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German Pages 328 [327] Year 2015
Bodo Müller | Walter Rath
Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen Das kompetente Lehrbuch für Studium und Praxis 3., vollständig überarbeitete Auflage
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Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Müller, Bodo und Rath, Walter Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen. Das kompetente Lehrbuch für Studium und Praxis 3., vollstängig überarbeitete Auflage Bodo Müller | Walter Rath Hannover: Vincentz Network, 2015 Farbe und Lack Edition ISBN 978-3-74860-015-2 © 2015, Vincentz Network GmbH & Co. KG, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge und Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern: Vincentz Network GmbH & Co. KG, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029 [email protected] www.farbeundlack.de/shop Satz: Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover, Germany Druck: BWH GmbH - Die Publishing Company, Hannover, Germany ISBN 978-3-74860-015-2
Farbe und Lack Bibliothek
Bodo Müller | Walter Rath
Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen Das kompetente Lehrbuch für Studium und Praxis 3., vollständig überarbeitete Auflage
Auf ein Wort Rezepturen sind streng gehütete Geheimnisse. Das gilt auch für die Kleb- und Dichtstoffindustrie. Richtrezepturen der Rohstoffhersteller und Patentbeispiele sind fallweise verfügbar, können aber ohne sorgfältige Auswahl und Aufbereitung nicht in einem Lehrbuch verwendet werden. Eine didaktisch sinnvolle und sachkundige Auswahl, Kommentierung bzw. Wertung von Formulierungen hatten sich die Autoren schon in der 1. und 2. Auflage zur Aufgabe gemacht und nun erscheint die 3., überarbeitete Auflage des Buches Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen. So konnten kleinere Fehler beseitigt, zusätzliche Abbildungen eingefügt und – wo notwendig – inhaltliche Ergänzungen und Aktualisierungen vorgenommen werden. Darüber hinaus muss darauf hingewiesen werden, dass sich heutzutage durch Firmenverkäufe Hersteller-, Produkt- und/oder Rohstoffnamen kurzfristig ändern können. Die Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen wird in folgenden Schritten vermittelt: In jedem Abschnitt werden zunächst Grundlagen der Anwendung und der Chemie des jeweiligen Kleb- oder Dichtstofftyps erklärt. Danach werden praktische Formulierungshinweise gegeben und bestehende Rezepte (Richtrezepturen oder Patentbeispiele) analysiert; dabei werden wichtige Rezepturkenngrößen lehrbuchmäßig berechnet. Auch Anfänger können die Rezepturberechnungen Schritt für Schritt nachvollziehen. Durch eine Auswahl bestehender Kleb- und Dichtstoffsysteme beschränkt sich das vorliegende Buch auf höherwertige Typen, wobei die verwendeten Rezepturen in der Regel aus Richtrezepten oder Patentbeispielen entwickelt wurden und nicht als sofort produktionsfähige Formulierungen verstanden werden können. Es hat sich als günstig erwiesen, Klebstoffe einerseits (Teil II) sowie Dicht- und Klebdichtstoffe andererseits (Teil III) nach unterschiedlichen Kriterien zu gliedern. Klebstoffe werden in Teil II nach ihrem Abbindemechanismus eingeteilt, in physikalisch abbindende und reaktive Systeme sowie Haftklebstoffe; die Anwendungen werden dabei mitbeschrieben. Die Einteilung nach dem Abbindemechanismus ist nahe verwandt zu einer Einteilung nach der Applikationsform. Die Applikationsform von Dicht- und Klebdichtstoffen, mit Ausnahme der wässrigen Polyacrylate, ist lösemittelfrei, deshalb bietet sich hier die Gliederung im Teil III nach den Anwendungen an. Im Teil IV wird schließlich auf die Prüfung von Kleb- und Dichtstoffen eingegangen. Ziel des vorliegenden Lehrbuchs über Kleb- und Dichtstoffformulierung ist es, Laboranten, Bachelors, Ingenieuren, Masters und insbesondere Berufsanfängern den Einstieg in die Formulierungspraxis zu ermöglichen. Dabei müssen Grundlagen der Chemie vorausgesetzt werden. Darüber hinaus kann es auch als Nachschlagewerk für alle an Kleb- und Dichtstoffen interessierte Leser dienen. Die Autoren möchten die Fachleute ausdrücklich ermuntern, ihnen unter Angabe der Quelle und ggf. mit einer kurzen Anwendungsbeschreibung solche Formulierungsbeispiele zu schicken, so dass sie in einer möglichen vierten Auflage des vorliegenden Buches berücksichtigt werden können. Esslingen und Aachen, im Dezember 2014 Bodo Müller und Walter Rath E-Mail-Adressen: [email protected] und [email protected] Müller/Rath: Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen © Copyright 2015 by Vincentz Network, Hannover, Germany
Haftungsausschluss Es ist darauf hinzuweisen, dass die Autoren lediglich ihre persönliche Auffassung nach bestem Wissen und Gewissen wiedergeben. Dies entbindet den Leser nicht davon, eigene Nachforschungen bei der An- oder Verwendung der verschiedenen beschriebenen Verfahren oder Erzeugnisse anzustellen und/oder ergänzende Beratungsleistungen einzuholen. Eine Haftung der Autoren ist insofern unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Teil I
Allgemeine Grundlagen............................................................................ 13
1
Einführung................................................................................................ 13
1.1 Begriffsbestimmungen................................................................................................... 13 1.2 Abbinden von Kleb- und Dichtstoffen......................................................................... 16 1.3 Wirtschaftliche Bedeutung............................................................................................ 18 1.4 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 21 2
Adhäsion/Haftung..................................................................................... 22
2.1 Benetzung von Substraten............................................................................................. 22 2.2 Haftkräfte und -mechanismen...................................................................................... 26 2.3 Haftvermittler/Haftschichten........................................................................................ 31 2.3.1 Silan-Haftvermittler......................................................................................................... 31 2.3.2 Dünne Polymerhaftschichten........................................................................................ 32 2.3.2.1 Polyacrylsäuren................................................................................................................ 32 2.3.2.2 Phenolharze....................................................................................................................... 33 2.4 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 34
3 Systematik der Kleb- und Dichtstoffe.................................................35 Teil II Klebstoffe........................................................................................................ 38 1
Physikalisch abbindende Klebstoffe........................................................ 38
1.1 Lösemittelhaltige Klebstoffe ......................................................................................... 38 1.1.1 Grundlagen........................................................................................................................ 38 Polymere in Lösung ........................................................................................................ 38 1.1.1.1 1.1.1.2 Herstellung und Formulierung..................................................................................... 41 1.1.1.3 Applikation........................................................................................................................ 42 1.1.2 Chemie lösemittelhaltiger Klebstoffe.......................................................................... 46 1.1.2.1 Polyurethane (PUR)......................................................................................................... 46 1.1.2.2 Polychloroprene ............................................................................................................... 50 1.1.2.3 Nitrilkautschuke ............................................................................................................. 54 1.1.2.4 Polyacrylate ...................................................................................................................... 55 1.1.2.5 Polyvinylchlorid................................................................................................................ 58 1.1.2.6 Polyvinylacetate............................................................................................................... 59 Wässrige Dispersionsklebstoffe .................................................................................. 61 1.2
7
8
Inhaltsverzeichnis
1.2.1 Grundlagen........................................................................................................................ 61 1.2.1.1 Dispersionen, Theorie und Stabilisierung.................................................................. 61 Formulierung wässriger Dispersionsklebstoffe........................................................ 65 1.2.1.2 1.2.1.3 Applikation wässriger Dispersionsklebstoffe............................................................ 66 Chemie wässriger Dispersionsklebstoffe................................................................... 70 1.2.2 1.2.2.1 Polyurethane (PUR)...........................................................................................70 1.2.2.2 Polychloroprene ............................................................................................................. 75 1.2.2.3 Polyacrylate....................................................................................................................... 76 1.2.2.4 Polyvinylacetat und Derivate ....................................................................................... 78 Schmelzklebstoffe............................................................................................................ 81 1.3 1.3.1 Grundlagen........................................................................................................................ 81 1.3.1.1 Aufbau und Abbindeprozess......................................................................................... 81 1.3.1.2 Applikation........................................................................................................................ 84 1.3.2 Chemie und Formulierung der Schmelzklebstoffe................................................... 90 Polyolefine und Copolymere ......................................................................................... 91 1.3.2.1 1.3.2.2 Polyester............................................................................................................................. 96 1.3.2.3 Polyamide.......................................................................................................................... 101 1.3.2.4 Block-Copolymere auf Basis Polystyrol ...................................................................... 105 1.3.2.5 Acrylate ............................................................................................................................. 105 1.3.2.6 Spezialprodukte................................................................................................................ 105 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 106 1.4 2
Reaktive Klebstoffe................................................................................... 107
2.1 Grundlagen........................................................................................................................ 107 2.1.1 Harze................................................................................................................................... 107 2.1.2 Anwendungen................................................................................................................... 107 2.1.3 Komponenten und Härtungsprozesse......................................................................... 108 2.1.4 Toxikologie........................................................................................................................ 112 2.2 Polyadditionsklebstoffe................................................................................................... 113 2.2.1 Polyurethane..................................................................................................................... 113 2.2.1.1 Grundlagen ....................................................................................................................... 113 2.2.1.2 Struktur/Eigenschaftsbeziehungen............................................................................. 120 2.2.1.3 Stöchiometrische Betrachtungen.................................................................................. 124 2.2.1.4 Formulierung reaktiver PUR-Klebstoffe..................................................................... 131 2.2.1.4.1 2K-PUR-Klebstoffe........................................................................................................... 132 2.2.1.4.2 Feuchtigkeitshärtende 1K-PUR-Klebstoffe................................................................ 136 2.2.1.4.3 Heißhärtende 1K-PUR-Klebstoffe............................................................................... 141 2.2.2 Epoxide............................................................................................................................... 144 2.2.2.1 Grundlagen ....................................................................................................................... 144 2.2.2.2 Struktur/Eigenschaftsbeziehungen............................................................................. 160 2.2.2.3 Stöchiometrische Betrachtungen ................................................................................ 161 2.2.2.4 Formulierungen................................................................................................................ 164 2.2.2.4.1 2K-Epoxidklebstoffe........................................................................................................ 164 2.2.2.4.2 Heißhärtende 1K- Epoxidklebstoffe............................................................................. 167 2.2.2.4.3 UV-härtende 1K-Epoxidklebstoffe................................................................................ 169 2.3 Polymerisationsklebstoffe.............................................................................................. 171 2.3.1 Acrylate.............................................................................................................................. 171 2.3.1.1 Grundlagen........................................................................................................................ 171 2.3.1.2 Struktur/Eigenschaftsbeziehungen............................................................................. 174 2.3.1.3 Formulierungen ............................................................................................................... 175
Inhaltsverzeichnis
2.3.1.3.1 2K-Acrylatklebstoffe........................................................................................................ 175 2.3.1.3.2 Anaerob härtende Acrylatklebstoffe............................................................................ 180 2.3.1.3.3 Strahlungshärtende Acrylatklebstoffe ....................................................................... 185 2.3.2 Cyanacrylate .................................................................................................................... 188 2.3.2.1 Grundlagen........................................................................................................................ 188 2.3.2.2 Struktur/Eigenschaftsbeziehungen ............................................................................ 190 2.3.2.3 Formulierungen................................................................................................................ 190 Polykondensationsklebstoffe ........................................................................................ 193 2.4 2.4.1 Phenolharze ...................................................................................................................... 193 2.4.1.1 Grundlagen........................................................................................................................ 193 2.4.1.2 Struktur/Eigenschaftsbeziehungen............................................................................. 199 2.4.1.3 Formulierungen................................................................................................................ 201 Reaktive Schmelzklebstoffe........................................................................................... 204 2.5 2.5.1 Konzeptionen.................................................................................................................... 204 Feuchtigkeitshärtende PUR-Schmelzklebstoffe ...................................................... 205 2.5.2 2.5.2.1 Grundlagen........................................................................................................................ 205 2.5.2.2 Aufbau und Formulierung.............................................................................................. 207 2.5.3 Feuchtigkeitshärtende POR-Schmelzklebstoffe........................................................ 215 2.5.3.1 Grundlagen und Aufbau ................................................................................................ 215 2.5.3.2 Formulierungen................................................................................................................ 215 Heißhärtende Epoxy-Schmelzklebstoffe..................................................................... 217 2.5.4 2.5.4.1 Grundlagen und Aufbau................................................................................................. 217 2.5.4.2 Formulierungen................................................................................................................ 219 2.5.5 Strahlenvernetzende Acrylat-Schmelzklebstoffe ..................................................... 220 2.6 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 221 3
Haftklebstoffe............................................................................................ 223
Grundlagen........................................................................................................................ 223 3.1 3.1.1 Charakterisierung............................................................................................................ 223 3.1.2 Struktur/Eigenschaftsbeziehungen............................................................................. 223 3.1.3 Applikation........................................................................................................................ 224 3.2 Lösemittelhaltige Haftklebstoffe .................................................................................. 225 3.2.1 Naturkautschuk ............................................................................................................... 225 3.2.2 Acrylate ............................................................................................................................ 226 Wässrige Dispersionen................................................................................................... 227 3.3 3.4 Schmelzhaftklebstoffe..................................................................................................... 229 3.4.1 Styrol-Block-Copolymere ............................................................................................... 229 3.4.2 Ethylenvinylacetate (EVA)............................................................................................. 231 3.4.3 A taktisches Polypropylen............................................................................................... 231 UV-vernetzende Systeme............................................................................................... 231 3.5 3.6 Anwendungen .................................................................................................................. 235 3.7 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 235 Teil III
Dichtstoffe und Klebdichtstoffe................................................................ 236
1
Klebdichtstoffe in der Autoindustrie....................................................... 236
Grundlagen........................................................................................................................ 236 1.1 Hitzehärtende Klebdichtstoffe im Automobilrohbau............................................... 239 1.2 1.2.1 Plastisole............................................................................................................................ 240
9
10
Inhaltsverzeichnis
1.2.2 Kautschuke........................................................................................................................ 242 1.3 Scheibenverklebung durch Klebdichtstoffe............................................................... 245 Feuchtigkeitshärtende 1K-Polyurethane.................................................................... 246 1.3.1 1.3.2 Reaktionshärtende 2K-Polyurethane........................................................................... 250 Heißapplizierbare 1K-Polyurethane............................................................................ 251 1.3.3 1.3.4 Primer................................................................................................................................. 252 1.4 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 253 2
Dichtstoffe für Mehrscheibenisolierglas................................................. 255
2.1 Grundlagen........................................................................................................................ 255 2.2 Isolierglas-Dichtstoffe..................................................................................................... 257 Primärdichtung (Butylkautschuk)................................................................................ 257 2.2.1 2.2.2 Sekundärdichtung............................................................................................................ 258 2.2.2.1 2K-Polyurethane............................................................................................................... 258 2.2.2.2 2K-Polysulfide................................................................................................................... 260 2.2.2.3 Heißapplizierbare thermoplastische Elastomere (1K)............................................. 261 2.2.2.4 Systemvergleich............................................................................................................... 264 2.3 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 266 3 Baudichtstoffe........................................................................................... 267 3.1 Grundlagen........................................................................................................................ 267 Einteilung von Baudichtstoffen..................................................................................... 269 3.2 3.2.1 Polyurethane..................................................................................................................... 270 3.2.1.1 Feuchtigkeitshärtende 1K-PUR-Systeme................................................................... 271 3.2.1.2 Reaktionshärtende 2K-PUR-Systeme.......................................................................... 272 3.2.2 Polysulfide......................................................................................................................... 274 3.2.3 Silicone............................................................................................................................... 275 3.2.4 Silanmodifizierte Dichtstoffe......................................................................................... 278 3.2.5 Polyacrylat-Dispersionen............................................................................................... 281 3.2.6 Primer................................................................................................................................. 284 3.3 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 285 Teil IV Design und Prüfung von Klebeverbindungen......................................... 286 1 Grundlagen................................................................................................ 286 1.1 Systembetrachtung.......................................................................................................... 286 Kohäsion von Klebstoffen und Viskoelastizität......................................................... 287 1.2 1.3 Thermomechanische Eigenschaften............................................................................ 289 2 Belastungsanalysen von Klebeverbindungen.......................................... 291 2.1 Vorbemerkung.................................................................................................................. 291 2.2 Mechanische Belastungen............................................................................................. 291 2.2.1 Statische Belastungen..................................................................................................... 291 Analyse der Scherbelastung.......................................................................................... 292 2.2.1.1 2.2.1.2 Analyse der Schälbelastung.......................................................................................... 294 2.2.2 Dynamische Belastungen............................................................................................... 295 Einfluss der Belastungsgeschwindigkeit.................................................................... 295 2.2.2.1 2.2.2.2 Periodische Belastungen................................................................................................ 296
Inhaltsverzeichnis
2.3 Analyse von Alterungseinflüssen................................................................................. 297 2.3.1 Thermische Belastungen................................................................................................ 297 2.3.1.1 Einfluss der Temperatur auf die Scher- und Schälfestigkeit.................................. 297 2.3.1.2 Thermische Ausdehnungskoeffizienten..................................................................... 297 2.3.1.3 Phasenumwandlungen................................................................................................... 297 Zersetzung organischer Polymere................................................................................ 298 2.3.1.4 2.3.2 Analyse der Belastung durch Medien......................................................................... 298 2.3.2.1 Quellung............................................................................................................................. 298 2.3.2.2 Hydrolyse........................................................................................................................... 299 2.3.2.3 Unterwanderung.............................................................................................................. 299 Anisotrope Effekte........................................................................................................... 299 2.4 3
Regeln........................................................................................................ 300
4
Prüfung von Klebeverbindungen............................................................. 302
4.1 Grundlagen........................................................................................................................ 302 4.1.1 Vorbemerkungen.............................................................................................................. 302 4.1.2 Vorprüfungen.................................................................................................................... 303 4.1.2.1 Handfestigkeit.................................................................................................................. 303 4.1.2.2 Raupentest......................................................................................................................... 304 4.1.2.3 Schlagfestigkeit................................................................................................................ 304 Wasserbeständigkeit....................................................................................................... 304 4.1.2.4 4.1.3 Bruchbildbeurteilung...................................................................................................... 304 4.1.4 Genormte und definierte anwendungsorientierte Prüfungen................................ 306 4.2 Mechanische Prüfverfahren........................................................................................... 306 4.2.1 Statische Prüfungen........................................................................................................ 306 4.2.1.1 Zugscherfestigkeit (ZSF)................................................................................................ 306 4.2.1.2 Zugfestigkeit..................................................................................................................... 307 4.2.1.3 Schälfestigkeit.................................................................................................................. 307 4.2.2 Prüfungen statischer Langzeitbelastungen................................................................ 308 4.2.2.1 Zeitstandfestigkeit, Kriechbeständigkeit ................................................................... 308 4.2.2.2 Keiltest (wedge test)........................................................................................................ 309 4.2.3 Dynamische Prüfungen.................................................................................................. 309 4.2.3.1 Schlagfestigkeit................................................................................................................ 309 Dauerschwingfestigkeit, Ermüdungsbeständigkeit ................................................ 310 4.2.3.2 4.3 Beständigkeits- und Alterungsprüfungen.................................................................. 310 Prüfung von Temperatureinwirkung........................................................................... 310 4.3.1 4.3.1.1 Temperaturbeständigkeit............................................................................................... 310 4.3.1.2 Temperaturabhängigkeit der Klebefestigkeit............................................................ 310 Prüfung der Feuchtigkeitseinwirkung........................................................................ 311 4.3.2 4.3.2.1 Wasserlagerung................................................................................................................ 311 4.3.2.2 Kochwassertest................................................................................................................. 311 4.3.2.3 Kondenswasserprüfung.................................................................................................. 311 4.3.2.4 Kataplasmatest................................................................................................................. 311 4.3.3 Kombinierte und variable Einflüsse............................................................................. 311 4.3.3.1 Klimawechseltest............................................................................................................. 311 VDA Wechseltest.............................................................................................................. 312 4.3.3.2 Spezifische Medien.......................................................................................................... 312 4.3.3.3 4.3.3.4 Salzsprühtests.................................................................................................................. 312 4.3.3.5 Spannungsrisskorrosion................................................................................................. 312
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Inhaltsverzeichnis
4.3.3.6 Licht.................................................................................................................................... 313 Prüfung von Emissionen................................................................................................ 313 4.3.3.7 4.4 Haftklebstoffe.................................................................................................................... 314 4.4.1 Tack..................................................................................................................................... 314 4.4.2 Schälfestigkeit/Peel......................................................................................................... 315 4.4.3 Kriechfestigkeitsmessungen......................................................................................... 316 Zerstörungsfreie Prüfung .............................................................................................. 316 4.5 5 Literaturverzeichnis........................................................................................................ 317
Allgemeine Literaturhinweise.................................................................. 318 Lebensläufe............................................................................................... 320 Index.......................................................................................................... 321
Begriffsbestimmungen
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Teil I Allgemeine Grundlagen 1 Einführung Kleben ist heute in vielen Bereichen des täglichen Lebens und der Industrie ein unverzichtbares Fügeverfahren, um zwei oder mehrere Substrate dauerhaft miteinander zu verbinden. Dadurch können Verbundwerkstoffe geschaffen werden, die die Herstellung innovativer Produkte in vielen Fällen erst möglich machen [1]. Klebstoffe sind Zwischenprodukte (Prozessmaterialien); Endprodukte sind die verklebten Substrate Alleine in Deutschland wurden in 2007 fast 800.000 Tonnen Klebstoff im Wert von fast 1,5 Mrd. Euro produziert und auch verbraucht – Tendenz steigend. Für die unterschiedlichsten Anwendungen bieten die Klebstoffhersteller über 25.000 verschiedene Produkte an – maßgeschneidert für (fast) jeden Zweck [1]. Das Gebiet der Kleb- und Dichtstoffe ist chemisch und auch anwendungstechnisch gesehen so vielfältig wie kaum ein anderes. Dieses Buch kann nur die wichtigsten Typen beschreiben, wobei diese Auswahl natürlich subjektiv ist. Der Titel des Buches „Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen“ macht deutlich, dass der Schwerpunkt auf den Stoffen, d.h. der Chemie liegt und etwas weniger im Bereich der Füge- und Verbindungstechnik (Kleben und Dichten). Die hier zugrunde liegende Technologie kann mit gutem Recht als interdisziplinär bezeichnet werden. Abbildung I-1.1 macht den Versuch, dies zu verdeutlichen und stellt die Adhäsion (Haftung, siehe auch Kapitel I-2) ins Zentrum [2]. Darüber hinaus soll Abbildung I-1.2 diese Interdisziplinarität bzw. Komplexität anhand der Einflussgrößen auf die Festigkeit einer Klebung aufzeigen [3].
