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German Pages [386] Year 2013
Jan Galandauer
FRANZ FÜRST THUN Statthalter des Königreiches Böhmen Aus dem Tschechischen von Walter und Simin Reichel
2014 böhl au verl ag w ien . köln . weimar
Das Erscheinen dieser Biographie in deutscher Sprache erfolgt auf Initiative von Karl Fürst zu Schwarzenberg. Gedruckt mit der Unterstützung durch: Deutsch-tschechischer Zukunftsfonds, Erste Bank, Česká Spořitelna, Wiener Städtische Versicherungsverein
Wir danken den Groß- und Ur-Großnichten und Neffen des Statthalters Thun für ihren Beitrag zur Realisierung der deutschsprachigen Ausgabe des Buches. Titel der tschechischen Originalausgabe: František kníže Thun. Místodržící Českého království. Paseka, Praha-Litomyšl 2007 Copyright © Jan Galandauer, 2007. All rights reserved Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Franz Thun-Hohenstein, böhmischer Statthalter. Sigmund L’Allemand, 1893 (heute im Regionalmuseum Tetschen) © 2014 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A–1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Karin Leherbauer-Unterberger Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung : FINIDR s.r.o., Český Těšín Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-205-78820-1
Inhalt Kapitel 1 : Die Familie Thun im tschechischen historischen Gedächtnis . . . Das Vermächtnis einer Adelsfamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thun : Böhmischer historischer Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Tetschener Thuns gehen in die Geschichte des 19. Jahrhunderts ein.. Eine neue Generation der Tetschener Thuns . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2 : Kindheit und Jugend von Franz Thun.. . . . . . . Kindheit im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der österreichische Patriotismus der Familie Thun . . . . . Erziehung und schulische Bildung . . . . . . . . . . . . . Offizier der k. u. k. Armee . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückkehr nach Tetschen und Böhmen . . . . . . . . . . . Die Hochzeit von Graf Franz Thun. . . . . . . . . . . . . Franz Thun – Familienoberhaupt und Herr der Domäne. . Auslandsreisen von Franz Thun . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 3 : Die politischen Anfänge von Franz Thun. . Abgeordneter im Reichsrat . . . . . . . . . . . . . Herrenhaus und Delegation. . . . . . . . . . . . . Böhmischer Landtag . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Oktober 1888 : Thuns große politische Rede . . .
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Kapitel 4 : Die erste Statthalterschaft von Graf Franz Thun . Eine »besondere Gesellschaft« im Aufwind. . . . . . . . Exzellenz und »Geheimer Rath« Graf Thun . . . . . . . Die öffentliche Meinung und der neue Statthalter . . . . Im böhmischen Landtag . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Adresse des Landtages an den Kaiser und König.. . Punktationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 5 : Statthalter Thun und die Allgemeine Landes-Jubiläumsausstellung 1891 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thuns Ringen um eine einheitliche Landesausstellung . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Die Eröffnung der Jubiläumsausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . Ausstellungsalltag des böhmischen Statthalters. . . . . . . . . . . . . Die Typhuserkrankung von Franz Thun und der Besuch des Kaisers. . »Panslawistische Demonstrationen« in Prag . . . . . . . . . . . . . . Die Ankunft des Kaisers in Prag ist ungewiss.. . . . . . . . . . . . . Vorkehrungen des Statthalters.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thun : »Aufschrei von vielen Tausenden österreichischen Herzen« . . . Thuns Sieg : Der Kaiser kommt nach Prag ! . . . . . . . . . . . . . . . Die Ankunft des geliebten Kaisers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 6 : Graf Thuns Kampf mit dem tschechischen Radikalismus . Die politische Botschaft des böhmischen Statthalters . . . . . . . Thuns Rede gegen den böhmischen Radikalismus . . . . . . . . . Eine unruhige Johannesfeier in Prag . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Mai 1893 : Obstruktion im böhmischen Landtag. . . . . . . . Der Heiße Sommer 1893 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Skandal zum Kaisergeburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . Schändung des Doppeladlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 7 : »Ausnahmestatthalter« Graf Franz Thun . . . . . . . . Die Verhängung des Ausnahmezustandes über Prag . . . . . . Der Ausnahmezustand im Reichsrat . . . . . . . . . . . . . . Graf Taaffe tritt zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwei Jahre Ausnahmezustand. . . . . . . . . . . . . . . . . . Thuns große Rede im böhmischen Landtag.. . . . . . . . . . Reaktionen auf Thuns Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Regierung tritt zurück, der Statthalter bleibt im Amt . . . Konflikt zwischen den Grafen Thun und Badeni . . . . . . . . Sitzung des böhmischen Landtages im Dezember 1895 . . . . Der böhmische Statthalter bietet seinen Rücktritt an.. . . . . Der böhmische Statthalter tritt ab . . . . . . . . . . . . . . . Stimmen zum Rücktritt des böhmischen Statthalters . . . . . Franz Joseph : »Sie waren ein ausgezeichneter Statthalter …« .
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Kapitel 8 : Franz Thun und der Thronfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Thun als unabhängiger Privatmann ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine überraschende Entscheidung Seiner Majestät. . . . . . . . . . . . . . Die Beziehung zwischen Thun und Franz Ferdinand. . . . . . . . . . . . . Die politische Korrespondenz zwischen Franz Thun und Franz Ferdinand .
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Inhalt
Reaktionen auf die Ernennung von Graf Thun . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Der Konflikt zwischen dem Thronfolger und seinem Hofmeister . . . . . . . . 129 Das Ende des verhassten Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Kapitel 9 : Franz Thun im Krisenjahr 1897. . . . . . . . . Armes Österreich, armer Kaiser … . . . . . . . . . . . Die Badenische Sprachreform.. . . . . . . . . . . . . Deutsche Obstruktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Brüder Thun und die deutsche Revolte. . . . . . . Der Schwur von Eger . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Thun : »Badeni führt uns in die Revolution« . . . Franz Thuns Rückkehr in die Politik . . . . . . . . . . Badenis Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Prager Dezember 1897 . . . . . . . . . . . . . . . Ministerpräsident Paul Gautsch von Frankenthurn.. . Franz Thun – ein Mann mit Zukunft ? . . . . . . . . . Sitzung des Landtages des Königreichs Böhmen . . . . Die erschütterte Position von Statthalter Coudenhove . Gautschs Sprachenverordnungen . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 10 : Graf Franz Thun an der Spitze der Regierung.. . . . . . . Des Kaisers letzte Hoffnung : Graf Franz Thun. . . . . . . . . . . . »Der Name Thun bildet schon für sich ein Programm«. . . . . . . . Die Regierung des Grafen Thun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Debüt der Regierung Thun. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Session des Reichsrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rede des Ministerpräsidenten zur Sprachenfrage . . . . . . . . Reaktionen auf Thuns Rede von tschechischer und deutscher Seite . Unruhen in Graz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutscher Aufruhr gegen Thun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich : Graz und Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ende der XIV. Session des Reichsrates . . . . . . . . . . . . . . . . Thuns Vorschlag für ein Sprachengesetz . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 11 : Thuns Ausgleichsmartyrium. . . . . . . Ausgleichskonferenz im kaiserlichen Bad Ischl. . Erfolglose Verhandlungen in Budapest . . . . . . Unterbrechung des Ausgleichsmarathons. . . . . Erneute Einberufung des Reichsrates. . . . . . .
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Inhalt
Ermordung der Kaiserin in Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Franz Thun und der Ausnahmezustand in Galizien.. . . . . . . . . . . . . . . 188 Der Bumerang des österreichisch-ungarischen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . 189 Kapitel 12 : Konflikt zwischen der Diplomatie des Deutschen Kaiserreichs und Franz Thun.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Diplomatie des Deutschen Reiches und die Regierung Thun . . . . . . . Thun »droht« dem deutschen Verbündeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kampagne der deutschen Diplomatie und Presse gegen Graf Thun . . . . . . Franz Joseph ergreift Partei für den Ministerpräsidenten . . . . . . . . . . .
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Kapitel 13 : Die böhmische Politik und die Regierung Thun.. . . . . . . . . . . . 196 Die Demission des deutschen Ministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Tschechische »Postulate« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Kapitel 14 : 1899 : Die letzten neun Monate der Regierung Thun . . . . Bilanz zum neuen Jahr und Ausblicke des Ministerpräsidenten . . . Deutsch-tschechisches Verhältnis an der Schwelle des Jahres 1899 . Das deutsche Pfingstprogramm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graf Thun stellt sich gegen das Pfingstprogramm . . . . . . . . . . Die erschütterte Position der Regierung Thun . . . . . . . . . . . . Der Rücktritt von Graf Thun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verlierer : Franz Thun und die Tschechen.. . . . . . . . . . . .
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Kapitel 15 : Die neue Familie von Franz Thun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Farbtafeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Kapitel 16 : 1899–1911 : Franz Thun im Herrenhaus.. . . . . . . . . . . . . Franz Thun und die deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen der Regierung Koerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führender Repräsentant der Rechten im Herrenhaus . . . . . . . . . . . Die Frage der Demokratisierung des Wahlrechts in Österreich . . . . . . Franz Thun und das allgemeine Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Thun stimmt für das allgemeine Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . Die Rolle von Franz Thun im Ringen um die Wahlreform . . . . . . . . . »Für die nationale Versöhnung« – Rede im Herrenhaus . . . . . . . . . . Für die Einheit des Königreichs Böhmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . Thun : »Alle Nationalitäten müssen sich in Österreich glücklich fühlen«. .
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Inhalt
Böhmen – ein Land »zweier Völker« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Kapitel 17 : Zweite Statthalterschaft von Graf (Fürst) Franz Thun . . . . . . Thuns Rückkehr in die böhmische Landespolitik. . . . . . . . . . . . . . Rückkehr an die Spitze der politischen Verwaltung in Böhmen ?.. . . . . Wehmütiges Scheitern der Ausgleichsverhandlungen im Jahr 1910 . . . . »Sie sind dazu berufen, das Ausgleichswerk zum Abschlusse zu bringen« . Rückkehr in das Statthalterpalais . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fürst Franz Thun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgleichsverhandlungen unter der Regierung Gautsch . . . . . . . . . . Deutsch-tschechische Ausgleichsverhandlungen im Jahr 1912. . . . . . . Die Hoffnung des böhmischen Statthalters. . . . . . . . . . . . . . . . . »Der verfluchte Hochenburgische Erlass«.. . . . . . . . . . . . . . . . . Repräsentationsaufgaben des Statthalters. . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Statthalter und tschechische Feierlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . Deutschnationaler Feldzug gegen den böhmischen Statthalter. . . . . . .
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Kapitel 18 : Die Annenpatente : Thuns »Verfassungsputsch in Böhmen« . Der drohende finanzielle Bankrott der böhmischen Länder . . . . . . Thuns Plan zur Rettung der Landesfinanzen . . . . . . . . . . . . . . Thuns erster Plan scheitert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein neuer Rettungsversuch des böhmischen Statthalters . . . . . . . . Die politische Vorbereitung des »Verfassungsputsches« in Böhmen . . Die Annenpatente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 19 : Das Ende der Hoffnung auf einen deutsch-tschechischen Ausgleich .. Die Deutschen und der böhmische Statthalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erneuerungsversuche der Ausgleichsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . Franz Thun : Der Ausgleich ist gescheitert ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die letzten Wochen und Monate vor Sarajevo . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 20 : Der kaiserliche Statthalter im Großen Krieg . . . . . . Von Sarajevo zum Großen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Statthalter und die Mobilmachung in Böhmen . . . . . . . »Patriotische Umzüge« in Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fürst Thun setzt den patriotischen Umzügen in Prag ein Ende.. Die teilnahmslosen Tschechen ziehen in den Krieg.. . . . . . . Ein General statt Thun ?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thun verteidigt die tschechische Loyalität . . . . . . . . . . . .
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10 Große Audienz des böhmischen Statthalters bei Franz Joseph I.. . . . . . Franz Thun : »Das Militär ist aber zum Verzweifeln« . . . . . . . . . . . . Franz Thun : »Unsinniger Großer Krieg« . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Angriff des Armeeoberkommandos wird abgewiesen . . . . . . . . . Angriff der reichsdeutschen Diplomatie auf den böhmischen Statthalter . Die böhmischen Deutschen gehen gegen Fürst Thun vor.. . . . . . . . . Der Brief des Grafen Clam-Martinic. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erneuter Zusammenstoß Thuns mit dem Armeeoberkommandanten . . .
Inhalt
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Kapitel 21 : Von der Demission zu den letzten Dingen . . . . . . . . . . . . . . Der Rücktritt des böhmischen Statthalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Böhmische Huldigung für den abtretenden Statthalter. . . . . . . . . . . . . Kaiserliche Brillanten und Pensionärshoffnungen . . . . . . . . . . . . . . . Urteil und Hamburger Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein schwerkranker Mann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Letztes öffentliches Auftreten : Zeugenaussage zugunsten der tschechischen Hochverräter.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kampf mit der Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Kurbad Podiebrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der treueste Österreicher meint : »Österreich wird zu Grunde gehen«. . . . . Ermordung von Graf Stürgkh.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinscheiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beisetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reaktionen auf den Tod des Fürsten Thun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gezählt, gewogen ….. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Epilog der Übersetzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Ortsregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
Kapitel 1
Die Familie Thun im tschechischen historischen Gedächtnis
Das Vermächtnis einer Adelsfamilie
Das Wissen um die Person des Grafen (seit 1911 : Fürsten) Franz Thun-Hohenstein ist im zeitgenössischen historischen Gedächtnis nur marginal verankert. Auch der Name des Adelsgeschlechts der Thun-Hohenstein wird im allgemeinen Bewusstsein mit keiner konkreten Vorstellung in Verbindung gebracht. Gleichzeitig lassen sich auf dem Gebiet der Tschechischen Republik eine Fülle von Thun’schen Vermächtnissen und Spuren ausmachen, welche daran erinnern, dass die Domänen und Residenzen der einzelnen Thun’schen Familienzweige in einer historisch nur kurz zurückliegenden Zeit zum Erscheinungsbild der böhmischen Länder gehörten. Die Historikerin Hana Slavíčková1 konnte rund 65 Herrschaften und Güter in Böhmen und Mähren lokalisieren, für Prag führt sie 15 Palais und Häuser an, die einmal im Besitz einer Linie der Familie Thun-Hohenstein gestanden sind. Das Wissen um die »Thun’sche Vergangenheit« wird freilich von der Dynamik der politischen, gesellschaftlichen und vermögensrechtlichen Umwälzungen in Mitteleuropa überdeckt, zu denen es vor allem nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie gekommen war. Der umfangreiche und reich gegliederte Thun’sche Besitz verschwand, die Erinnerung an den mächtigen politischen Repräsentanten sowie an den bedeutenden Wirtschafts- und Kulturträger – den böhmischen historischen Adel – fiel der Vergangenheit anheim. Kundigen Zeitgenossen gilt Fürst Franz Thun als eine sehr beeindruckende Persönlichkeit des politischen Lebens der Habsburgermonarchie. Ein Mal stand er in Österreich (Cisleithanien) an der Spitze einer Regierung, zwei Mal übte er das Amt des Statthalters des Kronlandes Böhmen oder – wie es vornehmer klingt und auch historisch korrekt heißt – des Königreichs Böhmen – aus. Das Amt des Statthalters auszuüben konnte viel und gleichzeitig auch wenig bedeuten. Abgesehen von jenen Statthaltern, deren Fenstersturz im Mai 1618 als Prolog zu einem grenzenlosen, alle bis dahin gekannten Ausmaße übertreffenden Unglück in die Geschichte einging – zum Dreißigjährigen Krieg – finden wir in der langen Reihe der kaiserlichen Vertreter in Böhmen (neben einigen bemerkenswerten Persönlichkeiten) viele, um es unumwunden auszusprechen, unbekannte Personen und Beamte, die als Rädchen und Übertragungsriemen der Wiener Regierung fungierten.
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Die Familie Thun im tschechischen historischen Gedächtnis
Franz Thun war jedoch ein Statthalter der anderen Art. Mit seiner Person wurde nach einer Reihe von Karrierebeamten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein böhmischer (hier geographisch und nicht nach nationalen Gesichtspunkten zu verstehen) Adeliger, ein reicher Großgrundbesitzer, finanziell unabhängig und selbstbewusst, in das Amt des Statthalters des Königreichs Böhmen berufen. Er sah sich als Vertreter des Kaisers und fühlte sich nicht dazu berufen, Willensvollstrecker der Regierung und einzelner Minister zu sein. Einmal wurde ihm sogar die Bezeichnung des »böhmischen Vizekönigs« zuteil, vertrat er doch den Monarchen, der aus staatsrechtlicher Sicht auch böhmischer König war. Die politische Öffentlichkeit, einschließlich der Regierung und des Kaisers, erwartete von ihm, sei es mit Hoffnung oder aus Furcht, keinesfalls nur die reine Administration des bedeutendsten österreichischen Kronlandes – Böhmen bzw. des Königreichs Böhmen. Thun : Böhmischer historischer Adel
Auf Schloss Tetschen, dem imposanten Stammsitz des Tetschener Zweiges der Familie Thun, erblickte am 2. September 1847 ein Junge das Licht der Welt, der auf den Namen Franz de Paula Josef Friedrich getauft wurde. Von diesem Augenblick an führte er den Titel eines Grafen und gehörte der exklusiven Gesellschaftsschicht des böhmischen historischen Adels an. Wie Zdeněk Bezecný in seiner Monografie2 anführt, lebten zu dieser Zeit 2.275 männliche Träger eines Adelstitels im Alter von über 17 Jahren in Böhmen. Dabei handelte es sich um lediglich 0,11 Prozent der Gesamtbevölkerung. Aber auch diese Angabe lässt einen Rückschluss auf die Außergewöhnlichkeit des neugeborenen Grafen zu – es existierte nämlich ein unüberwindbarer gesellschaftlicher Unterschied zwischen dem niederen Adel und den erst kürzlich in den Adelsstand erhobenen Industriellen oder Beamten einerseits und dem alteingesessenen historischen Adel der Grafen und Fürsten, die über ausgedehnte Besitzungen verfügten, andererseits. In Böhmen gab es nicht mehr als 60 Geschlechter, deren Angehörige einen solchen Adelstitel trugen. Die Thuns waren tatsächlich ein Geschlecht mit einer tiefen historischen Verwurzelung.3 Sie stammten ursprünglich aus Südtirol, genauer aus dem Trentino, und die älteste Erwähnung geht auf das 12. Jahrhundert zurück. Sie stiegen zu einem der bedeutendsten Adelsgeschlechter Tirols auf und erweiterten ihren Besitz stetig. Einzelne Mitglieder der Familie Thun wurden sogar als Kammerherren und Berater an den kaiserlichen Hof berufen. Am Beginn des Dreißigjährigen Krieges gelangten die Thuns nach Böhmen. Christoph Simon von Thun kämpfte im Dienste der Habsburger gegen die Osmanen und anschließend gegen die Protestanten. Im Jahr 1628 erweiterten die Thuns nach dem Erwerb einer in Niederschlesien liegenden Grafschaft ihren Namen um das Prädikat
Thun : Böhmischer historischer Adel
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Abb. 1: Graf Franz Anton von Thun und Hohenstein, Großvater von Franz Thun, der die Wirtschafts führung und Verwaltung der Tetschener Herrschaft reformierte und sie so zu einem modernen Wirtschafskörper formte.
»von Hohenstein«. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ging diese Besitzung zwar wieder verloren, der Name blieb jedoch erhalten : Die Familie nannte (und nennt) sich Thun-Hohenstein bzw. von Thun und Hohenstein. Dank der Karriere in kaiserlichen Diensten während des Dreißigjährigen Krieges siedelten sich die Thuns in Böhmen an. Im Jahr 1627 erwarben die Brüder Johann Cyprian und Christoph Simon Thun das böhmische Inkolat, das Einwohnerrecht im Land. Nach der Unterdrückung der böhmischen Ständeerhebung erhielten sie zahlreiche konfiszierte Herrschaften und Güter, die somit die Vermögensbasis des Geschlechts bildeten und welche die Familie Thun zu einem der größten Grundeigentümer Böhmens werden ließen. Die Familie gehörte also dem böhmischen Adel aus der Zeit nach der Schlacht auf dem Weißen Berg an. Was zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges entscheidend und bedeutsam gewesen war, hatte im 19. und 20. Jahrhundert eine gänzlich andere Bedeutung erlangt. Ebenso wie andere »nachweißenbergische« adelige Geschlechter wurden die Thuns zu einem Bestandteil der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen Böhmens, zu einer Komponente des böhmischen historischen Adels, der, folgt man der Charakteristik Zdeněk Bezecnýs, eine »durch die Geschichte geschaffene und verfestigte gesellschaftliche Schicht« darstellte.4 Dieser gehörten neben dem ursprünglichen böhmischen Adel auch Mitglieder österreichischer, deutscher, ungarischer, französischer, irischer, schottischer und italienischer Geschlechter an. Die Angehörigen des böhmischen historischen
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Die Familie Thun im tschechischen historischen Gedächtnis
Adels konnten – so wie etwa auch einzelne Familienzweige oder sogar Mitglieder einer einzigen Familie – politisch unterschiedliche Standpunkte vertreten und in verschiedenen politischen Lagern stehen. Dafür war es aber nicht entscheidend, ob das eine oder andere Geschlecht in Böhmen ursprünglich »beheimatet« gewesen oder dort erst nach der Schlacht auf dem Weißen Berg »heimisch« geworden war. Die irische oder italienische Abstammung eines Aristokraten hatte keinen Einfluss darauf, ob er am Beginn der 1840er Jahre als Angehöriger der böhmisch-ständischen Opposition auftrat bzw. sich in den 1870er Jahren der konservativen, eher staatsrechtlichen Opposition oder den zentralistischen deutschen »Verfassungstreuen« anschloss. Der »nachweißenbergische« Charakter der Familie Thun spielte, ebenso wie auch jener der anderen böhmischen Adelsgeschlechter, allerhöchstens in der tschechischen nationalistischen Rhetorik eine Rolle, keinesfalls jedoch in der politischen Gliederung des historischen Adels. Die Tetschener Thuns gehen in die Geschichte des 19. Jahrhunderts ein
In den Beständen des Staatlichen Gebietsarchivs Litoměřice (Leitmeritz), Abteilung Děčín (Tetschen), befinden sich zwei umfangreiche gebundene Folianten, deren großformatige Seiten mit Einträgen in einer wohlgeratenen Handschrift gefüllt sind und die der Geschichte der Thun’schen Domäne in Tetschen im 19. Jahrhundert gewidmet sind. Ein Band ist in deutscher, der andere in tschechischer Sprache verfasst, vom Inhalt her sind beide identisch. Dem Autor der beiden Handschriften galt das 19. Jahrhundert als die bedeutendste Zeit in der Geschichte der Thun’schen Domäne in Tetschen, in dessen Verlauf umwälzende technische Neuerungen Platz griffen, ein Aufschwung auf industriellem Gebiet erfolgte und sich gesellschaftliche Änderungen vollzogen. Als Schlüsselfigur, welche die Thun’sche Domäne in Tetschen, um es der heutigen Terminologie entsprechend auszudrücken, modernisierte, und welche die Grundlagen für deren wirtschaftliche Entwicklung und Prosperität schuf, wird ganz selbstverständlich und ohne den geringsten Zweifel Graf Franz Anton Thun genannt, der Großvater des Protagonisten unserer Biographie – Franz Thun.5 Graf Franz Anton von Thun und Hohenstein wurde am 3. Oktober 1786 in Preßburg (heute Bratislava) geboren, wo sein Vater Feldmarschallleutnant Wenzel Josef Graf Thun Militärbefehlshaber war. Er erhielt eine fundierte Ausbildung, welche in einer einjährigen Reise durch Europa gipfelte – in deren Verlauf machte er sich vor allem mit den Errungenschaften der hoch entwickelten englischen Wirtschaft vertraut. Im Unterschied zum Großteil seiner Standesgenossen und zum Großteil seiner Vorfahren trat er jedoch nicht in den Staatsdienst ein und machte auch keine Karriere als Soldat oder Politiker. Nach einer kurzen Dienstzeit in der österreichischen Armee widmete er sich der Entwicklung seiner Tetschener Herrschaft. Gemäß den Prinzipien und Methoden, die er in den weiter entwickelten Ländern
Die Tetschener Thuns gehen in die Geschichte des 19. Jahrhunderts ein
Abb. 2: Graf Leopold (genannt Leo oder Lev) von Thun und Hohenstein, Onkel von Franz Thun, be deutender konservativer Politiker und Reformator des österreichischen Bildungs- und Hochschulwesens.
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Abb. 3: Graf Franz von Thun und Hohenstein, Onkel von Franz Thun, der mit seiner nicht standesgemäßen Heirat des Anspruchs auf das Tetschener Fideikommiss verlustig ging. Eine bedeutende Persönlichkeit des kul turellen Lebens der Stadt Prag.
Westeuropas, besonders aber in England, kennengelernt hatte, schuf er im Laufe mehrerer Jahrzehnte aus der traditionellen, feudalen Herrschaft eine moderne Wirtschaftseinheit. Er rationalisierte die obrigkeitsherrliche Bewirtschaftung der Höfe und bot die freigewordenen Grundstücke und Gebäude den umliegenden Dörfern zur baulichen Erweiterung und zur Gründung von Produktionsbetrieben an (bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden auf der Herrschaft 12 Unternehmen). Er unterstützte die Einführung von industriellen Produkten sowie die Entwicklung von Handel und Verkehr und hatte einen entscheidenden Anteil an der Entstehung der Industriegemeinde Bodenbach (Podmokly, heute ein Ortsteil von Tetschen). Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus Tetschen erreichten einen der Spitzenplätze im Land : Man ging beim Anbau von der Dreifelderwirtschaft zum Wechsel der Fruchtfolge über. Überdies organisierte Graf Thun den Freikauf von der Robot. Er war Gründer und Schirmherr der landwirtschaftlichen Ackerbauschule in Liebwerd (Libverd) bei Tetschen, die dank der hohen Fachkenntnisse ihres Lehrerkollegiums große Berühmtheit erlangte.
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Die Familie Thun im tschechischen historischen Gedächtnis
Eine neue Generation der Tetschener Thuns
Während Franz Anton Thun sein langes Leben dem Aufbau und der Reform seiner Familiendomäne widmete – in erster Linie ihrem Kern, dem Tetschener Fideikommiss, wodurch dieses zur Entwicklung der ganzen Region um Tetschen beitrug – schlugen die Söhne von Franz Anton Thun und seiner Frau Theresie, geborene Gräfin von Brühl, einen gänzlich anderen Lebensweg und beruflichen Werdegang ein. Dabei spielte der Dienst an Staat, Landespolitik und Reich eine gehörige Rolle : Alle drei studierten Rechtswissenschaften an der Universität Prag und nahmen eine bedeutende Stellung im öffentlichen Leben ein. Am markantesten schrieb sich Graf Leopold Thun, genannt Leo (tschechisch : Lev) in das politische und kulturelle Leben des Landes und des ganzen Reiches ein. Zur Zeit des Vormärz gehörte er der gegen Metternich gerichteten Opposition an, im Zug der revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 rief er in der Funktion des Gubernialpräsidenten von Böhmen das Standrecht in Prag aus und geriet im Prager Klementinum in die Hände der revoltierenden Studenten. Auch in Galizien stellte er mit der Ausrufung des Standrechts eine Politik der »harten Hand« unter Beweis. Thuns Karriere erreichte in den Jahren 1849–1860 ihren Höhepunkt, als er das Ministerium für Cultus und Unterricht leitete. Er reformierte das österreichische Schulwesen und führte die Universitätsautonomie ein. Historiker, die sich mit dem Hochschulwesen befassen, betonen, dass die Reformen des Grafen Lev Thun für beinahe ein Jahrhundert die Funktionsweise und Wesensart der Hochschulen bestimmten.6 Als Schöpfer des Konkordats mit der römisch-katholischen Kirche des Jahres 1855 wurde Leo Thun als Repräsentant der konservativen Feudalen zum Hauptgegner des deutschen Liberalismus (und erhielt den Spitznamen »Konkordatgraf« zugeeignet). Der älteste der drei Thun’schen Brüder, Graf Franz Thun (1809–1870), war unbestritten eine außergewöhnliche Persönlichkeit, denn er brachte vor allem sein künstlerisches Interesse und seine schöpferische Begabung zur Geltung. Durch seine umfangreiche Tätigkeit in künstlerischen und humanitären Vereinen erlangte Graf Franz Thun Berühmtheit, die ihm die Vorliebe vieler eintrug, vor allem der Prager, die ihn im Jahr 1842 zu ihrem Ehrenbürger ernannten. Für die Jahre 1850–1861 folgte er dem Ruf seines Bruders nach Wien, um dort als Referent für Kunstfragen zu wirken. Als er im Jahr 1870 verstarb (im Vergleich zu seinem Vater und seinen Brüdern vorzeitig), begleiteten Zehntausende Prager den populären Grafen auf seinem letzten Weg.7 Dem ältesten der Brüder, Franz, war zwar die gesellschaftliche Anerkennung zuteil geworden, seine Familie, die Tetschener Thuns, brachte er jedoch in einige Bedrängnis. Im Jahr 1844 vermählte er sich mit Magdalena König, der Tochter eines Artillerieoffiziers, und ging so eine morganatische, nicht standesgemäße Ehe ein. Der böhmische historische Adel stellte nämlich eine in sich geschlossene gesellschaftliche Gruppe
Eine neue Generation der Tetschener Thuns
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Abb. 4: Graf Friedrich Thun, Diplomat, Vater von Franz Thun
dar, innerhalb derer nur eine standesgemäße Ehe zulässig war. Von den Angehörigen dieser Gruppe wurde nur eine Eheschließung innerhalb dieser sozialen Gruppe, das heißt mit jemandem aus den Reihen des höheren Adels, toleriert. Die »Mesalliance«, die Missheirat, von Franz Thun – des ältesten Sohnes von Franz Anton – hatte die vom Standpunkt der vorliegenden Biographie aus gesehene grundsätzliche Folgewirkung, dass das Erbe des Tetschener Majorats an einen weiteren Bruder überging, welcher, der Geburtsfolge entsprechend, nun die Herrschaft antrat : Graf Friedrich Thun. Damit war jedoch auch gleichzeitig festgelegt worden, dass der älteste, am 2. September 1847 in Tetschen geborene Sohn von Graf Friedrich und seiner Frau Leopoldine, geborene Gräfin von Lamberg, der auf den Namen Franz de Paula getauft wurde, das Erbe des Tetschener Majorats antreten werde, insofern er seinen Vater überleben sollte.
Kapitel 2
Kindheit und Jugend von Franz Thun
Kindheit im Ausland
Die Kindheit des zukünftigen Majoratsherrn in Tetschen, Statthalters in Böhmen und österreichischen Ministerpräsidenten Franz Thun unterschied sich erheblich von jener seiner Altersgenossen aus dem Kreis des böhmischen historischen Adels. Er verlebte sie nicht auf den Schlössern und Gütern der Familie, nicht im heimatlichen Tetschen oder auf anderen in Böhmen liegenden Herrschaften der Thuns, sondern im Allgemeinen vorwiegend im Ausland, im Besonderen vor allem in den Staaten des noch nicht geeinten Deutschlands und des noch nicht vereinigten Italiens sowie in Russland. Sein Vater Friedrich stand nämlich im österreichischen diplomatischen Dienst und war vom Jahr 1847 an, als sein erstgeborener Sohn zur Welt kam, Gesandter in Stockholm, München, Frankfurt am Main, Berlin, Verona, Monza und St. Petersburg. Zu all diesen Stationen begleitete ihn seine beständig wachsende Familie. Eine Taufe fand in der Botschafterfamilie wenn nicht einmal jährlich, so doch jedes zweite Jahr statt. In der Zeit von 1846 bis 1867 gebar Gräfin Leopoldine insgesamt elf Kinder : sieben Mädchen und vier Buben. Über das Alltagsleben und die gesellschaft lichen Beziehungen der vielköpfigen Familie eines österreichischen Diplomaten, die durch die deutschen Staaten und das zersplitterte Italien zog und sich auch im großen Zarenreich im Osten aufhielt, legte Gräfin Leopoldine selbst ein beredtes Zeugnis ab. Im Jahr 1890 erschienen ihre Erinnerungen aus meinem Leben.8 Die Gräfin konnte sich dabei einerseits auf ihre erhalten gebliebene reiche Korrespondenz, andererseits auf ihr ausgezeichnetes Gedächtnis stützen. Der österreichische Patriotismus der Familie Thun
Franz, der älteste Sohn von Graf Friedrich und Gräfin Leopoldine, war in den Jahren der diplomatischen Laufbahn seines Vaters noch ein Kind. Es ist daher nicht zu erwarten, dass er die Bedeutung von dessen diplomatischer Mission verstand oder die näheren Umstände der politischen Situation begriff. Nichtsdestotrotz wuchs er in einer gewissen Atmosphäre auf, die im Einklang mit der Familientradition stand. Die Erinnerungen von Gräfin Leopoldine geben die Stimmung dieser Zeit wieder, als Österreich und Preußen einen zunächst nur politischen Machtkampf austrugen.
Der österreichische Patriotismus der Familie Thun
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Leopoldines Gemahl, Graf Friedrich, lag besonders mit dem Vertreter Preußens, bei dem es sich um keinen geringeren als Otto von Bismarck handelte, im Streit. Dieser beklagte sich in seinen Briefen an Graf Friedrich wiederholt darüber, dass er die Existenz Preußens als »bedauernswerte Tatsache« bezeichnet hatte.9 In seinen erst zu einem viel späteren Zeitpunkt herausgegebenen Erinnerungen10 attackierte Bismarck ihn hasserfüllt, während Gräfin Leopoldine im Jahr 1885 für ihren Mann, der damals bereits verstorben war, öffentlich und energisch Partei ergriff.11 Franz Thun wuchs demnach in einer Familie auf, in der Preußen als Feind angesehen wurde und namentlich Bismarck als rücksichtsloser Gewaltmensch ohne Sinn für konservative Werte galt. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Bismarck in seinen Angriffen auf Graf Thun Gräfin Leopoldine beinahe als Tschechin darstellte, denn angeblich habe sie mit ihren Kindern Tschechisch gesprochen. Wir werden noch sehen, dass Franz Thun in seiner Zeit als Statthalter Schwierigkeiten mit dem Tschechischen hatte und dass er sich seine Sprachkenntnisse teilweise erst in reiferen Lebensjahren zu eigen machte – oder besser gesagt, dies immer wieder versuchte –, sodass man ausschließen kann, dass er in der Kindheit eine tschechische Erziehung erhalten hatte. Die tendenzielle Behauptung Bismarcks von der »tschechischen Eigenart« der Gräfin Leopoldine Thun, geborene Lamberg, mag jedoch einen gewissen realen Hintergrund gehabt haben. Ihre Herrschaft (Domäne) Kwassitz (Kvasice) befand sich in der Nähe von Kremsier (Kroměříž). Dort war sie aufgewachsen und hatte offenbar auch die tschechische Sprache erlernt. Im Dienst von Graf und Gräfin Thun stand aber sicherlich auch tschechisches Personal. Im Zusammenhang mit einer gefährlichen Begebenheit anlässlich eines Weihnachtsfestes in Berlin (das Kleid der erstgeborenen Tochter Theresa fing an den Kerzen des Christbaumes Feuer) erwähnte die Gräfin die Geistesgegenwart des »treuen Kindermädchens Ančička«.12 Es ist nur schwer vorstellbar, dass es sich dabei nicht um eine Tschechin gehandelt hatte. Das Milieu der Familie von Graf Friedrich und Gräfin Leopoldine Thun war im politisch-nationalen Sinn weder »deutsch« noch »tschechisch«. Es war vor allem »österreichisch«, das heißt konservativ, monarchisch und katholisch geprägt. Gräfin Leopoldine erwähnt in ihren Erinnerungen wiederholt den »österreichischen«, im Grunde somit anationalen Patriotismus ihrer Familie. Davon zeugt auch eine geradezu typische Erinnerung der Gräfin an den Geburtstag ihres Mannes Graf Friedrich aus dem Jahr 1851 in Frankfurt : »Am 8. Mai zu Fritzens Geburtstag erfreute uns eine Serenade der österreichischen Militär-Garnison, welche ihm mit derselben einen Beweis dankbarer Verehrung geben wollte. Wir standen mit derselben auf freundlichstem Fuß, sahen die Offiziere viel und bei jedem Anlasse in unserem Hause. Ein besonders freundliches Verhältnis unterhi[e]lten wir stets zu der im Bundes-Palais einquartierten Ehren-Compagnie, meist böhmische Regimenter, welche wir zu Weih-
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Kindheit und Jugend von Franz Thun
nachten und Ostern speisten ; vaterländische Speisen, Kolatschen u. dgl., welche unsere böhmischen Hausleute fabrizierten, wurden aufgetischt und mit vielem Dank von den guten österreichischen Landsleuten, welche wir mit wahrem Enthusiasmus fetirten [durch ein Fest ehrten ; Anm. d. Übers.], aufgenommen.«13 Erziehung und schulische Bildung
Die Erziehung der zahlreichen Kinder der durch Europa ziehenden Diplomatenfamilie konnte nicht den gleichen Vorgaben wie in anderen Adelsfamilien folgen. Alleine die ständigen Übersiedlungen und Umgebungswechsel stellten andere Anforderungen an die Erziehung der Kinder, als es etwa der geordnete Lebensrhythmus auf einer adeligen Domäne getan hätte. Graf Friedrich lebte die Diplomatie und die Politik, sehr oft war er etwa auch wochenlang von zu Hause weg, noch dazu verfügte er über keine so eiserne gesundheitliche Konstitution wie seine Frau. Die entscheidende Rolle bei der Erziehung der Kinder, ebenso wie bei der Führung des großen Haushaltes, spielte Gräfin Leopoldine. Als sie in Frankfurt lebten, unterrichtete sie ihre ältesten Kinder selbst. Dabei handelte es sich um eine Form der Vorschulerziehung : »Therese, Franz und Carla hatten bereits seit längerer Zeit Lese-, Schreib- und Religionsunterricht mit mir begonnen.«14 Ebenso wie in anderen Adelsfamilien kümmerten sich zunächst Ammen und Kindermädchen um den Nachwuchs, mit zunehmendem Alter übernahmen dann Gouvernanten die Erziehung der Mädchen und Erzieher jene der älteren Buben. Wie es in Adelsfamilien Brauch war, ging die Erziehung von Franz, als er sieben Jahre alt geworden war, in »Männerhand« über – ein junger Mann aus Westfalen namens Knechten wurde zu seinem Erzieher bestellt. Dieser übernahm, wahrscheinlich zusammen mit anderen Lehrern, die Ausbildung von Franz ; in Religion wurde er vom Hauskaplan unterwiesen, Französisch und Englisch lehrten Muttersprachler. Im Jahr 1857 erlag Knechten, als er die Familie gerade auf einer Romreise begleitete, einer Infektionskrankheit, weshalb er von einem anderen Erzieher ersetzt wurde. Der Unterricht erfolgte in Adelsfamilien durch Privatlehrer. Der Schüler, der sogenannte Privatist, legte nur jedes Halbjahr in allen Gegenständen Prüfungen zunächst an der Volksschule und dann an einem Gymnasium ab. Die erste Klasse des Gymnasiums besuchte Franz Thun im Schuljahr 1856/57 in Verona. Das Zeugnis lässt den Schluss zu, dass er den Unterricht als Schüler im herkömmlichen Sinn und nicht als Privatist besuchte.15 Die dabei belegten Prüfungen absolvierte er erfolgreich. Gräfin Leopoldine notierte dazu : »Kurz vor unserer Abreise machte Franz seine erste Prüfung, musste in drei Sprachen [–] deutsch, lateinisch und italienisch [–] Rechenschaft über seine Kenntnisse ablegen, erhielt aber lauter Eminenzen [Hervorragend ; Anm. d. Ü.] und war nicht minder stolz als wir.«16
Erziehung und schulische Bildung
Abb. 5: Graf Friedrich Thun, Vater von Franz Thun, als österreichischer Botschafter in Verona im Jahr 1855
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Kindheit und Jugend von Franz Thun
Abb. 6: Gräfin Leopoldine Thun, geborene Lamberg, Mutter von Franz Thun, in den 1860er Jahren
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Abb. 7: Franz Thun, wahrscheinlich zur Zeit seines Hochschulstudiums in Wien
Im Juni 1860 übersiedelte die Botschafterfamilie nach Russland, wo sie bis Mai 1862 blieb. Dort setzte Franz den Gymnasialunterricht höchstwahrscheinlich als Privatist fort, wenn auch nicht bekannt ist, wer ihm zu Hause Unterricht erteilte. Die vorgeschriebenen Prüfungen legte er am Gymnasium in Böhmisch Leipa (Česká Lípa) ab.17 Graf Friedrich Thun beendete seine diplomatische Karriere und kehrte von Russland in die Habsburgermonarchie zurück. Die Familie nahm einerseits in Tetschen ihren Wohnsitz (wo auch ein weiterer Sohn, Jaroslav, geboren wurde), andererseits in Kwassitz, woher Gräfin Leopoldine stammte – dabei handelte es sich um die sogenannten Sommersitze. Die Winter verbrachte die Familie des nunmehr ehemaligen Diplomaten in Wien, wo Graf Friedrich in der Habsburgergasse ein ganzes Stockwerk gemietet hatte, das ihnen für die Dauer von zehn langen Jahren als Zuhause dienen sollte. Franz Thun setzte seine Ausbildung in den Jahren 1863 bis 1864 am renommierten Wiener Akademischen Gymnasium als Privatist fort. Im Jahr 1866 inskribierte er an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, wo er sein Studium im Jahr 1869 abschloss.18 Anschließend genoss er eine Ausbildung an der Wirtschaftsschule in Hall, der ein einjähriges Praktikum auf dem Gut Falkenberg in Schlesien folgte, das als vorbildliches wirtschaftliches Unternehmen bekannt war.19 Franz Thuns
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Ausbildung umfasste somit Rechtswissenschaften, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspraxis – das Studium sollte ihn also zweifellos auf die Verwaltungsaufgaben der großen Thun’schen Domäne vorbereiten. Offizier der k. u. k. Armee
Nach Beendigung des Universitätsstudiums streifte Franz Thun den Rock des Kaisers über. Er trat als Einjährig-Freiwilliger in die Armee ein, die nach der Niederlage gegen Preußen im Jahr 1866 eine tiefgreifende Reform durchlief. Die österreichischungarische Armee kannte – im Gegensatz zur preußischen, russischen oder britischen Armee – keine elitären Garderegimenter. Dessen ungeachtet existierten in Österreich jedoch Regimenter, in denen für gewöhnlich Adelige ihren Dienst ableisteten, deren bevorzugte Waffengattung die Kavallerie war. Mit allerhöchster Entschließung vom 13. Jänner 187120 wurde Leutnant Graf Franz Thun dem prestigeträchtigen DragonerRegiment »Fürst zu Windisch-Graetz« Nr. 14 zugeteilt21 und nach der Ableistung des einjährigen Dienstes in den Reservestand übernommen. In den folgenden Jahren nahm er als Reserveoffizier einige Male an Manövern teil.22 Diese Waffenübungen sahen bei einem Hocharistokraten allerdings anders aus als bei einem gewöhnlichen Reserveoffizier. Franz Thun brachte die kaiserlichen Manöver nicht bei einem im Feld übenden Regiment zu ; er war als Ordonanzoffizier dem Oberkommando mit Erzherzog Feldmarschall Albrecht23 an der Spitze zugeteilt und hielt sich in unmittelbarer Nähe der höchsten Militärs auf. Wie aus den an seine Frau Anna gerichteten Briefen hervorgeht, übergab er bei dieser Gelegenheit auch einige Depeschen direkt an den Kaiser. Während der Absolvierung eines Manövers wurde Franz Thun am 26. Oktober 1891 befördert24 – der damals 44-jährige Statthalter in Böhmen wurde zum Major des Dragoner-Regiments Nr. 14 der Reserve ernannt.25 Zur Mentalität eines Hocharistokraten gehörte auch das Bewusstsein, seine Pflicht gegenüber dem Kaiser damit zu erfüllen, als Reserveoffizier dessen »Rock zu tragen«. Thun trug die Majorsuniform daher bei mehreren Gelegenheiten – am ehesten wohl deshalb, weil sie gut aussah : blauer Rock, rote Reiterhosen, dazu weiße, graue oder braune Handschuhe. Als Fürst Franz Thun am 1. November 1916 starb, wurde er in seiner Majorsuniform beigesetzt. Rückkehr nach Tetschen und Böhmen
Das Jahr 1873 stellte für die Familie von Graf Friedrich Thun eine grundlegende Wende dar. Obwohl er und seine Familie mehr als 20 Jahre zunächst im Ausland und dann in Wien gelebt hatten, blieb doch immer Tetschen das familiäre Zentrum – formal, moralisch und auch wirtschaftlich. Von den elf Kindern des Grafen Friedrich
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Rückkehr nach Tetschen und Böhmen
Abb. 8: Franz Thun als Leutnant zur Zeit seines Dienstes beim Dragoner-Regiment Nr. 14
Abb. 9: Franz Thun als Leutnant zur Zeit seines Dienstes beim Dragoner-Regiment Nr. 14
und der Gräfin Leopoldine wurden fünf in Tetschen geboren : Franz, die um ein Jahr jüngere Schwester Karolina, dreizehn Jahre später ein Bruder, Eduard, vier Jahre danach der jüngste (und letzte) Bruder Jaroslav und weitere drei Jahre später die jüngste Schwester Josefina. So wie die Wiege einiger Mitglieder der Familie Thun in Tetschen stand, so sollte für die Angehörigen des Geschlechts (also die zweite gräfliche Linie mit dem Sitz in Tetschen) ebendort auch die letzte Ruhestätte sein. In Chrást – ein Teil von Bodenbach – stand die neugotische Kapelle des Hl. Johannes Nepomuk vor der Vollendung, die der Familie Thun als Grablege dienen sollte. Große Adelsgeschlechter hatten die Gewohnheit, einen repräsentativen Bau für ihre letzte Ruhestätte zu errichten. Die Entstehung dieses Bauwerkes spiegelt ebenso wie andere Familiengräber nicht nur das Schicksal des Grafengeschlechts der Tetschener Thuns wider, sondern bietet auch einen Einblick in die Besonderheiten der in der nördlichen Peripherie Böhmens liegenden Landschaft. Natálie Belisová widmete diesem Thema eine umfassende
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Kindheit und Jugend von Franz Thun
Abb. 10: Ansicht von Tetschen, nach 1850
Abb. 11: Bis zum Jahr 1877 lebte Franz Thun zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern auf dem Schloss in Perutz, nordwestlich von Prag.
Rückkehr nach Tetschen und Böhmen
Abb. 12: Das Tetschener Schloss, Familiensitz der Thuns, Gesamtansicht vom Beginn des 20. Jahrhunderts
Abb. 13: Barockgarten mit Sala terrena und Gloriette, für den sich am Ende des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung »Rosengarten« eingebürgert hat.
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Kindheit und Jugend von Franz Thun
Abb. 14: Hauptfassade des Tetschener Schlosses
Monografie mit dem Titel Die Geschichte der Johanneskapelle oder die Seele von Chrást.26 In ihrem Buch befindet sich auch ein Bericht über den Tod des 86-jährigen Grafen Franz Anton I. von Thun und Hohenstein : »[…] auf einmal begannen am 19. Jänner 1873 die Glocken zu läuten. Sie kündeten aber von keinem freudigen Ereignis, sondern ließen die Leute wissen, dass am vorangegangenen Tage abends gegen sieben Uhr das Herz des alten Grafen für immer zu schlagen aufgehört hatte. Er starb ruhig, versehen mit dem Sterbesakrament. Das Schloss verstummte und alles erstarrte in einer geradezu eigentümlichen Lähmung. Obwohl der durchlauchte Herr vor den Augen seiner Angehörigen mehr und mehr verfiel, konnte sich doch niemand den Moment vorstellen, wie es ohne ihn sein werde. Er war eine lebende Legende. Ein Bindeglied zwischen der alten und der modernen Zeit.«27 Mit dem Ableben von Franz Anton trat Graf Friedrich das Erbe des Tetschener Fideikommisses an und übernahm die Rolle des Familienoberhauptes. Er übersiedelte mit seiner Familie von Wien nach Prag und bezog dort ein Palais auf der Kleinseite, genauer in der heutigen Nerudagasse, das für »Winteraufenthalte« vorgesehen war. Im Sommer pflegte sich die Familie in Perutz (Peruc) bei Schlan (Slaný) nordwestlich von Prag aufzuhalten, wo sich ein Allodialbesitz und kein Fideikommiss der Familie Thun befand. Der Grund, warum die Familie Friedrich Thuns ihren Wohnsitz nicht
Die Hochzeit von Graf Franz Thun
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in Tetschen, dem Sitz des Fideikommisses, nahm, liegt darin begründet, dass im Zusammenhang mit der Abwicklung des Erbes noch gewisse rechtliche Schwierigkeiten überwunden werden mussten. Erst im Jahr 1877, nachdem diese überwunden worden waren, konnte der Majoratsherr Friedrich Thun mit seiner Familie nach Tetschen zurückkehren. Jaroslav Thun erinnerte sich an die feierliche Ankunft in Tetschen, die er als damals 13-Jähriger erlebt hatte : »Von Perutz kommend trafen wir am Nachmittag ein, ab Rongstock [Roztoky nad Labem ; Anm. d. Übers.] läuteten die Glocken, knallten die Böller, wehten die Fahnen – in Tetschen an der Pforte der Schlosskirche wartete Dechant Pohl an der Spitze der Geistlichkeit mit einer Ansprache, dann im Schloß im Vorhof stand die ganze Beamtenschaft an der Spitze mit dem Oberstforstmeister Vinzenz Fürk in der damaligen Gala Jagd-Uniform – grüner Waffenrock mit Gold.«28 Die Hochzeit von Graf Franz Thun
Auf dem Schlosshof entstieg – wenn auch Jahre später – ebenso Gräfin Anna-Maria Thun-Hohenstein, geborene Prinzessin Schwarzenberg einer Kutsche. Franz Thun trat vor den Traualtar – und ging eine vollkommen »standesgemäße« Ehe auf allerhöchster Ebene ein : Seine Braut stammte aus einem Geschlecht, das in der Hierarchie der adeligen Gesellschaft Böhmens an oberster Spitze stand, handelte es sich doch um die Schwarzenbergs aus Worlik (Orlík). Die im Jahr 1854 geborene Anna, somit sieben Jahre jünger als ihr Ehemann, war die älteste Tochter von Karl III. Joseph Adolph zu Schwarzenberg und Wilhelmine Marie, geborene zu Öttingen-Wallerstein. Die Vorgeschichte der Eheschließung von Franz Thun und Anna Schwarzenberg ist kurz und vom Gesichtspunkt der Gewohnheiten des böhmischen Adels aus gesehen geradezu paradigmatisch. Bis Februar 1874 findet sich in der umfangreichen Korrespondenz kein Hinweis auf die Beziehung zwischen Franz Thun und Anna Schwarzenberg. Zieht man das reiche gesellschaftliche Leben des böhmischen Adels in Betracht dann ist es durchaus möglich, dass sie sich bei einer der vielen Gelegenheiten – einer Soiree, einem Hausball, einer Theatervorstellung oder bei einem der oftmaligen Besuche – kennengelernt haben. Die Beziehung musste jedoch offiziell bekannt gegeben werden, was am 20. Februar 1874 erfolgte.29 Dieser Vorgang stellte im Leben von Franz und Anna sowie für die beiden aristokratischen Familien etwas Grundlegendes dar. Welche Bedeutung die beiden diesem Datum beimaßen, zeigt auch der Umstand, dass sie den 20. Februar im Laufe ihrer gemeinsamen Ehejahre ebenso wie einen Geburtstag, einen Namenstag oder den Hochzeitstag feierten. Gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Verlobung wurde auch das Datum für die Hochzeit festgesetzt, und zwar für den 18. Mai 1874. Die Verlobung öffnete die Schleusen – die beiden schrieben einander praktisch jeden
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Abb. 15: Fürstin Anna Thun, geborene Schwarzen berg, Frau von Franz Thun. Porträt aus den 1870er Jahren, wahrscheinlich vom Jahr der Eheschließung aus dem Jahr 1874
Kindheit und Jugend von Franz Thun
Abb. 16: Franz Thun, Porträt aus den 1870er Jahren, wahrscheinlich vom Jahr der Eheschließung aus dem Jahr 1874
Tag.30 Und die Briefe legten ein beredtes Zeugnis von ihrer Verliebtheit ab. Franz bezeichnete Anna als lieben Engel, geliebte Anna, lieber Schatz, sandte ihr Umarmungen und Küsse, bekundete, an nichts anderes als an sie denken zu können, und teilte ihr mit, dass sein Herz juble, wenn er daran denke, dass die Tage bis zur Hochzeit immer weniger würden. Ungeachtet dessen siezten sich die Verlobten bis zum Tage ihrer Hochzeit in ihren Briefen. Die Vermählung fand in der erzbischöflichen Kapelle im Prager Veitsdom statt, als Trauungspriester fungierte Kardinal Friedrich Schwarzenberg. Mit dem Tag der Eheschließung nahm der Briefwechsel ein abruptes Ende, da das neuvermählte Paar zunächst zusammen in Perutz und dann in Tetschen wohnte. Sie nahmen die Korrespondenz wieder auf, als Franz Thun an Manövern teilnahm oder wenn ihn die Ausübung seiner politischen Geschäfte nach Prag, Wien oder Budapest führte. Franz Thun berichtete seiner Frau über seine politischen Aktivitäten, er schrieb über die Probleme, mit denen er in seinen politischen Ämtern konfrontiert war, darüber, was
Franz Thun – Familienoberhaupt und Herr der Domäne
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Abb. 17: Einer der Salons des Tetschener Schlosses
sich in den politischen Gremien tat und was es im Reich, der Monarchie, Neues gab. Anna war für ihn eine Partnerin, mit der er eine intensive Korrespondenz führte. Als Franz Thun das Amt des Statthalters innehatte, nahm seine Frau die Aufgaben einer Gattin in so hoher Position wahr : Sie übte repräsentative Pflichten aus und organisierte karitative Veranstaltungen. Die Ehe blieb kinderlos, was das Eheglück von Franz und Anna sicherlich auf eine harte Probe stellte, war doch die Sicherstellung der Erbfolge der wichtigste Grund für eine adelige Eheschließung. Anna suchte daraufhin in Franzensbad (Františkovy Lázně) vergeblich nach Heilung von ihrer Unfruchtbarkeit. Franz Thun – Familienoberhaupt und Herr der Domäne
Mit dem Tod von Franz Anton Thun im Jänner 1873 trat Graf Friedrich dessen Erbe als Familienoberhaupt und als Herr des Fideikommisses an. Das bedeutet freilich nicht, dass er die ausgedehnten Güter und Besitzungen, die sich über eine Fläche von mehr als 18.000 Hektar erstreckten, allein verwaltete und zu denen eine Reihe von prosperierenden Betrieben – eine Brauerei, eine Papierfabrik, ein Elektrizitäts-
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Kindheit und Jugend von Franz Thun
Abb. 18: Letzte Ruhestätte der Tetschener Thuns – Kapelle des Hl. Johannes Nepomuk in Chrást, heute Bodenbach (Podmokly)
werk, mehrere Sägewerke – gehörten, und die in ihrer Gesamtheit die Domäne der Tetschener Thuns bildeten. Zur Bewältigung einer solchen Aufgabe fehlten ihm die entsprechenden Voraussetzungen, denn sein ganzes bisheriges Leben hatte er der Diplomatie verschrieben gehabt. Noch dazu war es um seine Gesundheit nicht zum Besten bestellt. Es hat daher den Anschein, als ob sein ältester Sohn Franz Thun im Jahr 1873 die wirtschaftliche Leitung der Domäne übernommen oder ab diesem Zeitpunkt zumindest einen gewissen Grad an Mitbestimmung ausgeübt hat. Dies geht aus einer Anmerkung in den Erinnerungen von Jaroslav Thun hervor : »Eine unbeliebte Figur war der allermächtigste süffisante Domänenrath A. E. Komers. Es war er, der die schwerfällige Administration schuf, an der wir heute noch kranken. Nach Großvaters Tod […] wurde er pensioniert, Franz übernahm die Geschäfte.«31 Ökonomierat Komers wird in der Literatur als sehr fähiger Fachmann und Mitbegründer des »Wirtschaftswunders« der Thun’schen Domäne bezeichnet, die Kritik von Jaroslav lässt sich aber nicht auf ihren Gehalt hin prüfen. Mit dem Blick auf den Inhalt der vorliegenden Biographie ist jedoch vielmehr seine Feststellung von Bedeutung, dass sich Franz Thun nach dem Tod seines Großvaters den wirtschaftlichen
Franz Thun – Familienoberhaupt und Herr der Domäne
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Abb. 19: Bruder Jaroslav Thun mit Gattin Maria, geborene Chotek.
Agenden der Domäne widmete. In seiner Korrespondenz erwähnt er in dieser Zeit etwa den Kauf von Pferden und Schafen oder fiskalische Operationen.32 Im Jahr 1881 nahmen sowohl Vater Friedrich wie auch Sohn Franz an einer Zeremonie teil, die im Zusammenhang mit der Eheschließung von Kronprinz Rudolf mit der belgischen Prinzessin Stephanie stand. Als »Kämmerer [wurde] Oberlieutnant Graf Franz Thun […] zugetheilt zu Ihrer Majestät der Königin der Belgier.«33 Vater und Sohn nahmen an der feierlichen Ankunft des Kronprinzen und seiner Gemahlin in Prag teil. Graf Friedrich wurde allerdings während des Aufenthaltes in Prag von einem, wie es Gräfin Leopoldine formulierte, »Herzkrampf«, befallen – wahrscheinlich ereilte ihn ein Herzinfarkt. Man brachte ihn nach Tetschen, aber um sein Befinden war es nicht zum Besten bestellt. Franz Thun thematisierte den Gesundheitszustand seines Vaters in jedem seiner Briefe. Am 19. September 1881 schrieb er an Anna : »Unserem Patienten geht es nach Ansicht der Ärzte entschieden besser. […] Wir Laien sehen von einer solchen Besserung freilich nichts. Er ist entsetzlich matt, und sieht elend aus. Er ist mager wie ein Skelett. Auch finden wir, dass er geistig zurückgeht.«34 Am 24. September 1881 verschied Graf Friedrich. Zwei Tage später wurde sein Sarg in einem lan-
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Abb. 20: Thun’sche Brauerei in Bodenbach, Ansicht vom Beginn des 20. Jahrhunderts
gen Kondukt zur Familiengruft in der Kapelle des Hl. Johannes Nepomuk in Chrást geleitet. Die Begräbnisfeierlichkeiten leitete Kardinal Friedrich Schwarzenberg.35 Die Nachfolge als Familienoberhaupt, Majoratsherr des Tetschener Fideikommisses und Eigentümer aller Immobilien trat Graf Franz Thun an. Auslandsreisen von Franz Thun
Reisen ins Ausland waren im 19. Jahrhundert Bestandteil der adeligen Lebensart.36 Man reiste aus Gründen der Bildung, aus Verlangen nach Erkenntnis, zur Unterhaltung ebenso wie aus kulturellen und gesundheitlichen Beweggründen (etwa in Kur bäder). Man unternahm Reisen aufgrund von gesellschaftlichen Anlässen (Verwandtenbesuche) und auch, weil es galt, das Verlangen nach Exotik und Abenteuer zu stillen. Die Kindheit von Franz Thun als Sohn eines österreichischen Diplomaten war, wie bereits ersichtlich, selbst eine einzige Reise durch Europa. Die Familie unternahm aber ebenso Reisen, die, wie wir heute sagen würden, rein touristischen Charakter hatten. Franz Thun lernte so eine Reihe italienischer Städte noch im Schulalter kennen – unter
Auslandsreisen von Franz Thun
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Abb. 21: Gebäude der Zentraldirektion der Thun’schen Gutsbesitzungen in Bodenbach, heute Regionalmuseum Tetschen
anderem Genua, Livorno, Pisa, Neapel, Albano und Rom. Als die Familie ihren Aufenthalt in St. Petersburg genommen hatte, besuchte Thun mit seiner Mutter Moskau. Auch nach der Rückkehr in die Monarchie und nach Böhmen unternahm Franz Thun von den 1860er bis in die 1880er Jahre Reisen ins Ausland. Deren genaue Anzahl lässt sich jedoch nicht ermitteln, ebenso wie sich nichts Verlässliches über deren Dauer und Zweck sagen lässt. Gräfin Leopoldine erwähnte einmal eine Reise ihres Sohnes in die Schweiz im Jahr 1867.37 In Thuns Nachlass befinden sich Schriftstücke, in denen einzelne Vertretungsbehörden – im Besonderen jene von Frankreich, Spanien und Deutschland – ihre Grenzbeamten in geradezu feierlicher Form dazu auffordern, den »Herrn Grafen Franz Thun und seine Gemahlin«38 beim Überschreiten der Grenze und bei den Zollformalitäten wohlwollend zu behandeln. Im Nachlass befinden sich auch Rechnungen diverser italienischer, portugiesischer, französischer und tunesischer Hotels. Im September 1883 teilte Franz Thun in einem Schreiben an seinen Schwiegervater Fürst Schwarzenberg39 seine Eindrücke von einem Besuch der Städte Hamburg und Lübeck mit. Über einzelne Kurzreisen der Thuns ins Ausland ist jedoch nichts Näheres bekannt.
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Dafür ist seine große Reise, die ihn vom 17. Jänner bis 11. Mai 1889 in den »Orient« führte, das heißt durch das östliche Mittelmeer und in die angrenzenden Balkanländer, sehr gut belegt. Franz Thun hat sie nämlich in einer Reisebeschreibung literarisch verarbeitet, die unter dem Titel Eine Orient-Reise erschien.40 Dabei handelt es sich um das einzige von Franz Thun verfasste literarische Werk. Der Autor des Buches bleibt rein formal anonym, als Verfasser wird jedoch »Fr. Graf Th. H.« angeführt. Wie dazu der Rezensent in der Neuen Freien Presse41 anmerkte, war eine solche »Anonymität« jedoch absolut durchschaubar. Jeder wusste augenblicklich, dass sich hinter diesen Initialen der Tetschener Majoratsherr verbarg. Wie Franz Thun im Vorwort bekannte, hatte er ein Reisetagebuch geführt, das er auf Drängen seiner Freunde veröffentlichte : »Es sind meine Reiseeindrücke, die ich Tag für Tag aufgeschrieben habe. Was ich gesehen, was ich empfunden, wie ich mich erfreut habe an der Pracht des Morgenlandes, habe ich der Feder anvertraut.«42 Thuns Text ist keine einförmige Sammlung täglich erfolgter Einträge. Der Autor liefert zahlreiche Kommentare und wertet das Gesehene, verleiht seinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck und geht dabei weltpolitischen Betrachtungen und historischen Reflexionen nicht aus dem Weg. Franz Thun wurde auf der »Orient-Reise« von seiner Frau Anna, Graf Heinrich Clam-Martinic, Graf Erwin Nostitz-Rieneck und Prinz Gottfried Hohenlohe begleitet. Die aristokratische Gesellschaft bereiste Ägypten und befuhr den Nil bis Assuan sowie den Suez-Kanal. Vierzehn Tage lang durchquerten sie Palästina, gelangten von dort in das Gebiet des heutigen Libanon und nach Syrien, setzten nach Zypern, Rhodos und zu anderen griechischen Inseln über, besuchten Smyrna, Athen, Korinth und Konstantinopel. Franz Thun, seine Frau und deren Gesellschafter reisten mit dem Schiff über das Meer und auf dem Nil, mit dem Zug, mit Pferden und auf den Rücken von Kamelen und Eseln. Am abenteuerlichsten und physisch anstrengendsten war die 39-tägige Reise mit dem Pferd durch die bergige Landschaft von Palästina und Syrien, während der sie die Nächte in Zelten verbrachten. Die zeitgenössischen Rezensenten waren voller Bewunderung darüber, dass Gräfin Anna eine derart anstrengende Reise gemeinsam mit der Gruppe von Männern unternommen hatte – eine derartige Leistung und eine solche Furchtlosigkeit waren am Ende des 19. Jahrhunderts von adeligen Damen nicht erwartet worden. Die Gräfin meisterte die anstrengende Reise und machte darüber auch Aufzeichnungen, die sich aber von denen ihres Mannes unterscheiden. Im Tetschener Archiv befindet sich ein Album mit Goldschnitt, der Eintrag auf der ersten Seite lautet : »Reisen nach Egypten, Palestina, Syrien, Smirna, Athen und Constantinopol 17 1 – 11 5 1889.«43 Dabei handelte es sich allerdings um kein Tagebuch. Auf der ganzen Reise sammelte die Gräfin sorgfältig Pflanzen, die sie in diesem Album aufbewahrte und mit einem Eintrag versah, aus dem hervorgeht, an welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt sie die entsprechende Pflanze oder das Blatt
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gefunden hatte. Das Herbarium von Anna Thun bildet einen – im wahrsten Sinne – brüchigen Anhang zur gedruckten Reisebeschreibung ihres Mannes. Bei der Orient-Reise handelt es sich allerdings nicht alleine um eine Schilderung der Erlebnisse des Autors. Thun teilt seine Anschauung über all das mit, was er auf der Reise sah und was ihm widerfuhr. Auf unverblümte Weise bezeugt er mehrmals und mit Nachdruck seine dynastische Gesinnung und lässt keinen Zweifel an seinem österreichischen Patriotismus. Fast noch am Beginn der Reise spiegelt das Tagebuch die Bestürzung Thuns über eine Katastrophe wider, die damals die Habsburgermonar chie erschütterte. Bei seiner Fahrt auf dem Nil wurden dem Ehepaar Thun am 31. Jänner 1889 zwei Telegramme zugestellt. Fürst Karl Schwarzenberg sandte an seinen Schwager den englisch-deutschen Text : »following telegram received from orlik kronprinz rudolf ploetzlich gestorben.«44 Auch Gräfin Anna erhielt ein solches Telegramm. Gräfin Silva-Tarouca, die Obersthofmeisterin von Prinzessin Stephanie, der Frau von Kronprinz Rudolf, teilte das Gleiche mit wie im vorangegangenen Telegramm : »kronprinz rudolf plötzlich verstorben.« So hat Franz Thun erfahren, dass die Monarchie ihren vermeintlich zukünftigen Thronfolger verloren hatte. Aus seinen Notizen ist ersichtlich, dass ihn, einen österreichischen Patrioten, der treu zur Monarchie stand, die Nachricht tief getroffen hat : »Uns war der Abend allerdings ein Trauerabend. Der Telegraph brachte uns die Botschaft von dem plötzlichen Tode unseres Kronprinzen ! Was für ein tiefer Schmerz erfüllt unseren allgeliebten kaiserlichen Herrn und mit ihm ganz Österreich ! Mit hervorragenden geistigen Eigenschaften ausgestattet, von edler Gesinnung, war der Thronerbe des Reiches geliebt von den Völkern, waren diese bereit, ihm, wenn er dereinst den habsburgischen Thron bestiegen hätte, die gleiche dynastische Treue, die gleiche loyale Liebe zu weihen, wie dem Vater. Jetzt hat ihn Gott zu sich gerufen und thränenerfüllten Auges steht Oesterreich an der Bahre. Armer Kaiser !«45 Eine Woche später griff er das Thema der Tragödie erneut auf, als ihm von zu Hause ein Brief mit näheren Details zugestellt wurde. Möglicherweise erhielt er durch dieses Schreiben erst Kenntnis über den Selbstmord des Kronprinzen, ein Umstand, der für den Katholiken Franz Thun sicherlich nur schwer zu akzeptieren war. Vielleicht schreibt er, als er sich erneut zur Tragödie in Mayerling äußerte, nicht über den unglücklichen Kronprinzen, sondern bedauert vor allem dessen Vater, Kaiser Franz Joseph I.: »Gott schütze und stärke unseren armen, armen Kaiser ! Gebe ihm die Kraft, dieses Unglück zu tragen ! Unsere Herzen und Gedanken sind trauernd in dem geliebten Vaterlande.«46 Bei jeder sich bietenden Gelegenheit legt Thun ein Bekenntnis seines österreichischen Patriotismus, seiner Monarchietreue und seines katholischen Glaubens ab. So ist beispielsweise Bethlehem für ihn selbstverständlich der Ort, an dem der Erlöser
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geboren wurde. Darüber hinaus aber wird er sich im dortigen Franziskanerkloster auch dessen gewahr, dass dort ein »Bild unseres Kaisers, des frommen Wohlthäters dieser Kirche, hängt.«47 Außer dass Nazaret jener Ort ist, in dem Jesus seine Jugend verbracht hat, merkt er zum Altar in der Kirche doch auch an, dass es sich um eine »Gabe unseres geliebten Kaisers« handelt.48 Zu Ostern nahmen Thun und seine Reise gesellschaft im Franziskanerkloster von Smyrna in Gegenwart des österreichischen Konsuls an einer Hl. Messe teil. An deren Ende erklingt die »Volkshymne«, also das »Gott erhalte, Gott beschütze«, und unter Abfeuern einer Ehrensalve lässt man Öster reich hochleben. Thun schritt daraufhin mit seiner Frau und seinen Reisegefährten, wie er schreibt, »durch die dichten Reihen, im freudigen Bewusstsein, Oesterreicher zu sein, treue Unterthanen unseres geliebten Kaisers«.49 Thun konnte seine pro-österreichische Haltung erneut unter Beweis stellen, als er eine Einladung des Bauleiters des Kanals von Korinth [István Türr ; Anm. d. Übers.] abwies. Dieser hatte sich im Revolutionsjahr 1848 kompromittiert und Österreich verlassen. Daraufhin hatte er Garibaldis anti-österreichischen Feldzug der italienischen Revolutionäre unterstützt und sich im Jahr 1866 »an dem Räuberzuge Klapka’s« [einer von Georg Klapka aufgestellten magyarischen Legion, die an der Seite Preußens gegen Österreich kämpfte] beteiligt.50 Der Großteil der Reiseroute führte über das Gebiet des Osmanischen Reiches. Graf Thun geht mit den dort herrschenden Verhältnissen hart ins Gericht und beurteilt sie sehr kritisch. So erwähnt er die veraltete staatliche Verwaltung, die alle Lebensbereiche erfassende Korruption – angeblich würden alle, »vom Bettler bis zum Sultan, Bakschisch nehmen« – und die Unfähigkeit, überfällige Reformen durchzuführen. Sehr direkt stellt Thun die Frage : »Wann wird endlich dieser faule Staat zusammenbrechen ?«51 Die Ablehnung des Osmanischen Reiches hat bei Franz Thun auch eine historisch-ideologische Dimension – er konnte sich nicht damit abfinden, dass der Islam Konstantinopel, die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches und der Ostkirche, beherrschte. Beim Anblick der Hagia Sophia, einer ursprünglich christlichen Kirche, die in eine Moschee umgewandelt worden war, notierte er in sein Tagebuch : »Wann wird der Halbmond, der die Kuppel krönt, wieder durch das göttliche Kreuz ersetzt werden, wann werden es Glocken verkünden, dass der Islam dem christlichen Glauben die heiligen Stätten zurückerstatten musste, welche frommer Sinn alter Zeit errichtet hatte ?«52 Beim Besuch Konstantinopels erinnert er daran, dass ein gehöriger Teil der Mili tärtradition des Habsburgerreiches in Verbindung mit dem Kampf gegen das Osmanische Reich zu sehen ist : »Unser Oesterreich ist das Bollwerk, das vor türkischer Ueberfluthung schützt. Kaiser Leopold, Prinz Eugen, Herzog von Lothringen, der tapfere Montecuccoli erscheinen Dir im Traume ; schlafe ruhig, die Macht des Halbmondes ist gebrochen, das Reich steht auf thönernen Füssen.«53
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Die Reise sollte noch länger andauern und an weitere Orte (es ist nicht bekannt, an welche) führen, aber die Nachricht über die tödliche Erkrankung von Marie Schwarzenberg, Franz und Annas Schwägerin, veranlasste das Ehepaar Thun (und vielleicht auch ihre Reisegefährten) zu einer eiligen Heimreise : Am 11. Mai passierte der Orient-Express die Grenze des Habsburgerreiches und erreichte Wien. Thuns Notizen erschienen erst im Jahr 1891 in Buchform. Die Presse widmete der Orient-Reise verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit – wovon insgesamt 18 ausfindig gemachte Rezensionen ein beredtes Zeugnis ablegen.54 Wie in der Neuen Freien Presse richtig angemerkt wurde, bestand das Interesse an Thuns Tagebuch-Reisebericht nicht darin, etwas grundsätzlich Neues über Ägypten, das Heilige Land oder das Osmanische Reich zu erfahren. Dieses war bereits touristisch erschlossen und ein durch die Beschreibung in Reiseführern zugänglich gemachtes Gebiet. Interesse rief vielmehr hervor, dass einer der führenden Aristokraten eine solche Reise unternommen und darüber ein Buch verfasst hatte. Darüber hinaus handelte es sich bei ihm um einen der höchsten staatlichen Funktions- und Würdenträger – den Statthalter in Böhmen. Die Rezensenten interessierten sich daher vor allem für seine Persönlichkeit und seine Ansichten.
Kapitel 3
Die politischen Anfänge von Franz Thun
Abgeordneter im Reichsrat
Im Jahr 1879 betrat Franz Thun im Alter von 32 Jahren das Feld der Politik und schloss sich der Vereinigung der konservativen Großgrundbesitzer an. Im Jahr 1879 fanden Wahlen zum Abgeordnetenhaus des Reichsrates statt. Franz Thun kandidierte und engagierte sich im Wahlkampf. Er trat als Mitglied des Patriotisch-conservativen Wahl-Comités für die deutschen Reichsraths-Wahlbezirke in Böhmen an und eine Reihe von Wahlaufrufen trägt seine Unterschrift.55 Höchstwahrscheinlich hat er diese Aufrufe nicht nur unterschrieben, sondern sich an deren Abfassung auch als Autor beteiligt : Dies geht aus manchen der Wahlaufrufe des konservativen Großgrundbesitzes hervor, die sich im Tetschener Archiv befinden, auf denen offenbar Anmerkungen, wahrscheinlich sogar Korrekturen, von Thun zu lesen sind. In den Proklamationen wurden die regierenden deutschen Liberalen scharf angegriffen und beschuldigt, dass ihre Regierung anstelle des versprochenen wirtschaftlichen Aufschwungs einen beispiellosen Bankrott (gemeint ist der Börsenkrach vom Mai 1873) und eine Schwächung der Monarchie gebracht habe : »Die Kraft der Monarchie, die uns allen wert und teuer ist, habt Ihr geschwächt. Während der Zeit Eurer Regierung wurde die Monarchie in zwei Hälften zerrissen, die sich beide behindern, anstatt sich zu unterstützen. Der Konflikt zwischen den österreichischen Nationalitäten nahm an Schärfe immer mehr zu.«56 Diese Proklamation definiert die Grundsätze der konservativen Politik : »1. Unwandelbare Anhänglichkeit an Kaiser und Reich, Wahrung und Stärkung der Macht-Stellung der Gesamt-Monarchie. 2. Bekämpfung sämtlicher religionsfeindlicher Bestrebungen und Einstehen für die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche, inbesondere auf dem Gebiete der Ehe und Schule. 3. Entwicklung der Verfassung in der Richtung, dass das Institut der Delegationen möglichst gekräftigt werde, und dass gegenüber der bestehenden ungarischen Verfassung der Einfluß der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder zur Geltung komme. 4. Herstellung des Friedens unter den Völkern Oesterreichs, daher Durchführung der gewährleisteten Gleichberechtigung der Nationalitäten und Schutz nationaler Minoritäten.
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5. Wirksame Vertretung der Interessen der eigentlich produktiven Volksklassen (des Grundbesitzes, des Gewerbestandes und der Industrie) gegenüber der schrankenlosen Ausbeutung durch das bewegliche Kapital.«57 Graf Franz Thun wurde im Juni 1879 in der Kurie des Großgrundbesitzes in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates gewählt. Er wurde somit Abgeordneter und nahm am 16. Oktober 1879 an der feierlichen Eröffnung des Reichsrates in Wien teil. Der Zeitpunkt seines Eintritts markierte einen Wendepunkt : Nach langen 16 Jahren kehrten die böhmischen Abgeordneten, nachdem sie zuvor eine Obstruktionspolitik betrieben hatten, wieder auf die Abgeordnetenbänke zurück, Franz Thun war als Mitglied der Gruppe der Großgrundbesitzer mit Graf Heinrich Jaroslav Martinic Mitglied des Tschechischen Klubs. Zu diesem hatten sich 28 Abgeordnete der Alttschechen, sechs Abgeordnete der Jungtschechen, zehn Abgeordnete aus Mähren und zehn aus den Reihen des konservativen Adels zusammengeschlossen. Die ideologische Grundlage des inhomogenen Tschechischen Klubs sollte das böhmische Staatsrecht sein. Unter dem sogenannten »Staatsrechtlichen Protest«, den 43 Abgeordnete aus dem Königreich Böhmen vorgebracht hatten, befindet sich auch die Unterschrift von Graf Franz Thun, während die gleiche, im Herrenhaus zur Verlesung gebrachte Erklärung zusammen mit weiteren vier Aristokraten auch von Franz’ Vater, Graf Friedrich Thun, unterzeichnet wurde. Franz Thun trat im Abgeordnetenhaus (und in der Politik) zusammen mit anderen tschechischen Abgeordneten in Erscheinung. Am meisten kam ihm die Position der alttschechischen Abgeordneten entgegen. Einigen von ihnen, wie etwa mit Karel Mattuš und Antonín Zeithammer, blieb er durch eine lebenslange Freundschaft verbunden. Noch in den Jahren 1915–1916 dachte der damals bereits schwerkranke Franz Thun in seinen Briefen an das erste Zusammentreffen mit diesen Politikern im Jahr 1879 zurück.58 František Ladislav Rieger brachte er bei jeder Gelegenheit Sympathie und Hochachtung entgegen.59 Vor allem nachdem Rieger seine Position als »Führer der Nation« eingebüßt hatte und sich einer Diskreditierungskampagne der Jungtschechen ausgesetzt sah, äußerte sich Thun dahingehend, dass die Tschechen ihren besten Leuten nur Undank entgegenbrächten. Herrenhaus und Delegation
Franz Thun blieb nicht lange Mitglied des Abgeordnetenhauses. Im September 1881 verschied sein Vater. Graf Franz Thun trat dessen Nachfolge als Tetschener Majoratsherr an und wurde als solcher Mitglied des Herrenhauses. Wie aus einem Brief an seine Frau Anna vom 11. November 188160 hervorgeht, verlagerte sich ein beträchtlicher Teil seiner Aktivitäten nach Wien – wo er sich eine Wohnung mietete. Das Herrenhaus entsandte ihn in die Delegationen. Dabei handelte es sich um Ausschüsse, die separat voneinander in Wien und in Budapest zusammentraten und die mit
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Die politischen Anfänge von Franz Thun
Vertretern aus beiden Häusern der beiden Parlamente der zwei Reichshälften – Öster reich (Cisleithanien) und Ungarn (Transleithanien) – beschickt wurden. Hier wurde über die »gemeinsamen Angelegenheiten«, das heißt über die Außenpolitik und das Militär (und die das Gesamtreich betreffenden finanziellen Angelegenheiten) beraten, also über Themen, die der Herrscher als seine eigene Domäne erachtete. Franz Thun stieg so in die Kreise der hohen Politik auf und hatte direkten Kontakt mit den »allerhöchsten« Stellen, vor allem mit dem Kaiser selbst. So schrieb er etwa Anna nach Tetschen : »Um 6 Uhr war grosses Delegationsdinner beim Kaiser : etliche 80 Personen im Rittersaale […]. Hier angekommen, rief man mich, um möglichst schnell in die Hofburg zu kommen. Ich wurde gleich vorgelassen. Der Kaiser war sehr gnädig und frug mich nach allen möglichen wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen Böhmens.«61 Im Jahr 1886 stieg Thun in den Delegationen zum Referenten für den Haushaltsplan des Außenministeriums auf. Seinen Berichten widmete er große Aufmerksamkeit und absolvierte für deren Erstellung ein hohes Arbeitspensum, was sich in seinen Briefen widerspiegelt, die er einerseits seiner Frau nach Tetschen, andererseits seinem Bruder Jaroslav nach Kwassitz sandte. So schrieb er beispielsweise am 7. November 1886 von der Sitzung der Delegationen in Budapest : »Ich bin bei der Arbeit, bin soeben mit dem Theil meines Berichtes, der sich auf das eigentliche Budget bezieht, im Grossen und Ganzen fertig. Jetzt wird nur noch daran herumgefeilt und über einzelne Partien Erkundigungen eingeholt und Aufklärungen verlangt. […] Da mir das ganze Ressort fremd ist, will ich mich doch wenigstens so orientieren, daß ich in allen Details Rede und Antwort stehen kann.«62 Rund vierzehn Tage später, am 23. November, schrieb er an seinen Bruder Jaroslav : »In der letzten Zeit musste ich mit vermehrter Anstrengung arbeiten. Mein Bericht wurde im Ausschuss angenommen und es wurde ihm von allen Seiten, von rechts wie von links, die größte Anerkennung zuteil.«63 Franz Thun stellte den Bericht des Budgetausschusses über den Budgetentwurf des Außenministeriums fertig und brachte ihn in Gegenwart des Kaisers im Plenum der Delegationen ein. Er liegt auch in gedruckter Form vor, neben Franz Thun als Referenten wurde er vom Vorsitzenden des Budgetausschusses, Graf Falkenhayn, unterzeichnet.64 Wie zu erwarten war und wie es in den Delegationen als übliche Gepflogenheit galt, zollte der Bericht der Politik des Außenministers Graf Kálnoky – was letztlich die Politik des Kaisers meinte – Beifall und lobte dessen Führungskompetenz. Franz Thuns Arbeit war von Erfolg gekrönt. In den folgenden drei Jahren wurde er wiederholt mit der Vorbereitung des Berichts des Budgetausschusses betraut, da er unter Beweis gestellt hatte, der Arbeitsroutine der Delegation gewachsen zu sein. Und – was für seine zukünftige politische Karriere von Bedeutung war – er hinterließ bei Franz Joseph einen positiven Eindruck, der seinen Namen – bewusst oder unbewusst – fortan in der Kategorie »Männer mit Zukunft« führte, als einen, der sich auf die Politik verstand.
Herrenhaus und Delegation
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Abb. 22: Porträt von Franz Thun vom Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn im Jahr 1879
Eine Passage im Nekrolog des Brünner Politikers und Abgeordneten Adolf Stranský, der am 5. November 1916 in der Zeitung Lidové Noviny [Volkszeitung] veröffentlicht wurde, gibt darüber Aufschluss, wie Thuns Auftreten vor allem durch die außergewöhnliche Vortragsform die Aufmerksamkeit seiner Umgebung erregte : »Im Tun und Handeln des Fürsten Thun war nichts Affektiertes oder Gekünsteltes. Der Pathos in seinen Reden wirkte natürlich, selbst dann, wenn er sich einer erlernten Sprache bediente. Ich erinnere mich daran, wie er einmal als Leiter einer Delegation, umgeben von allen Angehörigen dieser Abordnung, in der kaiserlichen Burg eine der üblichen Reden an den vor seinem Thron stehenden Kaiser hielt. Diese ziemlich lange und beschwingt vorgetragene Rede hielt Thun ganz frei und brachte sie mit einem solchen Elan und auf so natürliche Art und Weise zu Gehör, dass der Monarch davon sichtlich tief beeindruckt war. Die feierliche Ansprache des Delegationsleiters durfte mit keinem Wort von jenem Konzept abweichen, das mit dem Außenminister vorab vereinbart worden war, da die Antwort des Monarchen genau dazu passte. Thun bewältigte seine Aufgabe auf eine Art, die Bewunderung hervorrief, nicht nur wegen seines guten Gedächtnisses, sondern auch für die Schneid seines Vortrages.«65
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Die politischen Anfänge von Franz Thun
Böhmischer Landtag
Nachdem das Mandat im Herrenhaus sowie die Zugehörigkeit zu und seine Aktivitäten in den Delegationen Franz Thun nach Wien und Budapest geführt hatten, wurden die Stationen seiner politischen Laufbahn im Jahr 1883 um eine weitere – Prag – erweitert. Die Regierung hatte im Mai 1883 den Landtag vorzeitig aufgelöst und für Ende Juni Neuwahlen ausgeschrieben. Franz Thun kandidierte, selbstverständlich in der privilegierten Kurie des Großgrundbesitzes – und wurde gewählt. Auch seine »Partei« (oder eher : seine Wahlgruppierung) des feudal-konservativen Großgrundbesitzes trug den Sieg davon und konnte daher gegenüber dem konkurrierenden Verfassungstreuen Großgrundbesitz (auch : Vereinigung der verfassungstreuen Großgrundbesitzer) eine zahlenmäßige Überlegenheit ausüben. Angesichts der Tatsache, dass der konservative Großgrundbesitz politisch einen pro-tschechischen Kurs unterstützte, veränderte sich auch die Zusammensetzung des Landtages : 165 tschechischen bürgerlichen Abgeordneten (Alttschechen und Jungtschechen) sowie konservativen Großgrundbesitzern standen 75 deutsche Abgeordnete (bürgerliche und verfassungstreue »deutsche« Großgrundbesitzer) gegenüber.66 Der Einzug von Franz Thun in den böhmischen Landtag (der die offizielle Bezeich nung »Landtag des Königreiches Böhmen« trug) vollzog sich genau zu jenem Zeitpunkt, als dort die Tschechen erstmals die Mehrheit erlangt hatten. Die deutschböhmischen Abgeordneten konnten sich nicht mit der Tatsache abfinden, nunmehr in der Minderheit zu sein, und in einer heftigen Debatte tauchte der Gedanke einer »Zweiteilung« Böhmens auf, die als Idee der deutsch-böhmischen Politik bis zum Jahr 1918 nichts an Aktualität und Sprengkraft verlieren sollte. Dagegen trat nicht nur die tschechische bürgerliche Politik, sondern auch der böhmische konservative Adel auf. Im böhmischen Landtag protestierten sowohl Franz’ Schwiegervater Fürst Karl Schwarzenberg als auch sein Onkel Graf Leo Thun gegen die »Zerreißung des Landes«, wie darüber der Schwiegersohn und Neffe Franz Thun in einem Brief an seine Frau nach Tetschen berichtete.67 Franz Thun, Repräsentant einer neuen Politikergeneration, übte angeblich neben Karl Schwarzenberg und Richard Clam-Martinic die politische Führungsrolle innerhalb der böhmischen Konservativen aus. Sein Name wird als Mitglied des Ausschusses der konservativen Großgrundbesitzer im Königreich Böhmen angeführt ; er verfasste deren Statut und nahm Anteil an der redaktionellen Bearbeitung ihrer Wahlerklärungen. Überdies ist auf vielen Aufrufen des konservativen Großgrundbesitzes als Kontaktadresse »Graf Franz Thun, Zentral-Büro, in der Thun-Straße Nr. 193-III« an geführt.68 Franz Thun war überdies in einem Organ des Landtages für landwirtschaftliche Angelegenheiten tätig, dem Landes-Culturrath für das Königreich Böhmen, dessen Vor-
5. Oktober 1888 : Thuns große politische Rede
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sitz sein Schwiegervater Karl Schwarzenberg führte. Dort zeichnete er sich durch großen Fleiß aus, oftmals fungierte er auch als sachverständiger Experte. Im Jahr 1886 bereitete er eine kleine Fachpublikation über die Verwendung von Torf in der Landwirtschaft vor, die auch gedruckt wurde.69 Thun führt darin die von ihm zu Rate gezogene Literatur an, benennt Orte, an denen er den Einsatz von Torf erprobt hat, beschreibt eigene Züchtungserfolge, fasst die Erfahrungen mit dessen industrieller Verarbeitung und Verwendung als Dünger bei verschiedenen Bodentypen zusammen. Im Jahr 1887 bereitete Franz Thun eine weitere Analyse vor, die ebenso publiziert wurde. Sie war juristischen Charakters und bezog sich auf drei Gesetzesvorlagen der Regierung über die Zusammenlegung von landwirtschaftlichen Nutzflächen und Wäldern.70 5. Oktober 1888 : Thuns große politische Rede
Ab dem Beginn seines öffentlichen Wirkens im Jahr 1879 erfolgte Thuns politische Etablierung in mehreren Bereichen. Innerhalb des konservativen Großgrundbesitzes galt er als agiler und fähiger Vertreter einer neuen Generation dieser Gruppierung, die zwar nur über eine geringe Anzahl von Mitgliedern und eine kleine Wählerbasis verfügte, aber einen umso größeren politischen Einfluss geltend machen konnte. Als Politiker blieb Franz Thun allerdings einer breiteren Öffentlichkeit zunächst unbekannt. Eine schärfere Profilierung erfolgte erst durch eine während der 13. Sitzung des böhmischen Landtages am 5. Oktober 1888 gehaltene Rede, die einen großen medialen Widerhall erfuhr und mit der er sich in der Generaldebatte zum Budget zu Wort meldete.71 In seiner Einführung dementierte er Zeitungsberichte im Hinblick auf Spaltungen im Klub des konservativen Großgrundbesitzes. Sein Dementi beendete er mit einer feierlichen Proklamation der politischen und ideologischen Prinzipien, zu denen sich der böhmische konservative Großgrundbesitz bekannte : »Der konservative Großgrundbesitz respektive der Klub des konservativen Großgrundbesitzes in Böhmen steht einig da, er verfolgt nach wie vor dieselben Ziele ; er bekämpft die liberalen Prinzipien, wo er ihnen begegnet, weil und insoweit er sie für das Wohl des Staates und des Landes als gefährlich erachtet. Er tritt ein für die Gleichberechtigung der Völker der Monarchie, weil er dadurch nicht nur den staatsgrundgesetzlichen Prinzipien treu bleibt, sondern weil er auch voll überzeugt ist, dass die Völker dieser Monarchie nur dann glücklich sein können und sich freudig als Theile der Monarchie betrachten können, wenn diese ihnen garantierte Gleichberechtigung eingehalten wird. Aber ebenso positiv muss der konservative Großgrundbesitz des Königreiches Böhmen allen extremen nationalen Tendenzen entgegentreten. In den hitzigen Nationalkämpfen ist es Aufgabe des konservativen Großgrundbesitzes mäßigend zu wirken und er wirkt in Bethätigung dieser Mäßigung meiner Ueberzeu-
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gung nach innerhalb der Pflicht, die er hat, treu zu sein dem angestammten Herrscher, treu zu sein dem Staate, dem Lande.«72 Im weiteren Verlauf seiner Rede wandte sich Thun gegen die deutsch-böhmische Politik, die seit dem Jahr 1886 ihre Mitarbeit im Landtag ausgesetzt hatte (da sie sich nicht mit ihrer Minderheitenposition abfinden wollte) und bedauerte, dass es dem Vorsitzenden des Landtages, Oberstlandmarschall Fürst Georg Christian von Lobkowicz, in seinen Verhandlungen mit Repräsentanten der deutsch-böhmischen politischen Abgeordneten nicht gelungen war, diese zur Rückkehr in den Landtag zu veranlassen. Thun war der Meinung, dass die Unnachgiebigkeit der deutschen Seite zum Abbruch der Verhandlungen geführt hatte, und richtete seine Kritik an den Führer der liberalen Deutschen in Böhmen und ganz Cisleithanien, Ernst Plener, dem er Intoleranz vorwarf. Thun charakterisierte die konservative Politik als ruhig, pries ihre konstruktive Kraft, deren Absicht der Ausgleich zwischen den Nationalitäten sei und sah sie in Opposition zum radikalen bzw. unmittelbar extremen Nationalismus : »Mir würde es scheinen, dass alle ruhigen und konservativ denkenden Elemente des Landes von beiden Seiten sich zusammenfinden sollen im Kampfe gegen die extremen Elemente, die auf beiden Seiten bestehen. Wir wollen kein weiteres Vorgreifen und Übergreifen des nationalen Prinzips, wir wollen ein friedliches Nebeneinanderleben und Nebeneinanderbestehen beider Nationalitäten. Wir wollen nicht das Spiel von Hammer und Amboss. Wir wollen daher auch keinen Übergriff weder von der einen, noch von der anderen Seite. Die geistige Entwicklung der Nationalitäten soll ruhig fortschreiten auf den Bahnen, auf denen sie bereits fortgeschritten ist im Interesse der kosmopolitischen Kultur. Alle Völker der Erde sollen wetteifern um die Palme der Wissenschaft ; aber das Gegeneinanderhetzen und das Aufwiegeln beider Volksstämme gegeneinander, das müssen wir meiner Ansicht nach verachten und die zugleich, die in diesem Handwerk arbeiten (Ausgezeichnet !).«73 Im weiteren Verlauf seiner Rede griff Franz Thun die Pressevertreter an und beschuldigte sie, einen radikalen Nationalismus zu verbreiten. Er ging mit der »Lokalpresse«, also dem weit verbreiteten provinziellen Journalismus, hart ins Gericht, dem er »Terrorismus« und »Verhetzung« zur Last legte und ihn der Verbreitung von Verleumdungen, der Beschmutzung aller Werte sowie der Schmähung religiöser Gefühle der katholischen Bevölkerung bezichtigte. Thun verwendete für diese Journalisten den Begriff »Vampire«, ein Begriff, der in der damaligen Polemik eine gewisse – wenn auch zweifelhafte – Berühmtheit erlangte. Einem »großen Teil der Lehrerschaft« warf Thun vor, politische und nationalistische Agitation zu betreiben und »das Gift der nationalen Gehässigkeit in die zarten Herzen der Kinder« zu pflanzen.74 Seine Rede schloss der Abgeordnete Thun mit einer Passage, die vor allem die deutsche Politik und Publizistik gegen ihn aufbrachte und die ihm später, bereits
5. Oktober 1888 : Thuns große politische Rede
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als Statthalter des Königreichs Böhmen, den Beinamen »Krönungsstatthalter« einbrachte : »Ich kann nicht schließen, meine Herren, ohne nicht noch eines Vorwurfes zu gedenken, dem man jetzt sehr häufig begegnet und den neuerlich auch Herr von Plener erhoben hat. Wir wünschen und erhoffen die Krönung unseres Königs. Das ist ein Verbrechen. Ja, meine Herren, dieses Verbrechen begehen wir, wir begehen es aber mit der vollsten Überzeugung und mit dem innig seienden Bewusstsein dynastischen Gefühles, welches an der Liebe des Volkes zu seinem Könige nichts ändert. Jedes Volk hängt an den Erinnerungen aus seiner Geschichte ; das ist natürlich, das ist das Leben des Volkes. Jahrhunderte hindurch ist Böhmen glücklich unter dem Szepter der Habsburger, 40 Jahre glücklich unter der weisen Leitung Sr. Majestät. Möge die Salbung und Krönung mit der Krone des heiligen Wenzels die Bande noch inniger schließen, die den geliebten Monarchen, den geliebten Herrscher mit seinem treuen Volke verbinden ! Das walte Gott !«75 Die von Graf Franz Thun am 5. Oktober 1888 bei einer Sitzung des böhmischen Landtages gehaltene Rede fand in der deutschsprachigen wie auch in der tschechischen Presse einen entsprechenden Widerhall. Für die deutschsprachige Presse stand Thuns Rede für die Verbindung zwischen der »feudalen Moderne« mit den Tschechen. Am meisten aber echauffierten sich die deutschsprachige Journalistik und die deutsche Politik über Thuns Wunsch nach der Krönung des Kaisers mit der Krone des Heiligen Wenzel, da sie es mit dem verhassten böhmischen Staatsrecht und der Föderalisierung der Monarchie in Verbindung brachte. Diese Vorhaltungen wurden ihm auch weiterhin gemacht, und als Graf Thun noch vor Jahresfrist das Amt des Statthalters antrat, hatten sie für ihn bereits den Beinamen »Krönungsstatthalter« parat.76 Auf der tschechischen Seite begrüßten die alttschechischen Politiker und die Presse Thuns Rede : Ihnen sagte natürlich vor allem der Gedanke über die Krönung von Franz Joseph in Prag am meisten zu. Demgegenüber erregte die Rede die Gemüter der Jungtschechen. Diese protestierten vor allem gegen Thuns Ausfälle gegen den Liberalismus, den extrem nationalen Journalismus und die nationale Agitation der Lehrerschaft. Der Abgeordnete Josef Herold bezeichnete Thuns Rede als zu extrem, da er gegen die bestehenden Verhältnisse agitierte. Die tschechische Nation, behauptete Herold, werde »den Boden der Freiheit und des Fortschritts nie verlassen«.77 Thuns Thesen mussten freilich den Widerstand der Jungtschechen hervorrufen, da diese mit den Alttschechen um die Führung der tschechischen Politik ritterten. Die Jungtschechen attackierten deren Bündnis mit dem konservativen Adel, da sich Thun in seiner Rede auch für eine Allianz auf konservativer, antiliberaler und antinationaler Grundlage ausgesprochen hatte.
Kapitel 4
Die erste Statthalterschaft von Graf Franz Thun
Eine »besondere Gesellschaft« im Aufwind
Wusste oder zumindest ahnte Franz Thun, welche Lebenswende ihm noch bevorstand, als er mit dem Orient-Express von seiner exotischen Reise zurückkehrte ? Er beeilte sich, zusammen mit seiner Frau Anna in seine »engere« und »weitere« Heimat, wie man damals sagte (d. h. nach Böhmen und in die Habsburgermonarchie), zurückzugelangen, um am 14. Mai 1889 in Worlik am Begräbnis von Fürstin Marie Schwarzenberg, geborene Gräfin Kinsky, der Gemahlin von Karl Schwarzenberg, teilnehmen zu können. Bei diesem handelte es sich um den Bruder seiner Frau, somit also Franz Thuns Schwager.78 Am 19. Mai 1889 traten Franz Thun und Anna im mährischen Kwassitz einen fünftägigen Aufenthalt bei Jaroslav Thun und dessen Frau Maria, eine geborene Gräfin Chotek, an, die von der Familie und von Freunden für gewöhnlich »Ritschel« genannt wurde.79 In der Familie des jüngeren Bruders hatte sich nämlich ein freudiges Ereignis zugetragen : Nach der Geburt des erstgeborenen Sohnes, der im März 1888 zur Welt gekommen und nach nur einem Tag verstorben war, erblickte am 16. April 1889 eine gesunde Tochter das Licht der Welt, die – nach der Großmutter – den Namen Leopoldine tragen sollte. Getauft wurde das Kind mit Wasser aus dem Fluss Jordan – Franz Thun hatte seinerzeit drei mit seinem Siegel verschlossene Flaschen aus Palästina mit dem Wunsch übersandt, »damit das Kindchen, was Euch Gott schenken wird, mit Wasser aus dem Fluß getauft werde, in welchem unser Heiland die Taufe empfing.«80 Für Franz und Anna Thun, die sehr unter ihrer Kinderlosigkeit litten, stellte die Geburt eines Kindes ein herausragendes Ereignis dar, denn damit wuchs eine neue Generation des Tetschener Zweiges der Thun-Hohenstein heran. Auch später, als Jaroslav und Ritschel fünf weitere Kinder geboren wurden, brachte sich Gräfin Anna nach Kräften bei deren Erziehung ein. Ansonsten war der Aufenthalt in Kwassitz mit Erzählungen von ihrer gemeinsamen Reise ausgefüllt, die, wie Jaroslav notierte, sehr unterhaltsam waren. Von Kwassitz brach das Ehepaar höchstwahrscheinlich in das heimatliche Tetschen auf, aber bereits im letzten Drittel des Juni 1889 war Graf Franz Thun wieder nach Wien und zur Politik zurückgekehrt. Wie auch in den letzten Jahren nahm er an Sitzungen der österreichisch-ungarischen Delegationen teil und erarbeitete Berichte
Eine »besondere Gesellschaft« im Aufwind
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über das Budget des Außenministeriums. Wie aus einem an seine Frau in Tetschen gerichteten Brief hervorgeht, unterhielt sich der Kaiser mit ihm bei einem Cercle, also einem Gespräch des Kaisers mit einzelnen Abgeordneten, verhältnismäßig lange. Für den aufmerksamen Beobachter war das bereits ein wichtiges Signal. Neben dem Gespräch über die Situation im Ausland, das sich – wie so oft – auf den Balkan fokussierte, erörterte der Kaiser auch die innenpolitische Situation und brachte die Unterhaltung auf ein Thema, das geeignet war, die politische Landkarte Österreichs zu verändern – das politische Erstarken der Jungtschechen : »Dann streift die Conversation das innere Gebiet […], die bevorstehenden Wahlen, die Agitation der Jungčechen, die voraussichtlichen Wahlerfolge derselben.«81 Ob der Kaiser bereits zu diesem Zeitpunkt erwog, den Tetschener Majoratsherrn zum Chef der politischen Verwaltung in Böhmen zu ernennen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dass aber bereits seit Anfang 1889 über eine Ablöse des böhmischen Statthalters nachgedacht wurde, gilt hingegen als gesichert. Dieses Amt hatte damals Alfred von Kraus inne und Ministerpräsident Taaffe mutmaßte offenbar über die Ernennung eines neuen Statthalters, wahrscheinlich deshalb, weil er den wachsenden Einfluss der Jungtschechen fürchtete und dachte, dass Böhmen eines »stärkeren Statthalters« bedürfe. Es deutet einiges darauf hin, dass Taaffe dieses Amt zunächst einem Hocharistokra ten wie Fürst Georg Lobkowicz, dem Oberstlandmarschall, angetragen hat. Lobkowicz antwortete dem Ministerpräsidenten am 20. Februar 1889 mit seinen umfangreichen Vorstellungen, und zählte auch auf, unter welchen Umständen er bereit wäre, das Amt des Statthalters zu übernehmen. Taaffe – oder vielleicht auch der Kaiser allein – entsprach den Vorstellungen von Lobkowicz jedoch nicht, weshalb über seine Kandidatur kein weiteres Aufsehen gemacht wurde. Der Ausgang der regulären Wahlen zum böhmischen Landtag bot die Ausgangslage dafür, dem Ansinnen wieder Aktualität zu verleihen, die Position des Leiters der Landesverwaltung des Königreichs Böhmen neu zu besetzen. Die Jungtschechen waren mit einem überraschenden Erfolg aus der Wahl hervorgegangen. Neben 58 alttschechischen sollten im neu gewählten Landtag 39 jungtschechische Abgeordnete ihr Mandat ausüben.82 Die Regierung war bestürzt – der Aufstieg der »extremen« Jungtschechen bedrohte das ganze politische System des »Eisernen Rings der Rechten«, dessen unverzichtbaren Teil die Alttschechen bildeten. [Ministerpräsident Taaffe stützte sich auf konservative, klerikale und slawische politische Kräfte, die seine Regierung als »Eiserner Ring« unterstützten ; Anm. d. Übers.] Auch der Kaiser war betroffen und zeigte sich empört. Am 11. Juli 1889 kommentierte er die Ergebnisse in einem Abgeordneten-Cercle wie folgt : »Der Umfang dieser Angelegenheit hat mich überrascht, es stellt der Intelligenz der ländlichen Bevölkerung in Böhmen ein Armutszeugnis aus, sich mit reinen Phrasen zu einem solchen
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Extremismus treiben zu lassen. Damit ist eine ganz besondere Gesellschaft an die Oberfläche getreten. […] Dagegen muss man entschieden vorgehen.«83 Ob der Wahlerfolg der Jungtschechen den unmittelbaren Anlass zum Wechsel an der Spitze der böhmischen Landesverwaltung gab, lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen. Viele gut informierte Zeitgenossen stellten jedoch einen direkten Zusammenhang her. Ministerpräsident Taaffe bestellte Franz Thun in einem offiziellen Schreiben84 vom 24. August 1889 für den folgenden Tag um 13.00 Uhr in die Hofburg. Der Kaiser forderte Thun auf, das Amt des böhmischen Statthalters zu übernehmen. Exzellenz und »Geheimer Rath« Graf Thun
Das kaiserliche Ernennungsdekret trägt das Datum vom 6. September 1889. Gleichzeitig mit der Ernennung zum Statthalter des Königreichs Böhmen wurde an Franz Thun – unter Erlass der Gebühren – der Titel Geheimer Rath verliehen.85 Außerdem stand Thun als Statthalter, ebenso wie auch Ministern und Botschaftern, die Anrede »Exzellenz« zu. Diese galt auch für seine Frau und so witzelte Franz Thun, gleichwohl euphorisch aufgrund der Übernahme dieses hohen Amtes, in seinem ersten Brief, den er als Statthalter von Prag aus an seine Frau in Tetschen sandte : »Euere Excellenz ! Hoch verehrte Frau Gräfin ! Liebester Schatz !«86 Im gleichen Geist scherzte auch sein Bruder Jaroslav, als er an Anna Thun schrieb : »Liebe Excellenz Schwägerin ! […] Ich kann gar nicht sagen, wie Du besonders mir leid thust und wenn ich auch weiß, wie sehr Dich die Excellenz beglückt, so mußt Du doch das allergrösste Opfer bringen, Deine Dir liebgewordene Existenz aufgeben ! Du wirst Deinen Lohne aber finden in den Erfolgen, die mit Gottes Hilfe Franz in seinem Amte ernten wird. Hat er einmal die Schwierigkeiten überwunden, so wird er gewiss seine festen, sich selbst gesteckten Ziele erreichen […] und wird vielleicht einst berufen sein, noch grössere Dienste seinem Kaiser zu leisten. Und wir werden dann stolz sein mit Dir, liebe Anna, auf ihn ! Gott gebe seinen Segen !«87 Die öffentliche Meinung und der neue Statthalter
Mit Begeisterung begrüßte die konservativ und katholisch (»klerikal«) orientierte Presse den neuen Statthalter. Sie schrieb ausführlich über die konservative Tradition der Familie (Erwähnung fand hauptsächlich Thuns Onkel Leo), über die Verbundenheit Thuns und die seiner Vorfahren mit den geistigen Interessen des Reiches und von Böhmen – so wurde er als ein »Sohn dieses Landes« charakterisiert –, über Thuns moralische Qualitäten und seinen Gerechtigkeitssinn, über seine Fähigkeiten, die er bereits unter Beweis gestellt hatte. Thun sei einfach der richtige Mann für eines der bedeutendsten Ämter der Monarchie. Das konservative Blatt Das Vaterland erwartete
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Abb. 23: Thuns Untergebene – Beamte der böhmischen Statthalterei in ihren Uniformen, Aufnahme aus dem Jahr 1894
von Thun historische Maßnahmen bei der Lösung des Nationalitätenkonflikts, von dem das Königreich Böhmen erschüttert wurde. Es schrieb über ihn : »Er wie alle anderen nicht von nationalen Vorurtheilen beherrschten Leute kennen Böhmen nur als ein Land, das zwar von zwei verschiedenen Nationalitäten bewohnt ist, deren wechselseitige Beziehungen und Interessen aber durch eine tausendjährige Geschichte solidarisch und unlösbar geworden sind. Die Thatsache der nationalen Verschiedenheit mit der historischen und thatsächlichen Interessen[s]solidarität der beiden Nationalitäten, sowie mit der Reichseinheit im Einklange zu erhalten oder wieder in Einklang zu bringen, das will uns heute als die Aufgabe des Statthalters von Böhmen erscheinen.«88 Mit – wenn auch gedämpfter – Sympathie begrüßte die dem politischen Spek trum der Alttschechen zuzurechnende Presse den neuen Statthalter. Franz Thun war als Mitglied des konservativen Großgrundbesitzes Mitglied des Tschechischen Klubs und Mitglied des »Eisernen Rings der Rechten«, also ein politischer Verbündeter. Darüber hinaus stand er auch im Ruf, Autonomist, Föderalist und sogar böhmischer Staatsrechtler zu sein – hatte er doch im Oktober 1888 im Landtag seinen Wunsch
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zum Ausdruck gebracht, dass die Krone des Heiligen Wenzel auf dem Haupt Franz Josephs ruhen möge. Seitens der alttschechischen Presse schwang überdies die Hoffnung mit, dass der neue Statthalter die »radikalen Elemente«, d. h. die Jungtschechen, unterdrücken möge, welche die Alttschechen um ihre politische Vormachtstellung gebracht hatten. Jene an die Macht drängenden Konkurrenten der Alttschechen, die Jungtschechen, brachten Thun in ihren »Begrüßungen« einen überaus feindseligen Ton entgegen.89 Für sie galt er als Repräsentant einer politischen Machtkonstellation – die Verbindung von Alttschechen und böhmisch konservativem Adel –, gegen die sie zu Felde zogen. Sie erinnerten daran, dass Thun ein entschlossener Vertreter der »konservativen klerikalen Partei« sei und zitierten seine scharfen antiliberalen Äußerungen im böhmischen Landtag vom Oktober 1888. Der Leitartikel in der Národní listy [Volksblätter] charakterisierte ihn als deutschen Aristokraten, der Tschechisch weder schreiben noch lesen könne und der allen liberalen Grundsätzen den Krieg erklärt habe. Mit Argwohn und offener Feindschaft trat die deutsche Politik dem neuen Statthalter entgegen. Einerseits war er für die deutschen Liberalen ein Repräsentant des gegen die Deutschen gerichteten und seit dem Jahr 1879 Bestand habenden politischen »Systems«, also des »Eisernen Rings der Rechten«, auf den sich die Regierung Taaffe stützte, andererseits beunruhigte sie die Vorstellung, Thun habe das Amt des Statthalters mit dem Ziel angenommen, seinen bereits im böhmischen Landtag zum Ausdruck gebrachten Wunsch nach der Krönung Franz Josephs zum böhmischen König zu realisieren. Die deutschen Politiker beruhigten sich etwas, als sich Ministerpräsident Taaffe am 17. Dezember 1889 zu einer Erklärung bewegen ließ, der zufolge die Regierung nicht beabsichtigte, dem Kaiser weder eine Verfassungsänderung noch die damit verbundene Krönung vorzuschlagen.90 Einige deutschnationale Zeitungen urteilten in offener Feindseligkeit über den neuen Statthalter und brachten ihre Abneigung zum Ausdruck – für sie war er ein Repräsentant einer »wild anstürmende[n] Hochfluth einer slavisch-klerikalen Reaktion« gegen die die »Deutschen Österreich und namentlich Böhmens […] heldenmütigen […] kämpfen« müssten.91 Im böhmischen Landtag
Am 10. Oktober 1889, also etwa einen Monat nach dem Amtsantritt von Franz Thun als Statthalter, fand die konstituierende Sitzung des neu gewählten böhmischen Landtages statt. Bereits zwei Tage nach dem Beginn der Session wandten sich die Jungtschechen mit einer Interpellation hinsichtlich der Auflösung des Akademischen Lesevereins an den Statthalter.92 Diese war am 24. August 1889 von Thuns Amtsvorgänger Baron Kraus ausgesprochen worden, da der Verein in Zusammenhang mit
Im böhmischen Landtag
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Abb. 24: Der böhmische Statthalter Franz Thun mit einer Jagdgesellschaft bei seinem Freund, dem Fabrikanten Ringhoffer in Kamenitz und Štirín im November 1894.
den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag des Beginns der Französischen Revolution eine Grußadresse an die Studenten der Pariser Sorbonne gerichtet hatte. Die Auflösung war mit einer Übertretung der Vereinsstatuten begründet worden, in denen keine politischen Aktivitäten vorgesehen waren. Das Vereinsvermögen, vor allem aber die wertvolle Bibliothek des Vereins, waren beschlagnahmt worden.93 Graf Thun antwortete umgehend auf die Interpellation der Jungtschechen. Entschieden stellte er sich hinter die letzte Amtshandlung seines Vorgängers, sagte, dass er das Gleiche tun würde, weil der Leseverein seine Statuten überschritten habe. Der Statthalter ging daraufhin zum Angriff über und kritisierte das politische Engagement der Studenten im Allgemeinen : »In der letzten Zeit sind Bestrebungen der Studentenschaft festzustellen, die mit der ursprünglichen Berufung der Studentenschaft nicht in Einklang zu bringen sind und die ich sehr bedaure. Es sind Bestrebungen solcher Art festzustellen, die die Tätigkeit der Studentenschaft auf einen Bereich ausdehnen wollen, der ihnen nicht zusteht, und das kann für die Studenten schlimme Folgen haben. […] Umso mehr überrascht es mich, dass die übermittelte Interpellation von einem Professor der
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Technik überschrieben wurde, der doch im Besonderen um die Disziplin der Studentenschaft Sorge tragen sollte.«94 Thuns Antwort zielte direkt auf die Jungtschechen ab : Das wachsende politische Engagement der Studenten richtete sich gegen die Alttschechen und unterstützte die Jungtschechen, da die studentische Agitation einen bedeutenden Anteil am jung tschechischen Wahlerfolg vom Juli 1889 gehabt hatte. Bei dem erwähnten Professor der Technischen Universität handelte es sich im Übrigen um den jungtschechischen Abgeordneten František Tilšer. Die jungtschechischen Abgeordneten und die Besucher auf der Galerie reagierten auf die Rede des Statthalters mit Entrüstung. Im Sitzungssaal des Landtages ertönten Zwischenrufe aus den Reihen der jungtschechischen Abgeordneten : »Tschechisch ! Tschechisch !« Abgeordneter Perner : »Die Interpellation wurde auf Tschechisch eingebracht, wir fordern daher eine tschechische Antwort !«95 Thuns Fähigkeit und Bereitschaft, sich des Tschechischen zu bedienen, wurden zum Politikum. Bei seinen Ansprachen vor dem böhmischen Landtag – so bei dessen Eröffnung, bei Verhandlungen, bei der Darlegung von Standpunkten, welche die Verwaltung der Kommissionen betrafen, und der Beantwortung von Interpellationen – bediente er sich des Deutschen wie des Tschechischen, wenngleich er der deutschen Sprache den Vorzug gab. Tschechische Reden trug er in bereits vorbereiteter Übersetzung vor, und das höchstwahrscheinlich ganz zufriedenstellend. Er verstand Tschechisch und es sind auch Gespräche überliefert, die er auf Tschechisch führte. Ein tschechischer Text aus seiner Feder liegt jedoch nicht vor, sofern wir die vereinzelten tschechischen Worte in seinen auf Deutsch verfassten Briefen außer Acht lassen. Seine großen rhetorischen Fähigkeiten und sein Improvisationstalent konnte er allerdings nur auf Deutsch zur Geltung bringen. Die Adresse des Landtages an den Kaiser und König
Im Mittelpunkt der Verhandlungen des böhmischen Landtages stand die Debatte über eine Adresse an den Monarchen. Bei der dritten Sitzung am 12. Oktober 1889 brachten die jungtschechischen Abgeordneten Julius und Eduard Grégr neben Parteigenossen einen Vorschlag für eine Adresse an den Kaiser und König ein. Der jung tschechische Text stand auf dem Standpunkt des böhmischen Staatsrechts und sprach die kaiserlichen Zusagen an, sich zum böhmischen König krönen zu lassen. Der böhmische Statthalter leitete den tschechischen Textvorschlag unverzüglich an den Ministerpräsidenten weiter und übermittelte Wien ferner detaillierte Nachrichten über die Behandlung der Adresse im böhmischen Landtag.96 Die alttschechischen und konservativen Großgrundbesitzer versuchten daraufhin, die erneute Behandlung der Frage des böhmischen Staatsrechts zu unterbinden. Eine derartige Vorgehensweise wünschte
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sich auch der Kaiser (vor allem deshalb, weil die Initiative von der »besonderen Gesellschaft« – den Jungtschechen – ausgegangen war), ebenso wie der Ministerpräsident und die Verbündeten der Alttschechen im »Eisernen Ring der Rechten« dies ablehnten. Statthalter Thun informierte Ministerpräsident Eduard Taaffe über den Verlauf der Debatte. Er schilderte dabei auch im Detail die skandalösen Zustände, die ausgebrochen waren, nachdem der böhmische Landtag am 10. November mit 123 zu 37 Stimmen die Annahme der staatsrechtlich konzipierten Adresse abgelehnt hatte : »Nach der Abstimmung erfolgte ein wüster Lärm ; wie man gesehen haben will, soll E. Grégr ein Zeichen auf die Galerie gegeben haben, worauf sich dieselbe erhob und vor dem Hinausgehen in den Saal herunterschrie : Schmach, Verräter etc.; die Jungčechen schrien mit, die Alten antworteten, es dauerte lange Zeit bis die Glocke des Oberst[land]marschall wieder Ruhe schuf. Auf der Gasse wurden keine Kundgebungen zugelassen, die Studenten, welche von der Galerie hergekommen sind, waren auseinandergedrängt.«97 Am Ende seines Schreibens führte der Statthalter ein charakteristisches Detail an : Er teilte mit, dass er beabsichtige, der jungtschechischen humoristischen Zeitung Šípy [Pfeile] wegen Blasphemie die Konzession abzuerkennen. Diese hatte eine Karikatur gedruckt, die Christus als böhmisches Staatsrecht und den alttschechischen Führer Rieger als Petrus, der diesen verleugnet, zeigte. Solcherart charakterisierte der jung tschechische Karikaturist das Abstimmungsverhalten der Alttschechen gegen die Annahme der Adresse des böhmischen Landtages an den Kaiser und König.98 Punktationen
Ab dem Jahr 1886, als die deutschen Abgeordneten aus dem böhmischen Landtag ausgezogen waren, unternahm man wiederholt Anstrengungen, um den Abschluss eines deutsch-tschechischen Vertrages herbeizuführen, der den Weg zur Rückkehr der Abgeordneten geebnet hätte. Bis zum Jahr 1889 waren alle diese Bemühungen jedoch zum Scheitern verurteilt. Nach den Landtagswahlen des Jahres 1889 nahm sich Fürst Alexander Schönburg, der Obmann des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes, der Angelegenheit an und ließ Ministerpräsident Taaffe wissen, dass die tschechischen und deutschen Abgeordneten nun zu Verhandlungen bereit seien. Die deutschen Abgeordneten hatten ihre Teilnahme allerdings an die Bedingung geknüpft, nicht über das böhmische historische Staatsrecht und über die böhmische Königskrönung verhandeln zu wollen. Ministerpräsident Taaffe erklärte daher am 17. Dezember 1889, »dass die Regierung dem Kaiser keine grundsätzlichen Verfassungsänderungen und die damit verbundene Krönung vorschlagen werde.«99 Die Alttschechen bekundeten ihre Bereitschaft zu Verhandlungen mit dem Hinweis, dass sie die staatsrechtliche Adresse der Jungtschechen an den Kaiser ebenso wie die Abgeordneten des konservativen Großgrundbesitzes abgelehnt hatten.
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Der Weg zu Verhandlungen war somit frei. Am 23. Dezember 1889 wurde dem Statthalter ein Schreiben des Ministerpräsidenten mit dem Anliegen zugestellt, die genannten alttschechischen und konservativen Großgrundbesitzer zu Verhandlungen nach Wien einzuladen.100 Franz Thun nahm Taaffes Brief in Worlik entgegen, wo er gerade die Weihnachtsfeiertage bei den Eltern seiner Frau, dem Fürsten und der Fürstin Schwarzenberg, verbrachte. Die Einladung des Ministerpräsidenten leitete er auftragsgemäß weiter, empfand es aber unzweifelhaft als Kränkung, dass die Ausgleichsverhandlungen ohne ihn und an ihm vorbei ablaufen sollten. Das war in der Tat eigentümlich : An den Gesprächen, die im Jänner 1890 in Wien stattfinden würden, sollten neben den tschechischen und deutschen Delegationen sowie den Vertretern des Konservativen und des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes der Ministerpräsident und fünf Minister teilnehmen – nicht aber der böhmische Statthalter ! Und dabei wurde über einen Ausgleich im Königreich Böhmen verhandelt, dessen höchster Beamter und vom Kaiser ernannter Regierungsvertreter Graf Franz Thun war. Der Ministerpräsident erklärte dies später nicht sehr überzeugend damit, dass er diese Vorgehensweise gewählt habe, damit die neutrale Haltung des Statthalters nicht unter dem deutsch-tschechischen Konflikt leide. Die Antwort, die der böhmische Statthalter am 26. Dezember 1889 an Taaffe verfasste, zeugte von Thuns Skepsis und Verstimmung. Franz Thun zählte die Probleme auf, mit denen die Ausgleichsverhandlungen in der tschechischen und auch deutschen Politik konfrontiert sein könnten. Er erwähnte aber nicht den wohl grundsätzlichsten Fehler bei der Zusammensetzung der tschechischen Delegation : Sie bestand nur aus Alttschechen und konservativen Großgrundbesitzern – die Jungtschechen waren in ihr nicht vertreten. Bei diesen handelte es sich, wie vor allem die Landtagswahlen im Sommer gezeigt hatten, um eine relevante politische Gruppierung und vielmehr noch um eine Partei in der Offensive, weshalb mit weiteren Wahlerfolgen zu rechnen war. Es war dies ein so evidenter Fehler, dass auch der Führer der deutschen Liberalen, Ernst Plener, meinte, dass an den Verhandlungen auch einige Jungtschechen teilnehmen sollten, wenngleich sie ihm äußerst unsympathisch seien. Vielleicht wollte der Ministerpräsident die Jungtschechen deshalb nicht einladen, weil sie vom Kaiser nicht geduldet wurden und weil sich Taaffe als programmatischer »Kaiserminister« dem nicht grundsätzlich widersetzen wollte. In jedem Fall stellte die Abwesenheit der starken Oppositionspartei, die schon innerhalb sehr kurzer Zeit eine dominante Rolle in der tschechischen Politik einnehmen sollte, einen groben politischen Fehler dar, der letztlich den Misserfolg der Ausgleichsverhandlungen vorherbestimmte. Diese Tatsache schrieb sich in das öster reichische politische Gedächtnis ein : Wann immer bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein Politiker bei Ausgleichsverhandlungen Schwierigkeiten aus dem Weg
Punktationen
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gehen wollte, indem eine gewisse politische Gruppierung nicht eingeladen werden sollte, weckte dies die Erinnerung daran, zu welchem Ergebnis die nicht erfolgte Teilnahme der Jungtschechen an den Wiener Beratungen im Jänner 1890 geführt hatte. Die deutsch-tschechische Konferenz (auch Wiener Konferenz) fand von 4. bis 19. Jänner 1890 statt.101 Obgleich die Verhandlungen alles andere als glatt verliefen, endeten sie doch mit der Annahme eines elf Punkte umfassenden Papiers, den sogenannten Wiener Punktationen. Es war nicht entscheidend, welche Bedeutung die Punktationen »objektiv« hatten, sondern wie sie von der Politik, den Journalisten und von der öffentlichen politischen Meinung eingeschätzt wurden. Unmittelbar nach dem Abschluss der Verhandlungen herrschte allgemeine Euphorie. Der Ministerpräsident wurde mit Gratulationen überhäuft102, für die Teilnehmer an den Gesprächen wurde die Verleihung von Orden und Auszeichnungen vorbereitet, Franz Joseph billigte unverzüglich ein Gesetz über die Errichtung der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, das bereits zwei Jahre auf seinem Tisch gelegen hatte. Alles schien sich in Wohlgefallen aufzulösen. Franz Thun war jedoch nicht zufrieden. Der deutsch-tschechische (auch : deutschböhmische) Ausgleich im Königreich Böhmen, dessen Statthalter er war, war ohne seine Beteiligung ausverhandelt worden. Am 26. Jänner 1890 schrieb er an den Ministerpräsidenten, dass er der Regierung seine Kenntnisse über das Land als Statthalter zur Verfügung stelle und deutete an, ob er nicht zu den Ausgleichverhandlungen eingeladen worden sei, weil er sein Amt erst vor kurzer Zeit angetreten habe. Auch könne er nicht verstehen, warum er nach dem Ende der Verhandlungen aus Wien keine Information erhalten habe. Während einige politische Parteien bereits damit begonnen hatten, über die Ergebnisse der Wiener Konferenz weitere Detailgespräche zu führen, hatte der Statthalter seine Informationen bislang nur aus der Zeitung bzw. aufgrund von Gesprächen mit Freunden aus den Reihen des Konservativen Großgrundbesitzes bezogen, die an der Verhandlung teilgenommen hatten. Graf Franz Thun schloss seinen Brief an den Ministerpräsidenten, voller Unzufriedenheit darüber, wie er bei den »Punktationsverhandlungen« auf das Abstellgleis geschoben worden war, mit einer nachdrücklichen Forderung : »Wie es meine Pflicht ist, das Ministerium von allen wichtigen Vorkommnissen zu benachrichtigen, so möchte auch ich in allen Dingen, die das meiner Verwaltung anvertraute Land betreffen, in Kenntnis gesetzt werden, wenn nicht die Autorität des Statthalters leiden soll.«103
Kapitel 5
Statthalter Thun und die Allgemeine LandesJubiläumsausstellung 1891 Thuns Ringen um eine einheitliche Landesausstellung
Die Furcht der deutsch-böhmischen Politik vor der möglichen Krönung Franz Josephs mit der Wenzelskrone erwies sich als unbegründet. Auch wenn sich Franz Thun eine Krönungsfeierlichkeit im Veitsdom noch so sehr gewünscht und dieses Ansinnen im Herzen getragen haben mag, war es während der Dauer seiner ersten Statthalterschaft (1889–1896) zu keinen Verhandlungen gekommen, noch hatte es ein Anzeichen für eine Krönung in Prag gegeben. Franz Thuns Ambitionen konnten somit nicht mit der Bestätigung seines bereits an ihn verliehenen »Titels« eines »Krönungsstatthalters« belohnt werden. Naheliegender wäre der Beiname »Ausstellungs-Statthalter« oder »Jubiläumsaustellungs-Statthalter« gewesen – denn derartig eng sind sein Name und sein Einsatz mit der denkwürdigen »Allgemeinen Landes-Jubiläums-Ausstellung 1891« verknüpft. Auch noch nach Jahrzehnten wurde die Erinnerung an die Jubiläumsausstellung mit der hochgewachsenen Person des »langen Franz« in Verbindung gebracht, wie die Prager den Statthalter mit einiger Ironie nannten. Vom ersten Augenblick seiner Ernennung zum Statthalter im September 1889 an setzte sich Graf Franz Thun unermüdlich und energisch für die Durchführung der Ausstellung ein, der er zu einem großen Erfolg verhelfen wollte. Thun wünschte sich eine Landesausstellung, auf der tschechische und deutsche Erzeugnisse gleichermaßen präsent sein sollten. Am 25. Oktober 1889, also keine zwei Monate nach seiner Ernennung, wandte er sich in einem Schreiben an Handelsminister Olivier Marquis de Bacquehem in dem er darüber Klage führte, dass die von deutschen Unternehmern dominierten Handelskammern von Reichenberg (Liberec) und Eger (Cheb) politisch gegen die Landesausstellung vorgehen würden. Vor allem, schrieb Thun, lege die Reichenberger Handelskammer das Verhalten eines »kleinen Parlaments« an den Tag und betreibe damit eine Politik, die ihr von ihren Aufgaben her keineswegs zustehe. Er forderte den Minister daher auf, den Präsidenten der Reichenberger Handelskammer auf die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen aufmerksam zu machen.104 Der Statthalter wünschte sich eine Ausstellung, in deren Rahmen alle Bewohner des Königsreichs Böhmen – Tschechen, Deutsche und der Adel des Landes – die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren konnten, eine Ausstellung, welche die wirtschaft-
Thuns Ringen um eine einheitliche Landesausstellung
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liche und kulturelle Kraft des ganzen, ethisch ungeteilten Landes zur Schau stellen sollte. Sehr bald schon legte die Reichenberger Handelskammer allerdings eine Reihe von Forderungen vor, die diesen Ambitionen entgegenstand. Sie missbilligte alleine schon die Bezeichnung »Jubiläum«, da diese an die Krönung Leopolds II. in Prag erinnere, die – wie es die Handelskammer auffasste – mit dem böhmischen Staatsrecht in Verbindung zu bringen war. Sie wollte den Termin um ein Jahr verschieben und forderte eine Trennung des Ausstellungsausschusses nach nationalen Kriterien.105 Die deutsch-tschechische Zusammenarbeit bei der Vorbereitung der Ausstellung wurde seitens der Politik empfindlich gestört. Die Jungtschechen nahmen die Punktationen bei der Sitzung des Landtages ins Visier. Der Gedankengang der deutschen Politiker war daraufhin etwa folgender : Die Tschechen durchkreuzen unsere Pläne mit den Punktationen und wir vereiteln dafür ihre Pläne für diese Ausstellung. Als die Stadt Prag im Juli 1890 Josef Heinrich, einen originellen und auf seine Art einzig artigen deutschen Politiker, der auch oft auf tschechischer Seite106 auftrat, als deutschen Vertreter in den Landesschulrat wählte, werteten deutsche Politiker dies als Verhöhnung und begannen ihrerseits damit, die Landesausstellung zu boykottieren. Am 28. November 1890 war die Situation derartig eskaliert, dass trotz der Versöhnungsversuche von Franz Thun und des Vorsitzenden des Landtages, Oberstlandmarschall Fürst Georg Christian von Lobkowicz, die deutschen Vertreter ihre Mitarbeit in allen Ausstellungsausschüssen aufkündigten und die deutschen Aussteller ihre Beteiligung an der Ausstellung absagten.107 Franz Thun bemühte sich wiederholt darum, die deutschen Politiker zur Rückkehr in die Ausstellungsausschüsse zu bewegen, um so eine deutsche Beteiligung sicherzustellen. Gemeinsam mit Handelsminister Bacquehem verhandelte er mit den Spitzen der deutschen Liberalen, Ernst Plener und Franz Schmeykal. Auch wenn man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt Hoffnungen auf einen positiven Ausgang der Gespräche machen konnte, führten diese schlussendlich zu keinem Ergebnis. Vielmehr nahmen die Angriffe der deutschen Politiker und die Kampagne der deutschen Presse gegen die Ausstellung an Schärfe zu. Zwei Tage vor der Ausstellungseröffnung wurde dem böhmischen Statthalter ein chiffriertes Telegramm des Ministerpräsidenten zugestellt108, in dem dieser mitteilte, dass »deutsche Kreise« ihre Unzufriedenheit darüber geäußert hätten, dass auf den Eintrittskarten der Terminus »Königspavillon« Verwendung finde. Die Deutschen erachteten dies als Ausdruck des ihnen verhassten böhmischen Staatsrechts. Franz Thun versetzte das Ansinnen in Rage, dass die bereits gedruckten Eintrittskarten gleichsam in letzter Minute wegen der allgemein gebräuchlichen Bezeichnung »Königspavillon«, der sich ja im »Königlichen Tierpark« befand, ausgetauscht werden sollten. Er sandte daraufhin an den Ministerpräsidenten eine ungewöhnlich schroffe, beinahe schon unhöfliche Antwort : »Stilisierung der Eintrittskarten ist nicht mehr zu ändern.
