungstheoretische und naturrechtskritische Prämisse, daß es kein Recht von Natur aus gibt, so daß die äußere Gerechtigkeit ein Werk der Menschen selbst ist: "l'ordre social est un droit sacré, qui sert de base à tous les autres. Cependant ce droit ne vient point de la nature; il est donc fondé sur des conventions" (CS 1,1; OC ΠΙ, p. 352). 100 Daß der Naturzustand als rechtsfreier Raum zugleich herrschaftsfrei ist (soweit es jedenfalls rechtmäßige Herrschaft bzw. rechtmäßigen Zwang betrifft), ist die übereinstimmende Voraussetzung aller neuzeitlichen Kontraktualisten: Lev. XVI, p. 113: "before such estate [sc. vor der Konstitution der Staatsgewalt, D.H.], there is no Dominion of Persons"; Rousseau, CS I, 4; OC ΠΙ, p. 355: "Puis qu'aucun homme n'a une autorité naturelle sur son semblable, et puisque la force ne produit aucun droit, restent donc les conventions pour base de toute autorité légitime parmi les hommes"; Kant, AA XIX, S. 47222: "In statu naturali, qvi opponitur civili, impossibile est ius domini." 101 Vgl. Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 63 ff.
Π. Die Theorie des staatsbegründenden Vertrages
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verweist Hobbes darauf, daß der Vertrag als der rechtliche Konstitutionsakt des Staates, d. h. als vertragliche Erzeugung eines einheitlichen politischen Willens begriffen werden muß: "the Pacts and Covenants , by which the parts of this Body Politique were at first made, set together, and united, resemble that Fiat , or the Let us make man, pronounced by God in the Creation" (Lev., Introduction, pp. 9-10). Unter dieser Erzeugung 102 versteht Hobbes nicht die faktische Entstehung der Staatsgewalt. Für den Rechtsphilosophen Hobbes ist die Frage nach den historischen Entstehungsbedingungen und -gründen irrelevant: "the matters in question are not of Fact , but of Right" (Lev., A Review, and Conclusion, p. 490). Wie die übrigen rechtstheoretischen Argumentationsfiguren (die Naturzustandskonzeption, der Begriff der Staatspersönlichkeit usw.) dient auch die Konzeption des Staatsvertrages nicht der Beschreibung des faktischen Verhaltens der Menschen oder der Analyse realer gesellschaftlicher Verhältnisse. 103 Man braucht schließlich nur daran zu erinnern, daß auch der Staat, den Hobbes als Resultat des vertraglichen Erzeugungsaktes bestimmt, nicht die faktisch bestehende Zwangsgewalt war, sondern die juristische Konstruktion des Staates als Rechtspersönlichkeit. Die Vertragsfigur ist kein deskriptiver, sondern ein normativer Begriff, dessen Begründungsanspruch auf empirischer Ebene nicht zu widerlegen ist. Was demgegenüber die historische Genesis der Staaten angeht, so läßt Hobbes keinen Zweifel daran, daß es sich in den überwiegenden Fällen um Gewaltakte handelt, so daß "there is scare a Common-wealth in the world, whose beginnings can in conscience be justified" (Lev., A Review, and Conclusion, p. 486). Wenn Hobbes erklärt, "that the Right of Soveraigns, is derived originally from the consent of every one of those that are to bee governed" (Lev. XLII, p. 395), dann hat er deshalb auch keine historisch-empirischen Zustimmungsakte im Auge, sondern nur die Rechtslogik staatlicher Herrschaft, insofern sie als aus dem Willen des Souveräns hervorgehend gedacht werden kann. Es handelt sich daher um ein Mißverständnis der Hobbesschen Lehre vom Staatsvertrag und des ihr zugrunde liegenden Prinzips der Autonomie, wenn manche Interpreten die Benutzimg der Vertragsfigur so verstanden haben, als würde durch sie die Staatskonstitution und Autoritätsverleihung vom 'souveränen Wert-
102
Lev. XVn, p. 120, wo Hobbes den Vertrag als Akt der "Generation ofthat great LEVIATHAN" bezeichnet. In De Cive wird der Begriff der 'generatio' nur in der Überschrift des fünften Kapitels ("De causis & generatione ciuitatis") benutzt. 103 Daß diese Idealität der Begriffsbildung nicht auf den Bereich der rechtsphilosophischen Kategorien beschränkt ist, sondern ganz allgemein aus den methodischen Voraussetzungen der Hobbesschen Philosophie erwächst, hat schon Cassirer (Das Erkenntnisproblem, Bd. Π, S. 46 ff, 56 ff.) in seiner Interpretation der 'genetischen Definition' bei Hobbes mit Nachdruck betont: "Das Reich des Begriffes bleibt [bei Hobbes, D.H.] somit von dem Bereich der Tatsachen' völlig getrennt; der Begriff verbleibt durchaus innerhalb seiner selbstgesteckten Grenzen, ohne Anspruch darauf zu erheben, das objektive Dasein 'abzubilden"' (S. 58). 13*
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
urteil' des einzelnen abhängig gemacht.104 Das Prinzip der Autonomie im Staatsrecht bedeutet bei Hobbes gerade den systematischen Ausschluß des empirischen Willens der einzelnen: der Staatsvertrag hat gerade die Funktion, den Staatsbürgern ihre Unterordnung der Einzelwillen unter die Zwangsgewalt des Staates als Rechtsfolge ihres eigenen Handelns zuzurechnen. Insofern besteht die Paradoxie des staatsphilosophischen Kontraktualismus in der Anwendung des Vertragskonzeptes, das als solches Freiwilligkeit bzw. freie Selbstbindung unterstellt, auf solche Verhältnisse, die ihrem Wesen nach von der empirischen Zustimmung und Einwillung der einzelnen unabhängig sind. 105 Für die Rechtsfolgen der Ermächtigung des souveränen Gesetzgebers ist es schließlich, wie Hobbes (DC XIV, 12) betont, gleichgültig, ob der Vertrag ausdrücklich oder stillschweigend abgeschlossen wurde: "Nicht daß er geschlossen worden sei, sondern daß er als geschlossen und somit als schließbar vorausgesetzt werden müsse, ist Hobbes' These."106 Aus dem Umstand, daß die Vertragskonstruktion ein Konzept zur "Rationalisierung des Vorganges der Staatsgründung darstellt, der an keinen Ort und an keine Zeit gebunden ist" 1 0 7 , folgt die Unzulässigkeit der empiristischen Einwände gegen den Kontraktualismus. Dieser Typus von Einwänden108, der auf den Vorwurf hinausläuft, ein wie auch immer gearteter staatsbegründender Vertrag sei weder als Faktum historisch beweisbar noch überhaupt denkbar, beruht auf einem offenkundigen Mißverständnis hinsichtlich des systematischen Status' der Vertragslehre, da er den Abschluß des Vertrags realistisch, d. h. als historischen Vorgang eines formellen Vertragsabschlusses deutet. Neben der empiristischen Kritik des Vertragsgedankens ist von Seiten rechtspositivistischer Theorien immer wieder der Vorwurf der Zirkularität 104
So aber Schottky, Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, S. 41; ders., Die staatsphilosophischen Vertragstheorie als Theorie der Legitimation des Staates, S. 83. 105 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 230 f. 106 Hönigswald, Hobbes und die Staatsphilosophie, S. 170. - Die Einsicht, daß der Gesellschaftsvertrag, wird er als historisches Faktum gefaßt, unhaltbare geltungstheoretische Widersprüche impliziert, führt bei Kant dazu, daß er die durch die rechtslogische Funktion des Vertragskonzeptes bedingte Idealität deutlicher hervorhebt, als Hobbes das getan hatte. Für Kant wird der Vertrag zu einer "bloße[n] Idee der Vernunft, die aber unbezweifelte (praktische) Realität hat: nämlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volks haben entspringen können, und jeden Unterthan, so fern er Bürger sein will, so anzusehen, als ob er zu einem solchen Willen mit zusammen gestimmt habe"; dagegen den Vertrag "als ein Factum vorauszusetzen", sei keineswegs "nötig (ja als ein solches gar nicht möglich)" (TuP, AA Vm, S. 297! ff ). 107 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 209 f. 108 sie//«we (Of the Original Contract, pp. 465-487) erhoben hat. Aber schon Lawson (An Examination of Leviathan, p. 26, 29) hatte die Vertragskonstruktion als eine "Utopian fancy" bzw. als eine kontrafaktische "meer Chimera " bezeichnet.
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erhoben worden. Anders als die empiristische Kritik stellt dieser Vorwurf zwar auf den Rechtscharakter des Vertrags ab, aber sieht in ihm dennoch ein naives ύστερον πρότερον, insofern die Vertragslehre "einen oder mehrere Sätze einer feststehenden Rechtsordnung" antizipiert, "um aus ihr den Staat herzuleiten." 109 Die Problematik des Gesellschaftsvertrags besteht nach dieser Interpretation also darin, daß ein Vertrag, als Verhältnis zwischen freien und gleichen Rechtssubjekten, strenggenommen immer schon den Staat als Bedingung seiner Geltung voraussetzt, während der staatsbegründende Vertrag genau diese Geltungsbedingung überhaupt erst schaffen soll: "Was aber soll es heißen, ein Vertrag sei geschlossen, ehe noch die Möglichkeit eines Vertragsschlusses, ehe noch die rechtliche Beziehung, die den Begriff des Vertrages beherrscht, gegeben ist?" 1 1 0
Die unterstellte Zirkularität des Kontraktualismus beruht allerdings auf der Voraussetzung, daß die Gültigkeit von Verträgen von der Existenz einer souveränen Rechtssicherungsgewalt abhängt. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den geltungstheoretischen Überlegungen, die Hobbes in der Theorie der natürlichen Gesetze entfaltet hat. Der Zirkularitätsvorwurf ist somit in Wahrheit nur eine Spielart der rechtspositivistischen Grundüberzeugung, daß erst die Staatsgewalt die Geltungsgründe des Rechts schafft, und die nicht zwischen den Aspekten der Gültigkeit
und der Wirksamkeit
von Verträgen
unterscheidet.111 In eine ähnliche Richtung wie der Zirkularitätsvorwurf gehen die Einwände, die Hampton und Kavka im Rahmen ihrer Hobbes-Interpretation erhoben haben.112 Sie unterstellen Hobbes das folgende Problem:
109
Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 216. Hönigswald, Hobbes und die Staatsphilosophie, S. 162; Heger, Die Politik des Thomas Hobbes, S. 93, spricht von der "Aporie, daß die Individuen ihre Rechte auf den Souverän transferieren sollen, obwohl sie doch erst unter der Herrschaft des Souveräns zu anerkannten Inhabern von Rechten, zu Rechtssubjekten werden. Die logische Ungereimtheit der Vertragstheorie liegt mithin, zusammengefaßt, darin, daß der herrschaftsbegründende Vertrag, um Geltung haben zu können, das schon voraussetzt, was er erst begründen soll". Daß das Vorhandensein einer souveränen Staatsgewalt die eigentliche Bedingung für die Geltung des Rechts darstellt, ist die falsche Prämisse, auf welcher der Zirkularitätsvorwurf auch bei den im folgenden angeführten Autoren beruht: Schottky, Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, S. 27 f.; Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 229 f.; Höffe, Widersprüche im Leviathan, S. 129. 111 Die Verwechslung von Geltung und Wirksamkeit spiegelt sich auch in der Behauptung Jellineks (Allgemeine Staatslehre, S. 333) wider, daß eine Norm dann gilt, "wenn sie die Fähigkeit hat, motivierend zu wirken, den Willen zu bestimmen". 112 Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, p. 132: "Hobbesian people can keep virtually no contracts, but if this is so, how can they keep a 'social contract' instituting the sovereign? More generally, if Hobbesian people cannot cooperate on much of anything in the state of nature, how can they cooperate on the souvereign's institution?"; Kavka , Hobbesian Moral and Political Theory, pp. 236-237: "How is it 110
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wenn die Menschen im Naturzustand kein hinreichendes Maß gesellschaftlicher Kooperation bewerkstelligen können, um abgeschlossene Verträge einzuhalten, wie sollen sie dann dazu in der Lage sein, eine souveräne Staatsgewalt zu institutionalisieren? Für Hobbes wird der Übergang vom status naturalis zum status civilis nicht unter dem Gesichtspunkt zu einem begründungstheoretischen Problem, ob "Hobbesian people" auf der Grundlage einer bestimmten anthropologisch-psychologischen Beschaffenheit, die sie zu rational kalkulierenden Egoisten werden läßt, überhaupt dazu motiviert werden können, einen mit absoluter Souveränität ausgestatteten Herrscher zu konstituieren, weil auf diese Weise eine vorteilhaftere Form der Interessensverfolgung verwirklicht werden könnte. Indem sowohl Hampton als auch Kavka die Naturzustandskonstruktion im Sinne eines spieltheoretischen Strukturmodells begreifen, in welchem Hobbes die Grundprinzipien einer am Prinzip der Schadensminimierung orientierten subjektiven Entscheidungsrationalität propagiere, gelangen sie auch bei der Interpretation des kontraktualistischen Arguments zu Ergebnissen, welche die Rechtslogik der Hobbesschen Überlegungen weitgehend ausblenden. Insbesondere Hampton entwickelt aus ihrer bereits kritisierten motivationstheoretischen Deutung des Naturzustandes ganz folgerichtig eine Deutung der Vertragslehre, die von ihr selbst als "iconoclastic" bezeichnet wird. 1 1 3 Sie favorisiert die Vorstellung, es handele sich bei der Konzeption des Gesellschaftsvertrags nicht um einen Vertrag im engeren (Rechts-)Sinne, sondern in Wahrheit um eine auf dem vernünftigen Selbstinteresse der Beteiligten beruhende Übereinkunft. Daher sei die Redeweise vom Vertrag irreführend, weil Hobbes zur Begründung der souveränen Staatsgewalt nicht auf die Rechtsfigur der vertraglichen Übertragung von Rechten, sondern auf ein "'self-interested' agreement" rekurriere: "'Self-interested' agreements differ from contracts in being coordinations of intentions to act that are kept by both parties solely for self-interested reasons , whereas contracts are trades of promises that introduce moral incentives that are either supplement or replace each party's self-interested motivations." 114
Kersting hat Hamptons motivationstheoretische Charakterisierung des Vertrags im Sinne eines '"self-interested' agreement" mit Recht einer scharfen Kritik unterzogen. 115 Er zeigt insbesondere, daß die Frage, aus welchen Motiven eine Übereinkunft eingehalten wird, von der rechtsphilosophischen Fragestellung, ob ein Vertrag vorliegt oder nicht, unterschieden werden muß. Die
possible [...] for state-of-nature parties to come together to negociate a social contract when they distrust and fear one another? Will not the same logic of anticipation which leads to the war of all individuals or all groups operate to preclude the possibility of peaceful assembly and discussion?" 113 Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, p. 4. 114 Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 145/147. 115 Kersting,, Hobbes zur Einführung, S. 151 f.
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von Hampton und Kavka aufgeworfene Frage nach den subjektiven Motivationsgründen des Vertragsabschlusses beruht wie der Zirkularitätsvorwurf auf der Verkennung der Funktion der vernunftrechtlichen Vertragsdogmatik. Da Hobbes das Problem der Institutionalisierung souveräner Herrschaft unter Gesichtspunkten der Rechtsphilosophie, nicht aber unter dem Aspekt der Beschreibung des wirklichen bzw. hypothetischen Verhaltens der Menschen als rationaler Nutzenmaximierer diskutiert, ist für ihn die mit dem Übergang vom status naturalis zum status civilis verbundene Problematik geltungs-, nicht motivationstheoretischer Natur: nicht daß die Menschen mit bestimmten psychologischen Eigenschaften nicht wirksam zur Einhaltung von Verträgen motiviert werden können, ist das Hobbes beschäftigende Problem, sondern welcher Art die rechtlich-institutionellen Voraussetzungen sind, damit aus an und für sich geltenden auch rechtsverbindlich sanktionierte Verträge werden. 116 Ein ungleich anspruchsvoller begründeter Einwand gegen den staatsphilosophischen Kontraktualismus ist von Hegel erhoben worden. Im Zentrum der Hegeischen Kritik der kontraktualistischen Begründung des Staates steht der Vorwurf, daß der juristische Vertrag eine privatrechtliche Kategorie darstellt, die nur in der Sphäre willkürlich eingegangener Verbindlichkeiten ihren angemessenen Platz hat. Der Vertrag ist für Hegel nur Form der Vermittlung des Willens von zwei oder mehr Rechtspersonen durch wechselseitige Entäußerung ihres Eigentums. Durch den Vertrag wird eine Gemeinsamkeit dieser Willen im Hinblick auf einen besonderen Zweck gestiftet, wobei ihre Übereinstimmung neben diesem Zweck selbst noch die rechtlichen Folgen eines eventuellen Vertragsbruchs umfaßt. Für das Wesen privatrechtlicher Verträge ist es konstitutiv, daß sie eine bloße Gemeinsamkeit, d. h. eine an sich zufällige und willkürliche Übereinstimmung zweier oder mehrerer Personen im Hinblick auf einen zufälligen Zweck begründen. Für privatrechtliche Verträge ist weiterhin charakteristisch, daß sie solche Gegenstände betreffen, die der bloß zufälligen 'Materie der Willkür' angehören. Diese besonderen Vertragsinhalte sind somit dem Willen der Vertragsparteien an sich äußer-
116
Kerstings Einwand, daß Hampton die rechtsphilosophische Pointe des Hobbesschen Kontraktualismus verfehlt, ist sicherlich zutreffend. Dennoch bleibt Kerstings rechtstheoretisch begründeter Einwand ein isoliertes Moment im Rahmen der von ihm selbst vorgetragenen Interpretation, die sich weitgehend Hamptons revisionistischer Hobbes-Deutung anschließt. Wie sie stellt auch Kersting (Hobbes zur Einführung, S. 110) die Frage, wie es gelingen kann, "das unendlich freie Individuum zu der legitimitätsstiftenden Selbsteinschränkung und Herrschaftsbildung, also zur Aufgabe seiner natürlichen Freiheit, zu motivieren", in das Zentrum seiner eigenen Überlegungen. Darüber hinaus muß gefragt werden, ob Hamptons motivationstheoretische Deutung des Gesellschaftsvertrags nicht eine unvermeidliche Konsequenz der ihrerseits motivationstheoretischen Konzeption des Naturzustandes darstellt. Vgl. hierzu Vf, Rezension von Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 1350-1354.
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l i e h . 1 1 7 Demgegenüber besteht der Inhalt des Gesellschaftsvertrags in einem solchen Zweck, den zu haben keineswegs Sache und Entscheidung der Willkür ist: dasjenige, worüber sich die einzelnen im staatsbegründenden Vertrag einigen, ist gerade nicht ein zufälliger, besonderer Inhalt und Zweck, sondern es sind die objektiven Bedingungen der Verwirklichung des Rechts. Dieser Aspekt der Hegeischen Kritik läßt sich so zusammenfassen, daß der Versuch, die Vertragsfigur auf die Ebene der Staatskonstitution und des Staatsrechts zu übertragen, auf einer sachlich unangemessenen Vermischung privat- und öffentlich-rechtlicher Verhältnisse beruht. Diese Kritik, mit welcher Hegel die von Montesquieu erhobene Forderung aufgreift, den unterschiedlichen 'Esprit des lois' in der Sphäre des Privat- und des Staatsrechtes nicht miteinander zu vermengen 118 , hat Hegel insbesondere in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts formuliert: "Ebensowenig liegt die Natur des Staats im Vertragsverhältnisse, ob der Staat als ein Vertrag aller mit allen oder als ein Vertrag dieser aller mit dem Fürsten und der Regierung genommen werde. - Die Einmischung dieses, sowie der Verhältnisse des Privateigentums überhaupt, in das Staatsverhältnis hat die größten Verwirrungen im Staatsrecht und in der Wirklichkeit hervorgebracht. [...] So sind in einer neueren Zeitperiode die Rechte des Fürsten und des Staates als Vertragsgegenstände und auf ihn gegründet, als ein bloß Gemeinsames des Willens und aus der Willkür der in einen Staat Vereinigten Hervorgegangenes, betrachtet worden." 119
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Vgl. hierzu auch Enz1 § 440: "Das äusserliche Moment, daß die Regierung als das Allgemeine in individueller Wirklichkeit gegen das Extrem der Einzelnheit, das in seiner abstracten Bestimmung die bloß collective Form eines Aggregats von Vielen hat, und so zuweilen den falschen Nahmen Volk führt, steht, giebt die falsche Bestimmung, als ob die Verfassung ein Vertrag, nemlich die willkiihrliche und zufällige Sache sey. Der Zusammenhang ist vielmehr ein substantieller und absoluter; aus ihm gehen erst alle Rechte und deren Wirklichkeit hervor". 118 Montesquieu , EdL XXVI, 15: "Qu'il ne faut point régler, par les principes du droit politique, les choses qui dépendent des principes du droit civil"; XXVI, 16: "Qu'il ne faut point décider par les règles du droit civil, quand il s'agit de décider par celles du droit politique." 119 Rph § 75 Anm., vgl. auch Rph § 258 Anm. Der gleiche kritische Einwand gegen den Kontraktualismus findet sich bereits in der ersten publizierten rechtsphilosophischen Schrift Hegels, dem sog. Naturrechtsaufsatz: "Zu den neuen Zeiten hat in der innern Haushaltung des Naturrechts diese äußere Gerechtigkeit, die im bestehenden Endlichen reflectirte und darum formelle Unendlichkeit, welche das Princip des bürgerlichen Rechts ausmacht, sich eine besondere Oberherrschaft über das Staats- und Völkerrecht erworben. Die Form eines solchen untergeordneten Verhältnisses, wie der Vertrag ist, hat sich in die absolute Majestät der sittlichen Totalität eingedrängt, und es ist ζ. B. für die Monarchie die absolute Allgemeinheit des Mittelpuncts und das Einsseyn des Besondern in ihm, bald nach dem Bevollmächtigungsvertrage als ein Verhältniß eines obersten Staatsbeamten zu dem Abstractum des Staats, bald nach dem Verhältnisse des gemeinen Vertrags überhaupt, als eine Sache zweyer bestimmter Partheyen, deren jede der andern bedarf, als ein Verhältniß gegenseitiger Leistung begriffen, und durch solche Verhältnisse, welche ganz im Endlichen sind, unmittelbar
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Zunächst ist es wichtig festzustellen, daß Hegel hier eine Version des Kontraktualismus im Auge hat, die, weil sie den Souverän selbst zur Vertragspartei macht, von Hobbes selbst bekämpft wurde. Im Hinblick auf den widersprüchlichen Gedanken einer vertraglichen Bindung des Souveräns formuliert Hegels Kritik also nur mit größerem Nachdruck einen Gesichtspunkt, der dem Vertragstheoretiker Hobbes gleichfalls geläufig ist: auch für diesen ist der Gesellschaftsvertrag als staatsrechtlicher Konstitutionsakt ein Rechtskonzept sui generis, das nur dem Namen nach mit dem privatrechtlichen Vertragsverhältnis identisch ist: das kontraktualistisch begründete Staatsrecht, insbesondere die Beziehungen zwischen Souverän und Bürger, hat nichts zu tun mit den durch privatrechtliche Verträge gestifteten Rechtsbeziehungen zweier einzelner Personen. Der Gesellschaftsvertrag stiftet weder bei Hobbes noch bei Kant eine Beziehung und wechselseitige Verpflichtung zwischen gleichberechtigten Partnern, sondern den Begriff der Einheit des subjektiven Willens der einzelnen und des allgemein-gesetzgebenden Willens des Staates. Somit ist der staatsbegründende Vertrag durch die institutionellen Rechtsfolgen (die Schaffung der staatlichen Einheit, in welcher der Wille aller einzelnen vereinigt ist) wesentlich von allen anderen Arten vertraglicher Vereinbarung unterschieden.120 Hobbes hatte bereits ansatzweise erkannt, daß der in der Figur des Vertrags begrifflich zum Ausdruck kommende Konstitutionsakt des Staates von solchen Übereinkünften unterschieden werden muß, in denen mehrere Individuen einen bestimmten, gemeinsamen Zweck zum Gegenstand von Abmachungen erheben. Auch für Hobbes ist der Vertragsinhalt etwas, was dem Belieben der einzelnen entzogen ist, da die durch ihn bewirkte Übereinstimmung aller in Beziehung auf die Gesetzlichkeit des äußeren Freiheitsgebrauchs für den Willen der Vertragspartner eine (unbedingte) praktische Notwendigkeit darstellt. Die im Hinblick auf die souveräne Rechtszwangsgewalt konstitutiven vernunftrechtlichen Bedingungen werden vertragsunabhängig (aus dem juridischen Widerspruch des Naturzustandes) begründet, während der Vertrag als solcher nur noch dem Nachweis dient, daß die Kon-
die Idee und absolute Majestät vernichtet worden; so wie es auch an sich widersprechend ist, wenn für das Völkerrecht nach dem Verhältnisse des bürgerlichen Vertrags, der unmittelbar auf die Einzelnheit und Abhängigkeit der Subjecte geht, das Verhältniß absolut selbstständiger und freyer Völker, welche sittliche Totalitäten sind, bestimmt werden soll" (GW 4, S. 476 f.). 120 Es gehört zu den Paradoxien der Hegeischen Vertragskritik, daß sie gerade diesen Gedanken der übergreifenden Einheit des Staatswillens, die doch auch das Zentrum der Hobbesschen Vertragskonstruktion ausmacht (vgl. Lev. XVII, p. 120: "This is more than Consent, or Concord; it is a reali Unity of them all, in one and the same Person"), gegen die Vertragstheorie ins Feld führt: "Ein geringes Nachdenken läßt erkennen, daß der Zusammenhang von Fürst und Untertan, von Regierung und Volk eine ursprüngliche, substantielle Einheit zur Grundlage ihrer Verhältnisse hat, da im Vertrage hingegen vielmehr vom Gegenteil, nämlich der gleichen Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit beider Teile gegeneinander ausgegangen wird" (MM IV, S. 505).
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stitution der Staatsgewalt als etwas begriffen werden kann, das die ihr unterworfenen Bürger selbst gewollt haben. Somit zielt Hegels Vorwurf, jedenfalls was die Vertragskonstruktionen von Hobbes und Kant angeht, ins Leere. Beide waren ja der Auffassung, daß die durch den Gesellschaftsvertrag konstituierte Übereinstimmung des Willens keine bloße Gemeinsamkeit eines besonderen Zweckes mehr i s t 1 2 1 , sondern die Übereinstimmung aller in der möglichen Bestimmung ihrer Rechte. Daß in dieser Unterscheidung zwischen der bloß privatrechtlichen Gemeinsamkeit und der objektiven Allgemeinheit desjenigen Willens, der das Recht als Prinzip des vergesellschafteten Handelns will, die Pointe des staatsphilosophischen Kontraktualismus liegt, hatte schon Rousseau mit seiner Differenzierung zwischen der volonté de tous und der volonté générale hervorgehoben. 122 Noch deutlicher wird die Spezifik der objektiven Allgemeinheit des Vertragsinhaltes in der Kantischen Formulierung: "Unter allen Verträgen, wodurch eine Menge von Menschen sich zu einer Gesellschaft verbindet (pactum sociale), ist der Vertrag der Errichtung einer bürgerlichen Verfassung unter ihnen (pactum unionis civilis) von so eigenthümlicher Art, daß, ob er zwar in Ansehung der Ausführung vieles mit jedem anderen (der eben sowohl auf irgend einen beliebigen gemeinschaftlich zu befördernden Zweck gerichtet ist) gemein hat, er sich doch im Princip seiner Stiftung (constitutionis civilis) von allen anderen wesentlich unterscheidet. Verbindung Vieler zu irgend einem (gemeinsamen) Zwecke (den Alle haben) ist in allen Gesellschaftsverträgen anzutreffen; aber Verbindung derselben, die an sich selbst Zweck ist (den ein jeder haben soll), mithin die in einem jeden äußeren Verhältnisse der Menschen überhaupt, welche nicht umhin können in wechselseitigen Einfluß auf einander zu gerathen, unbedingte und erste Pflicht ist: eine solche ist nur in einer Gesellschaft, so fern sie sich im bürgerlichen Zustande befindet, d. i. ein gemeines Wesen ausmacht, anzutreffen. Der Zweck nun, der in solchem äußern Verhältniß an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingimg (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das Recht der Menschen unter öffentlichen Zwangsgesetzen, durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Andere4n Eingriff gesichert werden kann" (Kant, TuP, AA VÏÏI, S. 2899.28)· 3 Die Differenz von privatrechtlichem und staatsbegründendem Vertrag liegt also schon für Kant darin, daß der letztere einen praktischen Zweck des Willens ausdrückt, den jeder Wille notwendigerweise haben muß, während
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Lev. XVn, p. 120: "This is more than Consent, or Concord; it is a reali Unitie of them all, in one and the same Person, made by Covenant of every man with every man". 122 CS Π, 3; OC ΠΙ, p. 371. 123 Andere Vernunftrechtstheoretiker hatten schon vor Kant die "eigentümliche Art" des staatsbegründenden Vertrages hervorgehoben, so ζ. B. Locke (ST § 14): "For tis not every Compact that puts an end to the State of Nature between Men, but only this one of agreeing together mutually to enter one Community, and make one Body Politick; other Promises and Compacts, Men may make one with another, and yet still be in the State of Nature"; auch Rousseau (Lettres écrites de la montagne VI; OC ΙΠ, p. 807) betont, daß der Gesellschaftsvertrag "un pacte d'une espece particulière" sei.
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gerade dies für den juristischen Vertrag nicht zutrifft. Als Kern des vertragskritischen Arguments, das Hegel vorbringt, erweist sich somit paradoxerweise ein Gedanke, der bei den Vertragstheoretikern Hobbes, Rousseau und Kant vorgebildet ist: nämlich der von allen drei Autoren initiierte und von Hegel nur systematisch ausgeführte Gedanke der Differenzierung zwischen der empirisch-zufälligen Willkür, die bloß ein untergeordnetes Moment des Begriffs des Willens selbst darstellt, und dem an und für sich seienden Willen, der die Deduktionsbasis der Rechtsphilosophie bildet. Dieser an und für sich seiende Wille ist keineswegs mehr der besondere Wille eines einzelnen Individuums, sondern vielmehr der durch den Begriff des objektiven Geistes bestimmte Wille, der sich in seiner objektiven Allgemeinheit und vernünftigen Freiheit prozeßhaft verwirklichen will: "der freie Wille, der den freien Willen will" (Rph § 27), bzw. deijenige Wille, der das Recht als Dasein seiner Freiheit will (Rph § 29). An die Stelle der individualistischen, auf die freie Willkür fixierten Deduktionsbasis seiner Vorgänger tritt bei Hegel der objektive Geist in der Gestalt des an und für sich freien Willens, der sich seinerseits in einer "Reihe von Gestaltungen" (Rph § 32) manifestiert. Aber Hegels kritische Wendung gegen den Kontraktualismus des neuzeitlichen Vernunftrechts erschöpft sich nicht in der Kritik an der Vermischung bzw. Verwechslung privat- und staatsrechtlicher Kategorien und Ebenen. Man kann Hegels vertragskritische Position nur dann angemessen verstehen, wenn man die Intentionen seiner spekulativen Neubegründung der Rechtsphilosophie im Auge behält. Zum einen - so läßt sich zusammenfassend sagen - stimmt Hegel mit dem allgemeinen Grundgedanken des neuzeitlichen Naturrechts, d. h. mit der Zurückführung der Notwendigkeit von Staat und Recht auf den Willen der Menschen, überein: daß das neuzeitliche Vernunftrecht und insbesondere Rousseau den "Willen als Prinzip des Staats" aufgestellt hat (Rph § 258 Anm.), daß also der freie Wille und nicht der Wille Gottes oder die vernünftige Natur der "Boden des Rechts" (Rph § 4) ist, sind Grundprämissen, die Hegel von seinen Vorgängern übernimmt. Aber indem Hegel den Begriff des freien Willens anders als seine Vorgänger spekulativ faßt, d. h. als Willen, der auch als einzelner immer schon das Wissen und Wollen des an und für sich Allgemeinen und dadurch objektiver Geist ist, gelangt er zu einer entschiedenen Ablehnung der besonderen systematischen Funktion des Kontraktualismus. Hegel wendet sich insbesondere gegen die "atomistische" Grundüberzeugung des Primats des Individuums gegenüber Staat und Gesellschaft und gegen die damit verknüpfte instrumenteile Vorstellung von Recht und Staat als Mittel der Verwirklichung der Individualität. Indem Hegel selbst in seiner Rechtsphilosophie die abstrakt-individualistische Deduktionsbasis des neuzeitlichen Naturrechts verläßt und an ihre Stelle den Begriff des freien Willens, der den freien Willen will (Rph § 27), setzt, entfällt für ihn zugleich die Notwendigkeit, das von seinen Vorgängern bloß als aus einem subjektiven Wil-
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lensakt hervorgehend gedachte Moment der Allgemeinheit erst noch vertraglich konstruieren zu wollen. Die eigentliche Stoßrichtung der Hegeischen Kritik am neuzeitlichen Kontraktualismus erschließt sich also erst dann, wenn man sich bewußt macht, daß sämtliche Vorwürfe Hegels im Hinblick auf die 'Abstraktionen' des Naturrechts und seine prinzipielle Gegnerschaft gegenüber den Versuchen des neuzeitlichen Naturrechts, Recht und Staat aus der Perspektive des abstrakten Individualismus bzw. 'Atomismus' zu konstruieren, im spekulativen Neuansatz seiner Philosophie ihren Grund haben.
2. Die Vertragskonkonstruktion in De Cive und ihre Defizite Die Benutzung der Vertragsfigur als rechtfertigungstheoretisches Argument ist keine Erfindung des Thomas Hobbes. Die Anfänge dieser Lehre, daß das Recht des Herrschers auf eine Rechtsübertragung durch das Volk zurückgeht oder aber die Entstehung der Gesellschaft selbst auf irgendwelchen Vereinbarungen der Menschen beruht, reichen bis in die Antike zurück: nicht nur in der bereits zitierten Staatsdefinition Ciceros oder im Corpus Juris Civilis 124 , sondern vor allem bei Lukrez 125 finden sich Ansätze einer kontraktualistischen Begründung staatlicher Herrschaft. Der Ausgangspunkt, auf den sich Hobbes' Konzeption des Staatsvertrags kritisch bezieht, ist jedoch die seit dem Mittelalter verbreitete Idee der bedingten Rechtsübertragung. 126 Nach Auffassung der klassischen Naturrechtslehre vor Hobbes ist das Volk der eigentliche naturrechtliche Träger der Staatsgewalt. Für die aus dieser Voraussetzung hervorgehende Vertragskonzeption ist zunächst die Grundüberzeugung charakteristisch, daß der Vertrag wesentlich Vereinigungsvertrag ist, d. h. er stiftet eine kollektive Gesamtpersönlichkeit der Gemeinschaft (communitas) bzw. des Volkes; ursprüngliche Staatsform ist die Demokratie, die allein dadurch entsteht, daß sich eine Menge von Menschen als ein Volk konstituiert. Diese durch den Vereinigungsvertrag ins Leben gerufene Volkspersönlichkeit gilt als ursprünglicher oder naturrechtlicher Träger der Staatsgewalt und als die "Quelle aller staatlichen Organisation". 127 Erst in einem zweiten Schritt, dem sog. Herrschafts- oder Einsetzungsvertrag, wird durch eine vertragliche Rechtsübertragung (translatio juris) die Herrschaftsgewalt auf eine (von der Gesamtheit des Volkes) verschiedene Person eines einzelnen (oder einer Versammlung) übertragen. Aus der begründungstheoretischen Priorität der Bildung der Volkspersönlichkeit wird auf ihre staatsrechtliche Suprematie und die bloß eingeschränkte, d. h. an Bedingungen geknüpfte 124 125 126 127
Z. B. D. 1,4, § 1. Lukrez, De rerum natura V, 1136 ff. Zum historischen Kontext vgl. Sommerville, Thomas Hobbes, pp. 57-63. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 144.
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Übertragung der Staatsgewalt an den Herrscher geschlossen. 128 Diese Übertragung des Herrschaftsrechts ist folglich in zweifacher Hinsicht bedingt: zum einen durch bestimmte natur- und verfassungsrechtliche Normen der lex naturae, zum anderen durch das ursprüngliche Recht des Volkes, das einen Anspruch auf gerechte Ausübung der Herrschaftsgewalt hat. Der staatsbegründende Vertrag kann gemäß dieser Staatsrechtsauffassung bloß das Prinzip der rechtlich möglichen Ausübung der Staatsgewalt sein: er ist ein Prinzip der Bestimmung des rechtmäßigen Gebrauchs der Staatsgewalt: als legitim wird diejenige Herrschaft gedacht, die mit dem im (wirklichen oder gedachten) Vertrag festgelegten Willen des Volkes übereinstimmt. 129 Aus der bedingten Übertragung des Herrschaftsrechts folgt weiterhin die Annahme eines Widerstandsrechts, das dem Volk zumindest in staatlichen Notstandssituationen zukommt: durch einen Verstoß gegen die legitimen vorstaatlichen Rechte des Volkes bzw. durch einen Bruch des Einsetzungsvertrages verwirkt der Herrscher die ihm übertragene staatsrechtliche Kompetenz und wird zum vogel128
Wie das Beispiel Lockes zeigt, muß dieser zweite Schritt der Übertragung der Staatsgewalt nicht unbedingt als formeller Vertrag ausformuliert werden: wichtiger als die Vertragsform als solche ist der Gedanke der Bindung des Herrscherwillens an das vorgängige Recht des Volkes. Locke hat im Second Treatise (§§ 134, 149, 155 f., 221 f., 239 f. u. ö.) zur Beschreibung des Verhältnisses des Volkes zu dem von ihm ermächtigen faktischen Herrscher auf den aus der zeitgenössischen englischen Verfassungslehre stammenden 'trust'-Begriff zurückgegriffen. Nach dieser Konzeption speist sich die Legitimität der jeweiligen Herrschaft aus der Vorstellung, daß ihre Ausübung durch den "trustee" innerhalb der Grenzen des treuhänderisch delegierten Auftrags geschieht, zu welchem die faktische Herrschaftsgewalt und das Herrschaftsrecht auf den Fürsten übertragen worden sind. Eine solche verfassungsrechtliche Position impliziert erstens eine mehr oder weniger strikte Verantwortlichkeit des Treuhänders und zweitens die Möglichkeit des Vertrauensentzugs, wenn der Vertrag gebrochen wird. Verstößt also der "trustee" gegen die Intentionen seiner Auftraggeber, kann er von ihnen gewaltsam zur Rückgabe seiner Kompetenzen gezwungen werden; das Widerstandsrecht bildet somit ein konstitutives Moment der trust'-Konzeption. Es ist aus diesem Grunde auch kein Zufall, daß sich gerade bei Locke 'anarchistische' Tendenzen in Gestalt der Anerkennung eines Revolutions- bzw. Widerstandsrechtes geltend machen. So spricht Laslett (Introduction, in: Locke, Two Treatises of Government, p. 118) von "recognizable anarchist elements" bei Locke; siehe auch Schottky, Die staatsphilosophische Vertragstheorie, S. 85 f.; Jellinek , Allgemeine Staatslehre, S. 217: "So ist denn die Vertragstheorie, logisch zu Ende gedacht, nicht staatsbegründend, sondern staatsauflösend." 129 Vgl z B. Milton , The Tenure of Kings and Magistrates, pp. 191-192: "The first was called a king, the other, magistrates: not to be their lords and masters [...], but to be their deputies and commissioners, to execute, by virtue of their intrusted power, that justice which else every man by the bond of nature and of covenant must have executed for himself, and for one another. [...] It being thus manifest that the power of kings and magistrates is nothing else but what is only derivative, transferred, and committed to them in trust from the people to the common good of them all, in whom the power yet remains fundamentally and cannot be taken from them without a violation of their natural birthright."