Abbildung I-1.1: Interdisziplinarität
1.1
Abbildung I-1.2: Einflussgrößen auf die Festigkeit einer Klebung
Begriffsbestimmungen
Klebstoffe Ein Klebstoff ist ein nichtmetallischer Stoff, der Fügeteile durch Flächenhaftung (Adhäsion) und innere Festigkeit (Kohäsion) verbinden kann [3]. Klebstoffe werden in einem fließfähigen
14
Einführung
Zustand appliziert, benetzen die Substrate (Fügeteile) und binden danach physikalisch oder chemisch ab (sie verfestigen). Klebstoffe übertragen Kräfte zwischen den verklebten Fügeteilen; man erhält kraftschlüssige Verbindungen wie bei anderen Fügeverfahren: z.B. Schweißen, Löten, Nieten. Klebverbindungen bewirken aber eine gleichmäßigere Kräfteverteilung über die gesamte Klebfläche; die gleichmäßigeren Spannungsverhältnisse erlauben vielfach eine Ausnutzung der Materialstärke bis zur Belastungsgrenze; man kann dünnere, leichtere Werkstoffteile verwenden. Unter Adhäsion versteht man die Haftwirkung zwischen einer festen Grenzfläche und einer zweiten Phase; Kohäsion ist die Bezeichnung für den Zusammenhalt von Stoffen. Die Kohäsion ist somit ein Sonderfall der Adhäsion, bei der gleichartige Teilchen aneinander haften.
Abbildung I-1.3: Vereinfachte Einteilung von einigen Klebstoffen nach Adhäsion und Kohäsion
Als Kleben bezeichnet man das Fügen gleicher oder ungleicher Werkstoffe unter Verwendung eines Klebstoffs [3]. Strukturelles Kleben beschreibt eine durch Kleben mögliche, dauerhafte konstruktive Gestaltung mit hoher Festigkeit bzw. Steifigkeit; d.h. Verklebungen mit hoher Adhäsion und Kohäsion (Abbildung I-1.3). Als Klebefuge bezeichnet man den Zwischenraum zwischen zwei Klebflächen, der durch eine Klebstoffschicht ausgefüllt wird.
Dichtstoffe Ein Dichtstoff ist ein Werkstoff zur Abdichtung von Fugen (hierunter fallen auch feste Materialien wie z.B. Gummiprofile). Eine Fugendichtungsmasse ist ein Dichtstoff, der im plastischen Zustand in eine Fuge eingebracht wird. Eine Fuge ist ein beabsichtigter oder toleranzbedingter Raum zwischen Bauteilen; eine Dichtstofffuge ist in der Regel viel breiter als die Klebefuge (s.o.). Dichtstoffe sind somit fugenfüllend. In der Praxis wird meistens nur der Begriff Dichtstoff verwendet. In diesem Buch werden unter Dichtstoffen pastöse Materialien, die in der Fuge zu mehr oder weniger festen Materialien abbinden, verstanden. Dichtstoffe sollen dafür sorgen, dass fertigungs-, montage- oder aus anderen Gründen bedingte Trennstellen an Bauteilen gleichartiger oder unterschiedlicher Materialzusammensetzung dicht sind im Hinblick auf: • • • • •
Gase, Flüssigkeiten, Feststoffe (z.B. Staub), Energieverluste, Lärm.
Dazu kommt noch die Forderung nach elastischer Lagerung (z.B. Glasscheiben auf Metall) oder Korrosionsverhinderung bei direktem Metall-Metall-Kontakt. Darüber hinaus muss ein Dichtstoff
Begriffsbestimmungen
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natürlich (wie ein Klebstoff) gut haften und eine an die Anwendung angepasste Festigkeit (Kohäsion) aufweisen. Abgebundene Dichtstoffe übertragen in der Praxis nur geringe Kräfte zwischen den abgedichteten Teilen (meist deutlich kleiner 1 MPa). Die Funktionsfähigkeit eines verfestigten Dichtstoffs wird wesentlich von seinem elastischen Rückstellvermögen bestimmt [6]. Im Idealfall wäre das elastische Rückstellvermögen 100 %; in der Praxis ist es jedoch Abbildung I-1.4: Qualitatives Spannungs-Dehnungsverhalniedriger. D.h. ein fester Dichtstoff hat ten von Kleb-, Klebdicht- und Dichtstoffen neben seiner Elastizität auch einen mehr oder weniger ausgeprägten plastischen Anteil. In Einzelfällen kann ein plastisches Verhalten auch erwünscht sein.
Klebdichtstoffe Der Übergang von großer und keiner Kraftübertragung ist aber fließend. Den technisch außerordentlich wichtigen Übergangsbereich zwischen reinen Kleb- und reinen Dichtstoffen bilden die sog. Klebdichtstoffe. Abbildung I-1.4 macht den Versuch, die schwierige (weil unscharfe) Abgrenzung zwischen Kleb-, Klebdicht- und Dichtstoffen anhand des Spannungs-Dehnungsverhaltens zu Abbildung I-1.5: Schematische Einteilung von Kleb-, verdeutlichen. Klebdicht- und Dichtstoffen
Ein zweites Einteilungskriterium ist die Fähigkeit zur Füllung von Fugen. Dichtstoffe sind fugenfüllend (bis mehrere cm), Klebstoffe sind nicht fugenfüllend (Klebefugen ≤ 1 mm). Klebdichtstoffe nehmen auch hier eine Zwischenstellung ein und können bis etwa 5 mm fugenfüllend sein. Abbildung I-1.5 macht den Versuch, die Unterschiede zwischen Kleb-, Klebdicht- und Dichtstoffen qualitativ darzustellen. Weiteres zur Systematik von Kleb- und Dichtstoffen findet sich in Kapitel I-3.
Vorteile des Klebens [5] + + + + + + + + +
gleichmäßige Spannungsverteilung über die gesamte Klebefläche, keine thermische Gefügebeeinflussung von Metall-Legierungen (wie z.B. beim Schweißen), kein thermisch verursachter Bauteilverzug, Verbinden unterschiedlicher Werkstoffe möglich (z.B. Glas-Metall), keine Kontaktkorrosion (beim Verbinden elektrochemisch unterschiedlicher Metalle), Verbinden sehr dünner Bauteile möglich (z.B. Folien), Verbinden von wärmeempfindlichen Stoffen möglich (z.B. Kunststoffe), Gewichtsersparnis gegenüber anderen Fügeverfahren, Kombination mit Schrauben, Nieten oder Punktschweißen möglich.
Nachteile des Klebens [5] – eingeschränkte Reparatur- und Recycling-Möglichkeiten,
16
Einführung
– begrenzte thermische Beständigkeit von Verklebungen, – Kriechneigung, – aufwändige Kontroll- und Qualitätssicherungsverfahren, – Alterung von organischen Klebeschichten (z.B. Autoxidation), – Prozessparameter müssen genau eingehalten werden.
Abbildung I-1.6: Einteilung von Klebstoffen nach ihrem Abbindemechnismus (wichtigste Mechanismen)
Abbildung I-1.7: Einteilung polymerer Kunststoffe
1.2 Abbinden von Kleb- und Dichtstoffen Bei der Applikation müssen Kleb- und Dichtstoffe fließfähig sein, um die Fügeteile benetzen zu können, was eine Voraussetzung für die Haftung ist (Kapitel I-2). Das Abbinden von Klebund Dichtstoffen wird auch Verfestigung genannt und ist der Übergang vom fließfähigen in den festen Zustand; dies kann rein physikalisch oder auch durch chemische Reaktionen erfolgen. Abbildung I-1.6 stellt die wichtigsten Mechanismen schematisch dar. Eine Sonderstellung nehmen die dauerklebrigen Haftklebstoffe (z.B. für Etiketten oder Klebebänder) ein, die streng genommen gar nicht abbinden. Haftklebstoffe können als Lösung, als wässrige Dispersion oder als Schmelze (alle drei physikalisch abbindend) bzw. sogar als UV-vernetzende Systeme (reaktiv) appliziert werden; d.h. sie sprengen das vereinfachte Schema in Abbildung I-1.6.
Physikalisches Abbinden Beim physikalischen Abbinden liegen die Bindemittel-Polymere bereits vor [3].
Abbildung I-1.8: Schematische Darstellung polymerer Kunststoffe
Sie können einmal durch Lösen oder Dispergieren in Lösemitteln (einschließlich Wasser) in einen fließfähigen Zustand gebracht werden. Das Abbinden der gelösten oder dispergierten Bindemittel erfolgt durch Verdunsten des Lösemittels; vgl. physikalische Trocknung von Lacken [4]. Eine andere
Abbinden von Kleb- und Dichtstoffen
17
Abbildung I-1.9: Schematische Darstellung der Entropie- bzw. Gummielastizität
Abbildung I-1.10: Prüfkörper mit verfestigtem Polysulfidbaudichtstoff, rechts bei und links ohne Krafteinwirkung
Möglichkeit besteht im reversiblen Schmelzen von thermoplastischen Polymeren. Kontaktklebstoffe binden meist durch Teilkristallisation der Polymere ab. Das besondere Abbinden von Plastisolen (Gelieren) wird in Kap. III-1.2.1 ausführlich beschrieben werden. Alle physikalisch abgebundenen Kleb- und Dichtstoffe sind Plastomere und haben deren Nachteile wie z.B. mangelnde Lösemittelbeständigkeit und Wärmestandfestigkeit.
Chemisches Abbinden Bei chemisch abbindenden Kleb- und Dichtstoffen liegen die Bindemittel als fließfähige Monomere oder Präpolymere vor [3] und es findet wie bei chemisch härtenden Lacken [4] eine Molmassenvergrößerung und eine mehr oder weniger ausgeprägte Vernetzung statt. Je nach Vernetzungsgrad erhält man Duromere oder chemisch vernetzte Elastomere.
Organische Bindemittel für Kleb- und Dichtstoffe als polymere Kunststoffe An dieser Stelle sollen Kleb- und Dichtstoffe einmal aus der Sicht der Kunststofftechnik betrachtet werden. Denn im Wesentlichen sind organische Bindemittel in abgebundenen und damit festen Kleb- bzw. Dichtstoffen nichts anderes als polymere Kunststoffe und können wie diese eingeteilt werden (Abbildungen I-1.7 und I-1.8) [4]. Durch physikalische Trocknung oder Abkühlung von Schmelzen erhält man Plastomere. Durch chemische Reaktion (Härtung) erhält man je nach Vernetzungsgrad Duromere oder chemisch vernetzte Elastomere. Eine Sonderstellung nehmen die thermoplastischen Elastomere ein, die zwar als Schmelze verarbeitbar sind, aber bei Raumtemperatur durch Nebenvalenz-
18
Einführung
vernetzung ein elastisches Verhalten aufweisen (siehe Kapitel II -1.3 und III -2.2.2.3). Alle in Abbildungen I -1.7 und I-1.8 gezeigten polymeren Kunststofftypen finden als Kleb- oder Dichtstoffe Anwendung und werden im Verlauf dieses Buches an konkreten Beispielen erläutert. Dem Begriff der Elastizität kommt bei Kleb- und insbesondere bei Dichtstoffen große Bedeutung zu. Elastizität ist die Eigenschaft fester Stoffe, nach einer Deformation wieder in ihren ursprünglichen Zustand überzugehen (elastische Rückstellung). Abbildung I-1.9 stellt die bei Polymeren vorkommende Entropieelastizität (Gummielastizität) schematisch dar. Die Entropieelastizität resultiert aus dem Bestreben von Polymeren, eine möglichst ungeordnete Form (mit hoher Entropie) anzunehmen. Abbildung I-1.10 zeigt anschaulich das elastische Verhalten und insbesondere die elastische Rückstellung von Polysulfidbaudichtstoffen (Kapitel III-3.2.2). Bei Krafteinwirkung wird der Polysulfiddichtstoff deformiert (Abbildung I-1.10 rechts) und kehrt nach Beendigung der Krafteinwirkung wieder in den ursprünglichen Zustand zurück (Abbildung I-1.10 links).
Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen Bei der Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen können grundsätzlich zwei verschiedene Wege eingeschlagen werden (Abbildung I-1.11). Von Seiten der Lackformulierung [4] her kennt man das Mischen von kommerziellen Rohstoffen, während bei Kleb- und Dichtstoffen auch Formulierungen mit eingeschlossener Polymersynthese vorkommen (Abbildung I-1.11). Als Beispiel seien Klebdichtstoffe für die Verklebung von KfzWindschutzscheiben genannt (Kapitel III-1.3), bei denen es sog. Eintopfverfahren gibt. Während dieses „Eintopf-Prozesses“ werden gleichzeitig die Rezepturbestandteile gemischt, Füllstoffe dispergiert und ein isocyanatterminiertes Präpolymer hergestellt.
Abbildung I-1.11: Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen
Ähnlich wie bei Beschichtungen ist eine neue Entwicklungsrichtung bei Klebstoffen der Einsatz von nanopartikularen, oberflächenmodifizierten und damit verstärkenden Füllstoffen zur Verbesserung von mechanischen Eigenschaften [13] zu sehen.
1.3 Wirtschaftliche Bedeutung Klebstoffe Der weltweite Klebstoffbedarf wurde in 2007 auf 11 Millionen Tonnen geschätzt. Die regionale Verteilung des Klebstoffverbrauchs zeigt Abbildung I-1.12. Die vielfältigen Anwendungen von Klebstoffen zeigt Abbildung I-1.13[8]. Der größte Anteil von Klebstoffen wird im Bereich der Papier- und Verpackungsindustrie verbraucht (Abbildung I-1.13); bei Verpackungen handelt es sich meist um kurzlebige Massenartikel [8]. Wie bei Lacken und Beschichtungen [4] machen auch bei Klebstoffen die Anwendungen im Bauwesen einen großen Teil aus. Die verschiedenen Anwendungsformen von Klebstoffen zeigt Abbildung I-1.14 [9]. Ähnlich wie bei Lacken [4] dominieren bei Klebstoffen die wässrigen Systeme; allerdings sind bei Klebstoffen auch die emissionsfreien und recyclebaren Schmelzklebstoffe (Hot Melts, Kapitel II-1.3) von großer wirtschaftlicher Bedeutung (Abbildung I-1.14). Lösemittelhaltige Systeme befinden sich aus den bekannten ökologischen Gründen auf dem Rückzug.
Wirtschaftliche Bedeutung
Abb. I-1.12
Abb. I-1.13
Abb. I-1.14
Abbildung I-1.12: Regionale Gliederung des weltweiten Verbrauchs an Klebstoffen in 2011 [7] Abbildung I-1.13: Europäischer Klebstoffmarkt Abbildung I-1.14: Anwendungsformen von Klebstoffen* * nachwachsende = auf Basis nachwachsender Rohstoffe
19
20
Einführung
* Asien-Pazifik (ohne China)
Abbildung I-1.15: : Regionale Verteilung des Dichtstoffverbrauchs in 2012
Dichtstoffe Die regionale Verteilung des Dichtstoffverbrauchs zeigt Abbildung I-1.15 [10]. Die verschiedenen Anwendungsbereiche für Dichtstoffe zeigt Abbildung I-1.16 [11]. Die Anwendungen im Baubereich dominieren hier eindeutig. Die verschiedenen Rohstoffgrundlagen für die wichtigsten Dichtstoffsysteme zeigt Abbildung I-1.17 [14].
Abbildung I-1.16: Weltweiter Endabnehmermarkt für Dichtstoffe in 2012 [11]
Hier dominieren die Silicon-Dichtstoffe, die zumeist im Baubereich eingesetzt werden (vgl. Abbildung I-1.16 oben). Alle in Abbildung I-1.17 aufgezeigten Dichtstofftypen werden im Verlauf des Buches noch erläutert.
Rohstoffbasen
Die verschiedenen Rohstoffbasen von Kleb- und Dichtstoffen zeigt Abbildung I-1.18 [12]; trotz der älteren Zahlen wird deutlich, wie vielfältig die Chemie der Kleb- und Dichtstoffe ist. Abbildung I-1.19 zeigt zwar aktuellere Daten [15], bezieht sich aber nur auf Klebstoffe und ist leider nicht so stark unterteilt wie die vorangegangene Abbildung I-1.18.
Abbildung I-1.17: Rohstoffgrundlagen für Dichtstoffe in Europa 2012 (100 % : 533.860 to)
Wirtschaftliche Bedeutung
21
Abbildung I-1.18: Verbrauch von Kleb- und Dichtstoffen nach ihrer Rohstoffbasis in den USA (1998)
Es muss darauf hingewiesen werden, dass nicht alle in Abbildung I-1.18 aufgeführten Kleb- und Dichtstofftypen in diesem Buch behandelt werden. Da das vorliegende Buch sich auf höherwertige Kleb- und Dichtstoffe beschränkt, werden beispielweise Bindemittel auf Basis von Aminoharzen und ein großer Teil der Phenolharztypen nicht beschrieben, da diese nur für die Herstellung von Spanplatten eingesetzt werden (Phenolharze siehe Kapitel II-2.4). Bei den Dichtstoffen werden z.B. die billigen Typen auf Bitumenbasis nicht besprochen.
1.4 Literaturverzeichnis [1] Informationsserie 27 „Kleben/Klebstoffe“, CD-ROM herausgegeben vom Fonds der Chemischen Industrie (2001) [2] E. M. Petrie, Handbook of Adhesives and Sealants, McGraw-Hill, New York (2000) [3] G. Habenicht, Kleben – Grundlagen, Technologie, Anwendung, 4. Aufl., Springer Verlag (2002) [4] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, 3. Aufl., Vincentz Network (2009) [5] R. Domanski, Basiswissen Haftkleben (www.lohmanngruppe.de, 2003) [6] J. Krobb, E. Wistuba, Adhäsion (1992) Nr. 5, S. 14–20 [7] Farbe und Lack, 118 (2012) Nr. 8, S. 8 [8] H. Onusseit, Adhäsion, 47 (2003) Nr. 4, S. 20–24 [9] H. Onusseit, Phänomen Farbe, Nr. 9/10 (2003) S. 14–19 [10] www.pcimag.com/articles/print/97675-the-global-sealantsAbbildung I-1.19: Weltweiter Klebstoffmarket markt nach Rohstoffbasis in 2011 [11] http://en.puworld.com/html/20130402/394665511.html TPS: Thermoplastische Elastomere auf Basis Styrol [16], [12] U.S. Adhesives and Sealants Market to Reach $ 13.5 wie Styrol-Blockcopolymere, z.B. SBS Billion (2000) in www.adhesivesmag.com Sonstige: Einschließlich Siliconen, Polyisobutylenen u.a. [13] S. Sprenger, A. J. Kinloch, J. H. Lee, C. Taylor, D. Eagan, Farbe & Lack, 112, Nr. 7, S. 37–40 (2006) [14] www.european-coatings.com/Markets-Companies/European-sealants-market-slight-growth-rate-until-2017 [15] www.transparencymarketresearch.com/images/global-adhesives-market-volume-share-by-product-type2011-and-2018.png [16] http://de.wikipedia.org/wiki/Thermoplastische_Elastomere
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Adhäsion/Haftung
2 Adhäsion/Haftung Die Haftfestigkeit ist ein Maß für den Widerstand einer Verklebung gegen ihre mechanische Trennung vom Fügeteil bzw. Untergrund (bei Zugbeanspruchung Kraft/Fläche : MPa bzw. N/mm2, bei Schälbeanspruchung aber Kraft/Länge : N/mm). Im folgenden wird meist von Klebstoffen gesprochen; ähnliches gilt meist auch für Dichtstoffe und – wie schon früher beschrieben [1] – für Lacke und Beschichtungen.
2.1 Benetzung von Substraten Notwendige (aber nicht hinreichende) Voraussetzung für eine gute Haftung ist eine ausreichende Benetzung des (festen) Untergrunds/Substrats durch den flüssigen Klebstoff bei der Applikation. Die Grenzfläche Substrat/Luft (Oberfläche) wird dabei in eine Grenzfläche Substrat/ Flüssigkeit umgewandelt. Beim anschließenden Abbinden des Klebstoffs durch Trocknung oder Härtung wird dieser fest und man erhält eine Grenzfläche Substrat/Feststoff. An dieser Stelle muss angemerkt werden, das die Aggregatzustände von Klebstoffen in Einzelfällen recht schwierig zu definieren sind; man denke z.B. an dauerklebrige Haftklebstoffe auf Etiketten, die sich immer im Zustand einer hochviskosen Flüssigkeit befinden.
Oberflächen- und Grenzflächenspannung In einer Flüssigkeit wie z.B. Wasser sind alle Moleküle im Innern der Flüssigphase gleichmäßig von Nachbarmolekülen umgeben. Damit sind diese Moleküle in allen Raumrichtungen den gleichen anziehenden Wechselwirkungen ausgesetzt, die sich gegenseitig aufheben (Abbildung I -2.1). An der Grenzfläche Wasser/Luft verändern sich diese Verhältnisse grundlegend, da hier ein Wassermolekül nur noch in der Grenzfläche und zum Flüssigkeitsinneren hin von anderen Wassermolekülen umgeben ist. Damit heben sich nicht mehr alle Anziehungskräfte auf; auf das Wassermolekül wirkt vielmehr eine Kraft, die in das Flüssigkeitsinnere weist (Abbildung I-2.1). Diese Kraft bewirkt, dass die Flüssigkeitsoberfläche möglichst klein wird. Ein Flüssigkeitstropfen im schwerelosen Raum ist daher kugelförmig, da die Kugel bei maximalem Volumen eine minimale Oberfläche besitzt. Diese Kraft muss quantifiziert werden. Unter der Grenzflächenspannung (γ) versteht man nun diejenige Kraft, die an 1m einer gedachten, in der Grenzfläche zwischen zwei Phasen befindlichen Linie wirkt [Kraft/Länge = N/m; Angabe meist in mN/m, früher dyn/cm]. Ist eine Phase Luft, spricht man auch von einer Oberflächenspannung.
Abbildung I-2.1: Kräftediagramm zur Erklärung der Oberflächenspannung
Um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu vergrößern, müssen Moleküle aus dem Inneren an die Oberfläche gebracht werden; d.h. Anziehungskräfte müssen überwunden werden, was Arbeit bzw. Energieaufwand erfordert.
Benetzung von Substraten
23
Die folgende Dimensionsbetrachtung zeigt, dass eine Energie/Fläche gleich einer Kraft pro Länge ist; d.h. die Oberflächenspannung gibt auch die Oberflächenenergie wieder, so als:
Beispiele für Oberflächenspannungen von Flüssigkeiten (Grenzflächenspannungen gegen Luft) werden in Tabelle I-2.1 gegeben. Je höher die Oberflächenspannung, desto höher ist die Kohäsion einer flüssigen Phase, d.h. desto stärker die Wechselwirkungen der Atome bzw. Moleküle miteinander. Wassermoleküle sind durch Wasserstoffbrücken stark assoziiert, was eine große Oberflächenspannung bewirkt; die Wasseroberfläche verhält sich wie eine „Haut“. Je unpolarer die Flüssigkeiten sind, desto geringer wird dann auch ihre Oberflächenspannung.