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Statthalter Thun und die Allgemeine Landes-Jubiläumsausstellung 1891
Ich erachte aber auch die Bezeichnung ›Königspavillon‹ bei einer Landesausstellung in Böhmen für zulässig. Aktionskomité unterstützt mich in der taktvollsten Weise, vermeidet alles, was national oder politisch einseitig ist. Die Deutschen, welche sich die ganze Zeit dem Ausstellungsunternehmen gegenüber niederträchtig benommen haben, haben meiner Ansicht nach nicht das Recht, in Ausstellungsangelegenheiten hineinzureden, nachdem sie sich durch ihre Haltung freiwillig eines jeden Einflusses begeben haben. Es herrscht hier sogar in manchen Kreisen schon eine gewiße Mißstimmung [gewisse Missstimmung ; Anm. d. Übers.] gegen die fortwährenden Nadelstiche, mit denen das Ausstellungsunternehmen angefeindet wird.«109 Die Ausstellung war ein Lieblingsprojekt von Franz Thun. Sein Vorhaben, es werde gleichermaßen eine deutsche und tschechische Ausstellung sein, ein wirtschaftliches Gegenstück zur politischen Versöhnung von Tschechen und Deutschen, ein Ausdruck der Einheit zwischen beiden Nationalitäten des Landes, konnte er aber nicht umsetzen. Die Eröffnung der Jubiläumsausstellung
Am 15. Mai 1891 füllte sich die Halle des Industriepalastes auf dem Prager Ausstellungsgelände mit Gästen : Es kamen die Minister Paul Gautsch, Olivier Bacquehem, Alois von Pražák, Philipp Zaleski und Julius von Falkenhayn, Oberstlandmarschall Fürst Georg Christian von Lobkowicz, Reichsrats- und Landtagsabgeordnete, böhmische Adelige und tschechische Unternehmer. Die »Allerhöchste Dynastie« wurde von Erzherzog Karl Ludwig vertreten, der die Allgemeine Landes-Jubiläumsausstellung im Namen seines Bruders, des Kaisers, eröffnete. Franz Thun, der die anderen Prominenten aufgrund seines hohen Wuchses um Haupteslänge überragte, musste unzweifelhaft ein Gefühl der Genugtuung empfunden haben, da es trotz allem gelungen war, die Jubiläumsausstellung Wirklichkeit werden zu lassen und weil ihr – wie die folgenden Tage, Wochen und Monate noch zeigen sollten – ein großer Erfolg beschieden war. Er war sich sicherlich des Umstandes bewusst, dass sie vom ursprünglichen Konzept abwich, mit dem er rund zwanzig Monate zuvor bei seiner Ernennung zum Statthalter angetreten war. Es entsprach seinen Wünschen und er strebte unablässig danach, dass es eine Landesausstellung sein sollte, in dessen Leitungsgremien Tschechen, Deutsche und der böhmische Adel gleichermaßen vertreten sein und dass Tschechen, Deutsche und Aristokraten ihre Produkte gemeinsam präsentieren sollten. Die Ausstellung sollte ein Abbild der wirtschaftlichen Stärke des Landes sein. In gewissem Sinne sollte die Ausstellung ein Pendant zu den Punktationen darstellen : der deutsch-tschechische Ausgleich sollte auf der Ebene der gemeinsamen deutsch-tschechischen Wirtschaft seine Entsprechung finden. Die Punktationen
Ausstellungsalltag des böhmischen Statthalters
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Abb. 25: Landes-Jubiläums-Ausstellung 1891 – Pavillon von Franz Thun
wurden jedoch gekippt, worauf sich die deutschen Politiker, die in ihrer eigenen Presse angegriffen wurden, von der Ausstellung abwandten, die Prager Bohemia hatte ihr nach dem Veranstaltungsort die pejorative Bezeichnung »Jahrmarkt von Bubeneč« gegeben. Es lässt sich aber nicht behaupten, dass die Ausstellung eine rein tschechische Angelegenheit gewesen wäre. Sehr prominent war nämlich auch der Landesadel vertreten, und auch Franz Thun hatte dort seinen eigenen Pavillon. Vertreten waren auch einige Firmen mit deutschen Inhabern, so etwa die große Waggonfabrik aus Prag-Smíchov (Smichov), die sich im Besitz von Thuns Freund Baron Ringhoffer befand, aber auch Dutzende andere deutsche Firmen. Nichtsdestotrotz hatte die Jubiläumsausstellung mental gesehen einen ausschließlich tschechischen Charakter. Die tschechische Öffentlichkeit verstand sie als eine Manifestation des nationalen Selbstverständnisses und Stolzes, für die Tschechen stellte deren Besuch eine nationale Demonstration dar. Ausstellungsalltag des böhmischen Statthalters
Zum Kolorit der Ausstellung gehörte auch der regelmäßige Besuch des böhmischen Statthalters Graf Franz Thun. Derartige Episoden von seinem Besuch in Statthalter uniform schrieben sich in das Gedächtnis der Zeitgenossen ein. Die tschechische
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Abb. 26: Halle des Industriepalastes bei der Eröffnung der Landesausstellung am 15. Mai 1891.
Die Typhuserkrankung von Franz Thun und der Besuch des Kaisers
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Schauspielerin Marie Laudová veröffentlichte am 16. November 1916 – nach dem Tod von Franz Thun – ein zweiteiliges Feuilleton mit dem Titel »Amüsante Erinnerungen an den Fürsten von Thun und Hohenstein«, in dem sie sich an dessen Engagement bei der damals bereits 25 Jahre zurückliegenden Jubiläumsausstellung erinnerte : »Was für eine Erinnerung knüpft sich an die Erscheinung dieses Mannes, als die Jubiläumsausstellung, ein wahres Werk, das er mit seinem ganzen nachhaltigen Einfluss aufzubauen mitgeholfen hatte, in unvergesslicher Schönheit aufblühte – prächtig und mächtig. Sein täglicher Besuch gehörte schon zum Ausstellungsprogramm. Wenn auf der schwarzen Tafel beim Ausgang mit Kreide die große Anzahl der Besucher vermerkt wurde, nahm er ein stärkeres Monokel zur Hand, um sich davon zu überzeugen, dass die Ausstellung wirklich so viele Besucher angelockt hatte, lächelte und schritt, freundlich allen dankend, die den Gruß an ihn richteten, weiter zum Industriepalast.«110 Die Typhuserkrankung von Franz Thun und der Besuch des Kaisers
Der Höhepunkt der Jubiläumsausstellung sollte jedoch der Besuch Seiner kaiserlichen und königlichen Majestät Franz Joseph I. sein. Als die Ausstellung ihre Pforten geöffnet hatte, wusste der böhmische Statthalter ebenso wie jeder andere noch nicht, wann es dazu kommen werde. In seinem Schreiben an Ministerpräsident Eduard Taaffe vom 28. Mai 1891111 reagierte Thun auf die Ankündigung, der Kaiser käme am 8. Juli nach Böhmen und werde sich dort acht Tage aufhalten. Unmittelbarer Anlass für die Reise des Kaisers sollte der Besuch der Landesausstellung sein, aber angesichts der Tatsache, dass Böhmen ein »Land zweier Völker« (der Tschechen und Deutschen) war, sollte der Monarch auch eine deutsche Stadt besuchen – die Industriestadt Reichenberg. Der Brief des Statthalters an den Ministerpräsidenten belegt, wie nahe Franz Thun der Widerstand der Reichenberger Wirtschaftstreibenden gegen seine Ausstellung gegangen war und wie wenig Sympathie er den nordböhmischen deutschen Nationalliberalen entgegenbrachte. Er schrieb : »Über die mir von Eurer Exzellenz mitgeteilte Absicht Seiner Majestät, einen deutschen Bezirk zu besuchen, habe ich reiflich nachgedacht. Ich kann nicht leugnen, daß das Gefühl, daß eine Fahrt nach Reichenberg zu unliebsamen Deutungen und Interpretationen führen wird, mich nicht verläßt. Nachdem der Hauptsturm gegen die hiesige Ausstellung von den Reichenberger Fabrikanten ausgegangen ist, nachdem die unqualifizierbare Haltung der deutschen Partei gegenüber der Ausstellung, welche unter dem Protektorate des Kaisers steht, zum großen Teile auf den Impuls der Reichenberger zurückzuführen ist, so halte ich es für selbstverständlich, daß ein Besuch Reichenbergs durch den Kaiser im Anschlusse an den Aufenthalt in Prag in den deutschen Parteiblättern als Beweis dargestellt werden wird, daß der Kaiser
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die [deutsche] Abstinenz von der Ausstellung gutheißt. Es wird dies umso sicherer geschehen, als es bei einem Besuche in Reichenberg unvermeidlich ist, daß Seine Majestät einige Fabriken besichtigt und seine Anerkennung über das Gesehene ausspricht.«112 Als Alternative zum Besuch von Reichenberg schlug Thun den Besuch einer anderen deutschen Stadt vor – des ruhigen Karlsbad (Karlovy Vary), das, wie er anmerkte, auf hervorragende Weise die schweren Schäden eines Hochwassers vom Vorjahr überwunden habe. Thuns Vorschlag, welche Stadt der Kaiser auf seiner Reise in das Königreich Böhmen besuchen sollte, wurde von einem unvorhersehbaren Ereignis in den Hintergrund gedrängt. Am 7. Juni 1891 notierte Jaroslav in sein Tagebuch : »Franz in Bubeneč an einem bis jetzt Gott Lob sehr leichten Typhus erkrankt.«113 Die Erkrankung des böhmischen Statthalters war nicht ernst, wenngleich sie jedoch erhebliche politische Folgen nach sich ziehen sollte. Ministerpräsident Taaffe unterbreitete dem Kaiser den Vorschlag, die Reise nach Böhmen und den Besuch der Ausstellung angesichts der Erkrankung des Prager Statthalters auf den 17. oder 18. September zu verschieben. Die Briefe des Ministerpräsidenten, zunächst an die Gräfin Thun und dann an Thun selbst gerichtet, sorgten in Prag für Aufregung.114 Der Statthalter versicherte dem Ministerpräsidenten am 12. Juni, dass er spätestens am nächsten Tag vom Krankenlager aufstehen und innerhalb von 10 bis 14 Tagen wieder gesund sein werde. Thun richtete an Taaffe auch die Frage, ob denn für die Verschiebung der kaiserlichen Reise nach Böhmen kein anderer Grund vorliege, als nur die Sorge um seine Gesundheit.115 Der Ministerpräsident antwortete umgehend, dass allein die Sorge um die Gesundheit des Statthalters zu Überlegungen hinsichtlich des Aufschubs der Reise geführt habe und dass »ich desperat darüber wäre«, wenn er dies anders auslegte.116 Auch wenn Taaffe dem Monarchen die Verschiebung der Reise ursprünglich wirklich nur aus Rücksicht auf die Gesundheit des Statthalters vorgeschlagen haben mag oder falls dafür vielleicht auch andere Gründe ins Treffen geführt wurden : Der Aufschub wurde zu einem folgenschweren Politikum. Am 15. Juni 1891 sandte der Ausstellungspräsident Graf Karl Zedtwitz an den Ministerpräsidenten ein Schreiben. Er führte an, dass er die Intention verstehe, die Gesundheit »unseres allseits geschätzten Statthalters« zu schonen, gab jedoch zu bedenken, welche politischen Folgen eine Verschiebung der kaiserlichen Reise mit sich brächte : »Dennoch erlaube ich mir, Eure Exzellenz ganz ergebenst darauf aufmerksam zu machen, daß die offizielle Bekanntgabe der langen Verzögerung der Hieherkunft Seiner Majestät sowohl im Volke als auch in dem großen Kreise der unserer Landesausstellung enthusiastisch zugetanen intelligenten Bevölkerung eine tiefgreifende Beunruhigung hervorrufen wird. Die Landes-Jubiläumsausstellung ist heute ein Gemeingut nicht nur in der Bevölkerung Prags, sondern der ganzen böhmischen Nation ohne Unterschied des Parteistandpunktes und, mag es noch so sehr geleugnet
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werden, auch der gemäßigten deutschen Elemente im Lande. […] Seine Exzellenz der Herr Statthalter ist durch seine allseitig bekannte Fürsorge als Landeschef für die Ausstellung, durch seine reiche materielle Unterstützung derselben als Großgrundbesitzer und sein tägliches, lebhaftes Interesse beweisendes Erscheinen auf dem Ausstellungsplatze, zu einer Popularität gelangt, die ihm heute bei allen Schichten der Bevölkerung, bei allen Parteien des böhmischen Volkes die Bezeichnung »unseres Statthalters« eingebracht hat, und sich durch das lebhafte Mitgefühl bei seiner Erkrankung manifestierte.«117 Graf Zedwitz führte weiter an, dass eine breite Volksschicht die »hinausgeschobene Verzögerung des Besuchs Seiner Majestät« nicht verstehe und die Verschiebung weniger mit dem Gesundheitszustand des Statthalters, als vielmehr mit dem »Einfluss übelwollender Elemente und der Gegner der böhmischen Nation« in Zusammenhang bringe, wobei mit den »übelwollenden Elementen« vor allem die deutsch-böhmische Presse gemeint war. Nicht aber nur die Provinzblätter und die bedeutenden Prager Zeitungen Bohemia und Prager Tagblatt, sondern auch die Wiener Neue Freie Presse, die als einzige österreichische Tageszeitung den Vergleich mit anderen europäischen Qualitätszeitungen von Rang nicht zu scheuen brauchte, schrieben geradezu feindselig gegen die Jubiläumsausstellung an, die sie abfällig als »Jahrmarkt von Bubeneč« verleumdeten. Für Frustrationen lagen genügend Gründe vor : Der Erfolg der böhmischen Ausstellung war enorm – die täglichen Besucherzahlen übertrafen die Rekorde der Wiener Weltausstellung aus dem Jahr 1873 und der Budapester Landesausstellung aus dem Jahr 1885. Am 26. Juli wurde der millionste Besucher gezählt. Nicht nur auf dem Ausstellungsgelände, sondern in ganz Prag wurde eine ganze Serie von tschechischen Veranstaltungen abgehalten : der Zweite Sokol-Turner-Kongress, die Überreichung einer Fahne an den Studentenverein Slavia, die Feier der Zentralen Schulstiftung Ústřední matice školská, die feierliche Begrüßung einer ansehnlichen Anzahl ausländischer Besucher, Delegationen von Landsleuten etc. Der Besuch des Kaisers hätte den Triumpf der böhmischen Landesausstellung sowie den Ruhm ihrer Organisatoren und den des sich mit der Ausstellung identifizierenden böhmischen Statthalters noch vergrößert. Daher wurde der Aufschub des kaiserlichen Besuches von der deutschen Presse dahingehend interpretiert, dass der Herrscher einer tschechischen nationalistischen Unternehmung mit seiner Anwesenheit keine Weihe erteilen wolle. »Panslawistische Demonstrationen« in Prag
Es sollte sich aber bald zeigen, dass die Reise des Kaisers nach Böhmen nicht alleine aufgrund der Erkrankung Thuns verschoben worden war, sondern dass sie vielleicht ganz hätte abgesagt werden können. Die Gründe dafür waren nämlich Ereignisse, die
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von der deutschen Presse und in amtlichen Dokumenten als Prager »Panslawistische Demonstrationen« bezeichnet wurden. Prag wurde von vorab angekündigten Gruppen besucht, einerseits handelte es sich dabei um im Ausland lebende Tschechen, andererseits um Vertreter verschiedener slawischer Nationen. Diesen wurde auf dem Bahnhof eine feierliche Begrüßung zuteil, Festreden wurden gehalten und national-patriotische Lieder gesungen. Die Feierlichkeiten fanden manchmal auch auf den Straßen ihre Fortsetzung, während überdies zahlreiche glanzvolle Empfänge abgehalten wurden.118 Die Tendenz der Nachrichten, welche über den Besuch der »slawischen Gäste« verbreitet wurden, war geeignet, darauf hinzuweisen, dass sich Prag und die Jubiläums ausstellung den Besuch des Kaisers nicht verdient hätten, weil es zu einem Ort der panslawischen und antiösterreichischen Agitation geworden war. Franz Thun befand sich erst auf dem Weg der Genesung, war aber dennoch nicht untätig gewesen. Am 28. Juni sandte er an Taaffe eine umfangreiche Abhandlung über den Charakter der Jubiläumsausstellung und die »panslawistischen« Reden. Der böhmische Statthalter schrieb darüber : »Daß die hiesige Ausstellung immer mehr und mehr den Charakter eines nationalen Festes annimmt, ist eine nicht zu leugnende Tatsache. In dem selben Maße, als die deutsche Partei meiner Ansicht nach im höchsten Maße unpatriotisch und kleinlich parteilich eine jede Teilnahme der Deutschen an der Ausstellung proskribiert hat, die deutschen Zeitungen eine jede objektive Berichterstattung ostentativ vermeiden und sich darauf beschränken, nur vorgekommene Unglücksfälle hämisch zu berichten und vorgefallene Ausschreitungen in der gehässigsten Weise zu bringen […] hat sich das böhmische Volk wie ein Mann vereinigt in dem Bestreben, die Ausstellung großartig gelingen zu lassen und findet eine Befriedigung der nationalen Eitelkeit eben in der von der deutschen Partei behaupteten Tatsache, daß es eine einseitig böhmisch-nationale Ausstellung sei.«119 Thun schrieb weiter, während die Deutschen die Ausstellung ebenso zahlreich besuchten, dies aber individuell bzw. als Privatbesuch und nicht im Kollektiv tun würden, würden verschiedene slawische »Stämme und Völkerschaften« der Monarchie regelrecht Fahrten unternehmen und gelegentlich auch von tschechischer Seite willkommen geheißen. Bei solchen Gelegenheiten werde in Reden auch an slawische Gemeinsamkeiten und gemeinsame historische Reminiszenzen erinnert. Der böhmische Statthalter formuliert daraufhin die grundsätzliche These : »Ich negiere für Böhmen jedwede Gefahr eines politischen Panslavismus, ja ich glaube nicht an das Vorhandensein desselben in weiteren Kreisen ; eine kulturelle, nationale Gemeinschaft ist unleugbar vorhanden und die Böhmen, welche in der Kultur von allen Slaven [Slawen ; Anm. d. Übers.] wohl am weitesten vorgeschritten sind, ziehen hievon naturgemäß effektiven Nutzen.«120 Der Ministerpräsident brachte dem Monarchen Thuns Brief zur Kenntnis, der sich davon offenbar beruhigen ließ. Er verlieh nur seiner Hoffnung Ausdruck, dass im wei-
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teren Verlauf keine nationalen und politischen Demonstrationen folgen sollten und dass es so möglich sein werde, die Ausstellung in Prag zu besuchen. Die Ankunft des Kaisers in Prag ist ungewiss
Die Situation verschärfte sich allerdings nach den Interventionen des Außenministers Graf Gustav Kálnoky erneut. Dieser warnte in einem Brief vom 13. Juli 1891121 davor, dass es bei der Ankunft russischer Gruppen in Prag zu keinen russophilen Demonstrationen kommen dürfe. Er verwies auf russische Tageszeitungen, die über die Vorkommnisse in Prag berichtet hatten. Am 21. Juli sandte Minister Kálnoky an den Ministerpräsidenten ein weiteres Schreiben. Unter Berufung auf einen Artikel in der Neuen Freien Presse, demzufolge in Prag erneut »panslawistischen Wallfahrern« Ovationen dargebracht wurden, stellte er sich die Frage, wie man darauf in Berlin und in Budapest reagieren werde. Er äußerste überdies seine Befürchtung, das »Laisser faire« werde der Monarchie »ernste Schwierigkeiten bereiten«. Dieser Satz, der andeutete, dass die Ereignisse in Prag Folge eines Laisser-faireZustandes seien, versetzte den böhmischen Statthalter besonders in Rage – hatte doch der Außenminister damit angedeutet, dass er – Thun – den Dingen ihren freien Lauf ließe ! Die Polemik Kálnokys griff Graf Franz Thun in einem umfassenden Schreiben vom 23. Juli 1891 auf, das er in Tetschen verfasste, wo er sich von seiner Erkrankung erholte.122 Der böhmische Statthalter war in die Defensive gedrängt worden. Der Außenminister verwies auf den unangenehmen Nachhall, den die Demonstrationen bei der Ankunft der »slawischen Gäste« im Ausland hatten, während Franz Joseph auf die Ereignisse außerordentlich sensibel reagierte, da sie den Bereich der Außenpolitik berührten, die er im Grunde als seine eigene Domäne erachtete. Franz Thun machte erneut auf die befangene Berichterstattung in den deutschsprachigen Blättern aufmerksam, die, wie er sich ausdrückte, »einen Krieg gegen die Ausstellung führen, um ihr zu schaden, um sie in den Augen der Wiener Kreise herabzuwürdigen, die in jedem Wort von den ›slavischen Brüdern‹ oder von ›der Verbundenheit durch die gleiche slavische Sprache wie zur Zeit Karls IV. und von Dušan‹ [Stefan Dušan, Herrscher von Serbien (1331–1355)], unter dem die Machtfülle des serbischen Staates seinen Höhepunkt erreichte, schon die Gefahren des Panslavismus heraufdämmern sehen […].« Thun wies darauf hin, dass die feierlichen Empfänge auf den Bahnsteigen, wie sie von der deutschsprachigen Presse kritisiert worden waren, nur mit drakonischen Maßnahmen, wie er es nannte »mit russischen Mitteln«, unterbunden werden könnten. Die Zeitungen meldeten vorab die Ankunft aus- und inländischer Gäste, die Straßen füllten sich mit Angehörigen verschiedener Korporationen und Schaulusti-
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gen, die dann dem Bahnhof zuströmten. Dies unterscheide sich jedoch nicht von der Vorgehensweise bei anderen Ausstellungen und Feierlichkeiten. Thun stellte daraufhin die Frage : »Soll man hier der ganzen Welt das Schauspiel bieten, alles gewaltsam zu verbieten, jeden Empfang auf der Bahn zu untersagen, die Straßen zu räumen mit dem Aufgebote von einigen hunderten Sicherheitswachmännern ? Ich hielte dies nach außenhin für ein Zeichen der Schwäche, nach innen für bedenklich […].«123 Den Brief des Statthalters versah Kaiser Franz Joseph I. seitlich mit seinen Anmerkungen. Der innovative Ministerpräsident Taaffe fand einen Weg, um den böhmischen Statthalter mit dem kaiserlichen Unwillen vertraut zu machen. Franz Thun schrieb darüber an seine Frau nach Tetschen : »Die Correspondenz mit Taaffe ist immer noch sehr rege : er schickt mir neuerlich meinen Bericht zurück, um mir Einblick zu gewähren in, auf demselben angebrachte, eigenhändige Randbemerkungen des Kaisers. Es hat mich sehr überrascht, wenn ich auch erfahren hatte, daß meine Auffassungen über mehrere Dinge nicht getheilt werden.«124 Am Briefende seufzte der geprüfte Statthalter : »Gebe Gott, daß es mir gelinge, die Menschen hier etwas zur Vernunft zu bringen und dadurch mehrere Torheiten zu verhindern. Ausgeschlossen ist die Kaiserreise noch nicht.«125 Während sich der Statthalter darum bemühte, die Begrüßung »slawischer« Besucher so weit wie möglich einzuschränken und zu begrenzen sowie mäßigend auf den Kaiser einzuwirken, hatte sich dessen Beunruhigung noch weiter gesteigert. Davon zeugt ein aufgeregtes Telegramm, das der Kaiser am 31. Juli 1891 an den Ministerpräsidenten richtete : »Ich hörte, daß nun auch Russen nach Prag kommen sollen. Es wäre dringend notwendig, die Wiederholung der Skandale zu verhindern, die bis jetzt bei jedem slavischen Besuche der Ausstellung stattgefunden haben. Könnte[n] denn nicht wenigstens der offizielle Empfang und die Reden verboten werden ? Täglich wird es mir zweifelhafter, ob ich anständigerweise nach Prag gehen kann. Franz Joseph«126 Taaffe setzte Franz Thun unverzüglich von der Unzufriedenheit des Kaisers in Kenntnis. Dieser bemühte sich in der Zwischenzeit fieberhaft um eine Lösung und wirkte auf die verschiedensten Politiker ein, um auf den Bahnhöfen, auf den Straßen Prags und auf dem Ausstellungsgelände alles zu unterdrücken, was nach einer »panslawistischen Demonstration« aussehen könnte. Der Kaiser schenkte seinem Außenminister und der deutschsprachigen Presse Glauben, dass in Prag ebensolche »panslawistische Demonstrationen« abgehalten würden und forderte ein »entschlossenes Vorgehen«. In dieser schwierigen Situation verfasste der böhmische Statthalter am 3. August ein sehr ausführliches Schreiben an den Ministerpräsidenten, das sicherlich auch dazu gedacht war, dem Kaiser vorgelegt zu werden.
Vorkehrungen des Statthalters
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Vorkehrungen des Statthalters
Thun meldete nach Wien, auch mit den gefürchteten Jungtschechen gesprochen zu haben. Das Exekutivkomitee der Partei habe daraufhin beschlossen, alles zu unternehmen, »um die Kaiserreise nicht zu verhindern.« (Diese Mitteilung des Statthalters veranlasste Franz Joseph dazu, die Bemerkung »ausgezeichnet« als Ausdruck seiner Zufriedenheit anzufügen.)127 Noch bedeutsamer als der Beschluss des jung tschechischen Parteikomitees war es jedoch, dass es dem Statthalter gelungen war – wie er schrieb und er nach Wien übermittelte –, Einfluss auf die Národní listy zu nehmen. Er hatte Julius Grégr zu sich gebeten, der auch zusicherte, dass es seine Zeitung künftig unterlassen werde, die Ankunftszeiten von Zügen mit Ausstellungsbesuchern anzukündigen, um so Massenansammlungen zu unterbinden.128 Thun zeigte sich davon überzeugt, dass Grégr sein Wort halten werde. Franz Joseph fügte eine skeptische Bemerkung an : »Das glaube ich nicht.«129 Der Statthalter setzte mit einer Aufzählung fort, welche Vorkehrungen er getroffen habe : Dem Polizeidirektor habe er den Auftrag erteilt, die Bahnhöfe zu sperren und keine Empfänge auf denselben zuzulassen, dem Prager Rathaus habe er mitgeteilt, dass bei der Begrüßung jedes politische Wort zu vermeiden sei. Er drohte damit, dass »auch die Auflösung der Gemeindevertretung kein Ding der Unmöglichkeit« sei.130 Das waren starke Worte, die der Statthalter gewiss nur mit einigem Widerwillen ausgesprochen hatte, denn es wäre geradezu paradox gewesen, das loyale, von Alttsche chen dominierte Selbstverwaltungsorgan auflösen zu wollen. Aber gerade diese Androhung fand in einem solchen Maß die Zustimmung von Franz Joseph, dass er sie mit dem Wort »Richtig« quittierte.131 Franz Thun sah sich mit einer wahrhaft widersprüchlichen Situation konfrontiert. Er wusste, dass sich in Prag im Grunde nichts Besonderes abspielte und dass die Reden, mit denen die Kroaten, Slowenen oder Serben von den Tschechen begrüßt wurden und jene Reden, mit denen die größtenteils österreichischen Staatsbürger antworteten, keine antiösterreichische Revolte darstellten, sondern dass es sich dabei um eine ganz gewöhnliche »Nationalitäten-Rhetorik« handelte. Auf der anderen Seite war ihm bekannt, dass der Kaiser durch die Ereignisse in Prag (so wie sie von der deutschsprachigen Presse dargestellt wurden) aufgebracht war und wiederholt ein »entschlossenes Vorgehen« einforderte. Der böhmische Statthalter war bereit, alles zu unternehmen, um den Besuch des Kaisers sicherzustellen. Er wusste aber auch, dass es das Dümmste wäre, hunderte Polizisten einzusetzen, um die Ansammlungen auf den Straßen und Plätzen Prags zu zerstreuen – die wohlmeinende Stimmung der Öffentlichkeit wäre mit einem Schlag verspielt und der Besuch des Kaisers endgültig abgesagt worden, wenn er – auf welche Art auch immer – überhaupt stattfinden hätte sollen.
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In dem am 9. August von Franz Thun an den Ministerpräsidenten gerichteten Schrei ben finden wir etwas, das im Leben dieses optimistischen und aktiven Menschen nur sporadisch vorkommt – ein Anzeichen von verbitterter Resignation : »Will man den Patriotismus der Böhmen bei Seiner Majestät heruntersetzen, so findet man hiezu Mittel genug in der deutschen Presse des In- und Auslandes, wie auch in panslavistischen Organen. Ob das, was dort steht, wahr ist, ob es geschehen ist oder nur ein frommer Wunsch des betreffenden Organes ist, ist Nebensache. Mich beschleicht von Zeit zu Zeit das Gefühl der Entmutigung und der schweren Sorge für die Zukunft. Ich werde tun, dessen kannst Du versichert sein, was in meiner Macht ist und was ich für Recht erkenne. Ein wahrer Trost ist mir, zu wissen, daß Du in dieser Sache auf meiner Seite stehst.«132 Wo lagen die Gründe für dieses unangemessene Missbehagen, das Franz Joseph die Begrüßung der »slawischen Gäste« in Prag bereitete ? Der Kaiser reagiert auf alle die Außenpolitik betreffenden Themen sehr empfindlich. Außenminister Kálnoky machte auf die unangenehme Resonanz für die Monarchie aufmerksam, die von der Berichterstattung über die »panslawistischen« Demonstrationen in der reichsdeutschen und russischen Presse ausgehen würden. Die ausländische Presse wiederum bezog ihre Informationen von der deutschsprachigen Presse der Monarchie – unter Einschluss der in ihrem Gehalt unausgewogenen und in ihrer Darstellung unsachgemäß-übertriebenen Nachrichten. Darüber hinaus war, wie Taaffe und Thun mutmaßten, die Einflussnahme der reichsdeutschen Diplomatie für die Gereiztheit des Kaisers verantwortlich. Thun ließ Taaffe unter Berufung auf den Brief eines Informanten in seinem Schreiben vom 11. August wissen, dass konservative Kreise im Agitieren gegen die Reise des Kaisers nach Böhmen den Einfluss Berlins sehen wollten.133 Der Begriff »slovanophile Demonstration« barg ein breites Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten in sich und ließ verschiedene Deutungen zu. So war etwa der Besuch von Gewerbetreibenden aus Wien unter der Führung des bekannten Antisemiten Ernst Schneider angesagt. Zweifellos handelte es sich bei ihm um einen Deutschen, aber um einen solchen, der nicht nur in Opposition zur Regierung, sondern auch zum liberalen deutschen Establishment stand. Irgendeine Form von Demonstration ließ sich bei seiner Ankunft nicht ausschließen. Thun schrieb resignierend, dass, was immer die Böhmen in diesem Fall tun würden, es falsch sein werde. Würde man den Wiener Antisemiten nicht feierlich empfangen, würde das von der deutschen Presse so dargestellt werden, dass nur Slawen begrüßt würden. Würde man ihn begrü ßen, wäre mit einem Aufschrei zu rechnen, dass es sich um eine illoyale politische Demonstration handle.134 Auf dem Weg der Wiener Antisemiten vom Bahnhof in das Sophienpalais beschlagnahmte die Polizei ein Transparent mit der Aufschrift »Gruß aus Wien« – die verunsicherten Polizisten konfiszierten sicherheitshalber lieber a lles. Im Palais fand eine weitere Begrüßung statt, bei der eine Kapelle Wienerlieder, die
Thun : »Aufschrei von vielen Tausenden österreichischen Herzen«
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österreichische Hymne, das Nationallied (und die spätere Hymne) Kde domov můj ? sowie eine Melodie aus Smetanas Die verkaufte Braut spielte. Die Hymne der panslawistischen Bewegung Hej Slované war, wie im Polizeibericht mit Zufriedenheit konstatiert wurde, nicht zu hören gewesen.135 In der Zwischenzeit erwarteten der Statthalter, das Prager Rathaus und das Ausstellungskomitee »fieberhaft«, wie Thun nach Wien schrieb, die Ankunft von russischen Besuchern. Mehrheitlich handelte es sich dabei allerdings um in Kiew lebende Tschechen. Es hatte den Anschein, als ob sich der schicksalhafte Moment näherte, zu dem über den Besuch Seiner Majestät im Königreich Böhmen entschieden werde. Der böhmische Statthalter traf eine verzweifelte Maßnahme : Er wies die Bahndirek tion darauf hin, Sonderzüge (ob mit Russen oder russischen Tschechen) künftig nicht auf einmal, sondern in längeren Intervallen nach Prag einfahren zu lassen. Den Russen wurde nicht erlaubt, sich in nationaler Tracht zu zeigen (allem Anschein nach in ihren typischen Hemden und Kappen), Musikkapellen drohte der Entzug ihrer Lizenz, wenn sie ausländische Hymnen spielten, Sondervorstellungen im Nationaltheater wurden ebenso wie Sonderveranstaltungen im städtischen Vereinshaus untersagt, der Polizeidirektor erhielt den Befehl, den Russen sofort nach ihrer Ankunft auf das Schärfste hin verständlich zu machen, dass sie sofort des Landes verwiesen würden, wenn sie eine politische panslawistische Rede hielten ; ebenso war auch mit den Tschechen aus Kiew zu verfahren.136 Thun : »Aufschrei von vielen Tausenden österreichischen Herzen«
Der böhmische Statthalter wollte zeigen, wie groß die Begeisterung vor der Ankunft des Monarchen in Prag war. In einem Brief an Wien zeichnete er das Bild einer enthusiastischen, loyalen und für Österreich entflammten tschechischen Öffentlichkeit, die schon ihm, dem Statthalter, einen wunderbaren Empfang bereitet habe, gleichsam als Vorgeschmack darauf, wie unübertrefflich erst die Ankunft des Kaisers selbst ausfallen würde. »Nach der Festvorstellung im deutschen Theater fuhr ich auf die Ausstellung. Schon vor derselben ertönten von den zurückströmenden Besuchern begeisterte Sláva’s. Von dem Haupteingang bis zum Industrie Palast wo ich mit den Klängen der Volkshymne von dem Aktions Komittee empfangen wurde, […] überall wo ich mich zeigte, überall wo die Volkshymne gespielt wurde, ertönte auf deutsch und auf böhmisch ein tausendfaches braußendes Hoch dem Kaiser. […] Es war eine Begeisterung, wie ich sie selten gehört und gesehen habe, die ein österreichisches Herz aufs tiefste ergriffen hat. Ich hätte alle jene herbeizaubern mögen die nicht müde werden, stets […] Verdächtigungen und Zweifel aufkommen zu lassen von den patriotischen Gefühlen der Bevölkerung des Landes, sie wären belehrt worden, denn sie hätten nur den Aufschrei von vielen Tausenden österreichischen Herzen gehört.«137
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Praktisch im gleichen Moment, als sich Graf Franz Thun zu einer beinahe schon poetischen Ode auf den österreichischen Patriotismus der Prager aufschwang, sandte Franz Joseph an den Ministerpräsidenten Taaffe ein aufgebrachtes chiffriertes Telegramm. »Wenn nicht endlich einmal in Prag durch Repressionen und Strafen die Befolgung der erlassenen Anordnung erzwungen wird, werden sich die Demonstrationen, wie die im gestrigen Vorfallenheitsrapporte gemeldeten, immer wiederholen.«138 In der zweiten Augusthälfte hatte es den Anschein, als wären die Aussichten auf einen Besuch des Kaisers nicht gerade überwältigend. Dieser forderte umgehend ein »entschlossenes Vorgehen«. Dazu waren überdies Gerüchte im Umlauf, die dazu geeignet waren, Panik hervorzurufen. Der böhmische Statthalter wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass mit der Ankunft des russischen Generals Nikolai Pawlowitsch Ignatiew, eines bekannten Protagonisten des Panslawismus und vormaligen Innenministers, zu rechnen war. Franz Thun schauderte bei der Vorstellung, mit welchem Genuss die deutsche Presse über den Ausstellungsbesuch des russischen Generals und das Intonieren von »hrom a peklo« auf den Straßen berichten würde [tsch. »hrom a peklo«, dt. »Donner und Hölle«. Thun spielte in seinem Schreiben auf eine Textzeile des Liedes Hej Slované an ; Anm. d. Übers.]. Noch dazu sollte der russische General am 18. August in Prag eintreffen – just am Geburtstag des Kaisers ! Thun sandte an den Ministerpräsidenten ein chiffriertes Telegramm : »Nach Zeitungsnachrichten soll Ignatiew Dienstag an Kaisers Geburtstag eintreffen. Seine Ankunft im höchsten Grade unerwünscht ; ich bitte entweder dieselbe durch Minister des Äußeren verhindern zu lassen oder mich zu ermächtigen, ihn allsogleich zur Weiterreise zu bewegen.«139 Kálnoky versuchte, dem Statthalter den Schwarzen Peter zuzuschieben, indem er ihn dazu aufforderte, Ignatiew auszuweisen und – wie er boshaft hinzufügte – auch gleich gegen heimische Agitatoren vorzugehen. Ein chiffriertes Telegramm wanderte von einer Stelle zur anderen bis das Außenministerium schließlich in Erfahrung bringen konnte, dass sich der russische General in einem deutschen Seebad aufhielt und seine Reise nach Prag daher unwahrscheinlich sei. Thuns Sieg : Der Kaiser kommt nach Prag !
Und tatsächlich, der russische General reiste nicht nach Prag, der Statthalter konnte kurz durchatmen. Aber eben nur für einen Moment. Gerne wäre er nach Tetschen gefahren, wo in seinen herrlichen Revieren gerade die jedes Jahr wiederkehrenden Jagden stattfanden, zu denen sich die Hocharistokratie eingefunden hatte (Aloys Lexa Aehrenthal, Karl Buquoy, Heinrich Clam-Martinic, Clemens Croy, Max Egon Fürstenberg, Gottfried Hohenlohe, Johann Ledebour, Georg Lobkowicz, Karl und Friedrich Schwarzenberg, Ernst Silva-Tarouca und andere). Franz Thun sollte sich
Thuns Sieg : Der Kaiser kommt nach Prag !
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als Gastgeber eigentlich in Tetschen einfinden, handelte es sich doch schließlich um seine eigenen Jagden. Am ersten Tag wartete die Kutsche allerdings vergeblich auf den Tetschener Majoratsherrn. Im Rahmen der Jubiläumsausstellung hatte sich nämlich ein Zwischenfall geringeren Ausmaßes ereignet – eine kleine Gruppe junger tschechischer Burschen, der Statthalter schrieb von »Lausbuben«, hatte eine Militärkapelle ausgepfiffen, weil diese anstelle von böhmischen Nationalliedern Märsche gespielt hatte.140 Der Statthalter war damit erneut in die Defensive gedrängt worden, weil die Gefahr einer Ausweitung dieses Vorfalles bestand, die in weiterer Folge die Reise des Kaisers nach Prag hätte in Gefahr bringen können. Es mag zwar absurd erscheinen, aber Franz Thun hatte bereits gewisse Erfahrungen gemacht, sodass er sich die Folgen eines solchen Zwischenfalls nur allzu gut ausmalen konnte : Die deutschsprachige Presse könnte einen Bericht bringen und ihn mit einem Titel überschreiben, der auf einen chauvinistischen Übergriff junger Tschechen auf kaiserliche Soldaten hindeutet. Der Kaiser reagierte ja auf alles, das »seine« Armee betraf, sehr empfindlich. Daraufhin hätte er also ein Telegramm an den Ministerpräsidenten senden und darin die Frage stellen können, warum der böhmische Statthalter nicht entschlossen genug eingegriffen habe usw. Am zweiten Tag seiner Jagdveranstaltung traf Franz Thun schließlich doch in Tetschen ein.141 Aber auch im Wald war ihm keine Ruhe vergönnt, denn Prag stellte sich erneut auf das Eintreffen einer russischen Gruppe ein (bei der es sich aber offenbar um Ruthenen handelte, die von der Národní listy gegen deren Willen fortwährend als Russen bezeichnet wurden. [Als Ruthenen wurden seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die im Osten Galiziens, im Norden der Bukowina und in der Karpatenukraine siedelnden Slawen der Habsburgermonarchie bezeichnet. Dabei wurde keine nähere Unterscheidung zwischen Ukrainern und den anderen ostslawischen Ethnien wie Russinen, Lembken, Bojken, Doljanen und Huzulen getroffen ; Anm. d. Übers.] Im Wettlauf um die Durchführung der Reise des Kaisers nach Prag waren die unterschiedlichsten Informationen und Desinformationen im Umlauf. Dem Ministerpräsidenten wurde mitgeteilt, dass der Prager Polizeipräsident Stejskal gesagt habe, dass er bei einem Besuch des Kaisers nicht in der Lage sei, in Prag für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Taaffe setzte den Statthalter davon in Kenntnis und der echauffierte Statthalter wiederum wandte sich an den Polizeipräsidenten. Dieser antwortete dem Ministerpräsidenten entrüstet, dass es sich um eine »niederträchtige Lüge und eine Verleumdung« handle, die ihn auf das Schmerzlichste berühre.142 Der Ministerpräsident antwortete Polizeipräsident Stejskal in einem beschwichtigenden Schreiben und führte aus, dass niemand eine solche Unterstellung glauben würde. Der Brief schließt mit eindeutigen Worten : »Ich kann Ihnen aber die Versicherung erteilen, daß ich nie an dieser Bewahrheitung geglaubt habe, indem ich von
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Ihrem Diensteifer und von Ihrem taktvollen Vorgehen vollkommen überzeugt bin. Sie werden übrigens demnächst bei der so schwierigen Zeit während der Anwesenheit Seiner Majestät in Prag die beste Gelegenheit haben, Ihren Eifer und Takt zu bestätigen.«143 Es ist nicht bekannt, unter welchen Umständen der Monarch die Entscheidung traf, doch nach Prag zu fahren. Es ist möglich, dass Thuns Darlegung, wie sehr sich das tschechische Volk auf den Besuch Seiner Majestät freue und welche unglückseligen Folgen für die Stimmung in Böhmen zu gewärtigen seien, wenn der Kaiser zur Freude der Deutschen nicht nach Prag fahre, ihren Ausschlag gegeben haben. Ministerpräsident Taaffe vermied es, sich dem Monarchen direkt zu widersetzen, aber es war ihm klar, dass die Absage der bereits angekündigten Reise des Kaisers nach Böhmen ein schwerer politischer Fehler wäre – und ein kluger Politiker findet durchaus Wege, um dies dem Kaiser auf angemessene Weise zu vermitteln. Die Entscheidung war somit gefallen und Franz Thun schrieb an seine Frau Anna nach Tetschen : »Liebster Schatz ! Nur zwei Worte, um Dir mitzutheilen, daß der Kaiser am 26ten September früh hier eintrifft und am 2ten October auf einen Tag nach Reichenberg fährt. Ich bin glücklich, daß es so beschlossen wurde.«144 Die Ankunft des geliebten Kaisers
Am Samstag, den 26. September 1891, traf um 7.00 Uhr morgens der Hofzug auf dem Bahnhof in der Hybernergasse (dem heutigen Masaryk-Bahnhof ) ein. An der Spitze der den Kaiser begrüßenden Honoratioren stand der böhmische Statthalter Graf Franz Thun, dessen Gast der Kaiser in den folgenden sechs Tagen sein sollte. Bruder Jaroslav schildert in seinem Tagebuch : »Der erste Tag der Prager Kaiserfahrt ist vorüber und in jeder Weise aufs herrlichste gelungen. Gestern früh 7 Uhr kam Se. Majestät an, hielt seinen Einzug durch die wirklich prachtvoll dekorierten Straßen Prags, angejubelt von einer unzählbaren Menschenmasse. Wir sahen es hier ausgezeichnet – zuerst der Bürgermeister, dann Franz, dann der Kaiser usw. Um 9 Uhr war die große Audienz des gesamten Adels, die wirklich ein großartiges Schauspiel war, großartig durch die massenhafte Betheiligung – ein buntes Bild, die alten weißen Röcke, die alten kirschroten Husarenuniformen, die goldstrotzenden Geheimen Räthe bis zum bescheidenen Frack. Cardinal Schönborn hielt eine kurze Ansprache, worauf der Kaiser in sehr hübscher Weise seiner Freude über unser zahlreiches Erscheinen dankend Ausdruck verlieh. Se. Majestät sprach fast jeden an, sogar mir geruhte er einige huldvollen Worten zu Theil werden zu lassen. Äußerst gehobener Stimmung verließen wir die Burg, wohl alle ein Gefühl in unseren Herzen : Gott erhalte den geliebten Kaiser. […] Nachmittag fuhren wir in die Ausstellung zum allerhöchsten Empfang. […] Endloser Jubel kündete die Ankunft des geliebten Monarchen und als er in den
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Industriepalast [schritt] und die Stufen des Kaiserpavillons betrat, das große Orchester die Volkshymne intonierte, ging es allen durch Mark und Bein, nicht endenwollendes Geschrei machte das Gebäude in seinen Grunden erbeben ! So manche Augen wurden feucht ! Es war herrlich ergreifend ! Onkel Friedrich Kinsky las eine böhm. u. deutsche Ansprache, worauf der Kaiser laut antwortete, bei den Worten ›mein innigst geliebtes Königreich Böhmen‹ waren erneuert Jubelrufe ausgebrochen.«145 Der erste Tag des kaiserlichen Besuches in Prag, den Graf Jaroslav Thun so begeistert schilderte, gefiel Franz Joseph ebenso gut. Es gehörte offenbar nicht zu seinen Angewohnheiten, ein Tagebuch zu führen oder seine Eindrücke dem Papier anzuvertrauen. Mit der einzigen Ausnahme, dass er nämlich seiner »lieben, guten Freundin«, der Schauspielerin Katharina Schratt gerne darüber in seinen Briefen berichtete, was er gesehen und erlebt hatte. Über seine Eindrücke vom Besuch in Prag schrieb er ihr : »Der Empfang war herzlich und lärmend, dabei überall viel Ordnung, die Stadt, in der ich viel Fortschritt fand, ist besonders schön und nur in korrekten Farben decoriert, das Wetter war Vorgestern wunderschön, aber der Thermometer an meinem neuen Waggon zeigte bei Sonnenaufgang 1° Kälte und das Land war ganz weiß vom Reife. In der Stadt war bei meinem Einzuge Nebel, der aber bald vor der Sonne wich. Gestern regnete es mitunter. Heute scheint es aber wieder schön werden zu wollen. Die Ausstellung, von der ich aber erst die Hälfte durchwanderte, ist großartig und schön und gestern Abend machte die Fontaine lumineuse durch die großen Wassermassen einen schönen Effekt, dabei füllten unglaubliche Menschenmassen in gehobener Stimmung den ganzen Ausstellungsraum. Wenn man die patriotische Begeisterung dieses Volkes sieht, bedauert man doppelt, daß es sich jetzt auf Irrwegen bewegt, man kann aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß es besser werden wird.«146 Mit den »richtigen Farben« meinte Franz Joseph vor allem das kaiserliche SchwarzGelb und – soweit vorhanden – wäre auch noch das Rot-Weiß Böhmens annehmbar gewesen. Auf keinen Fall aber durfte es sich um eine Trikolore handeln – gegen eine solche verwehrte er sich auf das Entschiedenste, gleichwohl ob es sich um eine slawische oder um eine großdeutsche gehandelt hätte. Man darf also davon ausgehen, dass sowohl in Prag selbst als auch auf dem Ausstellungsgelände neben den annehmbaren rot-weißen des Königreichs Böhmen verständlicherweise auch schwarz-gelbe Fahnen zu sehen gewesen waren, da dies andernfalls vom Monarchen festgehalten worden wäre. Außer Prag besuchte der Kaiser auch noch Reichenberg. Dessen ungeachtet stand die Aufmerksamkeit, die Seine Majestät der »Hauptstadt Deutschböhmens« widmete, in keinem Verhältnis zu jener, die er Prag entgegenbrachte, wo er sich bereits seit dem 26. September aufhielt. Am 1. Oktober verließ er um 5.30 Uhr Prag mit dem Hofzug Richtung Reichenberg, um am gleichen Tag um 18.00 Uhr wieder nach Prag zurückzukehren. Ebendort nächtigte er nochmals und verbrachte den darauffolgenden
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Vormittag in Prag ; erst dann kehrte er mit dem Zug wieder nach Wien zurück. Der Kaiser hatte also mehr als sechs Tage in Prag verbracht und nur einen neunstündigen »Ausflug« nach Reichenberg unternommen. Am 2. Oktober um 15.00 Uhr verabschiedete der böhmische Statthalter gemeinsam mit dem Oberstlandmarschall, dem Präsidenten des Oberlandesgerichts, dem Polizeipräsidenten, dem Prager Bürgermeister, zusammen mit Stadträten und Mitgliedern des Exekutivkomitees der Ausstellung den Kaiser, der mit »seiner Suite« erneut den Hofzug bestieg. Der Besuch des Kaisers war damit glücklich zu Ende gegangen.
Kapitel 6
Graf Thuns Kampf mit dem tschechischen Radikalismus Die politische Botschaft des böhmischen Statthalters
Die erhabenen und ehrwürdigen Tage des Kaiserbesuches in Prag endeten glücklich, ohne dass sich die politische Situation auf irgendeine Weise beruhigt hätte. Bereits zwei Monate nach dem feierlichen Besuch notierte Jaroslav Thun im Dezember 1891 aufgebracht in sein Tagebuch, dass die Jungtschechen im Reichsrat eine verbrecherische Rede gehalten hätten : Eduard Grégr hatte verkündetet, dass es das böhmische Volk bedauern müsse, sich an Österreich »angeschlossen« zu haben, dass Böhmen in den vergangenen 20 Jahren mehr Milliarden an den gemeinsamen österreichischen Staat gezahlt habe, als Frankreich nach seiner Niederlage im 1871 verloren gegangenen Krieg gegen Preußen und »dgl. Dinge, die fast zu toll sind, als daß man sich darüber wirklich aufregen könnte«.147 Die kritische Wende im Kampf um die Punktation sollte die Frühlingssession des böhmischen Landtages im Jahr 1893 darstellen, der erstmals am 6. April zu seiner Sitzung zusammentrat. Aus gegebenem Anlass sandte der böhmische Statthalter an den Ministerpräsidenten einen umfangreichen Bericht über die Parteienverhältnisse im böhmischen Landtag, in dem er ausführlich auf die Situation in den einzelnen Parteien einging.148 Das Bild, das er damit für die Regierung und für deren Absichten bot, war jedoch keineswegs ermutigend. Sehr genau analysierte Thun die Situation der Alttschechen, also einer Partei, auf die sich Taaffes Regierung als Teil des Eisernen Rings der Rechten stützte und die auch Thun von den »bürgerlichen« Parteien sowohl politisch als auch menschlich am nächsten war. Er gab sich jedoch keiner Illusion hin : die Alttschechen befänden sich in einer Phase des Verfalls, sie seien nicht in der Lage, dem Druck der Jungtschechen standzuhalten und könnten sich auf kein eigenständiges Vorgehen einigen. Ein einziger Windhauch würde genügen, um sie hinwegzufegen. Der Klub des Konservativen Großgrundbesitzes, konstatierte Thun, habe sich im Landtag bisher korrekt verhalten und unterstütze die Regierungsvorlagen. Innerhalb des Klubs würde die Meinung vorherrschen, dass eine Verständigung mit den Jung tschechen nicht möglich sei. Einige alttschechische Zeitungen würden die Großgrundbesitzer dazu aufrufen, sich »ihrer Verantwortung gegenüber der Nation bewusst« zu werden. Zusammen mit dem Druck der Jungtschechen habe dies einen
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Einfluss auf die bürgerlichen Mitglieder des Klubs. Der Klub selbst würde noch seine Einigkeit bewahren, es wäre allerdings die Frage, fürchtet Thun, ob es nicht zu einer Spaltung kommen könne. Im Zusammenhang mit den deutschen Parteien verwies Thun auf die Krise, die sie in der Folge des Aufstieges der Nationalisten durchmachten. Während die Liberalen die Führung innehätten, würde es nur zehn bis zwölf Nationalisten geben, aber es würde zweifellos einmal zu einem Zerwürfnis kommen, weil sich die »älteren besonnenen Elemente Schritt für Schritt von den Extremen in ihrer Haltung beeinflussen lassen.«149 Im abschließenden Teil seiner Analyse widmete sich der böhmische Statthalter jener Partei, die zu dieser Zeit die größte regierungsfeindliche oppositionelle Kraft darstellte und mit der er sich in den folgenden Monaten und Jahren in einem heftigen politischen Wettstreit befinden sollte, der Freisinnigen Nationalpartei (Národní strana svobodomyslná), allgemein bekannt unter der Bezeichnung »Jung tschechen«. Er war sich der Kraft und Dynamik dieser Partei sehr wohl bewusst und unterschätzte sie keineswegs. In dem Bericht an den Ministerpräsidenten zeichnete er das Bild eines äußerst fähigen Kontrahenten : »Die Jungčechische Partei, die die einzige kämpfende Partei ist, während alle anderen mehr defensiven Charakter tragen, ist heute einig, geschickt geführt, jeden Vorfall erspührend und ausnützend, rücksichtslos vorgehend. Sie hat unbedingt[,] dank ihrer Energie und ihrer verlockenden Zusagen[,] die weitaus überwiegende Majorität des Volkes hinter sich. Sie wird sich in einen linken und rechten Flügel theilen, wenn kein Altčeche besteht. Bis dahin […] [gehen] Vašatý – Krumbholz – Kaunitz mit Grégr – Kučera – Herold mit Masaryk und mit den heim[at]losen Abgeordneten à la Dvořák Schulter an Schulter, die sich wohl manchmal in den Journalen, in kleinen Versammlungen bekämpfen, im Landtag aber einig [sind] wie ein Mann. Sie haben eine Reihe Actionen vor, die theils national[,] theils staatsrechtlich[,] theils auf Popularitätshascherei berechnet sind : Adresse an Se. Majestät, Gleichberechtigung der Sprachen, oberstes Gericht für die Länder der böhmischen Krone, entsprechende Vertretung im Ministerium, allgemeines Wahlrecht, Erlaß Stremayr und last but not least Kampf gegen den Ausgleich in welcher Form immer er sich zeigt ; Vernichtungskrieg gegen die Altčechen.«150 Der böhmische Statthalter lieferte dem Ministerpräsidenten eine Analyse, die einen wenig optimistischen Ausblick bot. Graf Thun sah voraus, dass die Sitzung des böhmischen Landtages stürmisch werden würde : »So sind die Verhältnisse innerhalb der Parteien des Landtags, dessen Verhandlungen wohl häftig [heftig ; Anm. d. Übers.] den Beweiß der leidenschaftlichen Gegensätze zeigen, welche vorhanden sind. Elektrizität liegt genügend in der Luft.«151
Thuns Rede gegen den böhmischen Radikalismus
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Thuns Rede gegen den böhmischen Radikalismus
Die Stimmung war tatsächlich sehr stark aufgeladen. Die Sitzung des böhmischen Landtages verlief, wie es Graf Thun vorausgesehen hatte, sehr unruhig. Anfang Mai 1893 wurden in dem Gebäude am Fünfkirchenplatz unterhalb der Prager Burg Reden gehalten, die eindeutig antimonarchische Züge trugen. Vor allem aber handelte es sich um die am 6. Mai 1893 gehaltene Antrittsrede (oder Jungfernrede, Thun nannte sie »Maidenspeech«) des jüngsten jungtschechischen Abgeordneten Heřman Janda. Neben scharfen Attacken gegen die Deutschen und den Adel richteten sich seine Angriffe gegen den österreichischen Staat. In seinen Ausführungen geißelte er alles, was sich mit der tschechischen Nation seit dem Herrschaftsantritt des ersten habsburgischen Königs auf dem böhmischen Thron im Jahr 1526 zugetragen hatte. In seiner Rede machte er auch nicht vor einer Bedrohung der Regierung und selbst des Monarchen halt : »Wir sind davon überzeugt, dass wir unsere Rechte einzig und alleine durch das Selbstbewusstsein des bis zur letzten Hütte hin durchorganisierten böhmischen Volkes erkämpfen werden. Und ich garantiere ihnen, dass wir dieses Volk organisieren werden. Wir werden das zuwege bringen. Und wenn wir organisiert sein werden, und wenn sich dann die Regierung an uns wenden wird und wenn sich die höchsten Würdenträger dieser Monarchie an uns wenden werden, dann werden wir ihnen auf eine solche Art und Weise antworten, wie sie sich seit dem Jahr 1526 uns gegenüber verhalten haben. Daraus werden wir unsere Schlussfolgerungen ziehen.«152 Der böhmische Statthalter nahm Jandas Rede zum Anlass, eine improvisierte scharfe Erklärung abzugeben, in der er sich grundsätzlich gegen die von Janda propagierte historische Auslegung stellte. Entschieden lehnte er Jandas Interpretation der böhmischen Geschichte seit dem Regierungsantritt der Habsburger ab und stellte dieser sein eigenes Bild gegenüber : »[…] die ganze Geschichte dieses Landes – mit Ausnahme kurzer Verirrungsperioden – weist darauf hin, daß diese Bevölkerung in treuer, loyaler Ergebenheit an der Monarchie hängt, daß sie in treuer Loyalität ihrem Monarchen ergeben ist. (Lebhafter Beifall rechts. […])«153 Der böhmische Statthalter warnte die Jungtschechen davor, dass eine Rede wie die von Janda zu unabsehbaren Folgen und Konflikten unbestimmten Ausmaßes führen könne. Abermals warf er den Jungtschechen vor, dass ihre Politik destruktiv sei und zur Isolation Böhmens führe : »Sie haben es dahin gebracht, dass Sie im Reichsrathe total isoliert sind. […] Sie nehmen den Kampf mit allen Parteien auf, Sie haben Ihre Connationalen [die Alttschechen], die in vollem patriotischen Bewusstsein ihrer Pflicht stets nur für das Beste des Landes gefühlt und gehandelt haben, immer mehr in die Enge getrieben, ihnen mehr und mehr den Boden entrissen, auf dem Sie allein zu wirken in der Lage sind. Sie bekämpfen den Großgrundbesitz, welcher seit dem
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Graf Thuns Kampf mit dem tschechischen Radikalismus
Bestande unserer politischen Verhältnisse ein entschiedener Bundesgenosse des böhmischen Volkes war. (Bravo !)«154 Weiters ging Graf Thun auf das »Argument der Erstgeburt« ein, das sich in den Reden der jungtschechischen Radikalen und überhaupt in den jungtschechischen Publikationen findet : Die Tschechen seien die ursprünglichen Bewohner Böhmens, während die Deutschen erst später auf Einladung der böhmischen Könige eingewandert seien – irgendwann war dieser Umstand sogar mit dem Zusatz »leider« versehen worden. Thun sagte : »Sie bekämpfen die der anderen Nation angehörigen Brüder dieses Landes, Sie rechnen ihnen nach, dass Sie die primäre Bevölkerung dieses Landes wären und wollen aus diesem Momente eine Prävalenz Ihrer Ansprüche in diesem Lande deduzieren. Meine Herren, darum handelt es sich nicht, es handelt sich nicht darum, wer früher hier war, sondern darum, dass die beiden Völker hier im Lande sind und dass die beiden Völker im Lande glücklich und zufrieden nebeneinander und miteinander leben sollen. (Bravo !) In jeder Richtung schaffen Sie sich Gegner – Sie wollen sie vielleicht nicht – aber dieses mühsame Suchen nach Gegnern und Construierung der Gegner führte zur Isolierung, zu welcher Sie es in der That im Reichsrathe gebracht haben und zur Isolierung, die ihre Früchte auch im hiesigen Landtage trägt.«155 Thuns Kritik richtete sich nicht nur gegen die Rede Jandas, sondern zielte auf den nationalen Radikalismus der Jungtschechen als solchen ab. Dieser stellte in der Tat das Schlüsselproblem der jungtschechischen Partei in der ersten Hälfte der 1890er Jahre dar. In seiner der Freisinnigen Nationalpartei gewidmeten Dissertation schreibt Luboš Velek dazu : »Eine antistaatliche und antidynastische Rhetorik, panslawistische Schwärmereien, persönliche Angriffe auf die Regierung und auf die politischen Gegner usw. gehörten zum jungtschechischen Repertoire und standen in den Reden ihrer Parteimitglieder an erster Stelle. Die sich mehrenden Exzesse und Skandale der jung tschechischen Radikalen riefen nicht nur in konservativen und deutschen Kreisen Widerstand hervor, sondern brachten auch die gemäßigte Fraktion der jungtschechischen Partei gegen die eigenen Parteigenossen auf. Die Gemäßigten waren sich nämlich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass eine derartige Haltung zu einem Ostrazismus und einer Isolation der jungtschechischen Partei im Parlament und im politischen System führen werde und dass sämtliche Versuche um eine Rehabilitierung der ›Freisinnigen Nationalpartei‹ nss (Národní strana svobodomyslná), die als ›ganz besondere Gesellschaft‹ angesehen wurde, zum Scheitern verurteilt waren […].«156 Thun griff das wirkliche Problem, das der Radikalismus für die jungtschechische Partei bedeutete, auf. Die unterlegenen Alttschechen waren dank des »Eisernen Rings der Rechten« Teil der Regierungsmehrheit im Wiener Parlament. Zusammen mit dem Konservativen Großgrundbesitz hatten sie eine Mehrheit im Prager Landtag inne ; die Jungtschechen befanden sich im Reichsrat in einer hoffnungslos isolierten Position und auch im Landtag waren sie oftmals in der Minderheit. Thuns Zitat aus
Eine unruhige Johannesfeier in Prag
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Goethes Faust entbehrte auch keineswegs einer gewissen Grundlage – die sogenannte fortschrittliche Bewegung der radikalen Jugend entglitt den Jungtschechen immer mehr aus den Händen. Die »unösterreichische« und sehr direkte Entschiedenheit, mit welcher der Statthalter auf die Rede des jungtschechischen Radikalen reagierte, imponierte jenen, die – wie die Konservativen – von der jungtschechischen Aggressivität schon genug und ihre Freude daran hatten, dass sich jemand öffentlich vor ihr Österreich stellte. Graf Jaroslav Thun notierte am 8. Mai 1893 in sein Tagebuch : »Franz hielt vor zwei Tagen eine großartige[,] schöne[,] improvisierte Rede im böhmischen Landtag als Antwort auf [die] infame höchst unpatriotische Rede eines Jungčechen. Klar und offen sagte er ihnen, daß er sie dringend warnen müsste vor ihren illoyalen Reden, denn nur im engen Anschluß an Kaiser und Reich sei Böhmens Blüthe denkbar. Sie sollten absehen von einem Kampfe der nur Erbitterung hervorruft und in dem sie andere Mitbürger des Königreiches vor den Kopf stoßen. Erfreulich, daß ein Statthalter den Muth hatte, so zu sprechen.«157 Eine unruhige Johannesfeier in Prag
Die Unruhe in Prag steigerte sich zu einer handfesten Krise. Rund um den Festtag des Heiligen Johannes Nepomuk am 16. Mai 1893 trafen etwa 30.000 Pilger in Prag ein. Trotz ihrer großen Anzahl stellten sie kein Problem dar. Ein solches ging vielmehr von jungen radikalisierten Menschen, den sogenannten Fortschrittlern, aus. Auf Thuns Schreibtisch gelangte der folgende Polizeibericht : Am 15. Mai hatte eine Gruppe von etwa 150 Personen versucht, das Denkmal des Heiligen Johannes Nepomuk von der Karlsbrücke in die Moldau zu werfen. Als dies nicht gelang (es wurden nur einige Sterne und Laternen beschädigt), zogen sie demonstrativ durch das nächtliche Prag auf den Bethlehems-Platz, sangen in Erinnerung an den in Konstanz verbrannten Jan Hus das Lied Hranice vzplála, tam na břehu Rýna und schlugen vor dem deutschen Kasino Krawall. Die Folgen des schwerwiegendsten Zwischenfalls dieser Nacht wurden erst am nächsten Morgen sichtbar. Jemand aus den Reihen der »Fortschrittler« hatte dem Denkmal von Kaiser Franz I. am Moldauufer einen Strick um den Hals gelegt. Die Verunglimpfung des Standbildes eines Mitgliedes des regierenden Herrscherhauses stellte eine antidynastische Demonstration dar. In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai ereigneten sich auf den Straßen Prags noch weitere Zwischenfälle. Dabei handelte es sich nicht um Massendemonstrationen, sondern eher um von kleinen Gruppen verursachte »Zwischenfälle«. Etwa 30 junge Leute, vorwiegend Studenten (unter ihnen befanden sich auch die Anführer der »Fortschrittler«, Antonín Hajn und Alois Rašín, der später sehr bekannte Politiker und erste Finanzminister der neugegründeten Tschechoslowakischen Republik. Rašín starb 1923
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Graf Thuns Kampf mit dem tschechischen Radikalismus
an den Folgen eines Attentats ; Anm. d. Übers.), skandierten nach 21.00 Uhr vor dem adeligen Kasino in der Zeltnergasse Parolen wie »Nieder mit dem Adel ! Nieder mit Schwarzenberg !« Nach Mitternacht zog die Gruppe zum Palais Schwarzenberg unweit der Prager Burg und zum Palais Thun-Hohenstein in die Nerudagasse weiter. Die beiden Häuser blieben aufgrund der davor patrouillierenden Polizei unbehelligt, während die Gruppe einige Fenster des Palais von Oberstlandmarschall Fürst Georg Christian von Lobkowicz einschlug. Der Historiker Jan Havránek158 schrieb in seiner hervorragenden Studie aus dem Jahr 1961, dass es sich dabei um die ersten tschechischen Demonstrationen handelte, die sich direkt gegen den böhmischen Adel richteten, der bis dahin ein Verbündeter der tschechischen bürgerlichen Politik gewesen war. Havránek ist der Meinung, dass es sich um eine Aktion radikaler Nationalisten gehandelt habe, die auf die jung tschechische Partei und die gesamte böhmische Politik Einfluss nehmen wollten. 17. Mai 1893 : Obstruktion im böhmischen Landtag
Die Regierung, von der die deutsche Linke die Umsetzung der Punktationen forderte, wollte durchsetzen, dass im Landtag die Vorlage über die Schaffung von Kreisgerichten in Trautenau (Trutnov) und Schlan abgehandelt wurde. Der böhmische Statthalter wirkte als Vertreter der Regierung auf die Annahme der Vorlage durch den Landtag hin. Seiner Vorstellung nach sollte dieser Antrag nicht als Teil der Punktationen (alleine das Wort versetzte die Jungtschechen bereits in helle Aufregung), sondern als administrative Maßnahme, als einfache Änderung der Gerichtsbezirksgrenzen, zur Verhandlung gelangen. Eine solche Taktik war allerdings nicht von Erfolg gekrönt. Die Punktationen stellten für die Jungtschechen einen casus belli dar – in der Auseinandersetzung darüber blieben sie über die Alttschechen siegreich. Aus ihrer Sicht stellte die Schaffung eines Kreisgerichts in Trautenau einen Teil der verhassten Punktationen und den Beginn der Teilung (die Jungtschechen verwendeten den emotionaleren Terminus »Zerreißung«) Böhmens – oder genauer gesagt – des Königreichs Böhmen dar. Die Beratungen des Landtages über das Budget gingen nur schleppend voran. Der Oberstlandmarschall Fürst Lobkowicz kündigte daher an, die Budgetdebatte zu verschieben und setzte als ersten Punkt die zweite Lesung der Regierungsvorlage über die Schaffung eines neuen Kreisgerichts mit dem Sitz in Trautenau auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung am 17. Mai 1893. Dabei stützte er sich auf die Zustimmung der Mehrheit im Landtag, das heißt auf die deutschen Abgeordneten und die Vertreter des Großgrundbesitzes. Der Abgeordnete Josef Herold protestierte im Namen der Jungtschechen gegen diese Entscheidung, die nach einer vierstündigen Klubsitzung beschlossen, die Verhandlung mittels »lauter Proteste« zu verhindern.159
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Am 17. Mai 1893 waren die jungtschechischen und ein Großteil der alttschechischen Abgeordneten dem Verhandlungssaal fern geblieben. Der Abgeordnete Engel forderte den Oberstlandmarschall auf, die Beschlussfähigkeit des Landtages festzustellen. Fürst Georg Lobkowicz führte eine Zählung durch und stellte fest, dass der Landtag aufgrund der 137 anwesenden Abgeordneten beschlussfähig sei. Nach dieser Feststellung tauchten einige bis dahin auf der Galerie versteckt gewesene Jungtschechen unter dem Gelächter der deutschen Abgeordneten unter den Sitzen auf und nahmen wieder ihre Plätze im Saal ein. Der jungtschechische Abgeordnete Kučera protestierte im Namen seiner Partei gegen die Abänderung der Tagesordnung im Hinblick auf die Schaffung eines Gerichts in Trautenau. Der Oberstlandmarschall wies den Protest unter Berufung auf die Zustimmung der Mehrheit der Landtagsabgeordneten zurück. Damit begann die Obstruktion. Von Seiten der Jungtschechen erhob sich eine Welle der Empörung, mit einem Mal setzte ein Lärmen ein. Die Stenographen vermerkten ihre Zwischenrufe : »Das ist keine gesetzliche Majorität !« – »Ihr habt nicht das Recht hier zu sitzen, ihr gehört gar nicht hierher !« – »Falsche Wahlordnung !« – »Fiktion ! Betrug ! Ihr vertretet nicht das Volk, sondern verschuldete Felder !« – »Ihr habt die Mehrheit nur durch Gewalt errungen !« – »Ihr wollt in Böhmen ein Neupreußen bilden !« – »Neupreußen geht auch nach Berlin !« – »Ihr zerreißt was unser und nicht was euer ist !« Dazu trommelten die jungtschechischen Abgeordneten mit den Fäusten auf den Tisch und stampften mit den Füßen auf den Boden.160 Als der deutsche Abgeordnete und Berichterstatter der Kommission für allgemeine und Bezirksangelegenheiten, Alois Funke, nach der Aufforderung des Oberstlandmarschalls einen Verhandlungsbericht verlesen sollte, steigerte sich die Obstruktion der Jungtschechen erneut bis zum Äußersten. Der böhmische Statthalter Graf Franz Thun schilderte in einem Brief an Innenminister Graf Eduard Taaffe die wilden Szenen, die sich im Sitzungssaal des Landtages zutrugen : »Endlich begann Dr. Funke trotz des unausgesetzt herrschenden Lärms den Stenographen, welche auf einen Wink des Oberstlandmarschalls ihre Plätze unmittelbar vor dem Berichterstatter eingenommen hatten, sein Referat zu diktieren ; dies war das Signal zu einer Szene, die in ihrer überschäumenden Leidenschaft und Zügellosigkeit jeder Beschreibung spottet und das ganze Haus in eine Aufregung versetzte, deren Folgen unabsehbar waren. Die meisten der Jungčechen verließen ihre Plätze, stürzten gegen die Estrade, auf welcher das Präsidium und der Berichterstatter placiert sind, los, gruppierten sich unter wilden Gesten und Rufen ringsherum, rissen den Stenographen die Papiere und Stifte aus den Händen, um sie an der weiteren Aufnahme der Rede Dr. Funkes zu hindern, warfen alles auf dem Schreibtische Vorhandene, Urnen, Schriften, Spagatspulen, Scheren durcheinander, teilweise auf die Köpfe der Stenographen ; um den Oberstlandmarschall und den Berichterstatter hatten sich Abgeordnete des Großgrundbesitzes und Deutsche geschart, um allenfalls die beiden
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Graf Thuns Kampf mit dem tschechischen Radikalismus
zu schützen ; der auf seinen Plätzen zurückbleibende Theil der Jungčechen begleitete die Aktion der Genossen durch wildes Stampfen, taktmäßiges Aufschlagen auf die Pulte mit Fäusten, Schriften, Tintenfässern, welche, trotzdem sie aus besonders dickem Glas hergestellt sind, fast sämtliche zerschlagen sein sollen, und einer [František Nikelfeld] hieb wütend mit derselben auf das Pult ein, mit einem Worte, es war eine unbeschreiblich wilde Szene, es war ein Augenblick, in welchem der geringfügigste Anlaß hinreichte, es zu Tätlichkeiten und zu einem Handgemenge zwischen den Abgeordneten kommen zu lassen. Hiebei muß ich allerdings betonen, daß seitens des Großgrundbesitzes und der Deutschen die Besonnenheit und Kaltblütigkeit, soweit dies bei der allgemeinen Erregtheit nur möglich war, gewa[h]rt wurde und auch die Alttschechen zunächst ruhig dem Schauspiel zusahen, und daß die ganze unerquickliche, allen parlamentarischen Anstandes entbe[h]rende Situation einzig und allein von den Jungčechen provoziert worden ist, welche um jeden Preis die Weiterverhandlung über die Trautenauer Vorlage verhindern wollten.«161 Die Verhandlung konnte nicht fortgeführt werden. Der Oberstlandmarschall vertagte die Sitzung, die er nach einer weiteren einstündigen Unterbrechung schloss. Der Landtag wurde noch am gleichen Tag auf Thuns telegraphischen Antrag hin durch einen Regierungsentscheid geschlossen. Die Jungtschechen hatten gesiegt : Die Punktationen wurden nicht umgesetzt. In gewisser Weise hatten sie mit ihrem Vorgehen sogar »historische Maßstäbe« gesetzt – bisher war es in keiner der gesetzgebenden Körperschaften Österreichs (von denen es insgesamt 20 gab) zu gewalttätigen Obstruktionen gekommen. Es handelte sich somit um eine tschechische Premiere. Graf Thun saß während der jungtschechischen Obstruktion die ganze Zeit über zusammen mit zwei Beamten hinter der Regierungsbank. Die deutschsprachige Presse schrieb mit Bewunderung über die Gelassenheit des Statthalters – mit verschränkten Armen folgte er dem Tumult, ab und an verfasste er in aller Ruhe Depeschen. Die Ruhe und die Selbstbeherrschung dieses Hocharistokraten schrieb sich derart in das Gedächtnis der anwesenden Journalisten ein, dass sich der Redakteur des Prager Tag blattes auch noch 23 Jahre später daran erinnerte, als er am 2. November 1916 einen Nekrolog auf Thun verfasste : »Mit Ruhe und Kaltblütigkeit hatte Graf Thun den Lärm hingenommen. Da sich der Regierungstisch – an dem neben dem Statthalter noch Hofrath Mataß und Bezirkskommissar Widimsky saßen – gerade unterhalb der Berichterstattertribüne befindet, ging der Lärm sozusagen über seinen Kopf hinweg. Eingekeilt in fürchterliche Enge sah er vor sich die lebende Mauer der gestikuli[e]renden Volksvertreter. Da riss ein Abgeordneter dem Berichterstatter die Akten aus der Hand, ballte sie zusammen und schleuderte sie gegen den Doktor Funke. Einzelne Fetzen flogen dem Grafen Thun ins Gesicht. In diesem Augenblicke sprang er in die Höhe, stütze sich mit der rechten Hand auf sein Pult und, das Monocle ins Auge geklemmt, überblickte er das Branden an seinem Tische. Er lächelte leicht überlegen
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und blieb stramm und aufrecht stehen in seiner imponi[e]renden Größe. Als dann der Oberstlandmarschall die Sitzung verließ und auch Graf Thun sich zum Gehen anschickte, da öffneten die Abgeordneten eine Gasse, die der Statthalter, ohne behelligt zu werden, durchschritt […].«162 Der Heiße Sommer 1893
Die Jungtschechen hatten mit ihrem gewalttätigen Einschreiten in der Sitzung des böhmischen Landtages vom 17. Mai 1893 eine Praxis eingeführt, die eine wirksame Waffe im parlamentarischen Kampf werden sollte – als besonders taugliches Mittel wurde sie vor allem von den deutschen Abgeordneten eingesetzt. Im Jahr 1893 wurde die gewalttätige tschechische Obstruktion noch als etwas außerordentlich Verwerfliches erachtet. Franz Joseph verlieh seiner Missbilligung gegenüber dem Verhalten der Jungtschechen Ausdruck, indem er im Rahmen von Delegationenverhandlungen am 27. Mai kein einziges Wort mit den jungtschechischen Vertretern wechselte.163 Diesen Unwillen brachten auch die Vertreter der anderen cisleithanischen Parteien in den Delegationen zum Ausdruck : kein Jungtscheche wurde in einen der Ausschüsse gewählt, »weil sie sich mit ihrer Obstruktion im böhmischen Landtag außerhalb der Grenzen der parlamentarischen Ordnung und des in Österreich geltenden Anstandes gestellt hatten.«164 Der böhmische Statthalter hatte sich bereits angeblich im Zusammenhang mit der jungtschechischen Obstruktion vom 17. Mai 1893 die Verhängung des Ausnahmezustandes gewünscht, und zwar für ganz Böhmen ! Das zumindest behauptet sein Bruder Jaroslav in seinem Tagebuch.165 In einem Konzept für einen Brief an den Thronfolger Franz Ferdinand schrieb Franz Thun am 12. August 1893 : »[…] die nationale Verbohrtheit […], die Hetze, […] der blindwütige nationale Hass, der in Zeitungen, Parlament, Versammlungen und Vereinen gepflegt […] wird, nehmen erschreckend zu. Man fragt sich besorgt, wohin das führen soll. Ich bin schon längst überzeugt, daß nur mehr ein etwas schärferes Anzeichen der Regierungsgewalt in der Lage ist[,] erträgliche, bessere Zustände zu schaffen. Ich habe eine Verhengung [Verhängung ; Anm. d. Übers.] des Ausnahmszustandes beantragt, das Ministerium hat jedoch meinen Antrag nicht acceptiert und so wird weitergewurstelt.«166 Die Verhängung des Ausnahmezustandes erfolgte erst am 12. September 1893, also vier Monate nach der Schließung des böhmischen Landtages. Im Verlauf dieser Sommermonate hatte der böhmische Statthalter einer radikalen Welle sozial und national motivierter Unruhen sowie politischer Ausschreitungen zu begegnen.167 Die massivsten und gewalttätigsten Vorkommnisse standen jedoch in keinem Zusammenhang mit der jungtschechischen Opposition im böhmischen Landtag. Im Jahr 1893 brach die Sozialdemokratie einen Kampf für das allgemeine Wahlrecht vom
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Graf Thuns Kampf mit dem tschechischen Radikalismus
Zaun. In Prag schaukelten sich die Demonstrationen am 18. Juni im Stadtteil Olschan (Olšany) und am 2. Juli in Straschnitz (Strašnice) zu einem Zusammenstoß zwischen der Arbeiterschaft mit der Polizei und sogar mit dem Militär auf. Das Ergebnis waren Dutzende verletzte Arbeiter und Polizisten.168 Die Demonstrationen von Fortschrittlern und jungtschechischen Radikalen waren von einer anderen Art. Auch wenn sie keinen solch regen Zulauf hatten und auch nicht von solch schweren Auseinandersetzungen wie die Demonstrationen der Sozialisten begleitet waren, waren doch gerade sie der Grund dafür, mit ihrer »symbolischen« – antistaatlichen, antiösterreichischen und antidynastischen – Wirksamkeit den »Staat« zu umso drastischeren Maßnahmen herauszufordern, wie es die Verhängung des Ausnahmezustandes über Prag und dessen Umland war. Bei einer Volksversammlung am 25. Juni 1893 in Ritschan (Říčany) bei Prag sprach Alois Rašín vom Kampf um den tschechischen Staat, während Karel Stanislav Sokol seine antiösterreichischen Angriffe mit dem Aufruf beendete : »Wir sind Österreicher, aber nur auf Abruf.« Bei einem Treffen am 3. September wies der bereits erwähnte K. S. Sokol mit erhobener Hand auf das Staatswappen und rief : »Unter diesem Vogel waren wir niemals frei.«169 Und Rašín brachte durchsichtige Anspielungen über den »sich mausernden Adler« ein, was das Publikum dazu veranlasste, das staatliche Symbol zu bespucken. Der Skandal zum Kaisergeburtstag
Einen eindeutig antidynastischen Charakter hatten die Ereignisse, die sich am 17. August 1893 in Prag zutrugen. Am Vorabend des kaiserlichen Geburtstages fanden in Prag alljährlich Konzerte von Militärmusikkapellen statt. Wie sich durch spätere Forschungen herausstellen sollte, planten die Mitglieder der Omladina diese Veranstaltungen mit gezielten Demonstrationen zu stören. Flugblätter mit unleugbar antidynastischen und antiösterreichischen Inhalten gelangten zur Verteilung, in einer Reihe von Texten wurde zur Revolution aufgerufen und dem Kaiser gedroht. Unter diesen Flugblättern befand sich auch eines, das dem Statthalter in einem holprigen Reim drohte : »Thun sich so viele Revolverkugeln verdient, wie man auf den Prager Straßen Werbetafeln find !«170 Der Beginn des Konzertes der Militärkapelle war für 20 Uhr auf dem Altstädter Ring angesetzt, dessen Verlauf schon von lauten Rufen gestört wurde. Die Rückkehr des Infanterieregiments Nr. 102 in die Kaserne in Prag-Karlin (Karlín) wurde von einem wilden Demonstrationszug begleitet. In der Zeltnergasse wurden Steine gegen die Fenster des adeligen Kasinos geworfen und in der Pořičer Straße bezahlte das Hotel Zum österreichischen Kaiser mit einem Steinhagel für seinen Namen. In den Abendstunden kam es noch zu Demonstrationen vor dem Deutschen Casino (ab
Schändung des Doppeladlers
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1916 : Deutsches Haus, heute : Slovanský dům) – dem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens der deutschsprachigen Bevölkerung der Stadt – auf dem Graben, beim Denkmal des Dichters und Sprachwissenschaftlers Josef Jungmann, vor dem Neustädter Rathaus und an anderen Orten. Die Polizei wagte es während der Ereignisse vom 17. August 1893 nicht, energisch einzuschreiten. Der Statthalter entschuldigte dieses Vorgehen in einer Meldung an Wien damit, dass es weder er noch der Polizeipräsident für angebracht gehalten hatten, die Polizei am Geburtstag des Kaisers mit Gewehren zu bewaffnen. Darüber hinaus mussten sie an vielen Orten präsent sein, da es im Vorhinein nicht möglich war in Erfahrung zu bringen, wo es zu Tumulten kommen werde. Die Demonstrationen und Ruhestörungen vom 17. August 1893 waren in Bezug auf die österreichischen Verhältnisse in diesem Jahr weder außerordentlich umfangreich noch gewalttätig. Sie hatten jedoch eine schwerwiegende politische und symbolische Bedeutung : Es handelte sich dabei um Demonstrationen, die mit dem Geburtstag des Kaisers in Zusammenhang standen – ein Tag, der als wichtigster Feiertag der Monarchie erachtet wurde. Die Unruhen erschienen daher als Handlungen, die direkt gegen die Person von Franz Joseph, Herrscher und Symbol für die Einheit der österreichisch-ungarischen Monarchie, gerichtet waren. Schändung des Doppeladlers
Auch eine Welle von Verunglimpfungen staatlicher Symbole richtete sich gegen das Reich und die Dynastie. Die Doppeladler auf den Postkästen wurden von den Provokateuren mit Farbe übermalt, die Reklameschilder der Trafiken und Lotterieannahmestellen wurden gewaltsam entfernt. Die Doppeladler stellten ein sehr leichtes (und schwer zu beschützendes) Ziel dar, die an den genannten Orten Einrichtungen mit staatlichem Monopol kennzeichnen sollten. »Revolutionäre Aktionen« waren somit leicht umzusetzen. Jan Havránek gibt in seiner den antiösterreichischen Aktivitäten des Jahres 1893 gewidmeten Studie eine Übersicht über die »epidemische Verbreitung« der Schändung dieses staatlichen Symbols, die von Prag aus auf die »Provinz« übersprang. Bisweilen gaben sich die »Täter« nicht mit dem bloßen Übermalen oder der Beseitigung zufrieden und fügten dem destruktiven Akt eine eigenartige ideologische Bedeutung hinzu. So wurde etwa der in der Nacht vom 10. auf den 11. September von einer Lotterieannahmestelle in Jitschin [ Jičín] abgenommene Adler am Hus-Denkmal aufgehängt – an einer die slawischen Farben zeigenden Trikolore !171 Kaiser Franz Joseph gingen die Angriffe auf die Symbole der Monarchie und der Dynastie sehr nahe. Am 3. September 1893 fügte er einem Bericht über die Tagesereignisse die handschriftliche Notiz hinzu : »Es erscheint mir sehr auffällig zu sein, dass es der Prager Polizei nicht gelingt, die ständige Beschädigung der kaiserlichen Adler zu verhindern.«172 Ministerpräsident Taaffe erachtete die Anmerkung des Monarchen
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Graf Thuns Kampf mit dem tschechischen Radikalismus
zu Recht als so bedeutsam, dass er den böhmischen Statthalter darüber am 8. September informierte, dem er ein eindeutiges Signal sandte : Achtung, Seine Majestät ist über die Vorkommnisse in Prag beunruhigt und irritiert. Graf Thun verstand. Die ihm zur Verfügung stehenden Polizeikräfte taten, was in ihrer Macht stand. Nach dem 17. August bemühten sie sich darum, die Anstifter und Organisatoren der Unruhen ausfindig zu machen. Eine Reihe von Personen wurde festgenommen, Untersuchungen wurden durchgeführt und ein Prozess vorbereitet. Die Überwachung aller kaiserlichen Adler auf hunderten Briefkästen, Trafiken und Lotterieannahmestellen war jedoch schwierig. Am 16. September forderte Graf Thun die Bezirkshauptleute in einem Zirkularschreiben173 auf, die Bürgermeister darüber in Kenntnis zu setzen, dass in all jenen Orten, in denen das Staatswappen übermalt werde, eine Demontage der Briefkästen durch die Postdirektion erfolgen werde – ohne Rücksicht auf die dadurch entstehende Beeinträchtigung des Postdienstes. Das war kein schlechter Plan – wenn die Post in einer Gemeinde ihren Dienst einstellte, erfuhren die friedlich gesinnten Bürger auf diese Weise, dass dies auf das Werk missliebiger Radikaler zurückzuführen war.
Kapitel 7
»Ausnahmestatthalter« Graf Franz Thun
Die Verhängung des Ausnahmezustandes über Prag
Die Jungtschechen wollten die traditionellen Feiern in Erinnerung an das im September 1871 ausgestellte kaiserliche Reskript, welches das Versprechen von Franz Joseph enthielt, sich zum böhmischen König krönen zu lassen, für ihre Zwecke nützen. Die Erinnerung an das alte – im Jahr 1893 und unter den gegebenen Umständen aufgrund der grundsätzlichen Ablehnung durch die deutsche Politik unerfüllbare – kaiserliche Versprechen stellte für die Regierung (und somit auch für den Statthalter) eine unannehmbare politische Demonstration dar. Luboš Velek verweist auf einen Bericht der Polizeidirektion an den böhmischen Statthalter174, aus dem hervorgeht, dass der Vollzugsausschuss der jungtschechischen Partei beabsichtigte, anlässlich des Jahrestages des königlichen Reskripts vom September 1871 eine Serie von 600 großen Volksversammlungen abzuhalten. Dies wurde von den Ämtern auf Weisung des Statthalters freilich untersagt, ebenso verboten wurde eine Reihe von inoffiziellen Zusammenkünften. In Prag wurde die Polizei um das aus den (im Nordosten Böhmens liegenden) Garnisonsstädten Josefstadt und Königgrätz herbeigerufene Militär verstärkt. Die Abhaltung einer Volksversammlung für den 11. September wurde untersagt, wenngleich am nachfolgenden Tag ein sogenanntes Bankett für geladene Gäste im Prager Sophienpalais auf der gleichnamigen Insel stattfinden sollte, dessen Abhaltung die Polizei weder verbieten noch auflösen konnte. Dabei sollte es sich um die einzige zugelassene Veranstaltung in Prag handeln. Im Palais versammelten sich etwa 300 Personen, darunter einige jungtschechische Abgeordnete und Stadtväter. Die Polizei untersagte dennoch die Eröffnung und räumte den Veranstaltungssaal. Die solcherart vom »Bankett« verdrängten Gäste begaben sich in das ebenso nahe gelegene wie beliebte Restaurant Choděrov auf der heutigen Nationalstraße. In dem äußerst gut besuchten Saal, in dem sich an die 500 Personen befanden, hielten Alois Rašín und K. S. Sokol radikale Reden. Der Abend, an dem an das kaiserliche Reskript vom 12. September 1871 erinnert werden sollte, gipfelte in eine grobe antidynastische Demonstration, als nämlich der Fortschrittler und vermögende Besitzer der Prager-Neustädter Mühle, Václav Štěpánek, die Gipsbüsten des kaiserlichen Paares mit einem Stock vom Sockel stieß und zerschlug.175 Der Staatsapparat reagierte darauf schnell und entschlossen : Am 13. September 1893 wurde über Prag und die angrenzenden Bezirke nach 25 Jahren wieder der Aus-
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nahmezustand verhängt. Die blitzschnelle Implementierung lässt auf eine längere Vorbereitungszeit schließen. Zumindest von dem Augenblick an, als Franz Joseph seinem Ärger über die massenweise Schändung der Staatswappen Ausdruck verliehen hatte, war die Geduld des Kaisers, der Regierung und die des böhmischen Statthalters am Ende. Nichtsdestotrotz war die Verhängung des Ausnahmezustandes, wie Luboš Velek feststellt, nicht als Intervention gegen die radikalen Kräfte zu sehen, sondern vor allem eine Antwort »auf den von den Jungtschechen nach dem Jahr 1891 inaugurierten politischen Kurs, der seinen Höhepunkt mit den Ereignissen vom Mai im böhmischen Landtag erreicht hatte, als die Unruhen vom Landtag auf die Straße getragen wurden. Die Fortschrittler wiederum bildeten als deren radikalen linken Flügel einen integrativen Bestandteil der Freisinnigen Nationalpartei [Národní strana svobodomyslná – nss ; gemeinhin als »Jungtschechen« bezeichnet] […]. Es ist also nur logisch, dass das Vorgehen des Staates nicht nur gegen die Fortschrittler, sondern auch gegen die Freisinnige Nationalpartei und die Volksblätter [Národní listy – NL] gerichtet war, denen die Grenzen der politischen Agitation in Österreich in aller Klarheit aufgezeigt werden sollten.«176 Gemäß den Bestimmungen des Reichsgesetzes verhängte die Regierung den Ausnahmezustand, während der Monarch dazu seine Zustimmung erteilen musste. Als Initiator für die Durchführung firmierte jedoch der böhmische Statthalter. Dieser bekannte sich in der Sitzung des böhmischen Landtages vom 13. Februar 1895 auch ausdrücklich zu seiner »Urheberschaft«.177 An Thuns Darstellung, der sich hinter die Verhängung des Ausnahmezustandes wie hinter ein eigenes Kind stellte, überraschte nur seine – unter österreichischen Staatsmännern – ungewohnte Offenheit, denn ansonsten wäre es nach dem 13. September 1893 niemandem eingefallen, einen anderen Initiator als eben Thun zu suchen. Der böhmische Statthalter wurde von allen mit dem Ausnahmezustand identifiziert, weshalb er mit dem pejorativ klingenden Spitznamen »Ausnahmestatthalter« belegt wurde. Thun hatte sich sehr gut auf die Verhängung des Ausnahmezustandes vorbereitet. In den Straßen patrouillierten gemischte Streifen, die aus Polizisten, Gendarmen und mit Gewehren bewaffneten Soldaten bestanden. Das als nicht zuverlässig erachtete Infanterieregiment Nr. 28 (die »Prager Kinder«) wurde nach Linz verlegt. Aus einem Brief, den Franz Thun an seine Frau Anna richtete, geht hervor, dass der Statthalter nach der Verhängung des Ausnahmezustandes mit Sorge dem Ausbruch von Unruhen entgegensah und mit Erleichterung feststellte, dass sich nichts Wesentliches ereignet hatte. Am 16. September 1893 schrieb Thun nach Tetschen : »Von hier kann ich Dir wenig Interessantes mittheilen. Im allgemeinen wurde die Ruhe bisher nicht gestört, doch lasse ich immer noch die Sicherheitswache mit Gewehr ausrüsten. Gestern abend erlebten wir kleine Excesse im Stadtpark, doch kam es zu nichts, dagegen musste
Der Ausnahmezustand im Reichsrat
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in Smichov eingeschritten werden, doch kam es zu nichts von Belang. Heute sollte der Abmarsch der 28er zu Demonstrationen benützt werden ; thatsächlich begleiteten viele Jugendliche das abmarschierende Regiment. Neugieriges Publikum, weinende Dienstmädchen und Köchinnen, die gewöhnlichen Begleiter von Musiken, und sehr viel jugendliches Volk, alles das wälzte sich von der Kleinseite bis zum Franz Joseph bahnhof. Dort waren aber solche Polizeivorkehrungen getroffen, daß die Menge anstandslos verstreut werden konnte. Einige Verhaftungen waren das Resultat. Die Zeitungen schreiben ruhig. Im ganzen ist der Ausnahmezustand, wie ich glaube, von allen friedliebenden Elementen mit Freude aufgenommen worden. Ich bin sehr begierig, wie die Sache am Lande wirken wird, ich fürchte, die Jungčechen werden, wenn sie sich von den Schlägen […] erholt haben werden, ihre Agitation in erneuerter Weise nach dem Land hinaus verlegen.«178 Am 20. September schilderte Thun die Situation wie folgt : »Hier gab es gestern und heute leidlich viel zu thun aber keine Aufregung – es herrscht Ruhe. Auf dem Lande vorläufig keine Anzeichen von vermehrten Agitationen bemerkt. Mir wäre es beinahe lieber gewesen, wenn hier oder am Lande sich gewisse Bewegung gezeigt hätte und ein festes Eingreifen notwendig geworden wäre. Man hat jetzt das Gefühl der Stille vor einem Gewitter.«179 Drei Tage später erhielt Gräfin Thun von ihrem Gemahl ein weiteres Schreiben. Es sei ruhig, teilte er mit, das befürchtete Unwetter sei nicht niedergegangen und er würde sich erlauben, Prag zu verlassen. Er fahre nach Wien, um beim Kaiser persönlich Beschwerde darüber einzulegen, dass die Regierung seinen Wünschen nach einer zahlenmäßigen Verstärkung und besseren Bewaffnung der Polizei nicht entsprochen habe.180 Am 30. September hielt sich Franz Thun in seinen berühmten Jagdrevieren Maxdorf (Maxičky) und Christianenburg (Kristin Hrádek) unweit von Tetschen auf. Jaroslav hatte den Eindruck, als ob die aufzehrenden Ereignisse nicht spurlos an seinem 46-jährigen Bruder vorübergegangen seien. Er notiert dazu : »Dinner in Christianenburg war ganz gemütlich wie in alter Zeit – nur daß Franz sehr grau und alt geworden ist und gedrückt aussieht, die verfluchten Jungčechen sind wohl darauf aus, jemandem im Magen zu liegen ; hoffentlich wirkt der herrliche Wald erfrischend auf ihn und gibt ihm vor allem seine volle Stimme wieder, denn er ist seit Monaten ganz heiser.«181 Der Ausnahmezustand im Reichsrat
Im Land herrschte Ruhe. Den »Fortschrittlern« und den radikalen Jungtschechen war es nicht gelungen, Massenproteste gegen die Verhängung des Ausnahmezustandes zu entfesseln. Von der Schändung staatlicher Symbole konnte schon gar keine Rede sein.
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Als der Reichsrat am 10. Oktober zu einer Sitzung zusammentrat und über die Verhängung des Ausnahmezustandes beriet, hielten die jungtschechischen Abgeordneten eine Reihe von sehr emotionalen Reden. Sie waren voller Angriffe gegen den »Verursacher des Ausnahmezustandes«, also den böhmischen Statthalter Franz Graf Thun. Dessen Bruder Jaroslav notierte dazu am 18. Oktober in seinem Tagebuch, dass Justizminister Schönborn im Reichsrat in »trefflicher Rede von groben Invektiven gegen die Regierung sprach und den Statthalter in Böhmen verteidigte. Von Grobheit strotzten alle Reden [der jungtschechischen Abgeordneten], Gift und Galle, Dr. Pacák nennt Franz ›Alba-Gigerle !‹«182 (Alba – Herzog von Alba, der im 16. Jahrhundert als spanischer Statthalter in den Niederlanden mit großer Grausamkeit herrschte. Gigerle – vom wienerischen Gigerl, ein eitler Geck, ein Laffe. Der Beiname Alba-Gigerle unterstellte Thun somit einerseits, grausam zu sein, andererseits zielte er auf die außerordentliche Pflege seines Äußeren ab. Antal Stašek schrieb dazu : »[…] er war stets nach der neuesten Mode gekleidet mit dem Monokel an dem einen Auge und einem immer sorgsam rasierten Gesicht.«) Ungeachtet des ungestümen Auftretens der jung tschechischen Abgeordneten konnte sich die Regierung für ihr Vorgehen die nötige Unterstützung sichern : In der Abgeordnetenkammer stimmten 185 Mandatare für die Verhängung des Ausnahmezustandes über Prag und die angrenzenden Bezirke, nur 73 Abgeordnete stimmten dagegen. In Wahrheit waren die Jungtschechen damit im Zentralparlament isoliert. Graf Taaffe tritt zurück
Wie sehr sich die Jungtschechen in der erwähnten Sitzung auch entrüsten mochten, so war es doch nicht der über Prag und die angrenzenden Bezirke verhängte Ausnahmezustand, der den Reichsrat im Besonderen und die politische Öffentlichkeit im Allgemeinen in Aufruhr versetzte. Für gehörige Diskussionen sorgte Ministerpräsident Taaffe, der zur nicht geringen Verwunderung aller Abgeordneten einen für österreichische Verhältnisse sehr radikalen Vorschlag zur Abänderung des Wahlrechts unterbreitete : Dieser sah zwar weiterhin die Beibehaltung des Kurienwahlrechts vor, hätte jedoch im Gegensatz zum bestehenden Modus in den Kurien der Städte und Landgemeinden nahezu zur Einführung des allgemeinen Wahlrechts geführt. Der Anteil der Wahlberechtigten wäre als Folge der vorgeschlagenen Wahlrechtsreform stark angestiegen : Konnten bisher 15% der Bevölkerung von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, so wären es dann 34% gewesen. Gegen den schockierenden Vorschlag des Ministerpräsidenten formierte sich augenblicklich eine breite, mehrheitsfähige Front : Neben den Konservativen und den deutschen Liberalen gehörten ihr auch die Abgeordneten des Polnischen Klubs an. Der Historiker Otto Urban183 erwähnt, dass sich auch die konservativen Alttsche-
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chen gegen ihn gestellt hätten, insofern sie im Reichsrat vertreten gewesen wären. Die Empörung über die Reform, welche geeignet war, die »Grundfesten des Staates« zu erschüttern, spiegelte sich vollauf in den Erklärungen und in der Korrespondenz vor allem der konservativen und deutschliberalen Politiker wider. Franz Graf Thun war unzweifelhaft, ebenso wie die ganze politische Öffentlichkeit, von Taaffes Vorschlag einer Wahlrechtsreform erschüttert. Sichtlich empört rief er : »Muß denn Österreich zu Grunde gerichtet werden, weil Graf Taaffe den Plener nicht mag ?«184 Er war der Ansicht, dass der Ministerpräsident diese Reform aufgrund seiner Aversion gegen die deutschen Liberalen, namentlich gegen ihren neoliberalen Vorsitzenden, vorgeschlagen hatte, eine Reform, die mit den österreichischen Strukturen unvereinbar erschien. Graf Thun sah einer Demokratisierung des Wahlrechts mit einiger Besorgnis entgegen, denn diese hätte den politischen Einfluss des adeligen Großgrundbesitzes, dem Thun politisch angehörte, wohl empfindlich geschmälert. Einige Tage darauf, am 24. Februar 1894, sandte Thun an den neuen Ministerpräsidenten, seinen Standesgenossen und Freund Alfred Fürst Windisch-Graetz, einen Brief. Er reagierte darin auf einen Artikel, der im offiziösen Fremdenblatt erschienen war und der eine Formulierung enthielt, die, wie es Thun schien, darauf schließen ließ, dass die von der Regierung vorbereitete Wahlrechtsreform eine »Station« auf dem Weg vom Kurienwahlrecht zum allgemeinen Wahlrecht darstellte. Aufgeregt schrieb er : »Ich beschwöre Euch, diesem Gedanken entgegen zu treten, wo und wann immer Ihr könnt. Ihr nährt selbst weitreichende Aspiration, Ihr fordert die Unzufriedenheit der Arbeiter mit dem Erreichten, Ihr selbst tragt die Schuld an einer leidenschaftlich weitergeführten Agitation in den Arbeitermassen, wenn es nicht klar und deutlich gesagt wird : Bis hierher und nicht einen Schritt weiter ! Österreich verträgt ein allgemeines Wahlrecht nicht und ein jeder Schritt, der dazu führt, ist eine große Gefahr.«185 Die Tage von Taaffes Regierung waren jedenfalls gezählt. Am 28. Oktober 1893 setzte das Parlament die Verhandlungen aus und Taaffe wurde vom Kaiser in Audienz empfangen. Die Ära seiner Regierung, die 14 Jahre lang Bestand gehabt hatte, war damit beendet (es handelte sich dabei um die stabilste in der neuzeitlichen Geschichte Österreichs) und der Kaiser musste, unwillig aber doch, Ausschau nach einem neuen Ministerpräsidenten halten. Unter diesen Kandidaten fand sich auch der Name von Franz Thun. Zum Herrscher, der zu dieser Zeit gerade in Pest weilte, wurden Zeitungsmeldungen zu Folge Fürst Alfred Windisch-Graetz, Graf Kasimir Badeni und Graf Franz Thun zu Gesprächen geladen. Die Nachricht, dass auch sein Bruder als Mitglied der neuen Regierung in Betracht kommen könnte, überraschte auch Jaroslav Thun, der nach der langen politischen Karriere seines älteren Bruders und Familienoberhaupts zwar einerseits ihm gegenüber Bewunderung hegte, andererseits aber auch befürchtete, dass er als Politiker keine Erfolge erringen und als Mensch kein hohes Alter erreichen werde. Am 3. November notierte er betreten in sein Tagebuch : »Eine
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mir unerfreuliche Nachricht, ich hatte mich gefreut, daß Franz bisher in keiner Ministerkombination genannt worden war, denn wünschen kann man es ihm nicht ! Und was für ein Portefeuille ? Wenn, wie es scheint, Windischgrätz das Preßidium [Präsidium ; Anm. d. Übers.] übernimmt, sollte er unter ihm das Ministerium der Inneren übernehmen. Gott schütze ihn davor ! Auch hatte ich so ein Gefühl, daß Franz nicht zum ›leitenden Staatsmann‹ geschaffen ist !«186 Am 4. November 1893 übernahm Fürst Alfred Windisch-Graetz die Aufgabe der Regierungsbildung, was Gräfin Anna Thun zum Anlass nahm, an Jaroslav nach Kwassitz zu schreiben : »Du wirst Dich mit uns freuen, daß die Ministergefahr glücklich an uns vorüber ist, Se. Majestät sagte Franz : ›Er brauche ihn jetzt zu notwendig als Statthalter.‹«187 Franz Thun wurde also nicht in das Amt des Ministerpräsidenten berufen. Alleine aber schon die Tatsache, zum Kreis jener Persönlichkeiten zu zählen, mit denen der Kaiser bei der Regierungsumbildung rechnete, war nicht hoch genug einzuschätzen, denn derartige Umbildungen sollten in den nächsten Jahren noch öfter erfolgen. Die Periode der dauerhaften, stabilen Regierungen war zu einem Ende gelangt – kein einziges der folgenden Kabinette sollte auch nur annähernd für die Dauer von 14 Jahren die Regierungsgeschäfte führen, so wie es das Kabinett des Grafen Taaffe getan hatte. In der Tat sollten die Regierungen öfter wechseln, als die Zusammensetzung des Reichsrates nach Wahlen. Während der folgenden 21 Jahre – vom Rücktritt Taaffes bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges – amtierten nicht weniger als 14 Regierungen, die somit durchschnittlich eineinhalb Jahre im Amt blieben. Bis zum 7. März 1898, als Franz Thun zum Ministerpräsidenten avancierte, hatten sich nicht weniger als vier Regierungen im Amt abgelöst. Bei jedem Wechsel zählte auch Graf Franz Thun zum engeren Kreis der Kandidaten oder es hatte zumindest den Anschein, als ob es so wäre. Er war, wie man damals sagte, ein »Mann mit Zukunft« – ein potentieller Kandidat auf das höchste politische Amt im Staat. Das Amt des Ministerpräsidenten übernahm zunächst also Fürst Alfred WindischGraetz, Franz Thun blieb als böhmischer Statthalter in Prag. Der von ihm verhängte Ausnahmezustand blieb weiter aufrecht und im Febraur 1894 kam es zum großen Prozess gegen die sogenannte Omladina.188 Dieser Prozess fand zur Zeit des Ausnahmezustandes statt, weshalb auch Thun als Urheber und Anstifter dieses Gerichtsverfahrens angesehen wurde. Gewiss war es dem böhmischen Statthalter ein Anliegen, dass über die aktiven Teilnehmer der antiösterreichischen Demonstration des Jahres 1893 Gericht gesprochen werde. Es entspricht aber sicher nicht den Tatsachen, dass er in den Prozessverlauf eingriff, etwa, indem er Einfluss auf den Richter ausübte. Aus der zwischen ihm und Ministerpräsident Windisch-Graetz über den Prozess geführten Korrespondenz geht etwas Derartiges nicht hervor. Der Ministerpräsident erwähnte, dass das Interesse am Prozess abnehme.
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Thun antwortete ihm, dass die Öffentlichkeit Interesse am Omladina-Prozess habe, auch wenn, wie das bei ähnlich gelagerten und lang andauernden Prozessen der Fall sei, das Interesse mit der Zeit etwas abnehme. Er berichtete weiter, dass »der Vorsitzende des Gerichts [Krčmář] ein sehr tüchtiger Mann sei, der aber vor eine zu grosse [große ; Anm. d. Übers.] Aufgabe gestellt sei.«189 Dem Ministerpräsidenten dankte er für die schmeichelhaften Worte über die Prager Polizei : »Für die Anerkennung der Polizei bin ich Dir sehr dankbar, sie verdient dieselbe. Sie hat einen äußerst schweren Dienst, dem sie vom Hofrath Dörfl bis zum letzten Praktikanten und letzten Sicherheitswachmann mit der größten Selbstaufopferung nachkommt.«190 Zwei Jahre Ausnahmezustand
Der Ausnahmezustand, den die Regierung auf Initiative des böhmischen Statthalters am 13. September 1893 verhängt hatte, wurde zu einer Dauereinrichtung. Er blieb nicht für die Dauer von Wochen oder Monate, sondern für ganze zwei Jahre aufrecht. Auf das Kabinett Taaffe folgte die sogenannte Koalitionsregierung Windisch-Graetz, die wiederum von der sich nur kurz im Amt befindlichen Regierung des Grafen Kielmansegg abgelöst wurde – erst das Kabinett Badeni beendete den Ausnahmezustand. Während sich also die Regierungen in kurzer Frist abwechselten, blieben sowohl der Ausnahmezustand aufrecht als auch jener Mann an seinem Platz, der als dessen »Urheber« angesehen wurde : Graf Franz Thun. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, warum der am 13. September 1893 verhängte Ausnahmezustand so lange in Kraft blieb. Es wurden keine österreichischen Adler beschmiert, Büsten von Franz Joseph blieben unversehrt und den Statuen der habsburgischen Herrscher wurden keine Schlingen um den Hals gelegt. In Böhmen herrschte Ruhe. Es bleibt anzunehmen, dass Thun die Fortführung des Ausnahmezustandes als Möglichkeit erachtete, um so auf die Änderung der – aus seiner Sicht wie auch aus der Sicht der »österreichischen« Interessen – widrigen Verhältnisse in Böhmen hinwirken zu können. Mit der Wiederauferstehung der Alttschechen konnte er nicht rechnen und, wie aus seiner Korrespondenz ersichtlich ist, setzte er auch keine Hoffnungen auf sie, selbst dann nicht, wenn er ihre Zeitung finanziell unterstützte. Er konnte jedoch begründeterweise davon ausgehen, dass sich die jungtschechische Partei »normalisieren« werde, indem sich die gemäßigten Realisten gegenüber den Radikalen durchsetzten. Statthalter Thun verlieh in einer am 13. Februar 1895 vor dem Landtag gehaltenen Rede seiner Überzeugung Ausdruck, dass in der jungtschechischen Partei gerade ein noch andauernder Differenzierungsprozess im Gange sei. Die Dämmerung eines fernen Tagesanbruches sei bereits auszunehmen, denn es sei eine Gruppierung am Entstehen, die sich den Radikalen entgegenstelle. Der Statthalter sprach die jung tschechischen Abgeordneten direkt an : »Und je grösser die Richtung in Ihrer Partei
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»Ausnahmestatthalter« Graf Franz Thun
Abb. 27: Karikatur in der jungtschechisch orientierten Šípy [Pfeile], einer »satirischpolitischen illustrierten Wochenzeitschrift für das Volk«. Graf Franz Thun mit dem unerlässlichen Monokel erhebt sich über der Stadt Prag, behindert vom Ausnahmezu stand, auf den die Aufschrift »výminecný« hindeutet, während im Korb des Ballons ein österreichischer Polizist mit einem Paragraphen droht. Die journalistischen Feinde der Jungtschechen halten den »Statthalterballon« fest. Von links nach rechts: Prager Tagblatt, eine Zeitung mit einer überwiegend deutsch-jüdischen Leserschaft, kenntlich gemacht durch die »semitische« Nase; Hlas národa [Stimme des Volkes], alttschechische Zeitung, Krücke und Holzbein deuten die „politische Invalidität“ an, also den Niedergang der Alttschechen; Bohemia, deutsch-nationale Prager Zeitung; »Neue Freche«, entstellte und karikierte Bezeichnung der Wiener liberalen Zeitung Neue Freie Presse, die »semitische« Nase ist als antisemitische Anspielung auf den jüdischen Chefredakteur dieser Zeitung europäischen Formats, Moritz Benedikt, zu verstehen; Česká politika [Böhmische Poli tik], alttschechische Zeitung.