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freien Tyrannen, dessen Befehle ohne Rechtsverbindlichkeit sind; denn als Tyrann gilt derjenige, der durch seine vertragswidrige Herrschaft die salus populi verletzt und damit zugleich gegen die vorgegebene Rechtsordnung der lex naturalis verstößt, sich also außerhalb einer jeden möglichen Rechtsgemeinschaft unter Menschen stellt und somit zum Feind der Menschheit wird. 1 3 0 Da die klassische Naturrechtslehre von der Voraussetzung des natürlichen Gegebenseins der Gesellschaft und des Rechts ausgeht, fehlt ihr das Bedürfnis, den (freien) Willen der Rechtsunterworfenen zum Legitimationsprinzip staatlicher Herrschaft zu erklären. Es ist klar, daß im Rahmen dieser Voraussetzungen dem Vertrag nur eine untergeordnete Rolle zukommen kann: sein Inhalt reduziert sich auf die Übertragung der politischen Gewalt. Deshalb ist im Hinblick auf die vor-hobbesschen Vertragslehren auch nur vom Herrschaft τ-, nicht vom staatsbegründenden Vertrag als solchem die Rede: "Weit gefehlt wäre es nämlich, im Mittelalter eine Lehre zu suchen, die im Vertrage den letzten Rechtsgrund des Staates erblickt. [...] Die Vertragslehre des Mittelalters ist nicht Lehre von der primären Schöpfung des Staates, sondern von der Einsetzung des Herrschers im Staate. Nicht der populus, sondern der rex entsteht durch Vertrag. Die mittelalterliche Lehre ist daher überwiegend Lehre vom Subjektionsvertrag, der die Verfassung des Staates, aber nicht den Staat selbst schafft. Wenn sich daher auch hier und da Spuren eines Gesellschaftsvertrages nachweisen lassen, der nicht die Gewalt im gegebenen Staate ableiten, sondern den Staat selbst konstituieren will, so kommt es dennoch nirgends zu einer klaren Darstellung dieses Vertrags." 131
Mit Hobbes1 Revision der Grundlagen der Naturrechtslehre ändert sich grundlegend die legitimitionstheoretische Funktion des staatsphilosophischen Kontraktualismus. Diente die Vertragskonzeption im Rahmen der traditionellen Naturrechtslehre in erster Linie der Lösung des Problems, wie das Herrschaftsrecht, das ursprünglich unmittelbar von der Kollektivpersönlichkeit des Volkes ausgeübt wurde, auf den Monarchen (oder ein anderes Staatsorgan) übergegangen war, so wird bei Hobbes nunmehr der Vertrag zum Konstitutionsakt des Staates als rechtlicher Zwangsgewalt. Das Recht der Zwangsgesetzgebung wird hier nicht bloß übertragen, es wird vielmehr durch den Akt der Vereinigung aller im Willen des Souveräns überhaupt erst gestiftet. Aus dieser Einsicht folgt bei Hobbes unmittelbar eine weitere fundamentale Abänderung der systematischen Funktion des Vertrags: Für ein ursprüngliches Recht des Volkes, an das die Ausübung der staatlichen Herrschaft gebunden werden könnte, fehlen bei Hobbes alle systematischen Voraussetzungen. Das
130 V g l Cicero, De officiis ΙΠ, 32: "Nulla est enim societas nobis cum tyrannis et potius summa distractio est, neque est contra naturam spoliare eum, si possis, quem est honestuum necare, atque hoc omne genus pestiferum atque impium ex hominum communitate exterminandum est." 131
Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 204 f.; vgl. Euchner, Naturrecht und Politik, S. 37.
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Volk wird gleichfalls erst durch den Staatsvertrag gebildet; getrennt davon existiert nur die Menge, die nicht-rechtsfähige Vielheit von Individuen. 132 Für Hobbes also ist der Vertrag, den alle einzelnen miteinander schließen, nicht ein Akt, durch den das Volk sein der Staatsgewalt vorhergehendes Gesetzgebungs- und Herrschaftsrecht auf den Souverän unter der Bedingung einer vertragskonformen Ausübung der Herrschaftsgewalt überträgt, sondern derjenige Akt, durch den sich die einzelnen zu einem Volk im staatsrechtlichen Sinne zusammenschließen und durch den das Herrschaftsrecht überhaupt erst konstituiert wird 1 3 3 : "Das entscheidende Element der gedanklichen Konstruktion liegt darin, daß dieser Vertrag nicht, wie nach mittelalterlichen Vorstellungen, ein vorhandenes, von Gott geschaffenes Gemeinwesen und eine präexistente natürliche Ordnung betrifft, sondern daß der Staat als Ordnung und Gemeinwesen das Ergebnis menschlichen Verstandes und menschlicher Schöpfungskraft ist und durch den Vertrag überhaupt erst entsteht." 134
Die Aufgabe der Konstitution der staatlichen Willenseinheit soll nun auf dem Wege eines kollektiven Rechtsverzichts gelöst werden, indem sich alle einzelnen wechselseitig dazu verpflichten, sich dem Willen einer einzelnen Person oder eines Kollektivs derart zu unterwerfen, "vt pro voluntate omnium & singulorum, habendum sit, quicquid de iis rebus quae necessari» sunt ad pacem communem, ille voluerit" (DC V, 6). Die Spezifik dieses Vertrages besteht darin, daß er zwei unterschiedliche Aspekte miteinander verknüpft: - in einem ersten Schritt verzichten alle einzelnen - nicht auf ihr natürliches Recht auf Selbsterhaltung, denn dieses stellt die unaufgebbare Bedingung möglicher Verbindlichkeit dar, sondern - auf ihr Recht auf alles, d. h. auf den beliebigen Gebrauch ihrer äußeren Freiheit und auf ihr Recht, Richter in eigener Sache zu sein und über die notwendigen Mittel zur Sicherung des je eigenen Rechts zu entscheiden; - in einem weiteren Schritt verpflichten sich alle einzelnen wechselseitig, den Willen eines einzelnen als den zur Gesetzgebung autorisierten Willen aller
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Vgl. hierzu Kapitel C. ΙΠ. 1. Ich werde daher in bezug auf Hobbes nicht vom Gesellschafts-, sondern vom staatsbegründenden oder Staatsvertrag sprechen. 134 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 51; vgl. auch Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 204 f.; Gierke , Althusius, S. 82 ff.; Ebbinghaus, GS Π, S. 289. - Demgegenüber verkennt Kummerow (Vertrag und Vertragstreue, S. 470) die qualitativ anders geartete rechtsphilosophische Begründungsfunktion des Hobbesschen Kontraktualismus, wenn er behauptet, "daß die Vertragstheoretiker [der Neuzeit, D.H.] ursprünglich gar kein grundsätzlich neues Prinzip formulierten, sondern auf eine Tradition zurückgriffen, die ihre Muster schon im Alten Testament, (dem Bunde Gottes mit den Menschen), in der Antike und im germanischen Rechtsverständnis hatte." 133
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anzuerkennen, ihr ursprüngliches Mius resistendi" (DC II, 4; V, 11) aufzugeben und der Realisierung dieses Willens keinen Widerstand entgegenzusetzen. Nur diese qualifizierte Form des Rechtsverzichts - die 'iuris translatio', d. h. die Aufgabe des Rechts zugunsten eines bestimmten Dritten - , nicht aber die einfache 'renuntiatio simplex' (DC II, 4; Lev. XIV, p. 92) stiftet die erforderliche Willenseinheit. Auch in der Vertragsformel,
die Hobbes in De Cive verwendet, kommen
beide Aspekte - die reziproke Verpflichtung und die Unterwerfung unter den Willen eines dritten - deutlich zum Ausdruck: "Ciuis enim vnusquisque cum vnoquoque paciscens sic dicit, ego ius meum transfero
in hunc, vt tu tuum
transferas in eundem" (DC VI, 20). Schon Gierke hat daraufhingewiesen, daß
Hobbes in seiner Vertragskonstruktion in ganz eigentümlicher Weise zwei unterschiedliche Vertragshandlungen miteinander verbindet. 135 Auf der einen Seite gibt es das Element des Vereinigungsvertrages·, hier kommt es Hobbes auf die Darstellung des wechselseitigen Verpflichtungsverhältnisses eines jeden mit jedem an, d. h. auf die Begründung einer reziproken Verbindlichkeit, gemäß welcher sich jeder gegenüber allen anderen zur Übertragung seines Rechts auf alles bereit erklärt, sofern auch die anderen auf ihr Recht auf alles verzichten. Auf der anderen Seite gibt es das Element des Unterwerfungsvertrages'.
hiermit geht es Hobbes um die Darstellung des Vertrags-
inhaltes, d. h. um die durch den Akt der wechselseitigen Verpflichtung begründete Rechtsfolge der Ermächtigung bzw. Autorisierung eines Dritten, der auf diese Weise eine souveräne Rechtsposition gegenüber den vertragsschließenden Parteien erlangt. Die obligationstheoretische Besonderheit der Hobbesschen Konzeption des Staatsvertrages besteht darin, daß sie kein wechselseitiges Verpflichtungsverhältnis zwischen dem ermächtigten Repräsentanten und den Untertanen, deren Wille repräsentiert wird, begründet: "Der Souverän ist vertragsbegünstigt, aber
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Gierke , Althusius, S. 341 f.: "Dieser Staatsgrundvertrag ist seinem Wesen nach reiner Unterwerfungsvertrag. Allein er enthält zugleich, da er ja die vorher unverbundenen Individuen überhaupt erst vereinigt, den Vereinigungsvertrag. Ja, er ist der Form nach, da er lediglich unter den Einzelnen ohne Mitwirkung des Herrschers geschlossen wird, reiner Vereinigungsvertrag, nur eben ein Vereinigungsvertrag, der keinerlei Gesellschaftsverhältnis unter den Kontrahenten hervorbringt, sondern die Vereinigung ausschließlich durch gleichzeitige und gleichmäßige Unterwerfung bewirkt"; Gauthier, Hobbes's Social Contract, p. 134: "Hobbes's procedure for instituting a sovereign has two parts. The first is a covenant of every person with every other person. The second is the authorization, by every person, of some one person (or group)." - Daß Hobbes dennoch die Verschiedenheit der beiden Schritte nicht hinreichend berücksichtige und sie nicht systematisch als die Akte des Gesellschafts- bzw. Herrschaftsvertrages (pactum unionis bzw. pactum subjectionis) unterscheide, bildet bei Pufendorf (ING VE, 2, § 10 ff.) den Gegenstand einer umfangreichen Kritik.
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nicht vertragsbeteiligt", geschweige denn vertraglich gebunden.136 Die aus dem gegenseitigen Verzicht auf die ungehinderte Ausübung des natürlichen Rechts hervorgehende Verbindlichkeit betrifft unmittelbar nur die vertragsschließenden einzelnen. Aus diesem Grunde erscheint die Rechtsposition des Souveräns in De Cive als Folge eines einfachen Rechtsverzichts: indem alle einzelnen auf ihr Recht auf alles verzichten, verschaffen sie dem Recht des Souveräns eine ungehinderte Wirksamkeit. Hobbes hat diesen Akt kollektiven Rechtsverzichts auch als "translatio juris" (DC II, 4; V, 8) bezeichnet. Aber dies ist nach seiner Auffassung eigentlich ein unzutreffender, nur metaphorischer Sprachgebrauch, da durch den staatsbegründenden Vertrag, durch den sich alle zur Unterwerfung unter den Willen eines Dritten verpflichten, auf Seiten des Begünstigten kein neues Recht gestiftet, sondern nur bewirkt wird, daß dieser in der Ausübung seines natürlichen Rechts auf alles, das er immer schon hat, nicht behindert wird. 1 3 7 Der Souverän wird - ohne selbst Vertragspartei oder vertraglich gebunden zu sein - durch den Rechtsverzicht der einzelnen nur ermächtigt, von seinem ursprünglichen Recht auf alles einen ungehinderten und produktiv-wirksamen Gebrauch zu machen. Auch im Leviathan vertritt Hobbes noch diese Position, daß die Rechtsposition des Souveräns weniger auf einer Rechtsübertragung beruht als auf einer Ermächtigung durch Ausschaltung von Hindernissen, die aus den entgegenstehenden Rechten der einzelnen entstehen.138 Der strategische Gewinn dieser Ausgestaltung des staatsbegründenden Vertrags liegt auf der Hand: indem Hobbes dem Souverän eine Vertragsexterne Position' (Kersting) einräumt, vermeidet er ein Problem der traditionellen Vertragskonzeptionen. Denn bei Hobbes kann der Herrscher durch keine seiner Maßnahmen gegenüber seinen Untertanen vertragsbrüchig werden. Folglich gibt es auch kein Recht auf Widerstand, auf das sich die einzelnen im Falle des Vertragsbruchs durch den Herrscher berufen könnten. Trotz dieses strategischen Gewinns wirft die Hobbessche Fassung des Staatsvertrags als Akt einer wechselseitigen vertrag-
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Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 97. DC Π, 4: "Iuris autem translationem in solâ non-resistentiâ consistere, ex eo intelligitur, quod ante iuris translationem , is in quem transfertur, ius habebat iam tum in omnia; vnde nouum ius dare non potuit, sed iusta transferentis resistentia, propter quam, iure suo alter fruì non potuit, extinguitur." DC V, 11: "Quae Potestas & lus imperandi in eo consistit, quod vnusquisque ciuium omnem suam vim & potentiam, in illum hominem, vel Concilium transtulit. Quod fecisse, (quia vim suam in alium transferre naturali modo nemo potest) nihil aliud est, quam de iure suo resistendi decessisse." 138 Lev. XXVm, p. 214: "For the Subjects did not give the Sovereign that right; but only, in laying down theirs, strengthened him to use his own, as he should think fit, for the preservation of them all: so that it was not given, but left to him, and to him only; and (excepting the limits set him by naturall Law) as entire, as in the condition of meer Nature, and of warre of every one against his neighbour." 137
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lichen Verpflichtung der Individuen eine Reihe von Fragen auf. Zunächst ist zu bemerken, daß diese Auffassung, nach welcher der vertragliche Ermächtigungsakt letztlich einen bloßen Rechtsverzicht zugunsten eines Dritten beinhaltet, ohne daß ein neues Recht gestiftet würde, dem oben dargestellten Begriff des Staates als Körperschaft bzw. als juristischer Person widerspricht. Denn die Einführung des Konzepts der Staatspersönlichkeit bezog ihre Plausibilität gerade aus dem Umstand, daß sich die einzelnen in einer Weise zu einer körperschaftlichen Willensverband vereinigen, die eine von allen Formen des zufälligen Übereinkommens qualitativ verschiedene und qualitativ neue Gestalt annimmt. Wenn die 'persona civitatis' erst durch den Vertrag konstituiert wird, d. h. wenn sie ein Rechtssubjekt ist, das zuvor nicht existiert hat, dann kann es nicht wahr sein, daß der Souverän als Repräsentant dieser Körperschaft kein neues Recht erhält, und bloß der letzte übriggebliebene Inhaber des Rechtes auf alles ist. Die ausschließlich auf den Akt des kollektiven Rechtsverzichts eingeschränkte Bedeutung des staatsbegründenden Vertrags bleibt somit defizitär. Sie erlaubt zwar, den Vertrag als einen Akt der Ermächtigung zu betrachten, durch den der Destinatär des Vertrags in die Lage der ungehinderten Ausübung seines natürlichen Rechts versetzt wird, aber sie reicht nicht aus, um dem Verhältnis zwischen Bürger und Souverän eine spezifisch neue herrschaftsrechtliche Qualität zu verleihen. Zieht man also nur diese Rechtsverzichtslogik in Betracht, dann scheint der Souverän in der Tat diejenige Person zu sein, welche "die Wolfsmacht des Naturzustandes zurückbehält", so daß der Souverän nur "um den Preis, ein Wolf unter gleichmäßig Rechüosen bleiben zu müssen", ermächtigt werden kann. 139 Darüber hinaus scheint die fehlende Gegenseitigkeit der Verpflichtung in den Beziehungen zwischen dem Souverän und den Bürgern zur Folge zu haben, daß im Falle von Aufstand und Rebellion auch die Bürger keine Pflicht gegenüber dem Souverän, sondern gegenüber ihren Mitbürgern verletzten. 140 Es scheint, als habe Hobbes diese verbindlichkeitstheoretische Lücke seiner Vertragskonzeption selbst bemerkt, denn er stellt in De Cive VI, 20 die Behauptung auf, daß das Herrschaftrecht des Souveräns nicht allein von der wechselseitigen Verpflichtung der einzelnen abhängt, sondern durch eine zusätzliche unmittelbare Verbindlichkeit gegenüber dem Herrscher ergänzt werde. 141 An dieser
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Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 61,63. So ζ. B. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 209; Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 97. 141 "Itaque intercedentibus pactis quibus singulis singuli obligantur, & iuris donatione quam ratam habere obligantur imperanti, duplici obligatione ciuium munitur imperium, ea que est ad conciues, & ea quae est ad imperantem" (DC VI, 20). Warrender (The Political Philosophy of Hobbes, pp. 135-137) hat zu Recht darauf hingewiesen, es sehr schwierig sei, "to find the principle under which it is possible for Hobbes, in terms of his own theory, to introduce this additional obligation to the sovereign." 140
Π. Die Theorie des staatsbegründenden Vertrages
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Stelle wird der Rechtsverzicht von Hobbes als Rechtsschenkung ('iuris donatio', DC VI, 20), die eine Verbindlichkeit zugunsten des Souveräns erzeugt, bestimmt. Im Unterschied zu der reziproken Verbindlichkeit, welche die einzelnen durch ihren Rechtsverzicht untereinander stiften, begründet die Rechtsschenkung eine einseitige Verbindlichkeit aller gegenüber der autorisierten Instanz. In den Elements und in De Cive finden sich außerdem noch Restbestände einer dualistischen Theorie des staatsbegründenden Vertrags, die im Widerspruch zu Hobbes' eigener Souveränitätslehre stehen und insofern auf eine theoretisch unzulängliche Verhältnisbestimmung von Volk und Souverän verweisen. Denn obwohl er selbst betont, daß die "Doctrina de Civitatis in cives potestate" fast vollständig von dem Verständnis des Unterschieds zwischen einer bloßen Menge von Menschen (multitudo) und dem staatlich verfaßten, d. h. dem Willen des Souveräns unterworfenen Volk (populus), abhängt (DC VI, 1 annotatio), und obwohl er schon in den Elements die Auffassung, "that the people is a distinct body from him or them that have the sovereignty over them" (XXVII, 9), als staatstheoretisch falsche und politisch aufrührerische Doktrin brandmarkt, bleibt der staatsrechtliche Status des populus-Begriffs zweideutig. Denn im Widerspruch zu seiner eigenen Einsicht, daß das Volk "ante constitutionem ciuitatis" (DC VII, 7) nicht existieren und nur ideell in der jeweiligen Person des Souveräns enthalten sein kann 142 , spricht er dem Volk eine - wenngleich verschwindende - Rechtspersönlichkeit bei der Konstitution der monarchischen Gewalt zu. 1 4 3 Das Volk erscheint infolgedessen einmal als Resultat der durch den Gesellschaftsvertrag bewerkstelligten Unterwerfüng und als vertraglich konstituierten Willenseinheit: nur unter der Voraussetzung der Unterwerfung aller einzelnen unter den Willen des Souveräns macht es überhaupt erst Sinn, vom Volk als einer rechtlich konstituierten Vereinigung von Menschen im Unterschied zur bloß empirischen Menge zu sprechen. Das andere Mal aber soll schon durch die demokratische Form des Zusammenschlusses der vielen eine eigenständige korporative Rechtspersönlichkeit des Volkes entstehen. Besonders deutlich dominiert dieser Gedanke, daß der staatsbegründende Vertrag aus zwei unterschiedlichen Akten besteht, in den Elements, in denen Hobbes die Auffassung vertritt, die Demokratie sei von den drei möglichen Staatsformen "the first in order of time", da sie schon durch den bloßen Rechtsverzicht aller auf ihr Recht auf alles zustande komme. Demgegenüber seien Aristokratie und Monarchie zeitlich später anzusetzen, da sie einen weiteren vertraglichen Akt, nämlich die "nomination of persons agreed upon" (Elements XXI, 1), erforderten. Diese Zweideutigkeit ist darauf
142
Ζ. Β. DC VI, 13 annotatio: "Civitatem in personam Regis contineri". DC VE, 12: "Monarcha [...] recipit [...] imperium à populo\ sed [...] populus statim atque id factum est, persona esse desinit, pereunte autem personâ , périt omnis ad personam obligatio." 143
14*
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C. Hobbes philosophische Staatsrechtslehre
zurückzuführen, daß sich Hobbes, obwohl er von Anfang an einen entschiedenen l,Vernichtungskampf , gegen die Annahme einer besonderen Volkspersönlichkeit führte 144 , in den beiden frühen Fassungen seiner Staatsrechtslehre noch nicht vollständig von der zeitgenössischen Translationstheorie emanzipieren konnte, d. h. von der Vorstellung, daß in einem ersten Schritt der Staatskonstitution sich die einzelnen durch einen Vertrag zu einem demokratisch verfaßten Volk im Sinne eines eigenständigen Rechtssubjekts zusammenschließen. Nur so ist seine Behauptung verständlich, daß der monarchische Souverän sein Herrschaftsrecht durch einen Willensakt des Volkes, das sich schon als Staat konstituiert hat, erlange. Mit dieser Annahme der ursprünglichen, von der Person des Souveräns (als Inhaber der faktischen Staatsgewalt) unterschiedenen Persönlichkeit des Volkes gerät Hobbes in eine prekäre Nähe zu den verschiedenen traditionellen und zeitgenössischen, von ihm entschieden bekämpften Staatsrechtslehren, die glaubten, zwischen dem Volk als ursprünglichem bzw. eigentlichem naturrechtlichen Träger der Staatsgewalt und dem Fürsten als faktischem Staatsoberhaupt, dessen Herrschaftsrecht an den Auftrag des Volkes gebunden und durch diesen begrenzt ist, unterscheiden zu müssen. Zwar versucht Hobbes den souveränitätsfeindlichen Konsequenzen der Lehre von der Volkspersönlichkeit dadurch zu entgehen, daß sich diese durch den Zusammenschluß vieler konstituierte Rechtspersönlichkeit im Moment der Rechtsübertragung sofort auflösen soll, die Volkspersönlichkeit also im Augenblick ihrer Geburt stirbt und somit von einem wie auch immer gearteten Rechtsvorbehalt des Volkes keine Rede sein kann. 145 Dennoch ist nicht zu übersehen, daß diese nur unvollkommene Überwindung des traditionellen Konzepts der doppelten Majestät bzw. der doppelten Staatspersönlichkeit des Volkes und des Herrschers in einem grundsätzlichen Widerspruch zu den zentralen staatsrechtlichen Grundüberzeugungen von Hobbes steht und insbesondere mit den folgenden Bestimmungen seiner monistischen Souveränitätstheorie unvereinbar ist: 1. es kann kein vom Willen des Souveräns unabhängiges Recht irgendeiner Körperschaft geben, so daß es auch kein von der institutionalisierten souveränen Staatsgewalt unterschiedenes, mit staatsrechtlichen Kompetenzen ausgestattetes Organ oder eine solche Körperschaft geben kann; 2. es kann keinen staatsrechtlichen Vorbehalt auf Seiten des Volkes oder der vorstaatlichen "community" geben, weil es überhaupt kein dem Recht des (vertraglich konstituierten) Staates vorhergehendes und legitimierendes Recht des Volkes geben kann, von dem das Herrschaftsrecht des Souveräns in seiner Möglichkeit abhängen könnte.
144 145
Gierke , Deutsches Genossenschaftsrecht, Bd. IV, S. 292. Gierke , Deutsches Genossenschaftsrecht Bd. IV, S. 328.
Π. Die Theorie des staatsbegründenden Vertrages
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Angesichts solcher Schwierigkeiten kann nicht davon die Rede sein, daß Hobbes der Logik des kontraktualistischen Arguments in De Cive bis in alle Einzelheiten gerecht geworden wäre.
3. Die Theorie der Autorisation im Leviathan In den Elements und in De Cive hatte die vertraglich vereinbarte Rechtsübertragung nur den Verzicht auf Widerstand gegen den Staat bedeutet; die Funktion des Vertrages erschöpfte sich hier in der Fixierung des individuellen Rechtsverzichts. Damit aber setzt sich Hobbes, wie gezeigt worden ist, in Widerspruch zu den von ihm in anderen Zusammenhängen sehr wohl aufgezeigten rechtlichen Implikationen des Kontraktualismus. Es scheint, als sei der Philosoph selbst mit dieser Fassung des kontraktualistischen Arguments in seinen beiden frühen Schriften unzufrieden gewesen. Jedenfalls nimmt der Gang der Argumentation im Leviathan eine andere Richtung 146 : im Leviathan versucht Hobbes unter Rückgriff auf die Rechtsfigur der Autorisation die vertragliche Ermächtigung des Souveräns nicht mehr bloß mit den Mitteln der juristischen Figur des Rechtsverzichts darzustellen, sondern als ein Verhältnis der rechtlichen Stellvertretung bzw. der Repräsentation zu begründen. 147 Der mit dem Begriff der Autorisation verbundene begriffliche Fortschritt der Staatsrechtslehre besteht in der Einsicht, daß die Spezifik des den Gesellschaftsvertrag konstituierenden Rechtsaktes in der qualitativen Neuschöpfung eines Herrschaftsrechtes liegt, welches durch diesen Akt überhaupt erst konstituiert wird. Der Autor als Vertragspartei wird zum Urheber eines Rechtes, zu dessen Ausübung er einen Dritten ermächtigt. 148 Die so konstitutierte Autorität besteht darin, anstelle des Autors das "Right of doing any Action" (Lev. XVI, p. 112) wahrzunehmen. Gauthier, der als einer der ersten Interpreten die neue Vertragskonzeption des Leviathan analysiert, hat gezeigt, daß der Akt der Autorisation eine andere rechtliche Qualität besitzt als der einfache Rechtsverzicht: "Authorization must involve some translation of right. This is evidently not mere renunciation, nor is it transfer, in Hobbes's usual sense. For transfer is nothing more than a limited renunciation; if I transfer my right to some object to you, I merely 146
Es wurde schon betont, daß dies deijenige Punkt ist, an dem Hobbes im Leviathan , der ansonsten im Hinblick auf die Prägnanz der rechtsphilosophischen Argumentation hinter De Cive zurücksteht, einen bedeutenden begründungstheoretischen Fortschritt erzielt. 147 Die in De Cive entwickelte Begründungsstrategie des Rechtsverzichts wird also nicht aufgegeben, sondern ergänzt; vgl. Brandt, Rechtsverzicht und Herrschaft, S. 51: "So steht das transferre oder conferre neben dem neuen authorize, und auch in den weiteren Ausführungen im Leviathan werden beide Formen promiscue gebraucht". 148 Der Urheber wird zum Autor eines neuen Rechtes auf Seiten des Souveräns; für den Autor selbst bedeutet die Autorisierung die Schaffung einer neuen Verbindlichkeit.
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renounce my right to possess that object in so far as this would interfere with the exercise of your right to the object. Autorization, on the other hand, enables you to act in my place, and so with my right."149
Die Erzeugung der "Authority" des Souveräns, d. h. seines unbedingten Rechts, die oberste Befehlsgewalt (summum imperium) auszuüben und das 'ius gladij' auszuüben, ist somit das zentrale Ergebnis des staatsbegründenden Vertrags. Trotz dieser eindeutigen staatsrechtlichen Relation, nach welcher die Autorität immer Resultat eines Autorisationsaktes ist, ist in der HobbesForschung die Auffassung vertreten worden, Hobbes gründe Autorität auf Macht oder identifiziere auctoritas und potestas miteinander. 150 Diese Auffassung ist nur mit Einschränkungen richtig. Zutreffend ist sicherlich, daß Hobbes mit der antiken Begriffsbedeutung bricht. Denn während 'auctoritas' und 'potestas' in der Verfassung der römischen Republik die unterschiedlichen Kompetenzen von Senat und Magistrat bezeichnen und ihrerseits systematisch auf die durch die Comitien repräsentierte 'libertas' des Volkes bezogen sind, werden 'auctoritas' und 'potestas' bei Hobbes zu spezifisch staatsrechtlichen Bestimmungen des souveränen Staates.151 Unter authoritas bzw. authority versteht Hobbes jede vertraglich erworbene und durch einen dadurch "autorisierten" Vertreter ausgeübte Vertretungsmacht. Das Recht der staatlichen Herrschaft bzw. das "Right of doing any Action", das der Souverän durch den Gesellschaftsvertrag erlangt, ist daher nichts anderes als sein rechtliches Vermögen, durch sein Handeln und durch seine Gesetzgebung die Gesamtheit der Staatsbürger zu verpflichten. Bezogen auf die souveräne Staatsgewalt bedeutet Autorität die durch den Gesellschaftsvertrag begründete Amtsgewalt oder die souveräne Kompetenz, im Namen der einzelnen Untertanen zu herrschen und zu befehlen. 152 Demgegenüber bezeichnet potestas bzw. power die Macht des Staates, d. h. seine faktische Fähigkeit, den Gehorsam seiner Bürger zu erzwingen. Sie hängt im wesentlichen von der Durchsetzungsfähigkeit der staatlichen Institutionen und der Verfügung über entsprechende Zwangsinstrumente ab. Insofern ist auch dieses faktische Element der Durchsetzung des staatlichen Willens für Hobbes rechtsrelevant (wenngleich nur in sekundärer Hinsicht), insofern dort, wo die 'potestas' des Staates aufhört, wo es also der Staatsgewalt nicht mehr gelingt, der Rechtsordnung eine hinreichende Wirk149
Gauthier, The Logic of Leviathan, p. 124. Unabhängig von Gauthier ist Brandt (Rechtsverzicht und Herrschaft) zu ähnlichen Resultaten gelangt. 150 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 68 f.; Nonnenmacher, Ordnung der Gesellschaft, S. 310; differenzierter sind die Überlegungen von Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 201 f. 151 Diesen Bedeutungswandel zeigt im einzelnen Kessel, Auctoritas und Potestas, S. 215-233. 152 Daneben kennt Hobbes auch die traditionelle Bedeutung von Autorität im Sinne individuellen Ansehens aufgrund irgendeiner herausragenden Eigenschaft; vgl. De homine ΧΠΙ, 7.
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samkeit zu verleihen, auch die Pflicht zur Befolgung der staatlichen Gesetze erlischt. 153 Freilich repräsentiert die durch den staatsbegründenden Vertrag erworbene Autorität die bleibende Grundlage aller staatlichen Zwangsbefugnis, so daß die 'potestas' zwar eine notwendige, doch keine hinreichende Bedingung für die 'auctoritas' bildet. Obgleich also in der Hand des Souveräns vereinigt, bringen 'auctoritas' und 'potestas' unterschiedliche Aspekte staatlicher Herrschaft zum Ausdruck, werden also keineswegs einfach gleichgesetzt. Durch dieses staatsrechtliche Bedingungsverhältnis von Autorität und Zwangsbefügnis 154 unterscheidet sich Hobbes von den modernen positivistischen Lehren, die in zirkulärer Weise aus der faktischen Durchsetzung des staatlichen Willens auf eine zugrundeliegende Kompetenz der Rechtssetzung schließen.155 Im Hinblick auf die systematische Bedeutung der Einführung des Autorisationsfigur stellen sich nun zwei Fragen: 1. welcher Art ist der rechtsphilosophische Fortschritt, der durch die Rechtsfigur der Autorisation erreicht wird, und 2. bedeutet die Autorisation eine rechtliche Einschränkung staatlicher Herrschaft? Was die erste Frage angeht, so besteht innerhalb der Forschungsliteratur weitgehend Einigkeit, daß es Hobbes mit der Rechtsfigur der Autorisation tatsächlich gelingt, die Rechtsposition des Souveräns präziser zu bestimmen. Hatte die Verzichtskonstruktion in De Cive zur Folge, daß zwar auf Seiten der vertragsschließenden einzelnen die neue staatsbürgerliche Verbindlichkeit entstanden ist, den Befehlen des durch den Vertrag begünstigten Dritten keinen Widerstand entgegenzusetzen, während die Rechtsposition des Souveräns als letztem Inhaber des Rechts auf alles unverändert bleibt, so ermöglicht die Rechtsfigur der Autorisierung ein anderes Verständnis. Indem sich nämlich 153
Vgl. hierzu Abschnitte. 3. Auf der Grundlage von Hobbes' verbindlichkeitstheoretischem Prinzip, daß nur ein Akt vertraglicher Selbstbindung Autorität bzw. ein Herrschaftsrecht zu begründen vermag, hat dann Pufendorf das für die Kritik der machttheoretischen Begründung des Rechts fundamentale Argument entwickelt, daß Macht von ihrem Rechtsgrund, der 'justa causa', zu unterscheiden ist: "Qui enim nullam rationem allegare novit, quare mihi invito obligationem velit impingere, praeter solas vires, is teuere quidem me potest, ut effugiendo majori malo ipsi tantisper parere satius ducam. Sed eo metu remoto nihil amplius obstat, quo minus meo potius, quam illius arbitrio agam" (Pufendorf, De officiis hominis & civis I, 2, § 5). Dieses Argument bildet seinerseits einen der staatsrechtlichen Eckpunkte in Rousseaus Contrat social (CS I, 3, 4; OC ΠΙ, p. 354-355). 155 Stellvertretend für diese v. a. unter Juristen verbreitete positivistische Überzeugung mag hier die Äußerungs Radbruchs (Rechtsphilosophie, S. 175) stehen: "Wer Recht durchzusetzen vermag, beweist damit, daß er Recht zu setzen berufen ist." 154
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die einzelnen über ihren Rechtsverzicht hinaus verpflichten, alle Handlungen des Souveräns als ihre eigenen und damit den Souverän als Repräsentanten ihrer Person anzuerkennen, begründet die Autorisation nunmehr ein komplementäres Verhältnis zwischen Untertanen und Souverän: der neuen Verbindlichkeit auf seiten der Untertanen entspricht die neue rechtliche Qualität des Herrschaftsrechts, "the Right to Present the Person of them all, that is to say, to be their Representative" (Lev. XVIII, p. 121). Was die zweite Frage angeht, so hat Gauthier die Behauptung aufgestellt, daß mit der Rechtsfigur der Autorisation in keiner Weise ein bedingungsloser Rechtsverzicht verbunden sei: Autorisation "in no way involves the surrender of the author's right to the actor." 1 5 6 Wer einen anderen als Stellvertreter autorisiert, behalte sich gleichwohl das Recht vor, diese Autorisation rückgängig zu machen. In der Verwendung des Autorisationskonzepts liegt nach Gauthiers Auffassung deshalb ein entscheidender argumentativer Fortschritt begründet, weil es eine neue, liberalere Fassung des Verhältnisses von Souverän und Bürger erlaubt: "The success of Hobbes's new conceptual departure [...] is at once evident. The sovereign is no longer conceived as a natural person, possessed of the full right of nature made effective by the renunciation of natural right on the part of others, but an artifical person, possessed of the use of each man's right of nature. Every man is thus evidently involved in society in a positive manner, for the acts of the sovereign may be considered his own acts. The sovereign, in Hobbes's mature theory, is conceived as the representative of every member of society". 157 Obwohl Gauthier die Theorie der Autorisation als Hobbes' bleibenden Beitrag zur politischen Theorie betrachtet, ist er der Auffassung, daß die Autorisation bei Hobbes selbst eine bloße Fassade darstellt, hinter der sich die Theo-
156
Gauthier , The Logic of Leviathan, p. 149: "to confer the use of one's right on some other person is not to deprive oneself of that right". Gauthier (p. 154) stützt sich in diesem Zusammenhang u. a. auf folgende Passage des Dialogue : "He that Transferred his power, hath deprived himself of it: but he that Committeth it to another to be Exercised in his name, and under him, is still in the Possession of the same power" (Dialogue, p. 89). 157 Gauthier , The Logic of Leviathan, p. 127. - Andere Interpreten haben bestritten, daß die Einführung des Autorisationskonzepts der Vertragstheorie substantiell etwas hinzufügt. So ist ζ. B. Kavka (Hobbesian Moral and Political Theory, pp. 389391) der Auffassung, daß die Autorisation in Hobbes' politischer Theorie keine "essential logical role" spiele, und begründet diese Einschätzung mit dem Hinweis, daß sowohl die in den Elements und in De Cive favorisierte Konzeption der Rechtsübertragung als auch die Autorisation die gleiche Rechtsfolge, nämlich die Schrankenlosigkeit der souveränen Gewalt bewirken. Kavkas Einschätzung ist jedoch einseitig auf die Frage der Rechtsfolgen des Gesellschaftsvertrags fixiert und übersieht deshalb die im Begriff der Autorisation formulierte Erkenntnis, daß sich die Rechtsfolge des Gesellschaftsvertrags nicht darin erschöpfen kann, den Souverän als letzten und einzigen Inhaber des ursprünglich allen zukommenden Rechts auf alles übrig zu lassen, wie er dies in De Cive behauptet hatte.