Benetzung Die Benetzung einer Festkörperoberfläche (Substrat) durch eine Flüssigkeit ist vereinfacht in Abbildung I -2.2 dargestellt.
Tabelle I-2.1: Oberflächenspannungen [mN/m] von Flüssigkeiten Quecksilber * Wasser
500 73
Epoxidharze
45– 60
Acrylatharze
32– 40
Butylglykol
30– 32
Xylol
30– 32
Butylacetat
28
Butanol
23
Hexan
18– 20
* Flüssiges Metall (zum Vergleich). Der Vergleich verschiedener Literaturstellen zeigt geringfügige Schwankungen der Werte.
Ein Maß für die Benetzung ist der Randwinkel zwischen dem Festkörper und einem aufgetragenen Flüssigkeitstropfen (Abbildung I-2.2). Je kleiner der Randwinkel , desto besser ist die Benetzung. Der Benetzungsvorgang wird durch die Young’sche Gleichung beschrieben: S = SL + L · cos Für die Spreitung, gleichbedeutend mit dem Auseinanderlaufen des Flüssigkeitstropfens auf dem Substrat, gilt = 0° und damit cos = 1. Eingesetzt in die Young’sche Gleichung ergibt sich S = SL + L bzw. L = S - SL. Daraus folgt: Soll eine Flüssigkeit die Oberfläche eines festen Substrats benetzen, muss ihre Ober-
S Oberflächenspannung des Substrats (Feststoff) L Oberflächenspannung der Flüssigkeit SL Grenzflächenspannung zwischen Substrat und Flüssigkeit Randwinkel (Kontakt- bzw. Benetzungswinkel) der Flüssigkeit auf dem Substrat
Abbildung I-2.2: Benetzung einer Festkörperoberfläche durch eine Flüssigkeit
24
Adhäsion/Haftung
Tabelle I-2.2 : Kritische Oberflächenspannungen [mN/m] von festen Substraten Glas
73
Phosphatierter Stahl
43– 46
Polyvinylchlorid
39– 42
Verzinnter Stahl*
ca. 35
Aluminium*
33– 35
Polyethylen
31– 39
Polypropylen
28– 30
Stahl (unbehandelt)*
29
Polydimethylsiloxan
19
Polytetrafluorethylen
19
*Gilt für feste Metalloberflächen, geschmolzene (flüssige) Metalle haben wesentlich höhere Oberflächenspannungen (siehe Quecksilber in Tab. I-2.1) [17]. Der Vergleich verschiedener Literaturstellen zeigt gering fügige Schwankungen der Werte.
flächenspannung niedriger als die des Substrats sein (L < S). Mit anderen Worten, wenn eine Flüssigkeit eine höhere Oberflächenspannung als das Substrat hat, kann keine Benetzung erfolgen. In der Literatur findet man bei Metallen häufig Angaben von Oberflächenspannungen zwischen einigen Hundert und einigen Tausend mN/m (siehe Quecksilber in Tabelle I-2.1); diese Werte beziehen sich aber auf die flüssigen Metalle bei den jeweiligen Schmelztemperaturen [17]. Für die Benetzung ist jedoch die Oberflächenspannung (bei Raumtemperatur) der festen, mit Oxid- und Adsorbatschichten überzogenen Metalloberflächen wichtig (Tabelle I-2.2). Die kritische Oberflächenspannung von Feststoffen (Glas, Metall, Kunststoff) lässt sich indirekt über Benetzungsversuche (Messung von Randwinkeln, Zismann-Methode) bestimmen [14,16,17] und ist in Tabelle I-2.2 angegeben.
Bei Substraten sind mögliche Veränderungen der Oberfläche (z.B. Oxidschichten, Formtrennmittel usw.) zu berücksichtigen, die einen großen Einfluss auf die Oberflächenspannung haben können (siehe Tabelle I -2.3).
Metalloberflächen Wenn die Voraussetzung für eine Benetzung L < S streng gilt, dann dürfte Wasser auf Metall Aluminiumoberfläche Randwinkel (± 5°) oberflächen nicht spreiten (vgl. Walzblank 63 relativ niedrige OberflächenGebeizt mit handelsüblichem Beizmittel 22 spannungen von einigen Metall Gebeizt mit NaOH 31 oberflächen in Tabelle I-2.2). Das zeigen Randwinkelmessungen von Wassertropfen auf unterschiedlich vorbehandelten Aluminiumblechen (Tabelle I-2.3); Wasser benetzt zwar in allen Fällen, aber in keinem Fall erfolgt Spreitung. Tabelle I-2.3: Randwinkel von Wasser auf unterschiedlichen Aluminiumoberflächen bei RT
Abbildung I -2.3 zeigt modellhaft eine Aluminiumoberfläche [2], die – wie alle Oberflächen von Gebrauchsmetallen – besser als Aluminiumoxidoberfläche bezeichnet werden sollte. Wenn die Kriterien für Abbildung I -2.3 streng gelten würden, müsste die hydratisierte Aluminiumoxidoberfläche von Wasser vollständig benetzt werden, was aber nicht der Fall ist (Tabelle I -2.3). Abbildung I -2.3 stellt eine Vereinfachung der wahren Situation dar; ESCA/XPS-Messungen zeigen, dass unterschiedlich vorbehandelte Aluminiumoberflächen neben Aluminium und Sauerstoff einen erheblichen Anteil an Kohlenstoff aufweisen, der wahrscheinlich aus der Umgebung adsorbiert wurde (z.B. Kohlendioxid oder Kohlenwasserstoffe) [3]; siehe auch Kapitel I-2.3.2.2 (Abbildung I-2.21). D.h. es gibt meist noch kein klares Bild über die Struktur von Metalloberflächen; sicher ist aber, dass im wesentlichen Metalloxide vorliegen.
Kunststoffoberflächen Noch komplizierter sind technische Kunststoffoberflächen aufgebaut [2]. Bei Kunststoffen besteht oft das Problem, dass die Volumeneigenschaften (Eigenschaften des Grundwerkstoffs, „bulk“) nicht den Oberflächeneigenschaften entsprechen. Die Ursachen dafür können sowohl in der Zusammensetzung des Kunststoffs als auch im Herstellungs- bzw. Ver-
Benetzung von Substraten
25
Abbildung I-2.3: Hydratisierte Aluminium(oxid)oberfläche (stark vereinfachte Modellvorstellung) Ähnliche Verhältnisse für Fe/Fe2O3
arbeitungsverfahren liegen. Meist hat man hier eine energiearme Oberfläche (niedrige Oberflächenspannung) vorliegen, was eine unzureichende Benetzbarkeit zur Folge hat.
Zusammensetzung von Kunststoffen Viele Kunststoffe enthalten niedrigmolekulare Bestandteile, wie Additive (z.B. Stabilisatoren), Reste von Lösemitteln und teilweise Weichmacher. Alle diese Komponenten können, wenn sie an der Oberfläche vorhanden sind, die Haftung beeinträchtigen. Viele niedrigmolekulare Bestandteile neigen auch dazu, zur Oberfäche zu wandern (migrieren) und sich dort anzureichern. Dadurch bildet sich an der Kunststoffoberfläche eine Trennschicht (Abbildung I-2.4).
Herstellungs- bzw. Verarbeitungsverfahren von Kunststoffen a) Formtrennmittel Damit sich gespritzte oder gepresste Kunststoffteile problemlos von der Form trennen lassen, werden interne und externe Trennmittel eingesetzt. Interne Formtrennmittel werden bereits dem Kunststoffgranulat zugemischt und sind damit im ganzen Kunststoffteil verteilt; ein Anschleifen der Oberfläche ist dann meist nutzlos. Interne Formtrennmittel erzeugen Oberflächen, die schwer oder nicht benetzbar sind. Externe Formtrennmittel werden dagegen in das geöffnete Werkzeug gesprüht; sie basieren auf Paraffinen, Seifen und Ölen (auch Siliconöl). Bedingt durch die Verarbeitung befinden Abbildung I-2.4: Technische Kunststoffoberfläche
26
Adhäsion/Haftung
sich externe Formtrennmittel später dann nicht nur in der Oberflächenschicht sondern auch in darunter liegenden Schichten. b) Verarbeitungsbedingte Oberflächeneigenschaften Beim Spritzgießen oder Pressen von Kunststoffteilen können sich Oberflächeneigenschaften ausbilden, die nicht mit den Volumeneigenschaften identisch sind. Diese Materialzonen werden in der Praxis als Spritz- oder Presshaut bezeichnet. Es handelt sich dabei um sehr glatte und verdichtete Oberflächen (orientierte Schichten, Abbildung I-2.4).
Verbesserung der Benetzung Insbesondere bei wässrigen Klebstoffen ist häufig L > S, was zu einer unzureichenden Benetzung führt. Es bieten sich grundsätzlich zwei Wege an, die Benetzung zu verbessern: • Erniedrigung der Oberflächenspannung des Wassers (L) durch Zusatz von Netzmitteln (siehe [1]). • Erhöhung der Oberflächenspannung des Substrats (S). Bei Metallen bietet sich zur Erhöhung von S z.B. das Phosphatieren an (siehe Tabelle I-2.2). Die Oxidation von Kunststoffoberflächen (z.B. durch Beflammen) erzeugt polare Gruppen (z.B. –OH, –COOH) auf der Oberfläche und erhöht somit ebenfalls die Werte für S. Eine ausführliche Beschreibung der Oberflächenvorbereitung bzw. -behandlung für verschiedenste Kunststoffe findet sich in der Literatur [2,10,15]. Manchmal genügt schon Anschleifen oder Schmirgeln bzw. Reinigen mit Lösemitteln oder geeigneten wässrigen Reinigern, um die Benetzbarkeit von Kunststoffoberflächen zu verbessern. Darüber hinaus können noch haftungsfördernde Primer appliziert werden. Beispielsweise lassen sich Polyolefine (niedrige Oberflächenspannung, Tabelle I -2.2) mit chlorierten Polymeren beschichten, diese erhöhen die Oberflächenspannung [2].
2.2 Haftkräfte und -mechanismen Bis heute gibt es noch keine umfassende Adhäsionstheorie; nur Teilbereiche können theoretisch erklärt werden. Die messbare Haftfestigkeit setzt sich wahrscheinlich je nach Substrat/KlebstoffKombination aus verschiedenen Faktoren additiv zusammen.
Adhäsion/Kohäsion Kleb- und Dichtstoffe müssen eine ausreichende Adhäsion/Haftfestigkeit zu den verbundenen Substraten aufweisen (und eine genügende Kohäsion). Die Adhäsion wird definiert als die Wirkung von Anziehungskräften an der Grenzfläche zwischen unterschiedlichen festen Phasen.
Abbildung I-2.5: Geklebtes System
Unter Kohäsion versteht man die Wirkung von Anziehungskräften innerhalb einer Phase (hier Kleb- oder Dichtstoffphase). Kohäsion ist ganz allgemein die Bezeichnung für den Zusammenhalt von Stoffen und ist damit als ein Sonderfall der Adhäsion, anzusehen, bei der nur gleichartige Teilchen aneinander haften. Abbildung I -2.5 visualisiert Adhäsion und Kohäsion bei einer Verklebung.
Haftkräfte und -mechanismen
Abb. I-2.6
Abb. I-2.7
Abb. I-2.8
Abb. I-2.9 Abbildung I-2.6 : Kunststoff-Metall-Verklebung (vereinfachte Darstellung) Abbildung I-2.7: Flankenabriss bei einer Dehnungsfuge (links) Abbildung I-2.8: Adhäsionsarten Abbildung I-2.9: Mechanische Adhäsion
27
28
Adhäsion/Haftung
Schadensbilder Beim Versagen von Kleb- oder Dichtstoffen können – je nach relativer Stärke von Adhäsion und Kohäsion – folgende Schadensbilder auftreten. Adhäsionsbruch: Kohäsionsbruch: beide Bruchbilder: Bruch im Substrat:
Adhäsion < Kohäsion Adhäsion > Kohäsion (meistens erwünscht) Adhäsion ≈ Kohäsion Adhäsion und Kohäsion > Substratfestigkeit
Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass viele Bruchbilder als Adhäsionsbrüche bewertet werden, obwohl sie in Wirklichkeit Kohäsionsbrüche sind und zwar in einer grenzflächennahen Klebstoffschicht mit geringerer Festigkeit („weak boundary layer“, Abbildung I-2.6), was man visuell häufig nicht erkennen kann. Die Zusammensetzung des Klebstoffs bzw. die Anordnung der Polymermoleküle in der grenzflächennahen Schicht unterscheidet sich häufig von der in der „reinen“ Kleb- oder Dichtstoffphase (Volumeneigenschaften, „bulk“). Beispielsweise bildet sich so zwischem einem auf dem Substrat chemisorbierten Polymer (Monolage) und der Polymerphase eine Zone geringerer Festigkeit. Der Einfachheit halber wird dieses unerwünschte Schadensbild meist auch als Adhäsionsbruch bezeichnet. Grenzflächennahe Schichten geringerer Festigkeit können aber auch bei Kunststoffsubstraten (siehe Abbildung I-2.4 oben) oder Metallen (bestimmte Oxidschichten) auftreten [2]. Abbildung I-2.7 zeigt als anschauliches Beispiel für ein Adhäsionsversagen den sogenannten Flankenabriss des verfestigten Dichtstoffs in einer Dehnungsfuge (siehe auch Kapitel III-3). Der Dichtstoff verliert dadurch seine abdichtende Funktion.
Adhäsionstheorien Grundsätzlich unterscheidet man zwischen spezifischer Adhäsion (Grenzflächenwechselwirkung unabhängig von der geometrischen Gestalt der Oberfläche) und mechanischer Adhäsion (Abbildung I -2.8) Die mechanische Adhäsion (Verklammerung, Abbildung I-2.9) kommt zustande durch das Eindringen des flüssigen oder zumindest fließfähigen Klebstoffs in Vertiefungen (Poren, Rauhigkeit) des Substrats und nachfolgend die mechanische Verankerung des darin ausgehärteten Klebstoffs. Voraussetzungen für eine gute mechanische Adhäsion sind gute Benetzung des Substrats durch den flüssigen Klebstoff und niedrige Viskosität; letzteres ist bei Schmelzklebstoffen oder heißapplizierten Dichtstoffen manchmal schwierig zu erreichen. Aus Tabelle I -2.4 folgt, dass eine optimale Haftung durch Hauptvalenzbindungen zwischen Klebstoff und Substrat erreicht wird. Im Folgenden sollen daher zuerst die Hauptvalenzbindungen besprochen werden.
Ionische Bindungen Ionische Bindung (z.B. Salzbildung) entsteht beispielsweise mit carboxygruppenhaltigen Klebstoffpolymeren auf mineralischen Substraten, wie Metalloxidschichten, Phosphatschichten usw. (Abbildung I-2.10 und I-2.11). [4] Tabelle I-2.4 : Bindungstypen und -energien Bindungstyp
Bindungsenergie [kJ/Mol]
Hauptvalenzbindungen • Ionische Bindungen (Salze)
600 –1000
• Kovalente Bindungen
60 – 700
Nebenvalenzbindungen
< 50
Je nach Literaturstelle können diese Energieangaben leicht variieren. Nebenvalenzbindungen je nach Typ teilweise 70 %) gut wasserlöslich sind. Die Wasserlöslichkeit reinen Polyvinylalkohols ist schlechter als die von hochverseiften Polyvinylacetat-Typen, da deren Kristallisationsneigung geringer ist. Polyvinylalkohol besitzt eine Glastemperatur von 85 °C und einen kristallinen Schmelzpunkt von 230 °C. Deshalb ist er in reiner Form sehr spröde [11, 34].
Rezeptur Ein wasseraktivierbarer Klebstoff kann beispielsweise basierend auf einer ca. 30 %-igen Lösung eines hochverseiften Polyvinylacetats wie Mowiol 4-88, Kuraray, [34] hergestellt werden.
Anwendungen Polyvinylalkohol kann selbst als Klebstoff eingesetzt werden, er kann aber auch als Additiv für andere Klebstoffe, vorwiegend für Polyvinylacetate dienen. Bedingt durch seine Struktur zeigt er eine gute Haftung zu hochpolaren Substraten wie Holz und Papier. Es existieren verschiedene Einsatzbereiche als Additiv. Die Wirkung teilverseifter Polyvinylacetate als Schutzkolloide wurde bereits an anderer Stelle beschrieben. Die hohe Hydrophilie kann auch bei Dispersionen dazu dienen, die Offenzeit zu verlängern, indem das Wasser zu einem gewissen Grad in dem Klebstofffilm zurückgehalten wird. PVAl kann auch als rheologisches Additiv eingesetzt werden. Als Allein-Bindemittel findet er Anwendung im Bereich der Papierverklebung, und der wasseraktivierbaren Klebstoffe (Briefmarken, Etiketten, Briefkuverts usw.).
Schmelzklebstoffe
81
1.3 Schmelzklebstoffe 1.3.1 Grundlagen 1.3.1.1 Aufbau und Abbindeprozess Schmelzklebstoffe (engl.: Hotmelts oder Hotmelt Adhesives, die Begriffe werden gleichwertig nebeneinander verwendet) sind lösemittel- bzw. wasserfreie Klebstoffe basierend auf thermoplastischen Polymeren. Diese Polymere sind bei Raumtemperatur fest, sie erweichen beim Erwärmen zu viskosen Flüssigkeiten und können somit als Schmelze appliziert werden. Beim Abkühlen auf Raumtemperatur verfestigen sie sich reversibel unter gleichzeitigem Aufbau der Klebfestigkeit (setting). Abbildung II-1.37 zeigt das Prinzip der Schmelzklebstoffe.
Einteilung nach dem Verfestigungsmechanismus Man kann die Schmelzklebstoffe u.a. entsprechend ihrem Verfestigungsmechanismus einteilen. Dieser ist eine Folge des jeweils unterschiedlichen Aufbaus fester Polymere:
Klasse a) Amorphe Polymere, deren Glastemperatur Tg über Raumtemperatur liegt, besitzen bei Raumtemperatur eine hohe Festigkeit (hoher E-Modul). Sie sind allerdings bei Raumtemperatur sehr spröde und zeigen nur eine geringe Dehnbarkeit. Für die Formulierung von Schmelzklebstoffen werden sie deshalb häufig entweder mit Polymeren, die eine tiefe Glastemperatur haben, gemischt, oder aber man setzt direkt segmentierte Block-Copolymere (z.B. S-I-S, Kapitel II -1.3.2.5 und II-3) ein. Beim Erwärmen verlieren diese Produkte ihre Festigkeit, sobald man in die Nähe der Glastemperatur kommt. Beim Erwärmen über die Glastemperatur hinaus erfolgt (allmählich)Verflüssigung. Die Viskositäten solcher Polymere sind in unmittelbarer Nähe der Glastemperatur allerdings noch sehr hoch (Charakteristik der WLF-Gleichung [1, 2] ). Zur Verarbeitung werden deshalb meist recht hohe Applikationstemperaturen, die deutlich über der Glastemperatur liegen, angewandt.
Klasse b) Teilkristalline Polymere, deren kristalliner Schmelzpunkt Tm oberhalb Raumtemperatur liegt, sind nicht spröde, wenn sie eine hinreichend hohe Molmasse besitzen und wenn ihre Glastemperatur deutlich unterhalb Raumtemperatur liegt. Die Formulierungsmöglichkeiten für Schmelzklebstoffe sind allerdings stark eingeschränkt, da viele Zusätze den für die Verfestigung erwünschten Kristallisationsprozess stören. Beispiele solcher kristalliner oder teilkristalliner Produkte sind EVA-Copolymere, viele Polyester oder Polyamide (siehe hierzu auch Kapitel II -1.3.2.2 bis 4). Beim Erwärmen behalten diese Produkte ihre mechanische Charakteristik weitgehend konstant bis hin zum Schmelzpunkt. Oberhalb des kristallinen Schmelzpunkts erfolgt die Verflüssigung. Die Viskositäten solcher Polymere sind nach Überschreiten des Schmelzpunkts meist deutlich niedriger, da man sich weiter entfernt von der Glastemperatur befindet.
Klasse c) Hochmolekulare Polymere, deren Glastemperatur Tg unterhalb Raumtemperatur liegt, sind streng genommen bei Raumtemperatur (sehr hochviskose) Flüssigkeiten, die aber bereits viele Merkmale eines Fest-
Abbildung II-1.37: Prinzip der Schmelzklebstoffe
82
Physikalisch abbindende Klebstoffe
stoffs, wie beispielsweise eine definierte Form, aufweisen (Beispiel aus dem Alltag ist Kaugummi). Schmelzklebstoffe auf Basis solcher Polymere sind in der Regel aufgrund ihrer geringen Kohäsion lediglich als plastische Dichtstoffe im Einsatz und zwar dort, wo keine allzu großen Kräfte übertragen werden sollen. (Siehe hierzu auch Kapitel III-2.2.1). Solche Schmelzklebstoffe neigen unter Last und insbesondere unter gleichzeitiger Einwirkung von Wärme zum Kriechen (kalter Fluss, viskoses Verhalten, Plastizität). Beim Erwärmen verlieren sie kontinuierlich ihre (so und so geringe) Festigkeit. Sie werden einer Flüssigkeit immer ähnlicher. Da sie aus Polymeren mit hoher Molmasse aufgebaut sind, muss die Applikationstemperatur sehr deutlich über Raumtemperatur liegen, um bei Raumtemperatur zumindest eine gewisse Festigkeit zu erhalten, und um für die Applikation eine ausreichende Viskositätsabsenkung zu erreichen. Die Viskositätscharakteristik der einzelnen Schmelzklebstofftypen wird in den folgenden Abbildungen schematisch dargestellt. Abbildung II -1.38 zeigt die Verhältnisse für einen Schmelzklebstoff der Klasse a). Die Glastemperatur liegt oberhalb Raumtemperatur. Zur Applikation solcher Produkte benötigt man Temperaturen, die deutlich (mind. 50 bis 100 °C) oberhalb der Glastemperatur liegen, um eine hinreichend niedrige Applikationsviskosität zu erreichen. Abbildung II -1.39 zeigt das Viskositätsverhalten für einen Schmelzklebstoff der Klasse b). Der kristalline Schmelzpunkt liegt oberhalb Raumtemperatur. Für die Viskosität der Schmelze ist primär (neben der Molmasse) der Abstand der Temperatur von der Glastemperatur relevant. Da die Glastemperatur deutlich unterhalb des kristallinen Schmelzpunktes liegt, kann man schon wenig oberhalb des Schmelzpunktes (ca. 50 °C) niedrigviskose Schmelzen erhalten, die eine einfache Applikation ermöglichen.