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numerisch sein wird, die den radikalsten Richtungen einen Damm entgegenstellen wird, desto größer wird naturgemäß die Wirkung des Anhanges dieser Partei auch im Lande sein, und ich würde es als einen Lichtausblick in die Zukunft betrachten, wenn mein Wunsch, daß der Einfluß dieser Herren an Gewicht zunehmen möge, in Erfüllung ginge.«191 Thun lag mit der Einschätzung der Lage im Grunde richtig, denn in der jung tschechischen Partei war tatsächlich ein Differenzierungsprozess im Gange. Dessen ungeachtet blieben die Radikalen stark und laut. Wenn es um Thun und seinen Ausnahmezustand ging, wurde er auch von den gemäßigten Jungtschechen scharf angegriffen, wobei sie Anträge auf dessen Aufhebung stellten, die im Landtag jedoch keine ausreichende Mehrheit finden konnten. Der jungtschechische Klub richtete im Oktober 1894 eine eigene Kommission zur Sammlung von Materialien über den Ausnahmezustand ein, womit vor allem die radikalen Abgeordneten Březnovský, Síl und Sokol betraut waren. In der Session des böhmischen Landtages Anfang Februar 1895 machten die jung tschechischen Abgeordneten und die radikalen Wortführer Karel Černohorský, Eduard Grégr und Wenzel Kaunitz nicht nur durch eine Serie von außerordentlich scharfen Angriffen gegen den böhmischen Statthalter und den böhmischen Adel auf sich aufmerksam, sondern auch mit einer Reihe von ausgesprochen antiösterreichischen und antidynastischen Aussagen, die, um es in der damaligen Terminologie zu sagen, »an Hochverrat grenzten«. Eduard Grégr lamentierte über das zu einem Trümmerhaufen herabsinkende Prag als Folge von Aushöhlung und Aussaugung durch Wien und Österreich. Mit wahrem Pathos der jungtschechischen radikalen Rhetorik zeichnete er ein gruseliges Bild von der historischen Existenz der böhmischen Nation in der Habsburgermonarchie, die für diesen Staat »nur bezahlen, bluten und sich opfern musste, einen Staat, der in den ganzen Jahrhunderten, in denen wir ihm angehören, nicht eine Spur von Liebe oder Wohlwollen aufbrachte, und für das böhmische Volk nur Erpressung, Gehässigkeit, Fesseln und Kerker bereit hielt.« Die Skizzierung des schauerlichen Bildes vom »300-jährigen Joch nach der Schlacht auf dem Weißen Berg«, das dem böhmischen Volk auferlegt worden war, führte Grégr mit einem Sinn für politische Aktualität bis in die Gegenwart – direkt zu Statthalter Graf Thun : »[…] die Aufzählung würde kein Ende nehmen, würde ich alles Leid, alle Ungerechtigkeiten und alle Grausamkeiten aufzählen, die dem böhmischen Volk von den österreichischen Regierungen über Jahrhunderte angetan wurden, die es seit den Tagen von Leuten vom Schlage eines Huertas oder Marradas [kaiserliche Heerführer, die nach der Niederschlagung der Ständeerhebung im Jahr 1620 mit riesigen Ländereien belohnt wurden, die von den unterlegenen Ständen konfisziert worden waren] bis zu den Tagen eines Franz Thun auf das heftigste bedrängen.«192
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Der böhmische Statthalter entrüstete sich am meisten über Grégrs gehässige Ausfälle gegenüber der Habsburgermonarchie. Der jungtschechische Radikale bezeichnete sie als eine Erfindung des Jahres 1804, als »Staatskreatur von Kaiser Franz I.«, zu dem das böhmische Volk keine Bindung habe, da es alleine die Länder der böhmischen Krone als seine Heimat ansehe. Die pointierten rhetorischen Darbietungen der radikalen jungtschechischen Abgeordneten bewogen den böhmischen Statthalter zu einer Stellungnahme, die zusammen mit den Begleitumständen als politische Sensation angesehen wurde und die von vielen konservativen Zeitgenossen als eine der besten Reden angesehen wurde, die ein österreichischer Staatsmann je auf dem Boden einer Vertretungskörperschaft gehalten hatte. Thuns große Rede im böhmischen Landtag
Franz Thun ergriff am 13. Februar 1895 in der 26. Sitzung der 6. Jahressession das Wort. In seiner Einleitung ging er auf die vielen gegen seine Person gerichteten Angriffe ein und erklärte, zu sehr von Selbstbewusstsein durchdrungen zu sein, als dass er glauben könne, dass alle Anschuldigungen der Wahrheit entsprächen. Dann formulierte er seine Auffassung von den Aufgaben des kaiserlichen Statthalters in Böhmen : »Als des Kaisers Statthalter im Königreiche Böhmen durch das Vertrauen des Monarchen an die Stelle berufen, erachte ich es als meine Pflicht in diesem Lande, die bis zu dieser Zeit stets lebhaft empfundene österreichische Gesinnung zu festigen und zu kräftigen. (Bravo !) Ich betrachte es als meine Pflicht, als Statthalter Seiner Majestät mein ganzes Wollen und Können einzusetzen für das Wohl und Gedeihen dieses Landes auf allen Gebieten (Bravo !), auf den Gebieten des materiellen Schaffens, auf dem Gebiete der geistigen Kultur und es wird keinen Zweig geben, der das Wohl dieses Landes betrifft, dem ich mich nicht für verpflichtet erachten würde, mit dem gleichen Wohlwollen und Interesse fördernd zur Seite zu stehen, und bestrebt zu sein, meine Aufgabe auch in diesem Punkte zu erfüllen. Meine Aufgabe ist es weiter, in einem so hochentwickelten Lande, wo des wirtschaftlichen und geistigen Schaffens so viel ist, Ruhe und Ordnung zu erhalten, allen jenen Elementen entgegenzutreten, die diese Ruhe und Ordnung gefährden zum Schaden des Reiches, zum Schaden des Landes, zum Schaden seiner Bewohner. (Bravorufe !)«193 Der Statthalter erinnerte daran, dass er bereits zwei Jahre zuvor (im Mai 1893) gewarnt habe, dass die Reden der Abgeordneten Grégr und Janda das österreichische Empfinden zutiefst verletzt hätten. Dies habe sich, betonte Thun, in den von den jungtschechischen Abgeordneten am Vortag gehaltenen Reden wiederholt. Das böhmische Volk jedoch würde keine solchen Gedanken hegen, die Liebe zum (österreichischen) Vaterland wäre in ihm tief verwurzelt, was im Widerspruch zu Grégrs Ausführungen stehe : »Er denkt sich darunter einen Zustand, der unmöglich zum
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egen dieses Landes führen kann. Denn nur im festen Österreich, in seinem Ganzen S und in seinen Theilen festgegliederten Österreich, nur da liegt das Heil von Böhmen (Bravo ! Klatschen) und nur in einem starken Österreich findet Böhmen, wie jeder andere Theil des Reiches, seine Größe. (Bravo ! Unruhe.)«194 Nachdem Franz Thun an diese Stelle seiner Rede gelangt war, machte sich im Sitzungssaal des böhmischen Landtages große Unruhe breit. Die jungtschechischen Abgeordneten warfen mehrfach Zwischenrufe ein und stimmten lautstarke Obstruktionsmaßnahmen an. Vor allem skandierten sie Kampfparolen wie etwa : »Tschechisch ! Tschechisch ! Er soll Tschechisch sprechen !« Oberstlandmarschall Fürst Georg Christian von Lobkowicz versuchte, die Ordnung wieder herzustellen und machte darauf aufmerksam, dass es im böhmischen Landtag möglich sei, sich einer der beiden Landessprachen zu bedienen. Die Jungtschechen warfen jedoch ein, dass dies für die Abgeordneten gelte, nicht aber für einen staatlichen Beamten (womit sie den Statthalter meinten), der beide Sprachen beherrschen sollte. Erneut forderten sie : »Tschechisch ! Tschechisch ! Ein Beamter soll Tschechisch sprechen !« Franz Thun erachtete seine unvollkommenen tschechischen Sprachkenntnisse als persönliches Handicap, auf das er während seines ganzen politischen Lebens, vor allem jedoch, als erneut über seinen Amtsantritt als böhmischer Statthalter entschieden wurde, aufmerksam machte. Er selbst war der Auffassung, dass der Statthalter von Böhmen gute Kenntnisse der tschechischen Sprache haben sollte. Bei den Sitzungen des böhmischen Landtages bediente er sich, besonders in der Beantwortung von Interpellationen, manchmal des Tschechischen, um damit den Eindruck zu vermitteln, beide Sprachen als gleichrangig zu erachten. Der von ihm vorgelesene tschechische Text war offenbar von einem Beamten aus der Statthalterei für ihn vorbereitet worden. Nichtsdestoweniger konnte er seiner Begabung als einer der besten Redner nur in seiner Muttersprache Deutsch gerecht werden. Es war die simple Absicht der Jungtschechen, Obstruktionsmaßnahmen zu ergreifen, weshalb ihnen im geeigneten Augenblick die Losung »Tschechisch ! Tschechisch ! Er soll Tschechisch sprechen !« gerade recht erschien. Hatten sie jedoch bedacht, dass sie ihre Forderung nach der Sprachengleichheit mit solchen Ausrufen nicht in ein zwielichtiges Licht rückten ? Einige deutschsprachige Zeitungen meinten, in der jungtschechischen Obstruktion gegen den Statthalter ein Muster zu erkennen. Sie leiteten daraus ab, wie es den böhmischen Deutschen ergehen würde, wenn die Forderung der Tschechen nach der Gewährung des Staatsrechts erfüllt wäre und jeder Tschechisch sprechen müsse. Das Neue Wiener Tagblatt übertitelte seinen Korrespondentenbericht von der Sitzung des böhmischen Landtages charakteristisch mit »Er muß czechisch sprechen !«195 Die jungtschechischen Maßnahmen waren – im Gegensatz zu der Obstruktion vom 17. Mai 1893 – nicht »von Erfolg gekrönt«, sofern man in dem Zusammen-
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hang überhaupt von einem solchen sprechen kann. Das heißt, dass die Beratungen des Landtages nicht unterbrochen wurden und dass der Statthalter seine Rede zu Ende führen konnte. Ein schützender Wall aus deutschen, großgrundbesitzenden und einigen alttschechischen Abgeordneten umgab ihn, direkt neben dem Statthalter bezog der Stenograf Stellung. Die Szene wurde vom Zeichner des Illustrierten Kuriers eingefangen : den Vorsitz führte vom Platz des Präsidenten aus Oberstlandmarschall Fürst Georg Christian von Lobkowicz, daneben der Prager Bürgermeister Šolc. Der großgewachsene Franz Thun spricht aufrecht hinter dem Rednerpult, der unmittelbar neben ihm sitzende Stenograf schreibt seine Rede mit. Unter der Vielzahl von Abgeordneten, die ihn umringen, rumoren die obstruierenden Abgeordneten Grégr, Černohorský, Šíl, Kaunitz, Krumbholc, Tůma, Kaftan, Hovorka, Škarda, Jindřich, Hána, Karlík, Dyk und Kus. Unter ihnen befindet sich auch der Abgeordnete Nikelfeld mit ausgebreiteten Armen, der umtriebigste Organisator der Obstruktion. Einige jungtschechische Abgeordnete beteiligten sich nicht an diesen Maßnahmen – der Abgeordnete Herold lauschte angeblich gespannt der Rede des Statthalters, der Abgeordnete Jan Podlipný saß aufmerksam auf der hinteren Bank des Sitzungssaales. Es hat den Anschein, als ob die jungtschechische »Phalanx der Obstruktion« nicht geschlossen gewesen sei und dass einige jungtschechische Abgeordnete überhaupt nicht davon begeistert waren, was sich im Sitzungssaal des Landtages zutrug. Ungeachtet des großen Lärmpegels beendete der Statthalter seine Rede und war auch am Ende gut zu vernehmen gewesen – den obstruierenden Abgeordneten versagte die Stimme. Es genügte, sich mit aller Entschiedenheit dagegen zu verwahren, dass Grégr die Erziehung der Jugend zum österreichischen Patriotismus angriff, er – Thun – betonte gerade den Bedarf an einer solchen Erziehung und warnte vor »Brandreden«, die im Landtag unter dem Schutz der Immunität zu hören seien und die »am Hochverrat streifen«. Es folgte ein Abschnitt, in dem sich der böhmische Statthalter ausdrücklich zur Urheberschaft des Ausnahmezustandes bekannte, der jedoch von der Regierung Taaffe verhängt worden war. Thun sagte : »Der Ausnahmezustand wird mir zum Vorwurfe gemacht. Ja, meine Herren, ich bin der Antragsteller dieses Ausnahmezustandes (tschechische Zwischenrufe : Das wissen wir !) und ich habe es noch nicht einen Augenblick bereut und bedauert, daß ich diesen Antrag gestellt habe. Genau die Verhältnisse der Stadt und Umgebung kennend, habe ich das für das einzige Mittel erachtet, Ordnung zu schaffen.«196 In weiterer Folge verteidigte der Statthalter die Art, wie die Verhängung des Ausnahmezustandes umgesetzt worden war. Er vertrat die Auffassung, dass dies auf eine sehr moderate Weise geschehen war. Es sei übertrieben zu behaupten, wie es die Jung tschechen taten, dass er das ganze böhmische Volk betreffe, denn er sei nur über Prag und die angrenzenden Bezirke verhängt worden. Er führte weiter aus, dass die Aus-
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wirkungen in den betroffenen Gebieten nicht so schlimm seien. Während der gesamten Dauer fanden 25.145 öffentliche Versammlungen statt, während nur 228 verboten worden waren. Hatten am Beginn des Ausnahmezustandes 1.569 Vereine bestanden, erfolgte seitdem die Gründung von 118 neuen. Nur 26 wurden gemäß den Satzungen des Ausnahmezustandes aufgelöst. Von den 1.135 in Böhmen erscheinenden Zeitschriften und Journalen waren nur vier (Neodvislost, Nové proudy, Časopis studenstva českoslovanského, Pokrokové listy) verboten worden. Daraufhin ging der Statthalter dazu über, den Ausnahmezustand als Bollwerk für Ruhe und Ordnung im Land, als »Schutzzustand« der friedfertigen Bürger vor dem nationalen Terror und ihres ruhigen Alltagsvollzuges zu verherrlichen : »Frei bewegt sich jeder Bürger, welcher die Ruhe und Ordnung wünscht, (Bravo !) frei ist Handel und Wandel, frei ist die Wissenschaft, frei ist die Rede aller Seiten, wenn sie innerhalb der Grenzen, die durch das Gesetz gezogen ist, sich bewegt. Ich betrachte den Ausnahmezustand als einen Schutzzustand zugleich für alle Friedliebenden (Lebhafte Bravorufe, großer Widerspruch) und ich zweifle gar nicht daran, daß ein großer, ja der überwiegende Theil der Bevölkerung des Ausnahmegebietes selbst wohl nicht laut und schreiend, aber in seinem Inneren dankbar dieser Verfügungen gedenkt, denn unter diesem Schutze allein bewegt sich die wahre Freiheit (tschechische Zwischenrufe : Eine schöne Freiheit ist das ! Lebhafte Bravorufe) während sie, wenn sie des Schutzes entbehren würde, freigegeben wäre der Zügellosigkeit und dem Terrorismus (So ist es ! Bravo ! Lebhafter Widerspruch – große Unruhe im ganzen Hause) […] Es ist eine traurige Consequenz, die durch Sie hervorgerufen worden ist (Lebhafter Widerspruch – Bravo !)«197 Reaktionen auf Thuns Rede
Dem Statthalter war es am 13. Februar 1895 – im Unterschied zum 17. Mai 1893 – möglich gewesen, seine im böhmischen Landtag gehaltene Rede ohne massive Unterbrechung zu Ende zu führen. Nachdem sein letztes Wort verklungen war, gratulierten ihm die Großgrundbesitzer sowie die deutschen und alttschechischen Abgeordneten, ein Teil der Besucher auf einer Galerie, angeblich hauptsächlich aus adeligem Haus, brachte seine Zustimmung überdeutlich mit Hoch-Rufen zum Ausdruck, andere, stehende oder sitzende tschechische Studenten, rumorten. Der Oberstlandmarschall ermahnte beide Galerien, wie es seine Aufgabe war. Unter denjenigen, denen die Jung tschechen mit ihrem Radikalismus und ihrer antiösterreichischen Rhetorik im Magen lagen und die den Eindruck hatten, als würde niemand dem strauchelnden Österreich beistehen, herrschte allgemeine Begeisterung. Zu diesen zählte vor allem Thuns Bruder Jaroslav, der am 14. Februar 1895 in sein Tagebuch notierte : »Wir stehen alle unter dem stolzen Eindruck des großen rheto-
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rischen Erfolgs, den Franz in der gestrigen Landtagssitzung errungen hat. In trefflicher Rede hat er die gar zu groben Invektiven der Jungčechen erwidert. Umgeben von den Stenographen und einem eisernen Ring seiner Gesinnungsgenossen hat er, unbeirrt des ihn nicht zu Wort kommen lassen wollenden Gejohles der Jungčechen, fortgesprochen. Gox [Georg] Lobkowic [sic !] erzählte mir auf seinem gestrigen Ball begeistert von der Rede.«198 Begeistert waren auch Thuns Standesgenossen – viele brachten in Briefen ihre Wertschätzung, Bewunderung und Genugtuung zum Ausdruck. So schrieb etwa Graf Lamberg : »Ich habe soeben Deine Rede gelesen und kann mir nicht versagen, Dir aus dem Grund meines Herzens, als Freund und als österreichischer Patriot – Bravo zuzurufen. […] Hätte nur Se. Majestät überall solche Männer wie Dich […].«199 Der alte, bereits viele Jahre im diplomatischen Dienst stehende Bohuslav Graf Chotek von Chotkow (Vater von Sophie Chotek, die mit dem späteren Thronfolger Franz Ferdinand eine morganatische Ehe eingehen sollte, und gleichzeitig Schwiegervater von Franz Thuns jüngerem Bruder Jaroslav) schrieb aus Dresden : »Jeder Österreicher, meine ich, muß das Bedürfnis empfinden und Dir gratulieren zu dem wahrhaft glänzenden Sieg, den zu erstreiten Dir jüngst beschieden war. […] In heutiger Zeit tapfer und siegreich für Kaiser und Reich einzustehen und zu kämpfen ist sicher eine großartige Aufgabe, zugleich für alle, die auch in der Politik an Ideale glauben und Grundsätze haben, ein erhebendes Beispiel.«200 Der Kommentar in der dem konservativen Adel zuzurechnenden Zeitung Das Va terland besang Thuns Auftritt in Form eines Paians [ein altgriechischer, feierlicher Gesang ; Anm. d. Übers.] als legendäres Ereignis : »Man muß Augen- und Ohrenzeuge gewesen sein, um das Bild, welches der böhmische Landtag in dieser Stunde bot, in unvergeßlicher Erinnerung zu bewahren und die Haltung des Statthalters voll und ganz würdigen zu können. Wie ein Fels in den brandenden Wogen stand er da ; die vornehme Gestalt hoch aufgerichtet ; die edlen Züge seines Anlitzes in Marmor verwandelt ; nicht ein Muskel zuckte und verieth die Gefühle, welche in diesem Augenblicke seine starke Seele durchtoben mußten. Ein wahres Huronengeheul durchbrauste den Saal – man wollte den Statthalter verhindern, weiter zu sprechen ; und hätte er nur für eine Minute die Kaltblütigkeit verloren, hätte er – in begreiflicher Indignation seinen Sitz wieder eingenommen, so wäre dem Oberstlandmarschall wohl nichts Anderes übrig geblieben, als die Sitzung zu schließen […]. Der Terrorismus im böhmischen Landtagssaale hätte gesiegt und nach Außen hin einen Triumpf gefeiert. […] Wenn die überwiegende Mehrheit des Landes Seiner Excellenz dem Grafen Thun schon früher die schuldige Verehrung zollte, welche seinem Gerechtigkeitssinne, seinem unermüdlichen Eifer, das Wohl des Königreichs Böhmen zu fördern, gebührt, so konnte man jetzt erst recht erkennen, wie glücklich wir uns schätzen müssen, – in
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einer Zeit, welche von gewaltigen Volksströmungen beherrscht wird, in welcher es an brutalen Ausschreitungen irregeleiteter Massen nicht fehlt – den rechten Mann am rechten Platz zu wissen. Diese Erkenntniss war eine so allgemeine, daß die von den Jungczechen inscenierte Demonstration gegen den Statthalter sich bekanntlich in eine großartige Ovation für den Landeschef verwandelte. Sämmtliche Abgeordnete des conservativen Großgrundbesitzes, der deutschen und der alttschechischen Partei beeilten sich, nach Schluß der Landestagung ihre Visitenkarten im StatthaltereiGebäude abzugeben.«201 Auch die gesamte deutschsprachige Presse zeigte sich über die Rede des Statthal ters, dem gegenüber sie zuvor überwiegend feindlich gesinnt war und den sie als »Krönungsstatthalter« und »konservativen Feudalen« apostrophiert hatte, größtenteils erfreut. Nunmehr verhehlten auch die deutschen Nationalliberalen nicht ihre Freude darüber, dass der böhmische Statthalter den unausstehlichen Jungtschechen seine Meinung ins Gesicht gesagt hatte. Über die Sitzung des böhmischen Landtages und die von Thun gehaltene Rede berichtete praktisch jede Wiener Zeitung. Die Tribüne des deutschen Liberalismus, die Neue Freie Presse, meldete, dass sich Thun mit aller Schärfe gegen die wühlerischen Tendenzen der Omladina und die sie unterstützenden Jungtschechen gewandt hatte.202 Das offiziöse Fremdenblatt freute sich darüber, dass Thun den »jungtschechischen Rittern der böhmischen Eigenstaatlichkeit« die Wahrheit ins Gesicht gesagt und aufgezeigt hatte, dass sie ohne Österreich nicht zurechtkommen würden. Die Presse würdigte den Umstand, dass der Statthalter erfolgreich die österreichische Idee und den österreichischen Patriotismus verteidigt habe. Das Neue Wiener Tagblatt betonte, dass der Statthalter den Willen bekundet hatte, »in Böhmen österreichisch zu regieren« und dass er den »neuhussitischen Epigonen« ohne Umschweife mitgeteilt habe, dass Böhmen sein Heil nur im Verbleib bei Österreich finden werde. Über die Sitzung des Landtages berichteten auch zahlreiche deutsche Provinzzeitungen, die in der Vergangenheit Thun gegenüber feindlich eingestellt gewesen waren. So berichtete etwa die Saazer Zeitung, dass ein großer Teil des böhmischen Volkes, dem es nie am nötigen Realismus gefehlt habe, aus Thuns Rede die entsprechende Lehre gezogen habe, sich von der Omladina und den Jungtschechen abgewandt und dass Österreich noch nicht zugunsten des »Wenzelstaates« abgedankt habe.203 Von den böhmischsprachigen Zeitungen waren es die katholisch-konservativen und alttschechischen Gazetten, die ihrer Freude darüber Ausdruck verliehen, mit welcher Entschlossenheit sich der böhmische Statthalter mit den Jungtschechen eingelassen hatte. Die katholische, in Brünn erscheinende Hlas [Stimme] erhob gegenüber den Jungtschechen den Vorwurf, Leidenschaften zu entfesseln, welche die Verhängung des Ausnahmezustandes nach sich und zum Prozess gegen die Omladina geführt hätten und die für eine ganze Reihe von persönlichen Unglücksfällen verantwortlich zu
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machen seien. Die Zeitung warf den Jungtschechen überdies vor, dass »unter ihrer stillschweigenden Duldung« Fenster von Universitätsprofessoren, Priestern und Adeligen zu Bruch gegangen seien.204 Die den Alttschechen zuzurechnende Zeitung Hlas národa [Stimme des Volkes] stellte fest, dass die Jungtschechen mit ihren Obstruktionsmaßnahmen im Landtag unter Beweis gestellt hätten, was für eine (wie Franz Joseph es formuliert hatte) »besondere Gesellschaft« sie seien. »Für die wohlgeborenen jungtschechischen Politiker, die die Welt bekehren und Europa ihren Willen diktieren wollen, haben weder das Staatsrecht noch die Gleichberechtigung einen Sinn, nichts stört sie mehr als dieser Statthalter. […] Wie lachhaft, wie kleinlich sind doch diese Herren in ihrem Jähzorn.«205 Die jungtschechischen Zeitungen sahen den Verlauf der Sitzung des böhmischen Landtages vom 13. Februar 1895 naturgemäß anders und strichen in ihrer Bericht erstattung vor allem den Auftritt von Josef Herold hervor, der auf die Rede des Statthalters replizierte.206 Franz Thun konnte seinen »Erfolg« eine Zeit lang auskosten und dabei das Gefühl haben, Österreich und der Dynastie gedient zu haben. Selbst der (ab 1896 offizielle) Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Este sandte an Thun einen begeisterten Brief : »Soeben lese ich in der Zeitung die Rede, welche Sie in der Sitzung des böhmischen Landtags gehalten haben. Sie werden es mir schon erlauben daß ich, noch ganz erfüllt von dem Gelesenen, Ihnen meine herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche ausspreche. Diese wahrhaft patriotischen Worte müssten das Herz eines jeden wahren schwarzgelben Österreichers mit Freude erfüllen und in ihm den Wunsch wachrufen, Euere Exzellenz möge noch viele Jahre zum Wohle des Landes Ihre verantwortungsvolle aber nutzbringende Thätigkeit fortführen. Mögen Ihre Worte noch bei den exaltierten und durch lange Nachgiebigkeit und schlechtes Beispiel verführten Elementen einen Widerhall finden und diese Leute endlich auf den richtigen Weg zurückführen und sie erkennen lassen, daß es nur ein einiges, ungeteiltes Österreich geben kann.«207 Am 20. Februar 1895 begab sich der Statthalter nach Wien, wo er – wie die Zeitungen berichteten – einen langen Besprechungstermin mit Ministerpräsident Windisch-Graetz und Finanzminister Plener absolvierte. Anschließend wurde er vom Kaiser empfangen. Thuns Bruder Jaroslav wird mit seiner Annahme wahrscheinlich richtig liegen, wenn er über diese Audienz in sein Tagebuch notierte : »[…] da wird der Kaiser wohl nebst vielem anderen ihm manch schönes Wort gesagt haben über seinen großartigen Succes im Landtag.«208 Anlässlich des Begräbnisses von Erzherzog Albrecht hielt sich Jaroslav Thun einige Tage in Wien auf, wo er mit dem Statthalter von Galizien, Kasimir Badeni, zusammentraf. Auch er sparte nicht mit anerkennenden Worten : »[…] er als Kollege könne Franz nicht genug dankbar sein für sein energisches selbstbewußtes Auftreten, in dem
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jeder Statthalter ein Vorbild und Rückhalt findet, was die Zentralregierung nicht bietet !«209 Einige Monate später sollten einander Graf Badeni und Franz Thun erneut begegnen. Wenn man weiß, dass Thun nach diesem Treffen das Amt des böhmischen Statthalters zurücklegte, dann relativiert sich das Lob des polnischen Grafen. Auch Graf Hohenwart, den Jaroslav Thun als »größten österreichischen Politiker« bezeichnete (und der jahrelang an der Spitze des Eisernen Rings der Rechten gestanden war), lobte Thuns selbstbewussten Auftritt und erachtete ihn als das Gegenteil zur Handlungsweise der passiven Regierung. Jaroslav Thun bemerkte die Unzufriedenheit der beiden bedeutenden Politiker über die Regierung Windisch-Graetz. Im Übrigen hatte diese Enttäuschung weite Kreise erfasst und wäre auch nicht verwunderlich gewesen : Die sogenannte Koalitionsregierung war im Grunde äußerst inhomogen, wurde sie doch von deutschen Liberalen und Konservativen gebildet, die eine jahrzehntelange politisch und ideell begründete Feindschaft trennte und die erst aufgrund ihrer gemeinsamen Ablehnung von Taaffes Wahlreform eine gemeinsame Basis gefunden hatten. Jaroslav Thun machte zu den Äußerungen der beiden Politiker voller Betroffenheit bzw. fragend die folgende Notiz : »Ausführungen Badenis und Hohenwarts, die beide, ich möchte fast sagen, mit einer gewissen Bitterkeit sprechen über ›Zentrale‹ ! Doch was dann : Franz Ministerpräsident ! Wäre es für ihn und für die Monarchie ein Glück ? Gebe es Gott und verleihe ihm, was er braucht !«210 Auch wenn die Regierung Windisch-Graetz die Beschäftigung mit Nationalitätenfragen grundsätzlich zu vermeiden trachtete, scheiterte sie schlussendlich doch an ihnen, wenn auch an einem auf den ersten Blick nur als Teilaspekt erscheinenden und in Wahrheit eher untergeordneten Thema. Es handelte sich dabei um eine Budgetvorlage für die Schaffung von slowenischen Parallelklassen am Gymnasium von Cilli (Celje) in der Untersteiermark. Aus finanzieller Sicht handelte es sich um eine Bagatelle und bereits die Regierung Taaffe hatte die Schaffung von Parallelklassen am deutschen Gymnasium versprochen, was angesichts der Anzahl von slowenischen Schülern nur natürlich war. Nichtsdestotrotz stellten sich die deutschen Liberalen (die sogenannte deutsche Linke) gegen diese Forderung, und als der Budgetausschuss des Abgeordnetenhauses am 11. Juni 1895 zugunsten der Slowenen entschieden hatte, kündigten sie ihren Austritt aus der Regierung an. Die Koalitionsregierung reichte ihre Demission ein, die der Kaiser am 19. Juni 1895 missbilligend annahm und sich darüber verwundert zeigte, welche Kleinigkeiten in Österreich zum Sturz einer Regierung führten. Die Regierung tritt zurück, der Statthalter bleibt im Amt
Der niederösterreichische Statthalter Erich Kielmansegg wurde an die Spitze eines neuen, nur aus Beamten bestehenden Kabinetts berufen, das eine Übergangsregie-
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rung sein sollte. Die Jungtschechen waren darüber erfreut, dass die Regierung mit dem ihnen verhassten Obmann der deutschen Liberalen, Plener, gestürzt worden war und machten im Parlament keine Schwierigkeiten. Sie rückten von ihrer Obstruktionspolitik ab und die neue Regierung dankte es ihnen damit, dass sie schließlich den Abgeordneten Heřman Janda zum Vorsitzenden der tschechischen Abteilung des Landwirtschaftsrates machte, obwohl Franz Thun Jandas Ernennung wegen dessen antidynastischer Äußerungen blockiert hatte. Die Übergangsregierung hatte somit die Meinung des böhmischen Statthalters nicht berücksichtigt. Wie Franz Thun darüber dachte ist nicht bekannt, aber seinen Bruder Jaroslav bewog das Entgegenkommen der Regierung gegenüber den Jungtschechen in Kwassitz zu einem skeptischen und in der Perspektive weitsichtigen Urteil, dass nämlich die Regierung, wenn sie der Jungtschechen bedürfe, ihnen gegenüber kompromissbereit sein müsse und dass »Franz in Folge dessen als Statthalter dieser […] Politik abtreten müßte. Mama sagte immer voraus, daß Franz doch schließlich von den Jungčechen herausgebissen werde ! Je eher er jetzt von dort weg kommen kann, desto glücklicher für ihn nach meiner Ansicht – für Franz wird das eine Riesenkränkung werden – sein Ehrgeiz hat sich so in seine jetzige Stellung als kleiner König hineingefühlt, daß ich fürchte, er wird sein ›fallengelassen werden‹ nicht mit der nötigen Selbsterkenntnis […] tragen […]. Heute persona gratissima, morgen […] Opfer der steten Schwankungen österreichischer Politik.«211 Jaroslav Thun begab sich von Franzensbad, wo er mit der ganzen Familie weilte, nach Karlsbad, wo sein Bruder Franz wie fast jedes Jahr urlaubte. Gekleidet wie ein gewöhnlicher Kurgast begrüßte dieser den Bruder, und erfreute sich an einer Partie Tennis, die er ganz »in Weiß« spielte. Dabei handelte es sich jedoch, wie Jaroslav festhielt, der seinen Bruder hier nach längerer Zeit wiedersah, um das weiße Haar von Franz Thun – er war im Amt ergraut.212 Ohne Rücksicht auf seinen Kuraufenthalt holte die Politik den böhmischen Statthalter auch in Karlsbad ein, wo ihn ein Schreiben des österreichisch-ungarischen Botschafters Aloys Lexa Graf von Aehrenthal aus St. Petersburg erreichte. Der Brief war am gleichen Tag verfasst worden, als der Kaiser Graf Badeni in Bad Ischl empfing, was sich für gewöhnlich so interpretieren ließ, dass bereits eine Entscheidung über die Wahl des nächsten Ministerpräsidenten gefallen war. Aehrenthal schrieb, dass dies seinen Vorgesetzten, Außenminister Gołuchowski, in Missstimmung versetzt habe, und dass er »viele Bedenken gegen die Kombination Badeni hat und tunlichst Deine Kandidatur in den Vordergrund zu stellen bemüht ist.«213 Aus Aehrenthals Brief geht hervor, dass auf die eine oder andere Weise Überlegungen darüber angestellt wurden, Franz Thun in das Amt des Ministerpräsidenten zu berufen. Davon zeugt auch eine eigenartige und indifferente Bemerkung in einem Brief, den Franz Thun am 9. September 1895 an seine Gattin richtete, in dem er über ein Treffen mit Kaiser Franz Joseph
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anlässlich von Manövern in Südböhmen berichtete : »Der Kaiser hat mit mir gar nicht über mein Ministerium gesprochen ; es hat mich gewundert, aber bequemer war es, daß ich keine Ansicht auszusprechen brauchte.«214 Welche Stationen der Entscheidungsprozess nahm, mit wem das vakante Amt des Ministerpräsidenten besetzt werden sollte, lässt sich nicht mehr im Detail rekonstruieren. Am Ende fällte der Kaiser die Entscheidung allein. Nichtsdestoweniger war bekannt, aus welchem Personenkreis Franz Joseph seine Wahl traf und um wen es sich bei diesen »Männern mit Zukunft« handelte. Aus Thuns Korrespondenz geht hervor, dass auch er für dieses Amt in Betracht gezogen wurde, wenngleich Badeni von Anfang an als Favorit gegolten hatte. Der Kommentator der Neuen Freien Presse schrieb im Jänner 1896 aus der Retrospektive, dass zwischen Badeni und Thun offenbar »eine Rivalität um das erste Amt im Land« geherrscht hatte.215 Konflikt zwischen den Grafen Thun und Badeni
Nachdem die Entscheidung gefallen war, dass Badeni der nächsten Regierung vorstehen werde, bot Franz Thun dem neuen Ministerpräsidenten zwei Mal seinen Rücktritt an. Es war ihm sicherlich nicht leicht gefallen und er hatte die Demission offenbar auch mit der Hoffnung übergeben, dass Badeni sie nicht annehmen werde. Eine unumstößliche Entschlossenheit war dabei jedoch nicht festzustellen – eher hat Thun erwartet, dass sein Rücktrittsgesuch nicht akzeptiert werden würde. Wie sich in Zukunft zeigen sollte, würde er ein Amt, das er bereits mehr als sechs Jahre lang innegehabt hatte, nur ungern räumen wollen. Badeni nahm Thuns Angebot nicht an. Bald schon aber zeigte sich, dass die Kombination Badeni Ministerpräsident in Wien und Thun Statthalter in Prag nicht funktionierte. Thun hatte sich in Prag eine bedeutende Position erarbeitet. Man sprach von ihm als »Vizekönig«, er trat nie als Vertreter der Regierung, sondern als Statthalter des Kaisers auf. Die bisherigen Kabinette hatten das respektiert und ließen Thun in Böhmen freie Hand. Badeni erklärte öffentlich, dass seine Regierung nicht geführt werden, sondern führen will.216 Es war daher seine Absicht, zur Unterstützung seines Kabinetts neben den Deutschen und Polen auch die Tschechen zu gewinnen. Die Unterstützung der Tschechen zu gewinnen bedeutete jedoch, sich der Zusammenarbeit mit den Jungtschechen zu versichern, die sich aber im Kriegszustand mit dem böhmischen Statthalter befanden. Notwendigerweise musste Badeni bei seinen Bemühungen zur Herstellung einer Verständigung mit den Jungtschechen mit dem Widerstand von Franz Thun rechnen, der dieser Annäherung im Wege stand. In der Tat dauerte es auch nicht lange, bis es zu einem solchen Zusammenstoß kam. Am 8. Oktober 1895 wandte sich Graf Badeni in einem Schreiben217 an Thun,
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in dem er ihn um eine Stellungnahme im Hinblick auf die Frage einer Amnestie für die politischen Häftlinge und der Widerrufung des Ausnahmezustandes in Böhmen ersuchte. Auf das kurz gehaltene Schreiben Badenis antwortete Thun mit einem zwei Seiten langen Brief, dem fünf Beilagen angefügt wurden (es umfasste eine Aufzählung der Verurteilten und das verhängte Strafausmaß, ein Verzeichnis der Freigelassenen sowie Angaben darüber, wo die Haft gerade verbüßt wurde).218 Thun sprach sich gegen eine allgemeine Amnestierung der Omladina-Mitglieder aus. Badeni hatte freilich nicht die Absicht, ein Urteil darüber zu fällen, wer warum verurteilt worden war und ob er verdiene, freigelassen zu werden. Er verfolgte die politische Annäherung an die Jung tschechen, die allerdings nicht ohne die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Freilassung der verurteilten Omladina-Mitglieder möglich war. Thuns Argumentation schenkte er praktisch keine Beachtung und am 11. Oktober 1895 hob er den Ausnahmezustand auf, der seit 12. September 1893 über Prag und die angrenzenden Bezirke in Kraft gewesen war. Alle während der Zeit des Ausnahmezustandes aus politischen Gründen Verurteilten wurden amnestiert. Der mächtige böhmische Statthalter, ohne dessen Zutun sich in Böhmen nichts bewegte, erfuhr davon aus der Zeitung.219 In den letzten beiden Monaten des Jahres 1895 nahm die Beziehung zwischen dem Ministerpräsidenten und dem böhmischen Statthalter sonderbare Züge an. Thun stellte für die Annäherung Badenis an die Jungtschechen, über die der Ministerpräsident intensive Verhandlungen führte, ein Hindernis dar. Er forderte den böhmischen Statthalter dazu auf, sich um eine Verbesserung seiner Beziehungen zu den Jungtschechen zu bemühen. Das war eine nur schwer zu erfüllende Forderung, da der Ministerpräsident im Grunde darüber informiert sein musste, dass Thun für die Jung tschechen als Feind ersten Ranges galt. Weitaus seltsamer mutet es daher an, dass Thun der Aufforderung nach der Erfüllung des Unmöglichen nachkam und den Kontakt mit den Jungtschechen herstellte. In einem umfangreichen Brief vom 18. Dezember 1895 schilderte Franz Thun ausführlich, wie er sich darum bemühen werde, das Gespräch mit den jungtschechischen Politikern zu suchen.220 Es erscheint einigermaßen seltsam, dass sich dieser erfahrene, hochintelligente und für gewöhnlich auch realistische Politiker in eine ganz und gar irreale, um nicht zu sagen in eine absurde Situation begab. Sein bei Weitem politisch nicht so geschulter Bruder Jaroslav erkannte mit einiger Klarheit die Unsinnigkeit von Thuns Versuch und sah genau voraus, wie diese Episode ausgehen werde. Am 20. Dezember 1895 notierte er dazu in sein Tagebuch : »Franz, der stets im Reichsrath in jeder Jungčechen-Rede verschimpft wird, versucht – da Badeni eine Verständigung wünscht – den Jungčechen beizukommen. In diesem Behufe bot er Prof. Čelakovský eine Unterredung an, welche dieser aber nur auf neutralem Boden im Atelier Brožíks annehmen wollte. Das gibt ein Bild der Zustände, daß der Prof. aus Angst vor seiner Partei nicht Courage hat, mit dem Statthalter – seinem
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Vorgesetzen – bei diesem zu konferieren. Und ich fürchte, es wird nicht von Nutzen sein ! Auch scheint mir Čelakovský nicht ein genügend richtiges politisches Element in seinem Club zu sein. Mir ist leid, daß Franz in diese Stellungen geraten ist. […] Er soll sich mit den Jungčechen, die in ihm ihren größten Feind sehen, sich à tout prix verständigen ! Gott gebe, daß ich mich irre, aber ich glaube, er wird bald mit schwerer Kränkung scheiden.«221 In den Briefen, die Franz Thun am 17. und 18. Dezember 1895 nach Wien sandte, forderte er den Ministerpräsidenten dazu auf, den jungtschechischen Abgeordneten in Wien unmissverständlich klar zu machen, dass die Regierung die derben Angriffe auf den kaiserlichen Statthalter nicht dulden werde.222 Badeni ließ Thun in einem ausführlichen und unverzüglich aufgesetzten Schreiben unzweideutig wissen, dass es nicht darum gehe, dass er als Ministerpräsident etwas von den Jungtschechen fordere, sondern dass es an Thun gelegen sei, mit ihnen einen Modus vivendi zu finden. Er machte ihn darauf aufmerksam, dass er hier die Bürde der Vergangenheit zu tragen habe (also den Ausnahmezustand und den Omladina-Prozess), hob gegenüber Thun deutlich hervor, dass seine schlechte Beziehung zu den Jungtschechen für die Regierung eine Belastung darstelle und dass es die Aufgabe des böhmischen Statthalters in Prag sei, die Jungtschechen von seinem guten Willen zu überzeugen. Als Jaroslav den Brief des Ministerpräsidenten gelesen hatte, stellte er gegenüber seinem Bruder fest, dass dies ein klarer Ausdruck des Misstrauens sei. Wenn er an seiner Stelle wäre, »würde ich mit sublimer Verachtung mit Eclat zurücktreten, weil er ein grosser Grandseigneur ist, der es nicht braucht !«223 Er sah aber auch, dass sein Bruder schwer an der Situation trug : Einerseits wollte er nicht nur die Rolle eines untergeordneten Befehlsempfängers des Ministerpräsidenten einnehmen, andererseits hing er an der Stelle des böhmischen Statthalters, an die er sich gewöhnt hatte. Auch wenn Jaroslav seinem Bruder einen demonstrativen Rücktritt nahelegte, seufzte er : »Gott erleuchte ihn ! Freilich wird es schade sein und der arme Kaiser wird den besten Diener verlieren !«224 Die Gedanken des böhmischen Statthalters waren ebenfalls beim Kaiser. Am 24. Dezember 1895 verfasste er einen Brief an Staatsrat Adolf Baron von Braun, den Kabinettsdirektor Seiner Majestät.225 Er ging selbstverständlich davon aus, dass dem Kaiser der Inhalt des Schreibens mitgeteilt oder dass es ihm direkt vorgelegt werde. Der böhmische Statthalter beklagte sich darüber, dass seine Position unsicher und unhaltbar geworden war. In den Zeitungen fänden sich Berichte über seinen baldigen Rücktritt, wozu auch Badeni mit einem selbst verfassten Artikel im Fremdenblatt Anlass bot. Die jungtschechische Presse greife ihn an, beschwerte er sich, und Badeni lehne es ab, auf die jungtschechischen Abgeordneten einzuwirken. Es bleibe abzuwarten, ob die Jungtschechen bei der nächsten Sitzung des Landtages radikal gegen ihn vorgehen und Badeni erklären werden, dass es seine – Thuns – Schuld gewesen
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»Ausnahmestatthalter« Graf Franz Thun
sei, weil er es nicht vermocht hatte, mit ihnen eine Einigung zu erzielen. Weiters habe sich Badeni dahingehend geäußert, selbst nach Prag kommen und mit den politischen Parteien direkt verhandeln zu wollen, was Thun als Ausdruck der Missbilligung seiner Fähigkeit zur Führung politischer Gespräche erachtete. Thun konnte keine gemeinsame Basis mit Badenis Politik finden und reichte seine Demission schriftlich ein. Allerdings tat er das nicht explizit, denn die Entscheidung überließ er dem Kaiser und bei der Lektüre seines Schreibens drängt sich der Eindruck auf, dass – ob er es sich nun eingestand oder auch nicht – es sein Wunsch war, vom Kaiser den Befehl zu erhalten, weiterhin im Amt zu bleiben. Am 26. Dezember 1895 reiste Franz Thun zu einem Treffen mit Badeni nach Wien. Angeblich zeigte sich dieser erfreut darüber, dass Thun nicht um seinen Rücktritt ersucht hatte. Badeni behauptete außerdem, dass eine solche Demission den Kaiser unangenehm überraschen würde. Er führte auch eine Unterredung mit dem Minister des Äußeren und des kaiserlichen Hauses, Agenor Graf Gołuchowski, der den Nagel auf den Kopf traf, indem er sagte : »Es wird viel davon abhängen, was die Herren Jung tschechen im Landtag anstellen werden.« Eben dieser sollte bereits zwei Tage darauf seine Sitzung eröffnen. Sitzung des böhmischen Landtages im Dezember 1895
Sollte Franz Thun zumindest die leise Hoffnung gehegt haben, dass sich der Sitzungssaal des böhmischen Landtages nicht in eine Bühne für eine abstoßend rüde jung tschechische Demonstration gegen seine Person verwandeln würde, so zerschlugen sich seine Illusionen schon am Beginn des ersten Sitzungstages am 28. Dezember 1895. Jaroslav Thun, der erst kürzlich von der Kurie der Großgrundbesitzer als Abgeordneter entsandt worden war, nahm an der Sitzung teil und beschrieb in seinem Tagebuch mit Entrüstung den Angriff der Jungtschechen auf seinen Bruder : »Die Jungčechen haben uns richtig zur Eröffnung ein recht ›feines‹ Schausignal gegeben ! Nachdem der Oberstlandmarschall und der Stellvertreter Dr. Lippert in die Hand des Statthalters ihre Angelobung geleistet und jeder derselben an den Landtag ihre Begrüßungsreden mit obligaten Hoch Sláva auf den Kaiser gehalten hatten, erhob sich, als dem Statthalter das Wort ertheilt wurde, der Obman des Jungčechen-Clubs Dr. Engel ohne zu reden eine Bewilligung zu haben und erklärte : von diesem Statthalter könnten sie eine Erklärung nicht entgegennehmen und sie würden beim Budgetprovisorium ihren Standpunkt darlegen. Auf das erhob sich die ganze Partei mit Getöse und Geschimpfe und verließ den Saal ; Vašatý, Ed. Grégr und andere blieben unter den letzten, um mit theatralischen Pathos und geballten Fäußten gegen Franz die größten Injurien auszustoßen – ein tiefes Gefühl der Entrüstung war allen Gesichtern abzulesen – eine wahre Bagage ! Und das traurigste, daß sie, so wie jetzt der
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Wind von oben weht, die Genugthuung haben werden, daß Franz en leur honeur von oben wird fallen gelassen werden !«226 Bei der zweiten Sitzung des Landtages am 30. Dezember 1895 ergriff der jung tschechische Abgeordnete Josef Herold das Wort und attackierte in seiner Rede den Statthalter direkt. Unter Berufung auf die Ergebnisse der letzten Landtagswahl positionierte er seine Partei als Repräsentantin der »großen Mehrheit der tschechischen Nation und einer großen Mehrheit der Bevölkerung dieses Königreichs«.227 Dies würde ihr das Mandat verleihen, die Forderung zu erheben, die Regierung solle von einem Mann vertreten werden, dem die tschechische Nation auch vertraue. Bei Graf Franz Thun-Hohenstein handle es sich jedoch nicht um einen solchen Mann. Es folgte eine lange Aufzählung schwerer Verfehlungen, die sich an die Adresse des Statthalters richtete : Er sei der Urheber des Ausnahmezustandes, habe mit »erbitterter harter Hand« die Freiheit von Bürgern, Politik und Presse unterdrückt, habe patriotische Vereinigungen aufgelöst, in die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt eingegriffen, Existenzen vernichtet, das Wahlrecht beschränkt, in oppositionellen Städten Schulen schließen lassen, Einfluss auf die Erziehung der tschechischen Jugend ausgeübt, das öffentliche Leben in Fesseln gelegt, die Rechte der Studentenschaft beschränkt, tschechische Kinder aus Mittelschulen vertrieben, die Autonomie von Prag beschränkt, in den Augen Europas den Ruf dieser königlichen Stadt »besudelt und geschmäht«, die Einheit und Unteilbarkeit des Königreichs Böhmen, das zu einer »Satrapie der polizeilichen Willkür« geworden war, erschüttert und gelähmt. Zwischen der tschechischen Nation und dem Grafen Thun könne es keinen Modus vivendi geben. Der Statthalter solle zurücktreten, das sei der einzige Dienst, den er dem Königreich Böhmen erweisen könne.228 Jaroslav Thun, der die Rede Herolds als Abgeordneter verfolgt hatte, entrüstete sich über die massiven Angriffe gegen seinen Bruder. Er sah, dass ihm all das einen Schlag versetzt hatte. Die Schuld dafür suchte er gar nicht einmal alleine bei den Jungtschechen, die er von Natur aus als Lumpen erachtete, sondern bei »Wien« – das heißt, er beschuldigte vor allem Ministerpräsident Badeni, seine an den Jungtschechen orientierte Politik und unausgesprochen auch den Kaiser selbst. Er war der Auffassung, dass die gegenüber seinem Bruder ausgesprochenen Beleidigungen nur durch eine »glänzende Genugthuung von höchster Stelle« ausgeglichen werden könnten.229 Dazu kam es jedoch nicht, denn, wie er schrieb »Undank ist der Welten Lohn« und die Jungtschechen hätten die Unterstützung von »oben« : »Von Wien hat man diese radikalen Elemente entfesselt und das Land auf eine schiefe Ebene gebracht, von der wir gleiten werden, langsam aber sicher, in ungarische Zustände ! Mit der Partei, die von dynastischen und monarchistischen Gefühlen keine Ideen hat, ist ein starkes, einiges Österreich undenkbar. Trauriger Schluß des Jahres, Gott schenke uns nicht noch ein trauriges Erwachen im künftigen Jahr !«230
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Noch vor Jahresende, genau zu Silvester, ging Franz Thun ein Schreiben von Landwirtschaftsminister Johann Graf Ledebour zu. Nachdem dieser den Korrespondentenbericht über die Sitzung des böhmischen Landtages in der Zeitung gelesen hatte, beeilte er sich damit, dem Standesgenossen seine Sympathie zu bekunden, da dieser »für seine opferbereite und den Pflichten gewidmete Arbeit nur Undank erntet«.231 Noch in der Silvesternacht an der Schwelle zum Jahr 1896 konzipierte Thun ein Antwortschreiben an Graf Ledebour.232 Er dankte ihm gerührt für dessen Brief, den er als das »erste belebende und erfrischende Wort« bezeichnete, welches ihm zugegangen war. Was sich im böhmischen Landtag zugetragen hatte, bezeichnete er als Angriff der hochmütigen und verzogenen Jungtschechen gegen »den von mir verkörperten Konservativismus, gegen die Großherzigkeit, Friedfertigkeit und die Kraft Österreichs.« Weiters schrieb er, dass es ihn viel Kraft koste, nicht das Wort zu ergreifen und sich auf eine Polemik einzulassen. Er habe sich dies jedoch versagt, weil er den Jungtschechen einen großen Skandal bereiten würde, was die Regierung in Verlegenheit brächte. Der böhmische Statthalter bietet seinen Rücktritt an
Zu Neujahr 1896 schrieb Franz Thun erneut an den Direktor der kaiserlichen Kabinettskanzlei von Braun, was gleichbedeutend mit einem direkt an den Kaiser gerichteten Schreiben war.233 Er schilderte die Lage, wie sie sich nach den Angriffen der Jungtschechen im böhmischen Landtag darstellte. Er betonte, dass er als kaiserlicher Statthalter weitere vergleichbare Angriffe nicht unbeantwortet lassen könne und wenn seine Person einer ruhigen Entwicklung im Weg stehe, bitte er um die Entbindung von seiner Funktion. Jaroslav kommentierte den Brief seines Bruder folgendermaßen : »Das Schreiben ist deutlich und unzweifelhaft, in Form und Tone sehr gut gefaßt ! Es würde ihm, wie ich glaube, sehr schwer [fallen], diesen entscheidenden Schritt zu machen, dann hat er die Schiffe hinter dem Rücken verbrannt. Ich als Bruder, aber als Patriot kann mir nur wünschen, Gott erleuchte den armen Kaiser !«234 Ganz eindeutig war das Schrei ben des Statthalters allerdings nicht. Er erwähnte nämlich auch, das der Landtag bei einem wiederholten jungtschechischen Angriff geschlossen werden könne. Unter diesen Umständen würde der Statthalter nicht aus dem Amt scheiden. Braun setzte den Kaiser über das Thun’sche Schreiben in Kenntnis, der wiederum den Ministerpräsidenten anwies, es zu beantworten. Bereits am 5. Jänner 1896 sandte dieser einen Brief nach Prag. Es endete mit der Feststellung, dass es nicht gut wäre, wenn der Statthalter unmittelbar nach den direkten Angriffen der Jungtschechen zurücktreten würde – denn dies könnte als Rückzieher vor der radikalen Partei gedeutet werden. Der Ministerpräsident meinte jedoch auch, dass sich die Jungtschechen seinen Informationen nach ruhig verhalten sollten. Sollte es jedoch zu irgendeinem
Der böhmische Statthalter tritt ab
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jungtschechischen »Excess« kommen, schrieb Badeni an Thun, »könnte ich mich nicht entschließen, einen eventuellen Antrag auf Auflösung des Landtages bei Seiner Majestät zu befürworten.«235 Der Ministerpräsident verwies auf die gesamtstaatlichen Interessen der Doppelmonarchie, vor allem auf den Ausgleich mit Ungarn und die Durchführung der Wahlrechtsreform, in deren Vorfeld eine Auflösung des böhmischen Landtages nicht in Frage komme. Somit also : Der Ministerpräsident lehnte eine Auflösung des böhmischen Landtages ab, was auch immer die Jungtschechen dort anstellen. Zusätzlich zu dem Schreiben des Ministerpräsidenten erhielt Thun am darauffolgenden Tag einen Brief des Direktors der kaiserlichen Kabinettskanzlei von Braun, welcher zwar die Loyalität und die Haltung des Statthalters würdigte, der ihm allerdings gleichzeitig im Namen des Kaisers auftrug, sich den Wünschen des Ministerpräsidenten unterzuordnen. Das war für Franz Thun zu viel. Am Abend des 7. Jänner 1896 schickte er an Ministerpräsident Badeni einen Brief folgenden Inhalts : »Aus dem Schreiben v. 5. d. M. kann ich keinen anderen Schluß ziehen, als den, daß Euere Excellence auf mein weiteres Verbleiben im Amt kein Gewicht legen würden, […] wenn die Rede [davon] ist, […] daß selbst bei den äußersten Skandalen im Landtage es zu einer Auflösung desselben nicht kommen würde. Darauß ergibt sich für mich die zwingende Notwendigkeit, das Ansuchen an Euere Excellenc zu stellen, Seiner Majestät unseren Allergnädigsten Kaiser und Herren[,] meine Bitte um Enthebung von dem mir anvertrauten Posten eines Statthalters im Königreich Böhmen aller unterthänigst unterbreiten zu wollen. Es ist selbstverständlich, daß ich bis zu dem Zeitpunkt der erfolgten Enthebung nach wie vor meine Pflichten auf das gewißenhafteste erfüllen werde.«236 Am 11. Jänner 1896 wurde der Rücktritt des böhmischen Statthalters angenommen.237 Jaroslav Thun notierte dazu einige Tage später : »Die Bombe ist also geplatzt : Die Demission von Franz ist angenommen worden ! […] So haben die Jungtschechen nun doch gesiegt – traurig !«238 Der böhmische Statthalter tritt ab
Am 16. Jänner 1896 berichtete das Fremdenblatt über die Demission des böhmischen Statthalters. Was jedoch Jaroslav Thun (und nicht nur ihn) schockierte war die Tatsache, dass über den Rücktritt neben dieser halboffiziellen Zeitung nur von einer weiteren berichtet wurde, noch dazu in einer, die als die wichtigste Tribüne für die feindschaftliche jungtschechische Agitation gegenüber dem »Ausnahmestatthalter« angesehen werden konnte – die Národní listy. Ein sichtlich erregter Jaroslav Thun verlor seine ansonsten so vornehme Zurückhaltung und äußerte sein Entsetzen über die Tatsache, dass die extremen Jungtschechen
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»Ausnahmestatthalter« Graf Franz Thun
in Verbindung mit dem polnischen Grafen im Rang eines Ministerpräsidenten zur Macht strebten. »So weit ist es also gekommen, daß dieses Saublatt von Wien aus als das offizielle angesehen wird ! Trauriges Zeichen der Zeit ! Der Korrespondent der N. L.[,] Eim, seit langem der erbitterte Feind von Franz, hat die intimste Beziehung zum Ministerium und ist die Quelle, aus der Badeni seine frivole Beurtheilung der böhmischen Zustände schöpft ! Habe ich mich in dem Mann getäuscht ! Ich hielt ihn für einen biederen, aber energischen Beamten – und nun sieht man auf Schritt und Tritt, daß er ein niedriger Intrikant [Intrigant ; Anm. d. Übers.], ein unfairer Charakter ist ! Es wäre an sich zum Lachen, wenn es nicht für Österreichs Zukunft zum Weinen wäre ! Was soll aus Böhmen geschehen[,] bei einer Nachgiebigkeitspolitik gegen die Jungčechen ? Gott stehe uns bei ! Alles, was anständig denkt und fühlt, ist über die Demission und ihre Art, tief verletzt.«239 Franz Thun hatte sich nur sehr schwer und ungern zum Rücktritt durchgerungen. Als er das Gesuch jedoch eingereicht hatte, gestand er gegenüber seinen aristokratischen Freunden offen : Er scheide nur sehr ungern aus dem Amt, das er vor sechseinhalb Jahren übernommen habe und von dem aus er seine Pflicht gegenüber dem Kaiser und dem Reich gewissenhaft erfüllt habe. Im Rahmen seiner Amtshandlungen habe er Reformen umgesetzt und gute Mitarbeiter gewonnen. Als ursächlichen Grund für seine Demission nannte er Graf Badeni – in den Zeitungen fänden sich von ihm inspirierte Artikel, wodurch ihm klar geworden sei, dass er Informationen aus Böhmen von den Jungtschechen bezogen und Beziehungen zur Národní listy unterhalten habe. Als er, Thun, sein Rücktrittsgesuch übergeben habe, sei es von Badeni mit ostentativer Schnelligkeit angenommen worden. Thuns bitteres Fazit : »Man opfert nunmehr einer extremen Partei einen Statthalter, der nichts verbrochen hat, als daß er für den österreichischen Staatsgedanken eingetreten ist, daß er die gestörte Ordnung wiederhergestellt und sie erhalten hat.«240 Stimmen zum Rücktritt des böhmischen Statthalters
Der Rücktritt eines Mannes, der sechseinhalb Jahre an der Spitze der politischen Verwaltung des Kronlandes Böhmen gestanden hatte und der aufgrund seiner Stellung gelegentlich als böhmischer Vizekönig bezeichnet worden war, stieß nicht alleine nur in der stark differenzierten böhmischen Presse, sondern in ganz Cisleithanien, wenn nicht sogar in ganz Österreich-Ungarn, auf breiten Widerhall. Die jungtschechische Presse – in erster Linie natürlich die Národní listy, aber auch die Brünner Lidové noviny sowie zahlreiche regionale Blätter – bebten vor Euphorie, was alleine schon aus den Titeln der Berichterstattungen und Kommentare abzulesen war (so etwa : »Der Sturz des Grafen Thun«, »Das Ende der Ära Thun«, »Der Abgang von Graf Franz Thun«, »Statthalter Graf Thun entlassen«, »Thun geht !« etc.). Sie
Stimmen zum Rücktritt des böhmischen Statthalters
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skizzierte ein triumphales Bild, das sich etwa folgendermaßen darstellte : Der berüchtigte und fanatische Feind alles Jungtschechischen reicht sein Rücktrittsgesuch ein, im böhmischen Volk herrscht ausgelassene Freude, für die tschechische Nation geht eine Ära des Leidens und des Kampfes zu Ende. Im Jahr 1889 wurde Thun von Graf Taaffe in das Statthalteramt berufen, um sich dem Aufstieg der Jungtschechen entgegenzustellen und um »die der Regierung wohlgesinnten« Alttschechen zu beschützen. In weiterer Folge kam es zu Verfolgungen, zur Verhängung des Ausnahmezustandes, zum Prozess gegen die Omladina, das Durchgreifen des Statthalters mit Eiserner Hand, »eine Zeit der eisernen Zähmung der ganzen Nation und nicht nur einer einzigen Partei« – während die Jungtschechen ungebrochen Wahlen gewannen und zu den Repräsentanten der tschechischen Nation aufstiegen. Eben diese tschechische Nation und die jungtschechische Partei kämpften den »guten Kampf« und Thun fand kein geeignetes Mittel, um die Macht der Jungtschechen zu brechen. Der Kommentar des Wiener Korrespondenten der Národní listy, Gustav Eim, endete voller Begeisterung : »Das böhmische Volk war stärker als sein allerstärkster Statthalter. Der unter ganz außergewöhnlichen Umständen erfolgte Sturz des Grafen Thun muss für die ganze tschechische Nation eine moralische Genugtuung und Ermutigung sein. Dieser Sturz ist der unanfechtbare Erfolg einer weisen und besonnenen Politik seiner im böhmischen Landtag wie auch im Reichsrat vertretenen Abgeordneten.«241 Eims Kommentar zielt freilich auf die Betonung der politischen Absichten ab : Mit dem Rücktritt Graf Thuns sei der »Stein des Anstoßes« beseitigt, der eine Annäherung von Badenis Regierung mit den Jungtschechen bisher verhindert hatte. Während sich die jungtschechische Presse im Allgemeinen und die Národní listy im Besonderen über den Rücktritt des Statthalters in Jubel erging und diesen historischen Sieg der tschechischen Nation als Sieg der jungtschechischen Partei identifizierte, machten die alttschechischen Periodika Hlas národa und Národni politika242 der Národní listy ihren Jubel und ihre Selbstgefälligkeit zum Vorwurf und vertraten die Auffassung, dass dieser Sieg, insoferne er überhaupt als solcher bezeichnet werden könne, nur ein persönlicher sei und dass sich seine Folgen erst zeigen würden. Die in Brünn erscheinende katholische Hlas erinnerte daran, dass die böhmische Nation ihre »gewaltigsten kulturellen Triumphe« in der Zeit von Thuns Statthalterschaft gefeiert habe : die Jubiläumsausstellung, die Ethnographische Ausstellung, die Gründung der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Künste (genauer : Tschechische Akademie des Kaisers Franz Joseph für Wissenschaften, gesprochenes Wort und Kunst), die Errichtung der Theologischen Fakultät an der tschechischen Universität, der Erfolg der tschechischen Musik und des tschechischen Theaters in Wien. Auch würdigte sie den Umstand, dass die böhmischen Länder unter Thuns Statthalterschaft gegenüber den Wiener Zentralstellen an Selbstständigkeit gewonnen hätten.
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»Ausnahmestatthalter« Graf Franz Thun
Die deutschsprachigen Blätter, die Wiener Neue Freie Presse und die Prager Bohemia, fürchteten, dass der Sieg der Jungtschechen über Thun deren Radikalismus stärken könnte.243 Die Bohemia wies darauf hin, dass der Rücktritt des Statthalters die Tendenz verstärke, dass nunmehr die deutschen Abgeordneten die Sitzung des böhmischen Landtages verlassen könnten. Zahlreiche deutschsprachige Regionalzeitungen befassten sich mit der Frage, warum Ministerpräsident Badeni Druck auf Thun ausgeübt habe, um den Jungtschechen entgegenzukommen. Sie wiesen darauf hin, dass er die jungtschechischen Stimmen für die Erneuerung des Ausgleichs zwischen Österreich (Cisleithanien) und Ungarn (Transleithanien) benötige, der 1897 neu ausverhandelt werden sollte. Ein ansehnlicher Teil der deutschsprachigen regionalen Journalistik, aber auch der Selbstverwaltung und der Politik in Böhmen brachte Thun Sympathie entgegen – höchstwahrscheinlich nach dem Grundsatz : Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Städte wie Joachimsthal ( Jáchymov) und Neuhaus ( Jindřichův Hradec) ernannten Thun zum Ehrenbürger, andere Städte und Bezirksvertretungen, wie etwa Teplitz (Teplice), Marienbad (Mariánské Lázně), Böhmisch-Krumau (Český Krumlov) und mehrere andere übermittelten Grußadressen an ihn. Beinahe hatte es den Anschein, als ob sich der früher von den Deutschen in Böhmen gefürchtete und als »Krönungsstatthalter« geschmähte Thun zu deren Lieblingspolitiker gewandelt hatte. Die deutsche radikal-nationale Presse verurteilte den wahren Reigen an Grußadressen und Ehrenbürgerschaften seitens der Deutschen in Böhmen. Die Reichenber ger Zeitung244 sah darin einen Ausdruck des Byzantinismus und erinnerte daran, dass Thun seine politische Karriere als unbeugsamer Feind des Liberalismus und Anhänger der böhmischen Königskrönung begonnen hatte. Die Deutsche Zeitung und die Ost deutsche Rundschau zogen aus Thuns Sturz den folgenden Schluss : Die Deutschen müssen, analog zu den Jungtschechen, ihre Politik auf die Grundlage einer rücksichtslosen und nationalen Gesinnung stellen. Thuns Sturz zeige, dass nur eine solche Politik erfolgreich sei – die »besondere Gesellschaft« war »hoffähig« geworden. Das konservative Vaterland äußerte die Besorgnis, dass Thuns Rückzug vom Amt des Statthalters als Konzession an die Jungtschechen verstanden und als gefährliche Schwäche ausgelegt werden könnte. Diese österreichische Zeitung, die vor allem für den böhmischen Adel und den Statthalter Partei ergriff, wandte sich mit einer Spitze gegen die triumphierenden Jungtschechen : »Ebenso unbegründet wie das Vorurtheil der deutschen Partei gegen den Grafen Thun war der Vorwurf der Gehässigkeit und Willkür, den die Jungczechen wider ihn erhoben. Die Gehässigkeit wie die Willkür waren vielmehr ganz auf Seiten der Jungczechen, welche in ihrem Ansturme gegen die Positionen der Altczechen jede Maßregel der Billigkeit und Gerechtigkeit als eine Feindseligkeit empfanden und dagegen in extremster Weise reagierten. Die wüste Agitation, welche von dieser Seite getrieben wurde, führte endlich zur Störung der öffentlichen Ruhe durch gefährliche Straßenexcesse. Die Verhängung des Ausnahms-
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zustandes über Prag und Umgebung war nicht mehr zu umgehen, und der Statthalter hat nur seine Pflicht erfüllt, indem er diese Maßregel beantragte. So kann bei all denjenigen, welche mit unbefangenem Sinne die dermaligen Vorgänge in der böhmischen Hauptstadt verfolgten, kein Zweifel darüber bestehen, daß die Ausnahmsmaßregeln eine Nothwendigkeit waren und größeres Unheil verhüteten. Die Jungczechen selbst zogen dadurch Vortheil davon, daß sie die Verhängung des Ausnahmszustandes als ein Zeugniß für ihre Unterdrückung durch die öffentliche Gewalt verwertheten und insbesondere in der Agitation gegen die Altczechen in dem Sinne ausbeuteten, als ob zum Schutze und zur Förderung dieser letzteren außergewöhnlichen Maßregeln beschlossen worden wären. Den Jungczechen waren aber alle Mittel willkommen, von den Schulverordnungen des Unterrichtsministers Gautsch bis zur Sistierung der Schwurgerichte und der Einschränkung der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte in Prag. Es war kein Wind zu widrig, mit dem sie nicht segelten. In ihren Augen war alles Willkür, was ihrem Willen nicht dienstbar war. Jedes Bestreben, den Frieden im Lande herzustellen und zu fördern, schien ihnen gehässig. Und weil Graf Thun als Statthalter in dieser Richtung thätig war, soweit seine Macht reichte, beschuldigten sie ihn der Gehässigkeit gegen die Czechen überhaupt, obwohl der Charakter und die bekannte Gesinnung des Statthalters selbst jeden Verdacht in dieser Beziehung ausschlossen.«245 Franz Joseph : »Sie waren ein ausgezeichneter Statthalter …«
Am 12. Februar 1896 ernannte der Kaiser Graf Franz Thun zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies. Dabei handelte es sich mit Sicherheit um die exklusivste Auszeichnung, die ein Adeliger aus den Händen des habsburgischen Souveräns empfangen konnte. Zu den Briefen, in denen Thun das Bedauern über seine Demission ausgedrückt wurde, reihten sich Telegramme und Briefe (168 bzw. 76 Stück), die zur Verleihung des hohen Ordens gratulierten ; mehrheitlich wurde darin jedoch über Thuns Verzicht auf das Amt des Statthalters Klage geführt. Als Sprache der Briefe und Telegramme überwiegt das Deutsche, von den tschechischen Politikern schrieben in erster Linie Alttschechen. Einer ihrer bedeutendsten Protagonisten, der alte František Ladislav Rieger, sandte ein deutschsprachiges Schreiben : er bedauerte darin Thuns Rückzug vom Amt des Statthalters und bekundete sein Verständnis für diesen Schritt – er hatte am eigenen Leib erfahren müssen was es bedeutet, grundlos angegriffen zu werden. Auf Tschechisch gratulierten die Professoren Antonín Rezek und Jaroslav Vrchlický. Professor Antonín Randa, Hofrat und Mitglied des Herrenhauses sowie der bedeutende Bildhauer Josef Myslbek gratulierten auf Deutsch. Ein tschechischsprachiges Gratulationsschreiben erging vom Kolleg und Studentenheim »Arnošt von Pardubitz«, dem Thun, so ist es dem Schrei ben zu entnehmen, beträchtliche finanzielle Mittel hatte zukommen lassen.
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»Ausnahmestatthalter« Graf Franz Thun
Am 19. Februar 1896 verabschiedeten sich die Beamten der Statthalterei sowie die ganze politische Verwaltung Böhmens um 11.00 Uhr vormittags im Gebäude der Statthalterei auf der Prager Kleinseite im Rahmen eines glanzvollen Festaktes von ihrem Statthalter. Alles deutet darauf hin, dass der Rückzug Thuns vom Amt des Statthalter ehrlich bedauert wurde. Thun hatte sich für seine Beamten eingesetzt und allein schon die Tatsache, dass ein Adeliger an der Spitze der Landesverwaltung stand, war dazu angetan gewesen, das Prestige der Bürokratie zu heben. Darüber hinaus hatte er sein Amt patriarchalisch aufgefasst und seinen Beamten eine finanzielle Unterstützung aus seinen persönlichen Mitteln gewährt – zumindest geht das aus dem Bericht des Prager Tagblattes hervor : »[…] in Böhmen kam es zu einer Verbesserung der Beamtengehälter, ohne dass diese Ansprüche bei der Regierung oder dem Parlament geltend gemacht wurden, aber dafür mit umso größeren Ansprüchen auf die Erträge aus Tetschen.«246 Am 22. Februar 1896 wurde der scheidende Statthalter, der erst kurze Zeit vorher zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies ernannt worden war, vom Kaiser empfangen. Es hat sich ein Blatt mit Thuns Notizen erhalten, das Zeugnis vom überraschenden Verlauf dieser Audienz gibt. Überraschend deshalb, weil man sich nicht der Vorstellung entziehen kann, dass sich Franz Joseph gegenüber den scheidenden staatlichen Funktionären, auch wenn sie über einen langen Zeitraum in seinen Diensten gestanden waren, unpersöhnlich und abweisend verhielt. In der Regel erfolgte die Übergabe der Demission so, dass der Kaiser korrekt und schablonenhaft für die geleisteten Dienste dankte, womit die langjährige Zusammenarbeit beendet war. Für eine Sympathiebekundung oder einen Ausdruck des Bedauerns war in solchen Audienzen kein Platz und es erscheint unvorstellbar, dass ein Politiker, dem eine Audienz gewährt wurde, irgendwelche Gefühlsäußerungen gezeigt hätte. Die Audienz des scheidenden Statthalters bei Seiner Majestät nahm jedoch einen anderen Verlauf – der abweisende Franz Joseph sprach auf sehr persönliche und herzliche Art, der korrekte Aristokrat Franz Thun ließ seinen Emotionen freien Lauf : »Nachdem ich meinen allerunterthänigsten Dank für die Verleihung des goldenen Vliesses, für die gnädige Enthebung und auch für die vielen Beweise der Gnade und des Vertrauens während meiner Amtswirkung ausgesprochen hatte, sagte Seine Majestät beiläufig : Ich muß Ihnen vom ganzen Herzen danken für die ausgewiesenen Dienste, die Sie geleistet und für die stets bewiesene corecte und loyale Haltung die Sie mir bei der Form Ihres Abtretens erwiesen haben. Sie waren ein ausgezeichneter Statthalter, sie haben die Ordnung hergestellt, haben das Beamtenkorps geeinigt und gefestigt. Ich bedauere, daß Sie nicht mehr bleiben konnten. Ich werde Ihnen stets dankbar sein, und hoffe, sagte er lachend, daß wir immer gute Freunde bleiben werden. Die dicken Thränen liefen mir über die Wangen !«247
Kapitel 8
Franz Thun und der Thronfolger
Franz Thun als unabhängiger Privatmann ?
Graf Franz Thun hatte das Amt des böhmischen Statthalters zurückgelegt, das er sechs lange Jahre innegehabt hatte. Er war mit der ausdrücklichen Anerkennung des Kaisers und versehen mit dem exklusiven Orden vom Goldenen Vlies aus der Statthalterei ausgeschieden, wurde dabei aber auch vom Siegesgeheul der jungtschechischen Presse begleitet. Journalisten und auch manche Politiker stellten sich die Frage, was der ehemalige böhmische Statthalter nun tun werde. Es sei nur schwer vorstellbar, schrieb die Neue Freie Presse, dass sich Graf Franz Thun ins Privatleben zurückziehe – blieb er doch weiterhin ein reicher, selbstbewusster und einflussreicher Besitzer einer großen Domäne und blieb eine Persönlichkeit, die mit ihren 49 Jahren eine politische, gesellschaftliche und administrative Potenz darstellte.248 Darüber hinaus zählte er zu jenen Personen, mit denen der Kaiser noch rechnete. Anfang Mai 1896 besuchte er mit einer aus Vertretern des Hochadels zusammengestellten Delegation, an deren Spitze Erzherzog Eugen stand, Moskau. Diese sollte an den Krönungsfeierlichkeiten des neuen Zaren Nikolaus II. teilnehmen, vor allem aber ging es um die gesellschaftliche Vorbereitung auf den Besuch des Zaren in Wien, der im September des gleichen Jahres erfolgen sollte.249 Dabei handelte es sich jedoch um eine Angelegenheit, die sich über einen Zeitraum von einer Woche erstreckte. Eine überraschende Entscheidung Seiner Majestät
Eine große Überraschung erfolgte am 30. Mai 1896 : Der Kaiser ernannte Graf Franz Thun zum neuen Obersthofmeister des Thronfolgers. Das war einigermaßen eigenartig. Die Erzherzöge pflegten Adelige zu ihren Hofmeistern zu bestellen, die ihrem »kleinen Hof« vorstanden. Für gewöhnlich handelte es sich dabei um unvermögende Adelige, die damit in den Genuss eines materiellen Auskommens gelangten. Aber ein so hoher Aristokrat, Besitzer einer großen Domäne und bis vor Kurzem noch hoher Staatsbeamter wie Graf Franz Thun in der Funktion eines Obersthofmeisters – das war schon extrem ungewöhnlich. Als Franz Thun diese Neuigkeit seinem Bruder mitteilte, brachte sie Jaroslav förmlich aus dem Gleichgewicht. In sein Tagebuch notierte er sich dazu : »Was es immer für Überraschungen gibt ! Das erste, was mir Franz
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Franz Thun und der Thronfolger
Abb. 28: Im berühmten Jagdrevier Christianenburg (Kristin Hrádek) waren oftmals prominente Jagdgesellschaften, Vertreter des Hochadels und Erzherzöge, einschließlich des Thronfolgers Franz Ferdinand, Gäste von Franz Thun.
Abb. 29: Franz Thun bei der Festversammlung der Gesellschaft patriotischer Kunstfreunde im Prager Rudolfi num anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung, 1. April 1896.
Die Beziehung zwischen Thun und Franz Ferdinand
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erzählte : Se. Majestät hat mich zum Obersthofmeister von Eh. Franz [Ferdinand] ernannt ! So ist der größte Staatsmann, der mächtige Statthalter von Böhmen – den man einen Mann mit Zukunft nannte – tief herabgesunken bis zum Hofmeister ! Ich war sprachlos ! Franz behauptet, er hätte es dem Kaiser auf dessen direktes Verlangen nicht abschlagen können !«250 Jaroslav ahnte sofort, eigentlich kann man schon beinahe davon sprechen, dass er es wusste, dass das Wirken seines Bruders als Hofmeister beim Thronfolger eine Episode werden würde. Ein so hoher Herr wie sein Bruder – Hofrat, Träger des LeopoldOrdens und des Ordens vom Goldenen Vlies sowie langjähriger Freund des Thronfolgers – findet sich plötzlich in einem Dienstverhältnis wieder. »Ich fürchte die Zwei werden sich à la long[u]e nicht gut vertragen ! […] Ich bin sehr traurig, daß Franz sich jetzt als politische Größe mit solcher Zukunft, wie er sie in Böhmen hatte, oder hätte haben können, ad acta legen und sich durch ein Hofamt abködern hat lassen – es stimmt mich tief traurig ! Und wird er, der Mann großer Thätigkeit, hier dem Geiste genügende Thätigkeit finden ? Ich zweifle !«251 Wie konnte Franz Joseph überhaupt auf die Idee kommen, Graf Franz Thun zum Obersthofmeister des schwer kranken Thronfolgers zu machen, von dem man nicht wissen konnte, ob er seine schwere Krankheit überhaupt besiegen würde ? Der Kaiser könnte auf den Gedanken gekommen sein, dass der energische Aristokrat Franz Thun seinen unberechenbaren Neffen zur Räson bringen könnte. Franz Thun schrieb am 9. Juli 1896 an seinen Bruder Jaroslav : »Der Erzherzog glaubt, ich bin ihm als Spitz[e]l zugewiesen ; das ist aber ganz falsch – ich würde mich dazu auch gar nicht hergeben.«252 Die Frage kann allerdings auch anders formuliert werden : Warum hat Franz Thun die für einen Mann seiner Stellung untergeordnete Stelle eines Hofmeisters angenommen ? Die einleuchtendste Erklärung würde darin bestehen, dass er den in seinem Leben oftmals wiederholten Grundsatz vertrat, dem Kaiser keinen seiner Wünsche abschlagen zu können. Die Beziehung zwischen Thun und Franz Ferdinand
Möglicherweise lag der Annahme des kaiserlichen Angebots (oder Befehls ?) auch eine andere Motivation zugrunde : Aus einem bestimmten Blickwinkel konnte die Position des Hofmeisters auch sehr bedeutsam erscheinen – handelte es sich doch um eine Stellung beim Thronfolger. Franz Thun mag vielleicht auch von der Vorstellung ausgegangen sein, eine historische Sendung zu erfüllen : die Vorbereitung des künftigen Herrschers des Habsburgerreiches auf sein Thronamt. Indizien für eine solche Hypothese lassen sich in der sehr engen, um nicht zu sagen freundschaftlichen Beziehung finden, die Franz Thun und seine Frau Anna sowie
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Franz Thun und der Thronfolger
Abb. 30: Das Schloss in Kwassitz unweit der mährischen Stadt Kremsier (Kroměříž), Wohnsitz des Bruders von Franz Thun und künftigen Erben des Majorats, Graf Jaroslav Thun.
Thuns Bruder Jaroslav und dessen Frau Maria zu Erzherzog Franz Ferdinand unterhielten. Franz Ferdinand reiste zur Jagd in das Tetschener Revier, Franz und Jaroslav wiederum nahmen an Jagden des Erzherzogs im Schloss Konopischt (Konopiště) teil. Wenn nun schon Franz Thun mit Franz Ferdinand eine stattliche Reihe von Briefen wechselte, so stockt einem beim Umfang der Korrespondenz des Thronfolgers mit Gräfin Anna Thun schier der Atem. Von seiner Weltreise, die er in den Jahren 1892 und 1893 unternahm, schrieb er ihr über seine Erlebnisse. In der Hinterlassenschaft von Gräfin Anna Thun in Tetschen befindet sich ein nach dem damaligen Stand der Technik vervielfältigter handschriftlicher Text von Franz Ferdinand, das zweibändige Werk Tagebuch meiner Reise um die Erde 1892–1893. Der Thronfolger hatte offenbar das innigliche Bedürfnis, Anna Thun mit seinem literarischen Werk zu beeindrucken, noch bevor der Text nach der redaktionellen Bearbeitung gedruckt worden war. Für Franz Thun, der von sich einmal behauptet hatte, sein Lebenskompass würde sich am Herrendienst für seinen Kaiser orientieren, war es eine ganz und gar grundlegende Frage, wie der künftige Herrscher sein und welche Beziehung er zu ihm haben werde. Die Fragestellung war alleine schon im Hinblick auf den Selbstmord von Kronprinz Rudolf in Mayerling heikel. Dass die Problematik der Vorbereitung (oder sogar Erziehung) des Thronfolgers auf Franz Thun lastete, beweist ein am 6. Februar
Die Beziehung zwischen Thun und Franz Ferdinand
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Abb. 31: Jagd im mährischen Kwassitz im Revier von Graf Jaroslav Thun, Oktober 1905. Franz Thun beim Schuss.
1890 von ihm an den Grafen Széchenyi gerichtetes Schreiben.253 Dieser hatte – möglicherweise auf Veranlassung des Kaisers selbst – die Frage an ihn gerichtet, ob er Graf Carlos von Clary und Aldringen als geeigneten Hofmeister für den Thronfolger erachte. Graf Franz Thun antwortete, dass er dies nicht tue. Der Hofmeister des Thronfolgers, betonte Thun, müsse eine »schwierige, aber schöne« patriotische Aufgabe erfüllen ; er müsse wissen, dass er sich gegenüber dem jungen Erzherzog, der »wenn Gott es will, in Zukunft Kaiser sein wird«, loyal zu verhalten habe, er dürfe einerseits nicht doktrinär, andererseits aber auch kein fröhlicher Lebemann sein, er müsse die Anforderungen der Zeit verstehen, dürfe freilich nicht mit dem Liberalismus kokettieren und müsse auf einer festen religiösen und konservativen Basis stehen. Als das Kriegsschiff sms Kaiserin Elisabeth am 14. Dezember 1892 mit dem Thronfolger an Bord zu der bereits erwähnten Weltreise aufbrach, befand sich auch der böhmische Statthalter Franz Thun unter jenen, die zum Abschied das Ufer säumten.254 Er war extra aus Böhmen herbeigeeilt, um sich von dem Mann zu verabschieden, der, wie man annehmen konnte, in Zukunft einmal Herrscher des Habsburgerreiches sein sollte (offiziell wurde er erst nach dem Tod seines Vaters Karl Ludwig am 19. Mai 1896 zum Thronfolger ernannt). Während der Dauer seiner »Reise um die Erde« korrespondierte Thun mit dem Erzherzog, vor allem über politische Fragen.
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Franz Thun und der Thronfolger
Abb. 32: Jagd in Konopischt (Konopiště), September 1905. Hintere Reihe von links: Franz Thun (als einziger mit Fotoapparat), Karl Freiherr von Rumerskirch (Hofmeister von Erzherzog Franz Ferdinand), Prinz Konrad Hohenlohe, Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, Graf Leopold Nostitz-Rieneck, Graf Leopold Sternberg. Vordere Reihe von links: Gräfin Karoline (Kara) Nostitz-Rieneck (geborene Chotek von Chotkowa und Wognin), Gräfin Franziska (Fanny) Sternberg, Fürstin (ab 1909 Herzogin) Sophie von Hohenberg, geborene Chotek von Chotkowa und Wognin (nicht standesgemäße Gattin des Thronfolgers), Gräfin Franziska (Fini) Hohenlohe, Grä fin Ernestine Thun (Gattin von Franz Thun).
Die Thuns waren ebenso mit Franz Ferdinand in Kontakt, als er sich infolge seiner Tuberkuloseerkrankung auf Reisen begab, die er als Teil seiner Therapie unternahm. Jaroslav Thun erachtete die schwere Erkrankung des Thronfolgers als Katastrophe für sein geliebtes Österreich. Am 11. August 1895 notierte er dazu in sein Tagebuch : »Zu meiner nicht geringen Bestürzung erfuhr ich durch einen Brief von Anna, EH [Erzherzog] Franzens Zustand ist ein ernster, er soll Blut spucken – das ist schrecklich – als Sohn einer brustkrank gestorbenen Mutter. […] Gott erhalte uns diesen Herren – sollte Er ihn uns nehmen, so müßte man beinahe fürchten, Gott wolle Österreichs Untergang ; denn an EH Franz, den Mann der edlen Thaten, knüpfte ich die letzten Hoffnungen auf Ordnung und Recht !«255
Die Beziehung zwischen Thun und Franz Ferdinand
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Abb. 33: Jagd in Tschastolowitz (Častolovice) bei den Sternbergs, Oktober 1905. Im Vordergrund von links: Grä fin Ernestine Thun, Graf Franz Thun, Graf Harry Larisch, Fürst Ernst Starhemberg.
Abb. 34: Jagd in Tschastolowitz
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Franz Thun und der Thronfolger
Die politische Korrespondenz zwischen Franz Thun und Franz Ferdinand256
Franz Thun berichtete Franz Ferdinand in seinen Briefen über die politischen Ereignisse aus der Heimat, vor allem jedoch über seine eigenen Erlebnisse. Am 13. Jänner 1896 sandte der böhmische Statthalter an den Erzherzog einen Brief, der diesen auf einem in der Nähe von Luxor in Ägypten befindlichen Schiff erreichte. Er berichtete davon, dass sich sein Verhältnis zu Badeni derart zugespitzt habe, dass er seine Funktion als Statthalter zurücklegen werde. Er gestand Franz Ferdinand, dass er schweren Herzens und nur ungern aus dem Amt scheide. Er bemühte sich darum, seine Verbitterung über die Demission und seine Aversion gegenüber Badeni hinter einer außerordentlich emotionalen Erklärung zu verbergen. Dabei präsentiert er sich, bewusst oder unbewusst, als Mann und Politiker, der dem Dienst für den Herrscher und für das Reich den ersten Platz einräumt : »Ich habe das Interesse meines kaiserlichen Herrn und meines geliebten Österreich ständig vor Augen und auch weiterhin wird es mein ganzes Herz erfüllen. Beim Ausscheiden aus meinem Amt kann ich mir nur wünschen, dass Ministerpräsident Graf Badeni mein geliebtes Österreich zu Wohlergehen führt ! […] Mein letzter Ausruf wird sein : Ein Hoch auf meinen geliebten Kaiser ! Hoch mein Österreich !«257 Beim Thronfolger stieß er damit auf vollstes Verständnis. Franz Ferdinand schätzte die Jungtschechen nicht (mehr noch, eher hasste er sie), er konnte Badeni nicht leiden (eher hasste er auch ihn), der eine Annäherung mit ihnen herstellen wollte, und es gefiel ihm nicht, dass ein polnischer Aristokrat Ministerpräsident war (auch Außenminister Gołuchowski und der gemeinsame Finanzminister Biliński waren Polen). An den scheidenden Statthalter richtete Franz Ferdinand das folgende Schreiben : »Obgleich ich schon seit dem Auftreten des Grafen Badeni eine ähnliche Wendung der Dinge befürchtete, so muß ich Ihnen jetzt, da meine Befürchtung zur Tatsache geworden ist, mein lebhaftes Bedauern über Ihren sehr begreiflichen, aber für die Monarchie u. das Land sehr traurigen Entschluß aussprechen. Sie waren, ohne im geringsten schmeicheln zu wollen, durch Ihren conservativen altösterreichischen Sinn und Ihre Tatkraft ein Segen für das Land : ein Vorbild für die doch noch zahlreichen anständigen Elemente. Wer wird Ihr Nachfolger werden ? Ein Individuum Badenis ? Wahrscheinlich auch ein Polak, da wir noch zu wenige in unseren höchsten Stellen haben ! Wird nun Böhmen durch den von Badeni herbeigeführten Sieg und Triumpf [der] Jungčechen dieselbe oder eine ähnliche Rolle spielen wie Ungarn ? Bekommen wir wahrscheinlich nächstens als neueste Staatsform den Trialismus ? […] Wenigstens können Excellenz mit dem Gefühl scheiden, alles gethan zu haben, um das Wohl und Heil des Ihnen anvertrauten Landes in vorzüglichster Weise zu fördern und ich hoffe, daß Sie nach so aufopfernder patriotischer Thätigkeit Ihre Ruhe recht genießen und doch mit Stolz und Freude auf Ihre langjährige Statthalterschaft zurückblicken.«258
Reaktionen auf die Ernennung von Graf Thun
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Auch in einem auf den 22. März 1896 datierten Schreiben an den Fürsten Schwarzenberg bedauert Franz Ferdinand den Rücktritt Thuns vom Amt des Statthalters in Böhmen : »Der Rücktritt des Statthalters ist ein großer Verlust für die gute Sache die wir alle jetzt mitempfinden und ich kann nur hoffen[,] daß ein so bewä[h]rter nobler Mann jetzt in anderer Weise Gelegenheit haben wird[,] seinem Kaiser von Nutzen zu sein.«259 Reaktionen auf die Ernennung von Graf Thun
Führt man sich vor Augen, wie groß das Wohlwollen Franz Ferdinands gegenüber Franz Thun war, den er als Freund bezeichnete und als Politiker schätzte, dann ist es nur schwer verständlich, wie sich die Beziehung zwischen diesen beiden Männern innerhalb von nur vier Monaten derart verschlechtern konnte, dass ein gemeinsamer Umgang kaum mehr möglich war. Die überraschende Nachricht von der Ernennung des ehemaligen Statthalters in Böhmen zum Hofmeister von Erzherzog Franz Ferdinand, der sich mit der Rückkehr von seiner zur Heilung von seiner schweren Erkrankung unternommenen Weltreise beeilte, um am Begräbnis seines Vaters Erzherzog Karl Ludwig teilnehmen zu können, wurde von der Presse in der ganzen Monarchie verbreitet. Einige Politiker und in der Öffentlichkeit stehende Amtsträger hat dieses Thema so beschäftigt, dass sie sich in Briefen an den neu ernannten Hofmeister wandten, in denen sich die Mentalität und der Kenntnisstand der Verfasser widerspiegeln. Für den 86-jährigen Führer der Alttschechen František Ladislav Rieger war die Sache ebenso klar wie erfreulich : Thuns Ergebenheit gegenüber Franz Ferdinand sei bekannt und nun würde sie ihren Ausdruck in seiner Ernennung zum Obersthofmeister finden. »Als Patriot« sei er darüber hoch erfreut, dass ein so offener, charakterstarker und ergebener Mann wie Thun, der mit den Verhältnissen vertraut ist und der eine »besondere Sympathie für unser herrliches Land«260 hat, den wichtigen Platz an der Seite des Thronfolgers einnehme. Weiter reichende Hoffnungen verband der Prager Polizeidirektor Hofrat Georg Dörfl mit Thuns Ernennung. Seinen Brief hatte er, wie er schrieb, in einer »gehobenen Stimmung« verfasst, was im Übrigen nicht zu übersehen ist. In Thuns Ernennung erkannte er einen umwälzenden historischen Augenblick und sah in ihm bereits jenen Mann, der für den neuen Kaiser das Reich regieren werde. Er schrieb : Die Nachricht von der Übernahme des Hofmeisteramts »hat mich gleich allen jenen, die Euerer Excellenz in treuer Anhänglichkeit ergeben sind, mit innigster Freude erfüllt, da dieser Akt ein neuerlicher deutlich sehender Beweiß dafür ist, in welchem hohen Maße Euere Excellenz das Vertrauen unseres Allergnädigsten Herren genießen. […] Dieser Akt ist aber auch Trost und neubelebende Hoffnung für uns alle, die nur mit fester Zu-
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Franz Thun und der Thronfolger
versicht den Augenblick erwarten, der die Zügel der Regierung in die Hände Euerer Excellenz legen wird. Möge der Allmächtige den kaiserlichen Prinzen, dessen Obhut nun Euerer Excellenz anvertraut ist, gesunden lassen und dadurch gestatten, daß die edle Saat, die Euere Excellenz nun zu pflegen sich ausschicken, reiche heilbringende Früchte tragen für das kaiserliche Haus und das Reich, das Land Böhmen, für den besten und edelsten Österreicher, den es überhaupt gibt.«261 Nach der feierlichen Adoration des historischen Augenblicks ging der Polizeidirek tor auf seine Tätigkeit ein und erstattete über das Echo Bericht, welches die Nachricht über die Bestellung Thuns zum Obersthofmeister in den Reihen der böhmischen Radikalen hervorgerufen hatte : Angeblich seien sie konsterniert und klagten über den »schweren Schlag«, der ihre Zukunftshoffnungen zunichte mache. Die Prager Polizei, so berichtete der Direktor, würde sie allerdings überwachen. So konfiszierte sie die letzte Ausgabe der jungtschechischen humoristischen Zeitschrift Šípy, in der eine Karrikatur abgebildet gewesen war, die den Grafen Thun zeigte, wie er dem Erzherzog Tschechischunterricht erteilte.262 Besser orientierte Schreiber sahen Thuns Ernennung in einem anderen Licht. Johann Chlumecky, ehemaliger Minister und Mitglied des Herrenhauses, ein Mann, dessen Rat sich auch der Kaiser in persönlichen Fragen oft ausbedachte, gratulierte Thun nicht zu seinem neuen Amt, dankte ihm jedoch direkt im Namen »der Gönner des Allerhöchsten kaiserlichen Hauses«, dass er diese Stellung mit »selbstloser und hingebunsvoller Ergebenheit« übernommen habe.263 Der Oberstlandmarschall des Königreichs Böhmen, Georg Lobkowicz, würdigte den Umstand, dass der vom Gefühl der Ergebenheit erfüllte Thun ein Amt übernommen habe, das schwer, verantwortungsvoll und »besonders undankbar« sei und wünschte ihm, dass ihm das Wissen um die Pflichterfüllung bei Schwierigkeiten trösten möge.264 Am deutlichsten äußerte sich der Alttscheche Professor Albín Bráf zu Thuns Chancen im neuen Amt. Das Schreiben eröffnet mit einem energischen Imperativ : »Nicht gratulieren, sondern condolieren ! – sagte mir vor einigen Tagen Herr Graf Zdenko Thun [der Cousin von Franz Thun]. Nun, nach einigem Zögern wage ich es doch – zu gratulieren. Nicht zu dem beschwerlichen Amte […], aber zu dem großen Beweise Allerhöchsten Vertrauens.«265 Manch einer ahnte, dass es Franz Thun mit Franz Ferdinand nicht leicht haben werde. Die Wirklichkeit übertraf jedoch sogar die skeptischsten Erwartungen. Die ganze »Hofmeisterepisode« verlief von Anfang an katastrophal. Der selbstbewusste Franz Thun war im Hinblick auf seinen Dienst beim Erzherzog optimistisch eingestellt. Sein Bruder Jaroslav sah in der ganzen Angelegenheit von Anfang an schwarz. Er hielt Franz Ferdinand für krank – physisch und psychisch. Am 3. Juni 1896 traf er ihn im Garten des Schlosses Schönbrunn und fasste seine Eindrücke des eineinhalbstündigen Gespräches folgendermaßen zusammen : »Ich fand ihn leider – trotzdem
Der Konflikt zwischen dem Thronfolger und seinem Hofmeister
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die Ärzte ihn besser finden – nicht wohl. Sehr stark geworden, blaß und furchtbar heiser – aber was mich besonders frappierte : das ist seine enorme Aufregung ! Über Franzens Ernennung ist er wüthend, er sagt, jetzt werde es aus sein mit aller Freundschaft, da Franz sein ›Diener‹ ist, dem er nur zu befehlen habe[,] von dem er weder Ratschläge annehmen, noch mit ihm anders als dienstlich verkehren könne ! […] Momentan hat Franz jedenfals eine scheußliche Position. […] Der arme Erzherzog hat ein krankhaftes Mißtrauen gegen alle, die ihn umgeben !«266 Der Konflikt zwischen dem Thronfolger und seinem Hofmeister
Von allem Anfang an wollte sich zwischen Franz Ferdinand und seinem neuen Obersthofmeister kein gutes Einvernehmen herstellen lassen. Der Thronfolger sah in Franz Thun einen großen Herrn, der ihm Befehle erteilen und ihn belehren wolle. In einem Brief spricht er es offen aus : »Ich brauche keinen Erzieher.« Ständig wiederholte er, dass er Soldat und es gewohnt sei, dass seinen Befehlen Folge geleistet werde. Am 9. Juli verfasste Franz Thun an seinen Bruder ein Schreiben, aus dem abzulesen ist, dass sich sein Optimismus, sofern es sich um die Ausübung des Amtes beim Thronfolger handelte, mehr und mehr verflüchtigt hatte. Er ersuchte Jaroslav und später auch seine Frau Anna, als Menschen, die Franz Ferdinand zuvor als ihre Freunde erachtet hatten, auf diesen einzuwirken und dessen schwere Bedenken ihm gegenüber zu zerstreuen. Er schrieb : »Warum ich das Vertrauen jetzt verlieren sollte, wo ich es früher besessen habe, ist mir nicht verständlich ebensowenig wie ihm zwei wahre Freunde, Anna und ich genommen sein sollten !«267 Franz Ferdinands Zustand konnte nicht als »normal« bezeichnet werden. Er war seinem Hofmeister, einem Hocharistokraten und früheren Freund, gegenüber beleidigend, wo er nur konnte. Beispielsweise trug er ihm schriftlich auf, bei ihm nicht in Uniform, sondern in Zivil zu erscheinen (wobei das Tragen von Uniform für die Beamten in Österreich üblich war), weil ihm das bei jemandem, der nicht Soldat sei, als Maskerade (!) erschien. Der Vorwurf, kein Soldat zu sein, wog schwer, hatte Franz Thun doch als Einjährig-Freiwilliger gedient, eine Reihe von Manövern absolviert und es bis zum Major gebracht. Franz Ferdinand befand sich in einem gereizten Zustand und sein Misstrauen trug schon paranoide Züge, das im Zusammenhang mit seiner Erkrankung und dem Gefühl stand, dass ihn der Hof, der Ministerpräsident und der Außenminister im Besonderen sowie seine »Feinde« im Allgemeinen von der Thronfolge ausschließen wollten. Ebenfalls hatte er fortwährend das Gefühl, dass sein Obersthofmeister Einfluss auf seine Angelegenheiten ausübte und diese gegen seinen Sinn beeinflussen wolle, dass er seinen Angestellten Befehle erteile und ihn belehren wolle. Er beschwerte sich darüber, dass in Wien Gerüchte über seine »Aufgeregtheit« im Umlauf seien und dass
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sie von Ministern und Höflingen verbreitet werden, mit denen Thun Umgang pflegte. Am 10. September sandte der Erzherzog an seinen Obersthofmeister ein Telegramm mit folgendem Inhalt : »Gestern hat sich in Wien infolge zweier Telegramme, die angeblich amtlich konfisziert wurden, das Gerücht über meinen Tod verbreitet. Ich wünsche davon nähere Details zu erfahren.«268 Franz Thun rechtfertigte diesen Vorfall damit, dass es sich einfach um einen kranken Menschen handle, den man nicht allzu ernst nehmen dürfe. Nichtsdestoweniger war es evident, dass er sein Amt als Hofmeister nur schwer wahrnehmen konnte, wenn der Erzherzog ein Treffen mit ihm ablehnte und Briefe an ihn richtete, in denen sich der Grad der vorgebrachten Beleidigungen zunehmend steigerte.269 Ende September stellte Jaroslav Thun fest, dass die Situation unerträglich geworden war und hielt dazu in seinem Tagebuch Folgendes fest : »Die kurze Zeit in Tetschen saß ich dort mit Franz – das Gesprächsthema war sein Verhältnis zum Erzherzog ; dessen Bf. [Briefe ; Anm. d. Übers.] sind einer gröber wie der andere, voll wahrer Insultenten [Beleidigungen ; Anm. d. Übers.] und gemeinen Lügen – mir unbegreiflich. Entweder ist der Mann total verrückt oder ist er ein vollkommen schlechter Charakter, dessen Farbe bisher nicht zu Tage trat. Was er damit bezweckt, sich einen so edlen Menschen wie Franz zum Todfeind zu machen ist ganz unverständlich !«270 Das Ende des verhassten Dienstes
Es erscheint wenig verwunderlich, dass Graf Thun der Stellung bald überdrüssig geworden war und den Dienst quittieren wollte. Das wiederum traf beim Thronfolger auch nicht auf Gegenliebe – dachte er doch, dass er von allen verlacht werde, wenn er nach nur drei Monaten um die Ablösung seines Hofmeisters ersuchte. Nichtsdestotrotz bat Graf Thun den Kaiser um eine Audienz. Am 9. Oktober 1896 schrieb er von Tetschen aus an seinen Bruder in Kwassitz : »Der Kaiser war sehr gnädig. Ich bat ihn um meine Enthebung und setzte ihm die Gründe auseinander, weshalb ich es für besser halte, daß das Verhältniss gelöst werde ! Seine Majestät scheint mir in der ganzen Sache recht zu geben und die Demission gewähren zu wollen ; bemerkte nur, daß es nach außen hin doch schwer sei, nach wenigen Monaten schon einen Antrag durchzuführen.«271 Eine Lösung wurde dahingehend gefunden, dass Thun zwar weiterhin nominell die Stelle als Hofmeister ausübte, aber beurlaubt wurde. Graf Franz Thun konnte froh darüber sein, von dem verhassten Dienstverhältnis entbunden worden zu sein. Gleichzeitig verspürte er vielleicht auch das Gefühl des totalen Misserfolgs – als Hofmeister des Thronfolgers war er einfach gescheitert. Vor allem für einen Menschen, der – wie er selbst sagte – die Ergebenheit gegenüber dem Herrscher als seinen »Lebenskompass« erachtete, war es eine frustrierende Vorstellung, dass der Kronprinz und wahr-
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scheinliche künftige Kaiser ein unerträglicher, abnormer Mensch – heute würden wir von einem Psychopathen sprechen – war. Am 17. Oktober schrieb er an seine Frau Anna : »Gestern erhielt ich wieder einen Brief vom Erzherzog, von dem ich Dir eine Abschrift sende. Es ist der Brief eines nicht bloß körperlich kranken Menschen. Gebe der liebe Gott, daß mit fortschreitender körperlicher Besserung auch der Geist sich wieder beruhigt, das Gefühl für Recht und Gerechtigkeit wieder erwache. Wenn der Brief auch mich, ich kann es nicht leugnen, im ersten Augenblick recht geärgert hat, so bin ich heute doch wieder ganz ruhig über ihn. […] Meinem geliebten Österreich zu Liebe, hoffe ich, […] daß der Erzherzog sich wieder ändert, sonst gehen wir entsetzlich schweren und traurigen Zeiten entgegen !«272
Kapitel 9
Franz Thun im Krisenjahr 1897
Armes Österreich, armer Kaiser …
Das Jahr 1897 wird in Monographien, Übersichtsdarstellungen und Lehrbüchern, die sich mit der Geschichte der Habsburgermonarchie bzw. mit der Geschichte der einzelnen mitteleuropäischen Nationalitäten in den letzten Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges beschäftigen, häufig als jenes Jahr genannt, in dem die Stabilität des altehrwürdigen Reiches geradezu schicksalhaft erschüttert wurde und in dem der Monarchie ein Schlag versetzt wurde, von dem sie sich nicht mehr erholen sollte.273 Auch die Zeitgenossen nahmen diese Katastrophe wahr und verarbeiteten ihre Eindrücke. Vor allem handelte es sich um jene, die ein emotionales Naheverhältnis zur Habsburgermonarchie hatten, die sie schätzten, die sich nicht vorstellen konnten, in einem anderen Staatsgebilde zu leben, wie auch jene, die sich mit dem Reich und mit der Dynastie identifizierten. Das gilt in erster Linie, aber bei Weitem nicht ausschließlich, für die Aristokratie. In den von Adeligen im Jahr 1897 verfassten Briefen trifft man wiederholt auf verzweifelte Kommentare über die Ereignisse, welche sich in der Monarchie zugetragen hatten, und zwar in der folgenden Tonart : Armes Österreich ! Armer Kaiser ! Wohin soll das alles führen ? Wie soll das noch alles enden ? Wir gehen direkt auf eine schwere Krise zu. Welchen Ausweg gibt es ? Als guter und dem Kaiser ergebener Österreicher blutet mir das Herz […]. Die Monarchie ist durch die schmutzigen Geschäfte der Politik in ihren Grundfesten erschüttert […]. Es herrscht Aufruhr gegen den Kaiser, das Reich und die Autorität […]. Das ist der Anfang vom Ende für Österreich usw.274 Die Badenische Sprachreform
Diese für das Jahr 1897 so charakteristische »Verzweiflung über Österreich« stand in einem direkten Zusammenhang mit den am 5. April für das Königreich Böhmen und am 22. April für die Markgrafschaft Mähren erlassenen Sprachenverordnungen. Mit diesen Maßnahmen, die unmittelbar am Tag ihrer Kundmachung Geltung erlangten, wollte sich Ministerpräsident Kasimir Badeni der Zusammenarbeit mit den tschechischen Politikern – also praktisch den jungtschechischen Abgeordneten im Reichsrat – versichern, um so die Regierungsmehrheit zu erlangen, die für die Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn unerlässlich waren.
Die Badenische Sprachreform
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In gewissem Sinne war diese Maßnahme nur ein weiterer logischer Schritt Badenis auf jenem Weg, den er bald nach seinem Amtsantritt eingeschlagen hatte. Dieser hatte mit der Aufhebung des über Prag und die angrenzenden Bezirke verhängten Ausnahmezustandes sowie der Amnestierung der Omladina-Anhänger seinen Anfang genommen und zum Rücktritt Thuns, des »Architekten des Ausnahmezustandes«, als Statthalter von Böhmen geführt. Auch hier ging es ihm darum, die Jungtschechen als Partner zu gewinnen. Den Kern der Sprachenverordnungen bildete die weitere Gleichberechtigung des Tschechischen als innere Amtssprache. Während die Stremayr’sche Sprachverordnung aus dem Jahr 1880 dem Tschechischen das Statut einer Amtssprache im inneren Amtsgebrauch, also im Parteienverkehr, garantiert hatte, legten die Badenischen Sprachenverordnungen die gleiche Gültigkeit beider Landessprachen – des Tschechischen wie des Deutschen – im inneren Amtsgebrauch fest : Sämtliche Agenden, die im Zusammenhang mit der Erledigung eines bestimmten Sachverhalts standen, sollten, je nachdem in welcher Sprache die ursprüngliche Eingabe abgefasst worden war, in eben dieser geführt werden. Das hätte bedeutet, dass das gesamte Gebiet Böhmens (und auch Mährens) hinsichtlich der Vollziehung der Staatsverwaltung zweisprachig geworden wäre : Die Badenischen Sprachenverordnungen gingen vom Prinzip der sprachlichen Gleichberechtigung aus. Mit dem einher ging das Prinzip der Sprachqualifikation der Beamten – bis zum 1. Juni 1901 hatten sie ihre hervorragenden Sprachkenntnisse sowohl des Tschechischen als auch des Deutschen unter Beweis zu stellen. Die Sprachenverordnungen enthielten aber auch eine Reihe von Bestimmungen, welche die sprachliche Gleichberechtigung in Böhmen und Mähren de facto einschränkten : Ausgenommen davon waren die Kommandosprache in der Armee und der Gendarmerie, die bei der bewaffneten Macht (mit Ausnahme der k. u. Landwehr) Deutsch blieb, während sich die Regimentssprache an der nationalen Zusammensetzung des Regiments orientieren sollte. Aus der Perspektive des mit Erbitterung geführten politischen Kampfes, den die Sprachenverordnung hervorgerufen hatte, offenbarte sich dieser als das mit Abstand grundsätzlichste Ereignis hinsichtlich des Schicksals der tschechischen Nation und seiner Stellung innerhalb der Habsburgermonarchie. Der Zeitungskorrespondent der Národní lísty, Josef Penížek, schrieb dazu in seinen Erinnerungen : »Tschechisch als innere Amtssprache, vom Grafen Badeni ausverhandelt, war mehr als ein point d’honneur, mehr als eine Prestigefrage, das war der Gipfelpunkt unseres Selbstverständnisses. Um die Wahrheit zu sagen : Das war etwas, das sich nicht beschreiben, nicht begreifen und nicht definieren lässt. Für den tschechischen Beamten und die tschechische Nation war es so, als ob sie einen neuen Ehrenmantel erhalten hätten, mit dem man sich in die Gesellschaft gleichberechtigter, gleichwertiger Nationen wagen und unter ihnen als par inter pares auftreten konnte, keinesfalls dazu genötigt, sich der Krücke einer fremden Sprache zu bedienen, sondern auf eigenen Beinen auf-
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Franz Thun im Krisenjahr 1897
recht und stramm herauszutreten. Uns war es so, also ob wir jetzt mit vollen Lungen atmen und frei leben konnten. Das »innere Tschechisch« war ein Attribut unserer Eigenstaatlichkeit, unserer Vollkommenheit, unserer Erhebung auf den Olymp, auf dem Gleiche unter Gleichen thronen.«275 Deutsche Obstruktion
Während die tschechische Presse die Badenischen Sprachenverordnungen als historischen Sieg der Tschechen darstellte, wurden sie von der deutschen Politik als »slawisch-feudal-klerikaler Angriff auf die Deutschen« interpretiert und als »Aufruhrakt« apostrophiert. Die deutsch-nationalen parlamentarischen Abgeordneten kamen darin überein, sich im Kampf gegen die Sprachenverordnungen des Mittels der Obstruktion zu bedienen. Dabei handelte es sich um ein Vorgehen, das durch die Jungtschechen Eingang in die gesetzgebenden Körperschaften Österreichs gefunden hatte, nachdem sie Statthalter Franz Thun am 17. Mai 1893 lautstark daran gehindert hatten, eine Rede zu halten. Nunmehr wurde diese destruktive Form des politischen Kampfes von der »deutschen Linken« – den Alldeutschen, der deutschen Volkspartei und den deutschen Fortschrittlern – in der Abgeordnetenkammer des Reichsrates eingesetzt. Ihr Vorgehen rechtfertigten sie damit, dass eine so umfassende und weitreichende Maßnahme wie die Sprachenverordnung nur auf der Grundlage eines verabschiedeten Gesetzes rechtliche Verbindlichkeit erlangen könne – und nicht als bloße Regierungsvorlage. Die obstruierenden Parteien erklärten, dass solange die Sprachenverordnung nicht aufgehoben werde, keine weitere Regierungsvorlage angenommen werden dürfe. Die sogenannte technische Obstruktion beruhte auf dem wortwörtlichen Gebrauch (oder eher Missbrauch) der Geschäftsordnung : Die Abgeordneten brachten zahlreiche Dringlichkeitsanträge ein (über die freilich abgestimmt werden musste), forderten namentliche Abstimmungen, die Stunden in Anspruch nahmen, brachten Dutzende unsinnige inhaltliche Korrekturen ein und lasen eine Reihe langer Petitionen vor. Jede Abweichung von der Geschäftsordnung seitens der Regierung oder der Parlamentsmehrheit gab ihnen den Vorwand für noch schärfere Obstruktionsmaßnahmen – Störung durch Zwischenrufe, Gesang oder Klopfen auf die Sitzbank. Früher oder später war der Handlungsspielraum des Parlaments erschöpft und das Hohe Haus in seiner Arbeit blockiert. Das österreichische Parlament (also die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder) und in weiterer Folge die politische Stabilität der Doppelmonarchie befanden sich in der Krise. Franz Thun berichtete am 8. Mai 1897 seinem Bruder Jaroslav voller Entsetzen in einem Brief : »Die Vorgänge in Wien beschäftigen mich in hohem Maße ; was wird daraus werden ? Mit diesem Parlament kann Badeni kaum weiterarbeiten, wird er es vertagen ? Wird er demissionieren oder die Verfassung sistieren ? Was geschieht mit dem Ausgleich ? Wie wird sich das Verhältniss zu
Die Brüder Thun und die deutsche Revolte
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Ungarn gestalten ? Die Rechte des Hauses ruft nach Autonomie, die Linke führt das Centralparlament ad absurdum, wird es aber gelingen, ein geeintes starkes Österreich zu erhalten ? Mich bekümmern die Dinge, wie sie sich entwickeln, im höchsten Grade. Gott schütze uns und unser geliebtes Österreich !«276 Die Brüder Thun und die deutsche Revolte
Die Obstruktion wurde fortgesetzt und nahm noch an Schärfe zu. Franz Thuns Schrei ben vom 22. Mai 1897 zeugt von geringem Optimismus : »[…] die parlamentarische Maschine steckt vollkommen und niemand weiß[,] was in Wien, was jetzt geschehen soll, die mehrtägige Sitzung des Abgeordneten Hauses [Abgeordnetenhauses ; Anm. d. Übers.] dürfte, so vermutet man, nun die Wiederholung der letzten Szenen sein, die Linke will, wie es scheint, die Maschine vollkommen zum Stehen bringen, solange die Sprachenverordnungen nicht zurück genommen werden.«277 Wie aus Thuns Schreiben hervorgeht, war auch Ministerpräsident Badeni skeptisch geworden. In einem Gespräch mit Thun äußerte er sich sinngemäß dahingehend, dass er sich nicht von der Stelle bewegen könne und dass er um seine Demission bitten würde, insoferne der Kaiser nicht darauf bestehe, dass er die kritische Situation löse, die durch die Sprachenverordnungen entstanden war. Zu Badenis Bemerkung, dass die Situation für seinen Nachfolger, dem gegenüber es keine Aversionen gebe, leichter werden würde, schrieb Thun : »Ich glaube das nicht, bleibt […] [die] Sprachenverordnung, so geht das gleiche Spektakel bei der Linken los, wird an der Sprachenverordnung gerüttelt, so ist ein ähnlicher Sturm von den anderen Parteien zu erwarten.«278 Thun berührte damit ein grundsätzliches Dilemma, vor dem die politische Führung des Staates stand und dem bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges keine Regierung entkam : Bewegte man sich auf die Tschechen zu, war mit Sicherheit mit dem hartnäckigen Widerstand der Deutschen zu rechnen, nähert man sich dem Standpunkt der Deutschen an, war mit dem stürmischen Protest der Tschechen zu rechnen. Gegenwärtig waren es die Deutschen, die eine oppositionelle Rolle einnahmen, die sie mit destruktiver Heftigkeit ausübten. Franz Thun schloss seinen Bericht über die unmögliche Situation im Wiener Parlament mit einem bitteren Seufzen : »Mit einem Wort, es ist eine wirre Zeit. […] Einem guten Österreicher blutet das Herz, wenn er ein solches Durcheinander sieht.«279 Jaroslav Thun verfolgte die Nachrichten seines Bruders über die Ereignisse im Wiener Parlament mit großer Aufmerksamkeit, um nicht davon zu sprechen, dass er sie geradewegs studierte : Oftmals übertrug er ganze Passagen aus den Briefen in sein Tagebuch. Er teilte die unbestreitbare Abneigung seines Bruders gegenüber Badeni – einem Mann, der Franz Thun als Statthalter geopfert hatte, um die Gunst der Jungtschechen für seine Politik zu erlangen. Zusammen mit ihm und den adeligen
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Politikern des böhmischen konservativen Großgrundbesitzes machte er Badeni zum Vorwurf, nur mit der Situation in Galizien vertraut zu sein, jedoch keine Ahnung von den Verhältnissen in Böhmen zu haben. Zum einen war es die Antipathie der Brüder Thun gegen Badeni und die Überzeugung, dass er Österreich schlecht verwalte, zum anderen erachteten sie in der gegen ihn von den deutschen Parteien geführten Kampagne eine Bedrohung für Österreich, sein Prestige, sein politisches System, wenn nicht sogar eine antidynastische Revolte. Am 24. Mai 1897 kommentierte Jaroslav Thun die Nachricht seines Bruders über die deutsche Obstruktion im Wiener Parlament wie folgt : »Schönerianer, deutschböhmische und indirect auch die deutsch-fortschrittlichen Abgeordneten [haben] eine so gemeine, brutale, allen Anständen Hohn sprechende Obstruktion iniziiert, daß es wohl hoch zu Prügeleien kam, aber zu keiner Verhandlung ! Nach 4 Stunden Gebrüll mußte der Vorsitzende die Sitzung schliessen. […] Wenn mir auch an Badeni nichts gelegen ist, so wäre es doch des Princips halber zu wünschen, daß die Krone Muth und Energie beziehe und sich durch heulende Pöbel nicht einschüchtern laße [lasse ; Anm. d. Übers.]. Fällt Badeni, was kaum zu bezweifeln ist, früher oder später, so dankt er dies nur seiner absoluten Unkenntniss aller nicht galizischen Verhältnisse in Öster reich und seinem Leichtsinn ! Wenn Badeni fällt, so bleibt seinem Nachfolger, wer immer es sei, eine Herkules Arbeit zu vollführen, um […] Ordnung und Ruhe [zu] schaffen […] – hier könnte nur ein gesunder Absolutismus führend wirken.«280 Erschien es Franz und Jaroslav Thun, als sie darüber nachsannen, welche Aufgaben Badenis Nachfolger im Amt des Premiers erwarteten, denn denkbar, dass Graf Franz Thun zum nächsten Ministerpräsidenten hätte ernannt werden können ? Es ist anzunehmen, dass es sich – wenn auch unbewusst – so verhielt. Beide kamen immer wieder darauf zurück, welch schwere Aufgabe Badenis Nachfolger erwarte. Der Schwur von Eger
Am 29. Mai 1897 erteilte der Kaiser Graf Badeni seine Zustimmung, das Parlament zu schließen. Am 2. Juni wurde die 12. Session des Abgeordnetenhauses nicht nur vertagt, sondern für beendet erklärt. Badeni ging davon aus, dass sich die Situation nach der Schließung des Abgeordnetenhauses beruhigen werde, was jedoch nicht der Fall war. Die Sommerpause ermöglichte es den Abgeordneten der deutschen Parteien, sich in ihre Wahlkreise zu begeben, um dort verschiedene Protestveranstaltungen abzuhalten, auf denen man sich über die Sprachenverordnungen, Badeni, die Regierung, die Tschechen, die Slawen, Österreich und manchmal sogar über die Dynastie empörte (Aussagen von Rednern, wonach als Folge der Entrüstung der Deutschen die »Fenster der Hofburg erzittern werden« waren keine Seltenheit). Die deutschnationale Welle ergriff nicht nur Deutschböhmen, sondern weitete sich auch
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auf die Alpenländer aus. Obwohl sich Interessen und Politik der böhmischen und der alpenländischen Deutschen für gewöhnlich eher unterschieden, hatte es den Anschein, als ob sich die emotionale nationale Solidarität zu einer einheitlichen Protestwelle vereinen würde. Die Regierung Badeni wollte ihrem Anspruch gerecht werden, mit harter Hand durchzugreifen und untersagte daraufhin politische Versammlungen unter freiem Himmel, die jedoch dessen ungeachtet trotzdem stattfanden. Die Protestaktionen erreichten am 11. Juli 1897 in Eger ihren Höhepunkt. Entgegen des Verbotes versammelten sich dort zehntausende Menschen, unter ihnen auch 17 Abgeordnete. Im Bürgerhaus, in dem einstmals Albrecht von Waldstein ermordet worden war, erfolgte die Ablegung des »Schwurs von Eger«, der die Deutschen dazu verpflichtete, so lange nicht in ihrem Kampf nachzulassen, bis die Sprachenverordnungen aufgehoben sein würden. Ein Teil der Demonstranten unter der Führung Georg von Schönerers setzte ein nicht nur gegen die Regierung gerichtetes Zeichen und unterstrich damit den antiösterreichischen Charakter des deutschen Protests : Sie überschritten die Grenzen und setzten ihre Manifestation im bayerischen Waldsassen fort. Bei der Rückkehr gerieten die Teilnehmer jedoch mit der Gendarmerie aneinander, worauf auch Verletzte zu beklagen waren. Jaroslav Thun notierte dazu in sein Tagebuch : »Die politische Hetze in DeutschBöhmen dauert fort, grosse Parteitage werden angesagt und von der Behörde verboten ! Die Deutschen erklären offiziell, daß kein Deutscher an einem nationalen Ausgleich theilnehmen könne, solange die Sprachenverordnungen bestehen.«281 Franz Thun : »Badeni führt uns in die Revolution«
Franz Thun verfasste an seinen Freund und Nachfolger im Amt des Statthalters, Graf Coudenhove, ein Schreiben, in welchem er sein Verständnis darüber äußerte, dass Coudenhove entgegen seinen früheren Plänen nicht an der Jagd in Tetschen teilnehmen könne, da er als Statthalter in einer solch angespannten Situation, wie sie in Böhmen herrschte, sein Amt nicht verlassen könne. Über die politische Situation schrieb Thun : »Täglich lese ich die Zeitungen, die Nachrichten über die zunehmende Entrüstung und den Hass bringen. Ich bin nicht nur von der Anteilnahme an den Mühen und den Sorgen meines lieben Nachfolgers erfüllt, sondern auch von Sorge um das geliebte Österreich. Wohin soll das alles führen, wie stellt man nur einmal die Ruhe und Ordnung wieder her, wie wird es möglich sein, die chauvinstischen Aspirationen und Forderungen zu unterdrücken, die gemäßigten Elemente zu versammeln und sie zur Zusammenarbeit zu bewegen, geordnete parlamentarische Verhältnisse zu schaffen und erneut die Achtung der staatlichen Verwaltung wieder herzustellen ? Wenn es so weitergeht, führt uns Badeni in eine Revolution : einerseits ist er entrüstet, auf der
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anderen Seite lässt er die Aspiration wachsen, die ohne dem Zerfall des Reiches nicht zufriedenzustellen ist. Je früher Badeni fällt, desto besser ist es für die Sache – aber wer soll sein Nachfolger sein ?«282 Franz Thun übte zwar keine staatliche oder politische Funktion aus, nahm jedoch regen Anteil am politischen Leben : Er verfolgte die Ereignisse, informierte sich aus der Presse und stand mit seinen Freunden in Briefkontakt. Seine persönliche Aversion gegenüber Badeni verband sich mit der sich allgemein verbreitenden Ansicht – die auch in jenen Kreisen vorherrschend war, welche die deutschnationalen Haltungen ablehnten –, dass nämlich Badenis Politik weitreichende negative Folgen für das Reich haben werde. Nichtsdestotrotz war Badeni der Ministerpräsident des Kaisers und stand noch in dessen Gunst. Jede Form des Widerrufs seiner Sprachenverordnungen hätte den Charakter einer Kapitulation vor dem deutschen Nationalismus bedeutet, der – vor allem in der großdeutschen oder deutschradikalen Prägung (personifiziert durch die Abgeordneten Georg Schönerer, Karl Hermann Wolf, Karl Iro und Karl Türk) – antiösterreichische und letzlich sogar antidynastische Züge trug. Franz Thun vertrat die Auffassung, dass Badenis Politik im höchsten Maße abträglich sei und er abtreten solle ; vor allem aber wog er ab, welche Hindernisse sein Nachfolger beseitigen müsste. An keiner Stelle äußerte er sich schriftlich oder mündlich dazu, dass er im Hinblick auf die Übernahme dieser Aufgabe an sich selbst dachte. Es hat aber den Anschein, als ob er sich – wenn auch unbewusst – Gedanken darüber machte, was er unternehmen würde und verhielt sich damit nicht wie jemand, der sich von der Politik abgewandt hatte. Ein öffentliches Vorgehen gegen Badani kam – ungeachtet seiner persönlichen Aversion – offenbar nicht in Betracht, handelte es sich doch noch immer um den Ministerpräsidenten des Kaisers, der nur von illoyalen Elementen zur Zielscheibe gemacht wurde. Ein einziger öffentlicher Auftritt Thuns aus dieser Zeit stellt jedoch auf seinem Lebensweg eine einmalige Ausnahme dar, weil er damit (vielleicht) den Unwillen des Kaisers hervorrief, was für einen Aristokraten, der die Treue zum Kaiser als sein Lebensprinzip erachtete, ein moralisches und psychologisches Problem darstellen konnte. Ab dem 15. Juli 1897 sollte in Bodenbach eine große Gewerbe- und Industrieausstellung zu sehen sein.283 Eine derartige Ausstellung wurde für gewöhnlich vom Statthalter, gelegentlich sogar von einem Erzherzog eröffnet. Der Stadtrat fasste, anscheinend im Rahmen des deutschnationalen Kampfes gegen die Regierung (der sich somit im Grunde genommen auch gegen den Staat richtete) den Beschluss, den böhmischen Statthalter Coudenhove nicht zu empfangen, insofern er die Ausstellung eröffnete, da er aufgrund seines Amtes als Repräsentant der Regierung galt, der man immer noch mit Argwohn gegenüberstand. Die Ausstellung wurde von Graf Franz Thun, unter dessen Ehrenschutz sie stand, mit den Worten : »Heil der Ausstellung ! Heil Bodenbach und seinen Bewohnern !«
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eröffnet. Das war nicht unproblematisch, denn in Österreich galten auch die Regeln einer politischen Philologie. Der Aufruf zur Ableistung einer Ehrerbietung mit dem Wort »Heil« hatte einen eindeutig reichsdeutschen bzw. deutschnationalen Anstrich, ein österreichischer Patriot brachte seine Respektsbekundung mit einem »Hoch« zum Ausdruck. Während der Stadtrat von Bodenbach den kaiserlichen Statthalter im Königreich Böhmen, Coudenhove (der überdies auch ein persönlicher Freund Thuns war), mit Missachtung strafte, nahm sich Thuns Einwurf wiederum als illoyal aus. Andererseits kann man sich nur schwer vorstellen, dass er es hätte ablehnen können, die Eröffnung einer unter seinem Ehrenschutz stehenden regionalen Ausstellung vorzunehmen. Seine Domäne lag im deutschen Sprachgebiet und sein Schloss befand sich in unmittelbarer Nähe zum Ausstellungsgelände. Wäre er also nicht dem Ersuchen der Veranstalter nachgekommen, wäre dies als Missachtung und Geringschätzung seiner Landsleute aufgefasst worden. Wie man es auch dreht und wendet, die Angelegenheit blieb delikat, wie aus einem an seine Frau Anna gerichteten und auf den 7. September 1897 datierten Brief hervorgeht. Darin schreibt er über ein Gespräch mit ihrem Bruder Karl Schwarzenberg, der eine Unterredung mit Ministerpräsident Badeni geführt hatte. »Er erzählte mir, daß dieser ihm gesagt habe, der Kaiser hätte sich sehr geärgert, daß ich die Bodenbacher Ausstellung eröffnet und das ›Heil‹ gesagt habe. Ich zweifle gar nicht, daß Badeni gegen mich hetzt, woher sollte der Kaiser wissen, was in Bodenbach geschah, und es in einem unpatriotischen Licht beurtheilen. Ich habe das Gefühl, daß dynastietreuer und patriotischer gestimmt niemanden sein kann als ich – daß ich nichts […] Entgegengesetzes gethan habe und ich kann nur tief bedauern, wenn der Kaiser über mich sich ärgert, [es] drückt mich allerdings, wenn man mich anschwärzt. Es liegt ein System darin, ein System gemein denkender ehrgeiziger Menschen. Coudenhove meint es wäre besser, wenn ich bei einem eventuellen feierlichen Schluß der Ausstellung nicht zugegen wäre ; darin hat er vielleicht recht !«284 Franz Thuns Rückkehr in die Politik
So intensiv Franz Thun auch die stürmischen politischen Ereignisse verfolgte, von denen Österreich im Jahr 1897 erschüttert wurde, und wie sehr er diese in Briefen oder bei diversen Zusammenkünften auch kommentierte, so war er doch nicht – zumindest nicht in einer Spitzenposition – politisch aktiv. Bedenkt man das heillose Durcheinander und die verzweifelte Auswegslosigkeit in der innerösterreichischen Politik zur Zeit der Badeni-Krise, könnte man meinen, dass Thun einerseits nur darüber froh sein konnte, keine politische Verantwortung tragen zu müssen – durch seinen gesellschaftlichen Rang und seine Vermögensverhältnisse war er nicht auf eine politische Karriere angewiesen und konnte daher ein von der Politik unabhängiges
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Leben führen. Andererseits ist es offenbar, dass Thun für die Politik lebte, auch wenn er keinen direkten Anteil auf sie ausübte. Er hatte das Gefühl, dass ihn Ministerpräsident Badeni an »allerhöchster Stelle«, also beim Kaiser, angeschwärzt hatte, wodurch er von der aktiven Politik isoliert wurde. In jedem Fall war Thun bereit, in die Politik zurückkehren, sobald die Aufforderung an ihn herangetragen würde, sich wieder aktiv in ihren Dienst zu stellen, wenn auch mit dem Kommentar versehen, dass es zwar eine unangenehme Aufgabe sei, dass es aber die Pflicht verbieten würde, das Angebot abschlägig zu beantworten. Am 19. September 1897 schrieb er an seinen Bruder : »Soeben erhalte ich einen Brief von Alfred Windischgrätz [Vorsitzender des Herrenhauses des Reichsrates] der mir mittheilte, daß man den Wunsch hat, mich zum Presidenten der Delegationen zu wählen. Das ist mir sehr unangenehm, es läßt sich aber schwer sagen : ›ich will Ruhe haben‹ oder ›ich mag nicht‹ – das ist kein reichhaltiger Entscheidungsgrund. Die Delegationen sollen, wenn die Wahlen überhaupt zu Stande kommen, anfangs Octo ber eröffnet werden. Badeni hätte mich [gerne] möglichst fern und, wie ich glaube, macht gegen mich Stimmung, [Außenminister] Gołuchowski [wünscht,] mich als Presidenten der Delegationen zu haben […] ; glaube, daß ich wieder politisch thätig sein möchte.«285 Thuns Rückkehr in die Politik, wenn auch nur für den kurzen Zeitraum, der von den Sitzungsterminen der Delegationen vorgegeben war, lief ganz und gar nicht glatt ab. Über die Entsendungen in die Delegationen entschieden die einzelnen Kronländer, die Entscheidung lag somit bei den politischen Parteien. In den letzten Septembertagen veranstaltete Franz Thun seine regelmäßigen Herbstjagden. In der Jagdhütte in Christianenburg, einem der prächtigsten Jagdreviere Böhmens, zeigte Franz Thun seinem Bruder Jaroslav nach dem Abendessen ein Schreiben von Statthalter Coudenhove. Dieses enthielt eine Mitteilung des jungtschechischen Politikers Karel Kramář : Seine Partei habe zwar keine Vorbehalte gegen Thun, dessen »Ausnahme-Statthalterschaft« liege allerdings erst zu kurz zurück, als dass die Jungtschechen ihm ihre Zustimmung erteilen könnten. Graf Jaroslav Thun ließ die Vorstellung vor Wut erbeben, dass die Jungtschechen darüber entscheiden, ob sein von ihm bewunderter Bruder zum Präsidenten der Delegationen gewählt werden sollte. Sein Kommentar dazu : »Unglaubliche Bagage ! Diese jetzt so beliebten Jungčechen ! Kaiser und Gołuchowski wünschen Franz als Präsidenten – doch das muß alles gegen die Herren […] [zurückstehen].«286 [Karel Kramář sollte nach der Errichtung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918 zum ersten Ministerpräsidenten avancieren ; Anm. d. Übers.] Die Bezeichnung »Bagage« gebrauchte Jaroslav Thun eine Woche später erneut, als er von einem Angriff auf seinen Bruder in der Národní listy erfuhr, die sich gegen seine Wahl zum Präsidenten der Delegationen aussprach.287 Die nächsten Meldungen waren bereits wohlgesinnter und Jaroslav hatte allen Grund zur Freude : Franz war am
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15. November 1897 zum Präsidenten gewählt worden und das, wie Jaroslav ausführt, »ohne Rücksicht auf die jungčechische Hetze in den Zeitungen«.288 Die Freude erreichte ihren Höhepunkt, als seine Schwägerin Anna am 22. November mitteilte, dass sich der Kaiser begeistert über die Rede von Graf Franz Thun in den Delegationen geäußert habe. Man konnte also allen Grund zur Freude haben : Franz war in die Politik zurückgekehrt, der Kaiser hatte ihn gelobt (offenbar erinnerte er sich nicht mehr an die »Heil«-Ausbringungen bei der Ausstellungseröffnung in Bodenbach) und all das, wie sich Jaroslav freute, »gegen den öffentlich ausgesprochenen Willen der Jungčechen.«289 In Wirklichkeit war der Widerstand der Jungtschechen gegen Thun nicht so hartnäckig gewesen und wurde nur von einer Gruppe Radikaler vorgetragen. Die Mehrzahl der jungtschechischen Abgeordneten war Thun gegenüber nicht feindlich gesinnt, die Rhetorik aus der Zeit des Ausnahmezustandes (»Ausnahme-Statthalter«, »Alba-Gigerle«) gehörte der Vergangenheit an. Die Jungtschechen waren keine dem Radikalismus zuneigende »besondere Gesellschaft«, sondern eine etablierte politische Partei. Thun galt für sie nicht mehr als Erzfeind – er war eindeutig kein deutscher Nationalist und sein österreichischer Konservatismus war nicht antitschechisch gefärbt. Aufgrund der vergangenen Ereignisse und der Haltung der Národní listy, welche die Erinnerung an diese wachhielt, nahmen die jungtschechischen Abgeordneten – um nicht das Gesicht zu verlieren – eine demonstrative Haltung ein und verließen bei der Abstimmung über Thuns Bestellung den Sitzungssaal. Sie ermöglichten so seine Wahl, konnten jedoch behaupten, nicht für Thun gestimmt zu haben. Die Beziehung der Jungtschechen zu ihrem ehemaligen Erzfeind hatte sich somit grundsätzlich verbessert. Badenis Fall
In der Zeit von 23. bis 27. November 1897 erreichte die Parlamentskrise und damit im Grunde genommen die Krise des ganzen politischen Systems Cisleithaniens ihren Höhepunkt. Die bisherige »technische Obstruktion« wuchs sich zu einer »gewaltsamen Obstruktion« aus – einem physischen Angriff auf den Präsidenten des Abgeordnetenhauses ; der deutsche Abgeordnete und Hochschulprofessor Pfersch bedrohte tschechische und polnische Abgeordnete mit einem Messer. Die Sitten im Parlament erinnerten an die in einem Gasthaus der übelsten Sorte gepflegten Umgangsformen. Die rechtsgerichtete Mehrheit im Haus versuchte, die Obstruktion mit einer Änderung der Geschäftsordnung zu überwinden. Am 25. November diktierte der Abgeordnete Graf Julius Falkenhayn unter dem im Abgeordnetenhaus herrschenden Lärm seinen Gesetzesvorschlag den Stenographen. Dieser wurde, ohne dass es von den obstruierenden Abgeordneten wahrgenommen wurde, angenommen. Die solcherart
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angenommene »Lex Falkenhayn« räumte dem Vorsitz das Recht ein, einen Abgeordneten von der Sitzung auszuschließen und setzte gleichzeitig fest, dass dieser im Falle des Zuwiderhandelns von Exekutivorganen aus dem Saal geführt werden konnte. Am 26. November wurde die gewaltsame Obstruktion fortgesetzt, einige deutschnationale und sozialdemokratische Abgeordnete gingen auf den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses los. Badeni rief nach der Exekutive, die dreizehn Abgeordnete gewaltsam aus dem Saal führte. Das alles vollzog sich unter allergrößter Aufregung, das Abgeordnetenhaus glich einem Kampfplatz. Als sich die gleichen Szenen am folgenden Tag wiederholten, wurde das Abgeordnetenhaus geschlossen.290 Die Aufregung wurde auch auf die Straße getragen – in Wien und Graz kam es zu stürmischen Demonstrationen, die unter dem Motto »Weg mit Badeni !« standen. In den Straßen Wiens erfolgte der Einsatz von Polizeikräften. Am 28. November ließ der Wiener Bürgermeister Lueger den Kaiser wissen, das er nicht mehr für die Aufrechterhaltung der Ordnung garantieren könne. Der Landwehrminister sprach von einer Revolution. Am 27. November war Franz Joseph von einem Besuch bei seiner Tochter nach Wien zurückgekehrt und konnte sich selbst davon überzeugen, dass die Hauptstadt von Demonstrationen heimgesucht wurde. Die Unruhen in seinem Wien beunruhigten ihn, vielleicht fühlte er sich auch an das Jahr 1848 erinnert – und er gab nach. Er empfing Badeni, der sofort seinen Rücktritt einreichte.291 Wie Zdeněk Tobolka konstatierte, war die »staatliche Autorität vor der Wiener Straße und vor den Obstruktionen der deutschen Minderheit im Parlament« in die Knie gegangen.292 In den Aufzeichnungen von Jaroslav Thun – der sich gerade auf Besuch in Tetschen befand – spiegeln sich die gemischten Gefühle wider, die der Sturz der Regierung Badeni ausgelöst hatte. Einerseits empfand er Genugtuung, dass gerade jener Ministerpräsident, der seinem Bruder wenig gewogen war, seines Amtes verlustig gegangen war, andererseits war aber auch Unzufriedenheit auszumachen, weil sich der österreichische Staat dem Druck der deutschen Radikalen gebeugt hatte, wodurch dessen Autorität geschwächt worden war : »So hat denn diese Regierung der eisernen Faust, die mit so viel Stolz und Zuversicht und leider so kräftig dabei in die Schicksale des österreichischen Kaiserstaates eingriff, [geendet]. […] Wenn Badeni auch besser für Österreich nicht gekommen wäre oder wenigstens schon vor Monaten mit Ehren abgegangen wäre, so ist in diesem Moment doch leider Gottes ein echt österreichischer Akt der Schwäche, daß man das Ministerium dem schreienden Pöbel, tobenden Schönerianern und Sozialdemokraten zum Opfer fallen ließ ! Wie soll da die Autorität gewährleistet werden ! […] In allen deutschen Gauen Österreichs (auch hier) wurde Badenis Sturz durch glänzende Beflaggung, Beleuchtung, Fakelzug etc. freudig begangen. Der Arme ! So beschimpft zieht wohl noch kein Minister des Inneren ! Die Deutschen aller Schattierung sind in einen Glücksaufruhr, denn sie können ja mit Recht sagen, daß sie es zu Stande gebracht haben – die Majorität ist sehr betäubt, war
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total überrascht – erklärt aber, es würde an ihrer Solidarität nichts ändern – besonders die Jungčechen, die eigentlich die ersten Urheber des politischen Elends sind, sehen sich enttäuscht.«293 Die Deutschen feierten – ihre nationale Empörung gegen den »slawischen« Ministerpräsidenten und seine Sprachenverordnungen waren von Erfolg gekrönt worden. Das ist die Geburtsstunde jener These, die bis zum Ende der Habsburgermonarchie politisch wirksam blieb : Gegen die Deutschen kann man in Österreich nicht regieren ! Der Prager Dezember 1897
Im Gegensatz dazu waren die Tschechen niedergeschlagen und verstimmt. Die Deutschen hatten ihre Position durchgesetzt, der Ministerpräsident, der Tschechisch als innere Amtssprache eingeführt hatte, war zu Fall gekommen. Zudem verbreiteten sich Nachrichten über deutsche Angriffe auf die tschechische Minderheit in Saatz (Žatec), während in Prag deutsche Studenten bei offenem Fenster in den Hörsälen der Universität die Wacht am Rhein sangen und farbentragend durch das Stadtzentrum zogen. Die Tschechen antworteten mit Demonstrationen und Angriffen auf die Couleurstudenten, die Burschenschafter. Die Ausschreitungen in Prag nahmen antideutsche und antisemitische Züge an, die Menge versammelte sich beim Neuen Deutschen Theater und bewarf es mit Steinen. Die Neustadt, die Altstadt sowie die Stadtteile Karlin, Königliche Weinberge und Žižkov wurden von Menschenmassen durchzogen, die deutsche Häuser und Geschäfte im überreichlichen Maß mit Steinen bewarfen. Einen deutschen Besitzer ausfindig zu machen, war im Grunde mit einem nur geringen Aufwand verbunden : Auf Anordnung des Prager Stadtrates aus dem Jahr 1893 hatten die Straßennamen ausschließlich auf rot-weißen Tafeln in tschechischer Sprache angebracht zu werden. Die deutschen Hausbesitzer reagierten auf diese Verordnung, indem sie an ihren Immobilien auf eigene Rechnung schwarz-gelbe Tafeln mit deutschen Aufschriften montieren ließen. Die amtlichen Mitteilungen berichteten von Plünderungen und meldeten, dass Möbel aus verwüsteten Häusern auf die Straße gezerrt und dort angesteckt worden waren. Die Angehörigen der deutschen Minderheit fühlten sich unmittelbar bedroht, einige flüchteten aus Prag und verlangten die Verhängung des Ausnahmezustandes. Noch am 1. Dezember sprach sich Statthalter Coudenhove zum Missfallen nicht nur der Prager Deutschen, sondern auch von Regierungsmitgliedern und selbst des Kaisers gegen dessen Verhängung aus. In der Tat waren die Unruhen unerfreulich und bei Weitem ernster als im September 1893, als auf Veranlassung von Thun der Ausnahmezustand verhängt worden war. Dem Bericht des Statthalters zur Folge wurden 51 Geschäfte geplündert und Fenster von 370 Häusern eingeschlagen. Eine Er-
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klärung für die Zurückhaltung des Statthalters lässt sich vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen ausmachen : Thun wurde aufgrund des Ausnahmezustandes zur Zielscheibe einer maßgeblich von den Jungtschechen gelenkten Diskreditierungskampagne und war schließlich von »Wien« im Stich gelassen worden. In einer amtlichen Mitteilung, die darüber Auskunft gab, was sich in jenem Bereich abgespielt hatte, der in der Mehrzahl als Ballungsraum von Prag bezeichnet wurde, war die Rede von einer »reinen Revolution«. Am 2. Dezember wurde von der Regierung über Prag und die angrenzenden Bezirke das Standrecht verhängt. Am folgenden Tag notierte dazu Jaroslav Thun in sein Tagebuch : »In Prag sind die Zustände geradezu schauerlich und leider kann man wirklich das Wort Revolution gebrauchen. Über die Stadt und die Vororte wurde das Standrecht publiziert und aus Königgrätz sowie aus Theresienstadt viel Militär eingerückt – es sind nun in den Gassen Prags 16 Batallione Infanterie und mehrere Schwadronen Cavallerie.«294 Franz Thun kommentierte die Prager Ereignisse in Wien : »Die Nachrichten aus Prag sind sehr traurig. Die Gegensätze scheinen sehr arg gewesen zu sein, dazu die dumme Rede von [dem Prager Oberbürgermeister] Podlipný. Es ist ein Irrenhaus wohin man sieht und die Revolution [ist] nicht weit von uns. Gott schütze Österreich !«295 Bei den Unruhen in Prag kam es auch zu Übergriffen auf Adelspalais. Nicht davon betroffen war jedoch das Palais Thun in der Nerudagasse, zweifellos deshalb, weil es sich auf der Kleinseite befand, wohin sich die plündernde Menge nicht wagte, weil sich auf dem linken Moldauufer mehrere Militärkommandos (auf Korps-, Divisionsund Regimentsebene) und Kasernen befanden, weshalb mit einem massiven Einsatz von Militär gegen die Unruhestifter zu rechnen war. Zur Zeit der Unruhen weilte die 72-jährige Gräfin Leopoldine in Prag, weshalb Franz und Jaroslav um das Wohl ihrer Mutter fürchteten. An ihre Söhne schrieb sie, dass sie die Ereignisse an die Revolution des Jahres 1848 erinnerten, als sie mit dem damals einjährigen Franz aus Prag in das sichere Tetschen geflüchtet war. Die Gräfin traf indes kluge Präventivmaßnahmen : Im Palais in der Nerudagasse ließ sie das Tor und die Fensterläden schließen, sodass der Eindruck erweckt wurde, als ob das Palais vorübergehend unbewohnt sei (was kein ungewöhnlicher Vorgang war, wenn sich die adeligen Besitzer auf ihren Landsitzen aufhielten).296 Ministerpräsident Paul Gautsch von Frankenthurn
Der Sturz Badenis war als eindeutiger Erfolg für die deutsche Opposition zu werten. Er bedeutete jedoch nicht die automatische Rückkehr zu jenen Verhältnissen, wie sie vor der Verlautbarung der Sprachenverordnungen in Geltung waren. Dem neuen Ministerpräsidenten Paul Gautsch, der seit 1. Dezember 1897 amtierte, fiel die Aufgabe zu, für die Konsolidierung der Verhältnisse zu sorgen. In der Literatur ist beinahe
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durchgehend davon die Rede, dass die Regierung Gautsch von Anfang an als Übergangslösung gedacht war, die nach dem Wunsch des Kaisers den Boden für eine länger amtierende Regierung unter Franz Thun bereiten sollte. Es scheint allerdings eher den Anschein zu haben, als ob es sich dabei um eine nachträgliche Interpretation handelt, die sich aus der faktischen Entwicklung herleitet. Als Argument, dass Gautsch durchaus mit einer längeren Verweildauer im Amt gerechnet hatte, lässt sich vielleicht der Umstand anführen, dass er die Dienstwohnung im Gebäude des Innenministeriums in der Wipplingerstraße (bzw. am Judenplatz) für die Befürfnisse seiner Familie adaptieren ließ. Als im März 1898 Graf Thun zum Ministerpräsidenten avancierte, dauerte es noch einige Zeit, bis Gautsch zur Aufgabe der Wohnung bereit war, die dann für den neuen Ministerpräsidenten und Innenminister eingerichtet wurde. Franz Thun – ein Mann mit Zukunft ?