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rie despotischer Souveränität verberge. 158 Gauthiers Versuch, die beiden von ihm zuvor unterschiedenen Momente - authorization und covenant159 - als liberale bzw. despotische Begründungsstrategien gegeneinander auszuspielen, beruht allerdings auf einem Mißverständnis im Hinblick auf die Rechtsfolgen, welche die Autorisation bei Hobbes hat. Wolfgang Kersting hat mit Recht bestritten, daß sich die Autorisierung des Souveräns im Sinne der 'liberalen' Lesart von Gauthier tatsächlich noch als "Rechtswahrnehmungsvertretung" verstehen läßt: "Der Sinn des Hobbesschen Autorisierungskonzepts liegt nicht in der Begründung eines rechtlichen Vertretungsverhältnisses". 160 Hobbes beabsichtige nämlich keineswegs, mit der Rechtsfigur der Autorisierung die souveräne Rechtsposition vertraglich an den Willen der Autoren 'rückzukoppeln'. Zwar ist es richtig, daß Autorisierung im privatrechtlichen Normalfall die Bedeutung einer "befristeten und zweckgebundenen Bevollmächtigung besitzt, die keinerlei Rechtsverzicht seitens dessen, der eine Vollmacht gibt, impliziert". Aber der staatsrechtliche Begriff der Autorisation im Sinne eines vollkommenen Alleinvertretungsanspruches muß von jenem gewöhnlichen Verständnis des privatrechtlichen Mandats unterschieden werden. 161 Diese Differenzierung zwischen rechtlich bedingter und absoluter Rechtsvertretung findet sich auch bei Hobbes selbst: entweder handelt es sich um eine rechtlich limitierte Stellvertretung, deren Art und Umfang im Autorisationsakt selbst festgelegt worden ist, oder der Autorisationsakt hat eine "Autority without stint" (Lev. XVI, p. 114) zur Folge. Die Staatsrechtslehre hat Hobbes deshalb zutreffend als den ersten Vertreter eines neuen, absorptiv-absoluten Repräsentationsmodells bezeichnet.162 Nach der gesamten argumentativen Struktur des 158
Gauthier, The Logic of Leviathan, p. 163. Gauthier , The Logic of Leviathan, p. 149: "The first component is the act of authorization, whereby the subject confers the use of his right of nature on the sovereign. The second is the act of covenant, whereby the subject obliges himself to all his fellow subjects to confer the use of his right on the sovereign, and not thereafter withdraw the use of his right from the sovereign." 160 Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 90 f. Auch Hampton (Hobbes and the Social Contract Tradition, p. 123) kritisiert, daß Gauthier mit dem Gedanken einer rechtlich beschränkten Autorisierung "is importing Lockean ideas into Leviathan". 161 Kersting , Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 90 f. Auch Ewin (Virtues and Rights, p. 20) lehnt Gauthiers Behauptung, die Autorisation bedeute ursprünglich eine Abschwächung des Souveränitätsgedankens, als irreführend ab: "The doctrine of authorization is better understood as an explanation of why the sovereign can do no injustice; it reflects the fact that, in Hobbes's theory, the function of the sovereign is to establish what is just in the face of disagreement about such matters, and peaceful coexistence requires that we be prepared to submit to such an arbitration procedure." 162 Zum Begriff der absorptiven Repräsentation, in welcher der empirische Wille des Autors vollständig im Willen des Repräsentanten aufgegangen ist, vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 569; Maluschke, Philosophische Grundlagen des Verfas159
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
staatsphilosophischen Kontraktualismus kann nun kein Zweifel daran bestehen, daß für Hobbes nur die bedingungslose Ermächtigung, welche eine unbeschränkte Autorität begründet, die notwendige Bedingung für die Schaffung einer souveränen Staatsgewalt ist. Wenngleich Hobbes also die Staatsgewalt durch einen vertraglichen Unterwerfungsakt der einzelnen konstituiert, so weist dieser Akt doch die Eigentümlichkeit auf, daß er eine Abstraktion vom empirischen Willen der vertragsschließenden einzelnen bedeutet. In diesem Sinne bekämpft Hobbes auch die falsche Auffassung, daß die kontraktualistische Begründung identisch sei mit einer vertraglichen Bindung des Souveräns: "The opinion that any Monarch receiveth his Power by Covenant, that is to say on Condition, proceedeth from want of understanding this easie truth, that Covenants being but words, and breath, have no force to oblige, contain, constrain, or protect any man, but what it hasfrom the public Sword" (Lev. XVIII, p. 123).
Die Bedingungslosigkeit der Ermächtigung ist die Voraussetzung dafür, daß der durch die Autorisation mit dem "right of Dominion" ausgestattete Souverän überhaupt als Repräsentant des Willens aller begriffen werden kann. Hierin unterscheidet sich die staatsrechtliche Repräsentation des Willens aller durch den Souverän von anderen, ζ. B. privatrechtlichen Formen der Stellvertretung, die durchaus beschränkt sein können und in diesem Falle nur eine "Commission" (Lev. XVI, pp. 112, 114), d. h. eine bedingte Bevollmächtigung, darstellen. Denn nur durch die uneingeschränkte Vertretungsmacht des Souveräns wird diejenige Rechtsfolge erreicht, die der staatsbegründende Vertrag bezweckt: die Verwandlung einer Menge von isolierten Individuen in eine einzige Person (bzw. in eine Körperschaft, die durch eine Person repräsentiert wird), die den identischen Willen aller getrennt vom empirischen Sonderwillen darstellt.
4. Der Unterschied zwischen dem institutionellen Staatsvertrag und dem "covenant of obedience" Abschließend muß noch ein Blick auf die beiden Wege geworfen werden, auf denen nach Hobbes die souveräne Gewalt erlangt werden kann (Lev. XVII, p. 121). Er unterscheidet zwischen dem "Common-wealth by Institution", der auch als "Politicali Common-wealth" bezeichnet wird, und dem "Commonwealth by Acquisition ", "which some Writers call DESPOTICALL" (Lev. XVII, p. 121; XX, p. 141; DC V, 11), wobei Hobbes sich offenkundig an die terminologische Unterscheidung des Aristoteles zwischen politischer und despotischer Herrschaft anlehnt, ohne jedoch das von Aristoteles ins Feld geführte Unterscheidungsmerkmal des jeweiligen Herrschaftsmodus zu akzepsungsstaates, S. 39-45, 295 f.; Gierke , Althusius, S. 220; ders., Deutsches Genossenschaftsrecht, Bd. IV, S. 413 f.; Leihholz, Die Repräsentation in der Demokratie, S. 58.
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tieren, daß die politische Herrschaft Herrschaft über Freie und Gleiche und die despotische eine Herrschaft über Unfreie darstellt. 163 Für Hobbes dagegen markiert die Differenz zwischen dem 'politischen' und dem 'despotischen' Staat keinen qualitativen Unterschied der Herrschaftspraxis, sondern einen solchen der Herrschaftskonstitution. Mit der Konzeption des despotischen Staates versucht Hobbes offenkundig, das durch Gewalt erlangte "REGNVM PATRIMONIALE" (DC IX, 10) begrifflich in seine Staatsrechtslehre zu integrieren. Der systematische Status dieser beiden unterschiedlichen Formen der Staats- bzw. Herrschaftskonstitution wird von Hobbes nicht weiter thematisiert. Der institutionelle Staatsvertrag, den Hobbes insbesondere im Kapitel XVIII des Leviathan thematisiert, stellt sich als Akt einer wechselseitigen Verpflichtung eines jeden mit allen anderen dar. Da nach Hobbes jeder Vertrag einen Austausch von Leistungen, d. h. eine "mutuali translation, or change of Right" (Lev. XIV, p. 95) zum Inhalt hat, stellt sich die Frage, was hier zwischen wem ausgetauscht wird. Die Vertragsformel aus Kapitel XVII besagt ausdrücklich, daß es sich bei dem staatsbegründenden Vertrag um einen "covenant of every man with every man" (Lev. XVII, p. 120) handelt, so daß nur die einzelnen als Vertragsparteien in Frage kommen, während der Souverän hier nur der Begünstigte des Vertrags, nicht selbst Vertragspartei ist. Dem institutionellen Staatsvertrag, durch welchen sich der Souverän von empirischen Einzelwillen der Kontrahenten emanzipiert und ihnen gegenüber eine absolute Rechtsposition gewinnt, steht der im Kapitel XX des Leviathan entwickelte "covenant of obedience" (Lev. XX, p. 142) gegenüber, der im Vergleich zu den vorhergehenden kontraktualistischen Ausführungen einen deutlichen begründungstheoretischen Rückfall markiert. Denn während bei dem institutionellen Akt der logisch-genetische Aspekt der Staatsgründung dominiert, es Hobbes also v. a. darauf ankommt, die Staatsgewalt als vernünftignotwendige Konsequenz des eigenen Wollens der einzelnen zu entwickeln, ist nicht ersichtlich, welche rechtsphilosophische Begründungsfunktion mit dem "covenant of obedience" eigentlich verknüpft ist. Schon Tönnies hat daher vermutet, daß "die Hineinfügung des Begriffes von einem patrimonialen Königtum" nur aus Hobbes' praktisch-politischen Tendenz, nicht aber systematisch zu erklären ist. 1 6 4 Im Kapitel XX behandelt Hobbes die Rechtsfolgen der Entstehung eines Staates "by Acquisition, [...] where the Soveraign Power is acquired by Force" (Lev. XX, p. 138). Diese Ausführungen sind insofern von Bedeutung, als Hobbes deutlich macht, daß das bloße Faktum der (physischen) Unterwerfung als solches keinerlei Verbindlichkeit auf Seiten des Unterworfenen begründet. Das "right of Dominion" entsteht erst durch eine im Rahmen eines Vertrages stattfindende Willenserklärung, in Zukunft den An-
163 164
Dies betont mit Recht Mandt, Tyrannisiere und Widerstandsrecht, S. 77. Tönnies, Einführung, S. 17.
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Ordnungen des Souveräns Folge zu leisten. Hobbes legt großen Wert darauf, daß die beiden unterschiedlichen Weisen der Staatsentstehung "by Institution" und "by Acquisition" im Hinblick auf ihre Rechtswirkung, d. h. die Begründung der Souveränitätsrechte, identisch sind. Der Unterschied zwischen institutioneller und akquisitiver Staatsgründung soll demgegenüber nur darin bestehen, "that men who choose their Soveraign, do it for fear of one another, and not of him whom they Institute: But in this case, they subject themselves, to him they are afraid of' (Lev. XX, p. 138). Aber mit diesem Hinweis auf die unterschiedlichen Beweggründe des Vertragsschlusses unterschlägt Hobbes die wirkliche sachliche Differenz, die zwischen Institution und Aneignung besteht. Beide Weisen der Staatsgründung unterscheiden sich nämlich durch die Art, wie das souveräne Herrschaftsrecht erworben wird. Während - wie gezeigt - der Souverän bei der institutionellen Staatsgründung nur Begünstigter eines zwischen den einzelnen vor sich gehenden Vertragsaktes, nicht jedoch selbst Vertragspartei ist, vermag Hobbes den Rechtserwerb des Souveräns im Hinblick auf das "Common-wealth by Acquisition" nur in Analogie zum Verhältnis persönlicher Abhängigkeit zwischen Herrn und Knecht als "covenant of obedience" zu deuten.
I I I . Die rechtlichen Implikationen des Hobbesschen Staatsbegriffs Im folgenden sollen - in eher summarischer Weise - die wichtigsten staatsrechtlichen Implikationen skizziert werden, die aus der Definition des Staates als souveräner Rechtszwangsgewalt, der Rolle des Staates als einer juristischen Person und der veränderten begründungstheoretischen Funktion des staatsphilosophischen Kontraktualismus resultieren.
1. Die staatsrechtliche Differenz zwischen 'multitude' und 'populus' Mit der Einsicht, daß der Staat eine eigenständige rechtliche Körperschaft, eine Rechtsperson sui generis bildet, die in ihrer Rechtssubjektivität vom Willen ihrer einzelnen Mitglieder unabhängig ist, obwohl sie von ihnen auf vertraglichem Wege konstituiert wird, erreicht der schon in der Theorie der natürlichen Gesetze in Gang gesetzte Prozeß der Idealisierung und Objektivierung des Willens seinen Höhepunkt. Hatte Hobbes in der Theorie der natürlichen Gesetze schon gezeigt, daß die vernünftige Selbstbestimmung durch diese Gesetze auf Seiten des Individuums eine Distanzierung von der Unmittelbarkeit ihres empirischen Willens verlangt, insofern ein vernünftiger (mit den 'Diktaten der Vernunft' übereinstimmender) Wille als derjenige Wille definiert wird, der seine besonderen Zwecke in Übereinstimmung mit den Möglichkeitsbedingungen allgemeiner Rechtsverhältnisse will, so treibt Hobbes diese
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Entwicklung im Sinne einer ideell-objektiven Fassung des Willensbegriffs weiter, ohne hier als Nominalist die letzte Klarheit des Gedankens gewinnen zu können. Die staatsrechtliche Definition der Staatspersönlichkeit macht nämlich eine eigentümliche Dialektik deutlich: der souveräne Staatswille ist der Wille aller, weil alle seiner Konstitution zugestimmt und ihn durch ihren Vertragsakt möglich gemacht haben; aber er ist zugleich den empirischen Einzelwillen entgegengesetzt, somit nicht der besondere Wille aller einzelnen, auch nicht der empirische Durchschnittswille, sondern ein Wille ganz eigentümlicher, weil objektiver und souveräner Art. Aber dieser Widerspruch im Begriff des souveränen Staatswillens ist nur die Folge der eigentümlichen dialektischen Verdopplung, die der Wille der einzelnen selbst erfahrt. Der Ausgangspunkt der rechtsphilosophischen Argumentation war im Naturzustandsargument der empirische Einzelwille, die Rousseausche "volonté particulière", die ihr bonum sibi will, die sich als abstrakt-ausschliessender Wille gegen andere Individuen realisieren will. Die recta ratio hatte bereits gelehrt, daß ein solches rein ausschließendes Fürsichsein sich selbst zerstört und der ausschließende Wille selbst durch sein Handeln auf die allgemeinen Bedingungen seiner rechtlichen Anerkennung verwiesen wird. Nunmehr hat die in der Logik des freien Rechtswillens liegende Idealisierungstendenz eine neue Stufe erreicht, indem Hobbes zeigt, daß der Wille nicht nur der Wille eines empirischen Menschen ist, der seine besonderen Zwecke verfolgt, sondern zugleich Wille eines Staatsbürgers 165, der einen davon unterschiedenen Zweck, nämlich das Allgemeine des Rechtsverhältnisses als solches (wenngleich nur in der negativen Form der Unterwerfung unter den Staatswillen) wollen muß. Der einzelne tritt als Staatsbürger, d. h. als ideeller Urheber und Autor des Staatswillens, zu sich selbst als empirische Person ins Verhältnis: er will (als empirische Person) einerseits seine besonderen Zwecke, und er will (als ideller Autor) andererseits das Recht als allgemeine Form dieses besonderen Inhaltes. In der Konstruktion, daß der einzelne zugleich Urheber seiner eigenen Unterwerfung ist, gelingt Hobbes die Entdeckung der dialektischen Grundform des staatsbürgerlichen Willens. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Hobbesschen Staatsrechtslehre ist die Einsicht, daß das Volk in staatsrechtlicher Bedeutung nicht die in der Anerkennung des Rechts und der Gemeinschaftlichkeit des Nutzens vereinigte Menge von Menschen ist 1 6 6 , die der staatlichen Herrschaft als Gerechtigkeitsbedingung vorhergeht und die Quelle ihrer Legitimation ist. Das Volk ist nicht Voraussetzung der Konstitution der Staatsgewalt ("ante constitutionem ciuitatis, Populus non extitit", DC VII, 7), sondern ihr Resultat. Erst der ver165
Als eine der staatlichen Rechtsordnung unterworfene besondere Rechtsperson ist der einzelne "subditus": "Ciuium vnusquisque, sicut etiam omnis persona ciuilis subordinata, eius qui Summum imperium habet, SVBDITVS appellata" (DC V, 11). 166 Cicero, De re publica I, 39.
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tragliche Unterwerfungsakt erzeugt das Volk im Sinne einer staatlich verfaßten Einheit bzw. einer vom Willen der einzelnen unterschiedenen Körperschaft, die mit einem eigenständigen Willen begabt ist: HPopulus est vnum quid, vnam habens voluntatem , & cui actio vna attribuì possit. Nullum horum de multitudine dici potest." (DC XII, 8). In empirischer Bedeutung bezeichnet der Begriff 'Volk* nur die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort lebende Menge von Individuen: "it signifieth only a number of men, distinguished by the place of their habitation; as the people of England, or the people of France; which is no more, but the multitude of those particular persons that inhabit those regions, without consideration of any contracts or covenants amongst them, by which any one of them is obliged to the rest" (Elements XXI, 11). Aber in diesem Sinne einer empirisch vorhandenen Vielheit von Menschen, getrennt von seiner politischen Organisationsform, ist das 'Volk' kein rechtsfähiges Subjekt und noch weniger ein existierendes Verfassungsorgan. Der bloßen Menge fehlt die Fähigkeit, die Handlungen und den Willen der einzelnen rechtlich zu einem übereinstimmenden Willen zu konstituieren. Hobbes bringt diese Handlungsunfähigkeit der Menge auf die Formel, daß die Menge keine "persona naturalis" ist und keine natürliche Willenseinheit (DC VI, 1 annotatio) bildet. Unter natürlich-empirischen Bedingungen bleibt die Menge eine Ansammlung konkurrierender Individuen, die zwar zufälligerweise übereinstimmen können, deren Handlungen aber niemals als gemeinsame und rechtsverbindliche Handlungen der Menge aufgefaßt werden können. Die Verwandlung der Menge, des Aggregates der empirischen Einzelwillen, in die politisch verfaßte Willenseinheit des Volkes 167 geschieht erst durch die Unterordnung unter den Willen des Souveräns, in dessen Willen der ideelle Wille des Volkes enthalten ist. 1 6 8 Aber zugleich betont Hobbes, daß das Staatsvolk
167
DC ΧΠ, 8: "Populus est vnum quid, vnam habens voluntatem, & cui actio vna attribuì possit. Nullum horum de multitudine dici potest." 168 Die Unmöglichkeit einer eigenständigen Rechtssubjektivität des Volkes betont auch Leihholz (Die Repräsentation in der Demokratie, S. 46, 128): das Volk ist "lediglich als politisch ideelle Einheit repräsentationsfähig. [...] Der tiefere Grund allerdings, der Aufschluß gibt, warum man nicht von einer eigenen Rechtssubjektivität des Volkes, neben der des Staates, daher auch nicht von Organen des Volkes, sprechen kann, liegt in der Erkenntnis beschlossen, daß Staat und Volk überhaupt nicht im Sinn der herrschenden Lehre gespalten werden können, da das Volk als politisch ideelle Einheit seine rechtliche Organisation im Staate gefunden hat." - Im Unterschied zu Hobbes fällt bei Leibholz die Repräsentation des Volkes durch staatliche Organe nicht mit dessen Konstitutionsakt zusammen. Während für Hobbes die Repräsentation derjenige Vorgang ist, der eine Menge von Individuen zu einer rechtlich verfaßten Einheit werden läßt, die im Willen des staatlichen Souveräns verkörpert ist, bewirkt die Repräsentation bei Leibholz (S. 46 f.) eine eigentümliche Verdopplung des Volkes: "Jede Volksgemeinschaft ist als konkrete Wertgemeinschaft eine real wirkende, ideelle Einheit und zwar, da die staatliche Einheit nur in der politischen Sphäre begründet
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ebenso wie die Staatspersönlichkeit eine juristische Fiktion darstellt, die für sich genommen weder handlungs- noch rechtsfähig i s t . 1 6 9 Nur in den Formen institutionalisierter Staatlichkeit, und d. h. immer: im Rahmen souveräner Stellvertretung, kann der Wille des Volkes als der übereinstimmende Rechtswille einer Vereinigung von Menschen wirksam werden: "A Multitude of men, are made One Person, when they are by one man, or one Person, Represented; so that it be done with the consent of every one of that Multitude in particular. For it is the Unity of the Representee not the Unity of the Represented, that maketh the Person One. And it is the Representer that beareth the Person, and but one Person: and Unity , cannot otherwise be understood in Multitude" (Lev. XVI, p. 114). Und dieser in den Formen der Staatlichkeit "vereinigte Wille des Volkes" (um eine Kantische Formulierung zu benutzen) stiftet eine reziproke Verbindlichkeit aller gegen alle, weil diesem Willen genau diejenige Eigenschaft zukommt, die dem bloßen Willensverband bzw. der Zweckgemeinschaft fehlt, nämlich einen Zweck zu haben und etwas zu wollen, was alle um ihrer eigenen besonderen Zwecke willen ihrerseits wollen müssen. Und dieser übereinstimmende Wille des Volkes ist eben der aus der Widersprüchlichkeit des Naturzustandes abgeleitete Rechtssicherungswille, der die Einschränkung des natürlichen Rechts eines jeden auf die Bedingungen möglicher Kompatibilität mit dem Recht aller anderen will. Genau in diesem Sinne bezeichnet Hobbes den Souverän auch als Repräsentanten des Willens aller, durch den der übereinstimmende Wille aller artikuliert und wirksam wird: "Populus in omni civitate Regnat; nam & in Monarchiis populus imperat, vult enim populus per voluntatem vnius hominis. [...] In Democratia 8c Aristocratia, ciues sunt multitudo\ sed curia est populus. Et in Monarchia , subditi sunt multitudo, & (quamquam paradoxum sit), Rex est populus" (DC ΧΠ, 8 ) . 1 7 0 werden kann, zugleich eine politisch ideelle Einheit. [...] Die politische Einheit eines Volkes wird nicht erst durch einen integrierenden Vorgang 'geschaffen'. Vielmehr wird die ständig sich als Einheit neu erlebende, aber doch in jedem Moment real vorhandene Volksgemeinschaft durch die Repräsentation lediglich noch einmal in der Wirklichkeit produziert." 169 Bei der Zugehörigkeit zum Volk in diesem Sinne handelt es sich also nicht um eine irgendwie geartete ethnische oder gar 'völkische' Qualität des Individuums. Daß der einzelne Mitglied des Staatsvolkes ist, besagt nur, daß er diesem bestimmten Souverän unterworfen und somit Untertan dieses Staates ist. Entsprechend besteht die Identität des Volkes darin, daß seine Mitglieder derselben Staatsgewalt unterworfen sind. Die fällige Konsequenz, daß die juristische Fiktion der Staats- und der Volkspersönlichkeit ein und dieselbe Sache, jedoch in verschiedenen Hinsichten (nämlich einmal als Volk, d. h. als die im Willen des Staates vereinigte Menschenmenge, und das andere Mal als politische Form) ausdrücken, hat Hobbes indes nicht gezogen. Insofern bleibt unklar, in welchem begrifflichen Verhältnis die beiden ideellen Persönlichkeiten des Staatsrechtes zueinander stehen. 170 Der Gedanke, daß sich der Wille des Volkes (in staatsrechtlicher Bedeutung) nur vermittels staatlicher Körperschaften und Institutionen artikulieren kann, und daß
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Es zeigt sich hieran, daß Hobbes auch die Demokratie als Form staatlicher Souveränität begreift. Auch in diesem Falle ist nicht das Volk als multitudo souverän, sondern das aus der Gesamtheit der Bürger bestehende Herrschaftsorgan des "conuentus [...] cuius voluntas est voluntas omnium ciuium" (DC VII, 5). Auch für die Demokratie gilt, daß die staatliche Herrschaft nur vermittels einer souveränen Körperschaft, die sich allerdings aus allen Bürgern zusammensetzt, ausgeübt werden kann.
2. Die Unmöglichkeit des kollektiven Widerstandsrechts Es liegt auf der Hand, daß Hobbes mit der Leugnung einer vom Willen des Souveräns unabhängigen Rechtspersönlichkeit des Volkes auch der traditionellen Lehre von einer Widerstandsbefugnis
des Volkes gegen tyrannische
Machtausübung durch den Herrscher den Boden entzogen hat. 171 Denn wenn es zutrifft, daß die Menge überhaupt erst durch Schaffung einer sie repräsentierenden Instanz zu einem Volke in rechtlicher Bedeutung wird, dann kann dasselbe unabhängig von seiner politischen Organisationsform keinen Willen haben; es kann daher auch keinen Rechtsvorbehalt auf seiner Seite geben, der eine Aufkündigung des staatsbürgerlichen Gehorsams im Falle herrschaftlicher Tyrannei begründen könnte. Indem Hobbes den Verzicht auf den gesetzlosen Gebrauch der äußeren Freiheit (das Recht auf alles) und die unbedingte Unterwerfung der einzelnen unter den Willen des Souveräns zu konstitutiven Elementen einer jeden möglichen Rechtsordnung erklärt, steht seine Staatsrechtslehre in diametralem Gegensatz zu der staatsrechtlichen
es aus diesem Grunde keine von der Souveränität des Herrschers verschiedene Volkssouveränität geben kann, ist der leitende, mit Hobbes übereinstimmende Gedanke auch des Hegeischen Staatsrechts: "Man kann so auch von der Souveränität nach innen sagen, daß sie im Volke residiere, wenn man nur überhaupt vom Ganzen spricht, ganz so wie vorhin gezeigt ist, daß dem Staate Souveränität zukomme. Aber Volkssouveränität, als im Gegensatze gegen die im Monarchen existierende Souveränität genommen, ist der gewöhnliche Sinn, in welchem man in neueren Zeiten von Volkssouveränität zu sprechen angefangen hat, - in diesem Gegensatze gehört die Volkssouveränität zu den verworrenen Gedanken, denen die wüste Vorstellung des Volkes zugrunde liegt. Das Volk, ohne seinen Monarchen und die eben damit notwendig und unmittelbar zusammenhängende Gliederung des Ganzen genommen, ist die formlose Masse, die kein Staat mehr ist und der keine der Bestimmungen, die nur in dem in sich geformten Ganzen vorhanden sind - Souveränität, Regierung, Gerichte, Obrigkeit, Stände und was es sei - , mehr zukommt. Damit, daß solche auf eine Organisation, das Staatsleben, sich beziehende Momente in einem Volke hervortreten, hört es auf, dies unbestimmte Abstraktum zu sein, das in der bloß allgemeinen Vorstellung Volk heißt" (Hegel, Rph § 279 Anm.). 171 Vgl. DC ΧΠ, 8. Hier ist nur von der rechtlichen Unmöglichkeit eines kollektiven Widerstandsrechtes des Volkes die Rede, das von dem individuellen Widerstandsbzw. Notwehrrecht, das seinerseits auf der Unverzichtbarkeit des Selbstverteidigungsrechtes gründet, unterschieden werden muß; vgl. dazu Kapitel D. I.
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Doktrin des Ständestaates, die nur ein bedingtes Herrschaftsrecht des Staates anerkannte und der Unterordnung des Inhabers der Staatsgewalt unter das natürliche oder von Gott gegebene Recht durch ein Widerstandsrecht des Volkes Rechnung trug, das bei naturrechtswidriger Herrschaftsausübung in Kraft trat und als dessen Subjekt zumeist die ständischen Körperschaften verstanden wurden. Die systematischen Veränderungen des rechtsphilosophischen Fundaments durch Hobbes, die der Annahme einer unabhängig von der Staatsgewalt bestehenden Rechtsordnung die Grundlage entziehen, mußten sich zugleich auf den Begriff und die Möglichkeit des legitimen Widerstands gegen die Staatsgewalt auswirken. Hobbes zeigt nicht nur, daß das Widerstandsrecht des Volkes mit dem Begriff der Souveränität unvereinbar ist, weil es unterstellt, daß es auf Seiten der Rechtsunterworfenen die rechtliche Möglichkeit eines Zwanges geben könnte, der legitimerweise gegen den Souverän als Inhaber der obersten Rechtsgewalt ausgeübt werden kann. Dann aber wäre der Souverän nicht Inhaber der höchsten Zwangsgewalt, sondern staatsrechtlich einer noch höheren Rechtsinstanz untergeordnet. Er zeigt dadurch, daß die Voraussetzungen, auf Grund welcher die vorhergehenden und zeitgenössischen Staatsrechtslehren ein Widerstandsrecht konzipierten, einen Widerspruch enthalten, insofern ein Widerstandsrecht als Befugnis gegen diejenige Instanz, die durch ihre Zwangsgesetzgebung das Recht in seiner objektiven Bestimmtheit erst möglich macht, nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann. 172 Denn wenn es stimmt, daß alle nur unter der Voraussetzung ihrer Unterwerfimg unter einen machthabenden souveränen Willen ihrer Rechte in wirksamer Weise teilhaftig werden können, dann ist die Behauptung unsinnig, man könne aus Rechtsgründen Widerstand gegen diejenige Institution leisten, durch deren Willen Rechtsverhältnisse überhaupt erst verwirklicht werden. Also steht das angebliche kollektive Widerstandsrecht mit der Möglichkeit des Staatsrechts selbst im Widerspruch, weil es "die Staatlichkeit dem Gutdünken eines nichtstaatlichen Faktors", nämlich des individuellen Gewissens überantwortet. 173 172
Dieses hobbesianische Argument findet sich auch in der Kantischen Rechtslehre: "Wider das gesetzgebende Oberhaupt des Staats giebt es also keinen rechtmäßigen Widerstand des Volks; denn nur durch Unterwerfung unter seinen allgemeingesetzgebenden Willen ist ein rechtlicher Zustand möglich" (RL § 49 A; AA VI, S. 3 20n_i3). 173 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 945 f. - Hobbes wie Kant (TuP, AA Vffl, S. 299 ff.) sind gleichermaßen der Überzeugung, daß die Existenz der souveränen Staatsgewalt als Elimierung der Gewalt aus den gesellschaftlichen Beziehungen der Einzelnen eine derart fundamentale Bedeutung hat und deshalb zugleich oberste Rechtspflicht ist, daß kein den Individuen vom Souverän möglicherweise zugefügtes Unrecht eine Widerstandshandlung zu legitimieren vermag. Allerdings ist Kant in diesem Punkt konsequenter als sein Vorgänger. Denn Hobbes verquickt seine Begründung mit pragmatischen Argumenten, wenn er behauptet, das Fehlen der Staatsgewalt sei schlimmer als eine möglicherweise durch den Souverän zugefügte Ungerechtigkeit 15 Hüning
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Übrigens zeigt sich auch in diesem Punkt der Gegensatz der Staatsauffassungen von Hobbes und Locke. Während jener entschlossen alle dualistischen Staatskonzepte bekämpfte und einen in den drei Fassungen seiner politischen Philosophie sich verschärfenden " Vernichtungskampf' gegen den Gedanken einer besonderen Volkspersönlichkeit führte 174 , hielt dieser in Übereinstimmung mit den Lehren der Verfechter der parlamentarischen Sache zur Zeit der englischen Revolution an der Idee einer ursprünglichen Oberhoheit des Volkes und an dem damit verknüpften Gedanken einer bloß bedingten Herrschaftsübertragung fest, die ihrerseits in der seit dem Mittelalter geläufigen Unterscheidung zwischen der majestas personalis, d. h. dem Inhaber der faktischen Herrschaft, und der majestas realis, die der vereinigten communitas bzw. dem Volk als naturrechtlichem Träger der Staatsgewalt, wurzelte. Nur unter diesen Voraussetzungen kann Locke dann in seinem Second Treatise diverse Fälle diskutieren, in denen die 'community' zwar nicht zu legalem, wohl aber zu einem naturrechtlich legitimierten Widerstand befugt ist. Solche Konflikte des staatlichen Herrschaftsrechtes mit dem natürlichen Recht der 'community' auf Freiheit von willkürlicher Unterdrückung sind nach Locke nicht mit Mitteln des positiven Rechts lösbar. Das durch den Tyrannen geknechtete Volk hat nur die Möglichkeit "to appeal to Heaven" (ST § 168), also ein Gottesurteil zu erwirken, was nichts anderes bedeutet, als daß es versuchen muß, eine Entscheidung zu seinen Gunsten mit Gewalt herbeizuführen. Tuschling hat diese Lockessche Lehre von der "rechtlichen Unentscheidbarkeit von Konflikten" zwischen den Inhabern der Staatsgewalt auf der einen und den durch sie repräsentierten Bürgern auf der anderen Seite als Indiz dafür interpretiert, daß Locke entgegen seiner erklärten Absicht, die staatsabsolutistischen Konsequenzen à la Hobbes zu vermeiden, dessen Souveränitätstheorie reproduziert. 175 Diese Einschätzung verkennt jedoch, daß die Lockesche Annahme möglicher Rechtsantinomien auf dem Gebiet des Staats- bzw. Verfassungsrechts alles andere als 'hobbesianisch' ist, genauer gesagt: daß eine derartige Annahme überhaupt nur unter staatstheoretischen Voraussetzungen möglich ist, die denen von Hobbes diametral entgegengesetzt sind. Nur weil Locke die Logik der von Hobbes aufgeworfenen Gretchenfrage 'quis judicabit?' nicht nachvollziehbar war und er vielmehr auf dem Boden der von Hobbes bekämpften Naturrechtstradition argumentierte, gelangte er zu der Überzeugung, es könne Konflikte zwischen den Staatsorganen einerseits und der durch den Vertrag konstituierten 'community' andererseits geben, die nur durch einen
(Lev. XX, pp. 144-145). Demgegenüber hat sich die Kantische Rechtslehre von solchen Nützlichkeitserwägungen vollständig emanzipiert und auf den Rechtscharakter der anstehenden Frage beschränkt. 174 Gierke , Deutsches Genossenschaftsrecht, Bd. IV, S. 292. 175 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 258-269, unter ausdrücklicher Anknüpfung (vgl. S. 271) an die Position von Leo Strauss.
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"appeal to heaven" gelöst werden könnten. 176 Demgegenüber existiert für Hobbes überhaupt kein Recht des Volkes (der 'community'), mit welchem das Recht des Staatsherrschers in Widerspruch geraten könnte, weil getrennt vom Willen des Souveräns das 'Volk1 nur die in ihre individuellen Bestandteile aufgelöste Menge ist, die als solche kein Rechtssubjekt darstellt und deshalb auch kein wie auch immer geartetes Recht geltend machen kann. Die Stärke der souveränitätstheoretischen Position von Hobbes liegt in dieser Hinsicht gerade darin, daß er anders als Locke die Möglichkeit solcher Konflikte zwischen dem Recht staatlicher Herrschaft einerseits und dem angeblichen Recht des Volkes andererseits (natürlich nicht die Möglichkeit tatsächlicher politischer Konflikte) systematisch ausschließt.
3. Die Rationalisierung des Strafrechts Auch die philosophische Begründung des Strafrechts, die Hobbes in Grundzügen vornimmt, ist ein Ergebnis der veränderten geltungstheoretischen Grundlegung des Rechts.177 Hobbes ist sich nämlich auch in dieser Hinsicht des Gegensatzes seiner Lehre insbesondere zu den metaphysisch-religiösen Unrechts- und Strafvorstellungen bewußt. Zunächst betont er das Spezifikum der irdischen Gerechtigkeit, d. h. der staatlichen Strafkompetenz, die sich nur auf das äußere Handeln bezieht; demgegenüber gibt es in bezug auf die Absichten der Menschen "no place for humane accusation" (Lev. XXVII, p. 202). Der Nachdruck, mit dem Hobbes die Strafgerechtigkeit auf das äußere Handeln beschränkt, ist ein deutliches Indiz für die in seiner Rechtsphilosophie - wenngleich nicht terminologisch, so doch der Sache nach - durchgeführte Trennung von Legalität und Moralität bzw. von Rechtstheorie und Moralphilosophie. Dieser Trennung entspricht die Unterscheidung von Handlung und Gesinnung, Rechts- und Tugendpflicht sowie der korrespondierenden Klassen von Normverstößen. Verbrechen (crimen) und Sünde (peccatum) sind unterschiedliche Formen der Normwidrigkeit: jenes stellt eine normwidrige Handlung, dieses eine normwidrige
176
Intention d a r . 1 7 8
Locke, Second Treatise §§ 168,176,242. Was insbesondere die rechtsstaatlichen Implikationen der Hobbesschen Straftheorie angeht, so sind die Fortschritte der Argumentation im Leviathan nicht zu übersehen. - Zu Hobbes' Strafrechtslehre vgl. Cattaneo , Hobbes's Theory of Punishment; der s., Hobbes Théoricien de l'Absolutisme Eclairé, bes. pp. 206-210; Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 110 ff. (über Hobbes als "Theoretiker des 'positiven Rechtsstaates'"); Zarka, Droit de résistance et droit pénal chez Hobbes. - Die Frage nach dem Rechtsgrund der Strafe wird in diesem Abschnitt ausgeblendet; sie wird im Zusammenhang mit der Analyse des Verhältnisses von natürlichem Recht und positivem Gesetz in Kapitel D. I. erörtert. 178 Lev. XXVn, pp. 201-202. 177
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
Die fällige Konsequenz aus der Einsicht, daß der Unterschied zwischen Recht und Unrecht ein Resultat der Bestimmungen durch positive Rechtsnormen darstellt, ist erstens das staatliche Strafbestimmungs- und Strafvollstreckungsmonopol. Sowohl die Festsetzung der Strafe als auch ihre Vollstreckung können nur als Akte der öffentlichen Strafgerichtsbarkeit gedacht werden: "From the definition of Punishment, I inferre, [...] that neither private revenges, nor injuries of private men, can properly be stiled Punishments; because they proceed not from publique Authority" (Lev. XXVIII, pp. 214215). Der Grund hierfür liegt nach Hobbes im Wesen der Gesetzesverstöße selbst, die in erster Linie "offences against the Common-wealth" (Lev. XXX, p. 237), also Verstöße gegen die Rechtsordnung und nur in zweiter Linie Verletzungen individueller Rechte sind. Die zweite Konsequenz, nämlich die Forderung, daß kein Unschuldiger bestraft wird 1 7 9 , scheint auf den ersten Blick trivial zu sein. Aber hiermit verknüpft Hobbes nicht nur den schlichten Gedanken, daß Strafe notwendig Schuld voraussetzt und deshalb rechtswidrige Tatbestände zuvor durch Gesetze fixiert werden müssen, sondern die zu seiner Zeit keineswegs selbstverständliche Forderung nach rechtlicher Gleichbehandlung aller Untertanen und nach einem ordnungsgemäßen Prozeß, da eine Bestrafung durch die Staatsgewalt "without precedent publique condemnation is not to be styled by the name of Punishment; but of an hostile act; because the fact for which a man is Punished, ought first to be Judged by publique Authority, to be a Transgression of the Law" (Lev. XXVIII, p. 215). Drittens folgt aus der Einsicht in die Bedingtheit der rechtlichen bzw. unrechtlichen Qualität einer Handlung durch ihr Verhältnis zu den Normen der Rechtsordnung die Aufstellung des Rückwirkungsverbots: "No Law, made after a Fact done, can make it a Crime" (Lev. XXVII, p. 203; vgl. auch Lev. XXVIII, p. 216; DC XIII, 16). Schließlich billigt Hobbes jedem Angeklagten im Falle der persönlichen Betroffenheit ein Recht der Aussageverweigerung zu. 1 8 0 Diese vier Prinzipien bilden gemeinsam mit der Forderung nach Gewährung rechtlichen Gehörs und der gerichtlichen Anerkennung von Beweismitteln ("[f]or all Judges, Soveraign and subordinate, if they refuse to heare Proofe, refuse to do Justice", Lev. XXVI, p. 193) die Grundlage einer philosophischen Strafrechtslehre, insofern die Strafbarkeit einer Handlung sowie die mit ihr verknüpften Rechtsfolgen von der Definition des Tatbestandes in einem zuvor erlassenen und allgemein bekannt gemachten Gesetz abhängig sind und Strafen nur infolge eines tatsächlichen Regelverstoßes verhängt werden können. 181
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Lev. XXVI, p. 192; XXVm, p. 219. Lev. XXI, p. 151: "If a man be interrogated by the Soveraign, or his Authority, concerning a crime done by himselfe, he is not bound (without assurance of Pardon) to confesse it". 181 Unter dieser Voraussetzung ist auch die öffentliche Bekanntmachung der Gesetze eine notwendige Bedingung der Strafgerechtigkeit: "The Law of Nature 180
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M i t der Forderung nach Rationalisierung der Strafpraxis gemäß den Prinzipien des Vernunftrechts setzt sich Hobbes entschieden und selbstbewußt in Gegensatz zu den traditionellen, v. a. vom Common Law geprägten Rechtsvorstellungen seiner englischen Landsleute. Diese Abgrenzung von der angelsächsischen Rechtstradition, die auf der einen Seite kein Rückwirkungsverbot kennt und andererseits die Rechtsfindung sowie Rechtsbindung anhand von Präjudizien zuläßt 1 8 2 , äußert sich insbesondere darin, daß Hobbes die Vernunft und ihre natürlichen Gesetze zu einer kritischen Instanz der Beurteilung dieser Rechtsvorstellungen erklärt. So spricht er sich gegen die seinerzeit in England gültige Rechtsbestimmung (und gegen ihre juristischen Verfechter, wie ζ. B. Coke) aus, nach welcher die Flucht eines Unschuldigen "for feare of injury" als eine hinreichende "presumption of guilt" angesehen werden kann, die automatisch zur Verurteilung führt, ohne daß der entsprechende Tatbestand selbst noch überprüft werden müßte (Lev. X X V I , pp. 192-193). 183 Aus der allgemeinen Funktionsbestimmung der staatlichen Gesetze als den allgemeinen Regeln, durch die das Handeln der Bürger derart gelenkt werden soll, daß ihr je individueller Freiheitsgebrauch möglichst geringe Reibungsverluste aufweist, gewinnt Hobbes zunächst den allgemeinen Begriff der Notwendigkeit der Strafe als Instrument der Durchsetzung des Rechts: "Potestatem Coactiuam necessarium esse ad securitatem. [...] Securitati itaque non pactis, sed pcenis prouidendum est" (DC VI, 4). Der Sinn der gesetzlich bestimmten Strafe liegt für Hobbes in ihrer Eigenschaft als Mittel zur Erzeugung allgemeiner Gesetzestreue auf Seiten der Bürger: die strafrechtliche Androhung bzw. die Zufügung von Übeln soll derart auf den Willen der Bürger einwirken, daß diese zu legalem Handeln motiviert werden. In Übereinstimmung mit dem Römischen Recht 1 8 4 und mit seinem Zeitgenossen Grotius 1 8 5 ist Hobbes i m Hinblick auf die Frage des Strafzwecks Verfechter der Lehre von der präventiven Funktion der Strafe. Der vom natürlichen Gesetz 186 geforderte Zweck
excepted, it belongeth to the essence of all other Lawes, to be made known, to every man that shall obliged to obey them, either by word, or writing, or some other act, known to proceed from the Sovereign Authority" (Lev. XXVI, p. 188). 182 "Therefore all the Sentences of precedent Judges that have ever been, cannot all together make a Law contrary to naturali Equity. Nor any Examples of former Judges, can warrant an unreasonable Sentence, or discharge the present Judge of the trouble of studying what is Equity (in the case he is to Judge,) from the principles of his own naturali reason" (Lev. XXVI, p. 192). 183 Vgl Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, p. 243. 184
D. XLVm, 19, 20. Grotius , JBP Π, 20, § 4,1, der sich auf Platon (Protagoras 324; Nomoi XI, 934) und Seneca (De ira, I, 16; Π, 31) beruft. 186 »«A seventh [natürliches Gesetz, D.H.] is: That in Revenges , (that is, retribution of Evil for Evil), men look not at the greatnesse of the evill past, but the greatnesse of 185
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der Strafe besteht also darin, durch Androhung eines Übels motivierend auf den Willen zu wirken und die beabsichtigte Straftat nach Möglichkeit zu verhindern. 187 Ihrem Prinzipe nach dient die Strafe somit immer der Besserung oder der Abschreckung. Demgegenüber wird die vergeltungstheoretische Begründung der Strafe von Hobbes mit Entschiedenheit abgelehnt. Läge der Grund ihrer Zufîigung bloß in der Vergeltung des Verbrechens sein, erschiene die Strafe als ein sinn- und zweckloser Racheakt (als "an act of hostility", Lev. XXVIII, pp. 216-217), so daß ein Akt der Wiedervergeltung, "when it considereth the offence past, is nothing else but present triumph and glory, and directeth to no end". 188 Während Hobbes in De Cive betont, daß die Strafe ihrem Prinzipe nach auf die Abschreckung bzw. Besserung des Täters abzielt, vertritt er im Leviathan die Auffassung einer kombinierten general- und spezialpräventiven Funktion der Strafe. Denn es liegt auf der Hand, daß mit der in De Cive zu findenden Beschränkung auf die spezialpräventive Funktion der Strafe der Rechtfertigungsgrund für die Todesstrafe entfällt. In diesem Falle kann die Strafe nur den Zweck haben, durch das abschreckende Beispiel ihrer Vollstreckung strafverhindernd auf den Willen anderer einzuwirken. 189 Was demgegenüber die Strafzumessung im Hinblick auf das jeweilige Verbrechen betrifft, so plädiert Hobbes für das Prinzip der Verhältnismäßigkeit
der Strafe 190: Die Strafe muß ζ. B. den qualitativen Unterschied zwischen einfachem Diebstahl, der sich nur auf die Sache richtet, und Raub, der immer mit unmittelbarer Gewaltanwendung gegen die Person bzw. mit der Androhung von gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben verbunden ist, berücksichtigen;
the good to follow" (Lev. XV, p. 106). Vgl. auch Elements XVI, 9; XX, 10; DC ΠΙ, 11; ΧΙΠ, 16; Lev. XXVm, p. 215. 187 DC ΧΙΠ, 16: "Finis enim punitionis est, voluntatem hominis non cogéré, sed formare, & talem facere, qualem earn esse cupit is qui poenam statuii. " 188 Elements XVI, 10. 189 Diese an der Prävention orientierte Ausrichtung des Strafzwecks, die auf den Gesichtspunkt der Nützlichkeit von Strafen für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung abstellt, blieb das bestimmende Motiv in den meisten Strafrechtstheorien der Aufklärung bis hin zu Beccaria; vgl. Beccaria , Von Verbrechen und Strafen § ΧΠ. In den Rechtsphilosophien des Deutschen Idealismus wird demgegenüber die Frage nach dem Strafzweck vollständig durch die Frage nach dem Rechtsgrund der Strafe abgelöst, die unter Rückgriff auf das Talionsprinzip beantwortet wird: "Richterliche Strafe [...] kann niemals bloß als Mittel ein anderes Gut zu befördern für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines Anderen gehandhabt [...] werden [...]. Er muß vorher strafbar befunden sein, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen" (Kant, RL § 49 E; AA VI, S. 2312o-3i)· 190 Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird zu einer der wichtigsten strafrechtlichen Reformforderungen der nachfolgenden Rechtsphilosophie der Aufklärung; vgl. z. B. Montesquieu, EdL VI, 16; Beccaria, Von Verbrechen und Strafen § VI.