Abb. II-1.38
Abb. II-1.39
Abb. II-1.40
Abb. II-1.41
Abbildung II-1.38: Viskositätsverhalten eines Schmelzklebstoffs der Klasse a) Abbildung II-1.39: Viskositätsverhalten eines Schmelzklebstoffs der Klasse b) Abbildung II-1.40: Viskositätsverhalten eines Schmelzklebstoffs der Klasse c) Abbildung II-1.41: Viskositätsabhängigkeit von der Molmasse (Klasse c)
Schmelzklebstoffe
83
Abbildung II -1.40 zeigt die Verhältnisse für einen Schmelzklebstoff der Klasse c). Das amorphe Polymer besitzt eine Glastemperatur deutlich unterhalb Raumtemperatur. Um bei Raumtemperatur hinreichend fest zu sein, muss es sich wie eine sehr hochviskose Flüssigkeit verhalten. Deshalb sind sehr hochmolekulare Produkte nötig (siehe hierzu Abbildung II-1.41), die dann aber aufgrund der Viskositäts-/Temperaturabhängigkeit auch eine vergleichsweise hohe Applikationstemperatur benötigen.
Formulierungsprinzip Schmelzklebstoffe sind so genannte 100 %-Klebstoffe, d.h. in der Rezeptur ist kein Applikationshilfsmittel wie Wasser oder Lösemittel zugesetzt, das beim Verfestigungsprozess entweichen müsste. Folgende Bestandteile mit den jeweils aufgeführten Funktionen werden typischerweise für eine Formulierung (in der angegebenen prozentualen Größenordnung) eingesetzt: Das Basispolymer (30 bis 100 %) definiert die wesentlichen Eigenschaften des Schmelzklebstoffs wie seine Verarbeitungsbedingungen, seine Adhäsion, seine chemische und hydrolytische Beständigkeit, seinen Erweichungsbereich, seinen Verfestigungsmechanismus und im übrigen auch und vor allem seinen Preis. In Sonderfällen kommen auch Polymerblends zum Einsatz. Harze (bis zu ca. 40 %) werden oft zur Erhöhung der Klebrigkeit (Tack), der Adhäsion, der Wärmestandfestigkeit und zur Reduktion der Verarbeitungsviskositäten zugesetzt. Die Verträglichkeit mit dem Polymer ist ebenso zu beachten wie der damit verknüpfte Einfluss auf das Abbindeverhalten (Tg oder Tm). Weichmacher und Wachse (bis zu ca. 40 %) sollen meist die Verarbeitungsviskositäten und die Kosten senken. Oft werden feste Weichmacher eingesetzt, die Abgrenzung zu Harzen ist fließend. Der Zusatz von Weichmachern beeinflusst die Glastemperatur amorpher Produkte wie auch das Kristallisationsverhalten kristalliner Produkte meist ungünstig. Bei Schmelzklebstoff-Dichtstoffen sind Weichmacher durch ihre Quellungseigenschaften mit für die mechanische Charakteristik verantwortlich. Füllstoffe (bis zu ca. 50 %) dienen beim Einsatz in großen Mengen meist zur Reduktion der Kosten. Viele Schmelzklebstoffe werden ohne Füllstoffe formuliert. Die Einarbeitung großer Mengen von Füllstoffen ist vorzugsweise bei Schmelzklebstoff-Dichtstoffen relevant. Pigmente können zur Farbeinstellung genutzt werden. Additive (meist < 5%) insbesondere Antioxidantien sollen vor allem die Stabilität der geschmolzenen Polymere unter Applikationsbedingungen erhöhen. Daneben werden rheologische Additive und ggf. Haftvermittler zugesetzt.
Herstellung Die Herstellung der Schmelzklebstoffe auf Basis kommerzieller Polymere erfolgt meist durch einfaches Mischen der Polymere mit den weiteren Komponenten in der Schmelze im diskontinuierlichen Verfahren. Werden weitere Rezepturbestandteile wie Füllstoffe, Harze oder Additive eingesetzt, ist ein Vermischen nach dem Prinzip von dick nach dünn sinnvoll, d. h. Füllstoffe werden beispielsweise in wenig Polymer dispergiert, und dann erst viskositätsabsenkende Komponenten wie Weichmacher, Harze oder Wachse eingearbeitet. Lediglich zur Synthese von Strangware (Hotmelt-Gluesticks) oder zur Beschichtung von Trägermaterialien (z. B. Etiketten oder Klebebänder) ist eine kontinuierliche Vermischung der Rohstoffe mit direkt nachfolgender Extrusion üblich. Für die Herstellung der meisten SchmelzklebstoffTypen (z. B. EVA-Polymere) genügt ein heizbarer Reaktor mit einfachem Rührwerk. Hochgefüllte Systeme (und auch hochviskose Schmelzklebstoff-Dichtstoffe) werden in Knetern bzw. Innenmischern hergestellt. Schmelzklebstoffe auf Basis von Polykondensaten wie Polyester oder Polyamide werden meist direkt unter Vakuum und Temperatureinwirkung aus den entsprechenden Monomeren hergestellt. Eine weitere Formulierung ist dort von untergeordneter Bedeutung.
84
Physikalisch abbindende Klebstoffe
1.3.1.2 Applikation Verklebungsprozess Schmelzklebstoffe werden im Rahmen des Verklebungsprozesses ausgehend von der festen Lieferform für die Applikation thermisch verflüssigt. Die heiße Schmelze kann bei hinreichend niedriger Viskosität leicht verarbeitet werden. Sie benetzt als Flüssigkeit das eine Substrat. Das Fügen des zweiten Substrates muss dann innerhalb einer kurzen Zeitspanne, der Offenzeit erfolgen. Nach dem Fügen kommt es in der dünnen Klebefuge rasch zur Abkühlung, wobei sich das thermoplastische Polymer innerhalb einer Klebstoff- und Substrat-spezifischen Abbindezeit reversibel verfestigt. Sobald der Schmelzklebstoff hinreichend abgekühlt ist baut er auch rasch Kohäsion und Adhäsion auf. Es muss kein Lösemittel oder Wasser verdunsten. Die verklebten Substrate sind innerhalb kurzer Zeit bereits für eine Weiterverarbeitung fest genug miteinander verbunden. Man spricht von Anfangsfestigkeit oder Handfestigkeit. Die Ausbildung der Endfestigkeit kann Stunden in Anspruch nehmen. Die Anfangs- und die Endfestigkeit unterscheiden sich bei Schmelzklebstoffen meist nicht mehr signifikant. Eine derartige, für Schmelzklebstoffe typische Art und Weise der Klebstoffanwendung, bei der der Klebstoff nur auf eines der zu verklebenden Substrate appliziert wird, bezeichnet man als One-way-Prozess. Abbildung II-1.42 zeigt den One-way-Prozess der Schmelzklebstoff Anwendung mit den entscheidenden Schritten schematisch.
Lieferform
Abbildung II-1.42: One-way-Prozess der Schmelzklebstoff Anwendung
Abbildung II-1.43: Lieferformen von Schmelzklebstoffen
Die meisten Schmelzklebstoffe benötigen keine besonderen Gebinde zur Verpackung. Neben Fassoder Hobbockware findet man aus Kostengründen häufig Granulate in Säcken oder Blockware. Lediglich Produkte, die eine große Klebrigkeit aufweisen, wie beispielsweise Haftklebstoffe (Kapitel II-3), werden darüber hinaus oft in Blöcken (typisch 1 bis 2 kg) mit Siliconpapier verpackt oder bei großen Mengen auch in 200 l Fässern geliefert. Daneben findet man Strangware (Sticks, Rods), Folien oder Vliese und auch Pulver. Die Kriterien für die Wahl der Lieferform werden im wesentlichen durch die spätere Verarbeitung und Anwendung des Klebstoffs bestimmt. Folien, Vlies oder Pulver eignen sich besonders
Schmelzklebstoffe
85
für großflächige Verklebungen, wobei Pulver und Vlies vorzugsweise für Verklebungen flexibler Substrate verwendet werden, wenn diese durch die Verklebung nicht signifikant verfestigt bzw. versteift werden sollen (z.B. Textillaminierung). Großflächig zu verklebende Substrate werden auch in vielen Fällen bereits vom Hersteller mit Schmelzklebstoffen einseitig vorbeschichtet, um sie dann zu einem späteren Zeitpunkt mit dem zweiten Substrat durch Heißsiegeln, eine thermische Reaktivierung, zu verbinden. Eine Übersicht der gängigen Lieferformen von Schmelzklebstoffen gibt Abbildung II-1.43.
Applikation Der Schmelzklebstoff (Fass-, Hobbock-, Block-, Granulat-Ware) wird in kommerziell verfügbaren Tank-Schmelzgeräten aufgeschmolzen und dort im geschmolzenen Zustand auf Applikationstemperatur bevorratet. Meist sind die Geräte so ausgerüstet, dass Sauerstoffzutritt zum heißen Klebstoff verhindert oder zumindest eingeschränkt wird, um eine Oxidation und damit Schädigung der geschmolzenen Polymere zu vermeiden. Die weitestgehend geschlossenen Tanks reduzieren auch eine Geruchs- und Schadstoffbelastung der Umgebung. Eine besonders schonende Variante für Fass- oder Hobbock-Ware ist die Verarbeitung in Geräten mit beheizten Folgeplatten. Diese Art der Verarbeitung begrenzt die aufgeschmolzene und damit thermisch belastete Klebstoffmenge auf ein Minimum. Abbildung II -1.44 zeigt schematisch eine Fassschmelzanlage mit beheizter Folgeplatte. Viele Polymere zeigen bei den hohen Applikationtemperaturen (ca. 200 °C) vor allem in Gegenwart von Abbildung II-1.44: Fassschmelzanlage mit beheizter Folgeplatte Sauerstoff bereits beginnende Zersetzungsreaktionen. Über beheizte Schläuche wird der geschmolzene Klebstoff meist mittels Zahnradpumpen zur Düse gefördert. Strangware wird in kleinen Schmelzkammern unmittelbar am Applikationsort kontinuierlich aufgeschmolzen. Der Auftrag auf die Substrate kann je nach Anwendung in vielen Varianten erfolgen. Üblicherweise erfolgt die Verklebung als One-way-Prozess, d. h. der geschmolzene Klebstoff wird auf eines der zu verklebenden Substrate appliziert, die Schmelze benetzt dieses, und innerhalb der meist sehr kurzen Offenzeit wird das zweite Substrat gefügt (siehe hierzu auch Kapitel II-1.1.1.3). Die gute Benetzung ist, wie bereits eingangs diskutiert, eine entscheidende Voraussetzung für den Aufbau einer guten Adhäsion. Der Benetzungsvorgang benötigt allerdings eine gewisse Zeit um den Gleichgewichtszustand des systembedingten Kontaktwinkels zu erreichen. Diese für eine wirkliche Gleichgewichtseinstellung notwendige Zeit ist bei der Applikation von Schmelzklebstoffen in der Praxis allerdings so gut wie nie gegeben. Insbesondere Substrate, die die Hitze schnell aufnehmen und ableiten, wie z.B. Metalle lassen sich mit Schmelzklebstoffen deshalb in der Praxis meist nur ungenügend verkleben. Eine hohe Applikationstemperatur ist zwar günstig für eine bessere Benetzung und eine längere Offenzeit, sie ist aber ungünstig hinsichtlich der Verarbeitungsstabilität des Klebstoffs und hinsichtlich einer möglichen Hitzeschädigung von zu verklebenden empfindlichen Substraten. Die Offenzeit von Schmelzklebstoffen ist meist recht kurz (Sekundenbereich). Die Fügung des
86
Physikalisch abbindende Klebstoffe
zweiten Substrates im One-way-Prozess muss deshalb praktisch unmittelbar nach der Klebstoffapplikation erfolgen. Eine häufig genutzte Alternative bietet die Möglichkeit einer thermischen Reaktivierung. Eines (oder beide) der zu verklebenden Substrate wird bereits zu einem früheren Zeitpunkt (z.B. beim Substrathersteller) mit dem Schmelzklebstoff beschichtet. Dieser ist als thermoplastischer Kunststoff bei niedrigen Temperaturen prinzipiell praktisch beliebig lange lagerstabil. Eine Verklebung kann dann durch thermische Reaktivierung zum gewünschten Zeitpunkt in einfacher Weise erfolgen. Viele Verpackungsfolien sind so beispielsweise mit einer heißsiegelfähigen Schmelzklebstoffschicht ausgerüstet. Ein thermischer Reaktivierungsprozess findet üblicherweise auch bei großflächigen Anwendungen von Schmelzklebstoffen statt. Für eine flächendeckende Applikation wäre die Offenzeit im One-way-Prozess zu kurz. So können Vlies- oder folienförmige Schmelzklebstoffe in geheizten Pressen die Substrate verbinden, Schmelzklebstoff-Pulver werden auf ein Substrat gestreut oder über Gravurwalzen aufgebracht und kurz vor dem Fügen des zweiten Substrats thermisch reaktiviert (z.B. Textillaminierung).
Verfestigung Der Verfestigungsvorgang der Schmelzklebstoffe, d. h. das Abbinden, geht vergleichsweise schnell vonstatten (Sekunden bis Minuten). Die Ableitung der Wärme über die zu verklebenden Substrate erfolgt in der dünnen Klebefuge sehr rasch. Der Klebstoff verbindet dann in kurzer Zeit die Substrate mit einer hohen Anfangsfestigkeit, die eine zügige Weiterverarbeitung der zu verklebenden Substrate ohne Fixierhilfen ermöglicht. Die Verfestigungsgeschwindigkeit der Schmelzklebstoffe ist von der Wärmeleitfähigkeit der Substrate, der Klebegeometrie und auch vom jeweils eingesetzten Klebstofftyp abhängig (Abbindemechanismen, Klasse a, b oder c). Kühlt man die Schmelze eines amorphen Klebstoffs der Klasse a) (Tg > RT) unter die Glastempe ratur ab, erfolgt eine Verfestigung ohne weitere zeitliche Verzögerung. Produkte dieses Typs besitzen eine sehr kurze Offenzeit, bauen aber dementsprechend sehr schnell Festigkeit auf. Die Verfestigung bei der Glastemperatur erfolgt spontan. (Teil)kristalline Produkte der Klasse b) (Tm > RT) kühlen sich zwar unter gleichen Bedingungen ähnlich schnell ab, ihr Verfestigungsprozess, die Kristallisation ist jedoch ein exothermer Vorgang, der eine gewisse Zeit benötigt, da die Polymermoleküle sich zu den geordneten kristallinen Bereichen orientieren müssen. Kristallisierende Schmelzklebstoffe benötigen somit immer eine gewisse Zeit für die Verfestigung. Die Kristallisation ist ein nicht immer präzise reproduzierbarer Prozess, so dass kristallisierende Schmelzklebstoffe hinsichtlich des Abbindeverhaltens manchmal eine gewisse Toleranzzeit in industriellen Anwendungen benötigen. Die Offenzeit vieler bei niedrigen Schmelzpunkten kristallisierender Systeme ist allerdings im Vergleich zu den Schmelzklebstoffen der ersten Klasse verlängert, da der Klebstoff vor der einsetzenden Kristallisation auch dann noch flüssig sein kann, wenn er bereits deutlich unter den Schmelzpunkt abgekühlt ist. Amorphe Schmelzklebstoffe der Klasse c) (Tg 200
Alternativ kann zum Aufbau von Polymeren im Rahmen der Härtung, wie in Abbildung II-2.71 dargestellt, die stöchiometrisch verlaufende vinyloge nukleophile Addition an die zur Carbonylgruppe -ständige Position genutzt werden. Diese Addition wird auch bei der Härtung von Epoxyacrylaten eingesetzt.
Diethylenglykoldimethacrylat
> 200
Vernetzer
Butandiolmethacrylat
> 200
Tetrahydrofurfurylmethacrylat
178
75
Cyclohexylmethacrylat
210
104
Acrylatester aus Diolen (Diacrylate, Dimethacrylate, vgl. Abbildung II -2.68) sind im Sinne einer radikalischen Reaktion polyfunktionell. Somit lässt sich durch deren gezielten Zusatz die Vernetzungsdichte in dem ausgehärteten Klebstoff steuern.
Abbildung II-2.70: Polymerisation von Acrylaten
Polymerisationsklebstoffe
Abbildung II-2.71: Vinyloge nukleophile Addition von Aminen an Acrylate
Flexibilisierende Komponenten Für die Formulierung von Klebstoffen mit guter Schlagzähigkeit und guten Tieftemperatureigenschaften ist es notwendig, flexibilisierende Bestandteile (tougheners) einzuarbeiten. Hierfür stehen vor allem modifizierte Polyolefine (z.B. chlorsulfoniertes Polyethylen [50, 53, 55], Abbildung II-2.72), die mit dem ausgehärteten Polymer nur eine eingeschränkte Verträglichkeit besitzen zur Verfügung.
Abbildung II-2.72: Chlorsulfoniertes Polyethylen
Härter (Initiatoren, Starter) Härter sind meist Radikalbildner auf Basis organischer Peroxide. Die Freisetzung von Radikalen zur Auslösung der Polymerisationsreaktion kann sowohl thermisch, wie auch durch Aminkatalyse oder UV-Strahlung erfolgen. Abbildung II -2.73 zeigt wichtige Peroxidhärter
Abbildung II-2.73: Peroxidhärter
Stabilisatoren Der Zusatz geringer Mengen von Antioxidantien (vgl. Abbildung II 2.74) in der Harzkomponente, wie beispielsweise Produkte auf Basis gehinderter Phenole bzw. Hydrochinon oder Chinonen [58] verhindert ein vorzeitiges unerwünschtes Starten der radikalischen Kettenreaktion und erhöht die Lagerstabilität.
Abbildung II-2.74: Stabilisatoren
173
174
Reaktive Klebstoffe
Beschleuniger und Aktivatoren
Abbildung II-2.75: Beschleuniger
Viele Amine katalysieren den Zerfall der Peroxide zu Radikalen. Tertiäre Amine, wie die in Abbildung II-2.75 dargestellten Produkte (z.B. N,NDimethyl-p-toluidin oder verkappte Amine in Form von Iminen wie z.B. das Imin aus Butanal und Anilin), können in der Klebstoffmischung eine Aushärtung auch bereits bei Raumtemperatur bewirken. Zusätzlich können Übergangsmetallsalze, wie z.B. Kupferoctanoat (viele Ü bergangsmetalle ändern leicht die Oxidationsstufe und katalysieren so den Zerfall der Peroxide), die in organischen Medien löslich sind, als Beschleuniger wirken.
Neuerdings werden zunehmend Dihydropyridin-Derivate [50, 51], wie in Abbildung II-2.76 dargestellt, eingesetzt, da diese u.a. toxikologisch weniger bedenklich sind. Abbildung II-2.76: Dihydropyridinderivat
Technologien der Härtung Die niedermolekularen, reaktiven Monomere lassen sich auf verschiedene Weise zum gewünschten Zeitpunkt der Verklebung in ein Polymer (oder Copolymer) umwandeln [10–12, 52, 54, 56]. Bei 2K-Acrylat-Klebstoffen wird die auf dem Monomersystem basierte reaktive Klebstoff-Formulierung vor dem Fügeprozess mit Radikalstartern (Peroxide) und ggf. Beschleunigern (Amine) versetzt und in unterschiedlichen Varianten angewendet. Bei anaeroben Klebstoffen ist das einkomponentig formulierte, reaktive Monomer/Oligomersystem in Gegenwart von Sauerstoff (Luft) lagerstabil. Sauerstoff wirkt hierbei als Inhibitor. Beim Fügeprozess wird der Sauerstoffzutritt durch die Substrate verhindert und der Klebstoff reagiert in Gegenwart katalytischer Metallspuren der Substratoberfläche spontan zum Polymer. Strahlungshärtende Acrylate sind einkomponentig formulierte, reaktive Monomer/Oligomersysteme, die Fotoinitiatoren enthalten. Der Klebstoff wird im Rahmen des Fügeprozesses appliziert, die Substrate gefügt und anschließend bestrahlt. Mindestens eines der Substrate muss deshalb für die angewandte UV-Strahlung durchlässig sein. Dicke Schichten, wie sie beispielsweise im Dichtstoffbereich Anwendung finden, lassen sich auf diese Weise nicht aushärten.
2.3.1.2 Struktur/Eigenschaftsbeziehungen Polymere Acrylate sind amorphe Substanzen deren Glastemperatur in weiten Bereichen über die Zusammensetzung der Monomere steuerbar ist. Für strukturelle Klebstoffe eignen sich lediglich Polymere, die eine hohe Glastemperatur deutlich oberhalb von Raumtemperatur aufweisen (vergleiche hierzu auch Kapitel II-1.1.2.4, Tabelle II-1.13 und -14). Das wichtigste Monomer für die Anwendung in Klebstoffen ist das Methylmethacrylat, dessen Polymer eine Glastemperatur von 105 °C besitzt. Klebstoffe aus reinem Polymethylmethacrylat (PMMA) besitzen einen hohen Modul, sie sind aber hart und spröde. Bei weitgehend linearem Molekülaufbau sind sie thermoplastisch und somit schmelzbar (Zersetzung) und in polaren Lösemitteln löslich. Durch
Polymerisationsklebstoffe
175
kontrollierte Vernetzung mittels höherfunktioneller Acrylate (Dimethacrylate, vgl. Abbildung II-2.68) kann so für Klebstoffanwendungen die chemische und thermische Beständigkeit weiter verbessert werden. Die thermische Depolymerisation begrenzt die Wärmestandfestigkeit jedoch systembedingt je nach Formulierung auf 170 bis 200 °C. Polymere Acrylate sind chemisch gesehen Polyolefine mit Ester-Seitengruppen. Ester sind relativ inert gegenüber chemischen und hydrolytischen Einflüssen, dennoch ist unter verschärften Reaktionsbedingungen eine Hydrolyse zur entsprechenden Säure möglich. Da die Esterfunktion jedoch als Seitengruppe nicht Teil der Polymerkette selbst ist, wird ein hydrolytischer Abbau der Polymere praktisch nicht beobachtet. Zur Verbesserung der mechanischen Eigenschaften werden der Klebstoff-Formulierung deshalb häufig Polymere zugesetzt, die in den niedermolekularen monomeren Bestandteilen des Klebstoffs löslich sind, wobei sie aber mit dem polymeren Acrylat nur noch eine eingeschränkte Verträglichkeit aufweisen. Beim Aushärteprozess kommt es deshalb zu einer Phasenseparation. Wenn die zugesetzten Polymere selbst eine tiefe Glastemperatur besitzen, bewirken sie, wie bereits für die Epoxidklebstoffe in Kapitel II-2.2.2 diskutiert, eine Verbesserung der Schlagzähigkeit, der Tieftemperatureigenschaften sowie der Schälfestigkeit.