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Franz Thun jenem ausgewählten Personenkreis angehörte, dem Österreichs »Männer mit Zukunft« zugezählt wurden – das heißt Politiker, mit denen der Kaiser und seine nächste Umgebung als möglichen nächsten Ministerpräsidenten rechneten. Nachdem Paul Gautsch zum Regierungschef ernannt worden war schrieb Gräfin Leopoldine an ihren Sohn Jaroslav : »Gott sei Dank, daß unser Franz herauß geblieben [ist]. Ich hatte solche Angst vor seiner Ernennung.«297 Die Gräfin erinnerte sich daran, was ihr ältester Sohn als Statthalter erlebt hatte und vermochte sich nur allzu gut vorzustellen, welches Martyrium ihn als Ministerpräsident in der gegenwärtigen wirren und unübersichtlichen Zeit erwartet hätte. Jaroslav notierte dazu am 1. Dezember 1897 in sein Tagebuch : »[…] ich freue mich, daß Franz jetzt außer Frage [ist]. Übrigens schreibt er selbst à ce sujet an Anna, Goluchowski habe ihm gesagt : ›Ich zittere, daß der Kaiser Dich in irgendeiner Kombination jetzt schon zieht.‹«298 Graf Thun war nach dem Fall Badenis nicht zum Ministerpräsidenten ernannt worden, wenngleich eine Betrauung mit diesem Amt zu einem späteren Zeitpunkt durchaus denkbar war. Entschiedenermaßen zählte er zu den »Männern mit Zukunft«, auch wenn nicht klar war, zu welchem Zeitpunkt diese beginnen sollte. Für die ihm nahe stehenden Menschen war es kein angenehmer Gedanke, dass Franz an der Spitze der Regierung stehen könnte. Gräfin Anna ließ die Vorstellung erschaudern, dass ihr Mann in das undankbare Meer der Politik eintauchen könnte, während sie im großen Schloss in Tetschen alleine zurückblieb. Nach Ansicht seiner Mutter und seines Bruders standen die Dinge in Österreich so schlecht, dass sie fürchteten, Franz – Majoratserbe, Majoratsherr und Familienoberhaupt – hätte weder Erfolg noch Dank zu erwarten.
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Auch Franz Thun erschienen die politischen Aussichten nach dem Fall Badenis und dem Amtsantritt Gautschs keineswegs rosig. In einem Brief an Anna kommentierte er die Hartnäckigkeit der deutschen Parteien, die solange über keine Lösungsmöglichkeit verhandeln wollten, bis nicht die verhassten Sprachenverordnungen beseitigt wären : »Es scheint, daß die Deutschen wieder dumme Politik zu machen Lust haben und nach wie vor auf der Aufhebung der Sprachenverordnungen bestehen. […] Unter diesen Umständen resp. wenn sich nicht noch ein Umschwung vollzieht, wären die Hoffnungen parlamentarischer Thätigkeit ein Wahnsinn, es könnte nur die Wiederkehr tumultartiger Begebenheiten nach sich ziehen. […] Gestern hatte [der] verfassungstreue Großgrundbesitz, die deutsche Fortschrittpartei, die deutsche Volkspartei [ein] gemeinsames Vorgehen beschlossen. […] Wir sind eigentlich in derselben Lage wie unter Badeni ! Es ist zur Verzweiflung traurig. Merkwürdig und interessant ist es auch, daß sich die Christlichsozialen unter Luegers Führung ganz den anderen deutschen Parteien angeschlossen hatten.«299 Franz Thun war also nicht zum Ministerpräsidenten ernannt worden, entfaltete aber hinter den Kulissen eine intensive Korrespondenztätigkeit mit Spitzenpolitikern wie Ministerpräsident Gautsch, dem Präsidenten des Herrenhauses, Alfred III. Windisch-Graetz, dem Vertreter des konservativen Großgrundbesitzes, Karl Buquoy, Statthalter Coudenhove und anderen Politikern. Er hielt sich weder in seiner Residenz in Tetschen noch in Prag, sondern zumeist in Wien auf. Jaroslav Thun notiert am 5. Jänner 1898, dass sich sein Bruder »eingehend mit Politik beschäftigt«, dass er sich mit Politikern treffe (die er aufzählt), und verzeichnet auch einen Ausspruch von Ferdinand Lobkowicz, dass er es zwar nicht wisse, aber immer noch glaube, dass Franz »der Mann mit Zukunft« sei.300 Sitzung des Landtages des Königreichs Böhmen
Ministerpräsident Gautsch bemühte sich um die Beruhigung der Situation und um die Erneuerung des politischen Dialoges. Dies war einigermaßen schwierig, da die deutschen Abgeordneten auf einem Standpunkt beharrten, den auch der gegenüber den Tschechen sehr kritische und mit der deutschen Politik sympathisierende Autor Berthold Sutter als »unbegreiflich«301 erachtete, nämlich vor der Annullierung der Sprachenverordnungen keine Verhandlungen mit der Regierung zu führen. Einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation sollte die Einberufung des böhmischen Landtages ermöglichen. Der böhmische Landtag eröffnete seine Sitzung am 10. Jänner 1898. An diesem Tag wurde auch das Standrecht aufgehoben, obwohl eine Reihe von Prager Deutschen ihre Politiker beschworen, dieses nicht außer Geltung zu setzen, sofern es nicht erneut zu Übergriffen auf Personen deutscher Herkunft und deren Eigentum kommen
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sollte. Franz Thun hatte am Zustandekommen der Abkommen, die dazu führten, offenbar einen bedeutenden Anteil, wie aus dem Tagebucheintrag seines Bruders vom 12. Jänner 1898 hervorging : »Der Kaiser sprach beim Hofball lange mit Franz über die Politik, belobte dessen ersprießliche Bemühungen für das Zustandekommen des Landtages, belobte sehr die Haltung des Großgrundbesitzes, ja auch die Mäßigung der Jungčechen !«302 Die Verhandlungen des böhmischen Landtages führten jedoch zu keiner Lösung. Die Deutschen forderten die augenblickliche Rücknahme der Sprachenverordnungen (Antrag L. Schlesinger), die konservativen Großgrundbesitzer schlugen die Schaffung einer 24-köpfigen Kommission vor (Antrag K. Buquoy), welche die Regelung der Sprachenverhältnisse in Böhmen und Mähren behandeln sollte – die deutschen Abgeordneten lehnten eine Teilnahme jedoch ab, sodass die Schaffung der Kommission unmöglich wurde, auch wenn sich die von den böhmischen Großgrundbesitzern gebildete Mehrheit dafür aussprach. Über die gespannte, beinahe schon hysterische Atmosphäre, in der die Sitzung des Landtages abgehalten wurde, berichtete Jaroslav, der als Abgeordneter daran teilnahm, in mehreren Briefen an seinen Bruder. Am 18. Jänner 1898 schrieb er : »Lieber Franz ! Eine unerwartete halbstündige Pause will ich benützen, um Dir einen kleinen Stimmungsbericht wenigstens anzufangen. Trostlos, wo man hinblickt ! Funke heute der erste Redner, […] [reizbar], drohend […] da sprang plötzlich Wolf herum mit dem Ruf : ›2 Couleur Studenten sind auf dem Graben halb todt gequält worden !‹ Höllenlärm ! Sturm, geballte Fäußte gegen Coudenhove, ›unfähiger Statthalter‹ etc. danach Unterbrechung der Sitzung. Statthalter stürzt zur Information hinaus – jetzt wurde wieder aufgenommen nicht nur die Sitzung, sondern auch das Spektakel. Bien – also die Sitzung wieder aufgenommen, Coudenhove erklärt ›deutsch‹, was die Jungčechen fürchterlich macht, erklärt, daß ein Coulerstudent mit einem böhmischen Studenten Handgemenge hatte, Polizei eingeschritten etc. – fügte hinzu, daß die Studenten zum Farbentragen berechtigt seien und darin allein keine Provokation liege. […] [Es erhebt sich ein] Sturm bei den Jungčechen, der von nichts zu bändigen schien ! Darauf sprach Dr. Herold furchtbar leidenschaftlich, daß es eine stete Provokation des böhmischen Volkes sei und daß die Jungčechen jetzt sich keine Selbstüberwindung auferlegen werden ! Also aller Friede vorüber ! Funke spricht wieder wütend, immer und immer wieder tönt es von jeder Seite, daß sie keinen Frieden wollen jetzt ! – Es ist wahrhaft trostlos – und ich bin ein zu idealer Mensch[,] um nicht das Bedürfniss zu haben : hinauß ! […] Gott sei Dank, daß Du nicht da bist ! Ich selber [bin] doch ein ruhiger Mensch, weiß oft nicht, ob ich ein Jungčeche à la Baxa oder ein Deutscher à la Wolf bin – innerlich regt es einen doch auf ! Armes Österreich ! Armer Kaiser ! Gott befohlen !«303 Da es wiederholt zu Zusammenstößen zwischen der tschechischen Bevölkerung mit den deutschen Couleurstudenten kam, sprach Statthalter Coudenhove am 20. Jänner
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1898 in Übereinstimmung mit der Regierung ein allgemeines Verbot für das Tragen von Vereinsabzeichen aus. Dieses richtete sich vor allem gegen die Mitglieder deutscher Studentenverbindungen, den Burschenschaften, die in Prag auf dem Graben, am unteren Teil des Wenzelsplatzes und den angrenzenden Gassen »Spaziergänge in Tracht« unternahmen, was zu den erwähnten Zusammenstößen führte. Dieses Verbot des »Tragens von Farben und studentischer Abzeichen« (Prager Farbenverbot, das bis zu seiner Aufhebung am 2. März 1898 in Geltung war) rief ausgedehnte Protest aktionen von deutschen Studenten nicht nur in Prag, sondern auch in Wien, Graz und Brünn hervor. Die erschütterte Position von Statthalter Coudenhove
In dieser aufgeheizten Atmosphäre trat in Prag der Landtag zusammen. Statthalter Coudenhove war zur Zielscheibe der deutschen Abgeordneten geworden, die ihm vorwarfen, eine »Marionette« in den Händen des von ihnen verhassten Badeni zu sein, dass er nicht energisch genug gegen die Angriffe des »tschechischen Gesindels« auf Deutsche und auf deutschen Besitz Ende November 1897 in Prag vorgegangen sei und dass er sich gegen die Ausrufung des Ausnahmezustandes gestellt habe. Aufgrund seines zögerlichen Vorgehens zur Zeit der Prager Unruhen waren auch die Regierung und sogar der Kaiser mit Coudenhove unzufrieden. Aber auch bei den Tschechen hatte er sich nicht sonderlich beliebt gemacht, da sie den Eindruck hatten, als ob er die Deutschen zu sehr bevorzugen würde. Über die »erschütterte Position Coudenhoves« schrieb auch Franz Thun in einem ausführlichen Brief (der nur in seiner Konzeptfassung erhalten und auf den 29. Jänner 1898 datiert ist), der an den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses, seinen persönlichen Freund sowie Standes- und Parteigenossen, Alfred Windisch-Graetz, gerichtet war. Thun erörterte darin die Frage, welche Position der böhmische Statthalter in seiner Beziehung zur Regierung in Wien haben sollte. Er warf Badeni vor, sich während seiner Zeit als Statthalter in Galizien wie ein entfesselter Autokrat verhalten zu haben. Als er zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, machte er aus dem böhmischen Statthalter nur sein Vollzugsorgan und schränkte dessen individuellen Handlungsspielraum extrem ein. Er warf Coudenhove vor, sich diesem unterworfen zu haben und in einer Reihe von Fällen gegen seine Überzeugung gehandelt zu haben, wodurch er sich die Feindschaft der Deutschen zugezogen habe. Coudenhove würde jetzt die Gegnerschaft der Tschechen drohen, sobald er ihnen gegenüber eine betont schärfere Haltung einnehme. Als Beispiel für diesen Vorgang führte Thun an, dass der Statthalter auf Anweisung Badenis die Wahl von Jan Podlipný, dessen Verhalten und Ansprache während der Zeit der Prager Krawalle der Regierung und auch dem Kaiser missfiel, zum Prager Bürgermeister durchgesetzt habe. Wie solle Coudenhove, fragte
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Thun weiter, nun einen Standpunkt gegen den »Chauvinismus dieses Bürgermeisters« einnehmen, ohne gleichzeitig von tschechischer Seite die Entfesselung eines erneuten Aufruhrs zu riskieren ? Thun fügte dem an die Adresse des damaligen Statthalters gerichteten Vorwurf, eine »Marionette Badenis« zu sein, eine Anmerkung hinzu, die sich als Ausdruck seiner Überzeugung erklären lässt, der zufolge ein Statthalter »unabhängig« sein solle, und zwar unabhängig vom Staatsdienst, also ein hoher und vermögender Aristokrat, so wie er selbst : »Ich muss allerdings eingestehen, dass Coudenhoves Position als ein auf die Karriere angewiesener Beamter insgesamt schwierig ist.«304 Was die Prager Ausschreitungen vom November anbelangt, machte Thun für den Umstand, dass die staatliche Macht lange Zeit nicht in der Lage war, wirkungsvoll und nachhaltig gegen die plündernden Gruppen vorzugehen und die Eigentumsverhältnisse zu schützen, nicht den Statthalter, sondern namentlich den Oberbefehlshaber der Prager Garnison, General Philipp Grünne, verantwortlich : Anstatt in die Straßen der Stadt verstärkte Militärstreifen zu entsenden, hielt Grünne seine Einheiten zusammen (gleich so, als würde er einen größeren bewaffneten Angriff befürchten, was eine krasse Fehleinschätzung war). Thun sprach in einer Bemerkung auch etwas an, das sich wie eine Vorankündigung seiner Misshelligkeiten mit der österreichischen Generalität während des Ersten Weltkrieges verstehen lässt : Zur Zeit der »BadeniKrise« fehlte es nämlich nicht an Stimmen, die eine militärische Lösung der Probleme forderten. Die Umsetzung des Planes, wonach in Prag ein General zum Statthalter bestellt werden könnte, war nicht auszuschließen. Er schrieb dazu an seinen Freund : »Du weißt, wie bei uns alles, was die Soldaten machen, als richtig gebilligt wird. Einwändungen dagegen bleiben ohne Wirkung. Als ob sich ein tapferer General nicht auch irren könnte. […] In Wien werfen sie Coudenhove vor, dass der Exzess so lange gedauert hat ; das ist nicht richtig, denn die Schuld trägt Grünne. Wenn in Wien, zu recht oder zu unrecht, eine große Unzufriedenheit mit Coudenhove herrscht, ist es nur natürlich, dass sich dort, ebenso wie in Prag, Kombinationen über seinen Nachfolger finden. Ich fürchte, dass die Ernennung irgendeines Militärs nicht das ist, was geeignet wäre, wer auch immer ernannt würde […] ich halte das für einen großen Fehler.«305 Thun führte einige Personen an, die aus seiner Sicht für das Amt des böhmischen Statthalters in Frage kämen. Er nannte vor allem Vertreter des böhmischen Adels aus den Reihen des konservativen Großgrundbesitzes – Buquoy, Schwarzenberg, Lobkowicz, Schönborn. Weiter führte er an, dass sich die Auswahl in Grenzen halte und dass manche auch ihn selbst in Vorschlag bringen würden. Er erklärte, dass er dies für völlig ausgeschlossen halte und sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt für einen »absolut« (im Original zweifach unterstrichen) ungeeigneten Kandidaten halte. Falls er vorgeschlagen werden sollte, würde er dagegen eine Reihe von schwerwiegenden Gründen
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ins Treffen führen. Nichtsdestoweniger vollzog er in seiner Argumentation an dieser Stelle eine Wendung, die sich in Thuns politischem Leben in vielerlei Gestalt wiederholte, wenn ihm eine hohe Position angeboten wurde : Er behauptete, dafür nicht geeignet zu sein und zählte eine Vielzahl an Gründen auf, die gegen seine Bestellung sprächen. Kam es jedoch zum Eingreifen eines deus ex machina in der Form einer kaiserlichen Willensbekundung, so wäre dies ein absoluter Imperativ : »Dem kaiserlichen Befehl kann ich nicht zuwiderhandeln. Das aber bleibt unter uns, lieber Freund.«306 Der kaiserliche Befehl, erneut das Amt des böhmischen Statthalters zu übernehmen, unterblieb dieses Mal. Die Episode nahm ein Ende, mit dem niemand gerechnet hatte. Coudenhove, den die Deutschen entschieden ablehnten und der in keiner Weise von den Tschechen unterstützt wurde, dem die Regierung und der Kaiser sein Versagen im November 1897 zum Vorwurf gemacht hatten, der nicht wusste, wie er mit dem aufgebrachten Landtag und den Zusammenstößen zwischen den Burschenschaftern und den Pragern umgehen sollte, der sich bei Thun über neurotische Schwierigkeiten beschwert hatte und sich wünschte, von seinem exponierten Platz in Prag abberufen zu werden, genau dieser Mann blieb im Amt. Darüber hinaus sollte er der am längsten dienende böhmische Statthalter überhaupt sein : Erst im Jahr 1911 legte er sein Amt aus gesundheitlichen Gründen auf eigenen Wunsch zurück. Die Regierung Gautsch bemühte sich um die Normalisierung der vorherrschenden Verhältnisse, der Landtag trat in dieser angespannten Atmosphäre zu seinen Sitzungen zusammen und in der sich anbahnenden Debatte über mögliche politische Neubesetzungen tauchte nicht selten auch der Name von Franz Thun auf. Aus dessen an den Ministerpräsidenten gerichteten Briefen geht nicht hervor, dass es eine ausgemachte Sache gewesen sei, Gautsch an der Spitze einer Übergangsregierung die Konsolidierung der Verhältnisse zu überlassen, worauf er dann einer dauerhafteren Regierung unter der Führung von Thun Platz hätte machen sollen. Für eine derartige Variante liegen keine Belege vor. Thun wurde in politischen Gesprächen und in verschiedenen Kombinationen genannt, man sprach von ihm als »Mann mit Zukunft«, niemand aber konnte ernsthaft voraussehen, welchen Verlauf die weitere Entwicklung nehmen würde. Als Folge des von Thun initiierten Ausnahmezustandes war er zum größten Widersacher der Jungtschechen avanciert, die seine Abberufung als glänzenden politischen Erfolg, ja geradezu als historischen Sieg werteten. Man hätte also erwarten können, dass sie alleine nur der Gedanke an die Rückkehr des »Ausnahmestatthalters« völlig aus der Fassung bringt. Ebenso wäre zu erwarten gewesen, dass sie die Vorstellung, der verhasste »Ausnahmestatthalter« könnte das Amt des Ministerpräsidenten antreten, in helle Aufregung versetzt. Indessen hatte sich jedoch die Atmosphäre in der jungtschechischen Partei gewandelt. Thun galt allgemein nicht mehr länger als Todfeind und auch der Ausnahmezustand wurde nicht als eine neuzeitliche Rückkehr zum Zeitalter des dunklen Absolutismus angesehen.
Gautschs Sprachenverordnungen
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Bruder Jaroslav gibt ein Stimmungsbild des unglücklichen Landtages vom Jänner 1898, dessen Sitzungen schon bald in einem absoluten Misserfolg enden sollten : »Merkwürdig ist aber jetzt die Erscheinung, daß nicht nur ruhige Deutsche – die taten es immer – sondern auch schon gemäßigte Jungčechen bedauern, daß Franz nicht mehr Statthalter sei, ja sagen, daß unter ihm das alles nicht geschehen wäre ! Ja, zu spät meine Lieben, kommt ihr zu der Einsicht, daß ihr eine Dummheit begangen habt, wann wieder bekommt ihr einen Statthalter, der ein so richtiges und voraussehendes Interesse für das Land [hat] und der dabei durch seine Selbständigkeit eine so gewichtige Stellung als Statthalter einnehmen konnte. Man spricht auch wieder von seiner Ministerpräsidenschaft – fast macht es mir auch den Eindruck – und doch Gott bewahre ihn davor, denn es ist und wird immer mehr, ohne eine hinreichende Stütze von oben, ein Dornenamt.«307 Gautschs Sprachenverordnungen
Am 5. März 1898 wurden Gautschs Sprachenverordnungen kundgemacht. Anstelle der zwei Verordnungen Badenis (je eine für Böhmen und Mähren) sollte sie gleichzeitig für beide Länder gelten. Die Gautschschen Sprachenverordnungen wurden ausdrücklich als Provisorium deklariert, das bis zu jenem Zeitpunkt in Geltung bleiben sollte, zu dem die per Gesetz geregelte Sprachenfrage bei den landesherrlichen Ämtern sein wird – damit kam sie gleichsam den deutschen politischen Parteien entgegen, welche die Auffassung vertraten, dass diese Frage nur vom Wiener Parlament per Gesetz gelöst werden könne. Die von Gautsch erlassenen Verordnungen übernahmen, manchmal wörtlich, manchmal dem Sinn nach, die Anordnungen der vorangegangenen Sprachenverordnungen, weshalb sie keinesfalls als Ersatz für die aufgehobenen Badenischen Sprachenverordnungen, sondern als deren Reform und Weiterentwicklung verstanden werden konnten. Der größte Unterschied bestand darin, dass Gautsch Badenis Gleichberechtigung der beiden Sprachen durch die sogenannte »einsprachige Gleichberechtigung« ersetzt hatte. In Böhmen sollte die Schaffung von drei Zonen erfolgen : eine böhmische, eine deutsche und eine gemischte. Als Grundlage für die Entscheidung über die Zugehörigkeit der einzelnen Bezirke zu den entsprechenden Zonen sollten die letzten Volkszählungsergebnisse herangezogen werden. In den tschechischen Bezirken sollte die innere Amtssprache Tschechisch, in den deutschen Bezirken Deutsch sein. In den gemischten Bezirken sollten es beide Sprachen sein. Die Sprachenverordnungen von Taaffe und seinem Justizminister Karl von Stremayr, welche die Annahme von Eingaben auf dem ganzen Gebiet Böhmens in den beiden üblichen Landessprachen vorsahen, blieben in Geltung. Zur Zeit von Gautschs Regierung bewegte sich Franz Thun bereits in den allerhöchsten politischen Kreisen. Er pflegte Umgang mit dem Ministerpräsidenten und
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arbeitete mit diesem zusammen, was den Eindruck erweckte, dass diese beiden Politiker ein abgekartetes politisches Spiel betrieben. Die damalige politische Journalistik verfolgte den Umgang von Ministerpräsident Gautsch mit dem Grafen Thun sehr aufmerksam. So berichtete Thun Gautsch in einem Brief, dass ihr auf einem Hofball geführtes Gespräch über Bergkristalle von Journalisten als ernste politische Beratung entlarvt worden sei. Als Gautsch die Textierung seiner Sprachenverordnungen vorbereitete, neigten sich die Sitzungen der zweiten Jahressession des böhmischen Landtages ihrem Ende zu. Die Abgeordneten des Konservativen Großgrundbesitzes traten dabei gemeinsam mit tschechischen Abgeordneten auf und wiesen den deutschen Vorschlag nach Aufhebung der Sprachenverordnungen gemeinsam zurück. Vielmehr nahmen sie einen Vorschlag der Abgeordneten Pacák und Herold an, der den Beschluss eines grundsätzlichen Landesgesetzes über die Unteilbarkeit des Königreichs Böhmen und die Gleichberechtigung beider Landessprachen vorsah. Aus Anlass des 50. Jahrestages des Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph beschloss die Mehrheit des Landtages, dem Monarchen neben einer Huldigung auch eine auf der Grundlage des böhmischen Staatsrechts stehende Adresse zukommen zu lassen. Der Konservative Großgrund besitz stellte sich dahinter, die deutschen Abgeordneten lehnten sie mit Entschiedenheit ab. Nachdem ihr Vorgehen nicht von Erfolg gekrönt war, legten sie Protest ein und zogen am 26. Februar 1898 mit »Hoch die Verfassung !«-Rufen aus dem Landtag aus (selbstverständlich hatten sie die Dezemberverfassung des Jahres 1867 im Sinn, die sie als Antithese zum böhmischen Staatsrecht verstanden). Während die deutschen Abgeordneten demonstrativ das Gebäude des Landtags verließen, begegnete der Ministerpräsident dem österreichweiten Streik der deutschen Studentenschaft, bereitete seine Sprachenverordnungen vor und entschloss sich – angesichts des deutschen Widerstands – zur Demission. Franz Thun war sozusagen weit vom Schuss, da er sich bei seiner Schwester Karla in Konstanz aufhielt. Die um ein Jahr jüngere und mit dem Fürsten Sanguszko-Lubartowicz verehelichte Schwester von Franz Thun, litt an einer langwierigen Krankheit. Auch aus der über viele Jahre hinweg geführten umfangreichen Korrespondenz geht nicht hervor, um welche Krankheit es sich genau handelte. Sie zog jedoch einen langjährigen Aufenthalt in einem Spezialsanatorium nach sich (möglicherweise handelte es sich um eine psychische Erkrankung in Zusammenhang mit einem Narkotikum). Franz Thun reiste über viele Jahre in das Sanatorium – einerseits entsprach es dem ungeschriebenen Ehrenkodex eines Aristokraten und Katholiken, eine erkrankte Verwandte zu besuchen, andererseits hatte er sie wirklich gern. Ob er das Land gerade zu einem Zeitpunkt absichtlich verließ, als der Regierungswechsel in der Luft lag und über den Grafen Thun als möglichen Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten spekuliert wurde, ist nicht bekannt. Dass er das Geschehen
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zu Hause mit großer Aufmerksamkeit verfolgte, geht klar aus einem Schreiben vom 21. Februar 1898 hervor, dass er Anna nach Tetschen sandte, in welchem er die Vorgänge im böhmischen Landtag kritisch kommentierte. Die vom böhmischen Landtag angenommene staatsrechtliche Adresse erschien ihm mit ihrer besonderen Betonung der Selbstständigkeit des Königreichs Böhmen doch zu nationalistisch zu sein. »Die Politik beschäftigt mich sehr !, ich lese die Zeitungen eingehend. Hoffentlich gelingt es[,] den Adressensturm im Landtage zu beseitigen. Aus der Ferne aber Ratschläge ertheilen[,] wie sie sich verhalten sollen, ist schwer möglich. Daß Zedwitz mit dem Entwurf nicht einverstanden ist, begreife [ich], ich wäre es auch nicht. Es ist wieder wahnwitziger Chauvinismus ! Selbständige Gesetzgebung und Verwaltung des Königreichs Böhmen ! Was solle es heissen ? Jeder stellt sich darunter etwas anderes vor ; die meisten Leute aber denken gar nicht darüber nach und […] finden solche Schlagworte [nur schön]. […] Die Wirkung wäre ein Chaos, das begreife ich nicht !«308 Fünf Tage später schrieb Franz Thun an Anna aus Konstanz einen weiteren Brief. Nach eingehender Schilderung des Gesundheitszustandes seiner Schwester kam er auf eine ihm zugegangene Nachricht zu sprechen, die ihn unzweifelhaft in Aufregung versetzt hatte : »Als ich von unserer Promenade heimkehrte, fand [ich] eine Depesche Goluchowskis, worin er mich bittet[,] ehestens nach Wien zu kommen.«309 Es hat den Anschein, als ob seine darauf folgende Verwunderung keineswegs vorgetäuscht war. Wenn er es schon nicht wusste, so musste er doch zumindest eine Ahnung haben, warum der Minister des kaiserlichen Hauses nach ihm verlangte. Allerdings war das Schreiben an seine Frau gerichtet, von der er wusste, dass sie sich seine Berufung in ein hohes Staatsamt keinesfalls wünschte (denn für eine kinderlose Frau hätte das bedeutet, wieder fortwährend alleine sein zu müssen), und vermutlich wollte er ihr nicht die für sie unheilvolle Neuigkeit offen mitteilen : »Was kann es sein ? Ich kann mir diese Citierung nicht erkären. Sollte Gautschs Regierung wankeln und warum ? Oder will man mich irgendwie anders brauchen oder meinen Rath haben ? Ich bin sehr preocupiert. Gebe Gott nur, daß ich meinem geliebten Kaiser und Österreich helfen kann, wenn ich gerufen [sein] sollte.«310
Kapitel 10
Graf Franz Thun an der Spitze der Regierung
Des Kaisers letzte Hoffnung : Graf Franz Thun
Am 28. Februar 1898 kam Franz Thun um 7.45 Uhr mit dem Schnellzug am Wiener Franz-Josephs-Bahnhof an. Er stellte fest, dass der Minister des Äußeren und des kaiserlichen Hauses, Gołuchowski, in Budapest weilte. Er suchte Ministerpräsident Gautsch auf, der ihm mitteilte, dass »sein Kabinett demissioniert habe, die Demission angenommen sei, er den Befehl erhalten hat, mit mir alles […] zu besprechen. Der Kaiser will mich Freitag hier empfangen, will[,] dass alles bis zur Verlautbarung geheim bleibe, ließ mich deshalb nicht nach Pest kommen. Sonntag soll die Ernennung publiciert werden. Der absolute Wille des Kaisers soll es sein, daß ich das Amt annehme ; ich bin seine letzte Hoffnung. Ich werde mir das alles von Goluchowski wiederholen lassen ; wenn es aber wahr ist, werde ich meinem Kaiser folgen. Jeder von uns ist verpflichtet, für seinen Kaiser sein Leben zu lassen ; wie ließe es sich aber mit diesem Princip vereinbaren, wenn man dem armen Kaiser […] kein Opfer bringen würde ! So muss es denn gebracht werden !«311 Graf Franz Thun war tatsächlich ungemein bewegt. Fortwährend schrieb er von der Pflicht, an die er gebunden sei, und über das Opfer, dass er erbringen müsse. Bei nüchterner Betrachtung musste er jedoch wissen, dass die Situation in Österreich wenig Aussichten auf Erfolg verhieß. In dem Brief an seine Frau führt er an, dass er sich wie ein Soldat vorkomme, der sich in den Kampf stürzt, »auch wenn er weiß, dass er erschossen wird.«312 Ein bestechender Charakterzug Thuns waren jedoch sein Selbstbewusstsein und sein Selbstvertrauen sowie sein, beinahe könnte man sagen, »unösterreichischer« Optimismus, wodurch er sich in seiner Geisteshaltung vom Großteil der auf dem Feld der österreichischen Politik wirkenden Akteure unterschied, die allen Anstrengungen mit ermüdender Skepsis einen Misserfolg voraussagten. Thuns Bruder Jaroslav vermerkte dazu bewundernd in seinem Tagebuch, dass er ein »wunderbar elastisches Wesen« habe. Ein wenig zweifelt man an Thuns Aufrichtigkeit, wenn er in seinen Briefen an Verwandte mitteilt, dass die Übernahme einer politischen Spitzenposition für ihn ein Opfer sei und dabei auf den moralischen Imperativ der bedingungslosen Ergebenheit gegenüber dem Kaiser verweist. Auf jeden Fall erweckte er nicht den Eindruck eines resignierenden Mannes, der sich, wenn ihn die unbarmherzige Pflicht ruft, dazu entschließt, die bittere Pille zu schlucken und das Opfer auf sich zu nehmen.
»Der Name Thun bildet schon für sich ein Programm«
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Vielmehr erinnert er an einen ehrgeizigen Sportler vor einem »adrenalinsteigernden Wettkampf« – die Aussicht auf das kommende Risiko versetzte ihn in Aufregung. Franz Thun sprach zwar über ein Opfer, aber im Grunde sah er seinem Heraustreten aus dem Schatten in das Rampenlicht der Politik – auch wenn er das niemals gesagt oder geschrieben hätte – mit Freuden entgegen. Der Tagebucheintrag seines Bruders Jaroslav vom 28. Februar 1898 zeigt, dass die Ernennung von Franz Thun zum Ministerpräsidenten trotz aller Gerüchte überraschend erfolgte. In Wien vermerkte er dazu : »Franz Ministerpräsident ! ! Gott stehe ihm und Österreich bei ! ! ! Heute früh – ich war noch gar nicht fertig angezogen – bekomme ich einen Zettel von Franz von dem ich glaubte, in Constanz zu sein, er sei eben von dort gekommen, wünsche mich zu sehen ! Sehr erstaunt, aber ahnungslos ging ich zu Sacher.«313 An einem Marmortisch des berühmten Hotels und Kaffeehauses erzählte Franz seinem Bruder aufgeregt, wie er nach Wien gerufen worden war, was ihm der Ministerpräsident mitgeteilt habe und dass er noch auf die Audienz beim Kaiser warte. Jaroslav vermerkte, dass sein ansonsten so ausgeglichener Bruder sichtlich bewegt war : »Ich gabelte mit Franz bei Sacher in einer Chambre separé, habe ihn noch nicht so ergriffen gesehen, so überwältigt von der Größe der Verantwortung ! Es ist ein schweres Opfer, daß er seinem Kaiser bringt, doch habe ich die Überzeugung, daß der allerhöchste Herr ihn fest zu stützen versteht, Franz der einzige Mann ist[,] der das Reich aus diesen chaotischen Zuständen mit Energie und Gewaltmaßnahmen herausführen kann. Leid tut mir die arme Anna, der dieses Opfer sehr schwer werden wird !«314 »Der Name Thun bildet schon für sich ein Programm«
In einem vom Kaiser selbst verfassten Schreiben an Graf Thun wird dieser am 5. März 1898 mit der Regierungsbildung betraut. Eine für die Öffentlichkeit keineswegs gänzlich unerwartete, aber dennoch überraschende Nachricht. Zum Ministerpräsidenten wurde somit ein Mann bestellt, welcher der österreichischen Spitzenaristokratie angehörte. Wie eine Zeitung schrieb, bildet »der Name Thun schon für sich ein Programm.«315 Er galt als ein dem Kaiser und dem Reich ganz und gar ergebener Mann, geradezu als Prototyp des treuen Österreichers. Auch wurde er als Mann angesehen, der mit »starker Hand« regiert. In Thuns Nachlass befinden sich 197 Telegramme und 89 Briefe, in denen ihm zur Ernennung gratuliert wird. Ihre Tonart ist durchwegs einheitlich : Die Optimisten brachten ihre feste Überzeugung zum Ausdruck, dass Thun Österreich retten und erneuern werde, die vorsichtigeren Gratulanten sind der Meinung, dass, wenn überhaupt jemand Österreich retten könne, es gerade Thun sein werde. Natürlich stellen jene, die dem Ministerpräsidenten ihre Glückwünsche übermittelten, keinen repräsentativen
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Querschnitt der politisch aktiven Bevölkerung dar – in der Mehrzahl schrieben ihm Personen, die ihn kannten, die ihm aus gesellschaftlichen Gründen oder aus politischer Sympathie nahestanden, Menschen, die in ihm den Repräsentanten einer Sache sahen, die sie selbst als wertvoll erachteten und mit der sie sich identifizierten. Thuns Standesgenosse und am Beginn der 1890er Jahre auch direkter Mitarbeiter, Graf Karl Zedtwitz, schrieb, dass »wir alle im Land in Dir eine Person erblicken, die mit ihrem Selbstbewusstsein und durch entschlossenes Handeln den hoffnungslos verfahrenen Karren wieder in Bewegung setzen« könnte und verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass Thun an der Spitze des »guten Kerns der österreichischen Bevölkerung«316 sich jenen entgegenstellt, die Österreich in die Abhängigkeit eines Nachbarstaates (also dem Deutschen Reich) und der anderen Reichshälfte (also Ungarn) bringen wollten. Graf Ledebour brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass der neue Ministerpräsident durch seine patriotische Pflichterfüllung auf den Nationalitätenfrieden in der Monarchie abziele, gleichzeitig allerdings bemerkte er : »Dein Programm kann nur österreichisch-konservativ sein.«317 Fürst Fürstenberg, österreichischer, böhmischer und reichsdeutscher Aristokrat, der dem anderen politischen Lager der Großgrundbesitzer angehörte (Verfassungstreuer Großgrundbesitz), würdigte den Mut, mit dem Thun das schwere Amt übernommen hatte und wünschte ihm viel Erfolg. »Mit wahrhaft freudigem Herzen habe ich die Nachricht erhalten, dass Du die neue, ehrenhafte, aber keineswegs rosige Position übernommen hast. Auch wenn sich meine bescheidenen politischen Ansichten nicht immer zur Gänze mit den Deinen decken, weißt Du sicherlich, daß ich immer mit Dir war und ich bin von wirklichem Vertrauen und echter Freundschaft erfüllt und habe mich nach dem Augenblick gesehnt, Dich an der Spitze unserer Regierung zu sehen ! Möge Gott Dein von treuer schwarz-gelber Überzeugung durchdrungenes Gebaren segnen ! Möge er Dir Kraft geben, unser wankendes, altes und geliebtes Österreich auf eine ruhigere Bahn zu führen.«318 Der Besitzer der größten Adelsdomäne in Böhmen und Mitglied des konservativen Großgrundbesitzes, Fürst Karl Schwarzenberg, wünschte seinem Schwager alles Gute, wenngleich seinem Gratulationsschreiben einige Skepsis zu entnehmen war : »Was wir einmal erwartet haben kam früher als wir, und vielleicht auch Du selbst, dachten. Gott helfe weiter ! Vertrauensvoll, aber schwer ist die Aufgabe, erschwert durch die Ungunst des Augenblickes […].«319 Es hat den Anschein, als ob Schwarzenberg – und er war mit dieser Annahme sicherlich nicht alleine – davon ausging, dass Franz Thun als neuer Ministerpräsident die das Reich erschütternde Krise mit »starker Hand« nach dem Grundsatz lösen werde, dass man in Österreich nicht mit dem Parlament regieren könne. Am 3. Februar 1898 schrieb er an Botschafter Aehrenthal : »Die zunehmende Erkenntnis, daß die parlamentarische Regierungsform überhaupt überlebt hat, kann für uns wahrhaft
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Konservative zur Befriedigung gereichen […]. Die sogenannten persönlichen Freiheiten müßten eingeschränkt werden. Leute, welche meinen, daß sich das Rad nicht zurückdrehen läßt, wären kaum am Platze. […] Du wirst vielleicht Gelegenheit haben, mit Franz Thun zu sprechen und zu sehen, ob er ein klares Ziel hat und ob er noch unter dem Eindruck der Unvermeidlichkeit eines parlamentarischen Systems steht ? Meiner Ansicht nach läßt sich Österreich nicht mehr anders als durch einen modernisierten Absolutismus halten, der hinsichtlich der Finanzen unter öffentlicher Kontrolle stünde.«320 Manche der Schreiben apostrophieren Thun als eine Art Erlöser, der dazu auserwählt sei, die Katastrophe im letzten Augenblick abzuwenden und die Monarchie zu retten. So etwa : »[Die] Entfaltung der Weisheit, des klaren Zielbewußtseins, der mächtigen Thatkraft und der bewunderungswürdigen Ausdauer, über die Eur. Excellenz, wie kein zweiter Staatsmann des Reiches verfügen, vermag die Hoffnung zu bauen, daß es Eur. Excellenz gelingen werde, das in seinen Grunden erschütterte Reiche die Ruhe und den Frieden wieder zu geben, die Autorität und die Achtung vor dem Gesetze wieder herzustellen und das Ansehen und die Machtstellung des Reiches wieder zu festigen und damit die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß die Feier des 50. Jahrestages des Regierungseintrittes unseres so schwer geprüften allergnädigsten Kaisers, für den erhabenen Träger der Krone ebenfalls wie für alle Bewohner des Reiches[,] ein wahres Jubelfest werde.«321 In einem anderen Brief, dessen Autor, Graf Hoyos, offenbar zu einem früheren Zeitpunkt als Offizier der k. u. k. Armee in Prag gedient hatte, wurde über die nicht zu »unterdrückenden Freudensschreie« phantasiert, die eine »Millionenschar an Gratulanten« [sic !] ausbrachte, die in Thun den »Retter der österreichischen Idee« sahen, einen »Lohengrin, dem wir alle entgegen jubeln ! Heil und Sieg !«322 Die Sammlung an Gratulationen umfasst auch solche von tschechischen Institutionen und von Einzelpersonen. Während keine Gratulationsschreiben von Repräsentanten der Jung tschechen enthalten sind, finden sich hier vor allem solche von alttschechischer Seite, die in der Mehrzahl Deutsch abgefasst worden sind – so wie auch schon immer in der Vergangenheit und der Zukunft (Mattuš, Albín Bráf, Zdekauer). Nur der Alttscheche Emmanuel Tonner, Pädagoge und erster Direktor der tschechischen Handelsakademie in Prag, hatte sein Schreiben in tschechischer Sprache, dafür aber in aufrichtiger Begeisterung verfasst : »Euere Exzellenz ! Hochwohlgeboren und Sehr geehrter Herr Graf ! Es hat sich ereignet, was lange vorherzusehen war ! Die durch das allerhöchste Vertrauen unseres durchlauchtesten Kaisers und Königs Euerer Exzellenz anvertraute Aufgabe ist über alle Maßen bedeutsam. Alle, die Euere Exzellenz schätzen wie ich, wünschen inniglich, dass Euch Gott Gesundheit und Segen geben möge, damit Ihr ruhmvoll alle Hindernisse als Sieger überwinden und glorreich das beständige Werk vollenden – die Versöhnung zwischen den Nationen und die Ordnung des Reiches –
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Graf Franz Thun an der Spitze der Regierung
zum Wohle des Vaterlandes und aller Länder des österreichischen Kaiserreiches, wie auch zur unendlichen Freude unseres allergnädigsten Kaisers und Königs, der in diesem Jahr ein bedeutendes Jubiläum feiert. Gott segne das edelmütige Ansinnen Euerer Exzellenz, auch unter Fürsprache aller unserer heiligen Patrone, die in der Kathedrale des Heiligen Veit auf der Prager Burg ruhen, um deren Fertigstellung Ihr Euch unvergängliche Verdienste zu erwerben geruhtet.«323 Unter Berücksichtigung der reinen Höflichkeitsbekundungen spiegeln die Gratulationen doch die Tiefe der Krise wider, in der sich das Habsburgerreich befand. Die Schreiben vieler Verfasser boten den Eindruck, als ob man aller Sicherheiten verlustig gegangen wäre, und begrüßen Thun als allgewaltigen Staatsmann, der allein die Ordnung und die Autorität des Staates wieder herstellen könne. Einige bekundeten ihre Freude darüber, dass Thun »endlich« an die Spitze der Regierung gelangt war (was schon früher hätte geschehen sollen), andere waren der Meinung, dass es geeigneter gewesen wäre, die Krise noch weiter eskalieren zu lassen, um Thun erst dann das Betreten der Szenerie gleich einem Erlöser zu ermöglichen. Eine solche Ansicht vermerkte Jaroslav Thun aus dem Kreis seiner Bekannten : »Die Leute, mit denen ich spreche, sind alle darin einig, daß Franz der einzige Mann mit Zukunft ist, dass er allerdings erst später kommen solle, bis sich die Verhältnisse aufgeklärt hätten.«324 Die Regierung des Grafen Thun
Am 7. März legte Thun dem Kaiser seine Kabinettliste vor. Selbst hatte er sich die Leitung des Innenministeriums vorbehalten. Fünf Minister waren hohe Beamte, von denen einige bereits in mehreren Regierungen einem Ministerium vorgestanden waren. Die Berufung von Finanzminister Josef Kaizl, Handelsminister Josef Maria Baernreither und dem Minister ohne Portefeuille Adam Jędrzejowicz verlieh der Regierung Thun eine auffallend nationalpolitische Färbung, gleichsam so, als würden sie die drei »großen« (im Maßstab Cisleithaniens gesprochenen) Nationen – Deutsche, Tschechen und Polen – repräsentieren, was in den drei großen Abgeordnetenklubs seinen Ausdruck fand : Jungtschechen (60 Mandate), Verfassungstreuer Großgrundbesitz (28 Mandate) und Polnischer Klub (57 Mandate). Die politischen Pole von Thuns Kabinett wurden durch die Beziehung der Minister Kaizl und Baernreither als Repräsentanten zweier Nationalitäten determiniert, deren politische Auseinandersetzung seit der Bekanntmachung der Badenischen Sprachenverordnungen das gesamte politische System Cisleithaniens gelähmt hatte. Auf den ersten Blick mag es ein wenig überraschen, dass Franz Thun gerade Josef Kaizl von der jungtschechischen Partei mit der Leitung des höchst bedeutsamen
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Finanzministeriums betraute. In den Jahren 1895 bis 1896 hatte Kaizl unter Badeni wesentlich an der jungtschechischen Kampagne Anteil genommen, welche die Absetzung Thuns als Statthalter zum Ziel hatte. In dieser Angelegenheit intervenierte er sogar beim Kaiser. Nichtsdestotrotz hatte sich seither vieles geändert : die Jungtschechen, Kaizl, Franz Thun, aber auch die ganze politische Situation war eine andere geworden. Luboš Velek schreibt in seiner, der Entwicklung der jungtschechischen Partei gewidmeten Dissertation, dass sich Kaizl zu einem »österreichischen Staatsmann und Politiker mit klar erkennbaren konservativen Zügen«325 gewandelt hatte. Er war Autonomist, vertrat föderalistische Standpunkte und war perspektivistisch eingestellt. Mit großer Reserviertheit stand er der tschechischen Doktrin des böhmischen historischen Staatsrechts gegenüber, das er als nicht mehr zeitgemäß erachtete. Für die gegenwärtige »Etappe« war es für ihn realistisch, die Position des Tschechischen und der tschechischen Beamten in der Verwaltung des Staates, des Landes und der Selbstverwaltung zu erweitern. Kaizl sollte in der Regierung sowohl Böhmen als auch die stärkste tschechische Partei – die Jungtschechen – repräsentieren. Das Ministeramt hatte er angenommen, ohne vorher das Einverständnis seiner Partei einzuholen. Kaizl informierte vorab nur den Vorsitzenden des jungtschechischen Abgeordnetenklubs, Emanuel Engel, und den Vorsitzenden des Vollzugsausschusses, Václav Škarda. Kaizl erklärte, sein Eintreten in das Kabinett Thun solle zeigen, dass die Tschechen – im Gegensatz zu den destruktiv opponierenden Deutschen – eine österreichisch-staatsbildende Nation seien. Während Kaizl in Thuns Kabinett als Repräsentant der Tschechen einzog, sollte Baernreither diese Aufgabe für deren Gegenüber – die Deutschen – übernehmen. Thun wählte aus dem deutschen Lager einen Vertreter jenes Teils aus, der in nationaler Hinsicht als am gemäßigsten galt – der sogenannte verfassungstreue oder liberale oder auch deutsche Großgrundbesitz. Dieser hatte auch gegen Badenis Sprachenverordnungen Stellung bezogen, hatte sich jedoch nicht an extremen politischen Aktionen beteiligt, nahm Rücksicht auf die staatlichen Erfordernisse, war gegenüber der Krone loyal, stand zwar im »deutschen Lager«, lehnte jedoch den antiösterreichischen und großdeutschen Nationalismus ab. Josef Baernreither galt als gebildeter Liberaler und Experte für soziale Fragen. Von seiner politischen Gesinnung her war er Zentralist. In die Regierung war er mit der Zustimmung seiner »Partei« eingetreten – des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes (die von nur wenigen Dutzend Großgrundbesitzern gebildet wurde, in der Mehrzahl, wenn auch nicht ausschließlich, Adelige). Deren Vertreter Oswald Thun-Hohenstein, Repräsentant des in Klösterle an der Eger (Klášterec nad Ohří) ansässigen Zweiges der Thuns, billigte in einem Schreiben an seinen Verwandten (und politischen Rivalen) Baernreithers Eintritt in dessen Regierung : »Lieber Franz, unter den herrschenden Verhältnissen, unter denen unser armer alter Kaiserstaat in allen Fugen kracht, ist
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es wirklich schwer, dem zu gratulieren, der die schwere Bürde der Verantwortung auf seine Schultern nimmt. Ich gratuliere Dir also bloß zu dem so ehrenvollen Vertrauen des Monarchen und zu Deinem persöhnlichen Mut und Deiner patriotischen Hingabe und wünsche Dir aufrichtigst und herzlichst einen vollen Erfolg. Selbstverständlich verstehe ich diesen Erfolg in der Richtung, die Baernreither die Möglichkeit des Eintrittes ins Ministerium gab. Den Eintritt Baernreither billige ich vollständig. Wir können die Verfassung und das Parlament nicht zerstören lassen, wir können nicht mitarbeiten an der vollständigen Loslösung Ungarns. Unsere Nationalität, die wir nie verleugnen können, hat Grenzen in unserem Patriotismus. […] Wir werden bei den Deutschen – Fortschrittlern und Nationalen – große Gegnerschaft finden, man wird uns Verrat vorwerfen, Baernreither wird als Judas hingestellt werden.«326 Dies ist auch tatsächlich geschehen. Die deutsche Presse schrieb über Baernreithers Verrat, den Bruch des Schwurs von Eger, den Bruch der deutschen Einheitsfront. Die Angriffe richteten sich auch gegen den Verfassungstreuen Großgrundbesitz und bezeichneten alleine schon die Unterhaltung auch nur irgendeiner Beziehung zur Regierung Thun als Verrat. Gegen Baernreithers Eintritt in das Kabinett Thun protestierten radikale deutsche Nationalisten (Schönerer, Wolf ) auf gröbste und derbste Art. Eine gemeinsame Konferenz von deutschen Fortschrittlern und der Volkspartei bezeichnete ihn am 7. März als Bresche in der Einheit der deutschen Parteien und drückte gegenüber der Regierung Thun ihr »vollste[s] Misstrauen und die entschiedenste Gegnerschaft« aus.327 Das Debüt der Regierung Thun
In einigen Memoiren und in der Literatur wird gelegentlich der Vorwurf erhoben, dass Thun über gar kein Programm verfügt habe, dass es ihm um nichts anderes gegangen sei, als seinem Kaiser ein ungestörtes und ruhiges Jubiläumsjahr – zum 50. Jahrestag der Thronbesteigung – zu sichern. Dabei handelt es sich allerdings um eine grundsätzlich unrichtige Behauptung. Thun brachte allen mit dem besonderen Jubiläum in Zusammenhang stehenden Obliegenheiten große Aufmerksamkeit entgegen (Verleihung von Auszeichnungen, Beförderungen, Jubiläumsausstellungen und Geschenke). Die Jubiläumsfeierlichkeiten verfolgten dabei einen politischen Zweck : In einem von Krisen aufgewühlten Land, dessen Verfassungsordnung und politisches System erschüttert waren, sollte der dynastische Gedanke emporgehoben werden – dies war ein wichtiges und einigendes Element des Vielvölkerstaates. Thuns politisches Programm erschöpfte sich allerdings bei Weitem nicht darin, wer zum Jahrestag am 2. Dezember 1898 welchen Orden bekommen sollte. In erster Linie hatte er sich das Ziel gesetzt, die Einheit des Reiches zu erhalten und die Funktionsfähigkeit seines durch die Krise gelähmten politischen Systems zu erneuern.
Das Debüt der Regierung Thun
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Die katholisch-konservative Zeitung Das Vaterland (die von Leo Thun gegründet worden war und an dessen Herausgabe und Finanzierung sich dessen Neffe Franz Thun beteiligte, der in diesem Blatt auch manchmal als Autor in Erscheinung trat) charakterisierte das Programm der neuen Regierung folgendermaßen : »Die momentane Situation ist aber eine derartige, welche die Aufstellung von Programmen in gewöhnlichem Sinne völlig auszuschließen scheint. Es gilt zunächst, die Ordnung des künftigen Verhältnisses zu Ungarn [herzustellen], und als Vorbedingung hiezu vor Allem [für] die Herstellung der innerpolitischen Ordnung in den Reichsrathsländern [zu sorgen]. An solche ganz concrete Aufgaben kann nicht mit theoretischen Programmen herangetreten werden.«328 Thuns Regierung sah sich mit einer ganzen Reihe von Aufgaben konfrontiert, vor allem musste sie sich der Aufgabe widmen, die Aktionsfähigkeit des Parlaments wieder herzustellen (was die Beendigung der Obstruktion durch die deutschen Parteien zur Voraussetzung hatte) und mit der anderen Reichshälfte, also mit Ungarn, zu einem Ausgleich zu gelangen (und so die wirtschaftliche und vielleicht auch die politische Einheit der Monarchie zu erhalten), der von einem aktionsfähigen Parlament gebilligt werden sollte. Dann hätte man erneut von einem Funktionieren des Habsburgerreiches sprechen können. Franz Thun wurde nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten von einem fiebrigen Eifer ergriffen : Konstituierung der Regierung, dauerhafte Übersiedelung nach Wien, gesellschaftliche Verpflichtungen, politische Verhandlungen (schon am 21. März sollte der Reichsrat erneut zusammentreten). Es hat allerdings den Anschein, als ob ihn die hektische Eile und die Flut an Verpflichtungen nicht belastet und erschöpft, sondern dass er vielmehr Gefallen daran gefunden hat. Ein am 15. März an seine Frau Anna in Tetschen gerichteter Brief zeugt eher von seinem Selbstbewusstsein und weniger von der Belastung oder Befürchtung, ob seine Ministerpräsidentschaft unter einem guten Stern stehen werde. Seinem »teuren Engel«, wie er die meisten Briefe an seine Frau adressierte, berichtete er : »Mein Leben ist sehr gehetzt von früh bis ziemlich spät abends sitze ich im Amt und hatte fortwährend Conversation mit allen möglichen Politikern. Auch die Landeschefs treffen ein, wollen empfangen werden und Instruktionen erhalten. Da ich die nächsten Tage nicht zum Gehen komme, habe ich heute angefangen[,] um 8 Uhr eine Promenade zu machen und will bei der Gewohnheit bleiben. Um 9 Uhr muß ich frühestens im Bureau sein, gegen 1 Uhr ist dann flüchtiges Frühstück, dann bin ich im Ministerpresidium und komme selten vor 1/2 8 oder 8 zum Essen. Nach kurzem Aufenthalt im Club [am ehesten wird hier der Jockey Club gemeint sein, dessen Briefpapier Thun einige Mal benutzte], gehe ich dann um 11 Uhr schlafen. Zu allem Überdruß kommen jetzt auch noch Soireés. Heute ist eine grosse Soireé bei Alfred Liechtenstein, morgen beim französischen, übermorgen beim deutschen Botschafter ;
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diese muß ich mitmachen[,] ob ich Freitag zu Hatzfeld, Samstag zu Harrach gehe, weiß ich noch nicht. Morgen habe ich meinen ersten Ministerrath. […] Ende der Woche werde ich wohl einmal nach Pest gehen müssen.«329 Wie aus den folgenden Briefen ersichtlich, nahm Thun sowohl an der Soireé im Hause Liechtenstein als auch am Empfang beim Botschafter teil. Mit einem Hauch von stolzer Belustigung rühmt er sich vor seiner Frau, dass er auf dem prachtvollen Liechtensteinschen Ball das »interessanteste Stück« gewesen sei, alle hätten ihm »freundschaftlich gratuliert«. Beim Empfang des französischen Botschafters sei er von diesem »ganz offiziell, in grosser Uniform« empfangen worden.330 Nach Budapest reiste Thun zusammen mit zwei seiner Minister, dem Tschechen Kaizl und dem Deutschen Baernreither, um bei einem einstweiligen Höflichkeits besuch als Chef der neuen Regierung vorstellig zu werden. Dabei fielen bereits einige (wie sich zeigen sollte : verzweifelte) Worte über die künftigen Verhandlungen hinsichtlich der Geltungsdauer des Zoll- und Handelsbündnisses zwischen Österreich und Ungarn sowie über die baldige Wahl einer Delegation für die Gespräche über die Quotenaufteilung. Keine geringen Sorgen plagten den Ministerpräsidenten auch in Wien, da sich der 13. März – ein gefährliches Datum – näherte. Dies war der Jahrestag des Ausbruchs der Revolution des Jahres 1848 in Wien, der sowohl von den Sozialdemokraten (im Gedenken an den Arbeiteraufstand) als auch von den deutschen Nationalisten (als deutscher und liberaler Aufstand) begangen wurde. Mit von Massen besuchten Feiern war also zu rechnen. Der Hocharistokrat Thun zögerte nicht und nahm – als erster österreichischer Ministerpräsident – Verhandlungen mit den Sozialdemokraten über die Sicherstellung eines ruhigen Verlaufs der Gedenkfeierlichkeiten auf, mit einer Partei also, die theoretisch am entgegengesetzten sozialen, ideologischen und politischen Spektrum anzusiedeln war. Die Verhandlungen waren von Erfolg gekrönt. Thun unterstrich sein Verdienst, dass der aus rund 50.000 Personen formierte sozialdemokratische Zug, der sich zu den Gräbern der »Märzgefallenen« bewegte, ruhig verlief, wofür, so rühmt sich Thun, 1.000 Ordner sorgten.331 Darüber hinaus traf er mit den sozialdemokratischen Abgeordneten eine Vereinbarung darüber, die parlamentarischen Verhandlungen nicht zu stören. Sie verblieben zwar weiterhin in Opposition, verhielten sich jedoch ruhig ; Szenen wie im November 1897, als das Präsidium des Abgeordnetenhauses attackiert wurde, sollten sich nicht noch einmal wiederholen. Am 16. März 1898 trat die Regierung zu ihrer ersten Sitzung zusammen, während der sie über die Vorbereitung einer Erklärung beriet, die der Ministerpräsident am 21. März bei der Eröffnung des Reichsrates abgeben sollte. Wie zu erwarten war, spiegelten sich die deutsch-tschechischen Gegensätze in der Sprachenfrage im Kabinett wider, dem der Tscheche Josef Kaizl und der Deutsche Josef Maria Baernreither angehörten. Thun berichtete darüber nach Tetschen im optimistisch-erleichterten Ton :
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»Ich sprach heute mit Kaizel [sic !] und Baernreither über dieselbe [Frage] – jeder will etwas anderes ; der eine will unbedingt nur Zuckerl für die Deutschen in der Sprachenfrage, der andere perhorresziert das. Da heißt es mit Vorsicht durchlavieren, ich habe kaum Lust[,] Kinderkrankheiten im Cabinet durchzumachen, aber im Anfang dürfte es wohl manchmal scharfe Diskussion geben.«332 Franz Thun nahm Verhandlungen mit den Vertretern der deutschen Parteien auf. Vor allem ging es ihm darum sicherzustellen, dass in der Abgeordnetenkammer, die am 21. März 1898 zu ihrer nächsten Session zusammentreten sollte, die destruktive Obstruktionspolitik aus der Zeit des Kampfes gegen Badeni nicht wieder aufgenommen werde. Der Ausgang der Gespräche gab ihm allerdings keine Sicherheit, was genau ihn im Parlament erwarten werde. Seiner Frau schrieb er am 15. März nach Tetschen : »Aus den Verhandlungen mit den Deutschen Pergelt, Gross, Steinwender, Attems konnte ich noch nicht recht erfahren[,] ob ich die Opposition oder die Obstruction zu erwarten habe. Alles fürchtet sich vor dem Terrorismus des Wolf, ob die Menschen die Courage haben werden[,] sich von ihm zu emanzipieren, ist noch unklar.«333 Am Vorabend des mit Spannung erwarteten Zusammentreffens des Reichsrates, also am 20. März, teilte er Anna Thun mit : »Morgen geht es also im Abg. Haus los. Ich bin begierig wie das werden wird. Gestern früh hatte es noch den Anschein, daß es gelingen wird[,] einen von der Linken als Vizepresidenten zu bekommen. Abends jedoch schlug die Stimmung in der deutschen Volkspartei um[, weshalb] natürlich auch die anderen deutschen Parteien jetzt nicht mehr die Courage haben[,] eine Wahl anzunehmen. Vorläufig sollen die Parteien aber noch die Obstrukcion [sic !] perhorrescieren, gebe Gott, daß sie wenigstens dieser Absicht treu bleiben.«334 Und erstmals seit seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten ist in Thuns Schreiben ein bitterer Ton zu vernehmen : »Was ich die letzte Zeit zu sprechen, zu konferieren hatte, spottet jeder Beschreibung – man muß arbeiten wie ein Roß, um den Leuten etwas Vernunft beizubringen. Gott helfe weiter.«335 XIV. Session des Reichsrates
Am 21. März 1898 trat das Haus der Abgeordneten des Reichsrates zur Eröffnungssitzung der xiv. Session zusammen. Niemand konnte mit Sicherheit vorhersagen, ob sich die Ereignisse vom November 1897 wiederholen würden : gewaltsame Obstruktion, Angriff auf den Vorsitz des Abgeordnetenhauses, Raufereien, Straßenunruhen. Auch Thun wusste es nicht, als seine Kutsche vor dem Gebäude des Reichsrates hielt. Zur Sicherheit hatte er ein kaiserliches Dekret zur Vertagung des Abgeordnetenhauses bei sich – für den Fall, dass die deutschen Parteien ihre gewaltsame Obstruktion fortsetzten, würde er das Parlament schließen. Dazu bestand jedoch kein Anlass, die Sitzung des Abgeordnetenhauses verlief verhältnismäßig ruhig.
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Für einen Skandal sorgten nur die extremen deutschen Radikalen. Karl Hermann Wolf störte die Rede des gewählten Präsidenten des Abgeordnetenhauses Viktor Fuchs mit Zwischenrufen, indem er ihn als Schurken, Gauner und Zuchthäusler bezeichnete, weil er ein Mitglied des Präsidums gewesen war, als im November 1897 die »Lex Falkenhayn« angenommen wurde. Der alldeutsche Georg Schönerer brachte formal einen Antrag ein, wonach das Abgeordnetenhaus beschließen solle, dass Viktor Fuchs ein Dieb sei, der ins Gefängnis gehöre. Fuchs bewies Format. Gemäß der Geschäftsordnung ließ er über Schönerers Antrag abstimmen, der nur von den fünf Abgeordneten der Alldeutschen unterstützt wurde. Das war als Erfolg zu werten, denn, wie Thun in seinem Brief 336 zufrieden konstatiert, hatten sich die Alldeutschen damit blamiert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Erfolg war aber nur vorübergehend – auch wenn die Alldeutschen im Abgeordnetenhaus nur eine kleine Minderheit von fünf Abgeordneten bildeten, fand ihr vor allem durch Schönerer und Wolf repräsentierter, lärmender und aggressivangriffiger Nationalismus Rückhalt in den Provinzen. Diese waren enttäuscht darüber, dass im Abgeordnetenhaus nicht wie im November 1897 gestritten wurde, weshalb sie die ungestümen Auftritte der Radikalen begrüßten. Thun sprach freimütig von Wolfs Terrorismus, der die deutschen Parteien in Furcht versetzte. Nach der Wahl und der Debatte erhob sich Franz Thun, stellte die Mitglieder seiner Regierung vor und trug die programmatische Antrittserklärung vor : »Durch die Gnade Seiner Majestät zum Ministerpäsidenten und Leiter des Ministeriums des Innern ernannt, habe ich die Ehre, mich und meine Kollegen dem hohen Hause hiemit vorzustellen. Es sei mir sofort gestattet, das hohe Haus über die wichtigen Zielpunkte zu orientieren, denen nachzustreben die Regierung den festen Willen hat. Die Regierung betrachtet die Wiederherstellung geordneter parlamentarischer Zustände und des regelmäßigen Ganges der Gesetzgebung als ihre erste und wichtigste politische Aufgabe, zumal im gegenwärtigen Augenblicke, wo die im Interesse der Machtstellung des Reiches und seiner wirtschaftlichen Kräftigung dringend gebotenen Vereinbarungen mit der anderen Reichshälfte der parlamentarischen Austragung harren. […] Getreu den geschichtlichen Überlieferungen der österreichischen Monarchie, wird die Regierung bei der Führung der öffentlichen Geschäfte als obersten Grundsatz den der Gerechigkeit gegenüber allen Volksstämmen und Bewohner dieses Staates walten lassen. (Lebhafter Beifall.) Diesen Grundsatz wird die Regierung, einstehend für Recht, Ordnung und Autorität bei der Entscheidung aller Fragen, die politische oder wirtschaftliche Interessen oder Ansprüche betreffen, im verfassungsmäßigen Wege zur Anwendung und Geltung bringen.
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Nützliche sociale Reformen, Förderung cultureller Fortschritte, Hebung der materiellen und sittlichen Verhältnisse der Bevölkerung und namentlich der auf den Ertrag ihrer Arbeit angewiesenen breiten Schichten derselben (Lebhafter Beifall), Unterstützung der Industrie und Landwirtschaft liegen im Interesse der ganzen staatlichen Gemeinschaft und sollen daher die wirksamste Förderung duch die Regierung erfahren. Wie die Regierung ihre beste Kraft zur Verwirklichung dieser Ziele einsetzen muß, so erwartet sie mit Zuversicht, dass auf diesem Gebiete die Parteiunterschiede zurücktreten und alle Kräfte sich zu gemeinsamem Handeln im Dienste der witschaftlichen und darum auch der politischen Machtstellung des Staates vereinen werden. Vorbedingung für die Erfüllung dieser patriotischen Aufgabe ist die Milderung der nationalen Gegensätze (Ruf : Sprachenverordnungen !) eine Friedensaction, für die gerade dieses Jahr am besten berufen wäre. Das hohe Haus möge überzeugt sein, dass die Regierung, soweit es an ihr liegt, alles aufbieten wird, um zu diesem erhabenen Ziele zu gelangen. Die Regierung wendet sich im Namen Österreichs vertrauensvoll an alle Parteien dieses hohen Hauses und hofft, dass sie, von patriotischem Geiste durchgedrungen, die in einem gefährlichen Rückstände befindliche, zum Wohle des Ganzen und seiner Theile unumgänglich nothwendige Staatsarbeit zu leiten bereit sein werden. (Beifall)«337 Thuns Erklärung war nur kurz gehalten. Sie rief weder Begeisterung noch irgendeinen besonders starken Protest hervor. Es wurde ihm zum Vorwurf gemacht, wenig konkret gewesen zu sein und dass er den drängendsten politischen Fragen ausgewichen sei. Wenn es jedoch Thuns Ansinnen war, einen ruhigen Verlauf der Sitzung des Abgeordnetenhauses zu ermöglichen und wenn er eine tragfähige Basis für eine Arbeitsübereinkunft mit der »Linken« (das heißt mit der Mehrheit der deutschen Parteien, die gegen die Sprachenverordnungen opponierten) wie mit der »Rechten« (also mit der von Tschechen, Polen und den deutschen katholischen und konservativen Abgeordneten gebildeten Mehrheit) herstellen wollte, so musste er die strittigsten Fragen ausklammern. Er betonte daher all jene Themen, von denen er meinte, dass sie von allen angenommen werden konnten – die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die Machtstellung und das Prestige des Reiches. Aus dem Brief, den er entweder noch direkt aus der Sitzung oder unmittelbar danach an seine Frau richtete, ist zu ersehen, dass er sich der Relativität des Erfolges bewusst war, der darin bestand, dass die Abgeordneten der Regierungserklärung in Ruhe zugehört hatten : »Nach der ersten Sitzung des Abgeordneten Hauses nur einige Worte. Vom wüsten Geschrei Schönerers und Wolfs abgesehen hat sich die Sitzung ruhig abgespielt, der erste Tag ist damit vorbei, jetzt heißt [es] wieder für den nächsten sorgen. Es ist soviel Elektricität in der Luft, daß jeden Moment im Hause Explosionen stattfinden können. Die Absicht[,] wirklich Obstruction zu machen, scheint vorläufig nicht zu bestehen – und die Gruppe Schönerers wird es wohl thun. Je mehr
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diese Herren aber vereinzelt bleiben, desto besser. […] Nach der Sitzung war ich beim Kaiser, jetzt warte ich auf die Eröffnung des Herrenhauses Sitzung.«338 Über die Regierungserklärung wurde bis zum 1. April eine »Klärungsdebatte« abgehalten, die sich über sieben Sitzungen hinzog. Im Abgeordnetenhaus gab es 17 Klubs, deren Vertreter sich zur Regierungserklärung äußerten. Die Grundlage dieses Vorgehens war allerdings nicht die Vorlage irgendeiner »Adresse«, die entweder angenommen oder abgelehnt werden konnte. Gerade deshalb verlief die Debatte relativ ruhig, da es nicht vorgesehen war, dass sie in einen konkreten politischen Beschluss münden sollte. Interessanterweise fanden die schärfsten verbalen Abtäusche nicht zwischen Regierung und Opposition, sondern zwischen den deutschen Parteien statt. Fünf deutsche Radikale befanden sich mit einem Mal im Konflikt mit den wichtigsten deutschen Parteien. Schönerer griff die deutsche Volkspartei an, weil sie sich nicht der Anklage gegen Thuns Amtsvorgänger Gautsch anschließen wollte. So bedachten sich, zur Unterhaltung der tschechischen und polnischen Abgeordneten, die deutschen Abgeordneten wechselseitig mit Schimpftiraden. Es erscheint schwer nachvollziehbar, dass es die bloß fünf deutschradikalen Abgeordneten zuwege brachten, Druck auf die zahlenmäßig stärkeren Abgeordnetendelegationen der deutschen Parteien auszuüben. Hinter ihnen stand allerdings die radikalisierte Provinz – radikale Zeitschriften, örtliche Versammlungen von Vertrauensmännern der Partei. Die gewaltsame Obstruktion, wie sie im Herbst des vergangenen Jahres unter Badeni angewandt worden war, wurde nicht fortgesetzt. Das Parlament hielt seine Sitzungen ab, es verhandelte, es wurden Reden gehalten, es wurde aber nicht gearbeitet. Die gewaltsame Obstruktion war von einer technischen abgelöst worden. Schon unmittelbar am Beginn wurden 35 dringliche und 94 gewöhnliche Anträge gestellt – zusammen also 129. Als die Sitzungen aufgrund der Osterferien von 1. bis 20. April vertagt wurden, standen 246 Anträge auf der Agenda, darunter 53 Dringlichkeitsanträge und 113 Interpellationen. Mit diesen sollte sich das Abgeordnetenhaus vorzugsweise beschäftigen, bevor es die Regierungsvorlagen in Angriff nehmen konnte. Die Beratungen zogen sich im Schneckentempo dahin.339 Franz Thun ging in der Zwischenzeit daran, sich im Gebäude des Innenministeriums in der Wipplingerstraße einzurichten. In dem Barockpalais, einem Werk Fischer von Erlachs, dem vormaligen Sitz der Böhmischen und Österreichischen Hofkanzlei, sollte er seinen Wohnsitz nehmen, nachdem er das Amt des Ministerpräsidenten und Ministers des Innern angetreten hatte. Nachdem sein Vorgänger Gautsch seinen kurzen Aufenthalt beendet hatte, organisierte Thun die Umgestaltung der Wohnung nach seinen eigenen Bedürfnissen. Wie er seiner Frau mitteilte, übernachtete er dort am 24. März »in einem ausgezeichneten hübschen englischen Bett«.340 Thun ließ sich aus Tetschen einige Möbelstücke und Bilder schicken, weitere Einrichtungsgegenstände kaufte er direkt in Wien. Franz Thun legte an seine Übersiedlung einen wahrhaft gro-
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ßen Maßstab an. Aus Tetschen ließ er einige persönliche Bedienstete, darunter zwei Kutscher mit sechs Pferden, kommen. Der Transport der sechs Pferde aus Tetschen muss eine einigermaßen kostspielige Angelegenheit gewesen sein und sie zeugt auch zweifellos von Thuns Selbstvertrauen und Entschlossenheit, für längere Zeit in dieser schwierigen Position ausharren zu wollen.341 Die Rede des Ministerpräsidenten zur Sprachenfrage
Am 27. April 1898 unternahm Ministerpräsident Franz Thun einen Versuch, um die Unergiebigkeit der parlamentarischen Verhandlungen zu überwinden. In der von ihm gehaltenen Rede beschäftigte er sich mit dem zentralen Thema der österreichischen Politik – der Sprachenfrage. Thun betonte in seiner Rede, dass die Nationalitätenproblematik begreiflicherweise im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der nationalen Parteien stehe, dass die Regierung allerdings auf das Wohl und auf den Fortschritt des großen Ganzen Rücksicht nehmen müsse sowie auf die geistigen und wirtschaftlichen Bedürfnisse aller Länder und aller Nationalitäten des Reiches zu achten habe. Er skizzierte das Spezifikum dieser besonderen Frage im Vielvölkerreich : »Während mit wenigen Ausnahmen in anderen Staaten das nationale Moment geradezu als das staatsbildende bezeichnet werden muß, haben sich bei uns die verschiedensten Nationen unter einem Szepter zu einem mächtigen Staatsganzen vereinigt, sie bilden eine große Völkerfamilie.«342 Das gemeinsame Zusammenleben all dieser Nationalitäten impliziert die grundsätzliche Bedeutung der Sprachenfrage. Thun kam den deutschen Parteien entgegen, indem er sich von den Badenischen Sprachenverordnungen distanzierte, gegen die der deutsche Nationalismus im Jahr 1897 beinahe eine nationale Erhebung entfesselt hatte. Er erklärte : »Die Sprachenverordnungen vom 5. April 1897 sind aufgehoben worden. Sie entsprachen den tatsächlichen Verhältnissen des Landes nicht. (Sehr richtig ! Links.) Auch ich halte fest an dem Principe des vollen gleichen Rechtes. Die Formel aber, in welcher dieses damals eingeführt werden sollte, mußte geltenden […] Einwendungen begegnen. Die gegenwärtig geltende Verordnung hat das Bestreben, sich den thatsächlichen Verhältnissen anzupassen.«343 Die Badenischen Sprachenverordnungen waren durch die Verordnungen von Gautsch ersetzt worden. Dazu bekannte sich auch Thun, was bei den deutschen Abgeordneten alleine schon auf Missfallen stieß – sie lehnten diese ab und beharrten auf dem Standpunkt, dass es nicht möglich sei, die Sprachenfrage mit einer Regierungsverordnung zu lösen. Der Ministerpräsident betonte jedoch, dass die Verordnungen seines unmittelbaren Amtsvorgängers ein Provisorium bildeten, das bis zum Beschluss eines Sprachengesetzes in Geltung bleiben solle. Wörtlich sagte er dazu :
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Abb. 35: Die Karikatur in der satirischen Wochenzeitschrift Šípy [Pfeile] zeigt Ministerpräsident Franz Thun in der Rolle des Sisyphos, der sich vergeblich um einen deutsch-tschechischen Ausgleich bemüht. Der linke Teil (»Franci míní«) thematisiert den Traum des Ministerpräsidenten: der böhmische Wenzel und der deutsche Michl sind einander in freundschaftlichem Einvernehmen zugetan. Der rechte Teil (»Jíra mění«) zeigt den alldeutschen chauvinistischen Abgeordneten Georg Schönerer, wie er Thuns aufreibende Bemühungen um einen »tschechischdeutschen Ausgleich« vereitelt. [Die Betitelung orientiert sich am Sprichwort »Der Mensch denkt und Gott lenkt«. »Franci míní – Jíra mění« entspricht somit: »Franz denkt und Georg lenkt«. Jíra = Jiří = Georg].
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»Wir wollen ein Gesetz, daß besser ist als die Verordnung, das, weil es stabil sein soll, und wenn auch nicht für alle Ewigkeit zum Dogma erhoben, so doch für lange Zeit den berechtigten Bedürfnissen der Nationen, wie des Staates entspricht.«344 An die Stelle der Sprachenverordnungen der Regierung sollte also ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz treten. Im Namen der Regierung schlug Thun dem Haus vor, einen »permanenten Sprachenausschuss« einzusetzen (der auch außerhalb der Sitzungsperiode des Reichsrates tätig sein sollte), in dessen Rahmen die Abgeordneten zu einer Einigung über die Sprachenfrage gelangen sollten. Dieser Ausschuss, so führte Thun weiter aus, wäre vor eine sehr komplexe Aufgabe gestellt, da er sich nicht alleine mit der Sprachenfrage, sondern mit einer ganzen Reihe von Fragestellungen zu beschäftigen hätte, die voneinander getrennt gelöst werden müssten. Er machte darauf aufmerksam, dass sich der Ausschuss nicht nur alleine mit dieser Thematik beschäftigen dürfe, sondern auch Probleme zu erörtern habe, welche sich aus der Sprachenheterogenität ableiten ließen : der Schutz der sprachlichen Minderheiten in den einzelnen Ländern bzw. in den Länderregionen sowie die Regulierung des Schulwesens. Es würde daher nicht der Beschluss eines einzigen Gesetzes genügen, sondern es bestehe der Bedarf nach einer ganzen Reihe von gesetzlichen Regelungen entsprechend den Bedürfnissen des Reiches bzw. der Länder. Ihr Zweck sei es, die Reibungspunkte der nationalen Differenzen soweit wie möglich zu beseitigen, um auf diese Art endlich die Voraussetzungen für eine Versöhnung zu schaffen. Nicht möglich sei es, die Lösung dieser diffizilen Problematik mit einer »einfachen Formel« zu versuchen. Nur durch ernste Arbeit und Entschlossenheit könne eine Übereinkunft im Hinblick auf die existierenden strittigen Punkte erzielt werden. Auch dürfe diese strittige Frage nicht durch einen Mehrheitsentscheid gelöst werden, weil zu erwarten sei, dass sich eine starke Minorität dagegen stellt. Mit Pathos forderte Thun das Abgeordnetenhaus dazu auf, das historische Werk in Angriff zu nehmen – zur gesetzlichen Regelung der in Österreich in Gebrauch stehenden Sprachen : »Es ist dies eine große Aufgabe, die, soll sie gelingen und wohlthätige bleibende Früchte tragen, der ernsten, thätigen Mitarbeit aller Factoren bedarf. Der nationale Sturm, der heute das Staatsschiff in ernste Gefahren bringt, soll sich durch diese Arbeit legen, soll nach derselben, um sich dieses Beispiels weiter zu bedienen, nur die wohlthätige Kraft behalten, die Segel zu schwellen, damit man auf den Hafen gesunder, fortschrittlicher Entwicklung lossteuern kann.«345 Am Schluss seiner Ausführungen warnte der Ministerpräsident das Abgeordnetenhaus davor, dass, wenn es durch den »sprachlichen Streit« paralysiert sei, es daran gehindert wäre, sich mit den wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu befassen, was von der Bevölkerung negativ aufgefasst werden würde. »Weite Kreise der Bevölkerung erwarten von dem Parlamente wirklich fruchtbringende Arbeit, die
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Abb. 36: Die Karikatur in der Wochenschrift Šípy stellt Ministerpräsident Franz Thun als Zauberer dar, dem das Wunder der Versöhnung der Nationen in der Habsburgermonarchie gelingt. Links küssen einander der böhmische Wenzel und der deutsche Michl, rechts umarmen sich die Vertreter Transleithaniens (Ungarn) und Cisleithaniens (Österreich).
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Befriedigung dringend empfundener Bedürfnisse. Enttäuschen wir diese Hoffnung nicht. Nichts wäre gefährlicher, als wenn die Bevölkerung selbst zur Überzeugung gelangen würde, das Abgeordnetenhaus bestehe zwar, sei aber zu keiner positiven Arbeit mehr fähig. (Sehr richtig ! rechts !) Das Vertrauen zum Parlamente muß wieder erweckt, muß zum Theile wieder begründet werden ; dies kann nur durch positive Arbeit erfolgen. (Abgeordneter Prade : Ablehnung des ungarischen Ausgleiches !) Zu dieser gemeinsamen Arbeit fordere ich das hohe Haus erneuert auf. Alle Staaten schreiten vorwärts auf der Bahn des Fortschrittes, bei uns leben wir in einem Stillstande, sind die besten Kräfte gelähmt. Beleben wir sie von Neuem ; die kostbarste Zeit verstreicht nutzlos und unbenützt ; raffen wir uns auf. Die Gegenwart wie die Zukunft wird uns dankbar sein ! (Lebhafter Beifall)«346 Reaktionen auf Thuns Rede von tschechischer und deutscher Seite
Thuns Rede und die darin enthaltenen Vorschläge fanden weder auf deutscher noch auf tschechischer Seite ein wohlmeinendes Echo. Man hätte der Auffassung sein können, dass die Deutschen die kritischen Äußerungen Thuns zu den Badenischen Sprachenverordnungen und die Unterbreitung des Vorschlages begrüßen würden, dass sich der Reichsrat mit der Lösung der Sprachenfrage beschäftigen solle – jedoch ohne diese vor dem Verhandlungsbeginn zu verwerfen. Ihrer Forderung nach der augenblicklichen und bedingungslosen Aufhebung kam er also nicht entgegen. In den Berichten und Kommentaren der deutschen Presse wurde die Behauptung aufgestellt, dass es Thun nur darum gehe, sie um ihre einzige Waffe zu bringen – die Obstruktion. Die Tschechen (und auf ähnliche Weise auch die Polen) lehnten Thuns Vorschlag ab, weil sie das Wiener Parlament nicht als die geeignete Institution für die Lösung der Sprachenfrage ansahen. Sie gingen vom Standpunkt aus, dass dazu einzig der Landtag befugt sei. Auch stießen die kritischen Worte des Ministerpräsidenten über die Badenischen Sprachenverordnungen auf deren Missfallen. Die jungtschechischen Politiker überschütteten Minister Josef Kaizl aus Prag mit Beschwerden, besonders im Hinblick auf die unzulängliche und unzureichende Einführung des Tschechischen in die Praxis der Staatsämter und auf die Personalpolitik, das heißt in Bezug auf die Besetzung von Stellen mit tschechischen Beamten. Die Beschwerden aus Prag versetzten Kaizl oftmals in Aufregung, die lokalen Probleme erschienen ihm, aus der Perspektive Wiens und der Monarchie gesehen, belanglos zu sein. In seiner Antwort an Václav Škarda verglich er die – wie es ihm schien – Prager Lappalien mit der Bedeutung, die Graf Thun an der Spitze der Regierung zukomme : »Als Thun in sein Amt eingeführt wurde, hat jeder die Situation begriffen. Aber niemand will sie jetzt begreifen, weil bereits acht Wochen vergangen sind. Und ich sage
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Ihnen, dass Thun ein Mensch ist, von dem es gut ist, ihn als Freund zu haben, ihn jedoch als Gegner zu haben, wäre töricht. Er ist loyal, hat ein großes Verständnis für die Autonomie und die Bedürfnisse des Landes, er ist für die volle Gleichberechtigung usw., dass es mit diesem Parlament nicht geht, das ist seine volle Überzeugung, was dann sein wird, vederemo [ital.: werden wir sehen]. Thun besteht darauf, dass die Sprachenverordnungen ohne ausdrückliche Zustimmung der Tschechen und Deutschen nicht aufgehoben werden können. […] Und was wollen wir heute am Ende tun ? Herumlärmen ? Gut, das ist schnell gemacht, und wie geht es dann weiter ? Nur damit wir in zwei bis drei Jahren klüger sein werden und uns beruhigen ? Jetzt, wenn sich das ganze Deutschtum in Österreich zusammenschließt und erstarkt, ist die Politik, die wir machen, das einzig mögliche und ich halte daran fest.«347 Die Debatte über die Sprachenfrage zog sich hoffnungslos in die Länge und führte zu keinem politischen Resultat. Da die Sitzungen der Delegationen bald aufgenommen werden sollten, mussten die Beratungen des Reichsrates unterbrochen werden. Die letzte Sitzung des Abgeordnetenhauses vor der Sommerpause fand am 6. Mai 1898 statt. Franz Thun konnte resümieren, dass die gewalttätige Obstruktion der deutschen Parteien, die er so sehr gefürchtet hatte, nicht stattfand, dass allerdings die technische Obstruktion andauerte und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht wieder hergestellt werden konnte. Es blieb ihm somit nur die Hoffnung, dass das neuerliche Zusammentreten des Reichsrates am 1. Juni unter einem glücklicheren Stern stehen werde, wenn es ihm nämlich gelingen sollte, den vorgeschlagenen permanenten Sprachenausschuss zu konstituieren, auf dessen Boden die Nationen, allen voran die Deutschen und Tschechen (aber etwa auch die Deutschen und Slowenen, die Italiener und Slowenen, die Polen und Ukrainer usw.), zu einem positiven Abschluss gelangen werden. Seine Hoffnungen wurden nicht erfüllt. In Graz ereigneten sich dramatische Vorfälle, die zu einer massiven Verschlechterung des Klimas im Land führten, wodurch vor allem die Beziehung des Ministerpräsidenten zu den deutschen Parteien auf das Äußerste belastet wurde. Unruhen in Graz
Ende Mai 1898 wurde die ohnehin schon brüchige Stabilität des Reiches noch von weiteren katastrophalen Ereignissen erschüttert. Die Unruhen348 ließen die Erinnerung an die stürmischen Tage der Badeni-Krise im November 1897 von Neuem aufleben. Spannungen herrschten vor allem zwischen den deutschnationalen Studenten auf der einen Seite und den Angehörigen des bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiments Nr. 2. Die Kampagne gegen die Soldaten und Offiziere des Regiments trug ausgesprochen xenophobe Züge. Die Presse berichtete über die »Bosnier«, als handle
Unruhen in Graz
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es sich um Soldaten einer fremden Okkupationsmacht, die sich auf einer »niedrigeren kulturellen Stufe« befanden. Es kam zu Übergriffen auf die Soldaten und Offiziere, in den Gaststätten lehnte man es ab, die Soldaten auf Ausgang zu bedienen – Graf Thun als Innenminister wandte sich im April 1898 mit der Forderung an den Statthalter der Steiermark, jenen Gasthäusern mit dem Entzug der Konzession zu drohen, welche die Bewirtung der Soldaten verweigerten. Die Angriffe auf die kaiserlichen Soldaten wurden von großdeutscher und antiösterreichischer Symbolik und Rhetorik begleitet : Die Studenten sangen bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Wacht am Rhein bzw. das Bismarck-Lied, am Oberarm trugen sie Binden in den großdeutschen Farben. Anfang Mai 1898 nahm die nationale Leidenschaft in Graz noch zu – 33 deutsche Reserveoffiziere wurden aufgrund ihrer Teilnahme am Begräbnis eines Mannes degradiert, der im November 1897 Steine auf die kaiserlichen Soldaten geworfen hatte. Außerdem wurde Johann Gleispach, vormaliger Justizminister in der Regierung Badeni (und Mitunterzeichner der »verwünschten« Sprachenverordnungen) von der Regierung Thun auf kaiserlichen Wunsch hin zum Präsidenten des Obersten Landesgerichts in Graz ernannt, was als »Provokation des deutschen Volkes« verstanden wurde. Sowohl gegen die Degradierung der Reserveoffiziere als auch gegen die Ernennung Gleispachs erhob sich eine Welle des Protests. In dieser aufgeheizten Atmosphäre spielte am 17. Mai 1898 eine bosnisch-herzegowinische Militärkapelle in einem Grazer Gartenrestaurant. Hunderte deutschnatio nale Studenten störten die Darbietung mit Pfiffen, lauten Zwischenrufen wie Heil Germania und Abzug Bosniaken, und bewarfen die Kapelle mit Steinen. Das Konzert wurde zum hässlichen Zwischenfall – die Anzahl der Demonstranten wuchs auf rund 5.000 Personen an, aus einer Kaserne eilte die Bereitschaft in der Stärke einer Halbkompanie herbei, welche die mit Steinen beworfene Kapelle mit aufgepflanzten Bajonetten in die Kaserne zurückbrachte. Es war eine Reihe von Verletzten zu beklagen, vor allem Soldaten, und es hätte vielleicht nicht viel gefehlt, dass die sich bedroht fühlenden Soldaten zu den Waffen gegriffen hätten. Die Nachricht von diesem Ereignis wurde eilig nach Wien übermittelt. Kaiser Franz Joseph war im höchsten Maße entrüstet : Seine Soldaten waren beleidigt und mit Steinen beworfen worden. Er erachtete den Rückzug des Militärs vor der Menge als unwürdig. Verärgert und entrüstet stellte er die Frage, »warum gegen die Steinwerfer, durch welche einzelne Leute verletzt wurden, nicht mit der Waffe, eventuell auch mit der Schußwaffe, vorgegangen wurde.«349 Ebenso entrüstet war der Ministerpräsident und Minister des Innern, Graf Thun, der dem steirischen Statthalter die Frage stellte, warum bei den Unruhen von der Polizei nur neun Personen in Haft genommen worden waren, warum die städtischen Organe in Graz keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen und die Zusammenrottung
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einer solch großen Menschenmenge überhaupt zugelassen habe, wodurch das Prestige jener Ämter beschädigt worden sei, die nicht in der Lage gewesen seien, gegen diese Exzesse entsprechend vorzugehen. Aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Regierung (nur Handelsminister Baern reither war dagegen) erhielt der steirische Statthalter die Weisung, den Grazer Stadtrat aufzulösen und den Bürgermeister aus seinem Amt abzuberufen. In Graz, der zweitgrößten deutschen Stadt Österreichs, wurde die Selbstverwaltung aufgehoben und ein Regierungskommissar eingesetzt. Deutscher Aufruhr gegen Thun
In ganz Österreich erhob sich ein politisch motivierter Sturm der Entrüstung gegen die Regierung Thun. Die Vertreter von 151 deutsch-böhmischen Städten und Gemeinden (darunter 50 Bürgermeister) trafen einander am Ostersonntag im böhmischen Reichenberg und bekundeten gegenüber dem abgesetzten Grazer Stadtrat ihr Wohlwollen. Das Grazer Tagblatt druckte eine Woche lang Dutzende und Hunderte Telegramme, dann auch Briefe, Huldigungsadressen, Grüße in Reimform, Danksagungen von deutschen Gemeindevertretern, Vereinen, nationalen Kooperationen und Einzelpersonen. Überwiegend sind sie in einem gereizt-überheblichen Ton gehalten, gleichsam, als hätten die Grazer Stadträte und ihr Bürgermeister einen heldenhaften Kampf mit der Regierung Thun auszufechten. In all diesen Schreiben wurde »die leuchtende Tat, für die Wahrung deutschen Volksrechtes«, die »dargetane Unerschrockenheit im Kampf um Sein oder Nichtsein des Deutschtums in der Ostmark«350 usw. gefeiert. In dieser Atmosphäre trat am 1. Juni 1898 nach einer aufgrund der Abhaltung der österreichisch-ungarischen Delegationenverhandlungen bedingten Sitzungsunterbrechung der Reichsrat wieder zusammen. Es konnte keinen Zweifel darüber geben, dass er nach den Ereignissen in Graz im Zeichen des allgemeinen Angriffes von deutscher Seite gegen die Regierung Thun stehen würde. Von dem gegen die Regierung gerichteten deutschen Tumult auf dem Boden des Parlaments berichteten beinahe alle Zeitungen. Die mächtige Neue Freie Presse richtete am 30. Mai 1898 einen Leitartikel gegen den Ministerpräsidenten : »Verbittert durch die strengen Maßregeln gegen den Grazer Gemeinderat kommen die deutschen Abgeordneten zurück, und drängender wird die Frage an den Minister-Präsidenten gerichtet werden, wie er die Arbeitsfähigkeit des Parlaments durch gesetzliche Mittel herstellen werde. Graf Thun kann doch nicht seinen Ehrgeiz damit befriedigen wollen, daß er die Uniform, Achselbänder und Sterne der obersten Rangklasse trägt. […] Die Strenge gegen Graz war nach der Milde gegen Prag ein offenbarer Mißgriff […].«351
Vergleich : Graz und Prag
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Die Sitzung des Abgeordentenhauses begann so, wie es zu erwarten gewesen war : mit einer Flut von Interpellationen und Dringlichkeitsanträgen betreffend die Auflösung des Grazer Stadtrates, der Degradierung der 33 deutschen Reserveoffiziere und der Ernennung von Gleispach zum Präsidenten des Oberlandesgerichts. Die Abgeordneten sprachen von einer bewussten Provokation der deutschen Bevölkerung, stürmische Szenen spielten sich ab und es wurden derartig derbe Ausdrücke geäußert, dass der Vorsitzende Fuchs die Stenographen anwies, diese nicht ins Protokoll aufzunehmen. Vergleich : Graz und Prag
Die deutschen Abgeordneten verglichen oftmals die angebliche »Nachgiebigkeit« der staatlichen Organe bei den Ausschreitungen in Prag vom November 1897 mit der »Strenge« in Graz im Mai 1898. Die an der Debatte teilnehmenden jungtschechischen Abgeordneten behaupteten allerdings das Gegenteil. Die Ereignisse in Prag und Graz hatten einen jeweils anderen Charakter. In Prag gipfelten die Demonstrationen gegen die Aufhebung der Badenischen Sprachenverordnungen und die Angriffe auf die tschechische Minderheit in Saatz in einen Angriff von am Rande der Gesellschaft stehenden Gruppen gegen die deutsche und jüdische Bevölkerung sowie deren Eigentum – im Grunde genommen steigerten sie sich zu Pogromen. In Graz waren die hauptsächlichen Träger des gewaltsamen Protests gegen das bosnisch-herzegowinische Regiment deutschnationale Studenten gewesen. Diese wurden anfangs von Sozialdemokraten unterstützt, gleichwohl wenn auch hier jener Teil der Bevölkerung in Erscheinung trat, der in den Berichten gemeinhin als »Pöbel« charakterisiert zu werden pflegte. In Prag war die Ordnung vom Militär wieder hergestellt und der Ausnahmezustand verhängt worden, in Graz richtete sich das Einschreiten der Regierung Thun gegen den deutschnationalen Stadtrat, der sich nicht nur mit den Angriffen auf die »Bosniaken«, sondern auch mit den auf den Korpskommandanten vorgetragenen Attacken solidarisierte. Aus dynastischer Sicht wogen die Unruhen in Graz schwerer als jene in Prag. Während es sich in Prag zunächst um eine nationalistische antideutsche Demonstration gehandelt hatte, die sich zu einem vom »Pöbel« aus dem Prager Ballungsraum verursachten antideutschen und antisemitischen Pogrom auswuchs, war der Träger der Demonstrationen in Graz vor allem die studentische Hochschülerschaft, der sich sozial deklassierte Elemente anschlossen. Deren Angriff richtete sich jedoch gegen die k. u. k. Armee und gegen die Dynastie : Immer wieder ertönte die großdeutsche Wacht am Rhein, Fahnen und Bänder zeigten die großdeutschen Farben, es waren Hochrufe auf Bismarck und Heil Germania-Rufe zu vernehmen, während sogar ein Bild von Franz Joseph geschändet wurde.
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Ende der XIV. Session des Reichsrates
Während die emotionale und propagandistisch aufgeladene Debatte im Abgeordnetenhaus fortgesetzt wurde, diskutierte die Regierung über die Antwort auf die Interpellation des Abgeordneten Victor Hochenburger betreffend die Auflösung des Grazer Stadtrates. Graf Thun legte am 4. Juni 1898 einen Vorschlag für eine resolute Antwort vor. Minister Baernreither sprach sich dagegen aus, weil er der Meinung war, dass eine solche Antwort die Abgeordneten noch mehr reizen würde. Die Regierung übertrug daraufhin Baernreither den Auftrag, eine Antwort auszuarbeiten, der eine um vieles gemäßigtere Version vorlegte. Kaum hatte die Regierung ohne weitere Diskussion dem Vorschlag Baernreithers zugestimmt, wurde Ministerpräsident Thun ein Schreiben von Franz Joseph zugestellt, der darin forderte, dass ihm die Antwort auf die Interpellation vorgelegt werden solle. Der Kaiser, der durch die Angriffe auf seine Soldaten überaus getroffen war, erachtete sie als ziemlich gemäßigt und ließ mitteilen, dass er sich einen schärferen Ton wünsche. Schließlich gab er nach langem Zögern und nur ungern seine Zustimmung, dass der Ministerpräsident die von Baernreither konzipierte Antwort im Abgeordetenhaus verlesen solle. Am 7. Juni machte sich Thun nur widerstrebend auf den Weg ins Parlament. Er wusste, dass der von ihm vorzulesende Text nicht die volle Zustimmung des Kaisers hatte und auch ihm wäre eine schärfere Antwort eher entgegengekommen. Am gleichen Tag aber wandte der Alldeutsche Schönerer eine neue Form der Obstruktion an : Er legte Unterstützungerklärungen (alle gleichen Inhalts) für ihn vor, die von 51.674 Personen unterschrieben worden waren, und verlas die Namen der 2.183 Gemeinden, die sich der Aktion angeschlossen hatten. Präsident Fuchs entzog Schönerer das Wort, als dieser gerade den 88. Ortsnamen vorgelesen hatte, worauf dieser verkündete, weiterlesen zu wollen. Thun, einerseits entrüstet über Schönerers Verhalten und über die chaotischen Zustände im Abgeordnetenhaus, andererseits wiederum froh darüber, die Antwort auf die Interpellation nicht vorlesen zu müssen, packte seine Sachen und verließ das Parlamentsgebäude. Aufgrund des Fronleichnamsfestes sollte der Reichsrat seine Sitzung erst wieder am 14. Juni aufnehmen. Dazu kam es aber nicht. Es war offenkundig, dass die Obstruktionspolitik gegriffen hatte und es keine Hoffnung gab, dass die wichtigen Regierungsvorlagen angesichts des aggressiven Vorgehens der deutschen Parteien behandelt werden würden. Am 12. Juni 1898 entschloss sich die Regierung bei einer vom Kaiser selbst geleiteten Besprechung dazu, die Sitzung des Abgeordnetenhauses zu verschieben, womit die xiv. Session des Reichsrates beendet war.
Thuns Vorschlag für ein Sprachengesetz
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Thuns Vorschlag für ein Sprachengesetz
Nachdem sein Vorgehen im Parlament nicht von Erfolg gekrönt war, suchte Franz Thun nach einem anderen Weg. Er wollte die Sprachenfrage in Böhmen und Mähren mittels kaiserlicher Verordnung lösen – also auf der Grundlage des § 14 (Paragraph 14 der Dezemberverfassung aus dem Jahr 1867 ermöglichte der Regierung in einer sitzungfreien Zeit des Reichsrates die Herausgabe einer kaiserlichen Verordnung im Gesetzesrang.) Thun beabsichtigte, den Tschechen und Deutschen die Grundzüge des Sprachengesetzes vorzulegen, das sich auf den Zuständigkeitsbereich der dem Innen-, Justiz-, Finanz-, Ackerbau- und Handelsministerien untergeordneten Ämter erstrecken sollte. Das Gesetz erklärte die beiden Landessprachen für grundsätzlich gleichberechtigt, sollte allerdings einen differenzierten Geltungsbereich haben – entsprechend der nationalen Zusammensetzung der einzelnen Landesteile. Das ganze Gebiet Böhmens sollte dabei in fünf Zonen unterteilt werden : 1. rein tschechisch, 2. rein deutsch, 3. überwiegend tschechisch, 4. überwiegend deutsch, 5. gemischt. Die Einteilung sollte immer auf der Grundlage der vorangegangenen Volkszählung angepasst werden. Die Stremayr’sche Sprachenverordnung aus dem Jahr 1880, wonach alle Landesämter Eingaben in den beiden »landesüblichen« Sprachen annehmen sollten, sollte weiterhin in Geltung bleiben. Sämtliche Landesämter sollten in sprachlicher Hinsicht gemischt sein.352 Graf Thun hatte die Absicht, Deutschen wie Tschechen die Grundzüge für ein Sprachengesetz (somit also seine Thesen bzw. seinen Entwurf ) vorzulegen, damit sie darüber in der ersten Julihälfte 1898 diskutieren und sich im Anschluss dazu äußern konnten. Dies war aber keineswegs einfach, denn sowohl die Tschechen als auch die Deutschen hatten bereits »doktrinäre Vorbehalte« angemeldet. Bei den Jungtschechen herrschte die Meinung vor, dass einzig der Landtag die entsprechende Institution für die Lösung der Sprachenfrage in Böhmen sei, somit also die Landesgesetzgebung, weshalb ihnen eine Lösung mittels einer kaiserlichen Verordnung nicht entsprechend erschien. Nichtsdestotrotz entsandten die Jungtschechen nach konkreten Verhandlungen eine Delegation, die sich Thuns Vorschläge anhörte. Deren Mitglieder sprachen am 1. Juli zunächst mit Minister Kaizl, dann mit Ministerpräsident Thun.353 Seitens der deutschen Parteien bekundeten die Vertreter des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes ihre Bereitschaft, mit dem Ministerpräsidenten in Verhandlungen treten zu wollen, also eine Partei, die zwar dem »deutschen Lager« angehörte, die jedoch als gemäßigt und als »österreichisch staatsbildend« galt. Darüber hinaus war diese Partei in der Person von Handelsminister Baernreither im Kabinett Thun vertreten. Die anderen deutschen Parteien lehnten das Gespräch über Thuns Vorschläge unter Berufung auf den »Schwur von Eger« bis zur Aufhebung der Sprachenverordnungen ab und waren bis zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, auch nur darüber zu reden.
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Graf Franz Thun an der Spitze der Regierung
Am 20. Juli 1898 erklärte Ministerpräsident Graf Thun, dass er die vertraulichen Verhandlungen mit den Vertretern der Tschechen und Deutschen nicht weiter fortsetzen werde, da die Repräsentanten der beiden »Volksstämme« die Einladung zu einer gemeinsamen Konferenz über die Sprachenfrage abgelehnt hätten. Unterdessen wurde die Ausgleichsfrage mit Ungarn, die alle anderen Themen in den Hintergrund treten ließ, immer akuter.
Kapitel 11
Thuns Ausgleichsmartyrium
Ausgleichskonferenz im kaiserlichen Bad Ischl
Der österreichisch-ungarische Ausgleich hatte für die Habsburgermonarchie eine geradezu existentielle Bedeutung. Der Ministerpräsident wusste nur allzu gut, dass die Auswirkungen unabsehbar wären, wenn es nicht gelingen sollte, ein Übereinkommen zwischen den beiden Reichshälften herbeizuführen. Am 2. Mai 1898 wurde in einer Sitzung des Kabinetts Thun offen über die Gefahr gesprochen, dass es zu einer wirtschaftlichen Trennung kommen könnte, die in weiterer Folge zum Zerfall der Monarchie in zwei »Mittelstaaten« führen würde.354 Die politische Verantwortung für die Verhandlungen lastete auf Ministerpräsident Thun. Zur Seite stand ihm vor allem der Finanzminister und Jungtscheche Josef Kaizl, welcher sich in der umfangreichen Materie ausgezeichnet zu orientieren verstand. Beide – Ministerpräsident und Finanzminister – waren entschiedene Befürworter der wirtschaftlichen Einheit des Reiches und traten nachhaltig für die Beibehaltung der wirtschaftlichen Einheit sowie für das Staatenbündnis mit Ungarn ein. Die Verhandlungen über den österreichisch-ungarischen Ausgleich waren von 12. bis 15. August 1898 im kaiserlichen Sommersitz in Bad Ischl anberaumt, wo die Delegationen beider Länder unter dem Vorsitz des Kaisers (und Königs) zusammentrafen. Thun wusste, dass ihn sehr harte Verhandlungen erwarten, die für das Reich schicksalhaft sein könnten. Am 9. August schrieb er an Anna nach Tetschen : »Ich bin sehr fleißig, schreibe mir die Finger ab und habe außerdem Berathungen mit Kaizl und Baernreither. […] Heute erhielt ich eine Depesche von Ischl, welche den Befehl enthält, sobald die schriftlichen Propositionen Ungarns da sind, und der Ministerrath hierüber abgehalten ist, gleich nach Ischl zu kommen. Ich dürfte demnach Donnerstag abends mich dahin begeben. Da Bánffy die Absicht hat, Sonntag dort zu sein, [will ich] diesmal 2 Tage dort bleiben. Ich fürchte, es werden harte Tage werden, es wird sich darum handeln den Kaiser zu überzeugen, Ungarn gegenüber Festigkeit zu bekunden. Gebe Gott seinen Segen.«355 Am folgenden Tag schrieb Thun erneut nach Tetschen : »Der Kaiser will nichts von der Nachgiebigkeit gegen Ungarn wissen. […] Ich werde voraussichtlich zwei Tage in Ischl bleiben. […] Gott erleuchte mich, daß ich mit beitrage zur Klärung der schweren Situation.«356 Das Schreiben vom 11. August zeugte bereits von den sich steigernden Spannungen. Bánffy unterbreitete nämlich den Vorschlag, zwischen Österreich und Ungarn
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keinen Vertrag über eine Zoll- und Wirtschaftsunion abzuschließen, sondern trat dafür ein, die bislang geltenden Bestimmungen auf der Grundlage der Reziprozität beizubehalten, und zwar dergestalt, dass in Ungarn und Österreich ein eigenständiges Gesetz verabschiedet werden sollte. Beinahe pathetisch schreibt Thun : »Es werden schwere Tagen werden : der Conflikt zwischen mir und Bánffy ist vorhanden, gebe Gott, daß ich – das heißt Österreichs Wohl – Sieger bleibe. Ich will beim Ausgleich die Gemeinsamkeit, Bánffy arbeitet auf die Trennung.«357 Thun reiste am 12. August nach Bad Ischl. Er besprach sich mit dem Monarchen, der sich, wie es Thun schien, um jeden Preis wünschte, die Einheit der beiden Reichshälften zu erhalten. Etwas skeptisch vermerkte er dazu : »[…] ob er seinen Willen bei Bánffy durchsetzen wird, ist die Frage !«358 Am 13. August traf der ungarische Ministerpräsident in Bad Ischl ein. Umgehend wurde er vom Kaiser empfangen, der mit ihm den ganzen Vormittag über konferierte. Beim gemeinsamen Mittagessen mit Thun charakterisierte Franz Joseph Bánffy als sehr unnachgiebig. Auch Thun sprach mit dem ungarischen Ministerpräsidenten und schilderte die Eindrücke von diesem Gespräch seiner Frau : »Ich war gerade eine Stunde bei ihm und habe morgen früh Fortführung der Conversation. Ich fand ihn ebenfalls ganz starr auf seinen Ansichten beharren. Er will nicht nachgeben, befürchtet es nicht thun zu können ; sagt, daß er demissionieren müsse, wenn seine Propositionen nicht angenommen werden – diese kann aber weder ich, noch Goluchowski acceptieren ; auch der Kaiser scheint dies bisher nicht zu thun.«359 Auch diese Formulierung zeigt, dass sich Thun nicht ganz sicher sein konnte, ob der Kaiser gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten nicht nachgeben werde. Franz Joseph hatte seit dem Ausgleich des Jahres 1867 die Tendenz dazu, gegenüber den ungarischen Politikern zu Konzessionen bereit zu sein, auch wenn er vielleicht wusste – oder es wissen konnte –, damit einer Lockerung der Einheit des Reiches Vorschub zu leisten. Andererseits jedoch hätte auch das Beharren auf einer unnachgiebigen Position eine Krise auslösen können, welche die Einheit des Reiches ebenso in Gefahr gebracht hätte. Franz Joseph hatte vor der Geradlinigkeit der ungarischen Politiker Respekt und scheute die direkte Konfrontation. Trotz aller Ergebenheit zu seinem Herrscher ahnte Thun dies. Am Schluss seines Schreibens findet sich gänzlich unerwartet und zusammenhanglos ein Satz, der darauf hindeutet, wovor er sich fürchtete : »Wenn nur der Kaiser nicht schwankt !«360 Am 14. und 15. August erreichte die Konferenz in Bad Ischl ihren Höhepunkt. In der kaiserlichen Sommerfrische trafen die Ressortverantwortlichen der gemeinsamen Ministerien Gołuchowski und Kállay sowie die cisleithanischen Minister Kaizl und Baernreither ein. Besprechung folgte auf Besprechung. Der Kaiser lud die Verhandlungsrunde an den »Familientisch«, an dem die Töchter des Kaisers, die Erzherzoginnen Marie Valerie und Gisela, deren Ehemänner und weitere Erzherzöge und Erz-
Erfolglose Verhandlungen in Budapest
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herzoginnen anwesend waren. Franz Thun schreibt an seine Frau Anna im gelöstem Unterhaltungston, dass »Freund Kaizel [sic !] gründlich ißt !«361 Wahrscheinlich wollte sich der tschechische Minister, wenn er schon das Martyrium der Ausgleichsverhandlung auf sich nehmen musste, mit übermäßig großen Portionen von der kaiserlichen Tafel schadlos halten. Die Verhandlungen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten waren, wie Thun anführte, ungemein hartnäckig und die Ministerpräsidenten beider Reichshälften gelangten zu keinem Ergebnis. Sie kamen nur darin überein, die Verhandlungen am 24. August in der ungarischen Hauptstadt fortzusetzen. Bánffy äußerte angeblich die Hoffnung, dass es dort gelingen werde, zu einer Übereinkunft zu kommen. Thun antwortete, zumindest berichtete er es so seiner Frau, einzig unter der Voraussetzung, wenn damit nicht die Einheit der Monarchie bedroht werde. Thun sagte zu, den Reichsrat bis Ende September einzuberufen, was er nur sehr ungern tat : »Das ist gar keine beglückende Perspektive, ich werde dieses Opfer aber bringen müssen. Stünde Österreich nicht am Spiele durch eine solche Trennung, würde ich nicht so nachgiebig sein.«362 Die Verhandlung in Bad Ischl endete, wie Thun resümierte, ergebnislos, aber, wie er hinzufügte, auch ohne politisches Zerwürfnis.363 Er kehrte in das aufgeheizte Wien zurück, denn der August 1898 war außergewöhnlich heiß. Neben dem Umstand, dass es ihm nach dem Misserfolg der Gespräche von Bad Ischl so vorkam, als stünde nun »das Schicksal Österreichs«364 auf dem Spiel, bedrückte ihn auch noch eine andere Sache – seine Frau klagte über intensive und hartnäckige Kopfschmerzen und über Einsamkeit. Am 18. August feierte man den Geburtstag des Kaisers. Dem Ministerpräsidenten machte die Hitze zu schaffen, die Arbeit ging ihm nicht recht von der Hand und so entschloss er sich, in den Prater zu fahren. Der Park war voller Menschen, die Hauptallee hell erleuchtet, die Leute waren mit ihren Kindern unterwegs, die mit »vaterländischen Emblemen« geschmückte Lampions trugen. Er traf einige Freunde, die wie er dem Adelsstand angehörten, und nahm im Vergnügungspark »Venedig in Wien« an einer Vorstellung teil. Mit einigen Ministerkollegen leerte er in der Bar Antoinette eine Flasche Champagner. In seine »Amtswohnung«, somit in das Gebäude des Innenministeriums in der Wipplingerstraße, kehrte er eine halbe Stunde vor Mitternacht zurück.365 Erfolglose Verhandlungen in Budapest
Am 24. August begab sich der Ministerpräsident zusammen mit seinen Ministern Baernreither und Kaizl nach Budapest. Die Fahrt dorthin verlief für ihn, wie er nach Tetschen schrieb, gut, reiste er doch im Salon-Schlafwagen. Angenehm war auch
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das »Frühstück im Freien«, bei dem der Ministerpräsident und seine Minister noch einmal ihre Argumentationslinie durchgingen. Damit erschöpften sich auch schon die angenehmen Erlebnisse, die im Zusammenhang mit der Fahrt in die ungarische Hauptstadt standen. Sie trafen sich mit ihren ungarischen Partnern – Ministerpräsident Bánffy, Finanzminister Laszlo Lukacz und Handelsminister Ernst Dániel. Nach dem ersten Verhandlungstag zweifelte auch der Optimist Thun daran, dass es zu irgendeiner Verständigung kommen werde. Der zweite Tag der österreichisch-ungarischen Ausgleichsverhandlungen verlief beileibe nicht besser. Dazu Thun : »Die ungarischen Herren haben uns recht schön reden lassen, dann aber einfach erklärt[,] unter keinen Umständen eine Änderung ihrer Propositionen zuzulassen. Da hört die Verhandlung auf ! Ich sagte dies auch unverblümt.«366 Thun teilte weiter mit, dass er zu den Vorschlägen erst den Standpunkt der ganzen Regierung einholen müsse, dass eine Diskussion seiner Meinung nach allerdings einzig nur dann geführt werden könne, wenn die entsprechenden regulierenden Quoten garantiert werden und die Vereinbarung nicht nur bis zum Jahr 1903 (wie die ursprüngliche Forderung gelautet hatte), sondern bis zum Jahr 1907 gelten. Aus dem weiteren Teil des Briefes, den er von Budapest nach Tetschen schickte, zeigt sich, wie kritisch Thun die Situation einschätzte : Der Kaiser stehe vor einer schweren Wahl. Entscheidet er sich »für uns« (das heißt für den Standpunkt der Regierung Thun), müsse Bánffy demissionieren. Der Repräsentant einer großen ungarischen Partei würde als populärster Mann Ungarns aus dem Amt scheiden und weit und breit stünde niemand bereit, der ihn ersetzen könne. Die ungarische Opposition sei furchtbar schwach und verfüge über keinen geeigneten Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. In Ungarn wäre überdies der Ausbruch unhaltbarer Zustände zu befürchten. Wenn also der Kaiser, so folgert Thun, für den ungarischen Standpunkt Partei ergreife, müssten wir uns damit abfinden und uns zumindest darum bemühen, einigen der ungarischen Vorschläge die Härten zu nehmen. Thun ging also davon aus, dass der Kaiser gegenüber den ungarischen Politikern nachgeben werde (wie er es seit dem Jahr 1867 mehrmals getan hatte und wie er es in Zukunft auch noch mehrmals tun sollte). Thun erklärte seiner Frau, warum er nicht von seinem Amt zurücktreten werde. Aus seiner Erklärung wird deutlich, in welch tiefer Krise sich die Monarchie befand : »Freilich können auch wir demissionieren, weg gehen, den Kaiser in der Patsche lassen ist leicht, Du kennst mich genug, daß so ein Vorgehen meiner Kaiserliebe nicht entspricht und daß ich gehorsam und treu dienen werde, solange ich es nur halbwegs zu thun in der Lage bin. Umsosehr mehr als der Kaiser unter der Last der Sorgen schwer zu leiden scheint. Er hat neuerlich vielmals das Wort der Abdication fallen lassen. Es wäre traurig, wenn sich dieser Gedanke[,] so menschlich begreiflich er ist, festsetzen würde.«367
Unterbrechung des Ausgleichsmarathons
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Thuns Hinweis auf den – wenn auch vielleicht nur beiläufig ausgesprochenen – möglichen Rücktritt Franz Josephs im Jahr 1898 überrascht und ist bislang nicht bekannt gewesen. Die Erwähnung der Rücktrittsabsicht des Kaisers hätte – wäre sie öffentlich gemacht worden – unabsehbare Folgen haben können. Thun war sich dessen bewusst, weshalb er an seine Frau schrieb : »Dieser Brief ist noch mehr unbedingtes Geheimnis als alle anderen.«368 Unterbrechung des Ausgleichsmarathons
Sobald Franz Thun zusammen mit seinen Ministern nach Wien zurückgekehrt war, begab er sich unverzüglich nach Schönbrunn, um über die Verhandlungen in der Hauptstadt der anderen Reichshälfte Bericht zu erstatten. Wie Thun an seine Frau berichtete, teilte der Monarch seine Meinung, dass es nicht – wie die ungarischen Verhandler vorgeschlagen hatten – genüge, dass der Ausgleich nur bis zum Jahr 1903 in Geltung sein solle. Weiters teilte er mit, dass der Kaiser im Hinblick auf die Quote »an unserer Seite« stehe (und somit den Standpunkt Thuns und seiner Regierung teilte). Skeptisch fügte er allerdings hinzu, dass es sehr zweifelhaft sei, ob er seinen Willen durchsetzen könne. Thun war sich hinsichtlich des Standpunktes des Kaisers nicht im Geringsten sicher. Die Regierungssitzung vom 26. August dauerte vier Stunden. Wie Thun nach Tetschen schrieb, sprach Baernreither fortwährend von seinem Rücktritt. Verständlicherweise war Thuns Verhältnis zu den deutschen Parteien angespannt und es war davon auszugehen, dass es sich im Zusammenhang mit den österreichisch-ungarischen Ausgleichsverhandlungen noch weiter verschlechtern würde. Thun merkte dazu an, dass Baernreithers Demission für ihn sehr unangenehm sei, weil als Begründung für seinen Rücktritt angenommen werden würde, er, also der Ministerpräsident, regiere »gegen die Deutschen«.369 Am 27. August lud er die Mitglieder seiner Regierung ins Hotel Sacher zu einem Dinner. Vor Anna rühmte er sich damit, wie erfolgreich er sei und zählte begeistert die Speisenfolge und die konsumierten Getränke auf. Unzweifelhaft bemühte er sich darum, die gute Stimmung innerhalb der Regierung, die sich mit Angriffen seitens der deutschen Presse konfrontiert sah, zu bewahren.370 Auch zeigte er sich erfreut darüber, dass er etwas organisiert hatte, das gelungen war und das seinen Gästen und auch ihm Vergnügen bereitete – denn am übernächsten Tag erwartete ihn die Fortsetzung des »Ausgleichsmarathons«, von dem – so wie die Dinge lagen – nicht zu erwarten war, dass er mit einem Ergebnis endet, das allgemein als Erfolg verstanden werden würde. Man ist beinahe versucht, die österreichisch-ungarischen Ausgleichsverhandlungen als gesellschaftlichen pathologisch-politischen Prozess zu bezeichnen. Sie schleppten sich endlos lang dahin und beeinträchtigten das ganze politische System in beiden Reichshälften.