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ähnliches gilt hinsichtlich der Frage, ob das Verbrechen aus einem Affekt ("a Crime arising from a sudden Passion", Lev. XXVII, p. 210) geschieht. Mit der Aufstellung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Strafe richtet sich Hobbes explizit gegen die stoische Auffassung 191, für welche die abstrakte Identität des Unrechts darin bestand, daß es einen Verstoß gegen die Bedingungen des Zusammenlebens der Menschen in der möglichen Übereinstimmung ihrer vernünftigen Zwecke darstellt. Jede Handlung contra legem naturalem bzw. zum Schaden eines anderen hat so den Charakter eines Verstoßes gegen die naturgewollte Ordnung, durch den die mögliche Gemeinschaft der Menschen überhaupt aufgehoben wird. 1 9 2 Unter dieser Voraussetzung, daß alle Verstöße gegen die Idee des bonum commune unterschiedslos nur als Aufhebung der menschlichen Gemeinschaft zu denken sind, kann kein Prinzip einer unterschiedlichen Strafzumessung aufgestellt werden. Hobbes fordert demgegenüber eine differenzierte Betrachtung der normwidrigen Handlungen im Hinblick auf die Schwere des Vergehens. Zwar sei den Stoikern darin zuzustimmen, daß jedes Umecht als solches eine Normwidrigkeit darstellt, aber daraus folge nicht, daß alle Verbrechen gleichermaßen ungerecht sind. 193 Die vernunftrechtliche Forderung lautet vielmehr, daß "the Degrees of Crime are taken on divers Scales, and measured, First, by the malignity of the Source, or Cause: Secondly, by the contagion of the Example: Thirdly, by the mischiefe of the Effect; and Fourthly, by the concurrence of Times, Places, and Persons" (Lev. XXVII, p. 209). Aus dieser Reflexion auf die Schwere der Straftat ergibt sich für Hobbes unmittelbar die weitere Forderung einer differenzierten Bestrafung gemäß dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit des Verbrechens. Neben der Feststellung des objektiven 191 Lev. XXVn, p. 207; Dialogue, p. 140; zur stoischen Verbrechenslehre vgl. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen, VÏÏ, 120. - Wie Hobbes lehnt auch Hegel die abstrakte Verbrechenskonzeption der Stoa ab, denn es macht für die Beurteilung der Schwere des Verbrechens "einen Unterschied, ob solches Dasein und dessen Bestimmtheit überhaupt in ihrem ganzen Umfang, [...] oder nur nach einem Teile, sowie nach welcher qualitativen Bestimmung verletzt ist. Die stoische Ansicht, daß es nur eine Tugend und ein Laster gibt, die drakonische Gesetzgebung, die jedes Verbrechen mit dem Tode bestraft, wie die Rohheit der formellen Ehre, welche die unendliche Persönlichkeit in jede Verletzung legt, haben dies gemein, daß sie bei dem abstrakten Denken des freien Willens und der Persönlichkeit stehenbleiben und sie nicht in ihrem konkreten und bestimmten Dasein, das sie als Idee haben muß nehmen" (Rph § 96 Anm.). 192 Cicero, De officiis 1,21; Π, 21; ΙΠ, 28; De finibus m, 70. 193 " F o r though all Crimes doe equally derserve the name of Injustice [im Sinne einer Normwidrigkeit, D.H.], as all deviation from a strait line is equally crookednesse, which the Stoicks rightly observed; yet it does not follow that all Crimes are equally unjust, no more than that all crooked lines are equally crooked; which the Stoicks not observing, held it as great a Crime, to kill a Hen, against the Law, as to kill ones Father" (Lev. XXVII, p. 207). - Das Beispiel, auf das Hobbes verweist, stammt aus Ciceros Rede Pro L. Murena, 61.
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
Tatbestandes müssen bei der Strafzumessung sowohl die subjektiven Tatbestandsmerkmale als auch die individuellen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe (wie ζ. B. fehlende oder verminderte Schuldfähigkeit) berücksichtigt werden, die ihrerseits Gründe der Strafmilderung sein können: "From these different sources of Crimes, it appears already, that all Crimes are not (as the Stoicks of old time maintained) of the same allay. There is place, not only for EXCUSE, by which that which seemed a Crime, is proved to be none at a l l 1 9 4 ; but also for EXTENUATION, by which the Crime, that seemed great, is made lesse" (Lev. X X V I I , p. 207).
4. Die Überwindung der klassischen Staatsformenlehre Schließlich erfährt in der Hobbesschen Staatsrechtslehre auch die traditionelle Staatsformenlehre eine kritische Beurteilung. 195 Die für die klassische politische Philosophie leitende Frage nach der besten Staatsverfassung und die damit verknüpften Differenzierungen von gerechter und tyrannischer Herrschaft werden, wie gezeigt worden ist, abgelöst durch die Frage nach der "natura ciuitatis", d. h. nach den politisch-institutionellen Funktionsbedingungen staatlicher Herrschaft überhaupt und der Eigenart der staatlichen Willenseinheit im Unterschied zu den übrigen Willensverbänden und Gesellschaftsformen. In dem Maße, in dem Hobbes die Souveränität und die Rechtspersönlichkeit als Begriffsbestimmungen des Staates überhaupt in den Mittelpunkt seiner Staatsrechtslehre rückt, verliert die klassische, auf die Politik des Aristoteles zurückgehende Staatsformenlehre mitsamt ihren Unterscheidungen an Bedeutung: nicht die Staats/òrm, sondern die im Begriff der Souveränität zum Ausdruck kommende Verselbständigung des Staatswillens gegenüber dem empirischen Einzelwillen der Bürger ist das Grundprinzip eines jeden Staates, der diesen Namen verdient. Daher ist mit Recht festgestellt worden, daß der Grund für die Relativierung der Staatsformenlehre in Hobbes* "Abkehr von der [...] alteuropäischen Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft als einer rechtlich verfaßten, um des glücklichen Lebens ihrer Bürger hic et nunc existierenden menschlichen Gemeinschaft" l i e g t . 1 9 6 Diese Abkehr von der traditionellen Verfassungstheorie schlägt sich unmittelbar in einem veränderten Kriterium für die Beurteilung der staatsrechtlichen Qualität der souveränen Herrschaft nieder: während für
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Das klassische Beispiel hierfür ist die Notwehrhandlung: "If a man by the terrour of present death, be compelled to doe a fact against the Law, he is totally Excused; because no Law can oblige a man to abandon his own preservation" (Lev. XXVII, p. 208). 195 DC VE; Lev. XIX. 196 Mandt , Tyrannisiere und Widerstandsrecht, S. 30.
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Aristoteles und die ihm folgende Staatslehre die Gerechtigkeit, d. h. die Übereinstimmung der staatlichen Herrschaft mit der immer schon vorgegebenen idealen Verfassungsnorm den Beurteilungsmaßstab bildet, entscheidet nach Hobbes über die Qualität staatlicher Herrschaft einzig und allein das faktische Vermögen des Souveräns, seiner vernunftrechtlichen Bestimmung, eine Rechtsordnung zu realisieren und dadurch erst Gerechtigkeit in gesellschaftlichen Verhältnissen herzustellen, Genüge zu tun. Jede de /flcfo-Herrschaft ist schon deshalb vernunftrechtlich legitimiert, weil und insofern sie durch die Unterwerfung der einzelnen die entscheidende Voraussetzung für die Etablierung von Rechtsverhältnissen schafft. 197 Nur dann, wenn die Herstellung dieser Vereinigung des Willens aller im Willen des Repräsentanten nicht mehr gelingt, wenn also der Souverän seiner politischen Aufgabe zur Gewährleistung von Rechtsverhältnissen überhaupt aus irgendeinem Grunde nicht mehr zu genügen vermag, endet das staatliche Herrschaftsrecht. 198 Ganz folgerichtig bildet die Auflösung des Staates, genauer gesagt: die faktische Vernichtung des souveränen Willens durch Eroberung, Bürgerkrieg oder Revolution den einzigen Grund dafür, daß die Verbindlichkeit staatsbürger-
197 Von diesem Argument der rechtlichen Präsumtion zugunsten der Legitimität der bestehenden Herrschaft macht auch Kant Gebrauch: "Dies sind Erlaubnißgesetze der Vernunft, den Stand eines mit Ungerechtigkeit behafteten öffentlichen Rechts noch so lange beharren zu lassen, bis zur völligen Umwälzung alles entweder von selbst gereift, oder durch friedliche Mittel der Reife nahe gebracht worden: weil doch irgend eine rechtliche, obzwar nur in geringem Grade rechtmäßige, Verfassung besser ist als gar keine, welches letztere Schicksal (der Anarchie) eine übereilte Reform treffen würde" (Kant, EF, AA VIH, S. 373 27 . 32 ); vgl. auch RL Anhang AA VI, S. 371 35 - 372 10 ; Refi. 7734; AA XDC, S. 503; Refi. 8074; AA XIX, S. 602. 198 Vgl. Elements XXI, 12-16; DC VH, 18; Lev. XXI, pp. 153-4; XXVH, p. 209. Im Unterschied zur feudal-royalistischen Herrschaftslegitimation kennt Hobbes keine personale Bindung des Untertanen an das Staatsoberhaupt. Niemand ist Charles I. über den faktischen Verlust seiner Herrschaft hinaus zu staatsbürgerlichem Gehorsam verpflichtet; mit seiner Hinrichtung - so Hobbes' Konsequenz - erlischt die individuelle Gehorsamspflicht gegenüber der Krone. Der Gehorsam gilt nicht der Person des Fürsten (bzw. des Staatsoberhauptes), sondern seiner Fähigkeit zur Konstitution politischer Einheit; zu den historischen Hintergründen des de facto-Arguments vgl. Skinner, Conquest and Consent, pp. 79-89, sowie Metzger, Thomas Hobbes und die Englische Revolution, S. 130 ff. Ähnlich wie Kriele (Einführung in die Staatslehre, S. 62) behauptet Metzger, daß es sich bei der Reziprozitätsrelation von Schutz und Gehorsam, auf die Hobbes insbesondere im Abschlußkapitel des Leviathan verweist, um einen "Grundbegriff des feudalen Denkens" (S. 154) handelt. Er übersieht dabei jedoch, daß Hobbes nicht nur den staatsbürgerlichen Gehorsam auf ein ganz anderes rechtsphilosophisches Fundament stellt, sondern daß darüber hinaus die Schutz-Gehorsam-Relation nichts mehr mit dem persönlichen Treueverhältnis der feudalen Rechtsvorstellung zu tun hat. Hobbes' Lehre von der Notwendigkeit staatsbürgerlichen Gehorsams ist institutionenzentriert, nicht personalistisch; vgl. hierzu auch meine Rezension von Metzgers Buch, S. 1353 f.
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
lichen Gehorsams erlischt. 199 Diese Verknüpfung des Herrschaftsrechts mit der faktischen Durchsetzungsmacht der Staatsgewalt hat andererseits zur Folge, daß für die Begründung des staatsbürgerlichen Gehorsams die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Aneignung der Staatsgewalt durch den jetzigen Inhaber irrelevant ist. Den antiken Verfechtern der klassischen Staatsformenlehre, namentlich Aristoteles und Cicero, hält Hobbes entgegen, daß sie, anstatt die Rechte des Staates von rationalen Prinzipien abzuleiten, sich nur in unreflektierter Weise auf die Praxis ihrer eigenen Staaten berufen hätten, ohne zu begreifen, daß sowohl in der Demokratie wie in den anderen Staatsformen die Freiheit der Bürger in gleichem Maße von der Institutionalisierung des souveränen Staatswillens abhängt, und daß es im Hinblick auf die Unterwerfung der Bürger zwischen den einzelnen Staatsformen keinen qualitativen Unterschied gibt. 2 0 0 Im Hinblick auf die Unterwerfung der Bürger einerseits und die Absolutheit staatlicher Herrschaft andererseits besteht zwischen den verschiedenen Staatsformen gerade kein qualitativer Unterschied. Sofern von einem Unterschied der Staatsformen die Rede sein kann, so betrifft er nicht den unterschiedlichen Nutzen von Herrscher und Beherrschten 201, sondern nur den Träger der Souveränität bzw. die unterschiedliche Anzahl der in der repräsentativen Körperschaft versammelten Personen: "The difference of Common-wealths, consistetti in the difference of the Soveraign, or the Person representative of all and every one of the Multitude. And because the Soveraignty is either in one Man, or in an Assembly of more than one; and into that Assembly either Every man hath right to enter, or not every one, but Certain men distinguished from the rest; it is manifest, there can be but Three kinds of Commonwealth. For the representative must needs be One man, or More: and if more, then it is the Assembly of All, or but of a Part. When the Representative is One man, then is the Common-wealth a MONARCHY; when an Assembly of All that will come
199 Lev. XXI, p. 153: "The Obligation of Subjects to the Soveraign, is understood to last as long, and no longer, than the power lasteth, by which he is able to protect them"; Lev. XXIX, p. 230: "when in a warre (forraign, or intestine,) the enemies get a finali Victory; so as (the forces of the Common-wealth keeping the field no longer) there is no farther protection of Subjects in their loyalty; then is the Common-wealth DISSOLVED, and every man at liberty to protect himselfe by such courses as his own discretion shall suggest unto him." 200 Die Betonung des Herrschaftscharakters auch des modernen Staates ist inzwischen nahezu ausschließlich die Domäne konservativer Juristen; vgl. z. B. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 829, der wie Hobbes hervorhebt, daß unbeschadet unterschiedlicher Staatsformen die Staatsgewalt in allen Fällen die gleiche ist. Demgegenüber wird in den aktuellen demokratietheoretischen Debatten zumeist ausgeblendet, daß auch die repräsentative Demokratie der modernen Verfassungsstaaten ein Unterwerfungs- bzw. Herrschaftsverhältnis impliziert. 201 Vgl. Elements, XXIV, 1 und DC X, 2, wo Hobbes jeweils mit polemischem Bezug auf die Aristotelische Politik (VII, 12) jeden Versuch zurückweist, den Nutzen des Souveräns und der Bürger auseinanderdividieren zu wollen: "Imperantis & ciuium eadem sunt commoda & incommoda."
ΠΙ. Die rechtlichen Implikationen des Hobbesschen Staatsbegriffs
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together, then it is a DEMOCRACY, or Popular Common-wealth; when an Assembly of a Part onely, then it is called an ARISTOCRACY. Other kind of Common-wealth there can be none: for either One, or More, or All, must have the Sovereign Power (which I have shewn to be indivisible) entire" (Lev. XIX, p. 129). Während Hobbes somit die Klassifikation der Staatsformen in Monarchie, Aristokratie und Demokratie als sinnvolle Unterscheidung bezüglich der Trägerschaft der Souveränität übernimmt, fehlt bei ihm die Aristotelische Klassifikation der verfassungsmäßigen Verfallsformen, insbesondere aber die systematische Erörterung des Tyrannisproblems. Angesichts der Notwendigkeit, daß sich der staatliche Wille nur auf der Grundlage einer überlegenen souveränen Rechtsposition Wirksamkeit verschaffen kann, verwandeln sich die Unterschiede der jeweiligen Staatsformen, die Hobbes sehr wohl kennt und thematisiert, in Fragen der politischen Klugheit und Nützlichkeit. 2 0 2 Aus diesem Grunde favorisiert der als Parteigänger des Absolutismus verrufene Denker die Staatsform der Monarchie nur aus pragmatischen Gründen: "Licet enim Monarchiam caeteris civitatis speciebus capite decimo commodiorem esse argumentis aliquot suadere conatus sim (quam rem unam in hoc libro non demonstratam sed probabiliter positam esse confiteor) omni tarnen civitati, potestatem summam & aequalem tribuendum esse passim & expresse dico" (DC, Praefatio ad lectores, p. 83). Auch die Ausblendung der Tyrannis-Problematik ist also nicht - wie ζ. Β. Kriele behauptet - eine Folge davon, daß Hobbes "völlig blind für die Gefahren [wäre], die bei unbeschränkter Machtvollkommenheit des Souveräns aus Machtlust, Rachsucht, Habgier, aus Neid, auch aus Ressentiment gegen Geist und Vernunft, aus Brutalität und Gemeinheit und so fort entstehen können 1 1 . 2 0 3 Sie ist vielmehr Ausdruck der gegenüber der Aristotelischen Politik fundamental veränderten Problemstellung: Während Aristoteles die Idealfor-
202 Vgl L e v . XIX, p. 131: "The difference between these three kindes of Commonwealth, consistetti, not in the difference of Power, but in the difference of Convenience or Aptitude to produce the Peace, and Security of the People; for which end they were instituted." 203 Kriele , Die Herausforderung des Verfassungsstaates, S. 48; der s., Einführung in die Staatslehre, S. 136 f.; ähnlich Mandt, Tyrannisiere und Widerstandsrecht, S. 75-78. - In Wahrheit reflektiert Hobbes durchaus auf das Problem des Machtmißbrauchs, das sich aus der Ausstattung der Staatsgewalt mit unwiderstehliche Zwangsmitteln ergibt; und er wirft selbst die Frage auf, ob in einem solchen Falle die Staatsgewalt nicht mit dem Rechtsgrund ihrer Konstitution (der Sicherung von des Rechts von jedermann gegen mögliche Übergriffe anderer) in Konflikt gerät: "Nam qui satis habet virium ad omnes protegendos, satis quoque habet ad omnes opprimendos" (DC VI, 13 Annoatio). Die weiteren Ausführungen zeigen jedoch, daß Hobbes nicht bereit ist, diese staatsrechtliche Problematik einer näheren Analyse zu unterziehen. Statt dessen flüchtet er sich in ein unbefriedigendes und unpräzises Räsonnement über die allgemeine Unvollkommenheit menschlicher Angelegenheiten: "res humanae sine incommodo aliquo esse non possunt."
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C. Hobbes' philosophische Staatsrechtslehre
men der Verfassungen (Monarchie - Aristokratie - Politie) von ihren Verfallsformen (Tyrannis - Oligarchie - Demokratie) unterscheidet204, je nachdem, ob sie dem Wohle der Gesamtheit dienen oder bloß dem besonderen Nutzen der Herrschenden, entfallt bei Hobbes mit der Fixierung des Staatszwecks auf die Sicherung des Rechtsfriedens der Grund einer möglichen Unterscheidung zwischen 'guten' und 'schlechten' Staatsformen; ob der Staat seine Aufgabe der Friedenssicherung erfüllt, hängt nicht von der Staatsform ab, sondern von seiner Fähigkeit, seinem souveränen Rechtswillen Geltung zu verschaffen. Insbesondere polemisiert Hobbes gegen die Aristotelische Behauptung, daß die Demokratie wegen des dort den Bürgern eingeräumten größeren Freiheitsraums vorzuziehen sei, so als ob sich Demokratie und Monarchie wie Freiheit und Knechtschaft des Bürgers zueinander verhielten. 205 Die Bevorzugung der Monarchie, die als Staatsform nach Hobbes gewisse organisatorische Vorteile bietet, weil hier die Probleme der politischen Willensbildung auf ein Minimum reduziert sind, wird folglich relativiert durch die souveränitätstheoretische Einsicht in das Wesen des Staates als Rechtszwangsgewalt. Die weitgehende Indifferenz gegen die besonderen Staatsformen zeigt nur, wie weit Hobbes als Rechtsphilosoph davon entfernt war, seine Lehre irgendwelchen parteilichen Interessen zu akkomodieren: "Als Theoretiker war Hobbes nicht Ideologe, sondern Philosoph, d. h. er rationalisierte nicht die partikularen Interessen einer gesellschaftlichen Kraft ebensowenig wie seine Theorie eine neue Partikularität installierte: er dachte das Allgemeine."206 Somit ist der vielgescholtene 'Monarchismus' der Hobbesschen Staatsphilosophie kein konstitutives Element seiner rein rationalen Begründung. Jene Unterscheidung zwischen dem in der Souveränität verankerten Wesen des Staates und der bloß im Hinblick auf politische Nützlichkeitserwägungen erörterten Staatsform bildet eine bleibende Erkenntnis, die von allen nachfolgenden Naturrechtstheoretikern akzeptiert und fortgeführt wird.
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Aristoteles, Politik ΙΠ, 7, 1279 a 22 ff. Vgl. DC X, 8. 206 \Yiii ms ^ Die Antwort des Leviathan, S. 73. Goyard-Fabre , Le droit et la loi dans la philosophie de Thomas Hobbes, p. 19: "Hobbes, quelles soient ses préférences personnelles ou ses parties pris, n'entend pas être le serviteur d'une cause. Sa philosophie veut demeurer explicative et spéculative et, quelles qu'en soient les options, elle ne se donne jamais pour une philosophie engagée". Vgl. schließlich Derathé , Rousseau et la science politique de son temps, p. 308: "Mais, s'il était bien dans les intentions de Hobbes de justifier l'absolutisme royal, sa théorie de la souveraineté a néanmoins une portée plus générale. Elle est indépendante des considerations relatives à la meilleure forme de gouvernement, et par conséquent de la monarchie absolue." 205
D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre Die bisherige Darstellung der Hobbesschen Rechts- und Staatsphilosophie hat den Nachweis erbracht, daß die natürlichen Gesetze die konstitutiven Bedingungen einer Rechtsordnung darstellen, welche darauf beruht, daß sie das subjektiv-natürliche Recht eines jeden garantiert und realisiert, in Übereinstimmung mit der Notwendigkeit individueller Selbsterhaltung einerseits und dem gleichen Rechtsanspruch anderer andererseits frei sein und sich beliebige Zwecke setzen zu können. Im vorhergehenden Teil dieser Studie, der sich auf die souveränitätstheoretischen Errungenschaften des Hobbesschen Staatsbegriffs beschränkte, wurde weitgehend von dem Umstand abgesehen, daß Hobbes dieses Programm, den systematischen Zusammenhang der verschiedenen rechtsphilosophisch relevanten Aspekte (subjektiv-natürliches Recht natürliche Gesetze als objektive Bedingungen der Verwirklichung dieses Rechts - die Errichtung einer souveränen Staatsgewalt als Bedingung für die Schaffung einer positiven Rechtsordnung) zu demonstrieren, keineswegs konsequent umgesetzt hat. Die Art und Weise, wie Hobbes die Verknüpfung von Naturrecht als geltungstheoretischer Prinzipientheorie einerseits und positivem Recht als Verwirklichung von Rechtsverhältnissen andererseits bewerkstelligen will, birgt allerdings ein 'Nest von Widersprüchen' in sich. Die Auflösung dieser Widersprüche hat die nachfolgenden Natur- bzw. Vernunftrechtstheoretiker in Atem gehalten: sie waren gezwungen, sich an ihnen - in ständiger Auseinandersetzung und Abgrenzung gegen rechtspositivistische Kritik - abzuarbeiten. Es ist die leitende These der nachfolgenden Erörterungen, daß diese Widersprüche nicht die vernunftrechtliche Begründungsstrategie als solche diskreditieren, daß es also möglich ist, diese Widersprüche zu beseitigen, ohne das rechtsphilosophische Programm der Begründung von Recht und Staat auf die Freiheit und Gleichheit der Menschen überhaupt aufzugeben. Wenn in diesem Zusammenhang ausführlicher auf die kritischen Einwände eingegangen wird, die Rousseau gegen die Hobbessche Staatsrechtslehre erhoben hat, so ist damit weder eine systematische Interpretation von Rousseaus gesamter politischer Philosophie noch eine umfassende Rekonstruktion seines Verhältnisses zur Rechts- und Staatsphilosophie des Thomas Hobbes beabsichtigt. Das Beweisziel dieser Bezugnahme auf die Rousseausche Kritik ist bescheidener: Sie diskutiert Rousseaus im Contrat social entwickelte Theorie nur unter dem Aspekt, inwieweit sie rechtsphilosophische Argumente zur
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
Überwindung der Widersprüche formuliert, durch die Hobbes1 Staatsrecht charakterisiert ist.1 Angesichts der radikalen Konsequenzen, zu denen Hobbes in seiner Staatsrechtslehre gelangt, aber auch wegen der in ihr enthaltenen Widersprüche nimmt es also nicht Wunder, daß dieser Teil seiner Rechtsphilosophie im Zentrum der Kritik der späteren Vernunftrechtstheorie gestanden hat. Verwunderlich ist allerdings, daß gegen die Hobbessche Staatsrechts- und Souveränitätstheorie Einwände mit entgegengesetzter Stoßrichtung erhoben worden sind. Das eine Extrem kritischer Einwände vertritt Bischof John Bramhall, der auch wegen seines heftigen Streites mit Hobbes über die Frage der Willensfreiheit bekannt geworden ist. In seiner polemischen Schrift The Catching of Leviathan, die ansonsten eher ein Dokument fortgesetzter Ignoranz gegenüber Hobbes' rechtsphilosophischen Begründungsansprüchen darstellt, macht er darauf aufmerksam, daß Hobbes trotz gegenteiliger Beteuerungen das natürliche und das staatliche Gesetz nicht zur Deckung zu bringen vermag. Er referiert eine Passage aus dem XXI. Kapitel des Leviathan , in dem Hobbes die Frage bejaht, ob Rebellen angesichts drohender Todesstrafe nicht das (natürliche) Recht hätten, sich zum Schutze ihres Lebens zusammenzuschließen und sich gemeinsam mit allen Mitteln gegen die bestehende staatliche Autorität zu verteidigen.2 Im Anschluß an das Zitat dieser Passage stellt Bramhall die Frage: "Why should we not change the Name of Leviathan into Rebells catechism?" 3 Bramhall sieht sehr deutlich, daß Hobbes durch die Unvereinbarkeit seiner Forderung nach unbedingter Rechtsunterwerfung einerseits und seiner Behauptung der Unverzichtbarkeit des Selbstverteidigungsrechts andererseits zu allerlei kasuistischen Wendungen gezwungen ist. In ähnlicher Weise, wenngleich rechtsphilosophisch präziser gefaßt, ist dieser Einwand auch von Leibniz und Rousseau erhoben worden.4 Die entgegengesetzte Kri-
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Was die Bedeutung der Rousseausschen Staatsphilosophie und ihr Verhältnis zur Hobbesschen Lehre angeht, so verweise ich auf die ausgezeichnete Studie von Herb (Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft), die beiden Fragestellungen akribisch nachgegangen ist und der auch die folgenden Ausführungen verpflichtet sind. 2 Lev. XXI, p. 152. 3 Bramhall, The Catching of Leviathan, p. 145. Den Hinweis auf Bramhall entnehme ich dem Buch von Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition, p. 199. Kriele (Die Herausforderung des Verfassungsstaates, S. 41, 31 f.) ist der Auffassung, daß Hobbes' Lehre objektiv nicht geeignet gewesen sei, dem Bürgerkrieg in England entgegenzuwirken. Denn weil die rationalistische Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes eine politische Theorie darstellt, "die abstrakt und doktrinär an den praktischen Erfordernissen der konkreten geschichtlichen Situation vorbeiphilosophiert", und durch ihre rechts- und wirklichkeitsfremde Souveränitätslehre die Fundierung der Autorität auf dem Common Law untergräbt, trägt der "gute Wille, den hypothetischen Bürgerkrieg zu vermeiden, dazu bei [...], den wirklichen Bürgerkrieg herbeizuführen." 4 Vgl. dazu unten Abschnitt D. I.
D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
tik, die im folgenden unter dem Stichwort 'Despotismusvorwurf zusammengefaßt werden soll, richtet sich gegen die mit Hobbes' Souveränitätstheorie veibundenen 'despotischen' Implikationen, die insbesondere die Aufhebung der Rechtspersönlichkeit des Individuums betreffen. Diese Kritik ist v. a. mit den Namen Rousseaus und Kants verbunden, die in ihren rechtsphilosophischen Schriften versucht haben, eine Lösung für das staatsrechtliche Problem der Vereinigung des unverzichtbaren Menschenrechts und der Notwendigkeit staatlicher Souveränität zu finden, ein Problem, das Hobbes, wie oben bereits erwähnt, als Problem des Verhältnisses von 'libertas' und 'imperium' definiert und das Rousseau mit der Quadratur des Kreises verglichen hat.5 Beide Kritiken haben, trotz ihrer entgegengesetzten Stoßrichtung, ihr fundamentum in re. Sie dokumentieren in prinzipieller Weise, daß Hobbes in bezug auf die rechtsphilosophische Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Herrschaft zu keinem abschließenden und befriedigenden Ergebnis gekommen ist. Zwar vermag Hobbes zu zeigen, daß Herrschaft Freiheit voraussetzt, d. h. daß eine rechtsphilosophische Begründung der Herrschaft nur unter der legitimationstheoretischen Voraussetzung der individuellen Freiheit geleistet werden kann. Nur eine solche staatliche Herrschaft, die in bezug auf den Rechtswillen der ihm Unterworfenen notwendig ist, ist eine Herrschaft, deren Zwang eine spezifisch rechtliche Qualität besitzt und sich dadurch von bloßer Gewaltanwendung unterscheidet. Hobbes aber vermag nicht zu zeigen, wo die legitimen Grenzen des Rechtszwangs verlaufen: Er kann "zwar Herrschaft an sich legitimieren, d. h. einen zureichenden Grund für die Notwen5 "Mettre la loi au-dessus de l'homme est un problème en politique, que je compare à celui de la quadrature du cercle en géometrie. Résolvez bien ce problème, et le gouvernement fondé sur cette solution sera bon et sans abus" (Considérations sur le gouvernement de Pologne, OC ΠΙ, p. 955); Brief an den Marquis de Mirabeau vom 26. Juli 1767: "Voici, dans mes vieilles idées, le grand problème en politique, que je compare à celui de la quadrature du cercle en géométrie, et à celui des longitudes en astronomie: Trouver une forme de Gouvernement qui mette la loi au-dessus de l'homme" (Correspondance générale XVII, p. 157). - Eine ähnliche Charakterisierung der Staatsrechtsproble-matik findet sich bei Kant. In einer Reflexion zur Rechtsphilosophie hat er das Problem, wie es möglich sei, daß eine rechtlich absolute Gewalt doch selbst rechtmäßig sein könne, mit dem metaphysischen Problem der absoluten Notwendigkeit verglichen: "Der despotismus (durch keine Gesetze eingeschränkte Gewalt eines einzigen) ist darin unrecht, weil, wenn er angenommen wird, den willen des oberherrn kein Recht mehr einschränkt, denn alles ist Recht, was er gegen andre Will. Was jemand gegen sich selbst mithin der Staat in ansehung seiner Glieder will, ist recht. Es ist also absurd, daß eine Befugnis, kein Unrecht thun zu können, jemanden ertheilt werde, oder daß es rechtskräftig sey, wenn menschen sich ihres Rechts überhaupt begeben. Hier steckt die gantze Schwierigkeit, so wie in der metaphysic vom absoluten necessario, wie ein oberster Wille, der da bestimmt, was recht sey, möglich ist und eine irresistible gewalt doch selbst rechtmäßig sey, obgleich sie durch nichts äußeres eingeschränkt wird auch nicht durch das Recht andrer, denn alsdenn würde eine noch höhere Gewalt erfordert" (Refi. 7953; AA XIX, S. 563 10 . 2 i).