2.3.1.3 Formulierungen 2.3.1.3.1 2K-Acrylatklebstoffe Applikationsverfahren Es existieren verschiedene Möglichkeiten, die radikalische Polymerisation der Acrylatmonomere mit Hilfe der Peroxide auszulösen. Die Verfahren werden in der einschlägigen Literatur nicht immer konsequent als die verschiedenen „Generationen“ von Acrylatklebstoffen beschrieben.
1. Generation Die auf dem Monomer (in der Regel Methylmethacrylat) basierte Klebstoffmischung enthält ggf. einen Beschleuniger. Sie wird vor dem Verklebungsprozess als 2K-System mit dem pulver- oder pastenförmigen Peroxid (z.B. Dibenzoylperoxid) gemischt. Die unmittelbar einsetzende Reaktion zum Polymer begrenzt die Topfzeit solcher Systeme naturgemäß auf wenige Minuten. Bei der Mischung ist, im Gegensatz zu Polyadditionsprodukten wie Polyurethanen oder Epoxiden, die Einhaltung eines exakten Mischungsverhältnisses nicht zwingend nötig. Dennoch wirken sich grobe Mischfehler merklich auf die Endeigenschaften aus. Das Mischungsverhältnis der beiden Komponenten ist ungünstig, da die einzumischende Härtermenge vergleichsweise klein ist. Abbildung II-2.77 zeigt schematisch die Anwendung von 2K-Acrylatklebstoffe der 1. Generation.
2. Generation, (A/B-Verfahren) Die auf dem Monomer (in der Regel Methylmethacrylat) aufgebaute Klebstoffmischung wird geteilt und dem einen Teil (A) lediglich der Beschleuniger (Amin), dem anderen (B) unmittelbar bei Klebstoffherstellung oder aber vor der durchzuführenden Verklebung der Härter (Peroxid) zugesetzt. Das System aus Monomer und Beschleuniger (A) ist über Monate lagerstabil, der zum gewünschten Zeitpunkt mit Härter vermischte B-Teil ist je nach eingesetztem Peroxid über Wochen bis Monate lagerfähig. Für die Durchführung der Verklebung bieten sich zwei Varianten an. Vor der Anwendung werden beide Teile (A/B) homogen gemischt und appliziert. Die Mischung erfolgt in Abbildung II-2.77: 2K-Acrylatklebstoffe, 1. Generation
176
Reaktive Klebstoffe
diesem Falle zuverlässiger und auch gleichmäßiger, da bei geeigneter Formulierung eine 50/50 (Volumen) %-Mischung ähnlich viskoser Materialien verarbeitet werden kann. Der homogen vermischte Klebstoff härtet auch in dicken Schicken gleichmäßig aus, und er besitzt fugenfüllende Eigenschaften. Bei dünnen Klebefugen kann alternativ, wie in Abbildung II-2.78 dargestellt, auch die Komponente A auf das eine, die Komponente B auf das andere Substrat appliziert werden. Beim Kontakt der beiden Klebstoffschichten im Rahmen des Fügeprozesses startet die Reaktion zum Polymer, indem die Komponenten an den Kontaktflächen ineinander diffundieren.
3. Generation, (Härterlack-Verfahren, No Mix-Verfahren) Mindestens eines der zu verklebenden Substrate wird mit einem meist lösemittelhaltigen Aktivator (Härterlack) eingestrichen. Der Aktivator enthält Bestandteile, die auf der Substratoberfläche allmählich Amine freisetzen, die dann als Beschleuniger wirken. Nach kurzer Zeit ist das Lösemittel verdunstet. Die Substrate sind dann praktisch beliebig lagerfähig und für eine spätere Verklebung aktiviert. Der eigentliche Klebstoff enthält bereits das für die Polymerisation notwendige Peroxid. In Gegenwart bestimmter Peroxidtypen wie z.B. Cumolhydroperoxid (vgl. Abbildung II -2.73) ist das Monomersystem lagerstabil. Werden die Substrate gefügt, wird die Polymerisation durch Kontakt mit dem aus dem Aktivator freigesetzten Amin gestartet. Somit entfällt das Mischen und Dosieren bei Durchführung der Verklebung, das System ist zu diesem Zeitpunkt wie ein 1K-Klebstoff anwendbar. Da die Polymerisation von der Grenzfläche des mit dem Aktivator vorbehandelten Substrats gestartet wird, sind der Fugendicke bei einer Verklebung Grenzen (max. 0,5 mm) gesetzt. Das Härterlack-Verfahren wird heute aufgrund seiner einfachen Durchführbarkeit und seiner hohen Fehlertoleranz bei der Klebstoffapplikation am häufigsten angewendet. Abbildung II-2.79 zeigt schematisch den Verarbeitungsprozess von 2K-Acrylatklebstoffen der 3. Generation im Härterlack-Verfahren [53]. Die Eigenschaften von Klebstoffen dieses Typs basieren neben dem reaktiven Acrylatsystem auch entscheidend auf den eingearbeiteten Elastomeren. Man bezeichnet deshalb solche Acrylatklebstoffe deshalb auch als toughened acrylic adhesives.
Formulierung Eine orientierende Formulierung von reaktiven 2K-Acrylatklebstoffen der 3. Generation zur Anwendung im Härterlackverfahren nach [53–55] ist entsprechend Tabelle II-2.23 aufgebaut.
Abbildung II-2.78: 2K-Acrylatklebstoffe, 2. Generation
Abbildung II-2.79: 2K-Acrylatklebstoffe, 3. Generation
Das reaktive Monomersystem besteht zum größten Teil aus Methylmethacrylat. Andere Ester der Methacrylsäure oder der Acrylsäure können copolymerisiert werden. Die Verwendung von Cyclohexylmethacrylat oder auch Tetrahydrofurfurylmethacrylat, die beide einen höheren Siedepunkt bzw. einen geringeren Dampfdruck besitzen, führt damit zu einer geringeren Geruchsbelästigung. Die Zusammensetzung des Mischung beeinflusst in der für die Acrylatchemie bekannten Weise die Gla-
Polymerisationsklebstoffe
177
Tabelle II-2.23: 2K-Acrylatklebstoffe, orientierende Rezeptur Harzkomponente Position
Rohstoff
Funktion
Gew.-Teile
1
Methacrylate
Reaktive Monomere
40 bis 75
2
Chlorsulfoniertes Polyethylen
Verbesserung der Schlagzähigkeit
30 bis 50
3
Peroxid
Radikalstarter, Härter
0,5 bis 3
4
Phenole
Stabilisatoren
14 10 –14
teilweise wiederablösbar
6–8
wiederablösbar und
2–4
repositionierbar sehr gut wiederablösbar
40 % Chlor). Durch Dispergierung (z.B. Dissolver) des PVC-Pulvers in den (flüssigen) Weichmacher wird die sog. Grundpaste hergestellt. Plastisol, Organosol oder Plastigel sind Zwischenprodukte (Abbildung III -1.8), die nach der Applikation, durch Temperaturerhöhung (Gelierung) in das Endprodukt Weich-PVC (12 bis 50 % Weichmacher) überführt werden. Beim Erhitzen zeigen PVC-Plastisole bis 50 °C einen Viskositätsabfall durch Temperaturerhöhung und je nach Weichmacher ab etwa 70 bis 90 °C einen starken Viskositätsanstieg durch Quellung (Volumenvergrößerung) der PVC-Teilchen. In der Reihe Dibutylphthalat, Bis(2-ethylhexyl)phthalat, Diisodecylphthalat, Diisotridecylphthalat nimmt mit steigender Kettenlänge des Esteralkohols die Temperatur bis zum Viskositätsanstieg zu [7] ; d.h. die Gelierung wird zu höheren Temperaturen verschoben. Anzumerken ist hier noch, dass Dibutylphthalat und Bis(2ethylhexyl)phthalat heute als toxisch eingestuft sind Vorgelierung bei 110 bis 130 °C ergibt ein festes Produkt, das auswaschbeständig ist; allerdings sind seine mechanischen Eigenschaften ungenügend. Durch Gelierung bei Temperaturen größer 160 °C verschmelzen die PVC-Teilchen vollständig und man erhält ein Gel aus Weichmacher und PVC. Dieser Vorgang, der letztlich den (physikalischen) Übergang (einer nichtwässrigen) Polymerdispersion in ein „gelöstes“ Polymer darstellt, ist irreversibel. Ein Gel ist kolloidchemisch gesehen ein formbeständiges, deformierbares Zweiphasen-System (in unserem Fall aus Polymer = feste Phase und Weichmacher = flüssige Phase). Hier liegt ein thermoreversibles Nebenvalenzgel vor (Weich-PVC kann bei 120 bis 190 °C extrudiert werden). Das Gelierverhalten eines PVC-Plastisols hängt von folgenden Faktoren ab: • Art und Menge des Weichmachers: Je besser solvatisierend der Weichmacher ist, desto schneller erfolgt die Gelierung, oder die Gelierung kann bei niedrigeren Temperaturen erfolgen. • K-Wert des PVC : Mit zunehmendem K-Wert (zunehmender Molmasse) nimmt die Gelierneigung ab.
Anwendung im Automobilrohbau Hier stehen die PVC-Plastisole in direkter Konkurrenz zu den im folgenden Kapitel besprochenen Klebdichtstoffen auf Basis Kautschuk (Gelierung des PVC im KTL-Trockner bei 160 bis 180 °C). Darüber hinaus können auch Acrylat-Plastisole eingesetzt werden. Der Vorteil von PVC ist sein relativ niedriger Preis. Nachteile von PVC sind die erforderliche Vorgelierung durch einen zusätzlichen Ofen und die Tatsache, dass sich beim Schweißen gesundheitsschäd-
242
Klebdichtstoffe in der Autoindustrie
Tabelle III-1.4: Überblick über pastöse Rohbauklebstoffe [7] Rohstoffbasis PVC-Plastisol
Schichtdicke
Zugscherfes-
Bruchdeh-
[mm]
tigkeit [MPa]
nung [%]
3,0
2
100
0,2
5
100
Acrylat-Plastisol
0,2
4
10
Epoxidharz
0,2
13*
> x)
272
Baudichtstoffe
D. h. man erhält mit 50 % Überschuss an Isocyanatgruppen ein schwach verzweigtes (Trimethylolpropan) isocyanatterminiertes Präpolymer. Wegen des geringen Anteils an Triol führt die Härtung nur zu einem schwach vernetzten Dichtstoff mit den erwünschten Eigenschaften wie z.B. hohe Dehnbarbeit und Flexibilität. Soll der Dichtstoff langsamer härten, was im Bauwesen manchmal erwünscht ist, so kann man statt MDI Toluylendiisocyanat (TDI, siehe Abbildung III -1.20) einsetzen. Beim TDI reagiert die sterisch nicht gehinderte Isocyanatgruppe bei der Herstellung des Präpolymers ab und für die Feuchtigkeitshärtung verbleibt die sterisch gehinderte („langsamere“) Isocyanatgruppe.
Abbildung III-3.6: Diurethan
3.2.1.2 Reaktionshärtende 2K-PUR-Systeme Die Härtungsreaktion von 2K-PURSystemen ist unabhängig von der Abbildung III-3.7: Weichmacher auf Basis Sulfonsäureester Luftfeuchtigkeit; daher sind solche Dichtstoffe besonders für Anwendungen in Klimazonen mit sehr niedriger Luftfeuchtigkeit (z.B. Wüsten) geeignet. Reaktionshärtende 2K-PUR-Systeme für Isolierglas wurden schon in Kapitel III-2.2.2.1 beschrieben. Deshalb kann an dieser Stelle gleich eine Formulierungsbeispiel für eine Baudichtmasse folgen (Tabelle III -3.5).
Formulierungsbeispiel Da hier Elastizität und Dehnbarkeit gefordert ist, wird als flexibles Polyol ein linearer, aliphatischer Polycarbonat-Polyester gewählt, der ein Polycarbonat wahrscheinlich auf Basis 1,6-Hexandiol enthält (Abbildung III-3.8). Das Polycarbonat-Strukturelement verbessert die Hydrolysebeständigkeit des Polyesters. Als Polyisocyanat wird flüssiges oligomeres MDI (siehe Abbildung III-2.5) gewählt. Bei Außenanwendung sollte noch ein Lichtschutzadditiv zugesetzt werden, beispielsweise „Tinuvin B 75“, eine Mischung aus einem sterisch gehinderten Phenol (Antioxidans), einem Benzotriazol (UV-Absorber) und einem HALS-Produkt (Radikalfänger). Berechnung der Rezepturkenndaten (Tabelle III-3.5): Bei einer festgelegten Rezeptur berechnet sich das NCO/OH-Verhältnis wie folgt.
NCO/OH-Verhältnis =
Gew.–Teile Polyisocyanat · 17 · %NCO Gew.–Teile Polyol · 42 · %OH
Einteilung von Baudichtstoffen
273
Abbildung III-3.8: Polycarbonat-Strukturelement auf Basis 1,6-Hexandiol
Für die Komponente B berechnet sich NCO/OH-Verhältnis = (4,7 · 17 · 32,5) : (8 · 42 · 1,7) = 4,5 d.h. ein großer Überschuss an Isocyanat. Damit bildet sich im Härter (teilweise) ein isocyanatterminierter linearer, aliphatischer Polycarbonat-Polyester. Für die Gesamtrezeptur (Komponente A + B) berechnet sich NCO/OH-Verhältnis = (4,7·17 · 32,5) : (28 · 42 · 1,7) = 1,3 d.h. ein Überschuss von 30 % Isocyanat. Allerdings ist „Baylith L“-Paste in Ricinusöl 50 %ig (auch „Finmasorb 430 PR“ ist eine Ricinusölpaste). Ricinusöl besteht zu 80 bis 85 % aus dem Glycerid der Ricinolsäure (Abbildung III -3.9), die mit Isocyanaten reagieren kann. Mittlere OH-Zahl (Ricinusöl) : 162 mg KOH/g [4] % OH = OH-Zahl · 0,0303 = 162 · 0,0303 = 4,9 Der Isocyanat-Grundwert bietet die einfachste Möglichkeit, die für die stöchiometrische Umsetzung (NCO/ OH = 1) eines bestimmten Polyols (hier Ricinusöl) benötigte Polyiso cyanatmenge zu berechnen: Isocyanat-Grundwert =
42 · 100 · %OH 17 · %NCO
Der Isocyanat-Grundwert gibt an, wieviel Gew.-Teile Polyisocyanat zur stöchiometrischen Umsetzung von 100 Gew.-Teilen Polyol benötigt werden.
Abbildung III-3.9: Ricinolsäure Tabelle III-3.5: Formulierung einer 2K-PUR-Fugendichtmasse [3] Komponente A Polyol
Gew.-Teile 20
Weichmacher
22
Trockenmittel
2,0
Titandioxid Rutil
2,0
Rheologisches Additiv
3,0
Katalysator
0,3
Blockierungsmittel für Katalysator
0,3
Füllstoff 1
10
Füllstoff 2
20,4
Summe
80
Komponente B Polyisocyanat
4,7
Polyol
8,0
Weichmacher
7,3
Summe
20
Polyol: Linearer, aliphatischer Polycarbonat-Polyester, lösemittelfrei, 1,7 % OH, z.B. „Desmophen VP LS 2391“ oder „Desmophen C 200“ (Bayer) Weichmacher: Alkylsulfonsäureester des Phenols, z.B. „Mesamoll“ (vgl. Abb. III-3.5) Trockenmittel: Molekularsiebpaste 3Å, z.B. „Finma-Sorb 430 PR“ oder „BaylithL-Paste“ Rheologisches Additiv: Hydriertes Ricinusöl, z.B. „Rilanit Spezial Micro“ (Cognis) Katalysator: Diazabicyclooctan 33 % in Dipropylenglykol, z.B. „Dabco 33 LV“ (Air Products) Blockierungsmittel für Katalysator: Ölsäure, zur Verlängerung der Verarbeitungszeit Füllstoff 1: Quarz-Kaolin (Neuburger Kieselerde), z.B. „Sillitin Z 86“ (HoffmannMineral) Füllstoff 2: Schwerspat, z.B. „Schwerspat EWO“ (Sachtleben) Polyisocyanat: Oligomeres MDI, lösemittelfrei, 32,5 % NCO, z.B. „Desmodur VL 50“ (Bayer)
274
Baudichtstoffe
Isocyanat-Grundwert (1 Gew.-Teil Ricinusöl) = (42 · 1· 4,9) : (17· 32,5) ≈ 0,4 d.h. 0,4 Gew.-Teile des Isocyanats werden vom Ricinusöl verbraucht. Da auch das Dipropylenglykol aus dem Katalysator und u.U. ein Teil des hydrierten Ricinusöls (rheologisches Additiv) mit Isocyanat reagieren kann, ist der verbleibende Isocyanatüberschuss gerechtfertigt. Analog Lacken kann man auch eine Pigmentierungshöhe berechnen (unter Vernachlässigung der Additive) : P/B = (2 + 10 + 20,4) : (20 + 22 + 4,7 + 8 +7,3) = 0,5 : 1 In der Praxis würde man aus Kostengründen versuchen, höher zu pigmentieren, d.h. mehr Füllstoffe einzusetzen. Die Verarbeitungszeit (Topfzeit) dieser Dichtmasse beträgt 35 bis 55 min. Die Masse ist nach 24 h klebfrei. Nach Durchhärtung misst man Shore-A-Härten von 25 bis 30, eine hohe Reißdehnung von 620 bis 650 % und einen niedrigen 100 %-Modul von 0,5 MPa [3] ; dies sind für Baudichtstoffe typische Werte.
3.2.2
Abbildung III-3.10: Polysulfid-Dehnungsfuge an der Außenseite eines Gebäudes (b = 2 cm)
Polysulfide
Baudichtstoffe auf Basis Polysulfid bieten folgende Vorteile: + sehr gute Wasser- und Chemikalienbeständigkeit, + gute Witterungs- und Alterungsbeständigkeit, + 2K-Systeme unempfindlicher gegen Mischungsfehler (Härtermenge) im Vergleich zu 2K-PUR, + gute mechanische Eigenschaften (bis 25 % zulässige Gesamtverformung), + geringere Wasserdampfdurchlässigkeit als 1K-PUR. Dem steht nur der Nachteil der langsamen Durchhärtung bei 1K-Systemen gegenüber. Abbildung III-3.10 zeigt eine Polysulfid-Dehnungsfuge an der Außenseite eines etwa 40 Jahre alten Gebäudes aus Waschbetonplatten. Die durch die lange Bewitterungszeit gebildeten Risse sind deutlich zu erkennen (siehe auch [18]). Wenn man allerdings mit dem Messer in die Fuge hinein schneidet, stellt man fest, dass die Versprödung nur oberflächlich ist, und die Fuge im Inneren nach wie vor elastoplastisch ist. In Abbildung III-3.11 verdeutlichen zwei REM-Aufnahmen diese Fugenoberfläche. Die Draufsicht zeigt durch bewitterungsbedingten (fotooxidativen) Bindemittelabbau freigelegte Füllstoffpartikel in der Oberfläche; Baudichtstoffe sind hochgefüllt (siehe Tabelle III-3.6). Die Kante eines Gefrierbruchs in Abbildung III-3.11 zeigt, dass die Bewitterungsschäden nur oberflächlich sind und die Fuge im Inneren intakt ist.
2K-Polysulfide Abbildung III-3.11: REM-Aufnahmen der Fugenoberfläche (von Abbildung III-3.10), Draufsicht (oben) und Kante (unten) eines Gefrierbruchs
2K-Polysulfid-Systeme sind seit etwa 1955 als Hochleistungsdichtstoffe für den Baubereich verfügbar. Die Chemie von 2K-Polysulfid-Dichtstoffen wurde für Isolierglasanwendungen bereits in Kapitel III -2.2.2.2 ausführ-
Einteilung von Baudichtstoffen
lich beschrieben. Deshalb kommen wir gleich zu einem Formulierungsbeispiel (Tabelle III-3.6).
275
Tabelle III-3.6: Formulierung eines hellgrauen 2K-PolysulfidDichtstoffs für den Hochbau [5] Rohstoff
Das Verhältnis Bindemittel : Weichmacher : Pigment (+ Füllstoffe) berechnet sich zu B : W : P ≈ 100 : 70 : 80.
Komponente A
1K-Polysulfide
Calciumcarbonat (gefällt, feinteilig; Füllstoff)
Thiokol-LP 32 (Molmasse 4000)
Gew.-Teile 36,7
Benzylbutylphthalat (Weichmacher)*
11
Chlorparaffin (63 % Chlor ; Weichmacher)
11 14,73
Al-Mg-Silicat (Füllstoff) 5,6 1K-Systeme sind im Falle von Polysulfiden weniger bedeutend Titandioxid Rutil 11 als 2K-Systeme. Bei einkompoPyrogene Kieselsäure (rheologisches 0,7 nentigen Polysulfid-Dichtstoffen Additiv) verläuft eine den 2K-Systemen ähnPhenolharz (Haftvermittler) 1,8 liche Oxidationsreaktion des PolySchwefel 0,07 sulfids ab (vgl. Abbildung III -2.8) ; allerdings mit durch Wasser (LuftKomponente B (Härter) feuchte) aktivierten Peroxiden. Als Mangandioxid 3,7 Härter werden häufig KombinatiBenzylbutylphthalat (Weichmacher) * 3,7 onen aus Peroxiden und Barium100 oxid verwendet. Manchmal setzt man 1K-Systemen noch vernet- * wird mittlerweile als giftig eingestuft; ggf. Austauschprodukt suchen zungsbeschleunigende Amine zu, die an Molekularsieben adsorbiert sind und erst durch Luftfeuchtigkeit freigesetzt werden.
3.2.3 Silicone Silicone sind siliciumorganische Polymere, die nur Si-O-Bindungen in der Polymerhauptkette aufweisen und müssten eigentlich als Polyorganosiloxane bezeichnet w erden. Die Vernetzung (auch Vulkanisation genannt) erfolgt bei Raumtemperatur unter dem Einfluss von Luftfeuchtigkeit : RTV-1 (= Raumtemperaturvernetzung bzw. room temperature vulcanizing). Ein stark vereinfachtes Schema in Abbildung III-3.12 zeigt, dass jede der endständigen Hydroxygruppen des Polydimethylsiloxans mit einem trifunktionellen Vernetzermolekül (R-SiX3) zu einem lagerstabilen, tetrafunktionellen Polymer reagiert, das erst unter dem Einfluss von Luftfeuchtigkeit vernetzt. Die Methylgruppen können auch durch Aryl- oder andere Gruppen ganz oder teilweise ersetzt sein. Dichtstoffe auf Basis Silicon haben weltweit den größten Marktanteil (Abbildung III-3.13) [12].