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Thuns Ausgleichsmartyrium
Am 28. August fand also unter dem Vorsitz des Kaisers eine Konferenz statt, an der die beiden Ministerpräsidenten (Thun, Bánffy), deren Finanzminister (Kaizl, Lukacz) und von österreichischer Seite noch Handelsminister Baernreither teilnahmen. Dabei gelang doch ein gewisser »Durchbruch«, welcher für gewöhnlich als die sogenannte »Ischler Formel« bezeichnet wird, eine Formulierung, die vom ungarischen Ministerpräsidenten Bánffy vorgeschlagen wurde. Diese war als Kompromiss der ungarischen Forderungen und dem Standpunkt der Regierung Thun gedacht, und anerkannte die Notwendigkeit des Erhalts der wirtschaftlichen Einheit des Reiches. Während nach der ursprünglichen ungarischen Forderung im Jahr 1903 Ungarn »automatisch« ein selbstständiges Zoll- und Handelsgebiet werden sollte – sofern es bis zu diesem Zeitpunkt nicht zum Abschluss eines Vertrages über die Schaffung eines Zoll- und Handelsbündnisses gekommen war –, sollten nach der »Ischler Formel« bzw. der »Bánffy Formel« die bisherigen Bestimmungen weiterhin in Geltung bleiben, sofern es bis zum 31. Dezember 1903 nicht zu einer definitiven Regelung kommen sollte. Thun und sein Minister Kaizl taten unbestreitbar alles in ihrer Macht Stehende. Selbst wenn der Ministerpräsident und seine Minister hartnäckiger verhandelt hätten, wären sie dennoch in keiner stärkeren Position gewesen. Ihren Rücken stärkte kein Parlament, auf das sie sich – so wie ihre ungarischen Verhandlungspartner – hätten berufen können. Die Rücksichtnahme auf die Einheit des Reiches und die Wünsche des Kaisers schwächten ihre Verhandlungsposition zusätzlich. Am 30. August 1898 meldete Thun nach Tetschen, dass die Regierung offiziell bestätige, unter dem Vorsitz des Kaisers eine Übereinkunft erzielt zu haben und dass sich die Nachricht darüber am folgenden Tag in der Presse finden werde. Er war davon überzeugt, »daß wir der Monarchie einen großen Dienst erwiesen und die Gemeinsamkeit erhalten haben, denn diese war sehr gefährdet.«371 Thun verteidigte das Werk seiner Regierung, das ihn – wie sicherlich auch seinem Minister Kaizl – viel Energie gekostet hatte. Mit einer allgemeinen Zustimmung konnte er nicht rechnen, eher mit dem Gegenteil. Die Opposition der deutschen Parteien wurde nur noch mehr gestärkt, vor allem als sie erfuhr, dass der Ausgleich am Ende mittels des »absolutistischen« Paragraphen 14 beschlossen werden sollte. Der deutsche Minister Baernreither kündigte an, aus dem Kabinett ausscheiden zu wollen. Mit Despekt äußerte sich Thun, dass Baernreither keinen anderen Grund zur Demission habe, als dass die deutschen Parteien wieder und wieder auf die Regierung schimpften, dass er einen schlechten, leicht zu beeinflussenden Charakter habe und sich nur schwer entscheiden könne.372 Seiner Frau klagte der Ministerpräsident, dass es ein wahres Unglück sei, in der Regierung einen Minister zu haben, der ständig über den eigenen Rücktritt rede. Baernreither sagte ihm jedoch zu, bis zur nächsten Session des Reichsrates, die am 26. September beginnen sollte, im Amt bleiben zu wollen. Thun hoffte jedoch, dass er
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es sich vielleicht überlegen werde, weil, wie er machomäßig schrieb, »er ist wie eine Frau[,] schwankend und unentschlossen.«373 Anna forderte er sogleich dazu auf, diese Charakterisierung nicht persönlich zu nehmen – denn unter allen Frauen sei sie die Ausnahme. Erneute Einberufung des Reichsrates
Am 2. September 1898 wurde ein kaiserliches Patent erlassen, in dem das Zusammentreten des Reichsrates für den 26. September verfügt wurde. Thun beriet die Gründe für die Einberufung des Reichsrates mit dem Monarchen und berichtete im Anschluss seiner Frau über den Inhalt des Gespräches : »Die Einberufung des Reichsrathes für den 26ten war natürlich Hauptthema des Gespräches wie es sich entwickelte. […] Der Kaiser glaubt ebensowenig wie ich[,] daß der Reichsrath arbeitsfähig sein wird. Bevor es nun aber dazu kommt alles auf Grund des § 14 zu machen, muß der Reichsrath doch noch normal einberufen werden. Die Sitzungen werden odiös und die Grobheiten zahlreich zu hören sein. Die Zeitungen preludieren schon regend !«374 Thun hatte sich gegenüber seinen ungarischen Verhandlungspartnern zur Einberufung des Reichsrates verpflichtet. Auch wenn die »Billigung« des österreichisch-ungarischen Ausgleichs durch das Parlament wenig Aussicht auf Erfolg hatte, so sollte er ihm doch zumindest zur »Behandlung« vorgelegt werden. Thuns (vom Kaiser unterstützte) Plan war simpel : die Vorlage des Entwurfs zum Ausgleich zieht erneut Obstruktionsmaßnahmen des Abgeordnetenhauses nach sich, der Reichsrat wird vertagt und die mit der ungarischen Regierung getroffenen Vereinbarungen werden aufgrund des »absolutistischen« § 14 angenommen. Wie sehr auch der Wunsch Thuns am Beginn seiner Amtszeit gestanden hatte, im Einklang mit dem Parlament regieren zu wollen, führte doch die weitere Entwicklung dazu, dass sein Kabinett zum Vorreiter für ein Regieren mit Hilfe des »absolutistischen« Paragraphen 14 werden sollte. Erstmals war er vom Kabinett Thun im Juni 1898 angewandt worden, während der gesamten Amtszeit wurde insgesamt 29 Mal darauf zurückgegriffen – öfter als unter allen bisherigen Regierungen zusammen. Thun blieb keine andere Möglichkeit, da das Parlament durch die Obstruktionen gelähmt war und der Staat dennoch funktionieren musste. Die deutsche Opposition ging von der Annahme aus, dass es gelingen werde, Thuns Regierung zu stürzen, wenn die Billigung des österreichisch-ungarischen Ausgleichs durch das Parlament aufgrund der Obstruktionspolitik nicht erfolge. Sie war der Auffassung, dass eine Annahme der Ausgleichsvereinbarung aufgrund des Paragraphen 14 nicht möglich sei. Allerdings hatte sie in Erfahrung gebracht, dass dies mit der Einwilligung der ungarischen Regierung dennoch erfolgen könne und dass somit die parlamentarische Obstruktion kein taugliches Mittel zur Verhinderung der
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Thuns Ausgleichsmartyrium
Annahme sei. In den Reihen des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes wurde daher der Gedanke ventiliert, die Annahme des Ausgleichs nicht durch die Anwendung von Obstruktionsmaßnahmen sowie die darauf folgende Vertagung des Parlaments und die Annahme durch die Regierung auf der Grundlage des § 14 zu begünstigen, sondern die Vorlage bei der Lesung zur Behandlung an die parlamentarischen Ausschüsse zu verweisen und die Verhandlung dort in die Länge zu ziehen, das heißt die Obstruktionspolitik auf einer anderen Ebene fortzusetzen. Franz Thun erfuhr Anfang September von dieser »Taktikänderung«. Anna schrieb er nach Tetschen, dass »einige besonders teuflische Menschen« versuchten, den Ausgleich in die Ausschüsse zu verweisen und ihn dort durch Obstruktionsmaßnahmen aufzubehalten. Dazu merkt er an : »Das wäre sehr gefährlich !«375 Ermordung der Kaiserin in Genf
Das Jahr 1898, in dem der 50. Jahrestag der Thronbesteigung des Kaisers begangen wurde, sollte ein außergewöhnlich feierliches Jahr werden. Der Ministerpräsident hatte alle Hände voll damit zu tun, eine Auswahl unter jenen zu treffen, die im Zusammenhang mit dem Jubiläum ausgezeichnet werden sollten, denn die Frage, wer welchen Orden oder welche Auszeichnung erhalten sollte, stellte ein bedeutendes Politikum dar. Dann aber traf eine schockierende Meldung ein. Am 10. September 1898 sandte er ein eilig verfasstes Schreiben nach Tetschen : »Liebster Schatz ! Armer, armer Kaiser ! Die Kaiserin in Genf ermordet ! Die Nachricht traf im Ministerrath ein. Ich bin erschüttert bis ins tiefste Innere. Gott nehme meinen heißgeliebten Kaiser in Seinen Schutz und sei der Kaiserin ein gnädiger Richter. Ich bleibe jetzt hier, kann nicht nach Tetschen. Fahre gleich nach Schönbrunn.«376 Die Ermordung der unpolitischen Kaiserin schockierte und bewegte die breite Öffentlichkeit. Der Monarch wandte sich in einem auf den 16. September 1898 datierten eigenhändig verfassten Schreiben an den Ministerpräsidenten, in dem er für die erwiesenen Beileidsbekundungen dankte und gleichzeitig ankündigte, dass er sich dazu entschlossen habe, zum Andenken an die ermordete Kaiserin einen Frauenorden, den Elisabeth-Orden, zu gründen, mit dem das Recht verbunden sei, eine ElisabethMedaille zu tragen. Ohne auf diese Tragödie Rücksicht zu nehmen, ging die Politik ihren gewohnten Gang. Der Reichsrat nahm seine Sitzungen wieder auf, was für den Ministerpräsidenten keine angenehme Sache darstellte. Mit Sicherheit waren Angriffe zu erwarten auf die Regierung, seine eigene Person, vor allem aber wegen des beschlossenen österreichisch-ungarischen Ausgleichs und aufgrund der Absicht, ihn mit Hilfe des § 14 ratifizieren zu wollen. An eine Teilnahme an den regelmäßigen Jagden in sei-
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nen Tetschener Revieren war nicht einmal zu denken. Thuns Bruder Jaroslav war zur diesjährigen Jagd angereist und notierte am 25. September 1898 in sein Tagebuch : »Der arme Franz beginnt morgen – anstatt nach Tetschen fahren zu können – seinen unglückseligen Reichsrath – Gott helfe aus dieser Wirniß.«377 Der Reichsrat trat am 26. September 1898 zusammen. Nachdem den formalen Erfordernissen Genüge getan worden war, ergriff der Ministerpräsident in der 3. Sitzung des Abgeordnetenhauses das Wort. Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die neue Session »ersprießlicher Arbeit« gewidmet sein werde und ging gleich näher auf die Gründe ein, weshalb er den Reichsrat – wenn auch ungern – einberufen hatte : Es ging um den wirtschaftlichen Ausgleich mit der anderen Reichshälfte. Er betonte, dass die Kraft der Monarchie von deren Einheit abhänge und dass alle Anstrengungen unternommen werden müssten, um diese zu stärken. »Denn in der Einheit liegt die Kraft der Monarchie und die Wohlfart der Theile, in der Trennung der wirtschaftliche Niedergang beider Reichshälften und die schwerste unabwendbare Schwächung der Gesamtheit. (Rufe : Sehr richtig !)«378 Thun zeichnete ein düsteres Bild der wirtschaftlichen Folgen einer Trennung Österreich-Ungarns : eine schwere Krise der Industrie, Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Binnenmigration, Verlust von Märkten, Verlust der bisherigen Geschäftsverbindungen, Schäden in Millionenhöhe. Thun verteidigte in der Debatte die Anwendung einer kaiserlichen Verordnung, das heißt die Anwendung des § 14, zur Annahme des österreichisch-ungarischen Ausgleichs als logische Folge der »anormalen Zustände dieses hohen Hauses«, als eine im Einklang mit der Verfassung stehende unerlässliche Maßnahme. Thuns kurze Ansprache wurde gelegentlich durch Zwischenrufe der Abgeordneten Schönerer und Wolf unterbrochen. Auch der Wiener Bürgermeister und führende christlich-soziale Politiker Karl Lueger griff ihn scharf an. Jaroslav Thun vermerkte am 3. Oktober in seinem Tagebuch, dass Franz im Parlament »furchtbar verschimpft«379 worden war und am 4. Oktober sogar, dass er »nach den Reden der Opposition […] der größte Gauner der Welt« sei.380 Einen Mann, der auf seine persönliche Integrität besonderen Wert legte, beleidigte wahrscheinlich der Abgeordnete Otto Lecher (der im Oktober 1897 im Parlament eine zwölfstündige Obstruktionsrede gehalten hatte) am meisten, indem er andeutete, dass der Ministerpräsident der Anhebung des Steuersatzes auf Zucker nur deshalb zugestimmt habe, weil er als Besitzer einer Zuckerfabrik selbst daran verdiene. Heuchlerisch fügte er noch hinzu, dass er das Vorgehen des Ministerpräsidenten aus »Gründen der persönlichen Sicherheit« nicht so benennen könne, wie es sich geziehme. Aufgebracht durch den Angriff auf den verehrten Bruder kritzelte der ansonsten so korrekte Jaroslav an Lechners Adresse gerichtet in sein Tagebuch : »Feig ist er wie ein Hund !«381
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Franz Thun und der Ausnahmezustand in Galizien
Am 22. November 1898 gelangte im Abgeordnetenhaus ein weiteres Problem zur Behandlung, welches die Stabilität des Vielvölkerreichs erschütterte und mit dem sich die Regierung Thun eingehend befassen musste. Galizien wurde seit März 1898 von schweren sozialen Unruhen heimgesucht, die überdies auch einen antisemitischen Charakter trugen. Im Juni 1898 verhängte die Regierung in 33 Bezirken den Ausnahmezustand und in zwei Bezirken sogar das Standrecht. Der polnische Sozialdemokrat Ignacy Daszyński griff in einer stürmischen, mit Beschimpfungen gespickten Agitationsrede die staatliche und militärische Verwaltung, die Justiz, den polnischen Adel sowie die polnischen adeligen Abgeordneten an. Ministerpräsident Thun reagierte umgehend. Er entgegnete, dass die ganze Rede Daszyńskis von unqualifizierten und unstatthaften Beschimpfungen an die Adresse der politischen Verwaltung, der Justiz und der militärischen Ämter durchdrungen sei. Im weiteren Teil seiner Ausführungen ging Thun darauf ein, ob die Verhängung des Ausnahmezustandes im Einklang mit den Bestimmungen des Gesetzes vom 5. Mai 1869 stand. Nachdem er den Beweis erbracht hatte, dass die Verhängung außerordentlicher Maßnahmen durch das Ausmaß der Unruhen gerechtfertigt war, sprach er etwas aus, das sich in die Geschichte des österreichischen Parlamentarismus eingeschrieben hat. Weder vor Thun noch nach ihm hat je ein österreichischer Ministerpräsident dem Antisemitismus eine so eindeutige und klare Absage erteilt. Das war etwas Außerordentliches, gerade in jenem Parlament, in dem seit dem Beginn der 1890er Jahre eine sich offen zum Antisemitismus bekennende Partei – die Christlichsozialen Luegers – relativ stark vertreten war und wo es sich eine Reihe von Abgeordneten zur Angewohnheit gemacht hatte, sich nicht mit antisemitischen Beschimpfungen zurückzuhalten. Thun drückte sein Bedauern darüber aus, dass die Gendarmerie gezwungen gewesen war, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, nachdem sie mit Steinen und Sensen attackiert worden war, worauf eine Reihe von Opfern zu beklagen gewesen sei. Dann führte er weiter aus : »Das bedeutet aber nur, daß diese Bewegung nicht eine so unschuldige war und daß gerade, wenn das alles richtig ist, was der Herr Abgeordnete Daszyński sagte, daß es sich nämlich hier um eine bethörte, nicht hinlänglich gebildete Bevölkerung handelt, diese Erscheinungen umso ernster zu nehmen sind, weil gerade bei diesen Classen es dann außerordentlich schwer ist, darüber ins Reine zu kommen, wo eine solche Bewegung aufhört. Aber es handelt sich nicht darum, wo sie aufhört ; es ist schon das genügend, was geschehen ist. Sie hat sich gerichtet gegen die Angehörigen einer Religionsgesellschaft, gegen die Juden, und das sind vollkommen gleichberechtigte Bürger dieses Staates (Bravo !), und ob nun einer ein Jude oder ein Christ, ob er dieser oder jener Nationalität angehörig ist, ist es Pflicht und Aufgabe des
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Staates, denselben im vollsten Maße zu schützen und für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu sorgen. (Lebhafte Zustimmung rechts – Zwischenruf links.) […] Es ist meiner Ansicht nach das ein so natürlicher Grundsatz, daß, wenn irgend jemand im Hause diesen Grundsatz nicht theilen würde, ich das Gefühl hätte, er stünde auf einer minderen culturellen Stufe. (Beifall.) Und nun kam es soweit, daß, um die Ordnung herzustellen, das Standrecht verfügt werden mußte, eine der schrecklichsten Maßregeln, die überhaupt in unserer Gesetzgebung existiert (Rufe links : Und eine ungerechte) und Gott sei Dank eine gerechte und nothwendige. Wo Auswüchse sind, muß so vorgegangen werden ; denn der oberste Grundsatz ist, im Staate muß Ruhe sein und der einzelne Bewohner des Staates muß sich der Freiheit erfreuen können, die ihm der Staat eben einräumt und die er zu schützen verpflichtet ist. (Beifall rechts.)«382 Wie das stenographische Protokoll vermerkt, spendete der rechte Teil des Abgeordnetenhauses dem Ministerpräsident sehr »lebhaften« Applaus und gratulierte dem Redner. Jaroslav schrieb seinem Bruder von Kwassitz nach Wien, dass man im Kreis der Familie mit Interesse von »deine[r] großartige[n] Rede contra Daszynski« gelesen habe.383 Der Bumerang des österreichisch-ungarischen Ausgleichs
Am 17. Dezember 1898 wurde der Entwurf des österreichisch-ungarischen Ausgleichs endlich angenommen – allerdings nicht vom Parlament, sondern als auf ein Jahr befristetes Provisorium auf der Grundlage des § 14. Auch diese Notlösung befreite den Grafen Thun und seine Regierung nicht endgültig von dieser heimtückischen Last, die an ihren und schließlich auch an den Energiereserven des Reiches zehrte. Ein wahres politisches Drama spielte sich jedoch in Budapest ab, wo Bánffys Kabinett am 14. Februar 1899 stürzte und Koloman von Széll zum neuen Ministerpräsidenten ernannt wurde. Am 4. März 1899 fanden sich die ungarischen Minister in Wien ein, um die Ausgleichsverhandlungen erneut aufzunehmen. Sie forderten die Streichung der am 30. August 1898 mühsam ausverhandelten sogenannten »BánffyKlausel«, die festlegte, dass, sofern es bis zum 31. Dezember 1903 nicht auf legislativem Weg zu einer definitiven Regelung kommen sollte, die Bestimmungen über das Zollbündnis zwischen Österreich und Ungarn bis zur weiteren gesetzlichen Regelung in Kraft bleiben sollen. Diese Klausel hätte den dauerhaften Bestand des Zollbündnisses sichergestellt. Nun sollte diese Regelung durch die sogenannte »Széll-Formel« ersetzt werden, welche ein Auslaufen des bestehenden Zollbündnisses im Jahr 1903 vorsah. Erfolge bis dahin keine gesetzliche Neuregelung dieser Materie, entstünde ein selbstständiges ungarisches Zollgebiet. Die Gespräche der Regierungen Thun und Széll zogen sich über mehrere Monate hin. Mehrmals hatte es den Anschein, als ob die Regierung Thun die Verhandlungen
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abbrechen oder demissionieren werde. Der Kaiser forderte jedoch die Fortsetzung der Gespräche und stellte sich eher auf die Seite der Ungarn. Thun verhandelte also weiter. Am 10. Juli 1899 gelangte man zu einer Einigung : Der Ausgleich sollte nicht nur bis zum Jahr 1903, sondern bis 1907 gelten. Der Histoiker Zdeněk Tobolka bewertete das Ergebnis des Verhandlungsmarathons, den Thun auf sich genommen hatte, folgendermaßen : »Das Kabinett Thun konnte den österreichischen Standpunkt nicht zur Gänze durchsetzen. Es konnte zwar in Einzelheiten gewisse praktische Verhandlungserfolge erzielen, vermochte es jedoch nicht zu verhindern, dass in Richtung Zukunft die Grundlage für die Trennung der Monarchie gelegt wurde – vielleicht vorerst nur formalen Charakters. […] Es geziehmt sich festzuhalten, dass dies nicht aufgrund ihres Unvermögens und ihrer Unwissenheit geschah, sondern deshalb, weil es auf der ungarischen Seite maßgebliche Exponenten gab, die in den damaligen Forderungen Ungarns noch nicht den Keim der Gefahr für das ganze Reich sehen wollten.«384
Kapitel 12
Konflikt zwischen der Diplomatie des Deutschen Kaiserreichs und Franz Thun Die Diplomatie des Deutschen Reiches und die Regierung Thun
Den Angriffen seitens der deutschen politischen Parteien und der deutschnationalen Presse auf den Ministerpräsidenten schloss sich seit November 1898 auch die Diplomatie des mächtigen Verbündeten an – des benachbarten Deutschen Reiches. Graf Franz Thun wurde zum »Problemfall« : Er wurde beschuldigt, das Bündnis in Gefahr zu bringen, das die beiden mitteleuropäischen Monarchien im Jahr 1879 geschlossen hatten.385 Die stürmischen Vorfälle seit dem Erlass von Badenis Sprachenverordnungen über die Regierung Gautsch bis zu Thun wurden von der politischen Führung des Deutschen Reiches mit einiger Beunruhigung verfolgt. Vor dem Hintergrund seiner anti katholischen und antislawischen Weltsicht befürchtete es im Einklang mit den die eigene Denk- und Wertewelt prägenden preußischen Eliten, dass die gestärkte Position der »Feudalen, Klerikalen und Slawen« in Österreich das deutsch-österreichischungarische Bündnis bedrohen könnte. Seit dem Jahr 1894 war Graf Philipp zu Eulenburg, ein persönlicher Freund Kaiser Wilhelms II. und einflussreicher Mann, Botschafter des Deutschen Reiches in Wien. In seiner Berichterstattung klingt die Furcht mit, dass in Österreich der tschechische, klerikale und feudale Einfluss überwiege, wodurch das alliierte Bündnis in Gefahr sei. Am 3. März 1898, eine Woche vor Thuns Ernennung zum Ministerpräsidenten, warnte Eulenburg in einem für Berlin bestimmten Bericht davor, dass die Ernennung von böhmischen Aristokraten, konkret war von Lobkowicz und Thun die Rede, e inen negativen Einfluss auf die Beziehungen des Deutschen Reiches mit Österreich-Ungarn haben könnte. Der deutsche Staatssekretär (Minister) des Äußeren, Bernhard Heinrich von Bülow hielt die Ernennung eines »böhmischen Ministeriums« (als das er eine Regierung erachtete, die unter der Leitung eines Aristokraten aus Böhmen stand, selbst wenn dieser – so wie Thun – über nur unzureichende Kenntnisse der tschechischen Sprache verfügte) für eine derartige Bedrohung, dass er die Möglichkeit einer Annäherung des Deutschen Reiches an Russland aufwarf ! Graf Thun wurde somit von der deutschen Diplomatie als Ministerpräsident abgelehnt, die Übernahme des Amtes wurde vielmehr als Bedrohung für das Bündnis der beiden Staaten erachtet. Botschafter Eulenburg meldete in einer Nachricht nach Berlin, dass die Regierung Thun mit dem tschechischen Minister Kaizl eine Gefahr
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darstelle, überdies versuchte er auch, in dieser Richtung auf den ungarischen Ministerpräsidenten Bánffy einzuwirken, dem er vertraulich mitteilte : »Für Deutschland handle es sich um nichts weniger als um die weitere Aufrechterhaltung des Bündnisses mit Oesterreich-Ungarn. Eine slawische Führung der Regierung Cisleithaniens zöge uns den festen Boden unter den Füssen fort […].«386 Thun »droht« dem deutschen Verbündeten
Eine Interpellation tschechischer und polnischer Abgeordneter gegen die Ausweisung österreichischer Staatsbürger aus Preußen bot der deutschen Diplomatie die Möglichkeit, gegen Thun vorzugehen. In Preußen galt ein hartes Gesetz, das eine schnelle Landesverweisung ermöglichte und das vor allem gegenüber österreichischen Staatsbürgern polnischer und tschechischer Nationalität Anwendung fand. Die Entscheidung über eine Interpellation beim Ministerpräsidenten fiel im jungtschechischen Abgeordnetenklub am 9. November 1898. Auch die polnischen Abgeordneten entschieden sich für die Vorlage einer Interpellation, weshalb schließlich zwei eingebracht wurden : eine tschechische von Emanuel Engel und eine polnische von Apollinar Jaworski. Beide Interpellationen forderten eine Erklärung und die Einstellung der unbegründeten Ausweisungen österreichischer Staatsbürger mehrheitlich slawischer Abstammung aus Preußen. Am 29. November 1898 antwortete Thun im Abgeordnetenhaus auf beide Interpellationen. Er stellte die Behauptung der beiden Abgeordneten in Abrede, wonach die preußischen Ämter die österreichischen Staatsbürger aufgrund ihrer slawischen Herkunft ausweisen würden. Beim Großteil der Ausgewiesenen handle es sich um Polen und Tschechen, die in der Regel als, aus Böhmen und Galizien stammende, landwirtschaftliche Saisonarbeiter in den preußischen Grenzgebieten versuchten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ausgewiesen zu werden pflegten. Die geltende internationale Rechtslage gestehe einer Regierung die Ausweisung von Personen zu, gegen die Einwände geltend gemacht würden. Angesichts der Tatsache, führte der Ministerpräsident weiter aus, dass die von Preußen durchgeführten Ausweisungen individuell existenzielle Folgen hätten, habe sich die österreichische Regierung wiederholt bei der preußischen Regierung dafür eingesetzt, Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse der Ausgewiesenen zu nehmen. Thun schloss seine Antwort auf die Interpellation mit einigen Sätzen, die zu schweren diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und ÖsterreichUngarn führten. Am Ende führte der Ministerpräsident die folgenschweren Worte aus : »Sollte sich jedoch die Erwartung fortan nicht erfüllen, und sollte inbesondere in den Ausweisungen österreichischer Unterthanen entweder eine Kränkung derselben in dem Genusse völkerrechtlicher oder vertragsmäßiger Ansprüche erkannt werden
Kampagne der deutschen Diplomatie und Presse gegen Graf Thun
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oder sollte endlich diesen Ausweisungen nicht mehr der Charakter einer bloß gegen einzelne Individuen wirksamen Polizeimaßnahme zukommen, so wolle für einen solchen Fall das hohe Haus die bündige Versicherung meinerseits entgegennehmen, daß ich – die Regierung – nicht zögern werde, die Rechte der österreichischen Unterthanen mit allem Nachdrucke zu wahren, eventuell dem Grundsatze der Reciprocität (Lebhafter Beifall rechts) entsprechende Maßregeln in Anwendung zu bringen.«387 Kampagne der deutschen Diplomatie und Presse gegen Graf Thun
Diese Passage sorgte für großes Aufsehen. Die Neue Freie Presse sah darin einen Angriff Thuns auf den deutschen Verbündeten. Weitere deutschnationale Zeitungen in Österreich und eine Reihe von reichsdeutschen Blättern stimmten in diesen Tenor ein. Berichte darüber fanden sich auch in französischen, englischen und russischen Gazetten. Während die deutschnationalen Blätter über Thuns Drohungen an den Bündnispartner sprachen und darüber, dass seine »böhmische Regierung« das für das Deutsche Reich lebenswichtige Bündnis bedrohe, betonten die katholischen oder »slawischen«, das heißt einige tschechische, aber hauptsächlich polnische Zeitungen, dass Thun Recht daran tat, sich für die österreichischen Bürger einzusetzen. Der deutsche Botschafter Eulenburg stattete dem Österreich wie Ungarn gleicher maßen vertretenden Minister des Äußeren und des kaiserlichen Hauses am 30. November einen Besuch ab und legte seinen Protest gegen die »Drohung« ein, die Thuns Beantwortung enthielt. Gołuchowski stellte sich allerdings hinter Thun und meinte, dass es sich nicht um eine »Drohung«, sondern um die »Geltendmachung eines Rechts« gehandelt habe. Wie aus der mit reichem Archivmaterial abgestützten Arbeit von Isabel Pantenburg hervorgeht, ist die Urheberschaft des Textes von Thuns parlamentarischer Beantwortung direkt Gołuchowski zuzuschreiben. Letzten Endes war Gołuchowski für die außenpolitischen Agenden verantwortlich, während sich Thun mit dieser Materie nur deshalb beschäftigt hatte, weil ihm die Aufgabe der Beantwortung einer Interpellation von Abgeordneten des Reichsrates zugefallen war. Von diesem Gesichtspunkt aus war die Vorstellung Eulenburgs, Gołuchowski werde aufgrund dieser Beschwerde beim Kaiser Schritte zur Abberufung Thuns einleiten, geradezu abwegig. Eulenburg war entweder aufgrund seiner Vorurteile desorientiert oder verschwieg in seinem Bericht an den Staatssekretär, dass sich Gołuchowski hinter Thun und dessen Beantwortung stellte. Franz Joseph ergreift Partei für den Ministerpräsidenten
Mit dem Scheitern der Intervention des Botschafters bei Gołuchowski war die Affäre aber nicht beendet, sondern nahm noch an Schärfe zu. Staatssekretär von Bülow
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ergriff Maßnahmen, um Thun aus dem Amt des Ministerpräsidenten zu drängen. In einem Brief, den er sich sogar von Kaiser Wilhelm autorisieren ließ, schrieb er an den Botschafter in Wien, dass »der Geist, welchen die Rede des Grafen Thun atmet – falls dies maßgebend für die Leitung der österreichischen Politik bleiben sollte –, es zweifelhaft erscheinen [läßt], ob die unter solchen Umständen erfolgende Fortsetzung des deutsch-österreichischen Bündnisses mehr als eine Form bedeuten würde.«388 Es handelte sich also um eine wenig verhüllte Bedrohung der Allianz. Das deutsche Außenministerium forderte eine öffentliche Entschuldigung Thuns. Gołuchowski dachte freilich nicht daran und identifizierte sich voll mit Thun und dessen Antwort, die im Übrigen ja wahrscheinlich auf seine Urheberschaft zurückging. Auf Anregung des deutschen Staatssekretärs, der sich noch immer mit dem Gedanken trug, dass es gelingen werde, Thun aus dem Amt des Ministerpräsidenten zu drängen, wandte sich Wilhelm II. am 12. Dezember in einem Brief an Franz Joseph, in dem er behauptete, dass Thuns »unprovozierte Drohung« dem Bündnis schade und dass bislang noch keine Wiedergutmachung erfolgt sei. Er forderte Franz Joseph dazu auf, sich von Graf Thun zu distanzieren, was jedoch die Position des Kaisers mit Sicherheit erschüttert hätte. Das gelang dem deutschen Kaiser jedoch nicht, eher das Gegenteil war der Fall. Franz Joseph erachtete die Angriffe auf Thun für einen Ausdruck der Arroganz des stärkeren Verbündeten und das Schreiben des deutschen Kaisers für eine unstatthafte Ausübung von politischem Druck. Botschafter Eulenburg notierte dazu : »Nach der Lektüre des Briefes war der Kaiser stark erregt. Das Faktum des Briefes hatte ihn verletzt. Es fielen manche Worte […] wie z. B. ›Man kann doch nicht auf sich dreschen lassen.‹ und ›Wir werden jetzt auch ausweisen, und zwar aus ganz anderen Kreisen als Deutschland es tat, das ist auch ein gutes Recht, das wir haben.‹«389 Als das Schrei ben des deutschen Kaisers nicht sein Ziel, also die Abberufung Thuns vom Amt des Ministerpräsidenten erreicht hatte, schlug von Bülow seinem Monarchen vor, Thun in der Presse der Gefährdung des zwischen den beiden Monarchien geschlossenen Bündnisses zu bezichtigen. Kaiser Wilhelm, der sich oft von seinem Temperament leiten ließ, der mit seinem manchmal unüberlegten Auftreten für viel Aufsehen sorgte und damit nicht geringen Schaden verursachte, zeigte in diesem Fall jedoch größere Besonnenheit als sein Außenminister. Einer derartigen Veröffentlichung, die nur schwer abschätzbare Folgen gehabt hätte, stimmte er nicht zu. Von Bülow unternahm noch einen weiteren Versuch, indem er sich die dualistischen Strukturen der Monarchie und die stärkere Position Ungarns zunutze machen wollte. Er nahm Kontakt mit ungarischen Politikern auf und regte ein Vorgehen gegen Thun an. Nachdem die ungarischen Politiker Maßnahmen gegen Thun abgelehnt hatten, verlief die von der deutschen Diplomatie im Dezember 1898 verfolgte Anti-ThunKampagne im Sande. Mit ihrem rücksichtslosen Ausüben von politischem Druck
Franz Joseph ergreift Partei für den Ministerpräsidenten
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auf den schwächeren Bündnispartner konnten sie letztlich nicht reüssieren, weil sie sowohl auf den Widerstand von Außenminister Gołuchowski stießen als auch mit Kaiser Franz Joseph aneinandergerieten, der sich durch die deutsche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Monarchie zutiefst berührt fühlte. Als Franz Joseph aufgeregt drohte, dass auch Österreich-Ungarn Bürger des Deutschen Reiches ausweisen werde, hatte er vor allem deutsche Agitatoren der Los-von-Rom-Bewegung im Sinn, die sich um die »Evangelisierung« des katholischen Österreichs bemühten. Auch wenn der deutsche Botschafter, der deutsche Staatssekretär und auch Kaiser Wilhelm erfuhren, dass die »bedrohliche« Passage in Thuns Antwort nicht auf ihn selbst zurückgegangen, sondern von Gołuchowski mit offensichtlichem Einverständnis von Franz Joseph verfasst worden war, blieb die Haltung der deutschen Diplomatie Thun gegenüber doch auf Dauer misstrauisch bis feindlich gestimmt. Sie übertrugen ihre Ressentiments gegenüber Slawen und Tschechen (wenngleich Thun weder der einen noch der anderen Gruppe zuzurechnen war), gegenüber den »Feudalen« (die konservative und traditionell antipreußisch gesinnte österreichische Aristokratie) und gegenüber den konservativen Katholiken (oder Klerikalen, die als traditionelle Feinde des »prostestantischen Preußens« und seiner Tradition des »Kulturkampfes« galten) auf Thun. Der Versuch, die Regierung Thun zu stürzen, war eine logische Folge, die sich aus den Berichten von Botschafter Eulenburg ableiten ließ, der seit der Herausgabe der Badenischen Sprachenverordnungen laufend alarmierende Nachrichten nach Berlin sandte, in denen er wissen ließ, dass der slawisch-klerikale Ministerpräsident Cisleithaniens eine Bedrohung für das Bündnis der beiden Monarchien sei.
Kapitel 13
Die böhmische Politik und die Regierung Thun
Die Demission des deutschen Ministers
Am 28. September 1898 übergab Minister Baernreither sein Entlassungsgesuch, das vom Kaiser mit großem Unwillen entgegengenommen wurde. Einen Minister konnte er entlassen, er konnte es allerdings nicht ertragen, wenn jemand »seine Regierung« als Ausdruck des politischen Protests verließ. Der Ton des Entlassungsschreibens war kühl, Baernreither wurde auch keine Auszeichnung zuteil – weder erhielt er den Orden der Eisernen Krone I. Klasse, noch wurde ihm der Titel »Geheimer Rat« verliehen, dem auch die Anrede »Exzellenz« gebührte. Der fachlich sehr fähige Baernrei ther gehörte zu Lebzeiten Franz Josephs keiner Regierung mehr an. Die Demission Baernreithers bedeutete, dass das multinationale Konzept, welches als eine der Prämissen für die Konstituierung der Regierung Thun an deren Anfang gestanden hatte, gescheitert war – der deutsche »politische Minister« hatte die Regierung verlassen. Dieses Vorgehen zog eine Reihe von ungestümen Angriffen seitens der deutschen Presse auf das Kabinett Thun und auch auf die Person des Ministerpräsidenten nach sich, sodass es den Anschein hatte, als ob er der größte Feind des deutschen Volkes und der Verfassung gewesen sei, ein Repräsentant der »slawischklerikalen Verschwörung gegen das Deutschtum.« Tschechische »Postulate«
Thun benötigte zur Annahme des österreichisch-ungarischen Ausgleichs die Polen, die deutschen Katholiken, die Slowenen und Tschechen. Wie es im österreichischen Parlament bereits zur Gewohnheit geworden war, ließ sich jede Seite ihre Unterstützung der Regierungsvorlage abgelten. Besondere Anstrengungen auf diesem Gebiet unternahmen die Jungtschechen, indem sie der Regierung ihre 24 »dringlichsten Forderungen« vorlegten.390 Wie Zdeněk Tobolka anführt, war Graf Thun von der Fülle der jungtschechischen »Postulate« angewidert.391 Er konnte nicht verstehen, dass die Jungtschechen die Regierung einer solchen Belastung aussetzten, wo sie doch der heftigen deutschen Opposition und auch den Angriffen der reichsdeutschen Diplomatie zu trotzen hatte und ohne Weiteres gegen ein prodeutsches Kabinett ausgetauscht hätte werden können.
Tschechische »Postulate«
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Soweit es politisch irgendwie möglich war, erfüllte die Regierung Thun diese Forderungen. In die Ministerien wurde eine Reihe von tschechischen Beamten berufen, in den Ämtern erfolgte die Einführung der Gautsch’schen Sprachenverordnungen, der Bauernbund und der Gewerbeverein erhielten Subventionen, in das Budget wurden Posten für die mährische Technische Hochschule und die Universität veranschlagt, bei der böhmischen Abteilung des Landesschulrates in Prag wurde Tschechisch als innere Sprache und Dienstsprache eingeführt sowie darüber hinaus auch noch weitere »Postulate« erfüllt. Dabei gelangte der österreichisch-ungarische Ausgleich, für den die Jungtschechen die Erfüllung ihrer Forderungen gestellt hatten, überhaupt nicht zur Abstimmung, denn der Ausgleich wurde schließlich mit Hilfe des berühmten § 14 beschlossen. Den jungtschechischen Forderungen wurde somit entsprochen, ohne dass sie eine Gegenleistung zu erbringen hatten. Das Verhältnis zwischen Thun und den Jungtschechen blieb allerdings weiterhin fragil. Sie waren der Auffassung, dass die Umsetzung ihrer Postulate nur schleppend und unzureichend erfolgte, weshalb sie sich vor der tschechischen Öffentlichkeit keines spektakulären Erfolges rühmen konnten. Eine Krise zwischen den Jungtschechen und dem Kabinett Thun rief das sogenannte königliche Reskript vom 28. Dezember 1898 hervor, das als Antwortschreiben auf die Grußadresse der Landtagsabgeordneten zum 50. Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph konzipiert war. Die Jungtschechen gingen davon aus, dass dieses Antwortschreiben ein direktes Entgegenkommen auf den böhmischen staatsrechtlichen Standpunkt enthalte, was jedoch nicht der Fall war. Das Reskript war überdies mit den an die anderen Landtage Cisleithaniens ergangenen Schreiben praktisch ident, was den Jungtschechen durchaus nicht behagte : Ihrer Meinung nach sei doch Böhmen kein (gewöhnliches) Kronland, sondern ein Königreich ! Selbst standen sie unter dem Druck der Radikalen, sei es, dass diese den eigenen Reihen (Národni listy) entstammten, oder neuen radikalen Parteien (Staatsrechtlich-radikale Partei, Radikal-fortschrittliche Partei, Nationale Arbeiter[partei]) zuzurechnen waren, welche sie des Opportunismus und des Verrats am Staatsrecht bezichtigten sowie ihnen den Vorwurf machten, auf den Spuren der Alttschechen zu wandeln usw. Josef Kaizl warnte die Führungsriege der Jungtschechen davor, nicht mit ihren Protesten und »Postulaten« zu übertreiben und sich dessen bewusst zu werden, wie sehr ihnen die Regierung Thun bereits entgegengekommen war. Während die Jungtschechen unaufhörlich darüber Klage führten, dass ihre Forderungen nur unzureichend erfüllt werden, versetzte die böhmische »Postulatenpolitik« die deutschen nationalen Vertreter – und die Tatsache, dass es ihnen so schien, als würde dieser Politik seitens der Regierung entsprochen werden – in Rage. Die Deutschen antworteten auf die von der Regierung betriebene »Politik der Tschechisierung« (gemeint ist hier v. a. eine Stärkung des böhmischen Elements in der Verwaltung) mit der Obstruktion der Ausgleichsvorlagen, Beleidigungen der Regierung (die deutsche
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Die böhmische Politik und die Regierung Thun
Presse gebrauchte für die Regierung das Attribut »gefährlich«) und Beschimpfungen auf den »Feudalen« Thun und den »Tschechisierungsminister« Kaizl. Die »Schmerzensschreie« der deutschnationalen Politiker und der Presse erweckten den Eindruck, als ob das »Deutschtum« zur Zeit des Kabinetts Thun einen verzweifelten Kampf gegen eine – ebenso von dieser Regierung unterstützte – »čechische« oder, allgemeiner gehalten, »slawische« Sintflut führte. Die Regierung Thun ging davon aus, dass die Gautsch’schen Sprachenverordnungen bis zur Annahme eines Sprachengesetzes in Geltung bleiben sollten. Die einzelnen Minister, auf deren Ressorts sich die Verordnungen bezogen, setzten sie um – in erster Linie freilich Josef Kaizl, der von deutschnationalen Gegnern mit dem Spitznamen »Tschechisierungsminister« bedacht wurde. Unterstützung erfuhr er dabei vom Ministerpräsidenten. Schon als Thun im März 1898 seine Regierung bildete, wurde sie von der in Prag erscheinenden deutschen Zeitung Bohemia als »Regierung Thun-Kaizl« bezeichnet und mit eindeutiger Intention als tschechische und somit folglich als antideutsche Regierung dargestellt. Die Verwendung des Terminus »Regierung Thun-Kaizl« wurde in der deutschen nationalen Presse beinahe zum Regelfall und fand auch Eingang in die deutschnational gefärbte Historiographie, etwa auch in Form der Behauptung, Thun sei durch den »gewandten Tschechen Kaizl« manipuliert worden. Dabei war Thun jedoch kein Politiker, den man leicht hätte manipulieren können. Unzweifelhaft setzte sich Kaizl in der Regierung für die tschechischen »Postulate« ein und machte sich zum Anwalt einer »tschechischen« Personalpolitik. Während der gesamten Amtszeit der Regierung Thun wandten sich die jungtschechischen Politiker mit Gesuchen, Erinnerungsschreiben und Beschwerden an Kaizl. Sie wollten, dass die Regierung ihre Forderungen erfüllt, sie intervenierten in persönlichen Angelegenheiten, beispielsweise wegen der Besetzung eines Postens in der Prager Statthalterei. Kaizl befand sich jedoch in Bezug auf seine »Tschechisierungs-Bemühungen« in keinem grundsätzlichen Widerspruch zu Graf Thun, der die gültigen Sprachenverordnungen erfüllen wollte und mit einer bestimmten Durchsetzung des Tschechischen als innerer Amtssprache rechnete. Würde man von der Behauptung ausgehen, dass der Unterschied zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem Finanzminister darin bestand, dass Thun allem voran die österreichischen und Kaizl die tschechischen Interessen vertrat, würde man den tatsächlichen Gegebenheiten nur teilweise gerecht werden und diese vereinfachen. In ihrer Auffassung in Bezug auf die Habsburgermonarchie unterschieden sich Graf Thun und Josef Kaizl nur geringfügig. Beide waren »gute Österreicher«, auch wenn sich ihre Identifikation mit der Monarchie von verschiedenen Quellen und Traditionen speiste. Minister Kaizl gingen aus Prag Beschwerden und Forderungen der jungtschechi schen Repräsentanten zu, die irgendwelche Erfolge der jungtschechischen »Regierungspolitik« benötigten, um den Radikalen aus der eigenen Partei (um die Národní
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listy) und aus den neu entstandenen Parteien (Staatsrechtliche Radikale, Volkssozialisten, Radikale Fortschrittler, Agrarier) die Stirn zu bieten. Neben persönlichen Interventionen beim Ministerpräsidenten wandte Kaizl offenbar noch eine andere Methode an, um auf diesen einzuwirken. Er ließ die Beschwerdeschreiben über die unerfüllten »Postulate«, über das angebliche antitschechische Verhalten von Statthalter Coudenhove, über tatsächliche oder angebliche Ungerechtigkeiten, die den Tschechen vielerorts in Böhmen widerfuhren, usw. ins Deutsche übertragen und übergab diese dann an den Ministerpräsidenten. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich in Thuns Nachlass an Kaizl adressierte Briefe von Václav Škarda, Bedřich Pacák und Josef Herold befinden.392
Kapitel 14
1899 : Die letzten neun Monate der Regierung Thun
Bilanz zum neuen Jahr und Ausblicke des Ministerpräsidenten
Blickte Graf Thun am letzten Tag des Jahres 1898 auf die vergangenen Ereignisse zurück, war er gewiss gezwungen, eine traurige Bilanz zu ziehen. Vor allem deshalb, weil am 24. Dezember 1898 seine geliebte Anna verstorben war. Der Krankheitsverlauf lässt sich anhand der von Thun an seinen Bruder Jaroslav gerichteten Briefe und Jaroslavs Aufzeichnungen von einer Woche auf die andere nachverfolgen. Anna litt an einem fortschreitenden Nierenversagen, bis sie am Heiligen Abend des Jahres 1898 verstarb. Die Tagebucheintragung Jaroslav Thuns vom 30. Dezember zeugt davon, wie sehr dieser Verlust seinen Bruder getroffen hat. »Franz ist schrecklich erschüttert ! Am 25ten verrichten wir mit ihm in Wien in der Kapuziner Kirche unsere Andachten, dabei war er am ergriffendsten, schluchzte bitterlich ! Am 26ten war stille Einsegnung im Haus, dann brachten wir die liebe Anna hinunter, [am] Morgen um 2 Uhr war die heilige Einsegnung [in der Kirche] Am Hof, dann Überführung auf die Bahre ! […] Am 27ten früh 6 Uhr stiegen Poldi [Schwester] und ich zu Franz ein zur Fahrt nach Tetschen ; vormittag Überführung der Leiche auf die Gruft, Betheiligung der Bevölkerung ungeheuer ! Spät abends fuhr ich nochmals mit Franz in die Gruft[, um] am Sarge zu beten. […] Am 28ten Dezember kamen gegen 100 Gäste, Cardinal und auch Erzherzog Franz ! Gott Lob ging alles glatt von statten und herrlicher Sonnenschein sandte Anna noch den letzten Gruß ihres so geliebten Tetschen !«393 Von diesem Morgen erholte sich Franz Thun eher Jahre als Monate nicht. In den ersten Monaten des Jahres 1899 sandte er an die zahlreichen Verwandten und Freunde von Anna kleine Andenken. Vor allem mit Annas Mutter, seiner Schwiegermutter Wilhelmine Marie zu Schwarzenberg, stand er im Briefwechsel, in dem sie Erinnerungen an die verstorbene Tochter und Ehefrau austauschten. So sah die private Seite im Leben des Ministerpräsidenten aus. Aber auch in seinem hohen Amt konnte er aufgrund seiner Erfolge keine wahre Freude erlangen. Thun hatte im Reich nicht die Ordnung herstellen können, wie es seine Bewunderer erwartet hatten und wie es sicherlich auch er gehofft hatte. Der Marathon des österreichisch-ungarischen Ausgleichs war noch nicht an sein Ende gelangt und stand im neuen Jahr erneut auf seiner Agenda. Der Reichsrat war weiterhin – wie schon unter Badeni – durch die deutsche Obstruktion lahmgelegt, nur dass die hitzigen Szenen durch die ruhigere »technische Obstruktion« abgelöst worden waren.
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Die hartnäckige Feindschaft der deutschen Parteien wurde durch die entschlossene Unterstützung der parlamentarischen Mehrheit nicht ausgewogen. Die Jungtschechen überschwemmten die Regierung mit eine Fülle an »Postulaten« und Beschwerden, während sich die Regierung jedoch ihrer Unterstützung nicht sicher sein konnte. Obwohl sich Thun um die Zusammenarbeit mit dem Parlament bemühte, wurde er zum Rekordhalter in der Anwendung des § 14, des Notverordnungsparagraphen. In der Presse wurde er systematisch angegriffen und beschuldigt, die Verfassung zu brechen und die Wiedereinführung des Absolutismus zu betreiben. Es drängt sich also die Frage auf : Von welcher Seite erhielt Ministerpräsident Graf Franz Thun – wenn überhaupt – Unterstützung ? Denn diese wurde ihm z weifelsohne zuteil. Er genoss immer noch das Vertrauen des Kaisers, der seine Loyalität und Arbeitsleistung schätzte. Man kann auch annehmen, dass sich seine Minister, seit der Demission Baernreithers, ohne Rücksicht auf propagandistische Kampagnen ihm gegenüber loyal verhielten. Keiner von ihnen drohte mit der Demission und gab dem Ministerpräsidenten Anlass zur Klage. Minister Kaizl unternahm alles in seiner Macht Stehende, um die Jungtschechen – und die Tschechen überhaupt – davon abzuhalten, etwas zu unternehmen, was die Position der Regierung Thun erschwert hätte. Wenn sich in Böhmen etwas Derartiges abzeichnete, intervenierte er mit resoluten Briefen. Die jungtschechische Partei fühlte sich infolge ihrer, wenn auch sehr inkonsequenten, regierungsfreundlichen Politik bedroht. Die Staatsrechtlich-radikale Partei, aber auch die Radikal-fortschrittliche Partei und die Agrarier prangerten die Jungtschechen wegen ihrer »opportunistischen« Politik gegenüber der Regierung an. Trotz aller tschechischer Unzufriedenheit und Ungeduld wurde Graf Franz Thun nicht mehr als »Alba« und als verhasster »Ausnahmestatthalter« gesehen. Auch die Jungtschechen waren seiner Regierung ungeachtet der herrschenden Nervosität und der zahlreichen Forderungen im Prinzip freundschaftlich gesinnt. Ein kleiner Beleg für die geänderte tschechische Haltung gegenüber Graf Thun befindet sich in dessen schriftlichem Nachlass : eine Ansichtskarte aus dem norwegischen Kristiania (dem heutigen Oslo), datiert auf den 1. August 1899. Tschechische Politiker, die an einer interparlamentarischen Friedenskonferenz teilnahmen, versicherten den Ministerpräsidenten ihrer »ausdrücklichen Hochachtung« und sandten »einen herzlichen Gruß«.394 Die Karte wurde nicht nur vom gemäßigten Jung tschechen Bedřich Pacák, sondern auch von seinen radikalen Kollegen Josef Fořt und Jan Kaftan sowie vom radikalen Fortschrittler (und späteren Volkssozialisten) Václav Choc, dem Sozialdemokraten Rudolf Jaroš und noch einem weiteren Teilnehmer unterzeichnet, dessen Unterschrift nicht entziffert werden konnte. Keine andere der österreichischen nationalen Delegationen, die an der Friedenskonferenz teilnahmen, hatte sich dazu entschlossen, Grüße an den Ministerpräsideten zu senden – diese hätten sich im Thun’schen Nachlass in Tetschen sonst gewiss erhalten.
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Abb. 37: In ihrer Ausgabe vom 2. September 1899 karikiert die Wochenschrift Šípy das Dilemma des Ministerpräsidenten: Wie soll er den gegensätzlichen Forderungen der Deutschen (oben) und Tschechen (unten) entsprechen?
Deutsch-tschechisches Verhältnis an der Schwelle des Jahres 1899
Mit dem neuen Jahr 1899 wurden abermals Versuche unternommen, die Verhandlungen über einen deutsch-tschechischen Ausgleich wieder aufzunehmen. Theoretisch (oder ideologisch) konnte der tschechische Standpunkt – der gleichzeitig auch der Standpunkt der Regierung Thun war – einen bedeutenden juridischen Erfolg verzeichnen. Der Oberste Gerichtshof interpretierte den Begriff »landesüblich« so, dass er nicht – wie es die Deutschen verstanden – auf einen Gerichtsbezirk Anwendung finden, sondern für das ganze Gebiet Böhmens gelten sollte, wie es die Tschechen gefordert hatten.395 Das Höchstgericht erkannte die gesetzliche Gültigkeit des Kaiserlichen Handschreibens Ferdinands I. vom 8. April 1848 (die sogenannte »Böhmische Charta« oder »böhmische Verfassungsurkunde«) und die darin belegten Grundsätze unbedingter Gleichberechtigung des Tschechischen wie des Deutschen in allen Berei chen der staatlichen Verwaltung an. Daraus leitet das Gericht weiter die Gleichberechtigung der beiden Landessprachen, Tschechisch und Deutsch, bei allen Gerichten Böhmens ab. Im Lichte dieses Spruchs des Obersten Gerichts standen die Sprachen-
Deutsch-tschechisches Verhältnis an der Schwelle des Jahres 1899
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Abb. 38: Die Wiener humoristische Zeitschrift Kikeriki! vom 23. Februar 1899 zeigt den Ministerpräsidenten unter dem Titel »Fastenspeisen« als freigiebigen und edlen Spender für die Tschechen und Polen, während er sich gegenüber den Deutschen als Geizhals erweist.
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Abb. 39: Die Zeitschrift Šípy vom 2. September 1899 zeigt den »schwachen Ritter« Thun im Kampf mit dem Drachen, dessen drei Häupter preußische Pickelhauben zieren und der vom deutschnationalen Politiker K. H. Wolf angestachelt wird. Kraslice (Kraslitz), Aš (Asch) und das untersteierische Celje (Cilli) stehen für jene Orte, in denen deutschnationale Demonstrationen gegen die Regierung Thun abgehalten wurden.
Das deutsche Pfingstprogramm
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verordnungen sowohl von Badeni wie auch jene von Gautsch, ebenso wie sämtliche Maßnahmen zur Einführung des Tschechischen in alle Bereiche der staatlichen Verwaltung, wie sie von der Regierung Thun vorgenommen worden waren, im Einklang mit dem Gesetz. Die »Tschechisierung« der staatlichen Verwaltung war somit legal, der Widerstand der deutschen Politiker und Beamten damit illegal. Der juristische Erfolg ging jedoch keineswegs mit dem politischen Erfolg einher. In der deutschen Presse wurde die Entscheidung des Obersten Gerichts heftig angegriffen und die deutsche Politik wich keinen Millimeter von ihrer öffentlich verkündeten Losung zurück, wonach die deutsche parlamentarische Obstruktion erst nach der Aufhebung der Sprachenverordnungen enden würde. Einige deutsche Politiker und Journalisten forderten sogar expresis verbis, dass der Staat mit der Aufhebung der Sprachenverordnungen vor ihnen kapitulieren solle. Das konservative Blatt Das Vaterland, das den Ansichten Franz Thuns nahestand, bemerkte dazu, dass ein Staat, der kapituliert, kein Staat sei.396 Das deutsche Pfingstprogramm
Der Gedanke, der deutschen Politik ein gemeinsames und vor allem einendes Programm zu geben, tauchte am Beginn des Jahres 1899 auf. Im Februar veröffentlichten die Vertreter der Deutschen Volkspartei, der Deutschen Fortschrittspartei, der Vereinigung des Verfassungstreuen Großgrundbesitzes, der Christlich-sozialen Vereinigung und der Freien Deutschen Vereinigung eine Erklärung, in der sie sich darauf verständigten, gegenüber der Regierung Thun in Opposition bleiben zu wollen und ein gemeinsames Programm vorzubereiten. Tatsächlich wurde nach fast dreimonatiger Arbeit ein Elaborat mit dem Titel National-politische Forderungen der Deutschen in Österreich veröffentlicht, das nach dem Tag der Veröffentlichung am 21. Mai 1899 als Pfingstprogramm Bekanntheit erlangte.397 Zur Entstehungsgeschichte ist anzumerken, dass die deutschen Politiker in den einzelnen Kronländern ihre Wünsche und Forderungen absteckten und diese dann, schriftlich oder mündlich, zur zusammenfassenden Bearbeitung weiterleiteten. Für die Endredaktion zeigte Josef Baernreither verantwortlich. Das Pfingstprogramm präsentiert sich nicht als parteiisches Elaborat über die Nationalitätenproblematik Österreichs. In einer Art ideologischer Einleitung ist die Rede von einer geplanten Unterdrückung und Bedrohung des deutschen nationalen Stammes in Österreich ; darin wird die Anerkennung jener Stellung der Deutschen gefordert, welche diese über die Jahrhunderte hinweg erlangt haben sowie der »Bruch mit dem System«, das angeblich die Forderungen aller anderen Nationen auf Kosten der Deutschen befriedigt. Das Programm forderte den Zusammenschluss aller Länder Cisleithaniens (also der »im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder«) zu einem Einheitsstaat
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mit der Bezeichnung »Österreich«, wobei die Kompetenzen der einzelnen Landtage hätten beschränkt werden sollen. Die privilegierte Stellung der Deutschen im Reich sollte sichergestellt und der Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes vom Dezember 1867 über die Gleichberechtigung der »Volksstämme« sowie deren »unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache« aufgehoben werden. Das Programm verlangte die Aufhebung aller bisherigen Sprachenverordnungen und die Verwendung des Deutschen als »allgemeine Vermittlungssprache« in Cisleithanien. Deutsch sollte die einzige legitime Sprache im Verkehr der Staatsämter untereinander sowie die äußere und innere Amtssprache sein. Eine Ausnahme wurde dem Italienischen zugestanden, dessen Stellung (in Triest, in Südtirol und auf Istrien) erhalten bleiben sollte, ebenso wie dem Polnischen (in Galizien). Tschechisch war nur bedingt und im begrenzten Umfang in rein tschechischen Bezirken, die erst geschaffen werden sollten, als innere Amtssprache zulässig. In Mähren, wo es keine größeren »geschlossenen deutschen Gebiete« gab, sollten beide Landessprachen zur Anwendung kommen. Alle Staatsbeamten sollten Deutsch beherrschen. Böhmen sollte nach nationalen Gesichtspunkten in Sprachbezirke unterteilt werden – und zwar auf Dauer, ohne Rücksicht auf mögliche Veränderungen, die sich bei Volkszählungen ergeben könnten. In den deutschen Verwaltungsgebieten sollten nur deutsche Beamte Anstellung finden. Prag als Landeshauptstadt sollte zweisprachig, die zweite Statutarstadt – Reichenberg – sollte nur deutsch sein. Die tschechischen und deutschen Selbstverwaltungsbehörden in Böhmen sollten mittels Übersetzungen miteinander verkehren. In Mähren sollte jede Nationalität über ein eigenes Schulbudget verfügen, alle Ämter sollten nach außen hin zweisprachig, die innere Amtssprache allerdings Deutsch sein. Brünn (dessen tschechische Minderheit unvergleichlich größer war als die deutsche Minderheit in Prag) sollte einsprachig Deutsch sein. In (Österreichisch-)Schlesien sollte Deutsch in allen staatlichen Ämtern als innere Sprache fungieren. Die Gerichte sollten die Annahme tschechischsprachiger Eingaben ermöglichen, insofern diese nicht von einem Juristen stammten und insoferne die Partei des Deutschen nicht mächtig war. Alle staatlichen Angestellten in Schlesien müssten über deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Bei allen höheren Ämtern in Schlesien und Mähren sollten nur Beamte angestellt werden, die Deutsch beherrschten. Alle Mittelschulen Schlesiens sollten ausschließlich deutsch sein. Jene deutschen Politiker, die sich an der Erarbeitung des Dokuments beteiligt hatten, behaupteten, dass das Pfingstprogramm gemäßigt und aus der Sicht der Deutschen defensiv sei, während es auf die nichtdeutschen Nationen Rücksicht nehme. Einer nichtdeutschen Partei bzw. einem nichtdeutschen Politiker fällt es jedoch schwer, einen solchen Standpunkt zu teilen. Schwerlich kann man es als Ausdruck deutschen Entgegenkommens werten, wenn das Deutsche nicht als »Staatssprache«, sondern nur als »allgemeine Vermittlungssprache« bezeichnet wurde, ebenso wie die bedingte Zu-
Graf Thun stellt sich gegen das Pfingstprogramm
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lassung des Tschechischen in tschechischen Bezirken als innere Amtssprache nicht die allgemeine Bevorzugung des Deutschen auszugleichen im Stande war und so den Verhältnissen in diesem Kronland »pragmatisch« angepasst werden sollte. Graf Thun stellt sich gegen das Pfingstprogramm
Einige deutsche Politiker störte es, dass sich das Pfingstprogramm als deutsche »Minimalforderung« präsentierte, denn eine solche Formulierung schloss Verhandlungen im Grunde aus – einzig und allein war von deutscher Seite die Ausweitung um andere Forderungen möglich, was von den Radikalen zu erwarten war. Dem Ministerpräsidenten war klar, dass das Pfingstprogramm nicht zur nationalen Aussöhnung in Österreich beitragen werde. Für seine Regierung stellte es eine weitere schwerwiegende Hürde auf dem ohnehin schon hoffnungslos verbauten Weg zur Erneuerung der Funktionalität des politischen Systems der Monarchie dar. Darüber hinaus erachtete es Thun als schlecht und schlampig vorbereitet. Der Abgeordnete Bedřich Pacák schrieb an Karel Kramář über eine Rede, die der Ministerpräsident vor tschechischen Abgeordneten gehalten hatte : »Thun sprach heute zwei Stunden über das Programm der Deutschen, zerriss es in der Luft, sprach vortrefflich. So habe ich ihn bisher nie reden gehört. […] Für mich hatte es den Anschein, als ob er bei uns einen guten Eindruck machen wollte.«398 Franz Thun hatte keinen Gefallen am Pfingstprogramm und er konnte auch keinen Gefallen an der politischen Situation finden, in der sich seine Regierung befand. Er fühlte, dass sich sein Spielraum immer mehr zu verengen drohte und dass seine Position untergraben werde. Wie Thun über das Pfingstprogramm dachte, geht aus einem Brief hervor, den sein Verwandter Oswald Thun am 13. August 1899 an den Fürsten Fürstenberg richtete.399 Das Zusammentreffen der beiden Cousins Franz und Oswald Thun stellte im Grunde eine Begegnung zweier politischer Kontrahenten dar, können sie doch beispielhaft als Repräsentanten der beiden seit den 1860er Jahren bestehenden adeligen Großparteien der Monarchie gelten, den föderalistischen »Feudal-Konservativen« (Franz) und des zentralistischen, deutsch-liberalen »Verfassungstreuen Großgrundbesitzes« (Oswald). Der Verfassungstreue Großgrundbesitz war 1899 von seinem konstruktiven Kurs, der sich etwa im Eintritt Baernreithers in das Kabinett Thun gezeigt hatte, abgegangen, nahm eine ausgesprochen oppositionelle Position ein und schloss sich auf modifizierte Art und Weise der deutschen Obstruktion an. Baernreither selbst hatte sich zu einem immer verbisseneren Gegner der Regierung gewandelt, in der er vormals einen Ministersessel innegehabt hatte. Oswald Thun hatte dem Ministerpräsidenten allerlei verübelt, unter anderem auch, dass er im Zusammenhang mit dem kaiserlichen Jubiläum die Vertreter des konser
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vativen Großgrundbesitzes (also seine eigene politische Gruppierung) mit Auszeichnungen und Orden versorgt, während er den Verfassungstreuen Großgrundbesitz (also die politische Gruppierung seines Cousins) vernachlässigt hatte. Franz Thun wiederum verübelte Oswald, dass der Verfassungstreue Großgrundbesitz keinen konstruktiven Beitrag zum Ausgleich geleistet und dass er sich in kritischen Situationen auf die Seite der deutschen Obstruktion geschlagen hatte. Beide Thuns waren nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. Franz aus dem Grund, weil er sich mit dem drohenden Scheitern und der sich verschlechternden Position seiner Regierung auseinanderzusetzen hatte, während er außerdem darüber ernüchtert war, dass es doch »standesverwandte« (verfassungstreue) Großgrundbesitzer waren, die seinem Kabinett Schwierigkeiten bereiteten ; Oswald wiederum deshalb, weil er einerseits über die in Österreich herrschende Situation verzweifelt war, andererseits – wie aus seinen Briefen ersichtlich ist – weil die Regierung für ihn ein Instrument der »slawischklerikalen Expansion« darstellte. Vor diesem Hintergrund spielte sich das Gespräch zwischen den beiden Thuns ab, das einen entsprechenden Verlauf nahm. Oswald Thun setzte daraufhin Fürstenberg über die Meinung von Franz Thun über das Pfingstprogramm in Kenntnis : »Franz äußerte sich nun dahin, daß die Form, d. h. das Äußere dieser Form zu loben ist, daß das ganze Programm aber ein leichtfertig gearbeitetes, verpfuschtes Werk ist, daß es ersichtlich [ist], daß daran Leute gearbeitet haben, die in aller Hast vorzeitig etwas fertig bringen wollten, die aber den Stoff nicht beherrschten, und trotzdem er in einer beratenden Komiteesitzung der Majorität eine Lanze eingelegt habe dafür, daß das Programm die Grundlage der Verhandlung bilden könne, erkläre es selbst, daß die meisten Theile und daß auch [das] ganze nicht akzeptabel sei. In einer fließenden Rede, die er wahrscheinlich schon öfters und sicher beim Vortrag beim Kaiser gehalten hat, besprach er mit viel Schärfe und starken Ausfällen die auch von uns anerkannten wunden Punkte, schließlich erklärte er – genau wie die Tschechen – daß eine Verständigung bloß auf Grund der auf das strikteste durchgeführten Gleichberechtigung denkbar und möglich ist. Ich warf einmal ein : ›Wenn Ihr [es] so weiter treibt, dann kommt es sicherlich zum Blutfließen !!! und ich verhe[h]lte mir nicht, daß wir eigentlich schon auf dem Boden der Revolution stehen !‹«400 So weit war es also schon gekommen, dass der Ministerpräsident und der Repräsentant einer überaus privilegierten Partei von »Blutvergießen« und »Revolution« sprachen. Tatsächlich gärte es in Österreich, national wie auch sozial. Am 17. Juli 1899 wurde durch kaiserliche Verordnung mit Gültigkeit vom 1. August die Zuckersteuer angehoben. Diese von Finanzminister Kaizl vorbereitete Maßnahme sollte den erhöhten Finanzbedarf abdecken, der durch Ausfallseinbußen in Folge der vom Reichsrat abgeschafften Zeitungsstempelgebühr und durch die Erhöhung der niede-
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ren Beamtengehälter entstanden war. Überdies forderte der Außenminister finanzielle Mittel für den konsularischen Dienst im Mittleren Osten und in Asien, der Kaiser wünschte sich die Anhebung des Soldes für Offiziere sowie die Erhöhung des Musterungskontingents. Die erschütterte Position der Regierung Thun
Die Regierung Thun, namentlich ihr Finanzminister, erhöhte die Steuer aus dem einfachen Grund, um damit die Konsequenzen aus der Entscheidung des Abgeordnetenhauses zu ziehen und um dem Wunsch des Kaisers nach mehr Geld für die Armee zu entsprechen. Nichtsdestotrotz richtete sich die Welle des Zornes, welche diese Steuererhöhung hervorgerufen hatte, direkt gegen das Kabinett Thun. Die Proteste gegen die Steuererhöhung auf Zucker, den Beschluss des österreichisch-ungarischen Ausgleichs auf der Grundlage des § 14 und schließlich gegen die Regierung Thun als solche weiteten sich auf eine Reihe von Städten in Cisleithanien aus. Besonders stürmisch verliefen die Demonstrationen in den deutschen Gebieten Böhmens, wo sich die deutschnationale Opposition gegen Thuns »slawischfeudale« Regierung mit den sozialen Protesten verband. Am 19. August 1899 geriet in Graslitz (Kraslice) eine Gendarmerieeinheit mit Kundgebungsteilnehmern aneinander, die gegen die Erhöhung der Zuckersteuer demonstrierten. Die bedrängten Gendarmen setzten sich mit der Schusswaffe zur Wehr, vier Demonstranten blieben tot auf dem Kopfsteinpflaster liegen, Dutzende Verwundete waren zu beklagen.401 Die Folgen der Tragödie richteten sich gegen die Regierung, aber auch gegen die Tschechen, denn die von ihrer Schusswaffe Gebrauch machenden Beamten waren Tschechen gewesen. Die Sentenz war daher naheliegend, dass in Graslitz tschechische Gendarmen auf Anordnung der »böhmischfeudalen« oder »slawischklerikalen« Regierung Thun gemordet hatten, und das aufgrund einer Steuer, die von einem Tschechen – Minister Kaizl – verhängt worden war. In einer Reihe von deutschen Städten Böhmens wurden daraufhin Protestveranstaltungen abgehalten, Resolutionen, stürmische Aufrufe usw. wurden angenommen. Die 6.000 Teilnehmer an dem Begräbnis der Graslitzer Toten legten mit ihrer Teilnahme ein Bekenntnis gegen die Regierung ab. An den Revers waren alldeutsche Kornblumen zu sehen, die Sozialdemokraten zeigten sich mit roter Nelke. Ein politisches Bekenntnis legten auch die Farben auf den Schleifen der Kränze ab, die – in der Mehrzahl – »alldeutsch« SchwarzRot-Gold oder rot, in der Farbe des internationalen Sozialismus, waren. Darauf befanden sich Aufschriften wie »Opfer des Systems« oder »Opfer des § 14«.402 Das sogenannte »Blutbad von Graslitz« wurde von der deutschnationalen Propaganda als Folge des absolutistischen Regimes des Grafen Thun und des § 14 dargestellt. Die Wogen an Beschuldigungen und Beschimpfungen, die sich auf dem
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Höhepunkt des Sommers 1899 über Thuns Haupt ergossen, nahmen gespenstische Ausmaße an. Die Stellung der Regierung Thuns war unzweifelhaft erschüttert. Nicht jedoch unmittelbar als Folge der explosiven Ereignisse, die in Zusammenhang mit der Steuererhöhung auf Zucker standen, sondern einfach deshalb, weil in »maßgeblichen Kreisen« die Überzeugung um sich gegriffen hatte, dass es zur Befriedung der Monarchie keine andere Möglichkeit gebe, als den Forderungen der deutschen Parteien zu entsprechen und die Sprachenverordnungen aufzuheben. Mit den »maßgebenden Kreisen« war vor allem Kaiser Franz Joseph selbst gemeint, der allerdings seinem Ministerpräsidenten zumindest bis jetzt den Rücken gestärkt hatte. In Briefen einflussreicher Diplomaten und deutscher Politiker wurden Beschwerden und Befürchtungen geäußert, dass der Kaiser dem deutschen Element gegenüber voreingenommen sei und dass er dessen Bedeutung für das Reich nicht genug zu schätzen wisse. Es tauchten Unterlagen auf, die beweisen sollten, dass in Österreich seit dem Amtsantritt Badenis im Jahr 1897 oder sogar seit Taaffe 1879 schlechte Politik gemacht worden war, nämlich antideutsch und proslawisch, und dass es nötig sei, dies zu ändern. Baernreither flößte einigermaßen Furcht ein, indem er in einem Schreiben vom 23. August 1899403 vorhersagte, dass die Situation beim erneuten Zusammentreten des Reichsrates im Oktober schlimmer als unter Badeni im Jahr 1897 sein werde (es wird sich noch »Ärgeres abspielen«). Er echauffierte sich darüber, dass »Krone und Regierung«, also Franz Joseph und Thun, das Pfingstprogramm ignorierten und berichtete, dass er eine Gedenkschrift verfasst habe, die der Kaiser lesen sollte. Darin schilderte er Österreich als ein Land, das an der Schwelle zur Revolution stand. Er behauptete, dass bei den Deutschen der Eindruck entstanden war, dass der »Träger der Krone« eine »slawische Politik« befürworte und das deutsche Element vorsätzlich zu schwächen gedenke. Es drohe eine deutsche Irredenta ! Eine neue Regierung sei nötig, die auf der Grundlage des Pfingstprogramms stehe ! Auch der österreichisch-ungarische Botschafter in St. Petersburg, Aloys Lexa von Aehrenthal, brachte sich in die Diskussion ein. Er schrieb einen Brief an den Chef des Generalstabes, Friedrich Beck-Rzikowsky.404 Höchstwahrscheinlich ging er davon aus, dass der Mann, der an der Spitze der kaiserlichen Armee stand (und der den Kaiser seit seiner Kindheit kannte), einen gewissen Einfluss auf den Monarchen haben würde. Darüber hinaus wusste er, dass er bei Manövern, die in Nordböhmen stattfinden sollten, mit Franz Joseph zusammentreffen werde. Aehrenthal teilte dem Generalstabschef Folgendes mit : Das Reich sei in der Krise, er habe allen Glauben daran verloren, dass Graf Thun das Land aus der Sackgasse herausführen könne, seine Regierung stehe in enger Verbindung mit den Böhmen, von den Deutschen werde erwartet, sich der Regierung und den Tschechen unterzuordnen ; stehe Thun weiterhin der Regierung vor, komme es zu keiner Lösung, aber zu weiteren Skandalen. Es sei nötig, zu den Grundsätzen der Verfassung des Jahres 1867 zurückzukehren.
Der Rücktritt von Graf Thun
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Dass Thuns Position erschüttert war, wurde offenkundig, als der Kaiser am 28. August in Bad Ischl ohne Wissen des Ministerpräsidenten den Politiker Johann von Chlumecký empfing. Am 2. September 1899 notierte Jaroslav dazu in sein Tagebuch : »Gestern kam Ernestine mit Philipp [Schwester von Franz und Jaroslav Thun mit Sohn] […] von Wien mit dem Eindruck, dass Franzens Stellung nur mehr nach Tagen zählt. Der Mann wird abermals mit riesiger Kränkung scheiden, denn er treibt die Ergebenheit gegen seinen Kaiser so weit, daß er zum Schaden der Sache bleibt bis er gegangen wird ! Das ist das Unglück des Kaisers und Österreichs, daß er nicht von so hyperergebenen Männern umgeben ist, die ihm gegenüber ihre eigene Würde ganz außer Acht lassen ! Und mit der bitteren Pille der Kränkung kehrt dann der arme Franz in sein verwaistes Tetschen zurück […].«405 Und am 17. September : »Gestern war Franz hier fruchtbar disgustiert über die Schlechtigkeit der Menschen – der arme Teufel, […] [alle] Schimpfungen, die de tout côté gegen ihn geschleudert werden, er hat keine Stütze in gar keiner Partei und, leider Gottes, auf die Dauer im Allerhöchsten Herren auch nicht !«406 Der Rücktritt von Graf Thun
Bis zum letzten Augenblick, bis zu dem Thun an der Spitze seiner Regierung stand, arbeitete diese und erfüllte ihre Versprechen. Am 19. September 1899 setzte er um, was er den Jungtschechen versprochen hatte – in Brünn sollte die Tschechische Tech nische Hochschule errichtet werden. Bei der Kabinettsitzung vom 23. September 1899 verkündete Graf Thun um 9.00 Uhr, dass seine Regierung demissionieren werde. Eine Stunde später fuhr ihn der Kutscher im vorgeschriebenen schwarzen Frack mit Ordensminiaturen und schwarzer Krawatte nach Schönbrunn – der Ministerpräsident legte sein Amt in die Hände des Kaisers. Rücktritt – welche Gefühle bewegten Graf Thun an diesem Septembertag in Schönbrunn ? Höchstwahrscheinlich deprimierende. Was er als Ministerpräsident zustande bringen wollte, war ihm nicht gelungen. Er schied mit einer Flut von Angriffen und Beleidigungen aus dem Amt, darüber hinaus ging er in die Einsamkeit – während seiner Amtszeit war er zum Witwer geworden. Dank des Korrespondenten der Národní listy, Josef Penížek, ist bekannt, dass Thun auf jenen Augenblick, als er die Audienz hinter sich gebracht hatte, in der seine Demission angenommen worden war, mit Humor zurückblicken konnte. Er erzählte, wie sein tschechischer Kutscher Riedl, ein eigentümlicher Mensch, die Ministerpräsidentenschaft seines Arbeitgebers einschätzte. Thun imitierte angeblich unwiderstehlich seine wunderliche Diktion. Solcherart fing Penížek Thuns anekdotische Erzählung ein : »Der Diener František nahm Thuns Frack, an dem sich Miniaturen seiner Orden befanden und sprach dabei kein Wort. Diese Einsilbigkeit und Teilnahmslosigkeit
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kam Thun ansonsten vielleicht recht gelegen, heute aber ärgerte sie ihn. Wahrscheinlich hatte er in diesem Augenblick das Verlangen, sich mit jemanden auszutauschen, weshalb er František fragte : ›Weißt Du wo ich war ?‹ – ›Na was soll ich schon fragen, wo Ihr wart.‹ – ›Ich war in Schönbrunn.‹ Es folgte eine Pause. Nach einer Weile fragte Thun : ›Und Du fragst nicht einmal, was ich dort gemacht habe ?‹ – ›Das ist Eure Sache, was geht mich das an.‹ Wieder eine Pause. Nach einer Weile wieder Thun zu František : ›Ich war in einer Audienz.‹ František : ›Das wart Ihr schon einige Male.‹ Wieder eine Pause. Nach einer mehrminütigen Pause sagte Thun zu František : ›Aber heute war die letzte Audienz.‹ Diesmal sagte František nichts. Eine neue Pause. Thun : ›Weißt Du, was das ist, die letzte Audienz ?‹ František : ›Ich weiß es nicht.‹ Thun : ›Die letzte Audienz ist die, in der man seine Demission einreicht.‹ František schwieg. Nach einer Weile wieder Thun : ›Weißt Du, was eine Demission ist ?‹ František : ›Das weiß ich nicht.‹ Thun : ›Damit Du es weißt : Ich habe ein Gesuch um meine Entlassung übergeben, und das wurde angenommen, das heißt, ich bin nicht mehr Minister.‹ František gab auch nach dieser Erklärung keinen Laut von sich. Einige Augenblicke später sagte Thun zu František : ›Weißt Du was das bedeutet ? Das bedeutet, dass wir nicht weiter hier bleiben werden und dass wir nach Tetschen zurückkehren.‹ Thun wartete vergeblich auf eine Antwort des alten František. Weshalb er das Gespräch mit einer Frage fortsetzte : ›Und was sagst Du dazu ?‹ – ›Jetzt fragt Ihr mich‹, erwiderte František eilig, ›als wir hierher gefahren sind, habt Ihr nichts gesagt, aber ich habe schon damals gesagt, dass das nichts für Euch ist.‹«407 Graf Thun machte sich auf elegante Weise über seine Entscheidung lustig, im März 1898 das Amt des Ministerpräsidenten übernommen zu haben : Selbst sein Kutscher wusste, dass es nichts für ihn gewesen sei. Thun blieb bis zur Ernennung eines Nachfolgers durch den Kaiser im Amt. Das vom Monarchen in eigener Handschrift am 2. Oktober 1899 verfasste Schreiben war voller Anerkennung und im inniglichen Ton gehalten. Er lobte Thuns vaterländische Beflissenheit, dessen Ergebenheit an den Kaiser, dessen opferbereite Pflichterfüllung und verlieh ihm das Großkreuz des Königlich-Ungarischen Sankt Stephans-Orden.408 Die Verlierer : Franz Thun und die Tschechen
Ohne Rücksicht auf die hohe Auszeichnung und die anerkennenden Worte in dem kaiserlichen Schreiben lag wohl Jaroslav Thun mit seiner Einschätzung richtig, dass sein Bruder aus dem Amt des Ministerpräsidenten mit dem Gedanken an den Misserfolg und dem Gefühl, es sei ihm Unrecht angetan worden, geschieden war. Am 8. Oktober 1899 beklagte sich Franz Thun in einem Antwortschreiben an den polnischen Politiker Julián Dunajewski : »[…] danke [ich] für die wohlwollende Beurthei lung meiner ministeriellen Thätigkeit. […] Ich habe schwere Zeiten hinter mir, war
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bestrebt, meine Pflicht gewissenhaft zu erfüllen, meinem geliebten Kaiser treu zu dienen, die Energie der Geduld, die ruhige Entfaltung ist mir nicht mehr vergönnt gewesen ; ich musste den zahlreichen mir gegnerisch gesinnten Elementen weichen. […] Ich bin sehr bekümmert um die weitere Entwicklung der Dinge, die obstruierende […] aber regierungsunfähige Minorität hat eine Regierung gestürzt[,] an deren Seite eine Majorität stand, […] unsere Linke, resp. die liberalen Deutschen [können] wohl negieren[,] aber nicht regieren […].«409 Der Rückzug des Grafen Thun vom Amt des Ministerpräsidenten bedeutete gleichzeitig eine Niederlage für die tschechische Politik. Die Epoche der Regierungen Badeni, Gautsch und Thun ging zu Ende, deren Politik – abgesehen von allen Peri petien und Unterschiedlichkeiten – von der Voraussetzung ausgegangen war, dass Tschechisch als die Sprache der nach den Deutschen zahlenmäßig stärksten Nationalität in Cisleithanien in irgendeiner Form als (innere) Amtssprache zur Geltung kommen sollte. Ein neues Kabinett unter Manfred Clary-Aldringen übernahm die Regierungsgeschäfte mit einer klaren Zielvorgabe : Am 17. Oktober 1899 veröffentlichte die Wiener Zeitung die »Verordnung der Ministerien des Innern, der Justiz, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaus vom 14. October 1899, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im Königreiche Böhmen [und in der Markgrafschaft Mähren]«, welche die bestehende Sprachenverordnung »außer Kraft setzte« und so – rechtlich und theoretisch – den Stand vor dem 5. April 1897, somit also vor der Veröffentlichung der Badenischen Verordnungen, wieder herstellte. Die deutsche Obstruktion hatte gesiegt, die Tschechen hatten verloren. Zudem hatte auch der Parlamentarismus eine Niederlage erlitten, die Mehrheit war von der Minderheit in die Knie gezwungen worden.
Kapitel 15
Die neue Familie von Franz Thun Fürstin Wilhelmine Marie zu Schwarzenberg, die Mutter der verstorbenen Anna, schrieb ihrem Schwiegersohn, dass er darüber froh sein könne, mit seinem Verzicht auf das Amt des Ministerpräsidenten sein politisches Märtyrertum beendet zu haben.410 Fürwahr, die letzten Monate war die Ausübung des Ministerpräsidentenamtes kein Vergnügen gewesen. Nichts war gelungen, und die deutsche Presse wütete direkt gegen den Ministerpräsidenten, schrieb über seine teuflischen umstürzlerischen Absichten und über das Blut, das an seinen Händen klebte (»Blutbad von Graslitz«). Nichtsdestoweniger hatte das Amt des Ministerpräsidenten Arbeit bedeutet, nie enden wollende Arbeit, welche die Zeit ausfüllte und zu vergessen half. Nun war dem ein Ende bereitet. Franz Thun war zwar ein freier Mann, aber vor ihm tat sich eine riesige Leere auf. Seine geliebte Anna war vor zehn Monaten gestorben und er war alleine zurückgeblieben. Die Rückkehr in das Tetschener Schloss – er kam am 4. Oktober 1899 dort an – war nicht leicht für ihn. Von dort schickte er an seine Mutter Leopoldine, wie sein Bruder Jaroslav schreibt, einen »furchtbar traurigen Brief«.411 Der Bruder versuchte sich vorzustellen, wie es um die Gefühle eines Mannes bestellt sein müsse, der es gewohnt sei, von einer Fülle an Aufgaben und Arbeiten umgeben zu sein, der ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, und der mit einem Mal nicht wisse, was er tun solle. Zusammen mit seiner Mutter und einem Teil seiner Verwandtschaft begab er sich nach Tetschen, um so dem einsamen Franz beizustehen, der nun, als nicht mehr jeder Augenblick mit Arbeit und Politik ausgefüllt war, an seine verstorbene Anna dachte. Jaroslav vermerkte, dass es seinem Bruder nicht gelinge, seine geistige Balance wiederzufinden : Jedes Mal, wenn ihn etwas an Anna erinnere – und was sollte ihn im Tetschener Schloss nicht an sie erinnern – stiegen ihm Tränen in die Augen.412 Der 52-jährige kinderlose Witwer und Politiker, der dem aufreibenden und höchst exponierten Amt den Rücken gekehrt hatte, versuchte von Neuem, sein Leben ins Gleichgewicht zu bringen. Im April 1900 begab sich Thun als einfaches Mitglied einer Gruppe tschechischer Pilger nach Rom und in den Vatikan. In seinem Nachlass befindet sich neben Informationsmaterial auch eine Bescheinigung über einen »vollkommenen Ablass in der Todesstunde«, ausgestellt von Seiner Heiligkeit Papst Leo xiii. an die Pilger und ihre Verwandten.413 Wie aus der Korrespondenz mit dem Heiligen Stuhl hervorgeht, wurde auf Thuns Wunsch eine außerordentliche Messe im Petersdom gefeiert. Im Mai 1900 besuchte er die Weltausstellung in Paris.414
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Abb. 40: Gräfin Ernestine Gabriele von Thun-Hohen stein (verwitwete Wratislaw von Mitrowitz, gebo rene Thun-Hohenstein aus dem in Klösterle ansässigen Zweig), zweite Frau von Franz Thun
Franz Thun trug schwer an der Vereinsamung. In ihm reifte eine Entscheidung heran, die er am 3. Jänner 1901 bei einem Spaziergang in den Wäldern der Tetschener Herrschaft seinem Bruder mitteilte. Jaroslav Thun vermerkte alle Details gewissenhaft in seinem Tagebuch : »Wir, Franz und ich, benützen gestern Ritschls und der Kinder Abwesenheit, [um eine] große Waldpromenade zu machen. […] Im letzten Drittel derselben, es begann die Sonne schon tiefe Schatten zu werfen, eröffnete mir Franz seinen Seelenzustand ohne mir eine Überraschung zu bereiten ! Er sagte, er könne allein nicht leben, das sei ihm unmöglich, und, wenn er es andererseits als ein Vergehen gegen das Andenken Annas halte, so müßte er sich doch eine Lebens gefährtin suchen, frei von aller jugendlichen Liebes-Überhastung – mit ruhiger Überlegung ! Er hatte eben jetzt mit seiner Schwiegermutter und mit Mamman darüber gesprochen, die ihm beide (mag [es] erster doch sehr schwer gefallen sein) – in liebevollster Weise ihre Zustimmung gaben, und so sei er entschlossen, diesen nach vielen Seiten schweren Schritt zu unternehmen !«415 Im Folgenden gibt Jaroslav die Überlegungen seines Bruders über die Auswahl einer Braut wieder, die strikt dem Prinzip folgten, dass für einen Vertreter des böhmischen historischen Adels eine »nicht standesgemäße Ehe«, das heißt eine Eheschließung mit einer Dame nichtadeliger Herkunft oder die aus einer neuen, erst vor Kurzem nobilitierten Familie stammte, nicht annehmbar sei.
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Abb. 41: Franz Thun mit seiner Braut Ernestine am 20. Jänner 1901 auf der Fahrt von deren Sitz in Dirna zur Hochzeit nach Prag.
Es ist nicht bekannt, ob Franz Thun eine Ausgabe des Gothaischen Genealogischen Hofkalenders zur Hand nahm, der vor allem Angaben zu den adeligen Häusern aus dem Gebiet des ehemaligen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation umfasste. Seine Auswahl war vom Gesichtspunkt der Gewohnheiten des böhmischen Adels aus betrachtet aber ganz und gar korrekt. Jaroslav setzte er seine Überlegungen auseinander : »Aber wen ? Zwei hat er vor Augen : die 34 jähr. Prinzessin Antoinette Isenburg, eine nach allem, was man hört, hoch veranlagte, äußerst distinguierte junge Person – oder die 43 jähr. Ernestine Wratislaw, Witwe Eugens ! In beiden Fällen seien pro und contras ! Im ersten Fall die trostlosen finanziellen Verhältnisse der Familie Isenburg, ihre Mutter, geb. Herzogin Toscana, und ihre unversorgten Geschwister würden ihm [Franz] zu Last fallen, resp. man müßte die ganze Familie mitheiraten. […] Bei Ernestine spräche nur dagegen, daß sie zwei Kinder, einen 17 jähr. Sohn und eine jüngere Tochter hat, sonst war sie eine intime Freundin Annas, in dem Kreis vertraut, in den sie käme.«416 Jaroslav Thun befürwortete und würdigte die Absicht seines Bruders. Er sagte ihm, dass er es sich schon früher gedacht habe, dass sich er, Franz, einen neuen glücklichen
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Abb. 42: Franz Thun mit seiner Frau Ernestine und Töchterchen Anna
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Abb. 43: Franz Thun mit seiner Frau Ernestine in der Kutsche auf dem Hradschiner Platz in Prag
Hausstand aufbauen solle, dass er aber noch nicht die Gelegenheit gefunden habe, ihm dies näherzubringen. Jaroslavs überschwengliche Zustimmung zu den Heiratsplänen seines Bruders war jedoch keineswegs selbstverständlich, konnten doch diese schwerwiegende Änderungen in der Besitzfolge nach sich ziehen : Das Tetschener Fideikommiss wurde in der männlichen Linie weitervererbt, ein Erbe, das nach dem kinderlosen und verwitweten Franz gerade auf den um 16 Jahre jüngeren Jaroslav übergegangen wäre. Aus einer neu geschlossenen Ehe des Tetschener Majoratsherrn hätte aber nun ein Sohn hervorgehen können, der dann anstelle von Graf Jaroslav Thun das Erbe angetreten hätte. Jaroslav stellte allerdings keine derartigen Überlegun gen an, für ihn standen das Wohl seines von ihm bewunderten älteren Bruders, der einer Familie bedurfte, und dessen seelisches Gleichgewicht im Vordergrund. Ohne Vorbehalte unterstützte er daher dessen Heiratspläne. Nicht so jedoch Jaroslavs Frau Ritschel : Als ihr Mann von der großen Neuigkeit, den Heiratsplänen ihres Schwagers, erzählte, äußerte sie darüber ihre Unzufriedenheit. Vielleicht hatte sie schon damit gerechnet, dass das Tetschener Majorat in den Besitz ihrer Familie übergehen werde. Jaroslav notierte dazu mit einiger Enttäuschung : »Ich hatte gehofft, sie müsste es ebenso freudig begrüßen wie ich – leider ! Gott gebe, daß
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Abb. 44: Franz Thun mit seiner Frau Ernestine im Jahr 1913
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die Zeit und die Gewöhnung an den jetzt sie überraschenden Gedanken ihr eine ruhigere und nüchternere Beurtheilung gewähren ! Ich glaube, es geht in allen Lebenstagen, wenn man im Vertrauen auf Gott niemals an sich, aber immer und liebend an den Nächsten denkt ! – Und damit basta !«417 Franz Thun ließ sich mit der Entscheidung zwischen der verschuldeten Prinzessin Isenburg und Ernestine Wratislaw, geborene Thun-Hohenstein aus dem in Klösterle an der Eger ansässigen Zweig, nicht lange Zeit. Möglicherweise hatte er diese bereits getroffen, als er dem jüngeren Bruder seinen Entschluss mitteilte. Am 7. Jänner 1901 machte er sich auf den Weg zu Ernestine nach Dirna (Dírná).418 Das Werben stand offenbar unter einem guten Stern, da Franz am 11. Jänner an seine Mutter Gräfin Leopoldine ein Telegramm sandte, in dem er mitteilte, dass er und Ernestine glücklich seien und dass die Verlobung bald stattfinden werde.419 Bereits am 22. Jänner vollzog der Prager Erzbischof Lev Skrbensky die Trauung in der Kapelle der Erzbischöfe im St.-Veits-Dom. Die Hochzeit verlief unter der Anwesenheit nur der allernächsten Verwandten beider Seiten wie Jaroslav konstatierte, »würdig und ruhig«. Nach einem »kleinen déjeuner«, das Gräfin Leopoldine Thun in ihrem Palais in der Nerudagasse ausrichtete, begaben sich die Neuvermählten nach Tetschen.420 Wie bescheiden die Hochzeitsfeier auch immer ausgefallen sein mag und wenn doch nur in den Gesellschaftsrubriken der Zeitungen darüber berichtet wurde, so ergoss sich doch eine wahre Flut an Gratulationen nach Tetschen. In Thuns Nachlass befinden sich 597 Telegramme und 309 andere schriftliche Glückwünsche. Unter diesen ist auch ein Telegramm von Thronfolger Franz Ferdinand, seiner Gattin Sophie, weiters die Telegramme einiger Erzherzöge und Erzherzoginnen, dazu eine Fülle an Gratulationen des böhmischen Adels. Auch verschiedene Vereine, Institutionen und Einzelpersonen gratulierten zur Vermählung, viele davon in tschechischer Sprache. Tschechisch schrieb man vor allem von den Alodialdomänen Perutz und Groß Zdikau (Velký Zdíkov) – so etwa der Gemeindeausschuss, die Gemeindevertretung, die Patronatsgeistlichkeit, die Freiwillige Feuerwehr, der örtliche Gewerbeverein und das Lehrerkollegium der Gemeindeschule. Tschechische Gratulationsschreiben sandten auch die Steinmetze jener Hütte, die an der Erneuerung des Veitsdoms arbeiteten (Thun war der Vorsitzende jenes Vereins, der sich für dessen Fertigstellung einsetzte), Veteranenvereinigungen, der Gemeindeausschuss in Schlan, der Bürgermeister von Sobieslau (Soběslav), die Beamten der Bezirkshauptmannschaft und der Steuerbehörde in Laun (Louny), das Wyschehrader Stiftskapitel in Prag sowie eine Reihe von Einzelpersonen. Die alttschechischen Politiker schrieben, so wie sie es schon zuvor getan hatten und wie sie es auch hinkünftig tun sollten, ihre Glückwünsche in der Mehrzahl auf Deutsch. Die persönlichsten Glückwünsche stammten jedoch vom Verleger Jan Otto, der die Rolle von Statthalter Thun bei der denkwürdigen Ausstellung im Jahr 1891 nicht
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Abb. 45: Franz Thun mit seiner Tochter Anna
Abb. 46: Gräfin Ernestine mit Töchterchen Anna im Kinderwagen auf dem Schlosshof
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hoch genug einzuschätzen vermochte : »Euere Exzellenz ! Eingedenk der besonderen Gunst Euerer Exzellenz, besonders verdient um unsere unvergeßliche Jubiläumsausstellung, zu deren großartigen Erfolg Ihr durch so hervorragende und wohlwollende Teilnahme beizutragen geruht habt und dadurch nicht nur die Dankbarkeit von uns allen, die wir mitgewirkt haben, sondern gewiss unseres ganzen Volkes erlangt habt, erlaube ich mir in allerhöchster Verehrung Euerer Exzellenz aus der Tiefe meines Herzens die aufrichtigsten Glückwünsche zu Euerer Verlobung auszusprechen. Möge Gott Euerer Exzellenz das volle Glück gönnen, damit Ihr in Zufriedenheit die Erfüllung aller Euerer edelmütigen Bemühungen zum Wohle unseres geprüften Vaterlandes erlebt.«421 Graf Thun hatte mit seinen 53 Jahren eine Braut heimgeführt und eine Familie gegründet. Im Juni 1902 begaben sich die Frischvermählten auf Hochzeitsreise, als ihr Reiseziel wählten sie das große Reich im Osten. Die Hotelrechnungen und Speisekarten belegen, wohin ihre Reise führte : Warschau – Minsk – Tallin – St. Petersburg – Moskau.422 Mit ihren Französischkenntnissen – beide beherrschten die Sprache sehr gut – kamen sie gut zurecht. Sie wohnten in luxuriösen Hotels – in Petersburg handelte es sich um das Hotel de France, in Moskau um das Hotel de Bazar Slave. In Petersburg erwarb Graf Thun bei einem Juwelier um 539 Rubel eine Brosche mit Mondstein und Brillanten, weiters Girlanden mit Mondstein, einen Pokal aus Kristallglas mit drei Granaten, ein Lesezeichen aus Frittenporzellan sowie einen mit Mondstein geschmückten Löffel. In Moskau war Graf Thun noch spendabler : für einen Pelz aus 30 Zobel bezahlte er 1.500 Rubel und für eine goldene Damenuhr 57 Rubel.423 Die Hochzeitsreise durch das riesige Zarenreich war für das Ehepaar Thun auch in anderer Hinsicht von besonderer Bedeutung – bei näherem Nachrechnen zeigt sich, dass in einem der luxuriösen Hotels ein neues Leben entstand. Am 3. August 1902 schrieb Franz Thun aufgeregt an seinen Bruder : »Gott sei tausendmal gedankt, wir glauben jetzt mit voller Sicherheit ›hoffen‹ zu können. Zweites Ausbleiben, viele Übelkeiten, Zunahme des Umfangs, lassen wohl kaum mehr einen Zweiffel aufkommen, daß Ernestine in der Hoffnung ist. Gott gebe, gnädigst weiters Seinen Segen !«424 Gräfin Ernestine Thun war schwanger, Graf Franz Thun stand, erstmals in seinem Leben, in der Erwartung, Vater zu werden. Das war für ihn aufregend, es war aber auch für seinen Bruder von großer Bedeutung. Jaroslav Thun beeilte sich damit, seinem Bruder in einem Brief vom 8. August425 zu versichern, dass er sich der Folgen bewusst sei, falls in Tetschen ein Sohn das Licht der Welt erblickt – dieser würde an seiner Stelle das Oberhaupt des Tetschener Zweiges der Familie Thun-Hohenstein werden und das Erbe der Fideikommiss-Domäne antreten. Franz Thun ersuchte seinen Bruder, im Fall der Geburt eines Sohnes das Amt des Taufpaten zu übernehmen. Jaroslav Thun stimmte der Übernahme des Patenamtes in einem Schreiben vom 8. August zu, verlangte jedoch, dass der Junge nicht seinen Namen – Jaroslav – tragen
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solle. Er äußerte den Wunsch nach der Unterbindung einer weiteren Namensverbreitung innerhalb der Familie, da es keinen entsprechenden Namenspatron gab. In einem Brief vom 17. August426 teilte Franz Thun bereits seinen Entschluss mit, dass der zukünftige Erbe den Namen ihres Vaters – Friedrich – erhalten solle. Franz Thun hatte sich so sehr in die Vorstellung hineingelebt, dass Ernestine einen männlichen Erben für das Tetschener Majorat zur Welt bringen werde, dass er Jaroslav am 21. Dezember 1902427 mitteilte, im Rahmen der »beiderseitigen materiellen Beziehungen« eine, wie er es nannte, »kleine Änderung« durchführen zu wollen. Diese fiel in Wirklichkeit aber äußerst großzügig aus : Er gab der Zentralkassa des Tetschener Majorats die Anweisung, Jaroslavs Apanage von 3.000 auf 14.000 Kronen zu erhöhen. Franz Thun informierte seinen Bruder in reichen Details über den Schwangerschaftsverlauf Ernestines. Selbst bekundete er, etwas ängstlich zu sein, was im höheren Alter der werdenden Mutter begründet lag. In das Tetschener Schloss zog – mit großem zeitlichen Vorlauf – Frau Reisinger ein, welche die Entbindung begleiten sollte, einige Male wurde die werdende Mutter von Professor Knapp untersucht. Am 19. März 1903 traf dann endlich das bereits erwartete Telegramm aus Tetschen ein : »Nach langem Leiden starkes Mädchen geboren, Mutter und Kind wohl – Franz.«428 Jaroslav Thun hatte mit seinem Bruder Franz und seiner Schwägerin Ernestine vereinbart, das neugeborene Kind zur Taufe zu bringen von dem alle geglaubt hatten, dass es ein Junge sein werde. Nachdem nun ein Mädchen zur Welt gekommen war, übernahm Wilhelmine Marie zu Schwarzenberg, die Mutter von Thuns verstorbener erster Frau, das Patenamt. Bei der Taufe, zu der 293 Glückwunschtelegramme eintrafen, erhielt sie deren Namen – Anna. Die Tatsache, dass in Tetschen ein Mädchen das Licht der Welt erblickt hatte, bedeutete, dass Jaroslav weiterhin Erbe des Majorats blieb. Franz Thun beeilte sich mit dem Dementi, dass die Geburt einer Tochter eine Enttäuschung sein könnte : »Gott hat uns ein kräftiges gesundes Kind gebracht, das ist ein großes Glück.«429 Am 10. Mai 1903, also etwa zwei Monate nach der Taufe, fand in Tetschen ein großes Familientreffen statt. Alle bewunderten die erstgeborene Tochter des Familienoberhaupts. Jaroslav Thun notierte dazu : »Die kleine Anna [ist] ein herziges gesundes Kindl mit großen blauen Augen. Franz begeistert. Welch ein merkwürdiges[,] aber rührendes hübsches Bild : dieser 56 jähr. Vater mit schneeweißen Haaren und das 7 Wochen alte erste Kindlein ; – Gott erhalte es ihm.«430 Noch einmal keimte die Hoffnung auf, dass in Tetschen ein Majoratserbe geboren werden könnte. Am 29. März 1904 notierte Jaroslav Thun in sein Tagebuch : »Wir kehrten gestern von Tetschen heim, wo wir vorgestern ankamen. Herrliches Wetter, frühjährlich, ließ die alte Heimat in voller Pracht erscheinen. Ernestine theils zu Bett, theils auf der chaiselonge[,] ist zwischen Hoffnung oder Ende aller Hoffnungen. Sie glaubt Erstes, möge es ihrem Wunsche entsprechend ausfallen.«431
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Drei Tage später wußte Jaroslav bereits, dass in Tetschen alles Hoffen vergebens war. Am 4. April notierte er : »Ernestines Hoffnungen, wie Franz uns gestern erzählte[,] zu nichts geworden. – die Arme, welch eine Enttäuschung für sie und auch für den lieben Franz !«432 Somit war es endgültig : Dem Grafen Franz Thun würde kein Sohn geboren werden. Erbe des Majorats würde, gesetzt den Fall, dass er seinen um 16 Jahre älteren Bruder überlebte, Graf Jaroslav Thun sein.
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Farbabb. 1: Schloss Tetschen um das Jahr 1840. Im Vordergrund am Ufer der Elbe der sächsische Dampfer Königin Maria
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Farbabb. 2: Votivbild der Familie Friedrich und Leopoldine Thun vor dem Motiv der Hochzeit von Kanaan in Galiläa, welches anlässlich ihrer Silbernen Hochzeit angefertigt wurde. Auf dem Bild sind ihre elf Kinder abge bildet (einschließlich der beiden bereits verstorbenen). Der älteste Sohn Franz blickt von links zu den Personen in der Bildmitte – Jesus und Maria – hin. August Wörndle, 1870 (Regionalmuseum Tetschen).
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Farbabb. 3: Kinderporträt von Franz Thun auf einer Miniatur aus den 1850er Jahren
Farbabb. 4: Gräfin Leopoldine Thun, geborene Lamberg, mit ihren Kindern auf einer Fotografie um das Jahr 1870. Der zukünftige Statthalter ist ganz rechts zu sehen.
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Farbabb. 5: Fenster in der Kreuzkirche in Tetschen mit dem Motiv des auferstandenen Christus, gewidmet an lässlich des 50. Thronjubiläums Kaiser Franz Josephs I. im Jahr 1898. Unten die Wappen der Familien Thun und Schwarzenberg mit den Initialen FT (Franz Thun) und ATS (Anna Thun-Schwarzenberg).
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Farbabb. 6: Wappen von Franz Fürst Thun-Hohenstein aus dem Jahr 1911. Der Fürstenstand, dem die Anrede »Durchlaucht« vorbehalten war, und der an die jeweils ältesten männlichen Nachkommen weitervererbt wurde, ging in der Tetschener Linie an die Er ben von Jaroslav über.
Gevierteter Schild, roter Mittelschild mit silbernem Balken (Caldes, ab 1604). Das erste und vierte Feld des Schildes ist blau mit einem goldenen Schräglinksbalken (Thun’sches Familienwappen). Das zweite und dritte Feld in Silber und Schwarz gespalten, in der rechten Hälfte ein roter Adler, in der linken Hälfte ein silberner Balken (Königsberg, seit 1516). Über dem Schild drei gekrönte Turnierhelme. Der mittlere Helm mit blau-goldener Decke rechts und rot-silberner Decke links, im Kleinod ein wachsendes Einhorn mit silbernem Balken, Horn und Hufe in Gold. Rechter Helm mit zwei blauen Hörnern, die mit je einem goldenen Balken durchzogen sind und mit blau-goldener Decke, im Kleinod des linken Helms eine Adlerschwinge, in der die Darstellungen des zweiten und dritten Schildes wiedergegeben werden. Der Schild wird von zwei roten Einhörnern mit Horn und Hufen in Gold sowie einem silbernen Mittelbalken getragen, deren Haupt abgewandt ist. Die Schildhalter ruhen auf einer goldenen Arabeske, über das ein silbernes Band mit der Aufschrift IM THUN NIE RUHN gelegt ist. Der Schild liegt vor einem purpurnen, in Gold eingefassten, mit Hermelin ausgelegten und auf den Seiten mit goldenen Schnüren gebundenen Fürstenmantel, der von einem Fürstenhut herabfällt. (Text im tschechischen Original: AL Mag. Otto Chmelík, Staatliches Gebietsarchiv Leitmeritz - Zweigstelle Tetschen-Bodenbach. Übersetzung unter Beiziehung von: J. Siebmacher: Die Wappen des böhmischen Adels. Band IV, 9. Abteilung. [Bearbeitet von Dr. Rudolf Johann Graf Meraviglia-Crivelli. Band 30. Nürnberg 1886]. Nürnberg 1979, S. 177.
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Farbabb. 7: Graf Franz Thun und Prinzessin Anna zu Schwarzenberg nach der Verlobung, die am 20. Februar 1874 stattfand.
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Farbabb. 8: Der patriotische Hilfs- und Unterstützungs-Verein in Prag, der sich die Unterstützung von kranken und verletzten Veteranen zur Aufgabe gemacht hatte, verlieh an Franz Thun am 11. März 1890 die Ehrenmit gliedschaft.
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Farbabb. 9: Diplom über die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des Veteranenvereins Spolek ryze vojenských vysloužilců in Prag-Pangratz an Franz Thun vom 13. Dezember 1891. Ehrenmitgliedschaften wurden von Veteranenvereinen vor allem an Mitglieder des Herrscherhauses (Erzherzöge) sowie an Aristokraten verliehen, die besonders hohe Funktionen in der Armee und der staatlichen Verwaltung innehatten.
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Farbabb. 10: Thuns Tagebuch der Reise durch den Nahen und Mittleren Osten erschien 1891 unter dem Titel »Eine Orient-Reise«.
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Farbabb. 11: Franz Thun gab eine beliebte Zielscheibe für zahlreiche, manchmal auch sehr bissige Karikaturen ab. Er war aber davon nicht gekränkt und wies seinen Archivar an, die über ihn in den verschiedensten Zeitungen erschienenen Karikaturen zu sammeln. Der entsprechende Karton umfasst eine ansehnliche Anzahl von Darstel lungen, die Franz Thun zeigen.
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Farbabb. 12: Die Karikatur in der jungtschechischen Zeitschrift Šípy spielt auf die geschwächte politische Position des böhmischen Statthalters Ende 1895 an. In Anlehnung an das geflügelte Wort Schillers »Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen« tritt Thun unter Mitnahme des »Ausnahmezustands-Paragraphen« ab.
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Farbabb. 13: Bürgermeister und Stadtrat von Dobruška verliehen Statthalter Franz Graf von Thun und Hohen stein am 24. November 1892 die Ehrenbürgerschaft der Stadt.
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Farbabb. 14: Die Karikatur zeigt Franz Thun bei seinem Ausscheiden aus dem Amt des Ministerprä sidenten, wie er beim Portier den Schlüssel mit dem Paragraphen 14 für seinen Nachfolger hinterlässt. Dies als Anspielung darauf, dass Thun als Minister präsident Rekordhalter bei der Anwendung dieses »Notparagraphen«, also dem Regierung mittels kaiser licher Verordnung, wurde.
Farbabb. 15: Die Gemeindevertretung der Stadt Gossengrün (Krajková) in Westböhmen verlieh Statt halter Graf Thun am 12. April 1896 die Ehrenbür gerschaft.
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Kuvert, in dem Franz Thun die kaiserliche Ernennung zum Ministerpräsidenten zugestellt wurde. Farbabb. 16 und 17: Schreiben vom 5. März 1898, mit dem Kaiser Franz Joseph I. Graf Franz Thun zum Ministerpräsidenten ernannt hat.
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Farbabb. 18: Franz Joseph I. verlieh Graf Thun-Hohenstein am 8. April 1898 den Orden vom goldenen Vlies.
Farbabb. 19: Ehrendoktorat der technischen Wissenschaften, ver liehen von der Prager Technischen Hochschule an Statthalter Thun, 11. Juli 1912
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Farbabb. 20: Franz Thun mit Gattin Ernestine und Tochter Anna auf Sommerfrische an der Adria bei Triest, Grado 1913, koloriertes Diapositiv.
Kapitel 16
1899–1911 : Franz Thun im Herrenhaus
Franz Thun und die deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen der Regierung Koerber
Die Aufhebung der Sprachenverordnungen bedeutete freilich keine Lösung jenes Problems, das zu einer tiefen Zerrüttung des Reiches geführt hatte. Als am 18. Jänner 1900 eine neue Regierung mit Ernst von Koerber als Ministerpräsident an der Spitze ernannt wurde, machte sich diese daran, eine Lösung für die Frage eines deutschtschechischen Ausgleichs in Böhmen und in Mähren zu finden. Koerber lud die Repräsentanten der politischen Parteien aus Böhmen und Mähren nach Wien ein, wo im Februar und März deutsch-tschechische Konferenzen abgehalten wurden. In der konservativ-katholischen Tageszeitung Das Vaterland erschien im Zusammenhang mit den beabsichtigten deutsch-tschechischen Konferenzen vom 23. Jänner bis zum 2. Februar 1900 eine nicht gezeichnete Artikelserie. Als einzigen Hinweis auf die Urheberschaft wurde der Vermerk »von befreundeter Seite uns gekommen« angeführt, da die Autoren in dem Blatt für gewöhnlich nicht genannt wurden. Nichtsdestotrotz kann die Urheberschaft Thuns als erwiesen gelten, da zu den entsprechenden in seinem Tetschener Nachlass abgelegten Ausgaben des Vaterlandes in seiner Handschrift vermerkt ist : »von Franz Gf. Thun.«433 Die Artikelserie zeigt, dass sich Graf Franz Thun mit der Problematik des deutschtschechischen Ausgleichs befasste, über profundes Wissen verfügte und zugespitzte Standpunkte vertrat. In der Einleitung begrüßt er die neue Regierung und die von ihr einberufene deutsch-tschechische Ausgleichskonferenz : »Ein neues Cabinet, das neutral, von gleicher Gerechtigkeit gegen alle Seiten sein will, ist mit der Führung der Regierungsgeschäfte betraut worden. Es hat sich fürwahr eine große Aufgabe gestellt. Die Versöhnung der Nationalitäten. Möge ein gütiger Stern ihm den Weg erhellen, auf welchem dieses Ziel erreicht werden kann. Das ganze Reich wird ihm dafür Dank wissen ! Der deutschböhmische Streit, der das Reich nicht zur Ruhe kommen läßt, soll in erster Reihe geschlichtet, es soll der Versuch gemacht werden, eine Verständigung zwischen beiden streitenden Theilen anzubahnen und herbeizuführen.«434 Thun erinnert daran, dass bereits zehn Jahre zuvor der Versuch eines deutsch-tschechischen Ausgleichs unternommen worden war : die bekannten (in unrühmlicher oder rühmlicher Erinnerung stehenden) Punktationen aus dem Jahr 1890. Der Grund, der zu ihrem Scheitern geführt hatte, so meinte der Autor, lag nicht in den »positiven
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1899–1911 : Franz Thun im Herrenhaus
Abb. 47: Feierliche Einsegnung und Eröffnung der Kaiser Franzens-Brücke in Prag am 14. Juni 1901, an der auch Kaiser Franz Joseph I. persönlich teilnahm. Schenkt man der zeitgenössischen Presse Glauben, waren die ersten Spaziergänger auf der neuen Brücke Jaroslav, Ernestine und Franz Thun (in der Uniform eines Majors der Dragoner).
Bestimmungen«, sondern darin begründet, dass die Sprachenfrage »nicht im Einverständnis geregelt werden konnte«, womit er meinte, dass sich die Punktationen nicht mit der Frage der inneren Amtssprache beschäftigt hatten. Dieser Fehler, fordert Thun, dürfe sich bei den nunmehrigen Verhandlungen nicht wiederholen. Zuerst müsse die Sprachenfrage geregelt werden, dann werde die Abgrenzungsfrage als weniger heikel betrachtet werden (somit also : Die deutsche Forderung der Abgrenzung Böhmens nach nationalen Gesichtspunkten wird die Tschechen weniger hart treffen, wenn die Verwendung des Tschechischen im amtlichen Verkehr sichergestellt ist). Wird erst die Sprachenfrage geregelt sein, so meinte Thun, werde eine ruhigere Atmosphäre herrschen und das Bedürfnis nach dem nationalen Frieden mache sich »in immer weiteren Kreisen geltend.« Thun appelliert an die Teilnehmer der von der Regierung Koerber vorbereiteten deutsch-tschechischen Konferenzen : »An die Arbeit denn, verehrte Mitglieder der Conferenzen ! Schließt den Frieden, gebt dessen Segnungen den durch Euch vertre-
Franz Thun und die deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen der Regierung Koerber
Abb. 48: Feierliche Eröffnung der Kaiser Franzens-Brücke – Franz Thun mit Gemahlin Ernestine.
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1899–1911 : Franz Thun im Herrenhaus
Abb. 49: Graf (ab 1913) Fürst Franz Thun – führender Vertreter der Rechten im Herrenhaus des Reichsrates.
tenen weiten Kreisen der Bevölkerung, schließt den Frieden und beachtet nicht die Angriffe Euerer radicalen Connationalen, die eben den Frieden nicht wollen, weil ihre ganze Bedeutung, ihre Existenz nur in der Fortdauer des Kampfes gelegen ist ! Doch seid mäßig ! […] Die Politik besteht nur aus Compromissen ; an der Hand der realen Verhältnisse müssen die Gegner schrittweise sich nähern, um endlich jenen Punct zu finden, den sie beide accepti[e]ren können, um einen ehrlichen Frieden zu schließen, bei dem es nicht Sieger und nicht Besiegte geben darf.«435 Thun skizziert die wichtigsten Grundsätze für die Lösung der Sprachenfrage in Böhmen : »Böhmen bildet eine Einheit – die Deutschen dürfen die Einheit des Landes nicht in Frage stellen. Die Böhmen können nicht leugnen, dass ein großer Teil ihres Landes ein »geschlossenes deutsches Sprachgebiet ist. In Böhmen gibt es gemischte Bezirke.« Weiters führte Thun aus : Beide Sprachen, Tschechisch und Deutsch, sind völlig gleichberechtigt. Diese Gleichberechtigung würde nicht bedeuten, dass etwa ein Tscheche in Eger (zur Gänze deutsch) die gleichen sprachlichen Rechte wie in Čáslav (Tschaslau) (zur Gänze tschechisch) hat und ebenso ein Deutscher in Tschaslau wie
Führender Repräsentant der Rechten im Herrenhaus
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in Eger, sondern, dass Deutsch mit denselben Rechten in den tschechischen Gebieten wie Tschechisch in den deutschen ausgestattet wird – somit also eine Abstufung der sprachlichen Rechte abhängig von der Höhe des prozentuellen Anteils der beiden Nationalitäten im jeweiligen Bezirk. Thun führte konkrete Berechnungen der tschechischen und deutschen Gerichtsbezirke an (der kleinsten administrativen Einheiten ; die größeren politischen Bezirke bestanden aus mehreren Gerichtsbezirken), bot einen tabellarischen Überblick über die nationale Zusammensetzung in den einzelnen Bezirken Böhmens, führte an, wo eine »Abgrenzung« möglich sei – also die Schaffung neuer Bezirke oder der Anschluss von Gemeinden an einen anderen Bezirk –, um so die größtmögliche Homogenität nach nationalen Gesichtspunkten zu erzielen. Tschechisch solle Amtssprache in den tschechischen Bezirken sein, Deutsch in den deutschen, in den gemischten Bezirken kämen – je nach dem Grad der nationalen Durchmischung – beide zur Anwendung. In Bezug auf die politische Verwaltung bestand Thun nachdrücklich auf dem Grundsatz, dass Böhmen ein einheitliches und unteilbares Land sei, welches von einem einzigen politischen Amt verwaltet werde, womit er sich der tschechischen These von der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit des Königreichs Böhmen annäherte. Thun schlug die Reorganisation der politischen Verwaltung Böhmens durch die Schaffung von Kreisen vor, was jedoch eine schon lange vorgebrachte deutsche Forderung war, die mit dem Versuch der nationalen Abgrenzung einherging. Thun erachtet die Schaffung von Kreisen aus dem Blickwinkel der Organisation staatlicher Verwaltung als rational. Dazu stellte er folgende Überlegung an : Böhmen ist mit seinen 51.967 km2 größer als Belgien, Sachsen oder Württemberg und verfüge über 93 Bezirkshauptmannschaften, die eine einzige zweite Instanz – die Statthalterei – hätten. Da diese mit Aufgaben einigermaßen überladen sei, wäre die Schaffung von Kreisen als zweite Instanz zweckmäßig. Fünf davon würden tschechisch, drei deutsch und vier gemischt sein ; die Einwohnerzahl der einzelnen Kreise würde sich auf etwa eine halbe Million belaufen. Fragen, die das ganze Land bzw. mehrere Kreise betreffen, würden in die Zuständigkeit des Statthalters und der Statthalterei fallen. Thun konnte sich die Einführung einer analogen Regelung später auch in anderen Kronländern der Monarchie vorstellen – vor allem im ausgedehnten Galizien.436 Führender Repräsentant der Rechten im Herrenhaus
Der Verzicht auf das Amt des Ministerpräsidenten ging mit dem Rückzug von Graf Franz Thun aus den Spitzenfunktionen in der staatlichen Verwaltung einher, wenngleich er auch weiterhin erbliches Mitglied im Herrenhaus blieb. Am 12. März 1900 ging Franz Thun ein Schreiben437 zu, in dem ihm Graf Friedrich Schönborn mitteilte, dass er – Thun – bei einer Sitzung der Rechten im Herrenhaus einstimmig zu deren
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Vorsitzenden gewählt worden war. Diese Funktion hatte er mehr als zehn Jahre lang inne. Erst mit der abermaligen Ernennung zum böhmischen Statthalter im Jahr 1911 legte er dieses Amt nieder. Im Allgemeinen galt er – sowohl unter seinen Parteigenossen und Freunden, wie auch unter seinen politischen Gegnern und Kritikern – als der fähigste Politiker und Redner nicht nur der Rechten, sondern des gesamten Herrenhauses. Franz Thun bemühte sich um die Profilierung des Herrenhauses als konservatives Korrektiv gegenüber dem Abgeordnetenhaus, um so dessen – heute würde man sagen – populistische Neigung auszugleichen. Das Herrenhaus sah er darin begünstigt, im Unterschied zum Abgeordnetenhaus nicht »unter dem Druck der Straße« handeln zu müssen. Die Frage der Demokratisierung des Wahlrechts in Österreich
Den gründlich durchgearbeiteten Vorschlägen von Ministerpräsident Koerber zur Wahlreform, die zwar nicht die Abschaffung des Kuriensystems, aber die doch wesentliche Erweiterung des Wählerkreises vorgesehen hätten, war keine Chance auf Verwirklichung beschieden, da in Österreich jeder Vorschlag zur Änderung des Wahlsystems aufgrund von nationalen Vorbehalten und Standesinteressen auf Ablehnung stieß und mit heftiger Gegenwehr rechnen musste. Eine Wahlreform, die das problematische Kurienwahlrecht (die Schmerling’sche »Wahlgeometrie«) beseitigt oder zumindest modifiziert hätte, konnte somit nicht ohne einen mächtigen Impuls von außen umgesetzt werden. Und dieser Impuls kam. Dafür verantwortlich war der Ausbruch des RussischJapanischen Krieges, in dessen Verlauf das Riesenreich im Osten zahlreiche Niederlagen erleiden sollte. Thun schrieb an Botschafter Aehrenthal nach Moskau : »Mein ganzes Interesse ist auf den ostasiatischen Krieg konzentriert – mein russophiles Herz sehnt sich nach endlicher Wendung des Kriegsglückes.«438 Im Juni 1905 ging er schon nicht mehr von einem solchen Umschwung aus. Der Krieg in Russland war für ihn verloren, er befürchtete weitere Niederlagen der russischen Armee und den Ausbruch einer Revolution : »In Rußland verdichtet sich der Einfluß der Friedensfreunde, es wird daher recht bald zu einem gewiß sehr teueren Frieden kommen. Alles besser aber wie ein Feldzug, in dem die Russen noch weiter neue Schläge bekommen werden. Ob sie im Lande die Revolution aufhalten werden ? Das ist die grosse Frage die man, wenn man die Zeitungen verfolgt, kaum zu bejahen wagt. Die Degenierung in [der] Verwaltung, die corrupte Wirtschaft würden eine Titanen-Arbeit verlangen, bei welcher das nötige Interesse fehlen werde. Der arme Czar ist beklagenswert.«439 Innerhalb kurzer Zeit schloss Russland tatsächlich Frieden mit Japan und im Land brach die Revolution aus. Am 30. April 1905 wich der Zar vor ihr zurück und verkün-
Die Frage der Demokratisierung des Wahlrechts in Österreich
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Abb. 50: Der sogenannte »Blumenbasar« stellte eine Form der Wohltätigkeit des Adels dar. Franz Thun im Jahr 1906 bei einem solchen.
Abb. 51: Franz Thun mit Gattin Ernestine zusammen mit jungen adeligen Damen auf einem »Blumenbasar«.
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dete in einem Manifest, dass in einem Land, das als der Hort des Konservativismus in Europa angesehen wurde, das allgemeine Wahlrecht eingeführt werden solle. In Österreich eskalierte die sozialdemokratische Kampagne für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und nahm ungeahnte Ausmaße an. Eine riesige Welle an Demonstrationen ergriff das ganze Reich, am 28. November 1905 gingen in Wien, Prag und in vielen anderen größeren und kleineren Städten Hunderttausende Menschen auf die Straße. Es vollzog sich etwas, das Franz Thun als »Druck der Straße« bezeichnet hatte und mit dem er sich nicht anfreunden konnte. Am 28. November 1905 weilte er in Tetschen, aber nicht einmal dort blieb ihm der Blick auf die Demonstranten erspart. An Jaroslav schrieb er : »Heute grosse Wahldemonstration im ganzen Reiche bei theilweiser Arbeitsniederlegung. Um 1/2 3 zieht ein grosser sozialistischer Zug von Bodenbach herüber zur Bezirkshauptmannschaft ; behördlich zugelassene Mobilisierung der Gasse wird sich noch bitter rächen. Wir leben mitten in der Revolution. Wie soll das liebe Österreich [das] überstehen !«440 Am 22. August hatte sich Ministerpräsident Gautsch bei der Sitzung des Ministerrates im kaiserlichen Sommersitz in Bad Ischl noch gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechts ausgesprochen. Nichtsdestotrotz ließ der Kaiser den Ministerpräsidenten am 3. November 1905 wissen, dass er sich für dessen Einführung entschlossen habe. Somit wurde die Umsetzung einer Wahlrechtsreform nicht nur von den Sozialisten in den Straßen eingefordert, sondern hatte auch im alternden Monarchen einen Fürsprecher gefunden !«441 Am gleichen Tag, als Hunderttausende sozialistische Demonstranten die Straßen und Plätze der Städte füllten, hielt Gautsch vor dem Abgeordnetenhaus eine Rede, in der er sich zum Prinzip des allgemeinen Wahlrechts bekannte, das Kurienwahlsystem abzuschaffen versprach und die Vorlage eines Gesetzesentwurfes für eine Wahlreform seitens der Regierung bis Februar 1906 versprach. Franz Thun und das allgemeine Wahlrecht
Am 2. Dezember 1905 fand im Herrenhaus eine Debatte über die Rede des Ministerpräsidenten statt, durch welche die Regierung ihre Absicht nach der Durchführung einer Wahlreform bekundet hatte. Als erster Redner ergriff Franz Thun das Wort. Seine Argumentationslinie gegen den Regierungsentwurf verband er mit der Kritik am Positionswechsel des Ministerpräsidenten, einer, wie er es nannte, »vollkommenen Wandlung seiner Anschauungen«. Der Herr Ministerpräsident, verkündete Thun, habe sich von einem »Bekämpfer des allgemeinen Wahlrechts« zu einem »warmen Verteidiger desselben« gewandelt.442 Eine solche Änderung des Standpunkts während eines Zeitraumes von nur zwei Monaten, führte der Redner weiter aus, ziehe einen
Franz Thun stimmt für das allgemeine Wahlrecht
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Vertrauensverlust der Regierung nach sich. Weiter sagte er : »[…] Ich habe das Gefühl, daß gerade die Pression der Demonstrationen, die, wie gesagt, zumeist auf der Straße stattfanden, der zwingende und bewegende Grund für die Sinnesänderung Seiner Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten war. […] Ich halte es aber für eine traurige Erscheinung, daß die Tritte von Tausenden von Menschen, die über die Ringstraße gezogen sind, die Resonanz zu der gleichzeitigen Erklärung Seiner Excellenz des Herrn Ministerpräsidenten abgegeben haben. (Beifall.)«443 Thun würdigte den Umstand, dass die Demonstrationen in Wien ruhig verlaufen waren, während sie andernorts gewaltsame terroristische Züge trugen. Der Gesetzesentwurf sei nicht auf Initiative der Regierung entstanden, sondern unter dem Druck der Demonstrationen, auf welchen die Forderung nach der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts erhoben worden waren. Es drohe die Gefahr, dass diese Forderung auch auf die Landtage ausgedehnt werde, wodurch es zu einem Umsturz der Verhältnisse im ganzen Reich kommen könne. Darüber hinaus sei der Entwurf zentralistisch und ignoriere das historische Moment. Änderungen des Wahlrechts, die ihre Zeit benötigten, müssten stufenweise und vorsichtig eingeführt werden, keinesfalls aber unter Druck und so, dass damit nicht die Grundlagen des Staates erschüttert werden. Franz Thun stimmt für das allgemeine Wahlrecht
Rund ein Jahr später, am 21. Dezember 1906, ergriff Thun in der – letzten – Generaldebatte im Herrenhaus abermals das Wort.444 Er erklärte, ein Gegner der von der Regierung vorgeschlagenen (und vom Abgeordnetenhaus bereits beschlossenen) Wahlreform zu sein, dass er es aber in der gegenwärtigen Situation, in welcher der Gesetzwerdungsprozess bereits so weit fortgeschritten sei, als Fehler erachte, wenn das Herrenhaus den Entwurf ablehnen würde. Es bliebe nichts anderes übrig, als sich um die Verbesserung der Vorlage zu bemühen, sofern dies politisch möglich sei. Thun deutete weiters an, in welche Richtung eine derartige »Verbesserung« gehen könnte : zum einen erwähnte er das »Prinzip der Pluralität«, andererseits brachte er den Grundsatz des »Numerus clausus« für das Herrenhaus ein. Pluralität bedeutete für ihn, dass ältere Wahlberechtigte mehr als eine Stimme bekommen sollten. Im weiteren Verlauf der Rede bezeichnete er diese Forderung allerdings als unerfüllbar, da es offensichtlich sei, dass die Chance einer Annahme dieses Prinzips der Pluralität durch das Abgeordnetenhaus »gleich null« sei. Der zweite Verbesserungsvorschlag Thuns ist von ganz anderer Art und verfolgt einen anderen Inhalt. Ein »numerus clausus« für das Herrenhaus bedeutet die Festlegung einer maximalen Anzahl ihrer Mitglieder. Thun argumentierte, dass das Herrenhaus damit »gesichert und gefeit« für den Fall sei, dass eine Regierung »in näherer oder ferner Zeit« den Beschluss eines Gesetzes
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herbeiführen wolle, indem es durch die Ernennung neuer Mitglieder die Abgeordnetenzahl erhöht. Über die konkrete Form der Wahlreform wurde ein zähes politisches Ringen geführt. Die bürgerlichen Parteien verhandelten vor allem über die Anzahl der Mandate, die in direktem Zusammenhang mit der Anzahl an Wählern in den einzelnen Wahlkreisen standen. Das Amt des Ministerpräsidenten übernahm am 2. Juni 1906 Max Wladimir Beck, der die Verhandlungen über die Wahlreform erfolgreich abschließen konnte : Am 1. Dezember 1906 wurde der Gesetzesentwurf vom Abgeordnetenhaus angenommen, am 21. Dezember 1906 vom Herrenhaus und am 26. Jänner 1907 von Kaiser Franz Joseph I. gebilligt. Die Rolle von Franz Thun im Ringen um die Wahlreform
Graf Franz Thun spielte im komplexen Ringen um die Wahlreform und deren konkrete Ausgestaltung eine besondere Rolle. Als Repräsentant der Rechten im Herrenhaus trat er dagegen auf, versagte ihr die Zustimmung und hielt Reden, die seine Standesgenossen in seinen Bann zogen. Gleichzeitig befand er sich in einer Situation, wie er sie in seinem bisherigen politischen Leben noch nicht erlebt hatte – für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts kämpften nicht nur die Sozialdemokraten und »die Straße«, sondern auch sein Kaiser setzte sich dafür ein. Franz Joseph I., der als Verkörperung des Konservativismus galt und dessen Abneigung gegen Neuerungen hinlänglich bekannt war, unterstützte Ministerpräsident Beck und setzte sich für die Umsetzung der Reform ein – vor allem machte er auch seinen persönlichen Einfluss geltend, um die Annahme des Gesetzes durch das Herrenhaus zu erwirken. Franz Thun fand an der Einführung des allgemeinen Wahlrechts wenig Gefallen, die Fürsprache des Kaisers jedoch gab der Angelegenheit eine andere Wendung. Er war sich dessen bewusst, dass ein Widerstand des Herrenhauses gegen das Wahlrecht am Ende nicht von Erfolg gekrönt sein werde. Bedřich Hlaváč gibt in seiner Biographie über Kaiser Franz Joseph die Atmosphäre vor der Abstimmung wieder : »Viele machten sich auf den Weg nach Wien, um an den Unterhaltungen und Beratungen im Jockeyclub teilzunehmen. Eines Abends zeigte sich dort auch Franz Thun […] und stand sofort […] im Mittelpunkt des Interesses aller Anwesenden. ›Nach meinen Informationen lässt sich an der Sache rein gar nichts ändern. Der Kaiser wünscht es sich, und da hört jeder Spaß auf ! Ich bin auch nicht begeistert, erlebe das jetzt schon zum dritten Mal : Taaffe, Koerber und jetzt Beck. Aber niemals hat der Kaiser so darauf bestanden wie er es jetzt tut‹, sagte er. Es regten sich Stimmen, die forderten, der Beschluss der Vorlage müsse vom Herrenhaus vereitelt werden. Franz Thun nahm sein Monokel zur Hand und setzte es auf, um den jüngeren Herren ins Gesicht blicken zu können. Er lächelte sie milde an. ›Sie meinen, das Herrenhaus sei dazu da, eine Ge-
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setzesvorlage zu ›kippen‹, deren Kodifizierung sich unser allerhöchster Herr absolut wünscht ?‹ Es wurde still. ›Wenn es im Interesse des Staates ist, dann muss auch das geschehen !‹ Es war der Schwager von Graf Thun, Karl Schwarzenberg, der sich so zu Wort gemeldet hatte. ›Ich meine, dass wir die letzte Entscheidung darüber, ob etwas im Interesse des Staates ist, Seiner Majestät überlassen müssen. Ich werde für die Regierungsvorlage stimmen‹, replizierte Thun und ging.«445 Die Regierungsvorlage, welche das Kurienwahlrecht abschaffte und das allgemeine Wahlrecht für das Abgeordnetenhaus einführte, wurde vom Herrenhaus angenommen. Der führende Repräsentant der Rechten, Franz Thun, hatte daran den größten Anteil. Einerseits würdigten die Kommentatoren Thuns Vorgehen bei der Annahme der Beck’schen Regierungsvorlage, andererseits erhob man – vor allem seitens einiger Standesgenossen – den Vorwurf, nicht bis zuletzt gegen das allgemeine Wahlrecht gekämpft zu haben. Franz Thun schrieb am 27. Dezember 1906 an Jaroslav : »Also gerade jetzt will ich mich öffentlich zeigen, weil eine große Zahl unserer Parteifreunde mit meiner Haltung im Herrenhaus nicht einverstanden war. Sie hätten alle mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen ! ! Vergessen […] die Kräfteverhältnisse zu beachten. Die Öffentlichkeit, die Presse, das Abgeordnetenhaus, die Regierung und die Krone und sogar ein Drittel des Herrenhauses sind gegen uns. […] Freilich, [wir] hätten das Unglück der Wahlreform nicht verhindern können, […] die Regierung musste mit uns verhandeln und dem Numerus Clausus zustimmen.«446 Jaroslav war der Auffassung, dass sein Bruder dem Staat und der Dynastie einen großen Dienst erwiesen hatte und ihm der dafür gebührende Dank versagt blieb. Am 3. September 1907 notierte er in Perutz, auf der Allodialdomäne seines Bruders, in sein Tagebuch : »Der gestrige Tag galt zunächst dem 60ten Geburtstag Franzens – 8te früh feierlicher Gottesdienst – nachher Gratulationen. Gott segne und erhalte ihn noch lange zum Wohle des Reiches und unser aller ! Erst die Zukunft wird lehren, was Franz dem Staate gewesen und […] [was für] ein trauriger Beweis unserer Zustände es ist, daß solche Männer nicht gehalten werden – darin liegt der Niedergang Österreichs ! Der größte Undank ! Das ist das Leitmotiv in der Geschichte der Habsburger !«447 »Für die nationale Versöhnung« – Rede im Herrenhaus
Die letzte Woche des Jahres 1908 brachte in Thuns Wirken ein Novum, das einmalig blieb : Er trat mit seiner Leseart der Nationalitätenproblematik in Böhmen an die Öffentlichkeit. Am 29. Dezember 1908 hielt er im Herrenhaus eine Rede, in der er sein Konzept zur Nationalitätenfrage bzw. zum deutsch-tschechischen Verhältnis in Böhmen formulierte. Nicht nur die Form der Rede, sondern auch die Tatsache, dass sie ins Tschechische übertragen und »auf eigene Kosten« – Thun finanzierte die
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Herstellung in der Druckerei der Alttschechischen Zeitung Politika – herausgegeben wurde, zeugt von der Tatsache, dass sie für die breitere politische Öffentlichkeit bestimmt war.448 Thun hielt seine Rede im Herrenhaus zu einer Zeit, als sich die Situation in Böhmen abermals zugespitzt hatte : Bei der Sitzung des Landtages griffen die deutschen Abgeordneten zu Obstruktionsmaßnahmen, die am 25. September 1908 in einen Skandal gipfelten – im Sitzungssaal des Landtages erklang das deutschnationale, im Grunde genommen alldeutsche, also nicht nur antitschechische, antislawische, sondern auch antiösterreichische Lied Wacht am Rhein. Nach Raufereien und anderen Zwischenfällen wurde der böhmische Landtag am 25. Oktober geschlossen. Die Zusammenstöße zwischen der Prager Bevölkerung mit »Couleurstudenten«, die in Trachten deutscher Studentenverbindungen demonstrativ vor allem auf dem Graben prominierten, führten am 2. Dezember 1908 nach elf Jahren erneut zur Verhängung des Ausnahmezustandes. Dieser dauerte keine zwei Wochen, am 14. Dezember wurde er wieder aufgehoben. Für die Einheit des Königreichs Böhmen
Franz Thun ergriff im Herrenhaus zu einer Zeit das Wort, als der deutsch-tschechische Konflikt nicht nur in Prag, sondern in ganz Böhmen erneut bedenkliche Ausmaße angenommen hatte. Nachdem er sich in einigen kritischen Worten zu den Unruhen in Prag geäußert hatte, folgte eine Passage, in der er sich mit der konstitutionellen und politischen Entwicklung des Reiches und mit dem Beginn des konstitutionellen Lebens in Österreich auseinandersetzte. »Ich frage mich also, woher die Erregung des böhmischen Volkes stammt ? Sie ist aus alter Zeit ; sie datiert vielleicht von der Zeit, wo Zentralisation und Germanisation gemeinschaftlich gearbeitet haben, um das böhmische Element nicht aufkommen zu lassen, sie datiert vielleicht aus jener Zeit, wo die [18]67er Verfassungsgesetze ohne, zum Teil gegen die Böhmen votiert worden sind, sie datiert gewiß aus jener Zeit, wo Bestimmungen dieser Verfassung den Böhmen nicht gleich gewährt worden sind. Ich meine darunter die Gleichberechtigung der Sprache in Schule und Amt, wo die Böhmen für ein Prinzip kämpfen müssen, das verfassungsmäßig gewährleistet ist.«449 Franz Thun verurteilte solcherart die Entstehung und die Konstruktion der Dezem berverfassung, die unterbliebene Realisierung ihres § 19 über die nationale Gleichberechtigung und den deutschliberalen Zentralismus. Im Anschluss richtet er einen kritischen Blick auf die Haltung der deutschböhmischen Politik gegenüber den Tschechen, die, wie er meint, die tschechischen Gefühle fortwährend verletze : »An Stelle des jedem Böhmen lieb gewordenen und auch verfassungsmäßigen Ausdruckes des Königreiches Böhmen wird bei jeder Gelegenheit der Ausdruck ›Provinz‹ gebraucht. Die böhmische Landesfarbe, die rot-weiße und nicht etwa eine slawische Trikolore,
Thun : »Alle Nationalitäten müssen sich in Österreich glücklich fühlen«
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wird im ganzen sogenannten geschlossenen deutschen Sprachgebiet als Provokation aufgefasst und auf das lebhafteste bekämpft. Erst vor kurzer Zeit, als aus Anlaß des Regierungsjubiläums in einem deutschen Bezirke eine böhmische weiß-rote Fahne ausgehängt war, hat sich der Bürgermeister der Stadt an die Bezirksbehörde mit der Bitte gewendet, diese Fahne, die eine Provokation ist, zu beseitigen.«450 Unmissverständlich erteilte Thun den deutschnationalen Forderungen hinsichtlich der Teilung Böhmens nach nationalen Kriterien eine Absage. Diese würden, so Thun, die böhmischen Gefühle zutiefst verletzen, die Tschechen könnten und würden dem niemals ihre Zustimmung erteilen. Thun fügte den bereits angeführten Gründen der tschechischen Erregung einen weiteren, unmittelbar politischen hinzu : die deutsche Obstruktion im böhmischen Landtag. Er befand sie als nicht gerechtfertigt und meinte, dass die Böhmen durch die Paralysierung des böhmischen Landtages erbost seien. Auch Thun war über das Vorgehen der Deutschen im Sitzungsaal des böhmischen Landtages sichtlich empört : »Als gar zum Schlusse des Landtages […] die ›Wacht am Rhein‹ gesungen worden ist, da war es nicht zu verwundern, daß das böhmische Empfinden auf das tiefste verletzt worden ist. (Zustimmung.) Die Tatsache ist sehr merkwürdig – ich lese sehr viel ausländische Zeitungen –, daß von den meisten deutschen Zeitungen verschwiegen worden ist, daß im böhmischen Landtage die ›Wacht am Rhein‹ gesungen worden ist.«451 Thun : »Alle Nationalitäten müssen sich in Österreich glücklich fühlen«
Als grundsätzliche Voraussetzung zur Lösung der Nationalitätenfrage erachtete Thun die Akzeptanz der Tatsache, dass Österreich kein Nationalstaat, sondern ein Nationalitätenstaat sei, das heißt, dass er sich aus einer Reihe von Nationalitäten zusammensetze : »In einem Nationalitätenstaate darf und kann kein Volk das alleinherrschende Volk sein. Es kann in dem Wettkampfe der Nationalitäten nur die höhere Kultur das Moment der Präponderanz bilden […].«452 Alle Nationalitäten müssten sich in Österreich so glücklich fühlen, damit sie nicht sehnsuchtsvoll über die Grenze blicken, sondern dass – im Gegenteil – ihre Konnationalen mit Neid auf die glücklichen Verhältnisse ihrer Stammesangehörigen in Österreich blicken. Die staatliche Verwaltung solle sich darum bemühen, dass die Nationalitäten in Östereich in den Genuss dieser höchsten Kultur kommen. Thun bezeichnete es als schweren Fehler, dass den Italienern und Südslawen in Österreich die Errichtung eigener Universitäten vorenthalten würde. Er sprach sich für die Schaffung einer zweiten tschechischen Universität in Brünn aus, was zu dieser Zeit eine der vordringlichsten Forderungen der tschechischen Politik darstellte. Er lehnte es prinzipiell ab, dass ihre Schaffung vom Einverständnis einer anderen Nationalität – in diesem Fall der Deutschen – abhängig sein sollte.