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
digkeit einer allgemeinen Zwangsgewalt aufzeigen. [...] Er zeigt die Notwendigkeit einer allgemeinen Einschränkung individueller Freiheit, aber die Weise dieser Einschränkung selbst verbleibt bei ihm in der Sphäre der Willkür." 6 In der Staatsrechtslehre rächt es sich, daß Hobbes schon in seiner vernunftrechtlichen Grundlegung zu keiner präzisen Bestimmung des Freiheitsbegriffes und des Verhältnisses von Freiheit und Gesetzlichkeit gelangt ist. Im folgenden sollen zunächst die beiden zentralen Einwände in ihrer rechtslogischen Problematik diskutiert werden. Schließlich soll am Beispiel der staatsrechtlichen Entwürfe Rousseaus und Kants gezeigt werden, wie die politische Quadratur des Kreises, die Vereinigung von Freiheit und Herrschaft, Recht und Gesetz, wenigstens begrifflich aufgelöst werden kann.7
I. Die Antinomie zwischen Naturrecht und staatlichem Gesetz Das erste ungelöste Problem der Hobbesschen Staatsrechtslehre betrifft die Unveräußerlichkeit des Selbsterhaltungs- und Selbstverteidigungsrechtes und die daraus resultierenden staatsrechtlichen Implikationen. Es wird sich zeigen, daß nach Hobbes staatliche Maßnahmen, die Leib und Leben der Untertanen bedrohen bzw. nach deren Urteil zu bedrohen scheinen, existentielle Grenzsituationen schaffen, die das von Hobbes sorgsam geknüpfte Band von Naturrecht und positivem Recht auseinanderreißen und eine von Hobbes nicht aufgelöste Spannung zwischen beiden entstehen lassen, insofern souveränes Befehlsrecht einerseits und staatsbürgerliche Gehorsamspflicht andererseits nicht mehr zur Deckung gebracht werden können. Damit reproduziert sich je6
Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 44. Zu dieser Problemstellung vgl. Kants Brief an Jung-Stilling vom 1.03.1789: "Das allgemeine Problem der bürgerlichen Vereinigung aber ist: Freyheit mit einem Zwang zu verbinden, welcher doch mit der allgemeinen Freyheit und zur Erhaltung derselben zusammenstimmen kan. Auf solche Art entspringt ein Zustand der äußeren Gerechtigkeit (status iustitiae externae), wodurch das, was im natürlichen Zustande blos Idee war, nämlich das Recht, als bloßes Befugnis zu zwingen, realisiert wird" (AA ΧΧΙΠ, S. 49520-26)· - Die Auflösung dieser staatsrechtlichen Quadratur des Kreises liegt für Rousseau und Kant in der Aufstellung eines rein rationalen Begriffs des Staates, "wie er nach reinen Rechtsprincipien sein soll" und der als ideale Verfassungsnorm "jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen (also im Inneren) zur Richtschnur (norma) dient" (Kant, RL § 45; AA VI, S. 31314_ 16). Erst in zweiter Linie behandeln Rousseau und Kant die Frage, ob und unter welchen historischen Bedingungen dieses staatsrechtliche Ideal a priori realisiert werden kann. Insbesondere in diesem Punkte trennen sich die Wege von Rousseau und Kant: während Rousseau im Hinblick auf die Möglichkeit einer solchen Realisierung skeptisch bleibt, ist Kants Rechtslehre in eine teleologische Geschichtsphilosophie eingebettet, die in durchaus problematischer Weise auf die Natur als Garantiemacht für den nicht-schimärischen Charakter des rechtsphilosophischen Entwurfs zurückgreift; vgl. zu diesem Punkt Asbach, Internationaler Naturzustand und Ewiger Friede, bes. Abschnitt ΙΠ-Γν. 7
I. Die Antinomie zwischen Naturrecht und staatlichem Gesetz
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doch in den existentiellen Grenzsituationen die Problem- und Konfliktlage des Naturzustandes, insofern sich jede der beiden Konfliktparteien auf ihr Recht berufen kann, ohne daß die andere zur Anerkennung des reklamierten Rechtsanspruchs verpflichtet wäre.8 Der Ausgangspunkt für die Antinomie zwischen natürlichem und positivem Recht, nämlich die Diskrepanz zwischen der Unbedingtheit des staatlichen Befehlsrechts und der Unabdingbarkeit des individuellen Selbstverteidigungsrechts, hatte sich schon bei der Bestimmung der staatsbürgerlichen Gehorsamspflicht abgezeichnet: Während das Recht des Souveräns ein "ius absolutum" darstellt, das mit dem Recht, Beliebiges zu befehlen, zusammenfällt, ist der Gehorsam, zu dem sich die einzelnen im Vertrag verpflichten, keineswegs ein absoluter, sich auf beliebige Handlungen erstreckender Gehorsam, sondern nur diejenige 'obedientia simplex1, "quia tarnen praestari major non potest" (DC VI, 13), weil er sich auf alles erstreckt, was jemand auf Befehl eines anderen tun kann. Das Recht staatlicher Herrschaft ist schrankenlos, insofern es sich auf alles erstreckt, was ein Mensch überhaupt aus freiem Willen tun kann: "imperium enim nihil aliud est quam ius imperandi quoties per naturam possible est" (DC VII, 16). Die Pflicht staatsbürgerlichen Gehorsams dagegen ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen der Bürger die Befehle des Souveräns ohne Gefährdung von Leib und Leben befolgen kann. Hobbes faßt die Differenz zwischen dem unbedingten Recht des Souveräns und dem eingeschränkten staatsbürgerlichen Gehorsam folgendermaßen zusammen: "Aliud enim est si dico, lus tibi do quidlibet imperandi; aliud si dico, faciam quicquid imperabis. Potestque tale esse mandatum ut interfici malim quam facere. Siquidem ergo teneri nemo potest ut velit interfici, multo minus tenetur ad id quod morte est gravius. Si jubear ergo interficere meipsum, non teneor. nam etsi negavero, nec jus imperii frustra est, cum alii haberi possint qui id facere jussi non recusabunt, neque id recuso quod facere pactus sum. Similiter si is qui summum habet Imperium se ipsum, imperantem dico, interficere alicui imperet, non tenetur, quia intelligi non potest ut id pactus fuerit. Neque parentem, sive is innocens sive nocens sit, & jure condemnatus; cùm & alii sint qui id facere jussi volunt, & filius mori quam vivere infamis atque exosus malit. Multi alii casus sunt, in quibus, cùm mandata aliis quidem factu
8 Auf die "logische Inkonsequenz des Einbruchs des Naturrechts in das positive Recht" (Forschner, Rousseau, S. 116), die Hobbes durch die Einräumung einer individuellen Widerstandsbefugnis in Kauf nimmt, hat eine Vielzahl von Interpreten hingewiesen: Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, pp. 168-169; Cattaneo , Hobbes Théoricien de l'Absolutisme Eclairé, pp. 207-208; Hampton , Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 197-207; Herb , Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 31 f., 150; Metzger, Hobbes und die Englische Revolution, S. 238; Strauss , Naturrecht und Geschichte, S. 204 f.; Mayer-Tasch, Hobbes und das Widerstandsrecht, S. 93; Polin, Hobbes, Dieu et les hommes, p. 141; Ryan, Hobbes and Individualism, pp. 97-98; Warrender, The Political Theory of Hobbes, p. 196; Zarka, Droit de resistance et droit pénal chez Hobbes, pp. 180-183.
16 Hüning
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
inhonesta sunt aliis autem non sunt, obedientia ab his praestari, ab illis negari juré potest: atque id salvo jure quod Imperanti concessimi est absolutum" (DC VI, 13). Offenkundig liegt hier der wunde Punkt: dem absoluten Recht des Souveräns ("ius absolutum summi imperantis") korrespondiert kein absoluter Gehorsam des Bürgers und somit auch keine schrankenlose Gehorsamspflicht. Vielmehr erschöpft sich die staatsbürgerliche Pflicht in demjenigen 'einfachen Gehorsam' (DC VI, 13), der mit der Selbsterhaltung kompatibel ist. 9 Die Forderung nach absolutem Gehorsam wäre mit der Unveräußerlichkeit des Selbstverteidigungsrechtes nicht vereinbar, so daß Hobbes in diesem Zusammenhang nur einen bedingten Rechtsverzicht anerkennt: das ius in omnia, d. h. die Ausübung dieses Rechts nach eigenem Belieben, wird nur unter der Bedingung aufgegeben, daß dieser Verzicht nicht in Widerspruch zur Notwendigkeit der Selbsterhaltung gerät. Wenn Hobbes im Leviathan die vertragliche Unterwerfung als denjenigen Akt bezeichnet, durch den sowohl die Verbindlichkeit als auch die Freiheit der Bürger begründet würden 10 , dann versteht er auch an dieser Stelle unter Freiheit nicht die durch den Vertrag konstituierte staatsbürgerliche Freiheit, sondern nur die Freiheit in negatorischer Bedeutung als das Residuum des natürlichen Rechts, das unverzichtbar und deshalb nicht ver-
9
Vgl. Bobbio, Thomas Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 163. - Die Rechtsantinomie, die letztlich Hobbes gesamte vorhergehende Begründung der Notwendigkeit des Staates und der Möglichkeit, den status naturalis zu überwinden, in Frage stellt, ist schon von Leibniz als grundlegender Schwachpunkt der Hobbesschen Rechtsphilosophie erkannt worden; zugleich macht Leibniz darauf aufmerksam, daß die Gründe, die Hobbes gegen den Widerstand anführt, nur den Status von Plausibilitätserwägungen haben: "M. Hobbes reconnaît pourtant quelque part qu'un homme n'a point pour cela perdu le droit de juger de ce qui lui convient le mieux, et qu'il est licite à un criminel de faire ce qu'il peut, pour se sauver, mais ces concitoyens doivent s'arrêter au jugement de l'état. Le même auteur sera obligé cependant de reconnaître aussi que ces mêmes citoyens, n'ayant point perdu leur jugement, non plus pourront trouver en quelque rencontre que leur sûreté est aussi en danger, lorsqu'on maltraite plusieurs d'entre eux, de sorte que dans le fonds, quoiqu'en dise M. Hobbes, chacun a retenu son droit et sa liberté nonobstant le transport fait sur l'état qui sera limité et provisionnel, c'est-à-dire, il aura lieu tant que nous croyons que notre sûreté subsiste. Et les raisons que cet illustre auteur allègue pour empêcher les sujets de résister au souverain, ne sont que des persuasions fondées sur ce principe très véritable qu'ordinairement un tel remède est pire que le mal. Mais ce qui a lieu ordinairement, ne l'a point absolument. Lün est comme le jus strictum, l'autre comme l'équité" ( Leibniz , Méditations sur la notion commune de la justice, pp. 65-66). Den gleichen Einwand hat Leibniz auch in einem Brief an Hobbes selbst erhoben, vgl. Hobbes, Correspondence Vol. Π, Letter 195, pp. 732-733. 10
Lev. XXI, p. 150: "For in the act of our Submission , consistetti both our Obligation , and our Liberty, ; which must therefore be inferred by arguments taken from thence [...]. The Obligation, and Liberty of the Subject is to be derived [...] from the End of the Institution of Sovereignty; namely, the Peace of the Subjects within themselves, and their Defence against a common Enemy."
I. Die Antinomie zwischen Naturrecht und staatlichem Gesetz
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tragsdisponibel ist. Die Annahme eines naturrechtlichen Vorbehalts der Selbstverteidigung führt Hobbes konsequent in ein grundlegendes staatsrechtliches Dilemma, genauer gesagt in den unvermittelten Widerspruch zwischen der Einsicht, daß sowohl der Verzicht auf das individuelle 'ius resistendo (DC VI, 11) als auch die Negation des ipse-iudex-Prinzips die notwendigen Bedingungen für die Schaffung von objektiven Rechtsverhältnissen darstellen, so daß es unmöglich ist, zurückzukehren "ad cognitionem priuatam boni & mali ,
quae concedi non potest sine ciuitatum dissolutione" (DC XII, 6), und der gleichzeitig aufgestellten Behauptung, daß diese subjektive Urteilskompetenz wegen der bezeichneten natürlichen Notwendigkeit der Selbsterhaltung einen unabdingbaren Bestandteil des natürlichen Rechts von jedermann bildet. Im Leviathan verschärft sich die Problematik des naturrechtlichen Vorbehalts. Hier werden diejenigen Dinge, welche trotz des Befehls des Souveräns "without Injustice" verweigert werden können, als die "true Liberty of a Subject" (Lev. XXI, p. 150) bezeichnet. Der Widerspruch springt an dieser Stelle ins Auge: wie soll diejenige Freiheit, mit welcher der Untertan gegen den Willen des Souveräns opponiert, die 'wahre Freiheit' sein, wo Hobbes doch nicht müde wird zu betonen, daß die Freiheit außerhalb der staatlichen Rechtsordnung nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann? Nun läßt Hobbes nichts unversucht, um die Gefahren dieser unaufgebbaren Widerstandsbefügnis zu minimieren: die Aktualisierung der Widerstandsbefügnis soll auf die existentiellen Grenzsituationen eingeschränkt sein.11 Aber man braucht sich nur seine Ausführungen über die Fundierung des Strafrechts anzusehen, um zu bemerken, daß von einer irgendwie gearteten Einschränkung der Widerstandsbefügnis auf seltene Grenzfälle der Existenzgefährdung keine Rede sein kann. Die allgemeine Rechtfertigung der Strafgewalt des Staates besteht, wie bereits in Kapitel C. III. 4 gezeigt, in ihrer Notwendigkeit als Instrument der Sicherheit der Rechtsordnung. Sobald Hobbes aber auf die Frage nach dem Rechtsgrund der Strafe, die er selbst als eine grundlegende Frage des Staats-
11
Das Befehlsverweigerungsrecht soll u. a. folgende Handlungen umfassen: niemand ist verpflichtet, 1. auf seine Selbsterhaltung zu verzichten (Lev. XXVII, p. 208), 2. sich selbst zu töten oder sich widerstandslos von anderen töten zu lassen (DC VI, 13; Lev. XXI, p. 151), 3. ein "dangerous, or dishonourable Office" (Lev. XXI, 151) zu übernehmen, und schließlich gibt es 4. ein Recht der Kriegsdienstverweigerung (Lev. XXI, p. 151): wenn Soldaten während der Schlacht desertieren, so handeln sie zwar ehrlos, aber in Übereinstimmung mit dem natürlichen Recht. - Übrigens hat Hobbes selbst offensichtlich große Schwierigkeiten, die Kasuistik des Befehlsverweigerungsrechtes präzise zu bestimmen. Während er an der gerade herangezogenen Stelle die Auffassung vertritt, daß ein Sohn den staatlichen Befehl, den Vater zu töten, verweigern dürfe, vertritt er im Behemoth (p. 51) die entgegengesetzte Position; vgl. hierzu auch Mayer-Tasch (Thomas Hobbes und das Widerstandsrecht, S. 90), der auf den "offenen Widerspruch" zwischen den Positionen in De Cive und im Behemoth verweist. 16
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
rechts betrachtet hat 1 2 , zu sprechen kommt, gerät er in unlösbare Schwierigkeiten. Denn das unverzichtbare Recht der Selbstverteidigung schließt es systematisch aus, daß die Strafe als etwas gedacht werden könnte, zu dem der Verbrecher im Rahmen des Staatsvertrags seine Zustimmung gegeben hätte. Denn wenngleich die vertragliche Unterwerfung eine umfassende Ermächtigung des Souveräns darstellt, durch die jeder ζ. B. verpflichtet wird, auf Befehl an Strafmaßnahmen gegen andere mitzuwirken, entspringt daraus nach Hobbes dennoch keine Verbindlichkeit, die eigene Bestrafung widerstandslos über sich ergehen zu lassen. Damit aber widerspricht die Hobbessche Begründung der staatlichen Strafgewalt dem verbindlichkeitstheoretischen Prinzip der Autonomie, nach welchem eine Rechtspflicht nur in einem Akt freier Selbstbindung gründen kann. Aus diesem Grunde könne die "foundation of that right of Punishing" (Lev. X X V I I I , p. 214) nur im natürlichen Recht auf alles, das der Inhaber der Staatsgewalt immer schon besitzt, liegen. Der Vertrag stiftet nicht erst dieses Recht, sondern räumt in Gestalt des kollektiven Rechtsverzichts nur die Hindernisse seiner Wirksamkeit aus dem Weg. Aber diese 'Lösung' ist in Wahrheit nur das Eingeständnis, daß es keine mit dem natürlichen Recht der Selbsterhaltung übereinstimmende Begründung des Strafzwangs gibt. Denn ein Ergebnis der Hobbesschen Naturzustandsanalyse war gerade die Einsicht, daß das Recht auf alles, das jedermann im Naturzustand besitzt, überhaupt kein Recht zur Ausübung einer Strafgewalt sein kann, weil diesem Recht keine Verbindlichkeit anderer korrespondiert. Im Verhältnis von staatlicher Strafgewalt und individuellem Selbstverteidigungsrecht reproduziert sich in Wahrheit die Rechtsantinomie des Naturzustandes: der Strafzwang steht in gar keinem möglichen rechtlichen Verhältnis zum Willen des betroffenen Verbrechers, sondern beruht vielmehr auf der durch den einseitigen Rechtsverzicht erzeugten völligen Rechtlosigkeit des einzelnen Staatsbürgers gegenüber derjenigen Gewalt, die diesen Strafzwang ausübt. Aber diese Rechtlosigkeit der einzelnen ist nur die Kehrseite der Unmöglichkeit, überhaupt in bezug auf mögliche Zwangshandlungen der Staatsgewalt verpflichtet werden zu können, weil solche Zwangshandlungen in keinem möglichen Rechtsverhältnis zum Willen des Bestraften stehen. Im Fall der Strafe haben beide Parteien - sowohl der Souverän als auch der Verbrecher das natürliche Recht, alles zu tun, um ihren Willen durchzusetzen. Das aber heißt nicht nur, daß ihr Konflikt nur noch gewaltsam gelöst werden kann, so daß die Durchsetzung der Strafkompetenz immer auch eine Gewaltfrage ist. Es bedeutet vor allen Dingen, daß es überhaupt kein Prinzip gibt, gemäß welchem die Strafgewalt des Souveräns nach einem allgemeinen Gesetz mit dem natürlichen Recht der einzelnen in Übereinstimmung gebracht werden kann. Daher zeigt sich, daß alle Versuche, die "Liberty to disobey" (Lev. X X I , p.
12
Lev. XXVm, p. 214: "[Tjhere is a question to be answered, of much importance; which is, by what door the Right or Authority of Punishing, in any case, came in."
I. Die Antinomie zwischen Naturrecht und staatlichem Gesetz
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151) durch irgendwelche Klauseln einzuschränken, der Dynamik und Dialektik des von Hobbes selbst in seiner Logik entwickelten ipse-iudex-Prinzips unterliegen. So drängt sich angesichts der Hobbesschen Behauptung, ein Recht der Gehorsamsverweigerung könne nur insoweit angenommen werden, als dies nicht dem Zweck der Einsetzung des Souveräns als solchen zuwiderläuft 13 , unmittelbar die Frage auf: 'quis judicabit?' Entscheidet der einzelne für sich darüber, ob und wann diese Bedingung eintritt, dann ist gemäß dem ipse-iudexGrundsatz - "Ipsius ergo facientis judicio id quod fit jure fit , vel injuria , itaque jure fit " (DC I, 10 annotatio) - jede Widerstandshandlung gerechtfertigt, denn die Unmöglichkeit, die Bedingungen für das Eintreten des Selbstverteidigungsrechtes und damit für seine Beschränkung auf bestimmte Fälle objektiv zu bestimmen, lag ja in der von Hobbes selbst so minutiös entfaltente Logik dieses Grundsatzes. Unter der Voraussetzung, daß die einzelnen aufgrund ihres Selbsterhaltungsrechtes ermächtigt sind, im Falle der Bedrohung von Leib und Leben über die Reichweite ihres Gehorsams zu bestimmen, erneuert sich diejenige Situation, die Hobbes für die Konflikthaftigkeit des Naturzustandes verantwortlich gemacht hatte. Der naturrechtliche Vorbehalt der Selbsterhaltung begründet somit nach Hobbes' eigenen Prinzipien ein prinzipiell unbestimmbares und deswegen tendenziell schrankenloses Recht. 1 4 Hobbes ist aufgrund der immanenten Logik der Bindung des natürlichen Rechts an das materiale Moment der Selbsterhaltung zu der Annahme gezwungen, daß im Falle einer unmittelbaren Bedrohung des Lebens die Gehorsamspflicht des Bürgers gegenüber den Anordnungen des Souveräns erlischt und gleichzeitig das "ius seipsum contra vim defendi" (DC V, 7) bzw. das 'ius resistendo (DC V, 11) in Kraft tritt. Der Grund für diese Konzession liegt in der schon erörterten Auffassung von Hobbes, daß alles Wollen notwendig unter der Bedingung der Selbsterhaltung steht und aus diesem Grunde die Erhaltung des eigenen Lebens nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Verpflichtung gemacht werden kann (selbst wenn der einzelne dies als seinen Willen erklären würde). Das Selbstverteidigungsrecht, das Hobbes aufgrund der vorausgesetzten Unabdingbarkeit des Strebens nach Selbsterhaltung einräumen muß, bezeichnet jedoch kein Recht im eigentlichen Sinne, also keine erzwingbare und anerkannte Befugnis, sondern nur eine naturrechtliche Schwelle, jenseits welcher staatliche Befehle keine Verbindlichkeit mehr entfalten können. Es formuliert eine Schranke möglichen staatsbürgerlichen
13 Lev. XXI, p. 151: "When therefore our refusali to obey, frustrates the End for which the Sovereignty was ordained; then there is no Liberty to refuse: otherwise there is." 14 Eine umfassende Analyse der Dynamik des naturrechtlichen Vorbehalts und die Unbestimmbarkeit seiner Reichweite findet sich bei Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 197-207.
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
Gehorsams: Dort, wo das durch staatliches Handeln zu erwartende Übel den naturrechtlichen Zweck der Unterwerfung tangiert, tritt der Bürger wieder in seine ursprüngliche Rechtsstellung, den status naturae, ein, d. h. er gewinnt die vollständige Freiheit auch in bezug auf den Modus der Ausübung seines natürlichen Rechtes zurück. Das von Hobbes aufgrund des unverzichtbaren naturrechtlichen Vorbehalts eingeräumte Selbstverteidigungsrecht muß jedoch von den klassischen Konzeptionen des Widerstandsrechts unterschieden werden. Das unverzichtbare Selbstverteidigungsrecht ist sowohl im Hinblick auf seinen materialen Gehalt wie in bezug auf den Anlaß seines Eintretens völlig vom traditionellen Widerstandsrecht verschieden. Denn das Zugeständnis, daß den Befehlen des Souveräns in Übereinstimmung mit den Prinzipien des natürlichen Rechts unter bestimmten Umständen der Gehorsam verweigert werden kann, ist bei Hobbes nicht Ausdruck der Überzeugung, daß es so etwas wie Schranken legitimer Herrschaft gäbe. Hobbes kennt kein Widerstandsrecht im Sinne eines Notrechtes, auf welches das Volk aus Anlaß der Verletzung natur- oder verfassungsrechtlicher Normen durch den Souverän zurückgreifen könnte. Es gibt insbesondere kein Widerstandsrecht, das aus einem angeblich tyrannischen "imperij exercitio" (DC VII, 3) folgen würde. Das natürliche Recht, an dem sich das Recht des staatlichen Gesetzgebers bricht, ist kein kollektives Widerstandsrecht des Volkes, das seine legitimen Rechte gegen den Tyrannen verteidigt, sondern eine Befugnis individueller Befehlsverweigerung, die nicht in einer vorhergehenden Rechtsverletzung, sondern in der psychologischen Unmöglichkeit wurzelt, in existentiellen Grenzsituationen durch staatliche Befehle wirksam motiviert zu werden. Dennoch hat Mayer-Tasch aus dieser Konzession einer Widerstandsbefügnis im Falle einer unmittelbaren Gefährdung des eigenen Lebens geschlossen, Hobbes müsse - da "im sozial nivellierenden Staate des Leviathan [...] Selbsterhaltung in der Regel überhaupt nur durch kollektive Selbsterhaltung möglich" sei - auch ein kollektives Widerstandsrecht anerkennen.15 Eine solche Schlußfolgerung verläßt jedoch unmittelbar das rechtstheoretische Fundament, von dem aus Hobbes argumentiert: Hobbes fragt nur, in welchen Fällen der Gehorsam rechtmäßig verweigert werden kann, nicht aber, in welcher Weise Widerstand gesellschaftlich überhaupt effektiv ist. Deshalb kritisiert Kersting völlig zu Recht die Verwechslung des individuellen Selbstverteidigungsrechtes mit einem kollektiven Widerstandsrecht: "Auch für Hobbes gibt es ein Selbstverteidigungsrecht, und Hobbes hat sich genauso wie Kant gehütet, die widerstandsrechtliche Problematik mit der Frage des Selbstverteidigungsrechts zu vermengen. Widerstandsrecht und Selbstverteidigungsrecht stehen zueinander wie Leviathan und Kriegszustand: besteht ersterer, gilt die absolute Gehorsamspflicht, herrscht jener, dann besteht ein Selbstverteidigungsrecht. 15
Mayer-Tasch, Thomas Hobbes und das Widerstandsrecht, S. 99.
I. Die Antinomie zwischen Naturrecht und staatlichem Gesetz
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Dieses ist weder eine Schwundstufe des Widerstandsrechts noch kann es Grundlage expandierender widerstandsrechtlicher Befugnisse dienen."16
Rousseau hat diese Antinomie zwischen natürlichem Recht und staatlichem Gesetz als einen der zentralen Schwachpunkte der Hobbesschen Staatsrechtslehre hervorgehoben und die auch von ihm geteilte Einsicht in die Notwendigkeit der rechtlichen Absolutheit des staatlichen Souveräns mit einer scharfen Kritik an Hobbes' unzureichender Bestimmung des geltungstheoretischen Bedingungsverhältnisses von Naturrecht und positivem Recht verknüpft. Rousseau erkennt nämlich die Sprengkraft des Hobbesschen Gedankens eines durch die vorausgesetzte Unabdingbarkeit der Selbsterhaltung beschränkten Rechtsverzichtes, der trotz aller gegenteiligen Beteuerungen die scheinbar uneinnehmbare Rechtsposition des Leviathan zu unterminieren droht. Der individuelle Naturrechtsvorbehalt, er mag von Hobbes noch so sehr auf existentielle Grenzsituationen eingeschränkt werden, bedeutet nach Rousseau gerade wegen seiner begrifflichen Unbestimmbarkeit eine mit der Souveränitätstheorie unvereinbare Beibehaltung des ipse-iudex-Prinzips. Jede vernunftrechtlich erteilte Befugnis des Individuums, über die Art und den Umfang des von ihm zu leistenden Gehorsams zu entscheiden, stellt in ganz prinzipieller Weise die staatliche Rechtsbestimmungskompetenz in Frage, denn es gibt nahezu keinen staatlichen Gesetzgebungs- und Befehlsakt, der von dem einzelnen nicht auch als Verletzung bzw. als tendenzielle Gefährdung seines natürlichen Rechts interpretiert werden kann. Indem Rousseau die bei Hobbes nur unzureichend reflektierte Dialektik eines derartigen naturrechtlichen Vorbehalts konsequent zu Ende denkt, radikalisiert er gegenüber seinem Vorgänger die Forderung der notwendigen Absolutheit staatlicher Souveränität.17 Die Unterwerfung im Staatsvertrag ist eine "aliénation totale de chaque associé avec tous ses droits à toute la communauté", die notwendigerweise "sans reserve" erfolgt: "Car premièrement chacun se donnant tout entier, la condition est égale pour tous, et la condition étant égale pour tous, nul n'a intérêt de la rendre onéreuse aux autres. De plus, l'aliénation se faisant sans réserve, l'union est aussi parfaite qu'elle ne peut l'être et nul associé n'a plus rien à réclamer: Car s'il restoit quelques droits aux particuliers, comme il n'y auroit aucun supérieur commun qui put prononcer entre eux et le public, chacun étant en quelque point son propre juge prétendroit bientôt l'être en tous, l'état de nature subsisteroit et l'association deviendroit nécessairement tirannique ou vaine" (CS 1,6; OC ΠΙ, pp. 360-361).
Rousseau analysiert den von Hobbes angenommenen naturrechtlichen Vorbehalt ausschließlich unter Gesichtspunkten der Rechtslogik. Und er zeigt, daß ein solcher Vorbehalt mit dem Begriff einer rechtlichen Vereinigung aller 16
Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 488. Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 150, 178; Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 149. 17
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
unter Staatsgesetzen unvereinbar ist. Denn der von Hobbes behauptete notwendige naturrechtliche Vorbehalt, der den einzelnen wieder zum rechtmäßigen Richter in eigener Sache werden läßt, entfaltet eine gefährliche, staatszerstörerische Eigendynamik, die auch nicht - wie Hobbes meinte - auf die existentiellen Grenzsituationen beschränkbar ist. M i t einem (durch noch so viele Klauseln bedingten) individuellen Befehlsverweigerungsrecht ist kein Staat und v. a. kein Staatsrecht zu machen. Rousseau zieht daraus den Schluß, daß es kein ursprüngliches und unverzichtbares Recht auf Leben bzw. auf Selbsterhaltung gibt, auf das der Mensch gegen den Staat Anspruch erheben könnte. Zwar ist das Leben "un bienfait de la nature" (CS II, 5; OC III, p. 376), über das der einzelne nicht nach Belieben verfügen kann. Aber aus diesem Umstand folgt nicht, daß das Leben und die Selbsterhaltung die Grundlage möglicher staatsbürgerlichen Verpflichtungen darstellen. Vielmehr verwandelt sich das Leben unter den Bedingungen der Rechtsordnung aus einer bloßen Naturtatsache in ein "don conditionnel de l'Etat" (CS II, 5; OC III, p. 376). Das heißt nichts anderes, als daß jeder Bürger ein Recht auf Leben nur haben kann in "Abhängigkeit von der möglichen Übereinstimmung seines Willens mit dem Willen, der will, daß Menschen sich unter Bedingungen ihres Rechts vereinigen können." 1 8 Bekanntlich hat auch Carl Schmitt ein Scheitern der Hobbesschen Staatslehre diagnostiziert. Nach Schmitts Ansicht wollte Hobbes aufgrund der Erfahrung der konfessionellen Spaltung und der daraus resultierenden Bürgerkriege einen Staat konstruieren, der die politische Einheit und den irdischen Frieden getrennt von allen metaphysischen und theologischen Lehren und Meinungen wertfrei und neutral garantiert. Hobbes habe daher Religion und Philosophie, den Glauben und die Wissenschaft zu 'unpolitischen' Faktoren erklären müssen, gegenüber denen der Staat seinerseits das 'neutrale Gebiet' des Politischen repräsentiert. Dergestalt verwandelt sich der Staat in einen technisch-neutralen Befehlsmechanismus, der Recht nur noch vermittelst des souveränen Machtmonopols durchzusetzen vermag und der zugleich alle Glaubens- und Wahrheitsansprüche in die Sphäre des Privaten verweist. 19 In dieser Abtrennung der bloß politisch-juristischen "Befehls- und Funktionswerte" von dem "religiösen und metaphysischen Wahrheitsgehalt" und in der durch die weltanschauliche Neutralität des Politischen begründeten Unter18 Ebbinghaus, GS Π, S. 311. - Allerdings wird diese Erkenntnis durch eine gewisse "Unentschiedenheit" Rousseaus hinsichtlich der Frage getrübt, ob nun die Selbsterhaltung oder die Freiheit als "Legitimitätsprinzip rechtlicher Verhältnisse" zu gelten hat; vgl. hierzu Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 144 f. 19 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 67 f.: "Für die technisch vorgestellte Neutralität ist es entscheidend, daß die Gesetze des Staates von jeder inhaltlich substanzhaften, religiösen oder rechtlichen Wahrheit und Richtigkeit unabhängig werden und nur noch infolge der positiven Bestimmtheit staatlicher Entscheidung gelten."
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Scheidung von Innen und Außen, von innerer Überzeugung und öffentlichem Bekenntnis liegt nach Schmitt der Grund für die "Bruchstelle in der sonst so geschlossenen, unwiderstehlichen Einheit" des Leviathan und zugleich die Grundlage für den "Vorbehalt der inneren, privaten Gedanken- und Glaubensfreiheit, der dann "zum Todeskeim [wird], der den mächtigen Leviathan von innen her zerstört" 20 : "In dem Augenblick, in dem die Unterscheidung von Innen und Außen anerkannt wird, ist die Überlegenheit des Innerlichen über das Äußerliche und damit die des Privaten über das Öffentliche im Kern bereits entschiedene Sache. Eine öffentliche Macht und Gewalt mag noch so restlos und nachdrücklich anerkannt und noch so loyal respektiert werden, als eine nur öffentliche und äußerliche ist sie hohl und von innen her bereits entseelt."21 Im Unterschied zu den Einwänden Rousseaus hat Schmitts Kritik jedoch keinen rechtsphilosophischen Gehalt. Sie zielt nicht auf das Problem der rechtlichen Inkonsistenz des naturrechtliche Vorbehalts, sondern operiert in Wahrheit mit dem Ideal des totalen Staates, in welchem der einzelne restlos, also auch hinsichtlich seiner Gesinnung, im Dienst an den Zwecken des Staates aufzugehen hat - ein Ideal, das Schmitt als vom 'konkreten Ordnungsdenken' beseelter Staatsrechtslehrer mit den zeitgenössischen faschistischen Machthabern teilte. Dementsprechend ist für Schmitt die politische Einheit des totalen Staates dadurch charakterisiert, daß in ihr "der Mensch in der politischen Teilnahme ganz und existentiell eifaßt w i r d . " 2 2 Aus diesem Grunde ist Schmitt unfähig oder unwillig, die rechtsphilosophische Begründung, die Hobbes für die von ihm als "Todeskeim" des Staates mißverstandenen Unterscheidung anführt, in ihrer Bedeutung zu begreifen. Insbesondere ignoriert Schmitt, daß Hobbes' Lehre von der rechtlichen Einschränkung staatlicher Herrschaft auf die Sphäre äußerer Handlungen die notwendige Konsequenz seiner Einsicht ist, daß religiöse, weltanschauliche oder wie immer geartete Überzeugungen, die bloß der moralischen Innerlichkeit des Menschen angehören, nicht zum Gegenstand einer Zwangsgesetzgebung gemacht werden können. Aber warum - so kann gefragt werden - kann ein Mensch nicht beliebig über seine Überzeugungen verfügen und sich dem Gewissenszwang eines anderen unterwerfen? Nach Hobbes kann er es deshalb nicht, weil er eine Überzeugung - soll sie überhaupt irgendeine Bedeutung für ihn haben nur gemäß inneren Bestimmungsgründen vor seiner eigenen Vernunft rechtfertigen kann. Denn irgendeine Überzeugung, die jemand hegt, ist im Unterschied zum äußeren Handeln nicht etwas, das jemand sich aufgrund von fremden Zwang zu eigen machen könnte. Es liegt somit schon im Begriff der Überzeugung, daß sie auf Gründen beruht, die jeder nur nach seiner eigenen
20 21 22
Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 68 f., 84, 86. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 94. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 21.
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
Überzeugung, daß sie auf Gründen beruht, die jeder nur nach seiner eigenen Vernunft und eigenem Urteil für ausschlaggebend halten kann. Im Hinblick auf persönliche Überzeugungen ist es daher "unreasonable [...] to require of a man endued with Reason of his own, to follow the Reason of any other man, or of the most voices of many other men." 23 In dieser Unmöglichkeit, daß Menschen aufgrund von äußerem Zwang zu irgendwelchen Überzeugungen bestimmt werden könnten, liegt somit der Grund für die Hobbessche Trennung von Innen und Außen und für die rechtliche Unmöglichkeit einer jeden Form von Gewissens- oder Überzeugungszwang24: die Grenze eines rechtlich möglichen Zwangs ist dort erreicht, wo überhaupt das freie Handeln und das individuelle Belieben aufhört; es liegt in der Logik des (objektiven) Rechts als einem System von subjektiven Rechten und korrespondierenden erzwingbaren Pflichten, daß es die "Rule of Actions onely" (Lev. XL VI, p. 471) darstellt. In der Einschränkung der staatlichen Gesetzgebungskompetenz auf die rechtliche Regelung des möglichen äußeren Freiheitsgebrauchs liegt zudem auch der juridische Grund für Hobbes' Absage an die Inquisition. Hobbes wendet sich den Fall des von ihm bewunderten und verehrten Galilei vor Augen - gegen Versuche, "to extend the power of the Law, which is the Rule of Actions onely, to the very Thoughts, and Consciences of men, by Examination, and Inquisition of what they Hold, notwithstanding the Conformity of their Speech and Actions" (Lev. XLVI, p. 471).
Der inquisitorische Gewissenszwang führt zu einem für die einzelnen unauflöslichen Widerspruch, weil sie "are either punished for answering the truth of their thoughts, or constrained to answer an untruth for fear of punishment." Deshalb ist es auch gegen das natürliche Gesetz, jemanden zu zwingen, "to accuse himselfe of Opinions, when his Actions are not by Laws forbidden" (Lev. XLVI, p. 471). Allerdings steht die Staatsgewalt den privaten Überzeugungen und Ansichten ihrer Bürger nicht gleichgültig gegenüber. Aus 23
Lev. XLVU, pp. 479-480; vgl. auch Ebbinghaus, GS I, 302: "[Rechtlich möglich ist nur ein Zwang, durch den der Mensch in der Freiheit seiner (äußeren) Willkür Gesetzen unterworfen wird." Dementsprechend ist der Zwang, der sich gegen das Gewissen bzw. gegen religiöse Überzeugungen richtet, ein rechtswidriger Zwang, weil er sich gar nicht auf den Menschen im Verhältnis möglicher äußerer Freiheit bezieht, sondern ihn als Sache (bloßen Gegenstand fremder Willkür) behandelt." 24 Lev. XL, p. 323: "As for the inward thought , and belief of men, which humane Governours can take no notice of, (for God only knoweth the heart) they are not voluntary, nor the effect of the laws, but of the unrevealed will and of the power of God; and consequently fall not under obligation". Zur Gewissensfreiheit, vgl. außerdem Lev. XXXVm, p. 306; XLII, p. 343; XLII, p. 360. Von der Gewissensfreiheit ist die Meinungsfreiheit, d. h. die Mitteilung und Verbreitung von Überzeugungen, zu unterscheiden. Letztere steht im Unterschied zur Gewissensfreiheit unter dem Vorbehalt staatlicher Erlaubnis, weil die Äußerung von Meinungen durchaus in das Belieben der Menschen fällt.
Π. Das Despotismusproblem
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der Möglichkeit, daß die Meinungen der Bürger vom Willen des Staates abweichen können, erwächst für diesen die Aufgabe fortwährender politischer Betreuung und des "wel governing of Opinions" (Lev. XVIII, p. 124): Kanzel und Katheder bzw. Kirche und Universität sind für Hobbes die beiden Institutionen, in welchen die Staatsgewalt für die politische Bildung der Bürger bzw. für die Ausbildung ihres staatsbürgerlichen Bewußtseins zu sorgen hat. An sich sind die "Common-peoples minds, unlesse they be tained with dépendance on the Potent, or scribbled over with the opinions of their Doctors", wie eine tabula rasa bzw. "like clean paper, fit to receive whatsoever by Publique Authority shall be imprinted in them" (Lev. XXX, p. 233). Hobbes' Ausführungen über die Lenkung der öffentlichen Meinung und die "instruction of the people" (Lev. XXX, p. 233) könnten leicht den Verdacht erwecken, als verfechte er das Ideal der staatsbürgerlichen Manipulation. Aber Hobbes ist kein 'machiavellistischer' Theoretiker der Politik. Sein Interesse für die Probleme der öffentlichen Meinung geht gerade aus der Einsicht hervor, daß die grundlegenden Souveränitätsrechte "cannot be maintained by any Civili Law, or terrour of legall punishment" (Lev. XXX, p. 232). Auf der anderen Seite können die individuellen Rechte der Meinungs- oder Lehrfreiheit keine absolut-unbeschränkten Rechte, keine Abwehrrechte im Sinne der liberalen Interpretation der Grundrechte sein - das folgt für Hobbes schon daraus, daß sie auf Akten hoheitlicher Gewährung beruhen. Und noch Kant ist sich darüber im Klaren, daß "die Freiheit der Feder [...], das einzige Palladium der Volksrechte", nur "in den Schranken der Hochachtung und Liebe für die Verfassung, worin man lebt" (AA VIII, S. 304is ausgeübt werden kann.
I L Das Despotismusproblem 1. Absolutismus- oder Despotismusvorwurf? Die nachfolgenden Ausführungen diskutieren den zweiten fundamentalen Widerspruch des Hobbesschen Staatsrechtslehre, einen Widerspruch, der vorab folgendermaßen zusammengefaßt werden kann: Obwohl der 'Libertas'Teil von De Cive von der Prämisse der Rechtssubjektivität ausgeht, aufgrund derer jeder Mensch als Träger ursprünglicher Rechte aufgefaßt wird, und Hobbes somit in diesem ersten Teil von De Cive eine Grundlagentheorie des Menschen als vernunftrechtlichem Subjekt liefert, obwohl er außerdem die Rechtsgleichheit der Personen ("aequalitas personarum") und die Reziprozität ihrer rechtlichen Anerkennung als konstitutive, auf dem natürlichen Gesetz beruhende Organisationsprinzipien der Rechtsordnung ableitet25, und obwohl er schließlich alle Rechtsverbindlichkeit auf Akte freier Selbstbindung zurück25
Vgl. DC ΠΙ, 14; Lev. XV, pp. 107-108.