Vernetzung von RTV-1-Siliconen In Bezug auf die Vernetzung unterscheidet man saure (HX = Essigsäure) und neutrale Typen (HX = Oxim, Alkohol) (Abbildung III-3.13); früher gab es auch noch basische Typen (HX = Amin). Acetatvernetzende Systeme sind auf alkalischen Untergründen (z.B. Beton) oder korrosionsempfindlichen Metallen (z.B. Eisen, Zink, Kupfer, Messing) nicht anzuwenden. D.h. im Fassadenbereich wird meist mit neutralen Systemen gearbeitet. Darüber hinaus ist die Reaktionsgeschwindigkeit vom Vernetzersystem abhängig. Acetat- und Methoxy -Typen vernetzen sehr schnell, andere langsamer. Die Hautbildung tritt bereits nach wenigen Minuten bis zu einer halben Stunde ein, die Aushärtungsgeschwindigkeit beträgt je nach Fugenquerschnitt, Luftfeuchtigkeit und Temperatur 1 bis 2 mm pro Tag.
276
Baudichtstoffe
Weiterhin können Dichtstoffe auf Siliconbasis noch enthalten: • Weichmacher (nichtreaktive Siliconöle), • aktive, verstärkte, nanopartikulare Füllstoffe (pyrogene Kieselsäure, Ruß), • inaktive Füllstoffe (Kreide), • Farbpigmente, • sonstige Additive (z.B. zinnorganische Verbindungen als Katalysator bzw. Fungizid, SilanHaftvermittler, Trocknungsmittel u.a.). Verschmutzte Silicondichtstoffe in feuchtwarmer Umgebung (z.B. Sanitärbereich) werden häufig von Pilzen befallen, was als dunkler Belag sichtbar ist. Daher ist der Fungizid-Anteil im sog. „Sanitär-Silicon“ relativ hoch. Die maximal zulässige Dauerbewegung liegt bei 25 %. Silicon-Dichtstoffe sind aber nicht überlackierbar. Auch in Lackieranlagen dürfen Silicon-Dichtstoffe nicht verwendet werden (Gefahr der Tabelle III-3.7: Formulierungsrichtlinie für einen feuchtigkeits- Kraterbildung). härtenden 1K-Baudichtstoff auf Siliconbasis (RTV-1)[16] Gew.-Teile Polydimethylsiloxan, hydroxyterminiert
50–65
Polydimethylsiloxan, trimethylsilylterminiert
20–30
Hochdisperse (pyrogene) Kieselsäure
6 –10
Methyl- und/oder Ethyltrisacetoxysilan
4–5
Dibutylzinndiacetat*
0,01
* wird mittlerweile als ätzend und umweltgefährlich eingestuft; ggf. Austauschprodukt suchen
Es gibt auch 2K-Systeme (RTV-2), die aber eine geringere Bedeutung besitzen und z. B. da eingesetzt werden, wo die Luftfeuchtigkeit zu niedrig ist. Neben diesen durch Kondensation vernetzenden RTV-2 gibt es auch durch Addition vernetzende RTV-2-Silicone, auf die hier nicht eingegangen wird. Allgemein vernetzen die RTV-2-Silicone schnell.
Abbildung III-3.12: Grundreaktionen von 1K-Silicondichtstoffen
Einteilung von Baudichtstoffen
277
Abbildung III-3.13: Marktanteil (%) von Silicon-Dichtstoffen und relativer Anteil (%) der unterschiedlichen Vernetzungs-Typen
Eigenschaften von Siliconen Silicone weisen, verglichen mit rein organischen Polymeren, als siliciumorganische Polymere einige herausragende Eigenschaften auf, die in ihrer anorganischen Struktur begründet sind: + hohe Temperaturbeständigkeit (bis +150 °C, Spezialtypen bis +250 °C), + hohe Flexibilität bei tiefen Temperaturen (bis –40 °C), + gutes elastisches Rückstellvermögen, + hervorragende Witterungsbeständigkeit, + sehr gute Chemikalienbeständigkeit, + geringer Schrumpf bei der Vernetzung, + ausgezeichnete Haftung auf silicatischen Werkstoffen (Keramik, Email Glas, Beton u.a.) aber auch auf Metallen (insbes. Aluminium). Als Nachteile müssen die nicht gegebene Überstreichbarkeit und – wie bei allen feuchtigkeitshärtenden 1K-Systemen – die Witterungsabhängigkeit (Temperatur, relative Luftfeuchte) der Aushärtegeschwindigkeit angeführt werden. Anwendungen von Siliconen [6] • Baudichtstoffe, • Abdichtung von – Ölwannen an KFZ-Motoren, – Dampfbügeleisen, – Brennern und Heizkesseln, • Klebstoffe für Luft- und Raumfahrttechnik (Siliciumsolarzellen oder Keramikteile auf metallische Substrate), • Verklebung von Frontscheiben an Backöfen und Herdabdichtungen aus Siliconkautschuk.
Formulierungsrichtlinie Eine Formulierungsrichtlinie für einen feuchtigkeitshärtenden 1K-Baudichtstoff auf Siliconbasis (RTV-1) wird in Tabelle III-3.7 vorgestellt[16]. Es handelt sich dabei um einen sauren, acetatvernetzenden Typ. Das häufig höhermolekulare hydroxyterminierte Polydimethylsiloxan vernetzt bei der Feuchtigkeitshärtung mit dem Alkyltrisacetoxysilan [R-Si(OOC-CH3) 3 , R = Methyl und /oder Ethyl]. Dibutylzinndiacetat katalysiert diese Vernetzungsreaktion. Das meist flüssige, nichtreaktive,
278
Baudichtstoffe
trimethylsilylterminierte Polydimethylsiloxan wirkt als Weichmacher. Die pyrogene Kieselsäure dient als rheologisches Additiv und als verstärkender, aktiver Füllstoff. Häufig sind derartige Dichtstoffe zur Verbilligung noch weiter gefüllt, z.B. mit Calciumcarbonat-Füllstoffen (P/B ≈ 1).
3.2.4 Silanmodifizierte Dichtstoffe Silanmodifizierte Dichtstoffe auf Basis von MS-Polymeren (auch Hybrid-Polymere genannt) werden in Abbildung III-3.14 dargestellt. Sie sind 1K-Systeme und härten durch Reaktion mit Luftfeuchtigkeit. Die Hautbildungszeiten betragen, abhängig vom jeweiligen System, zwischen 10 und 20 Minuten. Die Aushärtegeschwindigkeit kann je nach Gegebenheit bis zu 5 mm/Tag betragen. Aufgrund ihres chemischen Aufbaus zeigen die MS-Dichtstoffe eine gute Witterungs- und Alterungsbeständigkeit sowie ein nahezu universelles Haftspektrum ohne Primer. Insbesondere bei kritischen Untergründen bieten MS-Dichtstoffe häufig Problemlösungen. In frischem Zustand sind MS-Dichtstoffe sowohl mit wässrigen als auch lösemittelhaltigen Lacken überstreichbar. In Japan haben Baudichtstoffe auf Basis von MS-Polymeren einen Marktanteil von 45 % [12].
Formulierungsbeispiel Tabelle III-3.8: Formulierungsbeispiel für einen Baudichtstoff auf Basis von MS-Polymeren Position
Rohstoff
Gew.-Teile
1
MS-Polymere
25
2
Weichmacher
17
3
Titandioxid Rutil
3,0
4
Füllstoff
50
5
Rheologisches Additiv
3,5
6
Haftvermittler
0,5
7
Trockenmittel
0,7
8
Katalysator
Summe
0,3 100
Position 1: Mischung zweier MS-Polymere; linearer Polyether mit Methyldimethoxysilan-Endgruppen (Abb. III-3.14) und ein höherfunktionelles MS-Polymer im Verhältnis 60 : 40; z.B. „S203H“ und „S303H“ (Kaneka, Japan) Position 2: Di-iso-undecylphthalat, z.B. „Jayflex DIUP“ (ExxonMobil) Position 4: Gemahlenes Calciumcarbonat, mit Stearinsäure beschichtet, mittlere Teilchengröße 2 µm, spez. Oberfläche 5 m 2/g Position 5: Polyamidwachse; z.B. „Crayvallac SLX“ oder „-SL“ (Arkema) [13] Position 6: N-Aminoethyl-3-aminopropyl-trimethoxysilan (DAMO, Abb. III-3.15) Position 7: Vinyltrimethoxysilan (VTMO, Abb. III-3.15) Position 8: Zinnorganische Verbindung als Vernetzungskatalysator, z.B. Dibutylzinn-bisketonat; z.B. „Metatin Catalyst 740“ (Acima)
Abbildung III-3.14: MS-Polymer
Ein Formulierungsbeispiel für einen Baudichtstoff auf Basis von MS-Polymeren wird in Tabelle III 3.8 gegeben [12, 13]. Durch die Abmischung zweier MSPolymerer mit unterschiedlicher Funktionalität (Tabelle III-3.8) kann man die mechanischen Eigenschaften des gehärteten Dichtstoffs gezielt einstellen. Zu beachten ist, dass die beiden in der Rezeptur (Tabelle III-3.8) eingesetzten Silane (Abbildung III-3.15) unterschiedliche Funktionen erfüllen; DAMO dient als Haftvermittler während das gegenüber Feuchtigkeit reaktivere VTMO als Trockenmittel dient. Darüber hinaus ist es ratsam, Pigment und Füllstoff vorzutrocknen [12], da Feuchtigkeit die Lagerstabilität des Dichtstoffs beeinträchtigt. Darüber hinaus könnte man noch Alterungsschutzmittel zusetzen (z.B. HALS-Produkt).
Einteilung von Baudichtstoffen
279
Silanterminierte Polyurethane Daneben gibt es noch Kleb/ Dichtstoffe auf Basis silanterminierter (silanverkappter) Polyurethane (Abbildung III-3.16), die im Gegensatz zu den „klassischen“ feuchtigkeitshärtenden 1K-PURDichtstoffen bei der Reaktion mit Luftfeuchtigkeit kein Kohlendioxid abspalten (siehe Abbildung III-3.3 und -3.4).
Formulierungsbeispiel
Abbildung III-3.15: N-Aminoethyl-3-aminopropyl-trimethoxysi-
Anstelle von N-Phenyl-aminopro- lan (DAMO) und Vinyl-trimethoxysilan (VTMO) pyltrimethoxysilan kann man auch N-Butyl-aminopropyltrimethoxysilan (Abbildung III-3.17) einsetzen, dann aber 0,8 Gew.-Teile weniger [15] (Tabelle III-3.9). Zur Kontrolle wird das NCO/OH-Verhältnis des Präpolymers von Tabelle III-3.9 berechnet. Aus den Molmassen und den Funktionalitäten der beiden Polyetherpolyole (Tabelle III-3.9) lassen sich wie in Kap. III-1.3.3 vorgeführt, die Hydroxygehalte (% OH) näherungsweise berechnen; sowohl für das Diol und das Triol berechnet man OH-Äquivalentmassen von 2.000 und Hydroxygehalte von je 0,85 % OH.
Abbildung III-3.16: Silanterminierte Polyurethane (-XH ist z.B. -SH, -OH oder -NHR)
280
Baudichtstoffe
Nun kann nach folgender Gleichung das NCO/OH-Verhältnis berechnet werden: NCO/OH-Verhältnis =
Gew.–Teile Polyisocyanat · 17 · %NCO = Gew.–Teile Polyol · 42 · %OH
= (4,8 · 17 · 33,6) : (28,4 · 42 · 0,85 + 4,8 · 42 · 0,85) = 2,3 d. h. mit dem hohen Überschuss an Isocyanatgruppen erhält man ein relativ niedrigmolekulares, isocyanatterminiertes Präpolymer. Aus den Daten der in Tabelle III-3.9 angegebene Rezeptur kann berechnet werden, ob der Zusatz an Silanverkappungsmittel (Aminosilan) stöchiometrisch erfolgt. Die Gesamtmenge des Präpolymeren ergibt sich zu 28,4 + 4,8 + 4,8 = 38 Gew.-Teile. Isocyanat-Grundwert = 42 · 100 · %OH 17 · %NCO Isocyanat-Grundwert = (42 · 28,4 · 0,85 + 42 · 4,8 · 0,85) : (17 · 33,6) = 2,1 (Gew.-Teile MDI) Mit Hilfe des Isocyanat-Grundwertes berechnen sich für die stöchiometrische Umsetzung der beiden Polyole mit MDI formal 2,1 Gew.-Teile MDI. Damit verbleiben 4,8 – 2,1 = 2,7 Gew.-Teile MDI formal übrig. In Wirklichkeit reagiert MDI bei einem so hohen Überschuss natürlich statistisch mit nur einer Isocyanat-Gruppe mit den Polyolen (vgl. Abbildung III-3.18, unten). 2,7 Gew.-Teile MDI sind 0,011 mol oder 0,022 val (zwei NCO-Gruppen). Damit berechnet sich die NCO-Äquivalentmasse des Präpolymeren wie folgt : NCO-Äquivalentmasse = Masse Präpolymer : NCO-Gehalt (val) = 38 : 0,022 = 1727 Daraus wieder berechnet sich der Isocyanatgehalt des Präpolymeren = (42 ·100%) : 1727 = 2,4 %. Zur vollständigen Umsetzung dieser Isocyanatgruppen benötigt man die wie folgt berechnete Menge an N-Phenyl-aminopropyl-trimethoxysilan (Molmasse = H-aktiv-Äquivalentmasse = 255,2): Menge Aminosilan (bezogen auf 100 g Präpolymer) = (100 · H-aktiv-Äquivalentmasse) : NCOÄquivalentmasse Menge Aminosilan (auf 38 Teile Präpolymer) = (38 · 255,2) : 1727 = 5,6 (Gew.-Teile). D. h. Unterschuss an Aminosilan in der Tabelle III-3.9: Formulierungsbeispiel für einen Dichtstoff Rezeptur (Tabelle III-3.9). [15] auf Basis eines silanterminierten Polyurethans Position
Rohstoff
1
Polyetherdiol (Molmasse 4000)
28,4
2
Polyethertriol (Molmasse 6000)
4,8
3
Diisocyanat
4,8
4
Silan-Verkappungsmittel
4,2
5
Weichmacher
19,0
6
Füllstoff
38,1
7
Rheologisches Additiv
Summe
Gew.-Teile
0,7 100
Position 3: 4,4‘-Diisocyanatodiphenylmethan (MDI), 33,6 % NCO Position 4: N-Phenyl-aminopropyl-trimethoxysilan (Abb. III-3.17) Position 5: Diisodecylphthalat Position 6: Calciumcarbonat, mit Stearinsäure nachbehandelt, mittlere Teilchengröße 0,38 µm Position 7: Pyrogene Kieselsäure Präpolymersynthese: Position 1 bis 3 im Vakuum 2 h auf 60 °C erhitzen. Danach Position 4 zusetzen und unter Stickstoff weitere 2 h auf 60°C erhitzen.
Um das ganze etwas anschaulicher zu machen, werden die Mol-Verhältnisse der Reaktanden (Tabelle III-3.9) berechnet (und auf ganze Zahlen gerundet): Polyetherdiol : Polyethertriol : MDI : Silan ≈ 9 : 1 : 24 : 21, siehe Abbildung III-3.18. Die nur kleine Menge an Triol (Tabelle III -3.9) führt bei der Härtungsreaktion zu einer geringen Vernetzungsdichte und damit zu einer hohen Flexibilität. Allerdings wird durch die Umsetzung mit dem Silan (Abbildung III -3.17) die Funktionalität des Präpolymeren erhöht, was wegen der daraus resultierenden höheren Vernetzungsdichte gegen-
Einteilung von Baudichtstoffen
281
über dem PUR-Standard zu (hier unerwünschten) höheren Zugfestigkeiten führt [15]. Ein Ausblick auf neueste Entwicklungen von Dichtstoffen mit silanvernetzenden Polymeren findet sich in [17]. Die bisher hier verwendeten Silane sind sog. γ-Silane; d.h. zwischen Silanfunktion und Aminogruppe sind drei abstandshaltende Methylengruppen (siehe Abbildung III-3.17). Eine neuere und reaktivere Gruppe von Silanen sind die sog. α-Silane mit nur noch einer Methylengruppe als Abstandshalter. Auf Basis von mit α-Silanen terminierten Polyethern lassen sich schneller härtende Systeme formulieren [19].
Abbildung III-3.17: N-Phenyl-aminopropyltrimethoxysilan und N-Butyl-aminopropyltrimethoxysilan
Abbildung III-3.18: Vereinfachte Darstellung des Bindemittels des Dichtstoffs auf Basis eines silanterminierten Polyurethans (Tabelle III-3.9)
3.2.5 Polyacrylat-Dispersionen Im Gegensatz zu allen anderen in Kapitel III beschriebenen Dichtstoffen enthalten PolyacrylatDichtstoffe ein Dispersionsmittel (Wasser). Die in diesem Kapitel beschriebenen Polyacrylate können anteilig auch noch andere Monomere als (Meth-)Acrylsäure und deren Ester im Polymer enthalten (z. B. Acrylnitril, Vinylester).
282
Baudichtstoffe
Verfestigung von Primärdispersionen Polymer-Primärdispersionen werden mit dem Verfahren der Emulsionspolymerisation herge stellt [7]. Dichtstoffe auf Basis von wässrigen Polyacrylat-Primärdispersionen trocknen rein physikalisch und sind deshalb vom Verfestigen (Filmbildung) her mit Beschichtungen wie z.B. Dispersionsfarben vergleichbar [7]. Die Geschwindigkeit der Verfestigung von Dispersionsdichtstoffen ist wesentlich von der Umgebungstemperatur und der Luftfeuchtigkeit abhängig. Beim Verdunsten des Wassers rücken die dispersen Polymerteilchen immer enger zusammen, bis sie eine Kugelpackung bilden (Abbildung III-3.19). Durch weiteres Verdunsten von Wasser werden die kugelförmigen Polymerteilchen vom Kapillardruck der immer dünner werdenden Flüssigkeitslamellen zu rhombischen Dodekaedern deformiert, und sie verschmelzen an den Teilchengrenzen (Koaleszenz). Danach kann es über die Teilchengrenzen hinweg zu einer (teilweisen) Interdiffusion von Polymermolekülen kommen. Primärdispersionen sind in Bezug auf Koagulation thermodynamisch instabil, d.h. bei der Verfestigung gehen sie irreversibel in den thermodynamisch stabilen Zustand über. Alle Dichtstoffe aus Primärdispersionen sind als unvernetzte Polymere thermoplastisch und lösemittelquellbar. Die Koaleszenz (Verfestigung bzw. Filmbildung) von Primärdispersionsteilchen findet nur oberhalb der Mindestfilmbildungstemperatur (MFT, auch „minimale Filmbildungstemperatur“) statt. Unterhalb der MFT befindet sich das Polymer im Glaszustand und kann keinen Film bilden. Die MFT von Polymerdispersionen für Dichtstoffe liegt in der Regel deutlich unter 0 °C und damit signifikant niedriger als bei Dispersionen für Beschichtungen. Eine niedrigere MFT bedeutet auch, dass das Polymer weicher ist und eine niedrigere Glastemperatur (Tg) hat. Glastemperaturen von Polymeren für Dispersions-Dichtstoffe liegen bei –25 bis –30 °C [14]. Trotzdem werden Primärdispersionen für Dichtstoffe permanente Weichmacher (z.B. Phthalate) zugesetzt; manchmal auch noch Filmbildehilfsmittel (schwerflüchtige organische Löse-
Abbildung III-3.19: Verfestigung von Primärdispersionen
Einteilung von Baudichtstoffen
283
mittel), die als temporäre Weichmacher wirken [7]. Im Gegensatz zu permanenten Weichmachern verlassen Filmbildehilfsmittel das Polymer nach einiger Zeit und führen somit zu keiner andauernden Weichmachung.
Eigenschaften von Polyacrylat-Dichtstoffen Gegenüber den früher verwendeten Dichtstoffen auf Basis gelöster Polyacrylate erlauben wässrige Polyacrylat-Dispersionen deutlich höhere Molmassen des jetzt dispersen Polymers. Allgemein vergrößert eine höhere Molmasse den elastischen Anteil gegenüber der Plastizität (die bei niedrigen Molmassen dominiert). D.h. die Umstellung von lösemittelhaltigen auf wässrige Systeme brachte nicht nur einen ökologischen Fortschritt, sondern auch einen in Bezug auf Qualität. WässrigePolyacrylat-Dichtstoffe haben folgende Vorteile (+) bzw. Nachteile (–): + einkomponentig, + preiswert, + gute Haftung auch auf feuchtem Untergrund, + gute Anstrichverträglichkeit (Überstreichbarkeit), + gute Alterungsbeständigkeit, +/– bis zu 15 % zulässige Gesamtverformung (für Dehnungsfugen sind allerdings 25 % gefordert), – großer Schwund von ca. 20 % beim Trocknen (Verdunstung von Wasser), – langsame Hautbildung, – frisch appliziert gegen Frost und Regen empfindlich, – für Außenanwendung weniger geeignet, – für Boden- und Unterwasserfugen ungeeignet. Dispersionsgebundene Dichtstoffe können auf alle saugfähigen Substrate wie Beton, Porenbeton, Putz, Gips und Holz appliziert werden. Die Funktionsfähigkeit eines verfestigten Dichtstoffs wird wesentlich von seinem elastischen Rückstellvermögen bestimmt [14]. Im Idealfall wäre das elastische Rückstellvermögen 100 %; in der Praxis ist es jedoch niedriger. Dichtstoffe auf Basis von Polyacrylat-Dispersionen sind im Gegensatz zu allen anderen hier beschriebenen unvernetzt. Damit ist die elastische Rückstellung bei 50 % Dehnung mit 45 bis 65 % auch relativ niedrig [14], d.h. der plastische Anteil relativ hoch.