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Thun forderte, dass die Lösung der nationalen Fragen in Österreich auf dem B oden der einzelnen Kronländer erfolgen solle ; einzig im Rahmen ihrer »historisch-politischen Individualität«. Er vertrat die Meinung, die Monarchie solle nicht aus historischen Ländern, sondern aus Nationen gebildet werden – dass sie also ein Bund von Nationen sein solle, ohne Rücksicht auf die historischen Grenzen der einzelnen Länder. Böhmen – ein Land »zweier Völker«
Das deutsch-tschechische Verhältnis in Böhmen bezeichnete Thun als die wichtigste innere Frage. Die Lösung der Sprachenfrage erachtete er als Dreh- und Angelpunkt für das deutsch-tschechische Verhältnis : Im Land lebten zwei hochentwickelte Völker, die keine gemeinsame Gesprächsbasis hätten. Er kritisierte § 19 des Staatsgrundgesetzes, der die zwangsweise Aneignung einer zweiten Landessprache (Sprachenzwangsverbot) untersagte. Damals war man von der Voraussetzung ausgegangen, dass die Deutschen das Tschechische nicht benötigten und dass alle Tschechen Deutsch lernen. Das sei nicht erfolgt, die Verständigung der beiden »Volksstämme« sei im Vergleich zu früher schwieriger möglich. Thun verlieh seinem Wunsch Ausdruck, das aus dem § 19 hervorgehende Verbot zu beseitigen und dass die zweite Landessprache an den Mittel- und Bürgerschulen eingeführt werde, wodurch langsam eine neue Generation heranwachse, welche sich die andere Sprache aneignen könne. Während also eine neue Generation heranwachse, die sich (zweisprachig) verständigen könne, schlug Thun vor, sich der Dienste von Dolmetschern und Übersetzungen auf der Grundlage absoluter Gleichberechtigung zu bedienen. Er warnte vor einem einseitigen Oktroy und empfahl, die Verhandlungen über den Nationalitätenausgleich von Vertretern der Nationalitäten führen zu lassen. In jener Passage, die in der gedruckten tschechischen Übersetzung charakteristisch mit »Die Unteilbarkeit des Königreichs Böhmen« überschrieben ist, spricht sich Thun klar gegen die deutsche Forderung nach einer Teilung Böhmens und für die Einheit des »geliebten Königreichs Böhmen« aus. Er tat dies mit einer national eingefärbten Argumentation, die böhmischen Ohren gewiss schmeicheln musste, während sie für die böhmischen Deutschen bedrohlich klang und für Aufregung sorgen musste : »Ich konstatiere, ohne mir irgend eine Kritik zu erlauben, daß die Forderung der Deutschen das Neue darstellt und daß das böhmische Verlangen nach Beibehaltung der Einheit und Unteilbarkeit des Landes das historische Moment, das Alte ist. Ich möchte nur, obwohl es fast ein trivialer Vergleich ist, darauf hinweisen, daß im salomonischen Urteil jene Mutter als die wahre Mutter erkannt worden ist, die sich gegen die Teilung ihres Kindes ausgesprochen hat, ich möchte mir aber, ernst gesprochen, die Frage zu stellen erlauben, ob der Tiroler einverstanden wäre, daß die ruhmreiche
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gefürstete Grafschaft Tirol geteilt werde, ob der Steirer einverstanden wäre, daß sein Heimatland geteilt werde. Und doch sind in beiden Ländern die Deutschen in der Majorität und stellen jene Forderung begreiflicherweise nicht auf, die in Böhmen die Minorität aufstellt. Ich erlaube mir ferner an unsere verehrten Landsleute in Galizien die Frage zu stellen, ob sie der Teilung des Königreiches Galizien so leichthin zustimmen würden. Ich glaube daher, daß das eine Forderung ist, die zu stellen zum mindesten eine große Gefahr bedeutet hat und ich würde es sehnlichst wünschen, daß diese Forderung sich langsam abschwäche und zurückgestellt und zurückgenommen würde, denn ich glaube, wenn an dieser Forderung festgehalten wird, ist ein Friede im Lande Böhmen eine ausgeschlossene Sache.«453 Thun hielt fest, dass in Böhmen »geschlossene deutsche Sprachgebiete« existieren, urteilte aber gleichzeitig, dass man diese »Abgeschlossenheit« nicht politisch verabsolutieren und Angelegenheiten von Wirtschaft und Verkehr beiseite lassen könne. Solange das Recht auf Niederlassungsfreiheit gelte, das sich nach Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften richte, sei es nicht möglich zu verhindern, dass sich im deutschen »geschlossenen Sprachgebiet« tschechische Minderheiten ansiedeln würden. In einer weiteren Passage seiner Rede setzt sich Thun polemisch mit der deutschnationalen Unterscheidung zwischen der »bodenständigen« deutschen Bevölkerung und den »fluktuierenden« böhmischen Arbeitern auseinander, denen sprachliche und politische Rechte aberkannt wurden und die der Verfolgung seitens der deutschen Nationalisten ausgesetzt waren. Thuns Ausführungen nahmen sich ganz und gar wie die eines modernen Wissenschafters aus, der die Vorzüge der wirtschaftlichen und kulturellen Immigration in den Vordergrund rückte : »Und wenn wir uns die Verhältnisse im nördlichen Böhmen ansehen – ich stamme aus dieser Gegend und kenne die Verhältnisse sehr genau und bin auch sehr genau orientiert über die Empfindungen und Regungen der dortigen Bevölkerung – so werden mich, glaube ich, die Herren nicht einer Unwahrheit zeihen, wenn ich die Behauptung aufstelle, daß trotz aller Anerkennung des theoretischen Begriffes des geschlossenen Sprachgebietes ich nicht über die Tatsache herauskomme, daß Bergwerk, Industrie, Gewerbe und Haushaltung die Heranziehung böhmischer Arbeitskräfte unter allen Umständen unbedingt nötig machen, weil die einheimischen Arbeitskräfte zur Leistung der Arbeit nicht genügen, weil die Arbeiter, die man aus dem Lande heranzieht, durch ihre Arbeitsamkeit, durch ihren Fleiß, durch ihre Geschicklichkeit, durch ihre Sparsamkeit ein willkommenes Element sind, eine Arbeiterschaft, die mit zum Blühen und Gedeihen dieses Landstriches beiträgt und deren gewaltsame Entfernung geradezu eine Katastrophe für die Industrie, für das Gewerbe und für das Bergwerkwesen bedeuten würde, die die Blüte dieser Gegend darstellt. Wir müssen für diese Minorität sorgen […].«454 Jenen Abschnitt seiner Rede, in dem er sich mit den deutsch-tschechischen Verhältnissen in Böhmen auseinandersetzt, beendete Thun wie folgt : »Denn wir stehen
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seit jeher auf dem Standpunkte, daß beide Völker im Königreiche Böhmen gleiche Rechte haben und wir verpflichtet sind, für die gleichen Rechte einzutreten. (Lebhafte Zustimmung.) Ich spreche all dies – was mir natürlich in der Öffentlichkeit sehr verargt werden wird – deshalb aus, weil ich ein Deutscher bin, es aber seit jeher, seit meinem ersten Auftreten im politischen Leben, als heiligste Pflicht betrachtet habe, die Dinge möglichst objektiv zu prüfen, um mich auch in die Lage der nationalen Gegner versetzen und das Empfinden der beiden Volksstämme richtig erfassen und beurteilen zu können.«455 Thuns am 29. Dezember 1908 im Herrenhaus gehaltene große Rede legt den Schluss nahe, dass sich der Schwerpunkt seines politischen Interesses nach Böhmen hin verlagert hatte. Dessen war sich auch Jaroslav bewusst, der dazu festhielt, dass sich sein Bruder mit der Rede als »größter Kenner der Verhältnisse in der böhmischen Frage« präsentiert habe.456
Kapitel 17
Zweite Statthalterschaft von Graf (Fürst) Franz Thun
Thuns Rückkehr in die böhmische Landespolitik
In der Habsburgermonarchie waren offizielle Feiern vor allem mit dem 18. August – dem Kaisergeburtstag – verknüpft. Im ganzen Reich fanden Militärparaden statt und in den Kirchen wurden feierliche Gottesdienste abgehalten. Es gab kein Jahr, in dem Franz Thun den kaiserlichen Geburtstag überging. Jedes Jahr sandte er, gleich, ob er im In- oder Ausland war, nach Bad Ischl, wo der Kaiser regelmäßig weilte, ein Glückwunsch- und Huldigungstelegramm.457 Am 18. August 1910 befand er sich gerade in Wien. Vier Tage später schrieb er an seinen Bruder nach Sušice (Schüttenhofen) : »Besten Dank für den lieben[,] langen Brief vom 17[ten], den ich an dem geliebten Kaisers-Geburtstag in Wien erhielt. Meine Gedanken und Gebete waren am 18ten nur in Ischl. Gott erhalte uns den lieben Kaiser. Der kurze Einleitungsartikel im Vaterlande am 18ten war von mir. Ich telegrafierte 18ten nach Ischl und am 19ten früh 6 Uhr hatte ich gnädige Antwort mit der Unterschrift Franz Josephs. Das ist doch rührend. Das Hochamt in der Stephans Kirche mitgemacht. Es waren gegen 30 Geheime Räthe, darunter 22 active und pensionierte Minister ! Das Amt hielt Erzbischof Nagl, das Te Deum der Kardinal von beiden Seiten unterstützt. Es war ergreiffend, wie eine Stimme aus dem Jenseits. Am Vorabend große Kaiserfeiern in der Ausstellung bei massenhafter Theilnahme. Ganz Wien reich beflaggt.«458 Franz Thun war nicht nur für einen kurzen Aufenthalt nach Wien gekommen, sein Besuch dauerte sicherlich länger als eine Woche. Sorgfältig und unleugbar von Stolz erfüllt zählt er in seinem Schreiben auf, wie viele Geheime Räte sowie ehemalige und aktive Minister ebenso wie er am Festgottesdienst teilgenommen haben, gleichsam so, als wollte er seinem Bruder damit mitteilen, dass er erneut in Kontakt mit der hohen Politik stand. Das war auch tatsächlich der Fall. Ministerpräsident Bienerth bemühte sich um die Klärung der verfahrenen Situation, als auch die tschechischen Reichsratsabgeordneten zur Vergeltung für die deutsche Obstruktion im böhmischen Landtag zu Obstruktionsmaßnahmen griffen. In Thun, dem erfahrenen und mittlerweile auch schon berühmt gewordenen Kenner der deutsch-tschechischen Materie, sah er einen Politiker, der einen Beitrag zur Schlichtung der Verhältnisse in Böhmen leisten könnte. Am 30. September 1910 trat der böhmische Landtag zu einer Sitzung zusammen, in der die Einsetzung einer nationalpolitischen Kommission und einer Steuerkom-
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Zweite Statthalterschaft von Graf (Fürst) Franz Thun
mission erfolgte, die sich mit den Ausgleichsvorlagen der Regierung vom September 1909 befassen sollten. Franz Thun gehörte beiden Kommissionen an und brachte sich auf imponierende Weise in die Beratungen ein. Der Konsul des Deutschen Reiches in Prag, Fritz Freiherr von Gebsattel, bemerkte dazu in einem Schreiben an den deutschen Kanzler Bethmann Hollweg : »Hiezu sei er in der Tat der berufendste und fähigste politische Führer in Böhmen. Im Verlaufe der Ausgleichsverhandlungen im vorigen Jahre habe sich zum Erstaunen der übrigen Teilnehmer an den Konferenzen gezeigt, dass kein anderer Abgeordneter die mannigfaltigen und schwierigen Ausgleichsfragen so erschöpfend beherrschte und offenbar so gründlich studiert habe, wie gerade Graf Franz Thun. Gestützt auf ein reiches, von ihm selbst gesammeltes schriftliches Material und auf seine langjährige Erfahrung sei es ihm möglich gewesen, sogar bei der Beratung der beiden wichtigsten und kompliziertesten Materien, der Änderung der Landesordnung und der Abgrenzungsfrage, die Leitung der Debatten in die Hand zu nehmen. Auch habe er sich von Anfang an jede ordentliche Mühe gegeben, um die Gegensätze zu mildern und eine Einigung der Parteien herbeizuführen.«459 Rückkehr an die Spitze der politischen Verwaltung in Böhmen ?
Karl Coudenhove, der die Funktion des böhmischen Statthalters seit Thuns Abschied im Jahr 1896 innehatte, wurde von einer ernsten Gehirnerkrankung heimgesucht. In maßgeblichen Kreisen herrschte die Überzeugung, dass Graf Franz Thun-Hohenstein der einzige Politiker sei, dem es gelingen könnte, den Gordischen Knoten des Nationalitätenstreits in Böhmen vielleicht zu lösen oder gar zu zerschlagen. Am 12. Dezember 1910 schrieb Franz Thun an seinen Bruder : »Neulich bekam ich eine dringende Dépesche von Latour [Mitglied des Herrenhauses, den die Regierung öfters mit politischen Vermittlertätigkeiten betraute] in der er mich bittet, gleich nach Wien zu kommen. Er eröffnete mir dort, er sei von der Regierung ersucht worden, mich zu sondieren, ob ich den Statthalterposten anzunehmen bereit wäre. Ich war wie vom Schlage gerührt ! Alles was ich als Hindernisgrund nur sammeln konnte, brachte ich hervor : Familie, Alter, Unkenntnis der Sprache, die schwierigen nationalen Verhältnisse, die [nationale] Verwilderung in der Beamtenschaft. […] Ich wiederholte meine Bedenken eindringlichst, empfahl ihm einen anderen Standesgenossen. Er ersuchte mich, die Sache noch zu überlegen und ihm dann zu schreiben. Dies tat ich heute. Nach eingehender Begründung aller meiner Bedenken, deren Tenor auf die grösste Unlust meinerseits hinweist, sagte ich, daß ich einem direkten Befehl des Kaisers willfährig sein müsse, stellte aber eine ganze Reihe von Bedingungen, die mir die Selbständigkeit sichern und mich vor Einmischung in allen Details sichern. […] Ich wollte eigentlich ganz positiv ›nein‹ sagen. H. Clam [Heinrich Clam-Martinic], der einzige, den ich zu Rathe zog, bat mich im Interesse der Sache, dies nicht zu thun.
Rückkehr an die Spitze der politischen Verwaltung in Böhmen ?
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Er glaubt, ich könne für einen Ausgleich als Statthalter noch besser wirken. Wir sind vollkommen aufgeregt bei dem Gedanken, dass wir wieder in das Joch eingespannt werden sollen. Hoffentlich geht dieser Kelch an mir vorbei ! Wenn der Kaiser aber befiehlt, kann ich nicht streiken. Nun warte ich geduldig ab[,] was weiter geschieht, ob ich von der goldenen Freiheit und Unabhängigkeit Abschied nehmen muss. Ich bitte diese Mittheilung als vollkommenes Geheimnis zu bewahren, ich wollte es Dir, dem lieben Bruder, mit dem ich alles bespreche, aber nicht verheimlichen. Ausser Latour und Clam weiß es Niemand – auch diesen ist der Mund gebunden.«460 Thun empfing Ministerpräsident Bienerth, dem gegenüber er, wie er an Jaroslav schrieb, seine Einwände gegen seine Ernennung wiederholte, wenngleich er ebenfalls erklärte, dem »direkten Befehl des Kaisers« gehorchen zu wollen. Er nannte aber auch eine Reihe von Bedingungen, unter denen er das Amt des Statthalters übernehmen würde ; vor allem ging es ihm um eine unabhängige Stellung gegenüber der Regierung. Franz Thun legte seinen Standpunkt zur Übernahme des Statthalteramtes noch ausführlicher in einem umfangreichen Brief an den Ministerpräsidenten dar. Sehr persönlich schreibt er darin : er sei 63 Jahre alt, im Unterschied zu früher wisse er jetzt, was Müdigkeit sei, seine Frau sei krank gewesen und brauche die Ruhe auf dem Land, auch der 8-jährigen Tochter möchte er die gesunde Landluft gönnen. Eingehend beschreibt Thun, dass der Statthalter in Böhmen über die wichtige Fähigkeit verfügen müsse, der tschechischen Sprache kundig zu sein, wobei er jedoch über nur ungenügende Kenntnisse verfüge. Er führt Klage über die Nationalisierung der Beamtenschaft und beinahe schon drohend verkündet er, dass er als Statthalter jeder nationalen Beeinflussung der Beamten mit Entschlossenheit entgegentreten würde. Zugleich formuliert er den Grundsatz, dass die politische Verwaltung in Böhmen vom nationalen Standpunkt her objektiv und gerecht sein müsse : »In Böhmen darf gegen keine der beiden Nationalitäten regiert werden. Beide müssen davon durchdrungen sein, dass sie bei der Regierung das gleiche Wohlwollen finden. […] Gelingt der Ausgleich zwischen beiden Völkern oder wenigsten die Erreichung eines Waffenstillstandes, dann kann man auch hoffen, dass unsere parlamentarischen Verhältnisse langsam einer Besserung entgegengehen.«461 Einerseits äußert Franz Thun im Brief an seinen Bruder den Wunsch, dass »dieser Kelch« an ihm vorübergehen möge, andererseits ist es offenkundig, dass er mehr und mehr mit der Übernahme des Amtes des Statthalters rechnete. Bei einem Besuch des Thronfolgers überzeugte er sich davon, dass ihn dieser für einen geeigneten Mann halte, über den Verlauf der Audienz beim Kaiser schreibt er : »Ich fürchte, dass die Würfel schon geworfen wurden. Es ist das ein Opfer, das ich mit Ernestine bringe. Ich bin verzweifelt.«462 Es wäre sicherlich nicht gerechtfertigt zu behaupten, Thuns Haltung zum Angebot der Übernahme des Statthalteramtes in Böhmen sei heuchlerisch gewesen, dass
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diese Position seinen Ehrgeiz befriedigte und dass er nur pro forma Einwände geltend machte. So einfach lagen die Dinge nicht und Thuns Gefühle waren sicherlich widersprüchlich. Im Grunde war er ein historischer Optimist und vertrat – wie er es oft formulierte – die Auffassung, dass es einfach zu einer Aussöhnung zwischen den zwei hochentwickelten Nationalitäten in Böhmen kommen müsse. Einen Mann, der über großes Selbstbewusstsein und große Selbstsicherheit verfügte konnte die Perspektive reizen, als »Ausgleichsstatthalter« in die Geschichte einzugehen und damit dem Kaiser, Österreich und Böhmen einen historischen Dienst zu erweisen. Auch wenn er über den Verlust der »goldenen Freiheit« klagte, ließ ihn doch die Vorstellung nicht gleichgültig, sich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu befinden. Er war allerdings nicht frei von realistischen Befürchtungen was ihn erwartet, da er sowohl während seiner ersten Statthalterschaft als auch in der Zeit als Ministerpräsident bereits einige schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Bei eingehender Befassung mit der vorherrschenden Situation, einschließlich dem Verlauf der Ausgleichsverhandlungen, konnte er ahnen, dass weder der nationale Ausgleich noch sein Wirken in der Funktion des Statthalters zu einem guten Ende gebracht werden können. Wehmütiges Scheitern der Ausgleichsverhandlungen im Jahr 1910
Die Ausgleichsverhandlungen, die im Oktober und November 1910 unter der Ägide des Ministerpräsidenten und dann unter der Schirmherrschaft des Oberstlandmarschalls geführt wurden, waren durchaus von einiger Hoffnung auf einen guten Ausgang begleitet. Franz Thun verbrachte die Weihnachtsfeiertage und den ersten Tag des neuen Jahres 1911 bei seiner Familie in Tetschen. Am 2. Jänner befand er sich jedoch erneut in Prag, wo er seinen vorbereiteten Vermittlungsvorschlag vorstellte, der ein Kompromiss sein sollte, auf dessen Grundlage die weiteren Gespräche aufbauen sollten. Dazu kam es jedoch nicht. Die deutsch-tschechischen Verhandlungen scheiterten. Franz Thun schrieb dazu an seinen Bruder : »Ich war [gestern] zu den beiden Besprechungen in Prag ; die zweite hat zu vollkommenen Scheitern der Verhandlungen geführt. Die Deutschen waren unleidlich, stellten ihre Forderungen in voller Kenntniss, daß sie nicht bewilligt werden ; ihre Tendenz geht unausgesetzt dahin, die Böhmen zu reizen, sie möglichst in scharfe Opposition zu treiben. […] Dass der Ausgleich gescheitert, alles bisher Geleistete und Vereinbarte von der Bildfläche verschwunden ist, ist sehr traurig. Es wird ganz von Neuem angefangen werden müssen. Wann aber wird sich der gute Wille dazu finden ? Wer soll den Versuch wagen ? Mittlerweile wird der finanzielle Zusammenbruch des Landes erfolgen – dessen Consequenzen sind nicht einzuschätzen. Ich habe in einem ausführlichen Briefe an Bienerth über die letzte Conferenz berichtet und meine Anschauung über meine Statthalterei entwickelt. Zu Deiner Orientierung schreibe ich, gegen baldige Rücksendung[,] einen gleichzeitigen
Wehmütiges Scheitern der Ausgleichsverhandlungen im Jahr 1910
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Abb. 52: Vor seiner Rückkehr in die Spitzenpolitik verbrachte Franz Thun mit seiner Familie längere Zeit an der Adriaküste. Rückkehr mit dem Dampfschiff aus Grado im August 1910.
Brief an EH Franz [Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand]. […] Hoffentlich erhalte ich jetzt nicht den Befehl [in Original unterstrichen] des Kaisers.« An den Ministerpräsidenten schrieb er : »Die ganzen Ausgleichsverhandlungen sind gescheitert. Der Krach nach der heutigen Besprechung ist ein komplet[t]er. Man darf sich darüber keiner Illusion hingeben. Vielleicht kommt eine Zeit, wo man wieder an eine Friedensarbeit gehen wird – es wird dann aber ganz von Neuem angefangen werden müssen[,] alle bisherigen Vereinbarungen, Zugeständnisse etc. existieren nicht mehr.«463 Franz Thun verfasste diesen Brief unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse dieses Tages. Der Sprecher der deutschen Verhandler, Raphael Pacher, erachtete Thuns Kompromissvorschläge als unzureichend und brachte die deutschen Forderungen mit ultimativer Strenge vor : Die von den Deutschen in den bisherigen Verhandlungen erzielten Ergebnisse sollte augenblicklich im Gesetzesrang festgeschrieben werden, ein Vorgehen, das jedoch auf die tschechischen Forderungen keine Anwendung finden sollte. Die Tschechen antworteten, wie zu erwarten gewesen war, mit gänzlicher Ablehnung. Thun äußert sich in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten zum ultimativen Auftreten der Deutschen wie folgt : »Als Politiker müssten sie sich klar [darüber] sein, wie diese Forderungen von böhmischer Seite aufgefasst werden wird ; als directer Faustschlag. Sie wollten die ablehnende Antwort haben –
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Abb. 53: Porträtaufnahme von Graf Franz Thun, um 1910.
weil sie gegenwärtig überhaupt den Frieden nicht wollen. […] Die Böhmen sollen in scharfe Opposition getrieben werden – das dürfte heute den Deutschen gelungen sein.«464 Unter dem Eindruck des Scheiterns seines Kompromissvorschlages und des absoluten Misslingens der Ausgleichsverhandlungen widerrief Franz Thun seine Zusage zur Übernahme des Amtes des böhmischen Statthalters, die er Ministerpräsident Bienerth (und auch dem Kaiser) bereits gegeben hatte. An Bienerth schrieb er : »Was für eine Consequenz kann das für mich haben ? Wäre der Faden der Verständigung auch noch so dünn, weiter zu spinnen gewesen, hätte ich es für möglich gehalten, hier als Statthalter den Versuch zu machen, mein Mögliches zu leisten, ich hätte alle persöhnlichen Opfer zu bringen gewußt. Wie steht es aber jetzt ? Meine Friedensbedingungen von beiden Seiten verworfen ; die Ausgleichsverhandlungen total gescheitert ; gänzlich abgebrochen ; alles, was bisher geleistet wurde von der Bildfläche verschwunden. Die Böhmen werden, fürchte ich, eher schärfer als milder sich zur Regierung stellen, sie müssen das den Statthalter bei jeder Gelegenheit empfinden lassen – ich habe das schon einmal verkostet. Die Deutschen mögen mich nicht ; sie wissen mit Recht, dass ich mit ihrer ungerechten böhm. Politik nicht einverstanden bin. Ich wurde von keiner der beiden Seiten unterstützt, sondern von beiden Seiten gleichmässig auf das Wüthendste angegriffen werden, wenn ich für die Ordnung im Lande einzugreifen ver-
»Sie sind dazu berufen, das Ausgleichswerk zum Abschlusse zu bringen«
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pflichtet sein werde, wenn ich nationalen Übergriffen entgegentreten muss. Ich könnte allenfalls mit meinem guten Willen Friedensstatthalter, kann aber nicht ein Statthalter sein, der bei Wahrung der Gerechtigkeit gegen beide Seiten hin, ein unerbitterlicher Bekämpfer nationaler Unduldsamkeit wäre. Die Dinge haben sich anders gestaltet als [Euere] Exc.[ellenz] und ich es erwartet haben. Dieser total geänderten Verhältnisse halber muss ich heute sagen, dass ich als Statthalter hier nicht am Platze bin, ja dass ich bei meinem persönlichen Selbstbewusstsein, bei meiner ausgesprochenen Individualität nur eine grosse Verlegenheit für jede Regierung wäre. Ich bitte Exc.[ellenz] dies gütigst zu erwägen, hievon auch Sr. Maj[estät] e[ine]n Bericht zu erstatten. Der Kaiser weiss, wie gehorsam ich Ihm bin ; wenn ich aber einsehen muss, dass ich nicht nützlich wirken kann, möglicherweise nur eine Schwierigkeit mehr bilde, dann bin ich verpflichtet[,] meine Meinung frei auszusprechen !«465 »Sie sind dazu berufen, das Ausgleichswerk zum Abschlusse zu bringen«
Ministerpräsident Bienerth beeilte sich mit einer Antwort an Thun – sein Brief trägt das Datum vom 6. Jänner 1911.466 Ohne Rücksicht auf das Scheitern der deutschtschechischen Ausgleichsverhandlungen in Prag zu nehmen, sah der Ministerpräsident, der gerade mit der Zusammenstellung einer neuen Regierung befasst war, keinen anderen Ausweg, als sich auch weiterhin für einen deutsch-tschechischen Ausgleich einzusetzen. Für diese Aufgabe kam für ihn kein anderer Politiker als eben Franz Thun in Frage, der die Verhandlungen als böhmischer Statthalter führen sollte. Er schrieb ihm, dass nichts natürlicher sei, »als dass gerade die überzeugtesten und energischsten Vorkämpfer des Ausgleichsgedankens nach der harten traurigen Probe, auf die ihr Eifer für die gute Sache in den letzten Tagen gestellt wurde, einem gewissen Pessimismus zuneigen«.467 Bienerth würdigte Thuns »vaterländischen Mut«, wenn er in einer hoffnungslosen Situation einen ernsthaften und bedeutsamen Vermittlungsvorschlag unterbreitet hatte und bestätigte, dass sich infolge des Prager Misserfolges die politische Situation auch in Wien verschlechtert habe, wo er gerade eine Kabinettsliste erstellte. Nichtsdestotrotz erachtete der Ministerpräsident die »Ausgleichsidee« als »absolut richtig« und hielt »trotz der scheinbaren Niederlage« an ihr fest. Dann wandte er sich mit einer direkten Aufforderung an Thun : »Ich glaube nun, dass jene Persönlichkeit, die vor allem berufen wäre, das Ausgleichswerk zum Abschlusse zu bringen, dann am aller unentbehrlichsten ist, wenn die Grundlagen des Werkes in Frage gestellt erscheinen. Die öffentliche Meinung und zwar die deutsche nicht minder als die tschechische klammert sich im Grunde doch an den Gedanken, dass Eure Exzellenz als Statthalter Seiner Majestät nach Prag gehen und von diesem hohen Posten aus die langersehnte Friedensaktion in die richtige Bahn leiten werden. […] Ich bin fest überzeugt, dass nur durch das konsequente Vorgehen einer autoritativen Persönlichkeit, die, wie Eure
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Exzellenz, in strenger Unparteilichkeit den Staatsgedanken zur Geltung zu bringen entschlossen ist, jener öffentliche Zustand herbeigeführt wird, in dem sich der Gedanke eines vernünftigen und billigen Ausgleiches durchsetzen kann.«468 Franz Thun begab sich nach Wien und wurde, nach Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten, am 12. und 13. Jänner 1911 vom Kaiser empfangen. Jaroslav, der sich zur gleichen Zeit mit seiner Familie in Wien aufhielt, notierte in sein Tagebuch : »Bald nach unserer Ankunft kam zu meiner größten Freude Bruder Franz auf einen Sprung – leider, leider als Statthalter von Böhmen ! Franz war beim Kaiser gewesen, hat ihm zuerst lange und gründlich alle schwerwiegenden Bedenken auseinander gesetzt, die grossen Nachteile für die Annahme des Amtes in Böhmen […] schließlich brachte er auch sein vorgeschrittenes Alter vor, wozu der Kaiser lächelnd sagte, er sei noch viel älter. Der Kaiser besprach alles sehr eingehend und sagte, er werde es sich überlegen. Gestern wurde er [Franz] wieder zum Allerh[öchsten] Herren zitiert und Allerhöchst Derselbe bat ihn, das Opfer zu bringen. Und da Franz, wie er sagte ›meinem Kaiser nichts abschlagen kann‹, so sind die Würfel gefallen und nach [dem] 22. J[änner] übernimmt er zu[m] zweiten Mal das dornenvolle Amt nur unter viel schlechteren und schwierigeren Auspizien ! Mir ist furchtbar leid um Franz und hoffe ich nur, daß er nicht zum zweitenmal kühl lachend fallen gelassen wird und zum zweitenmal mit Kränkung abgehen muß. Er selbst schien besorgt und momentan erschüttert über die Sache ; Gestern Abends fuhr er nach Tetschen zurück, kommt aber bereits von 16. früh für mehrere Tage wieder her.«469 Rückkehr in das Statthalterpalais
Mit Handschreiben vom 17. Jänner 1911470 ernannte Franz Joseph Graf Franz Thun zum Statthalter des Königreichs Böhmen. In einem Brief des Innenministers471 wurde der neue Statthalter angewiesen, sich am 19. Jänner um 9.45 Uhr zur Ablegung des Amtseides in der Hofburg einzufinden. Er legte fest, dass er in Gala und mit Ordensbändern gekleidet sein solle und erinnerte daran, Säbel oder Degen nicht abzulegen. All dies stellte für Graf Thun keine Schwierigkeit dar, da er mit dem Hofzeremoniell vertraut war und die entsprechenden Uniformen mit den dazugehörenden Orden gerne trug. Nach 15 Jahren kehrte Franz Thun in das Statthalterpalais auf der Prager Kleinseite zurück – wie zu sehen war, mit Skepsis und Misstrauen seines Bruders begleitet, und auch seine Gefühle waren sicher gemischt. Glückwünsche trafen ein : Er erhielt 91 Gratulationsschreiben und 66 Telegramme.472 Die feierliche Übernahme des Amtes erfolgte am 22. Jänner 1911. Bei dieser Gelegenheit hielt Thun eine feierliche Rede vor den Beamten der Statthalterei. Wie das erhalten gebliebene Konzept der Rede473 zeigt, hielt er dabei an dem G rundsatz fest, dass Böhmen das »Land zweier Volksstämme« sei : Von Absatz zu Absatz wechselte
Rückkehr in das Statthalterpalais
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Abb. 54: Porträtaufnahme von Franz Thun in der Uniform des Statthalters, wahrscheinlich März 1911.
er zwischen Deutsch und Tschechisch. Im vertrauten Deutsch hätte er wahrscheinlich ohne Redeunterlage sprechen können – die Improvisation in seiner Muttersprache lag ihm sehr. Eine deutsch-tschechische Rede musste er jedoch vorab verschriftlichen. Franz Thun übernahm die Statthalterei und deren Apparat mit großem Behagen. Er organisierte gerne. In Briefen an seinen Bruder beschrieb er, wie er sich Orientierung verschaffte, das Amt nach und nach »in die Hand« bekam und sich ein Urteil über die einzelnen Abteilungen und deren Vorsteher bildete. Die ersten zwei, drei Wochen war der neue Statthalter von Empfängen und Aufwartungen in Anspruch genommen, die wie am Fließband abliefen, denn all das gehörte zum monarchischen Ritual. Vorstellig wurden Vertreter der Landesverwaltung und der staatlichen Verwaltung, der Ämter, der Kardinal-Erzbischof, Repräsentanten weiterer Kirchen, Vertreter der Städte, ausländische Konsule, deren Anzahl sich seit Thuns erster Statthalterschaft gehörig erhöht hatte. Thuns Ernennung wurde von einem beträchtlichen Teil der deutschen Presse mit der einzigen Zeitung »europäischen Formats« an der Spitze, der Neuen Freien Presse, mit feindschaftlichem Argwohn kommentiert. Franz Thun beschrieb sie so, dass die Zeitung sogar Einfluss auf
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den deutschen Kaiser ausübe, da die Berichte des deutschen Botschafters in Wien, Heinrich von Tschirschky und Bögendorff, nach Berlin ihrem Gehalt nach die Blatt linie widerspiegelten. Wilhelm II. war der Auffassung, dass die Ernennung Thuns zum böhmischen Statthalter einen antideutschen Akt darstelle. Thun notierte dazu : »Man sollte doch denken, daß es Deutschland gar nichts angeht, wen unser Kaiser zum Statthalter ernennt ! Die Neue Freie Presse ist halt leider eine grosse Macht !«474 In der Tat sollte das nicht die Angelegenheit des Deutschen Reiches sein, aber dessen Schatten schien über der ganzen Habsburgermonarchie zu liegen. Dazu ein charakteristisches Beispiel : Am 8. März 1911, also sehr bald nach seinem Amtsantritt, wandte sich Thun mit einer Frage an den Ministerpräsidenten. Der deutsche Radikale Wolf hätte in irgendeiner Rede verkündet, dass nach Mitteilung des deutschen Militärattachés in St. Petersburg in Sachsen zwei Armeekorps bereit stünden, um im Falle eines Kriegsausbruchs zwischen Österreich und Serbien nach Böhmen einzumarschieren, um eine erwartbare tschechische Revolution zu unterdrücken. Aufgebracht schrieb Thun : »Die Behauptung, daß in Böhmen ›eine allgemeine Revolution befürchtet werde‹, presentiert [präsentiert ; Anm. d. Übers.] sich also als Verleumdung niedrigster Sorte, die eine ernste Antwort gar nicht verdient, da sie schon unzählige male widerlegt wurde.«475 Selbstverständlich versicherte Bienerth Thun, dass die Nachrichten über eine Invasion deutscher Korps nach Österreich und Böhmen erfunden seien. Wie aber musste es um die Atmosphäre im Land bestellt sein, wenn der Abgeordnete Wolf offensichtlich mit einigem Genuss damit droht, das verbündete Deutsche Reich beabsichtige eine Invasion und sich der böhmische Statthalter beim Ministerpräsidenten versichert, dass dies nicht der Wahrheit entspricht ? Bei den Verhandlungen über den deutsch-tschechischen Ausgleich zeigten die deutschen Politiker zu dieser Zeit geringere Bereitschaft zu einem Kompromiss ebenso wie zu einem Abschluss eines Übereinkommens. Einer der dazu führenden Gründe beruhte auf der Tatsache, dass sie sich unter einem größeren Druck als die tschechischen Politiker befanden, da es im deutschen Millieu zur Entstehung einer sehr starken außerparlamentarischen Opposition gekommen war. Im Umfeld des Deutschen Volksrates für Böhmen, an dessen Spitze der in Trebnitz (Třebenice) ansässige Arzt Dr. Wenzel Titta stand, bildete sich eine national-radikale Bewegung, die sich auf die lokalen Gemeinderäte stützte. Tittas Volksrat stellte radikale Forderungen auf, die weit über den Rahmen der Ausgleichsverhandlungen hinausgingen : Thun wurde beschuldigt, die deutsche Obstruktion im böhmischen Landtag untergraben zu wollen und Druck auf die deutschen Abgeordneten auszuüben – angeblich hätte er es unternommen, ihnen direkte Vorschriften zu machen. In den ersten Wochen und Monaten arbeitete Franz Thun wochentags in Prag und fuhr sonntags zu seiner Familie nach Tetschen. Anfang April beklagte er sich in einem
Fürst Franz Thun
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Brief an seinen Bruder Jaroslav476 darüber, dass die Beschränkung des Familienlebens auf den Sonntag zu wenig sei und dass er bereits Vorbereitungen für die Übersiedelung von Ernestine und Anna nach Prag treffe. Aber noch am 23. April 1911 schrieb er aus Tetschen und es ist offensichtlich, dass er sich auch auf seinem Schloss keine Erholung von seiner Arbeit gönnte : »Es ist 1/2 7 früh. Ich sitze beim Schreibtisch. Hebe diesen Brief mit den einleitenden Worten gut auf, damit die staunende Nachwelt erfährt, wie arbeitsam Böhmens Statthalter im Jahre 1911 war ! Dass ich sehr schläfrig, gar nicht geistreich zu zeitlicher Stunde bin, will ich verschweigen, damit es kein schlechtes Licht auf mich wirft.«477 Im Mai oder Juni 1911 übersiedelten Thuns Frau und Tochter nach Prag, wenngleich sie es nicht gerne taten, da sie sich auf dem Land – also in Tetschen – wohler gefühlt hatten. Damit Thuns Familie aber doch nicht inmitten der dichtverbauten Stadt leben musste, ließen sie sich im Sommerschloss des Statthalters am Rande des Stromovka-Parkes nieder, wo sie sich bis zum Herbst aufhielten. Mit Beginn der kalten Jahreszeit übersiedelten sie Ende Oktober in das Familienpalais in der (heutigen) Nerudagasse. In dem Jahr, als Franz Thun erneut zum böhmischen Statthalter ernannt wurde, war er von Arbeit derart in Anspruch genommen – sei es durch das Amt, das er übernommen hatte oder aufgrund der deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen –, dass er es zeitlich nicht einrichten konnte, seinen gewohnten Sommeraufenthalt in Karlsbad anzutreten. Einen Kuraufenthalt von kürzerer Dauer gönnten sich er, seine Frau und ihre Tochter jedoch schon. Am 11. August 1911 richtete er an das Hotel Elisabeth in Bad Ischl eine Anfrage : »Am 20. oder 21. d. M. werde ich mit meiner Familie zu einem kurzen vorübergehenden Aufenhalte in Ischl einlangen. Ich würde […] benötigen : 1 grösseres Zimmer für die Fürstin und meine kleine Tochter, 1 Zimmer für mich und je 1 Zimmer für einen männlichen und weiblichen Diener. Bitte um Mittheilung ob ich dies bei Ihnen haben könnte, sowie ob dort auch für mein Automobil eine Unterkunft vorhanden wäre. Einen Salon brauche ich nicht.«478 Fürst Franz Thun
Ein bedeutendes familiäres Ereignis, das auch von gesellschaftlicher und sogar politischer Tragweite war, fand am 21. Juni 1911 statt. Franz Thun war ohne Zweifel aufgeregt und geschmeichelt, als er an seinen Bruder nach Kwassitz schrieb : »Das Geheimniss meiner Entrenous mit Montenuovo ist gelüftet. Er telephonierte mir heute, dass Se. Majestät mich in den Fürstenstand erhoben hat. Der Kaiser, meine Ergebenheit schätzend, wollte mir noch bei Lebzeiten eine Freude bereiten !«479 Die Gratulationen strömten nur so herbei. In Thuns Nachlass befinden sich dazu 10 Schreiben mit hunderten Unterschriften, 588 Telegramme, 139 schriftliche Gratu-
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Abb. 55: Der Kaiser empfing Fürst Franz Thun am 31. August 1911 um 11 Uhr in Bad Ischl. Die ganz und gar ungewöhnliche Veröffentlichung der Bildreportage jener Audienz zeigt, dass der Kaiser dem böhmischen Statt halter seine Unterstützung für dessen Bemühungen um einen deutsch-tschechischen Ausgleich in Böhmen öffentlich aussprechen wollte.
lationen und 79 Visitenkarten mit Glückwünschen.480 Es gratulierte auch Thronfolger Franz Ferdinand. Der in der Anwartschaft auf den Thron an zweiter Stelle stehende (und künftige Kaiser) Erzherzog Karl übersandte sogar aus London ein Glückwunschtelegramm, wo er den Monarchen bei den prächtigen Krönungsfeierlichkeiten von George V. vertrat. Am gleichen Tag, als Franz Thun vom Kaiser in den Fürstenstand erhoben wurde, fand der zweite Durchgang der Parlamentswahlen statt, bei denen die Christlichsozia len – auf deren Unterstützung das Kabinett Bienerth angewiesen war – eine schwere Niederlage erlitten, worauf am 28. Juni 1911 die ganze Regierung entlassen wurde. Mit der Zusammenstellung eines neuen Kabinetts wurde der ehemalige Ministerpräsident und nunmehrige Präsident des Obersten Rechnungshofes, Baron Gautsch, betraut. Während die Ministerpräsidenten wechselten, verblieb der böhmische Statthalter – damals bereits schon Fürst Franz Thun –, ein Mann, von dem man sich die Lösung der brennendsten politischen Frage Österreichs erwartete, in seinem Amt.
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Als sich die Mitglieder des neu gewählten Reichsrates am 17. Juli 1911 in der Wiener Hofburg trafen, um der Thronrede des Monarchen zu lauschen, war – als Mitglied des Herrenhauses – auch Franz Thun anwesend. Im vielfarbigen Mosaik bestehend aus unterschiedlichen Uniformen, Ornaten und Trachten ging er gewiss nicht unter. In Erinnerungen an diesen Tag ist die Rede davon, dass er einen gewissen Mittelpunkt darstellte und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog, denn Fürst Thun fiel alleine schon durch seine Körpergröße auf. Er trug die Majorsuniform des Dragoner-Regiments Nr. 14 (rote Hose, blauer Rock), dazu die Halsdekoration des Ordens vom Goldenen Vlies, an der Brust den Stern zum Großkreuz des Leopold-Ordens sowie das rote Ordensband über der Schulter, dazu weitere Auszeichnungen, in der Hand den Helm, am linken Auge ein Monokel. Der Abgeordnete und Professor Josef Redlich bemerkte dazu in seinem Tagebuch : »Uniformen aller Art, alte und neue, Malteser, Deutschherren, Geheimräte : in der Mitte Fürst Thun, strahlend in seiner Fürstenherrlichkeit.«481 Thuns Erscheinung war zweifellos imposant, was jedoch nicht der einzige Grund war, warum er die Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war bekannt, dass er vom Kaiser zum Statthalter in Böhmen ernannt und in den Fürstenstand erhoben worden war, um das schwierigste Problem Österreichs (Cisleithaniens) zu lösen – den deutschtschechischen Ausgleich in Böhmen. Ausgleichsverhandlungen unter der Regierung Gautsch
Am 20. September 1911 nahm der Statthalter die Eröffnung der Sitzung des böhmischen Landtages vor. Wenn es hier gelänge, der deutschen Obstruktion ein Ende zu bereiten, dann würden die tschechischen Abgeordneten als Gegenleistung dafür ihre Tätigkeit im Reichsrat wieder aufnehmen und so für die Herstellung der Handlungsfähigkeit sorgen. In seiner Eröffnungsrede thematisierte der Statthalter die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen dem Funktionieren des gesamten politischen Systems Österreichs – respektive Cisleithaniens – und dem deutsch-tschechischen Ausgleich. Der böhmische Landtag setzte permanente Kommissionen ein, die ihre Arbeit auch in der sitzungsfreien Zeit – etwa im Falle einer Suspendierung – fortführen sollten. Fürst Thun bemühte sich, konnte allerdings nicht zufrieden sein – der Abschluss eines deutsch-tschechischen Ausgleichs kam nicht zustande. Zwei Tage nach der Sitzungseröffnung schrieb er am 22. September 1911 an seinen Bruder Jaroslav : »Ich sitze hier in meinem Landtagsstüble, werde alle Augenblicke unterbrochen. Es wird den ganzen Tag verhandelt und zwischen den Parteien getuschelt. Es spiesst sich schon die Lage stark. […] Die Deutschen wollen bisher absolut nichts zugeben ; […] Böhmen bemächtigt sich deshalb eine wohl starke Erregung, die gewiss noch zunehmen wird, wenn es bei dieser Negation bleibt. Da bilden sich die Menschen ein, daß darum
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[eine] angeregte Stimmung in [den] Permanentkomissionen sein wird ! Und ohne gute Stimmung kommen wir nicht vorwärts. Es ist ein wahres Kreuz ! Ich arbeite wie ein Roß – ohne Resultat. Falsch, Unwahrheit, Feigheit sind die Haupteigenschaften der hier thätigen Politiker. Das Spiel geht nur darum, die Schuld am Scheitern der Gegenseite zuzuspielen. Da die Deutschen die große Presse in der Hand haben, wird die Schuld am Scheitern unbedingt den Böhmen zugeschrieben werden. Wenn Neid meine Sache wäre, könnte ich Dich beneiden, daß Du im Walde bist !!!«482 ( Jaroslav befand sich gerade auf der Jagd.) Ministerpräsident Gautsch vertrat die Auffassung, dass es gelingen könnte, die Tschechen im Reichsrat durch die Schaffung der permanenten Kommissionen zur Unterstützung der Regierung zu gewinnen. Diese unterbreiteten ihre Forderungen : Sie verlangten tschechische Beamte in der Regierung, Ersatz für das Übergehen (damals sprach man vom »Praeterieren«) tschechischer Richter durch deutsche bei der Beförderung, Anstellung von mehr tschechischen Beamten in den Zentralstellen, größere finanzielle Hilfe für die Tschechische Universität in Prag sowie die Errichtung einer zweiten Tschechischen Universität in Brünn. Die Deutschen lehnten diese Forderungen strikt ab. Ministerpräsident Gautsch sah ein, dass er im Reichsrat nicht mit dem nötigen Rückhalt rechnen konnte und entschloss sich dazu, seine Demission einzureichen. Bei seinem Abschied am 27. Oktober 1911 hielt er eine Rede, wie es bis dahin kein öster reichischer Ministerpräsident getan hatte. Er betonte, dass das tschechische Volk in der Regierung vertreten sein solle ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob die Deutschen damit einverstanden seien oder nicht, denn jede Nationalität in Österreich sei zur Regierungsbeteiligung berechtigt. Zu den Tschechen erklärte er : »Es wäre kein österreichisches Programm […] wenn man die Vertreter einer so großen, wirtschaftlich so kräftigen und hochentwickelten Nation von der Teilnahme an diesen Aufgaben ausschließen wollte. […] In diesem hohen Hause [wird] eine gedeihliche parlamentarische Arbeit insolange unmöglich [sein], ehe es nicht gelingt, die Vertreter der tschechischen Nation zur Mitarbeit heranzuziehen.«483 Franz Thun schrieb an den abtretenden Ministerpräsidenten, der aus einem gänzlich anderen politischen Lager als er stammte und mit dem er in der Vergangenheit (im Jahr 1906) einen hitzigen politischen Kampf geführt hatte : »Mit Begeisterung habe ich Deine letzte rhetorische Leistung gelesen und jedes Wort hat mir Freude bereitet.«484 Deutsch-tschechische Ausgleichsverhandlungen im Jahr 1912
Nach dem Amtsantritt der Regierung Stürgkh wurden die deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen um die Jahreswende 1911/1912 erneut aufgenommen. Sie
Deutsch-tschechische Ausgleichsverhandlungen im Jahr 1912
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fanden zunächst in Wien und dann in Prag statt und wurden auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Gremien geführt. Bei all diesen Verhandlungen war der böhmische Statthalter die treibende Kraft : Er moderierte Gespräche, versöhnte Standpunkte, suchte Kompromisse, bei Differenzen brachte er neue Vorschläge ein und versuchte, die Unterhändler bei guter Laune zu halten. Sein Engagement, aber auch seine Überbeanspruchung gehen aus einem Brief an seinen Bruder Jaroslav vom 16. Jänner 1912 hervor : »Bin so gehetzt, daß ich schon manchmal weinen möchte, daß ich nicht alle meine Pflichten ordentlich erfüllen kann. Ich müsste die Nächte zu Hilfe nehmen, welche ich aber dringend für den Schlaf brauche. Zu einer Bewegung komme ich höchstens am Sonntag. Die Wiener Sprachenverhandlungen sind gegenwärtig nach Prag verlegt. Ich muss bei derselben als Regierungsvertreter erscheinen. Eine sehr schwere Verantwortung lastet dann auf mir.«485 Jaroslav Thun war nach dem Erhalt des Briefes bestürzt : Sein Bruder arbeitet sich zu Tode ! Er beschwor ihn, seine Gesundheit zu schonen, erinnerte ihn an die Verant wortung sich selbst, seiner Frau, seiner Tochter und der erweiterten Familie, der er vorstand, gegenüber.486 Daraufhin versucht Franz in seinem nächsten Brief, den verstörten Bruder zu beruhigen : »Herzlichsten Dank für den heute erhaltenen Brief. In meinen letzten Zeilen scheine ich [eine] so schwarze Beurtheilung meiner Thätigkeit gemacht zu haben, dass ich Dich bis zu einem gewissen Grad beruhigen kann. Mir geht es ausgezeichnet ; ich bin den Strapazen vorläufig noch gewachsen : Appetit und Schlaf hatten noch nicht gelitten. Zu thun habe ich freilich sehr viel ; manche Tage, besonders jene an denen auch Sitzungen stattfinden, sind überaus ausgefüllt. Sorge Dich nicht ; bin nur verstimmt, wenn ich in Rückstand bleibe. Ich bin sogar die beiden letzten Tage spazieren gegangen und will es heute auch thun.«487 Wenn Jaroslav in den folgenden Wochen und Monaten seine Befürchtungen um die Gesundheit seines Bruders wiederholte, versicherte ihm dieser mit optimistischem Selbstbewusstsein : »Wegen meiner Gesundheit brauchst Du nicht zu agitieren. Es geht mir sehr gut und so wird es hoffentlich bleiben, nachdem mir Gott eine feste Constitution und keine Nerven [gemeint ist : eiserne Nerven ; Anm. d. Übers.] gegeben hat ; dazu einen köstlichen Schlaf, der mir nach der Tages Mühe stets vollkommene Erfrischung gibt !«488 Der 65-jährige Franz Thun überschätzte die Widerstandsfähigkeit seines Körpers, denn im Herbst 1912 hatte er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Über deren genaue Ursache sind wir nicht unterrichtet, vielleicht handelte es sich aber bereits um einen Vorboten für die ernste Erkrankung des Jahres 1915. Thun schrieb von Übelkeit, über wiederholte ärztliche Untersuchungen, über die Empfehlung, eine Kur abzuhalten. Und vielleicht drosselte er doch auch sein Arbeitstempo. Die Ausgleichsverhandlungen zu einem positiven Ende zu führen, war in der Tat ein schwieriges Unterfangen. Letztmalig konnte der böhmische Landtag im Jahr 1907
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einen Beschluss über das Landesbudget fassen, seit dieser Zeit war eine Einigung aufgrund der deutschen Obstruktionen nicht mehr möglich. Der Landesausschuss forderte mit der Unterstützung des Statthalters die Erhöhung der Landeszuweisung um 10 %, somit von 55 % auf 65 %. Die Regierung sprach mit Blick auf die »ungeklärten Verhältnisse in Böhmen« gegenüber dem Monarchen die Empfehlung aus, der Erhöhung nicht zuzustimmen. Diese befürchtete, mit ihrer Finanzhilfe die deutschböhmische Politik gegen sich aufzubringen, weil sie deren Taktik der »Aushungerung des Landes« vereiteln würde. Franz Thun schrieb in einem Brief vom 18. Februar 1912 : »Die Böhmen haben die äußerste Grenze ihrer Zugeständnisse passiert, sie gehen wesentlich weiter als im Vorjahr. Ich war erstaunt darüber. Die Deutschen scheinen diese [Angebote] nur als Verhandlungbasis [zu betrachten] : ich fürchte, sie werden sich dabei gänzlich verrechnen. […] Die Deutschen treiben ein böses Spiel, mittlerweile sind die Landesfinanzen vollkommen déroute. […] Man will von der Regierung die Übernahme der Garantie für ein aufgenommenes Darlehen von 26 Millionen. […] Thut sie es nicht – dann steht das Land vor dem Concurs – was dann zu geschehen hat, ist vorläufig im Schleier gehüllt. […] Wir gehen schweren Zeiten entgegen, zumal das Schlagwort der Deutschen noch immer ›vollkommene Obstruktion‹ lautet.«489 Die Ausgleichsverhandlungen schritten nur langsam voran. Oftmals hatte es den Anschein, als ob sie in eine Sackgasse führten. In einem Schreiben vom 6. Mai 1912490 beklagt sich Thun darüber, dass die Deutschen darauf bestünden, solange nicht über das Sprachengesetz verhandeln zu wollen, bis nicht die Landesordnung wieder hergestellt sei ; die Tschechen forderten umgekehrt, dass vor der Herstellung der Landesordnung die Verabschiedung des Sprachengesetzes erfolgen müsse. So entstünde, wie Thun anmerkt, ein Circulus vitiosus, aus dem es keinen Ausgang gebe. Die Hoffnung des böhmischen Statthalters
Im Gegensatz dazu nimmt sich Thuns Schreiben vom 16. Juni 1912 sehr optimistisch aus : »Die Sachen stehen recht gut. […] Alle Kreise der Öffentlichkeit rechnen aber jetzt schon mit der glücklichen Finalisierung, diese Tatsache allein ist schon eine mögliche Hilfe. Die Beratungen erfolgen zuerst in ganz kleinen Kreisen und führen von Sitzung zu Sitzung zu [einer] weitere[n] Annäherung, sodass man jetzt sagen kann, daß es kaum mehr Differenzen gibt.«491 Am 24. Juni klingt Thun noch optimistischer. Er ist der Auffassung, dass es zwischen den beiden Parteien keine größeren Differenzen gebe.492 Thuns Optimismus nährte sich aus der Tatsache, dass es ihm tatsächlich gelungen war, durch beharrliches Verhandeln eine Annäherung der Standpunkte herbeizuführen. Es hatte den Anschein, als ob der Ausgleich in Griffweite sei und dass Franz
Die Hoffnung des böhmischen Statthalters
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Abb. 56: Statthalter Thun zusammen mit dem Präsidialchef der Statthalterei, Baron Braun, vor dem Hotel Nový in Tabor zur Zeit der großen Manöver im September 1913.
Abb. 57: Franz Thun mit Baronin Ringhoffer in Tabor bei den großen Manövern im September 1913.
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Thun als »Ausgleichsstatthalter« triumphieren werde. Sogar der ansonsten skeptische Jaroslav Thun zeigte sich zuversichtlich und war der Auffassung, dass das Werk seines Bruders von Erfolg gekrönt sein werde. Er hatte nur die Befürchtung, dass von ihm – dem Statthalter, dem es gelungen war, die Angelegenheiten im Königreich Böhmen zu ordnen – nun nicht auch noch die Rettung Österreichs erwartet werde. In seinem Schreiben vom 19. Juni 1912 sprach er die Warnung aus : »[…] und am Ende [wäre] ein Ausgleich perfekt […], dann entsteht unbedingt die eminenteste Gefahr Deiner Ernennung zum Ministerpresidenten. Bleibe nur dann hart, sage, Du mußt noch einige Zeit als Statthalter die Durchführung des Ausgleiches besorgen und dann ziehst Du dich zurück ! Gefährliche Momente für Dich !«493 Es hat den Anschein, dass sich die tschechischen und deutschen Verhandlungsteilnehmer unter Thuns Dirigentschaft derart angenähert hatten, dass sie nicht einmal mehr das berühmte »Blatt Papier« voneinander trennte. Thun wusste allerdings, dass die Einigung im engen Kreis die eine Sache war, eine andere war es, damit an die Öffentlichkeit zu treten und die Zustimmung der einzelnen Parteien einzuholen. Am 17. Juni schrieb er : »Wir sind jetzt in einem sehr kritischen Stadium[, der] Augenblick der Courage ist für die Abgeordneten gekommen ; werden sie dieselbe nicht nur aufbringen, sondern sie auch den Fleiss entwickeln, der noch zur Fertigstellung nötig ist ? In den Hetzblättern beginnt man, Stimmung gegen den Ausgleich zu machen ; das kann gefährlich werden !«494 Und am 24. Juni 1912 : »Dann kommt die grosse Schwierigkeit. Beide Parteien wollen [die Ergebnisse] […] der Beratung in der Commission […] ihren Vollversammlungen und ihren Vertrauensmänner vor legen. Von deren Entscheidung hängt alles Weitere ab. Stimmen dieselben zu, wie es die Führer erwarten, dann ist die Sache gemacht, der Landtagsbeschluss ist nur eine Formalität. Stimmen sie nicht zu, dann allerdings ist die schöne Hoffnung zu Grabe getragen.«495 Die Verhandlungen der Ausgleichskommission wurden fortgesetzt, aber entweder war die Materie doch nicht im vollen Umfang ausverhandelt wie es den Anschein hatte, oder die Unterhändler wollten sich nicht ihren Parteigenossen stellen und mit den fertigen Materialien an die Öffentlichkeit treten. Am 27. Juli 1912 schrieb Franz Thun nach Kwassitz : »Die Leute fingen schon an, nervös und schlecht disponiert zu werden. Es blieb mir daher, um einen Abbruch zu verhindern, nichts anderes übrig, als dem von beiden Seiten gleichmässig geäusserten Wunsche Rechnung zu tragen und die Verhandlungen für eine Zeit zu unterbrechen. Man denkt daran, im halben September wieder den Ausgleich zu finalisieren. […] Ich hätte eine Fortsetzung vorgezogen ; diese hätte aber allerdings den guten Willen aller Teilnehmer als Voraussetzung haben müssen. Ich fürchte mich, dass in der parlamentslosen Zeit die Agitation gegen den Ausgleich stärker ansetzen wird, dass jene Kreise aber, die den Ausgleich wünschen, gar keine Gegenaktion durchführen werden.«496
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Die Unterbrechung der Ausgleichsverhandlungen stellte für den böhmischen Statthalter eine Erleichterung in dem Sinne dar, dass er nunmehr von der Teilnahme an den täglich stattfindenden mehrstündigen, erschöpfenden Sitzungen entbunden war. Er stürzte sich augenblicklich in das erneute Studium eines riesigen Aktenberges zum deutsch-tschechischen Verhältnis, das sich über die Jahrzehnte hin angesammelt hatte – verschiedenste Unterlagen sowie Vorschläge und Eingaben offizieller Vertreter und von Einzelpersonen, die er gegeneinander abwog und von denen er Auszüge anfertigen ließ. Dieser ohnehin schon größte Kenner der Problematik hatte es sich zum Ziel gesetzt, auf die Wiederaufnahme der Ausgleichsverhandlungen gut vorbereitet zu sein und er wollte alles, wie er schrieb, »im Kopf haben«. Mit einiger Beunruhigung verfolgte er die Meldungen in den Zeitungen, in denen »Ärgerlichkeiten« gegen den Ausgleich erschienen. Er war der Ansicht, dass der Großteil der tschechischen und deutschen Öffentlichkeit für den Ausgleich war, alleine schon, weil es die ökonomischen Notwendigkeiten nahelegten. »Der verfluchte Hochenburgische Erlass«
Gewissenhaft bereitete sich Thun auf die Wiederaufnahme der Ausgleichsverhandlungen nach der Sommerpause vor – zu der es jedoch nicht kommen sollte. Wie ein unheilvoller deus ex machina griff ein Erlass von Justizminister Viktor Hochenburger vom 17. August 1912 ein, der, indem er es den Gerichtspräsidenten zu entscheiden überließ, welche der beiden Landessprachen im gegebenen Bezirk die übliche sei, die Stremayr’sche Verordnung aus dem Jahr 1880 umging. Die tschechische Journalistik argumentierte dahingehend, dass der Erlass die Gleichheit der beiden Sprachen in Böhmen negiere, wodurch die Tschechen in einem Drittel ihres Landes zu Ausländern gemacht werden und auf die Hilfe eines Dolmetschers angewiesen seien. Die Ausgleichsverhandlung, von der man angenommen hatte, dass sie schon in Bälde von einem deutsch-tschechischen Übereinkommen gekrönt werden sollte, war festgefahren. Am 30. September 1912 schrieb ein überdrüssiger Franz Thun an seinen Bruder Jaroslav : »Hier sehr viel zu thun : dieser verfluchte Hochenburgische Erlass lässt mich noch immer nicht zur Ruhe kommen ! […] Zeitungen, Abgeordnete etc. ärgern mich sehr. Die Ausgleichsstimmung wird immer mehr vergiftet : die Chancen für [eine] glückliche Beendigung der Verhandlungen, die meist nicht einmal aufgenommen wurden, sind recht trübe. Es ist eine rechte Bagage, mit der man zu thun hat. Lug und Trug wohin man schaut.«497 Die Tschechen waren unzufrieden. Am 25. Oktober 1912 richteten alle tschechischen Klubs unter Einschluss der Sozialdemokraten eine gemeinsame Anfrage an die Regierung betreffend des Hochenburgischen Erlasses. Auch bei einer weiteren Runde an Neuernennungen von Richtern im Dezember 1912 wurden die tschechischen Kandidaten
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Abb. 58: Auf der Prager Automobilausstellung vom April 1912 stellten die Jungbunzlauer Automobilwerke eine Neuheit vor – eine Straßenwalze mit Benzinmotor. Die Tochter des Statthalters zog die Aufmerksamkeit auf sich, als sie bei einer Vorführung deren einfache Bedienung unter Beweis stellte.
»übergangen«. In einer solchen Atmosphäre war freilich an eine Erneuerung und an den folgenden Abschluss der Ausgleichsverhandlungen, von denen man noch im Juni gedacht hatte, dass sie kurz vor dem erfolgreichen Abschluss stünden, nicht zu denken. Repräsentationsaufgaben des Statthalters
Trotz alledem erhielt Franz Thun den Beinamen »Ausgleichsstatthalter« z ugesprochen. Tatsächlich widmete er, wie bereits zu lesen war, den deutsch-tschechischen Ausgleichs verhandlungen ein enormes Zeitkontingent und überdies viel Energie. Nichtsdestoweniger ist er auch zu dieser Zeit nicht nur alleine »Ausgleichsstatthalter«, also in gewisser Weise Arrangeur, Manager und Vermittler von und bei den Verhandlungen von »Nation zu Nation« – zwischen Tschechen und (böhmischen) Deutschen –, sondern auch normaler Statthalter und somit Leiter der politischen Verwaltung des Landes, repräsentierte die Statthalterei in der Hauptstadt Prag, nicht zuletzt auch ein Stück weit das Gesamtreich.
Repräsentationsaufgaben des Statthalters
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Abb. 59: Im April 1912 besuchte Statthalter Thun mit seiner Gattin und seiner Tochter die Internationale Auto mobilausstellung in Prag. Der Fotograf T. Vojta bildete sie bei einem Wagen der Marke Laurin & Klement ab. Franz Thun war einer der Automobil-Pioniere in Böhmen, selbst war er im Besitz von zwei Automobilen aus Jungbunzlau.
Bereits zur Zeit seiner ersten Amtsperiode als Statthalter hob Franz Thun das Prestige der gesellschaftlichen Veranstaltungen, welche die Institution – oder eher der Statthalter selbst – ausrichtete. Alleine schon die Tatsache, dass der Statthalter ein führender böhmischer Aristokrat und großer Majoratsherr war, verlieh den gesellschaftlichen Veranstaltungen der Statthalterei zusätzliches Prestige. Die Sache verhielt sich somit gänzlich anders, als wenn der Statthalter ein Karrierebeamter gewesen wäre, dem vielleicht erst vor kurzer Zeit ein (niederer) Adelstitel verliehen worden wäre. Thun zögerte überdies nicht, auf Geldmittel seiner eigenen Domäne zurückzugreifen, um für den entsprechend angemessenen Glanz der statthalterlichen Veranstaltungen zu sorgen. Bei seiner zweiten Statthalterschaft unternahm – nunmehr bereits – Fürst Thun für die Repräsentation seiner selbst und seines Amtes noch größere Anstrengungen. Davon zeugt allein schon die Tatsache, dass in der Korrespondenz des Statthalters verschiedene gesellschaftliche Veranstaltungen – Soirées, Bälle, Dinner – thematisch viel Raum in Anspruch nahmen. Ein Brief vom 30. Dezember 1911 zeugt davon,
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Abb. 60: Franz Thun bei der Hochzeit von Anton Ernst Graf von Neipperg (auf dem Bild in der Uniform eines Leutnants der Preußischen Garde) und Anna Gräfin von Silva-Tarouca am 19. Oktober 1911 auf Schloss Pruhonitz.
wie gewaltig die Ausmaße einer Soirée waren, die der Statthalter vorbereitete : »Im Hause wird gekocht und gebraten für die grosse Soirée am 1ten. 3 Köche und eine Menge Weiber sind an der Arbeit. Hoffentlich reichen die Vorräte. Über 1100 Einladungen sind ergangen ; ich rechne aber nur auf 600–700 Menschen. Es wird ein grosses Gedränge, bei den 4 grossen Buffettischen wird eine Schlacht stattfinden.«498 Einige Tage später teilte er seinem Bruder mit, dass die Soirée »prächtig« geraten war. Der mit der Leitung der Statthalterei und der Führung der Ausgleichsverhandlungen ohnehin schon überbeschäftigte Thun erachtete es jedoch als angemessen, wenn nicht sogar als seine Pflicht, zusammen mit seiner Gattin Ernestine einige Bälle zu besuchen – dabei handelte es sich etwa um Wohltätigkeitsbälle, den Ball des Theatervereins oder den Ball des Nationalen Volksbildungsvereins. Einen Eindruck, wie die Teilnahme des Statthalters an einer solchen Veranstaltung in Wahrheit ablief, gewinnt man aus einem Brief, in dem Thun mitteilte, wie er mit seiner Frau dem Ball des Böhmischen Merkur im damals gerade erst fertiggestellten Repräsentationshaus [heute : Gemeindehaus] in Prag beiwohnte : »Prunk und schöne Räume. Sehr viel Ge-
Repräsentationsaufgaben des Statthalters
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Abb. 61: Statthalter Thun mit Gattin Ernestine auf dem Frühlingsgartenfest des Fürsten Fürstenberg am 7. Mai 1911.
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schmacklosigkeit ; man sieht überall die hinausgeworfenen Millionen. Wir wurden unter den Klängen der Volkshymne in den Saal geleitet ; verkehrte sehr aimable mit den Honorationen, vor allem […] [weiblichen Geschlechts]. […] Zwei Stunden hielten wir aus.«499 Auch der Ball des Statthalters bildete einen fixen Bestandteil der Ballsaison. Bei der Vorbereitung musste Thun nicht nur in etwa abschätzen, mit wie vielen Gästen zu rechnen war ; der Glanz eines solchen Balles bemaß sich auch darin, wie das Allerhöchste Herrscherhaus vertreten war. Im Jahr 1912 rechnete Thun sogar mit der Teilnahme des Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner mit ihm in morganatischer Ehe verbundenen Gattin, Herzogin Sophie. Auch der »zweite Thronfolger«, Erzherzog Karl, sollte den Ball zusammen mit seiner Frau Erzherzogin Zita beehren. Der Statthalter sorgte sich darum, dass es aufgrund der komplexen Rangordnungsfragen nicht zu einem Fauxpas käme. Alle Unruhe war jedoch vergeblich gewesen, da Erzherzog Karl mit seinem Dragoner-Regiment Nr. 7 nach Galizien verlegt wurde. Da somit das Mitglied des Herrscherhauses Böhmen zu verlassen hatte, richtete der Statthalter am 26. Februar 1912 zu dessen Verabschiedung ein feierliches Dinner aus, zu dem insgesamt 24 Personen geladen waren.500 Franz Thun erachtete es überdies als seine Pflicht, an kulturpolitischen Veranstaltungen im Königreich Böhmen teilzunehmen – vertrat er dabei nicht zuletzt den Staat, die Dynastie, ja im Grunde sogar den Kaiser selbst. Er nahm an Ausstellungseröffnungen, internationalen wissenschaftlichen Konferenzen und nationalen Feierlichkeiten teil oder wohnte dem Begräbnis von bedeutenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bei. In dem national geteilten Land hatte die Teilnahme des Statthalters an einer öffentlichen Veranstaltung immer auch eine politische Bedeutung und konnte als Identifikation der staatlichen Macht mit diesem Ereignis verstanden werden. Andererseits stellten seitens der Veranstalter die Einladung des Statthalters und die Art, wie er empfangen wurde ebenso einen Akt politischer Bedeutsamkeit dar, weil damit – indirekt – ihre Loyalität zur gegenwärtigen Regierung und – direkt – zur Person des Statthalters zum Ausdruck gebracht wurde. Der böhmische Statthalter durfte sich daher nicht auf einer tschechischen oder deutschen Veranstaltung zeigen, bei der »unstatthafte Trikoloren« – die slawische wie die alldeutsche – zu sehen waren, wo das allslawische Hej Slované oder die alldeutsche Wacht am Rhein erklangen oder bei der keine österreichische schwarz-gelbe Fahne zu sehen war. Theoretisch hätte der böhmische Statthalter seine Teilnahme gleichmäßig auf die beiden Nationalitäten im Land verteilen sollen, um so deren Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit sichtbar zum Ausdruck zu bringen. In der Praxis war dies unter der Statthalterschaft Thuns jedoch nicht der Fall, da sich sein Verhältnis zur deutschen Politik anders entwickelte als zur tschechischen.
Der Statthalter und tschechische Feierlichkeiten
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Abb. 62: Franz Thun nahm regelmäßig an feierlichen Prozessionen teil, wie etwa zu Fronleichnam. Auf der Fotografie in Galauniform mit allen an ihn verliehe nen Orden.
Der Statthalter und tschechische Feierlichkeiten
Im Juni und Juli 1912 wurden von tschechischer Seite große Festveranstaltungen abgehalten. In Prag fand der VI. allslawische Sokolkongress statt, ein prächtiges nationales Fest mit imposanten Turnübungen der Sportlermassen, Tausenden Besuchern in den Straßen und vielen ausländischen Gästen. Zeitgleich wurden Feierlichkeiten zu Ehren des tschechischen Historikers und Politikers František Palacký abgehalten und am 1. Juli 1912 wurde in seinem Andenken ein großes Denkmal enthüllt. Die umfangreichen tschechischen Feiern bereiteten dem Statthalter einige Sorgen : Einige ausländische Teilnehmer, vor allem Russen und Südslawen, hätten die Gelegenheit für provokative Reden nützen können, wie dies beispielsweise schon im Jahr 1898 bei der Grundsteinlegung des Palacký-Denkmals der Fall gewesen war. Nicht auszuschließen, ja sogar wahrscheinlich, waren Streitigkeiten mit deutschen Studenten, die bereits im Vorfeld angekündigt hatten, sich durch die tschechischen Feierlichkeiten nicht von ihrem sonntäglichen »Bummel« auf dem Graben abbringen zu lassen. Franz Thun hatte den Eindruck, dass die großen tschechischen Feierlichkeiten aus seiner Sicht nicht allzu schlecht vorübergegangen waren. Am 2. Juli 1912 schrieb er
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Abb. 63: Fürst Franz Thun nahm an dem von Juni bis Juli 1912 stattfindenden VI. Sokolkongress teil, über dessen Verlauf er sich begeistert äußerte. Die deutschen Nationalen erachteten die Unterstützung des kaiserlichen Statt halters für das tschechische nationale Fest als Skandal.
an seinen Bruder : »Die Palacký[-] und Sokolfeste sind glücklich vorüber. Sie verursachten mir grosse Sorgen. Kramář hielt bei der Denkmalenthüllung die Festrede. Er sprach mehr von seiner Politik als von Palacký. Es war eine taktlose Verteidigungsrede hochpolitischer Natur. Sonst verliefen die Feste ohne politische Demonstration ; die Franzosen, Russen, Bulgaren, Serben etc. etc. sind zugereist und abgereist. Die Hiebe, welche einige deutsche Studenten erhielten, waren wohl verdient. Die Kappenbuben folgen weder dem Rate der Professoren, noch ihrer Abgeordneten, bummelten in der Zahl von beiläufig 150 in dem Augenblick auf den Graben, wo derselbe gesteckt voll von Publikum war ; rücksichtslos arbeiteten sie sich sogar gegen den Strom durch. Da setze man ihnen leider Hiebe. Wäre ich nicht Statthalter, so würde ich sogar direct sagen : recht ist ihnen geschehen. Beim Sokolturnen war ich zweimal ; wirklich prachtvoll schön. Ich wurde glänzend behandelt.«501 Für Franz Thun stellte der Sokolkongress eine feierliche Veranstaltung des Mehrheitsvolkes in Böhmen dar, was seine Teilnahme als Statthalter dieses Landes und Repräsentant des Staates nahelegte, insofern sich mit der Feier keine antiösterreichische oder antidynastische Rhetorik oder Symbolik verband. Die deutschnationale Politik
Deutschnationaler Feldzug gegen den böhmischen Statthalter
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verfolgte die Teilnahme des Spitzenrepräsentanten an der tschechischen nationalen Veranstaltung freilich mit Gehässigkeit, denn ihrer Auffassung nach hatte sich der Statthalter damit an die Seite des nationalen Kontrahenten gestellt. Auch noch nach dem Ausbruch des »Großen Krieges«, des 1. Weltkrieges, und der Festnahme tschechischer Politiker erinnerten deutsche Kommentatoren daran, dass der böhmische Statthalter mit seiner Teilnahme am Sokolkongress im Jahr 1912 die hochverräterische tschechische »panslawistische Rede« unterstützt und sich so zum »Komplizen der tschechischen Hochverräter« gemacht hätte. Deutschnationaler Feldzug gegen den böhmischen Statthalter
Problematischer war die gesellschaftliche Präsenz des böhmischen Statthalters im deutschen Siedlungsgebiet Böhmens. Franz Thun bemühte sich mit Sicherheit um ein ausgegliches Verhältnis seiner Teilnahme an deutschen und tschechischen Veranstaltungen. Im deutschen Milieu entfaltete allerdings eine Bewegung ihre Tätigkeit »von unten«, die sich gegen die Einheit des Landes, gegen ihr Zentrum Prag, aber auch gegen die Statthalterei und den Statthalter stellte. Die Provinzpresse, die Gemeindevertretung der deutschen Städte, die außerparlamentarischen Organe und auch solche Gremien, die auf Vereinsebene ohne Beteiligung von Abgeordneten vertreten waren – wie etwa der Volksrat in Trebnitz oder Lobositz (Lovosice) und weitere örtliche Organe (Ortsräte) oder der Reichenberger Zweiteilungsausschuss, deren endgültiges Ziel in der Teilung des Kronlandes Böhmen in zwei Länder bestand –, erachteten die böhmische Statthalterei als feindliche Institution und riefen die deutschen Abgeordneten und Vertreter der Selbstverwaltungsorgane zum Boykott des Fürsten Thun auf. Viele tschechische Abgeordnete und Bürgermeister gaben dem Druck der nicht durch demokratische Wahlen legitimierten Institutionen zwar nicht nach, nichtsdestoweniger war die Situation eine solche, dass der böhmische Statthalter nach dem Besuch einer deutschen Stadt in Böhmen der Regierung darüber Bericht erstattete. So wie etwa am 5. Oktober 1912, als Franz Thun an Innenminister Heinold schrieb : »Morgen früh fahre ich zur Eröffnung der neuen Volksbibliothek nach Aussig [Ústí nad Labem ; Anm. d. Übers.], werde dort vom Bürgermeister, der mich im Namen der Stadt hiezu geladen hatte, begrüsst werden, und an der Eröffnungsfeier selbst sowie an einem Bankett teilnehmen. Soeben verlässt mich Abgeordneter Lodgman, welcher mir mittheilte, daß er gestern in Lobositz einer Sitzung des deutschen Volksrathes beigewohnt habe, in welcher gegen seine Stimme beschlossen wurde, dem Stadrathe von Aussig die Missbilligung über die an mich ergehende Einladung auszusprechen und [der] weitere Beschluss gefasst wurde, dass sich infolgedessen der deutsche Volksrath an der Eröffnungsfeier nicht betheiligen will. Lodgman, der mit dem Beschlusse ganz uneinverstanden ist, [will] mich selbst ebenfalls mit einer Rede begrüssen […]
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Abb. 64: Der böhmische Statthalter Thun im Jahr 1912 bei der feierlichen Eröffnung der Deutschböhmischen Landesschau in Komotau (Chomutov), die unter dem Ehrenschutz des sogenannten zweiten Thronfolgers, des Erzherzogs (und künftigen Kaisers) Karl stand.
und glaubt, daß sich der Stadtrat von Aussig in der nächsten Sitzung mit dem Diktate des Volksrathes beschäftigen wird. Durch diese Aktion des Volksrathes bin ich in meiner Absicht bestärkt, am 9. dieses M. einer Einladung der Stadt Teplitz zu folgen, welche an diesem Tage den Radiologenkongress empfängt und mich hiezu gebeten hat.«502 Am 11. Oktober 1912 schrieb Thun erleichtert, wenn nicht sogar triumphierend an den Minister in Wien : »[…] dass die vom Volksrathe in Lobositz gegen mich eingenommene Stellung es nicht gehindert hat, dass ich neuerlich in Aussig und vorgestern in Teplitz seitens der betreffenden Bürgermeister in freundlichster Weise begrüsst worden bin […].«503 Auch wenn sich bei diesen öffentlichen Terminen keine Zwischenfälle ereignet hatten stellt sich die Frage, wie es um die staatliche Autorität im Allgemeinen und um die Stellung des Fürsten Thun im Besonderen bestellt gewesen sein muss, wenn der Besuch des Statthalters im »deutschen« Teil Böhmens die Gestalt eines solch riskanten Unternehmens anzunehmen drohte. Noch dazu wurde die deutsche Kampagne gegen den Statthalter fortgesetzt, die zur Jahreswende 1912/1913 noch an Intensität zunahm und begann, Früchte zu tragen. Thuns Bruder Jaroslav war in Kwassitz von den Nachrichten über den deutschen Boykott gegenüber dem Statthalter derart aufgebracht, dass er seine Emotionen in
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Abb. 65: Der böhmische Statthalter Thun begrüßt den »zweiten Thronfolger« Erzherzog Karl Franz Joseph im August 1913 auf einem Bahnhof in Nordböhmen (vermutlich Teplitz).
einem Schreiben vom 2. Jänner 1913 zu Papier brachte : »Ich bin sehr beunruhigt über den Kampfeston, den die Deutschen gegen Dich anschlagen, wie die Boh.[emia] sogar schrieb, wurde der Entschluß gefasst, Deinen Neujahrs-Empfang zu boykottieren. Ich habe noch lebhaft – mutatis mutandis – den gleichen Vorgang der Čechen im J. 1896 vor Augen, um nicht fürchten zu müssen, daß Du wieder irgend welchen einseitig nationalen Bestrebungen zum Opfer fallest ! Ich beschwöre Dich, lasse es nicht so weit kommen wie damals : Scheisse [sic !] (nur dieser Ausdruck passt) der ganzen Halterschaft, der Bagage, rechtzeitig vor die Füsse […]. Dasselbe Spiel wie damals, eine Partei will Dich weghaben und wenn Du weg sein wirst, wird jedoch sie bald es am meisten bedauern – Du hast dem Lande und dem Reiche schon zu viel Opfer gebracht, als daß Du dich nochmals opfern lassen solltest !«504 Der deutschnationale Propagandafeldzug gegen Franz Thun weitete sich aus. Dieser bekannte in einem Schreiben an den Minister, dass ihn das als Privatperson »völlig kalt« lasse, bzw. um einiges expressiver, dass er »darauf pfeife«, nichtsdestotrotz gestand er jedoch ein, dass es für ihn als »Ausgleichsstatthalter« ein politisches Problem darstelle.505 Diese, wie er wörtlich schrieb, Hetzjagd ging vom deutschen Volksrat und vom deutschen radikalen Abgeordneten Gustav Schreiner aus. Dieser ehemalige Minister lag Thun besonders im Magen – wenn er ihn erwähnt, dann stets mit Despekt,
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Abb. 66: Zum 100. Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig im Jahr 1813 hielt Fürst Thun eine Erinnerungs feier beim Denkmal von Marschall Radetzky auf der Prager Kleinseite ab, um an den österreichischen Beitrag zum damaligen Sieg zu erinnern.
und in einem seiner Briefe bezeichnete er ihn mit einer bei ihm ungewohnten Rauheit als »ekelhafte Excellence«. Beim Volksrat sei die gegen ihn gerichtete Kampagne einerseits durch »nationale Hypertrophie«, andererseits durch den »Neid gegen den konservativen Staatsmann« motiviert ; bei Schreiner handle es sich um das »Produkt eines intriganten Charakters«. Die gegen Thun gerichtete Agitation trug Früchte : Der Einladung zur Neujahrssoirée des Statthalters waren zwar 490 Personen gefolgt, die deutschen Politiker ließen sich aber bis auf wenige Ausnahmen vom Volksrat beeinflussen und boykottierten die Veranstaltung. Franz Thun konnte sich zwar lobend darüber äußern, dass die Soirée schön gewesen sei, nichtsdestotrotz entzog die demonstrative Absenz beinahe der ganzen deutschen politischen Repräsentanz der Veranstaltung den politischen und ideellen Sinn. Ein demonstrativer gemeinsamer Besuch der politischen Repräsentanten der beiden Nationalitäten im Land beim Regierungsvertreter des Kaisers hätte das Bild eines gemeinsamen politischen Willens impliziert. Die Abwesenheit der deutschen Politiker hallte wie ein Ausrufungszeichen : Die Kampagne des Volksrates, der deutschen radikalen Presse und weiterer deutscher radikaler Elemente war erfolgreich gewesen, die deutschböhmische Politik boykottierte den kaiserlichen Statthalter.
Kapitel 18
Die Annenpatente : Thuns »Verfassungsputsch in Böhmen« Der drohende finanzielle Bankrott der böhmischen Länder
An der Schwelle zum Jahr 1913, nachdem die deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen ohne Erfolg geblieben waren, hatte Fürst Thun die Hoffnung verloren, dass ein deutsch-tschechischer Ausgleich unmittelbar vor dem Abschluss stehe, der die finanzielle Katastrophe hätte abwenden können, von dem das von ihm verwaltete Land bedroht war.506 Der im Jahr 1908 gewählte böhmische Landtag hatte seine Arbeit infolge der deutschen Obstruktion nicht aufgenommen und hatte so – vor allem – auch nicht für die Bereitstellung der finanziellen Mitteln sorgen können, die das Land für die Aufrechterhaltung seiner Verpflichtungen benötigte. Durch die Obstruktion seitens der deutschen Parteien sollte das Landesbudget »ausgehungert« und die Durchsetzung ihrer politischer Ziele erzwungen werden. Der böhmische Statthalter erachtete das »Schwert der deutschen Obstruktion« als unmoralisch – es bedrohte den geregelten Gang der Dinge in dem von ihm verwalteten Land. Seinem Bruder Jaroslav legte er seinen Standpunkt folgendermaßen dar : Er forderte eine »partielle Flottmachung des böhmischen Landtages, um den Landesbankrott, der mit mathematischer Sicherheit im Mai eintreten soll, hintanzuhalten. Es wird wohl ein schweres Stück Arbeit werden, denn die Deutschen haben das an sich unmoralische Schwert der Obstruktion gezogen und die Böhmen wiederum wollen nicht der deutschen Obstruktion weichen. […] Die ›Bohemia‹ erscheint mit der geradezu unglaublichen, geradezu politisch unmoralischen Phrase : ›So hat die deutsche Obstruktion das gesamte Land wirtschaftlich lahmgelegt‹, daß man sich brüstet, durch Obstruktion eine politische Errungenschaft gemacht zu haben, das könnte man noch begreifen, aber damit […] prahlen, daß man durch Obstruktion den finanziellen Ruin [herbei] führt, den die Deutschen mit Böhmen [gleichermaßen] leiden, das ist unfaßlich und die höchste Mißgeburt der Politik.«507 Der finanzielle Bankrott des Landes dämmerte am Horizont herauf und drohte in einigen wenigen Monaten oder sogar nur Wochen schlagend zu werden. Die Folgen wären unabsehbar gewesen : Das reichste österreichische Kronland wäre nicht mehr in der Lage gewesen, für Schulen, Landesverwaltung, soziale Einrichtungen und
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Die Annenpatente : Thuns »Verfassungsputsch in Böhmen«
Krankenhäuser aufzukommen. Als Thun später gegenüber dem deutschen Botschafter Tschirschky den (von ihm konzipierten und durchgeführten) Eingriff der Regierung zur Sanierung der Landesfinanzen begründete, der freilich die Grenzen der Verfassungsrechtlichkeit überschritt, skizzierte er die Folgen eines finanziellen Bankrotts auf sehr expressive Weise : »›Soll ich‹, sagte Fürst Thun wörtlich, ›ruhig mitansehen, dass in einem zivilisierten Lande mitten in Europa die Krankenhäuser geschlossen werden oder daß die Irrenhäuser ihre Pforten öffnen und das Land mit Geisteskranken überschwemmen oder daß die Bezüge der Landesbeamten nicht ausgezahlt werden ?‹«508 Thuns Plan zur Rettung der Landesfinanzen
Gemeinsam mit dem Statthaltereisekretär Jank arbeitete Fürst Franz Thun ein auf den 1. April 1913 datiertes umfangreiches Papier mit dem Titel »Die Arbeitsunfähigkeit des Landtages des Königreiches Böhmen samt ihren Folgeerscheinungen« aus.509 Die Argumentationslinie war folgende : Seit fünf Jahren sei der Landtag arbeitsunfähig. Es liege in der regentschaftlichen Verpflichtung des Monarchen, hier einzugreifen. »Die salus rei publicae [das öffentliche Wohl] ist in Gefahr und führt zur Anwendung eines Staatsnotrechtes. Dieses kann aber nur von dem Herrscher selbst, in diesem Falle von dem Kaiser, als König von Böhmen angewendet werden.«510 Der Kaiser (und König von Böhmen) solle ein Patent verabschieden, in dem er zur Überwindung der Krisensituation die Einsetzung einer Kommission verfüge, welche die Aufgaben eines Landesausschusses ausführen solle, allerdings wären ihr die finanziellen Mittel zu gewähren.511 In Zusammenarbeit mit der Regierung und dem führenden Vertreter der Jung tschechen, Karel Kramář, unternahm der böhmische Statthalter große Anstrengungen, um die böhmischen Landesfinanzen in einer gemeinsamen Aktion zu retten. Dutzende, wenn nicht Hunderte Briefe, oftmals sogar chiffriert, wanderten zwischen Prag und Wien hin und her, eine ganze Reihe von Besprechungen wurden abgehalten. Thun arbeitete eine rechtliche Konstruktion aus, welche die Grundlage für den »absolutistischen« Eingriff in die Angelegenheiten der Landesautonomie bilden sollte, und zwar unter Berufung auf die Pflicht der Regierung und das Recht des Herrschers, im Falle einer drohenden Katastrophe eingreifen zu können. Gemäß Thuns Plan sollten die bisherigen Mitglieder des Landesausschusses – unter Berufung auf das Unvermögen, die Finanzierbarkeit des Landes sicherzustellen – ihre Demission einreichen und die Regierung sollte an deren Stelle eine vom Kaiser ernannte Verwaltungskommission einsetzen. Um dieser soweit wie möglich den Anschein eines Selbstverwaltungsorganes zu verleihen, sollte Oberstlandmarschall Fürst Georg Lobkowicz an deren Spitze stehen und sich aus Landtagsabgeordneten zusammensetzen, wobei zwischen tschechischen und deutschen Abgeordneten ein Gleichgewicht hergestellt werden sollte.
Thuns erster Plan scheitert
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Die Kommission sollte mit den Rechten eines Landesausschusses ausgestattet werden und jene finanziellen Mittel erhalten, um die sich der Landesausschuss bei der Regierung einige Male vergeblich eingesetzt hatte. Auf diese Weise sollte das Land vor dem finanziellen Bankrott bewahrt werden. Thuns erster Plan scheitert
Regierung und Statthalter gingen davon aus, dass die Beisitzer des Landesausschusses unter Berufung auf die Finanzkrise zurücktreten würden. Es zeigte sich jedoch, dass dazu nur die Großgrundbesitzer bereit waren. Die tschechischen und deutschen Parteien lehnten einen solchen Schritt ab, die Beisitzer reichten ihren Rücktritt nicht ein. Sowohl die tschechische als auch die deutsche Presse entfesselten eine Kampagne gegen den beabsichtigten »Umsturz«. Das Vorgehen von Karel Kramář, der im jungtschechischen Abgeordnetenklub durchzusetzen versucht hatte, dass die tschechischen Beisitzer des Landesausschusses ihren Rücktritt einreichten, um so die Umsetzung des Thun’schen Planes zu ermöglichen, blieb ohne Erfolg – drei Viertel sprachen sich gegen ihn aus. Kramář schrieb an Thun, er wäre auf der ganzen Linie unterlegen.512 Am 6. Juli 1913 veröffentlichte Karel Kramář in der Národní listy einen umfangreichen Leitartikel513, in dem er mit emotionaler Nachdrücklichkeit für die Einsetzung einer aus Landtagsabgeordneten zusammengesetzten Verwaltungskommission Partei ergriff, die er als realistischen Ausgangspunkt dafür sah, das Land vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren. In dem Leitartikel beschrieb er, welche Rolle der Statthalter beim misslungenen Ringen um die Lösung der Finanzkrise des Landes gespielt hatte. »Bei dieser Gelegenheit sehe ich es als meine Pflicht an, einige Worte über Fürst Thun zu sagen, der einen Hauptanteil an diesem Regierungsvorhaben hatte. Fürst Thun ist kein Tscheche, er liebt unser Königreich allerdings wie kaum ein zweiter und ist ein Fanatiker, wenn es um die Gerechtigkeit gegenüber den beiden Nationalitäten geht. Sein oberstes Ziel ist es, eine Versöhnung zwischen beiden Nationalitäten herbeizuführen und seine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Gedeihen dieses Landes.«514 Am 11. Juli 1913 schilderte Franz Thun in einem Brief an seinen Bruder Jaroslav den Verlauf seiner Bemühungen, eine Lösung für die Krise der autonomen Verwaltung im Königreich Böhmen zu finden. »Es war eine anstrengende, aber interessante Zeit. Der Erfolg aller Anstrengungen war vorläufig gleich Null. Alle Vorbereitungen, bis ins kleinste Detail für ein, wie mir schien, in allernächster Zeit abzuhaltendes Eingreifen der Regierung waren von mir […] entworfen. […] Es hätte alles in Szene gesetzt werden können. Das hatte die politischen Parteien auf den Plan gerufen : zuerst die deutschen mit ihrem ablehnenden Standpunkt. Sie perhorreszierten den Plan, welcher allerdings den Zweck hatte, einmal mit dem Dogma, bei den finan-
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Die Annenpatente : Thuns »Verfassungsputsch in Böhmen«
ziellen Angelegenheiten durch Obstruktion alles unmöglich zu machen, gründlich [abzurechnen].«515 Die Umsetzung des Planes von Franz Thun scheiterte vor allem am Widerstand der tschechischen politischen Parteien und an der Verweigerung der Beisitzer des Landesausschusses, ihre Demission einzureichen. Thun kommentierte die Haltung der Tschechen folgendermaßen : »Die Böhmen haben wieder einmal eine Dummheit begangen. Ob sie später nicht zu einem Schaden kommen werden, wird die Zukunft lehren ! Jetzt klappt das autonome Werkel noch notdürftig weiter. Bis über den 1ten August reichen die Mittel und wird ein Kassarest von 15.000 Kronen übrig bleiben ! Der Landesausschuss verlangt von der Regierung eine Erhöhung der Umlage um 10 % und eine Biersteuer – er wird keines von beiden erhalten, daher voraussichtlich am 2ten August gründlich alles in den Dreck gerannt haben. […] Ich arbeite wieder eine Reihe von Projekten aus, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Es ist eine Sisyphos Arbeit !«516 Ein neuer Rettungsversuch des böhmischen Statthalters
Nach dem Scheitern des Planes, der die Demission der Mitglieder des Landesausschusses zur Voraussetzung gehabt hatte, unterbreitete Franz Thun einen neuen Lösungsvorschlag. Der Unwille der tschechischen und deutschen Beisitzer des Landesausschusses zum Rücktritt sollte durch die Demission des Oberstlandmarschalls wettgemacht werden. Dessen Rücktritt würde zu einem Nichtfunktionieren des Landtages führen, dem im Rahmen des »Notverordnungsrechts« mit einer Maßnahme zu begegnen wäre, die nicht in der Landesverfassung vorgesehen sei. Diese Maßnahme bestand darin, dass der Monarch anstelle des funktionslosen Landesausschusses eine Verwaltungskommission ernennt, die Beamtencharakter haben sollte. Dieser auf der Grundlage eines kaiserlichen Patents ernannten Kommission würde die Regierung augenblicklich die finanziellen Mittel für die Landesverwaltung zur Verfügung stellen : sie bewilligt die 10%-ige Erhöhung der Steuerumlage auf sämtliche direkte Steuern, mit Ausnahme der personenbezogenen Einkommensbesteuerung sowie die Landesabgabe für den Bierverbrauch. Die Voraussetzung für das Gelingen des in allen Details ausgearbeiteten Plans war es, Oberstlandmarschall Ferdinand Lobkowicz davon zu überzeugen, von seinem Amt zurückzutreten. Dessen Bereitschaft hielt sich jedoch in engen Grenzen. Nach Thuns Aufzeichnungen argumentierte der Oberstlandmarschall damit, seine Verantwortung gegenüber dem tschechischen Volk wahrnehmen zu müssen und er fürchtete, seine politische Karriere aufs Spiel zu setzen. Thun machte ihn offenbar darauf aufmerksam, dass sich der Oberstlandmarschall in keiner beneidenswerten politischen Situation wiederfinden werde, wenn es nach dem 1. August 1913 zu einem Zusammenbruch der Landesfinanzen komme und Böhmen bankrott sein werde – er würde dann der
Die politische Vorbereitung des »Verfassungsputsches« in Böhmen
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höchste Funktionär eines finanziell bankrotten Landes sein. Thun appellierte an das monarchische Empfinden des Oberstlandmarschalls : Durch seine Demission erleichtere er dem Kaiser den politisch und moralisch schwierigen (wenn auch unvermeidbaren) Eingriff zur Sanierung der finanziellen Verhältnisse Böhmens. Am 25. Juli 1913 stellte Fürst Thun mit großer Zufriedenheit fest : »Durch gemeinsame Aktion ist es schliesslich gelungen, Fede [Ferdinand Lobkowicz] von der Notwendigkeit zu überzeugen – und heute hat er die Demission überreicht. […] Momentan ist alles fix und fertig und wird Sonntag erscheinen.«517 Die Verwaltungskommission sollte sich Obliegenheiten widmen, die gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen in den Aufgabenbereich des Landesausschusses gefallen wären. Deren acht Mitglieder und vier Ersatzmitglieder wurden vom Kaiser ernannt (auf Vorschlag der Regierung, der faktisch auf den Vorschlag des böhmischen Statthalters zurückging). Von den acht Mitgliedern sollten fünf Tschechen und drei Deutsche sein – was ungefähr der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung des Landes entsprach. Die politische Vorbereitung des »Verfassungsputsches« in Böhmen
Franz Thun bereitete sich auf politische Proteste vor, welche durch die »Suspendierung der Landesautonomie« hätten hervorgerufen werden können. An den Ministerpräsidenten übermittelte er Nachrichten über die Standpunkte der tschechischen und deutschen Presse. Dazu schrieb er : »Kritik wird wohl anheben, die vorherige Agitation ist aber unterbunden worden. Die Národní listy habe ich zu beeinflussen vermocht ; sie schreibt mässig und vernünftig. […] Auch mit sozialdemokratischen Führern habe ich die Angelegenheit verhandelt. […] Sie werden nicht auf der Gasse demonstrieren. Mit den hiesigen Führern der Agrarier will ich noch morgen […] sprechen […]. Ob ich da etwas erzielen werde, ist fraglich, denn leider stehen unsere Agrarier jetzt unter dem Einfluß von Staněk-Stránský. Die Radikalen[,] d[as].s[ind]. Nationalsoziale und Staatsrechtler, werden zwar toben. Mit ihnen werde ich wohl fertig werden, zumal ich eine Information habe, nach welcher auch diese Partei nur dann auf die Gasse gehen will, wenn es die Sozialdemokraten thun sollten.«518 Die Annenpatente
Am 26. Juli 1913 unterzeichnete Kaiser Franz Joseph I. in Bad Ischl jene Briefe und Patente, auf deren Grundlage der böhmische Landtag aufgelöst und die Einsetzung einer Landesverwaltungskommission des Königreichs Böhmen verfügt wurde. Diese wurde mit landesherrlichen Beamten – fünf Tschechen und drei Deutschen – beschickt. Nach dem Ausgabedatum erhielten die kaiserlichen Patente und die Briefe die Bezeichnung »Annenpatente«.
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Die Annenpatente : Thuns »Verfassungsputsch in Böhmen«
In der amtlichen Pražské noviny [Prager Zeitung] erschien ein Kommentar, in dem die Unerlässlichkeit dieses Eingriffes begründet wurde (wobei das Blatt dem Geist der von Franz Thun ausgearbeiteten Argumentation folgte), für den die Landesverfassung keine Grundlage biete.519 Sie verwies auf die äußerste Not, die aufgrund der Ausschöpfung der Landesfinanzen sowie der Lähmung des Landtages und des Landes ausschusses eingetreten war. Dies betreffe die Einwohner beider Nationalitäten und es bestehe die Gefahr, dass sich die Nachricht von der Pleite des Königreichs Böhmen in der Welt verbreite. Gleichzeitig sei Böhmen mit seiner arbeitsamen und überaus begabten Bevölkerung, der blühenden Industrie, der Landwirtschaft und dem Handel reicher und stärker als jemals zuvor. Nur in Folge der nationalpolitischen Streitigkeiten kann es die »großartigen Hilfsquellen und die gewaltige Steuerleistung« der Bevölkerung zugunsten der Landesfinanzen nicht zur Geltung bringen. Die Regierung treffe unter Berufung auf das »Notverordnungsrecht« Maßnahmen, um die Finanzkrise abzuwenden. Der Kommentar endet mit dem Appell, die Ausgleichsverhandlungen fortzusetzen. Für Franz Thun stellte sich sein Eingreifen zweifellos so dar, wie auch die o ffiziellen Kommentare zu den »Annenpatenten« lauteten : Er erachtete es als eine Notmaßnahme und wünschte sich, die landesherrliche – im Grunde genommen absolutistische – Verwaltungskommission so schnell wie nur irgend möglich durch einen rechtmäßigen Landesausschuss zu ersetzen, der wiederum vom Landtag beschickt werden sollte, der aus einer rechtmäßigen Wahl hervorgegangen war. Der Weg dazu sollte durch die Wiederaufnahme der deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen eröffnet werden.
Kapitel 19
Das Ende der Hoffnung auf einen deutsch-tschechischen Ausgleich
Die Deutschen und der böhmische Statthalter
Die tschechischen politischen Parteien bezeichneten die Annenpatente in ihren Proklamationen als »gegen das Königreich Böhmen und unsere Nation gerichtete Handlung, um der deutschen Obstruktion zu entsprechen«, die tschechische radikale Presse schrieb von einem Rückzug vor den Deutschen und über den Sieg der deutschen Obstruktion. Es entsprach offensichtlich den zeitgemäßen politischen Gepflogenheiten, in einer Regierungsverordnung eine Unterstützung des jeweiligen nationalen Gegners zu sehen. Franz Thun erachtete seine Aktion entschiedenermaßen nicht als Unterstützung der deutschen Politik. Im Gegenteil, sie stellte sich ihm als eine Vereitelung ihres Planes der finanziellen Aushungerung des Landes dar. Stolz schrieb er an seinen Bruder : »Den Stoßzahn der Obstruktion habe ich ausgerissen.«520 So haben es auch die deutschen Politiker verstanden. Sie sahen, dass ihre Obstruktion, die sie seit 1908 im böhmischen Landtag betrieben hatten, nicht zum Ziel geführt hatte : Die Landesfinanzen waren nicht zusammengebrochen, die Verwaltungskommission wies die gleiche nationale Zusammensetzung wie der Landesausschuss auf, jener Mann, der an seiner Spitze stand, Graf Schönborn, galt ihnen als »böhmischer Feudaler« und es war ihnen nicht gelungen, die »tschechische Übermacht« in der Landesverwaltung zu brechen. Der Hauptinitiator dieser, wie sie meinten, antideutschen Politik, war für sie der böhmische Statthalter Fürst Franz Thun. Sie organisierten einen gesellschaftlichen Boykott, während die deutsche Presse eine aggressive Kampagne gegen ihn führte. Am 17. August 1913 fand in Komotau (Chomutov) ein Kongress von Vertrauensmännern deutscher Parteien statt.521 Dieser forderte die Ablösung von Franz Thun als böhmischem Statthalter und verpflichtete die deutschen Politiker dazu, sich so lange nicht in die Ausgleichsverhandlungen einzubringen, solange auch Fürst Thun daran teilnahm. Diese Beschlüsse von Komotau kamen in gewisser Weise der Verhängung eines Bannes über den böhmischen Statthalter gleich, dem man als einzigem Politiker zutrauen konnte, die Ausgleichsverhandlungen zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Der Trebnitzer Volksrat Dr. Titta begrüßte die Beschlüsse von Komotau und leitete umfangreiche Aktionen gegen Franz Thun ein, indem er die deutschen Gemeinde- und Bezirksvertretungen, Vereine
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Das Ende der Hoffnung auf einen deutsch-tschechischen Ausgleich
Abb. 67: Der böhmische Statthalter Fürst Franz Thun an seinem Schreibtisch. Die Aufnahme wurde am 16. Jänner 1914 in der illustrierten Zeitschrift Český svět [Tschechische Welt] veröffentlicht.
und Redaktionen mit einer Fülle an Materialien beschickte, dessen Inhalt sich gegen den böhmischen Statthalter richtete.522 Angesichts der feindlichen Haltung der deutschen Parteien und der Kampagnen, die der Volksrat gegen ihn entfaltet hatte, trug sich Franz Thun mit dem Gedanken, von seiner Position zurücktreten zu müssen : »Das Kesseltreiben gegen mich [ist] unleugbar. Es kann zweifellos auch dahin führen, daß ich den Platz verlassen muss. War es nötig, dass man mich scheiden ließ, um die Böhmen [im Jahr 1896] zu beruhigen, so kann dies [nun] […] leichter geschehen, wenn die viel mächtigeren Deutschen es verlangen. Ich werde persönlich, gewiss in voller Seelenruhe, mich in den Ruhestand zurückziehen, wenn es zu einer Beruhigung der Situation beiträgt. Die erste Zeit werde ich etwas desorientiert sein, mich aber bald wieder an das Privatleben gewöhnen.«523 Freilich galt der böhmische Statthalter nicht allen deutschen Politikern als Hauptfeind des »böhmischen Deutschtums«, wie das der Trebnitzer Volksrat in größtmöglicher Direktheit verkündete. Manche Abgeordnete empfanden es geradezu als Anmaßung, dass sich eine nicht demokratisch legitimierte Organisation das Recht herausnahm, gewählte Abgeordnete herumzukommandieren. Einige Bürgermeister deutscher Städte getrauten sich dennoch, den böhmischen Statthalter bei der einen
Die Deutschen und der böhmische Statthalter
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Abb. 68: Der böhmische Statthalter Fürst Franz Thun fährt am 30. August 1913 zusammen mit dem »zweiten Thronfolger« Erzherzog Karl zu den Feierlichkeiten anlässlich des 100. Jahrestages der Schlacht von Kulm, in der die österreichisch-preußisch-russischen Truppen ein französisches Armeekorps zur Kapitulation zwangen.
oder anderen Gelegenheit in ihre Stadt einzuladen. Tittas Volksrat verfolgte freilich diese Vorfälle und verurteilte sie. Als etwa Thun zur feierlichen Eröffnung der Gemeindebibliothek nach Aussig eingeladen wurde, bekundete der Volksrat dazu seinen Widerwillen.524 Für den böhmischen Statthalter stellte jeder offizielle Besuch bzw. jede offizielle Teilnahme, etwa an einer öffentlichen Versammlung oder Ausstellungseröffnung, in einem Teil des von ihm verwalteten Landes – nämlich in Deutschböhmen – keine selbstverständliche Angelegenheit dar. Zunächst musste er dazu offiziell eingeladen werden (was bereits eine Missbilligung der Beschlüsse von Komotau darstellte) und auch dann drohte die Gefahr, nicht so empfangen zu werden, wie es der Stellung und dem Prestige eines kaiserlichen Statthalters entsprach : Werden die »richtigen Fahnen«, also die kaiserlichen schwarz-gelben und nicht die großdeutschen schwarz-rotgoldenen gehisst, wird die österreichische Volkshymne gepielt oder stimmt die Kapelle die großdeutsche Wacht am Rhein an, kommt es zu einer Demonstration gegen seine Person, wird das Hoch auf den Kaiser auf gebührende Weise ausgebracht ? Eine Welle an deutschnationaler Begeisterung brachten im Jahr 1913 die Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der gegen Napoleon geführten Befreiungskriege hervor.
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Das Ende der Hoffnung auf einen deutsch-tschechischen Ausgleich
In Deutschböhmen sollte daran in Kulm, Teplitz und Nollendorf (Clumec, Teplice, Nakléřov) gedacht werden, wo im Jahr 1813 ein französisches Korps angegriffen und zur Kapitulation gezwungen worden war. An diesen Feierlichkeiten sollte der »zweite Thronfolger« (und spätere Kaiser) Erzherzog Karl, selbstverständlich in Begleitung des Statthalters, teilnehmen. Die Befürchtungen, dass die deutschen Radikalen, vor allem aus Aussig, gegen den Statthalter demonstrieren könnten, führten dazu, dass der Erzherzog und auch der Statthalter Aussig mieden und sich direkt nach Kulm begaben. Während es also im Vorfeld einigen Grund zur Sorge gegeben hatte, schrieb Franz Thun am 5. September 1913 mit einiger Erleichterung an seinen Bruder Jaroslav : »Die Kulm-Teplitz Feierlichkeiten waren sehr hübsch und patriotisch : kein Misston. Die Radikalen fanden mit ihrer Anregung keine Unterstützung[,] sie gaben es dann selbst auf : Kein Abzugsruf wurde mir zu Theil. Im Gegentheil, ich glaube, dass so mancher Hoch[-] und Heilruf auch mir galt.«525 Die Feierlichkeiten nahmen einen guten Verlauf, es kam zu keinen unliebsamen Zwischenfällen. Von der Abnormität der herrschenden Situation zeugt jedoch die Tatsache, dass der Erzherzog (und künftige Herrscher !) sowie der kaiserliche Statthalter Aussig mieden und dass sich, nachdem nichts passiert war, vor Erleichterung beinahe Euphorie einstellte. Deutschböhmen – vor allem dessen nördlicher Teil – stellte für den kaiserlichen Statthalter ein schwieriges Terrain dar. Im Großen und Ganzen brachten die Feierlichkeiten in Erinnerung an die »Befreiungskriege« Thun eher in Rage. Mit Empörung schrieb er, dass bei der Hauptfeier in Leipzig nicht an die Völkerschlacht erinnert wurde – in der die österreichischen Heerführer (und böhmischen Adeligen) Karl Schwarzenberg und Josef Wenzel Radetzky eine bedeutende Rolle gespielt hatten –, sondern dass stattdessen die Entstehung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 gefeiert wurde. Er führte weiter aus, dass aufgrund dieser Tatsache und wegen einer »dummen Rede« Kaiser Wilhelms keine große österreichische Delegation mit Franz Ferdinand an der Spitze nach Leipzig fahren müsse, und dass der Thronfolger auf das Äußerste verstimmt sei, dem es – wie Thun es beschrieb – den Magen umdrehe.526 (Womit Thun recht hatte, denn der Thronfolger war mit dem Verlauf der Feier in Leipzig nicht zufrieden und brachte dies auch zum Ausdruck.) Der böhmische Statthalter hielt vor dem Radetzky-Denkmal auf dem Kleinseitner Ring in Prag eine gelungene, »festliche« und »stark besuchte« militärische Feier ab, wie er sich selbst lobte. Aber nicht einmal in Prag entging der Statthalter der deutschnationalen Interpretation des Jubiläums. Er besuchte einen Festvortrag, der vom Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen organisiert worden war. Seine Enttäuschung darüber beschrieb er in einem Brief an seinen Bruder : »Auch da war mehr die Rede von dem Wiedererwachen des deutschen-nationalen Gefühls als von der Völkerschlacht […], in welcher ein österreichisches, aus allen Nationen zusammengesetztes Heer, neben Preußen, Russen und Schweden, endlich Napoleons Kraft brach.«527
Erneuerungsversuche der Ausgleichsverhandlungen
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Erneuerungsversuche der Ausgleichsverhandlungen
Die Regierung bemühte sich um die Erneuerung der deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen, was sowohl eine Voraussetzung der Handlungsfähigkeit des Reichsrates (Beseitigung der tschechischen Obstruktion), als auch für die Wiederaufnahme der Tätigkeit des böhmischen Landtages und des Landesausschusses war. Franz Thun korrespondierte mit Karel Kramář, der für seinen Anteil an der Vorbereitung der Annenpatente – für die er eine Niederlage innerhalb der Partei hatte hinnehmen müssen – zur Zielscheibe der Angriffe tschechischer Radikaler geworden war. Der böhmische Statthalter schrieb ihm nicht nur deshalb an die sonnigen Gestaden der Krim, um damit einem Politiker seine Sympathie auszudrücken, mit dem er lange Monate zusammengearbeitet hatte, sondern deshalb, weil er mit dessen Teilnahme an den erneuten Ausgleichsverhandlungen rechnete. Am 18. September 1913 sandte er an Kramář eben diesen Brief, in dem er den Radikalismus innerhalb der tschechischen Parteien verurteilte, durch den der tschechischen Nation nur Schaden zugefügt werde, und forderte ihn zur Rückkehr in die aktive Politik auf. Franz Thun führte noch mit einer Reihe weiterer Politiker Verhandlungen – mit dem Agrarier Antonín Švehla, dem Jungtschechen Josef Fořt, dem Sozialdemokraten Bohumír Šmeral –, und auch Ministerpräsident Graf Stürgkh sprach mit den tschechischen Politikern. Im Großen und Ganzen mit Erfolg. Thun und Stürgkh gelang es, die Parteien der Jungtschechen, der Agrarier und der Alttschechen zu Gesprächen über die Wiederaufnahme der Ausgleichsverhandlungen zu bewegen. Am Vormittag des 15. Oktober 1913 empfing Ministerpräsident Stürgkh in Gegenwart von Innenminister Heinold und des böhmischen Statthalters Thun im Palais Modena in der Wiener Herrengasse die Vertreter der tschechischen Parteien, die ihre Bereitschaft zu neuen Verhandlungen bekundeten.528 Am gleichen Tag sollte sich eine weitere Delegation, bestehend aus Vertretern der deutschen Parteien, im Palais Modena einfinden. Als deren Mitglieder, die im nahen Café Central warteten, erfuhren, dass auch Fürst Thun anwesend sein werde, gaben sie telefonisch bekannt, dass sie nicht ins Palais Modena kommen werden. Sie beriefen sich dabei auf die Beschlüsse von Komotau, die einen Kontakt mit dem böhmischen Statthalter untersagten. Auch auf Drängen des Ministerpräsidenten waren sie nicht bereit, ihren Standpunkt zu ändern. Der Versuch um eine Erneuerung der deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen war gescheitert – die Deutschen hatten gegenüber Fürst Thun ein Exempel statuiert. Ministerpräsident Stürgkh ergriff jedoch für den böhmischen Statthalter Partei und stärkte ihm so den Rücken. Bei der Hofsoirée verlieh der Kaiser seiner Entrüstung ungewohnt schroff Ausdruck, dass es die deutschen Politiker abgelehnt hatten, mit dem kaiserlichen Statthalter zu verhandeln.529
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Das Ende der Hoffnung auf einen deutsch-tschechischen Ausgleich
Franz Thun : Der Ausgleich ist gescheitert !
Im Dezember 1913 führte Ministerpräsident Stürgkh Gespräche mit den böhmischen Deutschen, um sie zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zu bewegen. Die Regierung hatte Unterlagen (und ein großer Teil der Arbeit, wenn nicht zur Gänze, war vom böhmischen Statthalter ausgeführt worden) zur Revision der Landesverfassung, zur Wahlordnung, der Sprachenfrage in staatlichen und autonomen Ämtern und auch über die Grundlagen für eine nationale Trennung in Böhmen vorbereitet. Am 23. Jänner 1914 fanden sich am Amtssitz des Ministerpräsidenten in Wien tschechische und deutsche Politiker ein, wobei der böhmische Statthalter Thun diesem Treffen fernblieb. Auf diese Weise sollte auf die deutschen Beschlüsse von Komotau Rücksicht genommen werden. Um nicht den Eindruck zu erwecken, als hätte die Regierung kapituliert, nahm auch Innenminister Heinold nicht an diesem Gespräch teil. Am 17. Februar 1914 wurden die deutsch-tschechischen Verhandlungen nun endlich aufgenommen.530 Im Palais Modena tagten am Vormittag die Unterhändler der deutschen, am Nachmittag jene der tschechischen Parteien. Anwesend war auch Fürst Thun, die deutschen Verhandler hatten die Beschlüsse von Komotau nicht zur Anwendung gebracht. Sofern der böhmische Statthalter das Gefühl gehabt hatte, dass die Hindernisse nun endlich beiseitigt wären und dass der Weg zu dem, was er als sein Lebensziel erachtete – nämlich die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen –, endlich frei wäre, sollte ihm sein Optimismus nicht lange erhalten bleiben. Der Parteiobmann der deutschen Fortschrittlichen Partei, Hofrat Professor Adolf Bachmann ließ Ministerpräsident Stürgkh in einem Brief, der am 22. Februar 1914 in den Prager deutschen Zeitungen Bohemia und Prager Tagblatt abgedruckt war, wissen, dass seine Partei nicht an den Ausgleichsverhandlungen teilnehmen werde. Das war ein schwerer Schlag. Der ewige Optimist Thun trug schwer an dem Gefühl des Misserfolges und an der Vereitelung seiner Pläne. Am 28. Februar 1914 schrieb er an seinen Bruder Jaroslav einen erbitterten und pessimistischen Brief voll harter Verurteilungen : »Hofrath Bachmann hat uns erfolgreichst in die Suppe gespuckt. Infolgedessen ist er von der Neuen Freien Presse zum ganz besonderen Nationalheiligen ausgerufen worden. Sie und die in ihrer Gefolgschaft stehende böhmische Provinzpresse geht in Lobeshymnen über. In der Tat, Bachman ist eine solche Summe von Niederträchtigkeit [und] Verlogenheit, dass einem vor dem Manne ekelt. Das Unheil, dass er angerichtet hat, ist leider nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Der Sturm gegen den Ausgleich ist in der Presse, in Versammlungen ausgebrochen – es wird gegenwärtig unmöglich sein, gegen denselben mit Erfolg anzukämpfen. […] Die Böhmen sind schon ungehalten. Sie sind kaum davon abzubringen, jetzt schon zu erkären, die Deutschen hätten den Ausgleich zerschlagen. […] Ich halte den Ausgleich für lange Zeit als gescheitert, glaube nicht an die Möglichkeit der Wiederbelebung. Schade um die viele geleistete Arbeit, um
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den aufgewendeten guten Willen ! Es war zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein ! Meine Existenzberechtigung hat eigentlich aufgehört – dessen bin ich mir bewusst. Die Bemühungen Frieden zu stiften, die ich mir als Lebensaufgabe gestellt habe, sind gescheitert ! Was nun : auch das muss sorgfältig und nicht übereilt erwogen werden. Ich darf persönlich keine Schwierigkeiten verursachen ; muß aushalten, so lange es mein Kaiser will ! Die Politik ist ein ekelhaftes Geschäft.«531 Die letzten Wochen und Monate vor Sarajevo
»Die Politik ist ein ekelhaftes Geschäft.« Dieser Satz, gerade aus dem Mund eines Mannes, für den die Politik eine lebenslange Leidenschaft darstellte und der daran glaubte, mit seinem enormen Einsatz ein sich selbst gestecktes Ziel erreichen zu können, zeigt, dass ihm der Optimismus nun jedoch vollends abhanden gekommen war. Die Verhandlungen über den deutsch-tschechischen Ausgleich waren erfolglos geblieben, die Erneuerung des Konstitutionalismus war in Böhmen nicht erfolgt. Unter dem Motto »Ohne Landtag kein Reichsrat« riefen die böhmischen Abgeordneten eine neue Phase der Obstruktion aus – am 16. März 1914 wurde der Reichsrat vertagt. Das Reich ging ohne funktionsfähiges Zentralparlament und ohne böhmischen Landtag auf den Weltkrieg zu. Sowohl im deutschen wie auch im tschechischen politischen Lager herrschte Konfusion. Bachmanns »Husarenstück« spaltete die deutsche Politik in Böhmen. Die tschechi sche Politik war durch die Šviha-Affäre erneuten Erschütterungen ausgesetzt. Am 4. März 1914 bezichtigte die Národní listy den Reichsratsabgeordneten und Vorsitzenden des Klubs der national-sozialen Partei, Karel Šviha, bezahlter Informant der Prager Polizei gewesen zu sein. Am 6. März stellte sich der national-soziale Abgeordnete Jan Vojna beim böhmischen Statthalter Thun mit der Frage ein, ob Šviha ein Konfident sei. Thun antwortete ihm, dass er sich nicht für die Details der Polizeiarbeit interessiere und dass er von dem Fall aus der Zeitung erfahren habe. Freilich war vom böhmischen Statthalter nicht zu erwarten, einem oppositionellen Abgeordneten Details in einer solch delikaten Angelegenheit mitzuteilen. Nichtsdestoweniger scheint es allerdings den Anschein zu haben, als ob Thun zumindest die Andeutung gemacht hatte, dass die gegenüber Šviha geäußerten Anschuldigungen nicht völlig aus der Luft gegriffen seien. Überdies war er der ganzen Angelegenheit aber im höchsten Maße überdrüssig. Neben der Šviha-Affäre versetzte Franz Thun die Veröffentlichung der umfangreichen Memoiren des im Jahr 1901 verstorbenen Politikers und ehemaligen Finanzministers in seinem Kabinett, Josef Kaizl, durch Zdeněk Tobolka in einige Aufregung.532 Die Neue Freie Presse veröffentlichte daraus in Übersetzung jene Passagen, die beweisen sollten, dass Thun als Ministerpräsident einerseits Kaizls »Politik der Tschechi-
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Abb. 69: Statthalter Franz Thun zusammen mit dem Präsidialchef der Statthalterei, Baron Braun
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Abb. 70: Franz Thun vor dem Rudolfinum anlässlich der Eröffnung der Franz-Ferdinand-Brücke (heute: Ma nes-Brücke/Mánesův most) am 11. März 1914.
sierung« unterstützte und andererseits mit ihm zusammen einen Verfassungsbruch und einen »Staatsstreich« vorbereitete. Die Publizität rund um die von Tobolka veröffentlichten Memoiren richtete sich in erster Linie auf die Person des böhmischen Statthalters. Franz Thun begegnete diesem Umstand, indem er jenen Teil von Kaizls Erinnerungen, der ihn betraf, in deutscher Übersetzung vervielfältigen und zur Verteilung bringen ließ. Dass Thun der ganzen Situation überdrüssig geworden war und dass er Zweifel über seinen weiteren Verbleib im Amt hegte, geht aus einem Brief hervor, den er am 23. Mai 1914 an seinen Bruder Jaroslav richtete : »Es ist grässlich bei uns in Böhmen : nichts als nur Zank und Hader, Hass und Unnachgiebigkeit. Daneben die lügenhafte Behauptung von Ausgleichsfreundlichkeit ! Der Švihaprocess, der der Parteigehässigkeit sein Entstehen verdankte, war ekelhaft. Wir sind leider zur Wahrung des Amtsgeheimnisses verpflichtet. Die scheusslichsten Verleumdungen konnten vorgebracht werden. […] Daneben die Kaizelmemoiren [sic !] und das Zeitungsgeschwätz, das sich [dieselben] zu den rauhesten Angriffen gegen mich [zunutze machten]. Du dürftest die Memoiren nicht gelesen haben ; ich schicke Dir einen Auszug der auf mich bezüglichen Stellen. Aus diesen heraus wird die Kampagne gegen mich eröffnet und mit solcher Leidenschaftlichkeit geführt. Und allen diesem steht man wehrlos gegenüber.