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
führt, vermag er diese systematischen Prämissen seiner Staatsrechtslehre nicht konsequent durchzuhalten. Der Versuch, Freiheit und Herrschaft zu vereinigen, führt Hobbes zu Konsequenzen, die mit diesen Prämissen unverträglich sind. Es wird sich zeigen, daß es die spezifische Fassung ist, die Hobbes dem staatsbegründenden Vertrag als Unterwerfungsvertrag gibt, welche einerseits die Hobbessche Staatsrechtslehre als ganze mit einer Zweideutigkeit belastet, die es ihm unmöglich macht, den staatlichen Zwang in seiner möglichen Bestimmtheit auf seinen vernunftrechtlichen Begriff zu bringen. 26 Andererseits stellt diese Zweideutigkeit den Grund für die vehemente Kritik der nachfolgenden Vernunftrechtstheoretiker dar, deren Polemik dazu geführt hat, daß Hobbes als einer der "fauteurs du despotisme"27 in die Annalen der Rechtsphilosophie eingegangen ist. Die Einwände, die in dieser Hinsicht gegen Hobbes' Souveränitäts- und Vertragslehre erhoben werden, lassen sich grob in zwei Klassen einteilen: einerseits der Despotismus-Vorwurf und andererseits der Absolutismus-Vorwurf. Letzterer zielt weniger auf die rechtsphilosophische Problematik des Hobbesschen Staatsrechts ab, sondern er nimmt eine (problematische) historisch-politische Zuordnung vor, die in der Behauptung gipfelt, Hobbes' Staatstheorie besitze eine gewollte politische Affinität zur zeitgenössischen absoluten Monarchie. Soweit dieser Vorwurf nicht auf biographische Aspekte (wie z. B. Hobbes' Stellung als Hauslehrer royalistischer Familien oder als Mathematiklehrer des englischen Thronfolgers und späteren Charles II.) reflektiert, bilden die verschiedenen Kernaussagen der Hobbesschen Staatslehre - daß der Untertan kein Recht hat, den gesetzlichen Anordnungen des Souveräns aus Gewissensgründen Widerstand zu leisten, daß es kein absolutes, staatliche Eingriffe ausschließendes Privateigentum gibt, daß der Inhaber der Staatsgewalt nicht den staatlichen Gesetzen unterworfen und die Souveränität unteilbar ist, und daß schließlich aus diesem Grunde eine gewaltenteilige Staatsverfassung unmöglich ist - bleibende Elemente der Zuordnung zum Absolutismus. Was die letztgenannte Lehre der Gewaltenteilung angeht, so ist sie für Hobbes, anders als für Kant, für welchen die gewaltenteilige Gliederung (nicht Trennung) des Staates "aus dem Begriff des gemeinen Wesens 26
Maluschke, Die philosophischen Grundlagen des Verfassungsstaates, S. 48: "Suggeriert der neuzeitlich individualistische Ansatz semes Denkens die Nähe Thomas Hobbes' zu den Theoretikern des Liberalismus, so manifestiert sich in der endgültigen Gestalt seiner politischen Theorie weit eher eine Affinität zum Despotismus." 27 Rousseau, CS I, 5; OC ΠΙ, p. 359. Rousseau deutet damit an, daß Hobbes in seinem Kampf gegen die "fautores anarchiae" (DC ΧΠ, 3), d. h. die Verfechter aufrührerischer Lehren, in das andere Extrem eines schrankenlosen Despotismus verfallen ist. Eine ähnliche Einschätzung findet sich bei Mably (Des droits et des devoirs du citoyen, p. 274), nach dessen Auffassung Hobbes "a employé toutes les ressources d'un génie puissant pour établir un système funeste à l'humanité, et qu'il auroit condamné, si, au lieu des désordres de l'anarchie, il eût éprouvé les inconveniences du despotisme."
Π. Das Despotismusproblem
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überhaupt (res publica latius dicta)" hervorgeht (RL § 51, V I 33822 f.) 2 8 , sowohl mit dem Begriff wie mit der Wirklichkeit des Staates unvereinbar. Das Hauptargument gegen die gewaltenteilige Gliederung der Staatsgewalt, das Hobbes vorbringt, besagt, daß hierdurch ein Konkurrenzverhältnis staatsrechtlicher Kompetenzen gestiftet und die Einheit des Staates gefährdet würde: "There is a Sixth doctrine, plainly, and directly against the essence of a Commonwealth; and tis this, That the Soveraign Power may be divided . For what is it to divide the Power of a Common-wealth, but to Dissolve it? for Powers divided mutually destroy each other" (Lev. XXIX, p. 225; DC VU 4; ΧΠ, 5). Aufgrund der historischen Erfahrungen des englischen Bürgerkriegs geht Hobbes davon aus, daß die staatsrechtliche Kompetenzverteilung auf unterschiedliche und voneinander unabhängige politische Instanzen mit der Auflösung der staatlichen Einheit zusammenfallt. Das Nebeneinander von verschiedenen staatsrechtlichen Gravitationszentren, wie es der Vorstellung der Gewaltenteilung als eines Systems von 'checks and balances' vorschwebt, ist für Hobbes mit dem Begriff der unteilbaren Souveränität unvereinbar. Es liegt nun nahe, mit dem Hinweis auf die funktionierende Gewaltenteilung des modernen Verfassungsstaates gegen Hobbes den Vorwurf der unreflektierten Parteinahme für den staatsrechtlichen Absolutismus sowie der mangelnden institutionellen Phantasie zu erheben. Demgegenüber muß daran erinnert werden, daß Gewaltenteilung im modernen Verfassungsstaat ein Element ist, das sich historisch erst nach der Durchsetzung der staatlichen Souveränität ausgebildet hat. Erst nachdem sich der moderne Staat von seiner Verschmelzung mit bestimmten Teilen der Gesellschaft (dem Klerus und der Klasse der Grundeigentümer) emanzipiert und die gesamte Gesellschaft seiner Gewalt unterworfen hatte, konnte sich die gewaltenteilige Verfassung als ein "effektives politisches Mittel [erweisen], Prozesse politischer Machtausübung von Individuen und Gruppen der bürgerlichen Gesellschaft so zu organisieren, daß die Bindung der Staatsgewalt an die Zwecke der Vergesellschaftung [...] langfristig und im Durchschnitt effektiv ohne permanenten Bürgerkrieg realisiert werden konnten." 29 Genau dieser Prozeß der Durchsetzung des modernen Staates und der Unterordnung aller besonderen gesellschaftlichen Klassen, Interessen und Ansprüche unter eine souveräne Zwangsgewalt, welche die Existenzbedingung für ein reibungsloses Zusammenwirken mehrerer, mit verschiedenen verfas-
28 Die "drei Gewalten im Staate" betrachtet Kant als ebenso viele "moralische Personen" (RL § 48, VI, S. 316g ff.), die einander sowohl beigeorndet als untergeordnet sind; Hobbes hatte diese Lehre mit Blick auf die Scholastik als Zerstörung des einheitlichen Staatswillens gebrandmarkt: "As there have been Doctors, that hold there be three Soules in a man; so there be also that think there may be more Soules, (that is, more Sovereigns,) than one, in a Common-wealth" (Lev. XXIX, p. 226). 29 Tuschling , Die 'offene' und die 'abstrake' Gesellschaft, S. 239.
254
D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
sungsrechtlichen Kompetenzen ausgestatteter Instanzen und Institutionen bildet, befand sich zu Hobbes1 Zeiten erst im Anfangsstadium seiner Durchsetzung. Der Vorwurf, Hobbes habe die Möglichkeiten des modernen Verfassungsstaates und nicht-absolutistischen Staatskonzeption verkannt, läuft in dieser Hinsicht auf die Anschuldigung mangelnder verfassungsrechtlicher Prophetie hinaus. Bezogen auf die zeitgenössische Verfassungslage, insbesondere bezogen auf den Machtkampf zwischen Krone und Parlament in England mußte der Schwerpunkt der Hobbesschen Staatslehre auf dem Aspekt der Souveränität, d. h. auf der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. Hierzu gehört seine Einsicht in die Unmöglichkeit, "die Souveränität zwischen verschiedenen Institutionen zu teilen, die - von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen getragen - jede für sich die Souveränität beansprucht."30 Wenn dagegen moderne Interpreten die "gemäßigte, konstitutionelle Herrschaft" als Alternative zur Hobbesschen Disjunktion von Anarchie und souveräner Herrschaft verteidigen 31, so übersehen sie, daß das konstitutionelle Prinzip der Gewaltenteilung nichts daran ändert, daß die Staatsgewalt als ganze (als Gesamtheit der Staatsorgane) gegenüber der Gesamtheit der Staatsbürger souverän ist und letztere dem letztinstanzlichen Urteil unterworfen bleiben.32 Die Gewaltenteilung stellt insofern keine Abschwächung oder Relativierung der Souveränität dar, sondern die effektivste Form der Bildung, Organisation und Verwirklichung des staatlichen Willens. Was schließlich die Forderung der Mäßigung in der Ausübung der Staatsgewalt betrifft, so wird sie von Hobbes selbst - wenngleich nicht als Verfassungsprinzip, sondern als ein Prinzip politischer Klugheit - erhoben: "Imperium dividi non oportere, plerique dicunt; sed temperari, & limite aliquo contineri volunt Ita sanè aequum est sed illi tum cum temperari & limitari dicunt, si dividi intelligent ineptè distinguimi Vellern quidem ego non modo Reges, sed etiam coetus illos qui sunt cum imperio summo, velie temperare sibi à malefìcio, cogitantesque de officiis suis intra legum naturalium & divinarum limites se ipsos continere. At illi qui sic distinguimi, summos imperantes ab aliis limitari & coerceri volunt: quod quia fieri non potest, quin illi limitatores potestatis partem aliquam qua id facere possint, habere debeant, dividitur Imperium, non temperatur" (DC VE, 4 annotatio).33
30
Hespe, Rezension von Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 482. Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 175 ff, der sich seinerseits auf Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition (bes. pp. 224-255) stützt. 32 So der zutreffende Einwand von Hespe (Rezension von Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 482). 33 Nur hält Hobbes daran fest, daß diese gemäßigte Ausübung der Staatsgewalt durch den Inhaber der obersten Staatsgewalt nicht zum Gegenstand eines Rechtsurteils durch eine andere Instanz werden kann. Vgl. hierzu auch die Äußerungen Kants über "die sogenannte gemäßigte Staatsverfassung, als Constitution des innern Rechts des Staats", die "anstatt zum Recht zu gehören, nur ein Klugheitsprincip" ist (Kant, RL § 49 A, AA VI, S. 320 4 f f ). 31
Π. Das Despotismusproblem
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Der Vorwurf, daß Hobbes in politischer Hinsicht dem zeitgenössischen Absolutismus das Wort rede 34, übersieht jedoch, daß gerade die Verschränkung von (naturrechtlicher) Freiheit und (staatlicher) Herrschaft, die Hobbes in das Zentrum seiner Staatsrechtstheorie stellt, in Veibindung mit der aus der freiheitstheoretischen Deduktionsbasis folgenden Betrachtung des Staates als Mittel für das Recht der einzelnen "das gerade Gegenteil einer absolutistischen Begründung politischer Macht" darstellt. 35 Der Versuch, Hobbes zum Anwalt der Stuarts zu stilisieren oder ihn als den "Philosophen des Absolutismus" zu titulieren und seine Staatstheorie dem zeitgenössischen Absolutismus zuzurechnen, verkennt insbesondere den prinzipiellen Charakter der Hobbesschen Souveränitätstheorie: die rechtliche Absolutheit des Souveräns ist kein Spezifikum der absoluten Monarchie, sondern das allgemeine konstitutive Moment von Staatlichkeit überhaupt. Nur dort, wo eine souveräne Gewalt existiert, die als der vereinigte Wille aller fungiert und die in ihren Entscheidungen von dem Willen der ihr Unterworfenen rechtlich unabhängig ist, kann nach Hobbes von einem Staat im eigentlichen Sinne die Rede sein. Daher ist Kriele zuzustimmen, wenn er betont, daß "Friede durch Souveränität [...] das Modell jeder öffentlichen Ordnung, auch das des demokratischen Verfassungsstaates" ist: "Es ist das Kennzeichen jeder öffentlichen Ordnung, daß sie Konflikte zwischen einzelnen oder zwischen Gruppen an ihrem gewaltsamen Austrag hindert, weil sie die Gewalt bei sich monopolisiert und Verfahren zur Konfliktvermeidung, Konfliktregelung oder Konfliktentscheidung vorsieht. Insofern ist die Souveränität des Staates die Bedingung des inneren Friedens." 36
Während der Absolutismusvorwurf in erster Linie politischer Natur ist und oftmals auf einem oberflächlichen Verständnis der souveränitätstheoretischen Einsichten basiert, richtet sich der Despotismusvorwurf nicht bloß auf unliebsame politische Schlußfolgerungen. Er hat anders als der Absolutismusvorwurf einen spezifisch rechtsphilosophischen Charakter, da er ein Defizit des Hobbesschen Staatsrechts aufzeigt: er betrifft den "Mangel eines rein rationalen Prinzips der staatlichen Herrschaftsordnung" 37 bzw. das ungelöste vernunftrechtliche Problem der Bestimmung der "Art, wie der Staat von seiner 34
Stellvertretend für viele Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, S. 13; Sauter (Grundlagen des Naturrechts, S. 211) behauptet, "die Verabsolutierung der Fürstengewalt und die Identifizierung von Kirche und Staat" sei "der Zweck dieses Naturrechts"; schließlich Figgis , Studies of Political Thought from Gerson to Grotius, p. 7, der annimmt, Hobbes' Ziel sei es gewesen, "to remove all restraints from the action of rulers except those of expediency". Auch Kersting (Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 86 ff.) spricht wiederholt vom "kontraktualistischen Absolutismus" bei Hobbes. 35 Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 233. 36 Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 48. 37 Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Einleitung, S. 32.
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
Machtvollkommenheit Gebrauch macht".38 Der Despotismusvorwurf richtet sich nicht gegen die souveränitätstheoretische Forderung unbedingter Unterwerfung unter den Staatswillen - in dieser Hinsicht haben die genannten Autoren nicht nur am "souveränitätstheoretischen Hobbesianismus" festgehalten, sondern ihn durch Beseitigung des naturrechtlichen Vorbehalts sogar verschärft. 39 Er richtet sich auch nicht gegen die gleichfalls im Begriff der Souveränität liegende umfassende Ermächtigung des staatlichen Gesetzgebers, dessen Gesetzgebungs- und Herrschaftsrecht sich auf alles erstreckt, was überhaupt zur Sphäre der äußeren Handlungen gehört und somit überhaupt einer gesetzlichen Regelung fähig ist. Aber dieses umfassende Gesetzgebungsrecht des Souveräns kann nicht bedeuten - und die von Locke, Rousseau, Kant u. a. vorgebrachten Einwände zielen darauf ab, daß Hobbes diesen Unterschied nicht gesehen hat - , daß nun jeder beliebige Befehl auch schon bloß deswegen, weil er Befehl des Souveräns ist, die vernunftrechtlichen Kriterien eines mit den Rechten und der Freiheit der Bürger übereinstimmenden Gesetzes erfüllt. Indem Hobbes nicht deutlich zwischen dem individuellen Befehl (als beliebiger Willensäußerung des Souveräns) und der Allgemeinheit des Gesetzes (im Sinne Rousseaus und Kants) unterscheidet und daher auch nicht erkennt, daß die Befugnis des souveränen Gesetzgebers "auf die Bedingung möglicher Gesetzlichkeit seiner Befehle" 40 eingeschränkt ist, reproduziert er die Gesetzlosigkeit des Naturzustandes auf höherer Stufe: an die Stelle der Gesetzlosigkeit des Freiheitsgebrauchs aller einzelnen im Naturzustand tritt die Gesetzlosigkeit des Willens desjenigen, der durch den staatsbegründenden Vertrag ermächtigt worden ist, die Freiheit aller einzuschränken. Aufgrund dieser Identifikation des Staatswillens mit dem empirischen Willen des Inhabers der obersten Staatsgewalt bleibt die Übereinstimmung des Staatsrechts mit den vernunftrechtlichen Prinzipien völlig zufallig, weil bloß vom guten Willen des Souveräns abhängig. Man kann diesen Mangel auch so bestimmen, daß Hobbes sehr wohl die allgemeine Notwendigkeit des Rechts im Sinne einer objektiven Freiheitsordnung und des Staates als souveräner Rechtssicherungsinstanz aus dem Begriff der Freiheit ableitet, daß er aber übersieht, daß die gesetzliche Beschränkung der Freiheit ihr Prinzip und Maß aus dieser Freiheit selbst beziehen muß, so daß seine Staatslehre, wie Kant sich ausdrückt, unfähig ist, jenseits der Faktizität der Zwangsgewalt "die ur38
Kant, EF; AA Vm, S. 352 12 f. Die Art der Herrschaftsausübung markiert den Unterschied zwischen republikanischer und despotischer Regierungsform. 39 Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 148; vgl. auch Tuschling, Die 'offene' und die 'abstrakte' Gesellschaft, S. 279, 309; Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 168, 180. 40 Ebbinghaus, GS I, S. 395. Diese nach vernunftrechtlichen Prinzipien geforderte Einschränkung des souveränen Willens ist identisch mit der Forderung, daß die Ausübung der Staatsgewalt im Einklang steht mit den allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit, ein Subjekt freier Handlungen, d. h. Rechtsperson zu sein.
Π. Das Despotismusproblem
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sprüngliche (rationale)" Form staatlicher Herrschaft zu erkennen, "welche allein die Freiheit zum Princip, ja zur Bedingung alles Zwanges macht" (AA VI, S. 34O34 f). Der Despotismusvorwurf richtet sich also gegen Hobbes1 These, daß der souveränitätstheoretische Absolutismus mit der Aufhebung der Rechtsfähigkeit der Bürger zusammenfällt. Hobbes' Staatsrechtslehre kann also insofern als despotisch bezeichnet werden, als in ihr "der öffentliche Wille [...] von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird" (AA VIII, S. 3 5 2 i 7 f ) . 4 1
2. Die Zweideutigkeit der Hobbesschen Staatsrechtslehre Der Despotismusvorwurf betrifft also die Art und Weise, wie Hobbes das staatsrechtliche Verhältnis des Willens der Bürger zu dem Willen des sie repräsentierenden Souveräns bestimmt. Dieser Vorwurf hat seine sachliche Grundlage in der Unklarheit, was der zur Konstitution der societas civilis notwendigen Rechtsverzicht der einzelnen denn letztlich bedeutet. Wenn Hobbes behauptet, daß die einzelnen auf ihr Recht der Selbstherrschaft ("my Right of Governing my seife", Lev. XVII, p. 120) verzichten und sich in allen das äußere Handeln betreffenden Fragen der Gesetzgebung und dem Rechtsurteil des Souveräns unterwerfen, dann kann dies zweierlei bedeuten: entweder betrifft dieser Rechtsverzichts- und Unterwerfüngsakt - und insoweit argumentiert Hobbes in Übereinstimmung mit seinen vernunftrechtlichen Prämissen - die praktische Notwendigkeit, den eigenen Willen durch solche positiven Gesetze zu bestimmen, die zwecks Sicherung und Bestimmung des Freiheitsgebrauchs von jedermann selbst notwendig sind; diese (durch den Staatszweck der Friedenssicherung qualifizierte) Unterwerfung ist nicht nur mit der Rechtspersönlichkeit von jedermann vereinbar, sondern von ihr selbst als objektive Bedingung der Wirksamkeit ihrer Rechte gefordert. 42 In dieser 41
Dies ist die seit Aristoteles gängige Bedeutung von Despotismus; vgl. Montesquieu, EdL Π, 1. Auch für Hegel besteht der verfassungsrechtliche Despotismus im "Zustand der Gesetzlosigkeit, wo der besondere Wille als solcher, es sei nun eines Monarchen oder eines Volkes (Ochlokratie), als Gesetz oder vielmehr statt des Gesetzes gilt, wohingegen die Souveränität gerade im gesetzlichen, konstitutionellen Zustande das Moment der Idealität der besonderen Sphären und Geschäfte ausmacht" (Rph § 278 Anm.). 42 Insofern kennt auch Hobbes eine vernunftrechtliche Limitation der Unterwerfung der einzelnen: sie ist auf diejenigen Dinge bezogen - und dadurch begrifflich bestimmt und qualifiziert - , "quae ad Pacem & Defensionem sunt necessari»" (DC VI, 3; vgl. Lev. XVn, p. 120: die Autorisierung des Souveräns erfolgt "in those things which concerne the Common Peace and Safetie"). Auch für Rousseau ist der durch den Staatsvertrag bewirkte Rechtsverzicht auf diejenigen Dinge beschränkt, die für die das Bestehen der Gesellschaft von Bedeutung sind. Aber diese vernunftrechtliche Qualifizierung der Unterwerfung ändert nichts daran, daß das Urteil darüber, welches die zur Erfüllung des Staatszwecks notwendigen Gesetze und Maßnahmen sind, in die Kom1 Hüning
258
D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
Hinsicht wäre die vertragliche Ermächtigung des Souveräns (bzw. der Verzicht der einzelnen auf rechtlich-politische Selbstbestimmung) nur die Kehrseite der Freisetzung des besonderen Interesses auf Seiten der Bürger: Die staatsrechtliche Omnipotenz des Souveräns steht im Dienste der rechtsformigen Garantie der bürgerlichen Freiheit. 43 Oder aber die Unterwerfung unter den Willen des Souveräns bedeutet nicht bloß den Verzicht auf das natürliche Recht, von seiner Freiheit einen willkürlichen Gebrauch zu machen, sondern und hier fängt der staatsrechtliche Despotismus an - den Verzicht auf die eigene Handlungsfreiheit in ihrem ganzen Umfang und damit den Verzicht auf die Fähigkeit, autonomes Handlungssubjekt zu sein. Dann bewirkt die vertraglich konstituierte Übereinstimmung von Einzel- und Gemeinwillen nicht mehr als eine bloße Substitution
einer Vielheit von Einzelwillen durch den
Willen eines einzigen.44 In diesem Falle hat der Rechtsverzicht der Vielen nur die Bedeutung, daß die Hindernisse für die Entfaltung des Willens des begünstigten Dritten aus dem Weg geräumt werden. Unter diesen Voraussetzungen vermag Hobbes schließlich auch die staatliche Willenseinheit nur noch im Sinne der quantitativen
Reduktion der Willensvielheit
zu denken. 45 Die
gleiche Zweideutigkeit ist bei der Bestimmung der Souveränität des Staates anzutreffen. Denn auch hier macht es einen bedeutenden Unterschied, ob die Souveränität als rechtliche Absolutheit staatlicher Herrschaft definiert wird, so daß keine höhere Instanz gedacht werden kann, der die Staatsgewalt rechtlich
petenz des Souveräns fällt: "On convient que tout ce que chacun aliène par le pacte social de sa puissance, de ses biens, de sa liberté, c'est seulement la partie de tout cela dont l'usage importe à la communauté, mais il faut convenir aussi que le Souverain seul est juge de cette importance" (CS Π, 4; OC ΠΙ, p. 373). 43 Der Anerkennung der souveränen Herrschaft des Staatsoberhauptes durch die Bürger entspricht dessen Anerkennung der bürgerlichen Freiheit als Inbegriff gesetzlich bestimmter Handlungsspielräume auf seiten der Bürger: "The liberty of a Subject, lyeth [...] only in those things, which in regulating their actions, the Soveraign hath praetermitted: such as the Liberty to buy, and sell, and otherwise contract with one another, to choose their own abroad, their own diet, their own trade of life, and institute their children as they themselves think fit; & the like" (Lev. XXI, p. 148). 44 So hat Oakeshott (Hobbes on Civil Association, pp. 61-62) die durch den Vertrag zustandekommende Einheit des Staatswillens interpretiert. 45 Daß dem so ist, daß Hobbes also die staatliche Willenseinheit nicht in qualitativer, sondern nur in quantitativer Hinsicht als Reduktion der Willensvielheit faßt, zeigt schon die Formel des Gesellschaftsvertrags im Leviathan : "The only way to erect such a Common Power [...] is, to conferre all their power and strength upon one Man, or upon one Assembly of men, that may reduce all their Wills, by plurality of voices, unto one Will: which is as much as to say, to appoint one Man, or Assembly of men, to beare their Person; and every one to owne, and acknowledge himselfe to be Author of whatsoever he that so beareth their Person, shall Act, or cause to be Acted, in those things which concerne the Common Peace and Safetie; and therein to submit their Wills, every one to his Will, and their Judgements, to his Judgement" (Lev. XVH, p.
120).
Π. Das Despotismusproblem
259
unterworfen ist, oder ob das Recht des souveränen Machthabers nur die natürliche Freiheit des zuletzt übrig gebliebenen Wolfes ist, der als einziger noch das Recht auf alles innehat, und dessen Gewalt zugleich die "Freiheit zu alle demjenigen Zwang [ist], zu dem er nach den natürlichen Bedingungen seiner Macht fähig ist." 46 Damit mündet Hobbes' staatsphilosophischer Kontraktualismus in der Paradoxie, daß "der einzig politische Akt", den seine Rechtsphilosophie anerkennt, nämlich "die Konstituierung politischer Vernunft in der ursprünglichen Vereinigung der Bürger (unio civilis), [...] zugleich derjenige Akt [ist], in dem die vernünftige Selbständigkeit des politischen Handelns erlischt." 47 Der Hobbessche, aus der Einsicht in die juridische Widersprüchlichkeit des Naturzustandes geführte Beweis für die Notwendigkeit des Staates als deijenigen Instanz, die objektive Rechtsverhältnisse zwischen Menschen überhaupt erst möglich macht, führt zwar zu dem Ergebnis, daß die natürliche Freiheit eines jeden überhaupt einer Einschränkung durch positive Gesetze unterworfen werden muß, "aber die Weise dieser Einschränkung selbst verbleibt bei ihm in der Sphäre der Willkür". 48 Der gesetzgebende Wille des Staates bleibt ein gänzlich unbestimmter und somit selbst gesetzloser Wille, der mit dem empirischen Willen des Inhabers der obersten Staatsgewalt zusammenfallt. Hobbes anerkennt aus diesem Grunde zwischen einem Freien bzw. einem Bürger und einem Sklaven keinen qualitativen, sondern nur den quantitativen Unterschied im Hinblick auf den Umfang der Freiheitseinschränkung, so wie er in dem gleichen Zusammenhang die qualitative Differenz zwischen persönlicher Knechtschaft und der Unterwerfung des Bürgers unter den Willen des Souveräns leugnet.49 Es ist übrigens bemerkenswert, daß die Zweideutigkeiten in der Verhältnisbestimmung von 'libertas' und 'imperium' sich auch in der unterschiedlichen Emblematik der beiden Titelkupfer der Erst- und der Zweitauflage von De Cive aus dem Jahre 1642 bzw. 1647 widerspiegeln.50 Das Titelbild der Erstauflage beruht auf "an ingenious conceit of vertical similarities and horizontal 46
Ebbinghaus, GS Π, S. 235. Riedel, Metaphysik und Metapolitik, S. 177. 48 Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 45. 49 Vgl. DC IX, 9. 50 Ich stütze mich im folgenden auf die Bildbeschreibungen von Schoneveld (Some Features of the Editions of De C/ve, pp. 125-142 mit den Abbildungen) und von Milton (Did Hobbes translate De Cive?, pp. 628-630), die freilich in den verschiedenen Fassungen des Titelbildes keinen Ausdruck für die schwankende Verhältnisbestimmung von 'libertas' und 'imperium' sehen. S. auch Geismann/Herb, Hobbes über die Freiheit, Scholion 1, S. 38 f. Solange jedoch die editionsgeschichtlichen Probleme und insbesondere die Frage, inwieweit Hobbes Einfluß auf die Gestaltung der Titelbilder von De Cive genommen hat, nicht beantwortet sind, steht jede Bildinterpretation unter einem Vorbehalt. - Eine umfassende Deutung des Titelkupfers im Leviathan liefert Brandt, Das Titelblatt des Leviathan' und Goyas Έ1 Gigante', S. 203-231. 47
1
260
D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
contrasts".51 Die horizontale Gliederung des Titelbildes, durch welche die 'religio' über den beiden weiblichen Personifikationen der 'libertas' und des 'imperium' schwebt, zugleich aber von ihnen deutlich abgetrennt ist, gibt einen wichtigen Hinweis auf die Unterscheidung von himmlischer und irdischer Gerechtigkeit. Mit der Abtrennung der Sphäre der Religion, die durch die Szene des Jüngsten Gerichts symbolisiert wird, von der Sphäre des irdischen Daseins verleiht Hobbes seiner Überzeugung Ausdruck, daß das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist. Mit der Gegenüberstellung der beiden Gestalten der 'libertas' und des 'imperium' verknüpft das Titelbild zugleich die beiden möglichen Formen der irdischen Existenz im status naturalis und status civilis, die noch durch die Darstellung im Hintergrund verstärkt wird, wo sich einerseits die 'Wilden' bekriegen, während auf der anderen Seite die Idylle des friedlichen Ackerbaus beschworen wird. Im Titelkupfer der Erstauflage beherrscht also eindeutig der Gedanke der Entgegensetzung der natürlichen bzw. wilden Freiheit und der zivilisierten Herrschaft die irdische Szenerie. Demgegenüber liefert das Titelbild der zweiten Auflage von 1647 eine andere Deutung: zum einen ist die Hintergrunddarstellung verschwunden und die Verkörperung der Religion sitzt nunmehr auf einem Piedestal und hält ein Kreuz und ein brennendes Herz in der Hand, zum anderen aber sind hier die beiden weiblichen Personifikationen von Freiheit und Herrschaft nicht mehr Symbole für den Gegensatz von Naturzustand und Staat, sondern stehen eher als gleichberechtigte Partner auf einer Stufe. Der Eindruck, daß die Annäherung der beiden Gestalten im Unterschied zur Erstauflage offenbar die Vereinbarkeit von Freiheit und Herrschaft zum Ausdruck bringen soll, wird noch dadurch verstärkt, daß die personifizierte Freiheit nicht nur wie ihr alter ego ein Szepter, sondern darüber hinaus den Freiheitshut (pileum), das Symbol der republikanischen Freiheit in der römischen Republik, in der Hand hält.
3. Die Aufhebung der Rechtspersönlichkeit und die rechtliche Möglichkeit der Sklaverei Die Problematik der Hobbesschen Variante des staatsphilosophischen Kontraktualismus wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf die Rechtsfolgen des Staatsvertrages wirft. Wenn nämlich dieser staatsbegründende Vertrag, den Hobbes selbst als vernunftrechtlichen Begriff der staatlichen Einheit und der Konstitution eines gesetzgebenden Willens entwickelt, die Veräußerung der Dispositions- und Handlungsfreiheit in ihrem gesamten Umfange zum Gegenstand hat, dann schlägt derselbe Vertrag, der doch als Akt freiwilliger Selbstbindung eingeführt worden ist und nach Hobbes der Geltungsgrund sowohl der staatsbürgerlichen Verbindlichkeit wie der Freiheit der 51
Schoneveld, Some Features of the Editions of De Cive , p. 126.
Π. Das Despotismusproblem
261
Staatsbürger sein soll, in einen "Akt der Selbstentmündigung" bzw. der "personalen Selbstenteignung" um, der mit dem Verlust der Rechtsfähigkeit des einzelnen endet.52 Der Grund hierfür liegt letztlich darin, daß Hobbes nicht deutlich zwischen der Verfügung bzw. der Veräußerung einer Sache einerseits und der persönlichen Freiheit andererseits unterscheidet. Für ihn gehören auch die Persönlichkeitsrechte, insbesondere die 'allgemeine Handlungsfreiheit', zur Klasse deijenigen Güter, die veräußert werden können53; folglich können sich einzelne Menschen oder auch ganze Völker selbst versklaven. Der im Despotismusvorwurf zur Sprache kommende Widerspruch zwischen den vernunftrechtlichen Prämissen und den Rechtsfolgen des staatsbegründenden Vertrags manifestiert sich darin, daß Hobbes die Forderung des Verzichts auf das Recht auf alles durchgängig mit der Entäußerung der Persönlichkeit identifiziert. Zwischen der natürlichen Rechtssubjektivität, gemäß welcher jeder Mensch Träger eines "ius primaevum" (DC II, 4) bzw. eines "originali Right" (Lev. XIV, p. 92) 54 ist, und dem durch das positive Recht bestimmten Rechtsstatus des einzelnen besteht in dieser Hinsicht kein notwendiger Zusammenhang.55 Hobbes sieht daher in dem Verzicht auf die freie Selbstbestimmung zugunsten des Souveräns keinen Widerspruch: die Handlungsfreiheit, d. h. das natürliche Recht, sich in bezug auf das mögliche Tun und Unterlassen selbst zu bestimmen, kann durchaus zum Gegenstand vertraglicher Entäußerung gemacht werden, so daß nichts, was ein Mensch freiwillig tun kann, er nicht ebensogut auf Befehl eines anderen tun könnte: "[Whatsoever may be done by the wills of particular men, where there is no Law of Reason, may be done by the Will of the Common-wealth, by Lawes Civili" (Lev. XXX, p. 253). 56
52
Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 148 f.; der s., Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 88. 53 Derathé , Rousseau et la science politique de son temps, p. 370. 54 Die Ursprünglichkeit des Rechts ist selbstverständlich nicht zeitlich, sondern logisch zu verstehen: es ist diejenige subjektive Befugnis, die als Geltungsgrund aller positiven Gesetzgebung logisch vorgeht. Das subjektive Freiheitsrecht ist die ursprüngliche, weil vorpositive Bedingung einer jeden objektiven Rechtsordnung. 55 Dies hat Brandt (Rechtsverzicht und Herrschaft in Hobbes' Staatsverträgen, S. 50) zutreffend festgestellt: "eine Verknüpfung der 'person' mit demjenigen, der ein Recht auf alles hat, findet an keiner Stelle statt". 56 Vgl. auch Lev. XIV, p. 98: "For whatsoever I may lawfully do without Obligation, the same I may lawfully Covenant to do through feare: and what I lawfully Covenant, I cannot lawfully break"; Lev. XLII, pp. 377-378: "From this consolidation of the Right politique and Ecclésiastique in Christian Soveraigns, it is evident, they have all manner of Power over their Subjects, that can be given to man, for the government of men's external actions, both in Policy, and Religion".
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
Die Totalität der Selbstbestimmung, "the Right of Governing my seife" (Lev. XVII, p. 120), kann nach Hobbes im staatsbegründenden Vertrag in ihrem ganzen Umfang vom Individuum veräußert werden, indem es sich verpflichtet, alle beliebigen Handlungen des Repräsentanten als die eigenen anzuerkennen. Nur in dieser Hinsicht kann Hobbes behaupten, daß die im Staatsvertrag begründete Rechtsübertragung so umfassend wie nur möglich ist. Dies wiederum soll nach Hobbes zur Folge haben, daß erstens alles, was jemand zuvor aufgrund des eigenen Willens tun konnte, er jetzt auf Befehl eines anderen tun kann; aufgrund dieser (sowohl bedingungs- wie schrankenlosen) Unterwerfung unterliegt der einzelne nicht nur einem solchen Zwang, der zwecks Gewährleistung seiner Persönlichkeit möglich und notwendig ist und nur das eigene freie Handeln auf die Bedingungen möglicher Kompatibilität mit der Handlungsfreiheit anderer einschränkt, sondern einem völlig beliebigen, unbestimmten Zwang.57 Zweitens soll der staatsbegründende Unterwerfungsvertrag die vollkommene Rechtlosigkeit der Bürger zur Folge haben, denen von seiten des Souveräns kein Unrecht geschehen kann. 58 Besonders augenfällig wird diese Konsequenz im Zusammenhang mit Hobbes' Ausführungen über die rechtliche Möglichkeit der Sklaverei. Hobbes erliegt in diesem Punkt - ähnlich wie die übrigen Vertreter des Naturrechts im 17. Jahrhundert 59 - einer unkritischen Rezeption des Römischen Rechts, die dazu führt, daß die Rechtspersönlichkeit zu einer an den besonderen positivrechtlichen 'status libertatis' gebundene Qualität wird. Für das Römische Recht stellt die Sklaverei ein Rechtsinstitut dar, das zwar nicht auf dem Naturrecht beruhen kann, weil die Menschen von Natur aus gleich und frei sind; das natürliche Recht verhindert jedoch in keiner Weise, daß die natürliche Freiheit und Gleichheit im ius gentium aufgegeben bzw. die persönliche Herrschaft über eine Person durch Verträge oder durch Kriegsgefangenschaft erworben werden kann. 60 Unter Rückgriff auf diese Prinzipien des römischen Rechts,
57 Vgl. die Anspielung auf Juvenals "sic volo, sic iubeo , [...] stat pro ratione voluntas " (Satiren VI, 223) zur Charakterisierung der Schrankerüosigkeit der staatlichen Befehlsgewalt in den Elements ΧΙΠ, 6 bzw. in DC XIV, 1. 58 Diese Konsequenz hat Hobbes ausdrücklich bei der Beantwortung der Frage gezogen, was die wissentliche Tötung eines Unschuldigen durch den Souverän rechtlich bedeutet. Er diskutiert dieses Problem am biblischen Beispiel der Ermordung Urias durch David und kommt zu dem Ergebnis, daß David zwar gegen das natürliche Gesetz, das die Tötung Unschuldiger verbietet, verstößt und damit ein Unrecht gegen Gott, aber nicht gegen Uria selbst begeht, weil dieser dem Souverän ein Recht "to doe what he pleased" übertragen habe (Lev. XXI, p. 148). 59 Suàrez, De legibus Π, 14,18; Grotius, JBP Π, 22, § \\, Pufendorf, ING VII, 3,1. 60 D. 1, 5, 4, 1: "Servitus est constitutio iuris gentium, qua quis dominio alieno contra naturam subiieitur." D. 50, 17, 32: "Quod attinet ad ius civile, servi pro nullis habentur, non tarnen et iure naturali, quia, quod ad ius naturale attinet, omnes homines aequales sunt." In diesem Sinne untersucht Hobbes die "modi [...], quibus alter in
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insbesondere aber unter Hinweis auf die natürliche Gleichheit im Naturzustand kritisiert Hobbes die Aristotelische Lehre, manche Menschen seien Sklaven von Natur und nicht erst "consensu hominum" (DC III, 13). Für ihn ist der bestimmte 'status', die durch das Gesetzesrecht definierte Rechtsstellung des Individuums, nicht durch das natürliche Recht begründet, sondern etwas, was jeder erst in Abhängigkeit vom Willen des Souveräns erwirbt. In paradoxer Weise kehrt Hobbes damit die Prämissen der Aristotelischen Lehre um: für Aristoteles ist die Sklaverei ein naturgegebenes Herrschafts-, aber kein Rechtsverhältnis; das politische Recht hat nur im Verhältnis freier und gleichgestellter Menschen innerhalb der Gemeinschaft des guten und tugendhaften Lebens seinen Ort. Die natürliche und individuelle Abhängigkeit der Sklaverei muß nach Aristoteles trotz gewisser Ähnlichkeiten vom Rechtsbegriff politischer Herrschaft unterschieden werden. Für Hobbes beruhen umgekehrt alle Herrschaftsverhältnisse auf dem Willen der Menschen und sind künstlich-willentlicher Art, weil alle Menschen von Natur aus gleich und frei sind; aber sie können sich auch durch individuelle Akte der Rechtsentäußerung oder der Selbstversklavung zu einem Staat vereinen. Die Identifizierung persönlicher und öffentlicher Herrschaftsverhältnisse bzw. von 'dominium' und 'imperium' reicht bis zu der Behauptung, daß durch die Unterwerfung des Knechtes unter das "absolute dominion" des Herrn eine politische Körperschaft en miniature geschaffen werde 61, und daß die traditionell-naturrechtliche Überzeugung, nach der es keinen Staat geben könne, in welchem die Untertanen insgesamt Sklaven seien62, falsch sei. Ein aus Sklaven bestehender Staat sei denkbar, weil der Wille der Sklaven immer schon in der Person des Herrn enthalten sei. 63 Die Unterwerfung der Sklaven - so Hobbes - stiftet prinzipiell das alterius personam Dominium habere potest" (DC VIE, 1). Allerdings interessiert sich Hobbes weniger für die privatrechtliche Bedeutung der Sklaverei; die Sklaverei wird von ihm nahezu ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Herrschaftsverhältnisses diskutiert. 61 Elements ΧΧΠ, 2: "And thus cometh the victor to have a right of absolute dominion over the conquered. By which there is presently constituted a little body politic, which consisteth of two persons, the one sovereign, which is called MASTER, or lord; the other subject, which is called the SERVANT." 62 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik V, 10; der s., Politik I, 7; ΠΙ, 9; IV, 11; Cicero , De re publica I, 25, 39; ΠΙ, 31, 43; De officiis ΠΙ, 6, 22. - Aristoteles (Politik ΠΙ, 9) hatte die Möglichkeit eines Sklavenstaates mit der Behauptung zurückgewiesen, Zweck einer staatlichen Gemeinschaft könne unmöglich bloß die Sicherung des Lebens, nicht auch die "Pflege der Tugend" sein. 63 DC X, 5: "Sed primum amolienda est sententia eorum, qui negant omnino ciuitatem esse, quae conflatur ex quantouis numero servorum sub communi Domino. [...] Persona autem vna est, [...] quando plurium voluntates vnius voluntate continentur. Sed voluntas vniuscuiusque serui continentur in voluntate Domini, [...] ita vt possit eorum viribus & facultatibus vti prout voluerit. Sequitur ergo civitatem esse, quae constitutur ex Domino & pluribus seruis". - Hobbes verwendet den Terminus 'dominium' sowohl im engeren Sinne zur Bezeichnung des Verfügungsanspruchs des Eigen-
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gleiche Maß der Willenseinheit, wie es durch die vertragliche Konstitution der Staatspersönlichkeit erzielt wird. In beiden Fällen sei der Wille der Unterworfenen im Willen des Herrn enthalten und gelte als der ihrige. Aber dieses 'Enthaltensein' der Persönlichkeit der Sklaven im Willen des Herrn, der über ihre Kräfte und Fähigkeiten (DC X, 5) nach Belieben verfügen kann, bedeutet in Wahrheit nichts anderes, als daß der Wille des Sklaven vollständig durch den Willen des Herrn absorbiert worden ist. Das verbindlichkeitstheoretische Prinzip der Autonomie hält Hobbes auf dieser systematischen Ebene nur noch der Form nach aufrecht, nämlich bloß als Ausgangspunkt der Unterwerfung, insofern diese Selbstentmündigung und Willensaufgabe des Sklaven auf dessen vertraglicher Selbstbindung beruhen soll, während der Vertrag dem Inhalt nach die Aufhebung der Rechtsfähigkeit zur Folge haben soll. Hobbes übersieht nur, daß der Wille des Herrn für den Sklaven keinerlei praktische Notwendigkeit und Verbindlichkeit mehr haben kann, insofern er durch den Akt der Selbstversklavung seinen Willen aufgibt und sich auf diese Weise in eine bloße Sache verwandelt, von der sein Herr einen beliebigen Gebrauch machen kann. Das aber bedeutet nichts anderes, als daß die Staatsbürger nach dieser Auffassung zu "Staatssklaven, die ein Stück Rechtsfähigkeit als Prekarium von Seiten des Staates genießen", werden. 64 Da der unveräußerliche Kern des natürlichen Rechts nicht die Handlungsfreiheit und Rechtspersönlichkeit als solche, sondern nur das eigenen Leben betrifft, hat Hobbes keinerlei Bedenken, den vertraglichen Rechtsverzicht als Akt der Selbstversklavung zu konzipieren, durch den alle auf ihre Rechtsfähigkeit verzichten und sich unter der Voraussetzung, daß ihre physische Existenz garantiert wird, dem 'dominium' eines anderen unterwerfen. In diesem Sinne erklärt er ausdrücklich, er könne nicht sehen, welchen Grund Sklaven zur Klage über ihre Rechtsstellung haben könnten: "Non igitur reperio quid sit de quo vel seruus quisquam conqueri possit eo nomine quod liberiate careat, nisi miseria sit, ita cohiberi ne ipse sibi noceat, & vitam, quam bello vel infortunio, vel demum inertiâ suâ amiserat, vnà cum omnibus alimentis, & omnibus rebus ad vitam & sanitatem necessariis ea lege recipere vt regatur" (DC IX, 9).
turns, der ungeteilten "proprietas bonorum" (DC XIV, 7), wodurch Dritte vom Gebrauch der Sache ausgeschlossen werden - "meum Sc tuum\ quod vocatur Dominium, & proprietas" (DC VI, 1) - , als auch zur Bezeichnung eines persönlichen Herrschaftsanspruchs bzw. einer rechtlichen Dispositionsgewalt über die Person anderer Menschen ("Dominium in personam", DC IX, 5; "dominium in servos" bzw. "in liberos" (vgl. DC VIE, IX); die hoheitliche Funktion der Herrschaft und die privatrechtliche Funktion des Eigentums werden also von Hobbes noch nicht strikt getrennt. - Krüger (Allgemeine Staatslehre, S. 821) spricht im Hinblick auf die Verwendung des 'dominium'-Begriffs zur Bezeichnung öffentlich-rechtlicher Herrschaft von "einem unverkennbaren terminologischen Zurückbleiben" gegenüber dem Fortschritt im Verständnis des Wesens staatlicher Herrschaft. 64 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 482.