Formulierung von Dichtstoffen auf Dispersionsbasis Eine zentrale Rolle bei der Formulierung spielt natürlich die Auswahl einer geeigneten Polymerdispersion [9]. Füllstoffe wie z.B. Kreide oder Calcit erhöhen das Volumen des Dichtstoffs (Verbilligung) aber können auch technologische Eigenschaften beeinflussen. Mit zunehmender Teilchengröße des Füllstoffs verringern sich das elastische Rückstellvermögen, die Spannung (50 % Dehnung) und die Bruchdehnung [14]. Darüber hinaus verringert Talkum (lamellar, Abbildung III3.20) auch die Oberflächenklebrigkeit des festen Dichtstoffs. Rheologisch aktive Nanopartikel wie z.B. pyrogene Kieselsäuren erhöhen die Standfestigkeit der frisch applizierten Dichtstoffe. Mit Pigmenten können Dichtstoffe eingefärbt werden. Weichmacher und Filmbildehilfsmittel erniedrigen die Glastemperaturen des Polymeren; hervorzuheben sind hier Phthalate, Polyisobutene und Propylenglykolalkylphenylether. Mit Propylenglykolalkylphenylether als Weichmacher erhält man tieftemperaturelastische Dichtstoffe mit niedriger Härte und schnellerer Hautbildung nach der Applikation. Dispergieradditive wie z.B. Polycarboxylate verbessern die Einarbeitung von Füllstoffen und Pigmenten und erhöhen die Abbildung III-3.20: RasterelektronenmiStabilität der Dichtstoffe. Glykole können als Frostschutz- kroskopische Aufnahme von Talkum
284
Baudichtstoffe
Tabelle III-3.10: Formulierung eines Baudichtstoffs auf Basis Polymerdispersion Position
Rohstoff
Gew.-Teile
1
Polymerdispersion (65 %ig)
2
Netzmittel
0,4
3
Dispergieradditiv
0,1
Formulierungsbeispiel
4
Titandioxid Rutil
4,0
5
Propylenglykolalkylphenylether
4,0
Ein Formulierung wird in Tabelle III-3.10 gegeben [10].
6
Ethylenglykolmonophenylether
3,0
7
Kreide (Füllstoff)
8
Hochdisperse Kieselsäure
Summe
31,5
mittel zugesetzt werden. Mit PolymerDispersionen hergestellte Dichtstoffe müssen mit Konservierungsmitteln gegen Mikroorganismenbefall stabilisiert werden.
56,5 0,5 100
Position 1: Wässrige Polymerdispersion auf Basis Acrylsäureester, Vinylester und Acrylnitril, mit Natriumhydroxid auf pH 8 eingestellt, Glastemperatur ca. –40 °C, MFT 10.000 (BASF) Position 7: Kreide, mittlerer Teilchendurchmesser 5 µm Position 8: Hochdisperse Kieselsäure, hydrophob, BET-Oberfläche 90 m2/g (rheologisches Additiv)
Ein oben schon erwähntes Problem von Dichtstoffen auf Basis wässriger Polymerdispersionen ist die sog. Frühregenfestigkeit, d.h. die Auswaschbeständigkeit eines frisch applizierten Dichtstoffs. Diese Frühregenfestigkeit kann bei dem in Tabelle III -3.10 beschriebenen Dichtstoff durch kleine Zusätze von wasserlöslichen bzw. wasserquellbaren Polysacchariden [10] oder von Polyvinylalkoholen [11] deutlich verbessert werden.
3.2.6 Primer Tabelle III-3.11: Formulierungsrichtlinie für Primer für 1K-PUR-Dichtstoffe Filmbildner: hochmolekularer, physikalisch
Gew.-Teile 14
trocknender Polyester Lösemittel, z.B. Toluol/Ethylacetat/MEK Rheologisches Additiv, z.B. pyrogene
61 2
Kieselsäure Reaktive Komponente, z.B. trimeres
20
cycloaliphatisches Isocyanat (70 %ig) Haftvermittler, z.B. Glycidylpropyl-
3
trimethoxysilan (Abb. III-3.21) 100 nfA: 33 %
Tabelle III-3.12: Formulierungsrichtlinie für Primer für 2KPolysulfid-Dichtstoffe (auch für 1K-PUR-Dichtstoffe geeignet) Filmbildner: Chlorkautschuk Lösemittel, z.B. Ethylacetat/Toluol Weichmacher: Chlorparaffin reaktive Komponente, z.B. trimeres
Gew.-Teile 12 76 5 7
aliphatisches Isocyanat (75 %ig) 100 nfA: 22 %
Der Primer ist das chemische Bindeglied zwischen Dichtstoff und Untergrund (Baustoff). Darüber hinaus schützt der Primer den Dichtstoff vor den chemischen Einflüssen des Untergrunds ; z.B. Alkalien aus dem Beton können den Dichtstoff in der Grenzfläche angreifen. Primer und Dichtstoff bilden ein System, das aufeinander abgestimmt ist. Das Weglassen des Primers hat kurzfristig oft keine Folgen, kann aber langfristig zu erheblichen Schäden (Reklamationen) führen, siehe Abbildung I-2.7 in Kapitel I-2.2. Beide Formulierungsrichtlinien für Primer (Tabelle III -3.11 und -3.12) enthalten einen physikalisch trocknenden Filmbildner (SP bzw. RUC) und zusätzlich je ein reaktives Polyisocyanat, dass den Primerfilm weiter verfestigt (Reaktion mit Luftfeuchte) und die Haftung zum Substrat verbessert (Reaktion
Abb. III-3.18
Literaturverzeichnis
mit Oberflächenhydroxygruppen der Substrate). Diese beiden Primerformulierungen (Tabelle III-3.11 und -3.12) ähneln dem in Kapitel III -1.3.4 Glasprimer, der auch im wesentlichen aus physikalisch trocknendem Filmbildner und reaktivem Polyisocyanat besteht. Abbildung III-3.22 zeigt die Reaktion von den Isocyanaten der Primerformulierungen (Tabellen III-3.11 und 12) mit der Epoxidgruppe des Haftvermittlers Glycidylpropyltrimethoxysilan [20]. Diese chemische Reaktion ist eine Voraussetzung für die Wirkung des Haftvermittlers.
3.3 Literaturverzeichnis
285
OCH3
O H2C
CH
CH2
O
(CH2)3
Si
OCH3
OCH3
Abbildung III-3.21: Glycidylpropyltrimethoxysilan (Haftvermittler)
O R
N=C=O
+
O R
N
O
R' R'
Abbildung III-3.22: Reaktion von Isocyanaten mit Epoxidgruppen zu Oxazolidonen
[1] E. Baust, Praxishandbuch Dichtstoffe, Industrieverband Dichtstoffe (1988) [2] EPA 0 289 901 A2 [3] Bayer AG, RR 5512 (2002) [4] H. Kittel, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Bd. I/1 (1971) S. 188 f [5] H. Lucke, Aliphatische Polysulfide, Hüthig & Wepf, Basel (1992) S. 135 f [6] M. Langer, Adhäsion, 40, Nr. 1–2 (1996) S. 26 ff [7] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, 3. Aufl. (2009) Kap. III-1 und III-2 [8] M.Pröbster, Baudichtstoffe, Vieweg + Teubner Verlag, Wiesbaden (2008) S. 13f [9] D. Distler, Wässrige Polymerdispersionen, Wiley-VCH (1999) Kap. 7.3.3 [10] DE-OS 42 24 044 A1 [11] DE-OS 42 05 358 A1 [12] H. Mack, Choosing the Right Silane Adhesion Promotors for SMP Sealants (2002) in www.adhesivesmag.com und Beitrag zu den 2nd Organosilicon Days, München (2003) [13] One-Component Moisture Curing Methoxysilane Sealants (2001) in www.crayvalley.com [14] J. Krobb, E. Wistuba, Adhäsion (1992) Nr. 5, S. 14–20 [15] Firmenschrift der Degussa (neu Evonik), „Sivento Silanes for Adhesives and Sealants“ (9/2001) [16] Wacker Silicones Info-Service (2004) [17] M. Pröbster, Adhäsion (2004) Nr. 1–2, S. 10–14 [18] B. Müller, Additive kompakt, Vincentz Network (2009) Kapitel 8 [19] W. Schindler, Farbe & Lack, 112 (2006) Nr. 10, S. 44–49 [20] www.bayercoatings.de/BMS/DB-RSC/BMS_RSC_CAS.nsf/id/PortalDE_Die_Chemie_der_Isocyanate
286
Grundlagen
Teil IV Design und Prüfung von Klebeverbindungen 1 Grundlagen 1.1 Systembetrachtung Die Qualität einer strukturellen Verklebung, d.h. ihre mechanische Belastbarkeit und ihre Beständigkeit, wird durch den verwendeten Klebstoff, seine korrekte Anwendung, die verklebten Substrate, die auf die Klebung wirkenden Belastungen und somit auch das Design der Klebeverbindung bestimmt. Eine Tabelle IV-1.1: Anforderungen an strukturelles Kleben Verklebung ist demnach immer als Anforderung Erreichbar durch System aller genannten Parameter zu betrachten. Ein struktureller Kraftübertragung hoher Modul Klebstoff ist integraler Bestandteil hohe Scher- und Zugfestigkeit der Klebeverbindung. Sein Versagute Adhäsion und hohe Kohäsion gen führt zum Versagen der gesamDauerhaftigkeit lange Lebensdauer des ten Konstruktion. Klebeverbunds geringe Kriechneigung unter Dauerlast Widersteht besonderen
hohe Schälfestigkeit
Belastungen
hohe Schlagfestigkeit Hoch- und Tieftemperaturbe ständigkeit gute Hydrolysebeständigkeit
Kostengünstig
Kostenvorteil gegenüber anderen Verbindungstechniken
Neben der Adhäsion zwischen Klebstoff und Substrat und der Kohäsion des Klebstoffs werden in den folgenden Abschnitten vor allem Parameter des sinnvollen bzw. günstigen Designs einer Klebekonstruktion analysiert. Das frühzeitige Erkennen und Vermeiden konstruktiver Mängel kann die Qualität einer Verklebung signifikant verbessern. Das Beispiel in Abbildung IV-1.1 zeigt auf den ersten Blick, dass es günstigere und weniger günstige Möglichkeiten des Designs einer Klebefuge gibt. Das für einen Klebeverbund gewählte Design bestimmt die Höhe und Richtung der auf die Verklebung einwirkenden Kräfte.
Abbildung IV-1.1: Günstiges und ungünstiges Design einer Verklebung
Für die Herstellung einer optimalen, klebegerechten Konstruktion sind eine Reihe von Vorkenntnissen erforderlich, die leider in der betrieblichen Praxis nicht immer alle bekannt sind. In vielen Fällen
Kohäsion von Klebstoffen und Viskoelastizität
287
ist eine Klebekonstruktion seitens des Anwenders schon vorgegeben, der Klebstoff soll dann noch als Notlösung die vergessenen Nieten oder Schrauben ersetzen, d.h. das Unmögliche noch möglich machen. So etwas kann manchmal gut gehen, aber der Klebstoffanwender sollte sich zumindest über die Risiken, die so etwas bergen kann, im Klaren sein. Zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Verklebung beginnt die Planung in der Regel bereits mit Prozessvorgaben seitens des Anwenders. Dazu kommen Kenntnisse der Substrate und Kenntnisse der späteren Gebrauchsanforderungen. Gerade auch die Einwirkung zerstörender Medien wie Wasser o.ä. und damit die Dauerhaftigkeit einer Verklebung kann durch die Wahl eines günstigen Designs in gewissem Umfang gesteuert werden. Eine dünne Klebefuge ist im Gegensatz zu einer breiten Dichtstofffuge dann vor der Einwirkung von UV-Strahlung geschützt, wenn die verwendeten Substrate selbst undurchlässig gegenüber UV-Strahlung sind. Zuletzt steht die Auswahl des Klebstoffes auf Grundlage der genauen Kenntnis des Klebstofftyps. Tabelle IV-1.2: Erforderliche Vorkenntnisse Prozessvorgaben
Ist ein 2K-System möglich oder ist ein 1K-System erforderlich?
für die Herstellung
Wie soll der Klebstoff appliziert werden?
des Verbunds
Welche Emissionen seitens des Klebstoffs sind bei der Anwendung tolerabel? Wird geschultes Personal die Anwendung durchführen oder ist der Prozess gar vollständig automatisiert? Wie viele Teile sollen in welcher Zeit verklebt werden? Muss der Klebstoff eine schnelle Anfangshaftung aufbauen oder kann hinreichend lange mechanisch fixiert werden? Liegen konstante Klimabedingungen für Klebstoffauftrag und Aushärtung vor? Wie ist bei Betriebsunterbrechungen, wie über Nacht zu verfahren?
Kenntnis der
Welche Substrate sind zu verbinden?
Substrate
Sind deren mechanische und thermische Kenngrößen bekannt? Welche Dimensionen (Dicken, Verklebungsflächen) stehen zur Verfügung? Welcher Oberflächenzustand der Substrate muss verklebt werden?
Anforderungen
Welchen Belastungen ist die Verklebung im späteren Nutzungsbereich ausgesetzt:
an den Verbund
• mechanische (statische und dynamische Belastungen) • thermische Belastungen • Belastungen durch Medien wie Wasser, Öl, Chemikalien usw. • Belastungen durch Strahlung
Kenntnis des
Verarbeitung und Anwendung
Klebstoffs
Adhäsion zu den Substraten Notwendigkeit einer Oberflächenvorbehandlung mechanische und thermische Kenngrößen
1.2 Kohäsion von Klebstoffen und Viskoelastizität Alle Materialien, auch Klebstoffe verformen sich unter Krafteinwirkung. Im Idealfall, wenn eine Zugverformung Δl proportional zur Kraft F erfolgt, kann sie, wie in Abbildung IV-1.2 dargestellt, über das Hook’sche Gesetz (1) beschrieben werden (k = Federkonstante bei der Zugverformung). F = k · Δl
(1)
288
Grundlagen
Die gemessene Kraft F, wie auch die Verformung, hängt von der Materialgeometrie ab. Normiert man nun auf die Querschnittsfläche, so erhält man das Hook’sche Gesetz in der Form: σ=E·ε
(1a)
wobei σ = F/A die Zugspannung in [MPa] und ε = Δl/l die Dehnung in [%] ist. E ist der Elastizitätsmodul, eine jeweils materialspezifische Kenngröße. Abbildung IV-1.2: Zugverformung
Für eine Scherverformung um den Winkel γ gilt, wie in Abbildung IV-1.3 dargestellt, analog: F = k’ · Δl bzw.
τ=G·γ
(2) (2a)
wobei τ = F/A die Schub- bzw. Scherspannung in [MPa], k’ die Federkonstante der Scherverformung und γ = Δl/h die Gleitung in [%] ist. G ist der Schub- bzw. Schermodul, eine jeweils materialspezifische Kenngröße. Zwischen Zug- und Scherverformung besteht folgender Zusammenhang:
Abbildung IV-1.3: Scherverformung
E ≈ 3G Tabelle IV-1.3: Mechanische Kenngrößen von Kleb- und Dichtstoffen E-Modul [MPa] Klebstoff Dichtstoff
Dehnung [%]
1000
1
1
1000
(3)
Kleb- und Dichtstoffe lassen sich über ihr Zug-/Dehnungsverhalten und die daraus ableitbaren mechanischen Kenngrößen charakterisieren. Klebstoffe zeigen hohe E-Modulwerte (bis ca. 1000 MPa) bei nur kleiner Dehnung (im Prozentbereich), Dichtstoffe zeigen niedrige Modulwerte, da ihre Hauptfunktion nicht in der Übertragung von Kräften liegt (lediglich ca. 1 MPa) bei teilweise hoher Dehnbarkeit (bis ca. 1000 %). Im Zugspannungs-Dehnungsdiagramm lassen sich die mechanischen Eigenschaften graphisch darstellen. Abbildung IV-1.4 zeigt ein solches, idealisiertes Diagramm.
Abbildung IV-1.4: Zugspannungs-Dehnungsdiagramm , ideal
Reale Polymere und daraus formulierte Werkstoffe zeigen lediglich bei kurzer, spontaner Krafteinwirkung und geringer Dehnung ideales Hook’sches
Thermomechanische Eigenschaften
Verhalten. Unter Dauerlast neigen sie zum Kriechen (plastisches Verhalten), bei großer Dehnung ist diese auch nicht mehr linear proportional zur einwirkenden Kraft. Bei weiterer Dehnung brechen sie. Das gesamte Zugdehnungsverhalten kann wiederum über ein Zugspannungs-Dehnungsdiagramm (bzw. Spannungs-/Gleitungsdiagramm) dargestellt werden. Trägt man die Spannung gegen die Dehnung auf, erhält man, wie in Abbildung IV-1.5 dargestellt, lediglich im Bereich kleiner Dehnungen, dem Idealfall, eine Gerade, deren Steigung dem jeweiligen Modul (Young Modulus) entspricht.
289
Abbildung IV-1.5: Zugspannungs-Dehnungsdiagramm, real
Das plastische Kriechen polymerer Materialien unter Dauerlast entspricht einem Fließprozess, wie er für Flüssigkeiten charakteristisch ist. Reale Polymere verhalten sich je nach Aufbau und Art der Belastung eher elastisch oder plastisch. Man spricht deshalb von Viskoelastizität. Bei schneller, kurzzeitiger Krafteinwirkung verhalten sich Polymere elastisch, bei langanhaltender Krafteinwirkung eher plastisch. Hochvernetzte Polymere neigen unter Dauerlast weniger zum Kriechen als dies unvernetzte Thermoplaste tun. Der elastische Anteil des Moduls in einer Scherverformung wird über den Speichermodul G’ beschrieben. Der elastische Anteil ist ein Maß für das elastische Rückstellvermögen eines Werkstoffs bei Wegfall der Belastung. Der plastische, für das Fließen verantwortliche Anteil des Moduls wird über den Verlustmodul G’’ beschrieben. Er ist ein Maß für irreversible Verformungsprozesse unter Belastung. Der temperatur- und frequenzabhängige (Verformungsgeschwindigkeit) Verlustfaktor tan δ = G’’/G’ ist somit eine Kenngröße zur Beschreibung des viskoelastischen Verhaltens polymerer Materialien [1, 5].
1.3 Thermomechanische Eigenschaften Die mechanischen Eigenschaften aller Stoffe, auch der Polymere, verändern sich stark mit der Temperatur. Bei tiefen (werkstoffspezifischen) Temperaturen liegt das Polymer eingefroren, in einem glasartigen, spröden Zustand vor. Beim Erwärmen erfolgt eine moderate Abnahme der Festigkeit, bis sich bei Erreichen des Glaspunktes die Eigenschaften signifikant verändern. Je nach Aufbau zeigen polymere Materialien beim Erwärmen unterschiedliches Verhalten. Ein hochvernetztes Duromer wird bis zum Erreichen des Glaspunktes (Glastemperatur, Glasübergangstemperatur, Tg) etwas an Festigkeit verlieren. Am Glaspunkt wird dann eine deutliche Festigkeitsabnahme erfolgen, bis es sich bei weiterem Erwärmen schließlich zersetzt. Wird ein amorphes, weitmaschig vernetztes Polymer über den Glaspunkt hinaus erwärmt, geht es in den gummielastischen Bereich über, sein Modul sinkt um ca. fünf Zehnerpotenzen und seine Dehnbarkeit steigt. Bei weiterem Erwärmen steigt der Modul leicht an (Entropieelastizität) und fällt schließlich bei beginnender Zersetzung schnell ab. Abbildung IV-1.6 zeigt die Verhältnisse schematisch. Kristallisierende Polymere behalten noch bis zum kristallinen Schmelzpunkt hin weitgehend ihre Festigkeit. Ab dem Schmelzpunkt erweichen sie schnell. Vernetzte Polymere zeigen dann gummielastisches Verhalten, unvernetzte Polymere schmelzen zu viskosen Flüssigkeiten. In Abbildung IV-1.7 ist das Verhalten eines kristallinen, unvernetzten Polymers schematisch dargestellt. Die Kenntnis der Phasenumwandlungspunkte polymerer Werkstoffe ist insofern von sehr großer Bedeutung, vor allem, wenn die Phasenumwandlungen in dem Temperaturbereich der vorgesehenen späteren Nutzung zu erwarten sind.
290
Abbildung IV-1.6: Thermomechanische Kurve. eines amorphen, vernetzten Polymers
Grundlagen
Abbildung IV-1.7: Thermomechanische Kurve. eines kristallinen, unvernetzten Polymers
Die Messung der Phasenumwandlungstemperaturen erfolgt üblicherweise mittels der DSC (Differential Scanning Calorimetry), bei der die zu untersuchende und eine Referenz-Probe langsam aufgeheizt werden, und die Differenz des Wärmeflusses zur Erhaltung einer identischen Temperatur beider Proben dargestellt wird. Je nach Aufbau und Formulierung lassen sich die Phasenumwandlungstemperaturen polymerer Werkstoffe in weiten Bereichen steuern. Höhere Vernetzung hebt die Glastemperatur an (z.B. Phenolharze), dies gilt auch für sperrige Seitengruppen, die eine Kettenbeweglichkeit reduzieren (z.B. Polystyrol). Ein Tabelle IV-1.4: Glas- und Schmelztemperaturen ausgegeordneter, regelmäßiger Polymeraufwählter Klebstoffpolymere bau begünstig Kristallinität (z.B. isotaktisches PP). Auch intermolekulare Polymer GlasSchmelzWasserstoffbrückenbindungen begüntemperatur temperatur Tg [°C] Tm [°C] stigen Kristallinität (z.B. Polyamide oder Polyurethane). Lange SeitenSilicon -127 ketten können als innerer WeichmaPolyethylen (HD) -125 144 cher wirken und die Glastemperatur absenken (z.B. Polyacrylatester aus Polypropylenoxid -75 höheren Alkoholen), der Zusatz äußePolyisobutylen -73 rer, verträglicher Weichmacher Naturkautschuk -73 senkt die Glastemperatur in analoger Polychloropren -40 50 Weise. Verträgliche Harze können je Polypropylen (it) -8 170 nach Aufbau die Glastemperatur von Polyvinylacetat 32 Polymeren anheben oder absenken (man vergleiche mit Kapitel II-3.4.1 6-Polyamid 55 220 Schmelzhaftklebstoffe). Die PhasenPVC 81 umwandlungstemperaturen wichtiger Polystyrol 100 Kleb- und Dichtstoffpolymere sind in Polymethylmethacrylat 105 Tabelle IV-1.4 dargestellt [2].
Mechanische Belastungen
291
2 Belastungsanalysen von Klebeverbindungen 2.1 Vorbemerkung Die Funktion von Klebstoffen ist die Kraftübertragung zwischen Substraten. Eine Verklebung ist im Laufe ihrer Nutzungsdauer verschiedensten Einflüssen wie mechanischer, thermischer oder hydrolytischer Belastung ausgesetzt. Sie soll ihre Funktion in unverminderter Weise über die gesamte Nutzungsdauer der verklebten Konstruktion wahrnehmen. Insofern ist eine genaue Analyse der möglichen Einflüsse und ihrer Auswirkung auf die Verklebung wesentlich. Durch Anwendung klebegerechter Konstruktionen lassen sich die Eigenschaften der Klebstoffe anwendungsorientiert optimieren.