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Diese Publikationen sind übrigens das Schonungsloseste an Indiskretion, was je ein Herausgeber von Memoiren geleistet hat. Welchen Zweck er verfolgt hat, versteht man nicht. Der böhmischen Sache hat es colossal geschadet. Ich bin wirklich begierig, ob es der nfp [Neuen Freien Presse] und ihren Ablegern gelingen wird, meine Stellung zu untergraben ; ich beabsichtige bei meiner nächsten Anwesenheit in Wien neuerlich Stürgkh zu fragen, ob ihm nicht mein Abgang erwünscht wäre.«533 Jaroslav konnte die Bitterkeit und das Unbehagen seines Bruders gut verstehen. In seinem Tagebuch notierte er, dass Franz keine langen Überlegungen über einen Amtsverzicht anstellen solle, denn »für diese Bagage gibt es nur das Wort hinschmeißen ! [im Original unterstrichen]«534 In dem Schreiben an seinen Bruder drückte er sich gewählter aus, wenngleich die Verzweiflung über die Verhältnisse in Böhmen und in Österreich offensichtlich sind : »[Aus Deinem Brief ] erfahre [ich], was ich mir längst denke, daß all die vielen politischen Schwindel in Böhmen für Dich die Arbeit noch dornenvoller und ungünstiger macht [recte : machen], als Ja ! Wenn Du dieses Amt, in dem Du nur Undank zum Lohn erntest, bald auf ehrenvolle Weise los werden könntest, es wäre ein wahres Glück für Dich – doch fürchte ich, Stürgkh läßt Dich nicht ziehen, es wäre nur, daß er selbst zöge ! Dann aber bitte ich Dich, versäume nicht die Gelegenheit, mit ihm zu ziehen ! […] Danke auch für Kaizels [sic !] Memoiren – wenn bei uns normale Menschen und normale Verhältnisse wären, würden sie Dir zur Ehre gereichen, denn es geht aus ihnen klar hervor, was Udržal in der Delegation sagte, daß Du weder deutsch noch böhmisch, sondern nur der treueste und altbewährteste Diener bis zur Selbstverleugnung deines kaiserlichen Herren bist.«535 Am 31. Mai 1914 setzte Franz Thun mit seinem Bruder den schriftlich geführten Dialog über seine Position als Statthalter fort : »Was meine Stellung betrifft, so denke ich viel darüber nach ; gestehe, dass ich mein Amt herzlich satt habe. Ohne Chance irgend etwas nützliches zu erzielen, sich abrackern und nur angeflegelt werden, ist wirklich keine Freude. Andererseits will ich aber nicht fahnenflüchtig werden.«536 Im Juni 1914 wurde erneut der Versuch unternommen, die deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen wieder aufzunehmen. Diese liefen unter der Regie von Erwin Nostitz-Rieneck und Heinrich Clam-Martinic im Palais Nostitz. Der böhmische Statthalter war über die Gespräche informiert, er unterstützte sie, war jedoch nicht – wie bei den deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen in der Vergangenheit – deren zentraler Protagonist und Motor. Zu dieser Zeit, als an die Lösung des Gordischen Knotens der politischen Systemblockade in Österreich und Böhmen eher mit einer gewissen Trägheit herangegangen wurden, dämmerten Ereignisse einer ganz anderen Art herauf, welche der ganzen Situation als sprichwörtlicher deus ex machina mit einem Mal und auf tragische Weise eine dramatische Wendung geben sollten. Das böhmische Schloss Konopischt wurde zum Schauplatz eines Zusammentreffens zwischen dem deutschen Kaiser Wilhelm II.
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Abb. 71: Feierliche Eröffnung der Franz-Ferdinand-Brücke (heute: Manes-Brücke/Mánesův most) am 11. März 1914. Ansprache des Prager Oberbürgermeisters Karel Groš, in der Gruppe der Gäste neben Franz Thun der Prager Erzbischof Leo Skrbensky Kardinal von Hristie.
mit dem österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand. Zu diesem Ereignis fand sich der böhmische Adel ein, auch der böhmische Statthalter war zugegen. Am 14. Juni 1914 berichtete er seinem Bruder Jaroslav davon : »Die Konopišter Feste glücklich vorüber, leider sehr durch Wetter gestört. Vorgestern zum Diner um 8 Uhr geladen, fahren mit dem kleinen geschlossenen Wagen hinaus ; brauchte 1 1/2 Stunden. Die Gesellschaft hast Du aus den Zeitungen gelesen. Es war ein Prachtdiner. Die Stimmung ausgezeichnet. Der Kaiser [Wilhelm II.] sehr gnädig, überbrachte mir einen Gruss der Kaiserin. EH [Erzherzog Franz Ferdinand] sehr gnädig in heiterster Laune. Sofie eine grossartige aimable [zuvorkommende, liebenswerte ; Anm. d. Übers.] Hausfrau. […] Die nächsten 2 Tage hat der Erzherzog den Konopišter Park für [die] allgemeine Besichtigung freigegeben ; das wird eine Völkerwanderung geben !«537 Zehn Tage später sollte sich alles verändert haben. Der Erzherzog begab sich zusammen mit seiner Gattin Sophie nach Bosnien, um dort Manövern beizuwohnen. Am 28. Juni 1914 trafen sie die mörderischen Schüsse des Gavrilo Princip. Die schreckliche Nachricht von der Ermordung in Sarajevo erreichte Fürst Franz Thun, als er sich auf einem sonntäglichen, mit dem Automobil unternommenen Besuch bei seinen Schwarzenbergischen Verwandten in Südböhmen befand. Am 29. Juni schrieb
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Das Ende der Hoffnung auf einen deutsch-tschechischen Ausgleich
er ein Beileidsschreiben nach Kwassitz – in Sarajevo war schließlich die Schwester von Jaroslavs Frau und seiner Schwägerin ermordet worden : »In tiefstem Schmerz ergreife ich die Feder, um Euch meine innigste Theilnahme auszusprechen. Ein namenloses Unglück hat uns alle betroffen und fassungslos steht man diesem Schlage gegenüber. Armer, vielgebeugter Kaiser, armes hartgeprüftes Österreich – arme verwaiste Kinder. […] Es ist wahrhaft schauderhaft ! Wie gelähmt kehrten wir gestern aus Vosov [Osov ; Anm. d. Übers.], wohin wir für die Nachricht gefahren waren […], nach Prag zurück. Hunderte von Menschen standen im stummen Schweigen vor der Statthalterei. Hier fand ich erst die offizielle Bestätigung der bisher nur gerüchteweise eingelangten Nachricht. […] Was wird jetzt mit den armen Kindern ? Wie wird für sie in jeder Beziehung gesorgt werden ? Wer wird effektiver Vormund werden ? Der Kaiser wird wohl auch hier das Richtige finden. […] Ich habe den Kopf nicht genug beisammen, um einen normalen Brief zu schreiben.«538
Kapitel 20
Der kaiserliche Statthalter im Großen Krieg
Von Sarajevo zum Großen Krieg
Die tödlichen Schüsse von Sarajevo setzten ein imaginäres Uhrwerk in Gang, das die letzten Friedenstage bis zum Kriegsausbruch herunterzählte. Ab dem 28. Juni verging jedoch noch ein ganzer Monat und ein Tag, bis die Menschen von Plakaten oder den Titelseiten der Tageszeitungen erfuhren, dass der Kaiser seine Völker zu den Waffen rief. Franz Thun war sicherlich alleine schon von den Morden in Sarajevo tief ergriffen. Der Thronfolger und voraussichtliche künftige Kaiser war ermordet worden, ein Mann, den er zumindest ein Viertel Jahrhundert lang gut gekannt hatte. Die Beziehung der beiden Männer war durch unterschiedliche Phasen gegangen, und im letzten Abschnitt verkomplizierte Franz Ferdinand eher die aufreibende Sisyphusarbeit Thuns, der sich um den Abschluss eines deutsch-tschechischen Ausgleichs bemüht hatte, wenn er sie nicht sogar sabotierte. Dennoch bestimmte der Thronfolger in seinem, schon am 3. Juni 1907 niedergeschriebenen letzten Willen Franz Thun zum Testamentsvollstrecker, dessen Bruder Jaroslav vertraute er die Obsorge seiner drei Kinder – Sophie, Maximilian und Ernst – an. Dieser Umstand lässt sich dahingehend auslegen, dass ungeachtet aller Kalamitäten, von denen die Beziehung zwischen Franz Ferdinand und Franz Thun geprägt war, schließlich er und Sophie die Gebrüder Thun als am vertrauenswürdigsten erachteten und ihnen ihre Kinder anvertrauten. Der erschütterte und noch immer sichtlich bewegte Jaroslav Thun schrieb am 7. Juli 1914 an seinen Bruder aus Chlumetz bei Wittingau (Chlum u Třeboně), wohin sie die Waisenkinder nach dem Begräbnis ihrer Eltern in Artstetten gebracht hatten : »Alle Hoffnungen auf die Zukunft sind vernichtet – ich hatte meinen Lohn erhalten, als die armen Eltern (besonders gewiß Sophie) mir das höchste Vermächtniß machten, daß sie geben konnte : die Pflege ihrer Kinder ! […] Ich versichere Dir, mein ganzes Sein ist so erschüttert, daß ich immer wie ein kleines Kind weinen muß, wenn ich diese armen Kinder sehe, die ich zu normalen Menschen erziehen soll !«539 Bei der näheren Beschäftigung mit Thuns Aktivitäten in jenem Zeitabschnitt, der vom Attentat in Sarajevo und dem österreichischen Ultimatum an Serbien begrenzt ist, findet sich nicht der geringste Hinweis darauf, dass der böhmische Statthalter über den sich nahenden Kriegsausbruch Bescheid wusste. Wann Franz Thun erfahren hat, dass das Reich vor dem Ausbruch des Konflikts stand, lässt sich nur erahnen. Es ist
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Der kaiserliche Statthalter im Großen Krieg
gut möglich, dass er sich – ebenso wie die gesamte Öffentlichkeit – des Ernstes der Lage erst bewusst wurde, als das verhängnisvolle Ultimatum an Serbien publik gemacht worden war. Als erster Tag für die Mobilmachung wurde der 28. Juli festgesetzt und am gleichen Tag erklärte Österreich-Ungarn an Serbien den Krieg – genau einen Monat nach dem Attentat von Sarajevo. Der Statthalter und die Mobilmachung in Böhmen
Die Mobilmachung verlief in Böhmen ebenso glatt wie in anderen Teilen der Monarchie. Die Befürchtung, dass die tschechischen Soldaten die Mobilmachung sabotieren würden und es zum Ausbruch von Unruhen kommen werde, erwiesen sich als unbegründet. Franz Thun betonte noch im Jahr 1916, als er bereits aus dem Amt des Statthalters ausgeschieden war und als man unablässig über das »Versagen« der tschechischen Soldaten sprach, in seiner Aussage vor Gericht : »Aber so weit mir bekannt ist, hat sich vom ersten Mobilisierungstage an gezeigt, so weit mir Mitteilungen zugekommen sind, indem die Leute aus Böhmen – Deutsche wie Böhmen – massenhaft zu ihren Truppen geeilt sind. […] Alles ist glatt gegangen und das hat mich nicht im Geringsten wundern können, weil ich, der ich das Land so genau kenne, vollkommen überzeugt war, dass, wenn der Kaiser ruft, jeder bestrebt sein wird, seine Pflichten zu erfüllen.«540 Wenn die Mobilmachung in Böhmen erfolgreich ablief und wenn Tschechen wie Deutsche zu den Fahnen eilten, bedeutete das noch nicht, dass die tschechische und deutsche Sichtweise auf den künftigen Krieg identisch war. Die seltsame Frage, ob die Tschechen »begeistert« in den Krieg zogen oder nur deshalb, weil sie »mussten«, wurde zum Gegenstand der politischen Debatte, welche unmittelbar die Position des Statthalters von Böhmen betraf. Die österreichischen Deutschen waren froh darüber, dass Österreich-Ungarn an der Seite des Deutschen Reiches Krieg führte ; dieses bot ihnen die Möglichkeit, sich mit einem großen, starken und bislang überaus erfolgreichen Verbündeten zu identifizieren. Neben der österreichischen Volkshymne ertönten dort, wo Deutsche einrückten, auch reichsdeutsche, alldeutsche und historisch-preußische Lieder, wie etwa die Wacht am Rhein, Ich hatte einen Kameraden und Heil dir im Siegerkranz. Kundgebungsteilnehmer brachten nicht nur vor Gebäuden der öffentlichen Verwaltung, sondern auch vor deutschen Vertretungsbehörden Huldigungen aus, die deutsche und vor allem die deutschböhmische Presse schrieb mehr und mit größerer Begeisterung über die militärischen Erfolge des deutschen Verbündeten als über die österreichisch-ungarische Armee (was freilich durch die Tatsache erleichtert wurde, dass die reichsdeutschen Erfolge von Beginn des Krieges an weitaus effektvoller und überzeugender waren). Dem gegenüber wird in den Rapporten der Militärkommandanturen das Bild des teil-
»Patriotische Umzüge« in Prag
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nahmslosen bis feindlich eingestellten Tschechen geprägt, der von der patriotischen Welle unberührt blieb. Die Vertreter der militärischen Organe und auch die staat lichen Ämter verfolgten nicht nur das Verhalten der Tschechen, sondern bewerteten auch deren Gesinnung : Sie rückten zwar zu den Einheiten ein, allerdings keineswegs gern und nur weil sie müssten. Dabei zeigen sie keine Spur von Begeisterung. »Patriotische Umzüge« in Prag
Sollte die »Kriegsbegeisterung« in den deutschen Siedlungsgebieten Böhmens allgemein eine deutsche oder eher deutschnationale Note gehabt haben, gestaltete sich die Angelegenheit in den anderen Teilen des Königreichs Böhmen etwas komplizierter. Die Prager Autonomiebehörden leisteten dem kaiserlichen Statthalter eine Huldigung ihrer Ergebenheit, während die Straßen und Plätze der Landeshauptstadt Zeugen »patriotischer Umzüge« wurden. Gewiss, deren Hauptträger waren die Angehörigen der deutschen Minderheit Prags : Die Umzüge nahmen ihren Ausgang von den Redaktionen der deutschen Zeitungen Prager Tagblatt und Bohemia und in jenen Teilen Prags, in denen die deutsche Minderheit wohnte (Herrengasse, Graben, der untere Teil des Wenzelsplatzes), erklangen deutsche Lieder, während die deutsche Presse über die Manifestationen der Prager Deutschen schrieb. Die Menge machte am ehesten vor dem Kasino Halt – also dem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens der Prager Deutschen. Im Umzug pflegte nicht nur ein Bild von Franz Joseph I., sondern auch eines des deutschen Kaisers Wilhelm II. mitgetragen zu werden. Die Teilnehmer der Kundgebung brachten nicht nur Hochrufe auf den Kaiser und die österreichische Armee, sondern auch auf Kaiser Wilhelm und das deutsche Heer aus. Nichtsdestotrotz waren bei den Prager Kundgebungen auch tschechische Rufe zu vernehmen, die Redner sprachen ebenso tschechisch wie deutsch, die Presse berichtete über die »Verbrüderung von Tschechen und Deutschen«. Der Ton der Prager deutschen Presse zeugte von der Absicht, diese Demonstration nicht nur als Ausdruck der Begeisterung der Prager Deutschen, sondern auch als Manifestation der Überwindung des deutsch-tschechischen nationalen Gegensatzes und des Abschlusses eines gewissen »Burgfriedens« darzustellen, geschlossen auf der Grundlage österreichischer Vaterlandsliebe und der österreichisch-deutschen »Waffenbrüderschaft«. Fürst Thun setzt den patriotischen Umzügen in Prag ein Ende
Man könnte annehmen, dass der kaiserliche Statthalter die »patriotische Kund gebung« in Prag hätte begrüßen sollen – einerseits als Loyalitätserklärung, andererseits als Ausdruck der deutsch-tschechischen Versöhnung, die er als sein Lebensziel
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Der kaiserliche Statthalter im Großen Krieg
erachtete. Als die Demonstrationszüge beim Palais der Statthalterei eintrafen, entbot er der Menge vom Balkon aus oder durch das Fenster seinen Gruß und brachte ein Hoch auf Kaiser Franz Joseph und die k. u. k. Armee aus (niemals jedoch ließ er den deutschen Kaiser Wilhelm oder die deutsche Armee hochleben). Trotzdem war es gerade Fürst Thun, der den ostentativen und wiederholten Kundgebungen der »Kriegsbegeisterung« in Prag ein Ende bereitete. Am 9. August 1914 veröffentlichte die Tagespresse die folgende Kundmachung des Statthalters : »An meine lieben Prager Mitbürger tschechischer und deutscher Zunge ! Uns alle hat die gleiche patriotische Begeisterung erfasst und durchdrungen. Mit den gleichen Gefühlen der Liebe zu Kaiser und Reich sind unsere Landsleute, dem Rufe des Allerhöchsten Kriegsherrn folgend, unter die Fahnen geeilt, wie wir, zurückbleibend der Wehrmacht des Reiches Heil und Sieg erflehen, hier unsere Pflichten gewissenhaft erfüllen wollen, in friedlicher Arbeit, beseelt zu helfen und überall beizusteuern, wo Hilfe nottut. Sämtliche Bewohner der Stadt, ob tschechisch, ob deutsch, bekunden Arm in Arm ihre patriotische Gesinnung und ließen sie laut werden in den drei letzten Tagen in erhebenden Kundgebungen, die in den Ruf ausklangen : Gott schütze, Gott segne unsern Kaiser, unser Reich ! Dankbar und teilnehmend an dieser Begeisterung nahm ich die Kundgebungen zur Kenntnis und freudig unterbreite ich den Ausdruck dieser kaisertreuen Gesinnung als Huldigungsakt an die Stufen des Allerhöchsten Thrones. Groß und erhaben waren die Kundgebungen der letzten Tage ! Schwächen wir den Eindruck nicht durch tägliche Wiederholung ab ! Voll erfüllt von dem Geiste, der Tausende und Abertausende Bewohner der Stadt durch die Straßen Prags ziehen ließ, um ihrer Gesinnung lauten Ausdruck zu geben, wende ich mich nunmehr an meine geliebten Mitbürger der königlichen Hauptstadt Prag mit der Bitte, die Straßenzüge nicht zu wiederholen und dem so berechtigten Gefühle, die eigene Gesinnung in Kundgebungen der Straße zum Ausdruck zu bringen, Einhalt zu gebieten. Auf die eigene Kraft bauend wie auf die Kraft unserer Bundesgenossen, vertrauen wir fest und zuversichtlich auf den Sieg unserer gerechten Sache. Bei der ersten Nachricht von einer siegreichen Schlacht wollen wir wieder zusammentreten, dann wieder durch die Klänge unserer Volkshymne bekunden, daß wir, teilnehmend an dem Siege unserer Truppen, diesen feiernd, neuerlich Anlaß haben, den heißgeliebten Kaiser und die glorreiche Armee hochleben zu lassen. Warten wir in Zuversicht auf diesen Augenblick, der uns alle vereint finden wird ! Prag, am 9. August 1914. Statthalter Fürst Thun.«541
Die teilnahmslosen Tschechen ziehen in den Krieg
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Nach dieser Verlautbarung Thuns fanden die »patriotischen Umzüge« tatsächlich ein Ende. Auf diese Ereignisse vom August 1914 und zu seiner Aufforderung vom 9. August hinsichtlich der Einstellung nahm Fürst Thun in seiner Aussage während des Prozesses gegen Karel Kramář, Alois Rašín und andere im Jänner 1916 Stellung. Thun legte vor Gericht dar, welchen Urspung die Kundgebungszüge gehabt und von wo aus sie ihren Ausgang genommen hatten, wo sie Station gemacht, welche Parolen die Teilnehmer gerufen und was sie gesungen hatten. Die Anzahl der Teilnehmer schätzte er auf 2.000 bis 3.000 Personen. Seine Beweggründe, die ihn zur Herausgabe seines Aufrufes veranlasst hatten, begründete er folgendermaßen : »Es war vollkommen klar, dass diese Aufzüge patriotische Kundgebungen waren […]. […] Wie das aber in grossen Städten im Allgemeinen der Fall ist, sind die ersten Aufzüge von ruhigen, das will sagen besseren Elementen arrangiert worden […]. Wenn sich aber Aufzüge täglich wiederholen, schliesst sich ihnen immer ein grösserer Kreis von Menschen an […]. Man darf dabei eben nicht übersehen, dass in grossen Städten sich bei solchen Aufzügen gerne Leute anschliessen, die das – um einen Wiener Ausdruck zu gebrauchen [–] aus Hetz mitmachen, sich der Verantwortung nicht bewusst sind[,] wobei in Prag auch das konfessionelle [Thun hat am ehesten den Antisemitismus im Sinn] und nationale Moment hinzukommt, das besonders auf dem Boden der königlichen Hauptstadt Prag auch eine Gefahr in sich birgt, so dass es zu persönlichen Konflikten kommen kann, die zu Erscheinungen führen können, die nur sehr bedauerlich sein können und die aus dem [sic !] ganzen Charakter der patriotischen Demonstration ein schlechtes Licht werfen.«542 Thun berief sich auf seine Kenntnisse der Prager Verhältnisse und führte an, allein die Tatsache, dass mehr oder weniger gleichzeitig deutsche und tschechische Lieder gesungen wurden, hätte zu einem Konflikt führen können. Aus diesem Grund habe er sich mit seinem Aufruf vom 9. August für die Beendigung der Demonstrationen eingesetzt. Der damals im Amt befindliche Statthalter antwortete mit Bedacht, deutlich traten seine Befürchtungen zu Tage, die daher rührten, dass es in Prag mit seiner bewegten Vergangenheit und seinen reichen Erfahrungen an deutsch-tschechischen Konflikten zu nationalen Zusammenstößen hätte kommen können, was gerade zu der Zeit, als der Krieg eben erst begonnen hatte und die Mobilmachung angelaufen war, ungeahnte Auswirkungen hätte haben können. Die teilnahmslosen Tschechen ziehen in den Krieg
Der Abmarsch tschechischer Marschbataillone – bestehend aus Reservisten und Rekruten – an die Front vollzog sich schon weit weniger unproblematisch, als es noch in der ersten Mobilmachungswelle der Fall gewesen war. Ein ernster Zwischenfall ereignete sich am 23. September 1914 beim Abmarsch des III. Marschbataillons des
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Infanterieregiments Nr. 28 aus Prag. Die Nachrichten von den Demonstrationen und Ausschreitungen fanden Eingang in die Meldungen der militärischen Befehlshaber und wurden durch die Weitergabe aufgrund von persönlichen Kontakten auch in politischen Kreisen weiterverbreitet. In der Meldung des Prager Militärkommandanten werden sie als »Schande der österreichischen Armee« bezeichnet. Zwischen Statthalter Thun und Feldmarschallleutnant Simon Ritter von Schwerdtner kam es zum Konflikt. Schwerdtner sandte eine Flut von Beschwerden über das Verhalten der Tschechen und über die mangelhafte Tatkraft der staatlichen Verwaltung – also über den Statthalter und die Bezirkshauptleute – nach Wien. Statthalter Thun wiederum beanstandete an den Berichten des Militärkommandos und der lokalen Befehlshaber, dass sie sich oftmals auf Kaffeehausgespräche und auf anonyme Anschuldigungen stützten. Hinter den Missstimmigkeiten, die Thun mit einigen Militärs in Prag und anderen Orten Böhmens auszutragen hatte, verbarg sich ein Konflikt des böhmischen Statthalters mit dem Armeeoberkommando, das seinen Sitz in Teschen (Český Těšín bzw. Cieszyn) genommen hatte. Dieses versorgte den Kaiser mit Nachrichten über die antiösterreichische, antimilitaristische, russophile und panslawistische Gesinnung der tschechischen Öffentlichkeit und auch darüber, welchen Niederschlag dies angeblich auf die Haltung der tschechischen Soldaten habe. Fürst Franz Thun sprach sich entschieden gegen eine verallgemeinernde und pauschalisierende antitschechische Nachstellung aus, welche die deutschen Nationalisten forderten und für die sich auch die Heeresleitung stark machte. Er hatte begriffen, dass es zu einer Entfremdung des tschechischen Volkes von der Habsburgermonarchie kommen werde, wenn der Krieg als »deutscher« wahrgenommen werde, also als Krieg unter der Führung Deutschlands und im Interesse der Deutschen. Ein General statt Thun ?
Der Armeeoberkommandant und Oberbefehlshaber der k. u. k. Streitkräfte, Erzherzog Friedrich, wandte sich (zweifellos angestachelt von Franz Conrad von Hötzendorf und weiteren Offizieren im Teschener Armeeoberkommando) am 19. Oktober mit einer dringlichen Note an Kriegsminister Feldzeugmeister Alexander von Krobatin.543 Der Oberbefehlshaber behauptete, dass sich tschechische Soldaten bei Jaroslav dem russischen Feind ergeben hätten, ohne zuvor ernsthaft Widerstand geleistet zu haben. Er schrieb dies der Tatsache zu, dass sie bereits mit »vergifteter Gesinnung« aus der Heimat abgegangen seien. Er forderte daher, sämtliche Verfügungsgewalt in Böhmen und Mähren in die Hände eines Generals zu legen – somit also eine Militärdiktatur zu errichten, wie sie bereits in den frontnahen Gebieten existierte. Am 26. November 1914 wandte sich Erzherzog Friedrich erneut an die kaiserliche Militärkanzlei (das heißt direkt an den Kaiser) und verlangte die Beseitigung der zi-
Thun verteidigt die tschechische Loyalität
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vilen Verwaltung in Böhmen. Jede politische Befugnis sollte auf einen militärischen Befehlshaber der Armee übergehen. Die Errichtung einer Militärregierung in Böhmen hätte freilich bedeutet, dass Thun seines Amtes als Statthalter verlustig gegangen wäre. Erzherzog Friedrich beeilte sich damit, dem Kaiser am 4. Dezember 1914 eine neue Forderung nahezubringen : »Fürst Thun solle von seinem Statthalteramt entfernt werden und an seine Stelle ein General gesetzt werden.«544 Thun verteidigt die tschechische Loyalität
In jener Situation, als das Armeeoberkommando die deutschnationale Haltung zu vertreten begann, welche die Tschechen als panslawistische und staatsfeindliche Elemente ansah, arbeitete Thun ein Elaborat aus, in welchem er die tschechische Nation als im Grunde loyal gegenüber Österreich darstellte. Vernünftige politische Führer und überhaupt der Großteil der Tschechen, behauptete Thun, seien bedingungslos davon überzeugt, dass eine gedeihliche Entwicklung der tschechischen Nation einzig in Österreich möglich sei und dass jedes Kokettieren mit Russland keinen Wert habe und schädlich sei. Die tschechische Gesinnung sei österreichisch geprägt, und wie der glatte Verlauf der Mobilmachung zeige, würden die Tschechen ihre Pflicht erfüllen. Das Elaborat gesteht zu, dass sich die ursprünglich »ausgezeichnete Stimmung« der loyalen Mehrheit der tschechischen Bevölkerung nach der Rückkehr von zahlreichen verletzten und erkrankten Soldaten sowie nach deren Erzählungen über die Entbehrungen des Krieges merklich verschlechtert habe. »Hie und da« würden russophile Reden gehalten und tauchten staatsfeindliche Flugblätter auf. Thun wandte sich in weiterer Folge gegen die Flut an tschechenfeindlichen Berichten und Anzeigen, welche dem Armeeoberkommando als Grundlage für dessen Schlüsse diente. Den Großteil der Beschwerden über das Verhalten der tschechischen Bevölkerung führte Thun auf Anzeigen und Denuntiationen zurück. Thun schrieb in seinem Brief an Innenminister Heinold mit Verachtung über das Denunziantentum aus den Reihen der deutschen Parteien, die vom Nationalitätenhass geprägt seien und deren Zuschriften bespielsweise mit »ein guter Österreicher«, »ein österreichischer Soldat« oder »ein österreichischer Patriot« unterzeichnet seien. Für ihn waren sie Ausdruck des deutschen nationalen Hasses, der Unruhe schüre, vor allem dann, wenn die deutsche Presse im gleichen Geist berichte. Thun erhielt auch anonyme tschechische Briefe. Sie wiesen einen verteidigenden Charakter auf und verwehrten sich gegen die Anschuldigungen, die gegenüber den Tschechen erhobenen wurden. Vor allem Soldaten wurde angelastet, unzuverlässig zu sein und sich sogar des Hochverrats schuldig gemacht zu haben. Auch wurde darüber Klage geführt, dass die österreichischen Deutschen nur über Deutschland sprechen und dabei die Tatsache außer Acht ließen, dass in Österreich auch Slawen lebten. In
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Der kaiserliche Statthalter im Großen Krieg
ihren Schreiben wandten sich die Menschen an Thun als Schirmherr der tschechischen Nation. Große Audienz des böhmischen Statthalters bei Franz Joseph I.
Im Konflikt, der in Österreich zwischen der zivilen und der militärischen Macht ausgetragen wurde, nahm der böhmische Statthalter Fürst Franz Thun eine Schlüsselposi tion ein. Das oberste Armeekommando überschwemmte den greisen Monarchen mit Beschwerden über das Verhalten der tschechischen Soldaten und deren Schutzherrn, den böhmischen Statthalter. Am 23. November 1914 erstattete Ministerpräsident Stürgkh dem böhmischen Statthalter Nachricht über seine Audienz beim Kaiser, die am Vortag stattgefunden hatte. Er teilte mit, dass der Monarch seine Unzufriedenheit über das Verhalten der tschechischen Einheiten auf dem Schlachtfeld geäußert habe, was er als eine Folge der ungesunden politischen Verhältnisse in Böhmen erachtete. Stürgkhs Nachricht von der Audienz mündete in die politische Schlussfolgerung : »Die Besorgnis mit welcher der Monarch die Entwicklung der Dinge in Böhmen begleitet, hat nun in der Audienz zu der Erwägung geführt, dass eine informative Aussprache unter Darstellung der Verhältnisse mit Dir als der hiezu berufensten Persönlichkeit von Seiner Majestät als entsprechend und wünschenswert erkannt wurde.«545 Der böhmische Statthalter Fürst Franz Thun wurde also zum Kaiser gerufen, um sich gegenüber den vom Armeeoberkommando vorgebrachten Anschuldigungen zu verteidigen. Als er am 27. November 1914 nach Schönbrunn kutschiert wurde, konnte er sich nicht sicher sein, ob seine Tage als Statthalter nicht bereits gezählt waren, was der Fall gewesen wäre, wenn der Kaiser den von Erzherzog Friedrich zumindest unterzeichneten Analysen Glauben geschenkt hätte. Die Audienz währte außergewöhnlich lange, nämlich eineinviertel Stunden (für gewöhnlich dauerte eine Unterredung mit Franz Joseph etwa eine Viertel Stunde).546 Wie Franz Thun seinem Bruder berichtete, ließ sich der Kaiser von ihm in allen Details über die Verhältnisse in Böhmen informieren.547 Natürlich wurde auch über die in Friedrichs Memoranden aufgestellte Behauptung gesprochen, denen zufolge eine Formation der tschechischen Landwehr vor dem Feind versagt habe. Als Thun Beweise und eine Erklärung forderte, verwies ihn der Monarch an den Minister für Landesverteidigung, Friedrich von Georgi. Wie sich später herausstellen sollte, hatte Thun zu keinem Zeitpunkt eine Dokumentation über das Versagen tschechischer Einheiten erhalten. Mit Bedauern ließ ihn Ministerpräsident Stürgkh wissen, dass die Heeresleitung prinzipiell nicht bereit sei, einem Zivilisten (auch wenn es sich um den Ministerpräsidenten oder den kaiserlichen Statthalter handelte) auch nur irgendeine Information über militärische Angelegenheiten zu übergeben, es sei denn, der Kaiser würde eine entsprechende Weisung erteilen.
Franz Thun : »Das Militär ist aber zum Verzweifeln«
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Franz Thun : »Das Militär ist aber zum Verzweifeln«
Als Franz Thun seinem Bruder zwei Wochen später von der langen Audienz beim Kaiser berichtete, erwähnte er auch, welche Rolle die Frage der angeblich unzuverlässigen tschechischen Formationen gespielt hatte. Die Beschuldigungen, welche die militärischen Oberbefehlshaber und die deutschnationalen Politiker gegen die tschechischen Soldaten vorbrachten, lehnte Franz Thun als pauschalisierend und übertrieben ab. Seinem Bruder berichtete er : »Das Militär ist aber zum Verzweifeln. Unausgesetzt machen sie eine Dummheit nach der anderen, und wenn sie herauskommt, wälzen sie [die] Schuld auf die Bevölkerung [ab], lügen sie wahrhaft klassisch und berichten in den schwärzesten Farben. Dies gilt vor allem für [das] Prager Militär-Kommando.«548 Über die Nachrichten von der Audienz seines Bruders notierte sich Jaroslav : »Natürlich wird jetzt auch die Geschichte unverläßlicher böhm. Regimenter aufgewärmt. Es ist ja richtig, daß zwei böhm. Landsturm. Rgmt. sich nicht bewährt hatten. […] Ich bin überzeugt, wenn der Krieg gegen Deutschland gewesen wäre, hätten vielmehr unsere deutschen Truppen versagt !«549 Wenn Jaroslav Thun die Frage aufwirft, dass die Deutschen – wenn sie Krieg gegen Deutschland geführt hätten – noch in einem weitaus höheren Maß als die Tschechen »versagt« hätten, dann spricht er als traditioneller Österreicher, Aristokrat und Katholik, für den Deutschland (wahrgenommen als das vergrößerte Preußen) als historischer Feind schlechthin galt. Voll und ganz hatte er begriffen, dass die Tschechen für einen »deutschen Krieg« keine Begeisterung aufbringen konnten. Auch er – als Aristokrat und Österreicher – hatte die Befürchtung, dass der Krieg eine Abhängigkeit Österreichs von Deutschland bringen und diese auch über den Krieg hinaus Bestand haben werde. Aus den Tagebucheintragungen Jaroslav Thuns geht klar hervor, dass bei ihm von Kriegsbegeisterung keine Rede sein konnte. Als seinem Kaiser ergebener Adeliger wünschte er sich zwar den Erfolg der österreichischen Waffen, ist aber voller Sorgen und Zweifel über den Sinn des Krieges und dessen Folgen. Es schauderte ihm vor dem Flächenbrand des Krieges, der die Welt erfasst hatte, und Hunderttausende von Leben vernichtete. An seinen Bruder, den böhmischen Statthalter, schrieb er : »Gott gebe, daß sich alles für unser armes liebes Österreich zum besten wendet – aber bange ist einem doch. Deutschland geht wie ein Rächer drauf los – ob es recht getan hat um Belgiens Neutralität auch England in die Schranken zu fordern und so einen mächtiger Gegner gegen sich zu haben ?«550 Nicht eine Spur von Hoffnung, sondern Entsetzen über die sich ereignenden Dinge weist ein Brief von Jaroslav Thun an seinen Bruder vom 29. September 1914 auf : »Welch eine Zeit voll Kummers aller Art – wo man hinsieht und doch muß man Kopf und Herz hochhalten[,] so weh einem oft heute ist ! Ich kann es nicht leugnen, daß seit dem unglücklichen 28. Juni Geist und Herz bei mir – wenigstens bei mir – nicht ins Gleichgewicht kommen wollen.«551
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Der kaiserliche Statthalter im Großen Krieg
Franz Thun : »Unsinniger Großer Krieg«
Auch sein Bruder verfiel nicht in Kriegsbegeisterung. Als böhmischer Statthalter war er zwar für die Ausgabe von Proklamationen verantwortlich, in denen zum Kampf für Kaiser und Vaterland aufgerufen wurde, die Unterbindung der »patriotischen Umzüge« jedoch ging, wie bereits ersichtlich, auf seine Inititative zurück. Über Thuns Befürchtungen hinsichtlich eines »deutschen« Krieges und einer drohenden Militärdiktatur in Böhmen legte Bohumíl Šmeral auf dem ersten Parteitag der Tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei nach dem Kriegsende im Dezember 1918 ein beredtes Zeugnis ab : »Etwa im Oktober 1914 hatte ich ein Gespräch mit dem damaligen Statthalter Thun. Seit unserer Beteiligung an den deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen stand ich mit ihm persönlich in einem guten Einvernehmen. Ich habe Thun davon überzeugen wollen, warum die Distanz zum Krieg in Böhmen eine im Grunde selbstverständliche Sache war. Das hat bei ihm zu einem plötzlichen Stimmungsumschwung geführt – mit sichtlichen Zeichen der Erregung. Er gab offen zu, dass er sich dieser Dinge selbst voll bewusst sei. Er sagte Sätze wie : ›Unsinniger Großer Krieg‹, ›Was sollen wir denn in Russland erobern ?‹, ›Welche großen Landstriche müssten wir dort besetzen, um eine Kriegsentschädigung zu exekutieren ?‹. Dann deutete er an, welche direkte Kriegsgefahr Böhmen drohe und schloss mit den Worten : ›Ich bitte Sie, helfen Sie mit, dass ich zumindest zwischen Wien und Böhmen eine Spanische Wand stellen kann.‹ Aus dem Ton seiner Worte habe ich damals den Eindruck gewonnen, dass sich selbst Thun davor fürchtete, zu welchen Schritten gewisse militärische Kreise gegenüber Böhmen fähig wären. Es hat sich meine Überzeugung bestärkt, dass eine Nation durch eine Taktik, wie sie die Errichtung einer Spanischen Wand vorsieht, keinen Schaden davonträgt und sie das Ziel hat, einen irrsinnigen Feind für die Zeit seiner Übermacht in Sicherheit zu wiegen und zu täuschen.«552 Fürst Thun begriff den militärischen Konflikt als weihevolle Handlung zur Wahrung nationaler Ziele. Vor dieser Prämisse stellte er die Überlegung an, welche Ziele die Habsburgermonarchie in diesem Krieg erreichen könne. Unter Vernachlässigung der emotionale Komponente erschien ihm der Krieg als »großer Unsinn«, wobei er wie ein Staatsmann des 18. Jahrhunderts dachte, welcher bei der Kriegsführung das rationale Kalkül in den Vordergrund stellte. Von diesem Standpunkt aus betrachtet offenbarte sich ein im Juli und August 1914 entfesselter Konflikt gigantischen Ausmaßes als blanker Unsinn : Er ging mit der Frage einher, was Österreich von Thun in außenpolitischer Hinsicht erwarten könne.
Der Angriff des Armeeoberkommandos wird abgewiesen
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Der Angriff des Armeeoberkommandos wird abgewiesen
Ministerpräsident Stürgkh sandte dem Armeeoberkommando ein Exposé, das die Einsetzung einer Militärregierung ablehnte. Stürgkh stellte unter Verwendung von Thuns Materialien die Situation in Böhmen als im Großen und Ganzen ruhig dar.553 Negative russophile Tendenzen würden nur in eng umgrenzten Schichten der Intelligenz geäußert werden, wobei es sich nur um einzelne Fälle handle. Diese könnten allerdings keinen Schaden anrichten, da die zivilen Ämter alles zur Einhaltung von Ruhe und Sicherheit des Staates unternehmen : Die bürgerliche Freiheit sei auf eine Art und Weise eingeschränkt, wie dies seit in Kraft treten der Verfassung nicht der Fall gewesen sei, das Versammlungsrecht sei aufgehoben, eine weitreichende Zensur des Nachrichtenwesens eingeführt und auch die Medienberichterstattung der Zensur unterworfen worden, es würden Hausdurchsuchungen bei verdächtigen Personen durchgeführt und so fort. Der Ministerpräsident lehnte die Forderung ab, wonach die Macht der politischen Ämter in Böhmen, in ganz Mähren und in Schlesien auf das Oberkommando übertragen werden sollte. Der erste Versuch des Armeeoberkommandos, Franz Thun zu stürzen und ihn in seiner Funktion als Statthalter durch einen General – zur Einführung einer Militärregierung in Böhmen – zu ersetzen, endete mit einem Misserfolg. Auch wenn Ministerpräsident Stürgkh die Forderung des Oberkommandos unter Zustimmung des Kaisers zurückwies, setzte das Militär seine Maßnahmen ohne Unterbrechung fort. Bereits am 9. November 1914 übermittelte das Armeeoberkommando eine neue Note an den Ministerpräsidenten, die eine Fülle an Beschwerden über das hochverräterische Verhalten von Tschechen enthielt.554 In der Note wird jedoch nicht das Verhalten der tschechischen Soldaten auf dem Schlachtfeld thematisiert, denn das Papier gibt eine eigenartige Mischung aus Behauptungen, Beobachtungen, Eindrücken und Tratschereien wieder, die von jeder beliebigen deutschnationalen Tischgesellschaft hätten stammen können : Schlägt sich unsere Armee gut, ziehen die Tschechen Gesichter (sic !), wenn es schlecht läuft, so zeigen sie unverhohlene Freude. In tschechischen Theatern gelangte eine Proklamation des Zaren zur Verteilung, bei der Regierungsfeier anlässlich der Besetzung Belgrads wurde die Beflaggung von Häusern und das Läuten der Glocken angeordnet, die Tschechen leisteten diesem Befehl jedoch nur zögerlich Folge. Im Prager Repräsentationshaus wurde der feierliche Empfang des Zaren vorbereitet, im Arbeitszimmer von Professor Jedlička – der während der Balkankriege an der Spitze einer Gruppe von tschechischen Sanitätern in Serbien gestanden war – befinde sich ein Bild des serbischen Königs Peter, welches der Professor erst auf Weisung des Statthalters abzunehmen bereit war, wobei er nicht strafrechtlich verfolgt wurde. Überdies beschäftigte er in seinem Krankenhaus zwei serbische Pfleger. Die tschechische Ehefrau eines Univer-
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Der kaiserliche Statthalter im Großen Krieg
sitätsprofessors sollte wiederum erklärt haben, dass sie zur Begrüßung von Russen nicht mit einem Kopftuch winken, sondern eine Fahne schwenken werde, irgendein tschechischer Soldat hatte angeblich aus Serbien geschrieben, dass er an dreizehn Gefechten teilgenommen, dabei aber keinen einzigen Schuss abgegeben habe, beim Abmarsch tschechischer Landwehrmänner spielten sich auf den Bahnhöfen skandalöse Szenen ab usw. Zu dem sonderbaren Durcheinander an Beschuldigungen in der Note des Armeeoberkommandos musste der böhmische Statthalter Stellung beziehen. Dieser Verpflichtung kam er, Punkt für Punkt, in einem Brief an den Ministerpräsidenten vom 19. Dezember 1914 nach.555 Die Verteilung von Proklamationen des Zaren in tschechischen Theatern schrumpfte in Thuns Darstellung auf hochverräterische Flugblätter auf den Stufen der I. und II. Galerie des Nationaltheaters zusammen, die ein Widerling dort hingeworfen hatte, der, wie sich nach dessen Festnahme zeigen sollte, ein – um mit den Worten Thuns zu sprechen – »ausgesprochener Narr« gewesen sei, also unmündig, sodass die weiteren Nachforschungen zu keinen Ergebnissen geführt hatten. Der Bericht über die Ehefrau eines Universitätsprofessors hatte nach Thuns Untersuchung seinen Ursprung im Tratsch über die Frau des Professors an der Tschechischen Technischen Hochschule, Hofrat Stoklasa, und hatte keinen realen Hintergrund. Die Prager Polizei konnte überdies nicht feststellen, dass sich irgendeine andere Frau eines Professors an der Technischen Hochschule oder einer anderen Universität auf ähnliche Weise ausgedrückt hatte. Thun beschrieb, wie er nach dem Erhalt der Nachricht vom Fall Belgrads augenblicklich mit dem Prager Bürgermeister telefoniert habe, der daraufhin anordnete, dass die Flaggen, die zum Jahrestag der Thronbesteigung von Franz Joseph (am 2. Dezember 1848) gehisst worden waren, auf den Häusern verbleiben sollten. Was das Läuten der Glocken betreffe, fährt Thun weiter fort, sei er mit dem Ersuchen an den Kardinal herangetreten, entsprechende Anweisungen zu geben, und tatsächlich – um drei Uhr nachmittags habe das Läuten alle Prager Kirchenglocken eingesetzt. Hinsichtlich der »Exzesse« beim Abmarsch der Landwehr an die Front analysierte er die einzelnen Fälle, schrieb sie einerseits dem übermäßigen Alkoholgenuss zu, andererseits dem fehlerhaften Verhalten der Offiziere und behauptete, dass die zivile Bevölkerung daran keinen Anteil genommen habe. Kaum hatte Thun auf die Note des Armeeoberkommandos reagiert, folgte bereits eine weitere. Eine Beschwerde folgte auf die andere, die Maßnahmen seitens der militärischen Kreise wurden fortgesetzt. Ihnen lag gerade Fürst Thun am meisten im Magen, den sie als Hindernis auf dem Weg zur Einsetzung einer »Regierung der harten Hand« ansahen. Mit der Agitation gegen Thun ging das erste Kriegsjahr zu Ende und das Jahr 1915 brach an.
Angriff der reichsdeutschen Diplomatie auf den böhmischen Statthalter
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Angriff der reichsdeutschen Diplomatie auf den böhmischen Statthalter
Die deutschnationalen Angriffe, vor allem seitens der böhmischen Deutschen, boten nicht nur die Grundlage für das Memorandum der militärischen Befehlshaber in Prag und Teschen, sondern sie fanden auch einen entsprechend breiten Niederschlag in der Berichterstattung der Diplomaten des mächtigen Verbündeten – des kaiserlichen deutschen Botschafters Tschirschky in Wien und des kaiserlich deutschen Konsuls Gebsattel in Prag. Auf diesem Weg gelangten die Berichte über das hochverräterische Verhalten der Tschechen und über den verpönten Schutz, der ihnen seitens des – so dargestellten – »antideutsch gesinnten« böhmischen Statthalters zuteil wurde, auf den Schreibtisch des deutschen Kanzlers Bethmann Hollweg und wurden so auch selbst Kaiser Wilhelm zur Kenntnis gebracht. Die deutschen Diplomaten zögerten nicht damit, gegen Thun auch bei österreichischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu intervenieren, womit sie sich unverholen in die inneren Angelegenheiten der Monarchie einmischten. Botschafter Tschirschky warnte den österreichisch-ungarischen Außenminister Berchtold am 1. Dezember 1914 vor der Gefahr, welche die Tschechen und der böhmische Statthalter für Österreich darstellten. Er berief sich dabei auf irgendeine absurde Nachricht des bulgarischen Botschafters in Bukarest, der zufolge die Russen nicht über Schlesien und die Provinz Posen, sondern über Mähren und Böhmen nach Deutschland ziehen wollten, um so die dortige tschechische Bevölkerung zur Revolution aufzuwiegeln. Tschirschky beklagte sich darüber, dass Thun diese Gefahr auf die leichte Schulter nehme, nichts zu tun beabsichtige und dass der Ministerpräsident, anstatt ihm entsprechende Weisungen zu erteilen, auf ihn höre. Die Deutschen in Österreich wären in Folge dessen deprimiert und über ihr Land verzweifelt. Ein Ausweg sah für den Diplomaten des Bündnispartners folgendermaßen aus : »Nach Prag gehöre meiner Privatansicht nach ein Statthalter, der das Wohl des Gesamtstaates im Auge habe, am besten ein General.«556 Am 20. Dezember 1914 sandte der Prager Konsul Gebsattel ein umfangreiches Exposé an den deutschen Reichskanzler, das als ein zusammenfassendes Beweisstück über das schuldhafte Verhalten der Tschechen im Krieg gedacht war : Die tschechische Presse verschweige die deutschen Erfolge, während sie über die deutschen Niederlagen berichte, die Tschechen glaubten an einen Sieg Russlands, in den Auslagen tschechischer Buchhandlungen seien auffällig viele russische Lehrbücher und russisch-tschechische Wörterbücher zu sehen. Im Hauptgebäude der Post in der Heinrichsgasse, unweit des Wenzelsplatzes, wurden Flugblätter umhergeworfen, in denen vom baldigen Eintreffen russischer Truppen die Rede war. Ein Baurat Matějovský, der die russophilen Flugblätter vervielfältigt hatte, wurde festgenommen. Beim Abmarsch der »Prager Kinder« – gemeint ist das k. u. k. Infanterieregiment Nr. 28 – kam es zu
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skandalösen Tumulten. Die tschechischen Soldaten mussten unter Anwendung von Gewalt in den Kampf getrieben werden, oftmals würden sie sich mit den Serben verbrüdern oder sich gerne gefangennehmen lassen. Beim in Haft genommenen Abgeordenten Václav Klofáč wurde dessen Korrespondenz mit einem serbischen Minister sichergestellt usw. Der deutsche Konsul schloss mit dem vernichtenden Urteil : »Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass das tschechische Volk illoyal und sogar hochverräterisch denkt und fühlt. Dass aber diese Gesinnung ungestraft zutage treten darf, daran trägt kein anderer die Schuld als Statthalter Fürst Thun, wie längst bekannt, ein erklärter Freund der Tschechen, die ihn ihrerseits vergöttern.«557 Die böhmischen Deutschen gehen gegen Fürst Thun vor
Die Kampagne gegen Thun als Schirmherr der hochverräterrischen Tschechen und Feind der böhmischen Deutschen erhielt am 3. Februar 1915 eine neue Note. An diesem Tag hielt Dr. Wilhelm von Medinger vor einem ausgewählten Publikum – das sich aus hohen Staatsbeamten, Industriellen und Professoren zusammensetzte – einen Vortrag im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Die gedruckte Textfassung wurde anschließend an das Armeeoberkommando in Teschen, also an den Befehlshaber der gesamten k. u. k. Streitkräfte, Erzherzog Friedrich, und an den Chef des Generalstabes, Franz Conrad von Hötzendorf, übermittelt, aber ebenso an den Thronfolger Erzherzog Karl, Außenminister Leopold Berchtold, zahlreiche Erzherzöge und – wie Medinger schrieb – »einer grossen Reihe von politisch und geistig führenden Herren« übereignet.558 Unter den vorherrschenden Kriegsbedingungen, auch das österreichische Parlament war ja geschlossen, handelte es sich um eine recht ansehnliche politische Maßnahme. Der Text gelangte in die Hände der bedeutendsten Machtträger Österreichs. Medingers Vortrag stellte einen Angriff auf die damalige politische Führung Österreichs als solche dar, also auf Ministerpräsident Stürgkh, aber vor allem auf die vorherrschenden Verhältnisse in Böhmen und dessen Statthalter Fürst Thun. Auf gewisse Weise richtete sich diese Kritik auch gegen den hochbetagten Monarchen, denn Stürgkh war sein Ministerpräsident und Thun sein Statthalter. Medinger gestand der tschechischen Landbevölkerung zu, »kaisertreu und staatlich loyal« zu sein. Das Böse gehe vielmehr von der politisch aktiven Intelligenz aus – den Lehrern, Advokaten, Apothekern, Notaren, Journalisten und Abgeordneten. In tschechischen Schulen werde nur tschechische Geschichte gelehrt (Hus, Žižka, Palacký, Rieger usw.), gerade dass igendwo »ein kleines blasses Bild des Kaisers« hängt, aber sonst kein anderer Habsburger, keine Ansicht von Wien, kein Bild des Prinzen Eugen von Savoyen oder von Feldmarschall Radetzky. In Russland hätten die Tschechen Legionen gebildet, die den Russen auf hochverräterische Weise als Spione dienten. Das sei eine Folge des Slawentums. Ohne die zahlreichen slawischen Kongresse, Anspra-
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chen und Manifeste wäre es nicht zum Krieg gekommen. Bei den panslawistischen Agitatoren sei die Schuld für den Ausbruch des Krieges zu suchen und, so meint Medinger, auch beim böhmischen Statthalter. »Nur wenige dieser Verräter an Österreich sind eingesperrt, keiner ist abgeurteilt. Eine blutige Mitschuld am Kriege haben die Regierungsorgane, hat vor allem der Statthalter. Fürst Thun hat bekanntlich dem Sokolkongress [im Jahr 1912] feierlich beigewohnt, bei dem die gefährlichen serbischen Agitatoren, […] die berühmten Russophilen und die Vorkämpfer des russischen Imperiums als Ehrengäste [anwesend waren]. […] Er hat sich sogar, gegen den Protest der Deutschböhmen, der sich doch nun als berechtigt erwiesen hat, einem Minister aus Wien verschrieben, und dadurch die Tendenzen des Kongresses sanktioniert.«559 Den zweiten Teil des Vortrages widmete Medinger der »Stimmung in Deutschböh men«.560 Nach Medingers Meinung habe die Kriegsbegeisterung in Deutschböhmen bereits merklich nachgelassen, stattdessen hätte sich Ernüchterung breitgemacht. Die böhmischen Deutschen seien zutiefst deprimiert und hätten die Hoffnung vom August 1914 verloren. Die katastrophalen Vorkriegsgbedingungen hätten sich nicht verbessert, die Deutschböhmen hätten kein Vertrauen in die Regierung. Eine große Zeit hätte keine großen Männer hervorgebracht, die sich an die Spitze des Staates gestellt hätten. Es wären das nur ausführende Akteure, aber keine großen Staatsmänner, eine starke Hand sei nicht spürbar, man habe das Gefühl, sich auf einem Schiff im Sturm, aber ohne Steuermann, zu befinden. Bei Ausbruch des Krieges hätte man erwartet, dass »jüngere, eiserne Männer« (so wie in Deutschland) an die Front ziehen würden, doch nichts dergleichen sei geschehen. Der Zustand der Unordnung aus der Zeit vor dem Krieg findet seine Fortsetzung. Die österreichischen Deutschen bewilligten vor dem Krieg nicht nur die Geldmittel für die Bewaffnung, aufgrund ihrer höheren Steuerleistung kamen sie letztlich auch für die Bezahlung auf. Während des Krieges mussten die deutschen Beamten die unzuverlässigen slawischen Elemente im Eisenbahnbereich, im Gerichtswesen, in der Rechtspflege und anderswo ersetzen. Freiwillig hätten sie die größten Opfer gebracht und zeichneten bei Weitem die meisten Kriegsanleihen. Im Gegensatz dazu hätten die »slawischen Österreicher« nach langen Jahren der geplanten Obstruktion die Kriegsrüstung vereitelt, sie hätten erbärmlich wenige Kriegsanleihen gezeichnet, mit ihrem Auftreten dem Ansehen des Staates im Ausland geschadet und so die Feinde ermutigt – insoferne hätten sie sich am Ausbruch des Krieges mitschuldig gemacht. Als der Krieg entfesselt worden war, atmeten die Deutschen vor Erleichterung auf und dachten, dass die Wahrheit ans Licht kommen werde und dass endlich Schluss sei mit einem System, das die Deutschen verdächtig beäuge und vor den den Staat bedrohenden Aktivitäten der Slawen die Augen verschließe. Das sei nicht geschehen. Die Deutschen hätten die Hoffnung verloren, dass sich das Regierungssystem in Österreich ändere. Als Hauptrepräsentant dieses »Systems« galt dem Redner Thun, weshalb
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Medingers Vortrag in massiven Angriffen auf den böhmischen Statthalter gipfelte : »Als Wahrzeichen des Regierungssystems gilt der Fürst Thun. […] Streng kaisertreu und katholisch, hat er sonst die Weltanschauungen eines Offiziers in den 60er Jahren. Er ist zu alt und zu sehr festgerannt, um von den Ereignissen des Krieges zuzulernen. Gegen die Deutschböhmen, durch manche Vorkommnisse längst vergangener Zeit verbittert, erkennt er nicht den Wert der Deutschösterreicher für den Staat, die Schuld der Anderen am Kriege und zieht nicht die Konsequenz aus dieser Erkenntnis, scheut sich nicht, die Deutschböhmen immer von neuem herauszufordern und ihren Landschaftsfrieden zu stören. Ohne eigenes Empfinden für das Deutschtum, blickt er auf das Deutsche Reich mit der verhängnisvollen typisch altösterreichischen Scheelsucht. Er ist sich nicht im entferntesten seiner eigenen Schuld, durch die Duldung der jahrelangen Separatpolitik, innerer und äusserer Hetzereien der Tschechen bewußt. […] Die Deutschböhmen haben die feste Überzeugung, daß Österreich durch das System Stürgkh-Thun um den innenpolitischen Erfolg eines Sieges betrogen werden würde.«561 Der Brief des Grafen Clam-Martinic
Im Jänner 1915 erhielt Franz Thun ein Schreiben von Graf Heinrich Clam-Martinic, der als Verbindungsoffizier diente. Clam-Martinic legte darin dem böhmischen Statthalter und langjährigen Freund dar, was er in der Armee alles über das illoyale Verhalten der Tschechen gehört hatte. Man kann sich dabei gut in die Gemütsverfassung Thuns hineindenken : Zu einer Zeit, als seitens des Militärs viele Beanstandungen gemacht und nicht wenige Angriffe vorgebracht wurden, wiederholt sein persönlicher Freund, Standesgenosse und politischer Gefährte alle Anschuldigungen, vor denen die Eingaben militärischer Kreise nur so strotzten, gerade eben jene, die ihn, Thun, schon beinahe als Erzfeind auserkoren hatten. Thun antwortete mit einem Brief, dem es nicht an Schärfe fehlte, und in dem er sich mit der Agitation seitens der Militärs gegen die Tschechen und gegen seine Person auseinandersetzte. »Lieber Freund ! Heute erhielt ich Deinen Brief vom 6. Jänner, für den ich bestens danke. Er brachte mir ein hocherfreuliches Lebenszeichen von Dir. […] Ich weiss, daß in Wien und beim Armeeoberkommando alles mögliche über Böhmen gesprochen wird, teils ist es böswilliges Getratsch, teils stützt es sich auf die vom Prager Militärkommando vorgelegten politischen Stimmungsberichte, die ihre Unterlage in Meldungen von Stationskommandanten haben. In Wien ist das Getratsch unleidlich, es scheint die Vernaderei der Böhmen zur Lebensaufgabe gemacht zu werden. Der Kampf geht gegen Stürgkh und mich, man will meine patriotische Gesinnung in Zweifel ziehen ! Hier haben sich untergeordnete deutsche Elemente in engste Verbindung mit Offizieren zu setzen gewusst, welche dann in den Berichten ausserordentlich
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einseitige Darstellungen machen, mir sind natürlich die Namen voll bekannt. Wenn solche Berichte, die die militärische Signatur tragen, hinaufgehen, so ist es nicht Wunder zu nehmen, wenn sie geglaubt werden. Ich bekomme sie manchmal zur Äusserung und zur Erhebung, das Meiste ist dann nicht wahr oder auf fast nichts zurückzuführen. […] Jeder einzelne Fall, der mir amtlich zur Kenntnis gebracht wird, wird auf das Schärfste verfolgt, wenn sich Schuldige finden, werden diese dem Militärgerichte angezeigt (dort zumeist freigesprochen, weil es sich herausstellt, dass nichts daran ist) oder politisch gestraft. Vereinzelt, zumeist von Elementen aus den niedrigsten Volksschichten gewöhnlich im trunkenen Zustande, kommen hochverräterische Ausdrücke gegen den Krieg oder ›Hoch Russland‹, ›Hoch Serbien‹ vor. Diese führen gleich zur Bestrafung. Die Behauptung, die Dir zu Ohren gekommen ist, dass in Pardubitz der Verlust Belgrads mit Fahnen oder Illumination gefeiert worden sein soll, ist glatt erlogen. In Rokycan und Umgebung (Radnitz) wird von russophiler Gesinnung gesprochen. Ich habe die Gemeindevertretung von Radnitz infolgedessen aufgelöst, das Militärgericht hat alle Gemeinderatsmitglieder verhaftet. Ich glaube, die Untersuchung wird nichts anderes aufdecken, als dass die Gemeindevertretung am 18. August nicht im Kaiseramte war. Deshalb zum Teile habe ich sie aufgelöst. Die Untersuchung dürfte im Sande verlaufen, zahlreiche Hausdurchsuchungen haben nichts zu Tage gefördert. Infolge einer jüdischen Angeberei wurde behauptet, dass Sokolmitglieder in Jitschin mit einer auch in russischer Sprache ausgefertigten Legitimation einrücken. Trotz eingehendster Untersuchung beim Militär bei den Eingerückten ist gar nichts gefunden worden. Es dürfte wieder nur eine Lüge sein. Vereinzelt wurden Flugzettel gefunden, die Verbreiter wurden jedoch nicht gefunden, böhmisch geschriebene, respektive gedruckte russische Proklamationen wurden in Prag gefunden. Drei Buben, die solche bei sich trugen, und sie offenbar verbreiteten, wurden verhaftet. In Prag, Pisek, Jičin waren hässliche Truppenabmärsche, immer war die Truppe total besoffen, von der Bevölkerung dabei keine Demonstration. […] Selbst erhalte [ich] teils direkt, teils von allen möglichen Zentralstellen Anzeigen über einzelne Vorfälle, sie sind meist anonym und tragen den Charakter zielbewusster Vernaderei der Böhmen. Einige Fälle beziehen sich auf die begeisterte Begrüssung durchfahrender russischer Gefangener. Die eingehendsten Erhebungen durch unsere vollkommen verlässliche Gendarmerie ergaben, dass nichts oder fast nichts an der Behauptung wahr ist. In Wien erzählte man, die böhmischen Offiziere erfüllen ihre Pflicht nicht, das wäre traurig ! Ich kann aber darüber nichts Offizielles erfahren, ich hoffe, es ist nicht alles wahr, was man sagt. Die kollossalen Verlustziffern böhmischer Regimenter und die vielen Auszeichnungen lassen es aber auch hier verwerflich erscheinen, wenn man generalisiert. Ich sprach einen Divisionär vom südlichen Kriegsschauplatz, der den böhmischen Regimentern das glänzendste Zeugnis gibt. Dort sind Sünden begangen worden, es war Gehässigkeit im Spiel. Dass ich hier im Lande den Böhmen viel
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auszustellen habe, kann ich nicht leugnen. Statt dass sich die böhmischen Führer mit Aufrufen oder Manifesten an das Volk gewendet hätten, um dasselbe zu allerschärfester Betätigung patriotischer Gesinnung aufzufordern, schweigen dieselben von allem Anfang an. Daher die geringe Begeisterung, die geringe Darlehenszeichnung. Nur Bürgermeister Groš tut sein Möglichstes. Das Volk selbst ist gut, nicht bloss das Landvolk, sondern auch der kleine Bürger, das zweifelhafte Element ist die s. g. Intel ligenz, diese ist aber äusserst vorsichtig, kann nicht gefasst werden. Auch hier wäre das Generalisieren ein Fehler. Kramář ist ganz in seiner Fabrik verborgen, die Kreise der Národní listy sind schlecht. So, damit habe ich Dir ein kleines Bild entworfen. Die Deutschen betätigen sich grossartig patriotisch auf allen Gebieten. Die Politiker derselben hetzen unverantwortlich gegen die Böhmen. Wiener Kreise hetzen und Militärs schüren auch, und das bedauere ich tief. Ein Volk bös machen, kann vielleicht erreicht werden, es aber gewinnen, es erziehlich zu gutem Handeln anleiten, ist eine viel verdienstlichere, aber unendlich schwerere Aufgabe.«562 Erneuter Zusammenstoß Thuns mit dem Armeeoberkommandanten
In der zweiten Hälfte des Jänners 1915 loderte der im Inneren des kriegführenden Österreichs tobende Kampf zwischen der militärischen und der zivilen Macht von Neuem auf. Am 18. Jänner wandte sich das Armeeoberkommando in einer Note an den Ministerpräsidenten, in der sie ihn auf das »hochverräterische und antimilitaristische Treiben in Böhmen« aufmerksam machte.563 Das Oberkommando machte die zivilen Organe, vor allem den böhmischen Statthalter, für die russophilen Äußerungen und die Bezeugungen an Undiszipliniertheit verantwortlich. Die Schlussfolgerungen der Note mündeten in der eindringlichen Forderung nach der Herbeiführung von Änderungen in Böhmen, was also praktisch die Ablöse des Statthalters bedeutete. »Die Sorge für die unverminderte Erhaltung soldatischen Geistes in den Reihen der auf Ergänzungen aus dem Königsreich Böhmen angewiesenen, an der Front stehenden Regimenter, einem Feinde gegenüber, der die geringste moralische Schwäche für sich auszunützen versteht, veranlasst das Armeeoberkommando, Eure Exzellenz erneuert zu ersuchen, im genannten Lande endlich jene unbeugsame Strenge walten zu lassen, von der allein eine Besserung zu erwarten ist.«564 Der böhmische Statthalter antwortete auf den Angriff des Armeeoberkommandos in einem auf den 26. Jänner 1915 datierten Schreiben. Er verwahrte sich gegen die Behauptung, staatsfeindliche Tätigkeiten zu verschweigen sowie in nur unzureichendem Maße und ohne Nachdruck dagegen vorzugehen. Verhaftungen könnten nur auf der Grundlage eines berechtigten Verdachtes erfolgen. Zu den Vorwürfen hinsichtlich des Versagens der böhmischen Einheiten auf dem Schlachtfeld hielt der böhmische Statthalter fest : »Mich hatte die Nachricht von der
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schlechten Haltung böhmischer Truppen umso schmerzlicher berührt, als ich, wie es scheint, der irrigen Meinung war, die böhmischen Truppen würden ebenso wie alle anderen ihre Pflicht in vollstem Maasse [Maße] erfüllen. Diese Meinung wurde noch dadurch bestärkt, dass ich aus den offiziellen Verlautbarungen die kollossalen Verluste der böhmischen Regimenter ersah, (ist doch zum Beispiel, wie ich höre, das Beneschauer Regiment No 102 bereits zum dritten mal vollkommen neu aufgestellt) und als die stattliche Anzahl von Auszeichnungen, die sich Angehörige böhmischer Regimenter erwarben, meine Annahme zu bestätigen schien.«565 Weiters schrieb der böhmische Statthalter, dass er nicht das geringste Recht habe, an den Äußerungen des Armeeoberkommandos zu zweifeln und dass er dessen Behauptungen »blind« annehmen müsse (ein ziviler Beamter konnte nicht die Armee und vor allem nicht Erzherzog Friedrich, der sie nominell führte, kritisieren). Nichtsdestotrotz war das, was Thun in weiterer Folge anführte, gerade eine Kritik an der Armeeführung, der er eine zielbewusste Animosität gegen die Tschechen zum Vorwurf machte : »Ein zum 8. [Prager] Korpskommando aus Wien eingerückter Oberst erzählte dort, der Statthalter in Böhmen ist wegen Hochverrates abgesetzt, und soll auf seinem Schloss in Tetschen verhaftet gehalten werden, der ganze böhmische Adel, der in hohem Maasse [Maße] kompromittiert ist, wurde auf seinen Schlössern konfiniert, in Prag herrscht Revolution. Geschütze und Maschienengewehre halten auf den Prager Strassen aufgefahren die Bevölkerung im Zaun.«566 Thun wies überdies auf die anonymen Denunziationen gegenüber den Tschechen hin, mit denen die Ämter überschwemmt würden. Überprüfe man jedoch diese anonymen Anzeigen, dann zeige sich, dass die Anschuldigungen nicht der Wahrheit entsprächen oder übertrieben seien. Thun schreibt sie, wenn auch nicht explizit, aber ganz klar, dem deutschen Nationalismus zu : »Viele Anzeigen tragen schon von vornherein den Stempel nationaler Gehässigkeit an sich und lassen erkennen, dass es sich bei Erstattung derselben darum handelt, unter Hervorhebung des eigenen Patriotismus die böhmischen Kreise politisch zu vernadern. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich darin den Beweis erblicke, dass der bedauerliche nationale Hass, der sich auch in den ganzen verflossenen Friedensjahren gezeigt hat, unvermindert anhält und sich gegenwärtig in dieser Form betätigt.«567 Der böhmische Statthalter beschuldigte das Prager Militärkommando, mit seinem Handeln und seiner auf unwahren Angaben beruhenden Berichterstattung nicht unwesentlich zur Verschlechterung der Stimmung in der Bevölkerung beizutragen. Die Ausschreitungen, die im Zusammenhang mit dem Abmarsch einiger tschechischer Reserveabteilungen standen, und die daraus erhobenen Anschuldigungen seitens der Militärs gegenüber der zivilen Verwaltung, namentlich gegenüber dem böhmischen Statthalter, versuchte er von einem anderen Standpunkt aus darzustellen : Die zu den Waffen gerufenen Soldaten seien vor ihrem Abgang an die Front durch Exerzieren
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und intensive Ausbildung nur unzureichend diszipliniert worden. Thun gelangte daher zu einem Schluss, den er auch dem Kriegsminister mitteilte : Wenn Männer, die nur ungenügend diszipliniert worden seien, an die Front geschickt würden, dann werde ihr »Versagen« erklärbar : Im Angesicht des Feindes stünden keine Soldaten, sondern nur eine Gruppe von Menschen. Man kann sich kaum eine schwerere Anschuldigung als jene vorstellen, die der böhmische Statthalter dem Armeeoberkommando damit ins Gesicht schleuderte : Unzureichend ausgebildete Soldaten werden auf das Schlachtfeld getrieben und für ihr »Versagen« werden die tschechische Politik, die tschechische Nation – und auch der böhmische Statthalter – verantwortlich gemacht. Fürst Thun ging aber noch einen Schritt weiter und machte auf die Schicksalhaftigkeit der »böhmischen Frage« für das Habsburgereich aufmerksam. »Sowie die böhmischen maassgebenden [maßgebenden] Kreise es in ihrem Inneren anerkennen, dass die Böhmen ihr Heil nur in Österreich finden und besitzen, so wird wohl auch in allen maassgebenden [maßgebenden] Regierungskreisen die Überzeugung nicht zu bezweifeln sein, dass auch Österreich an dem Besitze der Sudetenländer als einem wertvollen Juwel der Krone Habsburgs festhalten muss. Es muss auch Oesterreich daran liegen, den böhmischen Volksstamm als einen oesterreichischen Volksstamm zu betrachten, wie es bisher in der langen Reihe von Jahren seit der Angliederung der böhmischen Länder stets die Richtlinie der Regierung war. Und wenn ich eingangs erwähnt habe, dass ich mich der Sorge für die Zukunft nicht erwehren kann, so lasse ich mich hiebei von dem Gedanken leiten, dass dem siegreichen Krieg der Friede folgen muss, und dass wir wieder normale Zeiten erleben werden. Es ist eine Eigenschaft des böhmischen Volkes, sich in vollkommen ungerechtfertigter Weise immer als die Unterdrückten und die Verfolgten anzusehen und nie eine Zufriedenheit erkennen zu lassen. Mir scheint es daher ausserordentlich bedenklich, wenn sich in den Kreisen der böhmischen Bevölkerung das Gefühl einnisten könnte, dass oesterreichische zentrale Kreise das böhmische Volk als ein minderwertiges ansehen.«568 Der Brief, den Fürst Thun an den Ministerpräsidenten schrieb, war eine offene Konfrontation mit dem obersten Armeekommando, aber auch mit der tschechenfeindlichen Haltung des deutschen Nationalismus. Dessen war er sich auch bewusst. Am Ende des Briefes bot er unter Hinweis auf die Note des Armeeoberkommandos, das seiner Person das Misstrauen aussprach, mit einigem Pathos seinen Rücktritt an : »Schwarz-gelb gesinnt bis in die innerste Fieber meines Herzens wie nur einer, ein treuer Diener meines heissgeliebten Kaisers, bin und war ich stets bestrebt, wahr und offen zu sein, meine Pflichten auf das gewissenhafteste zu erfüllen. Sollten Euere Excellenz der Anschauung sein, dass hier im Lande im Interesse des Reiches, das ich jederzeit in den Vordergrund gestellt habe, eine Aenderung der Person notwendig ist, so bitte ich Seiner Majestät die entsprechenden Anträge stellen zu wollen, meine
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treueste Ergebung zu Kaiser und Reich wird nie und nimmer das allergeringste Gefühl von Kränkung aufkommen lassen, mit Stolz werde ich das bleiben, was ich mein ganzes Leben war, ein treuer Diener meines Allergnädigsten Herrn.«569 Ministerpräsident Stürgkh antwortete dem böhmischen Statthalter in Windeseile – am 31. Jänner 1915.570 Er beschwerte sich über das oberste Armeekommando und seine Umgebung, die er pejorativ als »Generalstabsrepublik« bezeichnete. Es bemühe sich, an »allerhöchster Stelle« [gemeint ist der Kaiser selbst] darüber zu informieren, dass in Böhmen eine Rebellion ausgebrochen sei oder eine solche drohe. In der Zwischenzeit, schreibt der Ministerpräsident, habe er sich gegen die Militärs durchgesetzt. Stürgkh solidarisierte sich voll und ganz mit dem böhmischen Statthalter, lehnte jedoch sein Rücktrittsangebot ab und teilte seinen Entschluss mit, auch weiterhin zusammen mit ihm den Angriffen der Militärs trotzen zu wollen : »Du bist, wie constatirt werden darf, in vollstem grundsätzlichem Einvernehmen mit der Centralregierung. Diese Thatsache allein schliesst meines Erachtens jede Folgerung solcher Art aus, wie Du sie im letzten Abschnitt Deines verehrten Schreibens berührst. Wir müssen meiner Anschauung nach gegen unzuständige Anstürme durchhalten und die Fahne der Vernünftigkeit gemeinsam vorantragen.«571 Am 4. Februar 1915 zeigte Franz Thun seinem Bruder Jaroslav, der sich gerade in Prag aufhielt, sowohl den Text des Armeeoberkommandos als auch seine Antwort und den Brief des Ministerpräsidenten. Jaroslav notierte empört in sein Tagebuch, die »militärische Omnipotenz« sei unerträglich, und es schauderte ihm vor der Vorstellung, wie die Situation erst nach dem Krieg sein werde.572 Die Angriffe gegen den böhmischen Statthalter wurden fortgesetzt. Bei einer Sitzung der aus Böhmen stammenden deutschen Reichsratsabgeordneten am 2. Februar unterbreitete der Abgeordnete Rudolf Heine den Vorschlag, Fakten über das Verhalten der Tschechen und über den böhmischen Statthalter zu sammeln.573 Mitte Februar 1915 ließ Innenminister Heinold dem böhmischen Statthalter eine Nachricht zukommen, die er vom Armeeoberkommando erhalten hatte. Demnach hätten sich in Kiew österreichische (im Original unterstrichen) Tschechen zur sogenannten Česká družina [etwa : Tschechische Gefolgschaft] zusammengeschlossen, die innerhalb der russischen Armee Dienst versehe – die Meldung betont vor allem deren Spionagetätigkeit.574 Der unermüdliche Thun reagierte auf diese Nachricht unverzüglich und stellte eine sachkundige Überlegung über das Wesen der Česká družina an. Er machte darauf aufmerksam, dass es in den 1860er Jahren eine starke Auswanderungswelle vor allem aus den Bezirken Rakonitz (Rakovnik) und Melnik (Mělník) nach Russland gegeben habe, vor allem nach Wolynien, wo man Land günstig erwerben konnte. Diese Tschechen seien somit russische Staatsbürger geworden. Die Česká družina bestehe daher aus russischen Bürgern tschechischer Nationalität, wenngleich nicht auszuschließen
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sei, dass sich ihr auch einzelne russophile österreichische Staatsbürger angeschlossen haben. Der böhmische Statthalter fügte seiner Erklärung, die ziemlich genau die Entstehung der Česká družina wiedergibt, noch einen Absatz hinzu, der auf die deutschnationalen Politiker wie eine Provokation wirken musste : »So ferne es mir liegt, derartige vom Standpunkte des ehemaligen Vaterlandes verabscheuungswerte Erscheinungen irgendwie beschönigen zu wollen, so obliegt mir doch die Pflicht, die Aufmerksamkeit Eurer Exzellenz auf diese Möglichkeit der Erklärung der rekriminierten Fakten zu lenken. Ist es doch Tatsache, dass die russischen Staatsangehörigen deutscher Nationalität zu den intransigentesten Verfechtern des russischen Staatsgedankens gehören und dass von 35 Korpskommandanten der russischen Armee 9 ausgesprochen deutsche Namen tragen.«575 Thun benannte ein offenkundiges Paradoxon : War es nicht sonderbar, dass jener General der russischen Armee, der sich mit einem flammenden Appell an die Tschechen wandte, dabei an ihr Slawentum appelierte und sie zur Befreiung der Slawen von der germanischen Unterdrückung aufforderte, Rennenkampf hieß ?
Kapitel 21
Von der Demission zu den letzten Dingen
Der Rücktritt des böhmischen Statthalters
Am 8. März 1915 gab Jaroslav Thun seinen Eindruck von einem Besuch bei seinem Bruder wieder : »Sah am 5. Franz in Prag nur kurz, leider ein müder, alter Mann – er sagte mir auch ›Ich werde alt, hätte das Bedürfniss nach Ruhe, könnte ich nur schon gehen – jetzt freilich ist es unmöglich.‹«576 Der Mann, der von sich selbst meinte, eine eiserne Konstitution und »keine«, also eiserne Nerven zu haben, war alt, müde und – wie sich zeigen sollte – auch krank geworden. In der Literatur findet sich oftmals der Hinweis darauf, dass Fürst Thun am 27. März 1915 von seiner Funktion zurücktrat, weil seine politische Position erschüttert worden und weil er der gegen ihn geführten Kampagnen überdrüssig geworden war. Thuns Position war wirklich nicht beneidenswert und er trug schwer an den wiederholten Angriffen auf die unerträglichen Verhältnisse in Böhmen, für die er verantwortlich gemacht wurde. Andererseits kann man nicht sagen, dass er von seinem Amt zurücktreten musste, denn genau das war nicht der Fall. Ministerpräsident Stürgkh solidarisierte sich voll und ganz mit dem böhmischen Statthalter und beabsichtigte zusammen mit ihm, wie er geschrieben hatte, die »Fahne der Vernünftigkeit« hochzuhalten, das heißt es war seine Absicht, das Steuerruder des Staatsschiffes nicht außer Rand und Band geratenen Soldaten überlassen zu wollen. Es lässt sich nur darüber mutmaßen, welche Bahnen Thuns Ringen weiter genommen hätte, wenn nicht eine vis maior eingegriffen hätte : Der böhmische Statthalter trat aufgrund der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes von seinem Amt zurück. Wie es genau zu Thuns Demission kam, lässt sich anhand der ausführlichen zwischen den beiden Brüdern ausgetauschten Briefe sowie aufgrund der Tagebuch eintragung von Jaroslav Thun rekonstruieren. Am 14. März 1915 schrieb Franz Thun an seinen Bruder : »Der Brief wird kurz ausfallen, weil es mit meinen Augen schlecht geht. Der Arzt sagt zwar, es habe nichts zu bedeuten und werde bald gut werden – vorläufig aber kann ich nur schwer lesen und schreiben.«577 Am 17. März notierte Jaroslav Thun dazu in sein Tagebuch : »Heute bringen alle Nachmittagsblätter die Nachricht, Statthalter Fürst Thun müsse sich größter Schonung unterziehen, dürfte weder lesen, noch schreiben, da er eine [an einer ; Anm. d. Übers.] ›Trübung des Glaskörpers‹ leide. Schon das letzte mal in Prag sprach er von leidenden Augen. […] Hatte mich diese Nachricht beunruhigt, so hat mich die Zei-
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tungsnotiz erschreckt, ich ging gleich zu Stürgkh, der mir aus eigener Erfahrung und aufgrund telephonischer Nachrichten aus Prag folgendes mitteilte : Franz habe selbst die Nachricht dem Korrespondenz Bureau diktiert. Ein Brief an Stürgkh sei unterwegs, aber aus dem Presidium sagten sie, es sei nicht das, sondern [eine] ›Loslösung der Netzhaut‹ – das ist eine sehr ernste Sache, denn das geht um das Augenlicht und nur ein operativer Eingriff kann Rettung bringen – Stürgkh selbst hat es durchgemacht, war operiert von dem Spezialisten Prof. Dr. Deutschmann in Hamburg – und gerettet ! Gebe Gott, daß es [das] doch nicht ist und wenn es das wäre, daß auch hier operative Rettung möglich wäre ! Ich bin in tiefster Seele beunruhigt – was wird 1914–1915 noch alles bringen ? Man hat schon ein zitterndes Herz, denn man bangt von Stunde zu Stunde !«578 Am 18. März 1915 ging Jaroslav ein Brief von Franz zu.579 Dass er schlechte Nachrichten beinhaltete, war auf den ersten Blick auszumachen. Das Schreiben war nicht in der feinen Handschrift seines Bruders, sondern in den schwungvollen Lettern seiner Schwägerin Ernestine abgefasst worden. Franz Thun war nicht in der Lage, e inen Brief selbst zu verfassen, er hatte ihn seiner Frau diktieren müssen. Die Krankheit, von denen seine Augen befallen waren, trug einen Unheil verkündendenden Namen – Netzhautablösung. »Von Franz leider schlechte Nachricht. Gestern erhielt ich einen Bf. von ihm [an] Ernestine diktiert, in dem er mitteilt, es sei [eine] Ablösung der Netzhaut ! War wieder bei Stürgkh, der mich auch Franzens Privatbrief an ihn und [den] offiziellen Bericht lesen ließ, der dies alles bestätigte. Da Stürgkh mich immer wieder versicherte, daß es – vide ihn selbst – heilbar sei, so will ich glauben, es sein ein gütiges Walten der Vorsehung, die ihm den bestimmten Weg weist, jetzt trotz ernster Zeiten sein Amt niederlegen und nur mehr seiner Familie zu leben !«580 Am 22. März 1915 lud Graf Stürgkh Jaroslav Thun in sein Lieblingsrestaurant Sacher ein.581 Diesem war freilich bewusst, dass es sich nicht nur um eine Einladung zum Mittagessen, auf ein Gabelfrühstück oder einen Kaffee mit Sachertorte handelte. Die Situation in Prag war mittlerweile unerträglich geworden, nichtsdestotrotz wollte sie der Ministerpräsident unter Rücksichtnahme auf seinen Standesgenossen, Mitkämpfer und Freund gütlich lösen. Jaroslav Thun teilte er daher mit, dass Franz demissionieren müsse, während gleichzeitig Max Coudenhove zum neuen Statthalter ernannt werde. Die Angelegenheit würde keinen Aufschub dulden, denn einerseits dringe der Kaiser auf eine Lösung, andererseits würde ein allzu langes Zuwarten der »Militärpartei« erlauben, weitere Intrigen zu spinnen. Stürgkh trat mit dem Ersuchen an Jaroslav heran, sehr rasch mit seinem Bruder über die Demission zu sprechen. Jaroslav fuhr augenblicklich nach Prag. In sein Tagebuch notierte er : »[…] fand den armen Franz sehr ergeben aber sehr traurig in finsterem Zimmer sitzen[,] eine schwarze Binde – rührend in der Freude meines Kommens. Er frug mich gleich ›Was hat der Stürgkh gesagt‹, so daß ich gleich meine Mission überbringen konnte. […] Er
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Abb. 72: Eine der letzten Porträtaufnahmen von Franz Thun, wahrscheinlich aus dem Jahr 1915.
war gleich einverstanden, faßte gleich den Entschluss, ließ sich gleich den Sekretär kommen und diktierte ihm sein Demissionsgesuch ! Natürlich fiel es ihm schwer, er sagte mir wiederholt : ›Wenn man alt ist, so ist es der Abschluß eines politischen Lebens‹. Immer wieder fing er davon an, beschäftigt mit allem, denn er hängt ja natürlich mit allen Fäden seines Herzens an seinem Amt !«582 Am gleichen Tag konsultierte Jaroslav Thun Augenärzte der tschechischen und der deutschen Universität. Diese teilten ihm mit, dass Franz Thun neben der Netzhautablösung am linken Auge noch an einem Star am rechten Auge laboriere. Darüber hinaus leide er, angeblich aufgrund des entsprechend hohen Alters, an einer Arterien verkalkung. Jaroslav notierte dazu, dass es eine wirklich »traurige Diagnose« sei.583 Am Abend spazierten die beiden Brüder durch den Kaisergarten. Beim Anblick des durch den Park unterhalb der Prager Burg schreitenden Franz, einem Mann in einer Lebenskrise, wurde er von Melancholie ergriffen : »Dieser starke, geistig ungebeugte Mann […] nun einsam in trübem Lichte, ausgeschaltet aus dem aktiven Leben, seine Gesundheitspromenade machend !«584 Am folgenden Tag notierte Jaroslav in sein Tagebuch : »Am 24. widmete ich mich von früh bis abends Franz[,] da er [es] jetzt so notwendig braucht – ist es doch für ihn der mitten im polit. […] Leben stehende die höchste Prüfung, die ihm widerfahren konnte. Ein plötzlicher Tod hätte ihm kein Leid gebracht, so aber muß er [sich] unbeachtet in dieser Welterschütternden Zeit, ohne äußeren Dank und Anerkennung
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höchstens von den Gegnern verschimpft, in ein Nichts zurückziehen mit schweren Gebrechen behaftet – es ist die größte Tragik, die einen glühenden und sich immer aufopferenden Patrioten treffen kann.«585 Wenn Jaroslav davon schrieb, dass sein Bruder ohne Dank verabschiedet worden sei, dann hat er damit im Grunde Franz Joseph unrecht getan. Ein vom Kaiser eigen händig verfasstes Schreiben vom 27. März 1915 war in einem außerordentlich persönlichen, anerkennenden und inniglichen Ton gehalten. Es ist kein wohlmeinenderes Schreiben bekannt, welches der stets streng formelle Franz Joseph während seiner langen Regierungszeit irgendeinem Statthalter, einem Ministerpräsidenten oder einem Minister beim Ausscheiden aus dessen Amt hat zukommen lassen : »Lieber Fürst Thun ! Ein ernstes Leiden, das die volle Schonung Ihrer Sehkraft erheischt, hat Sie zu Meinem Bedauern veranlaßt, Mir die Bitte um Enthebung vom Amte Meines Statthalters im Königreich Böhmen und um Versetzung in den Ruhestand zu unterbreiten. Indem Ich diesem Ansuchen hiemit in Gnaden willfahre, gedenke ich neuerlich mit besonderer Anerkennung der hervorragenden Dienste, die Sie, Meinem Rufe jederzeit bereitwillig folgend, in arbeitsreichen und verantwortungsvollen Stellungen Mir und dem Staate geleistet haben. Von jener hohen Auffassung amtlicher Pflichten erfüllt, die Ihr gemeinsames Wirken kennzeichnet, waren Sie auch während Ihrer jetzigen, mehr als vierjährigen Tätigkeit an der Spitze der politischen Verwaltung in Meinem Königreich Böhmen unter schwierigen Verhältnissen unablässig um das Wohl des Landes bemüht, wobei Sie in selbstloser Hingebung Ihre ganze Arbeitskraft der Anbahnung eines Einverständnisses über die nationalen Fragen widmeten, und den Bestrebungen nach Herstellung finanzieller Ordnung im Landeshaushalte Ihre erfolgreiche Förderung zuteil werden ließen. Es ist Mir ein Bedürfnis, Ihnen hiefür Meinen wärmsten Dank auszusprechen. Indem Ich gleichzeitig Meinem Wunsche nach voller Wiederherstellung Ihrer Gesundheit Ausdruck gebe, versichere Ich Sie Meiner fortdauernden Gewogenheit und verleihe Ihnen als deren Zeichen die Brillanten zum Großkreuz Meines St. Stephan-Ordens.«586 Das persönliche kaiserliche Schreiben spart nicht mit schmeichelhaften Worten und zählt voller Anerkennung und Würdigung Thuns Aktivitäten der letzten Jahre auf, die zur Zielscheibe ständiger politischer Angriffe geworden waren – das Bemühen um den deutsch-tschechischen Ausgleich und die Lösung der Krise der Landesfinanzen in Böhmen, die in Verbindung mit der Einsetzung einer Landesverwaltungskommission stand. Der Monarch würdigte damit nicht nur den scheidenden Statthalter, sondern nahm ihn auch politisch in Schutz. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Teil des eigenhändig verfassten kaiserlichen Schreibens von Ministerpräsident Stürgkh inspiriert worden war – am Ende deckte er damit auch seine Politik und wollte den Militärs keine Gelegenheit geben, die Demission des böhmischen Statthalters als deren Sieg darzustellen.
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Neben dem eigenhändig verfassten Schreiben wurde dem scheidenden Statthalter auch höchste zerimonielle Anerkennung zuteil. Fürst Franz Thun waren bereits die höchsten Orden der Monarchie verliehen worden, sodass ihm der Kaiser zum St. Stephan-Orden, den er bereits besaß, die höchste Form der Auszeichnung anfügte – die Brillanten. Böhmische Huldigung für den abtretenden Statthalter
Der Rückzug des Fürsten Thun von der Spitze der politischen Verwaltung des Königreichs Böhmen war nicht nur vom Ausdruck kaiserlichen Wohlwollens begleitet. Auch die böhmische Öffentlichkeit bekundete ihre Sympathie, insofern diese unter den herrschenden Kriegsverhältnissen überhaupt zum Ausdruck gebracht werden konnte. Die Welle an böhmischen Wohlwollensbekundungen war überraschend groß. Thuns Auseinandersetzung mit dem Militär, die Tatsache, dass er sich gegen die Einführung einer Militärdiktatur in Böhmen verwehrte sowie dass er sich den tschechenfeindlichen Forderungen der Deutschnationalen entgegengestellt hatte, konnte angesichts der kriegsbedingten Zensur nicht zum Gegenstand der öffentlichen Debatte gemacht werden. Trotzdem war sich die tschechische Öffentlichkeit, insofern sie ihre Meinung während des Krieges artikulieren konnte, bewusst, welche Bedeutung Thuns Abgang hatte. Angesichts der drohenden Einführung einer Militärdiktatur und der deutschen Angriffe würdigten die Tschechen auch Thuns Anstrengungen um einen Ausgleich zwischen den Nationalitäten in Böhmen. Thun schied mit kaiserlichem Wohlwollen bekränzt und aufgrund seiner Krankheit aus dem Amt. Dessen ungeachtet hatte es jedoch den Anschein, als ob die systematischen Angriffe militärischer Kreise und deutschnationaler Politiker mit dem Abgang des böhmischen Statthalters von Erfolg gekrönt worden wären. Die Tschechen konnten sich keinen politischen Vorteil davon erwarten, dass sie den Statthalter und dessen Werk feierlich verabschiedeten bzw. priesen : An der Tatsache war schwer zu rütteln, dass Thuns politische Karriere beendet war und es war nur schwerlich davon auszugehen, dass er – ein kranker und politisch angegriffener Mann – zu den Schalthebeln der Macht zurückkehren werde. Dennoch beeilten sich die tschechische Presse, die Selbstverwaltungsorgane, diverse Organisationen und einzelne tschechische Politiker damit, nicht nur ihre Sympathie gegenüber dem aus dem Amt scheidenden Statthalter zu bekunden, sondern auch damit, ihn unter Anerkennung der historischen Bedeutung seiner Persönlichkeit und der von ihm verfolgten Ziele zu würdigen. Bereits am 30. März 1915, also drei Tage nachdem die Öffentlichkeit vom Rücktritt Thuns informiert worden war, nahm der Stadtrat von Prag-Smichov bei seiner Sitzung die folgende Erklärung an : »In den letzen Tagen wurde unsere gesamte Öffentlichkeit von der Nachricht überrascht, dass Eure Durchlaucht aus gesundheitlichen Gründen Euren bedeutenden Posten
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als Statthalter des Königreichs Böhmen verlassen. Mit Eurer Durchlaucht scheidet in dieser ernsten und bewegten Zeit der verdienstvollste Staatsmann der Gegenwart aus unserem politischen Leben, der stets herausragende Fähigkeiten mit den besten Absichten verband, um für das Wohl des Vaterlandes zu wirken. Durchdrungen vom Glanz allerhöchster Unvoreingenommenheit und Gerechtigkeit gegenüber beiden Nationen im Land, habt Ihr, durchlauchtigster Herr, unermüdlich für den nationalen Ausgleich in Böhmen gearbeitet, und, in inniglicher Liebe Eurem Heimatland zugetan, stets unbeirrbar zum Aufschwung und zum Aufblühen des Königreichs Böhmen beigetragen. Seit dem Ausbruch des Krieges habt Ihr all Eure Kraft den schweren Aufgaben Eures Amtes gewidmet und es ist vor allem Eurer Hingabe zu danken, dass sich die Kräfte des ganzen Königreiches unter Eurer Führung zur friedfertigen Arbeit und edlen Fürsorge vereint haben, um die schweren Folgen des Krieges zu mildern. Der Stadtrat bewahrt dieses verdienstvolle Wirken und edelmütige Streben in ewiger, dankbarer Erinnerung und spricht den innigen Wunsch aus, dass Eure Durchlaucht so bald wie möglich Heilung von der Krankheit erfahren mögen.«587 Die Vertretungen der Gemeinden Prag-Karlin, Prag-Smichov, Prag-Königliche Weinberge und Prag-Žižkov ernannten Fürst Thun aufgrund eines gemeinsam erfolgten Beschlusses am 5. Mai 1915 zu ihrem Ehrenbürger. Der Bürgermeister des Prager Stadtteils Königliche Weinberge, Alois Bureš, führte in einem Schreiben an Thun aus : »Es ist mir eine besondere Ehre und Auszeichnung, Eurer Durchlaucht diesen einhelligen Beschluss der städtischen Vertretungen der genannten Gemeinden zur Kenntnis zu bringen und ich füge dem die Bitte hinzu, dass Euere Durchlaucht diese höchste Auszeichnung, die von einer Gemeinde vergeben werden kann, annehmen und auf diese Art den genannten Gemeinden die Gunst deren Ehrenbürgerschaft erweisen wollen […].«588 Einzelne Vertretungen sandten an den Fürsten Telegramme, welche durchwegs auch von den einmütigen Entscheidungen sowie deren Manifestationscharakter – »ohne Debatte und unter allgemeiner lebhafter Zustimmung« – über seine Ernennung zum Ehrenbürger jener bedeutungsvollen Städte berichteten, die künftig einen Bestandteil von Groß-Prag bilden sollten (Prag hatte Thun die Ehrenbürgerschaft bereits verliehen). Darüber hinaus bestellten die vier erwähnten Städte bei dem Künstler Viktor Stretti eine mit dem Porträt von Franz Thun versehene Ehrenplakette. Diese übermittelten die Stadträte im Juli 1916 mit den folgenden begleitenden Wünschen nach Tetschen : »Eure Durchlaucht wollen diese beständige Auszeichnung der Ehrenbürgerschaft annehmen und künftighin in Erinnerung bewahren, auf welche Weise die Gemeinden Karlin, Smichov, Königliche Weinberge und Žižkov große und verdienstvolle Männer hochschätzen.«589 Mit dem Vorbringen ihrer Huldigung an den scheidenden Statthalter beeilten sich auch die Organisationen der vereinigten böhmischen Städte und Bezirke des Landes (also die Städte und Bezirke mit tschechischer autonomer Verwaltung).
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Abb. 73: Die Brüder Franz und Jaroslav Thun, wahrscheinlich nach dem Rücktritt von Franz im März 1915.
In den Briefen wurden vor allem Thuns Anstrengungen um den Abschluss eines deutsch-tschechischen Ausgleichs, also – wie man sagen könnte – eines gescheiterten Projekts gewürdigt. Der Bund der tschechischen Bezirke im Königreich Böhmen skizzierte das Bild Thuns als Kämpfer für die Versöhnung zwischen den Nationalitäten sowohl im Land als auch im Reich, der sich unauslöschlich in die Geschichte eingeschrieben habe und der, wenn das historische Ziel dereinst erreicht sei, als derjenige gefeiert werde, der dazu den Grund gelegt habe : »Eure Durchlaucht, hochedler Herr ! […] Als Eure Durchlaucht vor vier Jahren, dem Befehl Seiner Majestät gehorchend, die Führung der Verwaltung im Königreich Böhmen übernommen haben, ahnte die gesamte tschechische Öffentlichkeit, dass dies deshalb der Fall sei, damit Eure Durchlaucht, getreu den Gedanken und Zielen Eures hervorragenden und erfolgreichen bisherigen Wirkens, diese Tätigkeit mit einem Werk krönen könne, welches dem von Eurer Durchlaucht sosehr geliebten Land den dauerhaften Frieden und eine ruhige Zukunft sichert und welches ihm alle Voraussetzung für eine gedeihliche künftige Entwicklung in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht geben würde.
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Die gesamte tschechische Öffentlichkeit war gleich von Beginn an erfüllt von tiefster Dankbarkeit gegenüber Eurer Durchlaucht für die opfervollen Anstrengungen und für die vorzüglichsten Bemühungen, die Eure Durchlaucht den Versuchen zu widmen geruhten, endlich die Herbeiführung von dauerhaften und gerechten Vereinbarungen zwischen beiden Nationen zu erzielen, welche dieses altehrwürdige Königreich seit jeher bewohnen. […] Für diesen hehren Dienst, der aus der reinsten Liebe Eurer Durchlaucht zu unserem Land entspross, erlaubt sich der Bund tschechischer Bezirke im Königreich Böhmen Eurer Durchlaucht erneut im Namen aller tschechischen Bezirke den ergebensten und aufrichtigsten Dank abzustatten. Auch wenn aufgrund der herrschenden missgünstigen Verhältnisse nicht alle opfervollen Bemühungen Eurer Durchlaucht zur Gänze umgesetzt werden konnten, und auch wenn das große Ansinnen Eurer Durchlaucht nicht bis zum vollständigen Sieg geführt werden konnte, erlauben wir uns doch unserer festesten Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass dieser Gedanke gerade aufgrund seiner Anmut, Rechtmäßigkeit und Reinheit nicht zugrunde geht und dass er doch einmal verwirklicht werden wird. Wir sind auch davon überzeugt, dass dann gleichzeitig und verdientermaßen des soliden Fundaments gedacht werden wird, welches Eure Durchlaucht für die Lösung dieses Problems gelegt hat, und dass die Verdienste Eurer Durchlaucht um diese allerlebendigsten Interessen unseres Landes und des gesamten Reiches von allen Seiten erst dann anerkannt werden.«590 Vom gleichen Geist ist eine ganze Reihe von anderen Briefen erfüllt, etwa vom Bund tschechischer Städte im Königreich Böhmen, von Bezirksausschüssen, Stadträten und städtischen Vertretungen, von tschechischen Hochschulen, Berufsverbänden und diversen anderen Organisationen. Die darin artikulierten Motive ähneln sich stark : Thuns Objektivität in Nationalitätenangelegenheiten, sein rastloses Bemühen um den deutsch-tschechischen Ausgleich, die Ehrerbietung und Anerkennung für einen gerechten Mann, der dem Königreich Böhmen in Liebe zugetan sei und schließlich einer, der die große Idee einer deutsch-tschechischen Versöhnung durchgesetzt habe – einer Versöhnung zwischen Nationen, die seit Jahrhunderten in Böhmen beheimatet sind. Es ist bemerkenswert, wie sehr einander die zahlreichen, an den abtretenden Statthalter gerichteten tschechischen Schreiben in ihrem Tonfall gleichen. Über irgendeine Form der Absprache kann unter den herrschenden Kriegsbedingungen jedoch keine Rede sein. Kaiserliche Brillanten und Pensionärshoffnungen
Franz Thun tauschte das Leben eines besonders exponierten, hohen staatlichen Funktionärs mit dem eines Pensionisten, der mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Die Lektüre von Dutzenden, ja Hunderten Seiten von Berichten, Nachrichten,
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Instruktionen und Elaboraten gehörte zum Rhythmus seiner täglichen Amtsführung in seinem Arbeitszimmer im Palais der Statthalterei auf der Prager Kleinseite. Jetzt war es ihm nicht einmal möglich, überhaupt zu lesen. Er verbrachte die Zeit mit Spaziergängen im Garten unterhalb der königlichen Burg, bei denen er von seiner Frau Ernestine begleitet wurde. Ein unabhängiger, im höchsten Maße agiler Mann – man könnte auch von einem Workaholic sprechen – rang plötzlich darum, mit welchen Aktivitäten er den langen Tag füllen solle, und war darüber hinaus auf die Hilfe anderer angewiesen. Am 4. April 1915 notierte Thun in sein Tagebuch : »Gestern früh kehrte ich aus Prag zurück, habe den Tag mit Franz sehr genossen, fand ihn moralisch sehr gut, [hatte] guten, gemütlichen Plausch mit ihm – ein Genuß, der mir schon lange fehlte ! Der Zustand ist natürlich noch unverändert, doch ist er ruhiger, ist doch hocherfreut gewesen über die abnorme Fülle [der] Kaiserl. Huldbeweise bei seinem Rücktritt.«591 Über ein Treffen mit dem Fürsten Thun knapp nach dessen Rücktritt berichtet die tschechische Schauspielerin Marie Laudová. Diese war auf Veranlassung von Ernestine Thun in einer Gastvorstellung im Stadttheater in Prag-Königliche Weinberge aufgetreten, deren Erlös für tschechische Kriegsinvalide bestimmt war. Nach der Vorstellung ließ das Ehepaar Thun der Schauspielerin ein Geschenk zukommen – Blumen und ein Bild. Marie Laudová erinnerte sich später daran : »Ich ging, um meinen Dank dafür persönlich abzustatten, in das Palais in die Nerudagasse, wo mich die Fürstin wie gewohnt mit der herzlichsten Liebenswürdigkeit empfing. Sie geleitete mich zum Fürsten, der in einem abgedunkelten Zimmer saß, in das durch die heruntergelassenen Jalousien nur ganz dünne Lichtstrahlen hereindrangen. Er trug eine Binde über dem Auge, sprach frisch, geistvoll und mit Humor, so wie auch früher immer. Er verhehlte nicht, dass ihm die glühende Anteilnahme aller Schichten unserer Nation und die ihm gegenüber erwiesenen Ehrerbietungen und Sympathiebekundungen wohltaten. Als ich mit gänzlicher Aufrichtigkeit meine Dankbarkeit und Freude über die so unerwarteten und kostbaren Geschenke zum Ausdruck brachte, sagte er : ›Es freut mich wirklich, dass Ihnen dies eine solche Freude bereitet hat. Jetzt müssen Sie sich aber auch ein Geschenk ansehen, das ich gerade erhalten habe.‹ Die Fürstin zeigte mir daraufhin einen Orden mit prachtvollen, großen Brillanten, womit […] der Kaiser dem Fürsten seine Anerkennung erwiesen hat. ›Sie müssen ihn erst bei elektrischem Licht ansehen‹, sagte der Fürst, worauf ich im Nebenzimmer, dessen Fensterläden geschlossen waren, im Schein der vielen Glühbirnen das kaiserliche Geschenk bewundern konnte, welches in den Farben des Regenbogens blitzte und funkelte. Als das Licht erloschen war und ich, für die erwiesene Liebenswürdigkeit meinen Dank abstattend, ins Nebenzimmer zurückging, um mich vom Fürsten zu verabschieden, machte ich eine Bemerkung über den Unterschied zwischen echten Brillanten
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und am Theater verwendeten unechten sowie zwischen dem wahren Adel und jenem, den wir auf der Bühne darstellen. Der Fürst lachte und sagte : ›Und doch sind wir alle die gleichen Menschen : Was wir am meisten brauchen, das ist Gesundheit und ein wenig Humor.‹«592 Aufgrund des Umstandes, dass er rund einen Monat nach seinem Rücktritt vom Amt des Statthalters wieder besser sehen konnte, hatte Thun am ehesten angenommen, dass sich seine Sehkraft verbessern werde. Er wurde vom Professor für Augenheilkunde an der tschechischen Universität, Jan Deyl, untersucht, auch Professor Anton Elschnig von der deutschen Universität wurde zurate gezogen. Dabei handelte es sich um hervorragende Experten. Vielleicht waren die ersten Prognosen der Ärzte günstiger gewesen, vielleicht hatte sie Thun auch etwas zu optimistisch ausgelegt. Jaroslav Thun fuhr in den letzten Apriltagen nach Prag und fand seinen Bruder in einem besseren Zustand und in besserer Stimmung als er erwartet hatte : »Ich fand ihn physisch und moralisch sehr wohl, der Zustand des erkrankten Auges scheint nicht nur stationär, sondern sich sogar wirklich gebessert zu haben, Franz sagte selbst, das Auge sei besser, er sehe besser damit – von dem rechten [Auge], dem Staar [Star ; Anm. d. Übers.] erkrankten[,] wird nicht gesprochen, das macht ihm keine besonderen Beschwerden ! Infolgedessen machte er auch schon Pläne für den Fall seiner Von-selbst-Gesundung, will dann allerhand unternehmen – gebe Gott, daß er da keine Enttäuschung erlebt ! Der Zustand hat eine wesentliche Verbesserung erfahren, da Franz nicht nur am späten Nachmittag, sondern auch schon am zeitlichen Vormittag seine Promenade im Kaisergarten macht, wodurch der Tag gekürzt wird. Das, was ihn natürlich am Meisten beschäftigt, ist immer die innere Politik, diese bildet stets das Hauptgesprächsthema […].«593 Urteil und Hamburger Hoffnung
Was dann folgte, war ein Schlag : Am 10. Mai 1915 sandte Franz Thun an Jaroslav ein Schreiben, in dem er mitteilte : »Meine Hoffnung[,] die auch die Augenärzte getheilt haben, dass meine Augen von selbst gut werden würden, scheint nicht in Erfüllung zu gehen. […] Ich gestehe, daß das Urtheil der Ärtzte mir eine kleine Entäuschung gebracht hat, doch wie Gott will.«594 Weiter schrieb er ihm, dass er sich entschlossen habe, sich an der Hamburger Augenklink von Professor Deutschmann einem operativen Eingriff zu unterziehen. Der Ruf des Professors stärkte in Thun die Hoffnung, die vor allem Ministerpräsident Stürgkh genährt hatte. Dieser hatte Thun versichert, dass er vor einigen Jahren von einer ebensolchen Augenkrankheit heimgesucht worden und in seiner Sehkraft extrem eingeschränkt gewesen war. Erst der operative Eingriff von Professor Deutschmann habe ihm das volle Augenlicht zurückgegeben. Wir wissen freilich nicht, ob der Mi-
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nisterpräsident an der gleichen Erkrankung wie der böhmische Statthalter laborierte. Wie sich aus dem Nekrolog nach Thuns Ableben zeigt, waren die Prager Fachleute – beide, Tscheche und Deutscher – vom Gedanken an eine Operation nicht übermäßig angetan. Vielleicht wollten sie sich aber nicht gegen die letzte Hoffnung stellen, an die sich Franz Thun klammerte. Am 13. Mai schrieb Jaroslav, erschüttert von der Nachricht über die Ernsthaftigkeit der Erkrankung, an seinen Bruder : »Lieber Franz ! Dein lieber Brief vom 10. hat uns alle tief betrübt, mich doppelt betrübt, weil ich innigst mit Dir fühle […] [über die] Entäuschung, [die] Dir die Aussprache der Ärzte gebracht hat ! Das Leben ist ja doch nur eine Quelle permanenter Enttäuschungen, nur das Vertrauen auf Gott – da ist keine Enttäuschung möglich ! Aber schwer ist es doch und ich fühle aus ganzer Seele, lieber Franz, mit Dir. Könnte ich Dir nur Bürde abnehmen ; es wäre so viel besser verteilt, denn ich bin so überflüssig und Du wärest so notwendig ! Könnte ich nur immer um Dich, mit Dir sein, Dir helfen – die Akten ordnen, als Schreiber – kurz Dir zur Hilfe und der guten Ernestine zur Entlastung.«595 Jaroslav Thun eilte daraufhin zu seinem Bruder nach Prag. Am 21. Mai hielt er seine Eindrücke von dem Besuch fest : »Ich fand Franz in gutem physischen und moralischen Zustand, heiter und zuversichtlich, wenn auch sich keinen Illusionen hingebend ; er weiß, daß die Ärzte hier das linke Auge für verloren erklären, weiß auch, daß er am rechten Auge einen Staar [hat], der wohl die Sehkraft hindert, aber bis jetzt keine Forschritte macht, der sonstige medizinische Befund ist gut, und der Blutdruck ist noch höher als er sein sollte. Am 25. fährt er mit Ernestine nach Hamburg zu Prof. Deutschmann, bewußt, daß es nichts schaden kann, vielleicht aber doch nützen. – Prof. Deyl, den ich sprach, fürchtet, daß auch Deutschmann das Auge nicht wird retten können. Was ist eine herzensgreiffende Tragödie umso grösser, daß man einen gelassenen und gefassten Mann sieht, der das Unglück über ihn heranbrechen sieht. – Gott helfe gnädig weiter !«596 Am 25. Mai begab sich Franz Thun, begleitet von seiner Frau Ernestine, nach Hamburg. Die 13-jährige Anna verfasste für den kranken Vater, der sich auf den Weg zu einer umstrittenen Operation machte, ein Gedicht. Aus den Versen sprach ihre Zuversicht : Wenn ihr Vater aus Norddeutschland von Herrn Professor Deutschmann zurückkehre, werde er wieder gut sehen können ! Am 29. Mai um 3.40 Uhr sandte Ernestine von Hamburg ein Telegramm folgenden Inhalts : »Erste Operation soeben überstanden, ganz schmerzlos. Jetzt vollkommen ruhige Bettlage, Befinden gut. Gott sei gedankt dafür.«597 Am 2. Juni notierte Jaroslav in sein Tagebuch, dass täglich hoffnungsfrohe und zuversichtliche Telegramme aus Hamburg eintreffen und dass auch ein Brief gekommen sei, in dem berichtet wurde, dass Professor Deutschmann an eine Heilung glaube. Am 12. Juni schrieb Jaroslav, dass in einem Telegramm die Rede von der großen Zufrie-
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denheit des Professors gewesen sei, gleichfalls jedoch auch davon, dass eine erneute Operation notwendig sei. Am 19. Juni erhielt er ein weiteres Telegramm : »Wegen günstigen Fortschrittes des Heilungsprozesses wurde heute schon neuerlich derartiger Eingriff vorgenommen, jetzt zwei Tage ruhige Rückenlage, Doktor zufrieden.«598 Ein schwerkranker Mann
Jaroslav traf seinen Bruder nach dessen Rückkehr aus Hamburg am 20. Juli 1915. In sein Tagebuch notierte er : »Das Wiedersehen mit Franz gestern war eine großartige Herzensfreude – recht frisch wohl, glücklich, nach 8 Wochen wieder zu Hause zu sein. Er sieht mit dem operierten linken Auge, das bei seiner Abreise ganz erblindet war, teilweise.«599 Der Optimismus verflüchtigte sich jedoch schon bald wieder. Als Jaroslav seinen Bruder am 29. Juli in Wien vom Bahnhof abholte, stellte er sogleich fest, dass es ihm sehr schlecht ging.600 Nur mit einigem Aufwand gelang es ihm, dem Zug zu entsteigen, mit seinem ganzen Gewicht stützte er sich auf Jaroslav. Ernestine und er hatten einige Schwierigkeiten, Franz in einen Fiaker zu bekommen, dann ruhte er sich in einem Hotelzimmer aus. Nachdem er sich ausgeschlafen hatte, war er wieder in Form. Nichtsdestotrotz hatte sich die Arterienverkalkung als sehr akut erwiesen. Möglicherweise war davon das Gehirn betroffen. Franz Thun wurde in den letzten Monaten seines Lebens von ähnlichen derartigen »Anfällen« – wie man sie nannte – heimgesucht. Diese Zeit verbrachte er in seiner Residenz in Tetschen, gelegentlich auf dem Schloss in Perutz. Die Ärzte betonten, dass er Ruhe brauche, und tatsächlich hatte dieser immer so unermesslich agile Mann ein immer stärkeres Bedürfnis nach Ruhe. Vor allem aber rang er damit, den Tag mit Aktivitäten zu füllen. Er bemühte sich darum, gerade auf dem Gebiet der österreichischen Innenpolitik, der er sich immer mit Leidenschaft hingegeben hatte, auf dem Laufenden zu bleiben, und das ihn – abgesehen von seiner Kindheit und Jugend – sein ganzes Leben über begleitet hatte und auf dem er ein ausgewiesener Fachmann war. Lesen konnte er allerdings nicht, weshalb er auf die Hilfe seiner Frau und seiner Tochter angewiesen war, die ihm vielleicht stundenlang vorlasen. Auch Jaroslav bemühte sich, zur Zerstreuung des Erkrankten beizutragen, weshalb er oft vom mährischen Kwassitz nach Tetschen reiste. Eine Vorstellung über den Tagesablauf von Franz Thun gibt abermals Jaroslav in seinen Aufzeichnungen. Am 5. Dezember 1915 urteilte Jaroslav über den Gehalt seines Aufenthaltes in Tetschen : »Die Beschäftigung hier ist hauptsächlich […], mein[en] Franz [zu] zerstreuen und [zu] beschäftigen und das ist ja der Zweck unseres Hierseins und dem entsprechend ist man froh ; aber selbst kommt man eigentlich zu nichts ! Den ganzen Tag Franz vorlesen, für ihn schreiben, mit ihm reden, spazieren
Letztes öffentliches Auftreten : Zeugenaussage zugunsten der tschechischen Hochverräter
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gehen und hauptsächlich viel Karten zu spielen, was natürlich die grösste Zerstreuung ist. Es ist schon hart, wenn man so gewohnt war, sich viel zu beschäftigen, jetzt ganz auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. […] Natürlich vor allem interessiert Franz die Politik und da kann er stundenlang politisieren und Pläne machen.«601 Letztes öffentliches Auftreten : Zeugenaussage zugunsten der tschechischen Hochverräter
Obwohl es dem Armeeoberkommando nicht gelungen war, den böhmischen Statthalter durch einen General zu ersetzen, markierte der Rücktritt von Fürst Thun in Böhmen doch den Beginn einer Zeit der militärischen Vorherrschaft, die bis zum Beginn des Jahres 1917 andauern sollte. Am 21. Mai 1915, zwei Tage bevor Italien an Österreich-Ungarn den Krieg erklärte, sandte das Armeeoberkommando an das Militärkommando ein verschlüsseltes Telegramm folgenden Inhalts nach Prag : »Reichsratsabgeordneter Dr. Kramář und Sokol-Vorsteher Dr. Scheiner sind sofort festzunehmen, der erste wegen Hochverrats, der zweite wegen Spionage […]. Durchführung melden.«602 Der reichsdeutsche Konsul in Prag, Gebsattel, zollte sich selbst Anerkennung dafür, indem er feststellte, dass mit dem abtretenden Fürsten Thun der »berüchtigtste und verantwortlichste Aufwiegler des tschechischen Volkes, Dr. Kramář, die ihn schützende Hand«603 verloren habe. Franz Thun drückte in einem Schreiben an seinen Bruder mit einiger Skepsis die Hoffnung aus, dass die militärischen Stellen, die Kramář und Scheiner verhaften haben lassen, auch entsprechende Beweise gegen die beiden hätten : »Ich hege immer die Angst, daß solche Maßnahmen der Militärs nicht [die] volle Begründung haben […] [und sie] nur den Charakter der Persekution tragen.«604 Es folgten weitere Verhaftungen und am 7. Oktober wurde der wegen Aufruhr zum Tode verurteilte Infanterist Josef Kudrna auf dem Truppenübungsplatz Prag-Motol hingerichtet. Dabei handelte es sich um den ersten Fall eines Verfahrens des Standgerichts in Prag. An Kudrna, der Vater von sieben Kindern war, wurde ein Exempel statuiert – praktisch war er das Opfer eines Justizmordes. In Böhmen regierte nicht ein (aufgrund der starken Stellung des Militärs) schwacher Statthalter Coudenhove, sondern das Militär. Ebenso hat das auch Franz Thun erfasst, der seinem Bruder in einem Brief vom 27. September 1915 mitteilte : In Böhmen gebe es eine »verdeckte Militärdiktatur«, sehr »beklagenswerth« agiere der Militärbefehlshaber von Prag, Feldmarschallleutnant Schwerdtner, der »gar kein Verständnis« habe und »Unheil anrichtet«.605 Am 6. Dezember 1915 begann der – zweifellos politisch motivierte – Prozess gegen Karel Kramář, den Abgeordneten Alois Rašín, Vincenc Červinka und Josef Zamazal, der beinahe sechs Monate dauern sollte – das Urteil wurde am 3. Juni 1916 gefällt. Die Anklage legte Kramář einen am 4. Oktober 1914 in der Národní listy erschiene-
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nen kritischen Artikel, seine Passivität, seine Weigerung, Kriegsanleihen zu zeichnen, sein Einwirken auf das Verhalten der tschechischen Soldaten und auch einen Brief zu Last, den er Anfang 1915 an Fürst Thun gesandt hatte und der laut Anklage eine »versteckte Drohung« und ein »Alibi für eine staatsfeindliche Tätigkeit« beinhaltete. Am 21. Dezember 1915 wandte sich Ministerpräsident Stürgkh in einem Schrei ben606 an Thun, in dem er ihn über die Hauptverhandlung, die gegen »Karel Kramář und Genossen« vor dem Landwehr-Divisionsgericht in Wien geführt werden sollte, informierte und Thun gleichzeitig das Begehren der Verteidigung näherbrachte, dem zufolge auch er – Fürst Thun – aussagen sollte. Stürgkh teilte offiziell mit, dass er beabsichtige, Seine Majestät darum zu ersuchen, den ehemaligen Statthalter von seiner amtlichen Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Jaroslav Thun, der Franz vor Mitte Jänner 1916 in Tetschen besuchte, notierte zu seinem Bruder in sein Tagebuch : »Sonst sprach er viel über seine Vorladung im Prozess Kramář, der ihn sehr beschäftigt und der am 20. stattfindet, weshalb Franz am 18. nach Wien fährt, was ich auch tun werde.«607 Die Zeugenaussage des ehemaligen böhmischen Statthalters war eine Sensation. Einer der Angeklagten, Vincenc Červinka, beschrieb sie in seinen Erinnerungen : »Um 10 Uhr sind die Reihen mit einer großen Anzahl von Spitzenbeamten, hohen Militärs, Wiener Adeligen, Advokaten und sonstigen Zuhörern gut gefüllt. Nach einer Pause betritt mit hoch aufgerichtetem Haupt und mit der üblichen stolzen Körperhaltung, wenn auch leicht auf einen Stock gestützt, Franz Thun, der ehemalige Statthalter des Königreichs Böhmen und ehemalige Ministerpräsident, als Entlastungszeuge den Saal. Er betritt ihn, sieht sich rasch um, verneigt sich zuerst in Richtung der Angeklagten, dann vor dem Gericht, geht noch ein paar Schritte, lächelt dann direkt Dr. Kramář freundlich zu, den er aufgrund seiner beträchtlichen Kurzsichtigkeit offenbar erst jetzt genau erkannt hat, worauf er mit dem Gesicht zum Gerichtshof gewandt, einer Statue gleich, Platz nimmt.«608 Der erste Teil seiner Aussage bezog sich auf Thuns Aufruf vom 9. August 1914, in dem er zur Einstellung der deutsch-tschechischen patriotischen Demonstrationen aufrief. In allen Einzelheiten schilderte Thun den Verlauf der Demonstrationen und legte die Gründe dar, die ihn zur Herausgabe seines Aufrufs veranlasst hatten. Seitens der Anklage sollte gezeigt werden, dass die tschechische Gesinnung österreichfeindlich, staatsfeindlich und illoyal gewesen war, dass der ruhige Verlauf der Mobilmachung »nicht ehrlich« gewesen sei und dass sich ein Wandel vollzogen hätte, wodurch sich das wahre tschechische Antlitz offenbart habe. Der Ankläger verwies auf die Vorfälle, wie sie sich beim Abmarsch einzelner Einheiten zugetragen hatten (Trikoloren und Fahnen in den slawischen Farben, Krawalle, kriegsfeindliche Reden). Thun antwortete, dass es nur natürlich sei, wenn es in einem Land, das von sieben Millionen Menschen bewohnt werde, zu Vorfällen komme, die auch mit übermäßigem Alkohol-
Letztes öffentliches Auftreten : Zeugenaussage zugunsten der tschechischen Hochverräter
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genuss und dem Bildungsgrad zusammenhängen können. Auf die direkte Frage des militärischen Vertreters, ob diese Zwischenfälle nicht Ausdruck des wahren Denkens der tschechischen Nation gewesen seien, antwortete Thun mit Nachdruck : »Ich bin der Anschauung, dass die patriotische Gesinnung der Bevölkerung im Königreich Böhmen eine gute und patriotische ist.«609 Im zweiten Teil seiner Zeugenaussage nahm er zur Rolle von Kramář und Rašín bei der Einsetzung der Landesverwaltungskommission (»Annenpatente«) und bei den deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen Stellung. Den nationalen Ausgleich und die Sanierung der böhmischen Landesfinanzen bezeichnete Thun als vordringliches staatliches Interesse und den Anteil von Kramář und Rašín an diesen Verhandlungen als konstruktive Arbeit in eben diesem staatlichen Interesse. Thun bescheinigte sowohl Kramář wie auch Rašín, überzeugte Anhänger des Gedankens zu sein, dass es in Böhmen zu einem Ausgleich und einer Versöhnung zwischen den Nationalitäten kommen müsse. Angesichts der Tatsache, dass in der Anklageschrift oftmals von Kramářs »zwei Gesichtern«, also vom Verbergen seiner wahren Gesinnung, die Rede war, richtete der Verteidiger an Fürst Thun die Frage nach seiner persönlichen Einschätzung von Kramářs Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit. Thun stellte Kramářs charakterlichen Eigenschaften das beste Zeugnis aus : »Ich war immer fest davon überzeugt, wenn Dr. Kramář seine Zusage gegeben hatte etwas durchzusetzen, dass er seinen ganzen Einfluss geltend machen werde, um es auch durchzusetzen. […] Er hat immer gehalten, was er mir versprochen hat. Über Dr. Kramář habe ich zu keiner Zeit ein schlechtes Urteil gefällt. […] Er hat in mir den Eindruck völliger Wahrhaftigkeit hervorgerufen. Dass er Ansichten hatte, denen ich nicht zugestimmt habe, ist, so wie auch bei anderen Politikern, selbstverständlich.«610 Die lange Aussage des ehemaligen Statthalters war den Angeklagten gegenüber wohlgesinnt, während sie für die Anklage weniger günstig gewesen war. In seinen Erinnerungen beschreibt Vincenc Červinka Thuns Schlussfolgerung vor dem Militärgericht folgendermaßen : »Thun richtete sich auf, noch einmal streifte sein Blick über das ganze Kriegsgericht, wie es vor ihm hinter Tischen auf einem erhöhten Podium saß und verbeugte sich zurückhaltend. Mit einer energischen Drehung wandte er den Militärs den Rücken zu, lächelte freundlich in Richtung der Angeklagten, grüßte Kramář mit einem Kopfnicken und schritt aufrecht aus dem Saal. […] Es ist 12.00 Uhr, die Sensation des Tages ist perfekt, der bis zum Bersten gefüllte Saal leert sich schnell.«611 Der Prozess nahm seinen weiteren Lauf und am 3. Juni 1916 wurden alle vier Angeklagten – Kramář, Rašín, Červinka und Zamazal – zum Tode verurteilt. Jaroslav Thun notierte dazu in sein Tagebuch : »Daß Kramář verurtheilt werden mußte, da der Prozess begon[n]en war, ist klar, ob das Urtheil gerecht scheint, ist mir nicht klar. Justitia fundamentum regnorum ! Der Mann hatte offen und ohne Rückhalt einem an-
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deren Kurs gehuldigt, hat eine andere Aussenpolitik gewürdigt und die Zukunft wird erst lehren, ob nicht er Recht hatte. Ist das Hochverrath ? […] Dass er nicht ›öster reichisch‹ fühlt in unserem Sinne ist klar, welcher Nationale fühlt Österreichisch ! Die fühlen alle nur national, die Deutschen à la tête – und nur weil sich österreichisch momentan mit deutsch deckt, sind sie die einzigen bekannten Patrioten ! Armes Öster reich !«612 Und in einem Brief an seinen kranken Bruder Franz schreibt er mit Bestürzung : »Gott schütze Österreich vor einem Justizmord !«613 Eine unmittelbare Reaktion von Franz Thun auf das vom Militärgericht verkündtete Todesurteil liegt nicht vor, wahrscheinlich deshalb, weil er zu dieser Zeit mit einem Krankheitsschub zu kämpfen hatte. Angesichts seiner bisherigen Haltung kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass er von Kramářs Unschuld überzeugt war und nicht glauben konnte, dass er sich des Hochverrats schuldig gemacht hatte. Eine schriftliche Äußerung von Jaroslav Thun vom 20. November 1916 bestätigt das ausdrücklich. Im Berufungsverfahren bestätigte das Gericht in seiner Sitzung vom 13.– 20. November 1916 das Todesurteil. Jaroslav Thun notierte dazu : »Das hätte Franz furchtbar aufgeregt, er und Stürgkh glaubten beide nicht an Kramářs Schuld !«614 Jaroslav notierte seine Einschätzung in der Verbform des Perfekt, denn zu diesem Zeitpunkt war sein Bruder – ebenso wie Ministerpräsident Stürgkh – bereits verstorben. Eine Amnestie von Kaiser Karl bewahrte schließlich Karel Kramář, Alois Rašín und die anderen zum Tode verurteilten Politiker und tschechischen Patrioten vor der Hinrichtung. Es war Karls Absicht, mit dem Amnestieerlass die Basis für eine Verständigung mit dem tschechischen Volk zu schaffen, weil er der Auffassung war, dass die von der Militärgerichtsbarkeit verhängten Todesurteile nicht gerechtfertigt waren und dass der Hochverrat als nicht erwiesen galt. Bemerkenswerterweise fand genau am 2. Juli 1917, dem Tag des Anmestieerlasses, die Schlacht von Zborów statt, deren Ausgang die Deutschnationalen in ihrer antitschechischen Haltung bestärkte. Vor dem Hintergrund der vorherrschenden antiböhmischen Stimmung wurde nicht zuletzt auch dieser Vorfall von deutschnationalen Politikern zum Anlass genommen, Stimmung gegen die Tschechen zu machen. Auf russischer Seite kämpfte in dieser Schlacht eine aus tschechischen und slowakischen Kriegesgefangenen – und somit ehemaligen Soldaten der k. u. k. Armee – aufgestellte tschechoslowakische Schützenbrigade gegen die aus Böhmen stammenden k. u. k. Infanterieregimenter 35 und 75. Die im Anschluss an den aus österreichischer Sicht glücklosen Verlauf strapazierten Mythen über die angeblichen Desertionen aus den Reihen der beiden österreichischen Infanterieregimenter halten jedoch einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand.615 Einen weiteren Fall bot das angebliche Versagen des Infanterieregiments Nr. 28, des Prager Hausregiments. Dieser Vorfall führte 1915 zwar zu dessen Auflösung, die Einheit wurde aber noch während des Krieges erneut aufgestellt. Während jedoch die
Kampf mit der Krankheit
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Auflösung allgemein bekannt gemacht wurde, blieb die Nachricht von der Wiederaufstellung des Regimentes weithin ungehört. Das personell wie materiell fast völlig ausgeblutet Regiment verteidigte im April 1915 einen beinahe unhaltbaren Frontabschnitt. Im Zuge eines Angriffs wurde es von überlegenen russischen Verbänden eingekreist und aufgerieben. Dabei gerieten übermäßig viele Soldaten in Gefangenschaft, wenngleich auch eine hohe Zahl von Gefallenen zu beklagen war, was als Argument für die Abwehrbereitschaft gewertet werden kann. Dem österreichisch-ungarischen Kriegsministerium wurde jedoch von höchster Stelle über die Desertion des Verbandes berichtet, worauf innerhalb von sehr kurzer Zeit die sofortige Auflösung des Prager Regiments verfügt wurde. Franz Thun teilte seinem Bruder Jaroslav in einem Brief mit, dass er der Nachricht keinen Glauben schenke und hoffe, dass sie sich wieder als Unwahrheit herausstellen würde. Nach der Auflösung hatte sich das bereits auf dem Weg an die Front befindliche XI. Marschbataillon des Regiments hervorragend an der Italienfront bewährt. Franz Thun urteilte darüber lapidar : »Das dort kämpfende Bataillion vom aufgelösten 28. Regiments hat sich mit Ruhm bedeckt. In den oficiellen Verlautbarungen spricht man von allen heldenhaften Truppenkörpern – aber von Böhmen nicht ! Es liegt ein System darin, dass ich tief bedauere.«616 Bereits im Dezember 1915 verfügte Kaiser Franz Joseph die Wiederherstellung des Verbandes. Die Rehabilitierung des IR 28 wurde jedoch nie öffentlich kundgemacht, sodass sowohl in der Historiografie als auch im historischen Gedächtnis nur die Auflösung des Regimentes wegen »Hochverrats und Feigheit vor dem Feinde« bestehen blieb. Die Auseinandersetzung rund um das Verhalten der tschechischen Soldaten wurde auch nach dem Ende des Krieges fortgesetzt. In der Tschechoslowakei wurden die angeblichen Desertionsfälle nunmehr als Widerstandshandlungen der tschechischen Soldaten dargestellt, die durch ihre »revolutionäe Handlung« der Habsburgermonarchie Schaden zugefügt und so zur Entstehung der Tschechoslowakei beigetragen hätten. Diese Art der Darstellung fand rasch Einzug in die deutsche und österreichische Historiographie, sodass bis zum heutigen Tag das angeblich hochverräterische Verhalten der tschechischen Soldaten der k.u.k Armee immer noch als gültige Lehrmeinung angesehen wird, wenngleich die Mythen um die angebliche Desertionen der tschechischen Infanterieregimenter 28 (und auch 25 und 75) keiner wissenschaftlichen Überprufung standhalten. Kampf mit der Krankheit
Im Jänner des dritten Kriegsjahres begab sich Franz Thun nach seinem zweistündigen öffentlichen Auftritt im Kramář-Prozess mit Ernestine erneut zu Professor Deutsch-
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mann nach Hamburg. Er hielt sich dort sechs lange Wochen auf und unterzog sich zwei weiteren Operationen. Die Telegramme und Briefe aus Hamburg sprachen erneut von ihrem Gelingen. Als Franz am 15. oder 16. März 1916 nach Tetschen zurückkehrte, wurde er dort bereits von seinem Bruder erwartet. Jaroslav war vom Gesundheitszustand seines Bruders nach einem so langen Krankenhausaufenthalt und nach zwei Operationen mehr oder weniger angenehm überrascht, wenngleich er um dessen Gebrechlichkeit wusste. Am 18. März 1916 notierte er in sein Tagebuch : »Franz schien sehr erfreut, mich bei seiner Ankunft in Tetschen vorzufinden ! Gott lob war er sehr frisch und wohl, physisch sehr leistungsfähig – die Augen sind entschieden besser, in dem er geradeaus grössere Gegenstände wahrnimmt. Professor Deutschmann versichert, daß es im Laufe der Zeit noch besser werde – an eine völlige Heilung glaubt er allerdings nicht. Das größte Gewicht legte er aber auf grosse Ruhe, auf Vermeidung aller physischen und moralischen Aufregungen, damit sich die schon oft aufgetretenen Zustände nicht wiederholen, die ihn (Prof. D.) mit Sorge erfüllen.«617 Es hat den Anschein, als ob die Sehkraft von Franz Thun nach seiner Rückkehr aus Hamburg für einige Zeit wiederhergestellt gewesen war. Nach den zahlreichen, seiner Frau Ernestine, seiner Tochter Anna oder seinem Bruder Jaroslav diktierten Briefen liegen zwei auf den 27. März und den 4. April datierte Schreiben in seiner eigenen Handschrift vor ! Franz Thuns Freund, der ehemalige Kommandant des Prager Armeekorps, Giesl, war voller Begeisterung, als er einen solchen Brief erhielt – und wertete dies als Hinweis auf die Heilung seines Freundes. Die Dinge lagen jedoch nicht so einfach, wie sich dies General Giesl vorgestellt hatte. Am 9. April 1916 verfasste Thun den ersten Absatz eines Briefes erneut selbst. Auch wenn er sich bemüht haben mag, sind doch gleichzeitig die Schwierigkeiten sichtbar, die er beim Abfassen gehabt hatte, da er zwischen den Zeilen keine Abstände einhielt. Es ging einfach nicht. Die zweite Hälfte des Briefes ist nicht in Thuns Kurrenthandschrift, sondern in den gefälligen Lateinbuchstaben seiner Tochter verfasst.618 Im April erreichten Jaroslav eher schlechte Nachrichten, denn sein Bruder fühlte sich nicht wohl. Am 29. April sandte Ernestine ein alarmierendes Telegramm und darauf folgend einen Brief : Franz hatte während einer Partie Bridge einen h eftigen Anfall erlitten, an dessen Folgen er zwei Tage lang laborierte, da ihm apathische Zustände und Bewusstlosigkeit folgten, auch verlor er die Fähigkeit, zu sprechen.619 Jaroslav wurde nach dieser Nachricht von Hoffnungslosigkeit befallen. Er bat Gott nicht mehr um die Genesung seines Bruders, sondern eher um ein barmherziges Ende : »Aber was ist das für eine trostlose Existenz, was für traurige Aussichten für die Zukunft ! – trotz größter Ruhe kehren diese Anfälle jetzt häufig und immer intensiver wieder ! Gott bewahre nur Franz vor grossem Leiden, nehme ihn lieber zu sich, als ihn vegetieren zu lassen !«620
Im Kurbad Podiebrad
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Anfang Mai 1916 ließ sich Fürst Thun versehen und Jaroslav Thun eilte nach Tetschen. Die ausgesprochene Krise war vorüber, Jaroslav sah allerdings, dass es schlecht um seinen Bruder bestellt war – er war von Müdigkeit gezeichnet, in sich gekehrt, bewegte sich wenig. Jaroslav teilte er mit, dass er bei dem Anfall gedacht habe, sein Ende sei nahe. Im Laufe des Monats Mai kehrte Thuns Energie doch wieder zurück. Jaroslav schrieb er, dass er durch einen Aderlass Erleichterung gefunden habe und dass er sogar seinen Arzt bedrängt habe, diesen Eingriff erneut vorzunehmen. Als Jaroslav Ende Mai nach Tetschen reiste, fand er den Bruder in einer überraschend guten Verfassung vor. Er las ihm so anspruchsvolle Texte wie etwa Schumpeters Erinnerungen und dessen Korrespondenz mit Professor Lammasch vor. Franz Thun empfing später den wirtschaftlichen Direktor seiner Domäne und führte mit ihm ein langes Gespräch ohne dabei zu ermüden. Nur abens ging er um 21.00 Uhr zu Bett.621 Der Juni brachte erneut schlechte Nachrichten. In der Nacht vom 7. auf den 8. befielen Franz starke Kopfschmerzen, er übergab sich, schlief viel und fiel in Apathie. Anfang Juli fuhr Jaroslav erneut nach Tetschen. Er konstatierte, dass er seit seinem letzten, einen Monat zurückliegenden Besuch eine Verschlechterung wahrgenommen habe. Franz Thun war sich seiner ernsten gesundheitlichen Lage bewusst. Wann immer seine Frau den Raum verließ, unterhielt er sich mit Jaroslav über die für sein Begräbnis zu treffenden Vorkehrungen und was nach seinem Tod veranlasst werden sollte. Jaroslav notierte dazu : »Es ist schön und eine wahrhaftige Freude, diesen Mann so ruhig sich auf sein Ende vorbereiten zu sehen.«622 Im Kurbad Podiebrad
Am 3. August 1916 berichtete die Presse, dass Fürst Thun beabsichtige, einen Kuraufenthalt in Podiebrad (Poděbrady) anzutreten. Angesichts seines labilen Gesundheitszustandes der vorangegangenen Monate, als er sich mehrmals in einem kritischen Zustand befunden hatte, war dies eine gewagte Entscheidung. Die Anreise verlief problemlos und bei der Ankunft im Kurort wurden Ovationen auf ihn ausgebracht, was im Grunde einigermaßen seltsam anmutet. Der Krieg wütete bereits im dritten Jahr und die Menschen hatten sich an die tragischen Nachrichten vom Tod ihrer Nächsten gewöhnt. Im Allgemeinen lässt sich feststellen, dass sie über eine nur geringe Neigung verfügten, irgendjemanden oder irgendetwas feiern zu wollen. Man hätte also davon ausgehen können, dass die Ankunft eines gesundheitlich angeschlagenen Mannes, der schon 16 Monaten zuvor von seinem Amt zurückgetreten und der nur mehr ein kränklicher Rentner ohne Macht und Einfluss war, keine übermäßig große Aufmerksamkeit hervorrufe.623 Als der Eilzug vor 16.00 Uhr in den Bahnhof von Podiebrad einfuhr und Thun, seine Frau Ernestine, deren Tochter Anna mit zwei, drei Dienern ausstiegen, war die ganze Stadt auf den Beinen. Sichtlich
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Abb. 74: Franz Thun mit Gemahlin Ernestine und seinem Bruder Jaroslav am 2. September 1916 im Kurbad Podiebrad.
bewegt schrieb Ernestine an Jaroslav, dass die Bürger der Stadt entlang der Straße stünden oder aus den Fenstern blickten und dabei ihre Sympathie zum Ausdruck brachten. Ernestine fügte hinzu : »Dieser Beweiß von Liebe freute Franz.«624 Man hat den Eindruck, als ob die Bewohner von Podiebrad den ehemaligen Statthalter als einen dem tschechischen Volk wohlgesinnten Mann wahrnahmen und dass sie Kenntnis über seinen Konflikt mit den Militärs hatten oder doch zumindest etwas davon ahnten. Wie sonst lassen sich die gänzlich spontanen und nicht im Voraus organisierten Sympathiebekundungen erklären, welche die Einwohner der Stadt dem kranken Rentner entgegenbrachten ? Auch im Hotel Zum König Georg, wo die Familie untergebracht war, wurde ihnen allen offenbar ein freundlicher Empfang zuteil. Ernestine schrieb, dass es geradezu rührend sei, welche Fürsorge man ihnen angedeihen ließ. Thuns einmonatiger Aufenthalt im Kurort Podiebrad stand unter einem wahrlich guten Stern. In aller Ruhe unterzog er sich den vorgeschriebenen Prozeduren, hatte keine Anfälle, machte zahlreiche Spaziergänge durch die Kolonaden und unternahm auf der Elbe einen Ausflug mit einem Motorschiff. Auf den zahlreichen erhaltenen Fotografien vermittelt Franz Thun den Eindruck, ein Kurgast in guter gesundheitlicher Verfassung gewesen zu sein.