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4· Rousseau» Kritik des Hobbesschen Untenverfungsvertrags Wirft man einen Blick auf die 'Principes du droit politique', die Rousseau in seiner Schrift Du contrat social entwickelt hat, dann erweist sich der Autor trotz aller Kritik an der spezifischen Fassung des Staatsvertrages bei Hobbes in souveränitätstheoretischer Hinsicht als dessen gelehriger Schüler 65: zum einen akzeptiert er vorbehaltlos die von Hobbes initiierte 'naturrechtliche Vernichtung des Naturrechts' 66, d. h. den radikalen Bruch mit der vorhergehenden Naturrechtstradition und insbesondere die völlige Säkularisierung der rechtsphilosophischen Argumentation. Zum anderen erkennt Rousseau die vernunftrechtliche Forderung der rechtlichen Unbedingtheit der Staatsgewalt als entscheidenden Durchbruch zu einem angemessenen Verständnis der "nature du corps politique" (CS I, 7; OC III, p. 362), wenngleich er sich in der Frage nach dem Subjekt und Träger dieser Souveränität von Hobbes entschie-
den abgrenzt und aus diesem Grunde insbesondere die Möglichkeit der Repräsentation der volonté générale ablehnt. Die absolute Rechtsposition des Souveräns, die sich in der Unmöglichkeit rechtlicher Selbstbindung ausdrückt, gilt ihm geradezu als Definiens des corps politique: "Π faut remarquer encore que la délibération publique, qui peut obliger tous les sujets envers le Souverain, à cause des deux différens rapports sous lesquels chacun d'eux est envisagé, ne peut, par la raison contraire, obliger le Souverain envers lui-même, et que, par conséquent, il est contre la nature du corps politique que le Souverain s'impose une loi qu'il ne puisse enfreindre. Ne pouvant se considérer que sous un seul et même rapport il est alors dans le cas dün particulier contractant avec soi-même: par où l'on voit qu'il n'y a ni ne peut y avoir nulle espece de loi fondamental obligatoire pour le corps du peuple, pas même le contract social" (CS 1,7; OC ΠΙ, p. 362). 67
Der "souveränitätstheoretische Hobbesianismus" (Kersting) gehört somit zum unveräußerlichen Erbstück auch der vernunftrechtlichen "Principes du droit politique", die Rousseau im Contrat social entwickelt. Es liegt im Begriff der Souveränität, daß diejenige Instanz, die durch ihren machthabenden Willen Rechtsverhältnisse zwischen Menschen überhaupt erst möglich macht, ihrerseits nicht wieder mit den Mitteln des positiven Rechts beschränkt werden kann. Sollte der Souverän in der Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz 65
Vgl. Derathé , Rousseau et la science politique de son temps, p. 333-341; Herb , Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 164-189. 66 Gierke , Althusius, S. XV, 300; Forschner, Rousseau, S. 86. Demgegenüber geht Derathé (Rousseau et la science politique de son temps, pp. 151-171) davon aus, daß Rousseau wie Cicero oder Locke das traditionelle naturrechtliche Fundierungsverhältnis des subjektiven Rechts in dem vom Willen des souveränen Gesetzgebers unabhängigen natürlichen Gesetz übernommen hat. 67 Vgl. auch Rousseau, CS m, 18; OC m, p. 436, und Considérations sur le gouvernement de Pologne; OC m, p. 996; Kant , RL § 49 Anm.; AA VI, S. 319 12f .: "der Herrscher im Staat hat gegen den Unterthan lauter Rechte und keine (Zwangs-)Pflichten"; TuP, AA VHI, S. 30 3 2 3 . 2 5 .
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seinerseits einem Gesetz unterliegen, müßte es eine verfassungsmäßige Institution geben, die seine Herrschaftspraxis beurteilt und ggf. sanktioniert; dann aber wäre der Souverän nicht souverän. Oder das Rechtsurteil über die Legitimität staatlicher Herrschaft ist den einzelnen (oder dem Volk als der Summe der einzelnen) vorbehalten; dann ist unmittelbar die staatliche Einheit aufgehoben, weil der staatsbürgerliche Gehorsam in diesem Falle in das zufällige Belieben der einzelnen fällt. Aber trotz dieser Einsicht in die rechtliche Unmöglichkeit einer derartigen Einschränkung der Staatsgewalt zögert Rousseau nicht, von vernunftrechtlich begründeten, d. h. a priori im Begriff des Staates als Inbegriff der institutionalisierten volonté générale liegenden "bornes du pouvoir souverain" zu sprechen: während der corps politique in staatsrechtlicher Hinsicht auf einem "pouvoir absolu" beruht, entspringen seine verfassungsrechtlichen "bornes" eben aus den durch den Gesellschaftsvertrag selbst konstituierten Bedingungen einer möglichen Rechtsgemeinschaft (CS II, 4; OC III, p. 372, 375). Diese Bedingungen oder vernunftrechtlichen "clauses" sind derart durch das Wesen des Vertragsaktes definiert, d. h. durch die staatsrechtliche Aufgabenstellung, zu deren Lösung er eingeführt wird 68 , daß jede Abweichung von ihnen unmittelbar dem Vertrag die Voraussetzungen seiner möglichen Gültigkeit entziehen würde. 69 Die Rousseausche Kritik der Hobbesschen Vertragskonstruktion gilt somit nicht der Behauptung, daß staatliche Herrschaft den imbedingten Verzicht der einzelnen auf den gesetzlosen Gebrauch ihrer freien Willkür voraussetzt, sondern sie gilt der Art und Weise, wie Hobbes diese Unterwerfung bestimmt. Denn für Rousseau ist im Gegensatz zu Hobbes die formale Zurückführung aller Verbindlichkeit auf Akte vertraglicher Selbstbindung eine zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Begründung der rechtlichen Einheit des Staates. Verträge, welche die Aufhebung der Freiheit der Person zur Folge haben würden, sind materiell unrecht und deshalb nichtig. Während Rousseau an dieser Stelle betont, daß die Gesamtheit der Bedingungen möglicher Verträge auf die
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Nämlich zur Lösung des Problems der Vereinbarkeit von Freiheit und Zwang; vgl. CS 1,6; OC ΠΙ, p. 360: "Trouver une forme d'association qui défende et protege de toute la force commune la personne et les biens de chaque associé, et par laquelle chacun s'unissant à tous n'obéisse pourtant qu'à lui-même et reste aussi libre qu' auparavant? Tel est le problême fondamental dont le contract social donne la solution." 69 Vgl. CS I, 6; OC m, p. 360. Rousseau formuliert an dieser Stelle nachlässig, wenn er behauptet, "que la moindre modification les [nämlich die Vertragsklauseln, D.H.] rendroit vaines et de nul effect", denn durch die Abweichung von den rechtlichen Bedingungen der Möglichkeit einer jeden Vertragshandlung sind nur die Verträge selbst, nicht aber die Bedingungen ihrer Gültigkeit betroffen. Dem widerspricht schon der apriorische Status der Klauseln (sie sind festgelegt "par la nature de l'acte", also kein veränderlicher Gegenstand der Willkür). Zur immanenten Begrenzung der staatlichen Souveränität durch "die Konstitutionsbedingungen der volonté générale" vgl. Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 194 f.; außerdem Brandt, Rousseaus Philosophie der Gesellschaft, S. 93 f.; Forschner, Rousseau, S. 127,129.
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Unbedingtheit der Unterwerfung ("aliénation totale" bzw. "sans reserve") zurückgeführt werden könne, betrachtet er sie dort, wo er das Problem der Geltungsbedingungen des Staatsvertrages unter dem Titel Des bornes du pouvoir souverain erneut aufgreift, unter den Gesichtspunkten der Gesetzlichkeit, der Reziprozität und des Gehorsams gegenüber den vernünftigen Bedingungen des eigenen Wollens.70 Trotz dieser tiefgreifenden Übereinstimmung sowohl in der Frage der rechtlichen Absolutheit staatlicher Herrschaft wie in der Überzeugung, daß ein Recht staatlicher Zwangsgesetzgebung nur auf kontraktualistischem Wege begründet werden kann, erhebt Rousseau den kritischen Einwand, daß Hobbes' Vertragskonzeption ihren eigenen Anspruch, einen von der bloßen Gewaltherrschaft unterschiedenen Begriff staatlicher Einheit herauszuarbeiten, nicht eingelöst hat, und daß die von ihr anvisierte Vereinigung von Freiheit und Herrschaft gescheitert ist. Seine Kritik richtet sich dabei nicht gegen die Hobbessche Forderung der Unbedingtheit der Unterwerfung des individuellen Willens unter denjenigen des Souveräns, denn die "aliénation totale" bildet auch nach Rousseau eine konstitutive Bedingung des 'corps politique'. Ebensowenig ist der im Hobbesschen Staatsbegriff enthaltene Gedanke der legislatorischen Omnipotenz des Souveräns als solcher Gegenstand der Einwände Rousseaus: es kann keinen Bereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des äußeren Handelns geben, der nicht gesetzlichen Regelungen unterworfen werden könnte. Schon aus diesen Gründen handelt es sich bei Rousseaus Kritik an Hobbes' Despotismus nicht um eine Reprise der traditionellen Tyrannislehre. Aber daß diese Unterwerfung auf der Basis der Delegation des eigenen Willens und der vollständigen Entäußerung der Persönlichkeit zugunsten des selbst gesetzlosen Willens eines einzelnen oder mehrerer erfolgen soll - das ist die Behauptung, die den staatsbegründenden Vertrag in den Augen Rousseaus zu einer "convention vaine et contradictoire" (CS I, 4; OC III, p. 356) werden läßt. Auch der von Hobbes in den Vordergrund seiner Staatslehre gestellte Aspekt der Rechtssicherheit und der Gewährleistung von bürgerlicher Ruhe und Ordnung stellt kein hinreichendes Kriterium staatlicher Legitimität 71 dar, zumal die anvisierte Rechtssicherheit durch die unqualifi-
70 CS Π, 4; OC ΠΙ, p. 375: "Tant que les sujets ne sont soumis qu'à de telles conventions, ils n'obéissent à personne, mais seulement à leur propre volonté; et demander jusqu'où s'étendent les droits respectifs du Souverain et des Citoyens, c'est demander jusqu'à quel point ceux-ci peuvent s'engager avec eux-mêmes, chacun envers tous et tous envers chacun d'eux." 71 Vgl. CS I, 4; OC ΠΙ, pp. 355-356: "On dira que le despote assure à ses sujets la tranquillité civile. Soit; mais qu'y gagnent-ils, si les guerres que son ambition leur attire, si son insatiable avidité, si les vexations de son ministère les désolent plus que ne feraient leurs dissentions? Qu'y gagnent-ils, si cette tranquillité-même est ime de leurs misères? On vit tranquille aussi dans les cachots; en est-ce assez pour s'y trouver
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zierte Unterwerfung unter das Belieben eines einzelnen überhaupt nicht zu realisieren ist: "s'il s'y trouve un seul homme qui ne soit pas soumis à la loi, tous les autres sont nécessairement à la discretion de celui-là" (Discours sur l'inégalité; OC III, p. 112). Für Rousseau ist das von Hobbes aufgeworfene Problem der staatsrechtlichen Quadratur des Kreises, nämlich die Vereinigung von Freiheit und Zwangsgesetzen unter den Bedingungen souveräner Herrschaft, noch immer nicht aufgelöst und im Rahmen der Hobbesschen Staatsrechtslehre auch nicht lösbar: "Il y aura toujours une grande différence entre soumettre une multitude, et régir une société. Que des hommes épars soient successivement asservis à un seul, en quelque nombre qu'ils puissent être, je ne vois là qu'un maître et des esclaves, je n'y vois point un peuple et son chef; c'est si l'on veut une aggregation, mais non pas une association; il n'y a là ni bien public ni corps politique. [...] Avant donc que d'examiner l'acte par lequel un peuple élit un roi, il seroit bon d'examiner l'acte par lequel un peuple est un peuple. Car cet acte étant nécessairement antérieur à l'autre est le vrai fondement de la société" (CS 1,5; OC ΙΠ, pp. 359-360).72
Die Hobbessche Fassung des staatsbegründenden Vertrags als reinem Unterwerfungsvertrag stiftet keine "association", weil sie die Vereinigung des Willens aller nur als Reduktion der Willensvielheit auf den einen Willen konzipiert. Eine solche reduktionistische Bestimmung des Staatswillens liefert in Wahrheit keinen Begriff der Vereinigung des Willens aller, sondern nur abstrakte Negation der Einzelwillen. Wenn Rousseau die Notwendigkeit betont, "les Etats légitimes" von den bloßen "attroupmens forcés que rien n'autorise" (CS MS, OC III, p. 304) zu unterscheiden, dann nehmen alle diese Einwände ganz offenkundig die staatsrechtliche Grundüberzeugung von Hobbes ins Visier, daß die bloße Unterwerfung der Einzelwillen unter eine übergeordnete Autorität (mag sie auch das Ergebnis eines vertraglichen Willensaktes sein) bereits diejenige Qualität staatlicher Einheit zu stiften vermag, durch die sich das corpus politician vor allen anderen menschlichen Zweckgemeinschaften
bien? Les Grecs enfermés dans l'antre du Cyclope y vivoient tranquilles, en attendant que leur tour vint d'être dévorés." 72 Ähnlich lautete der Vorwurf im sog. Manuscrit de Genève , der Erstfassung des Contrat social: "Π y a mille manières de rassembler les hommes, il n'y en a qu'une de les unir. C'est pour cela que je ne donne dans cet ouvrage qu'une méthode pour la formation des sociétés politiques, quoique dans la multitude d'aggrégations qui existent actuellement sous ce nom, il n'y en ait peut être pas deux qui aient été formées de la même manière, et pas une qui l'ait été selon celle que j'établis" (CS MS, OC ΠΙ, p. 297). - Auf den ersten Blick scheint es sich hierbei um eine Reprise der oben zitierten Auffassung der antiken Staatsphilosophie zu handeln, daß nicht jede Vereinigung von Menschen als Staat betrachtet werden könne. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, da Rousseau seine Kritik auf der Grundlage der fundamentalen Übereinstimmung mit Hobbes entwickelt: der Staat als Rechtsordnung bzw. als Vereinigung von Menschen unter öffentlichen Gesetzen existiert nicht von Natur aus, sondern beruht auf dem Willen der Menschen.
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auszeichnet.73 Dem hält Rousseau die Einsicht entgegen, daß der durch den staatsbegründenden Vertrag konstituierte Wille des autorisierten Souveräns für die ihm unterworfenen Einzelnen nicht diejenige Einheit des besonderen und des allgemeinen Willens bewirkt, die Hobbes in seiner una-voluntas-Konzeption intendiert hatte - und dies deshalb nicht, weil "nichts und niemand [...] den zwingenden Souverän selbst zu dieser Identität" bestimmt74 und daher Anspruch und Leistung des Hobbesschen Staatsrechts auseinanderfallen. Eine Staatsgewalt, welche ihre Bürger solchen gesetzlichen Schranken ihres Freiheitsgebrauchs unterwirft, die nicht mit dem Begriff einer möglichen allgemeinen Gesetzgebung übereinstimmen, eine Staatsgewalt ohne mögliche rechtliche Legitimation ist. Wird der durch den Vertrag konstituierte Staatswillen mit dem besonderen empirischen Willen der physischen oder einer juristischen Person, welche die Staatsgewalt faktisch innehat, identifiziert, dann ist nicht einzusehen, welchen verbindlichkeitstheoretischen Charakter die Unterwerfung aller haben kann, wenn sie nur als die unbestimmte Unterwerfung unter die Willkür eines Dritten erfolgt. Wenn die Bürger unter solchen Bedingungen gehorchen müssen, so nicht aus Rechtsgründen, sondern bloß infolge der Faktizität der Gewalt, der sie unterliegen.75 Umgekehrt gilt, "qu'on n'est obligé d'obéir qu'aux puissances légitimes" (CS I, 3; OC III, p. 355). Unwahr ist für Rousseau insbesondere Hobbes' Schlußfolgerung, daß derjenige, der im rechtlichen Gebrauch seiner Freiheit gegen die Willkür anderer gesichert sein will, deshalb zugleich wollen muß, der Willkür eines Dritten unterworfen zu sein. Solange sich die Beziehungen von Bürger und Souverän auf Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse bzw. auf die Unterwerfung 73
Während Hobbes behauptet, daß durch den Unterfungsvertrag die staatliche Einheit, die "more than Consent, or Concord", nämlich "a reali Unitie of them all, in one and the same Person" (Leviathan XVII, p. 120) sei, gestiftet werde, bestreitet Rousseau gerade diese Qualität der staatlich verfaßten Willenseinheit, die durch die Unterwerfung unter den empirischen Willen eines einzelnen niemals bewirkt werden kann: "Si donc le peuple promet simplement d'obéir, il se dissout par cet acte, il perd sa qualité de peuple; à l'instant qu'il y a un maitre il n'y a pas de Souverain, et dès lors le corps politique est détruit" (CS Π, 1; OC ΠΙ, p. 369). 7 4 Tus eh ling, Hegel und Rousseau, S. 131 f. 75 Rousseau, CS I, 2; OC ΠΙ, p. 354: "La force est une puissance phisique; je ne vois point quelle moralité peut résulter de ses effets. Céder à la force est un acte de nécessité, non de volonté; c'est tout au plus un acte de prudence. En quel sens pourrace être un devoir?" - Die intrikate Frage, ob denn Gesetze, die nicht aus einer den Legitimationsgründen der volonté générale genügenden Gesetzgebimg hervorgehen, rechtsverbindlich sind, hat Rousseau nicht abschließend beantwortet. Während er im Contrat social bestreitet, daß in diesem Fall überhaupt von legitimer Herrschaft und von Gesetzen im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann, so daß der bloße Zwang die Stelle der Verbindlichkeit einnimmt (CS m, 10; OC m, pp. 422^23), behauptet er im Emile, daß die Nichtbeachtung der durch den Gesellschaftsvertrag definierten staatsrechtlichen Bedingungen legitimer Herrrschaft keine Auswirkung auf die Pflichten des Staatsbürgers hat (Emile V, OC IV, p. 858).
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unter einen fremden Willen reduzieren lassen, weil es für die staatliche Gesetzgebung, d. h. für die inhaltliche Ausgestaltung der staatsrechtlichen Unterordnung der Bürger keinen anderen Maßstab gibt, als die Willkür des Herrn, so lange sieht man nur "une aggregation, mais non pas une association; il n'y a là ni bien public ni corps politique." Daran ändert auch der von Hobbes hervorgehobene Effekt der zwangsstaatlichen Sicherung der "tranquillité civile" (CS I, 4; OC III, pp. 355-356) nichts. Der nach Prinzipien des Vernunfirechts begründete Staat muß nicht nur eine souveräne Zwangsgewalt sein, sondern er muß seinen Zwang auf freiheitsgesetzlicher Grundlage ausüben, "parce que l'essence du corps politique est dans l'accord de l'obéissance et de la liberté" (CS III, 13; OC III, p. 427). Nur wenn dieser Ausgleich gelingt, verdient der Staat das vernunftrechtliche Prädikat legitimer Herrschaft, nur dann ist er auch Republik im Sinne Rousseaus.76 Die von Hobbes einseitig in den Vordergrund gestellte Unterwerfung ist eine zwar notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für die Konstitution des "corps politique." Sie ist insbesondere nur dann legitim, wenn sie durch ein Gesetz bedingt ist, dessen Urheber der vernünftige Wille des Unterworfenen selbst ist. Die Sklaverei kann wie jede andere Form der Unterwerfung unter die Privatwillkür eines anderen nicht durch den freiwilligen Verzicht auf die eigene Rechtsfähigkeit (als Inbegriff der "élemens constitutifs" OC III, pp. 180-181) begründet werden. Ein solcher Akt ist "illégitime et nul" (CS I, 4; OC III, p. 356), weil erstens die Veräußerung einer Sache fundamental von der Veräußerung der Persönlichkeit selbst unterschieden ist, so daß sich die Begriffe 'Recht' und 'Sklaverei' wechselseitig ausschließen.77 Die allgemeine Handlungsfreiheit steht nicht in demselben Verhältnis der Äußerlichkeit zu dem Willen des Handelnden wie beliebige Sachen: Niemand kann "dans son bon sens" auf seine Rechtsfähigkeit verzichten, weil ein solcher Verzicht in gar keinem möglichen gesetzlichen Verhältnis zu dem Willen des Verzichtenden steht. Vielmehr ist der Unterwerfungsvertrag rechtlich unmöglich, weil sein rechtlicher Ausgangspunkt und sein Resultat im Widerspruch zueinander ste-
76
Rousseau, CS Π, 6; OC ΠΙ, pp. 379-380: "Tappelle donc République tout Etat régi par des loix, sous quelque forme d'administration que ce puisse être: car alors seulement l'intérêt public gouverne, et la chose publique est quelcque chose. Tout Gouvernement légitime est républicain". 7 7 Rousseau, CS I, 4; OC ΠΙ, p. 358: "Ces mots esclavage , et, droit sont contradictoires; ils s'excluent mutuellement." - An anderer Stelle bezeichnet Rousseau die bei Hobbes, Pufendorf und anderen frühen Naturrechtstheoretikern zu findende Subsumtion der Persönlichkeit unter die erwerblichen Gegenstände als "un fort mauvais raisonnement; car premièrement le bien que j'aliène me devient une chose tout-à-fait étrangère, et dont l'abus m'est indifférent; mais il m'importe qu'on n'abuse point de ma liberté et je ne puis sans me rendre coupable du mal qu'on me forcera de faire, m'exposer à devenir l'instrument du crime" (Discours sur l'inégalité; OC ΠΙ, pp. 183-184).
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hen: Eine freie Handlung, die einzig und allein die zukünftige Unfreiheit des Handelnden zum Gegenstand hat, ist weder vernünftig noch können aus ihr irgendwelche Rechtsverbindlichkeiten entspringen. Im Gegensatz zu Hobbes hält Rousseau daran fest, daß die Freiheit zu den "Dons essentiels de la Nature, [...] un don qu'ils tiennent de la Nature en qualité d'hommes" (OC III, p. 184) gehört. Aber der Unterwerfungsvertrag ist nicht nur "incompatible avec la nature de l'homme", sondern darüber hinaus wäre eine derartige "convention vaine et contradictoire", weil sie "sans équivalent, sans échange" (CS I, 4; OC III, p. 356) erfolgt. Den Gedanken der Unabdingbarkeit des Personenstatus als des unhintergehbaren Fundaments einer jeden Rechtslehre einerseits und der Verschränkung der Frage nach der Legitimität staatlicher Herrschaft mit der Bedingung der Moralität menschlichen Handelns ander seits 78 hat Rousseau auf folgende berühmte Formel gebracht: "Renoncer à sa liberté c'est renoncer à sa qualité d'homme, aux droits de l'humanité, même à ses devoirs. D n'y a nul dédomagement possible pour quiconque renonce à tout. Une telle renonciation est incompatible avec la nature de l'homme, et c'est ôter toute moralité à ses actions que d'ôter toute liberté à sa volonté" (CS I, 4; OC ΙΠ, p. 356). 79 Rousseau rückt damit die Unveräußerlichkeit der Rechtspersönlichkeit in den Mittelpunkt seiner Lehre von den Principes du droit politique. Diese vernunftrechtliche Forderung der unveräußerlichen Rechtspersönlichkeit besagt
78
Forschner, Rousseau, S. 103. Vgl. Montesquieu, EdL XV, 2: "Il n'est pas vrai qu'un homme libre puisse se vendre. La vente suppose un prix: l'esclave se vendant, tous ses biens entreraient dans la propriété du maître; le maître ne donnerait donc rien, et l'esclave ne recevrait rien." Wie die Überschrift dieses Kapitels zeigt ("Origine du droit de l'esclavage, chez les jurisconsultes romains"), erkennt Montesquieu, daß der Versuch, die Sklaverei naturrechtlich zu legitimieren, der unreflektierten Übernahme von Bestimmungen des römischen Rechts entspringt. - Während Rousseau (wenigstens soweit es den Contrat social betrifft) in bezug auf die Absolutheit staatlicher Souveränität weitgehend auf den von Hobbes vorgezeichneten Bahnen wandelt (wobei er allerdings das Willenssubjekt der staatlichen Souveränität anders bestimmt als sein Vorgänger: aus der Souveränität des Herrschers wird bei ihm die unveräußerliche Souveränität des Volkes), knüpft er, was die freiheitstheoretische Grundlegung seiner "principes du droit politique" angeht, deutlich an Locke an. Allerdings vermeidet Rousseau die Widersprüche des Lockeschen Rückgriffs auf die lex naturae-Konzeption und die damit verknüpfte schöpfungstheologische Fundierung der individuellen Freiheitsrechte. Die Unverzichtbarkeit des Freiheitsrechtes wird bei Rousseau nicht mehr schöpfungstheologisch fundiert, sie wird aber auch nicht vernunftrechtlich legitimiert, sondern vielmehr als selbstevidente Prämisse eingeführt, die keiner Rechtfertigung bedarf, weil sie umgekehrt die Grundlage einer jeden rechtsphilosopischen Konzeption bildet, die diesen Namen verdient. Das Argument, das Rousseau daher für die Unverzichtbarkeit der Freiheit anführt, lautet: ohne die Voraussetzung freier und unverzichtbarer Selbstbestimmung kann es überhaupt keine widerspruchsfreie Legitimation staatlicher Herrschaft geben. 79
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
bei ihm wie bei fast allen anderen Vernunftrechtstheoretikern seit Locke 8 0 , daß niemand sich im Hinblick auf die Bestimmung der rechtlichen Bedingungen seines Freiheitsgebrauchs dem Willen eines anderen unterwerfen darf, weil eine derartige Unterwerfung unmittelbar gegen die Natur des Menschen, d. h. gegen seinen Status als vernünftiges und frei handelndes Wesen verstößt. Wer sich einem fremden Willen unterordnet und so zum Spielball der Willkür eines anderen macht, wird im wahrsten Sinne des Wortes verantwortungs-, weil rechtlos, d. h. er hört dadurch auf, freies und verantwortliches Subjekt seiner Handlungen zu sein und nimmt ihnen damit die Qualität der Moralität (im Sinne der Zurechenbarkeit). 81 Die aus Rechtsgründen geforderte Unterwerfung unter die Zwangsgesetzgebung des Staates darf also nicht mit der abstrakten Negation der individuellen Freiheit verwechselt werden. Obwohl die Individuen auf ihre natürliche, d. h. gesetzlose Freiheit verzichten müssen, soll dieser Verzicht in Wahrheit nur die Überführung der Freiheit in den gesetzlichen Modus ihrer Ausübung darstellen: der den staatlichen Gesetzen unterworfene Bürger "reste aussi libre qu'auparavant" (CS 1,6; OC III, p. 360). Die Lösung des staatsrechtlichen Dilemmas, daß die bloß faktische Unterwerfung keinen hinreichenden Legitimationsgrund staatlicher Herrschaft dar80 Locke (ST § 63) hat auf der Grundlage von schöpfungstheoretischen Prämissen betont, daß die mögliche Rechtsübertragung im Rahmen des Gesellschaftsvertrags an der notwendigen Erhaltung der Freiheit der Person ihre Schranke findet: "The Freedom then of Man and Liberty of acting according to his own Will, is grounded on his having Reason, which is able to instruct him in that Law he is to govern himself by, and make him know how far he is left to the freedom of his own will. [It is] the priviledge of his Nature, to be free." - In theologieunabhängiger Bedeutung wird die Unverzichtbarkeit der Rechtspersönlichkeit zum zentralen Lehrstück der Rechtsphilosophie im Zeitalter der Aufklärung; vgl. Wolff, Grundsätze des Natur- und Völkerrechts § 96; Montesquieu, EdL XV, 2; Burlamaqui, Principes du droit naturel I, VE, § 8; Kant , TuP, AA VIE, S. 29212_ιβ: "[Niemand aber [kann] diese Befugniß zu zwingen (mithin ein Recht gegen andere zu haben) anders als durch sein eigenes Verbrechen verlieren und es auch von selbst nicht aufgeben, d. i. durch einen Vertrag, mithin durch eine rechtliche Handlung machen kann, daß er keine Rechte, sondern bloß Pflichten habe: weil er dadurch sich selbst des Rechts einen Contract zu machen berauben, mithin dieser sich selbst aufheben würde"; vgl. auch Kant, RL § 30, AA VI, S. 28316_ 20: "[...] ein Vertrag aber, durch den ein Theil zum Vortheil des anderen auf seine ganze Freiheit Verzicht thut, mithin aufhört, eine Person zu sein, folglich auch keine Pflicht hat, einen Vertrag zu halten, sondern nur Gewalt anerkennt, in sich selbst widersprechend, d. i. null und nichtig, ist. " Fichte, Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas, FW VI, S. 11 : "Der Mensch kann weder ererbt, noch verkauft, noch verschenkt werden; er kann niemandes Eigenthum seyn, weil er sein eigenes Eigenthum ist, und bleiben muß." Hegel, Rph § 66: "Unveräußerlich sind [...] diejenigen Güter oder vielmehr substantiellen Bestimmungen, sowie das Recht an sie unvetfährbar, welche meine eigenste Person und das allgemeine Wesen meines Selbstbewußtseins ausmachen, wie meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion." 81
Vgl. Geismann, Kant als Vollender, S. 169 f.
Π. Das Despotismusproblem
273
stellt, sie aber dennoch die unverzichtbare und konstitutive Grundlage jeder Form von Staatlichkeit überhaupt ist, kann also nicht darin bestehen, daß den Staatsbürgern ein Zwangsrecht gegen den Souverän eingeräumt wird. Rousseaus Lösung des Grundproblems des Souveränitätsbegriffs - der "Verbindung von faktisch und rechtlich höchster Macht" 82 - liegt vielmehr in der Präzisierung des rechtlichen Charakters der von der Vernunft selbst geforderten Unterwerfung bzw. in der Angabe eines vernunftrechtlichen Kriteriums der staatlichen Gesetzgebungskompetenz. Dieses rein rationale Kriterium des Staatsrechts entnimmt er der Idee des Staatsvertrages. Der a priori übereinstimmende Wille dieses Vertrages kann nicht die Unterwerfung unter das Belieben eines Dritten zum Gegenstand haben, weil diese Abhängigkeit des subjektiven Rechts von der Willkür eines anderen den Grund für die Notwendigkeit des exeundums darstellt. Ein Wille aber, der sich, um sich in Fragen der Bestimmung der Bedingungen seines rechtlichen Freiheitsgebrauchs von der Willkür anderer zu befreien, der Willkür eines einzelnen unterwirft, widerspricht sich selbst. Der Wille, im Hinblick auf welchen der Wille aller a priori vereinigt gedacht werden kann, ist nach Rousseau einzig und allein die "volonté générale", d. h. derjenige Wille, der die gesetzlichen Bedingungen der äußeren Freiheit selbst zum Gegenstand hat. Und dieser Wille, das eigene Handeln allgemeinen Gesetzen zu unterwerfen, ist weder übertragbar noch repräsentierbar und somit das notwendige Konstituens und die unhintergehbare Bedingung einer jeden legitimen Herrschaft. Die staatliche Einheit, das organische Zusammenwirken von Einzel- und Gemeinwillen, wird nur durch einen qualifizierten Rechtsverzicht erreicht, der mit dem ursprünglichen Menschenrecht, ein Subjekt freier Handlungen zu sein, vereinbar ist. Es muß eine solche Unterwerfung sein, durch welche das Individuum sich selbst gehorcht und - durch diesen Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz - so frei bleibt wie zuvor. Mit dieser merkwürdigen Formel, mit der Rousseau die staatsrechtliche Spezifik legitimer Unterwerfung bezeichnet, ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Freiheit und Herrschaft beantwortet und die staatsrechtliche Quadratur des Kreises aufgelöst - wenigstens in theoretischer Hinsicht. Es ist somit ein Prinzip gefunden, das ein Kriterium dafür angibt, um die Unterwerfung bzw. die "aliénation totale" von einem reinen Knechtschaftsverhältnis zu unterscheiden.83 Die unbedingte Unterwerfung des Einzelwillens ist dann
82
Schmitt, Politische Theologie, S. 27. Diesen Rousseauschen Gedanken der sowohl freiheitseinschränkende wie sichernde Funktion des staatsbegründenden Vertrags übernimmt auch die Kantische Staatsrechtslehre: "Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituât, [...] ist der ursprüngliche Contract , [...] und man kann nicht sagen: der Mensch im Staate habe einen Theil seiner angeborenen äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, sondern er hat die wilde, gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Zustande, 83
18 Hüning
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D. Die Widersprüche der Hobbesschen Staatsrechtslehre
legitim, wenn sie unter den allgemein-gesetzgebenden Willen aller, d. h. unter einen Willen erfolgt, der seinerseits (wenigstens in der Idee des Staatsrechts) unter einem Gesetz steht. Dieser Wille ist nun nichts anderes als die "volonté générale", die Idee der Übereinstimmung des Willens aller in der gesetzlichen Bestimmung äußerer Freiheit. Nur ein derartiger Wille, durch den die Ausübung staatlicher Herrschaft auf den möglichen allgemeinen Willen eines jeden gegründet wird, erfüllt die Kriterien der staatsrechtlichen Legitimation. Somit hat Rousseau im Contrat social - wenigstens theoretisch - eine Lösung für das selbstgestellte Problem der Vereinigung von Freiheit und Unterwerfung auf der Ebene der (vernunftrechtlichen) Theorie aufgezeigt, indem er dem staatsbegründenden Vertrag außer der Begründung der staatsbürgerlichen Pflichten eine normativ-kriteriologische Funktion zuweist: die durch in der "Theorie legitimer Herrschaft" (Herb) begründeten Prinzipien des Staatsrechts dienen als "échelle"84, fungieren als a priori gültige Kriterien der Beurteilung der bestehenden Staatsverfassungen. 85 Andererseits ist nicht zu übersehen, daß Rousseaus Ausführungen in bezug auf Frage, ob aus dieser Beurteilungsfunktion irgendwelche 'revolutionären' Schlußfolgerungen für die Verwirklichung dieser Prinzipien gezogen werden könnten, nicht eindeutig sind. Im Contrat social behauptet er, daß dort, wo der Inhaber der Regierungsgewalt sich in einen Tyrannen verwandelt, indem er die Domäne der Volkssouveränität, die legislative Gewalt usurpiert, der Gesellschaftsvertrag unmittelbar gebrochen und der Staat im Sinne einer staatsrechtlichen Körperschaft aufgehoben ist, "et tous les simples Citoyens, rentrés de droit dans leur liberté naturelle, sont forcés mais non pas obligés d'obéir". 86 Damit aber reproduziert er offenkundig die Hobbessche Problemstellung des ipse-iudex-Prinzips, da in diesem Falle die "simples citoyens" zur Beurteiunvermindert wieder zu finden, weil diese Abhängigkeit aus einem eigenen gesetzgebenden Willen entspringt" (RL § 47; AA VI, S. 315 30 - 3166). 84 Rousseau, Émile V; OC IV 837: "Avant d'observer, il faut faire des régies pour ses observations: il faut se faire une échelle pour y rapporter les mesures qu'on prend. Nos principes de droit politique sont cette échelle. Nos mesures sont les loix politiques de chaque pays." 85 Ich habe hier bewußt davon abgesehen, daß Rousseaus Konzeption der volonté générale sich nicht restlos auf eine Staatsrechtslehre reduzieren läßt, die nur die formal-allgemeinen Bedingungen des äußeren Freiheitsgebrauchs thematisiert. Da die volonté générale auf die Gemeinsamkeit des Lebensinteresses aller Bürger zielt, ist sie nicht bloß ein formales Rechtsprinzip, sondern vielmehr ein materiales Prinzip des Wollens. Auf diesen Punkt, der die Staatsrechtslehre Rousseaus von derjenigen Kants unterscheidet, hat wiederholt Reinhard Brandt aufmerksam gemacht; vgl. Brandt, Rousseaus Philosophie der Gesellschaft, S. 79; ders., Historisch-kritische Bemerkungen zu Kants Friedenssschrift, S. 80 f.; ders., Freiheit, Gleichheit, Selbständigkeit bei Kant, S. 104; ebenso Stammler, Begriff und Bedeutung der Volonté générale bei Rousseau, S. 382, und Forschner, Rousseau, S. 120-157. 86 Rousseau, CS ΙΠ, 10, OC ΠΙ, pp. 422^23.