2.2 Mechanische Belastungen 2.2.1 Statische Belastungen Die auf eine Verklebung einwirkenden mechanischen Belastungen unterteilt man sinnvoller Weise in statische, d.h. zeitlich konstante und dynamische, somit zeitlich veränderliche Belastungen. Bei den zeitlich konstanten Belastungen unterscheidet man noch zwischen • kurzzeitig einwirkenden und • dauerhaft einwirkenden Belastungen. Die an realen Bauteilen auftretenden komplexen Belastungsformen werden auf eine Kombination aus so genannten vier Basisbelastungen reduziert (siehe hierzu Abbildung IV-2.1). Dies sind Druck-, Zug-, Scher- und Schälbelastung. Während bei den drei erstgenannten die Krafteinwirkung symmetrisch erfolgt und auf eine Fläche wirkt (Einheit [N/ mm2] bzw. [MPa]), ist die Schälbelastung als besonders kritisch einzustufen, da hier die Krafteinwirkung unsymmetrisch erfolgt und im Extremfall nur auf eine Klebelinie (Einheit [N/mm] bzw. [N/cm]) wirkt. Schälkräfte („Peel“) sind somit für eine Verklebung ungünstig und durch eine geeignete Klebekonstruktion nach Möglichkeit zu vermeiden.
Abbildung IV-2.1: Basisbelastungen
292
Belastungsanalysen von Klebeverbindungen
2.2.1.1 Analyse der Scherbelastung Einfluss der Klebefläche und der Überlappungslänge
Abbildung IV-2.2: Kraftübertragung als Funktion der Überlappungsfläche
Abbildung IV-2.3: Festigkeit als Funktion der Überlappungslänge
Abbildung IV-2.4: Spannungsverteilung bei Zugscherbelastung
Erwartungsgemäß wird eine Verklebung (bei ansonsten identischen Parametern) größere Kräfte übertragen können, wenn eine größere Klebefläche genutzt werden kann. In der Praxis wächst allerdings die übertragbare Kraft nicht linear proportional zur Überlappungslänge. Abbildungen IV-2.2 und IV-2.3 zeigen schematisch den Einfluss der Klebefläche auf die mögliche Kraftübertragung [3]. Die Kraftübertragung bei einer Scherbelastung erfolgt in der Realität nicht gleichmäßig über die Klebefläche. Infolge ungleichmäßiger Dehnung von Substraten und Klebstoff kommt es an den beiden Enden der Klebfuge zu Spannungsspitzen, wohingegen in der Mitte der Klebefuge nur vergleichsweise geringe Kräfte übertragen werden und auch nur eine geringe Spannung herrscht. Abbildung IV-2.4 zeigt die Spannungsverteilung bei einer Zugscherbelastung realer Substrate, die unter Belastung selbst gedehnt werden. Ein Versagen der Klebeverbindung wird immer vom Ort der höchsten Spannungsspitzen ausgehen, falls keine Fehlstellen in der Klebschicht vorhanden sind, die einen Bruch begünstigen würden. Demnach wird eine Vergrößerung der Klebefläche zwar meistens eine Erhöhung übertragbarer Kräfte und damit eine Verbesserung des Kleberesultates bringen, aber diese Vergrößerung ist nicht beliebig sinnvoll und ab einer bestimmten Klebefläche nahezu unwirksam. Die maximale übertragbare Kraft wird bei großen Überlappungslängen nur noch von den Spannungsspitzen am Ende des Verbunds bestimmt. Eine Vergrößerung der Überlappungsbreite hingegen führt proportional zu einer Erhöhung der Klebefestigkeit. Dies kann bei der Konstruktion verklebter Bauteile von großer Bedeutung sein [3].
Einfluss des Substrats Abbildung IV-2.5: Substratverwindung bei Scherbelastung
Dicke Substrate liefern Verklebungen höherer Festigkeit als dünne gleichen Materials. Die Scherbelastung erfolgt exzentrisch. Dies führt,
Mechanische Belastungen
293
wie in Abbildung IV-2.5 dargestellt, zu einer Substratverwindung und als Folge wirken an den Enden der Verklebungsfläche ungünstige Schälkomponenten auf die Verklebung. Dickere Substrate neigen unter Krafteinwirkung weniger dazu, sich zu verwinden, sie zeigen demnach höhere Festigkeiten. Abbildung IV-2.6 zeigt den Einfluss der Substratdicke auf die Klebkraft. Auch der Modul der verklebten Substrate zeigt einen signifikanten Einfluss auf die Klebefestigkeit. Hochmodulige Substrate übertragen die Kräfte ohne relevante Dehnung über die gesamte Klebefläche. Dies führt zu einer gleichmäßigeren Spannungsverteilung ohne relevante Spannungsspitzen an den Überlappungsenden. Niedermodulige Substrate bauen aufgrund ihrer Dehnbarkeit an den Enden der Verklebung Spannungsspitzen auf, was, wie in Abbildung IV-2.7 gezeigt, zu vorzeitigem Bruch führt. Generell gilt, dass hochmodulige Klebstoffe in Verbindung mit hochmoduligen Substraten höhere Festigkeiten liefern [3, 5, 9].
Einfluss der Klebschicht Der Einfluss der Klebschichtdicke DK auf die übertragbare Klebkraft ist komplex und schematisch in Abbildung IV-2.8 dargestellt. Im Bereich sehr dünner Klebfugen (unterhalb von ca. 0,05 mm dominieren Effekte der Oberflächenrauheit von Substraten, die zu Benetzungsfehlern und zu unerwünschten Substratberührungen führen können. Solch dünne Klebefugen sind auch nur mit sehr niedrigviskosen Klebstoffen zu realisieren. Klebefugen im Bereich von 0,05 bis 0,2 mm liefern meistens Verklebungen mit höchster Festigkeit. Dies ist bei Klebekonstruktionen von großer Bedeutung. Solch dünne Klebeschichten verhalten sich bei Biegebeanspruchung flexibler, da der bei einer Biegung auftretende äußere und innere Krümmungsradius ähnlich wird. Man vergleiche die Situation mit einer Glasfaser, die im Gegensatz zu einer dickeren Glasplatte biegsam ist. Der Festigkeitsabfall zu dickeren Klebeschichten hin kann über die verringerte Querkontraktionsbehinderung der Klebschicht und über erhöhte Eigenspannungen durch eventuellen Schrumpf innerhalb der Klebschicht gedeutet werden [3]. Bei Kleb-
Abbildung IV-2.6: Einfluss der Substratdicke auf die Klebkraft
Abbildung IV-2.7: Einfluss des Substratmoduls auf die Klebkraft
Abbildung IV-2.8: Einfluss der Klebschichtdicke auf die Klebkraft
Abbildung IV-2.9: Symmetrische und unsymmetrische Krafteinwirkung
294
Belastungsanalysen von Klebeverbindungen
stoffen mit geringerem Modul zeigt sich kein so relevanter Einfluss der Klebegeometrie, da sich hier absolut nur geringere Spannungsspitzen aufbauen können.
2.2.1.2 Analyse der Schälbelastung Einfluss der Richtung der Krafteinwirkung
Abbildung IV-2.10: Spannungsverteilung bei Schälbelastung
Wirkt eine Zugkraft unsymmetrisch auf eine Verklebung kommt es, wie in Abbildung IV-2.9 gezeigt, zu ungünstigen Schäl- und Spaltbelastungen. Je unsymmetrischer die Kraftwirkung auf eine Verklebung ist, umso ungünstiger ist dies für das Klebeergebnis, da die Kraft ungleichmäßig auf die Klebefläche wirkt. Bei einer Schälbelastung ist die Spannungsverteilung in der Klebefuge, wie in Abbildung IV-2.10 gezeigt, sehr ungleichmäßig und nahe zum Bereich der angreifenden Kräfte maximal. Durch die Verbiegung des abgeschälten Substrats kommt es nahe neben der Bruchlinie sogar zu einer Druckbelastung auf die Klebefuge. Die Kräfte wirken beim Schälen theoretisch lediglich entlang einer Linie, was in der Praxis aber immer einer minimalen Fläche entspricht. Fehlklebungen und Inhomogenitäten der Klebschicht wirken sich so in besonders negativer Weise direkt aus. Über den Rest der Klebefläche werden keine Kräfte übertragen. Sie ist insofern für die Festigkeit irrelevant [3].
Einfluss des Substrats Dünne und flexible Substrate zeigen bei Schälbelastung eine geringere Kraftübertragung als dickere Substrate. Die Kraftübertragung bei Schälbelastung erfolgt über einen Flächenabschnitt ∆A, da das abzuschälende Substrat beim Schälen nicht einfach nur abknickt, sondern einen definierten, von seiner Dicke abhängigen Abbildung IV-2.11: Einfluss der Substratdicke Radius beschreibt. Dickere Substrate erzeugen, auf die Festigkeit wie in Abbildung IV-2.11 gezeigt, einen größeren Abrissradius als dünne, somit wird eine größere effektive Klebefläche zur Kraftübertragung wirksam. Auch eine Modulerhöhung des Substrats wirkt in gleicher Richtung. Aus der Schälung wird dann zunehmend eine Spaltung, bei der dann eine noch größere effektive Klebefläche für die Kraftübertragung wirksam ist [3].
Einfluss des Klebstoffs Die Zusammensetzung des Klebstoffs beeinflusst seine Schälfestigkeit in entscheidendem Maß. Hohe Molmassen und Vernetzung der Polymere steigern die Kohäsion, was bei kohäsivem Versagen zu höheren Festigkeitswerten führt. Füllstoffe, vor allem Fasern können die Schälfestigkeit steigern, da diese durch ihre Geometrie Kräfte über weitere Bereiche weiterleiten
Mechanische Belastungen
295
und somit besser verteilen können. Bei adhäsivem Versagen sinken die Festigkeitswerte allerdings. Flexible Klebstoffe zeigen bei Schälbelastung ein günstigeres Verhalten. Bei gegebenem Abrissradius können sie aufgrund ihrer Dehnbarkeit eine größere effektive Fläche zur Kraftübertragung nutzen. Sie können sozusagen beim Schälen eine gewisse Strecke „mitgehen“, bevor sie reißen. Dies stellt ein grundsätzliches Problem beim strukturellen Kleben dar: Auf der einen Seite möchte man eine hohe Kraftübertragung erreichen. Dafür benötigt man hochmodulige Klebstoffe, die aber auf der anderen Seite bei Schälbelastung ungünstige Eigenschaften zeigen. Abbildung IV-2.12 beschreibt den Einfluss der Dehnbarkeit des Klebstoffs auf die Festigkeit bei Schälbelastung.
Einfluss der Klebschichtdicke Bei einer Schälbelastung ist der Einfluss der Klebschichtdicke von untergeordneter Bedeutung. Die Schälfestigkeit wächst in der Regel proportional zur Klebschichtdicke, bis sie einen Grenzwert erreicht. Dickere Schichten zeigen eine höhere absolute Dehnbarkeit, somit erfolgt die Kraftübertragung auf einen größeren Bereich. Zu große Schichtdicken können das Bruchbild von kohäsivem zu adhäsivem Versagen verlagern [3].
Abbildung IV-2.12: Einfluss der Dehnbarkeit des Klebstoffs auf die Festigkeit
Einfluss des Schälwinkels Typischerweise sinkt die gemessene Schälfestigkeit mit dem Schälwinkel (0 bis 140°), Abbildung IV-2.13: Einfluss des Schälwinkels auf dann ist oft bis zum Winkel von 180° wieder die Festigkeit ein leichter Festigkeitsanstieg zu beobachten. Abbildung IV-2.13 zeigt die typische Charakteristik der Winkelabhängigkeit. Kleine Schälwinkel entsprechen eher einer Scherbelastung, Schälwinkel um 90° sind reine Normalbelastungen und somit für die Verklebung sehr kritisch [7, 8]. Schälbelastungen auf die Klebeverbindung sind, soweit es irgendwie möglich ist, durch ein geeignetes Design zu vermeiden.
2.2.2 Dynamische Belastungen Dynamische Belastungen einer Klebfuge können durch das Design nur in geringem Maß beeinflusst werden. Umso wichtiger sind deshalb an die Anwendung angepasste Materialeigenschaften des Klebstoffs.
2.2.2.1 Einfluss der Belastungsgeschwindigkeit Die mechanischen Festigkeitswerte, dies gilt für Scher- wie für Schälbelastungen, von Klebund Dichtstoffen hängen in starkem Maße davon ab, mit welcher Geschwindigkeit sie gemes-
296
Belastungsanalysen von Klebeverbindungen
sen werden. Eine schnellere Belastung liefert in weiten Bereichen höhere Festigkeitswerte, eine zu schnelle Beanspruchung führt hingegen wiederum zu einer Festigkeitsabnahme infolge von Versprödung. Abbildung IV-2.14 zeigt schematisch den Zusammenhang zwischen Schälgeschwindigkeit und Schälkraft [7]. Viele Polymere reagieren sehr empfindlich auf Schlag- oder Stoßbelastung. Eine Stoßbelastung ist eine sehr schnelle, kurzzeitige Bewegung, auf die viskoelastische Materialien (typisch für Polymere) reagieren, als hätten sie eine scheinbar sehr hohe Glastemperatur. DieAbbildung IV-2.14: Einfluss der Schälgeschwindigses Temperatur-/Zeit-Superpositionsprinzip keit auf die Festigkeit beschreibt einen Zusammenhang zwischen Verformungsgeschwindigkeit und mechanischen Eigenschaften eines polymeren Werkstoffs. Bei langsamer Verformung dominiert das viskose und das gummielastische, entropieelastische Verhalten, bei schneller Beanspruchung dominiert das energieelastische Verhalten. Die Materialien verhalten sich dann oft spröde und brechen. Beim Stoß-/Schlag wird in kurzer Zeit Energie auf die Fläche der Verklebung übertragen (Einheit der Schlagfestigkeit: Energie/Fläche in [N · m/m2] = Kraft /Länge in [N/m]). Man erkennt, dass die Schälbeanspruchung und die Stoß-/ Schlagbeanspruchung verwandt sind. Produkte mit guter Schälfestigkeit zeigen in der Regel auch eine gute Schlagfestigkeit. Zur Vermeidung eines Klebeversagens unter Schlag- oder Stoßbeanspruchung kann man entweder ein Polymer mit hinreichend tiefer Glastemperatur einsetzen, dann sind allerdings keine hohen Festigkeiten erreichbar (z.B. Dichtstoffe oder auch Haftklebstoffe), oder man kann für die Klebstoffe einen heterophasigen Aufbau wählen, bei dem die Matrix aufgrund ihrer hohen Glastemperatur für die Festigkeit verantwortlich ist und in der Matrix fein dispergierte Polymere niedriger Glastemperatur eine gute Schlagfestigkeit bewirken. (siehe hierzu auch Polyurethane, Kapitel.II-2.2.1.2, Epoxide, Kapitel II-2.2.2.2, Acrylate, Kapitel II-2.3.1.2, Phenolharze, Kapitel II-2.4.1.2). Polymere, die auf diese Weise formuliert sind, bezeichnet man deshalb auch als schlagzäh (toughened). Man vergleiche mit dem klassischen Beispiel des schlagzäh modifizierten Polystyrols.
2.2.2.2 Periodische Belastungen Andauernde periodische Belastungen können die Haltbarkeit eines Verbunds negativ beeinflussen, da sie aufgrund des viskoelastischen Verhaltens der Polymere zu irreversiblen Prozessen führen (Materialermüdung). Wichtige Kenngrößen einer periodischen Belastung sind die Frequenz, die Amplitude und die Dauer bzw. Zahl der Wiederholungen. Die Kenntnis des Verlustfaktors (tan δ = G’’/G’) des eingesetzten Klebstoffs wie auch der Substrate ist somit sehr hilfreich für die Beurteilung des Langzeitverhaltens. Ein hoher Verlustmodul führt dazu, dass bei wiederholter Belastung viel Energie vom Klebstoff in Wärme umgewandelt wird und ihn somit schädigen kann. Bei Kenntnis des elastischen Bereichs der Dehnung kann man die Auswirkung der Amplitude einer periodischen Bewegung bewerten. Dehnungen, die über den elastischen Bereich hinausgehen sollten auf jeden Fall vermieden werden.
Analyse von Alterungseinflüssen
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2.3 Analyse von Alterungseinflüssen 2.3.1 Thermische Belastungen Alle Materialien verändern ihre mechanischen Eigenschaften mit der Temperatur. Wenn diese Eigenschaften aber für das Funktionieren einer Konstruktion entscheidend sind, dann ist es zumindest erforderlich, die kritischen Temperaturbereiche zu kennen.
2.3.1.1 Einfluss der Temperatur auf die Scher- und Schälfestigkeit Kleb- und Dichtstoffe sind viskoelastische Materialien, die materialspezifische charakteristische Phasenübergänge besitzen. Somit sind ihre Eigenschaften in erheblichem Maß temperaturabhängig. Eine Temperaturerhöhung bewirkt in für energieelastische Materialien (Klebstoffe) typischer Weise eine Abnahme der Festigkeit, wobei allerdings eine Temperaturerniedrigung in den Bereich der Glastemperatur infolge von Versprödung wiederum einen Festigkeitsabfall nach sich ziehen kann. Eine geeignete Zähelastifizierung kann diesen Festigkeitsabfall wiederum minimieren. Abbildung IV-2.15 zeigt schematisch den Verlauf der Klebefestigkeit in Abhängigkeit von der Temperatur für spröde und für zähelastifizierte Klebstoffe.
2.3.1.2 Thermische Ausdehnungskoeffizienten Die meisten Materialien dehnen sich bei Temperaturerhöhung aus. Da es sich bei einer Verklebung um einen Materialverbund aus unterschiedlichen Werkstoffen handelt, kann es bei Temperaturveränderung aufgrund der unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten zu Spannungen in der Klebefuge kommen, die bis zum Versagen der Klebung führen können. Eine kurze Übersicht thermischer Ausdehnungskoeffizienten wird in Kapitel III-3.1 in Tabelle III-3.2 gegeben. Man erkennt leicht, dass Kunststoffe (demnach auch die Kleb- und Dichtstoffe) eine weit stärkere Ausdehnung beim Erwärmen zeigen als dies für Metalle oder Stein der Fall ist. Aus Sicht der Verklebung sind deshalb dickere Klebefugen eher geeignet, Spannungen auszugleichen, als dies bei sehr dünnen Fugen gegeben wäre. Auch plastisches Verhalten der Klebstoffe gleicht Spannungen bei Temperatureinwirkung eher aus, als dies für rein elastisches Verhalten der Fall wäre.
2.3.1.3 Phasenumwandlungen Alle Polymere zeigen bei charakteristischen Temperaturen einen Glasübergang (Glastemperatur), manche einen kristallinen Schmelzpunkt. Unterhalb der Glastemperatur zeigen Polymere zwar eine sehr hohe Festigkeit, sie sind jedoch oft spröde. Im Bereich der Glastemperatur verändern sich mechanische Kenngrößen (E-, G-Modul) um viele Zehnerpotenzen. Auch am kristallinen Schmelzpunkt erfolgen signifikante Änderungen der mechanischen Eigenschaften. Derartige Veränderungen sind in einer Konstruktion unter Gebrauchsbedingungen unerwünscht. Insofern sind die Kenntnis der Phasenumwandlungstemperaturen des Klebstoffs und der Substrate sowie die Temperaturbereiche der vorgesehenen Anwendung zwingend erforderlich. Sind die Polymere nicht vernetzt, beginnen sie oberhalb des Phasenumwandlungsbereichs unter Belastung zu fließen (siehe hierzu auch Kapitel II-1.3, Schmelzklebstoffe). Für Klebstoffe wäre damit Abbildung IV-2.15: Temperaturabhängigkeit der die thermische Belastungsgrenze überschrit- Klebefestigkeit
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Belastungsanalysen von Klebeverbindungen
Tabelle IV-2.1: Thermische Belastbarkeit von Klebstoffen Polymerbasis des Klebstoffs
Thermische Dauerbelastbarkeit [°C]
Thermische Kurzzeitbelastbarkeit [°C]
Polyurethan
120
180
Epoxid
180
250
ten. Man vergleiche hierzu auch die Werte aus Tabelle IV-1.4.
2.3.1.4 Z ersetzung organischer Polymere
Alle organischen Polymere zersetzen sich bei entsprechender Temperaturbelastung. Insofern Acrylat 150 200 sind Verklebungen mit orgaCyanacrylat 100 140 nischen Polymeren hinsichtlich Phenolharz 200 350 ihrer Temperaturbeständigkeit immer limitiert. Dennoch lassen sich die für strukturelle Anwendungen im Einsatz befindlichen Klebstoffklassen grob kategorisieren. Tabelle IV-2.1 gibt für einige vernetzte Klebstofftypen die Größenordnung für eine Dauerbelastbarkeit und die Grenze einer thermischen Belastbarkeit an. Die Zahlenwerte sind mit einer großen Ungenauigkeit versehen und insofern mit Vorsicht zu interpretieren. Sie berücksichtigen keine spezifischen Rezepturen und keine präzisen Zeiträume der Einwirkung. Sie werden auch stark davon abhängen, ob Sauerstoff- und Feuchtigkeitszutritt während der thermischen Belastung erfolgt und ob die Verklebung gleichzeitig zur thermischen einer mechanischen Belastung ausgesetzt ist. Die Tabelle zeigt auch den grundsätzlichen signifikanten Nachteil von Klebeverbindungen im Vergleich zu mechanischen Fixierungen oder Schweißverbunden, die über viele Hundert Grad belastbar sind.
2.3.2 Analyse der Belastung durch Medien Oft versagen Verklebungen unter der länger andauernden Einwirkung von Feuchtigkeit. In der Praxis können aber auch andere Medien wie Öl, Benzin, Lösemittel, Waschflüssigkeiten, Säuren oder Basen u.v.m. auf eine Verklebung einwirken. Klebefugen können, wie das auch in der Automobilfertigung geschieht, konstruktiv durch Überlackierung bis zu einem gewissen Grad vor Feuchtigkeitszutritt und damit Schädigung geschützt werden. Für die beobachteten Alterungseinflüsse sind unterschiedliche Prozesse verantwortlich:
2.3.2.1 Quellung Viele Polymere neigen im Kontakt mit Flüssigkeiten zur Quellung. Die Quellung ist meistens ein reversibler Prozess, aber sie ist auch mit einer Reduktion der Festigkeit (Modul) und einer Veränderung der Dimension verknüpft. Quellmedien wirken insofern wie Weichmacher. Aufgrund dessen muss die Quellung bei Tabelle IV-2.2: Wasseraufnahme von Polymeren konstruktiven Klebstoffen minimiert sein. Die Quellung erfolgt Polymer Wasseraufnahme [%] Anmerkung zur Struktur am signifikantesten mit Flüssigbei 23 °C, 50 % r.h. keiten, deren Polarität ähnlich PE