Der treueste Österreicher meint : »Österreich wird zu Grunde gehen«
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Abb. 75: Franz Thun mit Gemahlin Ernestine und Tochter Anna im Kurbad Podiebrad, August 1916.
Am 2. September 1916 beging er in Podiebrad seinen 69. Geburtstag. Er erhielt einige Gratulationsschreiben, so auch von Jaroslav, der ihm die Grüße seiner ganzen Familie übermittelte, der aber vor allem persönlich gratulierte, weil »zu Deinem Geburtstage ein Wort inniger Liebe von uns allen, aber ganz besonders von mir, da ich Dir Zeit unseres Lebens so vieles, eigentlich alles, zu danken habe ! Gott vergelte es Dir und segne Dich in Zeit und Ewigkeit.«625 Der treueste Österreicher meint : »Österreich wird zu Grunde gehen«
Am 9. September waren die Thuns wieder zurück in Tetschen. Jaroslav Thun begab sich dorthin und fand seinen Bruder in gutem Zustand vor – er war lebhaft und zeigte Interesse an allen Themen. Er war allerdings auch Zeuge eines hässlichen Vorfalls. Das Militär konnte sich nicht erlauben, den früheren Statthalter, den es als das größte Hindernis für seine Machtübernahme in Böhmen angesehen hatte, festzunehmen und gegen ihn zu ermitteln. Da es sich um einen vom Kaiser vielfach ausgezeichneten Mann handelte, versuchte es, ihm das Leben durch eine niederträchtige Intrige zu verleiden. So wurde Ernestines italienischer Koch Camata festgenommen, angebli-
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Abb. 76: Der italienische Koch von Gräfin Ernestine Thun, ein Opfer der österreichischen Militärjustiz.
Abb. 77: Schloss in Perutz mit der Thun’schen Dienerschaft
Ermordung von Graf Stürgkh
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cher österreichfeindlicher Aussagen beschuldigt und dafür abgeurteilt – es genügte, dass er Italiener war. Der militärische Auditor verhörte das Ehepaar Thun als Zeugen. Es ist bedenklich, wenn ein schwerkranker Mann, den die Ärzte wiederholt davor gewarnt hatten, sich psychischen Belastungen auszusetzen, einer langen Vernehmung ausgesetzt wird. Jaroslav notierte dazu in sein Tagebuch : »Franz war sehr müde, sonst aber scheint es ihm nicht geschadet zu haben – aber tieftraurig war er, weil er nach Rücksprache mit dem Auditor die Überzeugung gewann, daß Camato verurteilt werden wird ohne schuldig zu sein ! Das ganze militär. Spurrthum und die Urteile sind ja überhaupt traurig – u[nd] wenn dem Volk der Glaube an die Rechtsprechung genommen wir, dann fehle alle moralische Basis. Franz sagte ganz mit Recht traurig ›Österreich wird zu Grunde gehen.‹«626 Ermordung von Graf Stürgkh
Am 21. Oktober 1916 ermordete Friedrich Adler, der Sohn des führenden sozialdemokratischen Politikers und Parteiobmanns Viktor Adler, Ministerpräsident Stürgkh. Am 22. Oktober erhielt Jaroslav ein Schreiben, in dem er als »Lieber Onkel !« angesprochen wurde – verfasst von seiner Nichte Anna. Sie schildert darin, welches Entsetzen auf dem Schloss in Tetschen geherrscht hatte, als die Nachricht vom Mord in Wien eingetroffen war. Man fürchtete sich davor, einem kranken Mann – dem die Ärzte die Einhaltung absoluter Ruhe empfohlen hatten – mitzuteilen, welches Schicksal seinen Freund ereilt hatte. Schließlich überbrachte Ernestine ihrem Mann die Hiobsbotschaft. Anna schrieb ihrem Onkel darüber mit einiger Erleichterung : »Gott sei Dank geht es Papa gut. Ich hatte solche Angst, daß diese Nachricht ihm schaden würde.«627 Am darauffolgenden Tag, dem 23. Oktober, teilte Jaroslav seinem Bruder mit, dass er, sobald er vom Bezirkshauptmann die schreckliche Nachricht erhalten hatte, augenblicklich an ihn gedacht hätte, weil er wusste, dass sich Stürgkh ihm gegenüber stets taktvoll und freundschaftlich verhalten und ihn sehr geschätzt habe. »Ein menschlich trauriges Ende für einen so treuen Diener seines Kaisers und Herren, dem wirklich kein Kummer und keine Sorge in seinem hohen Alter erspart bleibt – alles um ihn her[um] verschwindet in Blut ! ! Ein Memento, wie man jede Minute im Leben auf den Tod gefaßt sein muß.«628 Hinscheiden
Der Adressat war nicht mehr in der Lage, Jaroslavs Brief zu lesen. Etwa zur gleichen Zeit, als sein Bruder das Schreiben aus dem mährischen Kwassitz abschickte, speiste Franz in seinem Schloss zu Abend, während ihm Ernestine aus der Zeitung vorlas.
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Abb. 78: Der aufgebahrte Franz Thun.
Mit einem Mal wurde ihm übel : Es folgten heftiges Erbrechen, unruhiger und abgesetzter Atem, der Puls beschleunigte sich und schließlich fiel er in eine tiefe Ohnmacht. Am 24. Oktober erhielt Jaroslav ein Telegramm, in dem er dazu aufgefordert wurde, unverzüglich nach Tetschen zu kommen, wo er am darauf folgenden Tag um 6.00 Uhr morgens ankam. Gemeinsam mit ihm traf auch ein Wiener Professor ein, der allerdings noch am gleichen Tag wieder abreiste – er konnte nicht mehr helfen. Jaroslav betete nun nicht mehr für die baldige Genesung seines Bruders, sondern um einen leichten Tod : »Gott helfe gnädig und lasse ihn nur nicht leiden, wenn es sein muß. Lieber in so einem Zustand von Lethargie zu Dir hinüberführen.«629 Am 28. Oktober 1916 spendete der Vikar Franz die letzte Ölung, der schließlich auch eine Hostie zu sich nahm. Aus Schönbrunn traf ein Telegramm ein. Graf Paar teilte Jaroslav mit, dass Seine Majestät wünschte, über den Gesundheitszustand des Fürsten Thun unterrichtet zu werden. Jaroslavs Tagebucheintrag vom 29. Oktober lautete : »[…] alle Funktionen lassen sehr nach. Es ist ein langsames Scheiden – könnte man dieses schöne Leben doch noch halten – wie Gott will !«630 30. Oktober : »Das Licht erbleicht langsam – die Schwäche nimmt sichtlich zu – Nahrungsaufnahme ganz minimal, nur Löffelweise Milch und Wasser – die rechte Seite scheint gelähmt.«631
Beisetzung
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31. Oktober : »Immer schwächer, grosse wohltuende Ruhe, aber heute gar keine Nahrungsaufnahme – Gott sei ihm gnädig !«632 1. November 1916 : »Erlöst ! Heute früh um 6 ist der liebe Franz ganz sanft verschieden ohne jeglichen Todeskampf ! Ein schöner Tod nach schönem Leben – der Tradition des Hauses treu ein Muster christlichen Lebens und christlicher Tod ! Was ich verloren, ist nicht zu sagen : Bruder, Vater und vor allem treuester Freund und Berater. Gott lohne ihn für alles, was er mir im Leben Gutes getan hat !«633 Wenige Stunden nach seinem Ableben wurde Fürst Thun in seiner Majorsuniform in einen Sarg gelegt und von den nächsten Verwandten zusammen mit den ältesten Bediensteten in die Schlosskapelle gebracht. Er wurde, wie Jaroslav in seinem Tagebuch vermerkte, an der gleichen Stelle aufgebahrt wie 43 Jahre zuvor der Großvater und wie 35 Jahre zuvor der verstorbene Vater. Beisetzung
Am 4. November fuhr um 10.00 Uhr ein Sonderzug in den Bodenbacher Bahnhof ein. Kaiser Franz Joseph I., den nur mehr weniger als drei Wochen von seinem eigene Tod trennen sollten, betraute den böhmischen Statthalter Coudenhove damit, an seiner statt an den Begräbnisfeierlichkeiten teilzunehmen. Dem Sonderzug entstiegen eine Reihe von Ministern, die Statthalter einiger Kronländer sowie weitere hohe Beamte. Um von ihrem Standesgenossen Abschied nehmen zu können, waren auch zahlreiche Vertreter des böhmischen Adels angereist. Auch tschechische Politiker waren gekommen : Jungtschechen, Agrarier, Sozialdemokraten, Vertreter der mährischen und böhmischen Katholiken, viele Bürgermeister böhmischer Städte mit dem Prager Oberbürgermeister Karel Groš an der Spitze. Die große Anteilnahme des böhmischen Hochadels und die im Großen und Ganzen anwesende tschechische Politik standen im Gegensatz zur Absenz von Vertretern der deutschen Politik bzw. von einzelnen deutschen Politikern, vor allem seitens der Reichsrats- und Landtagsabgeordneten. Für die Tschechen war eine Teilnahme am Begräbnis ihres ehemaligen Statthalters nicht nur ein Ausdruck der Sympathie und bot nicht nur die Möglichkeit, ihren Dank gegenüber dem Verstorbenen zu bekunden. Eine Teilnahme war auch als eine gewisse Form des Protests gegenüber jenen Verhältnissen zu verstehen, die nach dem Rückzug Thuns vom Amt des Statthalters im Krieg führenden Österreich um sich gegriffen hatten. Nur wenige der prominenten Begräbnisteilnehmer konnten den Weg zur Thun’schen Gruft mit der Kutsche zurücklegen, da es aufgrund der Kriegssituation bereits schwierig geworden war, eine entsprechene Anzahl von Gespannen bereitzustellen. Glücklicherweise ging kein Regen nieder, und auch wenn es trüb war, begab sich doch ein langer Trauerzug zur Thun’schen Johanniskapelle. Ihr inmitten ruhte, umgeben von
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Abb. 79: Beisetzung von Franz Thun am 4. November 1916
einem Lichtermeer und umringt von einer militärischen Ehrengarde, der Sarg mit den sterblichen Überresten Franz Thuns. In und vor der Kapelle hatte sich eine große Anzahl von Menschen versammelt : Veteranenvereine aus Tetschen und Bodenbach mit Musik und Fahnen, Angestellte aller drei Thun’schen Herrschaften, Staatsbeamte aus Tetschen und Bodenbach mit dem Kreishauptmann an ihrer Spitze, Zollbeamte, Eisenbahner, Lehrer. Die feier liche Aussegnung wurde vom Bischof der Diözese Leitmeritz vorgenommen und Soldaten trugen den Sarg zur Gruft. Umringt wurden sie dabei von den uniformierten fürstlichen Jägern und Waldarbeitern, welche die Kränze hielten. Die Aufschriften auf ihren Bändern waren zum überwiegenen Teil Tschechisch. So hatten etwa jene Städte, deren Ehrenbürger der Verstorbene gewesen war, Kränze geschickt – die königliche Hauptstadt Prag, Smichov, Karlin, Königliche Weinberge, Žižkov, Pilsen [Plzeň], Moldautein [Týn nad Vltavou] und Ungarisch Brod [Uherský Brod]. Unter den Kränzen befand sich auch einer, dessen Band die Aufschrift »National-freisinnige Partei« trug, der also von einer Partei kam, die Franz Thun in der ersten Hälfte der
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1890er Jahre zum Erzfeind auserkoren hatte. Der Sarg des Fürsten Thun fand seinen Platz neben seiner ersten Frau Anna. Der Sonderzug verließ den Bodenbacher Bahnhof um 14.50 Uhr Richtung Prag, während sich 36 Trauergäste, unter ihnen vor allem Verwandte, auf das Tetschener Schloss begaben, wohin sie von der Witwe, Ernestine, und dem Bruder des Verstorbenen, Jaroslav – als neuem Majoratsherrn – zu einem Leichenschmaus geladen worden waren. Reaktionen auf den Tod des Fürsten Thun
Von dem Augenblick an, als die Presse über den Tod von Franz Thun berichtet hatte, traf eine wahre Flut an Beileidsbekundungen in Tetschen ein – zuerst waren es Telegramme, denen weitere Schreiben folgten. Der fürstliche Bibliothekar und Archivar kam der Erfüllung seiner Aufgaben auch nach dem Tod des Majoratsherrn sehr geflissentlich nach. In Thuns Tetschener Nachlass sind insgesamt 769 Kondolenzschreiben und 964 Beileidstelegramme erhalten. Einige waren an die Witwe Ernestine, andere an den neuen Majoratsherrn Jaroslav gerichtet, einige Personen sandten ihre Briefe und Telegramm an beide. Damit wird deutlich, dass Thuns Tod auch zur Zeit eines mörderischen Krieges nicht untergegangen war, als Zehntausende Menschen zugrunde gingen und der Tod zu einer gewohnten Alltäglichkeit geworden war. Die in deutscher Sprache verfassten Kondolenzschreiben stammten von adeligen Standesgenossen des Verstorbenen, auf Deutsch waren aber auch die Beileidsbekun dungen jener deutschen Städte verfasst, die Thun – überwiegend in den 1890er Jahren – die Ehrenbürgerschaft verliehen hatten (Franzensbad, Karlsbad, Sankt Joachimsthal [ Jachýmov], Javorná, Heinrichsgrün [ Jindřichovice], Ostrov, Gossengrün [Krajková], Kaltenbach [Nové Hutě], Rosenthal [Růžodol], Neudeck [Nejdek]). Die Anzahl der Kondolenzschreiben deutscher Politiker nahm sich eher gering aus. Sie hatten beinahe ausschließlich streng formalen Charakter und vermieden es gänzlich, sich über die Person lobend zu äußern und auf die Verdienste des verstorbenen Fürsten in positiver Weise einzugehen. Jenes an die Witwe adressierte Beileidsschreiben, das die weiteste Entfernung zurückgelegt hatte, stammt von Josef Wolf, der dieses in einem Kriegsgefangenenlager im Tomsk verfasst hatte.634 Es ist überraschend, dass der ehemalige Gärtner von Fürstin Ernestine Thun im weit entfernten Sibirien von Thuns Tod erfahren hat und dass sein Schreiben noch beizeiten in das Tetschener Schloss gelangte. Ein erheblicher Teil der Kondolenzschreiben entfällt auf tschechische Politiker, zahlreiche tschechische politische und kulturelle Einrichtungen, öffentlich tätige Personen, Hochschulfunktionäre und im kleineren Umfang auch auf sogenannte Personen des öffentlichen Lebens – Schuldirektoren, Lehrer, Priester, Staats- und
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Landesbeamte, pensionierte Beamte, Vertreter der Kommunal- und Gemeindeverwaltung. Beinahe alle davon beschränkten sich nicht auf eine Beileidsbekundung, sondern erwiesen dem Verstorbenen ihre Huldigung und betonten dessen Verdienste um die tschechische Nation, das Königreich Böhmen, das Reich sowie den Staat. Der Großteil dieser Kondolenzschreiben weist die gleiche Tonart auf, sodass beinahe der Eindruck entsteht, als ob die Würdigung des Verstorbenen koordiniert gewesen war. Der Bund tschechischer Städte im Königreich Böhmen, also eine durchaus repräsentative Institution, sandte an den neuen Majoratsherrn eher einen feierlichen Nekrolog als eine schlichte Beileidsbekundung : »Der durchlauchtigste Fürst erwies sich durch die ganzen langen Jahre Seines öffentlichen Wirkens, das von herausragenden Taten gekennzeichnet war, immer geleitet von ehrenhaftester und lautester Gerechtigkeit sowie vom liebevollen Verständnis für das Recht des tschechischen Volkes als edelmütiger Gönner, mit Rat und Tat für sein Wohl arbeitend. Die allgemeine Hochachtung und die allerinniglichste Dankbarkeit begleiten die in hohen Ämtern entfalteten edlen Bemühungen Seiner Durchlaucht, in welche er durch das Allerhöchste Vertrauen Seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers und Königs wiederholt berufen wurde – und heute im schmerzlichen Bewusstsein, dass das an Reinheit und Gerechtigkeit volle Herz zu schlagen aufgehört hat, ist das Leid über Sein Weggehen allgemein und aufrichtig […], die berühmte Erscheinung Seiner Durchlaucht bleibt durch die unermessliche Hochachtung und Liebe auf den Seiten der böhmischen Geschichte eingeschrieben.«635 Im gleichen Geist gehalten war das Kondolenzschreiben des Präsidiums des Prager Stadtrates, der seine Trauer über den Tod seines Ehrenbürgers zum Ausdruck brachte, den »edelmütigen Herrn und Staatsmann von Weltruf«. Mit Dankbarkeit rühmte das Präsidium dessen »Prag und dem ganzen Königreich erwiesenes Wohlwollen« und »seinen menschlichen Geist, durch den er sich als wahrer Adeliger erwiesen hat.«636 Unterzeichnet war das Schreiben von Karel Groš, der mit dem Verstorbenen, solange er das Amt des böhmischen Statthalters ausübte, tatsächlichen ein gutes Einvernehmen gepflegt hatte. Kondolenzschreiben sandten auch andere Städte, deren Ehrenbürger Fürst Thun gewesen war, sowie zahlreiche weitere böhmische Städte und Gemeinden. Alle erinnerten an seine Verdienste um das tschechische Volk, den Staat, das Reich, um die Dynastie. Er wurde als österreichischer und böhmischer Patriot bezeichnet, als herausragender, gerechter und großer Staatsmann gewürdigt (es findet sich sogar das Attribut »genial«), als edelmütiger Kavalier, als wahrer Adeliger, Gentleman, Verteidiger der tschechischen Nation. Ein Verfasser vertrat sogar die Auffassung, in ihm den Nachfolger von František Palacký und František Ladislav Rieger zu erkennen. Ihr Beileid brachte ebenfalls auch eine überraschend große Anzahl von Einrichtungen aus der »Markgrafschaft«, also aus Mähren, zum Ausdruck. Der Rektor der tschechischen
Reaktionen auf den Tod des Fürsten Thun
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Technischen Hochschule in Brünn vergaß nicht zu erwähnen, dass seine Einrichtung dem Fürsten Thun für ihre Entstehung zu danken habe (die Gründung ging vielleicht auf die letzte Amtshandlung der Regierung Thun vor deren Rücktritt im Jahr 1899 zurück). Mit Beileidsbekundungen, oftmals längeren Umfangs und emotional aufgeladen, hielten sich auch eine Reihe von tschechischen Politikern, Reichsrats- und Landtagsabgeodnete sowie die Führungen der einzelnen Parteien nicht zurück. Die Berichterstattung über das Ableben von Franz Thun nimmt in der Presse einen verhältnismäßig großen Raum ein. Der fürstliche Archivar sammelte die Nekrologe über den Tetschener Majoratsherrn sehr sorgältig ; deren Umfang beläuft sich auf imposante 397 Einträge.637 Auch wenn man in Betracht zieht, dass die großen Zeitungen die Nachrufe auf oder die Nachricht über Thuns Tod bzw. Begräbnis mehrmals (nämlich in den Morgen-, Nachmittags- und Abendausgaben) brachten, handelt es sich doch um eine überraschend hohe Zahl. Einerseits ermöglicht dies Aufschlüsse über die Verbreitung der Presse in der Habsburgermonarchie, andererseits darüber, dass der Tod eines pensionierten Politikers nicht einmal während des Krieges unbeachtet blieb. Die unterschiedliche Darstellungsweise in der deutschen und der tschechischen Presse ist jedoch evident. Die Nachrufe in den deutschen Blättern sind reserviert und dem verstorbenen Politiker gegenüber oftmals kritisch. Jener Beitrag, der in der »großdeutschen« Ostdeutschen Rundschau erschien, und der von einer Reihe deutscher Regionalzeitungen nachgedruckt wurde, stellt Franz Thun beinahe schon hasserfüllt als »Feind des Deutschtums« dar : »Fürst Thun ist gestorben. Jetzt ist er endgültig zurückgetreten und das ist eine politische Sache von Bedeutung. Solange Fürst Thun nicht für immer die Augen schloß, war mit seinem Wiedererscheinen zu rechnen und das hatten die Deutschen in diesem Reiche zu fürchten. Als Deutscher von Geburt berufen, Anwalt der deutschen Sache in diesem Staate zu sein, sah er die politische Aufgabe seines Lebens darin, den Slaven zu Gefallen tätig zu sein. […] Fürst Thun war kein Freund der Deutschen. […] Ein offener Bekenner slavischen Volkstums wäre den Deutschen weniger gefährlich geworden als es Thun war.«638 Im Gegensatz dazu sind die in den tschechischen Zeitungen erschienen Nachrufe in keinem derart gehässigen Ton gehalten. Die Národní listy – eine Tageszeitung, welche den damaligen »Ausnahmestatthalter« in der ersten Hälfte der 1890er Jahre derart heftig attackiert und welches Thun in seiner privaten Korrespondenz als »Saublatt« bezeichnete, hatte am 2. November 1916 für den verstorbenen Fürsten nur Worte der Bewunderung, des Lobes und auch etwas an liebevoller Zuneigung übrig : »Im Tetschener Schloss starb ein großer böhmischer Patriot. Seine hohe, wahrlich erhabene aristokratische Gestalt wird in unserem königlichen Prag nicht mehr zu sehen sein, einer Stadt, die er als das Haupt seiner Heimat liebte und die er als Herz und Hirn der ganzen Nation kannte und würdigte. […] Auf dem Tetschener Schloss, das auf
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Von der Demission zu den letzten Dingen
einem hohen, steil aufragenden Felsen thront, und seine ganze Umgebung überragt, verstarb ein starker Adeliger, der mit ganzem Wesen seinem Kaiser ergeben war, ein Österreicher von makelloser Art, inniglich und treu sein heimatliches Land liebend. Er war der unerschütterliche Verteidiger und allerbeste Freund der tschechischen Nation, dessen energischer, überzeugter und anerkannter Fürsprecher […]. Seit seiner Jugend, gleich am Beginn seines politischen Wirkens, wusste er, wo sein Platz ist und wohin er gehört : dorthin, wohin sein ganzes Geschlecht wandelte und überhaupt alle jene aus den Reihen des Adels, die durchdrungen waren und durchdrungen sind von der unwiderlegbaren Überzeugung der Integrität des Reiches und ihrer lebenswichtigen Verbindung mit der Dynastie, gleichzeitig jedoch von der Unveräußerlichkeit, der rechtlichen Gültigkeit und der Lebensberechtigung des Staatsrechts der böhmischen Krone. In diesem dreieinigen und gleichzeitg jedoch einigen ideellen Ganzen liegt die Quintessenz der tiefen Überzeugung Thuns. […] Geist und Herz waren auf zweifache Weise von dieser Idee durchdrungen : durch den tiefen religiösen Glauben und aufgrund der staatsrechtlichen Überzeugung für das grundsätzliche Verfassungsrecht der böhmischen Krone und seines Volkes in all seinen Gebieten ohne Unterschied der Nationalität. […] Wir fühlen, dass ein Patriot von uns gegangen ist, wir wissen, dass ein Herz zu schlagen aufgehört hat, das zum Wohl des Staates ebenso wie für das Wohl der böhmischen Länder und für eine bessere Zukunft unseres Volkes geschlagen hat. In tiefer, reiner Dankbarkeit treten wir an seinen Sarg heran, in die kalt gewordenen Hände des adeligen Magnaten legen wir eine Rose der Anhänglichkeit und aus tiefstem Herzen danken wir ihm inniglich für all das Gute und Edle, das er für unser kleines, überbordend geprüftes, allerdings mannhaft bewusstes Volk geleistet und durchgemacht hat.«639 Gezählt, gewogen …
Der Kaiser sandte ein Beileidstelegramm nach Tetschen – er gedachte darin der »vortrefflichen Dienste, die der Verstorbene auf ergebenste Weise Mir und dem Staat erwiesen« hatte. Zwanzig Tage später sollte auch Franz Joseph der Tod ereilen. Schon einige zeitgenössische Kommentatoren hatten den Eindruck, dass zwischen dem Ableben Thuns und dem Tod des Kaisers ein bemerkenswerter Zusammenhang bestand. Vielleicht nicht in dem Sinn, dass es möglich wäre, den einen Todesfall, als dessen Folge ein neuer Throninhaber an der Spitze des Staates stehen sollte, mit dem anderen zu vergleichen, nämlich dem Hinscheiden eines kranken Mannes im Tetschener Schloss, der bereits seit März 1915 sein Amt zurückgelegt und der aktiven Politik den Rücken gekehrt hatte. Der Zusammenhang ist ein anderer. Eine zeitgenössische, wenn auch nicht besonders gut geratene Anekdote hat ein Gespräch zwischen den
Gezählt, gewogen …
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»beiden letzten Österreichern« Franz Joseph und Franz Thun zum Thema. Es ist so gemeint, dass der Kaiser und der Tetschener Majoratsherr die letzten waren, die der Idee eines selbstständigen und – heute würde man sagen – multinationalen oder multikulturellen Österreich anhingen, die letzten, die noch nicht von der Flut des Nationalismus hinfortgespült worden waren. Die Anekdote vereinfacht die Standpunkte : Thuns »Österreichertum« stand auf einer anderen, intellektuellen Basis und war von einer anderen Qualität als das »Österreichertum« von Franz Joseph. Der Kaiser wollte seine eigene Machtposition und die seiner Dynastie erhalten, weshalb er dem Nationalismus ablehnend gegenüberstand, vor allem dann, wenn er die Einheit der Armee und die gemeinsame Außenpolitik der Monarchie bedrohte. Im Gegensatz dazu formulierte Franz Thun expressis verbis die von ihm oftmals wiederholte These, dass sich zwei so hoch entwickelte Nationen wie die Tschechen und die Deutschen im schönen und reichen Königreich Böhmen einfach einigen mussten – in ihrem eigenen Interesse, im Interesse des Reiches, im Interesse einer ruhigen und zivilisatorischen Entwicklung. Aus einiger Distanz betrachtet war es aus den Reihen der böhmisch-aristokratischen Politiker gerade er, der sich der Idealvorstellung eines böhmischen Aristokraten, eines österreichischen Patrioten und eines Landespatrioten am meisten annäherte, der weder auf der tschechischen noch auf der deutschen Seite stand, dessen Anliegen es war, dass der böhmische Adel im deutsch-tschechischen Nationalitätenkampf, von dem das Land Böhmen heimgesucht wurde, gewissermaßen die neutrale Rolle eines Schiedsrichters einnehmen sollte. Thun betrachtete den Abschluss des deutsch-tschechischen Ausgleichs in Böhmen als sein Lebenswerk, geradezu als Motiv seines politischen Wirkens. Er war davon überzeugt, dass es in einem von zwei Nationalitäten geteilten Land keine andere Lösung als die auf einer rationalen Basis getroffene Vereinbarung eben zwischen diesen beiden Nationalitäten geben könne. Freilich lässt sich nicht mit letzter Gewissheit die Behauptung aufstellen, dass sich die Habsburgermonarchie nicht in das zerstörerische Feuer des Weltkrieges gestürzt und die Weltgeschichte einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn es dem böhmischen Statthalter gelungen wäre, sein Werk eines deutsch-tschechischen Ausgleichs zur Vollendung zu bringen. Ebenso lässt sich nicht der Nachweis erbringen, dass Thuns Misserfolg, die deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen zu einem Abschluss zu bringen, gleichbedeutend war mit einer »Weichenstellung«, welche in weiterer Folge zu einem Ende des Zusammenlebens von Deutschen und Tschechen geführt hat.
Epilog der Übersetzer Die Originalversion der vorliegenden Monographie von Jan Galandauer richtet sich an ein mit dem tschechischen historischen und kulturellen Kontext vertrautes Lese publikum. Die nähere Vertiefung mancher Zusammenhänge wie etwa biographische Hinweise oder die Hervorhebung der für den späteren Verlauf der böhmischen bzw. tschechoslowakischen Geschichte als bedeutsam zu erachtenden historischen Ereignisse würden diesem Leserkreis bisweilen als unpassend, wenn nicht sogar als überflüssig erscheinen. Es handelt sich dabei jedoch um Anmerkungen, die sich einer deutschsprachigen Leserschaft nicht im vollen Umfang erschließen müssen. Um der deutschsprachigen Leserin bzw. dem deutschsprachigen Leser ein besseres Verständnis all jener möglicherweise strittigen Zusammenhänge zu gewährleisten und um die historische Kontextualisierung zu erleichtern, wurde der vorliegende Text daher gegenüber der tschechischsprachigen Originalausgabe in einigen wenigen Bereichen erweitert bzw. abgeändert. Zur Entstehung der vorliegenden Publikation hat in besonderer Weise das Archiv in Tetschen (wir danken Herrn Otto Chmelík) beigetragen, welches die zitierten Originaldokumente wie Briefe oder Tagebucheintragungen als Abschriften bzw. in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat. Deren orthographische Form wurde vorwiegend beibehalten, inhaltliche Erläuterungen bzw. Ergänzungen wurden nur sparsam eingebracht, vor allem aber dort, wo es für das allgemeine Verständnis und zur Verbesserung der Lesbarkeit als sinnvoll erachtet wurde.
Anmerkungen 1 Hana Slavíčková : Portrétní galerie Thun-Hohensteinů. Katalog výstavy v Okresním muzeu Děčín, červen-září 1998. Okresní muzeum Děčín. Státní oblastní archiv Litoměřice, pobočka Děčín [Porträtgalerie Thun-Hohenstein. Katalog zur Ausstellung im Regionalmuseum Tetschen, Juni–September 1998. Regionalmuseum Tetschen. Staatliches Gebietsarchiv Leitmeritz, Abteilung Tetschen]. Děčín 1998, S. 10–14. 2 Zdeněk Bezecný : Příliš uzavřená společnost. Orličtí Schwarzenbergové a šlechtická společnost v Čechách v druhé polovině 19. a na počátku 20. století ���������������������������������������������������� [Eine überaus geschlossene Gesellschaft. Die Schwarzenberg aus Worlik und die adelige Gesellschaft Böhmens in der zweiten Hälfte des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts]. České Budějovice 2005, S. 28–29. 3 Slavíčková : Portrétní galerie, I. Původ a postavení rodu, rodové větve [I. Ursprung und Stellung des Geschlechts, Familienzweige], S. 5f. 4 Bezecný : Příliš uzavřená společnost, S. 27. 5 Svěřenský velkostatek Děčín 1891. Od nastoupení J. Exc. pana hraběte Františka Antonína z ThunHohensteinu až podnes. R. 1808–1890 [Fideigroßgrundbesitz Tetschen 1891. Vom Antritt Sr. Exc. des Herrn Grafen Franz Anton von Thun-Hohenstein bis heute. 1808–1891]. 6 Jan Havránek (Red.) : Dějiny Univerzity Karlovy [Geschichte der Karlsuniversität]. III. 1802–1918. Praha 1997, S. 100f. 7 Natálie Belisová : Příběh Jánské kaple aneb Duše Chrástu [Die Geschichte der Johanneskapelle oder die Seele von Chrást]. Děčín 2003, S. 258–260. 8 Erinnerungen aus meinem Leben. Für meine lieben Kinder theils dictiert, theils niedergeschrieben von Gräfin Leopoldine Thun geb. Gräfin Lamberg. Begonnen 1888, beendet 1892. 9 Janne Nokki : Old and New Perspectives for the Nobility in the Habsburger Monarchy : The Case of Count Friedrich Thun-Hohenstein. Tampere/Amsterdam 2006. Vgl. dazu : http ://www2.iisg.nl/esshc/ programme9606.asp ?selyear=8&pap=4606, abgerufen am 04.07.2012. 10 Otto von Bismarck : Dokumente seines Lebens 1815–1898. Leipzig 1986, S. 113. 11 Leopoldine Thun : Erinnerungen, S. 59–60. 12 Leopoldine Thun : Erinnerungen, S. 86–87. 13 Ebenda, S. 54–55. 14 Ebenda, S. 22. 15 Rodinný archiv Thun-Hohensteinů – RAT [Familienarchiv Thun-Hohenstein], A 3 XXIII, Nr. 1, Atestato gymnasiale, scolare della Prima Classe del Gymnasio Liceale J. R. di Verona, dell amo 1857. 16 Leopoldine Thun : Erinnerungen, S. 127. 17 RAT, A 3 XXIII, Nr. 1, Gymnasiale Zeugnisse des Franz Thun 1856–1864. 18 RAT, A 3 XXIII, Nr. 3. 19 Ebenda. 20 RAT, A 3 XXIII/a, Nr. 3, Ernennungsdekret, 13.01.1871. 21 Milan Novák : Das Dragonerregiment FM Alfred Fürst zu Windisch-Graetz Nr. 14 und seine ruhmreiche Geschichte mit besonderem Augenmerk auf die Stadt Brandýs nad Labem - Stará Boleslav. Brandýs nad Labem 2005. 22 RAT, A 3 XXIII, Nr. 4, Diverse Manöver.
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Anmerkungen
23 Ebenda. 24 Ebenda. 25 RAT, A 3 XXIII, Nr. 3, Militärische Ernennungsdekrete des Franz Grafen Thun 1871–1898. 26 Vgl. dazu die Publikation von Natálie Belisová : Příběh Jánské kaple. 27 Ebenda, S. 299–300. 28 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch Jaroslav Thun [weiterhin : JT], Ergänzungen. 29 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief von Franz Thun [weiterhin : FT] an A. Schwarzenberg. 30 Ebenda. 31 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Ergänzungen. 32 Beispielsweise in einem Brief vom 20.08.1878 berichtet FT an seinen Schwiegervater K. Schwarzenberg über den Kauf von Zuchtschafen in Halle, in : RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 38. 33 RAT, A 3 XXIII/g, Nr. 162, Vermählung Seiner k. u. k. Hoheit des Durchlauchtigsten Kronprinzen und Thronfolgers Erzherzog Rudolf mit Ihrer kgl. Hoheit der Durchlauchtigsten Frau Prinzessin Stephanie von Belgien, Herzogin zu Sachsen am 10. Mai 1881 in der Hofkirche bei St. Augustin in Wien, 28 Beilagen. 34 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 19.09.1881. 35 Belisová : Příběh Jánské kaple, S. 299–302. 36 Bezecný : Příliš uzavřená společnost, S. 104–110, IV. 2. Šlechtická zábava [Adeliges Vergnügen], IV. 2.1. Cestování [Reisen]. 37 Leopoldine Thun : Erinnerungen, S. 178. 38 RAT, A 3 XXIII, Nr. 5, Blg. 1. 39 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 38, Brief v. FT an K. Schwarzenberg, 07.09.1883. 40 Fr. Graf Th. H.: Eine Orient-Reise. Prag-Leipzig-Wien 1891 [weiterhin : Orient-Reise]. 41 Neue Freie Presse, 19.09.1891, Feuilleton, Eine Orient-Reise. 42 Orient-Reise, S. III. 43 RAT, A 3 XXIII, Nr. 8, Tagebuch, Eigenhändig geschrieben von Graf Franz Thun und Herbarium der Frau Gemahlin Gräfin Anna Thun. 44 RAT, A 3 XXIII, C I/XIV, Nr. 326. 45 Orient-Reise, S. 39f. 46 Ebenda, S. 67. 47 Ebenda, S. 116. 48 Ebenda, S. 138. 49 Ebenda, S. 198. 50 Ebenda, S. 218. 51 Ebenda, S. 191. 52 Ebenda, S. 241. 53 Ebenda, S. 234f. 54 RAT, A 3 XXIII, Nr. 7, Zeitungsstimmen über den erschienenen Band. 55 RAT, A 3 XXIII/c, Nr. 54, Reichsraths-Wahl 1879. 56 Ebenda, Wähler des Reichsraths-Wahlbezirkes für die Landgemeinde der Gerichtsbezirke Tetschen, Bensen, Böhmisch-Kamnitz, Rumburg, Warnsdorf, Zwickau, Schluckenau, Hainspach. 57 Ebenda. 58 RAT, A 3 XXIII, H I/b, M 353, Brief v. K. Mattuš an FT, 21.11.1915, Prag ; A 3 XXIII, H I/a, Nr. 5, Brief v. FT an K. Mattuš, 04.12.1915. 59 Robert Sak : Rieger : Příběh Čecha devatenáctého věku [Rieger : Die Geschichte eines Tschechen im 19. Jahrhundert]. Semily 1993, S. 265–269.
Anmerkungen
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60 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 11.11.1881. 61 Ebenda, 11.11.1883. 62 Ebenda, 07.11.1886. 63 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 23.11.1886. 64 Bericht des Budgetauschusses der Delegation des Reichsrathes über den Voranschlag des gemeinsamen Ministerium des Äußeren für das Jahr 1886, Graf Falkenhayn, Obmann, Franz Graf Thun, Berichterstatter. 65 Lidové noviny, 05.11.1916, Za knížetem Thunem. Časové vzpomínky [Nachruf auf Fürst Thun. Zeitgemäße Erinnerungen]. Dr. Adolf Stránský I. 66 Otto Urban : Česká společnost 1848–1918 [Die tschechische Gesellschaft 1848–1918]. Praha 1982, S. 359. 67 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT, 13.08.1883. 68 RAT, A 3 XXIII/c, Nr. 60. 69 Torfstreu und deren Vortheile für die Landwirtschaft. Bericht erstattet im Landes-Culturrathe für das Königreich Böhmen von Grafen Franz Thun-Hohenstein, Prag 1886. 70 Bericht des Landescultur-Ausschusses betreffend die beabsichtigte Vorlage von Gesetzen, Prag 1887. 71 ����������������������������������������������������������������������������������������������������� Adolf Srb : Politické dějiny národa českého od roku 1861. Díl I : Až do nastoupení ministerstva Badeniho r. 1895 [Politische Geschichte des tschechischen Volkes seit dem Jahre 1861. Teil I : Bis zum Beginn des Ministeriums Badeni]. Praha 1899, S. 797. 72 Bohemia, 05.10.1888 ; Národní listy, Beilage zur Nr. 278 vom 06.10.1888, Sněm království českého [Landtag des Königreichs Böhmen] ; http ://www.psp.cz/eknih/1883skc/6/stenprot/013schuz/s013002. htm, http ://www.psp.cz/eknih/1883skc/6/stenprot/013schuz/s013003.htm. 73 Ebenda. 74 Ebenda. 75 Ebenda. 76 Neue Freie Presse, 06.10.1888 ; Bohemia, 06.10.1888. 77 Národní listy, 09.10.1888, Brojení zpátečníků proti učitelstvu národnímu [Reaktionäre Hetze gegen die nationale Lehrerschaft]. 78 Bezecný : Příliš uzavřená společnost, S. 101–103. 79 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 25.05.1889. 80 RAT, A3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 14.03.1889. 81 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 26.06.1889. 82 Arthur Skedl (Hgr.) : Der politische Nachlaß des Grafen Eduard Taaffe. Wien-Berlin - Leipzig-München 1922, S. 420–428. 83 Zitiert nach : Zdeněk Tobolka (Hg.) : Josef Kaizl : Z mého života [Aus meinem Leben]. I-III. Praha 1909–1914, hier : II, S. 553. 84 RAT, A 3 XXIII, Nr. 180, 24.08.1889. 85 RAT, A 3 XXIII, Nr. 182, 06.09.1889. 86 RAT, A 3 XXIV, 17a, Dokument mit Briefkopf »K. K. Statthalterei in Böhmen«. 87 RAT, A 3 XXIV, Nr. 24, Brief v. JT an seine Schwägerin Anna, 11.09.1889. 88 Das Vaterland, 08.09.1889, Der neue Statthalter von Böhmen. Die Mehrzahl der 140 Glückwunschtelegramme zur Ernennung von F. Thun zum Statthalter stammt aus konservativen Kreisen. 89 Vgl. dazu die ausführlichste und neueste Arbeit über die Entwicklung der Jungtschechischen Partei zu dieser Zeit, die Dissertation von Luboš Velek : Národní strana svobodomyslná (mladočeská) 1889–1907. Příspěvek k dějinám politického stranictví v habsburské monarchii v období procesu politické modernizace [Die Freisinnige (jungtschechische) Nationalpartei 1889–1907. Beitrag zur Geschichte des politischen Parteiwesens in der Habsburgermonarchie zur Zeit des politischen Modernisierungsprozesses]. I–II. Dissertation, Praha 2004.
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Anmerkungen
90 Skedl : Taaffe, S. 465. 91 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 559, New-Yorker Staats-Zeitung, 21.09.1889. 92 Jan Havránek : Počátky a kořeny pokrokového hnutí studentského na počátku devadesátých let 19. století [Beginn und Ursprung der fortschrittlichen Studentenbewegung am Beginn der 1890er Jahre], in : Acta Universitatis Carolinae - Historia Universitatis Carolinae Pragensis. II/1, 1961, S. 15–16 ; RAT, A 3 XXIII, C I/I, Nr. 190, Bericht des Statthalters Franz Graf Thun an den Ministerpräsidenten über den Studentenverein Jungmann, Einstellung der Thätigkeit des Akad. Vereins. 93 Ebenda. 94 Srb : Politické dějiny, S. 76. 95 Jakub Arbes : J. Ex. hrabě Thun z Hohensteina c. k. místodržící v království Českém. Kritika úřadní činnosti Jeho Excellence (Hrabě Fr. Thun jako zástupce c. k. vlády ve sněmu král. Českého roku 1889) [Seine Exzellenz Graf von Thun-Hohenstein. K.k. Statthalter im Königreich Böhmen. Kritik an der Amtsführung seiner Exzellenz (Graf Fr. Thun als Vertreter der k.k. Regierung im Landtag des Königreichs Böhmen des Jahres 1889)]. Praha 1895, S. 117–120. 96 Skedl : Taaffe, S. 452–455, Korrespondenz über die Landtagsverhandlungen. 97 RAT, A 3 XXIII, C I/I, Nr. 188, Briefkonzept v. FT an E. Taaffe, 10.11.1889. 98 Ebenda. 99 Skedl : Taaffe, S. 467, Telegramm (teilweise chiffriert). 100 Skedl : Taaffe, S. 476–477, Brief v. E. Taaffe, 27.01.1890. 101 Karel Kazbunda : Krize české politiky a vídeňská jednání o tzv. punktace r. 1890 [Die Krise der tschechischen Politik und die Wiener Verhandlungen über die sogenannten Punktationen im Jahr 1890], in : Český časopis historický, 40 (1934), S. 80–108, 310–346, 491–528 ; 41 (1935), S. 41–82, 294–320, 514–554. 102 Skedl : Taaffe, S. 468–474, a/ Gratulationen und Zustimmungen zu den Ausgleichspunktationen. 103 Skedl : Taaffe, S. 474–475, b/ Nichtbeziehung des Grafen Thun zu den Ausgleichsverhandlungen. 104 RAT, A 3 XXIII, C I/VI, Nr. 289 und 298. 105 František Kolář/Milan Hlavačka : Jubilejní výstava 1891 [ Jubiläumsausstellung 1891], in : Slovo k historii, 28 (1991), S. 18. 106 Vgl. Hans Lemberg : Zrádce či průkopník porozumění ? Pražský politik a pedagog Josef Heinrich (1837–1908) [Verräter oder Vorkämpfer für die Verständigung ? Der Prager Politiker und Pädagoge Josef Heinrich], in : Hans Lemberg : Porozumění – Češi, Němci, východní Evropa 1848–1948 [Verständnis – Tschechen, Deutsche, Osteuropa 1848–1948]. Praha 1999, S. 188–204. 107 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 01.12.1890, Prag. 108 Skedl : Taaffe, S. 578, Der Königspavilon in der Prager Landesaustellung, 13.05.1891, chiffriert und expediert. 109 Skedl : Taaffe, S. 578, 13.05.1891. Auf der Rückseite des Telegramms der Vermerk des Ministerpräsidenten : Von Seiner Majestät eingesehen 15. Mai 1891. 110 Venkov, 18.11.1916. 111 Skedl : Taaffe, S. 582–583. 112 Ebenda. 113 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 07.06.1891. 114 RAT, A 3 XXIII, C I/XVIII, Telegraphische Anfragen über das Befinden des erkrankten Statthalters Graf Franz Thun. 115 Skedl : Taaffe, S. 583–584. 116 Ebenda, S. 584–588. 117 Ebenda, S. 591–593, Brief des Austellungspräsidenten Grafen Zedwitz.
Anmerkungen
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118 Ebenda, S. 594–595, Panslavistische Demonstrationen. 119 Ebenda, S. 595–599, Dienstschreiben des Statthalters Graf Thun an Ministerpräsident Taaffe, 28.06.1891. 120 Ebenda. 121 Ebenda, S. 600–601. 122 Ebenda, S. 603–607, Eigenhändige Randbemerkungen des Kaisers zu einem Schreiben des Grafen Thun. 123 Ebenda, S. 604–605. 124 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 31.07.1891. 125 Ebenda. 126 Skedl : Taaffe, S. 611. 127 Ebenda, S. 615. 128 Ebenda. Rund um das Versprechen von Julius Grégr, in der Národní listy nicht über die Ankunft der »slawischen Gäste« zu berichten und die angebliche Aussage des Statthalters, dass »der Tscheche entweder ein Flegel ist, oder einem die Hand küsst«, und deren Veröffentlichung, entspann sich die sogenannte »Polter-Affäre«, über die viel geschrieben wurde. Vgl. dazu vor allem : Martin Kučera : Bratři Grégrové a mladočeši v letech zrodu moderního českého stranictví (1889–1895) [Die Gebrüder Grégr und die Jungtschechen in den Jahren der Entstehung des modernen tschechischen Parteiwesens], in : Pavla Vošahlíková/Milan Řepa (Red.) : Bratři Grégrové a česká společnost v druhé polovině 19. století [Die Gebrüder Grégr und die tschechische Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts]. Praha 1997, S. 87–127. Zumindest in dieser Affäre spielt die Aussage von Graf Thun eine Hauptrolle. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass er sie – zumindestens in dieser Form – auch tatsächlich getroffen hat. 129 Skedl : Taaffe, S. 616. 130 Ebenda. 131 Ebenda. 132 Ebenda, S. 623–624. 133 Ebenda, S. 624. 134 Ebenda, S. 625. 135 RAT, A 3 XXIII, Nr. 289, Brief v. FT an E. Taaffe. 136 Skedl : Taaffe, Brief v. FT, 15.08.1891. 137 RAT, A 3 XXIII, Nr. 289, Konzept, 16.08.1891. 138 Skedl : Taaffe, S. 639. 139 Ebenda, S. 642–643, Das gefürchtete Erscheinen des Generals Ingatiew in Prag. 140 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 19.08.1891. 141 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 23.08.1891. 142 Skedl : Taaffe, S. 640, Brief des Prager Polizeidirektors v. Stejskal, 26.08.1891. 143 Ebenda, S. 641–642, Brief an Polizeidirektor Hofrat v. Stejskal. 144 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 26.08.1891. 145 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 27.09.1891, Prag. 146 Brigitte Hamann (Hg. und kommentiert) : Meine liebe gute Freundin ! Die Briefe Kaiser Franz J osephs an Katharina Schratt aus dem Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek. Wien 1992, S. 254f. 147 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 17.12.1891. 148 RAT, A 3 XXIII, C I/I, Nr. 205, Abschrift eines eigenhändigen Berichtes des Statthalters Franz Graf Thun an den Minister des Innern über die Parteiverhältnisse im Landtag. 149 Ebenda.
364
Anmerkungen
150 Ebenda. 151 Ebenda. 152 Stenographischer Bericht über die XVIII. Sitzung der IV. Jahressession des böhmischen Landtages v. Jahre 1889, 06.05.1893, S. 639. 153 Ebenda, S. 644–646. 154 Ebenda, S. 645. 155 Ebenda. 156 Velek : Národní strana, S. 376–377. 157 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 08.05.1893. 158 Jan Havránek : Protirakouské hnutí dělnické mládeže a studentů a události roku 1893 [Antiösterreichische Bewegung von Arbeitern, Jugend und Studenten sowie die Ereignisse des Jahres 1893], in : Acta Universitatis Carolinae, Historia Universitatis Carolinae Pragensis, 1961, Tom. II, Fasc. 2, S. 21–85. 159 Ebenda, S. 38–39. 160 Stenographischer Bericht über die XVIII. Sitzung der IV. Jahressession des böhmischen Landtages v. Jahre 1889, 15.05.1893, S. 876–877. 161 Ebenda, S. 883–886. 162 Prager Tagblatt, 02.11.1916, Eine Erinnerung. 163 Havránek : Protirakouské hnutí, S. 45. 164 Kaizl : Z mého života. III, S. 216. 165 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 08.07.1893. 166 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 4, Briefkonzept FT an Franz Ferdinand, 12.08.1893. 167 Havránek : Protirakouské hnutí, S. 54–71. 168 Jiří Pernes : Spiklenci proti Jeho Veličenstvu. Historie tzv. spiknutí Omladiny v Čechách [Verschwörer gegen seine Hoheit. Geschichte des sogenannten Komplotts der Omladina in Böhmen]. Praha 1988, S. 214–217. 169 Ebenda. 170 Havránek : Protirakouské hnutí, S. 74. 171 Ebenda. 172 Ebenda. 173 Ebenda. 174 Velek : Národní strana. I, S. 382. 175 Havránek : Protirakouské hnutí, S. 79–80. 176 Velek : Národní strana. I, S. 383. 177 Stenographischer Bericht über die XXVI. Sitzung der VI. Jahressession des böhmischen Landtages v. Jahre 1889, 13.02.1895, S. 864. 178 RAT, A 3 XXIV, 17a, FT an seine Frau Anna, 16.09.1893. 179 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 20.09.1893. 180 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 23.09.1893. 181 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 22.09.1893, Maxdorf. 182 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 18.10.1893. 183 Urban : Česká společnost, S. 425. 184 Lothart Höbelt : Die Konservativen Alt-Österreichs 1848 bis 1918 : Parteien und Politik, in : Robert Rill/Ulrich E. Zellenberg (Hg.) : Konservativismus in Österreich. Strömungen-Ideen-Personen und Vereinigungen von den Anfängen bis heute. Graz-Stuttgart 1999, S. 109–151, hier : S. 134. 185 RAT, A 3 XXIII, C I/IV, Nr. 276, Brief v. FT, 24.02.1894. 186 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 03.11.1893.
Anmerkungen
365
187 Ebenda, Eintrag v. 11.11.1893. 188 Havránek : Protirakouské hnutí, S. 78 ; Pernes : Spiklenci, S. 242–244 ; A. P. Veselý : Omladina a pokrokové hnutí [Die Omladina und die Fortschrittsbewegung]. Praha 1902, S. 251–307. 189 RAT, A 3 XXIII, C I/IV, Nr. 276, Abschrift eines Briefes an Seine Durchlaucht den Herrn Ministerpräsidenten Fürst Windischgrätz vom 29.01.1894. 190 Ebenda. 191 Stenographischer Bericht über die XXVI. Sitzung der VI. Jahressession des böhmischen Landtages v. Jahre 1889, 13.02.1895, S. 866–867. 192 Zitate übernommen aus Arbes :Thun, S. 186–193. 193 Stenographischer Bericht über die XXVI. Sitzung der VI. Jahressession des böhmischen Landtages v. Jahre 1889, 13.02.1895, S. 862. 194 Ebenda. 195 Wiener Tagblatt, 13.02.1895. 196 Stenographischer Bericht über die XXVI. Sitzung der VI. Jahressession des böhmischen Landtages v. Jahre 1889, 13.02.1895, S. 864. 197 Ebenda, S. 865–866. 198 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 14.02.1895. 199 RAT, A 3 XXIII, Nr. 290, Brief v. Graf F. Lemberg, 15.02.1895. 200 Ebenda, Brief v. Graf B. Chotek, 14.02.1895. 201 Das Vaterland, 17.02.1895, Statthalter Graf Thun und der konservative Großgrundbesitz in Böhmen. 202 Neue Freie Presse, 14.02.1895, Politische Übersicht. 203 Saazer Zeitung. Deutschnationales Organ und Hopfen-Zeitung, 20.02.1895, Arme Jungtschechen ! 204 Hlas. Noviny pro lid, 17.02.1895, Výminečný stav v Praze [Ausnahmezustand in Prag]. 205 Hlas národa, 14.02.1895, Sněm království českého [Der Landtag des Königreichs Böhmen]. 206 Národní listy, 14.02.1895, Sněm království českého [Der Landtag des Königreichs Böhmen]. 207 RAT, A 3 XIII. H I/a, Brief v. Franz Ferdinand, 15.02.1895. 208 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 21.02.1895. 209 Ebenda, Eintrag v. 28.02.1895. 210 Ebenda. 211 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 04.07.1895. 212 Ebenda, Eintrag v. 27.07.1895. 213 Ernst Rutkowski (Hg.) : Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung des böhmisch-mährischen Raumes. Teil I. Der Verfassungstreue Großgrundbesitz 1880–1899. München-Wien 1983, Dokument Nr. 146, S. 222–223. 214 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 07.09.1895. 215 Neue Freie Presse, 17.01.1896. 216 Berthold Sutter : Die Badenischen Sprachverordnungen von 1897. I-II. Graz-Köln 1960–1966, hier : I, S. 170. 217 RAT, A 3 XXIII, Nr. 287. 218 RAT, A 3 XXIII, C I/V. 219 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 16.11.1895. 220 RAT, A 3 XXIII, C I/XIX, Nr. 375. 221 Ebenda. 222 RAT, A 3 XXIII, C I/V, Briefkonzept v. FT an Badeni, 17.12.1895. 223 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 20.12.1895. 224 Ebenda.
366
Anmerkungen
225 RAT, A 3 XXIII, C I/XIX, Nr. 375, Brief v. FT, 24.12.1895. 226 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 29.12.1895. 227 Stenographische Mitteilung des böhmischen Landtages, 28.12.1895, S. 4. 228 Stenographische Mitteilung des böhmischen Landtages, 30.12.1895, S. 84–88. 229 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 31.12.1895. 230 Ebenda. 231 RAT, A 3 XXIII, C I/4, Nr. 279, Brief v. J. Ledebour, 31.12.1895. 232 RAT, A 3 XXIII, C I/4, Konzept vom 03.01.1896. 233 RAT, A 3 XXIII, C I/XIX, Schreiben des Grafen Franz Thun an Staats-Rath Adolf Freiherrn von Braun, Cabinet-Director Sr. Majestät des Kaisers, 01.01.1896. 234 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 02.01.1896. 235 RAT, A 3 XXIII, C I/XIX, Nr. 378, Brief des Ministerpräsidenten an FT, 05.01.1896. 236 Ebenda, Brief v. 07.01.1896. 237 Ebenda, Erlaß des k. k. Ministerpräsidenten Grafen Franz Thun betreffend Enthebung von dem Posten eines Statthalters im Königreiche Böhmen. 238 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 14.01.1896. 239 Ebenda. 240 Národní listy, 15.01.1896, Hrabě František Thun na odchodu [Graf Thun tritt ab] ; Národní listy, 17.01.1896, Pád hr. Thuna [Der Fall von Graf Thun] ; Podvysocké Listy, 18.01.1896, Thun jde ! [Thun geht !]. 241 Hlas národa, 16.01.1896, Odstoupení místodržitele Thuna [Rücktritt von Statthalter Thun] ; Národní politika, 18.02.1896, Bývalý a nový český místodržitel [Der ehemalige und der neue Statthalter]. 242 Hlas. Noviny pro lid, 17.01.1897, Hr. Thun odstoupil [Graf Thun ist abgetreten]. 243 Neue Freie Presse, 17.02.1896 ; Bohemia, 17.02.1896, Der Statthalterwechsel in Böhmen. 244 Reichenberger Zeitung, 14.2.1896, Eine Verirrung. 245 Das Vaterland, 16.01.1896, Der Rücktritt des Grafen Thun. 246 Prager Abendblatt, 18.02.1896, Verabschiedung der k. k. Beamtenschaft. 247 RAT, A 3 XXIII, C I/XIX, Nr. 384, Kurze Aufzeichnungen des Grafen Thun über seine Audienz bei S. Majestät Kaiser Franz Joseph anläßlich der Enthebung vom Posten des Statthalters in Böhmen. 248 Neue Freie Presse, 18.01.1896. 249 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 20.05.1896 ; Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 23.05. 1896, Moskau. 250 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 30.05.1896. 251 Ebenda. 252 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 09.06.1896. 253 RAT, A 3 XXIII, C/I, Nr. 194, Brief v. FT, 06.02.1896. 254 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 14.12.1892. 255 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 11.08.1895. 256 Die Briefe befinden sind einerseits im Nachlass von Franz Ferdinand d’Este im Österreichischen Staatsarchiv (Haus-, Hof- und Staatsarchiv), andererseits im Familienarchiv der Thun-Hohensteins (Nachlässe von Franz Thun, Anna Thun, Maria Thun und Jaroslav Thun im Státní archiv Litoměřice, odbočka Děčín [Staatliches Gebietsarchiv Leitmeritz, Zweigstelle Tetschen]). In Form von Konzepten und Kopien befinden sich hier eine Reihe von Briefen, die an Franz Ferdinand ergingen. 257 RAT, A 3 XXIII, Nr. 4. 258 RAT, A 3 XXIII, Nr. 7. 259 Státní okresní archiv Třeboň [Staatliches Bezirksarchiv Wittingau], Brief v. F. Ferdinand an K. Schwar zenberg, 22.03.1896.
Anmerkungen
367
260 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 443, Brief v. F. L. Rieger, 03.06.1896. 261 RAT, A 3 XXIII, Nr. 167, Blg. 1, Brief v. G. Dörfl an FT, 02.06.1896. 262 Ebenda. 263 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 123, Johann Freiherr Chlumecky an FT, 02.06.1896. 264 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 330, J. Lobkowicz an FT, 02.06.1896. 265 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 156. 266 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 03.06.1896. 267 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 09.07.1896. 268 RAT, A 3 XXIII, Nr. 4, 10.09.1896. 269 Ebenda, 18.08.1896. 270 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 28.09.1896. 271 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 11.10.1896. 272 RAT, A 3 XXIV, Brief v. FT an seine Frau Anna, 17.10.1896. 273 Vgl. dazu die ausführliche Monografie über die von Badenis Sprachenreform ausgelösten Krise bei Sutter : Badenische Sprachverordnungen. 274 Vgl. dazu die entsprechenden Einträge bei Rutkowski. 275 Josef Penížek : Z mých pamětí z let 1878–1918 [Aus meinen Erinnerungen an die Jahre 1878–1918]. I-III. Praha 1922–1928, hier : III, S. 97–98. 276 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 08.05.1897. 277 Ebenda, Brief v. FT an JT, 22.05.1897. 278 Ebenda. 279 Ebenda. 280 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 24.05.1897. 281 Ebenda, Eintrag v. 12.07.1897 282 RAT, A 3 XXIII, C III/Ia, Nr. 704, Briefkonzept v. FT an K. Coudenhove, 28.08.1897, abgedruckt ebenso in : Paul Molisch : Briefe zur deutschen Politik in Österreich von 1848 bis 1918. Wien 1934, S. 356–357. 283 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 12.07.1897 284 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 07.09.1897, Konstanz. 285 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 19.09.1898. 286 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 30.09.1897. 287 Ebenda, Eintrag v. 07.10.1897. 288 Ebenda, Eintrag v. 20.11.1897. 289 Ebenda, Eintrag v. 22.11.1897. 290 Sutter : Badenische Sprachverordnungen. II, S. 117–176. 291 Ebenda, vgl. das Kapitel : Die Badeni Unruhen, S. 176–230. 292 Zdeněk Tobolka : Politické dějiny československého národa [Politische Geschichte der tschechoslowakischen Nation]. I-IV. Praha 1932–1937, hier : II, S. 177. 293 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 01.12.1897, Tetschen. 294 Ebenda, Eintrag v. 03.12.1897. 295 RAT, A 3 XXIV/a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 01.12.1897, Wien. 296 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 03.12.1897. 297 Ebenda. 298 Ebenda. 299 Ebenda, Eintrag v. 01.12.1897. 300 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 05.01.1898.
368 301 302 303 304
Anmerkungen
Sutter : Badenische Sprachverordnungen. II, S. 270. RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 12.01.1898. RAT, A 3 XXIII, C III/Ia, Nr. 711, Brief v. JT an FT, 18.01.1898. RAT, A 3 XXIII, C III/Ia, Nr. 475, Briefkonzept v. FT an A. Windischgrätz, 01.01.1898, Antwort auf den Brief vom 29.01.1898, exp. 01.02.1898. 305 Ebenda. 306 Ebenda. 307 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 19.01.1898. 308 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 22.02.1898. 309 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 27.02.1898. 310 Ebenda. 311 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 28.02.1898. 312 Ebenda. 313 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 28.02.1898. 314 Ebenda. 315 Das Vaterland, 07.03.1898, Der Cabinetswechsel. 316 RAT, A 3 XXIII, C III-IV/87. 317 Ebenda. 318 RAT, A 3 XXIII/c, Brief v. M. E Fürstenberg. 319 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 483, Brief v. K. Schwarzenberg. 320 Rutkowski : Briefe und Dokumente. Teil I, Dokument 357, Brief v. Karl Prinz Schwarzenberg an Aloys Frh. Lexa von Aehrenthal, 03.02.1898, S. 447. 321 RAT, A 3 XXIII, C III-IV/26, Brief v. Dr. Wilhelm Gintl, 06.03.1898, Prag. 322 Ebenda, Brief v. Graf Heinrich Hoyos. 323 Ebenda, Brief v. Emanuel Tonner. 324 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 09.03.1898. 325 Velek : Národní strana. 326 Rutkowski : Briefe und Dokumente. Teil I, Dokument 371, Brief v. Oswald Thun an Graf Franz Thun, 09.03.1898, S. 462f. 327 Sutter : Badenische Sprachverordnungen. II, S. 276. 328 Das Vaterland, 07.03.1898, Das Cabinetswechsel. 329 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 15.03.1898, Wien. 330 Ebenda, 17.03.1898. 331 Ebenda, 15.03.1898. 332 Ebenda, 17.03.1898. 333 Ebenda. 334 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 20.03.1898. 335 Ebenda. 336 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 21.03.1898. 337 Stenographische Protokolle. Haus der Abgeordneten, 1. Sitzung der XIV. Session, 21.03.1898, S. 13f. 338 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 21.03.1898. 339 Sutter : Badenische Sprachverordnungen, S. 294 ; Das Vaterland, 24.03.1898, Abgeordnetenhaus. 340 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 24.03.1898. 341 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 17.03.1898. 342 Stenographische Protokolle. Haus der Abgeordneten, 14. Sitzung der XIV. Session, 27.04.1898, S. 786–788, hier : S. 787.
Anmerkungen
369
343 Ebenda. 344 Ebenda. 345 Ebenda. 346 Ebenda. 347 Kaizl : Z mého života. III, S. 788–789. 348 Die Schilderung des Ereignisses stützt sich vor allem auf Sutter : Badenische Sprachverordnungen. II, IX. Die Badeni-Unruhen, S. 176–230, XII. Die Degradierungen und neuerliche Demonstrationen in Graz, S. 319–346. 349 Sutter : Badenische Sprachverordnungen. II, S. 322. 350 Sutter : Badenische Sprachverordnungen. II, S. 357–358. 351 Neue Freie Presse, 01.07.1898. 352 Seltsamerweise sind weder das Original von Thuns Vorschlag noch seine Thesen (Grundzüge) bekannt. Am detailliertesten gibt den Inhalt von Thuns Vorschlag wieder : Tobolka : Politické dějiny. III/2, S. 213–217. 353 RAT, A 3 XXIII, C III/Id, Nr. 338, Brief v. K. Coudenhove an FT, 20.06.1898 ; Das Vaterland, 01.07.1898, Politische Chronik ; Velek : Národní strana, S. 48–50. 354 Joseph Maria Baernreither : Der Verfall des Habsburgerreiches und die Deutschen. Fragmente eines politischen Tagebuches 1897–1917. Berlin 1927, S. 65. 355 RAT, A 3 XXIII, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 09.08.1898. 356 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 10.08.1898. 357 Ebenda. 358 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 12.08.1898. 359 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 13.08.1898. 360 Ebenda. 361 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 15.08.1898. 362 Ebenda. 363 Ebenda. 364 Ebenda. 365 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 19.08.1898. 366 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 24.08.1898, Budapest. 367 Ebenda. 368 Ebenda. 369 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 26.08.1898. 370 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 27.08.1898. 371 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 01.09.1898. 372 Ebenda. 373 Ebenda. 374 Ebenda. 375 Ebenda, Brief v. FT an seine Frau Anna, 06.09.1898. 376 RAT, A 3 XXIV, 17a, Brief v. FT an seine Frau Anna, 10.09.1898. 377 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 25.09.1898. 378 Stenographische Protokolle. Haus der Abgeordneten, 3. Sitzung der XV. Session, 30.09.1898, S. 144– 146. 379 RAT, A 3 XIV, Tagebuch JT, Eintrag v. 03.10.1898. 380 Ebenda, Eintrag v. 04.10.1898. 381 Ebenda.
370
Anmerkungen
382 Stenographische Protokolle. Haus der Abgeordneten, 21. Sitzung der XV. Session, 22.11.1898, S. 1377. 383 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT, 27.11.1898. 384 Tobolka : Politické dějiny, III/2, S. 205. 385 Die Schilderung der »Causa Thun« und die Darstellung der Beziehung der reichsdeutschen Diplomatie und der politischen Führung des Deutschen Reiches zu Ministerpräsident Graf F. Thun stützt sich auf die Monographie von : Isabel F. Pantenburg : Im Schatten des Zweibundes. Probleme österreichisch-ungarischer Bündnispolitik 1897–1908. Wien-Köln-Weimar 1996. 386 Pantenburg : Zweibund, S. 84. 387 Wiener Abendpost, 29.11.1899. 388 Pantenburg : Zweibund, S. 91. 389 Ebenda, S. 99–100. 390 Velek : Národní strana, Kapitel : Politika postulátů, S. 52–68. 391 Kaizl : Z mého života. III, S. 838–842 ; Tobolka : Politické dějiny, III/2, S. 226–227. 392 Vgl. dazu beispielsweise : RAT, A 3 XXXIII, C III/Ia, Nr. 563, Brief v. J. Herold in Übersetzung, Nr. 562, Brief v. V. Škarda, Nr. 565, Brief v. B. Pacák sowie weitere. 393 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 30.12.1898. 394 RAT, A 3 XXIII, C III/IV, Nr. 1095. 395 Gerald Stourzh : Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 163–165. 396 Das Vaterland, 02.02.1899. 397 Sutter : Badenische Sprachverordnungen. I, Anhang, S. 461–476. 398 Zitierte nach Velek : Národní strana, S. 72 (Anm. 232). 399 Rutkowski : Briefe und Dokumente. Teil I, Dokument 551, Brief von Graf Oswald Thun an Max Egon Fürst zu Fürstenberg, 13.08.1899, S. 710–712. 400 Ebenda. 401 Richard Charmatz : Österreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907. II. Der Kampf der Titanen. Leipzig 1909, S. 134. 402 Ursula Nashold : Franz Graf von Thun und Hohenstein und die Zeit seiner Ministerpräsidentenschaft (1898–99). Dissertation (Maschinenschrift). o. J, o. O, S. 212. 403 Rutkowski : Briefe und Dokumente. Teil I, Dokument 556, Brief von Joseph Maria Baernreither an Max Egon Fürst zu Fürstenberg, 23.08.1899, S. 717f. 404 Rutkowski : Briefe und Dokumente. Teil I, Dokument 555, Brief von Aloys Frh. Lexa von Aerenthal an Friedrich Frh. von Beck, 20./08.08.1899, S. 714–717. 405 RAT, A3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 21.09.1899. 406 Ebenda. 407 Penížek : Z mých pamětí. I, S. 35–36. 408 RAT, A 3 XXIII, Nr. 29. 409 RAT, A3 XXIII, C III/Ia, Nr. 486, Brief v. J. Dunajewski an FT, 03.10.1899, Krakau ; Ebenda, Brief v. FT an J. Dunajewski, 08.10.1899. 410 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 486, Brief v. W. Schwarzenberg an FT, 18.08.1899. 411 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 03.10.1899. 412 Ebenda, Eintrag v. 06.10.1899. 413 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 42, Druckschrift »Pořádek české pouti v dubnu 1900«. 414 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 06.06.1900. 415 Ebenda, Eintrag v. 03.01.1901. 416 Ebenda.
Anmerkungen
371
417 Ebenda. 418 Ebenda, Eintrag v. 07.01.1901. 419 Ebenda, Eintrag v. 11.01.1901. 420 Ebenda, Eintrag v. 22.01.1901. 421 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 59. 422 RAT, A 3 XXXIII, Nr. 16, Blg. 12. 423 Ebenda. 424 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 03.08.1902. 425 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT. 426 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 17.08.1902. 427 RAT, A 3 XXVII, Brief v. FT an JT, 21.12.1902. 428 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 19.03.1903. 429 RAT, A 3 XXVII, Brief v. FT an JT, 23.03.1903. 430 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 10.05.1903. 431 Ebenda, Eintrag v. 29.03.1904. 432 Ebenda, Eintrag v. 04.04.1904. 433 RAT, A 3 XXIII/c, Nr. 66, 7a. 434 Das Vaterland, 23.01.1900, Die Verständigungs-Conferenz. 435 Ebenda. 436 Das Vaterland, 23., 25., 30.01. und 02.02.1900. 437 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 466, Brief v. F. Schönborn an FT. 438 Rutkowski : Briefe und Dokumente. Teil II, Dokument 1041, Brief von Graf Franz Thun an Aloys Frh. Lexa von Aehrenthal, 23.09.1904, S. 857–858. 439 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 10.06.1905. 440 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 28.11.1905. 441 Vgl. Helmut Rumpler : Budapest-Wien-Fiume 1905. Die Entscheidung für die österreichische Wahlreform von 1907 im Kontext der Wende der europäischen Außenpolitik, in : Magister noster. Sborník statí věnovaných in memoriam prof. PhDr. Janu Havránkovi, CSc., Praha 2005, S. 493–506. 442 Stenographische Protokolle. Herrenhaus, 54. Sitzung der XVII. Session, 02.12.1905, S. 1118. 443 Ebenda, 21.12.1905, S. 1118f. 444 Ebenda, S. 1384–1386. 445 Penížek : Z mých pamětí. III, S. 154. 446 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 27.12.1906. 447 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 03.09.1907. 448 Za národnostní smír. Řeč Jeho Excellence hraběte Františka Thuna v sezení panské sněmovny dne 29. prosince 1908 [Für die nationale Aussöhnung. Rede Seiner Exzellenz Graf Franz Thun in der Sitzung des Herrenhauses am 29. Dezember 1908]. Eigenverlag. Praha 1908. Vgl. dazu : Stenographische Protokolle. Herrenhaus, 21. Sitzung der XVIII. Session, 29.12.1908, S. 482–493. 449 Ebenda, S. 484. 450 Ebenda, S. 485. 451 Ebenda. 452 Ebenda, S. 486f. 453 Ebenda, S. 488. 454 Ebenda, S. 488f. 455 Ebenda, S. 7 ; Ebenda, S. 491. 456 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 01.01.1909.
372
Anmerkungen
457 Abschriften der Gratulationen sowie auch des kaiserlichen Dankschreibens sind im Thun’schen Nachlass im Archiv Tetschen abgelegt. 458 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 22.08.1911. 459 PA Bonn, Österreich, Kaiserlich Deutsches Konsulat, Prag, Brief Gebsattel, 22.01.1911. 460 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 12.12.1910, Tetschen. 461 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 99, Briefkonzept v. FT an Ministerpräsident Bienerth, 22.12.1910. 462 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 26.12.1910, Tetschen. 463 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 07.01.1911 ; RAT A 3 XXIII, Nr. 99, Brief v. FT an Minister präsident Bienerth, 04.01.1911. 464 Ebenda. 465 Ebenda. 466 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 99, Ministerpräsident Bienerth an FT, 06.01.1911. 467 Ebenda. 468 Ebenda. 469 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 14.01.1911. 470 RAT, A 3 XXIII/b, Nr. 29/1, Allerhöchstes Handschreiben. 471 Ebenda. 472 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1127. 473 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1124. Národní archiv, Korespondence hr. Thuna, varia, N 1243, 08.03.1911. 474 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 07.01.1911, Tetschen. 475 Národní archiv, Korespondence hr. Thuna, varia, N 1243, 08.03.1911. 476 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 02.04.1911, Tetschen. 477 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 23.04.1911, Tetschen. 478 RAT, A 3 XXVII, Brief v. FT an das Hotel Elisabeth in Bad Ischl, 21.08.1911. 479 RAT, A 3 XXVII, Nr. 4, Brief v. FT an JT, 21.06.1911. 480 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1127, Diverse Gratulationen an den Fürsten Franz Thun anlässlich dessen Erhebung in den Fürstenstand am 21. Juni 1911. 481 Fritz Fellner/Doris A. Corradini (Hg.) : Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und Tagebü cher Josef Redlichs 1869–1936. Band 1 : Erinnerungen und Tagebücher 1869–1914. Wien-Köln-Weimar 2011, S. 370. 482 RAT, A 3 XXVII, Brief v. FT an JT, 22.09.1911. 483 Stenographische Protokolle. Haus der Abgeordneten, 22. Sitzung der XXI. Session, 27.10.1911, S. 1259f. 484 RAT, A 3 XXVII, 5, Brief v. FT. 485 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 16.01.1912. 486 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Brief v. JT an FT, 27.01.1912. 487 RAT, A 3 XXVII, 5, Brief v. FT an JT, 18.02.1912. 488 RAT A 3 XXVII, 5, Brief v. FT an JT, 29.04.1912. 489 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 18.02.1912. 490 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 06.05.1912. 491 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 16.06.1912. 492 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 24.06.1912. 493 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT, 19.06.1912. 494 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27. 495 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 24.06.1912. 496 RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 27.07.1912.
Anmerkungen
497 498 499 500 501 502 503 504 505 506
373
RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 30.09.1912. RAT, A 3 XXVII, Brief v. FT an JT, 30.12.1911. RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 12.01.1912. RAT, A 3 XXVII, 5, Brief v. FT an JT, 26.02.1912. RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 02.07.1912. Národní archiv, Korespondence hr. Thuna, varia, Brief v. FT an den Minister des Innern, 05.10.1912. Národní archiv, Korespondence hr. Thuna, varia, Brief v. FT an den Minister des Innern, 11.10.1912. RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT, 02.01.1913, Kwassitz. RAT, A 3 XXVII, 5, Blg. 27, Brief v. FT an JT, 06.01.1913. Karel Kazbunda : Otázka česko-německá v předvečer Velké války. Zrušení ústavnosti země České tzv. anenskými patenty z 26. července 1913 [Die tschechisch-deutsche Frage am Vorabend des Großen Krieges. Die Aufhebung der Verfassungsordnung des Landes Böhmen durch die sogenannten Annenpatente vom 26. Juli 1913]. Herausgegeben von Zdeněk Kárník. Praha 1995. 507 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 17.04.1913. 508 PA Bonn, Österreich 101, Bd. 35, A 12794, 07.07.1913, Kaiserlich deutsche Botschaft. 509 RAT, A 3 XXIII, C II/III, Nr. 1182, Blg. 6, Die Arbeitsunfähigkeit des Landtages des Königsreiches Böhmen samt ihren Folgeerscheinungen. 510 Ebenda, Teil IV, S. 2–3. 511 Ebenda, Teil V, Der Inhalt des kaiserlichen Patentes sowie die sonst notwendigen Verfügungen. 512 Kazbunda : Otázka, S. 212. 513 Národní listy, 06.06.1913, K. Kramář : In memoriam. 514 Ebenda. 515 RAT, A 3 XXVII, 5, 27, Brief v. FT an JT, 11.07.1913. 516 Ebenda. 517 RAT, A 3 XXVII, 5, 27, Brief v. FT an JT, 25.07.1913. 518 Ebenda. 519 Pražské noviny, 27.07.1913, Kaiserliches Patent. 520 RAT, A 3 XXVII, 5, 27, Brief v. FT an JT, 25.07.1913. 521 Kazbunda : Otázka, S. 258. 522 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1141, Deutsche Agitation gegen den Statthalter, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 229, Volksrath gegen den Statthalter. 523 RAT, A 3 XXVII, 5, 27, Brief v. FT an JT, 25.08.1913. 524 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1141, Deutscher Volksrath für Böhmen. 525 RAT, A 3 XXVII, 5, 27, Brief v. FT an JT, 05.09.1913. 526 RAT, A 3 XXVII, 5, 27, Brief v. FT an JT, 20.10.1913. 527 Ebenda. 528 Kazbunda : Otázka, S. 262–269. Stürgkhs Erfolg und Thuns Bemühungen veranlassten die tschechischen Parteien zur Wiederaufnahme der Ausgleichsverhandlungen. 529 Ebenda. 530 Kazbunda : Otázka, S. 342–350. 531 RAT, A 3 XXVII, 5, Brief v. FT an JT, 28.02.1914. 532 Kaizl : Z mého života. I-III. 533 RAT, A 3 XXVII, 5, Brief v. FT an JT, 23.05.1914. 534 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 25.05.1914. 535 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. JT an FT, 25.05.1914. 536 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 31.05.1914.
374
Anmerkungen
537 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 14.06.1914. 538 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. JT an FT, 29.06.1914. 539 RAT, A 3 XXIII, C II/III, Nr. 1182. 540 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1155, S. 651. 541 Prager Tagblatt, Nr. 217, Abendausgabe, 09.08.1914, S. 2 ; Vgl dazu auch : Státní ústřední archiv (SÚA) : Sborník dokumentů k vnitřnímu vývoji v českých zemích za 1. světové války [Staatliches Zentralarchiv : Dokumentensammlung zur inneren Entwicklung der böhmischen Länder während des 1. Weltkrieges]. I-V. Praha 1993–1997, hier : I, Dokument 17, S. 52. 542 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1155, S. 652. 543 Eine detaillierte Darstellung der Konfrontation zwischen Thun und dem Armeekommando siehe Milada Paulová : Dějiny Maffie. Odboj Čechů a Jihoslovanů za světové války 1914–1918 [Die Geschichte der Maffie. Tschechischer und südslawischer Widerstand im Weltkrieg 1914–1918]. I, Praha 1937. Vgl. dazu im besonderen die Kapitel : IX. První pokus o vojenskou diktaturu [Erster Versuch einer Militärdiktatur] (S. 201–216), XVI. Druhý pokus o vojenskou diktaturu [Zweiter Versuch einer Militärdiktatur] (S. 333–343), XXI. Třetí pokus o vojenskou diktaturu. Zatčení dra Kramáře a dra Scheinera [Dritter Versuch einer Militärdiktatur. Verhaftung von Dr. Kramář und Dr. Scheiner] (S. 429–443), XXIV. Čtvrtý pokus o vojenskou diktaturu [Vierter Versuch einer Militärdiktatur] (S. 476–488). 544 Ebenda, S. 231. 545 Sborník dokumentů. I, Dokument 57, Stürgkh an FT, 23.11.1914. 546 Paulová : Maffie, S. 233. 547 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 06.12.1914. 548 Ebenda. 549 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 17.12.1914. 550 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 5, Brief v. JT an FT, 08.08.1915, Chlumec. 551 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT, 29.09.1914. 552 Protokol XII. sjezdu Československé sociálně demokratické strany dělnické konaného ve dnech 27., 28., 29. a 30. prosince v Reprezentačním domě v Praze [Protokoll des XII. Parteitages der Tschechoslowakischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei, abgehalten am 27., 28., 29. und 30. Dezember im Repräsentationshaus in Prag]. Praha 1919, S. 50–51. 553 Sborník dokumentů. I, Dokument 72, FT an den Ministerpräsidenten, 19.12.1914. 554 Ebenda, Dokument 67, S. 144–146. 555 Ebenda, Dokument 72, S. 150–157. 556 PA Bonn, Österreich 101, Bd. 35, A 33 237/1914, Tschirschky, 01.12.1914. 557 PA Bonn, Österreich 101, Bd. 35, A 35 858/1914, Gebsattel, 20.12.1914. 558 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1153, Vortrag des Dr. Wilhelm von Medinger über die politischen äusseren Ereignisse und die Gesinnungen und Stimmung in Böhmen. Gesprochen im Haus-, Hof- und Staatsarchive am 3. Februar 1915. 559 Ebenda, S. 8. 560 Ebenda, Teil B, S. 1, Stimmung in Deutschböhmen. 561 Ebenda, S. 6–7. 562 RAT, A 3 XXIII, H I/b, Nr. 126, Brief an Rittmeister Graf Heinrich Clam-Martinic Ordonanzoffizier, Feldpost No. 94. 563 Sborník dokumentů. II, Dokument 7, S. 28–29. 564 Ebenda. 565 Ebenda, Dokument 10, S. 34. 566 Ebenda, S. 37–38.
Anmerkungen
375
567 Ebenda. 568 Ebenda, S. 39. 569 Ebenda, S. 40. 570 Sborník dokumentů. II, Dokument 13, Stürgkh an FT, 31.01.1915. 571 Ebenda, S. 43. 572 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 05.02.1915, Konopiště. 573 Sborník dokumentů. II, Dokument 14, S. 44–47. 574 Ebenda, Dokument 16, S. 49–50. 575 Ebenda, Dokument 19, S. 52–54. 576 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 08.03.1915. 577 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 14.03.1915. 578 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 17.03.1915. 579 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 17.03.1915. 580 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 18.03.1915. 581 Ebenda, Eintrag v. 25.03.1915. 582 Ebenda. 583 Ebenda. 584 Ebenda. 585 Ebenda. 586 Neues Wiener Tagblatt, 28.03.1915, Allerhöchstes Handschreiben seiner Majestät des Kaisers. 587 RAT, A 3 XXIII, C II/V, Nr. 1184. 588 Ebenda. 589 Ebenda. 590 Ebenda. 591 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 04.04.1915. 592 Venkov, 17.11.1916. 593 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 01.05.1915. 594 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 10.05.1915. 595 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT, 13.05.1915. 596 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 21.05.1915. 597 Ebenda, Eintrag v. 29.05.1915. 598 Ebenda, Eintrag v. 19.06.1915. 599 Ebenda, Eintrag v. 21.07.1915. 600 Ebenda, Eintrag v. 31.07.1915. 601 Ebenda, Eintrag v. 05.12.1915. 602 Paulová : Maffie, S. 447. 603 PA Bonn, Österreich 101, Bd. 35, A 11 666/1915, Gebsattel, 28.03.1915. 604 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 24.05.1915. 605 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 27.09.1915. 606 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Stürgkh an FT, 21.12.1915. 607 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 16.01.1916. 608 Vincenc Červinka : Moje rakouské žaláře. Vzpomínková kronika z let 1914–1917 [Meine österreichischen Kerker. Erinnerungsschronik aus den Jahren 1914–1917]. Praha 1928, S. 153–155. 609 RAT, A 3 XXIII, C II/I, Nr. 1155, S. 654. 610 Ebenda, S. 671. 611 Červinka : Moje rakouské žaláře, S. 157.
376
Anmerkungen
612 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 05.06.1916. 613 RAT, A 3 XXIII, H I/c, Nr. 45, Brief v. JT an FT, 08.06.1916. 614 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 20.11.1916. 615 Vgl. dazu : Richard Lein : Pflichterfülung oder Hochverrat ? Die tschechischen Soldaten ÖsterreichUngarns im Ersten Weltkrieg. Wien-Berlin 2001, S. 203–344. 616 RAT, A 3 XXVIII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 14.09.1915. 617 Ebenda, Eintrag v. 18.03.1916. 618 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. FT an JT, 09.04.1916. 619 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 29.04.1916. 620 Ebenda. 621 Ebenda, Eintrag v. 05.06.1916. 622 Ebenda, Eintrag v. 08.06.1916. 623 Ebenda. 624 RAT, A 3 XXVII, Nr. 5, Brief v. Ernestina Thun an JT, 11.08.1916. 625 RAT, A 3 XXIII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT. 626 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 13.10.1916. 627 RAT, A 3 XXVII, Brief v. Anna Thun an JT, 22.10.1914. 628 RAT, A 3 XXVII, H I/a, Nr. 45, Brief v. JT an FT, 23.10.1916. 629 RAT, A 3 XXVII, Tagebuch JT, Eintrag v. 25.10.1916. 630 Ebenda, Eintrag v. 29.10.1916. 631 Ebenda, Eintrag v. 30.10.1916. 632 Ebenda, Eintrag v. 31.10.1916. 633 Ebenda, Eintrag v. 01.11.1916. 634 RAT, A 3 XXIII/h, Nr. 1185. 635 Ebenda. 636 Ebenda. 637 Nekrolog-Sammlung über Fürst Franz Thun. 638 Ostdeutsche Rundschau, 03.11.1916. 639 Národní listy, 02.11.1916.
Personenregister Adler Friedrich (1879–1960), österreichischer Politiker 349 Adler Viktor (1852–1918), österreichischer Politiker 349 Aehrenthal Aloys Lexa (1854–1912), Minister des Äußeren 72, 106, 156, 210, 246 Albrecht, Erzherzog (1817–1895), Feldmarschall 24, 104 Attems Edmund, Graf (1847–1929), Politiker 163 Bachmann Adolf (1849–1914), Abgeordneter 298, 299 Bacquehem Olivier, Marquis de (1847–1917), Minister 58–60 Badeni Kasimir, Graf (1846–1909), Ministerpräsident 93, 95, 104–111, 113–116, 126, 132–142, 144–146, 148, 149, 151, 158, 159, 163, 166, 167, 171–175, 191, 195, 200, 205, 210, 213 Baernreither Josef Maria (1845–1925), Ab geordneter, Minister 158–160, 162, 163, 174, 176, 177, 179–181, 183, 184, 196, 201, 205, 207, 210 Baillet de Latour Vinzenz, Graf (1848–1913), Minister 258, 259 Bánffy von Losoncz Desider, Baron (1843–1911), ungarischer Ministerpräsident 179–182, 184, 189, 192 Beck Max Wladimir, Baron (1854–1943), Ministerpräsident 250, 251 Beck-Rzikowski Friedrich, Graf (1830–1920), Chef des Generalstabes 210 Berchtold Leopold, Graf (1853–1942), Minister des Äußeren 317, 318 Bethmann Hollweg Theobald v. (1856–1921), Deutscher Reichskanzler 258, 317 Bienerth Richard, Graf (1863–1918), Ministerpräsident 257, 259, 260, 262, 263, 266, 268 Biliński Leon, Ritter (1846–1923), Finanzminister 126
Bismarck-Schönhausen Otto, Fürst (1815–1898), Deutscher Reichskanzler 19, 173, 175 Bráf Albín (1851–1912), Minister 128, 157 Braun Adolf, Freiherr v. (1821–1904), Kabinetts direktor der kaiserlichen Kanzlei 109, 112, 113 Březnovský Václav (1843–1918), Abgeordneter 21 Bülow Bernhard Heinrich, Fürst (1849–1929), Deutscher Reichskanzler 191, 193, 194 Buquoy de Longueval Karl, Graf (1885–1911), Abgeordneter 72, 146, 147, 149 Bureš Alois (1849–1923), Bürgermeister v. PragKönigliche Weinberge 332 Camato, italienischer Koch v. Gräfin Ernestine Thun-Hohenstein 349 Čelakovský Jaromír (1846–1914), Abgeordneter 108, 109 Černohorský Karel (1861–1915), Abgeordneter 97, 100 Červinka Vincenc (1877–1942), Journalist 339–341 Chlumecky Johann, Freiherr (1834–1924), Ackerbauminister, Handelsminister 128, 211 Choc Václav (1860–1942), Abgeordneter 201 Chotek Bohuslav, Graf (1829–1896), Diplomat 102 Clam-Martinic Heinrich Karl, Graf (1863–1932), Politiker, Ministerpräsident 36, 44, 72, 258, 259, 302, 320 Clary-Aldringen Carlos, Graf (1844–1920) 123 Clary-Aldringen Manfred, Graf (1852–1928) 213 Conrad von Hötzendorf Franz, Graf (1852–1925), Feldmarschall, Chef des Generalstabes 310, 318 Coudenhove Karl, Graf (1855–1913), Statthalter von Böhmen 137, 139, 140, 143, 146–150, 199, 258 Coudenhove Max, Graf (1865–1928), Landespräsident v. Österreichisch-Schlesien, Statthalter von Böhmen, Bruder von Karl 328, 351 Croy Klemens (1873–1926) 72
378 Dániel Ernst (1843–1923), ungarischer Minister 182 Daszyński Ignacy (1866–1936), Abgeordneter 188, 189 Deutschmann Richard Heinrich (1852–1935), Augenarzt, Chirurg, Professor 328, 336, 337, 344 Deyl Jan (1854–1924), Professor der Augenheilkunde 336, 337 Dörfl Georg, Prager Polizeidirektor 95, 127 Dvořák Václav, Abgeordneter 78 Dyk Emanuel (1852–1907), Abgeordneter 100 Eim Gustav (1849–1897), Abgeordneter 114, 115 Elisabeth (1837–1898), Kaiserin v. Österreich 123, 186 Elschnig Anton (1863–1939), Augenarzt, Chirurg 336 Engel Emanuel (1844–1907), Abgeordneter 83, 110, 159, 192 Eugen, Erzherzog (1863–1954), Feldmarschall 119 Eulenburg Philipp, Fürst (1847–1921), reichsdeutscher Gesandter 119, 193–195 Falkenberg N., Gutsbesitzer 23 Falkenhayn Julius, Graf (1829–1899), Minister 42, 60, 141, 142, 164 Fischer von Erlach Josef Emanuel (1656–1723), Architekt 166 Fořt Josef (1850–1919), Minister 201, 297 Franz Ferdinand, Erzherzog (1863–1914), Thronfolger 85, 102, 104, 121, 122, 124, 126–129, 220, 261, 268, 280, 296, 303, 305 Franz Joseph I. (1830–1916), Kaiser v. Österreich, König v. Ungarn etc. 24, 37, 38, 42, 47, 49, 50, 52, 54–58, 60, 63–70, 72–77, 81, 85–87, 89–91, 93–95, 104–107, 109–115, 117–119, 121–123, 127, 128, 130, 132, 135, 138–143, 145, 147, 148, 150, 152–156, 158, 160, 166, 173, 175, 176, 179–186, 190, 193–197, 201, 208–213, 248, 250, 257–264, 266–269, 280, 286, 288, 291, 295, 299, 304–308, 310–314, 316–318, 324, 325, 328, 330, 331, 335, 343, 347, 349, 351, 354, 356, 357 Friedrich, Erzherzog (1856–1936), Armeekommandant 310–312, 318, 323
Personenregister
Fuchs Viktor, Freiherr (1840–1921), Abgeordneter, Präsident des Abgeordnetenhauses (Reichsrat) 164, 175, 176 Funke Alois v. (1834–1911), Abgeordneter 83, 84, 147 Fürk Vinzenz, Oberstforstmeister 29 Fürstenberg Max Egon, Fürst (1863–1941), Mitglied des Herrenhauses 72, 156, 207, 208 Garibaldi Giuseppe (1807–1882), italienischer Revolutionär 38 Gautsch von Frankenthurn Paul, Graf (1851– 1918), Ministerpräsident 60, 117, 144–146, 150–154, 166, 167, 191, 197, 198, 205, 213, 248, 268–270 Gebsattel Fritz, Freiherr v. (1868–1939), Diplomat, reichsdeutscher Konsul in Prag 258, 317, 339 Georgi Friedrich von (1852–1926), Minister für Landesverteidigung 312 Giesl v. Gieslingen Arthur, Freiherr (1857–1935), Kommandant des VIII. Armeekorps (Prag) 344 Gisela, Erzherzogin (1856–1932), Tochter v. Franz Joseph I. und Elisabeth 180 Gleispach Johann, Graf (1840–1906), Justizminister, Abgeordneter 173, 175 Goethe Johann Wolfgang v. (1749–1832) 81 Gołuchowski von Gołuchówo Agenor, Graf (1849–1921), Minister des Äußeren 106, 110, 126, 140, 145, 153, 154, 180, 193–195 Grégr Eduard (1827–1907), Abgeordneter 54, 55, 77, 78, 97, 98, 100, 110 Grégr Julius (1831–1896), Abgeordneter 54, 69 Groš Karel (1865–1938), Prager Oberbürgermeister, Abgeordneter 303, 322, 351, 354 Grünne Philipp, Graf (1833–1902), Kommandant des VIII. Armeekorps (Prag) 149 Hajn Antonín (1868–1949), tschechischer Politiker 81 Hána Petr, Abgeordneter 100 Harrach Jan Nepomuk, Graf (1828–1909), Abgeordneter 162 Hatzfeld zu Trachtenberg Paul, Graf v. (1831– 1901), reichsdeutscher Diplomat 162 Heine Rudolf (1877–1949), Ingenieur, Abgeordneter 325
Personenregister
Heinold von Udinsky Karl, Freiherr (1862–1908), Minister des Innern 283, 297, 298, 311, 325 Heinrich Josef (1837–1908), dt.-böhm. Politiker 59 Herold Josef (1850–1908), Abgeordneter 47, 78, 82, 100, 104, 111, 147, 152, 199 Hlaváč Bedřich (1868–1936), tschechischer Journalist und Publizist 250 Hochenburger Viktor, Ritter v. (1857–1918), Justizminister 176, 275 Hohenberg Ernst, Fürst v. (1904–1953) 304, 305 Hohenberg Max, Fürst v. (1902–1962) 304, 305 Hohenberg Sophie, Fürstin v. (1868–1914), Gattin v. Thronfolger Franz Ferdinand 102, 124, 220, 280, 303, 305 Hohenberg Sophie, Fürstin v. (1901–1990) 304, 305 Hohenlohe-Langenburg Gottfried, Prinz (1866– 1930), Diplomat 36, 72 Hohenwart Karl Sigmund, Graf (1824–1899), Ministerpräsident 105 Hovorka František (1850–1906), Abgeordneter 100 Hoyos Rudolf, Graf 157 Ignatiew Nikolai Pawlowitsch, Graf (1832–1908), General, russicher panslawistischer Politiker 72 Iro Karl (1861–1934), dt.-böhm. nationaler Politiker 138 Isenburg Antoinette zu, Prinzessin (1867–1943) 216, 220 Janda Heřman (1860–1904), Abgeordneter 79, 80, 98, 106 Jaroš Rudolf (1859–1935), Abgeordneter 201 Jaworski Apolinary, Ritter (1825–1904), Minister für Galizien, Abgeordneter 192 Jedlička Rudolf (1869–1939), tschechischer Chi rurg, Professor 315 Jędrzejowicz Adam, Ritter (1847–1924), Minister für Galizien, Abgeordneter 158 Jindřich Václav (1854–1898), Abgeordneter 100 Kaftan Jan (1841–1909), Abgeordneter 100, 201 Kaizl Josef (1854–1901), Minister 158, 159, 162, 171, 177, 179–181, 184, 191, 197–199, 201, 208, 209, 299, 301 Kállay von Nagy-Kálló Béni (1839–1903), Minister 180
379 Kálnoky von Köröspatak Guzstáv Zsigmond, Graf (1832–1892), Minister 42, 67, 70, 72 Karl I. (1887–1922), Kaiser v. Österreich, König v. Ungarn etc. 268, 280, 284, 285, 296, 318, 342 Karl Ludwig, Erzherzog (1833–1896), Bruder v. Franz Joseph I. 60, 123, 127 Karlík Josef, Abgeordneter 100 Kaunitz Wenzel Robert, Graf (1848–1913), Abgeordneter 78, 97, 100 Kielmansegg Erich, Graf (1847–1923), Ministerpräsident 95, 105 Kinsky Friedrich 75 Klapka György (1820–1902), ungarischer General 38 Klofáč Václav Jaroslav (1868–1942), Abgeordneter 318 Knapp N., Professor 223 Knechten N., Hauslehrer v. F. Thun 20 Koerber Ernest v. (1850–1919), Ministerpräsident 241, 242, 246, 250 Komers Anton Emanuel (1814–1893), Direktor der Thun’schen Besitzungen 32 König Magdalena (1810–1899), Gemahlin v. Graf Franz Thun (Onkel v. F. Thun) 16 Kramář Karel (1860–1937), Abgeordneter, tschechoslowakischer Ministerpräsident 140, 207, 282, 288, 289, 297, 309, 322, 339–343 Kraus Alfred, Baron v. (1824–1909), böhmischer Statthalter 49, 52 Krčmář N., Gerichtsvorsitzender 95 Krobatin Alexander, Freiherr v. (1849–1933), Feldmarschall und k.u.k.Kriegsminister 310 Krumbholc Václav, Abgeordneter 100 Kučera Jan (1838–1905), Abgeordneter 78, 83 Kudrna Josef (1891–1915), Soldat (IR 102) 339 Kus Jan, Abgeordneter 100 Lammasch Heinrich (1853–1920), Völkerrechtler, Ministerpräsident, Mitglied des Ständigen Schiedshofs (Den Haag) 345 Laudová Marie (1869–1931), Schauspielerin 63, 335 Lecher Otto (1860–1839), Abgeordneter 187 Ledebour-Wicheln Johann, Graf (1842–1903), Minister 72, 112, 156 Leopold II. (1747–1792), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 38
380 Liechtenstein Alfred v.u.z. 161 Lippert Julius (1839–1909) 110 Lobkowicz Ferdinand, Fürst v. (1858–1933) 146, 290, 291 Lobkowicz Georg Christian, Fürst v. (1835–1908), Abgeordneter, Oberstlandmarschall 46, 49, 59, 60, 72, 82, 83, 99, 100, 128, 149, 191, 288 Lodgman von Auen Rudolf (1877–1962) 283 Lueger Karl (1844–1910), Bürgermeister v. Wien 142, 146, 187, 188 Lukacz Laszló (1850–1911), Finanzminister 182, 184 Marie Valerie, Erzherzogin (1868–1924), Tochter v. Franz Joseph I. und Elisabeth 180 Masaryk Tomáš Garrigue (1850–1937), Professor, Abgeordneter, tschechoslowakischer Staatspräsident 78 Mataß N., Hofrat 84 Mattuš Karel (1836–1919), Abgeordneter 41, 157 Medinger Wilhelm v. 318, 319, 320 Montecuccoli Raimondo, Fürst (1609–1680), Politiker und Heerführer 38 Montenuovo Alfred, Fürst (1854–1927), Obersthofmeister v. Franz Joseph I. 267 Myslbek Josef Václav (1842–1922), Bildhauer, Mitglied des Herrenhauses 117
Personenregister
Pacher Rafael (1857–1936), dt.-nat. Politiker in Böhmen 261 Palacký František (1798–1876), Historiker, Abgeordneter 281, 282, 318, 354 Penížek Josef (1858–1932), Journalist, Publizist 133, 211 Pergelt Anton (1853–1910), Abgeordneter 163 Pfersch N., Professor 141 Plener Ernst, Baron v. (1841–1923), Abgeordneter, Minister 46, 47, 56, 59, 93, 104, 106 Podlipný Jan (1848–1914), Prager Oberbürgermeister, Abgeordneter, Vorsteher d. Sokol 100, 144, 148 Pohl N., Dekan in Tetschen 29 Prade Heinrich (1853–1927), Minister, Abgeordneter 171 Pražák Alois, Ritter (1820–1901), Abgeordneter, Minister 60 Princip Gavrilo (1894–1918), serbischer Student, Attentäter v. Sarajevo 303
Otto Jan (1841–1916), Verleger 220
Radetzky von Radetz, Johann Joseph Wenzel, Graf (1766–1858), Feldmarschall 286, 296, 318 Randa Antonín, Ritter (1834–1914), Minister 117 Rašín Alois (1867–1923), Abgeordneter, tschechoslowakischer Finanzminister 81, 86, 89, 309, 339, 341, 342 Redlich Josef (1869–1936), Historiker, Abgeordneter 269 Rennenkampf Paul v. (1854–1918), russischer General 326 Rezek Antonín (1853–1909), Professor, Politiker 117 Riedl František, Kutscher v. F. Thun 211, 212 Rieger František Ladislav, Baron (1818–1903), Abgeordneter 41, 55, 117, 127, 318, 354 Ringhoffer Emanuel v. (1848–1923), Unternehmer 53, 61 Rudolf , Kronprinz (1858–1889), Sohn v. Franz Joseph I. und Elisabeth 33, 37, 122, 130
Paar Eduard, Graf (1837–1919), Feldmarschallleutnant, Generaladjutant v. Franz Joseph I. 350 Pacák Bedřich (1846–1914), Abgeordneter 92, 152, 199, 201, 207
Sanguszko-Lubartowicz Roman, Fürst (1832– 1917), Gemahl v. F. Thuns Schwester Karolina 152 Savoyen-Carignan, Eugen v., Prinz (1663–1736), Feldherr 38, 318
Nagl Franz Xaver (1855–1913), Kardinal, Wiener Erzbischof 257 Napoleon I. (1769–1821), Kaiser der Franzosen 295, 296 Nikelfeld František (1841–1915), Abgeordneter 84, 100 Nikolaus II. (1868–1918), Zar v. Russland 119, 246, 315, 316 Nostitz-Rieneck Erwin, Graf (1863–1931), Abgeordneter 36, 302
Personenregister
Scheiner, Josef Eugen (1861–1932), Vorsteher des Sokol 339 Schlesinger Ludwig (1838–1899), Historiker, Politiker 147 Schmerling Anton v. (1805–1893), Justizminister 246 Schmeykal Franz (1826–1894), Abgeordneter 59 Schneider Ernst (1845–1913), christlichsozialer Politiker 70 Schönborn Franz de Paula, Graf (1844–1899), Kardinal, Erzbischof v. Prag 74 Schönborn Friedrich, Graf (1854–1924), Abgeordneter, Justizminister 92, 149, 245, 293 Schönburg Alexander, Fürst 55 Schönerer Georg von, Ritter (1842–1921), dt.-nat. Politiker, Abgeordneter 137, 138, 160, 164–166, 168, 176, 187 Schratt Katharina (1853–1940), Schauspielerin 75 Schreiner Gustav (1847–1922), Minister 285, 286 Schwarzenberg Friedrich, Fürst (1862–1936), Abgeordneter, Bruder v. Karl IV. 30, 34, 72 Schwarzenberg Karl III., Fürst (1824–1904), Schwiegervater v. F. Thun, Abgeordneter 29, 35, 44, 45, 56, 72 Schwarzenberg Karl IV., Fürst (1859–1913), Sohn v. Karl III., Schwager v. F. Thun, Abgeordneter 37, 48, 127, 139, 149, 156, 251 Schwarzenberg Karl Philipp, Fürst (1771–1820), Feldmarschall 296 Schwarzenberg Marie (1864–1889), Gemahlin v. Karl IV. 39, 48 Schwarzenberg Wilhelmine Marie zu, Fürstin, (1833–1910), Gemahlin von Karl III. 29, 56, 200, 214, 223 Schwerdtner von Schwertburg Simon, Ritter, Feld marschall, Prager Militärbefehlshaber 310, 339 Šíl Josef (1850–1923), Abgeordneter 97, 100 Silva-Tarouca Ernst Emanuel, Graf (1860–1930), Dendrologe, Minister 72 Silva-Tarouca Marie, Gräfin (1863–1934) 37 Škarda Václav (1861–1912), Abgeordneter 100, 159, 171, 199 Skrbensky von Hristie Leo, Kardinal (1863–1938), Erzbischof v. Prag u. Olmütz 220, 303 Šmeral Bohumír (1880–1941), Abgeordneter 297, 314
381 Sokol Karel Stanislav (1867–1922), Abgeordneter 86, 89, 97 Šolc Jindřich (1841–1916), Prager Oberbürgermeister, Abgeordneter 100 Steinwender Otto (1847–1921), Politiker, Abgeordneter 163 Stejskal N., Polizeidirektor 73 Štěpánek Václav 89 Stephanie v. Belgien, Kronprinzessin (1864–1945), Gemahlin v. Kronprinz Rudolf 33, 37 Stoklasa Julius (1857–1936), tschechischer Agrikulturchemiker, Professor 316 Stránský Adolf (1855–1931), Abgeordneter 43, 291 Stremayr Karl v. (1823–1904), Minister 78, 133, 151, 177, 275 Stretti Viktor (1878–1958), tschechischer Maler und Graphiker 332 Stürgkh Karl, Graf (1859–1916), Ministerpräsident 270, 297, 298, 302, 312, 315, 318, 320, 325, 327, 328, 330, 336, 340, 342, 349 Švehla Antonín (1873–1933), Abgeordneter, tschechoslowakischer Ministerpräsident 297 Šviha Karel (1877–1937), Abgeordneter 299, 301 Széchenyi, Graf 123 Széll Koloman v. (1845–1911), Ministerpräsident 189 Taaffe Eduard, Graf (1833–1895), Ministerpräsident 49, 50, 52, 55, 56, 63, 64, 66, 68, 70, 72–74, 77, 83, 87, 92–95, 100, 105, 115, 151, 210, 250 Thun-Hohenstein Anna Marie (1903–1943), Tochter v. F. Thun und Ernestine 217, 221, 223, 240, 267, 337, 344, 345, 347, 349 Thun-Hohenstein Anna Marie, Fürstin (1854– 1898), Gemahlin v. F. Thun 24, 29–31, 33, 36, 37, 39, 41, 42, 48, 50, 74, 90, 94, 121, 122, 124, 129, 131, 139, 141, 145, 146, 153, 155, 161, 163, 179, 181, 183, 185, 186, 200, 214–216, 223, 228, 230, 353 Thun-Hohenstein Christoph Simon, Graf (1582– 1635), Begründer des Geschlechts in Böhmen 12, 13 Thun-Hohenstein Eduard (1860–1885), Bruder v. F. Thun 25 Thun-Hohenstein Ernestine (1853–1910), Schwester v. F. Thun 211
382 Thun-Hohenstein Ernestine, Fürstin (1858–1948), Gemahlin v. F. Thun 124, 125, 215–224, 240, 242, 243, 247, 259, 267, 278, 279, 328, 335, 337, 338, 343–349, 353 Thun-Hohenstein Franz Anton, Graf (1786–1873), Großvater v. F. Thun, Begründer der Tetschener Domäne 13, 14, 16, 17, 28, 31 Thun-Hohenstein Franz, Graf (1809–1870), Onkel v. F. Thun 15–17 Thun-Hohenstein Friedrich, Graf (1810–1881), Vater v. F. Thun, Diplomat 16, 18, 19–21, 23, 24, 28, 29, 31, 33, 41, 223 Thun-Hohenstein Jaroslav, Fürst (1864–1929), Bruder v. F. Thun 23, 25, 29, 32, 33, 42, 48, 50, 64, 74, 75, 77, 81, 85, 91–94, 101, 102, 104–106, 108–113, 117, 119, 121–124, 128–130, 134–137, 140–142, 144–147, 151, 154, 155, 158, 187, 189, 200, 211, 212, 214–216, 218, 220, 222–224, 242, 248, 251, 256, 259, 264, 267, 269–271, 274, 275, 284, 287, 289, 296, 298, 301–305, 310, 313, 325, 327–330, 333, 336–338, 340–347, 349–351, 353 Thun-Hohenstein Johann Cyprian, Graf (1569– 1630) 13 Thun-Hohenstein Josefina, Gräfin (1867–1903), Schwester v. F. Thun, Gemahlin von Jerzy Graf Hutten Czapski 25 Thun-Hohenstein Karolina (1848–1916), Schwester v. F. Thun, Gemahlin v. Fürst SanguszkoLubartowicz 24, 25, 152 Thun-Hohenstein Leopold, Graf (1811–1888), Onkel v. F. Thun 15, 16, 44, 50, 161 Thun-Hohenstein Leopoldine, Gräfin (1825– 1902), Mutter v. F. Thun 17–20, 22, 23, 25, 33, 35, 48, 144, 145, 214, 220, 226, 227 Thun-Hohenstein Leopoldine, Gräfin (1889– 1975), Tochter v. Jaroslav Thun 48 Thun-Hohenstein Maria (Ritschel), Fürstin (1863–1935), Gemahlin v. Jaroslav Thun 33, 48, 122, 218 Thun-Hohenstein Theresie, Gräfin (1784–1844), Gemahlin v. Franz Anton 16 Thun-Hohenstein Theresie, Gräfin (1846–1859), Schwester v. F. Thun 20, 24 Thun-Hohenstein Wenzel Josef, Graf (1737–1796), Urgroßvater v. F. Thun, General 14
Personenregister
Thun-Hohenstein Zdenko, Graf (1842–1906), Cousin v. F. Thun, Bankdirektor 128 Thun-Hohenstein-Salm-Reifferscheidt Oswald, Graf (1849–1913), Cousin v. F. Thun, Politiker 159, 207, 208 Tilšer František (1825–1913), Professor, Abgeordneter 54 Titta Wenzel Josef (1863–1923), Arzt, dt.-nat. Politiker in Böhmen 266, 293, 295 Tobolka Zdeněk Václav (1874–1951), tschechischer Historiker, Politiker, Abgeordneter 142, 190, 196 Tonner Emanuel (1829–1900), Abgeordneter 157 Tschirschky und Bögendorff Heinrich v. (1858– 1916), reichsdeutscher Botschafter 266, 287, 317 Tůma Karel (1843–1917), Abgeordneter 100 Türk Karl (1840–1908), Abgeordneter 138 Türr Istvan (1825–1908), ungarischer Patriot, Architekt 38 Vašatý Jan, Abgeordneter 78, 110 Vojna Jan, Abgeordneter 299 Vrchlický Jaroslav (Emil Frieda) (1853–1912), Dichter, Dramatiker, Übersetzer, Professor 117 Widimsky Rudolf (1858–nach 1918), Hofrat 84 Wilhelm II. (1859–1941), Deutscher Kaiser 191, 194, 195, 266, 296, 302, 303, 307, 308, 317 Windisch-Graetz Alfred III. August, Fürst (1851–1927), Ministerpräsident 93–95, 104, 105, 146, 148 Wolf Josef, Gärnter 353 Wolf Karl Herman (1862–1941), dt.-nat. Politiker, Abgeordneter 138, 147, 160, 163–165, 187, 204, 266 Zaleski Philip, Ritter (1836–1911), Statthalter v. Galizien 60 Zamazal Josef 339, 341 Zedtwitz Karl Maximilian, Graf (1844–1908) 64, 156 Zeithammer Antonín (1832–1919) 41 Zita (1892–1989), Kaiserin v. Österreich, Gemahlin v. Kaiser Karl 280
Ortsregister Aussig (Ústí nad Labem) Bodenbach (Podmokly) Böhmisch Krumau (Český Krumlov) Böhmisch Leipa (Česká Lípa) Chlumec bei Wittingau (Chlum u Třeboně) Christianenburg (Kristin hrádek) Cilli (Celje) Dirna (Dírná) Eger (Cheb) Franzensbad (Františkovy Lázně) Gossengrün (Krajková) Graslitz (Kraslice) Groß Zdikau (Velký Zdíkov) Jitschin ( Jičín) Joachimsthal ( Jáchymov) Karlsbad (Karlovy Vary) Klösterle (Klášterec nad Ohří) Komotau (Chomutov) Konopischt (Konopiště) Kremsier (Kroměříž) Kulm (Chlumec) Kwassitz (Kvasice) Laun (Louny) Leitmeritz (Litoměřice) Liebwerd (Libverda) Lobositz (Lovosice)
Marienbad (Mariánské Lázně) Maxdorf (Maxičky) Neuhaus ( Jindřichův Hradec) Nollendorf (Nakléřov) Perutz (Peruc) Podiebrad (Poděbrady) Rakonitz (Rakovnik) Reichenberg (Liberec) Ritschan (Říčany) Rongstock bei Tetschen (Roztoky nad Labem) Saatz (Žatec) Schlan (Slaný) Schüttenhofen (Sušice) Sobieslau (Soběslav) Straschnitz (Strašnice) Tabor (Tábor) Teplitz (Teplice) Teschen (Český Těšín bzw. Cieszyn) Tetschen (Děčín) Trautenau (Trutnov) Trebnitz (Třebenice) Tschaslau (Čáslav) Wittingau (Třeboň) Worlik (Orlík) Žižkow (Žižkov)
Bildnachweis Sofern nicht anders angeführt stammt das Bildmaterial aus dem Familienarchiv der Tetschener Linie der Familie Thun-Hohenstein, welches sich im Staatlichen Gebietsarchiv Litoměřice (Leitmeritz), Abteilung Děčín (Tetschen) befindet. Die Auswahl des Bildmaterials sowie dessen Beschriftung erfolgte durch Jan Galandauer und Otto Chmelík.
JOHANNES E. SCHWARZENBERG
ERINNERUNGEN UND GEDANKEN EINES DIPLOMATEN IM ZEITENWANDEL 1903–1978 HERAUSGEGEBEN VON COLIENNE MERAN, MARYSIA MILLER-AICHHOLZ, ERKINGER SCHWARZENBERG
Johannes E. Schwarzenberg (1903–1978) zieht 1921 zum Studium nach Wien. Als mittelloser Akademiker tritt er 1928 einen Posten bei der Wiener Polizei als gewöhnlicher Verkehrspolizist an. 1930 wird er in den Auswärtigen Dienst aufgenommen und 1933 nach Rom und dann 1936 nach Berlin entsandt. 1938 muss Schwarzenberg fliehen. Er entkommt den Nazis nach Belgien, ehe es ihn 1940 nach Genf verschlägt. Als Leiter der Sonderhilfsabteilung des Roten Kreuzes befasst er sich bis 1945 mit dem tragischen Los der europäischen Juden. Nach Kriegsende stellt sich Schwarzenberg neuerlich der Republik Öster reich als Diplomat zur Verfügung. Oliver Rathkolb, Peter Jankowitsch, Maximilian Liebmann, Gabriella Dixon und Christoph Meran bestreiten den Dokumentarteil zu diesem Band, in dem auch die „Auschwitz Protokolle“ enthalten sind. 2013. 467 S. 81 S/W-ABB. UND 2 STAMMTAF. GB. MIT SU. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78915-4
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
VLADIMÍR VOTÝPKA
RÜCKKEHR DES BÖHMISCHEN ADELS AUS DEM TSCHECHISCHEN VON WALTER UND SIMIN REICHEL
Vor mehr als 30 Jahren begann der tschechische Journalist Vladimír Vot pka, die Schicksalswege böhmischer Adelsfamilien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzuzeichnen. Der böhmische Adel war immer eng mit der Geschichte Europas verbunden. Zur Zeit der Habsburgermonarchie übte er in der Funktion von Ministerpräsidenten, Außenministern, hohen Beamten und Militärs einen erheblichen Einfluss auf das politische Geschehen aus. Was aber wurde nach dem Ende der Monarchie aus diesen Familien? Wie haben sie – Jahre später – auf die kommunistische Machtergreifung in der Tschechoslowakei reagiert? Viele von ihnen gingen ins Exil und fanden so eine neue Heimat. Nach der politischen Wende des Jahres 1989 kehrten sie überwiegend in ihre alte Heimat zurück, wo sie sich des Jahrhunderte alten Familienbesitzes annahmen. Das Buch ermöglicht einen tiefen Einblick in oftmals abenteuerliche Lebensschicksale der Familien Mladota, Schwarzenberg, Battaglia, Mensdorff-Pouilly, Dobrzensky, Troskov, Kinsky, Belcredi, Dlauhowesky, Coudenhove-Kalergi, Lobkowicz, Czernin, Kolowrat und Razumovsky und den Neuanfang der zweiten und dritten Generation adeliger Nachkommen. 2010. 411 S. 101 S/W-ABB. GB. MIT SU. 155 X 235 MM. | ISBN 978-3-205-78290-2
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VLADIMÍR VOTÝPKA
BÖHMISCHER ADEL FAMILIENGESCHICHTEN
Lobkowicz, Mensdorff-Pouilly, Borek-Dohalsky, Schwarzenberg, Kinsky, Schlik, Sternberg, Czernin, Strachwitz, von Bubna und Lititz, Wratislaw, Hruby und Gelenj – klingende Namen großer böhmischer Adelsgeschlechter, deren Schicksale während der politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts vielfach unbekannt geblieben sind. Der Publizist und Fotograf Vladimír Votýpka hatte noch in kommunistischer Zeit im Rahmen einer Recherche über denkmalgeschützte Objekte in Böhmen und Mähren die Möglichkeit, hinter die Kulissen der herrlichsten Schlosseinrichtungen zu blicken, wohin ansonsten nur ganz wenige Besucher gelangen. Was er entdeckte waren zahlreiche Kunstgegenstände, historische Möbel und ganze Bibliotheken, die jahrhundertelang sorgfältig gepflegt worden waren, sich nun aber in chaotischem Zustand befanden. Er begann die Geschichte der ehemaligen Bewohner, der adeligen Familien, aufzuschreiben. Es gelang ihm dabei, wichtige Vertreter des böhmischen Adels ausfindig zu machen und die politisch und persönlich so stark bewegten Jahre gemeinsam mit ihnen zu rekonstruieren. 2. AUFL. 2008. 383 S. ZAHLR. S/W-ABB. GB. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-77592-8
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JEAN-PAUL BLED
FRANZ FERDINAND DER EIGENSINNIGE THRONFOLGER
Die Beziehung zwischen dem österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und Kaiser Franz Joseph war kontrovers: Gemeinsam war ihnen zweifellos die hohe Achtung der Dynastie und des monarchischen Prinzips; ebenso gemeinsam war ihnen angesichts der zunehmenden Gefahren von außen die Verteidigung einer Friedenspolitik. Andererseits missbilligte Franz Ferdinand die Innenpolitik des Kaisers und brannte darauf, an den Regierungsgeschäften beteiligt zu werden. Im wichtigsten Punkt, der Frage der Organisation der Monarchie, waren sich die beiden Männer völlig uneins. Franz Ferdinand lehnte die Ungarnpolitik seines Onkels ab. Auch durch seine Heirat mit Sophie Gräfin Chotek wehrte er sich gegen kaiserliche Standesregeln. Hätte Franz Ferdinand im Falle einer Regentschaft den Lauf der Geschichte verändert? 2013. 322 S. 18 S/W ABB. GB. MIT SU. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-78850-8
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