Π. Das Despotismusproblem
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lungsinstanz über die Verbindlichkeit ihres Gehorsams werden. Andererseits hält er im Emile ganz im Sinne von Hobbes daran fest, daß eine bloß minimale Stufe staatlich gewährleisteter Rechtssicherheit genügt, um den Gesetzen Verbindlichkeit zu verleihen, - auch dann, wenn diese Gesetze nicht den vernunftrechtlichen Bedingungen des Staatsvertrages entsprechen.87 Das positive Gesetz kann gemäß den dort gemachten Ausführungen schon deshalb für sich Verbindlichkeit beanspruchen, weil es bereits ein Minimum an Rechtssicherheit und einen gewissen Schutz gegen beliebige Willkürhandlungen anderer garantiert. Aus diesem Grunde schulden die Staatsbürger diesem Gesetz unbedingten Gehorsam, und zwar unabhängig von seiner Übereinstimmung mit den "principes du droit politique". Insofern Rousseau hier deutlich zwischen der normativ-staatsrechtlichen Beurteilung der bestehenden Verfassung und dem Geltungsanspruch der bestehenden Gesetze unterscheidet, kann man mit guten Gründen behaupten, daß das, was Wolfgang Kersting zu Recht als eine der zentralen systematischen Pointen des Kantischen Staatsrechts bezeichnet hat, bereits bei Rousseau systematisch angelegt ist: obzwar beide gegen Hobbes betonen, daß es einen vernunftrechtlichen Beurteilungsmaßstab des positiven Rechts gibt, halten sie zugleich mit Hobbes an der "Unabhängigkeit der Gehorsamspflicht von der rechtlichen Qualität staatlicher Herrschaft" fest. 88
87
Rousseau, Emile V; OC IV, pp. 857-858: "C'est en vain qu'on aspire à la liberté sous la sauvegarde des loix. Des loix! où est-ce qu'il y en a, et où est-ce qu'elles sont respectées? Par tout tu n'as vu regner sous ce nom que l'intérest particulier et les passions des hommes. Mais les lois éternelles de la nature et de l'ordre existent. Elles tiennent lieu de loi positive au sage; elles sont écrites au fond de son cœur par la conscience et par la raison; c'est à celles-là qu'il doit s'asservir pour être libre, et il n'y a d'esclave que celui qui fait mal, car il le fait toujours malgré lui. La liberté n'est dans aucune forme de gouvernement, elle est dans le cœur de l'homme libre, il la porte par tout avec lui. L'homme vil porte par tout la servitude. Lün seroit esclave à Généve, et l'autre libre à Paris. [...] Il y a toujours un gouvernement et des simulacres des loix sous lequels il a vécu tranquille. Que le contrat social n'ait point été observé, qu'importe, si l'intérest particulier l'a protégé comme auroit fait la volonté générale, si la violence publique l'a garanti des violences particulières, si le mal qu'il a vû faire lui a fait aimer ce qui étoit bien, et si nos institutions mêmes lui ont fait connoitre et haïr leur propres iniquités?" 88 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 476. 18
Schlußbetrachtung Hobbes und das Problem der Positivität des Rechts Worin besteht denn nun, so kann zum Abschluß dieser Arbeit gefragt werden, die rechtsphilosophische Quintessenz der Hobbesschen Lehre? Diese Frage läßt sich im Zusammenhang mit einem Problem diskutieren, das schon unter anderen Vorzeichen den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie gebildet hat. Die zu Beginn dieser Arbeit diskutierte Vermutung, Hobbes sei ein Nachfolger oder Schüler des Karneades, hat nämlich im 20. Jahrhundert in Gestalt der Einschätzung, seine Lehre kulminiere in einer rechtspositivistischen Position, eine Neuauflage erfahren. 1 Im Prinzip handelt es sich um eine Wiederholung der von Harrington u. a. vorgebrachten Einschätzung unter den veränderten Bedingungen des modernen, ausdifferenzierten Wissenschaftssystems. Denn auch für diese Einschätzung ist die vehemente Kritik, die Hobbes am traditionellen Naturrechtsdenken übt, und seine Distanzierung von den überlieferten Vorstellungen materialer Gerechtigkeit gleichbedeutend mit dem Übergang zu einer strikt naturrechtsfreien Position. 2 Bobbio hat diese 1 Diese Auffassung wird vertreten insbesondere von Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition, pp. 107-110; Kavka, Hobbesian Moral and Political Theory, pp. 248-250; Kersting, Hobbes zur Einführung, S. 122, 173; Mayer-Tasch, Thomas Hobbes und das Widerstandsrecht, S. 46 f., 80; Sauter , Die philosophischen Grundlagen des Naturrechts, S. 221 f.; Schottky, Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorien, S. 24 f. Differenzierter sind dagegen die Einschätzungen von Goyard-Fabre, Le droit et la loi, pp. 142-144; Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 130-138, 307-321, und ν. a. Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, pp. 114-171. 2 Seit Kelsen gilt die sog. Trennungsthese als Unterscheidungskriterium zwischen Rechtspositivismus und den verschiedenen Spielarten naturrechtlicher bzw. gerechtigkeitstheoretischer Normenbegründung. Die Trennungsthese ist aus dem Bedürfnis der positiven Rechtswissenschaften hervorgegangen, ihren Erkenntnisgegenstand methodologisch gegenüber konkurrierenden Wissenschaften (wie der Soziologie, der Politikwissenschaft oder der Philosophie) abzugrenzen und so die Rechtswissenschaft in ihrer Reinheit' und Unabhängigkeit von sachfremden Theorien zu konstituieren: "Die wesentliche Konsequenz des Rechtspositivismus ist die Trennung des Rechts von der Moral und daher auch von dem einen Bestandteil der Moral bildenden sogenannten Naturrechf (Kelsen, Was ist juristischer Positivismus?, S. 468; vgl. ders. y Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 328; ders., Reine Rechtslehre, S. 68 f., 319 f., 359-362,
Hobbes und das Problem der Positivität des Rechts
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Interpretationslage als das 'Hobbessche Paradoxon' bezeichnet: Der Begründer der neuzeitlichen Vernunftrechtslehre, der die rechtsphilosophische Fragestellung vom metaphysischen Ballast der Tradition befreit hat, wird zugleich als Ahnherr oder gar als Begründer des modernen Rechtspositivismus in Anspruch genommen.3 Die positivistische Lesart der Hobbesschen Theorie bezieht ihre unmittelbare Plausibilität jedoch nicht nur aus der Gegnerschaft gegen die Naturrechtstradition. Sie kann sich auch auf Hobbes' immer wiederkehrende Behauptung von der rechtlichen Omnipotenz des Souveräns stützen, obwohl sich - wie oben gezeigt wurde - die durch den staatsbegründenden Vertrag zustande kommende Ermächtigung der staatlichen Zwangsgewalt an der Unverzichtbarkeit des Selbstverteidigungsrechtes bricht. Die Identifizierung der Hobbesschen Lehre mit dem juristischen Positivismus drängt sich schließlich v. a. angesichts des Stellenwertes, den Hobbes dem positiven Recht als Verwirklichung der Gerechtigkeit einräumt, mit Notwendigkeit auf. Denn daß für Hobbes die Frage nach der Gültigkeit der positiven Rechtsordnung nicht mehr durch die Ableitung aus oder durch den Vergleich mit einer vorgegebenen materiellen Gerechtigkeitsnorm entschieden werden kann, scheint seinem ausgeprägtes Bewußtsein für die "tödliche Gefährdung der Ordnungsfunktion des positiven Rechtes"4, die von der Berufung auf überpositive Rechtsgründe ausgeht, zu entspringen. In der Tat ist Hobbes ein entschiedener Verfechter der Auffassung ist, daß die positive Geltung eines Gesetzes nicht auf der Übereinstimmung mit irgendeiner von Natur gegebenen und dem Willen der Menschen vorhergehenden Gerechtigkeitsnorm gründet, sondern davon abhängt, daß sie aus dem Willen des Inhabers der obersten Staatsgewalt hervorgeht, der von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht. Kein Zweifel also, daß Hobbes durch diese Abtrennung der (positven) Rechtsgeltung einer Gesetzes402 ff. u. ö.). - Zum Status der Trennungsthese in den aktuellen rechtswissenschaftlichen und rechtsphilosophischen Debatten vgl. Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals, pp. 49-88; Dreier, Recht und Gerechtigkeit, S. 31 f.; Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 122 f. 3 Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 115, vgl. auch pp. 118, 155. Ausführlich hat Murphy (Was Hobbes a Legal Positivist?) sich mit dieser Hobbesschen Definition des 'civil law* beschäftigt. Er versucht gegenüber der gängigen Einschätzung, Hobbes' Theorie des positiven Rechts sei eine Form bzw. Vorform des juristischen Positivismus, den Nachweis zu erbringen, daß Hobbes die Übereinstimmung von Naturrecht und positivem Recht in einer Weise begründet, die von derjenigen bei Thomas von Aquin nur geringfügig verschieden ist. Murphys abschließende Einschätzung, "that in matters of jurisprudence Hobbes was more a latter-day Thomas Aquinas than an early version of John Austin" (p. 873), vermag allerdings nicht zu überzeugen, da sie die spezifischen Elemente, die Hobbes von der vorhergehenden Tradition des Naturrechts trennen (insbesondere die hier aufgezeigte 'geltungstheoretische Revolution' der Rechtsphilosophie sowie den Begriff des souveränen Staates), außer acht läßt. 4 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 115.
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Schlußbetrachtung
norm von irgendwelchen Kriterien materieller Gerechtigkeit und die daraus resultierende Auffassung, daß die bloße Tatsache, daß diese Norm von dem Willen des autorisierten Gesetzgebers ausgeht, ein hinreichender Beweis ihrer Gültigkeit ist, dem traditionellen Verständnis von der Funktion der naturrechtlichen Prinzipien widerspricht. 5 In diesem Sinne lehrt Hobbes, daß die Wirklichkeit äußerer Gerechtigkeit erst durch das Gesetz gestiftet wird: das staatliche Gesetz ist in dieser Hinsicht nicht die Folge, sondern selbst Grund und Maßstab der Gerechtigkeit; ebenso ist der Staat nicht nur der mit Zwangsmitteln ausgestattete irdische Verwalter der ewigen Gerechtigkeit, sondern seine Zwangsgesetzgebung schafft erst den bestimmten Unterschied zwischen Recht und Unrecht.6 Recht im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. als gesellschaftlich anerkannter und einklagbarer subjektiver Anspruch, den eine Person gegen andere Personen geltend machen und vermittels einer öffentlichen Gerichtsbarkeit durchsetzen kann, gibt es nur im Rahmen einer positiven Rechtsordnung. Recht in diesem Sinne ist daher immer und ausschließlich positives, staatlich gesetztes und durchgesetzes Recht. Manifester Ausdruck dieser Auffassung ist insbesondere die Definition des Gesetzesrechts, die Hobbes in Kapitel XXVI des Leviathan vorträgt und in welcher nichts enthalten sein soll, "that is not at first sight evident" (Lev. XXVI, p. 183). Dort definiert Hobbes das positive Recht als Maßstab bzw. als Quelle von Recht und Unrecht in einer Weise, die ohne Zweifel dem positivistischen Rechtsverständnis genügt7, da hier die Einheit und die Inhalte der 5
Vgl. Cicero, De legibus I, 42, der die juristische (bzw. positivistische) Annahme, "omnia iusta esse quae sint in populorum institutis aut legibus", als Gipfel der Unvernunft gebrandmarkt hatte: nur solche Rechtssätze, die mit dem, was die Natur fordert, in Einklang stehen, können als gerecht und damit überhaupt als Gesetze im eigentlichen Sinne begriffen werden. Der Gesetzescharakter und die Gültigkeit einer Norm liegen also nicht in dem Umstand begründet, daß dieselbe von dem Willen des staatlichen Gesetzgebers ausgeht, sondern in ihrer (inhaltlichen) Übereinstimmung mit der Zweckbestimmung der Naturordnung. 6 Lev. XLII, p. 386: "And the Makers of Civili Laws, are not onely Declarers, but also Makers of the justice, and injustice of actions; there being nothing in mens Manners that makes themrighteous,or unrighteous, but their conformity with the Law of the Soveraign"; vgl. auch Dialogue, pp. 69-70, 72-73. 7 Vgl. hierzu Hampton, Hobbes and the Social Contract Tradition, p. 107: "This is a positivist position, because law is understood to depend on the sovereign's will. No matter what a law's content, no matter how unjust it seems, if it has been commanded by the soveraign, then and only then it is law." Kersting (Hobbes zur Einführung, S. 173) behauptet, daß Hobbes "Gesetze im Sinne genereller Normen und Regeln" nicht kennen würde. Richtig daran ist, daß Hobbes niemals den Versuch unternommen hat, Gesetze im Sinne genereller Normen von einzelfallbezogenen staatlichen Verwaltungsakten abzugrenzen. Diese Unterscheidung wird später insbesondere von Rousseau (CS Π, 6; OC ΠΙ, pp. 378-380) durchgeführt. Dennoch ist auch ihm der Gedanke, daß die Allgemeinheit das Spezifikum des Gesetzes darstellt, nicht völlig fremd, denn nach seiner Auffassung gehört es zu den politischen Aufgaben des Souveräns, solche Gesetze zu geben, "quae vniversales sunt" (DC ΧΙΠ, 3). Noch deutlicher wird dieser
Hobbes und das Problem der Positivität des Rechts
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Rechtsordnung ausschließlich als Ausdruck des herrschaftlichen Willens des Souveräns betrachtet werden:
"CIVILL LAW, Is to every Subject, those Rules, which the Common-wealth hath commanded him, by Word, Writing, or other sufficient Sign of the Will, to make of, for the Distinction of Right, and Wrong; that is to say, ofthat is contrary, and what is not contrary to the Rule " (Lev. XXVI, p. 183).8
Neben dieser Definition des positiven Rechts gilt insbesondere das berühmte Diktum "authoritas, non Veritas, facit legem" (Lev. XXVI, OL III, p. 202)9 seit den Ausführungen von Carl Schmitt als Inbegriff dezisionistischen oder rechtspositivistischen Denkens.10 Diese weitverbreitete Interpretation jenes Diktums abstrahiert jedoch von dem argumentativen Kontext, in dem diese Aussage ihre Stelle hat. Ein Blick in den Text zeigt, daß sie der Sache nach gegen die englische Common Law-Tradition und das mit ihr verknüpfte Verständnis des Richters als Hüter des Gesetzes gerichtet ist. Hobbes1 Diktum "authoritas, non Veritas, facit legem" bildet somit den prägnantesten Ausdruck seiner Kritik an deqenigen Vorstellung von Rechtswissenschaft, wie sie ζ. B. Edward Coke, der Herold des Common Law und anerkanntermaßen bedeutendste Vertreter der zeitgenössischen Jurisprudenz, geäußert hat. Nach Cokes Ansicht ist Rechtswissenschaft "an Artificall perfection of Reason, gotten by long study, observation, and experience" - eine Auffassung, der Hobbes sarkastisch entgegnet, dies sei eine den Juristen eigene Selbsttäuschung, "for it is possible long study may encrease, and confirm erroneous Sentences" (Lev. XXVI, p. 187). Hobbes kritisiert an dieser zugrunde liegende Verständnis, daß die Auslegung des geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzes das Privileg einer sich als wissenschaftlich verstehenden Jurisprudenz sei. Denn eine derartige Auslegungskompetenz verwandelt den Juristen, der sich aufgrund seiner 'rein wissenschaftlichen' Vorgehensweise zum authentischen Interpreten des Gesetzes erklärt, letztlich in einen (mit dem Souverän als Inhaber der obersten Befehlsgewalt) konkurrierenden Gesetzgeber.11 Hobbes' prägnante Formel drückt insofern die Einsicht aus, daß der Gedanke von justizförmigen Kon-
Aspekt, wenn Hobbes auf die allgemeine Funktion der positiven Gesetze als Kriterien für den Unterschied zwischen Recht und Unrecht und als Handlungsnormen zu sprechen kommt. 8 DC VI, 9: "LEGES CIVILES (vt eas definiamus,) nihil aliud sunt, quàm eius qui in ciuitate summâpotestate praeditus est, de ciuium futuris actionibus mandata." - Ausgehend von dieser Definition hat Austin (The Province of Jurisprudenz Determined, Lecture I) die sog. Imperativentheorie des Rechts entwickelt. 9 Vgl. auch die englische Version in Lev. XXVI, p. 189. 10 Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, S. 68 ff., 82; ders. 9 Politische Theologie, S. 44; Mayer-Tasch, Hobbes und das Widerstandsrecht, S. 80; ihm folgend Kersting, Thomas Hobbes zur Einführung, S. 122 f.; ders., Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, S. 73. 11 Lev. XXVI, p. 190.
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Schlußbetrachtung
trollmechanismen, denen der Gesetzgeber unterworfen werden soll, in Wahrheit auf die Etablierung eines konkurrierenden Gesetzgebungsorgans hinausläuft und damit zum Begriff der gesetzgebenden Gewalt des souveränen Staates im Widerspruch steht.12 Cokes Verständnis von der Aufgabe der Rechtswissenschaft liegt in Hobbes' Augen ein eigentümliches Mißverständnis der Rolle der Gesetzesinterpretation zugrunde: er verwechselt die den Wahrheitsanspruch einer juristischen oder rechtsphilosophischen Analyse (und insbesondere die Gesetzesinterpretation) mit der Rechtsgeltung eines Gesetzes. Beide müssen jedoch unterschieden werden, weil der Geltungsanspruch eines Gesetzes nicht auf seiner 'wahren' Auslegung im Rahmen der juristischen Methodologie, sondern auf ihrer "authentique Interpretation" durch den Willen des souveränen der Gesetzgebers, der sich der Auslegungskünste der Juristen bei seiner eigenen Urteilsfindung zwar bedienen kann, aber an sie nicht gebunden ist. Daher ist der berühmte Satz, der das Recht der Gesetzgebung zunächst völlig dem Machtspruch der politischen Gewalt anheimzustellen scheint, keineswegs Produkt einer machiavellistischen oder dezisionistischen Rechtsaufifassung, sondern paradoxerweise Resultat einer rein rationalen Analyse des Begriffs der Gesetzesgeltung, einer Analyse, die besagt, daß Gesetzgebung wie Gesetzesinterpretation keine Privilegien einer besonderen "Juris prudentia" (Lev. XXVI, p. 187) sind, welche die 'Wahrheit' für sich gepachtet hätte, sondern nur als Akte der souveränen politischen Autorität gedacht werden können. Man kann daher sagen, daß sich in dem anrüchigen Diktum gerade die Überlegenheit des Rechtsphilosophen über die zeitgenössische Common-law-Jurisprudenz manifestiert, denn Hobbes stellt hierin die Forderung auf, das aus einer Mischung von positivem Recht, Gewohnheitsrechten und alten 'Statuten' etc. bestehende Common Law durch das nach formalrationalen Prinzipien strukturierte und zugleich eindeutig auf den Willen des Souveräns bezogene "Civili Law" zu ersetzen, wie es sich unter dem Einfluß der Rezeption des Römischen Rechts auf dem Kontinent ausgebildet hatte. Unbestreitbar liegt für Hobbes der Grund der Befolgung, d. h. der Grund der Verbindlichkeit des positiven Rechts (sowie der Geltung der einzelnen
12
Hier liegt der Grund, warum die von einigen Interpreten ins Auge gefaßte Konzeption der Verfassungsgerichtsbarkeit als einer möglichen Alternative zu Hobbes' unerwünschten Staatsabsolutismus statt einer Lösung in Wahrheit die Reproduktion desjenigen staatsrechtlichen Problems darstellt, das Rousseau als Quadratur des Kreises bezeichnet hat; zur Alternative der Verfassungsgerichtsbarkeit vgl. Maluschke, Philosophische Grundlagen des Verfassungsstaates, S. 47, 315; Plamenatz, Man and Society I, p. 152; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 453 f.; Kavka, Hobbesian Moral and Political Theory, p. 167; zur Kritik an der Konzeption einer Verfassungsgerichtsbarkeit, d. h. zur Vorstellung, als könne die Aufnahme von Menschenrechten in die Verfassung zur "Basis irgend einer möglichen rechtswirksamen Nachprüfung von gegebenen (positiven) Gesetzen" gemacht werden, vgl. Ebbinghaus, GS I, S. 405.
Hobbes und das Problem der Positivität des Rechts
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Gesetze) im Willen des Gesetzgebers, nicht aber in der Qualität des Gesetzes selber, und folglich auch nicht in seiner Übereinstimmung mit einer in der Natur oder im göttlichen Willen begründeten materialen Gerechtigkeitsordnung - hierin stimmt Hobbes mit den Vertretern der positivistischen Imperativentheorie überein. Für Hobbes gibt es außer oder neben dem positiven Recht keine Gerechtigkeitsordnung, auf die sich irgend jemand berufen könnte, um die Verbindlichkeit des staatlichen Gesetzes in Frage zu stellen. Umgekehrt ist die Nichtexistenz einer solchen Ordnung materialer Gerechtigkeit für Hobbes - wie gezeigt - die Grundlage der vernunftrechtlichen Forderung, in den status civilis einzutreten. Aber diese beiden scheinbar positivistischen Aspekte - die Zurückführung der Verbindlichkeit des positiven Rechts auf den Willen des souveränen Gesetzgebers und die Leugnung einer von Natur bzw. durch den göttlichen Willen bestehenden Gerechtigkeitsordnung sind Ergebnis einer philosophischen Konzeption, die alle Fragen normativer 'Letztbegründung' zur Sache der ratio, d. h. der menschlichen Vernunft erklärt. Während ζ. B. für Austin die Verbindlichkeit eines Befehls mit der Androhung eines Übels im Falle seiner Nichtbefolgung zusammenfallt 13, ist Hobbes der Auffassung, daß die bloße Androhung eines Übels bzw. die bloße Möglichkeit der Zwangsanwendung noch keine Verbindlichkeit stiftet. Aus diesem Grunde kann auch das positive Recht nicht seine eigene Verbindlichkeit begründen, M[c]ùm enim obligatio ad obedientiam ciuilem, cuius vi leges ciuiles validas sunt, omni lege ciuili prior sit" (DC XIV, 21). 14 Hobbes ist also der Auffassung, daß die rechtsphilosophisch relevante Frage nach dem Geltungsgrund des positiven Rechts nur im Rahmen einer vernunftrechtlichen Konzeption beantwortet werden kann, die von überpositiven, im Willen der Rechtssubjekte selbst liegenden Geltungsgründen Gebrauch macht. Ebenso wie die Pflicht des staatsbürgerlichen Gehorsams ein solches vernunftrechtliches Fundament besitzt - nämlich das Gebot der Rechtsvernunft, den Naturzustand zu verlassen - , so hat auch die souveräne Gesetzgebungs- bzw. Rechtssetzungskompetenz in geltungstheoretischer Hinsicht eine überpositive Voraussetzung: Sie ist das Resultat des staatsbegründenden Vertrags, d. h. der (ideellen) Vereinigung des Willens aller, durch welche das Zwangsrecht des Staates überhaupt
13 Austin, The Province of Jurisprudence Determined, Lecture I, p. 22: "Being liable to evil from you if I comply not with a wish which you signify, I am bound or obliged by your command, or I lie under a duty to obey it. If, in spite of that evil in prospect, I comply not with the wish which you signify, I am said to disobey your command, or to violate the duty which it imposes. Command and duty are, therefore, correlative terms [...]. He who will inflict an evil in case his desire be disregarded, utters a command by expressing or intimating his desire: He who is liable to the evil in case he disregard the desire, is bound or obliged by the command." 14 Dies wird von Warrender, The Political Philosophy of Hobbes, pp. 6-7; Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, pp. 132-148; und Geismann, Ethik und Herrschaftsordnung, S. 75 zu Recht hervorgehoben.
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Schlußbetrachtung
erst konstituiert und möglich macht. Hobbes vertritt daher "keinen naiven Staatsabsolutismus" oder -Voluntarismus, sondern seine Staatsrechtslehre beruht auf dem Prinzip der Geltung staatlicher Gesetze "kraft autorisierter Macht". 15 Daß der Inhaber der obersten Staatsgewalt auch der autorisierte Gesetzgeber ist und daß seinen Befehlen überhaupt eine rechtliche Verbindlichkeit der Untertanen, sie zu befolgen, korrespondiert, ist ein Problem, das Hobbes anders als der juristische Positivismus im Rahmen einer Theorie beantwortet, die auf überpositiven Geltungsgründen beruht. 16 Diese vernunftrechtliche Antwort besagt, daß die Geltung des positiven Rechts nicht einfach darauf beruht, daß es sich bei der bestehenden Rechtsordnung um ein Normensystem handelt, das von einer souveränen Zwangsgewalt durchgesetzt wird. 17 Der auch von Hobbes gegen eine derartige Identifikation von Macht und Recht erhobene Einwand lautet, daß auf diese Weise keine Pflicht des staatsbürgerlichen Gehorsams begründet werden kann - eine Grundüberzeugung der neuzeitlichen Rechtsphilosophie, die Kant folgendermaßen und in völliger Übereinstimmung mit Hobbes auf den Punkt gebracht hat: "Es kann also eine äußere Gesetzgebung gedacht werden, die lauter positive Gesetze enthielte; alsdann aber müßte doch ein natürliches Gesetz vorausgehen, welches die Autorität des Gesetzgebers (d. i. die Befugniß, durch seine bloße Willkür andere zu verbinden) begründete" (RL, VI, S. 22433.36).18
Damit ist die Grenzlinie zwischen Rechtspositivismus und neuzeitlichem Vernunftrecht gezogen: die staatliche Gesetzgebungskompetenz, v. a. aber die Lehre von der Positivität als unverzichtbarer Bedingung für die Verwirklichung einer Rechtsordnung ist für Hobbes systematisch abhängig von einer vernunftrechtlichen Theorie des Geltungsgrundes des positiven Rechts. Positivität ist also auch für Hobbes nur die Bedingung der Wirklichkeit von Recht und Gerechtigkeit, nicht aber zugleich auch Grund ihrer Möglichkeit. Von 15
Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 137,132. Es ist daher kein Zufall, daß auf Seiten der Hauptvertreter des juristischen Positivismus wegen der vernunftrechtlichen Grundlegung deutliche Vorbehalte bestehen, Hobbes zu dem Kreis der Ihren zu zählen, vgl. Austin, The Province of Jurisprudence Determined, pp. 230-231; Bergbohm , Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, S. 164; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 439; zur Differenz zwischen Hobbes und dem juristischen Positivismus vgl. auch die Ausführungen von Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, pp. 132-133,142-143,167. 17 Brandt (Der Autor des Leviathan, S. 162) hat diese vernunftrechtliche Fundierung staatlicher Herrschaft auf die treffende Formel gebracht: "auctoritas, non Veritas, facit legem, sed Veritas auctoritatem." 18 Auf ähnliche Weise hat Kant das Verhältnis von vernunftrechtlicher Grundlegung und staatlicher Macht in einer Reflexion, die nach Adickes wohl aus der Zeit zwischen 1772-75 stammt, bestimmt: "Demnach ist kein Recht ohne eine Unwiederstehliche Gewalt. Aber es giebt wohl gründe des Rechts und der Gesetze, ehe diese Gewalt errichtet ist, und darauf müssen sich auch die Gesetze gründen" (Reflexion 7665, AA XIX, S. 48222_24). 16
Hobbes und das Problem der Positivität des Rechts
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rechtspositivistischen Positionen, die das Recht ohne Rekurs auf Gerechtigkeitskriterien, auf den Willen des jeweiligen Gesetzgebers bzw. Inhabers der Staatsgewalt gründen, unterscheidet sich Hobbes durch die Einsicht, daß der Wille des Souveräns nur deshalb und nur insoweit Recht zu setzen und gesetzgeberische Autorität zu beanspruchen vermag, als sein Wille mit den Bedingungen der Möglichkeit einer rechtlichen Gemeinschaft von selbsterhaltungsinteressierten Menschen übereinstimmt. Hobbes unterscheidet sich vom juristischen Rechtspositivismus durch die in seiner Rechtsphilosophie formulierte Verklammerung seines am Begriff des subjektiv-natürlichen Rechts orientierten Vernunftrechts und der darauf beruhenden Aufgabe des Staates, die zugleich eine (moralische) Pflicht des Inhabers der souveränen Staatsgewalt darstellt, dieses ihm geltungstheoretisch vorausliegende Vernunftrecht zu verwirklichen. Nur auf dieser Grundlage der apriorischen Bedingungen der Möglichkeit einer rechtlichen Vereinigung von Menschen gelangt Hobbes zur Einsicht in den objektiven Grund der Notwendigkeit des Staates und seiner vernunftrechtlichen Positivierungs- und Sanktionierungsfunktion. 19 Man darf sich also durch die nur vordergründig positivistische Bestimmung des "Civili Law" nicht täuschen lassen: auch diese Definition ist nur verständlich als Resultat einer vorangegangenen rein rationalen und rein juridischen Analyse, die darlegt, daß das positive Recht den Inbegriff deijenigen Bedingungen darstellt, durch die das natürliche Recht eines jeden Menschen überhaupt erst verwirklicht werden kann. Berücksichtigt man darüber hinaus den o. a. argumentativen Kontext, dann bestätigt sich die Einschätzung Höffes, daß Hobbes mit seiner These 'authoritas, non Veritas, facit legem' "nicht, wie viele glauben, die Grunddevise des neuzeitlichen Rechts- und Staatspositivismus" formuliert, sondern die "Minimalbedingungen [...], bei deren Mißachtung eine Rechtstheorie - sei sie positivistisch oder aber antipositivistisch als naiv gelten darf." 20 Die Frage nach der rechtsphilosophischen Quintessenz der Hobbesschen Theorie kann deshalb abschließend dahingehend beantwortet werden, daß die Bedeutung von Hobbes' Vernunftrechtslehre in der Tat darin besteht, daß sie eine "die Wissenschaft vom positiven Recht ergänzende, universale und allgemeine Rechtslehre"21 begründen bzw. eine "naturrechtliche Begründung des positiven Rechts"22 liefern will. Insofern hat die Hobbessche Rechtsphilosophie die Absicht, "die wirklichkeitsgestaltende Kraft des positiven Rechts zu
19
Geismann/Herb, Einleitung, S. 30 f.; Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 129; Herb, Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, S. 27. 20 Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 130 ff. 21 Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft, S. 211. 22 Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 116; Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, p. 167.
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Schlußbetrachtung
rechtfertigen und zu stärken." 23 Aber dieser philosophische Bezug auf das positive Recht darf nicht so verstanden werden, als ob Hobbes damit eine Rechtfertigung einer in irgendeinem Staate bestehenden Rechtsordnung beabsichtigen würde. Nicht die inhaltliche Ableitung der Normen des positiven Rechts, sondern die geltungstheoretische Begründung seiner Verbindlichkeit steht im Zentrum des systematischen Interesses.24 Dies ist - wie Bobbio überzeugend nachgewiesen hat - die Pointe des 'Hobbesschen Paradoxons'.25 Das Wesen der Hobbesschen Rechtsphilosophie besteht darin, daß sie eine vernunftrechtliche, d. h. überpositive Begründung für die Geltung und Verbindlichkeit des positiven Rechts liefert. 26 Wenngleich Hobbes' Durchführung dieses Programms einer philosophischen Grundlegung des positiven Rechts nicht frei von Widersprüchen ist, nimmt die neuzeitliche Rechtsphilosophie von seiner Lehre ihren Ausgang.
23
Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus, S. 330. Genau in diesem Sinne ist die programmatische Ankündigung im Vorwort von De Cive zu verstehen: "Postremò per totam orationem meam modum talem conservandum mihi proposui, primo ne de Justitia singularium actionum quicquam determinarem, sed legibus derminandum relinquerem. Deinde, ne quicquam disserem de cujuscunque civitatis legibus speciatim, id est, ne quae sint sed quid sint leges, dicerem" (p. 83).Vgl. auch Lev. XXVI, p. 183: "my désigné being not to shew what is Law here and there, but what is law, as Plato , Aristotle , Cicero , and diverse others have done, without taking upon them the profession of the study of the Law." 25 Bobbio, Hobbes and the Natural Law Tradition, pp. 160-161,165-167. 26 Vgl. auch Geismann, Diskussionsbeitrag, S. 65, der auf die "rechtsphilosophische Trivialität" verweist, daß es die Etablierung von Rechtsverhältnis nur unter der Voraussetzung der Positivierung von Recht möglich ist und Hobbes' Leistung herausstreicht, den sog. Rechtspositivismus als eine "juridisch notwendige Folge seines Naturrechts" entwickelt zu haben. 24
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189, 193, 221, 227, 233, 260, 276, 278,281 Geselligkeitstrieb 20, 56, 58,154 Gesetz, natürliches 14 f., 17, 22, 24, 36 f., 40 f., 48, 50, 58, 61, 68 f., 77, 79, 94-157, 158-160, 167 f., 170173, 179, 184, 191, 194, 197, 220, 229,237,251,282 - staatliches 15, 22, 28, 34, 51, 55, 215, 228, 240-251, 257 f., 267, 272,278,281 Gesetzgebung 35, 55, 87, 97, 100, 108, 113, 119, 122, 129, 152, 160 f., 168, 172-174, 176, 179, 182, 185 f., 192, 206 f., 214, 225, 247, 249 f., 256 f., 261, 266 f., 269-273, 277 f., 280,282 Gewaltenteilung 253-255 Gewissen 51, 129, 140, 153 f., 225, 250 Gleichheit 56, 194,251,263 Interpretation, klugheitstheoretische 85, 87, 150-153 - moralphilosophische 125-132 - naturrechtliche 137-149
Gehorsam, staatsbürgerlicher 43 f., 191, 214, 224, 234, 241-246, 266, 275,281
- politikwissenschaftliche 94 f., 153
Gemeinwohl (bonum commune) 24, 26, 29, 39-41, 59, 138, 150, 153, 166,174,231 Gerechtigkeit 19 f., 22-27, 93, 99, 117 f., 123, 152, 162, 166, 170,
Kontraktualismus 191-220
Ipse-iudex-Prinzip 71, 75 f., 79, 130, 158,160,243,245,247,274
Legitimation 16, 37, 156, 165 f., 180, 191-196,206,221,265-275 Metaphorik 188-190
Sachregister Natur 15, 17 f., 23 f., 27, 38^4, 60, 106 f., 109,136,165,169,281 - des Menschen 17, 20, 29, 36, 38 f., 53, 56 f., 61, 81,273 Naturrecht (jus naturale) 24, 27, 51-69,158,243,255 Naturrechtstradition 13-29, 36, 44 f., 51, 57 f., 66, 80, 99, 107-113, 118, 130-133, 141, 144, 167, 169, 206, 224,226,263-265,276 f.
301
100,113, 124,130, 134-137, 141, 150-155, 168 f., 171, 194, 207, 237,240,242-248 Sklaverei 260-264,270 Souveränität 159-161, 168, 175 f., 180 f., 184, 188, 198, 211 f., 225, 232-235, 239, 247, 251-253, 258, 265,273 Staat, Begriff 13, 37,162-190 - Gewaltmonopol 176 f.
Naturzustand 14, 17, 30-93, 99-105, 114 f., 119,122,124-126,129,142, 148, 150, 153, 158, 168, 173, 180, 191, 198, 221, 223, 241, 244 f., 256,263
- Rechtspersönlichkeit 161,175-190, 195,210,221,223,232,264
Recht, Geltungsgrund 15, 20, 27, 36, 56,118,143, 149,173,260,281
Strafrecht 170,227-232,243
- positives 15 f., 23, 27 f., 70, 103, 124, 126, 132, 173 f., 187, 226, 237,240,261,276-284
Tugend 23-27, 97, 125-132, 149, 165167,174,263
- auf alles 53, 65, 69-81, 158, 167, 207-209,211,224
Verbindlichkeit, Reziprozität 91, 115, 120 f., 135,160,208,211,223, 267
Rechtsantinomie 43, 51, 72, 87, 126, 240-251
- vertragliche 92, 97, 116, 118 f., 123, 133, 154, 160, 185, 245, 260, 264,266
Rechtspositivismus 15, 19, 51, 121, 132, 197,237 Rechtsverzicht 115, 117, 207, 209213, 216 f., 242, 244, 247, 258, 264,266,273 Religion 30, 33, 41, 138, 140, 248, 260 Repräsentation 175, 181 f., 185, 187, 208, 213, 216 f., 223 f., 234, 262, 265
Staatsform 49,204,211,232-236 Staatsräson 147,180 Staatszweck 161,165, 168,236,257 Sündenfall 163
Vernunft (recta ratio) 17, 24, 29, 36, 59, 66-68, 80, 94, 107-114, 120, 124 f., 132, 135, 154, 168 f., 229, 281 Vertrag, staatsbegründender 117, 123, 161, 185, 191-220, 244, 247, 252, 256,261 f., 268,281 - Geltung 116-125,267
Rückwirkungsverbot 228
Volk 171, 191, 204 f., 207, 211 f., 220-224
Säkularisierung 141,265
Völkerrecht 159 f., 200
Selbsterhaltung 16 f., 20, 29, 35, 43, 50, 57-62, 65-82, 85 f., 88, 98
Widerstandsrecht 162, 205, 208 f., 224-227,242-251,252